Skip to main content

Full text of "Paedagogium"

See other formats


Paedagogium 


Paedagogiüm. 


Monatsschrifl; 


ni 


Erziehung  und  Unterricht 


X>i".  Friedi-ioli  £>itteak 


SV.  Jahrgang,  1892. 


Verlag  tob  Julias  Klinkhardt. 
1892. 


Digitized  by  Google 


•  •••     •  •  •«'••• 


Digitized  by  Google 


Mitarbeiter  des  vierzelmteE  Jahrgangea 


K.  Albert  S.  571. 
O.B.  8.717. 

August  B6I1B  in  EOaigsbeig  in'Oitpiealeii.  S.  541. 
Bndolf  DieMdi  in  HbttingenrZllriolL  Sielie  „FtebpfeMe". 

Dr.  VmAmk  Dittea  in  Wien.  S.  III,  118,  868,  640,  765.  AvSerdflm  Beitilg«  rar 

.FidMMMriBdiQn  Rnndschni*  M"'^  R^wamwimhi. 
Dr.  Dnnke,  BMdgynnMrialdireetor  in  Trier.  8.  187. 
Alfred  von  TBiniann  in  Baden  bei  Wien.  &  096. 
Seliiilinth  Xlteridi  in  Oichate.  8.  875. 

Dr.  J.  Frobiwhemmer,  Fmü  e.  d.  ünlvenim  in  Mimoben.  S.  409. 

A.  Gfld,  Beetor  in  CeaieL  a  441,  687,  568. 

A.  GoerO,  SebnMinetor  in  Ineterbug.  8.  873,  887. 

P.  H.  a  686,  749. 

O.  Hints,  BeefeOT  in  Berlin,  a  77a 

Job.  Kavlidi  in  Hibr.-Sehftibeig.  a  432.  709. 

Jfinits  Kleinert,  ScbnUinetor  in  Dresden,  a  786. 

L.  Kflfodi,  Beetor  des  erang.  Gymnasiiuns  A.  B.  in  Kronstadt  (Uagain).  a  1. 

Dr.  Gottbold  Kieyenbeig,  Director  in  Iserlohn.  8.  477. 
Dr.  Job.  Kvacsala,  Prof.  am  Lyceum  in  Preasbvrg.  a  368. 
Th.  Landmana,  Bector  in  Schwets.  8,  145. 
Dr.  Oakar  Lebmann  in  Leipzig.   S.  69. 

Rudolf  Lenk,  Senunaroberlehrer  in  Dresden.   S.  22. 
Johauu  Lipp,  Oberlehrer  in  Matzendorf,  N.-ö.   S.  86. 

Dr.  U.  Morf,  a.  Seminardirector  n.  Waisenvater  in  Wintertbur.  8.209,284,651,689. 
H.  Neugeboren,  Prediger  in  Kronstadt  (SiebenbttrgenX  S.  837,  495. 

23G902  ^  , 

Dlgitized  by  Google 


—   IV  — 


Dr.  Karl  Pik  in  Leipzig.   S.  98. 
W.  Babenkamp  in  Crefeld.   S.  29. 

A.  Sehäffer  in  Berlin.   S.  310. 

Th.  Schilt«,  Director  in  Antwerpen.   S.  12. 

Otto  Emst  Schmidt  in  Hamburg.   S.  158. 

Geza  Somogj'i,  Seminaidizector  in  Zniöyftn^a.  S.  61H. 

B.  St.   S.  505. 

F.  A.  StegUch  in  Dresden.   S.  509.  613. 

Alois  Stolz  in  Pforzheim.   S.  530. 

Wilhelm  Taschek  in  Vöslau.   S.  771. 

Franz  Ticak,  SchuUnspector  in  P.  in  Wien.   S.  3%. 

Theodor  Vemaleken,  Prof.  und  Seminardirector  i.  P.  in  Graz.  S.  93,  232. 

Theod.  Ludw.  Wolf  in  Leipzig.  S.  420, 

C.  Zitier  in  Eichen.  S.  123. 

ffinm  mehreie  Antwen,  die  nidit  genannt  sein  wollen,  fener  die  Ooneepon- 
denten  der  MBandadun*  und  die  Fadmeensenten. 


Digitized  by  Google 


Inhalt. 


a.   N»eh  der  ReihenfolKe  Terz«lchaet. 

Seile 

F.ryiihlith.>  \Viiks:iiiikeif  dfiH  LfthrerH.  Komdi  .  ^  ,  ,  ,  ,  ,  .  .  .  .   1 

Wift  wird  man  HiiniftniHt.  Schütz   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  12 

Jugendeiziehuntr  unter  ih-m  Einfluasc  groftatädtiflchcu  Lebeiifl.   Lenk  ....  22 

Die  Bedeutung  Schillers  für  die  .Tugend.    Rühenkanip  29 

P&d^igogiHoho  Rundtichau.  .  38.  III.  171.  245.  :^15.  377.  446.  fjW.  Gö5.  726.  787 
Aus  der  Fachprcaae.  Dietrich  .69.  129.  197.  322.  401.  466.  534.  597.  679.  738.  791 
Rec<'usionen    ....     (^3.  182.  201.  2r)9.  :V21.  tOf).         ÖHH.  CM.  HSl.  741.  HOQ 

Päditgogis<'bc  Ausblicke  vor  hundtrt  .lahren.    f>fliiiii\iiu  69 

Eine  Aualogic.    Lipp  86 

Beiträge  zur  Rct'oriii  des  ReligionBunt«'rrichtea.    Vcmaleken   98.  232 

Dio  Pest  des  Aherghiuln  ns  uml  ihrf  Ht^'iliiiii!:  durch  die  Erziehung.    Pilz    .    .  98 

Otto  Eruat  aLi  Lyriker  und  Essayist.    Ziegler  123 

Der  intflnmvft  TTntisrrifht.  Dronke  .  .  .  .  .  .  .  m 

Über  Bcrufafreudigkeit.    Landiuann  146 

Die  P&dagogik  der  Kunst.    Si  limidt  158 

Johann  Jakob  \Velirli,.der  erste  tiiurgauische  Seminar-Director.  Morf  .  209.  294 
Adolf  Diestcn^  eg  ttber  Eduard  Bencko  und  denen  Lehre  vom  Angeborenen. 

Neugeboren  237 

Die  kir  hlicbc  und  philoBc)phi.s(  ho  Sittenlehre.   Qoerth   273.  387 

Fremde«  und  HeiinisehcH  im  Unterrirlitc.    Sch&ffer  310 

AiuoH  ('oiiienius.  Kvaesala  .<tfig 

Die  sociale  i  rage  uiul  die  Schale.    Frohschammer  409 

Drei  Monate  Fabrikarbeiter.  Ergehnisne  und  Forderungen  fttrdieVolkswhule.  Wolf  420 

Muttersprache  uud  (fraiiiiiiatik.    Kaiilieli  432 

Volksbildung  und  V^olkithildungsmittel.    Gild  441 

Des  ThiiriDger  Reformatora  Friedrich  Myconiua  Verdienste  um  daa  Schulwesen. 

Kreyenborg  477 

Die  Reform  und  die  Stell»  n/.;  unserer  Schulen.    Neugeboren  495 

Gedanken  über  da.s  uuverineidliche  Thcnia:   „l)er  Socialismus  und  di^  \  ulks- 

■ehulft "    R  St 

Sollen  die  Lehrerltildungsanstalten  lutt  rnate  oder  Eiternate  seini*  Steglich  .  609 
Die  Frage  der  riiiliritlicheu  Mittelschule  in  Ungarn  und  ihre  Beziehung  zur 

Volktibüdung.    rioaiogyi  618 

Schulprogr  imme.    ftild  627 

Bei  den  Kleinen.    Erinnerung  aus  dem  Lehreriebon.   Stola  530 


—    VI  — 


Dm  Qewiaaen  und  seine  Pflege.   Böhm  641 

Ans  der  Geschichte  der  Taubst uunueDbildung.   Morf  661.  629 

Die  Lehrer  und  die  Pre.sae.    Gild  ryi^ 

LehrtTs  F^rdenwallt'ahrt.    Alh>'rt  fwl 

Belli*  rk II ui::(  u  übtT  die  FrohBchaiiimcrsche  Philosophie,  inshcsonden;  iibrr  ihre 

lU  zi*  him^eg  zur  l'iidagogik.    Stt-glich  613 

Der  Lehrer  Leumund  und  ein  Geheiuitr  .lusti/.rat.    iUitcji  840 

Jean  Paula  „Levana  oder  Erziehungslehre."    P.  H   686.  749 

Bemerkungen  zur  F'rcmdwörterfrage.    Khniiann  698 

Macht  und  Arbeit  in  ihren  lUiduntpäolcmenten.    Kaulich  709 

Die  Wallen  uii-d.  r.    ().  «   717 

Meister  und  Jünger  des  Lehrerberufe.   Kleiner!  726 

Über  den  GeburtsoTt  des  Comenius.  HiU^  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  2ßö 

Die  BezirkHS(hulinsi>ection.  eine  ungelöste  Frage  des  ÖBterreichischen  Volks- 

SchulweHens.  Timchek   .    .  221 

Hygiem-  und  Kr/.uhung.   Ihre  Anwendung  zur  wirksamen  Bekämpfung  des 

IdiutisMiu.s    Ilintz   220 

b.  Logiseh  geordnet. 

I.    Zur  Grnndlegnni^. 

Wie  wird  man  Humanist?    12 

Die  Bedeutung  Schillers  für  die  Jugend  29 

Adolf  Diesterweg  über  Eduard  Benckc  und  dessen  Lehre  vom  Angeborenen  237 

Die  kirchliche  und  die  philosophische  Sittenlehre   278.  337 

Bemerkungen  Aber  die  Frohschammersche  Philosophie  618 

Macht  und  Arbeit  in  ihren  Bildungselementen  709 

n.  Zar  historischen  Pädagogik. 

Pädagogische  Ausblicke  vor  hundert  Jahren  69 

Johann  Jak.  Wehrli,  der  erste  thurgauische  Seminardircetor  209.  294 

Amn3  <'onienin'<  862 

Des  Thüringer  Beformatora  Friedrich  Mycouius  Verdienste  um  das  Schulwesen  477 

Aus  der  Geschichte  der  Taubstuuunenbildung   661.  629 

Jean  Pauls  „Levana  oder  Erziehungslehre"   686.  749 

Über  den  Geburtsort  des  Comenius  766 

m.  Über  Schulerziehimg,  Unterricht  and  Unterrichtsanstalten. 

.  Erziehliche  Wirksamkeit  des  Lehrers   1 

.rugendcrziehuug  unter  dem  Eintiussc  großstädtischen  Lebens  22 

Beiträge  zur  Reform  des  Beligionannterrichtes  »   ...  93.  232 

Die  Pest  des  Aberglaubens  und  ihre  Heilung  durch  die  Erziehung     ....  98 

Der  intensive  Unterricht  137 

Über  Benifsfreudigkeit  146 

Die  PäditgQgik  der  Kunst  168 

Fremdes  und  Heimisches  im  Unterricht  310 

Muttersprache  und  Grammatik  432 


Google 


—    VII  — 


8«it« 

Sollen  die  Lehrorbildiingsanstallen  Internntc  oder  Externafo  poin   509 

Scbulprogramnic    527 

Bei  den  Kleinen   530 

Da*  Gewissen  und  «eine  PHege   541 

Lohrers  Erdenwallfahrt   571 

Marht  und  Arbeit  in  ihren  Bildung^clementen   709 

Die  Waffen  nieder   717 

Meister  und  Jünger  des  Lebrorberufk   725 

Hygiene  und  Erziehung   778 

IV.  Znr  Charakteristik  des  gegenwärtigen  .Schul\vet>eüs.  Zeitgeschichtliches. 

Eine  Analogie   86 

Otto  Ernst  ab  Lyriker  und  Es.'^a.Yi!>t   123 

Die  sociale  Frage  und  die  Schule   409 

Drei  Monate  Fahrikarhr ifer   420 

Volk.shildung  und  \  ulksliildungsmittel   441 

Die  Retoriu  und  die  Stclluntr  unserer  Schulen   496 

Gi-'iauken  über  das  uuvcruu  idliche  Tlicnui:  „Der  Socialisiuus  und  die  Volksst'liuh:"  ö05 

Die  Frage  der  einheitlichen  Mittelsfbule  in  Ungarn   518 

Die  Lehrer  und  die  Press«   .  .    .    .  568 

Der  T.ehrer  Leumund  und  ein  (teheirnftr  .riiHtiKrat  .  .  .  .  .  ^  .  .  .  .  glO 

Bemerkungen  zur  Frenidwurt ertrage   t)ij8 

Die  Waffen  nieder                                        .    .    .    .   .   .   .    .   .    .   .  717 

■ 

Die  Bezirksjjchulinspcction.    Eine  ungelöste  Frage  des  österreichischen  Volks» 

Schulwesens   771 

Aua  der  Fachpresse   ...     69.  129.  197.  322.  401.  466.  634.  597.  679.  738.  791 

Pädagogisehe  Rundschau  und  Mittheilnngen : 

Zcitstininien                                                                          38.  171.  245.  315 

Deut.-^emand    .    .    .    .    A'A  AH.  -iA)  44t;.  .^H).  hH^\.  Hnn.  726.  7'j7.  7:V2.  IM.  7i>0 

Preußen     .    .    .  4:^.  ITH.  17«).  247.  249.  317.  Ml.  A;rO.  :yHÖ.  nHt\.  KGO.  6H3.  TM) 

Bayern  591.  734.  788 

Sachsen  18f).  187.  3ni.  ßr>4 

Wiirttemherg   2;')ö 

Baden    .    .                .    .    .    .  ■    -    -  .  ^  .191.  ;WR.  Hl.ä 

Oldenburg   40 

Bremen   40 

Hamburg   .^89 

Eh>a.s8-Lotbringen   789 

Österreich- Ungarn                                                52.  400.  518.  593.  677.  787 

Bosnien  und  Hercegowina                                                         396.  737 

England  55.  115 

Belgien   4(i3 

Italien   726 

>Srhwciz     193.  Mi^i.  671 

Bulgarien   738 

Nordamerika   68 


—  vm  — 


Reoenairte  XSuolier« 

AlphäbctiMliM  Verzeichnia  der  Autoren  vlx  z.  Titol)  derjenigen  Werke,  welche  im  vorliegenden  Jahr* 
(HflMeniilt  Bind.  Die  beigesetzte  Ziffer  bezeichnet  die  8eitH(  Mlf  aer  sich  die  Recension  findet. 

Andrec-fv-hillinann  471,  Anspach  267.  Ans  unserer  Väter  Tagen  205.  Bcrtlielt 
804.  Bertram  ölMi.  Bunhardt  334.  Bornemann  8(M.  Bötticher  und  Kinzel  (582. 
Brenner  742.  Brockmaun  474.  BrUmmer  682.  Buecmauu  473.  Cassian-Kuüter  470. 
Deidimftiiii  803.  Dietlein  288.  Sitte«  681.  Dittmar  8S2.  Engelmaim  304.  Bnist 
206.  Kmtt  und  Tews  869,  388.  Fiaeher  67.  Fooke  und  Qiass  406.  Franael- 
Wende  W)5.  Fuhrmann  475.  Fuß  472.  Gaebler  472.  CJelhom  470.  Gricsmann 
267.  (iüschcnsoht'  Samiuliiue:  U?9.  741.  (locthe-Furikc  833.  Gootlie-Hanper  469. 
(iütz  2«i3.  (iioth  HUö.  Grundig  801.  Harms  und  Kallius  4()<>.  Hasclmuycr  471. 
Ueidricb  261.  iieinze  263.  Ueiuzc  und  Gocttc  332.  Ucntächcl  und  Jänicke  206. 
HentMliel  und  IClikel  134.  Hooevu  688.  HoAnegrer  und  Hering  264.  JmoM  868, 
611.  Jahn  606.  Jtfi  606.  Junge  869.  Kaiser  801.  Kambly  406.  Keü-BIecke  471. 
Keller  604.  Kluge  66.  Knabe  407.  Knilling  328.  Kriebel  540.  Kvacsala  800. 
Lautar-Luras  207.  Lehmann  (507.  Leinihach  133.  Lübpen-Schurig  407.  Lutz  681. 
Lyon  469.  Maier  809.  Martin  334.  Meyer  263,  267.  Mittenzwey  809.  Mühl- 
berg 80Ö.  MttUer  743,  807.  MllIler.Dandliker  263.  Hundeilok-Kiliger  888.  Hutb- 
MB  748.  Nabertb  471.  Ntdler  86L  Nenntb  746.  OeUer  806.  Obler  606. 
Ohlert  63.  Ortlepp  330.  Perle  266.  I'etersen  745.  Petiscus  334.  Pilling  807. 
Plattner  264.  Püiij.  r  2(56.  Pütz  804.  Räther  807.  Rediker  804.  Renn<  b.  rg  470. 
Riehter  66,  473.  Riedel  135.  Kinne  333.  Roese  269,  61(».  Rossuianith  745. 
Bothe  805.  jRothfucbs  802.  £uefli  134.  Sarrazin  266.  Sauer  328.  8(hadcr  207. 
Sch&fei  67.  Sebawc-Jagcr  610.  Scberer  887.  SoUdobevt  eßß,  Sebneitler  866. 
Schottes  33a  Schram-Scbflssler  606.  SehiOer  132,  327.  Seeger  606.  Sertua  806. 
Shakespeare  884.  fijpitB  741.  Splittegarb  67.  Sprorkhoff  136  ,  472.  Steffen  473. 
Stojskal  260.  Stephan  132.  Stiehler  66.  Stö  kel  133.  Strien  265.  Sutemieister 
333.  Thoma  607.  TTlbricht-Kämmel  262.  Valette  328.  Velhagen  und  Klasing  204. 
ViUicuB  743,  804.  Volz  605.  Vrbka  801.  Weiß  603.  Weleker  329.  Wesendonck 
868.  WesNlbAftSTO.  Wicberklevi&i  388.  Wied«wb604.  Wn>bel6a&  Ziegler  201. 


« 


Dlgitlzedby  Google 


*     •  ••••• 

 :\: 


ErzieUiche  Wirksamkeit  des  Lehrers. 

fiede  «ur  Erüffiaung  der  Prüfungen,  gehalten  von  L.  Korodif  Bcctor  des  eraogeL 

(ijmnasiums  A.  £.  in  Kronstadt  (Ungarn). 

Hocbgeebrte  Versammlimg!  Es  gibt  in  tmseren  Tagen  wol 
kaum  einen  andi  nur  halbwegs  gebildeten  Menschen,  dem  das  so  all- 
gemein yerbreitete  Schlagwort  Tom  „erziehenden  Unterrichte^ 
ganz  fremd  wäre,  —  kaum  einen,  der  nicht  wQsste,  dass  sich  in  diese 
zwti  Worte  eine  bedeutsame  Fordemng  an  unsere  Lehranstalten  sn- 
sammenfust,  —  eine  Forderung  freilich,  ttber  deren  ümfkng  und 
Gewicht  gar  mancher,  der  frischweg  in  dieselbe  einstimmt,  sich  kaum 
genfigende  Bechenschaft  gegeben  hat 

Darum  habe  ich  geghiubt,  es  lohne  sich  wol  der  Mfihe,  in  einem 
Kreise  von  Lehrern  und  EHwn,  wie  ihn  auch  diesmal  Berufrpflicht 
und  warmes  Interesse  für  nnsere  Schulen  zusammengeführt  hat,  uns 
dar&ber  zu  yerständigen,  in  welchem  Ausmaße  und  mit  wieviel  Be* 
rechtignng  die  Forderung  des  erziehenden  Unterrichts  gegenflber  der 
Schule  und  den  Lehrern  erhoben  werden  könne. 

Um  diese  wichtige  Frage  entscheiden  zu  können,  müssen  wir 
uns  vor  allem  klar  machen,  was  wir  unter  „Erziehung**  und  „Unter- 
richt" verstehen. 

Das  Wort  erziehen  ist  gleichbedeutend  mit  heraufzieheD,  in 
die  Höhe  ziehen.  Dieselbe  Bedeutung  hat  die  Silbe  „er"  in  zahl- 
reichen anderen  Znsammensetzungen.  So  ist  erwachsen  =  aufwachsen, 
»bauen  =  aufbauen,  emchten  =  in  die  Höhe  richten. 

Der  zu  erziehende  Mensch  .soll  eben  herauf<2:ezogen,  seine  noch 
gar  nicht  oder  unvollkommen  ausgebildete  Vei  nunft  zu  der  Höhe  dar 
gebildeten  emporgehoben  werden.  Tn  diesem  Sinne  kann  jedei'  Mensch, 
so  alt  er  auch  sei,  erzogen  werden,  beziehungsweise  sich  erziehen 
las.sen  dnrch  Beispiel,  Umgang,  Studium  u.  s.  w^  Da  aber  die  .Tugend 
des  Hinaufzielifns  am  meisten  bedarf,  .^o  bestinmien  wir  nach  Beneke's 
Vorgang  den  IJegriÜ'  der  Kiziehnnii:  "vvol  mit  Recht  als  „absichtliche 
Einwirkiuig  von  seiteu  der  Erwachsenen  aul  die  Jugend,  um  diese  zu 

P«Kl«cogiaB.   U.  Jabrg.  Heft  I.  ^ 


Digitized  by  Google 


dec^'bb^f'tea-djiife  ätt  jilutf&diiiig  zu  erheben,  welche  die  Einwirkenden 
Imteisn  nnd  flberi>lickai.* 

Es  nm&sst  also  die  Erzielnmg  den  ganzen  Menschen,  seine  leib- 
lichen Er8fto  ebenso  wie  seine  seelischen,  nnd  in  der  Seele  ebensowol 
die  Verstandeskiifte,  als  seine  Qeffthle,  Schätzungen,  Begehmngen, 
Willensacte. 

Wird  die  Erziehung  in  diesem  weiteren  Sinne  verstanden,  so 
miiss  auch  der  Unterricht  zur  Endehnng  gerechnet  werden.  Es 
fiült  nfimlich  'dem  eigentlichen  Unterrichte  als  tuSn  Arbeitsgebiet 
die  intellectaelle  oder  VerstandesbiULung  zo.  Der  Unteiricht  be- 
zweckt ja  dieBiUnng  von  Anschammgen,  Begriffen,  Urtheilen,  Schlflssen, 
sowie  die  Aneignnng  änflerer  Fertigkeiten  durch  den  Schfiter,  wie 
Lesen,  Schreiben,  Zeichnen,  Singen  u.  s.  w. 

So  oft  wir  aber  Unterricfat  nnd  Erziehung  nebeneinander  nennen 
oder  sie  einander  gogenttberstellen,  wird  der  Begriff  der  Erziehung 
enger  gefasst.  Dann  verstehen  wir  unter  Erziehung  diejenige  Bildung, 
welche  nicht,  wie  der  Unterricht,  zu  Vorstellungen  und  Fertigkeiten 
führt,  sondern  die  affectiven  und  praktischen  Seelentzrebilde  be- 
gründet und  entwickelt,  also  Gefülile,  Schätzungen,  Begehrungen, 
Willensacte.  In  dieser  engeren  Bedeutung,  an  der  wir  im  Folgen- 
den festhalten,  ist  somit  der  Erziehung  vorzugsweise  die  Gern  (Iths- 
und  Charakterbildung  zur  Aufgabe  gestellt. 

So  scharf,  wie  es  in  der  eben  festgestellten  Definition  geschehen 
ist,  lassen  sich  aber  Erziehung  und  Unterricht  im  Leben  nicht 
trennen.  Auch  in  der  Seele  des  Menschen  sind  ja  die  Elemente,  aus 
denen  der  Verstand  erwächst,  nicht  absolut  geschieden  von  denjenigen, 
welche  der  Gemüths-  und  Charakterbildung  zugi'unde  liegen.  Im 
Gegentheile  kann  ja  bekanntlicli  das  nämliche  Seeleagebüde  nach 
beiden  Richtungen  hin  zur  Anlage  geworden  sein. 

Wenn  ich  jemandem  ein  schönes  Bild  zeige,  und  zwar  mehreremal 
zeige,  so  erhält  er  eine  Vorstellung  von  diesem  Bilde.  Um  diese  Vor- 
stellung ist  sein  Intellect  gewachsen,  somit  habe  ich  ihn  unter- 
richtet. Sofern  aber  der  Anblick  des  Bildes  ihm  Lust  gewährt  liat, 
habe  ich  durch  diese  Luststimmung  auf  sein  Gemüt h  eingewirkt;  in- 
wiefern die  Sehvermögen  den  allmählich  entschwundenen  Lustreiz 
wieder  begehren  und  von  diesem  Begehren  aus  der  Wille  entsteht, 
das  Bild  wieder  zu  sehen  oder  zu  kauten,  habe  ich  sein  Begehren, 
Wullen,  Handeln  in  Bewegung  gesetzt.  Geniüth  aber  und  Begehren, 
Wollen,  Handeln  fallen  in  das  Gebiet  der  Erziehung. 

Wie  wir  nun  das  Intellectuelle  in  der  Seele  nicht  schaif  trennen 


Digitized  by  Google 


—   3  — 


kKnneii  yom  AffectiTen  imd  FmktiBdieii,  so  greifen  auch  Erziehnng 
und  Untenicht  gar  oft  ineinander  and  bedingen  dch  gegenseitig. 
AUerdings  haben  die  Elterni  —  die  natttrlichen  Lehrer  der  Ehider 

—  je  mehr  die  Bildung  fbrtgeechiitten  ist,  die  Besorgong  des  ünter- 
riehts,  zn  deaaen  ErtheÜong  ihnen  die  Zeit  oder  die  erfordertidien 
XenntniBne  oder  die  Lehrgabe  fahlte,  an  die  Sehnlen  flbertnMsen. 
Doch  wird  auch  des  geschicktesten  Lehrers  Unterricht,  selbst  bei 
gvt  veranlagten  Kindern,  nicht  den  erwarteten  Eifolg  haben,  irann 
nicht  die  Erziehung  des  Mternhanses  Ar  den  Unterricht  Torgearbeitet 
und  das  Kind  einigermafien  an  Fleiß  nnd  Anfinerksamkeit  gewohnt 
hat  Wenn  aondt  in  diesem  Falle  das  Interesse  der  Jagendbüdnng 
es  oft  vwlangt,  daas  die  Erziehung  des  Hauses  dem  Unterrichte 
it^rdemd  vorarbeite,  so  wird  dagegen  —  und  zwar  mit  vollem  Bechte 

—  auf  der  anderen  Seite  immer  lauter  und  dringender  die  Forderung 
gesteilt,  dass  der  Unterricht  zur  Förderung  der  Gesammterziehnng 
der  Jagend  beitrage,  dass  also  der  Lehrer  nidit  nur  unterrichte, 
sondern  durch  den  Unterricht  und  neben  dem  Unterrichte  auch 
erziehe. 

Auf  welche  Weise  nun  von  selten  des  Lehrers,  dessen  Haupt- 
wa^ßbe  unbedingt  auf  dem  Gebi^  des  Unterrichts  liegt,  auch 
dieser  Forderung  Genüge  geleistet  werden  könne,  das  ist  die  Frage, 
für  deren  Beantwortung  ich  mir  die  geneigte  Aufmerksamkeit  erbitte. 
Diese  Beleuchtung  der  erziehlichen  Wirksamkeit  des  Lehrers 
möchte  einerseitB  dazu  dienen,  überspannte  Forderungen  an  die  £r^ 
erziehnngserfolge  der  Schule  herabzustimmen,  anderseits  aber  uns 
Lehrern  zu  lebendigerem  Bewusstsein  zu  bringen,  wie  manches  ehi 
gewissenhafter  Lehrer  in  und  neben  dem  Unterrichte  im  Auge  zu 
behalten  habe,  wenn  er  den  Forderungen  an  seine  Bemfitrene  auch 
als  Erzieher  möglichst  vollständig  genügen  will. 

Die  erziehliche  Wirksamkeit  des  Lehrei*s  auf  den  Schüler  kann 
stattfinden  1.  durch  den  Untemcht  selbst  und  2.  neben  dem  Unter- 
richte. Die  erste  Frage,  die  wir  zu  beantworten  haben,  lautet  dem- 
gemäß ^o:  Was  vermag  der  Lehrer  durch  den  Unterricht  selbst 
zur  Erziehung  der  Jugend  beizutragen? 

Wenn  wir  den  Begriff'  der  Erziehung  im  weiteren  Sinne  fassen, 
darunter  also  auch  die  Ausbildung  des  Verstandes  und  Aneignung 
äußerer  Fertigkeiten  verstellen,  so  stellt  sich  die  Sache  für  die  Beant- 
wortung dieser  Frage  sehr  günstig.  Die  Ausbildung  des  Intellectuellen 
ist  ja  geradezu  die  Hauptaufgabe  des  Unterrichts,  und  es  hat  noch 
niemand  dai*an  gezweileit,  dass  in  der  Schule  die  Wahmehmungs- 

1* 


Digitized  by  Google 


—   4  — 


und  BeobaehtnngBYermOgen,  die  ErSfte  des  Qedftchtniases  und  Ver- 
staodes,  das  UrtheilsyermOgen  von  tttchtigen  Lehrern  gründlich  und 
vielsfiLtig  entwickelt  werden,  dass  die  Schule  nicht  nur  berufeUf  sondern 
auch  hefiUiigt  sei,  wertrolle  Kenntnisse  und  Fertigkeiten  aller  Art  neu 
zu  hegrttnden  und  bis  zu  einer  ansehnlichen  Bildungshohe  zu  steigern. 
Ja  noch  mehr:  der  gute  Lehrer  kann  durdi  den  Unterricht  auch 
auf  die  Gemttths-  und  Gharakerbildung  der  Schüler  einen  iS^rderr 
liehen  Eininss  ausüben,  wenn  auch  nur  —  was  wir  sehr  betonen 
müssen  —  einen  mittelbaren  Einflnss.  Wir  woDen  diesen  Punkt 
Bch&rfer  ins  Auge  fassen. 

Wenn  der  Lehrer  (sei  es  in  welchem  Fache  immer)  das  noth- 
wendige  klare  und  wolgeordnete  Wissen  odor  die  erforderlichen  Fer« 
tigkeiten  selber  besitzt,  und  wenn  er  die  Gabe  hat,  ebenso  klares 
geordnetes  Wissen  und  Können  den  Schülern  für  ihren  Standpunkt 
beiziibrinp:en,  so  überliefert  er  den  Schülern  durch  den  Unterricht 
musterhafte  Combinationen  (Begriffe,  Sätze,  Ideale).  Diese  aber  werden 
in  der  Seele  der  Schüler  zu  „regelnden  Normen",  welche  dann  weit 
aber  dasjenige  hinauswirken,  woraus  sie  zuerst  entstanden  sind.  So 
wird  z.  B.  der  Schüler,  wenn  ihm  der  Lehrer  gewisse  mathematische 
Verhältnisse  zu  vollem  klaren  Verständnis  gebracht  hat,  das  Bewusst- 
sein  der  so  erworbenen  Klarheit  „nicht  nur  zu  anderen  mathe- 
matischen, sondern  auch  zu  Sprach-  und  Lebensverhältnissen  hin- 
zubringen, so  dass  ihm  fortan  nichts  genügt,  was  hinter  diesem  Ideale 
zurückbleibt,  und  dass  er  deshalb  mit  Anspannung  aller  Kräfte  dessen 
Verwirklichung  auch  für  diese  Gebiete  erstrebt".  (Beneke.) 

So  wird  auf  allen  Wissensgebieten  sowie  auch  auf  dem  Gebiete 
der  äußeren  Fertigkeiten  das  Vollkoramenert»,  das  im  Schiiier  durch 
den  Unterricht  angelegt  worden  ist,  zu  einem  lebendigen  Triebe 
ausgebildet,  zu  einem  Streben,  das  ihn  nicht  ruhen  lässt,  bis  auch 
die  späteren  Entwicklungen  sich  in  derselben  vollkommneren  Form 
ausgeprärrt  haben.  Je  häutiger  nun  auf  solche  Weise  das  Interesse, 
die  Freude  am  Wissen  und  Können  im  Schüler  erregt  wird,  je  mehr 
in  ilim  durdi  das  lust{>'esteiuerte  Kiat'tgefühl  auf  diesen  <Tebieten  die 
Wertschätzung  der  intellectuellen  (jüter  und  infol^^edessen  auch  das 
Streben  nach  denselben  wächst:  desto  mehr  werden  dadurch  die 
niedrigen  Lüste,  die  sinnlichen  Begierden  in  seiner  Seele  beschränkt 
und  aus  dem  Bewusstsein  zurückgedrängt.  Somit  kann  der  rechte 
Lehrer,  und  zwar  durch  den  Unterricht  selbst,  mittelbar  auch  die 
sittliche  Erziehung,  d.  h.  die  Gemüths-  und  Charakterbildung  des 
Schülers  nicht  unwesentlich  fördern. 


Digitized  by  Google 


—  6  — 


Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  der  Unterricht  auch  unmittelbar 
erziehen,  ob  er  also  (wie  manclie  meinen)  das  Sittliche  und  Religiöse 
dem  Schüler  mittheüeD,  es  direet  in  deä:>eu  Seele  begründen,  neu- 
büden  könne? 

Viele  Eltern  sind  allzu  geneigt,  von  dem  Schulunterrichte  auch 
für  die  sittlich-religiöse  Bildung  fast  alles  zu  erwarten;  sie  entbinden 
sich  dadurch  in  recht  bequemer  aV>er  dui  chaus  unltegründeter  Weise  von 
der  Last  und  Verantwortung  eines  Berufes,  den  die  Natur  vor  allen 
ihnen  zugewiesen  hat.  iJiesen  Irrtiium  verschulden  diejenigen  Lehrer 
mit,  welche  —  obgleich  die  P^rfalirung  ihnen  täglich  das  Gegentheil 
predigt  —  sich  fiir  die  Retter  der  Menschheit  halten,  indem  sie  sich, 
aus  Mangel  an  psychologischer  Erkenntnis,  in  dem  gefährlichen  Wahne 
wiegen ,  dass  der  Lehrer  direet  dui'ch  den  Untemcht  erziehliche 
Wunder  wirken  könne,  wenn  nur  der  Unterricht  der  rechte  sei, 
nämlich  der  sogenannte  „Gesinnnngsnnterricht". 

Wenn  es  überhaupt  möglich  yräxe^  durch  Unterricht  Oesinnungen 
zu  erzeugen,  dann  h&tte  der  Lebrer  die  aittlidhreUgiöse  Erziehung 
Toilkommen  in  seiner  Gewalt,  und  die  Eltern  konnten  nüiig  die  ganie 
Erziehung  —  welclie  IIa  heate  hai^tsftdiUeh  dvrdi  die  Einwirkungen 
des  Lebens,  des  häuslichen  und  öffentlichen,  yennittelt  worden  ist  — 
der  Schule  Überlassen. 

Leider  ist  das  aber  nicht  mOglich.  Dies  ergibt  sich  aus  sein 
Wesen  und  der  Entstehungsweise  der  „Gesinnangen'f. 

Ein  weiser  Staatsmann  hat,  wie  seinem  edlen  Gemüthe,  so  anoh 
seinem  psychologischen  Schartblicke  ein  ehrendes  Denkmal  gesetzt,  als 
er  den  Ausspruch  that:  Wenn  man  wolle,  dass  die  Bfii^  eines 
Staates  ihr  Yaterland  lieben,  dass  sie  bereit  seien,  für  dasselbe  Jeder- 
zeit Gut  und  Bhit  einzusetzen,  so  mOsse  man  ihnen  im  Yaterlande 
«die  Verhältnisse  lieb  machen**. 

Das  ist  in  der  That  die  eben  so  einige  wie  natürliche  Methode, 
die  Tugend  des  Patriotismus  in  die  Heneen  der  Landesbftrger  zu 
pflanzen.  Es  ist  aber  auch  das  einzige  Mittel,  gute  Gesinnnngen 
überhaupt  in  den  Menschenseelen  zu  begrttnden  und  zu  stäricen, 
demnach  der  einzig  sichere  Weg  zur  sittlich -religiösen  Mensehen* 
fafldnng. 

Was  thnt  denn  der  weise  Erzieher,  was  thun  namentlieh  ver- 
nftnflige  Eltem  flberall,  wo  sie  im  Kinde  fOr  einen  gewissen  Gegen- 
stand Neigung  erwecken,  wo  sie  den  ZOgling  nach  einer  bestimmten 
Eichtung  hin  zum  Streben,  Wollen,  Handeln  in  Bewegung  setzen 
woUra?  Machen  wir  nicht  ganz  naturgemäß  dem  Kinde  die  erstrebens- 


Digitized  by  Google 


werte  Sache,  um  die  es  sich  handelt,  lieb?  Nicht  mit  Worten 
preisen  wir  dieselbe,  sondern  wir  versetcen  das  Kind  möglichst  oft 
in  Verbfiltnisse,  wo  jene  Dinge  (Personen  oder  Sachen)  steigernd, 
ftrdemd,  Frende  nnd  Lnst  erregend  anf  es  einwirken.  Was  nftmlich 
im  Menschen  oft  Freude  nnd  Lnst  einengt,  das  schitst  er  bald  als 
ein  Ont;  was  dagegen  Unbehagen,  ünlnst,  Schmers  in  ihm  wirkt,  das 
schätast  er  als  ein  ÜbeL  Je  hftnfiger  wir  aber  etwas  infblge  seiner 
nnmittelbaren  Einwirkong  anf  nns  als  ^  Gnt  empfinden,  desto 
starker,  weil  Tielspnriger  wird  die  poslti?e  Wertschfttsnng,  die  wir 
Ton  diesem  Gegenstande  in  nns  bilden,  nnd  desto  sicherer  wird  sich 
an  diese  Wertschfttsnng  ein  Begehren,  ein  Streben  anschließen, 
desto  eher  nnd  sicherer  wird  also  auch  nnäer  Handeln  nach  dieser 
Bichtnng  hin  erfblgen. 

Gesinnnngen  sind  nichts  anderes,  als  vielspnrige  Wert- 
schätzungen, W£lche  durch  die  Eindrü^e  der  Dinge  selbst  in 
uns  entstehen  nnd  in  denen  wir  diese  Dinge  als  Gitter  oder  als  Übel 
empfinden,  um  sie  demgemftfi  zu  begehren  oder  zu  verabscheuen,  ihnen 
zu-  oder  entgegenzustreben.  Die  Gesinnungen  bilden  somit  die 
Grundlage  aller  praktischen  Entwiddnng,  die  Basis  der  Charakter- 
bildung. 

Nach  dem  Vorausgeschickten  dürfte  sich  die  Frage  des  .Geain- 
nungsunterrichtes'*  filr  uns  nunmehr  mit  Sicherheit  beantworten  lassen. 
Die  Antwort  kann  nur  so  lauten:  Der  Unterricht  an  sich  ist  un» 
vermögend,  Gesinnungen  zu  schaffen,  weil  die  Worte  des  Unterrichtes 
blos  hörbare  Zeichen  für  Begriffe  sind.  Die  Worte  vermögen  also 
auch  nur  Begriffe  unmittelbar  zum  Bewusstsein  zu  erregen,  zu  com- 
triniren,  klarer  auszubilden.  Die  belehrenden  Worte  des  Lehrers 
können  folglich  in  religiösen  und  sittlichen  Dingen  Aufklärungen  geben; 
sein  Unterricht  kann  ferner  wesentlich  dazu  beitragen,  die  Seelen  der 
Schüler  von  unsittlichen,  um*eligiösen,  abergläubischen  Vorstellungen 
zu  befreien  und  kann  somit  in  diesen  Bezieliungen  sehr  wichtige  und 
dankenswerte  Erfolge  erzielen;  doch  niemals  kann  er  ein  religiöses 
G^emütll  oder  sittliche  Gesinnungen  schaffen,  so  sehr  auch  TTiAnfthp^iLl 
der  äußere  Anscliein  zu  solchem  Wahne  verleiten  mag. 

Wenn  z,  B.  beim  Unterrichte  in  Geschiclite,  Relif^ion,  Moral 
manche  Schüler  sich  erwärmt  und  begeistert,  zu  jedem  edlen  Streben 
und  Handeln  angeeifert  fühlen:  so  hat  nicht  der  Unterricht  diese 
so  erfreulich  zutage  tretenden  Stimmungs-  und  Strebungsgebilde  im 
Kinde  soeben  erzeugt,  sondern  das  Kind  hat  die  entsprechenden 
lebendigen  Gesinnungen  (Wertschätzungen)  und  Triebe  aus  der  häus- 


Digitized  by  Google 


—  7  — 

ISeheB  SnBidnmg,  ttberhaupt  ans  dem  Leben  zum  Unterrichte  mlt- 
gebraeht  Dem  Ünterricbte  yerdanken  sie  nur  die  gegenwärtige 
Erregtheit 

Wo  aber  solche  dttUch-reUgiOee  Angelegtheiten  in  der  Eindee- 
eeele  nicht  vorhanden  sind,  da  können  sie  natürlich  dnrch  keinen 
Unterricht  mm  Bewnsstseln  erregt  werden,  ftr  soldie  Seelen  bleibt 
das  Wort  der  Bdehnmg  ein  leerer  Schall  Damm  sitsen  eben  manche 
Kinder  anch  beim  besten  „ethischen"  oder  „Qerininiwgs'-Ünterrichte 
so  kalt  nnd  theOnahmlos  da,  und  wemi  der  Lehrer  „mit  Menschen» 
nnd  mit  Engelsznngen  redete".  An  solchen  unglflckUchen  Kindern 
hat  eben  das  Hans,  haben  besonders  die  Eltern  nicht  gethan,  was 
sie  sollten.  Diesen  Mangel  zn  ergänzen  ist  aber  die  Schule  mit  allen 
ihren  Mitteln  nur  zmn  kleinsten  TheQ  imstande,  der  Unterricht 
flberhanpt  meht 

Für  unsere  Ansicht  über  den  sogenannten  „Gesfnnnngsnnterricht** 
^redien  unter  anderen  anch  folgende  hochbedeutsame  Thatsachen. 
Es  ist  unbestreitbar,  dass  oft  ein  gewöhnlicher  Bauersmann  oder 
Handwerker  eine  reinere  und  tiefere  sittliche  Gesinnung  hegt,  als  ein 
Stndirter,  welcher  von  den  tfichtigsten  Lehrern  mit  dem  denkbar 
besten  Erfolge  Unterricht  in  der  Sittenlehre  empfangen  hat  Und 
wieder  dürfte  in  mancher  einfachen  Tagelöhnerin  oft  ein  frömmerer, 
religiöserer  Sinn  zu  finden  sein,  als  in  ihrem  Pfarrer,  der  vielleicht 
dabei  ein  grundgelehrter  Kenner  der  Religionswissenschaft  ist*).  Diese 
Rrfahnmgen,  die  jeder  unbefangene  Beobachter  machen  kann,  bezeugen 
80  ledit  angenftUig,  was  wir  dnrch  obige  Ausführung  wissenschaftlich 
zu  erweisen  TOrsuchten:  dass  nämlich  die  Theorie,  der  Unterricht 
für  die  Erzeagung  eines  sittlichen  Charakters»  eines  religiösen  QemOthes 
etwas  Nebensächliches  ist. 

Beide,  Sittlichkeit  und  Religion,  entfalten  sich  aas  Keimen,  welche 


*)  Dieec  unwidereprechliLbe  Thatsache  berühre  ich  aus  sachlichen  Oründen 
und  nicht  etwa  aus  „Feiudschatt  gegen  die  Kirehu Der  Verfasser  ist  ja  selber, 
wie  wii  tidbeab.  iftoha.  IDttdaehnlleliiar  alle,  zugleieh  Tbeolog  wid  hat.  Ins  es  ihm 
die  Amtsgeachftfte  eines  Directota  dreier  Schulen  (Qymnaa^  Bealadmle  und  Seminar) 
zu  sehr  eiBchwerten,  32  Jahre  lang  jährlich  die  Kanzel  bestiegen.  Bei  uns  auf  dem 
einstigfin  „Königsboden "  nind  überhaupt  geistliches  und  Schulatut  bis  heute  sehr 
iumg  verbunden,  iiekanntlich  ist  jeder  unsrer  „akademischen"  Pfarrer  zuerst  an 
«ner  IDUelnlnlo  «ine  oft  Biendiidi  lange  Beihe  tob  JaIuoi  angestdlt  gewesen. 
Wir  kennen  den  qnan-EiütiirkMiipf  der  Sdinle  gegen  die  Xixohe,  —  wie  er  ander* 
wftrts  mit  erheblicher  Hitze  und  Erbitterung  geführt  wird,  —  nur  dem  Namen 
nach.  Hätten  wir  nur  keine  andern  Feinde;  die  „Kirche"  bereitet  uns  wenig 
Xnnuner,  so  wenig,  wie  wir  Lehrer  ihr,  unsrer  Bundesgenossin.  L.  £. 


Digitized  by  Google 


jd&B  Leben,  das  häusliche  und  öffentliche,  in  die  Kindesseele  gepiUnit 
hat  ,  und  welche  durch  die  Lust  nnd  den  Schmei-z,  die  Freude  und 
das  Leid  des  Lebens  veiter  entwickelt  worden  sind.  Dies  ist's,  was 
Mick  der  DichterkOnig  nns  bezeugt  mit  den  classischen  Worten: 

,,Es  bildet  ein  Talent  sich  in  der  Stille, 

Sich  ein  Charakter  in  dem  Strom  der  Welt" 

Die  Schule  kann  nnr  insoweit  unmittelbar  auch  GemUth  und 
Charakter  bilden,  als  sie  —  ein  Bild  der  Welt  im  kleinen  — •  den 
Schüler  gleichfalls  in  praktische  Lebensverhältnisse  versetzt, 
nämlich  durch  den  Verkehr  . mit  den  Mitschülern  nnd  durch  die 
Persönlichkeit  des  Lehrers. 

Hiemit  wenden  wir  uns  zur  Betrachtung  dessen,  wie  weit  der 
Lehrer  neben  dem  Unterrichte  erziehlich  zu  wirken  imstande  ist, 
nämlich  durch  seine  Persönlichkeit. 

Es  sind  sehr  wertvolle  sittliche  Eigenscliatten,  welche  durch  die 
Persönlichkeit  des  Lehres,  durch  die  unmittelbai-e  Otfenbarung  seines 
Gemüths  und  Charakters  auf  deu  Scliiilei-  übergehen  können. 

Im  engsten  Anschluss  an  den  Unterricht  Averden  die  lebendige 
Erregtheit,  die  stetige  Ausdauer,  der  Eifer  und  die  Liebe  zum  Er- 
kennen und  Forschen,  die  der  Lehrer  beim  Unterrichte  zeigt,  unver- 
merkt saiiuut  den  su  übermittelten  Kenntnissen  und  Fertigkeiten  in 
die  Seele  des  Schülers  aufgenommen  und  begründen  liier  allmählich, 
wenn  das  Beispiel  des  Lehrers  fortwährend  in  gleicher  Weise  einwirkt, 
die  entsprechenden  sittlichen  Eigenschaften. 

Aber  nicht  nur  die  Lust  und  den  Trieb,  die  Wahrheit  zu  er- 
kennen, kann  der  rechte  Lehrer  unmerklich  von  sich  auf  die  Schüler 
übertragen,  sondern  auch  —  was  noch  mehr  wiegt  —  den  hohen  sitt- 
lichen Muth,  die  Wahrheit  zu  bekennen,  selbst  wenn  dieses  unserer 
Selbstsucht  wehe  thut.  „Weißt  du,  —  erzählt  uns  Osk.  Jäger  in 
seinem  herrlichen  Buch  ,.Aus  der  Praxis",  —  weißt  du,  wann  ich  zum 
erstenmal  die  Majestät  der  Wissenschaft  emi)funden  habe?  Als  unser 
verewigter  Lehrer  N.  —  ein  Mann,  vor  dem  selbst  der  trotzigste 
von  uns  Vierzigen  in  ein  Mauseloch  kroch,  obgleich  er  nienmls  anders 
als  mit  Worten  strafte  —  vor  uns  armen  Jungen  erklärte,  der  und 
der  von  uns  hätte  gestern  mit  der  Übersetzung  der  Stelle  so  und  so 
recht  gehabt,  und  er  —  es  war  der  beste  Philologe  des  Landes  — 
jiätte  unrichtig  übersetzt  Er  war  ein  Sechziger  und  wir  waren 
dumme  Jungen  yon  15  Jabren;  da  fühlten  wir,  dass  etwas  über  ihm 
und  uns  stand  —  die  Wahrheit** 

Sowie  hier  nicht  das  Wort  des  Unterrichts,  sondern  die  vorbild- 


Digitized  by  Google 


—   9  — 


Kehe  MllMrtverleiigiiende  That  dm  Lehrers  clas  Gemflth  der  Schüler 
unmittelbar  ergriff,  ihre  Gesummig  stärkte:  so  mkst  Überhaupt  tot 
allem  das  lebendige  Beispiel  des  Lehre»  ^wieder  sittliches  Leben  im 
SehiQer. 

Wir  -vfinschen,  dass  der  Zögling  seine  Schfilerpilichten  getrönlich 
«ifllle.  Das  erreichen  irir  aber  nicht  dnreh  noch  so  eindringliche 
Beldunngen,  noch  weniger  dnrcli  die  mnsterhafiestai  „Scbolgesetae*', 
wol  aber  —  doch  ich  darf  hier  gleich  wieder  Jftger  das  Wort 
geben:  »Wenn  der  Lehrer,  jnng  oder  alt,  seine  Lehreipflicbt  ernst 
•nitaimt,  sich  ehrlich  vorbereitet,  gewissenhafit  corrigirt  nnd  die  so 
eorrigirteii  Hefte  pünktlich  auf  den  Tag  znrttdcgibt,  pHnktUch  mit 
dem  Glockenzeichen  sicli  anscliickt,  seines  Amtes  zn  walten  und  in 
.seinem  Thun  und  sein«  i  Haltung  ohne  Ostentation  den  Beweis  liefert, 
.dass  ihm  sein  Amt  die  Hauptsache  ist:  so  weiß  ich  nichts,  was  er 
aoviel  Extra-Erziehliches  thuu  soll"  

Und  wie  zu  der  gewöhnlichen  täglichen  Pflichttreue,  so  können 
die  Schüler  selbst  zum  krilftigen  £rtragen  von  körperlichen  Verstini- 
jnnngen  und  Schmerzen  um  der  Pflicht  willen  erzogen  werden 
durch  das  Beispiel  eines  Lehrers,  der  sich  stets  das  kräftige  Mahn- 
wort  des  wackeren  Nägelsbach  vor  Augen  hält:  „Zu  warnen  ist  vor 
übertriebener  Zärtlichkeit  gegen  sich  selbst  im  Lehramt;  mit  Recht 
wird  ein  solcher  Lehrer  verachtet,  der  gegen  den  „Madensack"  SO 
fiberaus  zärtlich  ist  und  solchen  Egoismus  verräth." 

Der  erziehliche  Einfluss  des  Lehrers  wird  ferner  um  so  mehr 
gesteigert  werden,  je  melir  er  betahigt  und  in  der  Lage  ist,  auf  die 
moralische  Individualität  seiner  Schüler  Rücksicht  zu  nehmen. 
Dies  zeigt  sich  namentlich  bei  der  Ertlieiluug  von  Lob  und  Tadel, 
Strafe  und  Belohnung.  Sollen  diese  Mittel  nicht  verderblich  wirken, 
so  dürfen  nicht  starre  Gesetzespai-agraplien  in  abstracter  Weise  ge- 
handhabt werden ,  sondern  Lohn  und  Strafe  müssen  möglichst  der 
Persönlichkeit  des  Schülers  angepasst  werden.  Denn  das  nämliche 
Lob,  welches  den  einen  zu  angestrengter  Arbeit  und  sittlichem  Wol- 
verhalteu  anfeuert,  macht  einen  andern  eingebildet  und  lässig;  und 
die  nämliche  Strafe  wirkt  bei  dem  einen  Besserung,  bei  dem  andern 
das  Gegentheil. 

Leider  aber  unterliegt  dieise  Kücksichtnahme  auf  die  Schüler- 
individnalitiiten,  für  so  wünschenswert  wir  sie  auch  ansehen,  in  der 
Schule  gewissen  nicht  unerlieblichen  Beschränkungen  und  Hemmungen. 
Durch  die  größere  Anzahl  der  Zöglinge,  auf  Nvelclie  sich  die  Erzieher- 
ai'beit  des  Lehrers  vertheilt,  wiid  nämlich  seine  Wiiksauikeit  weit 


Digitized  by  Google 


—   10  — 


mehr  geschwächt,  als  die  der  filtern  in  der  Familie.  Derselbe  Um- 
stand macht  es  aber  auch  nahezu  unmöglich,  dass  der  Lehrer  die 
Geistesgaben,  Gemüths-  nnd  Charakteranlagen  seiner  Schüler  so  genau 
kenne,  als  es  für  eine  individuelle  Behandlang  der  einzelnen  noth- 
wendig  wäre.  Wer  da  erfahren  hat,  wie  wenige  Eltern  ihre  eigenen 
Kinder,  so^^el  sie  diese  um  sich  haben,  —  oft  ist's  nur  Eines!  — 
genügend  kennen,  um  sie  ihrer  Eigenart  angemessen  erziehen  zu 
können,  der  wird  vom  geschicktesten  Lehrer  nicht  erwarten  dürfen, 
dass  er  in  den  wenigen  Stunden  des  Unterrichts  neben  der  umfang- 
reichen und  schwierigen  Aufgabe,  die  intellectuelle  Bildung  der  Schüler 
innerhalb  einer  bestimmten  Zeirfrist  zu  einem  bestimmten  Ziele  zu 
führen,  auch  noch  die  höchst  verschiedenen  Individualitäten  von  20 
bis  50  Schülern  genau  erkenne  und  dieser  Erkenntnis  gemäß  sie  auch 
erziehe.  Und  dennoch  gibt  es  sogar  Lehrer,  die  eine  solche  Un- 
möglichkeit nicht  nur  andern  ziimuthen,  sondern  sogar  selber  leisten 
zu  können  vorgeben.  Diesen  guten  Leuten,  welche  Lessing  „betrogene 
Betrüger"  nennen  würde,  antwortet  Jäger  aus  ruhmvoll  erprobter 
Praxis  heraus  wie  folgt:  „In  Wahrheit,  ihr  bindet  schwere  und  un- 
erträgliche Lasten!  Denn  es  lieißt  wirklich  viel  verlangen,  wenn  der 
notorisch  selbst  noch  selir  unerzogene  Candidat  und  jüngste  Lehrer  in 
diesem  Sinn  und  Umtang  schon  andere  erziehen  soll.  Und  indem  ihr 
ihm  theoretisch  in  euern  Reden,  die  so  blinkend  sind,  alles  mögliche 
auferlegt,  verleitet  ihr  ihn,  dass  er  es  auch  macht  wie  ihr,  —  nämlich 
Worte  für  Handlungen  hält  —  oder  ausgibt." 

Wenn  wir  aber  auch  annelimen  wollten,  was  wir  nicht  zufreben 
können,  dass  der  Lehrer  in  jeder  einzelnen  der  zahlreichen  Schüler- 
seelen wie  in  einem  offenen  Buche  lesen  konnte:  so  müsste  er  doch 
das  Individuelle  zum  Theil  fallen  lassen  und  nach  gewissen  allge- 
meinen Normen  verfahren.  Denn  auch  dann  wäre  es  ihm  unmöglich, 
sie  in  jedem  Augenblicke  ihrer  vollen  Eigenthümlichkeit  gemäß  zu 
behandeln.  Er  mOsste  denn,  wie  es  Beneke  ansdrackt,  „ein  geistiger 
Pretens  sein:  nnendfich  yküß  Teraehjedene  F<ninen  der  Bdiaadlnng, 
nnd  in  schwindelerTegender  Schnelle  damit  wechsefaid,  annehmen 
kSDnen." 

Und  brächte  er  selbst  dieses  zweite  Wunder  einer  blitsschnell 
wechselnden  Verschiedenheit  der  Behandlung  zuwege,  so  wfixde  er 
gerade  dadurch,  dass  er  jeder  IhdiTidnalität  gerecht  zu  werden 
suchte,  den  SchfUem  ungerecht  und  parteiisch  erBcheinen  und  infolge- 
dessen ihr  Vertrauen  und  damit  ihre  Liebe  Terschemn. 

Gerade  das  Zutrauen  und  die  Liebe  der  SchfUer  muss  sich  aber 


Digitized  by  Google 


—  11  — 


der  Lelizer  vor  allem  erwerben  und  erhalten.  Dies  gesebielit  besondera 
dadurch,  dasa  er  ihnen  selber  liebe  entgegenbringt  Dann  hat  er 
den  mfichtigsten  Hebel  ftr  seine  ersiehende  Wirksamkeit  in  seiner 
Gewalt  Ist  diese  Gotteskraft  in  ihm  wirksam,  dann  braucht  er  nie 
daron  an  reden.  Die  Schüler  fühlen  sie  schon  herans,  sogar  ans  dem 
Schmers  der  Strafe,  wodurch  der  Lehrer  ihr  Wol  besweckt  Sie  em- 
pfinden die  liebe  in  dem  gehaltenen,  freundlichen  Ernste,  der  von 
pedantischem  mfirrischen  Wesen  gleich  weit  enHbrnt  ist,  wie  von  gni- 
mlithlger  Schwflefae.  Die  Liebe  zur  Jagend  bewalirt  dem  Iiehrer,  so 
sdiwer  ihn  auch  draofien  oftmals  Kummer  und  Soige  drttckt,  die 
heitere  ruhige  Stimmung  in  den  geweihtoi  Bäumen  der  Schule;  und 
diese  Stimmung  ttbertrftgt  sich  unbewusst  auch  in  die  Seelen  der 
Schfiler  und  macht  sie  willig',  seinen  Lehren  achtsam  zu  horchen, 
seinen  Geboten  sich  freudig  zu  fügen.  Die  Liebe  erweist  sich  besondei-s 
in  der  rechten  Geduld  und  besonderen  Sorgfalt,  womit  sich  der  Lehrer 
der  Schwachen,  der  im  Hause  Verwahrlosten  annimmt,  damit  doch 
der  g^mende  Docht  nicht  vollends  erlösche.  Hat  man  es  doch 
geradezu  als  die  Signatur  einer  guten,  wahrhaft  christlichen  Schule 
bezeichnet,  was  sie  an  den  Schwachen  thue! 

Gleichwie  der  Erlöser  nicht  durch  Worte,  nicht  durch  Waffen- 
macht, sondern  durch  die  Kraft  der  Liebe,  die  er  im  Leben  und 
Streben  bethätigte,  die  große  Welt  überwunden:  so  wird  der  Lehrer 
durch  die  nämliche  Zauberkraft  siegreicher  Herrscher  in  der  kleinen 
Welt,  die  seinem  Wirken  anvertraut  ist.  Am  Bande  der  Liebe,  das 
ihn  mit  den  jungen  Seelen  verknüpft,  zieht  er  sie  unbewusst  empor, 
fernab  vom  Schlechten  und  Gemeinen,  das  sie  schon  darum  fliehen, 
weil  es  dem  geliebten  Führer  :;>chmerz  bereiten  würde. 

Freilich  kann  dies  schöne  Werk  nur  dann  vollkommen  und  auf  die 
Dauer  g-elinf!:en,  wenn  die  Erziehung  im  Elternhause  schon  vor  der 
Schulzeit  vorbildend  die  Keine  des  Guten  und  Schönen  in  das  Kindes- 
herz zu  pflanzen  nicht  verabsäumt  hat,  wenn  das  bäuslicheLeben  während 
und  nach  der  Schulzeit  mit  seinen  Einwirkungen  diejenigen  der  Schule 
nicht  abschwächt,  sondern  einstimmig  mit  dem  Streben  ptlichtgetreuer 
Lehrer  die  Seelen  der  Kinder  emporzieht.  Denn  die  wirksamsten 
Mittel  zur  Erziehung  sittlich-religiöser  Charaktere  birgt  das  Heüig- 
thum  des  Hauses;  die  Schule  ist  nur  Mithelferin  am  hohen  Werke. 

Dass  auch  unsere  Schule  immer  fähiger  und  williger  werde, 
durch  ihre  Lehrer  das  Ei-ziehungsAverk  der  Eltern  in  treuer  Arbeit 
kraftvoll  zu  fördern,  das  ist  der  herzliche  Wunsch,  mit  welchem  ich 
schließe,  um  hiermit  zugleich  unsere  Jahresprüfungen  zu  eröffiien. 


Digitized  by 


Wie  wird  man  Hnaanist? 

Von  DiieetoT  Th.  ScMUx-Anhcerpen. 

Hs  klingt  paradox,  dass  man  Humanist  irerden  soll,  dass  man 
es  also  nicht  gleich  von  Geburt  an  ist.  Man  wird  dies  leicht  ver- 
stehen, wenn  man  den  B^ff  in  der  Bedeatnng  anffosst,  wie  er 
heute  besteht. 

Der  Mensch  ist  nach  einem  bestimmten  Plan  organisirt,  er  hat 
Leib  und  Seele,  von  denen  jedes,  obgleich  sehr  zusammengesetzt,  doch 
ein  Ganzes  bildet,  und  welche  beide  in  ihrer  Wechselwirknng  wiedemm 
ein  Ganzes  ausmachen. 

Wer  den  Menschen  zum  Gegenstand  seines  Studiums  gemacht 
und  gefunden  hat,  dass  in  demselben  eine  strenfre  Gesetzniäßijrkeit 
herrscht,  wer  diese  Gesetzmäßigkeit  kennt,  und  in  ihr  die  Eichtschnur 
filr  sein  eigenes  Leben  findet,  der  ist  Humanist.  Der  Humanismus  ist 
auch  eine  Religion  und  zwar  die  Religion,  deren  Vorschriften  allge- 
mein befolgt  werden  miissten,  wenn  die  Menschen  zu  ihrem  eigentlichen 
Ziele  koninien  sollten.  Alle  i)ositiven  Religionen  sollten  die  Haupt- 
lehren des  Humanismus  entlialten,  und  ohne  dieselben  sind  sie  nur 
Schein.  Das  echte  Christenstum  ist  liumanismiis,  und  nur  weil  in  ihm 
die  Menschheit  zu  sicli  selbst  kam,  sich  selbst  wiederfand,  hatte  das 
Christentlium  eine  solclie  Anzieliungskraft  für  die  Menschen,  dass  es 
sich  rasch  ausltieitete.  Wären  die  Lehren  des  Clnistenthunis  das  ge- 
blieben, was  sie  im  Anfang  wai'en,  wären  sie  nicht  im  Laufe  der  Zeit 
mit  so  viel  Zutliaten  vermischt  worden,  dass  man  nachher  vor  lauter 
Zutliaten  kaum  noch  den  rechten  Kern  erkennen  kann,  »lann  wären 
noch  heute  alle  Christen  in  gewissem  Sinne  auch  Humanisten.  Aber 
kaum  ist  man  auf  die  Welt  gekommen,  so  wird  man  in  die  Zwangs- 
jacke einer  Confession  gesteckt,  und  das,  was  man  ist,  ein  Mensch, 
wird  in  uns  Nebensache,  durch  unzählige  Formalitäten  verdunkelt  und 
zum  Theil  erstickt,  wie  wir  es  an  gewissen  Ordensgeistlichen  wahr- 
nehmen. Wenn  man  auf  diese  Weise  in  eine  gewisse  Richtung  ge- 
drängt worden  ist,  föhlt  man  sich  gar  uicht  mehr  als  Mensch,  uud  es 


Digitized  by  Google 


—   13  — 


ist  sogar  so  weit  gekommen,  dass  das  Menschliche  an  uns,  wenn  es 
einmal  hie  and  da  zum  Durchbrach  m  kommen  versacht,  als  etwas 
Sttndhaftes  angeaeheii  wird.  Wir  sind  gewiss,  dass  diese  Zeilen  von 
vfele&  Selten  hör  als  dee  Teofats  Werk  angesehen  werdeti. 

Wenn  man  .Hnmanist  wird,  so  hat  man  dazn  eine  ganz  besondere 
B^bnng  nnd  eine  Yeranlassnng.  Die  .  wenigsten  Jfenschen  haben  An- 
lagen dazu,  nnd  sie  sind  von  Jagend  auf  gewohnt  worden,  derartige 
homanistische  Anwandinngen  als  Verirmngen  des  Geistes  anzosehen. 

Überhaupt  ist  es  vielen  Menschen  befremdend,  dass  man  yon 
dner  religidsen  Entwiekelnng  reden  könne.  Sie  meinen,  die  fieligion 
sei  etwas,  das  ans  fix  nnd  fertig  mit  aof  die  Welt  gegeben  wQrde, 
80  nie  eine  Erbschaft,  die  .  man  antritt  Aber  das  ganze  Menschen- 
wesen  widerspricht  dieser  AnfiTassnng,  sowie  die  Geschichte  der  Mensch- 
heit nnd  die  Geschichte  der  Erde.  Alles,  was  wir  sind,  alles,  was  die 
Menschheit  ist,  alles,  was  die  Erde  ist»  ist  einBesnltat  einer  nnendlich 
hmgen  Entwickelnng.  Unsere  Erde  hat  keineswegs  immer  so  ansge- 
sehen  wie  jetzt,  ihre  ganze  Oberilftche  ist  fortgesetzten  Umwftlznngen 
onterworfen  gewesen,  aof  derselben  hat  sich  ein  großartiger  Werde- 
process  abges^idit,  dessen  jetziges  Stadium  wir  yor  Aogen  haben,  nnd 
dessen  Znknnft  wir  nnr  dardi  Schlüsse  aof  Analoges,  darch  Indnction, 
ahnen  nnd  vermnthen  können. 

Und  der  Mensch?  Ist  er  nicht  selbst  ein  Kind  dieser  Erde, 
nnd  ein  Entwickelungsproduct  der  Jetztzeit  anf  der  Erde?  Das  Alter 
der  Erde  ist  nicht  zu  ergründen,  und  alle  mathmaßliclicn  Angaben 
darüber  sagen  nns,  dass  das  Menschengeschlecht  schon  viele  Tausende 
von  Jahren  auf  der  Erde  lebt,  and  dass  vor  dem  Menschen  eine  un- 
absehbar lange  Reihe  von  Pflanzen  und  Thieren  den  Boden  bereitet 
haben,  den  der  Mensch  betreten  sollte.  Alles  deutet  die  Entwickelnng 
an,  Entwickelang  ist  das  nns  allenthalben  entgegentretende  Natur- 
gesetz, nnd  davon  macht  der  Mensch  keine  Ansnahme.  Er  war  an- 
fangs seiner  ganzen  Gestalt  und  seinem  Wesen  nach  auf  einer  dem 
Thiere  ähnlichen  Stufe,  wie  wir  es  heute  noch  an  einzelnen  Völkern 
wahrnehmen,  aber  er  war  Mensch,  und  was  ihn  zum  Menschen  machte, 
das  damals  noch  schwaclie  T.iclit  der  Vernunft,  untei*schied  ihn  doch 
wesentlich  von  dem  Thiere.  Kr  hat  also  aus  schwachen  Anfängen  sich 
entwickelt,  sein  Leib  ist  vollkommener,  edler  geworden,  seine  Seele 
hat  sich  zum  C4eiste  emporgeschwungen,  und  mit  dieser  Entwickelung 
hielt  auch  seine  Religion  Scliritt. 

Tn  der  Entwickelungsgeschichte  der  Menschheit  bildet  das  Religions- 
weseu  den  vrichtigsten  Zweig.   Mit  dem  Erwachen  des  Selbstbewusst- 


Digitized  by  Google 


—   14  — 


seine,  mit  dem  noch  schwa4sh6ii  Funken  göttlichen  Lichtes,  mit 
der  Vemiinft,  trat  der  Mensch  in  die  Beihe  der  Qeister  ein,  und  als 
solcher  ahnte  er  den  großen  Allgeist,  wenn  er  ihn  auch  zuerst  nur 
in  den  mftchtig  sich  aufdrängenden  Natorgewalten  so  erkennen  yer- 
mochte.  Aber  dass  er  ihn  erkannte,  ftrditete,  yerehrte,  ihm  opferte» 
das  war  seine  BeUgion,  nnd  -war  anf  der  niederen  Stufe,  wo  er  stand, 
ebensoviel,  als  uns,  den  jetzt  lebenden  Menschen,  nns^  Religion  ist 
Die  Beligion  war  ja  nicht  dnmal  nur  eine  Seligion,  sondern  solange 
es  Menschen  gibt,  hatten  sie  Tielerlei  Religionen,  und  diesdben  haben 
sidi  immer  mehr  yerzweigt  Aber  daraus  gdit  hervor,  dass  es  wieder 
ein  Naturgesetz  ist,  dass  die  Menschen  in  den  Formen  der  Religionen 
ebenso  verscbieden  sind,  wie  in  ihrer  kOrperlidien  und  geistigen  Be- 
schaffenheit^ wie  in  der  Hantfiube,  in  den  Haaren,  den  GeeichtszUgen. 
Ja,  80  wenig  wie  man  dem  Äufiem  nach  zwei  Menschen  sieht,  die  ein- 
ander YoUkommen  gleich  sind,  so  hat  auch  jeder  Mensdi  seine  eigene 
Religion.  Sowie  aber  bei  aller  VerBcbiedenheit  das  eigentliche  Wesen, 
die  Gnmdlage  des  Menschenwesens,  immer  dasselbe  ist,  so  ist  auch 
das  Religionswesen  in  seinem  innern  Kern  immer  dasselbe:  Anerken- 
nung einer  httheren  Macht,  einer  Gesetzlichkeit,  einer  Ordnung,  und 
Unterwerfung  nnter  dieselbe  Im  Denken,  Fühlen  und  Handeln. 

Jeder  gebildete  Mensch  erkennt  das,  und  ebensowenig,  wie  man 
heutzutage  einen  Menschen  dämm  weniger  als  Menschen  ansieht,  weil 
er  Neger,  oder  Chinese,  und  nicht  ein  Europäer  ist,  ebensowenig  fällt 
es  uns  ein,  einen  andern  Menschen  gering  zu  schätzen,  weil  er  nicht 
dieselbe  Beligion  hat  wie  wir. 

Wenn  wir  zugestehen,  dass  die  Entwickelung,  die  Vervollkomm- 
nung ein  Gnnulgesetz  der  Natur  und  des  Menschenwesens  ist,  so  werden 
wir  auch  einsehen,  dass  das  Hecht  auf  eine  solche  Entwickelung,  ebenso 
wie  es  jedem  Naturwesen  zukommt,  auch  das  erste  Naturrecht  jedes 
Menschenkindes  ist,  sobald  es  auf  die  Welt  kommt.  Würde  man  es 
nicht  für  eine  grausame  Barbarei  halten,  wenn  mau  einem  kleinen 
Kinde  verwehreu  wollte,  zu  wachsen,  groß  zu  werden,  seine  Arme 
und  Beine,  seine  Hände  und  Füße  größer  und  länger  werden  zu  lassen?  — 
Niemand  bezweifelt  das,  und  was  vom  Körper  gilt,  das  sollte  nicht 
von  der  Seele  gelten?  —  Und  doch  gibt  es  Menschen  und  ganze  Classen 
von  Menschen,  die  behaupten,  sie  hätten  das  Recht,  den  Menschen  die 
Entwickelung  des  Seelenlebens  zu  verbieten.  Ist  es  nicht  eine  Bar- 
barei, zu  sagen,  ein  Mensch  solle  nicht  fühlen,  nicht  denken,  nicht 
urtheilcn?  Ist  denn  das  Seelenwesen  nach  allen  Zugeständnissen  nicht 
das  Berste  und  Edelste  am  Menschen?   Und  das,  was  man  am  KOrper 


Digitized  by  Google 


—   16  - 


zu  verkümmern  für  unrecht  hält,  das  Wachsthum,  das  zu  ersticken 
sollte  ein  Recht  werden,  wenn  es  sich  um  Seele  und  Geist  handelt?  — 

Wenn  es  nun  doch  Tausende  und  Tausende  von  Menschen  gibt, 
die  das  ruhig  geschehen  lassen,  die  sich  selbst  dieses  Kechtes  begeben 
haben,  die  in  allen  Dingen  sich  von  andern  leiten  lassen,  sich  in  allen 
geistigen  Angelegenheiten  blindlings  unterwerfen,  so  kann  mau  das 
anders  nicht  begreifen,  als  durch  eine  jahrliundertelange  Angewöh- 
nung, die  es  endlich  dahin  gebracht  hat,  dass  man  sein  Menschen- 
wesen  nnd  Menschenrecht  nicht  mehr  fühlt  Wenn  aber  einer  sein 
Menschenwesen  nicht  mehr  ftUilt,  dann  ist  er  auch  kein  rechter 
Mensch.  Nun  gibt  es  glücklicherweise  immer  noch  Menschen,  in  denen 
das  Selbstbewusstseia  oielit  ertAdtet  ist,  und  die  sieh  auf  kek  salbfit 
auf  üure  Rechte  besinnen,  die  best&ndig  über  sich  selbst  naclid«ik6D, 
snd  nameutUeli  Uber  ihr  Beligionswesen.  Solebe  Menschen  schlagen 
natOrlich  aas  der  gewOhnUchen  Art  heraus.  SIa  finden»  dass  ihr 
Doikyennögen,  wenn  es  durch  die  Sofanlnng  eines  guten  Unter- 
richtes gegangen  ist,  sich  nicht  unterdrücken  lisst,  und  dass  es  ein 
Unrecht  ist,  zu  Tetbieten,  dass  man  denken  und  nachdenken  soll,  auch 
Uber  Beligion.  Wenn  es  irgendwie  ein  Gebiet  gftbe,  über  das  man 
nicht  nachdenken  dürfte^  dann  mfisste  das  sich  auch  dem  eigenen  Denken 
bemerkbar  machen.  Es  gibt  solche  Gebiete,  bei  denen  unser  Denken 
haltmachen  muss,  weil  das  endliche  Denken  beim  nnfassbaren  Un- 
endlichen angekommen  ist  Aber  solange  man  nicht  an  einem  solchen 
Punkt  angekommen  ist,  kann  man  nicht  haltmadien,  man  muss  es 
durchdenken,  soweit  es  geht,  und  wird  endUch  hallmaehen,  wo  die 
Logik  am  Ende  ist,  aber  — nicht  eher,  auch  nidit  im  Beligionswesen. 
Und  dodi  sagt  die  Kirche,  Uber  dieses  sollst  du  nicht  denken.  —  Sie 
hat  unrecht  Das  Beligionswesen  YenUent  erst  recht,  dass  man  da- 
rOber  nachdenke. 

So  darf  man  also  es  niemandem  Terflbeln,  wenn  einer  auch  hierin 
seinen  Weg  geht.  Die  erste  Bedingung  aber  ist  —  Wahrhaftigkeit, 
Redlichkeit  im  Denken,  Logik.  —  Was  man  auf  diesem  Wege  wird, 
das  wird  man  durch  seine  Erziehung,  durch  seine  Entwickelung.  Ein 
Denker  ftberlAsst  sich  nicht  seiner  Trägheit,  er  arbeitet  bestfindig, 
jahrelang,  er  sucht,  forscht,  immer  dem  Drang  nach  Entfaltung,  nach 
Entwickelung,  nach  Wahrheit  folgend,  er  sncht  sich  dabei  nie  selbst 
SU  betrügen,  indem  er  sich  sagt,  dass  er  sich  an  eine  Schablone  binden 
müsse,  dass  er  die  Dinge  so  hinnehme,  wie  andere,  eine  Autorität 
oder  eine  BeUgionsgesellschaft  sie  ihm  bieten.  Dass  man  in  seinen 
Geist  Dinge  gerade  so  aufiiehmen  müsste,  wie  andere  sie  uns  7or- 


Digitized  by  Google 


—   16  — 


schreiben,  dass  man  niclit  verändern,  niclit  verarbeiten,  mit  einem 
Wort  —  niclit  kritisiren  dürfe,  das  kann  der  Denker  nicht  über  sich 
gewinnen.  Wenn  uns  einer  etwas  zu  essen  gibt,  und  man  dabei  nicht 
die  Augen,  die  Nase,  die  Zunge  gebrauchen  soll,  dass  man  es  unbe- 
sehen, unberochen,  ungeschmeckt  hinunterschlucken  soll  —  damit  kann  man 
sich  doch  unmöglich  einvei*standen  erklären,  und  man  wiirde  einen  anderen 
für  dumm  halten,  der  es  thäte.  Warum  soll  man  also  Dinge  unbe- 
sehen, ungeprüft  in  seinen  Geist  aufuelnnen,  sie  dort  ruhen  lassen,  un- 
verändert, wie  eine  todte  Sache  —  das  geht  doch  nicht.  A\'as  in 
meinen  Geist  einzieht,  das  muss  ich  erst  untersuchen,  meinem  Denken, 
meiner  Vernunft  unterbreiten,  und  wenn  ich  finde,  dass  diese  Instanzen 
es  nicht  billigen,  dass  sie  es  als  unwahr  erkennen,  dann  stoße  ich  es 
als  etwas  Schädliches  wieder  von  mir.  —  Sowie  wir  die  Sinne 
haben,  om  Gontrole  sn  halten  Aber  das,  was  in  unseren  Hagen  ein- 
gehen soU,  —  so  haben  wir  anch  unser  logisches  Denkrermögen,  um 
eine  Controle  ftber  aUee  anzustellen,  das  in  unseren  Geist  eingehen  soll. 
Was  nieht  in  den  Magen  passt,  bezeichnen  wir  als  Qift,  und  stoßen  es 
unwülkfirUeh  ab  von  uns.  Unwahrheit  ist  das  Gift  des  Geistes,  und 
wir  sollten  sie  ebenso  unwülkttrlich  von  uns  abstoßen.  Wenn  jemand 
das  nicht  thut,  so  beweist  er  damit,  dass  sein  Denkvermögen,  seine 
Vernunft  schläft,  oder  dass  er  dieselben  ihres  hohen  Eiitikeraintes 
entsetat  hat,  und  damit  eigentlich  das  Göttliche  von  sich  abgestreift  hat 
und  dem  geistigen  Atavismus  verfiiUen  ist  — 

Leider  sind  gerade  die  Maischen,  welche  auf  religiösem  Gebiete 
ihren  Geist  in  vollem  Gebraudi  erhalten  haben  und  sich  gegen  das 
Irrige  und  Unwahre  gewehrt  haben,  immer  verfolgt  worden,  und  sie 
haben  ihr  Leben  fUr  ihren  Muth  hingeben  mllssen. 

 „Die  wenigen,  die  was  davon  erkannt,  die,  thöricht  genug, 

ihr  volles  Herz  nieht  wahrten,  dem  Pöbel  ihr  Gefühl,  ihr  Schauen 
oifenbarten,  hat  man  von  Je  gekreuzigt  —  und  verbrannt**  — 

Geistes-  und  Denkfk^eihett  sind  und  bleiben,  solange  es  Geister 
gibt,  die  erste  Grundbedingung  f&r  das  Leben  des  Geistes,  und  sind 
daher  ein  unvwlierbares,  unveräußerliches  Becht  des  Menschen.  Jedes 
Ding  in  der  Natur  stirbt,  wenn  es  in  seiner  Entwickelnng  gehemmt, 
verkümmert  wird,  und  was  im  Gebiete  des  Organischen  Gesetz  ist, 
ist  es  erst  recht  fUr  den  Geist.  Der  G^st  soll  sich  entfalten,  oder  er 
stirbt.  Diese  Einrichtung  des  Geistes  zu  kennen,  ist  Humanismus,  nnd 
weil  unzählig  viele  Leute  dies  nicht  wissen  oder  vernachlässigen,  nicht 
beachten,  sind  sie  Atavisten. 

Atavismus  bedeutet  in  den  organischen  Naturwesen,  wo  doch  ein 


Digitized  by  Google 


—   17  — 


AnÜBteigteo,  eine  Vervollkommnang  die  Kegel  sein  sollte,  die  Erschei- 
Dong,  dass  sie  aus  dem  Zustande  der  VervoUkommnang,  in  den  sie 
dnrch  Arbeit  gekommen  sind,  in  einen  früheren  unvollkommenen  Zu- 
stand wieder  zurückfallen.  Wenn  man  dies  auf  den  Menschen  an- 
wendet, so  bemerkt  man  sehr  bald,  dass  der  Zustand  der  sittlichen 
Yen  ollkommnnng,  den  die  Menschen  in  Mheren  Zeiten,  oder  in  ganzen 
Völkerschaften,  Nationen  erreicht  hatten,  in  der  jetzigen  Zeit  wieder 
im  Bfickgang  begriffen  ist;  dass  der  hohe  Standpunkt,  den  Christas 
selber  einnahm,  ond  den  viele  nach  ihm  erreichten,  in  der  jetzigen 
Zeit  wieder  verlassen  ist.  Wenn  das  Menschengeschlecht  sich  aus  dem 
Thiergeschlecht  entwickelt  hat,  dadurch  dass  in  ihm  die  Vernunft  die 
oberste  Herrschaft  erlangte,  dann  mofls  man  zugestehen,  dass,  wenn 
die  Vernunft  nicht  gebraucht  wird,  es  wieder  in  einen  thierischen  Zu- 
stand versinken  musB  und  dem  Ataxismus  verfällt  Wer  sich  die 
Menschheit  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  einmal  ansieht,  der  wird  dies 
bestätigt  finden.  Wenn  die  Ideale,  welche  ja  die  höchste  Blüte  der 
Menschenvemunft  sind,  sich  zu  verlieren  beginnen,  oder  schon  jahr- 
hundertelang vernachlässigt  worden  sind,  dann  macht  sich  dieser 
Mangel  auch  schließlich  geltend  an  der  Gestalt  und  an  dem  Gesichts- 
ausdruck der  Menschen.  Das  geht  ganz  natürlich  zu.  —  ^Venn  die  Liebe 
zu  den  Idealen  der  Schönheit,  Wahrheit  und  Güte  nicht  bei  der  Wahl 
eines  Eliegemahls  herrscht,  was  muss  denn  die  Folge  davon  .<;ein?  — 
Die  Nachkommen  verlieren  diese  Eigenschaften  wieder,  die  das  Menschen- 
geschlecht viele  Jahrhunderte  lanj^  erworben  hatte;  die  Generationen 
verarmen  an  diesen  Idealeu,  und  die  innere  Armut  wird  nach  und 
nach  äußerlich  sichtbar  an  dem  Körper,  der  ideale  Stempel  geht  ver- 
loren. 

Wenn  wir  diese  Idealität  in  dem  Menschen wesen,  den  Sinn  für 
Recht,  für  wahre  Schönheit,  für  Güte,  und  deren  Resultate,  die  ideale 
Kunst,  den  Sinn  für  Wahrhaftigkeit,  den  Sinn  füi'  echte  Freundscluttt, 
die  edle  Gattenliebe,  die  hohe  Menschen-  und  Nächstenliebe  als  das 
Thermometer  für  den  Humanismus,  für  die  Fortschritte  der  Meusch- 
heit  ansehen  wollen,  und  wenn  wir  damit  einmal  d^u  wirklichen  Zu- 
stand der  menschlichen  Gesellschaft  vergleichen  —  dann  müssen  wir 
schaniroth  werden,  dann  müssen  wir  unsere  Blicke  betrübt  zu  H(Hleu 
senken,  weil  wir  linden,  dass  unsere  Generation  stark  an  Atavismus, 
oder  doch  an  Marasmus,  dem  Vorboten  des  Atavismus,  krankt.  Ata- 
visten  sind  alle,  welche  die  natürliche  Anlage  zur  Menschenliebe  in 
Hass,  Intoleranz,  Verfolgung-,  Neid,  Verleumdung  umkehren;  Atavisten 
sind  alle,  welche  die  Gattenliebe,  die  nur  dem  einen  uns  verbimdenen 

Pasdiigogiom.    U.  Jahrgang.  Uoft  1.  2 


Digitized  by  Google 


—   18  — 


Wesen  angeliören  soll,  in  Geschlechtstrieb  verdrehen;  Atavisten  sind 
alle,  die  Freundschaft  durch  die  Feindschaft  ersetzen;  Atavist«n  sind 
alle,  die  keinen  Sinn  für  wahre  Schönheit  und  echte  Kunst  haben;  Atavisten 
sind  alle,  die  \\  ahrlieit  in  Lüge,  Güte  in  Bosheit,  Recht  in  Unrecht  ver- 
wandeln. Die  Menschheit  ist  auf  abschttssigein  Wege,  und  es  ist  die 
höchste  Zeit,  dass  man  es  ihr  sage,  dass  man  ihr  den  Spiegel  der 
echten  Menschheit  vorhalte,  damit  sie  ihr  eigenes  ßild  neben  dem 
echten  Menschenbilde  sehe,  und  erschreckt  stehen  bleibe  und  sich  zur 
Umkehr  rüste. 

Freie  Entwickelung  des  Körpers  und  Geistes  sind  das  erste  und 
natürlichste  Menschenrecht,  und  da  die  Religion  mit  zum  Menschen  ge- 
hört, und  sogar  sein  Bestes  ausmaclit,  so  ist  Pieligionsfreiiieit  ebenfalls 
ein  Rechte  das  ihm  niemand  verkiunniern  darf.  Religion  i<t  Herzens- 
sache, a1)er  alle  Herzenssache  muss  unter  der  Controle  der  Vernunft 
stehen  und  sich  zum  vollen,  klaren  Bewusstsein  des  Zusammenhangs 
mit  (lott,  mit  der  sittlichen  Weltordnung  und  dem  sich  daraus  er- 
gebemlen  h<ichsteu  Sittengesetz  erheben.  Wenn  das  zum  Selbstbe- 
wusstsein  gelanirciido  Göttliche,  die  Gottähnliclikeit.  das  eigentliche 
Wesen  im  Menschen  ausmacht,  dann  ist  die  Erkenntnis  desselben  doch 
echtes  Menschenthuni,  und  das  Leben  nach  dieser  Erkenntnis  auch 
echte  Menschenrelio:ion.  Darum  ist  das  echte  Christenthum  eigentlich 
nichts  Neues  gewesen,  sondern  das  uralte  Menschenthuni,  wie  es  von 
einigen  griechischen  Philosophen  und  Christus  liauiitsadilich  ver- 
kiinilet  wurde,  Christus  hat  es,  veranlasst  durch  seine  große  Liebe 
zu  den  Menschen,  in  sich  selbst  zum  vollen  Bewusstsein  herausgear- 
beitet und  dem  damals  verkommenen  Judeutliuni  wieder  zum  Bewusst- 
sein bringen  wollen.  Humanismus,  Christenthum,  Religion,  Liebe  sind 
nahe  venvandte  Begritie.  Liebe  ist  das  Grundwesen  des  Menschen- 
thums und  der  Religion,  uud  sie  sind  frei  im  Menschen,  sie  sind  sein 
eigenstes  Eigenthum,  an  das  ein  Dritter  kein  Recht  hat.  Religion  ist 
ja  auch  ein  Liebesverhältnis  zwischen  dem  einzelnen  Menschen  und 
Gott,  uud  kann  daher  ebensowenig]:  die  P^inmischung  eines  Dritten  ver- 
trajren,  wie  alle  anderen  LielK  svcrliältnisse  auf  Erden,  z.  B.  zwischen 
zwei  Liebenden,  zwischen  Mutter  und  Kind,  zwischen  Mann  und  Weib. 
Mau  fange  doch  endlicli  an  dies  zu  begreifen,  und  vieles  wird  besser 
"werden.  Mau  fange  an  zu  verstehen,  dass  in  unserem  Schulbildungs- 
wesen gerade  das  Menschenthuni  der  Bei  iihruugspunkt  mit  der  Kirche 
ist,  und  dass  die  Schule  nur  die  Aufgabe  hat,  Menschen,  rechte  Menschen 
zu  erziehen,  dass  sie  vollkommen  genug  thut,  wenn  sie  am  Menschen 
das  Göttliche  herausholt  und  dies  wieder  zui-  praktischen  Betbätigung 


Digitized  by  Google 


—   19  — 


am  Menschen  benützt  Damit  ist  die  Aufgabe  der  Schule  für  die  Er- 
ziehung gelöst.  Möge  es  der  Schule  nur  immei*  gelingen,  reclite  Menschen 
zu  bilden,  dann  kommt  der  Himmel  von  selbst  auf  die  £rde. 
Wie  wii-d  man  also  ans  einem  Orthodoxen  zum  Humanisten? 
Keineswegs,  wie  man  es  oft  sagt,  dnrch  Ab&U  von  der  Religion, 
um  ein  schlechtes,  sittenloses  Leben  fUhrenznkOimeii,  am  ohne  Schranken 
than  und  lassen  zu  können,  was  man  will,  wenn  man  nur  nicht  mit 
den  Gesetzen  in  Widersprach  gerftih.  Dies  muss  entschieden  in  Ab- 
rede gestellt  werden,  denn  das  ruhige,  gedankenlose  Wandeln  auf  einem 
vorgeschriebenen  Wege  ist  viel  bequemer,  als  das  Ringen  und  Kämpfen 
um  eine  eigene  Überzeugung.  Das  erstere  ist  einer  großen,  alten, 
län?st  ausgetretenen  Heerstraße  zu  vergleiclien,  während  das  letztere 
ein  von  uns  selbst  geebneter,  niiilisanier,  steiiiif^-er  und  dornenvoller 
Pfad  ist.  Derselbe  leitet  uns  nicht  in  einer  llaclien  und  aussichtslosen 
Gegend  fort,  sondern  steigt  immer  bergan  und  bietet  eine  immer  weiter 
reicliende  Aussiclit  auf  die  zu  Füßen  liegende  Welt.  —  Nur  durcli 
vieles  Denken,  nnt  deni  unauslöschlichen  Trieb  nach  Wahrheit,  Klar- 
heit und  Licht,  durch  mühsames  Hindurcharbeiten  durch  alle  Zweige 
des  menschliclien  Wissens,  durch  eine  mit  ästhetisch-ethischem  Gefühl 
verfeinerte  Vernunft  kann  das  Ziel  ei-reicht  werden.  Der  Weg  ist 
weit  und  besch%verlich,  aber  der  Lohn  auch  um  so  größer. 

Kill  innerer  Zwiespalt  ist  in  einem  nach  Klarheit  und  Harmonie 
strebenden  Menschen  eine  große  (^ual,  schlimmer  als  eine  Dissonanz 
in  der  Musik,  schlimmer  als  alles  riiharmonische  in  sonstitreu  Dingen. 
Überhaupt  sind  unharmonische  Menschen  ein  Übelstand  für  die  Ge- 
sellschaft, für  den  Staat.  Das  sehen  wir  jetzt  deutlich  an  Deutsch- 
land. Ks  ist  politisch  geeinigt,  aber  iu  seinem  Herzen  vielfach  zei- 
rissen  und  zerspalten. 

Solange  es  mit  dieser  Dissonanz  nicht  ins  reine  kommt,  wird  der 
innere  Friede  nicht  Platz  greifen  können.  Nur  eine  glückliche  Lösung 
des  religiösen  Zwiesi)aUes  kann  hier  Rath  schallen.  Wann  wii*d  der 
Stifter  dieser  Vereinigung  kommen? 

Man  könnte  ja  bei  allen  religiösen  Differenzen  friedlich  mitein- 
ander auskommen,  wenn  man  die  Toleranz  üben  wollte,  wenn  man 
verstehen  wollte,  dass  das  Einigende  in  Keligiun  die  Hauptsache  und 
das  Trennende  nichts  als  Nebensachen  sind.  — 

Was  hat  man  in  der  Schulreform  an  diesem  Punkte  gelhau?  So- 
viel wie  nichts,  weil  man  in  den  Schulen  die  Trennung  in  Confessioneu 
bestehen  ISast  — 

Wenn  an  derselben  Lehranstalt  drei  versciüedene  Confessioneu 

2* 


Digitized  by 


—  20  — 


gelehrt  (uiul  iiaclilier  im  Examen  auch  examinirt)  Avi  rden,  so  müsste 
der  Schüler  ganz  gedankenlos  sein,  wenn  er  nicht  herausfände,  djiss 
ein  Widerspruch  zwischen  den  Wahrheiten  der  Confessioneu  besteht, 
und  dass  sie  doch  alle  drei  als  wahr  gelehrt  werden.  Dies  sind  That- 
sachen,  die  man  in  erster  Linie  bei  der  Reform  berücksichtigen  sollte, 
weun  man  nicht  einen  religiösen  Zwiespalt  schallen  will. 

Man  sagt,  die  Religion  sei  trocken  und  langweilig,  und  deshall) 
sei  die  Jugend  froh,  wenn  sie  dieselbe  hinter  sich  hat  und  keiiun 
Religionsunterricht  mehr  genießt.  Das  ist  nur  ein  Beweis,  dass  sie 
schlecht  verstanden  und  schlecht  gelehrt  wird.  Die  echte  Menschen- 
religion ist  nicht  trocken  und  lang^veilig,  sie  ist  von  allen  Lehrgegeu- 
ständen  der  interessanteste  und  das  Gemüth  am  meisten  befriedigende. 
Der  Humanismus  schließt  die  dem  Menschen  so  sympathische  Natur 
nicht  aus  seinem  ikreich  aus,  er  benützt  sie  als  wertvolles  Material, 
um  daraus  das  \\'alleii  des  göttlichen  Geistes  und  die  sittliche  Welt- 
ordnung zu  erkt'niu'ii.  ¥a'  benützt  die  Gefühlswelt  eines  Kindes  in 
seiner  praktischen  Anwendung  im  Leben,  in  der  Eltern-,  Geschwister- 
und  Ereuudesliebe,  in  der  J^iebe  zu  Mitschiih  iJi  und  Lehrern,  um  das 
Gefühl  der  Liebe  erstarken  zu  lassen,  und  es  zur  Gottesliebe  zu  er- 
ziehen. —  Das  ist  nicht  langweilig,  sondern  wärmt,  begeistert,  erhebt 
und  bringt  das  religiöse  Wesen  mit  der  Wiiklichkeit  in  und  außer 
dem  Kinde  in  die  engste  Verbindung.  Wenn  der  Schüler  gewöhnt  ist, 
das  BeligiOfle  tIberaU  in  seiner  Umgebung,  in  seinem  Herzen,  in  der 
Natur,  im  Hanse  m  sehen,  'wird  er  es  auch  sp&ter  in  der  Welt  und 
im  praktischeD  Leben  nicht  mehr  verlieren.  Man  fragt,  warum  die  Leute, 
die  allgemein  als  religiös,  oder  kirchlich  gelten,  oft  in  ihrem  Leben 
außer  der  Kirche,  in  ihrer  Familie,  in  der  Öffentlichkeit  so  unliebens- 
wQrdig,  lieblos,  hart,  schlau,  Ifigenhaft»  betrOgerisch  sind,  warum  ihre 
kirchliche  Frömmigkeit  auf  dieselben  keine  sittliche  Kraft  ausübt,  und 
man  kann  kaum  eine  andei-e  Antwort  finden,  als  in  dem  Beligions- 
wesen  selbst  Es  soll  doch  die  Menschen  gut  madien  oder  sie  ver- 
hindern, schlecht  am  werden.  Wenn  es  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
diesen  Zweck  nicht  erfüllt,  wenn  es  die  Menschen  in  Unsittlichkeit 
verkommen  liisst,  so  kann  man  die  Ursache  nur  dem  Beligionswesen 
selber  zuschieben,  welches  die  Menschen  nicht  mehr  religiös  erwärmt, 
welches  sich  begnügt^  wenn  die  Menschen  sich  durch  einige  Formali- 
täten  mit  ihrem  Gewissen  abfinden  und  sich  um  Gott  wenig  kümmern. 
Die  Humanitatsreligion  ist  etwas  Innerliches,  in  Herz  und  Gemüth 
Wohnendes,  und  entzieht  sich  der  Controle,  oder  wenn  es  efaie  solche 
gibt)  so  liegt  diese  ui  den  Handlungen  des  Humanisten.  Sie  ist  wahr 


Digitized  by  Google 


—   21  — 


und  echt,  sie  beträgt  sich  nicht»  sie  macht  echte  Sittlichkeit  zur  Pflicht 
and  zur  Bichtschnnr  des  Lebens.  — 

Man  sieht  wol,  dass  es  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  nicht  so 
leicht  ist,  Humanist  zu  werden,  dass  man  es  dorch  Trägheit,  Sich- 
gehenlassen nicht  wird.  Daher  kommt  es,  dass  so  unendlich  viele 
Menschen,  die  in  der  Schule  schon  den  religiösen  Zwiespalt  in  sich 
anfgenommen  haben,  sich  aus  demselben  im  Leben  nicht  mehr  herans- 
winden,  dass  sie  ans  Zweiflern  Ungläubige,  Indifferente,  Materialisten, 
Atheisten  werden,  wovon  die  Welt  voll  ist.  Der  Humanismus  mus.«! 
in  ein  System  gebracht  und  schon  frühzeitig  in  den  Schulen  gelehrt 
werden;  der  orthodoxe  Religionsuntemcht  gehört  nur  in  die  Kirche. 
Das  ist  der  einzige  Weg,  wie  man  zn  einem  befriedigenden  Zustand 
in  der  Welt  kommen  kann. 


Digitized  by  Google 


Jngenderxieliang  nnter  dem  Einflusge  großstädtischen  Lettens. 


wird  als  ein  besonders  irünstiges  Geschick  ge])riesen.  hinein- 
gestellt zu  sein  in  solchen  Keiclitliuni,  soldie  P'ülle:  die  Gi'oßstadt 
bietet  alles  dar,  was  die  Eutwicklunir  eines  Seelenlebens  tordern  kann; 
aus  allen  Reichen  der  Natur  und  Kunst  steht  hier  das  Beste  täglich 
unsern  Augen  ofl'en;  ein  jeder  Gang  durch  Straßen,  über  Brücken 
oder  Plätze  erinnert  uns  daran,  dass  hier  sich  einst  ein  Stück  Ge- 
schichte abgespielt,  dass  hier  die  Zeugen  einer  großen  Vergangenheit 
zu  uns  reden, und  noch  wetteifern  unsere  besten  Geister  durch  erhebende 
Helelirung,  durch  künstleiische  Gaben  auch  uns  zu  iKiherem  Streben 
mit  eniporzuziehen.  Tn  den  Streit  entgegengesetzter  Vorstellungsarten 
werden  wir  eingetaucht;  wir  erfahren,  wie  im  Kampfe  entbrennen  die 
eifernden  Kräfte,  wie  sie  Großes  bewirken  im  Streit,  Größeres  leisten 
im  Bund.  Wev  in  solchem  Leben  mitten  inne  steht,  vermag  sich  hier 
an  einem  Tage  weiter  fort  zu  bringen,  als  wer  am  andern  Ort  auf 
einsam  stiller  Bahn  an  selbstgeschaftenem  leeren  Trugbild  matter 
Phantasie  sich  jahrelang  ab([uält.  Tn  einer  großen  Stadt,  in  einem 
weiten  Kreise  fühlt  sich  aucli  der  Aiinste,  der  Geringste;  während  in 
dem  engbeschränkten  Lebensgange  kleinerer  (iremeinschaft  auch  der 
Beste  und  der  Reichste  niclit  zu  freiem  Athemschöpfen  kommen  kann. 
Die  Großstadt  spendet  jedem  ihre  Gaben,  „dem  Blumen,  jenem  Fi-üchte 
ans;  der  Jüngling,  wie  der  Greis  am  Stabe,  ein  jeder  geht  beschenkt 
nach  Haus."  Wo  gäb'  es  also  einen  bessern  Ort,  des  Strebens  Lust 
zn  reizen,  des  Wissens  Drang  za  spornen  und  zu  stillen?  Wo  kann 
der  Kdrper  besser  zum  formgewandten  Werkzeug  einer  edlen  Seele 
herangebildet  werden  als  hier,  wo  jeder  Jüngling  an  den  Zerstreu- 
ungen und  Vergnügungen  der  Welt  mit  vernünftiger  Frdheit  Anfheil 
nehmen  kann?  wo  er  erüthren  mag,  dass  im  Gennas,  den  das  Ver- 
gnügen bietet,  nicht  der  Beiz  zu  finden  sd,  den  eine  unerfahrene 
Phantasie  dahinter  sucht,  auf  dass  er  dann  als  reifer  Mann  die 
bittere  Erkenntniss  nicht  unendlich  thearer  zu  bezahlen,  mühsamer 


Vom  Seminaioberlehm  Mndotf  LeMk-Dreedm, 


Digitized  by  Google 


—   23  — 


nachzuholen  liabel  Alles  scheint  sich  in  der  (Troß>ta(U  zu  vereinigen, 
dem  Erzieher  reiche  Unterstützung  zu  gewähren  und  sein  W  erk  zu 
fordern. 

Doch  niiissen  wir,  wenn  wir  vom  Stundpunkt  der  Erziehung 
juis  ein  richtiges  Urtlieil  fällen  wollen,  auf  den  Eutwicklungsuang 
des  Geisteslehens  unser  Auge  richten.  Als  erstes.  ol)erstes  Gesetz  des 
Geisteslebens  gilt  aus  dir  Ei  talining,  dass  die  Seele  niciit  die  Fähig- 
keit besitzt,  Mannigfaltiges  und  Vieles  gleichzeitig  vorzustellen.  Em- 
pfinden uud  Ansiiiauen  einerseits,  Denken  und  Dichten  andrerseits 
finden  nie  vollkommen  gleichzeitig  statt.  Mit  je  größerer  Aufmerksam- 
keit "wir  ein  äusseres  Object  betrachten,  um  so  weniger  vermögend 
sind  wir,  auf  nnsere  Gedanken  zu  achten,  und  je  mehr  wir  in  diese 
vertieft  sind,  am  so  weniger  sehen  und  höi'en  wir,  was  um  ans  vor- 
geht. Wir  vermögen  nicht,  eine  größere  Mehrheit  tob  Gedanken, 
von  bloften  Vorstellimgen  ohne  Beeintr&chtigung  ihrer  Klarheit  im- 
BewQSBtMin  sa  erhalten.  Je  schirlBr  wir  den  einen  Gedanken  fixiren, 
amsomebr  treten  die  anderen  zurück  oder  verschwinden  ganz.  Wo 
wir  aber  genOthigt  sind,  einem  Vielerlei  unsere  Aufmerksamkeit  mit 
einem  Male  zuzuwenden,  kann  sieh  keine  Vorstellung  mit  so  starkem 
Eindrucke  bilden,  wie  sie  nothwendig  ist,  um  dem  Gedächtnis  zu 
verbleiben,  und  so  entstehen  unkrttftige.  verblasste  Bilder  in  der  Seele, 
die  mit  der  Zeit  dem  ganzen  Geistesleben  ihren  Stempel  aufdrucken 
und  in  haltloser  OberflAchlichkeit  des  Menschen  ihren  Ausdruck  &iden. 
Stellen  wir  dieser  Gesetzmäßigkeit  innerer  Vorgänge  die  Begellosigkeit 
der  Außenwelt  des  Großstadtlebens  gegenüber.  Wo  wäre  ein  so  viel- 
fach wechselndee  Bild  und  buntes  Allerlei  als  in  dem  täglich  sich 
ahspielenden  Leben  der  Großstadt  zu  finden!  Kaum  lassen  die  un- 
aufhörlich vorflberflutenden  wechselnden  Erscheinungen  uns  Zeit  zur 
Besinnung  zu  kommen.  Da  ist  der  erste  Eindruck  noch  nicht  zum 
Bewusstsein  gelangt,  zwingt  uns  scbon  ein  anderer  die  Beachtung  ab. 
Allenthalben  drängen  sie  von  allen  Seiten  zu,  begeben  uns  auf  Schritt 
und  Tritt  und  fordern  für  sich  den  Tribut  der  Aufinerksamkeit  Da 
gibt  es  weder  Zeit  nocb  Baum  zu  ruhiger  Betrachtung,  die  Sinne 
fähren  einen  fortwährenden  Verthddigungskrieg.  Im  heißen  Wirbel 
solchen  Lebens  kann  sich  nicht  die  Buhe  finden,  die  uns  nöthig  ist^ 
wenn  wir  Gemflth  und  Stieben  auf  das  geistig  Große  richten  soll^. 
Der  Lärm,  das  wilde  Treiben  macht  das  Ohr  des  Geistes  taub  für 
unsere  stille  Stimme  in  der  eignen  Brust  Der  Sinn  wird  weit  und 
flach  gleich  einem  Strome,  dei*  die  Wasser  in  der  breiten  Ebene  seicht 
und  ohne  Kraft  dahinfährt  Das  Übermaß,  die  Überfülle  überreizt 


Digitized  by  Google 


—   24  — 


das  Seelenleben  so,  dass  es  in  Übermüdung  fällt  und  dass  ihm  endlich 
alle  Leichtif^keit  und  alle  Kraft  des  ^\'ider.standes  verloren  geht;  denn 
auch  der  Organismus  ist  verändert  worden,  das  NervenleUeii  ki'ankhai't 
reizbar;  der  Mensch  wird,  wie  man  sagt,  nervfis. 

Ludwig  Ivichter  zeichnet  uns  in  seinem  Lebenslauf  ein  Bild  von 
der  (ieschichte  der  Entstehung  soklier  Leiden  mit  den  Worten:  „Wie 
still  und  öde  war  in  meiner  Jugendzeit  die  breite  Schlossstraße!  nichts 
von  den  glänzenden  iSchaustellungen,  die  jetzt  sich  dem  Auge  auf- 
drängen; dafür  aber  zog  das  Wenige  und  an  sich  Geringe  umsomehr 
die  Aufmerksamkeit  auf  sich  und  prägte  sich  tief  dem  Auge  ein; 
während  jetzt  das  Viele  und  Vielerlei  zur  stumpfen  Gewohnheit  ge- 
worden, kaum  imstande  ist,  die  zerstreuten  und  übersättigten  Sinne 
auch  nur  füi*  einen  Augenblick  flüchtig  zu  reizen."  Überreiztheit  und 
Zerstreutheit;  l^bersättigung  und  Stumpfheit  sind  die  Folgen  solcher 
Einwirkung  und  die  Kennzeichen  innerer  Zerrüttung.  Das  in  der 
Eigenthümlichkeit  seiner  natürlichen  Anlage  beleidigte  Seelenleben 
rächt  sich  für  die  Nichtbeachtung  der  in  ihm  herrschenden  Gesetze 
durch  solche  Leiden,  die  schon  an  unserer  Jugend  sich  bemerklich 
machen,  weshalb  man  neuerdings  genöthigt  war,  Nervenbeilanstalten 
für  jugendliche  Kranke  zn  errichten,  ein  Umstand,  der  die  Wege 
nnserer  Zeit  mit  grellem  Licht  belenchtet  Weniger  aber  eine  Folge 
der  Sehulzndit,  sind  diese  Erscheinungen  vielmehr  auf  einefiinwfilning 
dnrch  das  Jjebeii  mrOckzofthreii,  mid  es  w8re  warnet  Jugend  viel 
dioüichert  sie  Yon  gioften  Stidtoi  als  von  großen  8e]iTilaii4;aben  su 
befreien.  Da  wir  yorläufig  aber  mit  den  gegebenen  Verhältnissen  zn 
rechnen  haben,  so  fragt  sich  nnr,  wie  kOnnen  wir  das  Übel  zn  ver- 
ringem  suchen?  Nur  so,  dass  wir,  was  dranBen  planlos  wirkt  im 
Leben,  in  der  Erziehung  einerseits  yenneiden,  andrerseits  vermindem. 
Da  in  der  Hand  des  Lehrers  aber  nnr  der.  Unterricht  Ar  die  Bh> 
Ziehung  Wichtigkeit  nnd  Qeltnng  haben  kann,  so  mnss  er  ihn  als 
Mittel  seiner  Gegenwirkung  brauchen.  Im  Unterrieht  muss  er  dem 
Zögling  Geisteszncht  beibringen.  Hier  hat  er  zu  erfahren,  dass  auf 
wissenschaftlichem  Gebiete  eine  probehaltige  Einsicht  nur  durch  Auf- 
wendung eines  gewissen  Hafles  eigner  Anstrengung  erlangt  wird, 
dass  ein  blofies  passives  Sehen  und  Hdren,  ein  unthätlges  auf  sich 
Wirkenlassen  nicht  genflgt  und  dass  der  Mensch,  »der  im  leichten 
Fluge  jedes  Wissen  umflattert  nnd  nicht  durch  stille,  feste  Anwendung 
seine  Erkenntnis  stärkt,  die  Bahn  der  Natur  verlässt".  Darum  muss 
seine  Kraft  in  Thätigkeit  gesetzt,  er  muss  gezwungen  werden,  auf 
einen  Gegenstand  sie  zu  beschränken  und  tiefeindringend  hinzulenken; 


Digitized'by  Google 


—   25  — 


denn  nicht  am  Vielerlei  des  Wissens  liegt  es,  sondern  dass  diß  Kraft 
gefkbt  und  frisch  erhalten  bleibe,  damit  sie  das  Erlernte  anzuwenden 
wisse.  Ein  bloßes  Füllen  mit  gelehrtem  Allerlei  kräftigt  das  Ver- 
mögen nicht;  es  überbürdet  nnr  und  bildet  Phrasenhelden,  die  wol 
mit  Worten  trefflich  fechten  können,  doch  jeder  eignen  Ansieht  bar 
ond  ledig  sind.  Und  hierin  trifft  nns,  ob  mit  Recht,  das  weiß  ich 
nicht,  der  Vorwurf  eines  hochgelehrten,  welterfahrenen  Mannes,  des 
frühem  amerikanischen  Gesandten  (Whist)  in  Berlin,  welcher  sagt: 
^Bei  all  meiner  Bewunderung  für  das  deutsche  Unterrichtswesen  mnss 
ich  mich  doch  zu  der  Überzeugung  bekennen,  dass  in  den  Schulen  zn 
viel  scholastischer  Druck  heiTScht,  dass  die  Jugend  zwar  viel  lernen, 
aber  wenig  denken  muss,  wodurch  die  individuelle  Kraft  untergraben 
wird.  Darum  der  Mangel  an  noch  unverbrauchter  Kraft,  durch  welche 
unsere  amerikanische  und  englische  .lugend  im  praktischen  Leben  so 
sehr  gefordert  wird.**  Nirgends  aber  bedarf  das  non  inulta,  sed  mul- 
tam  im  Unterriclitc  einer  strengereu  Beachtung  als  in  der  (iroßstadt, 
wo  der  Z{3gling  viehiielir  geradezu  einer  Regelung  seiner  Eindrücke, 
einer  Seelendiät  unterworfen  werden  muss,  wenn  er  vor  Stiirung  und 
Verwirrung  bewahrt  bleiben  soll.  Der  Unterricht  muss  hier  gleich- 
zeitiggeistigheilgymnastisch ^virken,  ausscheidend  Schädliches, erzeugend 
Kraft  und  Halt  und  Festigkeit.  Darum  mag  es  wol  anerkennenswert 
sein ,  wenn  unsere  Unterrichtsmethode  sich  bemüht ,  das  Lernen  möglichst 
leicht  zu  machen,  nur  darf  es  nicht  darauf  liinauslaufen.  dass  ein 
Geschlecht  herangezogen  werde,  nuliiiiig  auch  in  solchen  Dingen  etwas 
Tüchtiges  zu  leisten,  die  ihm  niclit  genehm  sind,  weil  sie  Kraft- 
anstrengung fordern.  Und  darum  ist  es  eine  fehlerhatte  Richtung,  die 
da  meint,  es  sei  notwendi<r,  dem  Kinde  die  Arbeit  des  Lernens  wo- 
möglich zum  Spiel  zu  maclien.  Denn  gerade  das  Erarbeiten,  das 
Selbstsuclien  nnd  Selbsthuden  ist  das  Kraft-  und  Lebenweckende  bei 
jedem  Unterrichte.  Sollen  erworbene  Kenntnisse  für  das  Leben  Frucht 
•»ringen,  so  müssen  sie  verstanden  und  verarbeitet,  sie  müssen  Fleisch 
und  Blut  geworden  sein.  Dann  erst  erhält  das  Geistesleben  Saft  und 
Kraft  und  jeue  Festigkeit,  die  der  Zersplitterung  wehrt,  und  dann 
erst  hat  die  Erziehung  ihr  Ziel  erreicht,  wenn  sie  im  Zögling 
Festigkeit  des  Strebens  herausgebildet  hat,  das  seinen  Stütz- 
punkt in  ernster  Sittlichkeit  gefunden. 

Auf  Seite  des  sittlichen  Lebens  droiien  dem  Zr»gling  aber 
ebenso  ernste  Gefahren  in  der  Großstadt.  Überall  winkt  da.s 
Genussleben  in  verführerischen  Formen  und  sucht  vom  Wege  ab- 
zuleiten.    Für   den  Leruendeu ,   Werdenden   soll  aber   der  gol- 

y 

Digitized  by  Google 


—   2«  — 


(leiie  Baum  des  genießenden  Lebens  nocli  niclit  blühen.  Mit  dem 
ihm  gesclienkten  Voireclit ,  in  einer  Welt  von  Idealen  zu  leben, 
ist  auch  die  Pfliclit  verbunden,  sich  aut  diese  Welt  zu  besclirän- 
ken.  Vergnügen  ist  eine  Klippe,  au  der  schon  mancher  Jüngling 
gescheitert.  Er  läuft  mit  vollen  Segeln  aus.  um  es  aufzusuchen, 
aber  ohne  Compass,  um  den  T^auf  danach  /u  lichten,  und  ohne  hin- 
länglichen Verstand,  um  das  Steuer  zu  führen.  Darum  mahnt  Kant 
in  seiner  Anthropologie:  ...Tunger  ]^lann,  versage  dir  die  Befriedigung, 
wenn  auch  nicht  in  der  stoischen  Absiclit,  ihrer  gar  entbehren  zu 
wollen,  sondern  vielmehr  in  der  feinen,  epiTcuräischen,  einen  immer 
wachsenden  Genuss  im  Prospect  zu  haben."  Die  menschliche  Natur 
ist  so  dürftig  organisirt,  dass  sie  nur  einen  winzigen  Theil  Lust  ge- 
nießen kann;  dem  ÜbermaB  folgt  Überdrass.  Und  was  kann  nun 
einem  Jüngling,  der  alle  Genüsse  der  Großstadt  durchgekostet,  ein 
Leben  voll  Mühe  und  Entbehrung,  das  seiner  harrt,  noch  Verlockendes 
zeigen?  „Wer  da  strebt,  das  erwflnBehte  Ziel  zu  errdcheiii  that  und 
ertrag  als  Knabe  schon  viel,  trug  Hitze  nnd  E&lte,  lernte  entbehren 
der  Lust."  Im  GroßstadIJüugling  aber  sind  die  feineren  Empfindungen 
dnreh  den  LSrm  einer  chaotischen  Welt  übertäubt,  und  so  bleibt  ihm 
nnr  noch  Eanm  fttr  grobe,  sinnliche  Genttsse,  nnd  vielen  unter  ihnen 
gilt  das  Wort  des  Dichters:  „Besser  im  stillen  reift  er  zur  That  oft, 
als  im  Gerftnsche  wilden,  schwankenden  LebeD8,  'das  manchen  Jüngling 
verderbt  hat.^  Weder  fElr  seine  geistige,  noch  für  die  sittliche  Aos- 
bildnng  des  Zöglings  kOnnen  wir  vom  Großstadtleben  eine  Förderang 
erwarten,  wir  haben  nnr  Hemmongen  za  fOrchten.  Das  Leben  der 
modernen  Großstadt  vollzieht  eine  völlige  Abtrennung  des  Individuums 
vom  Naturleben.  Das  Kind  vollends,  selbst  noch  ein  Stück  Natur, 
muss  in  einer  solchen  Treibhauscultor  frühzeitig  welken,  wenn  es  zu 
einer  Entfiedtong  des  echt  Kindlichen  in  ihm  überhaupt  gekommen  ist; 
denn  auch  die  Thorheit  der  Erwachsenen  hilft  noch  mit,  die  Unnatur 
recht  zu  verstärken.  Man  hfilt  es  ja  für  seine  Pflicht,  dem  Kinde 
schon  das  Leben  so  genussreich  als  nur  möglich  zu  gestalten.  Theater- 
auftührnngen  und  Bftlle  für  Kinder  hält  man  für  nöthig  und  nützlich, 
damit  da«  Kind  in  geistig  und  physisch  verdorbener  Luft  an  Gkist 
und  Körper  sich  gleichmäßig  vergifte.  Und  doch  sind  für  Kinder  die 
einzig  wolthätigen  Vorstellungen  die,  welche  die  Natur  aufführt  in 
Feld  und  Wald,  bei  Vogelsang  und  Waldesrauschen.  Hier  ist  der 
Tummelplatz  fUr  unsere  Jugend. .  Hier  kann  sie  Geist  und  Körper 
stärken,  stählen,  bilden.  Hier  mag  der  Knabe  fröhli(^  brauchen  Arme 
und  Beine,  die  Sinne  schärfen,  den  Verstand  entwickeln  an  allem, 


Digitized  by  Google 


—   27  — 


was  da  lebt  und  webt  auf  Flur,  im  Hain.  Hier  sind  die  Wurzeln 
deiner  Kraft,  hier  deine  Heimatb,  Jagend! 

Darum  hat  auch  nur  der,  der  auf  dem  Lande  geboren,  sozusagen 
unter  freiem  Himmel,  bei  dessen  Geburt  die  Bäume  ihre  Zweige  zum 
Fenster  hereJnsteckten,  an  dessen  Wiege  die  VOgel  des  Waldes  sangen: 
nur  dessen  Erinnerung  hat  Heimweh  nach  dem  Ort,  wo  er  das  Licht 
der  Welt  erbUdcte,  wo  er  vom  Echo  der  Berge,  vom  Rauschen  des 
Waldes  das  Reden  lernte.  „Wer  in  einer  großen  Stadt  geboren  und 
erzogen",  sagt  Saphir,  „der  hat  k^ne  Jagenderinnerung;  seine  Er- 
innerung bringt  ihm  nnr  Häuser,  Steine,  Menschen,  Lehrer,  Schul- 
kameraden, Prfigel  und  hddistens  einen  Weihnachtsbanm.*  Ifan  raubt 
dem  Kind  das  Paradies  der  Lebenszeit,  das  man  hineinzwängt  in  die 
fremde,  kalte  Welt,  die  nichts  für  seinen  Kindeasinn  und  seine  Neigung- 
bietet 

Fftr  die  zweite  Stufe  des  eisten  Lebensali^rs,  bis  über  das 
•  vierzehnte,  fttnfrehnte  Leben^ahr  hinaus,  eignet  sich  das  Leben  der 
Eleiiistadt  mit  seinen  Handwerksstaben  und  seinen  einfudieren  Ver- 
hältnissen besonders  für  Knabenendehung.  In  diesem  Alter  weisen 
BlUiigkeit  und  Neigung  auf  die  Richtung  hin,  in  welcher  sich  der 
Leben.'^gang  bewegen  wird;  es  drängt  zu  der  Entscheidung,  ob  der 
Knabe  im  Kreise  der  Wissenschalten  oder  einer  handwerksmäfiigen 
Beschäftigung  Befriedigung  und  Vollendung  finden  wird.  Entweder 
bleibt  er  hierauf  ganz  dem  Werkstattleben,  in  welches  er  durch  Arbeit 
seiner  Hände  eingef&hrt,  oder  er  folgt  dem  Drange  nach  weiterer 
wissenschaftlicher  Ausbildung:  und  auf  dieser  letzten,  höchsten  Stufe, 
der  Hochschnlbildung,  die  zum  Abschluss  bringen  und  auf  eigne  FOBe 
stdlen  soll,  muss  er  so  weit  gefestigt  sein,  dass  ihm  das  Grofistadtr 
leben  nicht  mehr  schaden  kann.  Geistig  und  sittlich  wolgegrOndet, 
empfingt  er  jetzt  die  Ffille  der  Anregungen  als  eine  Erweiterung 
semes  Verständnisses.  Nunmehr  kann  er  alle  Verhältnisse  und  BUdnngs- 
mittel  in  anderer  Weise  auffossen],  verwerten  und  aneignen;  jetzt  mag 
er  anch  den  Kamp4>latz  Übersehen  lernen,  auf  welchem  er  sich  später 
selbst  versuchen  soll;  denn  »das  Leben  bildet  den  Mann  und  wenig 
bedeuten  die  Worte".  Jetzt  gibt  der  Kreis,  m  welchen  er  tritt,  seiner 
bisherigen  Bildung  Ergänzung  und  Vertiefhng  und  erweist  sich  darum 
als  naturgemäße  Fortsetzung  seiner  vorangegangenen  Entwicklung. 

So  gestaltet  wäre  die  Erziehung  ei-st  naturgemäß,  während  sie 
jetzt  in  der  Großstadt  der  Natur  zuwiderläuft,  da  Schule  und  Leben 
im  Widerspruch  stehen;  denn  sobald  der  Knabe  die  Schnlstnbe  ver- 


Digitized  by  Google 


—   28  — 


lassen  hat,  findet  er  Überall  das  zerstreuendste  Leben  sich  abspielen, 

was  einen  Zwiespalt  in  seine  Seele  bringen  miiss. 

Die  praktischen  Engländer  sind  uns  auch  liierin  lange  voraus. 
Johanna  Schopenhauer  schreibt  in  einem  Reisewerke  über  Enj^land 
und  Schottland:  ,,Döifer  und  Flecken  rings  um  London  wimmeln  von 
Erziehungsanstalten,  die  alle  gedeihen,  da  fast  niemand  seine  Kinder 
zu  Hause  erzieht.  Sowie,  Knaben  und  Mädclien  aus  dei-  Kinderstube 
kommen,  werden  sie  in  jene  P^rziehungsanstalten  gegeben,  und  erst  nach 
vollendeter  Erzieliung  kehren  sie,  fast  erwachsen,  ins  väterliche  Haus 
zurück."  Das  ist  der  Weg,  den  für  die  Großstadt  unserer  Zeit  der 
Staat  betreten  nniss,  wenn  unsere  Jugend  nicht  an  Geist  und  Körper 
Schaden  leiden  soll.  Die  Großstadtatmosphäre  bietet  keine  Jicbens- 
.luft  für  jugendliche  Seelen:  sie  tiidtet  wie  ein  Giftliauch  ihre  zarten 
Keime,  vernichtet  wie  ein  Frülilingsreif  die  besten  Triebe,  und  was 
man  liierin  sündigt  an  der  Jugend,  wird  sich  einst  unausbleiblich 
rächen.  Wir  als  Erzieher  wollen  dessen  eingedenk  sein,  dass  uns  die 
Pflicht  obliegt,  auf  Gefahren,  welche  das  Erziehungswerk  bedrohen, 
hinzuweisen.  Unsere  Aufgabe  ist  es,  darauf  liinzuarbeiten,  dass  ein 
Geschlecht  aufwachse  kernhaft  und  stark,  gesund  und  unverdorben 
bis  ins  Mark.  So  dienen  wir  dem  Vaterland  am  besten.  Denn  in 
der  Kraft  und  Unverdorbeuheit  der  Jugend  ruht  die  Macht  und  Größe 
eines  Landes. 


Digitized  by  Google 


Die  Bedeutung  Schillers  für  die  Jagend. 

Älag  auch  dai'über  gestritten  werden,  wer  der  j^rößere  Dichter 
sei,  Goethe  oder  Scliiller,  mag  aueli  Goetlie  in  seiner  natürlichen 
dicliterisclien  Begabung  und  in  der  Universalität  seines  'i  alentes  nidit 
von  Scliiller  erreicht  werden,  so  steht  doch  Schiller  dem  Herzen  des 
deutschen  Volkes  nicht  minder  nahe  als  Goethe.  Und  der  Jugend 
steht  er  näher;  er  ist  der  Lieblingsdichter  der  Jugend.  „Die  Be- 
merkung, dass  Leser  bis  zu  ihrem  25.  Jahre  gewöhnlich  Schiller,  aber 
nach  dem  25.  Jährte  Goethe  den  Vorzug  geben,  ist  eine  vielleicht 
ziemlich  unparteiische  Beleuchtung  der  Frage  über  die  Vortretllichkeit 
der  beiden  Dichter,"  meint  ein  Kritiker.  Für  uns  ist  dieselbe  eine 
Bestätigung  unserer  Behau[ttung. 

Während  Goethe  schon  an  der  Wiege  das  Glück  zugelächelt  hat, 
seine  Ivindheit  dem  Schmetterlinge  gleicht,  der  von  Blume  zu  Blume 
flattert,  wuchs  Schiller,  wenn  auch  nicht  unter  geradezu  ärndichcn,  so 
doch  bescheidenen  Verhältnissen  auf.  Goethe  umgibt  l'berfluss  und 
Wolhabenheit,  mannigfache  Belehrung  und  Anregung,  so  da.ss  der  auf- 
strebende Dichtergeist  nach  allen  Seiten  frei  entwickeln  kann; 
Schillers  Jugend  verfließt  in  fast  gänzlicher  Abgeschlo.ssenheit  vom 
Leben,  der  Entfaltung  seiner  Muse  stellen  sich  drückender  Zwang 
und  eine  tyrannisclie  Schuldisciplin  entgegen.  Die  Befriedigung  seines 
Dichtertriebes  erkaufte  Scliiller  durch  die  mit  \1elen  Gefahren  ver- 
knüpfte Flucht  aus  dem  Eltemhause  und  die  Uiigewissheit  einer 
ärmlichen  Existenz.  Und  als  die  endliche  Anerkennung  ihm  ein  freies 
dichterisches  Schaffen  ermöglichte,  war  der  schwächliche,  von  Krank- 
heiten und  Strapazen  heimgesnchte  EOrper  nicht  mehr  imstande,  der 
verzehrenden  Sinwkang  anstrengender  Arbeit  zu  widerstehen.  Schiller 
ist  in  gewissem  Sinne  ein  Härtyier  seiner  Ideen  geworden,  ein  Opfer 
auf  dem  AHai«  des  Genius.  In  sefaian  frOhen  Tode  gleidit  er  dem 
Krieger,  der  mitten  im  Leben  im  Angesichte  einer  glfickyerheifienden 
Znknnft  den  Tod  des  Helden  stirbt 


Digitized  by  Google 


—   30  — 


Wenn  die  abenteuerlichen  Jugendschicksale  und  die  alle  Fesseln 
sprenS^de  Begeistei'ung  Schillei*  die  Herzen  der  Jugend  im  Fluge  zu 
erobern  geeignet  sind,  kann  er  in  der  unermüdlichen  Verfolgung  des 
einmal  erkannten  Zieles  und  in  dem  Adel  seiner  Persönlichkeit  als 

ihr  Muster  hing&stellt  werden. 

Unter  den  fortwährenden  Bedrängnissen  und  Widerwärtigkeiten 
würde  ein  gewöhnlicher  Geist  endlich  seine  Iiöheren  Bestrebungen 
aufgegeben  und  nur  noch  zuweilen  einen  sehnsüchtigen  Blick  auf  die 
Träume  seiner  Jugend  zurückgewoifen  liaben.  Schillers  energischer 
Geist  aber  wurde  durch  sein  widriges  Geschick  nur  noch  mehr  ge- 
stählt und  gewann  nm  so  mehr  Spannkraft.  Die  riesige  Kraft,  mit 
welcher  er  seine  Ketten  sprengfte,  zeigt  sich  in  dem  Erstlingsdrama: 
„Die  Räuber."  —  Wenn  von  berufener  Seite  öfter  die  Äußening  gethan 
wurde,  Goethe  sei  ein  gebomer,  Schiller  ein  gemachter  Dichter,  so 
kann  ihm  die  Anerkennung  nicht  vei-sagt  bleiben,  dass  er  sich  selbst 
zu  dem  gemacht  hat,  was  er  war;  seine  dichterische  Vollkommenheit 
ist  vielfacli  das  Werk  seines  ernsten  Ringens  und  Strebens.  Von  der 
Größe  seiner  Selbstausbildun^:  legen  seine  si)äteren  Dramen  Zeup:nis 
ab,  welche  durcli  ihre  classische  Glätte  und  Durchbildunfr  voinehm 
von  den  Producten  seiner  Sturm-  und  Drancrperiude  abstechen. 

In  gleichem  Maße,  wie  Schiller  den  Fortscliritt  in  seinen  poetischen 
Leistungen  seinem  ener^rischen  und  beharrlichen  Streben  dankte,  legte 
er  mit  Entschiedenheit  Hand  an  die  Vervollkoinninunt^  seines  mora- 
lischen Menschen,  und  wir  müssen  izestehen,  dass  er  durch  sein  unab- 
lässiges Ringen  das,  was  er  erstirhte,  in  einem  eigenthümlich  hohen 
Grade  erreicht  hat.  Ks  ist  bemerkenswert,  dass  Heine,  wenn  auch 
nicht  ohne  Verleiif^nun«:  seiner  Ironie,  Schiller  „den  edelsten,  aber 
nicht  den  größten  Dichter  Deutschlands"  nennt.  So  stürmisch  und 
bewehrt  die  Jugend  Schillers  war,  nicht  blos  in  den  äußeren  Lebens- 
.^chicksalen,  sondern  aucli  durch  stetige  inneie  Käiiijife,  so  ruhig  und 
klar  tloss  sein  späteres  Alter  dahin.  Wir  können  von  ihm  saf,'en, 
dass  er  in  seinem  Herzen  vr»llige  Befriedigung  genuss  durch  die  liar- 
monische  Übereinstimmung  seines  inneren  nnd  äußeren  Lebens,  durch 
die  Cougrueuz  seiner  Anschauungen  mit  seinem  Handeln.  Bei  ihm 
finden  wir  nichts  von  der  Frivolität  eines  Heine,  von  der  Haltlosig- 
keit eines  Bürger,  von  dem  hin  und  her  wankenden  Skepticismus  und 
dem  linsteren  Pessimismus  Lenau's. 

Seine  Kratt  in  sittlicher  Bezieliung  ruhte  aber  in  der  Begeiste- 
rung für  die  Aufgabe,  die  er  sich  gesetzt,  in  der  rückhaltloseu  Hin- 
gabc au  seinen  Dichterberuf.   Er  ist  oft  ein  Priester  am  Altare  der 


Digitized  by  Google 


—   81  — 


Gottheit  geiuHiiit  worden,  und  er  ist  es  in  Wahrheit.  Keiner  konnte 
mehr  yon  der  hohen  Bestimmung  des  Künstlers,  was  ja  in  gewissem 
Sinne  auch  der  Dichter  ist,  dorchdrangen  sein  wie  er.  Prophetisch 
klingen  seine  Worte:  „Der  Menschheit  Wfirde  ist  in  enre  Hand  ge- 
geben, bewahret  sie!  Sie  sinkt  mit  euch,  mit  ench  wird  sie  sich 
hohen!"  Schillers  Welt  war  fast  ausschließlich  eine  innere,  nicht  die 
der  WiikUchkeit,  sondern  die  der  Ideale.  Äußeren  Zerstreuungen  und 
Erholungen  in  geselligem  Kreise  war  er  zwar  nicht  abgeneigt,  aber 
er  suchte  sie  auch  nicht;  selbst  freundschaftliche  Genüsse  standen 
ihm  weit  unter  dem  Glücke,  welches  ihm  in  reichstem  Maße  aus  dem 
Borne  der  Poesie  quoll.  Der  Besitz  irdischer  Glücksgüter  war  ihm 
versagt;  sein  Gedicht:  „Die  Theilung  der  Erde"  findet  auf  ihn  selbst 
volle  Anwendung;  er  hat  aber  auch  wie  kein  anderer  von  der  dem 
Dichter  gewälirten  Erlaubnis  Gebrauch  gemacht:  „Willst  du  in  meinem 
Himmel  mit  mir  leben,  er  soll,  so  oft  du  kommst,  dir  offen  sein",  und 
in  der  Gemeinschaft  der  Seligen  seines  Dichter-Olymps  kümmerte  ihn 
die  Armseligkeit  seiner  Erdenlage  wenig.  Selbst  die  Schwäche  und 
Hinfälligkeit  seines  Körpei'S  konnte  ihn  nicht  an  der  Ausübung  des 
Dichterberufes  hindern;  sein  ideales  Streben  watfnete  ihn  mit  einem 
wunderbaren  Starkmuth  in  seiner  Kranklieit.  Ehre  oder  Ruhm  er- 
strebte Schiller  nicht;  wir  finden  bei  ihm  keine  Spur  von  Eitelkeit, 
kaum  von  berechtigtem  Stolze.  Noch  viel  weniger  buhlte  er  um  die 
Gunst  der  Menge:  „Kannst  du  nicht  allen  gefallen  durch  dfine  That 
und  dein  Kunstwerk,  niacli  es  wenigen  reclit;  \ielen  gefallen  ist 
^jclilimm."  Wie  in  Ansehung  seiner  selbst  dient  er  aucli  in  Berührung 
mit  seineu  diclitenden  Zeitgenossen  nur  der  Sache;  der  Kampf,  den 
er  gegen  die  zu  seiner  Zeit  herrschende  Niedrigkeit  der  gemeinen 
Literatur  fülu'te,  wurde  ihm  eingegeben  von  der  Verehrung  l'iir  die 
Kunst;  er  war  gegen  die  Sache  und  niclit  liegen  die  Person  gericlitet. 
Das  letztei'e  gilt  auch  von  der  oft  gerügten  Kritik  über  Büi'ger's 
Gedichte. 

Die  Eigensclialt,  welche  wir  an  dem  Mensclien  Schiller  nicht  am 
wenigsten  schätzen  müssen,  ist  seine  Wahrheitüliebe  und  .seine  Un- 
imrteilichkeit.  Er  war  frei  von  gehässiger  Tendenz.  Wo  die  Natur 
der  Dinge  eine  Stellungnaiiuie  erheischte,  legte  er  seine  Ansicht  ruhig 
und  oüen  dar,  nur  um  der  Walirheit  die  Ehre  zu  geben. 

Wir  müssen  unsiie  kurze  Betrachtung  über  die  Persönlichkeit 
Schillers  schließen;  sind  aber  überzeugt,  dass  der  Dichter  als  Menscli 
bei  einer  eingehenderen  Untersucliuiig  stets  gewinnen  wird.  Dem 
Meuächen  Schillei-  gebüi't  nicht  blos  die  Hochachtung  eines  jedeu 


Digitized  by  Google 


—  82  - 


sondern  er  ist  ein  Charakter,  der  durcli  wahre  Gröfie  zu  allen  Zeiten 
hervorragen  wii'd,  an  dem  sich  jung  nnd  alt,  namentlich  aber  die 
deutsclie  Jugend  erbauen  nnd  emporranken  kann. 

Die  Hauptbedeutung  Schillers,  auch  für  die  Jugend,  liegt  in  seinen 
Werken.  Als  Mensch  lebte  und  wirkte  Schiller  nur  eine  kurze  fieihe 
von  Jahren  in  einem  engen  Kreise;  nur  dieser  stand  unter  der  un- 
mittelbaren Einwirkung  seiner  edlen  Pei*sönlichkeit.  Aber  ewig  und 
für  alle  redet  sein  Dichtergeist  aus  seinen  Werken.  Was  Großes  und 
Erhabenes  in  diesem  Geiste  gewohnt,  die  Summe  seines  geistigen 
Lebens  hat  er  uns  in  denselben  hinterlassen;  in  ihnen  ruhen  unver- 
gängliche Schätze.  ..Körper  und  Stimme  leilit  die  Schritt  dem  stummen 
Gedanken;  durch  der  Jahrhunderte  iStrom  trägt  ihn  das  redende 
Blatt."  (Spazieigang.) 

All  .sein  Dichten  ist  bei  Schiller  der  Ausdinick  und  Spiegel  seines 
edlen  Geistes.  Vor  allem  legen  seine  Schriften  Zeugnis  ab  von  der 
tief-erasten  Auffassung  seiner  dichterischen  Aufgabe.  Das  lässt  sich 
ebensowol  aus  der  Wahl  als  aus  der  Behandlung  der  von  ihm  be- 
arbeiteten Stoffe  erkennen.  Er  widmete  sein  Talent  nur  würdigen 
Stoffen;  zu  poetischen  Spielereien  verschwendete  er  seine  Kraft  nicht, 
den  Leser  blos  zu  unterhalten,  verschmähte  er.  Wie  sehr  er  sclavische 
Nachahmung  hasste,  beweisen  seine  Vei*se  „An  Goethe",  als  er  den 
Mahomet  von  Voltaire  auf  die  Bühne  brachte. 

„Einheiin'schcr  Kunst  ist  dieser  8chaiiitlatz  eigen, 
liier  wird  nicht  fremden  (ii3tzcn  mehr  gedient; 
Wir  küQiicn  niuUxig  einen  Lorbeer  zeigen, 
Der  auf  dem  dentscben  PindiiB  selbst  gegfrBnt." 

In  allen  früheren  Schriften  Schillei*s,  ja  mehr  oder  weniger  in 
seinen  ganzen  Werken  tritt  ein  angeborner  aristokratischer  Wider- 
wille gegen  alles  Gewöhnliche  zutage.  Dass  indes  auch  die  kleinste 
und  geringfügigste  Erscheinung  der  Natur,  besonders  der  lebenden, 
ein  Urbild  des  un.sichtbaren  Geistes  ist,  der  sich  in  der  Natur  thätig 
zeigt,  erkannte  Schiller  wol,  und  seine  späteren  Gedichte  und  Dramen 
beweisen,  dass  seine  unermüdlichen  Bestrebungen,  diesen  Mangel  seines 
'I'aleutes  zu  eigänzen,  mit  Erfolg  gekrönt  waren.  Wenn  auch  die 
Erstlinge  der  Schillerschen  Muse  Ungeheuerlichkeiten  und  Maßlosig- 
keiten aufweisen  und  nicht  frei  sind  von  anstößigen  und  zweideutigen 
Stellen,  so  verleugnet  sich  doch  auch  in  diesen  Erzeugnissen  nicht  die 
hohe  sittliche  Idee.  In  seinen  späteren  Werken  sind  die  angedeuteten 
Fehler  fast  gänzlich  vermieden.  So  gleicht  Schiller  dem  brausenden 
Gebirgsbache,  dessen  ungestüme  Fluten  von  Sand  und  OeröU  getrübt 


Digitized  by  Google 


—  33  — 


sind,  der  aber  bald,  nachdem  seine  geklärten  Wasser  die  Ebene  er- 
reicht haben,  das  Licht  der  Sonne  wiederspiegelt  und  ^e^eji  und 
Freude  verbreitet.  —  Schillers  Werke  besitzen  fast  durchgängig  den 
Vorzug  gittlicher  Reinheit,  der  für  einen  jugendlichen  Leserkreis  nicht 
gering  angeschlagen  werden  muss.  Soweit  dieselben  inbetreff  des 
Verständnisses  keine  Schwierigkeiten  bereiten,  dürfen  die  meisten 
seiner  Gedichte  und  Dramen  der  gereifteren  Jugend  ohne  Bedenken 
in  die  Hand  gegeben  weiden. 

Ebenso  sehr  als  wegen  der  sittlich  leinen  Darstellung  sind  die 
Schriften  Schillers  durch  ihren  Reichtlium  au  sittlichen .  wahrhaft 
großen  Ideen  fm-  die  Jugend  bedeutungsvoll.  Was  der  Dichter  in  der 
Vorrede  zu  seinem  Schauspiele  ..Die  Räuber"  sagt:  ,.Tch  darf  meiner 
Schrift  mit  Hecht  einen  l'latz  unter  den  moralischen  Büchern  ver- 
sprechen; das  Toaster  nimmt  den  Ausofanji: .  der  seiner  würdig  ist- 
Der  Verirrte  tritt  wieder  in  das  Geleise  der  Gesetze.  Die  Tuf^end 
geht  siegend  davon",  diese  Erwartimg  durfte  er  fast  ohne  Ausnahme 
von  allem  hegen,  was  er  geschrieben.  Er  hat  sein  Talent  in  den 
Dienst  der  Sittlichkeit  gestellt,  und  wir  fühlen  uns  ermächtigt,  ihn 
mit  vollstem  Kcchte  einen  moralisclien  Dichter  zu  nennen.  Scliiller 
fand  die  Gesetze  der  Sittlichkeit  und  der  Kunst  wol  vereinbar,  nicht, 
dass  er  sich  wie  Heine  zur  zwi  ift  lhaften  Ehrenrettung  einer  wanken- 
den Moral  ilas  Zeugnis  ausstellen  musste:  „seine  ästhetische  Anlage 
scheine  von  Natur  aus  stärker  entwickelt  zu  sein  als  der  Drang  nach 
Wahrheit".  Bei  tieferer  Kenntnis  der  Persönlichkeit  Schillers  finden 
wir  es  erklärlich,  dass  der  lehrende  Charakter  in  seineu  Dichtungen 
vorherrscht.  Gleichwol  ist  er  nicht  im  mindesten  Tendenzdichter,  und 
niemals  sinkt  er  zu  der  Trivialität  und  der  Alltagspoesie  mancher 
Dichter  früherer  und  neuerer  Zeit  herab.  Sein  Reich  liegt  weit  über 
der  Sphäie  des  gewöhnlichen  Lebens. 

Im  Hohen  und  Erhabenen  gipfelte  .seine  Kraft;  hierin  ist  er  viel- 
leicht mehr  Meister  als  irgend  ein  anderer  Dichter. 

Es  würde  uns  zu  weit  fuhren,  auf  die  einzelnen  Erzeugnisse  der 
Schillerschen  Muse  näher  einzugehen  und  ihren  Wert  und  ihre  Ver- 
wendung für  die  verschiedenen  Stufen  des  Jugendalters  zu  besprechen. 
Wir  müssen  nns  vielmehr  darauf  beschränken,  in  einem  allgemeinen 
ÜberblidLe  die  Verdienste  des  Diditers  naeh  den  drei  Bichtangen  der 
Poesie,  der  lyrischen,  epischen  und  dramatischen  Dichtung,  zu  be- 
leuchten. 

Da  Schiller  als  Lyriker  nur  eine  nntergeordnete  Stellung  ein- 
nimmt nnd  seine  lyrischen  Versuche  mit  wenigen  Ausnahmen  als  die 

Padagogiiim.  M.  Jik«.  n«ftX.  3 

y 

Digitized  by  Google 


—   84  — 


schwächsten  Leistiingeu  seiner  Muse  aug^eseheu  werden  iiiiissen,  können 
wir  dieselben  füglich  überg-ehen,  um  uns  mit  dem  Epiker  und  iJrama- 
tiker  Schiller  zu  beschäftigen.  —  Wenngleicli  Scliillers  Dichtergeist 
sich  auf  dem  Gebiete  des  Dramas  zu  der  höclisten  Stufe  künstlerisclier 
Vollendung  emi)ürgeschwungen  hat,  ruht  seine  Bedeutung  für  die 
Jugend  ebenso  sehr  in  seinen  epischen  Leistungen,  in  seinen  Balladen. 
Schon  der  Umstand,  dass  viele  der  letzteren  in  den  Lesebücliern  fiü' 
höhere  und  niedere  Schulen  fast  allgemeine  Aufnahme  gefunden  haben, 
ist  ein  Beweis  für  die  Würdigung  ihres  ei*ziehlichen  und  sprachlichen 
Wertes.  Noch  beredter  aber  spricht  ihre  Verbreitung  in  hohen  und 
niederen  Volksschichten  tlir  ihre  Beliebtlieit.  Wir  wiederholen  nur, 
was  unsere  Litei-arhistoriker  langst  übereinstimmend  anerkannt  haben, 
wenn  wir  sagen,  dass  Balladen,  wie  der  Taucher,  der  Graf  von  Habs- 
burg, der  Kampf  mit  dem  Drachen",  der  Alpenjäger,  die  Bürgschaft, 
der  Ring  des  Polykrates,  die  Kraniche  des  Ibykus,  zu  dem  Vortreflf- 
lichsten  gehören,  was  die  deutsche  Literatur  auf  diesem  Gebiet«  her- 
Torgebracht  liat  Schiller  ist  durch  seine  Balladen  in  gewissem  Sinne 
ein  Tolksdichter  geworden,  obwol  dieedben  nidit  eigentlich  auf  die 
Beseichnung:  „volksthfimlich"  Anspruch  erheben  können.  Ihn  selber 
trifft  dabei  niäit  der  Vorwurf;  den  er  gegen  Bflifger  schleuderte:  „er 
vermische  sich  nicht  selten  mit  dem  Volk,  zu  dem  er  sich  nur  herab- 
lassen sollte**.  "Er  bleibt  der  „milde,  sich  immer  gleiche,  immer  helle, 
männliche  Geist»  der,  eingeweiht  in  die  Mysterien  des  SchOnen,  Edlen 
und  Wahren,  zu  dem  Volke  bildend  herniedersteigt".  Der  Zauber, 
welcher  d^  Balladen  Eingang  yerschafft  hat  bei  vornehm  und  gering, 
bei  alt  und  jung,  liegt  nicht  weniger  in  der  Eigenart  der  Stoffe,  als 
in  der  ^genen  Bearbeitung.  Nicht  zum  geringsten  aber  ist  es  der 
sittliche  Gehslt,  die  Verherrlichung  echt  deutscher  Tugenden,  erhabener 
sittlicher  Ideen,  wodurch  diese  Kunstwerke  zum  nationalen  Eigenthum 
geworden  sind.  In  dem  Gedichte  „Der  Kampf  mit  dem  Drachen** 
liefert  der  Dichter  eine  begeisterte  Verherrlichung  des  ritterlich- 
dmtschen  Heldenmuthes,  der  sich  allein  an  der  edlen  Liebe  zur 
Menschheit  entzündet  und  in  hoher  Selbstverleugnung  sich  nicht  nur 
jeglichen  Anspruches  auf  Anerkennung  begibt,  sondern  auch  und  in 
bescheidenem  Gehorsam  den  unverdienten  Tadel  willig  hinnimmt;  in 
der  „Bttrgschalt**  hat  er  der  alle  Gefiduren  und  selbst  die  Schrecknisse 
des  Todes  nicht  achtenden  Freundestrene  das  schönste  Denkmal  ge- 
setzt; „der  Graf  von  Habsburg**  gibt  ein  rührendes  Beispiel  inniger 
Frömmigkeit  und  demuthsvoUer  Verehrung  des  Heiligen,  eines  kind- 
lichen Glaubens  an  die  göttliche  Vorsehung.  „Der  Taucher"  warnt 


Digitized  by  Google 


—  36  — 


in  aatik-classischen  Worten  vor  menschlicher  Verniessenkeit  und  vor- 
witzigem Eindringen  in  der  Natur  unerforschliche  Geheimnisse;  nicht 
weniger  ergreifend  predigt  ,.der  Alpenjäger'*  unter  Benutzung  heimat- 
lichen Sagenstoffes  Mitleid  mit  dem  verfolgten,  unter  dem  Schutze 
freundlicher  Geister  stellender  Thiere.  „Der  Ring  des  Polykrates" 
mahnt  au  den  Unbestand  alles  irdischen  Glückes,  in  den  „Kranichen 
des  Ibj'kus"  ergreift  aufs  tiefste  die  unversöhnliche  Rache  der  wachen- 
den Nemesis.  Auch  viele  andere,  theils  episclie,  theils  lyrisch-epische 
Gedichte  Schillei's  gewähren  eine  reiche  Ausbeute  sittlich  wertvoller 
Gedanken,  die  der  Jugend  zum  Verständnis  gebracht  werden  können, 
die  wir  aber  hier  wegen  des  gedrängten  ßaumes  unberücksichtigt 
lassen  müssen. 

Die  mannigftichen  kostbaren  Schätze  zu  heben,  welche  8chillei*s 
Dramen  „Wilhelm  Teil",  „Maria  Stuart",  ..Die  Jungfrau  von  Orleans", 
„Wallenstein"  auch  in  sittlicher  Hiusicht  bergen,  bedüifte  einer  l)e- 
sonderen  Untersuchung.  Die  genannten  Dramen  eignen  sich  fast  ihrem 
ganzen  Inhalte  nach  recht  wol,  wie  andere  im  Auszuge,  an  der  Hand 
eines  erfahrenen  Lehrers  für  die  Jugend  nutzbar  gemacht  zu  werden. 

Dass  der  Dichter  auch  in  seinen  in  aplioristischei-  Vorm  gegebenen 
Sentenzen  einen  Platz  in  der  Jugeudliteratur  beanspruchen  darf,  wuUen 
wir  nur  kurz  erwähnen. 

Das  erotische  Element  überwiegt  nicht  in  Schillers  kleineren  und 
größeren  Dichtungen;  aber  auch  dort,  wo  es  eine  Berücksichtigung 
erfahrt,  ist  das  Auftreten  desselben  meist  kein  Gnind,  der  Jugend  die 
Lectüie  seiner  Werke  vorzuenthalten,  da  der  Dichter  alles,  was  ein 
zartes  Gefühl  beleidigen  kann,  soviel  wie  möglich  vermeidet.  Ohne 
uns  auf  theologische  Polemik  einzulassen,  glauben  wir  von  der  Reli- 
giosität Schillers  überzeugt  sein  zu  dürfen,  wie  der  Dichter  ebenfalls 
der  Anerkennung  sicher  sein  darf,  niemals  mit  gehässiger  Absicht 
irgend  welchem  Bekenntnisse  entgegengetreten  zu  sein,  wol  aber  in 
manchen  seiner  Dichtungen  durch  den  innigen  Ausdruck  religiöser 
Gefthle  ans  dem  gläubigsten  Gemftthe  genug  gethan  zu  haben. 

Ein  Biickblick  anf  die  hegdstert-fromme  Dfchter-PerBOnliehkeit 
Schiliere  und  ein  HinwelB  auf  unsere  früheren  Darlegungen  wird  die 
AnfUimng  fernerer  Beweisstellen  nnnCthig  machen  und  nns  erkennen 
lassen,  dass  der  geübte  pädagogische  Blick  und  ein  (Ur  das  SehOne 
aftener  Sinn  in  dem  poetischen  Nachlasse  des  Dichtars  eine  reiche 
Fundgnibe  fttr  die  Geistes-  nnd  Gemflthsbildung  unserer  Jugend  ent- 
dedcen  kann,  für  die  Pflege  des  ^apathischen  wie  des  Wahrheits- 
geliUds,  des  rdigiösen  wie  Ästhetischen  Sinnes. 

3* 


Digitized  by  Google 


—  36  — 


Wenn  avü-  auf  die  ästhetisclie  Bildunp:  besonders  autmerksam 
raachen,  welcher  doch  bei  der  Diclitkunst  überhaupt  der  reichste  An- 
theil  zutließt,  so  erblicken  wir  eine  Berechtigung:  dazu  in  der  glühen- 
den Begeisterung  für  alles  Scliöne,  von  welcher  namentlich  Schiller 
aufs  lebhafteste  erfasst  war,  und  in  dem  geläuterten  (iesclmiacke,  der 
ihn  bei  der  Ausübung  seiner  Kunst  leitete. 

Was  die  sprachliche  Bildung  durch  die  Sclirilten  Schillers  betriflft, 
so  müssen  wii-,  ohne  einen  Tadel  auf  die  schwungvolle,  edle  Sprache 
des  Dichters  zu  werfen,  die  Jugend  vor  den  Versuchen,  dieselbe  in 
den  schriftlichen  Arbeiten  nachzuahmen,  warnen.  Solche  Versuche 
führen  meist  zu  Unklarheiten  und  Überschwänglichkeiten  des  Ausdrucks, 
weil  die  .lugend,  auch  die  leifere,  noch  nicht  zu  dem  erforderlichen 
(irade  geistiger  und  sprachlicher  Kiaft  gelangt  i.st.  Es  gilt  diese 
Vorsicht  ja  auch  nicht  allein  inbetreft"  der  Schillerschen  Ausdrucks- 
weisc,  sondern  mein"  oder  weniger  der  Erzeugnisse  in  gebundener 
Kede  überhaupt.  Der  Lehrer,  welcher  bei  vorkonunenden  Fehlern 
seiner  Schiüer  Einkehr  in  sich  selbst  zu  halten  gewohnt  ist,  wii'd 
jedoch  wissen,  dass  die  unzureichenden  sprachlichen  Erkläi'ungen  bei 
der  Behandlung  eines  Gedichtes  und  die  mangelhafte  Vorbereitung 
der  Schülerarbeiten  oft  einen  großen  Theil  der  Schuld  tragen  an  den  * 
soeben  gerügten  „Answüchsen'*  des  Stiles. 

Bevor  wir  von  Schiller  Abschied  nehmen,  wollen  wir  versuchen, 
ihm  in  einer  Sache  gerecht  za  werden,  die  ihm  oft  ttberschwänglicbes 
Lob,  aber  ebenso  oft  ungerechte  Yeiideinening  seiner  Verdienste 
eingetragen  hat  nnd  welche  anch  bei  seiner  Bedentong  f  fir  die  Jagend 
sehr  in  die  Wagschale  fiUlt:  wir  denken  an  seinen  IdeaUsmos.  Es 
ist  bekannt,  dass  Schiller  bd  seinem  Verweflen  in  den  sonnigen 
Dichterhohen  sich  um  die  Armseligkeit  des  irdischen  Daseins  wenig 
kOmmerte  nnd  in  seinem  idealistischen  Finge  nicht  selten  die  Wirk- 
lidikelt  ans  dem  Auge  verlor.  Wenn  wir  es  noch  nicht  wflssten, 
würden  nns  seine  Werke  daranf  hinweisen,  dnrch  welche  sidi  diese 
Charakterdgenthflmlichkeit  wie  ein  rother  Faden  hindurchzieht  Seine 
idealistische  Weltsnschanung  zeigt  sich  in  der  Wahl  des  Stoffias,  in 
der  Zeichnung  der  Personen,  der  Art  der  verkörperten  Ideen  nnd 
sogar  in  der  Sprache.  Indem  wir  anerkennen,  dass  er  im  Ausdrucke 
des  Hohen  und  Idealen  eine  selten  erreichte  Kraft  besaß,  müssen  wir 
zugeben  —  was  er  auch  selbst  erkannte  —  dass  ihm  das  Vermögen, 
die  Welt  des  Elehien  und  Gewöhnlichen  dichterisch  zu  verschonen, 
abging.  Sein  Bestreben,  auch  diesen  Mangel  abzulegen,  zeigt  sich  am 
glflcUichsten  in  dem  Liede  von  der  Glocke.  Nur  wenige  seiner  Er- 


Digitized  by  Google 


—   37  — 


Zeugnisse  leiden  an  einem  nngesnnden  Idealisnuis,  und  wenn  aneh 
dieser  Zug  der  Schillerselien  Poesie  als  ein  Mangel  seines  dichterischen 
Talentes  angesehen  werden  mnss,  so  thut  er  der  Tollkommenheit  des 
einzelnen  Productes  doch  nur  selten  Eintrag.  Die  Befürchtong,  dass 
die  Jngend  durch  die  Lectttre  der  Werke  unseres  Dichters  zn  einem 
unwahren,  ii1)ertnebenen  IdeaUamus  verleitet  werde,  können  wir  also 
von  der  Hand  weisen,  um  so  eher,  als  es  die  Aufgabe  der  Scluile  ist, 
durch  eine  weise  Auswahl  des  Lesestoifes  dem  angedeuteten  Übel  zu 
begegnen,  wie  durch  passende  Q«istesbeschäftigung  in  anderen  Lehr- 
fächern ein  Gegengewicht  gegen  verkehrte,  einseitige  Bildung  zu 
bieten. 

Denjenigen  aber,  welchen  es  obliegt,  die  Jugend  durch  Einfiilirnng 
in  das  Verständnis  unserer  Dichter  zu  veredeln,  rufen  wir  die  Worte 
«Schillers  zu: 

.Dor  >ren^ohheit  Wflide  itt  in  enie  Hand  gegeben, 

Bewahret  sie! 

Sie  siukt  mit  euclil   Mit  euch  wird  sie  sich  beben!" 


Digitized  by  Google 


PMagogisehe  Bundsehau. 

ZeitstbüBieii« 

[Hans  nnd  Schale.]  Das  Schalhans  ist  die  ento  Arena,  in  welcher 

sich  alle  zn  üben  Laben,  die  später  die  Kämpfe  ams  Brot,  die  Schlachten 
des  Geistes,  die  Wettläufe  nach  den  verschiedenen  Zielen  mitmachen  müssen. 
Der  Haosschöler  wird  dem  Volksschüler  meist  an  theoretischem  Wissen 
fiberlegeiiseiii;  aber  er  bleibt  vnerfkhren,  verweichlicht,  ungescliickt,  schüchtern, 
und  ihm  fehlt  jene  (Gewandtheit  ondKlIhnheity  die  man  deh  eben  nnr  Im  Wett- 
ringen aneig^iet.  Allerdings,  die  Individualität  and  die  ünverdorbenheit  dea 
Herzens  kann  bei  dem  Haasschüler  leichter  gewahrt  bleiben,  der  Charakter 
kann  sich  bei  demselben  rascher  und  entschiedoner  entwickeln;  aber  trotzdem 
ist  einem  Schüler,  der  seine  materielle  Zukunft  sich  selber  gründen  soll,  mit 
demEliDeliuiteiridit  TerfaMtnigmaflig  weniger  gedient,  als  mit  der  MiBntlichen 
Schule,  in  welcher  er  —  freilich  oft  mit  dem  Opfer  seiner  Eiodliehkeit  —  die 
Wege  des  Lebens  fHihzeitig  kennen  lernt.  Anßerdem  ist  der  Einzelontenleht» 
sowie  überhaupt  die  Absonderung  und  enge  Begrenzung  für  den  Schüler  eine 
Quelle  erwachender  Selbstsuclit,  wiilirend  in  der  öffentlichen  Schule  einer  fiir 
alle  und  alle  für  einen  stehen,  die  Eesultate  des  eiiuelueu  allen  zu  Gute 
kommen,  und  eo  d«r  Gelat  derGemeineamkeit  gewedtt  wird.  AUerdinga  strebt 
auch  das  Laster  des  einzelnen  der  Gemeinsamkeit  zn,  und  manches  secduh 
oder  sieben jiUirige  Kind  sitzt  da  in  den  Bänken,  dessen  Auge  so  nnschnldsvoU 
zu  blicken  weil3 ,  in  dessen  Busen  sich  aber  schon  junge  Schlangen  bergen,  die 
es  aus  dem  Drachenueste  der  duniden  Heimstätte  seiner  verkommenen  Eltern 
mitgebracht  hat.  P.  Ros  egg  er. 

[Patriotismus.]  Dasjenige  Element  des  Patriotismns,  das  von  der 
Schale  gepflegt  werden  kann,  ist  die  bewnsste  nnd  willige  Einfttgung  des  ein- 
seinen  in  etne  geordnete  Oesunmtiielt;  was  darttber  ist,  ist  Tom  ubeL  bi  einer 

Zeit,  in  der  die  Symptome  des  Byzantinismus  täglich  warnender  hervortreten, 
niüssto  eine  Behörde,  welche  das  ünterrichtswesen  leitet,  von  der  Kiiisicht  durch- 
drungen sein,  diUiS  jeder  Versuch,  eine  bestimmte  t''berzeugnng  unmittelbar  her- 
Toranbringen,  schlaue  und  strebsame  Köpfe  zur  Heuchelei,  herzhafte  Menschen 
zn  zornigem  Widerstreben  fttlirt  nnd  nnr  in  Schwächlingen  einen  vorfiber- 
gehenden  und  wertlosen  Erfolg  erzielt 

[Staatsreligion.]  Gegenftber  der  TerknScherten,  innerlich  erstorbenen 

Staatsreligion  vertrat  Jesus  das  Becht  des  Menschen  auf  ein  persönliches 

Verhältnis  zu  Gott,  ohne  Vermittelung  der  Kirche.  Dafttr  ist  er  denn  von  den 
Häuptern  nnd  Beauftragten  dieser  Kirche  umgebracht  worden.  Das  Tragische 
in  seinem  Schicksale  ist  nicht  so  sehr  sein  Tod,  trotz  all  der  unsinnigen  Gran- 


Digitized  by  Google 


—   39  — 


Mmkeit,  nit  derPriesterthmn  imdPVbel  ihn  nmgelMn  haben,  alt  das  was  nach« 
h«r  kam,  daas  über  seinem  Grabe  eine  nene  Kirche  aufgerichtet  worden  iat» 
deren  Pharisäer  und  Schriftgelehrte  wieder,  wie  einst  die  der  Juden,  in  den 
GotteshUusem  and  an  den  Straßenecken  stehen  und  beten,  um  sich  den  Menschen 
zn  zeigen,  wieder  Gottes  Gebot  dahinten  lassen  und  an  der  Überlieferung  der 
VenadMQ  ÜBBtlMHeii,  wieder  sidi  amnaOeo,  daa  Bdoh  der  Himmei  tot  den 
Mensdien,  die  Umea  nicht  gehorchen  wollen,  ziusaaeUieSen.  Anch  aieaehmfloken 
daa  Grab  dea  Propheten  und  bauen  dem  Gerechten  Denkmäler  nnd  aagen: 
Wenn  wir  in  den  Tagen  des  Herodes  und  Kaiphaa  gelebt  hätten,  wir  hatten 
uns  nicht  des  Blutes  des  Heiligen  schuldig  gemacht,  wie  die  Juden  gethau  haben. 
Und  doch  ist  hier  kein  Unterschied.  Im  Namen  des  Mannes,  der  für  die  Selbst- 
Btiadigheit  der  reUgiSaen  Übeneagmig  gestorben  war,  hat  man  seitdem  zahl- 
lose Geister  geknechtet  nnd  Leiber  zn  Tode  gemartert.  Und  was  ist  aus  seinor 
Lehre  geworden?  Man  sa^t,  sie  habe  die  "Welt  überwunden ;  man  könnte  ebenso- 
gut sagen,  sie  sei  von  der  Welt  überwunden  worden.  Ilire  kleinen  Mängel 
und  Unklarheiten  hat  man  zu  dogmatischen  Systemen  ausgebaut,  auf  die  man 
•diwOrt,  nm  ddi  dafBr  von  der  Pflicht  loammachen,  daaa  man  ca  mit  aelnen 

sittlichen  Geboten  ernst  nehmen  sollte.         Keinen  grSHeren  Schaden  gibt  es 

für  die  sittliche  Bildung  nnaeres  GescUeditB,  als  dass  wir  von  Jngend  aof  in 
der  Moral  des  Christenthnms  nnterwie.sen  nnd  zugleich  angeleitet  werden  Uli 
einznbilden,  das  sei  die  Moral,  die  heute  wirklich  g^ilt. 

Dr.  Paul  Cauer, 
Staat  nnd  Erziehung,  Kiel  nnd  Leipzig  bei  Lipetna  A  Tiaeher. 

[Gebrechen  der  modernen  Cultur.]  Wir  denken  schneller  und  leben 
achneUer,  als  nnsere  Vorihhren  ans  der  gnten  alten  Zeit.  Bei  der  Sehwen  der 
Bemftarbeit  —  es  wird  heute  anhaltender  und  energiacher  gearbeitet  ala  je 

nUTor— fehlt  uns  die  Zeit,  die  Fülle  der  Erscheinungen  zn  fassen:  die  geistige 
Vertiefong.  das  liebevolle  Eingehen  auf  die  geistigen  Züge  einer  Individualität 
wird  uns  immer  schwerer  gemacht.  Seltener  als  früher  gelangt  der  Gebildete 
za.  dem,  waa  nnaere  Alten  die  Ausbildung  einer  harmonischen  Persönlichkeit 
nannten.  Schlimmer  sind  die  Wiricnngen  der  modernen  Entwickelnng  in  den 
tieferen  Schichten  der  Gesellschaft.  Heute  dringt  jeder  Einfall  eines  verrttckten 
Hirns,  jede  Schlechtigkeit  nnd  Verleumdung  mit  Leichtigkeit,  trotz  Censur  und 
Polizei,  in  weite  Ivreise.  Die  Sorglosigkeit,  mit  der  so  manche  Volksbeglücker 
unbewiesene  wissenschaftliche  Hypothesen  und  fragw  üidige  Systeme  in  die  Welt 
Banden,  iat  eben  so  groA  wie  die  Unfähigkeit  der  Masse,  daa  ihr  Gebotene  anf 
aeln  richtiges  Mali  anrOekanfllhren.  So  wftchst  eine  Sdiein-  nnd  Halbbildung 
empor,  die  leichtfertig  dber  die  verschiedensten  Wissensgebiete  schwfttzt  nnd 
mit  dreistem  Urtheil  an  die  schwierigsten  Fragen  herantritt.  Damit  steht  im 
Zusammeuhang  eine  Erhitzung  der  Phantasie,  die  über  die  Schranken  der  Wirk- 
lichkeit liinweghüpft  und  sich  in  ungemessene  Zukunftsträume  verliert.  Wahn- 
sinn nnd  Verbrechen  stehen  in  ilirem  Gefolge. 

[Grenzen  der  „exacten''  Wissenschaft.]  Die  Naturwissenschaft  hat 
sieh  hinter  die  Grenzen  dea  der  exaetenForsehnng  Erreichbaren  znrilekgeiogen 
nnd  ftbeiillaat  den  rein  geistigen  Mächten  das  ihnen  gebürende  Feld.  Heute 
versucht  man  nicht  melir,  wie  Buckle,  die  naturwissenschaftliche  Methode  in 
der  Geschichte  zur  allgemeinen  Geltang  zn  bringen  und  aus  der  Statistik  die 


Digitized  by  Google 


—   40  - 


Gesetzmäßigkeit  aller  menschlichen  Handlnngen  zn  beweisen,  sondern  man  er- 
kennt an,  dass  auf  die  geistige  Kntwickcliinff  der  Moiischlieit  Mächte  höherer 
Art  einwirken  —  Kinder  eines  Beiches,  das  der  Bestimmung  doi-ch  Maß  und 
Zahl  ewiffTenehloMen  ist  Das  innere  Leben  desEinxelweBenBy  wie  das  ganser 
Völker  und  im  letzten  Grnnde  derUenBchheit  schafft  aus  sich  heraus  mächtige, 
seine  ganze  geistige  Entwickelung  regelnde  Kräfte,  Ideen  ethischen,  religiösen 
und  ästhetischen  Charakters,  die  sich  der  wissenschaftlichen  Zergliederung  ent- 
ziehen, nichtsdestoweniger  aber  durch  ihre  gewaltige  Einwirkung  aul'  die  Er- 
scheinungen  des  Lebens  ihre  sehr  greifbare  Bealität  offenbaren. 

Ohlert,  Die  denteehe  Sehnle  (Hannover»  Karl  ICeyer). 

Von  der  Nordsee.  Die  Bremer  Lehrer  haben  kürzlich  Gehaltszulagen 
erhalten;  nach  dem  neuen  Gesetze  stellen  sich  die  Besoldungen  folgendermaßen: 

1.  Hauptschule  (Gymnasium).  Direktor  TüOO  —  8Ü00  Mk.;  Lehrer  mit 
akademischer  Bildung  2500—6600  Hk.,  4  Altersznlagen  &  1000  Hli.; 
seminaristisch  gebildete  Lehrer  2260---42d0  Uk.,  4  Altersanlagen 
k  50011k. 

2.  Realschule.  Director  6000 — 7000  Mk.;  akademisch  gebildete  Lelirer 
2400—6000  Mk.,  4  Alterszulagen  ä  900  Mk..  seminaristisch  gebildete 
Lehrer  2000—4000  Mk.,  4  Alterszulagen  ä  500  Mk. 

3.  Seminar.  Director  6000—7000  Mk.;  Lehrer  2500—4500  Hk^ 
4  Alterszulagen  4  500  Mk. 

4.  Volksschulen  in  der  Stadt.  Oberlehrer  8500— 45(Hl  Mk.,  2  Alters- 
zulagen ä  500  Mk.;  Lehrer  1500— 30O0  Mk.,  6  Alterszulagen  ä  250  Mk. 

5.  Schulen  des  Landgebietes.  Vorsteher  1 — Sclassiger  ISchulen  150() 
bis  3000  Mk.,  6  Altersznlagen  k  250  Mk.;  Vorsteher  4— Sdassiger 
Scholen  1800—3000  Mk.,  6  Alterssolagen  &  200  Uk.;  Vorsteher  9  bis 
12classiger  Schulen  2100—3000  Mk.,  6  Alterszulagen  ä  150  Mk.  (Die 
Voi  Steher  haben  freie  Wohnung.)  Ordentliche  Lehrer  1500—3000  Mk., 
()  Altersznlagen  ii  250  Mk. 

Sämmtliche  Alterszulageu  erfolgen  von  3  zu  3  Jahren,  5  Jahre  nach  dem 
Abgang  vom  Seminar  erhalten  die  Lehrer  1500  Mk.,  das  Maximum  erreichen 
sie  etwa  im  43.  Leben^ahre.   Die  Anfbessernng  ist  fBr  die  Lehrer  jedenfalls 

eine  wesentliche,  das  Maximum  ist  für  die  Lehrer  der  Stadt  um  300  Mk.  und 
für  die  Landlehrer  um  50<)  Mk.  erhüht,  und  früher  erfolgten  die  Zulagen  von 
5  zu  5  Jahren.  Ganz  richtig  ist  es  auch,  dass  man  den  Lehrern  auf  dem 
Lande  dieselben  Gehaltssätze  zahlt  wie  den  Lehrern  in  der  Stadt,  haben  sie 
doch  gleiche  Pflichten,  nnd  die  OrtUchea  VerhUtnisse  in  den  DOrftni,  welche 
der  Stadt  ja  alle  sehr  nahe  liegen,  sind  derart,  dass  man  auf  dem  Lande  nicht 
billiger  leben  kann  als  in  Bremen. 

Im  evangelischen  Theile  des  Herzogthums  Oldenburg  wird  neuerdino^.s  die 
Frage  der  Schulaufsicht  vielfach  erörtert;  nicht  nur  das  Schulblatt  bringt 
Artikel  ftber  die  SchnladUeht,  noch  die  Tagesbiatter  besprechen  den  Gegenstand. 
Im  Herbste  des  vergangenen  Jahres  beantragten  einige  Frediger  bei  ihren 
Amtsbr&dem,  die  Localschulaufsicht  niederzniegen.  Es  wurde  eine  Versammlung 
abgehalten,  die  Antragsteller  Viliebeii  jedoeh,  wio  zu  erwarten  war,  in  der  Minder- 
heit. Auf  der  letzten  Lande.'^-Lehrcrversaniiiiluiig,  die  am  Tage  nach  Pfingsten 
in  Delmenhorst  tagte,  hielt  Lehrer  Grape- Lehmden   einen  Vortrag  über 


Digitized  by  Google 


—   41  — 


die  SchalanfBicht.  Der  Referent  verlangte  Aufsicht  durch  Fachmänner,  er  ver- 
warf die  Localschnlinspection  durch  die  Geistlichen  und  verlangte,  dass  die 
Inspectoren  aus  den  Reihen  der  Volksschullehrer  genommen  würden.  Er  be- 
tonte, es  sei  nur  daun  gerechtfertigt,  einem  Stande  Vorgesetzte  aus  einem  anderen 
Berufe  zu  geben,  wenn  die  Fachmänner  nicht  die  nöthige  Befähigung  hätten, 
woin  aUo  andere  B«raJhkrei8e  tttditigitte  Leute  für  dies  Amt  stellen  kSimteiL 
Die  QdstUchen  könnten  aber  nicht  den  Lehrern  mit  Bath  und  That  zur  Hand 
gehen,  wollte  ein  Lehrer  sich  einen  jruft  n  Kath  holen,  dann  dürfe  er  sich  nicht 
an  den  Localschulinspector  wenden.  Die  Anträge  des  Eeferenteu  wurden  von 
der  Versammlang  einstimmig  angenommen. 

Die  Lehrer  hatten  ihre  Stellung  kundgegeben,  nnd  die  Antwort  hat  nicht 
laage  auf  sich  warten  lassen.  Der  General-Ftedigenrerein  bsspnwh  bald  nach- 
her in  einer  Versammlnng  auch  die  Frage  der  Localschnlaafsicht.  Auch  hier 
waren  noch  etliche  Stimmen  datur,  dass  die  Geistlichen  die  Localschnlanfsicht 
aufgeben  müssten.  Diese  Herren  glaubten  freilich  nicht,  dass  den  Geistlichen 
die  Fähigkeit  abginge,  eine  wirklich  segensreiche  Aufsicht  zu  führen,  nein,  die 
Hieirai  haben  ja  Theologie  stndirt  nnd  deswegen  —  sind  sie  geborene  Sdnl« 
inspectoren  —  sie  haben  nur  nicht  die  nSthige  Zeit. 

Der  General-Prediererverein  fasste  mit  f^^roßer  Majorität  den  Beschluss,  nicht 
auf  die  Localschnlaufsiciit  zu  verzichten.  Er  veröffentlichte  folgende  Resolution: 

„In  Erwägaug:  aj  daäs  die  Beseitigung  der  Localschnlaufsiciit  als  solche 
eine  grole  Gefkhr  für  unsere  Volksschale  nnd  ihre  Lehrer  (!!)  sein  würde, 
b)  dass  die  Geistlichen  nidit  nur  an  den  meisten  Orten  die  einzigen  ICänner 
flind,  die  befShigt  sind,  die  Localschnlinspection  auszuüben,  sondern  dass  die« 
selben  auch,  soweit  wir  cliri.stliche  Schulen  haben,  dazu  ^anz  besonders  berufen 
sind,  erklärt  der  General-Predi^erverein  es  für  geboten,  tlen  be.stehenden  Zustand 
aufrecht  zu  erhalten  und  daiür  zu  wirken,  dass  in  der  Ausbildung  der  Geist- 
Uehen  die  Ar  dieAusfibnng  der  Schnlaufticht  wünschenswerte Ergän zung  eintritt" 

Wir  Lehrer  haben  natürlich  kein  anderes  Votum  erwartet,  doch  die  Fas- 
sung der  Resolution  erreprt  vielfach  Heiterkeit.  Erst  sind  die  Geistlichen  an 
den  meisten  Orten  die  einzigen  Männer,  ,,die  befilhisrt  sind,  die  Localßchul- 
inspection  auszuüben",  und  dann  wollen  sie  dafür  wirken,  „dass  in  der  Ans- 
bildnng  der  Geistlichen  die  ffir  die  Aasübung  der  Schulaufsicht  wOnschenswerte 
Ergänzung  eintritt" !  Die  Herren  widerspredien  sieh  ja  selbst;  aber  iMieh, 
flhig  sind  sie,  denn  sie  haben  ja  das  Amt,  und  ,,w  em  Gott  ein  Amt  gibt,  dem 
gibt  er  auch  den  Ve  rstand!"  Ks  ist  schade,  dass  der  betreffende  Referent  nicht 
seine  Arbeit,  in  welcher  er  obige  Resolution  be^rrUndet  hat,  ver!5ffentlichte,  wir 
würden  dann  auch  jedenfalls  erfahren  haben,  warum  die  Aufhebung  der  Local- 
schnlaafticht  dne  grofleGefikhr  fHr  die  Volksschnle  nnd  ihre  Lehrer  seinwfirde. 
Warom  ftthrt  man  nicht  fBr  die  höheren  Schalen  eine  LocalsehnlanfUcht  .ein? 
Esmttsste  dies  doch  auch  für  diese  Schulen  ein  großer  Segen  sein,  wenn  die 
Aufhebung:  der  Localschnlanfsicht  eine  Gefahr  ist.  Und  warom  hat  wohl  der 
Geistliche  keinen  Localaufseher? 

Bezüglich  der  wünschenswerten  Ergänzung  in  der  Ausbildung  der  Geist- 
Uehai  macht  der  „Kirehliehe  Anzeiger"  folgende  Vorschläge:  „Von  Jedem  theo- 
logischen Gandidaten  ist  der  Nachweis  zu  fordern,  dass  er  ein  CoUeg  über  die 
HauptgTundsätze  der  Pädagogik  und  über  ihre  Geschichte  mit  Erfolg  g-eli">rt 
hat.  Jeder  Uieologische  Caudidat  hat  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Examen 


Digitized  by  Google 


—   42  — 


einen  Cnnns  von  (0  ^  Oldenbnrger  Seminar  durchsimiadien  unter 

Leitung  des  Seminardirectors  nnd  der  Seminarlehrer  zur  Einltthnuig  in  did 
Methodik  des  Unterrichts  mit  praktischen  Übungen." 

Gewiss,  die  Herren  nehmen  die  Saclie  sehr  ernst,  in  anderen  Staaten 
6  Wochen,  in  Oldenburg  volle  13  Wochen.  Wenn  diese  Yonchlilge  ent  «u- 
gtftthrt  tiiid,  dann  kaim  doch  kein  Lehrer  mehr  den  Ruf  erheben:  Fort  mit 
der  Localschnlanfsicht  durch  die  Geistlichen! 

Doch  die  Herren  Geistlichen  niii^en  sich  noch  so  selir  sträuben,  die  Local- 
schulaufsicht  wird  ihren  Händen  doch  entwunden,  nnd  »  s  wird  schließlich  auch 
bei  ans  dahin  kommen,  dass  die  Vorgesetzten  der  Lehrer  aus  uiisereu  Reihen 
entDommea  werden! 

Die  kafholisehen  OoUegen  nnseree  Landet  seheinen  sich  jedoch  unter  dem 
Emmmstabe  sehr  wol  sn  beflndea,  sie  wollen  an  den  bestehenden  VerlüÜtnisseE 
nicht  rütteln. 

Der  Pestalozziverein  —  Verein  zur  Unterstützung  von  Lehrerwitwen  und 
Waisen  —  konnte  im  Jahre  1890  4897  Mk.  vertheilen.  An  Gescheuken  nnd 
ans  Vertrtgen  mit  VersichemogsgeseUschaftea  erhielt  der  Verein  4910  Ifk., 
der  Lehrerverein  überwies  der  Pestalozzicasse  im  Jahre  1890  3000  Mk.  und 
für  1891  2500  Mk.  Der  Pestalozziverein  besteht  jetzt  27  Jahre,  er  hat 
im  Laufe  dieser  Jahre  51  TUT  Mk.  an  Unterstützungen  vertheilen  können  und 
31733  Mk.  Capital  angesammelt.  Diese  Zahlen  beweisen,  dass  die  Lehrer 
GroBee  erreichen  können,  wenn  sie  nur  einig  sind.  Auch  der  Lehrerverein  kann 
mit  ZoMedenheit  anf  das  letate  Jahr  sorlickbUcken,  die  Zahl  der  Hitglieder 
ist  um  etwas  gestiegen  nnd  iinr  einzelne  evangelische  CoUegen  stehen  noch 
abseits.  Besonders  freut  es  uns,  dass  die  gesanunten  Lehrer  nnseres  Seminars 
Mitglieder  des  Lehrervereins  sind. 

B.  Vom  deutschen  Ostseestrande.  Am  3.  Angust  a.  c.  hatten  sieh  im 
Landeshause  in  Danzig  die  Mitglieder  des  XXIL  anthropologischen  Con- 
gresses  versammelt.  Die  anwesenden  Gelehrten  wurden  durch  den  Oberpräsi- 
denten, Exmininister  von  Gossler  freundlichst  begrUi)t,  worauf  Herr  Geheimrath 
Professor  Dr.  Vir  che  w  im  Namen  der  anwesenden  GSste  henUohst  dankte 
und  den  VorsltB  flbenahm.  Besondere  Anerkennung  lieft  Dr.  Virehow  in 
seinw  Einleitnngsrede  der  wissenschaftlichen  Gruppirung  desDirector  Dr.  Con« 
wentz  im  westprenßischen  Provinzial-Muscnm  zntheil  werden.  Nach  der  Er- 
stattung eines  ausführlichen  ("asst  nberichtes  wurde  Ulm  zum  nächstjährigen 
Congressort  gewählt.  Znm  Vorsitzenden  der  Gesellschaft  wurde  Herr  Professor 
H01der-Stattgart  nnd  sa  dessen  StellTertretem  die  Heirea  Professoren 
Virckow  nnd  Waldeyer-Berlin  ernannt 

Am  zweiten  Sitzungstage  sprach  zunächst  Herr  Professor  Jentsch- 
Königsberg  über  die  geologischen  Veiliältnisse  Westpreußens,  darauf  hielt 
Herr  Professor  Montelins-Stockholm  einen  Vortrag  über  die  Chronologie 
der  jüngeren  Steinzeit  in  Skandinavien.  Mau  kann  drei  Perioden  unterscheiden, 
die  Zeit  ohne  Orftber,  die  Zeit  der  Gang>  nnd  Stelnkistengrftber  nnd  die  Zeit 
der  Hfinengrttber  mit  aufgetragenen  Httgeln.  Es  folgte  dann  ein  Vortrag  des 
Herrn  Stadtrath  Helm-Danzig  über  die  chemische  Zusammensetzung  der 
westpreußischen  Bronzen.  Hieran  knüpfte  I>i'.  Mrchow  einige  Bemerkungen 
über  kaukasische  und  transkaukasische  Alter  thumer  und  über  die  Siemeuü'schen 


Digitized  by  Google 


—   43  — 


Kupferbergwerke  im  Eankasn«.  Naeh  einer  Pause  begann  die  anatomlsdie 
Sitznng.    Professor  Waldeyer-Berlin  zeigte  die  sogenannte  Beil'scbe  TafeL 

und  die  Syloi'sche  Furche  des  Gibbon  und  spracli  über  dieselben  Bildungen  bei 
den  übrigen  menschenälinlichen  Affen.  Sodann  stollte  Herr  Dr.  Lissauer- 
Danzig  einen  Fall  von  erblicber  Zwerghaftigkeit  vor.  £iue  lebhafte Diskua- 
sion  knüpfte  sich  an  den  Fall. 

Abb  dritten  SitaimgBtage  dee  Coogreaiea  entwickelten  sieh  lebhafte  Er- 
örternngen  über  die  Schädelbildungen.  Es  betheiligten  sich  hieran  besonders 
Professor  Ealil-Graz,  Professor  Dr.  Banke-Mttnchen,  Dr.  Mies-Berlin, 
Professor  Szoiubathy-Wicn  und  Virchow.  Dr.  Mies  zeie-te  ein  nenes  Ver- 
fahren zu  Schädelmessungen.  Über  einen  archäologischen  Fund,  eine  Bronze- 
Situla,  geflmden  bei  Oottweig  in  Nieder^sterreieb,  berichtet  Herr  Dr.  Siom- 
batby-Wien.  Wena.  knt^ten  sidi  ErOrterangen  Aber  die  Herowinger-Flbel 
von  Sanitfttsrath  Dr.  Grempler-Breslau.  Nach  einer  Erholungspanse  Icigte 
Herr  Marinearzt  Dr.  Baschan-Kiel  eine  Sameneammlang  priUnstorischer 
Pflanzen  vor,  deren  Zahl  jetzt  120  beträgt.  Hierauf  sprach  Herr  Professor 
Dr.  Dorr-Elbing  über  die  zahlreichen  Umenfunde  und  Steinkistengräber 
seiner  Gegend.  Diese  Grtber  bergen  manche  Sehmnckgegenstande,  welche  aUe 
beweisen,  dass  die  dortigen  Völker  mit  den  Griedien  und  Römern  schon  vor 
christlidier  Zeit  in  lebhaftem  Handelsverkehr  gestanden  haben.  Auch  eine 
Bronzeniüüze  von  Hiero  II.  von  Syrakus  befindet  sich  seit  6  Jaln  en  im  Besitze 
des  Alterthumsvereins  in  Elbing.  Zum  Schlüsse  folgten  noch  Keterate  von  Dr. 
Liasaner-Danzig  über  den  Formenkreis  der  slaviscben  Schläfenringe,  von 
Dr.  Dayids-Insterbnrg  Aber  die  orientaUachoi  Quellen  nnd  von  Rechts- 
anwalt Kleinschmidt-Insterbnrg  Aber  ostpreußische  Schulzenstöcke.  Herr 
Professor  Waldeyer  schloss  die  Sitzunj^en  nm  4  Uhr  mit  Dankesworten  an 
alle  Personen  nnd  Vereine,  welche  zu  dem  guten  Verlaufe  des  22.  Congresses 
beigetragen  haben.  Am  folgenden  Tage  wurden  das  Kloster  Oliva,  der  Carls- 
bergi  die  Flotte  bei  Zoppot,  die  Landzunge  Heia  besucht»  nnd  in  den  linlgendea 
Tagoi  auch  der  Marienburg,  den  Steinldstengrftbeni  in  der  DVrbecker  Schweis 
nnd  bei  Lenzen  Oerels  Elbin^)  nnd  dem  Alterthums-Mnsenm  „Prussia'*  in 
Königsberg-  ein  Besuch  gemacht.  Die  fremden  nnd  zum  Tlieil  recht  weit  ge- 
reisten Giiste  rechneten  Femsichten  über  bew  aldete  Hügel  und  das  naheliegende 
Meer,  wie  vom  Cai-lsberge  bei  Danzig  und  von  Lenzen  bei  Elbing,  zu  den 
sehOnsten  in  Europa.  Alle  kehrtm  yoU  befriedigt  Ton  den  wissenscbaftlichea 
nnd  Natnigenfissen  in  ihre  fleimat  nnriick. 

Von  der  Weichsel.  Bericht  über  die  X.  Westpreußische 
ProTinslal-Lehrerversammlnng  in  Dt.  Krone  vom  29.  bis  31.  Jnlt 
Das  vorige  Jahr  war  fBr  die  Lehrenrereine  insofern  von  hoher  Bedeutung, 

als  es  CWogenheit  gab,  die  Wiederkehr  des  100jährigen  Geburtstages  Adolf 
Diesterwegs  zu  feiern.  Die  Erfolg-e  des  „Diesterweg-Jahres"  sind  höclist  er- 
freulich. Der  deutsche  Lehrerverein  ist  seinem  Ziele,  alle  deut.sclieii  Lehrer  zur 
zielbewussten  Vertretung  der  lutereüseu  der  .Schule  und  des  Standes  zu  vereinigen, 
erheblich  nfther  gttAckt.  Die  Zahl  seiner  Hitglieder  stieg  von  38912  anf 
44141.  Schon  im  Jahre  zuvor  fand  eine  Vermehmng  der  Mitglieder  um  6907 
statt  und  zwar  wesentlich  dnrch  den  Eintritt  g:anzer  Landesvereine,  wie 
Württemberg,  Gotha,  Waldeck  u.  a.  Im  Jahre  1890  erfolgte  zwar  kein  Bei- 


Digitized  by  Google 


—  44  — 


tritt  dnes  ganaeit  VerlModet,  daflr  war  alwr  das  innere  Wachstlitiiii  vm  to 

stärker.  Die  Vennehrang  der  Mitgliederzahl  om  5229  entfällt  fast  ansschließ- 
lioh  anf  die  Lehrorverbliude  in  den  Provinzen  Preußens.  So  stieg  dieselbe 
in  üstpreuüen  uni  iiUO  auf  2500.  in  Sachsen  um  79Ü  auf  3883,  in  derRliein- 
provinz  um  622  auf  2380,  in  Schlesien  um  bOO  auf  5600,  in  Brandenboi^ 
um  433  anf  3618,  in  Westpreoßen  nm  404  anf  1780,  in  Posen  nm  408  anf 
1557,  in  Pommern  um  3(X)  auf  2300  und  in  Westfalen  um  273  auf  1296. 
Dieses  erhebliciie  Waclistljtim  berechtij^t  zu  der  Hoftnung,  dass  die  deiitsclie 
Lehrerschaft  an  der  wirksamen  Verfolpimo:  ihrer  gemeinsamen  Interessen 
durch  die  versuchten  confessiunelleu  Spaltungen,  wie  sie  in  der  Begründung 
kathoUaehar  Lehramtbltaide  za  Tage  tritt,  nicht  behindert  werden  wird. 

Auch  in  der  Prorins  Weatprenilen  hat  das  Lehrer-Vereinsweeen  in  den 
letsten  Jahren  einen  bemerkenswerten  Aufschwung  genommen.  Der  im  Jahre 
1873  gegründete  Provinzial-Lehrerverein  unifasst^  1885  erst  7(X)  ^litclieder 
in  28  Vereinen,  und  im  vorigen  Jahre  betrug  die  Zahl  der  Mitglieder  bereits 
1780,  welche  sich  aui  80  Localvereine  vertheilen.  Fast  alle  Landrathskreise 
Westprenflena  alnd  Jetxt  im  Prorinzial-Lehrerrereine  yertreten,  wenngleieh 
die  Vereinathltigkeit  noch  Me  und  da  nicht  rege  gonng  ist.  Dies  gilt  nament- 
lich auch  vom  westlichen  Theile  der  Weichselprovinz.  Um  dort  unter  den 
Lehrern  neue  Kräfte  für  das  Vereinswerk  zu  gewinnen,  wurde  als  Ort  der 
diesjähi  igen  Provinzial-Lehrer- Versammlung  das  Städtchen  Dt.  Krone  gewählt. 
Die  Bürgerschaft  bereitete  den  Gästen,  gegen  300  au  der  Zahl,  einen  sehr 
hensUohen  Ehnpfang. 

Für  die  Hauptversammlung  am  30.  Juli  war  der  Vorstand  aus  den  Herren 
Hauptlehrern  Mielke  I.-Danzig.  Jaffa-Dt.  Krone  und  Kandulski-Briesen  gebildet. 
Zwei  Vortrüge  wurden  in  derselben  gehalten:  Über  den  Geschichtsunterricht 
in  der  Volksschule  vom  Coilegen  Meyer-Bankau  und  über  die  allgemeine  Volks« 
aehnle  vom  (ÜoUegen  VanselowoElbing.  Der  erste  Vortrag  bot  neben  vielem 
Bekannte  auch  einiges  Nene.  So  liorderte  der  Beferent,  dass  der  Geschiehts- 
nnterricht  bereits  auf  der  Unterabtheilung  beginnen  solle  mit  den  Geschichts- 
bildern j.Mein  Leben".  ,.Mein  Vaterhaus''  und  „Mein  Kaiserhaus  "  Die  Aus- 
führungen waren  ziemlich  gesucht,  so  dass  die  Mahnung  des  Coilegen  Kuhn- 
Marienburg,  den  Unterricht  doch  ja  nicht  zu  künstlich  gestalten  zu  wollen, 
sehr  am  Piatze  war.  Anch  bcKfiglich  des  jetzt  mr  Kode  gewordenen  „Bfick- 
wirtsscbreitena**  wurde  Redner  in  die  gebfirenden  Grenzen  verwiesen. 

Der  zweite  Redner,  College  Vanselow,  behandelte  das  Thema:  „Die  all- 
gemeine Volksschule  mit  Rücksicht  auf  die  sociale  Frage"^  mit  hohem  Eifer 
recht  geschickt.  Redner  führte  aus,  dass  die  sociale  Frage  in  ein  Stadium 
getreten  sei,  in  dem  sie  dringend  LSsnng  erheischt.  Alle  GaltariSactoren  werden 
dabei  rar  HithilfiB  aufgefordert,  vor  allem  die  Schule.  Diese  thnt  aber  mir 
Lösung  der  socialen  Frage  nichts,  im  Gegentheil,  sie  versclilimmert  das  ÜbeL 
Der  Besuch  der  bestehenden  höheren  und  niederen  Schulen  hängt  nicht  ab  von 
den  Fälligkeiten  der  Schüler,  sondern  von  dem  Geldbeutel  der  Väter.  Dass 
nur  ja  nicht  das  Kind  des  Reichen  neben  dem  des  Armen  sitzt!  Ks  kiinnte  ja 
Tidleioht  Ungeaiefer  bekommen.  Mindestens  wfirde  es  durch  den  Umgang  mit 
dem  Kinde  des  Plebejers  nnd  Proletariers  in  seiner  Würde  erniedrigt  werden. 
Das  sind  \'(aurtheile.  die  wir  heute  nicht  nur  unter  den  oberen  Zehntausend, 
sondern  auch  in  den  breiten  mittleren  Schichten  der  Bevölkerong  finden.  Diese 


Digitized  by  Google 


—   45  — 


Vornrtheile  erhalten  die  jetzigen  Schnleinrichtungen.  Daneben  sind  dafür  maß- 
gebend das  Geld,  die  Stände  und  die  Mode.  Es  ist  heute  geradezu  modern 
geworden,  dass  der  Reiche  seinen  Sohn  in  das  Gymnasium  schickt,  wenn  er 
sich  «neb  mit  Mtthe  und  Noth  dardi  die  Wiftwitna  windet  und  den  Eltern  groBe 
Kotten  ▼emrsacht.  Man  darf  die  heutigen  Sdinleinrichtnngen  nicht,  wie  es  zu- 
weilen geschieht,  deshalb  für  gnt  halten,  weil  sie  alt  sind.  Nicht  das  ist  gnt, 
was  alt  ist,  sondern  nur  das,  was  von  der  kritischen  Wrnunft  für  trut  befunden 
wird.  Unsere  Schulen  aber  reißen  die  Jugend  auseinander  und  eutl'remden  sie. 
Die  El&fte  swisehen  den  StBaden  werden  dadurch  Mut  übeitrBekt»  Mmdem 
erweitert  Es  ist  dahin  gekommen ,  dass  wir  außer  Beichen  nnd  Armen  Ge- 
bildete und  Ungebildete  haben.  Auf  der  einen  Seite  stditdas  grolle  Heer  derer, 
die  in  den  Gymnasien  an  den  Brüsten  des  Alterthnms  gesogen  haben  und  häutig 
mit  dem  Dünkel  behaftet  sind,  in  den  Gymnasien  das  Nonplusultra  des  Menschen- 
thums geleiirt  erhalten  zu  haben,  auf  der  anderen  Seite  die  große  Masse  des 
"VoSktM,  das  aaller  Lesen,  Sdireiben  vnd  Rechnen  wenig  Bildvng  in  das  Leben  mit- 
genommen hat.  Jene  sehen  mit  Verachtung  auf  das  Volk  herab,  nnd  dieses  ver* 
steht  seine  Gelehrten  und  Forscher  nicht.  Es  ist  durch  die  verschiedenen  Grade 
der  Bildung  eine  innere  Entfremdung  herbei^reführt,  wie  die  Stände  eine  äußere 
verursaclit  haben.  Nach  Schmoller  liegt  der  letzte  Grund  aller  socialen  Ge- 
fahren nicht  in  der  Dissonanz  desBesitses,  sondern  in  den  Bildnngsgegensfttzen. 
Angesichts  dieser  Thatsachen  nnd  Wahrheiten  kann  es  kanm  bestritten  werden, 
dass  die  heutigen  Schuleinrichtungen,  welche  anf  der  Absondemng  der  Stände 
bpnihen,  einer  befriedigenden  Lösung  der  socialen  Frape  entgegenstehen.  Die 
Pädagogik  erkennt  und  fühlt  die  Schwilclie  unserer  heutigen  Schulen  der  socialen 
Frage  gegenüber.  Darum  bringt  sie  so  zahlreiche  Keformvorschläge  zur  Ab- 
hilfis  hervor.  Damm  fordert  sie  iiente  mehr  denn  je  die  allgemeine  Volksschnle» 

Die  Idee  der  allgemeinen  Volksschnle  ist  nicht  nen.  Schon  Ckmenins  hat 
die  allgemeine  Volksscliule  im  Geiste  gesehen,  Pestalossi  sie  geahnt,  Fichte  in 
seinen  Reden  an  die  deutsche  Nation  gepredigt,  Diesterweg  sein  Leben  für  sie 
eingesetzt.  Der  Begeisterung,  mit  welcher  dieser  große  Meister  unserer  Pä- 
dagogik dafür  eintrat,  schien  es  zu  gelingen,  ihr  Bahn  zu  brechen.  Ihre  Freunde 
jnbdten  anf,  als  nnter  Falk  die  Simnltanschnlen  eingerichtet  wurden.  Nun 
glaubte  man  die  Hoffnung  auf  die  allgemeine  Volksschule  der  Erfüllung  nahe. 
Aber  Herr  von  Puttkamer  zerschnitt  der  Simultanschule  den  Lehonsfadt  n. 
Doch  wurde  die  Idee  der  allgenieinm  Volksschule  dadurch  nicht  todt  gemacht. 
Sie  lebte  weiter,  und  je  schärfei*  sich  die  sociale  Frage  zuspitzte,  je  lauter  der 
Schrei  nach  Beseitigung  der  bestehoiden  socialen  UissTerhSltnisseertOnte,  desto 
mehr  bemächtigte  sich  diese  Idee  der  breiten  Masse  des  Volkes.  Sie  lebt  hente 
nicht  nur  in  unserer  Pädagogik,  sie  lebt  in  unserer  modernen  Literatur,  sie 
lebt  in  der  Socialpolitik,  und  Männer,  wie  Dittcs  Clansnitzer,  Seytfarth,  Fröhlich, 
.Johannes  Meyer  stehen  nicht  vereinzelt  da  im  Kampfe  um  dieses  alte  und  noch 
immer  nicht  mündig  erklärte  Kind  unserer  Pädagogik. 

Redner  sdiloss  mit  folgenden  Thesen: 

1.  Die  gegenwärtige  Organisation  unserer  Schnlanstalten,  welche  anf  der 
Absonderung  der  Stände  beruht»  Steht  einer  befriedigenden  LOsnng  der 
socialen  Frag-e  entgegen. 

2.  In  der  allgemeinen  Volksschule  ist  eine  gemeinschaftliche  Bildungsstätte 
für  das  ganze  Volk  einzorichten.  Dieselbe  muss  von  allen  Kindern  ohne 


Digitized  by  Google 


Unterschied  der  Stände  und  Confessionen  mindestens  bis  zum  12.  Lebens- 
jahre besucht  werden  und  mit  allen  soustigeu  Schulanstalten  organisch  ver* 
bimden  Min. 

8.  Es  liegt  im  Wesen  der  allgemeinen  Volkflsohnle,  dABs  die  bemetade 

Macht  des  Capitals  bei  der  Jngend  gebrochen  ond  auch  dran  Snustoi 
Kinde  eine  seinen  Anlagen  nnd  »einem  Fleite  eoteprechende  Bildaog  zn- 

gilnglich  gemacht  werde. 

4.  Die  allgemeine  Volksschule  würde  als  eine  deutsch-nationale  Einheits- 
schule wesentlich  zur  Überbriickung  der  Standes-,  £eligions-  und  Partei- 
nnterachiede  beitragen  und  dadordi  unser  Volki  das  naeh  anBen  stark 
nnd  einig  dastehti  anch  innerlich  starken  nnd  einigen. 

5.  Weil  inr  LSsnng  der  soeialen  Frage  eine  hdhere  wirtsehaftUche  nnd 

rechtskundliche  Bildung  unerlässlich  ist,  muss  die  allgemeine  Volksschule 
volkswirtschaftliche  nnd  gesetzeakondliche  Belehrungen  in  ihren  Lehr> 
plan  aufnehmen. 

6.  Durch  Eiunihrong  des  Arbeitsunterrichts  würde  eine  gerechtere  Beor- 
tiieilnng  der  Arbeit  efsielt  mid  damit  gleiehUsUs  zor  LOenng  der  socialen 

Frage  beigetragen  werden. 

7.  Die  nilgemeine  Volksschule  bedingt  eine  gleichmBBigwe  Bildung  nnd 
Besoldung  aller  Ijchrer. 

In  der  dem  Vortrage  folgenden  Besprechung  führte  College  Schreiber- 
Danzig  aus,  dass  er  die  Durchführung  der  allgemeinen  Vollcsschule  für  unmöglich 
halte;  denn  eine  Mdnngsgleichheit,  die  nach  den  AnslBhmngen  des  Bedners 
mehr  als  Gütergleieliheit  den  Classenhass  verschwinden  maehen  kSnne, 
könne  doch  nicht  auf  der  Grundlage  der  Einheitsschule  eneiclit  werden. 
Derartige  Versuche  der  Sclinlrrform  würden  den  socialen  Eiss  eher  erweitem, 
als  schließen.  Die  Debatte  schloss  mit  der  Annahme  des  Satzes:  ..Die  Ver- 
sammlung hält  die  Forderung  der  Organisation  einer  allgemeinen  \'olks8chule 
insoweit  anfireoht,  als  damnter  eine  gleicfamSBige  Einriebtnng  des  Unterrichts 
in  den  asten  Schn^abren  nnd  somit  eine  einheitliche  Grundlage  des  gesammten 
Schulsystems  verstanden  ist."  —  Bemerken  wollen  wir  noch,  dass  zuvor  der 
Antrag:  ,.Die  Versammlung  erblickt  in  der  Durchführung  der  allgemeinen 
Volksschule  ein  wesentliche.s  Mittel  zur  befriedigenden  Lösung  der  socialen 
Frage''  mit  geringer  MeO^'i'ität  (109  gegen  103  Stimmen)  abgelehnt  worden  war. 

Der  letxte  Tag,  der  31.  Jnli,  war  gans  dem  Frovinsial-Lehrerverein 
gewidmet,  zu  dessen  Delegirten-Versammlnng  52  Vereine  zusaininr-n  11(>  Ver- 
treter entsendet  hatten.  Der  vom  Vorsitzenden  erstattete  Jahresbericht 
lautete  recht  erfreulich:  Der  Verband  ist  um  ö  Vereine  mit  IMO  Mitgliedern 
gewachsen  und  umfasst  jetzt  86  Local vereine  mit  1950  Mitgliedern.  Wären 
nicht  4  Zweigvereine  mit  ihren  Beitrugen  im  Bttckstande  geblieben,  so  hätte 
der  Frovfnsialverein  bereits  mehr  als  2000  Mitglieder. 

College  Cliill-Thorn  hielt  einen  Vortrag  über  die  Frage:  Ist  es  wünschens- 
wert, dass  die  Westpreußischen  Provinzial-Lehrerversammlungen  in  Lehrertage 
umgewandelt  werden,  auf  denen  nur  die  gewählten  Vertreter  der  Vereine 
Stimmrecht  haben,  wähi-end  das  Hecht  der  Berathuug  allen  Theilnehmern  er- 
halten bleibt?  —  Bedner  verglich  die  Lehrervereinsverhftltnise  Deutschlands  mit 
denen  der  Provinz  Westprenfien,  verlangte  Ar  letstere  die  SchalAuig  einer 


Digitized  by  Google 


—   47  — 


Havptversammlang  entsprechend  dem  deutschen  Lehrertage  und  fasste  seine 
Grflnde  in  folgende  SStase  «umihhhh; 

1.  Ohne  untere  Vereinsorganiaation  kommt  eine  ProvlBrial-Lehrerversanun- 

Inng  nicht  mehr  zustande.  Damit  der  FroTinsial-Lehrerverein  seinem 
Zweck  ..Fördernng  der  Interessen  der  Volksschnle  nnd  des  Lelirerstandes" 
ganz  entspricht,  mnss  seine  Delegirten-Versamnilung  so  ausgedehnt  wer- 
den, dass  sie  auch  aligemein  pädagogische  Tagesfragen  erörtern  und  dar* 
ttber  beseUieBen  kann. 

2.  Die  Beschlüsse  der  Provinzial-Lehreryenanunlnng  können  weder  als 
Ausdruck  der  Lehrerscliaft  Westpreußens,  noch  als  der  des  Provinzial- 
Lehrervereins  g^eltPii,  da  sie  stets  vom  Orte  der  Versammlung  nebst 
Umgegend  stark  beeinflusst  werden.  Nur  durch  einen  Deiegirtentag 
lässt  sich  die  Metnong  der  Qesammthelt  mveniehtUeh  ennittdn,  weil 
dieser  der  Idee  einer  glelfthmiÜHg  Uber  alle  Besirke  der  FroTins  besw. 
des  Vereinsgebietes  vertheiltcn  Lehrerversammlung  entspricht. 

3.  Da  der  Provinz! al-Lehrerverein  jetzt  ausschließlich  nicht  nur  für  das 
Zustandekommeu  der  Provinzial-Lehrerversammlung,  sondern  auch  für 
geeignete  und  grüudlich  vorbereitete  Verhandlungsgegenstände  und  He- 
ferenten  Sorge  trägt,  liegt  kein  Hindernis  Tor,  dieselbe  ganz  in  den  Dienst 
des  Yereinsrerbandes  za  stellen  nnd  ihr  durch  EinfDhmng  des  beschiCnk- 
ten  Stimmrechts  ganz  den  Charakter  eines  Lehrertages  zu  geben. 

4.  Ein  Lehrertae"  mit  beschränktem  Stimmrecht  verbürgt  sorgfältigere  Ver- 
handlungen und  Beschlüsse  als  eine  allgemeine  Lehrerversammlung, 
namentiich  wird  dorch  ihn  die  Gefahr  einer  voreiligen  Beschlosefassnng 
▼ennindert  nnd,  Hills  die  VerhandhmgsgegenstSnde  von  allen  Vereinen 
g^ndlich  vorberathen  sind,  wol  ganz  beseitigt. 

Die  kurze  Debatte  über  den  Vortrag  fiilirte  zu  dem  Beschluss,  denselben 
den  Localvereinen  zur  Berathung  zu  überweisen,  um  dann  auf  der  nächstjährigen 
Delegierten- Versammlung  die  Sache  endgültig  zu  erledigen. 

Die  beiden  in  der  Provinz  Westprenßen  bestehenden  Pestalozzi-Vereine 
sind  seit  dem  1.  Oetober  J.  m  einer  Beehtscasse  für  Lehrer-Witwen  nnd 
Waisen  verschmolzen.  College  Spiegelberg-Elbing  berichte  über  die  "Fort- 
schritte  des  neuen  Ppstalozzi-Vereins.  Ans  den  alten  Vereinen  sind  265  nnd 
386  Mitglieder  über-  und  außerdem  164  Collegen  neu  eingetreten,  so  dass  sich 
die  Zahl  der  Mitglieder  bereits  anf  815  mit  4257  Mk.  Jahresbeiträgen  beläuft. 
Die  behördliche  Bestfttignng  des  Statuts  für  den  nenen  Verein  ist  in  niehster 
Zeit  zu  erwarten.  So  erfreulich  dieser  Bericht  lantet,  so  traurig  sind  die 
Mittheilung:en.  welche  über  den  Emeriten-Unterstütznngsverein  am  ersten 
Verhandlungstage  gemaclit  wurden.  Dessen  Mitgliederzahl  ^^elit  von  Jahr  zu 
Jahr  zurück  und  beträgt  heute  nui*  ca.  4(X),  kaum  die  Hälfte,  wie  vor  12  Jahren. 
Das  kommt  daher,  weil  viele  Collegen  glauben,  der  Verein  sei  nach  Inkraft- 
treten desPenzionsgesetzes  überilttssig.  Das  ist  aber  ein  Irrthmn;  denn  entlich 
ftDt  hente  noch  sehr  oft  die  Pension  eines  Lehrers  sehr  kärglich  aus,  und 
zweitens  pribt  es  noch  manche  EmeriteUf  die  vor  dem  nenen  Fensionsgesetze 
in  den  Kuhestand  getreten  sind. 

Die  nächstjährige  Westpreußische  Provinzial-Lehrerversammlung  findet 
in  PtenAisch-Stugardt  statt 

Zn  Vertretern  des  Westprenßischen  Provinzlalvereins  anf  dem  nächsten 


Digitized  by  Google 


—  48  — 


deatschen  Lehrertage  sind  powälilt:  Hauptlelirer  Mi«'lkp  l-]yd\y/Ag,  Landwirt- 
schafteschnllebrer  Kuhn-Marienburg,  Lehrer  Adler-Ni  utahrwassi  r.  Haupt lehrer 
Spiegelberg-Elbing,  Mittelschullehrer  Dreyer-Thorn,  Töchterschullehrer  Back- 
hau-KonitK  und  Hanptlehier  Bolü-Ohia;  m  Vermtem  auf  dem  FlwifliMdieii 
Lehrartage  die  2  zuerst  genaonten  Henen  nnd  Lebrer  M^er-Bankaii  uid 
Lehrer  KneebteloGollab. 

Der  VU.  Blindenlehrer-Cougress  in  Kiel  vom  3.  —  7.  Angaet  1891. 
Die  Vereammlmigeii  der  Leiter  und  Lehrer  von  Blindenanstalten  finden  .leit 

1873  regelmlißig  in  dreljlhllgenZwiMhMiiftamen  statt,  sind  also  nuchjünireren 
Datanis.  Das  kann  um  so  weniger  befremden,  als  auch  die  Blindenanstalten 
selbst  erst  eine  Erruiitrenscliaft  der  Neuzeit  sind.  Bis  /.um  Knde  des  vorigeu 
Jahrhunderts  wusste  mau  mit  den  des  Augenlichts  Beraubten  uichtä  anzufangen; 
ddi  tdhal  sor  Last,  der  IHfentUeben  Amenpflege  oder  den  Verwandten  rar 
Bflrde,  waren  sie  daan  Terarthellt,  in  doppelter  FinttemiB,  in  der  trostloseBten  Ode 
nnd  der  tödlichsten  Langeweile  ihre  Tage  zu  verbringen.  Erst  im  Zeitalter 
der  Aufklilrung  gelang  es  edlen  Menschenfreunden,  durch  Erfindung  des  Bücher- 
drucks in  erhabenen  Scliriftzeichen,  sowie  durch  Herstellung  sinnreicher  Schrcib- 
und  anderer  Apparate  dem  Blinden  die  Thore  zu  öü'ueu,  durch  welche  auch 
seinem  Geiste  ein  geeigneter  Bildongsstoif  lagefKhrt  werden  kann.  AllmUüieh 
sind  diese  Lehrmethoden  derartig  vervollkommnet,  dass  es  gegenwärtig  möglich 
ist,  blinden  Kindern  eine  Ausbildung  zu  geben,  die  derjenigen  völlig  gleich- 
wertig ist,  welche  von  der  Volks-  und  Bürgerschule  vermittelt  wird.  Auf  diesem 
üebiet  hat  die  Erziehungskunst  Triumphe  zu  verzeichueu,  wie  sie  früher  auch 
nicht  annfthemd  nnr  geahnt  worden  sind.  Was  heute  derHindennuteniidit  ra 
leisten  vermag,  ist  indes  nnr  In  Spedalscholen  in  «rreidien,  die  alle  Voikeli- 
rnngen  und  Einiiditongen  den  dordidie  Blindheit  bedingten  Eigenthümlichkeiten 
ihrer  Zöglinge  anzupassen  vermögen.  Derartige  Specialanstalten  zur  Ausbil- 
dung Blinder  sind  denn  auch  überall  ins  Leben  gerufen;  ihre  Zahl  betragt  für 
Deutschland  z.  Z.  etwa  30.  Die  meisten  dieser  Anstalten  hatten  zu  dem  Kieler 
Oongress  ihre  Vertreter  entsandt,  denen  Fachgenossen  ans  dem  Auslände,  ans 
England,  Frankrdeb,  Holland,  Bnisland,  besonders  zahlreich  aus  Österreich  und 
dem  benachbarten  Dänemark  sich  ansclilossen.  Die  Ges:immtzahl  der  Gongrets- 
theilnehmer,  die  Gilste  einq-eschlos-sen.  betrug  reichlich  1<M». 

Der  Zweck  dt>r  Bliudeulehrer-Congresse  besteht  naturgemäli  iu  der  weiteren 
Aasbildung  aller  Vorkehrungen  nud  Veranstaltungen  zum  Unterricht  der  Blinden, 
in  der  WeiterentwicUnng  der  Kunst,  Blinde  fttr  einen  Lebensberuf  henuuro- 
bilden.  Aber  wir  Blindenlehrer  sind  leider  noch  in  der  Lage,  einen  Neben- 
zweck, den  die  Congressc  bisher  gehabt  haben,  niclit  ganz  aus  den  Augen  ver- 
lieren zu  diirtt'H.  den  luimlich,  Propaganda  zu  machen  für  die  Bliinieiisaclie. 
Man  hat  sich  allmählich  daran  gewöhnt,  alle  Vorgänge,  Zustände  und  Ein- 
richtungen des  Öffentlichen  Lebens  von  sodalpolitischen  Gesichtspunkten  aus 
zu  beurtheilen.  Nun  liegen  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Bestrebmigen  rar 
Hebung  der  Blindenbildnng  noch  weite  Strecken  unangebaut,  viele  Hunderte  von 
Arbeitskräften  im  Volke  müssen  gleichsam  latent  bleiben,  viel  ^lenschengliick 
lässt  sich  hier  noch  begründen.  Auf  der  Arbeit  beruht  aller  Culluifi'itschritt 
der  Menschheit  als  (ianzes,  sie  ist  auch  die  Quelle  jedes  wahren  Glückes  für 
den  Einzelnen.  Bin  Leben  wird  vom  Psalmisten  als  köstlich  gepriesen,  wenn 


Digitized  by  Google 


—  49  — 


es  Mühe  nnd  Arbeit  gewesen.  Weil  die  civilisirte  (iesellscliaft  (»liiio  Arbeit 
oiclit  bestellen  kann,  ist  jeder  znr  Arbeit  vt  iiitiicUtet.  Aber  jeder  Pllieht  ent- 
spricht ein  Recht.  Der  Ptiicht  zur  Arbeit  entspricht  ditöliecht  zur  Antheiluahme 
an  den  Segnungen  denelben.  Hat  man  dieses  Recht  doch  selbst  dem  Sträfling, 
dem  Verbrecher  angestanden.  Nur  dem  Blinden  wird  es  bisher  noch  vorent' 
halten.  Da  sind  es  denn  die  Blindenlehrer,  die  auf  ihren  Versammlungen  die 
hohen  Staats-  und  l'rovinzialbehörden  eindrintrlich  tlaraii  iiialiiuii.  dass  alle 
Blinden  auf  eine  geordnete  Erziehung  in  einer  Anstalt  ihr  gutes  Aurecht  haben; 
dass  sie  kein  Almosen,  keine  lebenslängliche  Verpflegung  wollen,  wol  aber 
wlhrend  ihrer  Jngendseit  di^enige  ünterweisnng  beanspruchen,  die  sie  in  den 
Stand  setzt,  später  ihr  eigenes  Brot  essen  zu  krmiien:  kurz,  dass  die  Devise 
aller  Blindenbildunsr  lautet:  Hilfe  zur  Selbsthilfe!  —  Diese  Art  von  Propa- 
ganda übte  ffleicli  ib  r  1.  N'ortrag  aus,  den  Uircctor  Meckor- IHueii  über  den 
„ Anstaltszwaug  füri>liude"  hielt.  DerKefereut  betont,  dans  derCougress 
ni  Kiel  die  Fordening  betr.  EinfUhnrng  des  Anstaltsiwanges,  in  der  alle 
Bündenpldagogen  einig  sind,  wiederom  feierlich  verkllndigen  nnd  eingehend 
befinden  mflsse,  weil  in  verschiedenen  Staaten,  namentlich  in  PreuBen,  die 
nenesten  Untprrichtsgesetze  bezw,  Gesetzentwürfe  dieser  Forderung  keine  Rech- 
nung tragen.  Zur  Widerlegung  der  Bedenken,  welche  der  Einführnni?  des 
Anstaltszwanges  entgegenstehen,  wird  ausgeführt,  dass  die  per6Üuiiche  Freiheit 
durch  den  Anstaltsawang  nicht  mehr  eingesehrSnkt  wfa^,  als  es  die  Rücksicht 
auf  das  W'ul  des  Einzelnen  nnd  der  Gesammtheit  erfordert,  nicht  mehr  als 
dorch  den  allgemeinen  Schulzwang,  die  Militärpflicht,  den  Impfzwang  etc.  Die 
Liebe  der  Eltern  zu  ihren  Kindern  wird  nicht  in  ungebiirlicher  Weise  ver- 
letzt. Die  Anstalten  können  durch  Propagandamacheu  allein  nicht  alle  bil- 
dnngsf  fthigen  Blinden  an  sich  ziehen,  es  bleibt  immer  noch  ein  Rest  von  Enrz- 
aichtigkdt  nnd  Eigennnta,  der  nnr  durch  Gesetzesawang  ttberwnnden  werden 
kann.  Die  Mittel,  welche  zur  Errichtung  und  ünterhaltang  genügender  Anstalten 
erforderlich  sind,  können  beschafft  werden  und  lohnen  sich  zehnfach  duich  die 
erzielte  Erwerbsf  ilhigkeit  der  Blinden.  Die  Ausbildung  der  Hliiulen  kann  naeh 
Ansicht  des  Referenten  in  der  Volksschule  nicht  bewirkt  werden,  weil  diese  in 
den  ihr  gesetalieh  Toigesehriebenen  Fftchem  die  Blinden  nicht  genügend  unter- 
richten kann;  weil  dieselbe  viele  der  Blindenschule  eigenthlimliehen  und  für  eine 
normale  Ausbildung  der  Blinden  anentbehrlichen  Filclier  ^mt  niclit  leliH  :  weil 
die  Volksschule  nnd  auch  .sonstige  Anst;il(fii  der  Sehen<len  ih-ii  Ulinden  die 
nöthigc  technische  Berufsbildnng  nicht  geben  können;  weil  endlich  die  Volks- 
schule und  sonstige  Einrichtungen  die  nütbigc  Unterstützung  der  ausgebildeten 
Blinden  nicht  auszuüben  vennUgen.  Aus  all  diesen  Gründen  wird  die  Resoluticn 
beantragt:  „Es  sind  in  allen  Staaten,  in  welchen  allgemeiner  Schnlzwang  be* 
steht,  ans  öffentlichen  Mitteln  nach  Zahl  nnd  Einrichtung  genügende  Blinden« 
nnterricht^anstalten  zu  gründen  nnd  zu  unterhalten,  und  alle  Blinden  unter 
ähnlichen  Bedingungen,  wie  die  Sehenden  zum  Besuche  der  Volksschulen,  durch 
Gesetz  zum  Besuche  dieser  Specialanstalten  zu  verpflichten.'* 

Biese  Resolution  wurde  einstimmig  angenommen.  In  betreff  ihrer  weitermi 
Behandlung  nnd  Verwertung  wird  l)eschlo88en,  dass  dieselbe  von  jedem  Anstalts- 
vorsteher mit  einem  besonderen  Bericht  über  die  Lage  des  Blindenwesens  in 
dem  betreftenden  Anstaltsbezii  k  der  zunächst  vorgesetzten  Vei  waltnngsbehJirde 
ZOT  instanzmäBigen  t^bermittelong  an  das  Unterrichtsministerium  überreicht 

PoMlsgogiaai.   U.  Jahrg.   Heft  1.  4 


Digitized  by  Google 


—  60  — 


werde.  Wünschen  wir  der  Tetition  den  besten  Erfolg.  Der  anwesende  Ver- 
treter dea  Caltusministers,  Herr  Oberregieraugsrath  Tappen,  sagte  tliuiilicliste 
Beaehtnog  der  gemachten  VonehlSge  m. 

Die  2.  H&Dptdtsiuig  wurde  fiist  voUrtSndig  toh  der  Bentlmog  ätat  „Blinden- 
kurzBcbrift"  in  Anspruch  genommen.  Bei  einer  Kurzschrift  fdr  Blinde  handelt 
es  sicli  nm  folgendes.  Das  Puuktschriftsystem  für  Hlinde,  erfunden  von  Louis 
Braille,  hat  Raum  für  62  Zeichen,  von  denen  indes  durch  das  gewöhnliche  Al- 
phabet mit  Einschiuss  der  acceutuirten  Buchstaben  (Frankreich)  und  der  Um- 
laute  (im  Deutschen)  nur  die  grOAere  HUfte  belegt  worden  iat  In  England 
hat  man  nun  vor  20  Jahren  angefiuigeni  die  noch  fibrigen  Zeichen  für  hlufig 
vorkommende  Buchstabenverbindnngen  (en,  er,  ge,  tion  etc.)  zn  benutsen. 
Ferner  kürzt  man  Wörter  mit  größerer  Fre(}nenz  durch  den  Anfangsbuchstaben 
ab.  Diese  Art  der  Ausgestiltung  desBraille'schen  Systems — Stenographic  Braille, 
BraiUe  with  contractions  —  hat  sich  in  England  glänzend  bewährt,  sind  doch 
in  demselben  mehr  als  170  Binde  gedruckt  worden.  Das  von  England  ge« 
gebene  Beispiel  hat  N'achahmung  In  Frankreich,  Italien,  Dänemark  und  Deutsch- 
land gefunden.  In  h^tzterem  Lande  ist  es  der  selbst  blinde  Lehrer  Kn>lin  in 
Kiel  g'evvesen,  der  dem  Frankfurter  Coiigrress  ein  System  der  Kurzschrift  vor- 
legte. Es  wurde  damals  iu  einer  Commissiou  begraben,  feierte  aber  in  Amster- 
dam seine  Auferstehung  und  wurde  vor  3  Jahren  in  GVln  zur  Prftftmg  in  der 
Blindenschule  zugelassen.  Die  inzwischen  von  23  Anstalten  angestellten  Ver- 
snche  lieferten  das  Resultat»  dass  in  18  derselben  befriedigende,  gute  und  sehr 
gute  Erfolge  mit  der  Kurzschrift  erzielt  worden  sind.  Ebenfalls  durch  Ver- 
suche war  ferner  festgestellt,  dass  von  8  Anstalten  ß  bereits  auf  der  Mittel- 
stufe mit  der  Kurzschrift  günstige  Erfolge  erzielt  haben.  Auf  Grund  dieses 
Erfohrungsmaterials  beantragte  die  zur  Bearbeitung  dieser  Frage  eingetetste, 
ans  7  Personen  bestehende  Commission,  dass  die  Kurzschrift  bereits  auf  der 
Mittelstufe  in  die  Blindenschule  eingeführt  werde.  Nach  langen,  zum  Theil 
errecften  Debatten  wird  folgender  Vemittelungsantrag  angenommen:  Der  VTL 
Blindenlehrer-Congress  empfiehlt  den  Anstalten  die  weitere  Prüfüng  der  Kurz- 
schrift. Er  wünscht  die  Herausgabe  eines  Lesebuches  in  dieser  Schrift,  damit 
eine  PrQfting  mBglich  ist.  Die  bestehende  Eurzschrlftcommission  erhftlt  das 
Recht,  sich  auf  9  Mitglieder  zu  verstärken.  —  Der  nun  folgende  Vortrag  von 
Lehrer  Görnei--Lei]izie:  iilier  den  Ifandfertigkeitsunterricht  in  der  Blindenschule 
konnte  mangelnder  Zeit  li;über  leidn-  nur  ifckürzt  zu  Gehör  gebracht  werden. 
Referent  will  den  Handfertigkeitsuuterricht  auf  der  Unterstufe  als  Handgritte 
zur  Erlangung  pers5nlicher  Selbststlndigkeit;  auf  der  lUttelstnfb  als  FMtbel- 
beschsftigungen  und  deren  weitere  Anwendung  und  Verwertung  im  Schulunter- 
richt zur  Entwicklung  zielbewusster  Selbstthätigkeit;  auf  der  Oberstufe  als 
Arbeitsnnterrielit  in  der  Schillerwerk f^tätte  zur  Gewinnung  persönliolu  r  An- 
stelligkeit und  nii>c:lie]isl  vielseitiger  liandgeschicklichkeit  in  praktischen  Dingen. 
Am  .Sclüuss  des  instructiveu  Vortrages  gab  Herr  üömer  eine  Erläuterung  der 
Lehrgänge  f8r  den  Arbeitsuntenicht  der  SchQlerwerkstStte  in  Holzarbeiten,  in 
Papparbeiten  und  in  Ifetallarbeiten. 

Am  Donnerstage  hielt  Oberlehrer  Merle-Hambuig  einen  Vortrag  über  den 
Anschauungsunterricht  in  der  Blindenschule.  Wenn  diese  Disciplin  schon  für 
sehende  Kinder  von  großer  Wichtigkeit  ist,  so  bildet  sie  nach  Ansicht  des 
Redners  für  das  blinde  das  Hauptmoment  der  Erziehung,  weil  dieses  es  iiiclit 


Digitized  by  Google 


—   61  — 


in  der  Macht  hat,  seine  Anschauungen  in  nennenswerter  Weise  zu  erweitern. 
In  den  unteren  Classen  ist  der  Anscliannnefsiintorricht  daluM-  als  ffaiiptglied  des 
ganzen  Unterrichts  zu  betrachten,  in  den  oberen  so  viel  als  thnnlidi  mit  Hand- 
fertigkeitsunterricht zu  verbinden.  Der  Lelu*stoä  für  die  Fibel  uud  die  ersten 
LeBebfidur  ist  tlranlidut  dem  Lehrgange  fBr  den  Ansehanungsanterticht  an- 
naefaließen.  Die  Äuchanongniiittei  mfiaien  die  denkbar  besten  sein,  damit 
dieselben  nicht  nur  richtige  Anschannngren  vermittebi,  sondern  ancb  den  Sinn 
für  schöne  Formen  beleben  und  entwickeln. 

Im  Anschluss  hieran  sprach  Director  Kunz-Illzach  in  Elsass  über  das  Bild 
in  der  Blindenschule.  Der  Vortragende,  der  als  Herausgeber  ausgezeichneter 
Beliefkarten  in  der  Blindenweltgans  Europas  rftbmlichst  bekannt  ist,  führte  in 
kurze  das  folgende  ans:  Gute  Abbildungen  in  genügender  Zahl  erleichtem  nnd  be- 
leben den  Classen Unterricht  in  beinahe  allen  Schulfächern;  sie  ermöglichen 
unmittelbare  und  rasche  Veranschaulichung  unzahliger  GegensUlnde,  die  im 
Lese-,  Geschichts-  und  Geograpliieunterricht  zur  Sprache  kommen,  bilden  eine 
nothwendige  Ergänzung  aller  nnserer  Yeranschanlichungsmittel,  eine  Hauptstütze 
des  natnrwissenscliaftliehen  ünterrlehts  nnd  endlieh  etaie  wertvolle  lütgabe  fttrs 
Leben.  Deshalb  ist  die  Herausgabe  eines  Bilderatlasses  anzustreben.  Die  Ab- 
bildungen von  Körpern  sollen  in  erster  Linie  als  Halbmodelle,  bezw.  Flndi- 
niodelle.  in  zweiter  Linie  als  Unirissbilder  (Skizzen)  znrAus-rabe  kommen  und 
SU  die  letzten  Glieder  der  absteigenden  Veruusuhaulichungsreihe  bilden  (z.  13. 
lebendes  Thier,  ausgestopftes  Thier,  Modell,  Halbmodell  oder  HachmodeU  nnd 
ümrin).  Zur  bildliehen  Darstellung  sollen  nach  und  nach  die  meisten  Dinge 
nnd  Erscheinungen  kommen,  mit  welchen  vollsinnige  Schäler  in  den  Eäementar^ 
und  Mittelschulen  bekannt  gemacht  werden,  ganz  besonders  aber  diejenigen, 
welche  infolge  ihrer  Größe,  ihrer  Kleinheit  oder  ihrer  Beschaffenheit  der 
Hand  des  Blinden  nicht  zugänglich  sind  oder  mit  Hilfe  derselben  nicht  wahr- 
genommen werden  kOnnen.  DasBUderbneh  soll  dem  Blinden  aach  das  Mikroskop 
anetceo.  Der  Anfang  soll  mit  den  einfachsten  nnd  bekanntesten  Dingen  ge- 
macht werden,  damit  die  Kinder  Bilder  „lesen"  lernen.  Thiere,  vielleicht  auch 
Menschen,  sind  in  verschiedenen  Stellungen,  welche  ihre  Thiltigk^if  erkennen 
lassen,  zur  Darstellung  zu  bringen.  Gruppenbilder  haben  nur  daim  eine  Be- 
rechtiguDg ,  wenn  die  gezeichneten  Gegenstände  in  einer  und  derselben  £bene 
liegen.  —  Die  Venammlnng  sthnmte  dem  Vortragenden  zn;  die  Blinden  aber 
werden  froh  sein,  wenn  Herr  Kunz  sie  mit  einem  Bilderbuch,  wie  es  ihm  vor- 
schwebt, beschenkt,  was  leider  nicht  so  baldgethan  ist,  da  dieHersteliaiig  der 
Bilder  sehr  viel  Zeit  erfordert. 

Am  4.  Congresstage  entwickelte  Director  Heller  vom  Israelitischen  Bliuden- 
Inatitnte  Hohe-Warte  bei  Wien  in  einstiindiger  gedankemeleher  Bede  sein 
„System  der  BlindeDpSdagogik".  Des  beschrSnkten,  mir  verstatteten  Baumes 
wegen  ist  eine  Skizzirung  des  Gedankenganges  mir  nicht  möglich;  erwähnen 
will  ich  nur,  dass  die  Grundlagen  dieses Sj'stems  voniehmlich  sind:  Übung  der 
Sinne,  die  Auschannng,  die  Darstellung,  die  nachahmenden  Thätigkeiteu  und 
die  Erfahrung. 

Erwtthnt  mag  noch  werden,  dass  ein  franzOeischer  Blindenflrennd,  Herr 
Lavanchy-Clarke  in  Lausanne,  einen  Preis  von  250  Mk.  anagesetzt  hatte  für 

die  beste  Bearbeitung  der  Aufgabe:  „Was  geschieht  in  Deutschland  für  die 
Blinden;  was  bleibt  für  sie  zu  thun  noch  übrig?''  Dieser  Preis  wurde  von  den 

A* 

Digitized  by  Google 


—  62  — 


Preisrichtern,  Director  Mecker-Düren  und  Director  Feiohrn-Kiel,  dem  Bünden* 
lehrer  Joseph  T.ibansky  in  1  Burkersdorf  bei  Wien  zuerkannt.*) 

Der  8.  CoDgress  wird  nach  3  Jahren  in  München  statttindeu.  M. 

österreieh-üngarn.  Wfthrend  der  Sommerferien  haben,  wie  gewShnUeh, 
mehrere  gHIBere  Lehrerv-ersammlnn^en  stattgefanden.  Ln  dentschen  Sprach- 
gebiete waren  besonders  bemerkenswert  die  Hanpt Versammlung  des  niederöster- 
reichischen  Landrslt  lirervtifins  am  1(3.  nnd  17.  Juli  in  Xennkirchen  und  die 
Hanpt  Versammlung  des  deutschen  Landeslehrervereius  iu  Böhmen  am  0.  und 
7.  AngDst  zn  GaUons.  Abgesehen  von  dem  großen  Werte  dieser  Venammlnngen 
IBr  die  wichtigiten  Interenen  der  betreibaden  Laadeslehrerrereine  sind  die- 
selben auch  von  hoher  Bedentnng  far  die  allgemeinen  Schal-  nnd  Coltnrfragen. 
Und  zwar  haben  beide  Versamnilnneen  einhellig:  Zengrnis  abgelejsrt.  dass  die 
Bestrebungen  der  Keaction,  die  moderne  Schule  in  Hsterreich  zu  stürzen,  bisher 
an  zwei  wichtigen  Stellen  erfolglos  geblieben  sind:  an  der  charaktervollen 
Lehrersebafk  nnd  am  intelligenten  Btirgerstande.  In  letaterer  Besiehnng  mnss 
mit  besonderer  Befriedigung  hervorgehoben  werden,  dass  sowol  in  Nennkirchen 
wie  in  Gablonz  nicht  nur  den  T-ehrern  eine  höchst  sympathische  Anfnahme  zn- 
theil  wurde,  sondern  auch  die  üftentlichen  Anforitilten  und  die  niaß^^ebenden 
Bevülkeruugskreise  ihr  treues  und  opferwilliges  Festhalten  an  dem  ireisinnigeu 
Scholgesetze  entschieden  an  den  Tag  legten.  Und  die  Tersammdte  Elite  der 
Lehrersebafk  (in  Nennkireben  ca.  500,  inOablonz  ca.  800)  bekundete  einmflthig 
den  gleichen  Geist  des  besonnenen  und  thatkräfligen  Beharrens  auf  der  für  die 
Schule  Osterreiclis  zu  Kecht  bestehenden  Bahn  des  Fortschrittes.  Besonders  deutlich 
zeigte  sicli  die  t  bereinstimmung-,  welche  in  dieser  Bezicliuno:  unter  der  i3ster- 
reichischen  Lehrerschaft  herrscht,  dadurch,  dass  in  Gablouz  die  vollständige 
DnrehAhrang  der  achtjährigen  Sehttipfliciht  entschieden  gefordert,  nnd  in  Nenn- 
kireben die  Verkflrznng  derselben  dnreh  die  sogenannten  „Sehnlbemehs-Er' 
leichterungen''  in  die  engsten  Schranken  verwiesen  wnrde.  ÄnsdrucklicheHer^ 
vorhebung  und  Anerkennung  verdient  noch  folgende  von  der  niederösterreichischen 
Lehrerversammlung  einstimmig  gefasste  Resolution:  „Es  ist  Pflicht  der 
Staatsverwaltung,  der  auf  Grund  eines  sanctionirtenBeichsgesetzes 
geschaffenen,  erhaltenen  nnd  von  staatlichen  Organen  (Iberwachten 
Schnle  denselben  Schnts  angedeihen  zu  lassen,  den  alle  anderen 
Staatseinrichtungen  genießen.  Durch  die  fortwährenden,  geradezu  frevel- 
haften AngritTe  seitens  der  Gegner  nuiss  die  Schule  gesrhUdigt.  da.s  Vertrauen 
des  Volkes  zu  derselben  erschüttert,  das  Ansehen  des  Lehrerstandes  untergraben 
nnd  somit  ein  Znstand  gesebata  werden,  der  zersetzend  auf  die  breiten 
Schichten  des  Volkes  wirken  mnss." 

Am  6.  August  tagte  in  Prag  der  czechische  Leln  ercongress.  Der- 
selbe wies  mehr  als  5000  Theilnehmer  auf,  die  der  Mehrzahl  nach  aus  Böhmen 
stammten,  wozu  aber  auch  Milhren  und  Schlesien  ein  bedeutendes  Tontingent 
und  selbst  die  südbluvischen  Länder  eine  Anzahl  von  Gästen  gestellt  hatten. 
Die  Versammlung  trat  entschieden  nnd  einstimmig  für  die  Nenschnle  ein,  wie 
sie  durch  das  Gesets  von  14.  Mai  1869  gesohaffiBn  wnrde.  nl>^Bedfirftaissen 
der  csechisehen  Nation  kann  nnr  eineOiTentliche,  allen  Gonfessioneni^eichmHftig 

Unserem  wuckereu  Mitarbeiter  die  herzlichstcu  Glückwünsche!     D.  fi. 


Digitized  by  Google 


—  63  — 


zngcäugpHche  nnd  allen  Glaubensbekenntnissen  g'leicii  gerecht  werdende  Schule 
genügen,  welche  der  staatsgrandgesetzlich  gewährleisteten  Glaubeuä-  und  Ge- 
wiasensftviheit  entBprkfat  Wie  nim  die  Anftiebt  Aber  die  religiSae  Erziebnng 
nnd  den  Beligionsanterricht  den  Beligion^:enottenachaften  überlassen  ist,  so 
g^bürt  die  Aafiricht  fiber  die  übrige  Erziehung  und  den  fibrigen  Unterricht  nnr 
erfahrenen  Fachmännern,  vorzugsweise  weltlichen  Volks-  und  Bürprerschul- 
lehrern."  Diese  Resolution  wurde,  trotzdem  auch  etliche  Geistliche  der  Ver- 
sammlung beiwohnten,  einstimmig  angenommen.  —  An  Muth  und  Freisinn 
stehen  also  die  davischen  Lehrer  ihren  dentaehen  Collagen  kelneawega  naeh, 
nnd  ist  zu  hoffen,  dass  die  ganze  österreiduM^e  Lehrerschaft  wenigstens  in 
der  Vertheidignng  des  gemeinsamen  Schnigeeetees  einig  sein  nnd  bleiben  wird. 

Die  Lehrmittelsammelstelle  Petersdurf  bei Trantenau  (Böhmen)  ist 
bestrebt,  Schulen  ohne  grolte  Auslagen  mit  den  aUerwichtigsten  Lebmitlehi  in 
versehen  nnd  hat  hierfür  bereits  ein  groBes  Lager  von:  Mineralien,  Kftfern, 

Schmetterlingen,  Petrefaeten,  Conchylien,  biographischen  Präpa* 
raten  f En t  wicklnng^stadien  versch iedener  Th iere ).  Sammlungen  e  h  e ni  i s c h e r 
u  nd  >?-ew erblicher  Stoffe,  Modellen  der  \'eredlunf;s:ii  t  eii,  lÜ e neust ock- 
Modellen,  Pilz-Modellen,  Modellen  des  Hochofens,  zerlegbaren  De- 
cima  Iwagen,  einfachen  physikalisehen  Apparaten,  verechiedenen 
Amphibien,  Stopfprftparaten  etc.  • 

Die  Sammelstelle  nimmt  keinen  Verdienst!  Gibt  an  bedürftige  Schulen 
anch  unentgeltlich  ab  und  sendet  das  jeweilige  Yorrathsverzeicluus  gegen  Ein« 
Sendung  einer  Brietmarke  bereitwilligst  ein. 

Tausch  wird  nach  allen  Bichtungeu  des  Sammelwesens  eingegangen. 

Spenden  werden  dankbarst  angenommen! 

Anfkagen  beantwortet  der  Vorstand 

Gustav  Settmacher,  Oberlehrer. 

Der  ktalgL  ungarische  Minister  für  Cultos-  und  Unterricht,  Graf  Aibiu 
Csäky,  hat  den  XIX.  Jahresbericht  des  deraelt  nater  eeiner  Leitung  stehenden 
Ressorts  und  aas  dem  Originalwerke  auch  einen  Ansang  in  deutscher  Sprache 

veröffentlicht  (gedruckt  in  der  k.  u,  Universitilts-Buchdruckerei  zu  Budapest). 
Der  Bericht  erstreckt  sich  auf  die  Studienjahre  SO  imd  lSS!)  -!)(  )  und 

unifasst  sRmratliche  Anstalten  des  Schuldepartenienls;  wir  entnehmen  demselben 
einige  allgemein  iuteressirende  Daten.  Der  Minister  hat  vor  allem  eine  Reform 
deaüntenichtsrathes  eingeleitet,  da  derselbe  sich  nicht  dnichaas  bewfthrt  hatte. 
Insbesondere  waren  in  demselben  bisher  zwar  die  einzelnen  Fächer  der  Wlssen- 
schaft,  nicht  aber  die  verschiedenen  Arten  von  Lehranstalten  genfigend  ver- 
treten; die  Mitglieder  desselben  hatten  ferner  keine  Gelegenheit,  sich  mit  den 
thatsächlichen  Schulverhältnissen  durch  eigene  Wahrnehmungen  bekannt  zu 
machen,  die  Entlohnung  für  ihre  Mühewaltung  wai'  unzureichend  etc.  Dem 
gegenüber  dnd  nun  sweckmftBigeVerbeBsemngen  eingeleitet  worden,  bei  welchen 
insbesondere  das  fachmännische  Element  eine  dankenswerte  Berücksichtigung 
gefunden  hat.  Auch  verdient  folgende  Maßnahme  mit  besonderem  Beifall  hervor- 
gehoben zu  werden:  ,.Die  l'rocedur  bei  der  Beurtlieilung  der  Schulbücher 
soll  wesentliche  Moditicationen  erfahren,  welche  in  erster  Reihe  den  Zweck 
haben,  die  möglichste  Objectivität  der  Kritik  zu  verbargen.  Ans  diesem 


Digitized  by  Google 


—   54  — 


üesicktapunkte  sollen  auch  aaßerhalb  des  UnterrichUrathes  stehende  Fach- 
mftnner  inAnBjamch  genommen  werdm;  auch  soll  der  eine  der  Benrthetler  stets 
jener  Art  von  Scholen  angehören,  fSr  welche  das  betreffende  Buch  bestimmt 
ist;  endlieh  sollen  die  Kritiken  mit  den  Namen  der  Benrtheiler  den 
Verfassern  zugestellt  werden."'  Wer  da  weiß,  wieviel  Willkür,  T'nredit, 
ja  Comiption  in  Sachen  der  Schulbücher  unt^r  dem  Deckmantel  des  Amts- 
geheimnisses hie  und  da  ge&bt  wird,  der  kann  die  citirten  Bestimmongen  nur 
mit  dem  lebliaitesten  Belfoll  begrttflen. 

Graf  CsÄky  bemerkt  ÜBmer:  „Da  loh  die  bedentendsten  Faetoren  dea 
Anfblfthens  nnd  Fortschrittes  unseres  Volksschnl-Ünterrichtswesens  einer- 
seits in  der  wirksamen  und  fachmlißigen  Aufsicht,  anderseits  in  der  guten 

Lchrorbilduiie:  suche,  habe  ich  diese  Theile  der  Schulor^anisation  zum  Gegen- 
stande meiner  besonderen  Fürsorge  gemacht."  Demgemäß  war  er  darauf  be- 
dacht, den  Schulinspectoren  in  ihren  Kanzleiarbeiten  Erleichterung  zu  verschaffen, 
damit  sie  nicht  von  „Uffer  eigentlichen  nnd  wichtigsten  Aufj^be:  von  dem 
Beancho  der  Schulen  und  der  unmittelbaren  nnd  persönlichen  Berüliriing  mit 
den  Schulbehörden  und  Lelirern  abgezogen  werden",  ihnen  aber  ancli  eine  bessere 
Dütirnng  zu  sichern,  damit  sie  ihr  wichtiges  und  sicbweres  Amt  ..oline  materielle 
Sorgen verwalten  können;  ebenso  ließ  er  sicli  die  stetige  Verbesserung  der 
Ldirei'bildung,  sowie  der  Biesoldong  der  Serainailehrer  angelegen  sein. 

Das  ungarische  Sehnlwesen  zeigt  in  allen  seinen  Theilen  einen  gedeihlichen 
Fortschritt.  Die  Volksschulen  wurden  im  Jahre  1888  von  1,950879,  im 

folgenden  Jahre  Ton  2,015612  Kindern  thatsiu  hlieh  besucht,  während  sich 
diese  Zahl  anno  1809  nur  auf  1,1 .02 115  Ijeliet.  Im  Verhältnis  zur  Zahl  der 
schulpflichtif^en  Kinder  war  zwischen  I86i)  und  1889  eine  Steigerung  des 
factischen  Schulbesuchs  von  50.42 **/^,  auf  81.65 ^/(,  eingetreten.  Und  während 
anno  1869  1598  Oemeinden  ganz  ohne  Schule  waren,  gab  es  soleherGandnden 
1889  nur  noch  244.  Im  ganzen  bestanden  1889  16702  Yolksschnlen  gegen 
13798  im  Jahre  1869.  Volksschullehrer  gab  es  186917792,  1889' hingegen 
24645.  Die  Erhaltungskosten  der  Volksschulen  betrugen  im  ersteren  Jahre 
3,760123  fl.,  im  letzteren  15,117024  H.,  die  hierzu  gewährte  Stautssub- 
ventiou  im  ersteren  Jahre  407  72  Ü.,  im  letzteren  1,794234  11.  Was  die 
Nationalitäten  betrifft,  so  zeigt  sich  zwar,  bei  allen  eine  Zunahme  des  that- 
sftchlichen  Schnlbesuches  im  Yerhftltois  snr  Schnlpflichtlgkfllt;  aber  ein  die 
Dnrchschnittsziffer  81.65^0  überschreitender  factischer  Sehnlbesnch  seigte  sich 
bisher  nur  bei  den  Schulpflichtigen  mit  ungarischer,  deutscher  und  slovakischer 
Muttersprache,  während  der  Schulbesuch  der  rumänischen,  serbischen,  kroati- 
schen und  ruthenischen  Kinder  hinterdieser  Ziffer  zurückblieb. 

„Mittelschalen"  bestehen  derzeit  in  Ungarn  180,  nämlich  151  Gym- 
nasien nnd  29  Bealscholen.  Hiervon  sind  vollständig,  d.  h.  8claB8ig  91 
Gymnasien  und  22  Bealacfanlen,  die  übrigen  i>ind  erst  4 — (klassig.  Die 
Gymnasien  Imtfen  zusammen  36367,  die  Realschulen  7303  Schüler,  so  dass 
von  je  lUlH)  Schülern  83.3  das  Gymnasium,  167  die  Realschule  besuchen. 
Hierzu  bemerkt  der  Minister:  „Die  Verhältniszahl  der  Gymnasial-  und  RtaX- 
schfiler  yeribidert  sich  seit  Schafltmg  des  Mittelsebolgesetes  dauernd  in  einer 
Bichtnng,  nlmlidi  an  Gunsten  der  Bealschnlen.**  ThatsScfalioh  kamen 
im  Schnlliahr  1883/84  auf  Je  1000  Gymnasiasten  147  RealschfUer,  wahrend  die 


Digitized  by  Google 


—  56  — 


letztere  Zifter  in  den  folgenden  .Talireo  auf  151,  1Ö8,  170,  191,  198,  201 
stieg  (immer  im  Verliültnis  zu  lOüO). 

BesttgUoh  der  Hochsehiilen  weilt  der  Ministeriallierioht  naeh,  dan  die 
Ceutingeiite  der  Lehnunteoandidateii  und  der  Techniker  in  Zonahme  bet^üfen 
sind  ingeriDgerem  Maße  auch  die  dar  landwirtschaftlichen  nnd  der  milititrisciien 
Carriere.  „Die  oft,  hesprorhene  nnd  vielfach  lieklu'^te  iibrrniiißicre  Freqnenz 
der  juridischen  Facnltilten  und  Akademien  hat  ancii  im  vertlossenen  Sclui'ialir 
nicht  abgenommen.  Es  zeigt  sich  vielmehr  auch  hier  eine  kleine  Zunahme. 
Dafegen  aeigt  sidi  bei  den  Tlieologen,  bei  den  Candidaten  des  fofatoaoniaehen 
nnd  des  bergmännischen  Bemfes,  ja  anch  bei  den  Medidnern  leider  wieder  eine 
geirisse  Abnahme."  Bezüglich  des  Stodienerfolges  ergibt  sich,  dass  im  Berichts- 
jahre von  877  Juristen  5->l  (50.52"  „l  von  297 Medicinern  207  von 
140  Hörern  der  philosophischen  Facultät  blos  38  (27 '^(,),  von  2 1 0  Tecbnikeru 
80  (38  7o)      Ziel  erreicht,  d.  h.  das  Absolotorinm  erreicht  hatten. 

Anf  dieae  wenigen  Angaben  mHüen  wir  nni  leider  fBr  diesmal  besohrSnken, 
nnd  indem  wir  diejenigen,  welche  sich  mit  dem  hochinteressanten  Sdinlwesen 
Ungarns  genauer  bekanntmachen  wollen,  auf  den  Bericht  seihst  verweisen, 
schließen  wir  mit  dem  Wunsche,  dass  (iraf  Csäky  noch  recht  lange  auf  seinem 
wichtigen  Posten  verbleiben  möge.  Was  er  bisher  geleistet  hat,  zeugt  ebenso- 
woL  Ten  tiefem  VerstSndnis,  wie  von  redlichem  Willen  nnd  treuem  Eifer  für 
sein  bedentaames  Amt  und  kann  dem  ungarischen  Patrioten  wie  allen  Freunden 
dea  CnltiirfintiGfarittea  nnr  so  lebhafter  Oenngthnnng  gereichen. 

Die  „Bistritzer  Zeitung"  (8iebenbürgen)  bringt  einen  offenbar  von  sach- 
kundiger nnd  schalfreondlicher  Hand  verfassten  Aufsatz,  in  welchem  iiachge- 
wieaen  wird,  dav  die  Gymnaaien  der  aiebenbürgisehen  Sachsen  mit  den  bisherigen 
Mittdn  unmöglich  anf  die  Daner  erhalten  werden  kennen.   Nam«itlich  sind 

die  Lehrergebülter  Iiinter  den  dringenden  Bedttrftaissen  der  Gegenwart  veit 
zurückgeblieben.  Möge  es  dem  wackeren  Volke  gelingen,  der  offenbaren  Noth 
mit  den  rechten  Mitteln  abzuhelfen.  Es  handelt  sich  da  in  der  That  um  eine 
LebensiVage  der  Siebenbürger  Sachsen! 

England.  Während  in  Preußen  abertnals  ein  Schulgesetz- Entwurf  ge- 
scheitert ist,  hat  England  einen  neuen  großen  Ph  fulg  auf  dem  Gebiete  der  Volks- 
bildung aufzuweisen.  Einen  sehr  beachtenswerten  Artikel  hierüber  bringt  die 
„Neue  freie  Presse",  dem  wir  mit  Vergnügen  Kaum  geben.  Er  lautet: 

Von  allen  Qeaetaen,  welche  die  eben  abgelaufene  Session  des  englischen 
Parlaments  bescUosam,  ist  keines  folgenrddier,  finchtbarer  nnd  bedentaamer, 
als  dasjenige  über  die  Volksschule.  Das  Foi  ster'sche  Schulgesetz  vom  Jahre  1870 
hat  den  iSchuLswang  eingeführt  (Vlies  ist  nicht  ganz  rielitig.  D.  R.),  aber  Tn- 
spector  und  Gemeindediener  vermochten  nicht  die  Massen  des  Volkes  für  den 
obligatorischen  Schulbesuch  zu  gewinnen,  die  Schulgebüren,  welche  die  Eltern 
sa  entrichten  hatten,  wann  dieaen  verhasat,  nnd  nach  wie  Tcr  blieb«i  die  Kinder 
der  ftrmeren  Leute  der  Schule  fem;  aelbat  in  London  besnchen  thatsächlich  nnr 
80  Percent  der  schulpflichtigen  Kinder  die  Elementarschulen.  Die  Londoner 
BehJ^rden  haben  wol  gesetzlich  die  Aufgabe,  die  säumigen  Eltern  zu  verwarnen 
und  im  Wiederholungsfalle  zu  strafen,  allein  die  Behörden  unterließen  es  schließ- 
lich wegen  der  Masseuhaftigkeit  der  Falle.   Man  suchte  mit  philanthropischen 


Digitized  by  Google 


—  66  — 


Mitteln  nackzahelt'ea;  man  setzte  Treise  und  Belolinungen  ans;  der  Schulbesuch 
blieb  jedoch  eia  iiBregelmifNger  and  mangeUiafter,  die  (äftasenisiinnier  blieben 
nftch  einigen  Wochen  in  den  Graftohaflen,  wie  Im  Ostend  Londona  leer.  Oe* 

wissenlose  Eltern  benützeu  die  Kinder  zum  Broterwerb  oad  Betteln,  sie  tragen 
das  Geld  lirber  in  die  Sclienkc.  als  in  das  Scliulamt;  man  senfzte  in  England 
gerade  so  über  dio  liuhen  Scbullaston.  wie  bei  uns  in  den  Ali)enländcrn ;  mau 
wollte  die  Kinder  lieber  zum  Vielitreibeu  oder  iu  den  Webereien  und  Spinnereien 
verwenden ,  als  de  in  der  Volksschnle  sitsen  sehen,  wie  bei  nns;  man  fand  es 
gerade  wie  bei  nns  llberflüssig,  dass  die  Kinder  mehr  lernen  nnd  wissen  als 
die  Eltern;  ancb  in  England  fiinden  sich  genng  der  falschen  Propheten,  welche 
die  Lehre  predigten ,  dnss  der  Staat  nicht  gesetzlich  über  die  Kinder  und  ihre 
Erziehung  verfügen  dürfe,  dass  es  ein  Kingriff  in  das  Kccht  der  Eltern  sei, 
wenn  der  Staat  verlange,  dass  die  Kinder  von  5  bis  1 4  Jahren  die  Schule  be- 
suchen.  Dieselben  Argumente,  welche  wir  in  Österrdch  von  den  nltramontanen 
Wortführern,  in  Deutschland  von  den  Centmmsrednern ,  in  Belgien  von  der 
Geistlichkeit  und  ihren  Anhängern  in  der  Kammer,  in  Frankreicbs  Legislative 
von  Bischof  Freppel  zu  hören  bekaiin  ii  -  sie  haben  wir  auch  in  England  zu 
verzeichnen  gehabt.  So  nniform,  so  armselig,  so  verlegen  klingen  diese  opposi- 
tionellen Reden  allenthalben,  nnd  Gonservative  reinsten  Wassers,  wie  Baxtley, 
erhoben  Kassandra-Bafe  nnd  verkftndeten  das  Ende  Alt-Enj^Iands.  Noeh  im 
H&rz  dieses  Jahres  glaubte  man,  die  Volksschnl-Bill  werde  anf  onbestiromte 
Zeit  verschoben,  sie  werde  nicht  zustande  kommen:  Gladestoneaner  nnd  Radi- 
cale  jiilelten  bereits,  sie  nahmen  die  Bill,  mit  der  Eigänznng,  dass  das  ganze 
Elementar- Schulwesen  unter  die  Aufsicht  wiihlbarer  Behörden,  also  mittelbar 
auch  der  Wlhler  selbst  zu  stellen  sei,  in  ihr  znkflnftiges  Wahlprogramm  anf. 
Und  siehe  da!  Das  Gesetz  ist  angenommen,  dorch  eine  geschickte  Verbindung 
liberaler  und  conservativer  Interessen ;  Salisbury  verstand  es,  seine  conservativen 
Anhänger  von  der  Nothwendigkeit  der  Saclie  zu  über/engen.  Unionisten.  Glade- 
st<»neaner  und  Kadicale  mussten,  wollten  sie  nicht  ihre  GrundsUtzc  ganz  ver- 
leugnen, dafür  stimmen  —  und  so  sah  man  das  erhebende  Schauspiel,  wie  unter 
der  Devise:  „FQr  das  Wol  des  Landes"  alle  Parteien  der  Fahne  von  Sir  William 
Hart-Dyke,  dem  Yerflisser  der  Bill,  dem  Vice-Präsidenten  des  Conseils,  folgen. 
Seine  Vorschläge  waren  so  einfach,  maßvoll  und  praktisch,  dass  ihr  Erfolg  un- 
fehlbar wurde:  sie  vermieden  es.  sich  gegen  die  Privat-  (freiwilligi-n  l  Schulen, 
oder  gegen  das  Abkommen  bezüglich  des  Religionsunterrichtes  zu  wenden, 
noch  erhoben  sie  die  KormalBchulfrage  auf  das  Programm  der  jRegiemng.  Die 
letstere  wusste,  dass  das  Hanptargument  gegen  den  Scfauhswang  die  theuren 
Schulgebüren  seien;  deshalb  richtete  sie  ihr  ganzes  Augenmerk  auf  die  Ver- 
widfeilnng  der  Gebären,  so  dass  die  Schule  für  viele  ganz  kostenlos,  für 
andere  fast  unentgeltlich  wird :  sie  vorinied  es,  die  Scliulgeldfrage  durch  ander»' 
Coutrovei-sen  zu  verwickeln,  und  so  gelang  das  Werk,  das  auf  Generationen 
hinaus  segensreich  wirken  wird. 

Ein  Werk  der  schwierigsten  Art  In  England  mehr  als  irgendwo  sind 
der  Individualismus  und  das  Princip  der  Selbstverwaltung  entwickelt;  mehr  als 
der  EnglUnder  sträubt  sich  wol  niemand  gegen  staafü'  In-  Revormnndnng:  dazu 
war  ja  in  f]ngland  nicht  wie  in  Österreich  und  1 'l  UtM  liland  die  SeliuK-  ein 
Politicuui,  und  bis  vor  zwanzig  Jahren  entbelirte  dai>  Inselreich  ganz  und  gar 
der  politischen  Sehulveiliusang.  Erst  nach  der  EinfOhrung  des  obligatorischen 


Digitized  by  Google 


—  67  — 


(V  1>.  K.)  Schuliinterrichtea.  also  nach  1870,  traten  in  vorschiedouen  Städten 
and  läadlichen  Bezirken  die  School-Boards  ins  Leben,  gewählte  Collegieo,  welche 
die  Scholen  erriehteteii  und  Terwalteten;  dieSchool-Bourda  hietton  alBoBoards- 
Schools.  Eine  gBwIite  Controle  lag  in  den  Htaden  der  Begiernng  oder  des 
Cktnncil  of  Edacation,  von  dem  die  Scbnlinspectoren  ernannt,  auf  dessen  Antrag 
ancl»  Ziisclmsse  von  der  Kegiernng  gewährt  worden.  Der  Staat  ließ  diesen 
Schalen,  die  sich  nach  Unifanp  des  Unterrichtes  abstuften,  einen  weiten  Spiel- 
raom;  von  dem  Umfange  dos  Lehrplanes,  der  Zahl  der  Schüler  und  dem  Grade  der 
Lelftiiog  dar  Schule  hing  jeweilig  dieHShe  der  itaatUehenSabTention  ab.  Der 
Staat  forderte  alao  biaber  blos  den  Volksontorricht,  aber  die  Yerwaltong  lag 
In  den  Händen  der  School*Board8,  und  die  Kosten  trugen  die  wahlberechtigten 
Steuerzahler.  Sie  hatten  bisher  im  Verhilltnisse  zur  Hausraiete  eine  besondere 
Schulsteuer  zu  entricliten,  iUinlich  wie  bei  uns  in  Wien.  Außer  dem  Einkommen 
aus  der  Schulsteuer  und  der  staatlichen  Subvention  war  noch  ein  Schulgeld 
dkigefBhrt;  das  Board  war  vom  Parlamente  ermächtigt,  von  Jedem  Schiller  jede 
Woche  einen  Beitrag  bis  m  nenn  Pence  einzufordern.  Man  denke  sich,  eine 
ilmiere,  mit  Kindern  gesejrnete  Familie  hiltte  jfMle  Woche  für  jedes  Kind  etwa 
fiinfunddn  ißiff  Kreuzer  zu  entrichten.  Freilicli  gibt  esDistricte,  wo  das  Sclml- 
geld  weniger  beträgt;  immerhin  war  das  Schulgeld  hart  für  die  nothleideudeu 
Hassen,  nnbeliebt  bei  den  Eltern  und  demfithigend  f&r  den  Lehrer,  der,  wie 
der  Schnlmeister  des  Vormirs  in  Österreich,  in  der  Classe  von  den  Sdiillem 
selbst  die  Pence  einzusammeln  hatte.  Anch  dieser  Vorgang  verschwindet  forton 
aas  den  engrlischen  .^chnlen. 

Eine  Frae;e  schwebt  anf  des  T.esei'S  Zonge:  Wie  verhillt  sich  die  (u'isl- 
lichkeit  zur  Schulreform?  Die  Schule  wird  ja  vor  allem  iuterconfessiouelil 
Doch  nnr  dieStaatsldrehe  hat  Ursache,  nm  ihre  Kirchenschnlen  besorgt  zn  sein. 
Die  Diasentars,  welche  nahean  die  Hälfte  der  Bevölkerung  darstellen,  und  ins- 
besondere die  ürniere  Classe  sind  mit  dem  neuen  Schulgesetze  zufrieden,  denn 
sie  vertreten  den  Grundsatz  der  Gleichstellung  aller  Secten  vor  dem  Gesetze 
und  ebenso  in  der  Schule.  Wie  die  Voluntarv-Schools,  von  Kirchengemeiuden 
erhalten,  sich  neben  der  kostenlosen  Staatsschule  behaupten  werdeu,  ist  die  Frage. 
Han  meint,  sie  werden  bald  eingehen;  vielleicht  werden  sie  sich  in  Sonntags- 
schnlen.  das  ist  Religionsscholen,  verwandeln.  Der  Beligionsunterricht  ist  in 
England  nicht  Sache  des  Staates,  sondern  der  Kirche,  und  wird  t  hat  sächlich 
von  dipser  in  den  Sonntagsschnlen  gegeben.  Und  dennoch  ist  der  Eiiilliiss  der 
Geistlichkeit  in  England  gewiss  kein  geringer  und  die  t'römniigkeil  der  Briten 
eine  sprichwörtliche.  Man  sieht,  auch  das  f^ie  nnd  fh)inme  England  hat  sich 
endlich  seiner  großen  Cnltnranfgabe  erinnert  nnd  sein  Sonverftnitiltsrecht  als 
Gesetzgeber  der  Schule  aufgenommen;  die  Kirche  fugt  sich,  sie  nimmt  deshalb 
den  in  England  aussichtslosen  Culturkampf  nicht  anf  nnd  bestreitet  fürder  dem 
Staate  niclit  mehr  das  Krcht  anf  Schulgesetzgebung,  Sehulaiifsicht  nnd  Schnl- 
verwaltung.  Anch  mit  diesem  neuen  (iesetze  nähert  sich,  wie  mit  der  Social- 
gesetzgebnng,  England,  das  insulare  nndisolirte,  mehr  nnd  mehr  dem  Continente 
md  seinen  Onltnrreformen.  Es  ist  dabei  gann  von  seinem  Qenins  berathen. 
Es  fasste  die  Schulreform  als  Geldfrage  auf  nnd  fand  dafür  sofort  Verständnis. 
Das  neue  Gi  setz  erweitert  die  bisherige  Subvention  der  Kegiernng  um  je  zehn 
Shilling  per  Ko[>t\  welche  das  Scbnlgeld  in  allen  Schulen  «'rsetzm  sollen,  in 
deueu  der  Durchschnittsbetrag  desselben  am  letzten  Neujahrbtag  nicht  ein  höherer 


Digitized  by  Google 


—  58  — 


war.  In  allen  Elementarschalen,  in  denen  das  Schulgeld  im  Jalu-e  bisher  weniger 
als  sehn  Shilling  betrug,  wird  der  Untenielit  also  ein  vOllig  imentgeltUelier 
werden.  Zwei  Drittbeile  aller  Elementaraehnlen  bekommen  ganz  freien,  ein  Drlt^ 

theil  einen  fast  freien  Unterricht  Es  ist  eine  große,  segensreiche That  der  Cultur- 
Politik,  und  die  Gesittunf?  des  onplisclion  Volkos  wird  von  diesem  Gesetze  eine 
neue  Kpoche  datiren.  I)«as8  es  ein  conserv  ativts  Calinet  war.  welches  dieses 
Gesetz  vorgelegt  hat,  gereicht  ihm  zum  Kuiime  und  ist  auch  tiir  uns  Coutinen- 
talen  sehr  lehneieh.  Es  neigt  den  nngehenren  TJntersehied  zwischen  den 
,)Gonsenrati?en''  des  Continents  und  denjenigen  Englands.  Was  sich  als  öster- 
reichischer Feudaler  und  Clericaler,  als  Junker  und  Mncker  in  Norddeutschland 
conservativ  noinit,  würde  ein  Tory  heutzutage  nicht  als  Gesinnunpsirenosseu 
gelten  lassen.  Disraeli  bat  den  Conservativen  Englands  die  Balmen  gewiesen; 
er  hat  gezeigt,  dass  auch  Conservative  Beformgesetze  scliafieu  können.  Die 
Graftchaitsritthe  des  CabinetsSaliabnry  haben  bewiesen,  dass  die  GtmservatiTen 
anf  dem  Gebiete  der  inneren  Bef<nin  nicht  ohne  Glück  sich  versnchen,  Salia> 
bury  als  Beaconsfield's  trefflicher  Schüler  setzt  den  Ehrgeiz  darein,  zu  zeigen, 
dass  Conservative  die  überlebten  Einrichtungen  alter  Zeit  nicht  verst^iinern 
wollen,  wol  wissend,  dass  in  England  am  Ende  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
für  GonservatiTe  vom  Schlage  Österreichischer  nnd  preoBiseherHochtoriea  kein 
Banm,  keine  9ffientliehe  Bilhne,  keine  politische  Maeht  mehr  vorhanden  ist^ 


Nordamerika.  Vom  riU.  Juni  bis  4.  Juli  tagte  in  Cincinnati  (Ohio)  der 
„Devtseh-amerikanisehe  Lehrerbnnd'*.  Die  Sdiwierigkciteu,  mit  denen 
derselbe  zn  kSmpfsn  hat»  konnten  aieh  diese  Versammlnng  nicht  nnberUirt 

lassen.  Sie  bestehen  darin,  dass  dem  Deutschtham  nnd  besonders  der  deutschen 
Schule  in  Nordamerika  vielfach  Misstranen  und  Feindseligkeit  entgegentritt, 
und  dass  unter  der  deutsch-amerikanischen  Lehrerschaft  heftige  Zwist  igkeiten 
der  gemeinsamen  Sache  Abbruch  thun.  Diese  Verhältnisse  kamen  denn  auch 
schon  bei  ErOibinng  des  Lehrertages  in  Cineinnati  znm  Ansdraeke,  indem  der 
Vorsitzende  des  Ortsanssdinsses,  HeiT  Rattermann,  die  „kleinlichen  Zänke- 
reien" beklagte,  „denen  wir  Deutschen  wegen  der  einmal  unvermeidlichen 
Krllhwinkler  unter  uns.  die  alles  beniilkeln  niü.s.son,  was  nicht  aus  üirer  eigenen 
Werkstatt  kommt'',  ausgesetzt  sind.  Meinungsverschiedenheiten  aus  sach- 
liehen  Grfindai  seien  statthaft  und  heilsam;  denn,  so  sagt  Herr  Rattermann 
schSn  nnd  wahr:  „Gegensätze  bilden  die  Triebfeder  aller  Thfttlgkeit,  nnd  die 
Mannigfaltigkeit  der  Ideen  und  Anschauungen  ist  die  Würze  des  geistigen 
Daseins. Aber  persönliche  Zerwürfnisse  seien  unter  allen  Umstünden  ver- 
werflich und  zer8tören<l.  „IKis  Deutschthuin  hat  es  gerade  jetzt  nötliiger  als 
je,  sich  in  Einheit  zusammenzuscharen  uud  dem  drohenden  Anstürmen  feind- 
seliger Elemente,  welche  die  dentsehe  Sprache  ans  Familiei  Schule  nnd  Ctosell- 
sehaft  in  diesem  Lande  zn  verdringen  sich  bemtthmi,  kräftig  entgegenwiiken 
ZQ  können." 

Auch  der  iMii^^ident  des  T.ehrerbnndeg,  Herr  Fiek,  sclihiq-  in  seiner  Er- 
iitl'nuiigsanspraehe  die  nämlichen  Töne  an:  ,Jst  der  deutsche  Lehrer  sieh  seines 
Kechtes  bewusst,  su  mag  er  muthig  eintreten  in  deu  Kampf,  der  ihm  nicht  er- 
spart bleibt  Aber  vor  allem  thnt  hier  Znsammenhalten  noth.  Nnr  der  Kräfte 
vereintes  Streben  fihrt  znm  Sieg,  wo  Zersplittemng  den  Ansgang  in  Frage  stellt^ 


Digitized  by  Google 


—  59  — 


Neben  Symptomen  mancher  Dissonanzen  bot  der  «lipsiilhrige  dentsch- 
amerikanischc  Lelirerta^r  auch  reclit  erfreuliche  Erscheinungen,  Die  Stadt 
Ginciimati  bewährte  ihren  alten  Kaf  der  Gastlichkeit  und  Gemüthlichkeit;  der 
OitsausebiiM  hatte  die  besten  Toiberdtiuigeii  getrdliBn;  die  Veraamiiiliiiig 
eelbet  war»  ivenn  auch  nieht  etarlc,  dodi  immeriiiB  ausreichend  betncht  nnd 
entwickelte  löbliche  Ansdaner  in  emster  Arbeit;  die  Vortrüge  waren  mannig- 
t'alti>.  zweckentsprechend  und  meist  sehr  gelnngen.  Auf  letztere  gedenken  wir 
noch  zurückzakommen. 


Aus  der  Fachpresse. 

485.  Leitfaden  für  Gesellschafts-,  Staats-  und  Vaterlandskunde 
in  Fortbildungsschulen  (0.  Huuziker,  Die  gewerbl.  Fortbildougsschule 
1891,  Vn).  Referat  vor  der  Fortbildnogsschulcommission  der  Schweiz,  gemein- 
nttdge  Oeselhichaft.  —  „Qnradxage":  1.  Der  Sehmerleitlhden  soll  die  freie 
Thätigkeit  des  Lehrers  nicht  ersetzen,  sondern  nur  das  Nötigste  enthalten,  nm 
den  Scliüler  /u  Ijefühipen,  dem  Lelirgang  leirliter  folgen  zn  können  —  die 
wesentlichen  1 'unkte  klar  formuliien  —  die  für  das  Verständnis  schwierigen 
Ausdrücke,  in  sicherem  Wortbild  üxirt,  erklären.  —  2.  Auch  vom  Gesichts- 
punkte der  in  Fortbildongssehnloi  Ar  die  fraglidMO  Uatenfehtsgegenstlnde 
yerfOgbaren  Zelt,  wie  von  denjenigen  efaier  mSfl^ehst  geringen  ftuuudeUen 
Belastung  der  Schüler  empfiehlt  sich  gedrängte  KUrze.  —  3.  Anzuknüpfen  an 
den  Gesichtskreis  der  Schüler.  —  4.  Volkswirtschaftslehre,  Gesellscliafts-  und 
Staatskniide  als  Einführung  in  die  Vaterlaudskunde  und  in  en^er  \'erbindun8' 
mit  dieber  durzubieten.  —  Aus  den  gesellschaftlichen  und  staatsgenossenschaft- 
Ucfaen  Verbftltnissen  kommen  wesentUcb  in  Betradit:  I.  Entstebnng  der  geschicht- 
lichen Formen  socialen  Znaammenlebens  (Genossenschaft,  Gemeinde,  Staat). 
Innerhalb  derselben;  Beziehungen  von  Kecht  und  Pflicht, Theilnng  der  Arbeit; 
Ausblick  auf  die  srtcialen  Fragen.  —  II.  Verschiedenheiten  (Aristokratie,  5[on- 
archie,  Kepublik;  Einheitsstaat,  Bundesstaat,  Staatenbund)  und  Gliederung 
(Gesammtstaat,  Canton,  Bezirk,  Gemeinde)  der  staatlichen  Organisation.  — > 
in.  Elemente  der  StaatSTerfiMsnng  (Verfiusnng,  Geseta,  Vennrdnnng,  Tren- 
nung der  Gewalten.  Oesetagehnngs»  nnd  VerwaltungsbdiOrden.  Grand-  nnd 
Volksrechte.)." 

486.  Umgestaltung  des  Unterrichts  in  der  l'liysik  (E.  König, 
Kepert  d.  Pädag.  1890/91,  X).  Berücksichtigung  ihres  Zusammenhanges  mit 
den  fibrigen  natnrwlssenschaftlichen  Fftdiem.  Diese  sollen  an  innerer  Einheit 
yerbnnden  werden  ^atnrfcrftfte  —  NatnrkSrpert).  Beacfatnng  der  Tbatsaebe, 
dass  sich  Naturkräfte  nnd  Naturkörper  denselben  Gesetzen  fflgen.  G^pen  Ende 
einer  Jahreszeit  die  derselben  eigenthünilichen  Erscheinungen  znsammenstellen 
und  zn  der  Aufgabe  der  betreft'enden  Jahreszeit  in  Beziehung  setzen.  Ordnen 
des  Stoffes  nach  Gruppen  erst  am, Schlüsse  des  Jalires.  —  Ausgangspunkte: 
Beobachtnngen  der  Sehfller.  Ctosetae  in  leieht  fiuslicher,  nicht  mathematischer 
Fora.  Beweise  nllthig;  aber  sie  sollen  nnr  einfache,  verstandesgem&Se  Sehlnss- 
folgen  darstellen. 

487.  Zur  Geschichte  des  l'hilantliropisnius  (E.  v.  Sallwürk,  Deut- 
sche Blätter  1801,  1.  2).  Sumuie  dessen,  was  der  riiilanthropismus  seit 
120  Jahren  der  Erziehung  geleistet:  „Er  hat  durch  strenge  Durchführung 


Digitized  by  Google 


—   60  — 


Lookescher  (ndanken  der  Pestalozzischen  Schule  vorgearbeitet  uud  die 
Ijsychologische  Führung  des  Elementarunterricht»  als  eine  unumstößliche  For- 
derung begründet;  er  hat  durch  ADerkenDimg  der  Ffiieht,  den  ganzen,  auch 
den  leiblichen  Heoachen  sn  bildea,  die  mittelalterliche  Anechamiiig  der  Er- 
ziehnng  beseitigt  und  auf  diesem  Gehiete  ftberhaupt  das  ernster  aufgestellt,  dem 
wir  in  der  «öffentlichen  Erziehung  erst  völlig  nachzukuninun  haben;  er  hat 
cndlicl»  die  relii^iiise  Unterweisung,  welche  durch  die  pietistisrhe  Schule  gluck- 
lich aus  der  dogmatischen  Erstarrung  gerettet  worden  war,  auf  den  Weg 
geleitet,  auf  dem  allein  die  Beligion  za  einem  inneren  Bedfirihis  erhoben 
werden  kann." 

488.  Volksbildung  und  Lehrerbildung.  (K.  v.  Sallwürk,  Nene 
Bahnen  1891.  V.  VIX  Vorbemerkungen  —  Lehrerbernf  und  Volksbildung  — 
die  Didaktik  des  Volksschulseminars  —  die  Vorbildung  des  Volksschulsemina- 
risten.  —  Dieser  gehaltvollen  Arbeit  kommt  die  höchste  Bedentung  zu:  sie 
188t  die  Frage  der  Lehrerbildnngr  in  ihrem  Kernpunkte  Tollkommen. 

—  Wir  mftnen  um  hier  leider  daranf  besclir&nken,  die  allerweeentlidittMl 
Stellen  herauszuheben:  ,,Wenn  die  Seminaristen  (geschult,  wie  geiren wilrtig 
tiblielii  zum  Abschlnss  ihrer  Bildung  gelangen,  sind  sie  noch  nicht  reif  genug, 
die  große  Verantwortung  zu  begreifen  and  zu  tragen,  welche  ihr  zukünftiges 
Amt  ihnen  auferlegen  wird.  Aber  daran  trftgt  nicht  etwa  die  knrse  Seminar* 
zeit  die  Sehnld,  sondern  die  Form  der  Seminarbüdnng."  »Wir  weisen  dem 
Volksschullehrer  seine  Stelle  an  unter  den  Gebildeten,  aber  nicht  unter  den 
(Telehrten,"  (Im  Anschlnss  an  diesen  Grundsatz  lesen  wir  hohe  Worte  über 
die  dem  künftigen  Volksscliullelirer  zu  gebende  wahre  Bildung.)  ^Der  Vulks- 
scliullehrer  soll  ein  Mann  seines  Volkes  und  seiner  Zeit  sein.^  Darum  von 
seiner  Bildung  in  erster  Linie  au  fordern:  „dass  sie  ihn  mit  dem  ganzen  Um- 
fang der  allgemeinen  VolksbÜdnog  bekannt  mache.  Das  ist  nicht  wenig  ^ 
und  nicht  genug."  „Grttndlichkeit  mnss  die  wesentlichste  Richtung  seiner 
Bildung  sein,  und  sein  Wissen  mnss  die  Beziehungen  zum  täglichen  Leben 
übel-all  festhalten;  die  Gründe  alles  Wissens  müssen  sorgfältig  gelegt,  die 
Gmndstoflfe  jedes  Wissensgebietes  in  der  ganzen  Vielseitigkeit  ihrer  Be- 
siehungen und  ihrer  Erwirkungen  auf  das  menschliche  Leben  aulh  genaueste 
durchforscht  und  zu  lebhaftester  Erkenntnis  gebracht  werden;  ein  reiches 
und  vielseitiges  Leben  ist  in  den  N'olksschulseminaiisten  aufzubauen. ..Die 
Seminaristen  müssen  über  alle  wichtigeren  Punkte  in  jedem  Fache  discutireu." 

—  Art  der  Vorbildung:  „Die  lateinlose  Realschule  (was  soll  der 
Volkssdiullehrer,  wie  wir  ihm  meinen,  mit  der  Sprache  der  alten  B5mer?), 
welche  in  sechs  Jahrescursen  einen  gut  abgeschlossenen  Lehrgang  grttndlich 
dnicharbeitet,  dient  unsern  Zwecken  durchaus;  sie  bietet  all^i  was  wir  als 
Grundlage  der  künftigen  Seminarbildung  wünschen  müssen."  —  ''Xndi  dieser 
abschließenden  Tliat  Sallwürks  bedarf  die  Frage  der  T,elirei liüdung  einer 
grundsätzlichen  l^röiteruug  nicht  mehr,  wir  haben  uns  nur  noch  mit  der 
zielgerechteu  Ausgestaltung  des  eigentlichen  Unterriehtsbetriebs  im  Seminar 
zu  befiwsen.  (Sallwftrk  liefert  dazu  mehr  and  weniger  ausgeffihrte  Skizzen.) 

489.  Der  deutsche  Tut .  i  ri'  Iit  auf  der  V.  badischen  Directoren- 
conferenz  (J.  H.  Schmalz,  Z.  itsrhr.  f.  d.  deut.schen  Unterr.  18Ü1.,  \' l Be- 
trifft die  höheren  Schulen.  i»ie  Conferenz  einigte  sich  u.  a.  über  tolgende 
I'onkte,  die  als  Ansicht  des  DirectorencoUegiums  gelten  können:  „Die  Pflege 


Digitized  by  Google 


—   61  — 


der  ilntterspracbe  ist  mit  dem  ganzen  Uiiterrichtsbetrielje  nnzertrennbar  ver- 
bnuden;  jeder  liebrer  der  Anstalt  ist  dalier  zuffleicb  Lebrer  des  Deutseben: 
im  sprachlichen  Unterricht  nimmt  das  Deutsche  geradezu  eine  Central-.Stellung 
ein."  nD«r  Unterricht  im  Dentseben  ist  bis  Obertertia  womöglich  dem  Lehrer 
dM  Latein  m  ftbergeben.**  „In  Prima  erscheint  eine  Verbindnn;  des  Dent« 
sehen  mit  der  Geschichte  anch  zweckmäßig. "  „Die  allgemein  übliche,  der 
lateinischen  Spraclie  entnommene,  geradezu  internationale  |2:raramatisehe  Ter- 
minobgie  ist  auch  im  Deutseben  anzuwenden."  iKeferent:  „Einlieit  dergram- 
matiscben  Bezeichnung  im  Gesammtspracbunterricht  durch  Einführung  deut- 
scher Namen  ist  ein  zn  erstrebendes  ZieL")  Folgende  BefonoTorsehlSge  Frans 
Kerns  s^n  „reif  zor  Einltthntn;  in  die  SdinlpraiiB*':  „Ansgehen  yom  Verbiim 
finitnm  bei  der  Satzanalyse,  Beseitignnj?  der  Copnia  (gining^e  Majorität),  Be- 
seitiprung  der  Bezeiclinnn^en  logisches  vSubjert.  prflpositionaies  Object,  nadcte, 
umkleidete,  zusammengezogene  und  abgekürzte  .Siitzo." 

490.  Die  Wissenschaft  und  der  Deutschunterricht  (Ad.  Sociu, 
Schweiz.  Lehrerz.  1891,  17 — 22).  Nor  USmng  der  TheOanfgabe:  „Die 
dratsche  Grammatik  in  der  Schnle.'^  Verf.  hat  die  „lateinlose  Mittelschnle'^ 
und  zwar  hier  die  „mittlere  Stufe"  im  Auge.  Für  diese  verlangt  er:  „einen 
kurzen  grammatischen  Abriss,  welcher  an  Hand  des  Lesebuchs  und  der  Stil- 
übuugen  näher  zu  intei'pretiren  ist."  —  Endergebnis  der  Untersuchung:  „Die 
Bedeotnng  der  wissensdiaftlichen  deutschen  Grammatik  für  den  Unterricht 
lieg:t  mehr  anf  der  negativen  als  anf  der  positiven  Seite:  sie  kann  wenig  Neues 
einführen,  sebafft  aber  manches  Systematische  ab.  Sie  legt  das  Hauptgewicht 
weniger  anf  abstracte  Begriffe  und  Anirenblicksregeln,  als  auf  gedankliclip 
EntWickelung  einzelner  Erscheinungen,  Dun  ii  die  Abwerfnng  des  übeT-tlüssigni 
Ballastes  ist  diese  inductive  Methode  geeignet,  eine  wiikliche  Vereinfachung 
und  Bntlastang  des  Dentsehnnterrichto  herbeiznAhren.'*  —  Bemerknng  fiber 
den  Unterrichtebetrieb  im  allgemeinen:  „Nichte  verkehrter  als  die  Meinung, 
dass  der  Deatsehnnterricht  ttberall  nach  der  gleichen  Schablone  gegebm  wer- 
den müsse.  Die  neuhochdeutsche  Scbriftpracbe  ist,  da  sie  ihren  Ursprung  so 
Violen  Dialektmiscbungen  verdankt,  überall  dem  Lernenden  balb  bekannt,  balb 
iremd;  das  Bekannte  und  das  Fremde  sind  aber  nicht  überall  das  Nämliche. 
Je  individnalisirender  (liebliches  Wort!)  darom  der  Dentschnnterricht  ist,  desto 
erfblgieicher  wird  er  wirken."  —  EinzeUudttti:  a.  Die  Sprache  ist  nicht  sowol 
ein  Erzeugnis  der  Logik,  als  vielmehr  instinctiv  wirkender  seelischer  Factoren. 
b.  Maßgebend  für  die  Aussprache  des  Schriftdentschen  sind  der  Buchstabe  und  die 
ortsübliche  Tradition,  c)  Die  Terminologie  ist  nur  ein  Mittel,  dazu  bestimmt,  ver- 
gessen zu  geben,  sobald  der  Zweck  erreicht  ist.  Beibehaltung  der  hergebrachten 
lateteisehen  Bezeichnungen:  Das  ist  gerade  derVortheil  dieser  Ausdrücke,  dass 
man  an  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  gar  nicht  mehr  denkt,  sondern  dass, 
sowie  man  einen  von  ihnen  aussprechen  hört,  unwillkürlich  ein  Beispiel  unter- 
gescboben  wird.  d.  Für  die  Unterschiede  in  der  Deklination  nur  Typen  auf- 
stellen, und  zwar  folgende  elf:  Hund,  Kind,  Narr,  Frau,  Bett,  Knabe,  Auge; 
Hand,  Mann,  Vogel;  Wagen  (maßgebend,  Mehrsilbigkeit,  Umlaut),  e.  Bdm 
Vevbum  ist  das  Fehlerverzeichnis  die  beste  Grammatik  fBr  den  Lehrar.  f.  Treff- 
liche  Rathschlage  für  die  Satzlehre  bei  Erdmann,  Grundzüge  der  deutschen 
Schulen  nach  ihrer  gescbicbtlieben  Kiitwickclnng,  Stuttgart  1886. 

491.  Geographische  Grandbegriffe  (H.  Ellrich,  Freie  päd.  Bl  1891, 


Digitized  by  Google 


—  62  — 


10).  Veif.  weiß  „für  alle  jene  Schulen,  die  mit  iliron  Kindern  von  der  Natur 
abgeschnitten  sind,  kein  besseres  geograpliisdies  Lehnnittel  des  ersten  grand- 
le^endeu  Unterrichts  als  ein  LandschaftHmudell/.  „An  einem  solchen  Bilde 
aoll  das  Kind  telm,  was  die  Erde  trigt  und  was  dem  Mraschen  bei  einer 
Wandernng  durch  die  Welt  in  vergrößertem  Uaflstabe  vor  das  betrachtende 
Ange  tritt."  „Die  Vorstellungt  n  wurden  vor  einem  solchen  Anschauungsmittel 
niemals  von  der  lUiantasie  aufliTwege  geführt  werden:  sie  gestalteten  sich  von 
Anfang  an  richtig  und  gäben  einen  gesunden  und  testen  Untergrund  für  die 
Weiterreise  in  die  weite  Welt."  (Es  soll  „kein  bestimmtes,  durch  die  Wirk» 
liehkeit  im  großen  TorgeaeiehneteB  Landsdiaftsbüd**,  sondern  ein  Phantasie- 
Stfick  sein.) 

492.  Die  Eisenbahnen  im  erdkniullicheii  Unterricht  (A. (Jore:es, 
Deutsche  lUiltter  1891,  17i.  Das  Wort  „wichtig"  ist  in  der  Neuzeit  auf 
andere  Gesichtspunkte  zu  beziehen  als  früher.  Scheiden  wir  das  zwar  ehemals, 
aber  nicht  mehr  gegenwärtig  Wichtige  au»,  so  gewinnen  wir  die  nOthige  Zeit 
für  die  heute  sehr  wichtige  Eisenbahnkunde.  Am  einüuhsten  vnd  natttrUcbsten 
anzureihen  an  die  Behandlung  der  Stftdte.  (Die  Bahnen  sind  stets  mit  ihrem 
amtlichen  Namen  zn  nennen.)  Bezielinnpren  zn  anderen  als  geographischen 
üiiterrichtsstoffen  hauptsächlich  bei  den  naturwissenschattlichen  Fächern  zu 
Huden.  —  „Sicherlich  wird  der  Versuch  einer  eingehenderen  und  mehr  selbst- 
ständigen  Bearbeitung  der  Eisenbahnknnde  den  Lehrer  mit  erhöhtem  Interesse 
seiner  Schüler  belohnen."  (Etwas  komisch  Idittgt  die  Äußerung:  „Tritt  nicht 
des  Schöpfers  Weisheit  im  hellsten  Lichte  zutage  in  den  mannigfaltigen  und 
wunderbaren  Kräften,  welche  beim  Bau  uml  betriebe  df>r  Eisenbahnen,  in  den 
gr»tt liehen  Geistesgaben,  welche  im  Menscheugeiste  bei  der  Verwertung  derselben 
(V)  zur  Erscheinung  kommen?'') 

493.  Knaben  und  H&dohen  in  ihren  schriftliehen  Arbeiten  (K. 
Döring,  Päd.  Zeitschr.  1891,  30).  Thatsache:  Die  schriftlichen  Arbeiten  der 
Knaben  stehen  gegen  diejenigen  der  Mädchen  hinsichtlich  der  Sauberkeit  und 
Wolgenilliifkeit  weit  zurück.  Ursache:  Kleidung,  Spiel  und  Spielzeug,  dazu 
die  Nadelarbeiten  der  Mädchen  verlangen  nothwendig  Sorgfalt,  Sauberkeit, 
Oeschmeidigkeit,  leiditen  und  leisen  Griff.  Daher  fUlt  es  ihnen  verhältnis- 
mftBig  nicht  schwer,  mit  Federhalter  und  Tinte  geschickt  nmsogefaen. 


Digitized  by  Google 


Literatur. 


Arnold  Ohlert,  Die  deutsche  Schule  und  das  classische  Alterthnm.  Eine  I'nter- 
Buchnng  der  Grundlagen  des  gymnasialen  Unterricht«.  Huuuover  1891,  Karl 
Meyer  (Gustav  Prior).   188  S.   2  M.  40  Pf. 

Diese  Schrift  gehOrt  su  den  mUreichettVeTsuchen,  eine  Reform  der  höheren 
Lehranstalten  oder,  wie  man  in  nstcrreich  und  Süddeutschlaud  sagt,  Mittcl- 
schuien  anzubahnen,  la  welchem  Sinne  der  Herr  Verfasser  die  Aufgabe  gelöst 
wiaBen  irill,  dies  miSgen  einige  Kemstellen  seines  Buches  zeigen.  ^Han  oeoDt 
unser  Jahrhundert  realii^tiscli.  Dtis  hultni  wir  cror;ul<>  filr  einen  großen  Vor- 
zug. Wer  eä  deäwogen  auch  nmtcrialisti.seh  ucuucn  und  ihm  die  Idealität  der 
Qesinoung  absprechen  will,  der  versteht  die  heutige  Zeit  nicht. . .  Der  Idenlis* 
mUB  des  18.  Jahrhunderts  jagte,  vom  Boden  der  Wirklichkeit  losgelöst,  abstracton 
Tiiumereien  nach:  seine  große  .Schwäche  i^t,  dasn  ihm  vbilig  die  Fähigkeit 
abging,  seine  Ideen  inThatcn  umzusetzen.  Heute  verwandeln  wir  nnmreUeen 
in  praktische  l'roMeme,  das  heißt,  wir  streben  danach,  unsere  Ideale  nach 
Müglichkeit  zu  verwirklichen. . .  Wir  sind  in  unserer  Thätigkeit,  in  der  Wahl 
der  Mittel  rar  Aueftthrung  unserer  Ideen,  realistisch,  und  &m  tat  uaew  Stola 
und  unser  Vorzug;  anderseits  streben  wir  in  der  Ausgestaltung  unseres  gcsammten 
geistigen,  sittlichen  und  socialen  Lebens  viel  ziclbewusster  und  eucrgi.<i-hcr  dem 
Ueal  entgegen,  als  es  je  bisher  gesdiehen  ist.  Deshalb  setzen  wir  unser  ganses 
geistiges  Leben  in  Beziehung  zur  neijenwart"  (S.  91).  ..Wer  sieh  heute  von 
der  idealen  Arbeit  an  dem  Ausbau  unserer  staatlichen  Einriehtuugen,  au  der 
Besserung  unseres  sittlichen  und  socialen  Lebens  ferne  hftlt,  den  zeihen  wir 
einer  nahe  an  Unsittlichkeit  [grenzenden  Schwilehe.  Aus  diesen  (rriinden  ist 
die  Organisation  des  gymnasialen  Unterrichtes  so  unerträglich   Die  Gegen- 
wart hat  nicht  die  Zeit  die  Beschäftigung  mit  einer  noch  so  interessanten 
Vergangenheit  zum  Mittelpunkt  des  Unterrichtes  zu  machen;  daher  drängt  sie 
mit  der  ganzen  Wucht  ihrer  Interes.sen  auf  eine  Einschränkung  des  classiscben 
Unterrichtes  hin. . . .  W'ir  haben  die  Entwickelung  des  geistigen  Lebens  der 
Gegenwart  nach  ihren  Hauptrichtungen  verfolfft.  Ihr  Chariüiter  besteht  in 
einer  entschiedenen  Loslösung  von  dem  Geistesleben  der  antiken  Cultur  und 
von  der  Humanitätsidee  des  aelitzchnten  Jahrhunderts.  Drei  Mächte,  der  rea» 
Uatiache^den  großen  Culturaufgabeu  der  Gegenwart  zugewendete  Sinn,  die 
neuere  wissenraiaft  und  die  Nationalitfttsidee,  beherrschen  das  Denken  und 
Fühlen  der  modernen  Menschheit  iniiiier  aussehließlieher.   Jede  einzelne  würde 

SDügen,  um  das  homanistiBche  Gymnasium  in  arge  Bedräim;ni8  su  versetzen, 
r  Zusammenwirken  madit  die  Lage  des  (lymnasiunw  horanttgriof*  (S.  92^. 
„Das  moderne  Denken  und  Empfinden  ist  iilu  r  dir  antike  Cultur  wie  Uber  die 
Auflassung  des  achtzehnten  Jahrhunderts  eudeiitig  hinweggeschrittea. . . .  Die 
antike  Wdt  kommt  für  den  ünterrieht  lediglich  vom  histoirachen  Gesiehtspunkte 
iius  in  Betracht. .. .  Es  n;il)t  nicht  zwei  glcirhw  ertit2;e  ISildungszielo.  Da-  (rym- 
ua^iinm  darf  nicht  durch  eine  Spaltung  der  Schulen  gerettet  werden,  denn  daa 
hnmanistisdie  Bildungnriel  entspricht  nicht  mehr  den  Anforderung«»  der  Zeit. 
Die  deutsche  höhere  Schule  kaun  nur  eine  Einheitsschule  Pcin. . .  .  Der  T'ntir- 
ricbt  muss  die  heranwachsende  Jugend  zu  modernen  Menschen  im  besten  Sinne  des 
Wortes  ermelien.  Der  üntenidit  muts  der  Pflege  deutschen  Wesens  die  hdchste 
Aufnierksaiiikcit  zuwenden.  Deutsche  .Sprache,  deutsche  Literatur,  de\i(>chc  (>e- 
schichte  mthiseu  der  Mittelpunkt  der  gesammten  deutschen  Erziehung  sein. ...  So 


Digitized  by  Google 


—   64  — 


besteht  das  Ziel,  dem  die  Eiitwickcliiiii?  unserer  liöherea  Schule  entgegenatrcben 
soll,  in  der  vullcu  Ausgestaltung  aller  nationaU  u  uud  modernen  Bilduagsbcstiind- 
tbeilc  mit  ßeibehaltuna:  des  griechudien,  aber  BeseitigaBg  des  lateinüchen 
Unterrichtes"  iS.  150  ff.). 

Die  vorstehenden  Citate  zeigen  zur  Genüge  den  Ki  rn  d- >  hier  vorliegciidcn 
Roformprojects.  Eiuoti  Oriranisations-,  speciell  einen  Lchrphm  für  die  in  Aus- 
sicht geuoiuHicne  neue  Schule  hat  Herr  Ohlert  nicht  aiilLrestt  llt,  weshalb  wir 
auch  in  dieser  Beziehung  nichts  zu  berichten  und  zu  bcurthcilen  haben.  Nur 
i-t  ii'm  Ii  an/.ufiihren.  dass  sich  Herr  O.  der  Sch\vieritik«>iten,  wekhe  der  Durcli- 
tiUiruiit;  seiuer  Ideen  entgegenstehen,  wol  bcwusst  ist,  weshalb  er  ausdrücklich 
bemerkt,  es  kOnne  sieh  ,.der  Übergang  in  die  m  neu  Verhältnisse  nur  anf  dem 
Wege  lanersainerEnt Wickelung  vollziehen."  _E>  ist  völlig  genllgend",  fügt  er 
bei,  „wenn  vurderhaud  der  lateinische  Autsatz  wecrfallt,  der  lateinische  Unterrieht 
otwEHBI  swei  Stunden  vermindert  und  ilt-r  deutsche  entsprecheud  vcrstiirkt  wird." 

Was  nun  die  Beurtheilung  der  vurliegcuden  Schrift  betrifft,  so  kann  dieselbe 
in  dem  engen  Rahmen  einer  Buchanzeigc  nur  andeutungsweise  erfolgen;  sie  all- 
seitig durchzuführen  und  zu  begründen,  würde  ein  neues  Buch  erfordern.  Herr 
Ohlert  hat  nämlich  zur  Begründun seiner  Ansichten  so  weit  aasgeholt,  so  breit« 
Excursionen  in  die  Welt-  und  (  ulturgeschichte,  in  die  Natur-  und  Geistes- 
wissenschaften gemaclit,  dass  dem  gegenüber  das  eigentlich  I'iidagogischo 
in  seinen  Ausfdhrui^^  eine  sehr  unbedeutende  Bolle  spielt  und  eigentlich 
nur  am  Ende  wie  ein  selbstrentltndliche«  Corollar  hinipesteUt  wird.  Dass  es 
auch  pädagogische  Normen  gibt,  weleh-'  von  den  angestellten  Discursen  unab- 
hftngig  sind,  scheint  Herr  0.  Übersehen  zu  haben ;  und  wenn  die  Neugestaltung 
der  ijchnle  die  Anerkennung  seiner  culturphilosophischen  Anslcjiten  zur  Voraus- 
setzung haben  soll,  dann  wird  diese  Neugestalt uiiir  in  eine  unabsehbare  Ferne 
gerückt  werden.  Wir  wenigstens  sind  außerstande,  das  wegwerfende  Urtheil, 
welches  Herr  0.  Uber  das  cfassisehe  Alterthun  und  Uber  das  ^achtzehnte  Jahr- 
hundert fallt,  irntzuheißen,  Wiire  w  irklich  die  Gegenwart  über  die  h.- wuiiderungs- 
würdige  üühe,  weiche  in  jenen  Zeiten  die  Mensdiheit  erstiegen  hat.  cndgillig 
hinweg,  d.  h.  im  unaufhaltsamen  Niedergang  begriffen,  und  lebte  sie  wirklich 
in  dem  Wahne,  der  „moderne  Mensch"  habe  es  so  herrlieh  weit  Lri  braelit,  wie 
niemand  vor  ihm,  das  neunzehnte  Jahrhundert  sei  die  herrlichste  aller  bisherigen 
Cultnrperioden — dann  mflsstenwir  unserseits  dieHoflViung  auf  eine  heilsameSdral- 
roform  iuiftreben,  Wenn  um  doch  weisiLTsteiis  ein  jtaar  H-anjitpuiikte  zu  er- 
wähnen —  „die  Humanitätsidcc  des  achtzehnten  Jahrhunderts"'  detinitiv  verab- 
schiedet und  durch  die  „NationalitStsidee"  ersetzt  werdoi  soll,  so  wird  dies  nur 
eine  Wiederannäherung  an  die  Barbarei  vergangener  Zeiten,  ein  Stück  Atavis- 
mus, ein  moderuer  Süudeulall  sein;  und  wenn  den  classischcn  Völkern  jede  vor- 
bildliche Bedeutung  Ar  uns  „moderne  Menschen"  und  bMonders  für  unsere 
.Ia'_rend  abo^esproelien  wird,  wenn  behau|»tet  wird:  ..Alle  bürgerlichen Tncendon, 
Math  und  Tapferkeit,  lielden^öüe  uud  Aufopferungsfähigkeit  sind  auch  bei 
allen  anderen  Culturrölkem  mindestens  (mindestens!)  in  deAelben  HShe  in  die 
gescliichtliche  Erscheinung  getreten"  fS.  86)  so  milchten  wfr  wissen,  was  denn 
die  gesummte  Weltgeschichte  bis  zum  lientiircn  Tage  aufzuweisen  habe,  das 
der  Seelengröße  der  Griechen  in  den  Ta^en  von  Marathon,  Salamis,  Platää, 
oder  der  Seelengroßc  der  Körner  in  den  Xeiten  des  tareiitinisehen  Krieges  als 
ebenbürtig  zur  Seite  gestellt  werden  könnte.  Die  ganze  Art  und  Weise,  wie 
Herr  0.  das  <  lussisehe  Alterthum  und  das  aehtidinte  Jahrhundert  abfertigt, 
um  hierdurch  zur  \'erlierrlieliunc:  der  Geg(«nwnrt  zu  irclnncen  und  für  seine 
Zukunftsschule  eine  ausschlieL>li<  h  moderne  HasLs  zu  gewinnen  —  diese  ganze 
Art  und  Weise  macht  den  Eindruck,  als  ob  der  Herr  Verfasser  sich  niemals 
ernstlich  und  unbefangen  mit  der  (iesehi<  lite  jener  Perioden  befas-i^t  hiitte,  da 
ihre  großartigen  thatsiiehlichcn  Leistungen  gänzlich  ignorirt  werden.  Oder 
sollen  diese  Leistungen,  die  ja  historische  Facta  und  keine  Phantasmen  sind, 
nur  deshalb  null  und  nichtig  sein,  weil  sie  dem  naturalistischen  Healismus  nicht 
mehr  impuuireu,  als  irgend  ein  mechani.scher  Vorgang?  „Die  Weltgeschichte", 
sagt  Herr  0.  (S.  42  .  ..u  eiß  in  dem  unerbittlichen  Gange  ihrer  Entwickelung 
nichts  von  einer  .\l».*«chätzung  zwischen  gut  und  böse:  der  unbefangene  Beur- 
(heiler  muss  in  dem  Auf-  und  Niederwugeu  der  Ereignisse  nur  die  Erscheinungü- 


—   66  — 


ioimen  einer  unabwendbaren  Nothwendigkeit  erblicken:  Zeiten  einer  friäcb  auf» 
blähenden  Gnltnr  und  Zeiten  des  tieAten  Törfli.lls  rind  Atar  ihn  gleich,  er  hat 

sie  nur  in  der  Folgerichtigkeit  ihrer  Gc-;t;ilriin(r  zu  ^o^^reifcn."  Nun.  wir 
glauben  nicht,  dass  dies  der  Standpunkt  groücr  üescJiichtsforscher  sei.  Und 
wenn  danntf  der  Sats  folgt:  „Wo!  aber  m9gen  wir  Kinder  einer  gewaltig  auf- 
strebenden Zeit  uns  der  Secrnuntrcn  erfreuen,  mit  denrn  rine  Entwiekelung, 
die  ihrcägleicixcn  uictit  liat  in  der  Weltgcftcliiciite,  uns  Ixcigvbig  Uberttchüttet*'  — 
80  gtfnnen  wir  jedermann  die  Freude  an  der  ^hochentwiekeltw  Teduiik  nuBeier 
Tage**  und  an  den  Gcnü^s.sen,  die  aus  ihr  ents{iriugen ;  doeh  sind  wir  der  An- 
sieht,  d.äää  eine  auascliließlich  auf  uiodcruer  Buäiü  errichtete  ächule  dem  deutscbea 
Volke  nicht  znr  Ehre  und  zum  Heile  gereichen  wtbtle. 

I'nd  dn  kommen  wir  auf  den  Hauptpunkt  in  dem  vorlit  ixcnden  Krf"rmproject, 
„Dcutbihcs  Weiien,  deutsche  Sprache,  deutsche  Literatur,  deutsche  (re:,«  lachte 
rnttesen  der  Mittelpunkt  der  geflammten  geistigen  Erriehnng  sein."  Ja,  damit 
wSren  wir  einverstanden,  wenn  nur  nicht  gerade  das  Beste  des  deutschen  Wesens 
und  der  deutschen  Literatur  ausdrücklich  verwerten  würde,  al»o  doch  jedenfalls  aus 
der  neuen  Schule  au8gesehIo.ssen  werden  soll.  Die  Kant,  Leesing,  Fichte.  Herder, 
Schiller  n.  s.  w.  sind  ja  implieite  in  Herrn  Ohlerts  Verwerfhngsurtheil  ein- 
geschlossen; aU>o  würden  uns  nur  die  Epigonen,  namentlich  die  Naturalisten  und 
Realisten  zu  sagen  haben,  was  deatselies  Weeoi  ist,  und  den  Canon  fOr  uuere 
künftige  Natinnalerziehunp:  liefern. 

80  darf  die  „Einheitsseliule  "  uieht  besehaft'en  sein,  wenn  sie  sieh  eniptehlen 
will.  Wol  sind  auch  wir  der  Meinung,  da.ss  eine  „Einschränkung  des  elassischcn 
Unterrichts"'  nüthig  sei;  aber  diese  Einsehränkung  soll  in  der  Breite  (Zahl  der 
Schüler),  nicht  in  der  Tiefe  (dem  grilndlichen  Studium)  erfolgen  und  vor  allem 
nicht  in  oer  Form  des  Zwanges,  der  Schablone,  väe  die  bisherigen  Projecte  der 
„Einheitsschule"  und  aueh  das  Ohlert'sehe  wollen.  In  Stehen  der  Erziehung 
ist  alle  Oewaltthätigkeit,  alle  Unifomiirung,  ebenso  die  bisherige,  "wie  die  für 
die  Zukunft  geplante,  verwerflich,  und  solange  man  ihr  huldigt^  wird  es  keine 
heibainc  Schulreform  geben.  Referent  kann  daher  auch  nicht  mit  Herrn  Ohlert 
sprechen:  ..Da  ist  es  nocherfreulich,  dass  vor  wenigen  Monaten  eine  mächtige 
Iland  in  die  stockende  Entwickelung  unseres  höheren  Schulwesens  eingegriffen 
hat.'  äeltsam.  Unsere  Zeit  rühmt  sich  u.  a.  auch  ihres  Freisinnes  und  wirft 
den  classiscben  Yolkcm  vor,  bei  ihnen  habe  der  Staat  „in  das  innerste  Heili^;^ 
thum  der  Individuellen  Freiheit"  eingegriffen  (Ohlert  S.  87).  Ja  freilich,  wir 
haben  es  in  allem  so  herrlich  weit  gebracht  und  sind  im  Beaitse  voller  Geisteth 
und  Gewietensfreiheit.  Auch  gibt  es  keine  Spur  von  Byzantinismus  und  Servi- 
lismns.  Nur  möchte  ein  jeder  die  Staatsgewalt  zu  autoritativen  Eingriffen  an- 
rufen, um  seine  subjectiven  Meinungen  durchzuführen.  Was  wird  denn  dann  „aus 
dem  innersten  HciUgthum  der  individuellen  Freiheit"?  Symptomatisch  ist  da 
audi,  dass  man  heute  ganz  ungeuirt  „Lehrmaterial"  statt  f.ehrpersonal  sagt 
(auch  Herr  0.  thut  dies  S.  Iö6).  Dem  gewaltthätigen  Geiste  unserer  Zeit  sind 
eben  auch  die  Menschen,  selbst  die  IMeher  der  Jugend,  nur  noch— „Material". 

(Iinug  rai^  diesen  aphoristischen  Andeutungen.  Damit  aber  dieselben  nicht  Herrn 
Ohlert  s  Buch  in  einen  ungünstigeren  Ruf  bringen,  als  es  verdient,  bitten  wir 
den  Leser,  dasselbe  selbst  en  studiren.  Es  verfflent  diese  Mühewaltung  voDauf, 
selbst  in  seineu  Irrtbüincrn,  da  es  jedenfalls  mit  großem  FIciße  gearbeitet  ist 
und  dabei  eine  typische  Denkweise  darstellt.  Allerdings  ist  es  nicht  völlig  aus 
einem  Gusse:  es  nngen  darin  BwelerleiAiuriehten,  gewisserma^  swei  Seelen 
miteinander.  Wir  haben  uns  mit  derjenigen  befasst,  wclehe  seliließlich  in  Herrn 
0.  das  Feld  behauptet.  Dass  er  aber  bisweilen  auch  anderen  Betrachtungen 
sugilnglich  ist  und  dann  in  einer  Weise  i^rieht,  der  wir  vollen  Beifall  zoDen 
müssen,  dafür  zwei  Belege.  Trotz  der  vielen  und  begeistert  m  Lolireden  auf 
unsere  Zeit  kommt  doch  Herr  0.  auch  einmal  auf  einige  Schattenseiten  derselben  zu 
Sprechen;  und  während  er  meistens  so  philosophm^  als  ob  mit  der  bekannten 
Hypothese  von  der  „Erhaltung  der  Kraft"  da.s  ganze  ■Weltgetricbc  sattsam 
erklärt  sei,  lässt  er  doch  anderwärts  „Miiehtc  höherer  Art"  walten,  als  „Kinder 
eines  Reiches,  das  der  Bestimmung  durch  Maß  und  Zahl  ewig  verschlossen  ist". 
Die^e  treffliehen  Stellen  haben,  damit  .sie  jcdermaim  mglogUoh  worden,  oben 
unter  dem  Titel  „Zeitstimmen "  Platz  gefunden.  D. 

Psdagogium.  14.  Jabig.  Haft  I.  5 


Dlgltlzed  by  tfopgle 


—  66  — 


Neudrucke  pädagogischer  Schriften.  Herausgegeben  von  Albert  Bickter. 
Leipzig:,  Verlag  von  Bidutrd  Blebter. 

Von  diesem  Sammelwerke  Hegen  uns  bis  jet^t  vier  Lieferungen  vor;  jede 
umfasst  durchschnittlich  80  Seiten  und  kratet  80  Pfennige.  Der  Inhalt  ist 
folgender:  I.  Geschichte  meiner  Schalen  von  Friedr.  Eberhard  von  Bochow. 
IT.  GregoriuB  Schlaghart  oder  die  Dorfschule  zu  Langenhausen.  Von  Johann 
Ferdinand  Schlei.  III.  Der  teutsche  Lehimeister  von  Johann  Balthasar  Schupp. 
IV.  KniritcliMiiclie  YolksBehnlordDvngen.  —  Jedes  Blndchen  beginnt  mit  einer 
Einleitung,  welche  den  Leser  über  den  Ursprung  und  die  Bedeutung  der  be- 
treffenden Schriftf  besüglich  der  drei  ersten  auch  über  die  Lebensgeschichte 
derVerfksser  nnterrielitet;  die  Schrift  TooSehupp(III.)istavehittiterilntorndeB 
Anmerkungen  verschen  (von  Dr.  Paul  Stiitzm  ri.  Der  Wert,  den  diese  Nru- 
drucke  für  die  Geschichte  des  deutschen  Bildungswesens  haben,  liegt  auf  der 
Hand;  die  Beigaben  tob  sdten  der  Editoren  rind  gediegen  und  instnictiT;  der 
Druck  i.st  gut,  und  so  erwirbt  sieb  der  Ilorausgebet  dieses  SammelweakeB  an 
seinen  alten  literariscUen  Verdiensten  ein  neues. 

J)r.  phil.  Enut  0.  Stiehler,  Oberlehrer  am  EgL  Realgymnasinm  zn  DSbeln. 
Streifsllge  anf  dem  Gebiete  dernentpraelilielienBefornibewegiiig. 

Harbarg  1891.   Ehrertsche  Verlagsbuchhandlung.   72  Seiten. 
Zur  Methodik  des  nensprachlichen  Unterrichts.    Zugleich  eine  Ein- 
fnhruug  in  das  Studium  unserer  Reformschriften.   Nebst  einem  ausführlichen 
Quellenverzeichnisse.   Von  demselben,  ebendaselbst.    VI  und  58  Seiten. 

Zwei  treffliche,  von  gründlicher  Sachkenntnis  und  feinem  pädagogischen 
Takt  zeugende  Schriften,  deren  Lortüre  wir  jedem  Lellier  dea  Französischen 
und  Englischen  aufs  wärmste  empfehlen.  1>.  R. 

Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.  5.  verb. 
Aufl.  Strasburg,  1891,  Trflboer. 

Damals,  als  wir  die  cr-^tc  Auflage  dieses  "Wörterbui  hcs  im  „Piedagoc:ium" 
anzeigten,  wiesen  wir  auf  die  wissenschaftliche  Bedeutung  desselben  hin.  Dass 
es  nach  ein  paar  Jabren  schon  die  fünfte  Auflage  erlebt,  abo  ti^  in  die  Kreise 
mierer  Gebildeten  eingedrungen,  ist  rin  orfroulirhrs  Zcirhon  für  seine  Brauoh- 
baAeit.  Der  Verfasser,  jetzt  an  der  Universität  Jena,  arbeitet  aber  auch  un* 
ausgesetzt  aii  deErVemunmunnung  seines  Werkes.  Wir  haben  in  unserer  An- 
zeige der  vierten  Auflage  diese  mit  der  ersten  Ausgabe  verglichen  und  oinr  Reilie 
solcher  Verbesserungen  angefiUurt  (-Pädagogium''  18891.  Noch  lehrreicher  i$t% 
diese  fBnfte  wieder  mit  der  vierten  Ausgabe  su  Tergleienen.  Zwei  einschnddmide 
Vervollkommnungon  treten  da  vor  unser  Ausre:  Kluge  erbringt  nämlich  bei 
den  meisten  der  jüngeren  Wörter  den  Nachweis  ihre^  ersten  Auftretens  in 
den  älteren  dentechen  Wörterbüchern,  und  zweitens,  er  sieht  den  Dialekt  viel 
stärker  heran,  als  dies  in  der  vierten  -Auflage  schon  geschehen  ist.  Der  Leser 
Tcrgleichc  nur  einmal,  was  Kluge  bei  dem  Worte  „Aar"  in  der  vierten  und 
was  er  in  der  fünften  Auflage  bringt:  Dort  die  Etymologie  ohne  RUikshbt 
auf  die  Geschichte  des  Wortes  im  Neuhochdeutschen,  hier  eine  Hokho 
und  eine  höchst  lehrreiche:  Das  Wort  tritt  seit  Ausgang  des  Mittelalters  hinter 
Adler  in  der  lebendigen  Volkssprache  zurück,  Luther  hat  als  Simplex  nur  Adler. 
Seit  di  r  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jalirhunderts  tritt  es  als  poetisches  Wort 
wieder  auf,  z.  B.  bei  (niekingk  1781  ((iedirhtc  II,  45)  als  „Ahr"  mit  der  er- 
erklärenden Fußnote  „Adler".  Goethe  hat  nur  Adler,  nicht  Aar  als  poetisches 
Wort  und  Sdiiller  vereinzelt  Aar  tm  Eleusisdien  Fest, Str.  13,  wa.s  Ueinwald  brieflich 
(  lö.  Febr.  17^*y,i  tadelt.  —  Und  wahrend  kluge  in  der  vierten  Auflage  über  das  dia- 
lektische Vorkommen  des  Wortes  nichts  sagte,  schreibt  er  in  der  fünften  Aufig;abe: 
Die  Dialekte  kennen  Aar  als  .*<implcx  uicht  mehr  (nur  noch  in  Wallis  gilt  „aro"); 
so  ist  es  aLs  der  Vulkssjiracbe  fremd  für  Hes.seu  un<l  Schwabi  ii  angegel>en. 
Aber  in  Niederdeutüchlund  gilt  vielfach  noch  ..Arn",  z.  B.  in  Pommern  (und 
dementsprechend  haben  die  ndd.  Bibeln  in  der  ersten  Hälfte  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  noch  „arne",  während  Luther  schon  „Adler"  hat).  —  Die  Verroll- 
konnuinng  der  fOnften  Auflage  entreckt  sieb  aber  auch  auf  die  Zahl  der  be- 


Digitized  by  Google 


—  67  — 


üprochenen  Wörter.  Reicht  die  erste  Liefern n er  der  vierten  Aullage  bis  zu  dem 
Burhstaben  1),  so  die  der  fOinften  Auflage  nur  bis  zu  dem  Worte  „burachikos*. 
Nacb  all  dem  Gesagten  dürfte  es  sich  selbst  für  die  Besitzer  der  vierten  Auflage 
empfehlen,  diese  neue  Ausgabe  zu  enterben.  Sie  erscheint  in  10  Liefenuuren 
A  1  M.  W. 
Friedrich  E.  Schäfer,  Lehrer  in  Frankfurt  a.  Main,  Elementare  Naturlehre 
für  höhere  Bürgerschulen,  höhere  Mildchenschulen,  Präparandenschnlen  und 
verwandte  Anstalten.  Leipzig  1890.  XVIII  und  205  Seiten.  Preis  2.40  M. 
In  «ndeiw  Form,  als  man  es  jetst  gewOhat  ist,  ntmlieh  nicht  tob  ^em 
Kxporiniente  oder  einer  Erfahrung  des  gewöhnlichen  Lebens  ausgehend,  sondern 
unuüitelbar  in  der  Discussion  Uber  eine  physikalische  Thatsache  oder  Erschei- 
nung fahrt  der  YtKbmet  sn  den  bekannten  widitigsten  Sfttaen  der  Natnrldure. 
Die  Form,  die  er  hierbei  anwendet,  ist  eine  gewandte  und  zweckentsprechende. 
Beispiele  und  Fragen,  am  Ende  der  betre£fenden  Abschnitte  angefuigt,  haben 
jedenfUIa  Ar  den  Lehrer  einen  praktischen  Wert  Überhaupt  strebt  der  Ver- 
fasser an,  seinem  Werkchen  eine  praktische  Bedeutung  zu  geben,  wcBhiill»  auch 
bei  den  entsprechenden  Abschnitten  auf  die  mannigfaltigsten  Erscheinungen 
aus  der  allgemeinen  Geographie,  Meteorologie,  Geologie  und  selbst  Physiologie 
Rücksicht  genommen  ist.  Parin  scheint  uns  auch  der  Hau pt wert  des  Büchleins 
zu  liefen.  Etwas  sonderbar  muthet  es  uns  an,  in  dem  ersten  Theile:  „DieGrund- 
thatsacheu  der  Naturlehrc"  nur  zum  Schlüsse  drei  Abbildungen  vorzufinden, 
welche  audi  übrifjeus  bei  dem  zweiten  Theile:  „Die  wichtigsten  technologischen 
Verwertungen  dieser  Grundthat^achen"  nur  bis  Zahl  20  sich  heben.  Wir  glauben, 
dass  heutzutage,  obgleich  wir  keine  Verehrer  der  vielen  „Bildchen"  in  Lehr- 
büchern sind,  doch  schematische  Figuren  für  den  Schüler  zur  Wiederholung 
hlichst  wertvoll  sind,  auch  selbst  dann,  wenn  von  Seite  des  Lehrers  die  ent- 
sprechenden Zei)  huuu^:cn  auf  der  Tafel  ausgeführt  und  von  den  Schülern  nach- 
gezeichnet oder  die  betreöcnden  Apparate  gezeigt  worden  sind.  Sonst  ist  die 
Ausstattung  des  Werkes  eine  recht  gelungene.  C.  £.  R. 

BbU  FisekePt  Spiaeh-Stoffe  sn  Ldmuum-Lentemaiui'i  Thierbilder  für  den 
Anschannngsnnterricht.  Dritte,  verbesserte  und  vermehrte  Anflage.  Leipsig, 
Verlag  von  Oskar  Leiner.  IV  und  222  Seiten.   Preis  2.50  M. 

In  sehr  guter  Weise  werden  zunächst  in  diesem  Sprach-Stoffbuche  natur- 
histortadie  ErUtaterangen  an  den  bekannten  Lelunann-Leutenuuui'iMdien  Thier» 
bildorn  gegeben  und  zwar  stets  eine  kürzer  gefasste  und  eine  ausführlichere; 
an  dieselben  schließen  sich  dann  in  wülbcrccbneter  Auswahl  Gedichte  nnd 
Losest  Ucke,  Bäthsel  und  Lieder,  hie  und  da  auch  Kinderspiele  an,  welche  anf 
das  besprochene  Thier  Bezug  nehmen.  Sowol  die  erläuternden  Besprechungen, 
als  die  anderen  Lesestücke  sind  dem  kindlichen  Geiste  augepasst,  sowol  was 
die  Form  als  den  Inhalt  anbelangt,  Jeder  VolksschulldiTer  wird  daran  seine 
Freude  haben  und  die  Kinder  mit  ihm,  und  letztere  werden  viel  daraus  fürs 
Leben  lernen.    Die  Ausstattung  des  Buches  ist  schon  zu  nennen.    C.  K.  K. 

SpUttegarb,  E.,  GymnaalallebTer  in  Elbeiftld,  Kritik  der  Übnngibilcher 

des  grundlegenden  Rechennnterriehtes.  69  S.   1.20  M. 

—  Rechenaufgaben  für  die  unteren  Classen  höherer  Lehranstalten,  so^vie  für 
die  Volksschale,  in  3  Heften,  zosammen  166  S.  Düsseldorf  1890,  iSchwaun. 
1.30  M. 

Die  Kritik  der  gebrftnehlichen  Methoden  entbilt  eine  flbeniehfUclie  Zumunmen- 

stellune:  der  Einrichtung  der  gangbaren  Rechenbücher.  Um  die  Übersicht  zu  er- 
leichtern, theilt  der  Verfasser  die  gebräuchlichen  Keehenbilcher  in  „gruppircnde" 
nnd  Teisteht  damnter  solche  nach  der  Methode  Grube's,  dann  in  „trennende" 
mit  Abstufung  gewisser  Zahlenkrcise,  und  endlich  in  ..vermittelnde".  Der 
Verfasser  ist  ein  Gegner  (irube  s  und  spricht  sich  selbst  für  die  „trennende" 
3(cthode  aus,  indem  er  die  Abstufung  des  Unterrichtes  nach  den  Zahlenräumen 
ö,  10,  20  und  100  verlangt ;  in  diesen  Stufen  wird  der  Lehrstoff,  beziehungsweise 
die  Recheoautgaben,  nach  Rechnungsarten  gesondert  vorgeführt.  Da  aber  ander- 
ieita  der  VeiflwMr  es  nicht  nnterittst,  anf  die  Wiebttgfceit  einer  fbrtgeaetaten 

6* 


Digitized  by  Google 


—  68  — 


Wieücrhulung  im  Rechenunterich tc  hi wniwcisen ,  so  ergribt  sich  daraus,  dass 
ftiif  d«B  TcnehiedenoD  Stufen  die  Kechnungsarten  doch  in  gemischter  Folge  vor- 
genommen werden  mii--i>n.  Grube  verlangt  die  Betrachtung  jeder  Zahl  bis  100 
ab  (iuo>  ZahlindividuuiiLs,  an  welchem  alle  Rechnungsarten  vorzunehmen  sind; 
der  Verfasser  theilt  diese  100  Individuen  iu  4  Gruppen,  soncUrt  in  jeder  (irup|MS 
die  Rechnungsarten  und  verlangt  eine  häufige  Wiederholung.  Dies  Itilirt  praktisch 
80  ziemlich  auf  dasselbe  hinaus.  Man  mag  Grabe  tbeoiettsch  noch  so  heftig 
bekibnpfen,  praktisch  wird  seine  Methode  mehr  oder  weniger  eingestanden, 
mehr  oder  weniger  bewusst  dennoch  nachgeahmt;  denn  Bonst  mttsstc  man  ja 
auf  das  reine  Rcihcnrechncn,  wie  es  vor  Chnibc  tTobiftnchlieh  war,  zurflckgrcifen. 
Im  übrigen  kann  man  mit  den  mehr  auf  das  Praktische  gerichteten  methodischen 
Weisongen  und  Behauptungen  des  Veifasscrs  recht  wol  einverstanden  sein,  wie 
er  sich  überhaupt  in  seinen  Schriften  als  ein  sehr  erfiihrcner,  literariaeh  hoch- 

ßbildetcr  Lehrer  bekundet.  Doch  vermup:rn  ^vir  nnsore  Zu-rimmniig  der  Be- 
uptong  nicht  zu  geben,  dass  das  Buch  für  den  Enblg  belangreicher  wSre,  als 
der  Lehrer.  Das  Bnch  ist  immer  nur  das  Werkzeug,  der  Lehrer  ist  der  Heister; 
der  ffate  Meister  versteht  es,  auch  mit  dem  schlechten  "Werkzeuge  zweikent- 
8|ireäiende  Arbeit  zu  leisten.  Ja.  ist  das  Werkzeug  gar  zu  schlecht,  so  legt  er 
CS  zur  Seite  und  schafft  eich  selbst  ein  besseres;  dagegen  ist  auch  das  beste 
"Wrrkzeuc:  in  den  Händen  des  ungeschickten  Arbeiters  nutzlos.  Als  Lehrmittel 
empfiehlt  der  Verfasser  auf  das  lcbhafte.ste  die  russische  Rechenmaschine,  welche 
wir  gleichfalls  Ar  das  beste  Amsdiattiingsmittel  in  diesem  Gebiete  halten. 

Das  erste  Heft  der  Rcchcnanfßfnbcn  unifasst  den  Zahlenraum  bis  100  in  Tier 
Stufen.  Diesen  Stoff  im  ersten  Schuljahre  zu  bewältigon.  ist  wol  nur  in  der 
Voiwhttle  eines  Gymnasiums  möglich,  in  welche  die  Kinaer  doch  mit  einigen 
elementaren  Vorkenntnissen  gelangen.  An  einer  Volksschule  hat  man  genug 
getbau  wenu  man  im  ersten  Jahre  den  Zahknkreiä  bi.s  20  bewältigt.  FUr 
unnützen  Ballast  halten  wir  „Messen"  und  ^.Theilen"  zu  unterscheiden'^);  es  kann 
dies  doch  nicht  durch  den  rm-tiunl  beorrilndet  sein,  dass  einmal  als  I>ivi>ion8- 
zeichen  der  Doppelpunkt  und  eiu  andermal  das  \'orwort  „in"  gebraucht  wird;  es 
ist  dies  ein  an  sich  ganz  unwesentUcher  Vorgang,  filr  den  SchtUer  aber  ein 
unnöthigcs  Krscliwernis.  Der  Verfasser  kann  doch  nicht  darin  den  IJnterschied 
zwischen  Thcilen  und  Messen  sehen,  dass  er  in  seinen  übrigens  ganz  nottun 
Zahlbildem  den  trennenden  Strich  einmal  lothredit  und  da«  andi»iemal  wag- 
recht legt. 

I'as  zweite  Heft  stuft  den  Zahlenraum  l»is  llKK)  bei  200  ah;  es  ist  für  das 
zweite  Jahr  der  Vorschule  bestimmt  un<l  kann  auch  im  dritten  Jahre  der  Volks- 
schule fjebraucht  werden.  Das  dritte  Hett  führt  uns  den  iml>es2:ronzteii  Zahlen- 
raum  vor,  sodann  das  Üechneu  mit  ganzen  einnaniitr*»  luid  mehruamigen 
Zahlen  und  den  einfachsten  Bruchformen.  Die  I'arlcgung  des  dekadischen 
Zahlens3'stenis  mdssen  wir  in  Vergleich  mit  anderen  Lci^bUchem  als  eine 
mangelhafte  be/cii  hneu. 

Die  vorliegende  Kritik  wird  gewiss  für  jeden  Lehrer  dne  anregende  Lectttre 
bilden;  die  Rechenbücher  jedoch  vermögen  wir  nicht  zu  empfehlen,  da  uuxore 
Erfahrung  sehr  zu  Gunsten  der  Methode  Grube's  spricht.  Ii.  E. 

*)  Ich  halte  diese  Unterscheidung  für  wol  begründet.  D. 


Vorantwortl.  Bcdactcur  Dr.  Friedrieb  Dittei.    Uuvlidruclccrei  Juliua  Klinkhardt,  Lcipiig. 


Digitized  by  Google 


Pädagogische  Ausblicke  vor  hundert  Jahren. 

Von  Dr.  <Mtar  Lehmann-Le^piiff, 

D  ie  Ret(irmtliäti(^keit  war  mit  dem  IH.  .Icihrlmndert  in  Fluss 
gekommen .  nachdeui  schon  im  14.  und  15,  Jalnliimdert  vereinzelte, 
wenig  erfolgreiche  Versuche  vorangegangen  waren.  Von  der  religiösen 
Bewegung  ausgehend,  ergriüen  die  Keformgedanken  immer  weitere 
Kreise.  An  die  kirchliche  Neugestaltung  schloss  .sich  im  16.  Jahr- 
hundert die  auf  philosophischem  Gebiete,  der  Bruch  mit  dem  mittel- 
alterlichen Aristoteles,  an,  eingeleitet  durch  die  wissenschaftlichen 
Arbeiten  eines  Descartes,  Spinoza,  Baco  u.  a.  Hand  in  Hand  mit  der 
neuen  Philosophie  und  durch  die  grundlegende  Thätigkeit  der  letzteren 
befördert,  rang  sich  die  Naturwissenschaft  aus  den  Fesseln  der  mittel- 
alterlichen Scholastik  und  drang  auf  neuen  Bahnen  vor.  Die  erste 
befreiende  Thal  hatte  fast  gleidizeitig  mit  Luthers  kühnem  Auftreten 
gegen  Kirche  und  Papst  ('«»peiuicus  duicii  die  Aufstellung  und  wissen- 
schaftliche Begründung  einer  neuen  Weltanschauung  gethan.  P^in 
Kepler,  Newton  u.  a.  gingen  auf  dem  neu  erschlossenen  Wege  weiter. 
Die  Naturwissenschaft  nahm  auf  allen  ihren  Gebieten  einen  groß- 
artigen Aufschwung,  blieb  aber  jahrhundertelang  das  Eigenthum 
der  gelehrten  Kreise.  Die  neuen  Ideen  auch  in  weitere  Schichten 
der  Bevölkerung  zu  tragen,  war  die  Aufklärung  des  vorigen  Jahr- 
hunderte  thitig.  Ba^e  Bammelte  zuerst  alles^  was  bis  zu  seiner  Zeit 
gegoi  das  herrsehende  System  gesagt  war,  und  lieferte  in  seiner 
Zeitschrift  und  dem]  grofien  Wörterbnche  (Dletionnaire  historiqae  et 
critique,  Rotterdam  1697,  deutsch  Ton  Gk>tteched)  ein  reiches  Arsenal 
zum  Kampfe  gegen  das  GewohnheitsmAfiige,  Althergebrachte. 

Auf  allen  Gebieten  bemerkte  man  neben  Spuren  der  Auflösung 
Anzeichen  neuer  Entwickelung.  Die  Industrie  machte  mftchtige  Fort- 
schritte. Am  gewaltsamsten  vollzog  sich  die  Umwälzung  auf  poli- 
tischem (Gebiet.  Nirgends  bestand  aber  auch  ein  so  greller  Gegensatz 
zwischen  den  Ideen  der  Zeit  und  den  factischen  Verhältnissen. 

FadAgogioB.  14.  Jabiy.  H«ft  IT,  6 


Digitized  by  Google 


—   70  — 


Während  die  Hüte  schwelg-ten  und  sich  mit  Prunk  und  Glanz  um- 
gaben, seufzte  das  Volk  unter  der  drückenden,  ihm  auferleg-ten  Tjast. 
lumier  lauter  erhob  sich  der  Ruf  nach  einer  Verbesserung  der  Lage 
aller  Classen.  Eine  Besserung  des  Volkes  und  seiner  Verhältnisse 
war  aber  nur  zu  erreichen  diuxh  Erziehung  und  Führung  zur  Selbst- 
ständigkeit im  Denken  und  Handeln.  So  erblicken  wir  denn  in 
dem  allgemeinen  und  dringenden  Rufe  nach  Reform  der  Er- 
ziehung und  des  Unterrichtes  im  18.  Jahrhundert  die  natur- 
gemäße Folge  der  bisherigen  Culturentwickelung. 

An  Anregungen  für  die  Hebung  des  Scliulwesens  fehlte  es  nicht. 
So  forderte  schon  Locke  eine  Reform  dei-  Erziehung  und  des  Unter- 
richtes. Es  folgten  bald  Voltaire"«  Angrifie  auf  Schulen  und  Gelehrte 
und  Montesquieu  s  Per.^ische  Briefe.  Thfuiiasius  und  (lottsched  machten 
auf  Übelstände  au  den  deutschen  Bildungsstätten  aufmerksam;  und 
Rousseau's  Emile  erschien  vielen  als  das  Evangelium  der  neuen  Er- 
ziehung. Geschrieben  wurde  viel  über  Erziehung,  aber  den  Worten 
folgten  keine  Thaten.  Mit  allgemeiner  Begeisterung  begrilfite  man 
es  daher,  als  Deutsche  sich  daran  machten,  einige  der  Rousseaa'schen 
Ideen  pnlctisch  dnreluEiifllhreii.  Aber  die  philanthropischen  Anstalten 
yermochten  nicht,  den  aof  sie  gesetzten  Erwartungen  zn  entsprechen, 
nnd  Yon  selten  der  Fachgenossen  erführ  die  Thfttigkeit  der  „Menschen- 
freunde" eine  sehr  verschiedene  Benrtheilnng,  die  zum  Thefl  in  yOUige 
Gleidigiltigkelt  und  Abneigung  gegen  die  neue  Biditung  ausging. 
Was  aber  einer  Hebung  nnd  krftftigen  Entwickelang  des  Schnlwesens 
von  vornherein  den  Hemmschuh  anlegte,  war  die  Theihiahmlosigkeit 
der  Itegierungen,  selbst  eines  Friedrich,  den  die  neue  Partei  so 
hoi&iangsfroh  als  Messias  begrOflt  hatte.  So  blieb  in  der  Erziehnngs- 
Beform  das  meiste  eitel  Theorie. 

Kein  Wunder,  wenn  dem  einsichtsvollen  Schulmanne  das  Herz 
schwer  wurde,  da  er  sah,  dass  nach  ihm  nnd  seiner  Sache  keiner 
fragte,  dass  fOr  die  hohe  Anfgahe  der  Jugendbildung  so  gut  wie  nichts 
geschah.  Es  liegen  uns  eine  Beihe  Veröffentlichungen  ans  damaliger 
Zeit  vor,  die,  dictirt  von  einem  lebhaften  patriotischen  Qeffthl  und 
von  Begeisterung  für  die  Sache  der  Erziehung,  uns  Aber  die  oben 
angedeutete  Lage  der  Schulen  und  der  Erziehung  Bericht  erstatten. 
Es  sind  dies  die  „Erziehungsschriften",  oder  wie  ursprünglich 
der  Titel  hiefi:  „Gedanken,  Vorschläge  nnd  Wünsche  zur  Ver- 
besserung der  öffentlichen  Erziehung,  als  Materialien  zur 
Pädagogik^  herausgegeben  von  Friedrich  Gabriel  Resewitz, 
5  Bftnde,  1778^1786.  Berlin  nnd  Leipzig  bei  Carl  August  Nicolai 


Digitized  by  Google 


—   71  — 


Besewitz,  der  in  der  Geschichte  der  Erziehung  von  K.  v.  Raumer  gar 
keine  Erwähnung  findet  und  von  K.  Schmidt  sehr  kui'z  abgethaa 
wii'd,  hat  unsere  Beachtung  wol  verdient.  Denn  er  war,  obschon 
kein  Bahnbrecher  wie  Rousseau  und  Basedow,  so  doch  ein  wackerer 
Kämi>e  für  die  Schule  und  den  Lehrerstaud.*) 

Wie  stand  es  vor  hundert  Jahren  um  das  Los  des  Schulmaunep, 
des  Mannes,  der  Menschen  bildet  und  dem  Staate  Bürger  eraeht? 
Während  den  anderen  Ständen,  wie  dem  juristischen,  dem  geistlichen 

*)  Frieiriolk  Galniel  Besewits  wurde  geboren  ni  Berlim  am  9.  Mtai  1789 
(nicht  1786,  vgl.  die  auf  Gnnd  seiner  eigenen  Angalien  aus  Qoflitt's  Papieren  von 
Prot  Müller  TeröffeDtlicbte  AutobiogTraphie),  besuchte  seit  1740  das  Joacbiiostharsche 

Gymnasium  un<l  studirte  1747-  1750  in  Halle,  wo  ihu  besonders  BHuiiigart(?as  Vor- 
lesungen zu  einem  ^dcukendcn"  Theoloi^ou  machteu.  Als  Roisopreditfer  des  Fürsten 
von  Zerbst  hielt  er  sich,  eine  Zeit  lang  iu  Tariti  auf,  trat  dann  iu  Berlin  mit  Moses 
Hendelasdin  ^nnd  Nicolai  in  flfenndachaftliehen  und  geldurten  Vokehr  nnd  wnzde 
ndtdieBlidi  atteh  Hitarbeiter  der  „Briefe,  die  neueste  .Literatur  betreffend*'.  Seit 
1757  Pastor  in  Quedlinburg,  folgte  er  1767  einer  Berufung  als  Pfarrer  an  die 
St.  Petrikirchc  in  Kopenhagen  und  srhloss  sich  dem  nordischen  Literaturkreise: 
Klopstock,  Gramer,  Schlegel  u.  a.  an.  In  Kopenhagen  erwarb  er  sich  als  Director 
des  Annenwesens  nnd  als  Offtnder  ßat  königlichen  Beslichule  (1771)  Vwdienite. 
Seine  1778  TerOffentlichte  pldagogisohe  BeiSormschrlft:  „Die  Endehang  des  Bflrger» 
xnm  (icbrauchc  dc^^  gesunden  Verstandes  und  zur  gemeinnützigen  Geiohäftigkeit'' 
wurde  viel  gelesen  und  besprochen  und  verschaft'te  ihm  die  Berufung  Kuni  Abt  von 
Kloster  Bergen,  zu  welcher  Stelle  si<ii  auch  Basedow  gemeldet  haben  soll.  .Am 
16.  Jnni  1775  trat  er  sein  neues  Amt  an,  und  mit  dem  Jahre  1776  beginnen  die 
'  halldihrliehen  TerMtoBtlidknngen,  deren  Inhalt  in  Toiliogendem  Anftatae  aur  theil- 
weisen  Despreehnng  kommen.  1776  besuchte  er  aadi  das  Plülanthioi^Bxamra  au 
Dessaa.  Seine  religiös-freisinnigen  und  philanthropisch-milden  Erziehungsgrundsätse 
machten  ihn  Friedrich  II.  angenehm,  wurdeu  aber  für  dessen  Nachfolger  Friedrich 
Wilhelm  II.  und  seinen  Minister  Wöllner  die  Veranlassung,  ihm  1796  die  Aufsicht 
Aber  Pädagogium  und  Lehrerseminar  au  nehmen.  Resewits  starb  am  30.  Octobej  1806- 
wenige  Jalne  darauf  ging  aueh  die  Sehnte  au  Kloster  Bergen  ein.  —  Besewita  ge- 
hört zur  pädagogischen  Reformpartei  des  18.  Jahrhundert«.  Seine  Thäti<>:keit  ist 
viel  gelobt  und  viel  getadelt  worden.  Vgl.  Wieland  „Deutscher  Mercur",  da.s  ..Braun- 
gchweigische  .Tournal"  1788,  das  ..Deutsrlie  .Musi'uni"  1784,  den  ..Reiseudeu  für 
Länder-  und  Völkerkunde"  u.  a.  Der  Vorwurf,  dass  er  iu  seiner  praktischen  Thärig- 
keit  das  nidit  hielt,  was  laeine  Sdiriften  erwarten  liefen,  trifft  gleiohetweiie  wie 
flui  andi  einen  Basedow,  Pestaloaai  und  andere  Theoretiker  d«r  Pftdagogik.  —  ffiehe 
Aber  Besewitz  den  Aufeatz  von  Eawerau  in  den  ^.Magdeburger  Geschichtsblättem** 
1880  und  Ilolstein's  ..C^eschichte  der  ehemaligen  Schule  zu  Kloster  Bergen"  im 
neuen  Jahrbuch  lilr  Philologie  uud  Pädagogik  1886,  2.  .\btheilung,  Band  32.  Sehr 
bc:zcichucnd  für  unsere  geringe  Kenntnis  des  18.  Jahrhunderts  ist  es,  dass  in 
Schmid's  Eni^ltlopidie  der  Name  Besewiti  nicht  an  Ibden  ist,  wUnend  doch 
schon  die  EneyUopIdien  t<hi  WOrle,  Hergang  u.  a.  einige,  wenn  audi*  nnanieiihende 
Notiaen  bringen. 

6* 

y 


Digitized  by  Google 


—   72  — 


und  militäiischen  sichere  Aussicht  aul  eine  glückliche  Lebensstellung 
gegeben  war,  blieb  dem  ersteren  nichts  als  Anstrengung  und  müh- 
seligre  Ai-beit  und  oft  zur  Erholung  Kummer  und  Sorge,  fast  keine 
bürgerliche  Ehre  und  Würde,  als  nur  der  verachtete  Nachtrab  des 
geistlichen  Standes  zu  sein."  Kein  Wunder,  wenn  immer  weniger 
tüclitifre  Kräfte  sich  für  die  Dauer  diesem  Berufe  widmeten,  und 
junge  Theologen  ihn  nur  so  lange  betrieben,  als  ihnen  noch  nicht  ein 
geistliches  Amt  beschert  war.  Aber  gerade  dagegen,  dass  die 
Schule  etwa  als  Durchgangsstadium  in  das  Pfarramt  und  die  Schul- 
arbeit als  eine  Vorbereitung  für  den  Beruf  des  Seelsorgei-s  angesehen 
werden  dürfe,  legt  Resewitz  Verwahrung  ein,  da  nach  seiner  Er- 
fahrung wenige  den  Unterricht  in  diesem  Sinne  betreiben  und  es 
doch  eine  gewagte  Sache  sei,  dem  zukünftigen  Seelsorger  seine  Ge- 
schicklichkeit auf  Kosten  der  Jugendbildung  zu  verschaffen.  Die 
Schule  soll  Selbstzweck  werden  und  keiner  uline  Lust  und  Liebe  für 
die  Sache  der  Erziehung,  ohne  Anlage  und  Vorbereitung  dazu,  .Tugend- 
bildner sein.  An  wem  liegt  es  nun  aber,  dass  es  an  guten  Lehr- 
kräften gebricht,  dass  überhaupt  nichts  Rechtes  für  die  Schule  ge- 
schieht? Am  Staate,  lediglich  an  der  Stellung,  die  dieser  zui-  Unter- 
riclitsfrage  einnimmt!  „Die  Erziehung  ist  dem  Staate  noch 
keine  wiclitige  Angelegenheit  geworden!"*)  Wenn  Resewitz 
diesen  Satz  aufstellt,  so  ist  er  sich  wol  bewusst,  dass  man  ihm  ent- 
gegnen werde,  seine  Behauptung  sei  paradox  zu  einer  Zeit,  da  selbst 
Ftii-sten  ihr  Interesse  für  die  Bildung  an  den  Tag  legten,  Pläne  ent- 
worfen, auch  wol  Schulen  gegründet  und  Lehrerseminai*e  ins  Leben 
genifen  würden.  Aber  derartige  Einwürfe  können  ihm  seine  Behaap» 
tung  nicht  entkrSfteD.  Alles,  was  man  in  diesem  Sinne  aufisozähton 
vermöge,  seien  einzelne  Verenche  tttclriger  H&nner,  zofiUlige,  partielle» 
aus  Laone  gewährte  UnterstHtxnngen;  aber  einen  Plan  für  das  GanaOi 
eine  der  Lage  dee  Staates  nnd  den  BedttiMnen  des  Volkes  entere- 
chende  Organisation  des  Ersiehnngswesens  sncfae  man  vergebens.  Man 


*^  Eiu  3Iiinpel  an  guten  Lehrkhilten  wurde  auch  von  den  RetritTungou  uud 
Fürsten  empluadeo.  So  fordert  Friedrich  Wilhelm  I.  vou  Fraucke  ächuliueister  fUr 
dM  Potidamer  Waiacnliaiii,  mä  Friedrich  n.  lieft  adit  Lehzer  inSeobMn  anwerben. 
Aber  ni  dnndignllBnden  llalregdn,  m  der  Lehreinoth  su  etenon,  Tentand  man 

nch  nicht.  (Vgl.  Beckedorff,  Jahrbücher  des  preußischen  VeUtsschulwesens.  S.  31  t'a;.) 
—  Auch  die  Schule  zu  Kloster  Berpren  wurde  1736  von  Friedrich  Wilhelm  T.  auf- 
gefordert, Lehrer  zu  bildeu.  Freilich  fanden  sich  zu  Seminaristen  keine  anderen 
Leute  als  Handwerksburschen  aus  Magdeburg  und  die  Diener  der  jungen  Adligen, 
die  das  Fttdagoginm  na  KJoster  Beigen  beniohten. 


Digitized  by  Google 


—  73  — 

habe  nkht  nur  nicht»  gethao  fttr  die  Sehnle,  sondern  sogar  oftmals 
die  zur  Zeit  der  Eirclienyerbesserang  gestifteten  Fonds  verringert 
Daher  der  Rückgang  der  Anstalten,  sowol  was  die  Zahl,  als  auch  die 
Leistnngsföhigkeit  betreffe.  „Man  zuckt  die  Achseln;  man  will  oder 
kann  das  OM  nicht  entbehren,  womit  das  wirklich  ausgeführt  werden 
soll,  was  ganz  schön  auf  dem  Papiere  steht.  Hier  hindert  es  die 
stehende  Armee,  dort  die  Schuldenlast,  hier  steht  die  Jagd,  dort  der 
Hofstaat  u.  s.  w.  im  Wege." 

Verderblich  für  das  Ansehen  der  Schule  erscheint  dem  Abt  Rese- 
witz  auch  das  Sinken  des  geistlichen  Einflusses  auf  das  Volk.  Die 
häusliche  £2iziehung  stand  bisher  in  innigem  Zusammenhange  mit 
der  Kirche,  nnd  die  Schule  genoss  vorwiegend  als  eine  Stütze  von 
Religion  und  Kirche  Ansehen..  Den  Einfliiss  des  geistliclien  Standes 
auf  (las  Volk  und  damit  zugleich  die  Achtung  Yor  der  Schule  sieht 
Resewitz  mehr  und  mehr  sinken.  Und  suchen  wir  heute  nach  dem 
Grunde  dieser  That.sache,  so  erkennen  wir,  dass  es  nicht  blos  der 
Geist  der  Aufklänine:  war,  der  die  geistliche  Macht  bekämpfte, 
sondern  dass  die  Entartung  der  herrschenden  i-eligiösen  Richtung 
das  Ansehen  der  Kirche  schwer  schädigte.  Dazu  kam  die  Einwirkuno- 
der  tleistischen  und  materialistischen  Philosophie  auf  immer  weitere 
Kreise  des  Volkes. 

Die  Besoldung  des  Schulmannes  war  eine  klägliche  und  seine 
damalige  Abliängigkoit  von  J^ehörden  und  Schulpatronen  demüthigend. 
War  denn  die  Schularbeit  eine  geringere  oder  minderwerthige  ge- 
worden? Im  Gegentheil!  Nachdem  der  Gesichtskreis  des  Volkes 
sich  erweitert,  die  Zahl  der  SchuLfacher  sicli  vermehrt  und  die  An- 
forderungen an  das  lieranwarhsende  Geschlecht  sich  gesteigert  liatten, 
wurden  an  das  Wissen,  an  die  Urtheils-  und  Leistungstahigkeit  des 
Schullehrers  weitaus  größere  Anforderungen  gestellt. 

Was  konnte  unter  solchen  Verhältnissen  der  Staat  von  der  Schule 
erwarten?  Kann  man  Eifer  und  ernstes  Streben,  eine  bessere  Ge- 
staltung fies  Unterrichts  erwarten  von  Männern,  denen  unter  den 
drückenden  Nahruugssurgen  die  Fi'eiheit  des  Geistes  und  die  Freudig- 
keit der  Arbeit  verloren  ging!  „Man  müsste  die  menschliche  Natur 
nicht  kennen,  mit  dem  Philosophen  auf  dem  Throne  nicht  wissen, 
dass  Selbstliebe  und  Hoffnung  auf  das  Gefühl  eigenen  Wolseins  das 
große  Triebwerk  bürgerlicher  Tugenden  ist." 

Wie  der  Lehrerstand,  so  war  das  gesammte  Erziehungsweseu 
einer  Reform  dringend  bedüiftig.  Resewitz  weist  in  dieser  Beziehung 
auf  einige  Punkte  hin,  so  auf  das  Fehlen  „allgemein  wirksamer 


Digitized  by  Google 


—   74  — 


PriBicipien''  in  der  Erziehung.  Die  Religion  hatte  einen  groBoi 
Theil  ihres  Einflusses  auf  dieselbe  verloren.  Da  in  der  hänalicheik 
Erziehung  die  Pflege  des  religiösen  Sinnes  schwand,  so  darf  es  uns 
nicht  wundem,  vielfachen  Klagen  über*  Religionsverachtung  und  Frei- 
geisterei zu  begegnen,  wie  wir  ja  auch  in  der  Literatur  damaliger 
Zeit  derartige  Personen  häufig  dargestellt  finden.  Neben  dem  Mangel 
an'Bdigiofiit&t  beklagt  Resewits  das  Schwinden  der  Ehrliebe,  dea 
mfiheyoUen,  mannhaften  Strebens  nach  Vervollkommnong  und  der- 
ein stiger  moralisclier  und  gesellschaftlicher  Tüchtigkeit,  an  deren 
Stelle  spielende  Eitelkeit,  Oberflächlichkeit  und  galantes  Wesen  ge- 
treten war.  Aucli  den  Patriotismus,  die  Liebe  zum  deutschen  Vater- 
lande suche  man  A^ergebens.  Ja,  in  Biicliem  sei  er  wol  zu  Hause, 
aber  in  Wirklichkeit  habe  er  dem  Weltbiirgersinn  Platz  machen 
müssen.  In  der  That:  Ein  Deutscher  zu  sein,  galt  dem  Deutschen 
damaliger  Zeit  für  Avenig  ehrenvoll.  Man  reiste  viel  in  fremde  Länder 
und  gefiel  sicli  besonders  in  lächerlicher  Nachahmunj?  der  Franzosen. 
Luxus  und  Verscl)wendungssuclit  griftcu  im  Volke  immer  weiter  um 
sich.  Der  Sinn  tür  Einfachheit  und  Häuslichkeit  ging  vielfach  ver- 
loren, die  Moralität  wurde  untergraben  und  in  dem  Kampfe  um  Er- 
langung der  Existenzmittel  fing  die  altdeutsche  Ehrlichkeit  an  zu 
leiden.  In  dem  Bestreben,  möglichst  angenehm  und  gut  zu  leben, 
oline  sich  den  Aufgaben  der  Gegenwart  und  des  eigenen  Lebens- 
kreises ernstlich  zu  widmen,  gingen  gerade  die  Edlen  des  Volkes 
mit  schlechtem  Beispiele  voran.  Wer  hatte  unter  solchen  Verhält- 
nissen Lust  und  Zeit,  sich  der  mühevollen  Aufgabe  der  Erziehung 
zu  widmen! 

Welche  Maßregeln  ergriti  man  nun,  um  allen  diesen  schädlichen 
Einflüssen  entgegen  zu  arbeiten?  Resewitz  weiß  keine  öffentlichen 
Vorkelirungen  gegen  dieses  „Heer  von  Übeln zu  nennen.  Und  doch 
konnte  hier  nur  die  öft'entliche  Erziehung,  unterstützt  durch  eine 
weise  Gesetzgebung,  bessernd  auf  das  Volk  einwirken.  Die  Fürsten 
mussten  erst  einsehen  lernen,  das  veniünftige  Menschen  auch  die 
besten  Unteilhanen  sind,  ,.dass  die  innere  Verbesserung  des  Staates 
großentheils  von  der  Einsicht  und  verständigen  Thätigkeit  seiner  Be- 
wohner abhängt  und  dass  man,  diese  zu  bewirken,  bei  einer  zweck- 
mäßigen Aufkläi'ung  und  Unterweisung  der  Jugend  anfangen  muss." 
Wie  die  Fürsten  zum  Wole  der  Allgemeinheit  Moräste  aus- 
trocknen ließen  und  schöne  Gebäude  errichteten,  so  sollten 
sie  sich  endlich  auch  geneigt  zeigen,  verödete  und  unfrucht- 
bare Schalen  ihres  Landes  urbar  zu  machen.    Speciell  die 


Digitized  by  Google 


—   76  — 


häusliche  Eraehnng  schildert  Resewitz  mit  den  Worten:  „Man  Bchnitst 
artige  Pappen  ndt  schwachen  Gliedern  nnd  entarteten  Köpfen,  man 
bildet  an  ihnen  mühsam  ein  äußerliches,  gefallendes  Wesen,  französisirt 
den  deutschen  Sinn  und  das  deutsche  Blut  und  pfropft  französischen 
Leichtsinn  und  flachen,  modischen  Wits  auf  den  verdorbenen  deutschen 
Stamm."  Auch  in  der  Uanserziehung  muss  eine  entschiedene  Besse- 
rung, die  der  Yerflachung  und  Verftnßerlichnng  derselben  entgegen 
arbeitet^  angestrebt  werden. 

Die  Schriftsteller  damaliger  Zeit  erfahren  bezüglich  ihres  Ein* 
flnsses  auf  die  Jugend  eine  harte  nnd  zum  Theil  ungerechtfertigte 
Beui'theilung.  Denn  der  Vorwurf,  dass  sie  durch  Romane,  Lieder 
und  Gedichte  das  junge  Volk  in  eine  Traumwelt  fuhren,  es  untüchtig 
zu  praktischen  Geschäften  und  lediglich  (!)  zu  wimmernden,  über- 
spannten und  phantastischen  Träumern  machen,  darf  wol  auf  die 
dichterischen  Erzeugnisse  jeneri  träumerischen  und  kiankliaften  Senti- 
mentalität angewendet,  aber  nicht  auf  die  Dichtungen  des  stürmischen 
Thatendrangs  ausgedehnt  werden. 

Resewitz  stand  in  Ansehen  bei  seinen  Berufsgenossen.  Er  erfulir 
bei  Veröffentlichung  seines  Aufsatzes,  was  unausbleiblich  ist  bei  einem 
derartigen  [Standpunkte,  der  das  Bestehende  ne^irt,  ohne  mit  be- 
stimmten Vorschlägen  hervorzutreten,  dass  er  seinen  Berufsgenossen 
nur  das  Herz  schwer  gemacht  hatte,  ohne  Hoffnungen  auf  Besserung 
der  trostlosen  Lage  zu  wecken.  Das  spricht  der  Gegenartikel  eines 
Ungenannten  in  Band  II  aus. 

Aber  wenn  Resewitz  auch  die  Mängel  des  damaligen  P^rziehungs- 
wesens  tief  beklagte,  so  war  er  doch  weit  davon  entfernt,  die  Fort- 
schritte zu  verkennen,  die  in  den  letztvergangenen  Jahrzehnten  Auf- 
klärung und  Sittlichkeit  im  deutschen  Vaterlande  gemacht  hatten, 
und  gern  bereit,  zuzugestehen,  dass  man  allmählicli,  wenn  auch  lang- 
sam, aufliörte,  sich  am  Gängelbande  der  Gewohnheit,  des  Vorurtheils 
und  der  Nachahmung  führen  zu  lassen.  Was  er  tief  beklagt,  das  ist 
die  Planlosigkeit  in  der  Erziehung,  die  Tlieilnahnilosigkeit  der  Ge- 
meindeverwaltungen und  die  Halbheit,  um  niclit  zu  sagen  Gleich- 
giltigkeit,  von  selten  der  Geistlichen.  Wer  waren  infolgedessen  die 
Jugendbildner?  Leute  ohne  Talent,  ohne  Bildung  und  Charakter, 
Männer,  die  in  anderen  Erwerbszweigen  verunglückt  waren  oder  sich 
als  untauglich  zeigten,  Leute,  wie  sie  der  Geschichtsprofessor  von 
Treitschke  in  völliger  Verkennung  einer  hundertjährigen  segensreichen 
Entwickelnng  noch  heute  im  Volksschnllehrerstande  erblickt.  Wer 
fragte  daaadi,  was  nnd  wie  gelehrt  wnrde!  Grofientiheäs  beschränkt 


Digitized  by  Google 


—    76  — 


sich  der  Unterricht  nur  dahin,  sagt  Besewitz,  dass  die  Kinder  unter 
yie^ährigen  Mühen  und  Plagen  die  imvei'staiulenen  Worte  des  Katechis- 
mus auswendig  und  kümmerlich  lesen  und  achreiben  lernen.  (Band  Y, 
4.  Stück:  „Über  National-Erzieliung.") 

Wie  sehr  aucli  Resewitz  bei  den  Fürsten  die  rechte  Autheil- 
nahme  an  dei-  Bildung  des  Volkes  vermisste,  so  rühmt  er  doch,  dass 
Friecbichs  Regierung  die  geistige  Bewegung  des  18.  Jalirliunderts 
schuf,  oder  sagen  wir  lieber:  kräftig  torderte.  Vom  kommenden  Jahr- 
hundert erwartet  er  die  allgemeine  Verbreitung  der  Bildung;  in  diesem 
denkt  er  sich  alle  die  schönen  Bilder  seiner  für  das  Wol  des  Vater- 
landes erglühenden  Seele  verwirklicht,  so  dass  er  stets  mit  großer 
Hoffnung  und  Fi  eud^-  vom  10.  Jahrhundert  sj)richt.  In  einem  Traum- 
bilde, das  einst  seine  Seele  fesselte,  als  er  in  solcher  Stiiiimung  bis 
in  die  Nacht  pädagogischen  Ideen  nachhing,  führt  er  uns  seine  Ore- 
dauken  über  Reform  des  Untemchtswesens  vor. 

Während  bisher  jede,  auch  die  kleinste  Stadt  ihre  Ehre  darin 
sachte,  eine  lateinische  Schule  zu  haben,  soll  jetzt  diese  münchische 
Einrichtung,  nach  der  jeder  Knabe  jahrelang  mit  den  Anfängen  des 
Latein  und  Griechisch  gequält  wurde,  abgeschatit  werden.  Denn  es 
müsse  doch  jedem  vernünftigen  Menschen  einleuchten,  dass  man  nicht 
die  gesammte  .Tugend  zu  Lateinern  und  Stubengelehrten  heranbilden 
könne.  Dass  niidisam  erlernte  kümmei'liche  Brocken  ans  den  genannten 
Sprachen  dem  (-»edächtnisse  bald  wieder  entfallen  und  lür  die  Bildung 
zum  praktischen  Leben  damit  nichts  gewTtnnen  ist.  gilt  uns  heute 
(wenigstens  in  der  Theorie!!)  für  eine  aus<,a^maclite  Sache.  Dazu  hat 
das  mächtige  Vorwärtsdrängen  der  Schulmänner  jener  Zeit,  auch  das 
eines  Resewitz,  wesentlich  beigetragen,  der  es  wiederholt  ausspricht, 
dass  es  eine  dringende  Angelegenheit  sei,  ans  der  unförmigen  und 
nmsweckmäßigen  Masse  lateinischer  Schulen  eine  Anstalt  zu  schaffen, 
die  99  verwahrlosten  Knaben  unter  100  zugute  komme.  Diese  Be- 
strebungen, die  besonders  von  Hecker  vertreten  wurden  und  schon  in 
dem  HaUeechen  Waisenhanse  in  ihren  AnfiLngen  zn  linden  sind,  waren 
bedingt  'dnrch  die  Umgestaltung,  die  das  18.  Jahrhundert  bewirkte. 
Denn  da  rationelle  Bebauung  des  Bodens  immer  mehr  erforderlich 
wurde,  der  Handel  weitere  Ansdehnung  erlangte,  die  fortschreitende 
Industrie  größere  Anforderungen  an  die  Leistungsfilhigkeit  des  Hand- 
werkers stellte  und  die  Verwaltung  des  Staatsorganismns  und  der 
Einzelbetriebe  tttchtige  KGpfe  erheischte,  so  mosste  die  Bfldnngs- 
arbeit  ihre  Aufgabe  darin  erblicken,  die  Jugend  diesen  veränderten 
Verhfiltnissen  gemAB  zu  erziehen. 


Digitized  by  Google 


~   77  — 


Alle  lateinischen  Schulen  der  Landstädte  sollen  daher, 
das  ist  Resewitz'  Forderung»  in  „BUrgersehalen^^  umgewan- 
delt werden,  in  denen  die  Jugend  einen  vernftnftigen  und 
praktischen  Unterricht  in  der  Religion  und  sorgfältige  An- 
weisung im  Schreiben  und  Rechnen  erhält.  Sie  wird  be- 
kannt gemacht  mit  den  brauchbarsten  Naturproducten,  mit 
dem  Land-  und  Gartenbau*),  mit  den  gangbarsten  Künsten 
nnd  Handwerken.  In  der  Erdbeschreibung  genügt  die  all- 
gemeine Darstellung  der  Beschaffenheit  der  Erdtheile,  doch 
wird  vom  Schüler  die  «genaueste  Kenntnis  des  deutschen 
Vaterlandes  gefordert.  Der  Geschichtsunteriicht  soll  die 
alte  Zeit  in  einem  kurzen  Abrisse,  die  neueste  Zeit  aber, 
▼om  Jahre  1700  an.  in  eingehendster  Darstelluiiüf  vorführen. 
Bekauntseliaft  mit  den  Landesfresetzen  ist  für  Jeden  späteren 
Bürger  unerlässlich,  sowie  ein  Hinweis  auf  die  Vortheile 
und  Vorzüge  des  Vaterlandes,  wodurch  der  scliluinmernde 
Patriotismus  geweckt  werden  würde.  Mit  den  nöthigsten 
Gesundheitsmaßregeln  und  den  Maximen,  verständijr  und 
klug  in  der  Welt  zu  leben,  soll  man  die  Jugend  in  passen- 
den Beispielen  ebenfalls  vertraut  niaclien.  Das  Zeichnen  ist 
mit  Rücksicht  auf  die  spätere  Beschäftigung  der  Schüler  zu 
betieiben.  Ganz  besonders  aber  sollen  zur  Bildung  des  Ver- 
standes und  des  Stiles  schriftliclie  Übungen  über  das,  was 
durch  den  Unterricht  erarbeitet  ist,  anj,^estellt  w^erden.  Der 
Lehrer  hat  dieselben  durchzusehen  und  daran  noch  Aufsätze 
zu  schließen,  die  auf  das  bürgerliche  Leben  vorbereiten. 

So  linden  wir  hier  von  Resewitz  eine  Keihe  fru<-htbarer  An- 
regungen gegeben,  Ideen  ausgesprochen,  die  auf  die  Gestaltung 
unserer  heutigen  einfachen  Volksschule,  der  Bürgerschule  und  man- 
cher anderen  Lehranstalt  von  Einfluss  gewesen  sind.  In  diesem 
Sinne  kann  man  wol  sagen,  dass  das  19.  Jahrhundert  den  pädago- 
gischen Traum  des  18.  Jahrhundeils,  speciell  eines  Besewitz,  zur 
Wiiklichkeit  machte. 

Wer  die  niedere  oder  einfache  BOrgersehule  besucht  hat  nnd 
Kaufmann,  Landmann,  Gameraiist  |oder  Qffider  werden  will,  tritt 

*)  DicM  plütttlumpische  Forderung,  die  'zueri^t  Salzmann  crholi,  finden  wir 
seit  dem  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  in  den  rnterrichtspliinen  dor  Lehrerseminare: 
es  wird  für  den  .Seminaristen  die  rnterweisunia:  in  der  angewaudteii  rtianzenkunde, 
im  Gartenbau,  in  der  Landwirtschaft  und  Obstbaumzucht  gefordert.  (Vergl.  Becke- 
dorff, S.  179,  200,  222. 


« 


Digitized  by  Google 


—  78  — 


noch  in  die  liöhere  oder  f,grüßere"  Bürgerschule  ein,  wie  eine  solche 
in  der  Hauptstadt  jeder  Provinz  einzurichten  ist 

Auch  für  den  armen  lAndnuMUi  soll  gesorgt  werden.  Bisher, 
sagt  Hesewitz,  ließ  man  ihn,  und  zwai*  großentheils  mit  voller  Ab- 
sichtlichkeit, gleich  seinem  Lastvieh  in  dem  gewohnten  Gleise  blind 
und  verstockt  der  Weise  seiner  Väter  folgen.*»  Daher  stecke  er 
noch  so  tief  im  Aberglauben,  dass  er  sein  Leben  und  seine  Gesund- 
heit jedem  Jongleuer  und  Gaukler  preisgebe  und  man  ihn  ohne  viel 
jesuitische  Kunst  leicht  in  den  alten  papistischen  Aberglauben  zurück- 
stürzen könne.  Auch  Rochow  beklagte  die*  Unwissenheit  und  den 
Aberglauben  der  Landbewohner  und  wurde  dadurch  zur  Gründung 
einer  Landschule  geführt,  die  Resewitz  rühmt  und  als  die  einzige 
bezeichnet,  deren  Einrichtung  Aufmerksamkeit  verdiene.  Aber  nicht 
nur  einzelnen,  sondern  allen  Landbewohnern  soll  eine  planmäßige  Er- 
ziehung in  überall  zu  errichtenden  Landschulen  gewährt  werden. 

Die  lateinischen  Schulen  der  Städte  sind  keineswegs  völlig  zu 
beseitigen,  sondern  in  jeder  Provinzial-Hauptstadt  —  es  ist  an  preu- 
ßische Verhältnisse  gedacht!  —  wird  eine  derselben  weiter  erlialten 
und  aufs  beste  ausgebaut.  Sie  bereitet  für  den  Gelehrtenstand  vor. 
Die  Zöglinge  derselben  werden  aber  nicht  ohne  Auswahl  angenommen, 
sondern,  damit  man  nicht  gelehrte  Stiirai)er  heranbilde,  niu-  solche  für 
die  Dauer  zugelassen,  die  nach  einer  gewissen  iPrüfungszeit  die 
nöthigen  Fähigkeiten  und  in  irgend  einem  Fache  besonderen  Eifer 
und  Anlage  gezeiirt  liaben. 

Wiederliolt  wirrl  eine  consequent  durchzuführende  Trennung  in 
dem  Bildlingsgange  des  gelehrten  Standes  und  der  Stände 
des  praktischen  Lebens  gefordert  und  eingehend  begründet.  Heute, 
nach  hundert  Jahren,  herrscht  in  dieser  Angelegenheit  noch  eine  auf- 
fallende Unklarheit,  sowol  was  die  öffentliche  Meinung,  als  auch  die 
Einrichtung  zahlreicher  Lehranstalten  betrift't.  Zur  Vorbereitung  für 
die  praktischen  Beriitsarten  fordert  Resewitz.  die  Schüler  in  der 
Geographie  mit  den  Producten  des  Landes,  der  Natur  und  Cultur 
derselben,  mit  den  Artikeln  des  Handeis,  ihren  Geburtsländeiii,  den 


*)  Dag  Einzige,  wodurch  man  ilmiBcIehnmg  verscbafTte,  waren  dieXatecbisationeB; 
nur  vereinzelt  wurden  t-eit  .\nfanar  des  IH.  Jahrhundert«  Landschulen  goaründct.  r>ie 
Fürsten,  „zu  scheuend  gegen  den  Adel,  Überliefen  die  erforderlichen  Leistungen 
lediglieh  dem  guten  Willen  desselben.  Ja,  die  Bauern  seltiBt  waren  in  ihrer  Ver- 
kiNnmenheit  den  neuen  Aalbtdenmgeii  entgegen*.  (Siehe  Beekedoiff,  S.  28,  nnd 
Keller,  OcMihielite  des  prevBiiclien  VolkMoliulweBeiiB,  &  64  nnd  96.) 

Digitized  by  Google 


—    79  — 


Handelswegeii  iL  s.  w.  bekannt  zu  machen.  Überhaupt  soUe  man 
mehr  eingehen  auf  bflrgerliche  Unternehmungen,  nm  TUUag- 
keitarinn  und  Unteniefamnngslnst  zn  wecken.  Damit  war  ein  Gedanke 
ausgesprochen,  der  nns  heate  «nch  bei  Answahl  und  DarsteUong  des 
geachichtiichen  Steifes  leitet  und  nns  noch  mehr  leiten  sollte,  als  es 
bisher  geschehen  ist 

Wegen  der  Vermischang  von  gelehrtem  nnd  nicht  gelehrtem  Unter- 
richt tadelt  Besevlta  dasFhilanthropin  zn  Dessau,  dessen  Plan  »nicht  auf 
die  Beschaffenheit  des  Menschen,  wie  er  ist,  nicht  auf  die  Verlhssnng  der 
Welt  und  auf  die  wirklichen  Zwecke  der  Thätigkeit  ihrer  Bewohner 
calcnlirt  war"  un  l  nichts  hinterließ,  „als  den  allgemeinen  Wunsch, 
dass  ei*  mehr  Realität  gehabt  haben  möchte".  Basedow  habe  alle 
Altersclassen  und  Berufsarten,  Kinder  und  Erwachsene,  Stndirende  und 
Nichtstudirende,  Landwii-te,  Kaufleute,  Soldaten  jrpmeinsam  und  auf 
derlei  Weise  heranbilden  wollen.  Jedem  Staude  gebäre  aber  seine 
eigene  charakteristische  Bildung.  Also  die  Forderung  der  Standes- 
schule spricht  Besewitz  hier  ans.  Was  er  dann  noch  an  anderer 
Stelle  über  das  Philanthropin  sagt,  zeigt  allerdings  von  wenig  Ver- 
ständnis filr  die  durch  die  neue  Richtung  angestrebte  Reform.  Er 
erzählt,  wie  auch  er  anfangs  von  dem  allgemeinen  Begeisterungs- 
tauniel  mit  fortgerissen  worden  sei  und  Großes  für  die  Sache  der 
Bildung  erwartet  habe,  aber  nach  eingehender  Kenntnisnahme  der 
neuen  Bewegung  erscheint  sie  ihm  als  gefährlich  für  die  Erziehung 
des  Volkes,  weil  sie  ..unter  Spiel  und  Tändelei,  unter  neuen  gym- 
nastischen Übungen,  nach  zwangloser  Freiheit  und  Eigenmächtigkeit 
und  nach  seichter  Methode"  die  Juf,'end  bilden  wolle.  Es  folgen  noch 
zahlreiche  Bedenken  und  Einwürfe  gegen  Ziel  und  Methode  der 
Philanthroi)en,  die  ich  als  bedeutungslos  übergehe.  Die  Philanthropen 
fanden  bekanntlich  zu  ihrer  Zeit  selten  Verständnis  und  wenige 
Freunde,  hingegen  viele  Feinde,  besonders  wegen  ihrer  Stellung  zur 
religiösen  Unterweisung  der  Kinder,  die  nach  ßasedüw'scher  Art  wol 
auch  einem  Resewitz  nicht  behagte. 

Um  eine  bessere  Gestaltung  des  Unterrichts  herbeizuführen,  sollte 
in  ei-ster  Linie  für  Herstellung  von  Lehrbüchern  in  allen 
nöthigen  Wissenschalten  gesorgt  werden.  Die  bisherigen  Bücher. 
besondei'S  die  für  Religion,  sind  ihm  zu  abstract  und  weitschweitig, 
ohne  Verständnis  und  Methode,  so  dass  die  „unverstandenen,  wiewol 
eingebleuten  Worte"  der  Jugend  bald  wieder  verloren  gehen.  Aber 
allgemeine  Veranstaltungen,  die  allein  hierin  gründliche  Abhilfe 
sehalfon  k<huiten,  wmag  er  nirgends  zu  erblicken.  Ohne  Beschaffung 


Digitized  by  Google 


—   80  — 


^utei-  Lehrbücher  erscheinen  ihm  alle  Schullehrerseminare  und  andere 
Vorkehrungen,  bessere  Scliulleute  zu  erhalten,  erfolglos.  Bekannt 
sind  in  dieser  Beziehung  Basedow's  Bestrebnngeni  die  leider  einen  so 
baldigen  Abschloss  fanden.  Resewitz  regte  in  seinen  Eiziehungs- 
schriflen  zur  Abfassung  von  Lehrbttcheiii  auch  noch  dadurch  an,  dass 
er  Preise  aussetzte  für  die  besten  Lehrbücher  in  der  praktischen 
Logik  (Bd.  IV)  und  zur  Bildung  des  Stils  (Bd.  III).  In  diesen  Er- 
ziehunprssclirifieu  erscliieuen  auch  Abhandlungen  über  die  Lehrmethode, 
über  Autmei'ksanikcit,  (iPAvr.liuung,  übei-  Ehrliebe  als  Triebfeder  der 
Erziehung,  Natur  und  Anwendung  der  Strafen,  über  mathematischen 
und  deutschen  Unterricht  u.  s.  w. 

Aber  alles,  was  er  und  seine  Mitarbeiter  boten,  sollte  nur  An- 
regungen geben.  So  sollte  auch  die  Abfassung  von  Lehrl)üchern 
von  den  tüclitigsten  Männern  des  ganzen  Landes  in  die 
Hand  genonimeu  und  vom  Staate  geleitet  werden.  Naclidem 
die  Entwürfe  dazu,  sowol  was  die  Auswalil  und  Stufenfolge  des 
Stoffes,  als  auch  was  die  Anpassung  an  die  verschiedensten  Anstalten 
von  der  eintaelien  Volksschule  bis  zur  Akademie  betrittt.  gemacht 
worden  sind,  sollen  die  Lehrbücher  gearbeitet  und  Männer  von  ein- 
gehender Fachkenntnis  und  entschiedenem  methodischen  (reschick  zu 
dieser  keineswegs  leichten  Aufgabe  durch  Au.sschreiben  von  Preisen 
gewonnen  werden.  Es  erschien  auch  wünschenswert,  dass  von  den 
Lehrern  über  jeden  an  den  Büchern  bemerkten  Mangel  Bericht  er- 
stattet werde,  so  dass  dann  auf  Anregung  der  Oberbehörde  bei  einer 
Nen-Auflage  die  Abstellung  desselben  erfolgen  könne.  Um  den  rechten 
Gebrauch  der  neuen  Bücher  von  Seiten  der  Lehrer  zu  verbürgen, 
müssen  genaue  Vorschriften,  wie  die  Bücher  beim  Unterricht  zu  be- 
nntzeii,  diesen  beigegeben  und  die  künftigen  SchuUente,  sowol  was 
den  Inhalt,  als  die  Darbietung  anbetrifft,  in  den  Lehrerbildungs- 
anstalten angeleitet  werden. 

BefiUiigte  Schüler  werden  in  den  Stadtschulen  zu  Lehrern  auf 
dem  Lande  ausgebildet.  Sie  erhalten  auch  Anweisung  im  Land-  und 
Gartenbau  und  prakticiren,  um  sich  zu  üben,  in  den  niederen  Schulen 
der  Stadt.  Für  den  Unterhalt  soll,  außer  ehiem  Barzuschuss  des 
Staates,  yom  Gemeindebesitz  ein  hinreichendes  Stück  Land  dem 
Schulmeister  zugetheilt  werden,  auf  dem  er  verpflichtet  ist,  besonders 
Frucht-  und  Krantgftrten  anzulegen,  um  für  diese  damals  noch  wenig 
betriebene  Cultur  dem  Landbewohner  eui  Vorbild  zu  geben.  Der 
Lehrer  führt  die  Jugend  in  den  Schulgarten  und  macht  sie 
der  Jahreszeit  entsprechend  mit  der  Gartenarbeit  und  dem  Bau  der 


Digitized  by  Google 


—   81  — 


nützlichsten  Producte  bekaimr.  Die  Mädchen  erhalten  außerdem 
von  der  Frau  des  Lehrers  Unterweisung  im  Spinnen  und 
Stricken.  So  rinden  wir  die  Idee  dos  Schulgartens  und  der  weib- 
liclien  Handarbeiten  als  eine  Forderung  des  18.  Jahrhunderts  von 
Resewitz  vertreten.  Die  Schulp-artenfrage  ist  in  den  letzten  .Jahr- 
zehnten in  der  pädagogischen  Presse  viel  erörtert  worden,  hat  aber 
bis  jetzt  leidei-  wenig  praktischen  Erfolg  gehabt,  während  die  weib- 
lichen Handarlieiten  in  vielen  Ländern  als  obligatorischer  UnteiTichts- 
gegenstand  Kintührnntr  in  die  Volksschule  gefunden  haben. 

Die  Besoldungsfra tre  bleibt  für  Resewitz,  da  ihm  eine  reiche 
Erfahrung  darüber  viel  Hitteres  gelehrt  liat,  dei-  wunde  Punkt,  um 
den  er  nicht  anders  herumzukommen  weiß,  als  dass  er  vorschlägt,  an 
jeder  Schule  nur  einen  ständigen  Lehrer  mit  dem  Titel  Rector  anzu- 
stellen. Ein  sorgenfreies  Auskommen  denkt  er  für  diesen  dadurch  zu 
gewinnen  —  ohne  einen  Mehraufwand  fiir  Tichrergehälter  noth wendig 
zu  machen,  zu  dem  ja  der  Staat  nicht  zu  gewinnen  war  —  dass  die 
bi.sher  tür  0—8  Lehrer  aufgebrachte  Summe  zunächst  zu  ausreichen- 
der Bezahlung  des  Rectors  verwendet  werde,  während  die  unverhei- 
rateten Unterlehrer  sich  mit  einem  geringeren  Gehalte  begnügen 
müssen,  dessen  Unzulänglichkeit  er  yoranssieht,  weshalb  er  die  jungen 
Lehi'gehilfen  auf  Nebenverdienst  verweist.  Aber  Bosewitz  mag  sich 
drehen  imd  wendoi,  wie  er  wiU,  die  ThAteaisIie  lisst  sich  nicht  weg- 
leugnen, dass  es  dann  in  der  Schule  nnr  einen  Zufriedenen  geben 
wird:  den  Herrn  Rector I  Es  drängt  sich  nns  weiter  anch  die  Frage 
anf:  Was  wird  denn  mit  den  unverheirateten  Unterlehrern?  Wie 
wenigen  wird  es  vergönnt  seb,  Rector  zu  werden!  Sollen  die  andern 
inunei*  unverheiratet  bleiben  und  sich  mit  einem  Hnngerlohn  be- 
gnügen? Unser  Gewährsmann  findet  einen  billigen  Aasweg.  Die 
ünterlebier  sind  sAmmtUch  Theologen.  Nach  Resewitz'  Plänen  ist 
jeder  Theologe  verpflichtet»  nach  seinem  Studium  drei  Jahre  im  Lehr- 
amt zu  verweilen.  Es  wirkt  geradezu  verblttifend,  wenn  man  liest^ 
wie  erst  energisch  dagegen  Verwahrung  eingelegt  wird,  dass  die 
Schnle  als  Mittel  fta  theologisdie  Zwecke  benutzt  werde,  und  schliefi- 
Uch  dieselbe  doch  nichts  anderes  wird,  als  das  von  Resewitz  erst  so 
eifrig  abgewehrte  Durchgangsstadium  ins  geistliche  Amt  Denn  bei 
dem  fortgesetzten  Wechsel  der  Lehrkräfte,  der  sich  ans  solchen  Yer- 
bftltnissen  ergeben  muss,  kann  sich  doch  keine  Schule  wolbefinden. 
Doch  sollten  die  Theologen  auf  der  Universität  för  das  Lehramt  an- 
gewiesen werden,  aber  wie  wenig  Zeit  und  vielleicht  auch  Lust  — 
denn  die  Schule  ist  ja  doch  nicht  Hauptzweck!  —  blieb  dem  Theologen 


Digitized  by  Google 


—   82  — 


neben  «einem  StudiuniJ  Der  Rector  sollte  auch  jeden  zu  einem 
methodischen  Unterrichte  anleiten;  aber  nach  drei  Jahren  des  Lehr- 
amtes hat  man  noch  lange  nicht  ausgelernt,  und  noch  viel  weniger 
konnte  die  Schule  von  der  verbesserten  Lehrart  des  Präceptors  er- 
heblichen Nutzen  gezogen  haben. 

Wie  über  die  Theilnahmlosigkeit  der  Staatsregieruugen, 
so  wird  auch  Uber  die  der  städtischen  Behörden  geklagt 
und  ihnen  für  die  Zukunft  nach  Resewitz*  Reformplänen  nichts 
anderes  zugestanden,  als  die  Verwaltung  des  Schulvermögens  und  das 
Becht,  aus  den  staatlich  geprfijften  Aspiianten  Auswahl  m  treffen. 
Selbst  der  fiinfluss  der  Geistlichen  anf  die  Sehlde  erfthrt  Einsehrftn- 
knng,  da  mit  der  Qnalification  zum  geistliehen  Amt  die  zur  Schnl- 
«oihicht  nicht  an  sieh  yerbnnden  sei 

Als  SchnlbehOrde  der  Proyins  soll  yielmehr  ein  Schal- 
rath oder  Schnldirectoriom  ans  den  tflchtigsten  Schnllenten 
gebildet  werden,  deren  Besoldung  der  Staat  abernimmt 
Diese  Behörde  hat  die  Lehramts-Candidaten  zu  prfifen,  anzustellen 
und  zu  controliren.  Dabei  wird  sie  von  den  Bectoren,  welche  jShr- 
lich  zweimal  Aber  den  Stand  ihrer  Schulen  berichten  und  von  den 
Superintendenten,  die  jede  Schule  ihres  Bezirkes  jährlich  einmal  be- 
suchen und  darftber  Bericht  einschicken,  unterstützt  So  leitet  der 
.Provinzial-Schulrath  das  Schulwesen  der  ganzen  Provinz,  indem  er 
Über  den  Fortschritt  in  der  Bildung  der  Jugend  sich  Kenntnis  yer^ 
schafft,  Verbesserungen  durchführt  und  die  geeigneten  Lehrkrftfte 
unter  Zustimmung  der  OberbehOrde  zu  Rectoren  ernennt 

Die  oberste  SehulbehOrde  ist  das  Ober-Schnldirectorinm 
oder  Ober-Schulcollegium  in  der  Residenz,  das  die  Leitung 
des  Schalwesens  im  ganzen  Lande  zu  überwachen  hat.  Es 
erhält  Berichte  von  allen  Provinzial-Schulräthen  und  Plftne  für  Ver- 
besserung des  Schulwesens  der  einzelnen  Provinzen,  resp.  des  ganzen 
Landes.  Jede  Besetzung  vacant  gewordener  odei*  Gründung  neuer 
Stellen  erfolgt  nur  unter  seiner  Zustimmung.  Diese  „Scbulminister" 
.wissen,  wie  es  um  die  Cultur  der  Nation  in  den  einzelnen  Theilen 
des  Landes  steht,  wo  und  wie  der  Hebel  der  Volksbildung  anzusetzen 
ist.  Es  sind  die  besten  philosophischen  Köpfe,  die  sich  in  Erziehung 
und  Unterricht  vorzüglich  bewahrt  haben.  Den  Cousistorieu  und 
Oberconsistorien  sollte  das  Recht  der  Srliulaufsiclit  «genommen  werden, 
.  da  das  Consistorialamt  schon  an  sich  ein  Nebenamt  sei.  wieviel  mehr 
nun  <,''ar  das  der  Scliulaufsiclit,  und  eine  Verbesserung  der  Erziehung 
daher  von  dieser  Seite  nicht  möglich  sein  könne. 


Digitized  by  Google 


—   8S  - 


Eiiiig:e  pecunitire  Ojifer  werden  aber  vom  Staate  dringend 
gefordert.  Denn  „wo  der  Kopf  arbeiten  soll,  mujj.s  das  Herz  frei 
sein;  nur  Tagelöhnei^seelen  können  Noth  leiden  und  doch  ihr  niecha- 
Disches  Tagewerk  dabei  vollenden."  Die  Ausgaben  würden  sicli  so 
gar  hoch  nicht  stellen,  da  nur  ein  Theil  der  Mitglieder  in  den  Schul- 
behörden sich  lediglich  der  Aufsicht  und^Verwaltung  widmen  sollen, 
während  die  übrigen  zugleich  Leiter  einer  Schule  sein  können.  Den 
großen  Friedrich,  der  ja  Millionen  zum  allgemeinen  Besten  verwandte, 
möchte  mau  gern  fiir  eine  Reform  des  Erziehungswesens  gewinnen. 
Man  ist  gewiss,  ganz  Deutschland  würde  ihm  folgen,  wie  es  seinem 
Geiste  und  Vorbilde  in  vielen  Dingen  schon  nachstrebte. 

E  inige  der  tüchtigsten  Verti-et  er  desSchulwesens  wünschte 
Resewitz  als  Mitglieder  der  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Berlin  zu  sehen,  um  sie  der  Nation  als  ihre  ersten  Köpfe  und  als 
die  verdienteisten  Männer  des  Staates  zu  zeigen.  Dass  man  aber  zu 
Mitgliedern  der  Akademie  gar  Fremde  ans  dem  Auslande  berufe 
(wie  das  ja  unter  Friedrich  JI.  geschah),  wird  in  heftigen  Worten 
getadelt,  da  solche  Leute  die  eigenartige  Culturentwickelung  des 
deutschen  Volkes  weder  verstehen  wollten,  noch  könnten,  ja  wol  gar 
mit  Geringschätzung  anblickten. 

Der  Staat  soll  sieh  endlich  für  die  Sache  der  Erziehung  erwimieii, 
das  Schulwesen  in  seine  Hand  nehmen  und  die  Erziehung  des  heran- 
wachsenden Geschlechts  nicht  mehr  als  ehie  geringfügige  Nebensache 
behandeln,  die  man  blos  ehrenhalber  betreibe.  Komme  es  denn  im 
Staatelediglich  darauf  an,  möglichst  yielGMd  einzunehmen  oder  dieMiliz  zu 
vermehren?  Selbst  diese  yerkehrte  Ansicht  zugestanden,  sagt  Bosewitz, 
ist  nicht  lediglich  eüi  blühendes  Gewerbe  die  Quelle  des  Beichtbnms? 
Und  wodurch  anders  als  durch  Unterricht  und  Erziehung  wird  das 
Volk  zum  Fortschritt  in  Cultur  und  Gewerbe  beföhigt?  Das  Bildungs- 
wesen der  Nation  yerdiente  also  wol  ein  besonderer  Zweig 
der  Staatsaufsicht  und  Staatsverw^altung  zu  werden.  »Aber 
so  lange  man  es  noch  nicht  ftberzeugend  einsieht,  dass  das  wahre 
Capital  des  Staates  in  dem  Kopfe  und  der  Geisteskraft  seiner  Glieder 
besteht,  so  lange  ist  auch  an  keine  Nationalerziehung  und  an  keinen 
aUgemeinen  Plan  dazu  zu  denken.** 

Ziehen  wir  in  kurzen  Worten  das  Besnltat  der  vorstehenden 
Ansf&hrungen,  so  Anden  wir:  Bosewitz  ist  gleich  Francke,  Hecker, 
Semler  u.  a.  Vertreter  des  Bealismus  und  Gegner  jener  einseitig 
philologischen  Bichtung  des  Humanismus.  Ohne  die  altclassischen 
Siwachen  ganz  yerdringen  zu  wollen,  verlangt  er  die  Berücksichtigung 


Digitized  by  Google 


—   84  — 


der  lebenden  Sprachen  und  der  Realien,  übei'haupt  Bildimg  für  das 
praktische  Leben.  Während  das  Bildungsziel  der  Philanthropen  die 
allgemeine  Menscheubildung  war,  willResewitz  für  jeden  Stand  die  ihm  ent- 
sprechende Bildung,  fordert  also  die  Standesschule.  Mit  wachsendem 
P>staunen  sieht  man,  wie  die  von  ihm  vertretenen  Forderungen: 
dass  zur  Heranbildung  tüchtiger  Lehrkräfte  vor  allem  gediegene  Lehr- 
bücher nöthig  seien,  dass  den  Gemeinden,  iSchuipatrouen  und  Provin- 
zial-Verwaltimgen  die  alleinige  Entscheidung  in  Schulangelegenheiten 
genommen  und  dem  Staate  übertragen  werden,  dass  die  Schulaufsicht 
ans  den  HAnden  der  Geistlichen  in  die  pädagogisch  gebildeter  Männer 
gelegt  und  die  Scholyerwaltnng  auch  in  ihrer  obersten  Spitze  von 
der  kirchlichen  Verwaltung  getrennt  werden  mOase,  sehen  in  den 
nächsten  Jahren  und  Jahrsehnten  Anerkennung  finden  und 
Wirklichkeit  erlangen.  'KOnig  Friedrich  Wilhetan  II.  trennte  sofort 
nach  seinem  Begiemngsantritt  die  Sdralangdegenheiten  in  der  höchsten 
Instanz  von  dem  geistlichen  Fache  und  setste  am  22.  Februar  1787 
das  Ober-Schnlcollegium  ein;  in  der  Instmction  fttr  dasselbe  bestimmt 
er,  dass  es  »das  gesammte  Schnlwesen  anf  das  zweckmftfiigste  einza- 
richten  und  immer  zn  yerbessem'*  habe,  verpflichtet  es,  dafOr  Soige 
zu  tragen,  dass  „ttberall  zweckmAitige  Schnlbficher  gebraucht  und 
eingeftthrt  und  wo  solche  mangehi,  durch  tttchtige  Ißtamer  angefertigt 
werden^.  Auch  fttr  gute  Lehrmethode  soll  gesorgt  und  nur  der  in 
einer  Stadtschule  angestellt  werden  oder  in  eine  höhere  Stelle  auf- 
rücken, der  seine  Tüchtigkeit  vor  dem  Ober^SchulcoUegium  nach- 
gewiesen hat  Den  Ämtern  und  Magistraten  wird  das  Becht,  irgend- 
welche beliebigen  Leute  zu  Lehrern  zu  erwählen,  abgesprochen.  Es 
wird  auf  die  Gründung  von  Seminaren  hingewiesen  und  der  Obeiv 
Schulbehörde  die  öftere  Revision  des  Schulwesens  zur  Pflicht  gemacht 
An  den  Lehrbüchern  und  Methoden  aufgefundene  Mängel  sollen  sofort 
abgestellt  werden.  ( Vergl.  Beckedorff,  S.  45  u.  48  fg.) 

In  bestimmten  Worten  kam  unter  Friedrich  Wilhelm  IL  der 
Gedanke,  dass  die  Schule  ein  Institut  des  Staates  sei,  zum  Ausdruck. 
Das  schon  unter  Friedrich  II.  entworfene,  aber  erst  1794  veröffent- 
lichte Landreclit  erklärt  Universitäten  und  Schulen  für  „Veranstal- 
tungen des  Staates''  und  stellt  die  rechtlichen  Grundlagen  des  Schul- 
wesens in  der  Weise  fest,  wie  sie  auch  in  der  Verfusungsurkunde 
vom  Jahre  1850  enthalten  und  noch  heute'  fftr  die  gesammte  preußische 
Monarchie  geltend  sind.  In  dem  Generalbericht  des  Minister  Massow 
über  seine  Visitationsreise  1798  -1801  (vergl.  Keller,  S.  109)  heißt 
es:  „Das  Object  der  Keform  ist  Nationalerziehnng  und  das  Terrain 


Digitized  by  Google 


—    85  — 


mflssen  sftmmtliche  preußische  Staaten  sein.**  Anch  Massow  weist 
dringend  auf  die  Nothwendigkeit  guter  Schulbücher  hin  und  spricht 
in  Bezug  auf  den  Beligionsunterricht  den  Wunsch  aus,  „dass  der  Beli- 
gionsnnterricht  auf  die  allgemeinen  Wahrheiten  der  Beligidn  und  auf 
die  allen  kirchlichen  Parteien  gemeinsame  Sittenlehre  eingesdiFftnkt 
werde.**  Dass  man  auch  anfing,  der  Schule  einige  Selhstständigkeit  zu« 
zuerkennen  und  das  Unterrichten  als  eine  Kunst  anzusehen,  die  ihre 
eignen  Gesetze  hat  und  gleich  jeder  andern  Kunst  erlernt  sein  wiU, 
das  zeig^t  das  Scliulreglement  für  Schlesien  vom  18.  Mai  1801,  §  61 
(vergl.  Keller,  S.  138  fg.),  in  dem  es  heißt:  „Zu  Sehulinspectoren 
sind  bisher  immer  die  Priester  genommen  worden;  allein,  da  beide 
Amter  sehr  f&glich  getrennt  werden  .können  und  der  Schulinspector 
vorzfiglich  ein  munterer,  thätiger,  in  der  Pädagogik  erfahrener  Mann 
sein  muss»  so  soU  die  Vereinigung  beider  Posten  in  einer  Person  nicht 
mehr  nothwendig  sein." 

Wir  sehen:  Im  18.  Jahrhundert  entstanden  Entwüife  für  manches 
Große,  das  sehr  oft  tür  eine  Errungenschaft  speciell  des  19.  Jahrhun- 
derts gehalten  wird;  und  manches,  was  schon  vor  hundert  Jahren 
keimte,  ist  nocli  heute  nicht  zur  Reife  gekommen.  Ich  unterlasse  es, 
Vergleiche  mit  den  lieutif!:en  Verliältnissen  anzustellen,  da  sie  dem 
Leser  sich  von  selbst  aufdriiu^^en  werden.  Nur  auf  eins  mochte  icli 
noch  hinweisen:  Wenn  man  die  jetzige  Stellung  der  Padagofi^ik  und 
(Ici-  Pädaf^ctprcn  bespridit,  so  geschieht  es  oft,  dass  man  entweder  des 
Klagens  kein  Ende  findet,  oder  das  Thema,  wie  Avirs  doch  so  lierr- 
licli  weit  gebraclit,  in  allen  möglichen  und  unniüf,dic}ien  Tonarten 
variirt.  Aber  wahren  wir  uns  immer  den  historischen  i^lick,  suchen 
wir  bei  allem  die  Entstehung  und  bisherige  Entwickelung  zu  ergrün- 
den und  zu  verstehen.  Denn  alles  Geschehen  ist  ein  Sich-Entwickeln, 
und  nui-  wenn  wir  die  \'ergangenlieit  kennen,  stehen  wir  mit  festen 
Füßen  in  dei-  Gegenwart  und  sind  ein  gutes  Bindeglied  tür  die  Zu- 
kunft. Dann  werden  wir  bescheiden  bezüglich  der  eigenen  Person 
und  gerecht  in  der  Würdigung  früherer  Männer  und  Zeiten,  stolz  und 
kampfbereit,  wenn  es  gilt,  das  von  den  Großen  des  Standes  gehaltene 
Banner  zu  schützen,  fest  und  treu,  wenn  es  daraiit  ankommt,  für  des 
Standes  Wol  und  Wehe,  für  seine  Zukunft  einzutreten. 


radagogin.  14.  Jikif  .  Baft  II. 


7 

Digitized  by  Google 


Bine  Aaftlogie. 

Von  Oberlehier  JML  ZipP'Mattmäorfj  N.-Ö, 

enn  in  dem  socialen  Getriebe  des  Alterthums  vornehmlich  Indivi- 
duen die  Zielpunkte  der  niedrigsten  Begeiferung  waren,  so  sind  es  in  der 
Gegenwart  Stände  und  Parteien.  Das  individuelle  Martyrium  hat  sich 
den  fortgeschritteneren  Verhältnissen  gemäß  zu  einem  Standesmailyrium 
ausgeweitet.  So  waren  es  besonders  Sokrates  und  Christus,  welche 
ihre  hochherzige  Veranlagung,  ihre  güttlirlie  Sendmifr  mit  einem 
schimpflichen  Tode  entgelten  massteo,  aber  dadurch  gleichzeitig  mit 
ihrem  Blute  besiegelten. 

Sophisten  waren  es  vornehmlich,  welche  Sokrates  anfeindeten 
weil  ihnen  seine  Lehre,  wie  sein  Wandel  nicht  in  iliren  sophistischen 
Kram  passte.  Pharisäer  waien  es  vornehmlich,  welche  Christum  ver- 
folgten, weil  ihnen  seine  gotterfiillte  Ldire,  wie  sein  göttlicher  Wandel 
die  Maske  der  Heuchelei  von  dem  selbstgefälligen  Gesi<  lite  riss. 

Die  Aufgabe  der  Culturentfaltung,  die  damals  den  Schultern  Ein- 
zelner aufgebürdet  erschien,  erscheint  gegen  wältig  auf  die  Schultern 
vieler  Gleichgesinnter,  auf  die  Schultern  ganzer  Stände  übertragen  — 
und  demgemäß  entleert  .sich  der  Hass  des  .so])liistisch  pliarisäischen 
Geschlechts  nicht  so  sehr  über  dem  Haupte  eines  Einzelnen *),  als 
vielmehr  über  den  Häui»tein  des  ganzen  Standes.  AN  äliicnd  indessen 
die  aliertluiinliche  Be.s<'hiäiiktheit  des  Volkes  den  Finsterlingen  eine 
plumpe  Kampfesweise  gegen  die  Strahlenträger  göttlichen  Lichtes  ge- 
stattete, sieht  sich  gegenwärtig  die  Phalanx  derselben  zufolge  der 
yoi*8ichtigeren  Urtheilstliätigkeit  der  Gegenwart  genöthigt,  die  unge- 
schickte Keule  plumper  Angriffe  mit  dem  handlicheren  Stilet  spitz- 
findiger Verleumdungen  und  jesuitischer  Verdrehungen,  dessen  Spitze 
mit  Leichengift  imprägnirt  ist,  umssatauschen  und  über  die  Fratze 
boshafter  Leidenschaftlichkeit  die  trfigerische  Maske  edler  Biederkeit 

Doch!  I 'herall  sind  die  Führer  des  Fortschrittes  in  erster  Linie  dem  Hasse 
und  der  Verfolgung  ausgesetzt.  D.  ß. 


Digitized  by  Google 


—   87  — 


und  tiefer  Frömmigkeit  za  ziehen.  Es  ist  der  Kampf  des  Hercules 
mit  dem  Antftos,  den  die  Vervollkommnnng  des  Menschengeschlechtes 
mit  dem  finsteren  Geiste  der  volksfeindlichen  Beaction  kämpft,  wobei 
-den  Enlen  der  Nacht  der  blinde  Antoritätsglaabe  der  Massen  die 
Matter  Erde  ist,  ans  der  sie  stets  nene  Widerstands-,  stets  sich  yeijfli^ende 
Agitationskraft  schöpfen,  und  wobei  die  LoslOsnng  ihrer  Principien 
von  dem  Bildnngsinteresse  des  Volkes  das  ZerdrQcken  des  Anfklftrongs- 
feindes  in  der  Luft  darstellen  wird.  — 

Wenn  man  den  Process  des  Sokrates  ins  Aage  fSust,  des  bedeu- 
tendsten Weisen  und  Lehrers  der  vorchristlichen  Zeit,  so  findet  man 
in  dessen  drei  Anklllgem  Anytos,  Lykon  and  Melitos,  sowie  in  deren 
von  dem  letztere  bei  dem  Arelionten-EOnige  eingereichten  förmlichen 
Schriftklage  eine  verblüffende  Analogie  mit  unseren  Feinden  und 
imserer  gegenwärtigen  Lage.  Es  repräsentiren  die  genannten  drei 
Ankläger  das  ganze  Her}-  der  modernen  transalpinischen  Finsterlinge. 
Das  RichtercoUegium  der  Heliasten,  dem  die  Sache  ül)erg(4)en  worden 
und  welches  bei  jenem  Processe  aus  mehr  als  500  Richtern  bestand, 
finden  wir  in  der  Schar  der  theils  übelwollenden,  theils  Ubelberathenen 
Masse  wieder,  welcher  der  giftschwangere  Dunst  der  in  der  unheilvollen 
Hexenküche  gebrauten  Machinationen  auf  geschickte  Art  applicirt 
wird.  Und  vollends  erst  die  Anklage!  Sie  lautete:  „Melitos,  Sohn 
des  Melitos  aus  Pitthos,  erhebt  und  beschwört  gegen  Sokrates,  des 
Sophroniskos  Sohn  aus  Aloiieke,  die  peinliche  Klage:  Sokrates  begeht 
ein  Verbrechen,  indem  er  nicht  an  die  Staatsgötter  glaubt,  sondern 
anderes,  neues  Dämonisches  einfülirt;  er  begeht  auch  ein  Verbrechen, 
indem  er  die  Jugend  verfülirt.  Die  Strafe  sei  der  Tod."  —  Sie 
lautet  nQfien  die  Neuschulc  lieute  ebeiisij.  Wir  brauchen  in  ihr  blos 
die  Xauien  den  Umständen  gemäß  zu  ändern  —  und  wir  haben,  Mio 
wir  es  nicht  besser  wünschen  können,  säniintliche  Anwürfe  der  Dunkel- 
männer gegen  jene  Institution  in  wenigen  Worten  trefieud  zum  Aus- 
drucke gebracht. 

Das  Verderben  der  Jugend,  welclies  seinerzeit  dem  Sokrates  und 
gegenwärtig  auch  der  Sdiule  oft  genncr  voi-<^''p\vorfen  wurde,  war  und 
ist  nichts  anderes,  als  die  Ent wickehing  einer  neuen  BiMinig  und  Er- 
ziehungsweise, worin  die  Dunkehnänner  den  ihre  Tendenzen  durcli- 
kreuzenden  Krebsschaden  wittern,  der  sich  mit  Centnerlast  an  ihr 
^menschenfreundliches''  Bestreben  heftet,  die  vorgeschrittene  Zeit  auf 
ihren  fiüheren  Standpunkt  zuriickzndrelien. 

In  dem  Leben  des  Sokrates  so  wenig  wie  in  der  Betliätigung  der 
2s'euschule  sehen  wii*  eine  Hand  hing,  die  verdiente,  wie  es  damals 

7* 


Digitized  by  Google 


—  88  — 


geschah  und  heute  geschieht,  mit  Namen  belegt  zu  werden,  wie  die  von 
phansäischer  Selbstgefälligkeit  im  Tempel  der  Journalistik,  im  Bruder- 
hause  der  Nächstenliebe  so  oft  variirten.  Heute  wie  damals  findet 
der  rechtschaffene  Kritiker  in  den  beiderseitigen  Bestrebungen  de» 
Cultusfortschrittes  keine  Aufforderung  zum  Aufrühre,  weder  gegen 
Staat,  noch  Kirche,  außer  gegen  Dummheit  und  Aberglaube  —  sondern 
nur  Lehre;  keine  andere  Gewalt,  als  die  des  Wissens  und  der  Liebe; 
keine  durch  Stiftung  geheimer  Gesellschaften  und  Verbindungen  ent- 
standene Partei  im  Staate;  nicht  einmal  ein  offensives  Vorgehen 
gegen  die  Hamster  der  VolkNwulfahrt!  So  felilen  also  beiderseits 
aDe  Kriterien  eines  vcral)scheuenswerten  Nihilismus,  wie  er  insbeson- 
dere der  Neuschule  und  dein  neuzeitigen"  Lehrstande  von  Dümuiiiugen 
odei'  niedriofen  Sclavenseelen  V()r^i:eworfen  wird. 

Aber  Sokrates"  Scli iiier,  Alkibiades,  Kritias,  die  dem  Volk  und 
Staat  so  viel  Unheil  bereitet  haben?  —  Aber  die  (sehr  vereinzelten!!) 
Fälle  jugendlicher  Verbrecher,  welche  der  Neusciiule  entwachsen  sind?  — 
Bestätigt  nicht  das  Betragen  derselben  die  dem  Sokrates,  die  der 
Neuschule  vorgeworfene  schlechte  Kinflussnahnie  auf  die  Jugend?  — 
0  des  bedauernswürdigen  Lehrers,  der  unbedingt  verantwortlich  ge- 
macht werden  soll  ftir  die  Gesinnungen  seiner  an  Anlagen  und  Nei- 
gungen so  verschiedenen  Schüler,  deren  Gemüth  durch  Eltern,  Haus- 
erziehung, Familienereignisse,  geselliges  Leben,  Schicksale  u.  dgl.  oft 
so  widerstrebende  Kindrücke  erhält!  Wir  inüg-en  uns  freuen,  wenn 
gut  geartete  Seelen,  unserer  alleinigen  Obhut  anvertraut,  in  ihren 
reinen  Gefühlen  und  Gesinnungen  bewahrt,  und  bösartige  iu  der 
Ausbildung  sinnlicher  Begierden  zurückgehalten  werden.  Aber  welcher 
Lehrer  sollte  in  einem  erfahrungsreichen  Leben  nicht  schon  einen 
kleinen  Alkilnades  unter  seinen  Schülern  gehabt  haben,  füi-  dessen 
Zaknofb  er  sich  nicht  yerbfirgen  mochte?  —  Und  wo  bleibt  Abrigens 
die  religiOs-eittliche  Einfiussnabme  der  Katecheten?  —  Sollten  diese» 
wenn  der  Lehrer  f&r  einzelne  Entartungen  individueller  Entwickelung 
verantwortlich  gemacht  wird,  an  der  Mitschuld  eines  solchen  Falles 
leer  ausgehen?  —  Fanden  sich  unter  den  oligarchisch  gesinnten 
Schliem  des  Sokartes  einiget  die,  obwol  gewandt  in  der  Bede,  doch 
ehrgeizig  in  ihren  Oesinnungen,  grausam  und  ungerecht  in  ihren 
Handlungen  waren,  so  beweist  dies,  nur,  dass  sie  wol  anderes,  aber 
nicht  die  weise  Bdierrschung  ihrer  selbst  von  ihrem  Lehrer  erlernt, 
nicht  sein  Gemttth  sich  angeeignet  hatten.  Ein  blos  gemftthlicher 
Mensch  ist  freüich  nur  ein  Schwächling;  aber  ein  geistvoller  ohne 
Gemttth  ein  verderbliches  Ungeheuer.  —  Finden  sich  nun  unter  den 


Digitized  by  Google 


—  89  — 


unserer  Schule  entwacbseneii  Schülern  hie  und  da  manche,  denen  der 
Friedenskranz  der  Tu<?end  nicht  zugesprochen  wei'den  kann,  so  beweist 
dies  ebenfalls  nur,  dass  auf  sie  neben  den  sittlich  bildenden  Einflüssen 
der  Schule  und  des  Lehrers  noch  andere",  den  Sittli<*]ikeitscanon  ver- 
dunkelnde Einflüsse  mit  verderblicher  Nöthigung  eingewirkt  haben 
und  dass  sie  wol  anderes,  aber  nicht  die  Principien  des  Lehrers  in 
sirh  üutgenommen  haben,  —  Ihr  Weltverbesserer!  Hier  setzt  euren 
Hebel  ein!  Da.  wo  die  wahren  Ursachen  socialer  Entartungen  wie  in 
Maulwurl'slOchern  verderblicli»'  Gifte  ausbrüten;  wo  der  fressende  Rost 
mensclilichen  Elends  menscliliche  Regungen  ^zernagt;  wo  die  Paria-< 
der  Gesellschaft  verachtet  und  gemit'deu  von  den  sogenannten  ..Gebil- 
deten" umsonst  nach  bildendem  ünigaiig  si  limachten;  wo  sie  verbittert 
gegen  Gott  und  Welt  selbst  die  Wolthal  der  Sonne  hassen,  .weil 
ihnen  deren  Licht  ihr  sociales  Elend  nur  desto  greller  beleuchtet  — 
da  streckt  eure  „biedere"  Bruderhand  aus,  reicht  sie  dem  Nächsten 
brüderlich  hin  und  zieht  ihn  liebevoll  au  euer  Herz!  Schaff't  Froh- 
sinn statt  Knechtsinn,  Brudersinn  sta,tt  Kastengeist,  Duldung  statt 
Verfolgungswahn  —  und  ihr  werdet  Gelegenheit  haben  zu  sehen,  ob 
auch  dann  noch  „Räuber  und  Diebe''  aus  der  Neuschule  hervorgehen. 
Übrigens  denkt  der  rni)arteiische  .über  euer  Verhalten:  Parturiunt 
montes,  nascetur  ridiculus  mus! 

Sowie  Sokrates  für  das  Alterthum  der  Stammvater  der  Sittenlehre 
gewesen,  ebenso  ist  für  die  Neuzeit  die  Neuschule  ein  Ginindpfeller 
echter  Humanität  Man  bedenke  nur,  wie  die  durch  die  zunehmende 
k&nstliche  Verknöcherung  des  Dogmenglaubens,  durch  den  überhand 
ndunendeii  Sport  in  der  Vereinsreligion,  durch  die  Materialisirung  des 
Iminaterielleii  in  der  BeUgions&bnng  herbeigeffthrte,  genährte  und 
potenzirte  Heuchelei,  Ditoleranz,  Gesininuigsinedi'igkeit  und  Selbst- 
sucht der  ICaasen  den  EinflOsseii  des  modernen  Bfldnngswesens  all- 
mählich irich,  um  sich  nach  und  nach  in  die  Bethätigung  echter 
Menschlichkeit  umzuwandeln  —  und  man  [wird  die  edit  christlidie 
Bedeutung  der  Neuschule  zu  würdigen  wissen. 

Tychsen  sagt  Uber  Sctkrates:  „Der  eigenthttmliche  Charakter  und 
das  größte  Verdienst  des  Sokrates  war,  dass  seine  ganze  Philosophie 
auf  die  Sittenlehre,  auf  Verbesserung  des  Herzens  und  Beförderung 
•    der  Tugend  leitete.  Bisher  war  der  Hanptgegenstand  der  Philosophie 

seines  Zeitalters  Specnlatidh  von  fiberirdischen  Dingen  

Auf  das  praktische  Leben  nahm  man  wenig  Bflcksicht;  die  ganze 
Weisheit  der  damaligen  Philosophie  bestand  in  abstracten  ünter- 
snchungea,  sowie  die  der  Sophisten  in  einer  kfinsüidien  Beredsamkeit, 


Digitized  by  Google 


—   90  — 


und  die  letzteren  iLliiteii  viele  Grundsätze,  die  für  die  Tugend  ebenso 
nachtheilig,  als  für  die  Ruhe  der  Staaten  gefährlich  waren.  Sokrates 
war  der  erste ,  der  das  Unnütze  und  Gefährliche  dieser  Bttta^bmigeik 

einsah  Er  war  es,  der  statt  einer  überirdischen  Weisheit 

eine  menschliche,  gemeinnützige  Weisheit  unter  seine  Mitbürger  ver- 
breitete  " 

Klingt  dies  Urtheil  Uber  Sokrates  nicht  ebenso,  als  ob  es  sich 
auf  die  moderne  Pftdagogik  bezöge,  deren  Schmerzenskind  die  Neu- 
schule  ist?  —  Hat  es  diese  gegenüber  der  Anstrebung  eines  chine- 
sischen Formelwesens  durch  die  klerikale  Partei  nicht  ebenso  auf 
Verinnerlichung  der  Bildung,  auf  Verbesserung  des  Herzens  und  Be- 
förderung der  Tugend  abgesehen?  War  nicht  bis  zur  Schaffung  der 
modernen  Pftdagogik  die  ganze  Welt  in  flberirdische  Speculation  befongen? 
Hatten  es  die  früheren  Bildungsanstalten  nicht  hauptsftchlich  auf  eine 
Wortbildung  abgesehen?  —  Weisheit  (durchaus  nicht  die  dem  moder- 
nen Bildungswesen  yorgeworfene,  aber  in  Jesuitenschulen  florirende 
Kenntoiskrflmerei)  gilt]  uns  ebenso  als  Inbegriff  aller  Tugenden  oder 
alles  Schönen  und  Outen,  wie  einst  Sokrates.  Aus  ihr  geht  die 
Glflckseligkeit  nothwendig  hervor,  indem  Weisheit  und  Wolsein  so 
innig  miteinander  verbunden  sind,  dass  sie  eben  dadurch  das  höchste 
Gut  des  Menschen  ausmachen.  Die  Neuschule  lehrt  eigentlich  nichts 
anderes,  als  die  Moral  Sokrates,  die  Moral  Christi.  Denn  indem  sie 
klare  VorsteUnngen  vermittelt  und  zum  richtigen  Denken  anleitet^  mit 
den  Vorstellungen  aber  das  Gciniith  in  innigem  Zasammenhang  steht,. 
discipUnirt  sie  die  Gefühle,  den  Willen,  den  Charakter. 

Die  Art  des  Lehrens  ist  bei  Sokrates,  wie  bei  Christus,  wie  bei 
der  Neuschule  populär.  Jene  beiden  werden  von  der  modernen  Päda- 
gogik stets  als  leuchtende  Vorbilder  gefeiert  werden.  Die  Menschheit 
dem  Zwecke  ihres  Daseins  immer  näher  zu  bringen,  das  ist  das  Ziel^ 
das  sich  alle  drei  Culturfactoren  vorgesteckt  hatten.  Das  Gute  zu 
erkennen  als  das  Absolute,  besonders  in  Beziehung  auf  Handlungen^ 
und  jeden  zum  Nachdenken  über  sein  Verhältnis  zu  der  gesammten 
Erscheinuugswelt  zu  fuhren  —  das  bildet  das  Wesen  ihrer  Lehren. 

Sokrates,  wie  Christus  waren  Lehrer;  und  es  erscheint  als  eine 
absichtliche  und  zielbewusste  Verdrehung  historischer  'Ihatsachen, 
wenn  man  den  letzteren  als  Priester,  als  Hierarrhisten  hinstellt  und  ^ 
aufgetasst  wisisen  will;  denn  weder  tui%irte  er  jemals  als  solcher, 
noch  hielt  er  sicli  selbst  für  einen  solrhen  und  wurde  auch  niemals 
als  solcher  vun  seinen  Mifiiirnsclu^n  anf^esehcn.  Im  Gegentlicilrr  befand  sich 
gerade  in  contradictoriächem  Gegensatz  zu  der  damaligen  Hierarcliie  und 


Digitized  by  Google 


—  91  — 


bekämpfte  dieselbe  in  ihren  entsittlichenden  Einflüssen  auf  das  ent- 
schiedenste, wodurch  er  seinen  Untergang  herbeiführte.  Mit  Recht 
dürfen  wir  deshalb  sagen,  Sokrates  und  Christus  sind  Ahnen  unseres 
Standes.  Als  Lehrer  treiben  wir  ebenso  wie  jene  das  Lehren  als 
einen  uns  zum  Bedürfnis  gewordenen  Tagesberuf,  ohne  allen  Eigen- 
nutz und  insbesondere  nicht  wie  eine  gewisse  Partei  im  Staate,  welche 
aus  ihrem  Berufe  ein  domin irendes  Wechsclgeschäft  macht.  Unser 
Lehren  ist  eine  fortwährende  geistige  Anregung  zu  selbstständiger 
Bethätigung  des  Menschengeistes  und  ^rcn.schenherzeus,  das  Gegeutheil 
der  modernen  Sophisten,  die  durch  künstlich  ausgearbeitete  üeden  ihi*e 
Zuhöher  mehr  vert'üliren  als  belehren. 

Wenn  wir  die  Gescliichte  der  ^renschheit  duiehlaufen,  so  werden 
wir  überall  bestätigt  linden,  dass  da,  wo  auUerurdeutliclie  Männer  als 
Reformatoren  auftraten,  sich  auch  immer  zwei  Parteien  bildeten,  deren 
eine  sie  hasste  und  verfolgte,  während  die  andere  sie  liebte  nnd  ver- 
ehrte. Dasselbe  gilt  auch  von  reforniatorischen  Institutionen.  Wie  ist 
es  auch  anders  möglich!  Schon  (bis  Neue  einer  Lehre  oder  Institution 
als  solches  hat  für  viele  Tausende  eine  abstoßende  Kraft,  da  sie  theils 
das  Bessere  nicht  einsehen  oder  nicht  einsehen  wollen,  theils  tür  ihr 
eigenes  Interesse  einen  Nachtheil  davon  fürchten.  Ist  es  nicht  so  ge- 
wesen bei  Sokrates  und  Christus  -  -  und  ist  es  nicht  so  bei  der  Neu- 
schule? Und  an  ihr,  analog  der  Lebensgeschichte  Sokrates'  und 
Christi,  verwirklicht  sich  jener  gehässige  Widerstand  umsomehr,  da 
sowol  sie  selbst  als  Institution  wenig  äufiere  Macht  besitzt,  wie  auch 
ihre  unmittelbaren  Träger,  die  Lehrer,  weder  durch  Rang  nnd  Reich- 
thmn,  noch  durch  Pnmkmittel  auf  irgendwäche  Art  bevorzugt  nnd 
gewichtigt  erscheinen,  sondern  nnr  dnrch  den  Geist  der  modernen 
Pädagogik,  der  dnrch  seine  stark  einwirkende  Kraft  anf  das  Volks- 
bewnsstsein  einen  nm  so  stärkeren  Gegensatz  in  den  Übelwollenden 
hervorbringt. 

Fassen  wir  die  sich  anfßUb'g  genug  darUetende  Analogie  zwischen 
dem  gegenwärtigen  Verhältnis  der  Nenschnle  zu  den  Pharisäern  der 
Nenzeit  nnd  dem  einstigen  Verhältnisse  Christi  zn  denen  des  hebräi- 
schen Alterthnms  ins  Ange,  so  ist  es  gerade  so,  als  ob  ein  Kreislanf 
der  Weltbegebenheiten  bestünde,  in  dem  sieh  principiell  dieselben 
Cnltm^ämpfe  unter  äußerlich  veränderten  Umständen  wiederholen.  — 
Ifit  kOhnem  IVeimnthe  wnrde  beiderseits  gegen  den  erbärmlichen 
Charakter  nnd  die  niedrigen  Absichten  der  Pharisäer  gekämpft^  wnrde 
das  Volk  zum  Selbstbewnssteein,  zur  geistigen  Selbstbefreinng,  zur 
sittlichen  Selbstveijflngnng  zu  erheben  gesucht.    Deshalb  reagirt  die 


4 

Digitized  by  Google 


—   92  — 


Pharisfterzunft  am  stärksten  gegeu  die  Onmdsätze  der  modernen 
Pädagogik,  Institationen  des  gOttUehen  Geistes,  und  sucht  das  Volk 
zur  Vemichtung  der  Nenschnle  an&oreizen,  nm  dann  za  ihrem  eigenen 
VortheUe  einen  Staat  im  Staate  herzustellen. 

Sowie  sich  Jesus  durch  seine  göttliche  Wirksamkeit  zahlreiche 
Schfiler  und  Anhänger  sammelte,  ebenso  gewann  die  Nenschnle  durch 
ihr  redliches,  treues  BemOhen  im  Sinne  unseres  erhabenen  Beligions- 
stifters  immer  mehr  an  Boden.  Sowie  Jesum  die  Pharisäer  hassten, 
weil  sie  in  ihm  den  Yolksaufklärer,  den  gefthrlichsten  Feind  ihrer 
Herrschaft  erblickten,  ebenso  und  aus  demselben  Grunde  hassen  die 
modernen  Pharisäer  die  Neuschule.  

Indes  mit  Beruhigung  dOrfen  wii*  der  Verrollkommnnng  des 
Menschengeschlechtes  entgegenblicken;  denn  die  Wahrheit  ist  unsterb- 
lich wie  Gott!  Das  beweist  die  Weltgeschichte  in  allen  ihren  Phasen. 
Wie  die  Übelwollenden  wol  Sokrates  und  Christus  tödten  konnten, 
aber  nicht  imstande  waren,  das  Princip  ihrer  reformatorischen  Thätig- 
keit  zu  vernichten,  so  kann  es  den  Übelwollenden  der  Gkigenwart 
höchstens  gelingen,  die  jetzige  Form,  in  welche  sich  ganz  dasselbe 
Princip  kleidet,  ihrem  Yandalismus  zu  opfern  —  das  Princip  selbst 
aber  bleibt  ihrer  Vemichtungsmanie  unerreichbar.  Es  ist  und  bleibt 
ein  Phönix,  der  aus  der  Asche  wieder  ersteht  und  herrlicher  sich 
selbst  verjüngt. 

Der  Angriti'sjmnkt  des  Widerstandes,  welcher  bei  Sokrates  und 
Christus  voihanden  war,  war  dies,  dass  das  Princip  nur  als  Eigen- 
thum eines  Individuums  auftrat.  Der  Angriffspunkt  der  Opposition, 
welcher  in  den  gegenwärtigen  Culturbestrebungen  liegt,  ist  dies,  dass 
das  Princip  als  Eigen th um  t  iner  Partei  auftritt.  Es  wird  aber  eine 
Zeit  kommen,  in  der  das  Princii)  nicht  mehr  als  Eigenthnm  eines 
Individuums,  nicht  mehr  als  Eigenthum  einer  Partei,  sondern  als 
Eigenthum  der  ganzen  Menscliheit  auftritt  —  und  dann,  übelwollende 
Opposition!  bist  du  gerichtet!  —  Dass  diese  Zeit  mit  Zuversicht  er- 
wartet werden  kann,  erliellt  schon  daraus,  dass  jenes  Princij)  trotz 
jahrhundertelanger  Widerstandskämpfe  sich  doch  uUinählich  den  Boden 
einer  großen  Partei  errungen  hat,  dass  es  nicht  mehr  individuell  ist, 
wie  bei  ^Sokrates  und  Cliristns,  dass  es  aus  seinem  ersten  Maclit- 
stadium  in  das  zweite  eingetreten  ist.  dem  das  dritte  Stadium,  das 
der  allgemeinen,  universellen  (leitung,  vermöge  der  Lebens-  und 
Überzeugungskiaft  jenes  Princips  wird  folgen  müssen. 


Digitized  by  Google 


Beitrige  zur  Reform  des  Religionsnnterriehtes  in  Bezog  taf 

Inbalf  und  Lehnreise. 


ie  sociale  Frage  der  Gegenwart  und  wie  sie  zu  beantworten 
und  zu  lösen  ist  —  das  beschäftigt  jetzt  alle  Köpfe,  die  lehrend,  ge- 
setzgebend oder  regierend  Einfliiss  haben  auf  die  Gesellschaft. 
Da  hat  vor  kurzem  ein  jungei"  Theologe  den  irnten  Einfall  gehabt, 
den  richtigen  Weg  der  <'i<iiien  Aiiscliauung  und  Erfahrung  zu  betreten, 
indem  er  drei  Monate  lang  unerkannt  als  Fabrikarbeiter  in  Cliemnitz 
zubrachte,  also  in  dem  Mitteljdinkte  der  säclisischen  Großindustrie  und 
einem  der  Haui)torte  der  Sociuldemokratie.  Dai-auf  veröffentlichte  er 
die  lehrreiche  Schrift:  ..Drei  Monate  Fabrikarbeiter  und  Handwerks- 
bnrsche.  Eine  praktisclie  Studie  von  P.  Göhre,  Candidaten  dei'  Theo- 
logie; Leipzig  bei  Willi.  Grunow,  1891." 

iJiese  Schrift  gewährt  nicht  blos  einen  tiefen  Einblick  in  die 
Arbeiterwelt,  sondern  ist  auch  in  i)ädagogischer  Hinsicht  von  großem 
Interesse.  Für  meine  Zwecke  hebe  ich  dasjenige  lieraus,  was  sich 
auf  den  Religionsunterricht  in  der  Yolksscluile  bezieht,  und  auf  das 
Verhältnis  desselben  zum  Leben  überhaupt  und  die  Einwirkung  auf 
das  Arbeitervolk  insbesondere. 

Die  veiänderten  Verhältnisse  der  niederen  ('lasse  wie  auch  der 
Handwerker  sind  eingetreten  im  Gefolge  der  neuen  Krhudungen,  der 
Maschinen  und  des  vermehrten  Fabrikwesens.  Wie  anders  war  es, 
als  vordem  die  Handwerker*)  als  wandernde  Gesellen  von  8tadt  zu 

*)  Die  frttheren  Artikel  über  dieses  Thema  finden  sidi  in  den  letsten  Jthr- 
gängen  dif  ser  Zeitschrift.    D.  E. 

**)  Man  lese  nur  die  lueisterhattc  Darstelliiog  von  Jul.  Wolff  ia  i«.eiDera  „Sült- 
meister".  üin  dou  l  uterscbiod  zwischen  einat  and  jetzt  historisch  kennen  zu 
lemen,  TeTweiaen  wir  auf  einzelne  Bilder  ans  der  deatschen  7ergingeiilieit  von 
6.  Freitag. 


Von  Prof.  und  Director  Theodor  VernaUken-Oraz. 


VI.  SocialismuB  und  Beliglonsanterrielit*) 


Digitized  by  Google 


—   94  — 


Stadt  zogen,  si<'li  mit  wenigem  begnügten  und  nicht  massenweise  bei- 
sammen lebten,  unbekümmert  um  die  staatlichen  Dinge,  die  noch  nicht 
von  täglichen  Zeitungen  besprochen  wurden.  Auch  die  Schulbildung 
ist  nicht  mehr  so  gleichmäßig  wie  ehemals. 

Der  genannt«  Beobachter  der  heutigen  Arbeiterkreise  unterschei- 
det mit  Hecht  verschiedene  Stufen  der  geistigen  Bildung  der  Arbeiter. 
£r  beginnt  mit  der  Schilderung  der  Dorf-  und  selbst  Stadtschnl- 
bildung,  die  er  zum  Theil  noch  als  religiös  and  confessionell  dogmatisch 
erkannte.  Bas  Wissen  ist  beschrflnkt,  die  Geschicfatsauffassmig  ver- 
knöpft mit  dem  Wunderglauben»  die  Nalnr  ist  ihnen  noch  ehi  BAthsel; 
sie  kennen  nichts  von  den  Entwickelnngsgesetsen,  welche  die  moderne 
Wissenschaft  lehrt  Biblisches  und  später  HInzngekommenes  ward  der 
Jugend  nur  als  Lern-  und  Memorirstoff  schuhnäfiig  geboten,  wie  es 
im  Katechismus  Ibrmulirt  ist;  es  war  nicht  den  Herzen,  sondern  den 
Köpfen  der  Kinder  flbermittelt  Der  entschieden  streng  kirchlich  ge> 
sinnte  Verfasser  dieser  Schrift  sagt:  Der  Religionsunterricht  ist  in 
solchen  Schulen,  ans  denen  die  Arbeiter  hervorgegangen  sind,  vor- 
wiegend Verstandesunterricht  anstatt  Erziehung  des  Charakters;  die 
christliche  Heilswahrheit  kalter  Lernstoff  anstatt  warme,  alles  durch- 
dringende Lebenskraft,  Jesus  Christus,  nach  dem  Vorgänge  des  Dog- 
mas, mehr  ein  metaphysisches  Rftthsel  als  eine  Mstoiische  gottvolle 
Persönlichkeit  Die  biblischen  B&cher  gelten  den  meisten  als  wört- 
liche Autorität,  in  dem  Sinne  der  Inspiration.  Auch  im  Confirmanden- 
unterricht  wird  die  historische  Seite  nicht  genügend  au^ekl&rt,  und 
wenn  dann  die  Leute  heranwachsen,  so  werden  die  ersten  Jugend- 
eindrücke  spurlos  ver^vischt 

In  höheren  Schulen,  sagt  der  Verfasser,  ist  der  Religionsunter- 
richt genau  wie  in  der  Volksschule  vorwiegend  Katechismusunterricht 
Sein  Gegenstand  ist  das  logisch  mit  den  Mitteln  einer  längst  ver- 
alteten Wissenschaft  aufgebaute  Lehrgebäude  des  kirchlichen  Dogmas, 
seine  Aneignungsform  das  verstandesmäßige  Begreifen  und  Auswendig- 
lernen dieser  Glaubenssätze,  Bibelsprüche  und  Gesangbuchverse  ohne 
die  innerliche  Aneignung,  wie  sie  Christus  in  den  Evangelien  fordert. 
Dazu  kommt,  dass  in  dem  übrigen  sogen,  weltlichen  Unterrichte  eine  andere 
Auffassung  des  Gelernten  stattfinden  muss,  wenn  man  im  19.  Jahr- 
hunderte lebt.  Diese  widersprechenden  Bildungskeime  wachsen,  sobald 
eine  oft  unvermeidliche  materialistische  Tiebeusan.schauung  später  hin- 
zutritt. Die  zwei  dürftigen  Stunden  im  Religionsunterrichte  unserer 
Schulen  deuten  schon  darauf  liin,  dass  dieser  Zweig  des  .lugendunter- 
ricUtes  als  etwas  besonders  üeildeä  mit  Peinlichkeit  beschränkt  wird 


Digitized  by  Google 


—  95  - 


und  isolirt  dastelit.  Die  haimtmische  IMUlung'  und  P^rzieliiiiig  leidet 
darunter,  und  das  einzige  Rettuii^^Ninittel  iht,  dass  aucli  der  Relifj:ions- 
unterrieht  in  den  zeit-  und  veruunftgeniälien  Dieusit  der  Jugt/ndbildung 
gezogen  werde.  Wer  andere  Mittel  vorschlägt,  der  begehrt,  dass  die 
Gewässer  der  Erde  bergauf  fließen. 

Eine  solche  zwiespältige  Schulbildung  macht  nun  in  der  Fabrik 
eine  vGllige  Wandlung  durch:  sie  geht  in  einer  neuen,  der  socialdenio- 
kratisdien  Bichtung  unter.  Denn  diese  hat  sich  auch  der  Volks- 
bfldnngsfrage  bemächtigt  und  eine  neoe  VoUuliterator  geschaffen,  deren 
Inhalt  im  Dienste  der  Arbeiter-Interessen  nnd  im  Dienste  herzloser 
Fabrikbesitzer  ist  Diese  Halbbildung  wendet  sich  bei  beiden  Parteien 
den  Lehren  Christi  gänzlich  ab.  Wie  diese  Lehren  von  den  Beligions- 
lehrem  behandelt  würden,  haben  wir  oben  daigelegt;  den  Verlust  auf 
dem  religiösen  Qebiete  hat  grofientheils  die  Dogmenkirche  verschuldet» 
deren  Vertreter  andere  Bestrebungen,  selbst  politischen,  noch  immer 
nachgehen.  Damm  wenden  sich  auch  besser  (Gesinnte  Ton  solchen 
Vertretern  ab  und  gar  oft  auch  vom  Kirchenthum,  das  bei  der  päpst- 
lichen Kirche  wesentlich  in  Inßeriichkeiten  sehnen  Halt  hat 

Es  gibt  aber  dauerhafte  Grundlagen  für  die  christliche  Geeittong. 

In  den  Schlnssbemerkungen  hebt  der  Ver&sser  der  Schrift: 
»Drei  Monate  Fabrikarbeiter''  die  Ergebnisse  sehies  Aufenthaltes  in 
der  socialdemokratischen  Luft  hervor.  Dem  jungen  Theologen  ist 
vieles  klar  geworden,  was  er  ans  Btlchem  oder  in  einem  Seminar  im 
abgeschlossenen  bischöflichen  Convicte  nie  gelernt  hätte.  Charakter 
bildet  sich  nur  durch  Erfahrungen  im  Strome  der  Welt,  unter  Widern 
wftrtigkeiten  und  harter  Arbeit 

Die  Lohnfrage  allein,  meint  der  Verfasser,  ist  nicht  der  aus- 
schlaggebende Factor  der  heutigen  socialen  Bewegung.  Man  verlangt 
mit  Keclit  auch  Anerkennung  des  Wertes  der  Arbeit  und  bürgerliche 
Gleichberechtigung.  Gewährt  man  dies  dem  sogen,  vierten  Stande,  so 
tritt  auch  an  ihn  eine  Pflicht  heran.  £r  mnss  anerkennen,  dass  es 
auch  sittliche  Mächte  sind,  von  denen  die  höhere  nnd  freiere  Ent- 
wickelung  wie  der  steigende  Wolstand  des  Volkes  zn  erwarten  sind. 
Der  Staat  allein  kann  nicht  f&r  alles  in  Anspruch  genommen  werden. 
Für  die  Wolfahrt  des  Ganzen  hat  jedermann  beizutragen  und  selbst» 
süchtigen  Trieben  der  Arbeiter  wie  der  Arbeitgeber  Schranken  zn 
setzen. 

Bei  einer  Anzahl  von  Arbeitern  ist  gewiss  auch  der  Wunsch 
lebendig,  in  einer  neuen  wirtscliaftliclieu  Ordnung  nicht  blos  mehr 
Stumme  Werkzeuge  eines  höheren  Willen,  sondern  kraftvoll  mitwiikende 


Digitized  by  Google 


—   96  — 


Menschen,  niclit  nur  Hände,  sondern  auch  Köjtfe  zu  sein.  Dies  ]irägt 
sich,  wenn  aucli  noch  unklar  nnd  gäiirend,  dem  Beobachter  in  dieser 
Arbeiterbewegung  aus,  wenigstens  in  Deutschland.  Solche  Entwick- 
lung ist  nicht  mehr  aufzuhalten,  sie  ist  nur  in  gesetzliche  l^ahnen 
zu  leiten.  Letzteres  wäre  die  Aufgabe  der  Regierungen,  denen  eine 
Mitbeteiligung  der  arbeitenden  Classe  nur  erwünscht  sein  muss. 
Schule  und  Kirche  müssen  dabei  mithelfen,  indem  sie  der  rohen  social- 
demokratischen  Lebensanscli;iuung  ihr  materialistisches  Rückgrat  brechen . 

Auf  dieses  deuten  auch  einige  literarische  Erscheinungen  hin, 
die  auf  ein  wolverstandenes  Christenthum  hinweisen,  das  von  Haus 
aus  social  ist  und  die  Liebe  zum  Prineip  der  Gesellschaft  macht. 
Nfeht  die  alten  Glaubenssätze  sind  es,  die  Erleichterung  biingen 
oder  Befreiung  von  den  Nethen  der  Gesellediaft,  danim  wendet  man 
jetzt  der  ethiBchen  Seite  des  GhristaitbmDS  mehr  Aufmerksamkeit  zu. 
In  dem  recht  verstandenen  Evangelinm  liegen  die  gewaltigsten  sitt- 
lichen Krfifte»  die  in  unserer  Zeit  entbunden  werden  milssen. 

Von  den  neuesten  Schriften  in  dieser  Bichtnng  nenne  ich  nur 
die  vom  Glasgower  Professor  der  Naturwissensehaften,  H.  Drummond, 
herausgegebenen  Brosehttren:  „Das  Beste  in  der  Welt"  und  „Vax. 
Yobiscum.'*  Sie  sind  zu  Tausenden  auch  in  deutscher  Sprache  ver- 
breitet (Bielefdd  bei  Velhagen  &  Klasing  1891,  1  M.). 

Dnunmonds  kleine  Schrift:  »Das  Beste  in  der  Welt"  nach  Paulus 
(1.  Korinther  Brief  13)  setzt  den  Inbegriff  der  Liebe  fest,  in  Über- 
einstimmung mit  der  Nftchstenliebe,  wie  sie  u.  a.  gefordert  wird 
bei  Marcus  12,  31  und  noch  deutlicher  bd  Matth&us  7,  12:  „Alles, 
was  ihr  wollt,  dass  euch  die  Leute  thun  sollen,  das  thuet  ihr  ihnen  — 
das  ist  das  Gesete  und  die  Propheten."  Wer  der  Nfichste  ist,  das 
erklärt  Jesus  bei  Lucas  10,  30ff. 

Eigennützige  Besitzer  und  Fabriksleiter,  welche  den  Wert  der 
Arbeit  nicht  schätzen,  setzen  sich  freilich  Uber  solche  christliche 
Forderungen  hinaus.  Mit  der  Ausführung  tdieser  Grundsätze  wäre 
wol  im  allgemeinen  die  sociale  Frage  zu  lösen;  ich  setze  aber  hinzu: 
mit  Kücksicht  auf  die  Zeitverhältnisse  und  die  Zustände  des  betreffen- 
den Landes.  Die  kirchliche  Gesellschaft  kann  nur  mithelfen,  maß- 
gebende Ausführung  ist  Sache  der  staatlichen  Gesetzgebung.  Im  ge- 
wöhnlichen Leben  ist  das  Geld  allerdings  eine  Macht;  es  gibt  al)er 
zwei  Imponderabilien,  die  auf  die  Dauer  noch  stärker  sind:  die  Liebe 
und  der  Gehorsam.  Familie  und  Schule  haben  dieses  Feld  zunächst 
zu  bebauen. 

Warum  habe  ich  neben  die  Liebe  auch  den  Gehorsam  gestellt? 


Digitized  by  Google 


—  97  — 


Er'  wird  in  unserer  Zeit  durch  manches  untergraben,  am  meisten 
in  der  Farailienerziehunp-,  aber  auch  im  bürgerlichen  Leben.  Ich 
denke  oft  an  die  lelureiclie  Schule  der  früheren  Handwerksburschen 
und  an  ihre  dreijährige  ^\'illlderpf^icht.  Nur  theilweise  wird  diese 
Schule  ersetzt  durch  unsere  dreijährige  Wehrpflicht,  die  fiir  die 
meisten  insofern  eine  Wolthat  ist,  weil  sie  Land  und  Leute  kennen 
lernen  und  sich  an  eine  strenge  Zucht  gewöhnen,  abgesehen  von  den 
körperlichen  (ibungen.  Für  eine  große  Zahl  muss  auch  das  Di'illen 
znr  Erziehung  gerechnet  werden.  Das  Hobeln  gelit  ja  dem  Poliren 
voran,  und  eine  gute  Gewöhnung  ist  bekanntlich  bei  der  Erziehung 
eine  große  Macht. 

Diese  Betrachtungen  mögen  den  Übergang  bilden  zur  Besprechung 
einer  zeitgemäßen  „Sitten-  und  Pflichtenlehre'',  "wie  sie  für  die 
Schale  nothwendig  geworden  ist  an  Stelle  des  im  F^marhefte  1891 
des  Paedagogiums  von  mir  bespiocheneii  Katechismus. 

Zun  Schlosse  mOchte  es  mir  gestattet  sein,  meinem  hescheideiien 
Sodalismiis  auch  vom  Standpunkte  der  Yolkspädagogik  kurz  Ansdmck 
zu  geben. 

1.  Zufriedenheit  und  Wolstand  erlangt  der  Uensch  nui*  durch 
eigenes  Bemfihen,  und  dazu  kann  der  Staat  behilflich  sein  durch 
zweckmäßige  Agrargesetze  und  Hintanhaltung  yon  Massenansammlungen 
in  große  Städte. 

2.  Sorge  für  ein  Eigenthum,  wenn  es  auch  noch  so  klein  ist 
Diese  Sorge  wird  sehr  erleichert  bei  einem  gemäßigten  Tempo  im 
Rennen  und  Jagen  nach  Geld,  hlos  zum  Großthun  und  zu  Vergnügungen. 

3.  Gründung  einer  Familie  und  gute  Erziehung  der  Kinder, 
wozu  ein  regelmäßiger  Schulbesuch  gehört,  denn  Schul-  und  Volks- 
büdung  stehen  mit  der  wirtschaftlichen  Wolfahrt  in  innigem  Zusam- 
menhange. 

4.  Naturgemäße,  ein&che  Lebensweise,  bei  der  man  sich  nach 
der  Decke  streckt  und  aicfa  nur  mit  denen  yergleicht)  die  weniger 
haben. 

5.  Bethätigung  der  christlichen  Liebe,  wie  sie  das  Evange- 
lium fordert, 

6.  Mitsorge  des  Staates  für  Unfälle  wie  auch  für  das  Alter. 
Die  Ausgaben  können  durch  eine  Progressiv-Steaer  von  den  oberen 
Zehntausend  gedeckt  werden. 

Wenn  das  alles  nicht  liilft,  dann  mag  in  Gottes  Namen  die  Sünd- 
fiut  kommen,  die  man  für  das  20.  Jahrhundert  allgemein  befürchtet. 


Digitized  by  Google 


Die  Pest  des  Aberglaubens  and  ihre  fleilang  durch  die  Er- 
ziehung. 


XJLberglaube  ist  ein  Wort,  welches  wie  ein  dunkler,  unlieimlicliev 
8ch«atten  aussieht.  Das  Licht  eines  <>:esun(len  GlaulK-ns  erhebt  und 
beseligt  den  Menschen;  das  Gaukelspiel  des  Aberglaubens  ist  zwar 
nicht  selten  unterhaltend,  ja  bestrickend,  aber  innner  thöncht  und 
verderblich.  Die  Erscheinung  dieser  freistitren  Krankheit,  oder  — 
wie  man  auch  sa<^en  könnte  —  dieses  treveiliatten  Sitieles  und  Spukes 
ist  so  alt  wie  das  Menschengeschlecht.  Sie  tritt  schon  im  alten 
Heidenthum  und  Judenthuni  auf,  und  zwar  als  eine  Pcrsonificirung 
der  V()]-g;inge  in  der  Natur  und  als  Ausstattung  der  Welt  mit  aller- 
liand  G(ittern  und  Geistern,  denen  man  geheimnisv(dle  Einwirkungen 
zuschrieb.  Und  als  in  späterer  Zeit,  im  Mittelalter,  ein  mystischer 
phantastisch-theosophischer  Zug  vom  Orient  ausging,  als  die  ^^'issen- 
schaften  zum  Sinken  kamen,  als  die  Magie,  der  Reliciuiendienst.  die 
Astrologie.  Ciiiromantie,  Zauberei,  das  Hexen wesen  und  die  Gespenster- 
seherei  sich  ausbreiteten,  da  ging  die  unheilvolle  Saat  des  Aberglaubens 
mächtig  auf  und  verfinsterte  die  Kiipfe.  Als  dann  si»äter  die  Sonne 
<ler  Reformation  erschien,  wurde  es  zwar  heller  in  dem  Geistesleben 
der  Menschen,  die  Ammen-  und  Pfaffenmärcheu  wurden  verlacht,  das 
Denken  von  Fesseln  des  Wahnes  befreit,  und  der  Aberglaube  begann 
zn  weichen.  Aber  wie  man  anch  denselben  bekämpfte,  auszurotten 
war  er  nicht,  und  er  hat  fort  grassirt  bis  anf  den  heutigen  Tag  nnd 
zwar  in  det  neuen  Welt  wie  in  der  alten,  namentiieh  überall,  wo  die 
Denkiknlheit  ihm  einen  günstigen  Boden  schafft  ^»Eein  Fehler'',  sagt 
Prof.  Strümpell  „ist  mehr  yert>reitet  als  der  Aborglanbe,  nnten  nnd 
oben  nnd  in  der  Mitte  des  Volkes,  bei  den  Klngen  wie  bei  den  Ein- 
ftltigen,  bei  den  Reichen  wie  bei  den  Armen,  bei  den  Vornehmen  wie 
bei  den  Geringen,  bei  den  Gelehrten  wie  bei  den  Ungelehrten."  Und 
in  der  That  hat  es  immer  nicht  blos  abergläubische  Narren  gegeben, 


Von  Dr.  CM  JPUat-Letptiff. 


Digitized  by  Google 


—   99  — 


sondern  auch  liervorragende  Männer,  die  Itei  aller  Freisinnigkeit  docli  • 
von  dieser  Schwäche  nicht  loskommen  konnten.  Voltaire  kam  ganz 
betrübt  nach  Hause,  wenn  er  auf  dem  Felde  Raben  zu  seiner  Linken 
hatte  krächzen  hören,  Rousseau  warf  kleine  Steinchen  durcli  das 
Luch  eiuer  S-iule;  wenn  ihm  der  \\'urf  gelang,  hielt  er  das  für  ein 
gutes  Zeichen,  und  Philipp  von  Uileuns,  dieser  arge  Freigeist,  ließ  sich 
aus  dem  Katiee  wahrsagen,  ob  er  hingenchtet  würde  oder  nicht.  Auch 
heutzutage  erschrickt  mancher,  wenn  ihm  eine  scliwarze  Katze  früh 
über  den  Weg  läuft  oder  ein  altes  Weib  begegnet.  Zu  den  Personen, 
die  oft  am  meisten  an  abergläubischen  Dingen  hängen  und  auch 
andere  gern  in  die  Schlingen  dieses  Fehlers  führen  und  bethören.  ge- 
hören: Schäfer,  Todtengräber,  Matrosen,  Spieler,  Jäger,  Schausi»ieler 
(besonders  auch  wahrsagende  Frauen),  und  jeder  Ort  hat  dabei  seinen 
besondem  Aberglauben,  so  dass  der  berühmte  Reisende  Schweinfurth 
nicht  so  ganz  unrecht  hatte,  wenn  er  .sagte:  yDev  Aberglaube  eines 
Volkes  gehört  in  die  Geographie."  Was  ist  der  Aberglaube?  Er  ist 
ein  auf  subjectiven  Gemütliszuständen  ruhendes  und  von  geschwächter 
Veretandesthätlgkeit  erhaltenes  Fürwalubalten  von  Dingen,  die  gar 
nicht  existireu,  oder  von  übernatürlichen  Wirkungen  einfacher  Dinge; 
oder  er  ist  kurz  gesagt  der  gläubige  Ausdruck  der  Verstaadlosigkeit. 
Hattfln  wir  diesen  Begriff  fest,  so  erkennen  wir  leicht,  was  nicht  in 
den  Bereich  des  wirklichen  Aberglaubens  gehört  Das  Triamen  von 
Vnwolsein  ist  oft  die  wirkliche,  im  Körper  auftretende  Ankündigung 
eines  Übels;  das  Beachten  eines  solchen  Traumes  ist  daher  kein 
Aberglanbe,  sondern  Oesondheitspflicht  Wenn  man  sagt:  Ein  olFen 
mit  der  Schneide  nach  oben  liegendes  Messer  bedeute  Unglück,  so  ist 
dies  sehr  erklfirlich,  man  kann  sich  Ja  leicht  verletzen  durch  dasselbe; 
wenn  der  Besuch  sich  setzen  soll,  um  die  Buhe  nicht  mitzunehmen, 
so  ist  das  ganz  in  der  Ordnung,  da  das  Hin-  und  Hergehen  eines 
Besuches  manche  Menschen  nervös  oder  unruhig  macht  Auch  gewisse 
Spielereien,  wie  das  Kartenschlagen  und  Auslegen,  das  Bleigieflen  in 
der  Ne^jahrsnacht,  Holzscheit  raffen  (wenn  man  eine  gerade  Zahl 
Scheite  errafft,  bedeutet  es  Glfick)  etc.  sind  nicht  hierher  zu  rechnen, 
da  es  bloße  SpäBe  sind,  die  zur  Unterhaltung  dienen;  ebensowenig 
die  Irrungen,  die  auf  Müschen  Annahmen  hinsichtlich  der  Naturgesetze 
ruhen  und  noch  viel  weniger  die  nicht  selten  auf  falschen  Schlössen 
beruhenden  philosophischen  Speculationen  und  Spitzfindigkeiten,  die  man 
mitunter  den  aristokratischen  oder  philosophischen  Aberglauben  ge- 
nannt hat;  oder  der  sogenannte  Heilniagnetismus,  für  den  Prof.  Nuss- 
baum  sogar  einen  Lehrstuhl  auf  der  Universit&t  wünschte.  Der  wahre 


Digitized  by  Google 


—   100  — 


volksthümliclie  Aberglaube  ist,  wie  bereits  erwähnt,  nur  das  Fiirwahr- 
halten  von  Dingen,  die  der  logisch  und  gesund  denkende  Verstand 
als  ganz  unmo/^iich  erkennt. 

Wo  liegen  nun  die  (Quellen  zu  dieser  Krankheit?  In  tausend 
Dingen,  so  dass  man  ein  ganzes  Buch  dariiber  schreiben  könnte.  Vor 
allen  Dingen  ist  die  tiefste  (Quelle  zu  suchen  in  den  Resten  des  alten 
zertrümmerten  Naturdienstes  der  alten  Germanen  und  in  dem  Hang 
zum  Wunderbaren,  zum  Schauerlichen  und  Abenteuerlichen,  der  unserm 
Volke  von  jeher  eigentliünilich  gewesen  ist.  Zu  den  weiteren  Quellen 
oder  Brutherden  liir  den  Aberglauben  gehören:  aufifallende  Natui- 
erscheinungen  —  alte  Burgen*)  und  Klöster  —  Sinnestäuschungen 
oder  ungewöhnliche  Sinneneindrücke  von  räthselliaften  Erscheinungen, 
aus  welclien  die  Phantasie  ihre  Spukgestalten  webt;  verworrene  reli- 
giöse Vorstellungen  und  Gemüthsbewegungen ,  die  entweder  in  der 
Furcht  oder  im  Eigennutz,  in  der  Selbstsucht  ihren  Grund  haben, 
oder  als  Erbkrankheiten  aus  alter  Zeit  stammen.  Sehr  walir  und  er- 
schöpfend sagt  in  dieser  Hinsicht  Prof.  Strümpell:  „Zu  solchen 
Gemüthszustiinden  gehören  außer  dem  Hotten  und  Befürchten,  dem 
Wünschen  uod  Verlangen,  das  Wolgefallen  am  Geheimnisvollen  und 
Räthselliaften  und  Wunderbaren,  die  Angst  und  das  Verzagen  in 
get^ährlichei'  Lebenslage,  das  dräckende  Geföbl  and  die  Beklommen- 
heit bei  drohender  Oefiihr;  die  Selinsiieht  nach  Hilfe,  die  Leiden- 
schaften der  Herrschsncht,  der  Gewinnsucht»  das  Verzagen  bd  körper- 
lichen Leiden,  das  quälende  Hnngergef&hl  in  Zeiten  der  Noth,  die 
Sorgen  im  Hinblick  auf  eine  hilflose  Znkimft,  der  Druck  der  Gewissens- 
bisse, die  Sehnsndit  der  Liebe  und  der  Liebesschmerz,  seelischer 
Kummer  aller  Art,  Schwftrmerei  in  Erdichtungen,  die  erhebende  oder 
niederbeugende  Stimmung  im  Gedankenverkehr  mit  dem  Verehrnngs- 
wesen,  Ahnungen,  Vertiefiing  in  religiöse  Vorstellungen,  die  Geflkhle 
des  Hasses,  des  Neides,  der  Bache,  die  Trauer  Aber  Verlorenes,  Ver- 
langen nadi  einem  Au&chluss  Aber  das  Künftige  oder  Aber  das  Dunkel 
des  Erlebten."  Ja,  wahrlich,  das  sind  die  geistigen  Begangen,  die  den 
Menschen,  besonders,  wenn  ihm  das  ruhige,  gesunde  Danken,  der 
nOthige  Halt  fehlt«  geradenweges  in  die  Arme  des  Aberglaubens  treiben. 

Weil  nun  der  Aberglaube  so  verschiedene  Quellen  hat,  da  ist 
auch  sein  Auftreten  unendlich  verschieden.  Das  wird  sich  klar  zeigen 


*)  Bei  dcu  Erbauern  der  ultea  Kitturburgeu  btrrbulitc  der  Aberglaube,  dass  die 
EinmaueruDg  eines  lebendigen  Kindel  die  Bug  vor  Unfällen  scbtttze.  Die  kleinen 
Skeletti,  die  man  bei  Abtragungen  findet,  rtthren  Ton  diesen  Opfern  her. 


Digitized  by  Google 


—   101   —  . 

wenn  wir  das  Gebiet  dieser  Krankheit  nach  einzelnen  Fällen  liter- 
schauen.  Wir  betrachten  zuerst  den  Aberglauben,  der  am  unschul- 
digsten aussieht.  Dass  die  12  Tage  nacli  Neujalir  Schicksalstage 
sind,  dass  man  eine  besondere  Furcht  vor  der  13  hat,  «»der  vor  dem 
Freitage,  dass  Osterwasser  seliön  maclit,  vor  Bezauberung  schützt 
und  Ungeziefer  versclieucht,  sind  so  gewöhnliche  Dinge,  dass  ich 
davon  absehe.  W'ol  aber  will  ich  zuerst  einige  aberfrläubische  Sitten 
berühren,  die  in  der  Familie  und  schon  an  der  Kindeswiege  ihr 
Wesen  treiben,  das  inimerhiu  thrnicht  ist.  wenn  auch  nicht  gerade 
ein  ott'enbarer  Schade  dadurch  geschieht.  Während  der  Schwanger- 
schatt  darf  <lip  Frau  keine  Speise  aus  der  Kelle  kosten,  sonst  schreit 
ihr  Kind  nachlier  viel.  Bei  der  Taute  muss  man  recht  lange  läuten, 
dann  wird  das  Kind  recht  klug;  schlägt  freilich  die  Thurmulii"  während 
des  Läutens,  so  stirbt  das  Kind  wieder.  Der  Name  des  Kindes  darf 
vor  der  Taufe  nicht  genannt  werden,  sonst  lernt  es  scliwer  sprechen; 
ilie  Pathen  dürfen  sich  beim  Gange  zur  Kirche  nicht  umsehen,  sonst 
lernt  das  Kind  schielen;  wenn  sich  in  Böhmen  der  Geistliche  bei  der 
Taufe  verspricht,  so  redet  das  Kind  zeitlebens  im  Schlafe.  In  Alt- 
preußen tauft  man,  wenn  ein  Mädchen  und  ein  Knabe  getauft  wii  d.  das 
Mädchen  zuei'st,  dass  es  den  Buben  nicht  nachlaufe:  aber  in  Züridi 
werden  die  Knaben  zuerst  getauft,  weil  sie  sonst  keine  Bärte  bekommen. 
Hie  und  da  nagelt  man  kleine  Säckchen  mit  Anmieten  an  die  Wiege, 
legt  zwei  Messer  kreuzweis  und  ein  (Tesangbuch  oder  die  Bibel  unter 
das  Koi>fkissen  des  Kindes,  oder  man  badet  die  Kinder,  welche  Aus- 
schlag haben,  mit  Osterwasser  etc.  Mitunter  tritt  der  Aberglaube 
s3'mbolisch  oder  in  poetischem  Gewände  auf.  So  gab  man  fi-üher 
dem  neugebomen  Knaben  ein  Schweit  in  die  Hand,  dass  er  muthig 
werden  sollte;  und  dem  Mldehen  |eine  eingefildelte  NiUmadel,  damit 
sie  fleißig  werde.  Die  Indiaaier  logen  den  Knaben  einen  kleinen  Bogen 
auf  die  Wiege;  in  vielen  andern  Gegenden,  wie  noch  Jetzt  in  Griechen- 
land, legt  man  dem  Knaben  Geld  nnd  Schwert»  dem  M&dchen  Spindel 
nnd  Bocken  in  die  Wiege.  Mit  diesem  mehr  oder  weniger  müchnl- 
digen  Aberglanben  geht  der  lächerliche  und  dumme  Hand  in  Hand. 
Das  Folgende  wird  dies  zeigen.  Wer  Muth  bekommen  will,  moss 
Hasenkrant  in  der  Tasche  tragen;  Katzenliebhaber  bekommen  eine 
gute  Frau;  Schwalbennester  schtttzen  vor  Unglück.  Am  Rhein  isst 
man  am  Aschermittwoch  Hirsebrei  nnd  Blntwui-st,  dass  man  recht 
viel  Gold  im  Beutel  behält  und  vor  Fieber  bewahrt  bleibt.  In  der 
Christnacht  knien  die  Thiere  nieder  nnd  erhalten  auf  Augenblicke 
menschliche  Rede  (so  dass  Bileams  Eselin  Nachfolger  hat);  das  im 

Padaifogliiin.  14.  J«hyR»nir.  H«ft  II.  8 


Digitized  by  Google 


KeireV  be Wähl  te  Gdfilise"  fangt  an  zu  kn^^pen;  die  Rose  von  Jeiicho 
(iffnet  sich  in  der  Cliristnacht,  und  Bäume  bliilieu  und  tragen  Thrist- 
nachtsfrilchte.  Das  Thierreich  genießt  die  schlimme  Ehre,  ganz  be- 
bünders  dem  Aberglauben  dienen  zu  müssen.  Die  Kröte  als  Sinnbild 
des  Neides  bringt  viel  Unglück.  Viele  Thiere  hat  der  Wahn  als 
Todeisboten  gekennzeichnet,  so  z.  B.  beulende  Hunde,  schwarze  Katzen, 
die  sich  aufs  Bett  setzen  oder  über  den  Weg  lauten.  Pferde,  die  beim 
Umzug  nicht  weiter  wollen,  Eulen  und  Nachtigallen.  Ein  ans  Fenster 
pickendes  Vögelchen  zeigt  den  Tod  eines  Verwandten  in  der  Ferne 
an.  Eines  besonders  guten  Kufes  erfreut«  sich  die  Martinsgans; 
sie  galt  als  Proi)liet.  wenn  sie  gebraten  war.  War  da.s  Brustbein 
hell  und  klar,  gabs  einen  strengen  Winter;  war  es  grob  und  dunkel, 
so  stand  viel  iiohnee  bevor.  Auch  die  Ptlanzen  wurden  zu  Walu- 
sageru  gemacht,  wie  z.  B.  der  Klee,  die  Bohne,  die  Haselnuss  etc 
Lächerlich  und  thOricht  sind  namentlich  die  leider  noch  oft  genug 
auftretenden  abergläaliiselien  Mittel  gegen  allerlei  Übel.  Wer  von 
Warzen  sich  befreien  will,  wickelt  so  viel  Brlnen  wie  man  Warzen 
hat,  in  einen  Lappen  and  sehmeiSt  ihn  anf  die  Straße;  der  ihn  auf- 
bebt, bekommt  die  Warzen  (auch  mit  einem  auf  der  Wai'ze  gelegenen 
Qeldstttck  führt  man  dies  aus),  oder  man  bestreidit  Leichen  mit  den 
Warzen,  oder  reibt  sie  im  Mondschein.  Zahnschmerzen  heilt  man 
vollständig,  wenn  man  stillschweigend  vor  Sonnenaufgang  an  einen 
Weidenbaum  geht,  mit  einem  Splitter  so  lange  in  den  Zfthnen  herum* 
stochert,  bis  sie  bluten,  und  den  blutigen  Splitter  in  die  Binde  des 
Baumes  steckt  Wer  schOn  werden  will,  muss  viel  Hasenfleisch  essen^, 
Taubenfleisch  bewirkt  Fieber;  gebackene  Hammelschwftnze  machen 
heitei'  und  stflrken  das  Gedächtnis;  Schweinefleisch  hilft  gegen  die 
Fallsucht. 

Gradezu  haarsträubende  Dummheit  leuchtet  aus  vielen  andern 
Vorkommnissen  in  Yolkskreisen  heraus.  In  einem  Weinberg  am  Bbein 
war  vor  einiger  Zeit  alle  Abende  ein  Lichtlein  zu  sehen;  die  Menge 
hielt  es  fOr  eine  arme  Seele,  die  keine  Buhe  im  Grabe  fibide.  Es 
war  aber  nichts  als  eine  Mottenfalle.  In  FQnfkirchen,  wo  vor  kurzem 
ein  kleines  Mädchen  ans  Schi'eck  vor  einem  Schomsteinfegar  das  Fieber 
bekommen  hatte,  schrieb  der  Gemeinderichter  an  denMeister  des  schwarzen 
Gesellen  und  bat  um  ein  paar  Haare  des  letzteren,  um  das  kranke 
Mädchen  damit  einzuräuchern  und  gesund  zu  machen.  In  Bussland 
gruben  die  Iranern  vor  nicht  allzulanger  Zeit  einen  Brunnen,  dessen 
Wasser  als  Wuuderwasser  ausposaunt  wurde,  das  wunderbare  Türen 
bewii'ke,  gegen  alle  mogliclien  Krankheiten  helfe  und  selbst  den 


Digitized  by  Google 


—    103  — 


TenfiBl  aiistroibe.  In  Friedriclurah  wollte  man  vom  Himmel  ge&Uene 
Zfegelsteme  nnd  Sand  gefanden  haben,  auch  sah  man  flammende 
Schwerter  Aber  BismardcB  Hause.  Eline  Frau  kroch  mit  ihrer  Tochter 
in  den  Backofen,  am  —  von  der  Dummlieit  sich  zu  befreien.  Eine 
andere  aberglftnbische  Frau  kochte  für  ein  krankes  Kind  Thee  aus 
dem  alten  Myrtenkranze  einer  Braut.  Natiirlicli  starb  das  Kind. 
Eün  Wunderdoctor  der  heutigen  Zeit  will  den  Typhus  durch  das 
Verbrennen  von  Judenknochen  wegräurhei  n.  Eine  Gattin  —  das  ist 
nnlftDgst  geschehen  —  sticht  sich  in  den  Arm  und  thut  das  Blat  dem 
Manne  in  den  Kaffee,  um  seine  Liebe  wieder  zu  gewinnen.  Einen 
Buckeligen  berühren  bringt  Glück;  wenn  aber  ein  Hinkender  im 
Kaukasus  in  den  Hof  tritt,  80  verkrüppeln  alle  Hühner  in  dem  Jahre. 
Zu  den  lächerlichen  Spielereien  der  Kinder  gehört  auch  die.  dass  man 
am  Weilinacht^fest  einen  Fingerhut  mit  Sand  füllt  und  dann  die 
H&nfchen  auf  das  Papier  stellt.  Der,  dessen  Häufchen  am  1.  Feier- 
tage zusammengefallen  ist,  stirbt  in  dem  Jahre.  So  ganz  unbedenklich 
ist  auch  diese  Spielerei  nicht. 

Docii  nun  Nveiiden  wir  uns  dem  gefährlichen  und  frevelhaften 
Aberglauben  zu:  er  tulirt  uns  Bilder  vor,  die  jeden  Menschenfreund  aufs 
tiefste  betrüben  inüsseu.  Wir  reclnien  liierlier  zuerst  die  ganze  Wahr- 
sagerei, die  an  die  weltberühmte  Karteuschlägerin  Lenormand  in 
Paris  erinnert,  aber  auch  jetzt  noch  vielfach  vertreten  ist  und  immer 
Duniuigläubige  tindet.  Im  .Tahre  1800  machte  eine  Kartensrhläcerin 
einer  Witwe  weiß,  dass  sie  ihr  /u  einem  Bräutigam  verhelfen  könne, 
und  nahm  derselben  viel  (ield  ab.  Ein  reicher  Mann  in  Petersburg 
ließ  einen  C'oniplex  von  Gebäuden  bauen,  die  zu  einem  Bade  Itestininit 
waren.  I>ie  walirsageude  Zigeunerin  sagte  ilun,  dass  er  an  tieuiselben 
Tage,  wo  ei*  das  Gebäude  zum  Wohnen  übersrebe,  sterben  werde.  Es 
steht  bereits  zelin  .Jalire  leer.  Einem  Bauerngutsbesitzer  in  Giesmanns- 
(lorf  in  der  Lausitz  bi-aelite  man  die  F^inbildung  bei.  dass  .sein  ganzes 
Haus  verhext  sei  und  schwindelte  ihm  mit  abergläubischen  Dingen 
viel  Geld  ab.  In  frühern  dunklen  Zeiten  ließen  freilich  sicli  aueh 
fürstliche  Personen,  Grafen.  Herzöge  etc.  von  \\'alirsag«'rn.  namentlich 
Schatzjrräbern  dupiren.  Schaudern  nuiss  man  aber,  wenn  man 
solch  entsetzlichen  Thaten  des  Aberglaubens  hört,  wie  ich  hier  einige 
mittheilen  will.  Das  Beschreien.  Verwünschen  und  be.sonders  der 
böse  Blick  treibt  hie  und  da  noch  sein  Wesen  und  erfasst  be^ndei^ 
Geisteskranke.  Vor  kurzem  ist  der  Grußvater  in  einer  Familie  er- 
schlagen worden,  weil  von  seinem  Blick  nach  Meinung  der  Leute  der 
Enkel  einen  Ausschlag  am  Arm  bekommen  haben  sollte.  Ein  70  Jahi-e 

Digitized  by  Google 


—   104  — 


alter  Knecht  in  Wengern  hat  vor  kurzem  auf  dem  Kirchhofe  eine 
Kindesleiche  ausgegraben  und  ein  Stück  Fleisch  sicli  auf  seine  Wunden 
zur  Heilung  gelegt.  Im  evangelisclien  Dorfe  Kaldau  wui'de  einer 
Leiche  der  Kopf  vom  Kumpf  geschnitten  und  umgedreht;  das  müsse 
man  machen  -  hieß  es  —  wenn  Angehörige  schnell  hintereiuander 
sterben.  Da  man  hie  und  da  glauht,  dass  Leichen  Vampyre  würden, 
welche  das  Blut  ihrer  Kinder  begehrten  und  überhaupt  den  Lebenden 
schadeten,  so  schnitt  ein  Bauernbursche  dem  gestorbenen  Großvater 
das  Haupt  ab.  Der  Verstorbene  liatte  selbst  gesagt,  dass  er  zum 
Vampyr  würde,  weun  man  ihm  nicht  das  Haupt  abschlüge.  Eine 
Frau  in  der  Niihe  von  Danzig  erkrankte  1890  am  Kindbetttieber  und 
man  nahm  an,  dass  sie  von  einer  Frau  im  Dorfe  verhext  sei.  Man 
suchte  die  Frau,  führte  sie  zur  Kranken,  schlug  sie  dort  blutig  und 
gab  der  Kranken  das  Blut.  Natürlich  starb  diese  trotzdem.  Entsetz- 
lich ist  es,  wenn  wir  von  Ausgeburten  des  Wahnsinns  lesen,  wie  sie 
sich  bei  Menschen  gezeigt  haben,  die  da  glaubten,  dass  sie,  wenn  sie 
Fleisch  von  jungen  unsdiuldigen  Mädchen  genö.s.sen,  alles  thun  kiinnten, 
ohne  zur  Verantwortung  gezogen  zu  werden;  oder  bei  jenem  Bauer, 
der  die  Herzen  von  Kindern  aß. 

Am  widerwärtigsten  ist  der  religiöse  Aberglaube,  der  nicht  selten 
die  Bibel,  mit  herbeizieht  ,  und  er  treibt  seine  schwarzen  Blüten  leider 
auch  immer  noch  in  unserem  Volke.  So  wollte  eine  Mutter  in  ihrem  reli- 
giösen Wahne  ihren  Sohn  opfern,  wie  Abraham  den  Isaak.  Zum 
Glück  wurde  er  ihr  noch  entrissen.  Vor  ganz  kuraer  Zeit  wuide  ein 
großer  Handel  mit  von  einem  Bischof  eingesegneten  Madonnen -Gips- 
figuren  getrieben.  Die  Abergläubischen  kauften  sie  fikr  20  Mark  das 
Stttck.  Aber  die  Betrügerei  wurde  entdeckt,  und  die  Beti  üger  erhielten 
10  Tage  Zellenhaft.  Wie  in  katholischen  Ländern  mit  den  Heilungen 
durch  Marienbilder  und  Reliquien  der  Aberghiube  genährt  wird,  das 
ist  80  bekannt,  dass  darttber  eigentlich  kein  Wort  gesagt  zn  werden 
l>raacht  So  wissen  wir,  dass  1732  jeder  Student  ein  Agnns  Dei, 
welches  ans  von  dem  Papste  geweihten  Wachs  bestand,  Tag  und 
Nacht-  anf  der  Brust  tragen  sollte,  um  vor  Leibes-  und  Seelengefithren 
sicher  zu  sein.  Haarsträubend  ist,  wie  sich  der  religi(tee  Aberglaube  in 
frfiheren  Zeiten  mit  bOsen  Geistern  und  namentlich  mit  dem  Teufel 
herumschlug,  der  sidi  als  Bock,  FuehSt  Hund,  Schwein  zeigte  und  die 
Schlangen  erschaffen  haben  sollte. 

Mit  den  Thieren  Oberhaupt  wurde  im  Mittelalter  förmlich  Blas- 
phemie getrieben,  wie  es  z.  B.  historisch  nachgewiesen  ist,  dass  man 
u.  a.  den  Esel  verehrte  und  ihn  beim  Hochamte  mit  niederknien  lieB. 


Digitized  by  Google 


—  106  — 


Wenn  m  mm  nach  dieser  kurzen  ChArakterinrnng  des  Aber- 
glaabens  seine  traurigen  Folgen  ftbeii^licken  wollen,  so  müssen  wir 
zoerst  einem  Einwände  l»egegnen.  Man  sagt:  Kacht  doch  nicht  so 
viel  Wesens  von  dem  harmlosen  Volksaberglanben;  was  schadet  es 
denn,  wenn  die  Mädchen  aus  der  zerpflückten  Blnme  heraoslesen:  „Er 
liebt  mich,  er  liebt  mich  nicht!"  oder  wenn  in  Norwegen  die  Hciratslostigeu 
durch  die  Fettehenne  ilir  Schicksal  zu  wgrflnden  snchen[(indem  sie  zwei 
Zweige  dieser  Pflanze  in  Hoizritzen  stecken  und  nun  warten,  ob  sie 
gegeneinande^r  wachsen  oderj  nicht);  wenn  man  sich  beim  Spiel  nicht 
in  die  Karte  sehen  lässt,  nicht  mit  einer  Schinimeldroschke  oder 
mit  einer  Droschke  Nr.  13  fahren  will,  oder  wenn  man  den  Kuckuck 
zum  ersten  Male  schreien  hört  und  auf  die  Tasche  schlägt,  damit, 
man  das  ganze  Jahr  Geld  hat.  oder  wenn  man  in  der  harmlosesten 
Weise  vierblättriire  Kleebl&tter  als  Glücksbringer  sacht! — Ja,  manche 
gehen  in  der  Eutschuldigang  dieses  Fehlers^  noch  weiter,  indem  sie 
ihm  lieilsame  Wirkungen  zuschreiben  und  z.  3.  sagen:  Wenn  die 
Hausfrau  glaubt,  dass  ein  in  der  Stube  liegender  Strohhalm  Besuch 
bedeute,  so  wird  sie  das  Haus  hUbsch  sauber  halten.  Allein  wenn 
der  Aber<?laiibe  auch  in  unschuldigeren  Formen  auftritt,  so  verwickelt 
er  die  Menschen  doch  in  Vorurtheile  aller  Art  und  in  lächerliche 
Wider.'^itrüche  mit  der  Natur  und  der  Vernunft,  und  das  ist  doch  der 
Ehre,  auf  die  ein  jeder  halten  soll ,  nicht  zuträglich.  Das  Schlimme 
ist,  dass  er  in  den  Köpfen  von  kleineu  Anfängen  an  sich  ausbreitet, 
schließlich  das  ganze  Verstandesgebiet  in  Gefahr  bringt  und  so  ver- 
dummt, dass  die  Betrüsorbei  jedem  Abergläubischen  leichtes  Spiel  haben. 

Doch  viel  trauriger  und  beklagenswerter  sind  die  Folgen  bei  den 
schlimmeren  Arten  des  Aberglaubens,  die  wir  oben  bereits  geschildert, 
und  in  erster  Linie  ist  hier  der  medicinische  Aberglaube  zu  nennen. 
Wenn  mau  sich  auf  die  abergläubischen  Mittel  verlässt ,  so  versäumt 
man  dabei  die  allein  richtigen  und  vernünftigen.  Wie  viele  Opfer  an 
Jung  und  Alt  mag  das  sciiou  gekostet  haben  und  wie  manches  Grab 
ist  die  Frucht  der  schwarzen  SaatI  Auch  in  der  \\'irlschaft  ist  der 
Aberglaube  verderblich.  Wenn  der  Bauer  glaubt,  dass  er  gutes  Vieh 
mit  Geheimmitteln  erlan^-en  kann,  so  kümmert  er  sieh  weniger  um 
die  rechte  Pflege  und  Behandlung  seiner  Thiere,  und  wenn  er  glaubt, 
dass  ein  Zeieheu  auf  der  Thürschwelle  die  Diebe  nicht  hereinlässt,  so 
wird  er  weniger  vorsichtig  und  kann  nun  erst  recht  bestohlen  werden. 
Und  nicht  nur  der  Einz(dne.  ganze  Völker  und  Länder  werden  ver- 
führt, ausgesogen  und  verarmen  durch  die  aus  Aberglauben  begangenen 
Thorheiten  und  Verschwendungen.    Denn  es  ist  eine  alltägliche  Er- 

y 

Digitized  by  Google 


—   106  - 


scheinung,  dass  der  Aberglaube  wie  andere  Krankheiten  mitunter  epi- 
demisch durch  Miasma  oder  Contagion  sich  weithin  ausdehnt  und  ansteckt, 
und  es  ist  gleichfalls  eine  alte  Erfahrung,  dass  Abergläubische  gern 
andere  bekehren  wollen,  wie  der  Leipziger  Bürger,  der  alle  Menschen 
zum  Glauben  an  den  Storchschnabel  und  an  die  damit  bewirkten  ver- 
meintlichen Geistererscheinungen  bringen  wollte. 

Und  nun  denke  man  an  die  Erregung  von  Furcht,  Schrecken 
und  Gram  in  den  leicht  empfänglichen  und  empfindsamen  Gemüthern. 
Es  ist  noch  nicht  lange  her,  dass  eine  Braut  den  Verlobungsring 
verlor  und  in  ihrem  Aberglauben  sich  zu  Tode  härmte  und  der 
Bräutigam  sieh  erschoss.  Alles  Früchte  solch  entsetzlichen  Wahn- 
glaubens. Mitunter  bringt  sich  der  Abergläubische  selbst  in  Gefahr. 
Bei  einem  schweren  Gewitter  soll  das  Läuten  helfen,  und  doch  schlägt 
der  Blitz  so  oft  in  die  Thürme.  1783  wurden  in  Deutschland  und 
P  iankieich  während  drei  Monaten  06  Personen  wahrend  des  Läutens 
vom  Blitz  einschlagen.  Und  erst  neulich  ist  der  Fall  in  Zopotten  (im 
Reußischen)  wieder  vorgekommen.  Ebenso  traurig  sind  die  Selbst- 
peinigungen, die  sich  Menschen  im  Aberglauben  autlegen,  wie  es  z.  B. 
noch  jetzt  in  Sicilien  geschieht,  wo  Männer  auf  den  Wegen  zur  Wall- 
fahiiskirche  religiöse  Geißelungen  vornehmen  und  sich  Brust  und 
Beine  so  blutig  schlagen,  da.^s  nicht  selten  Todesfalle  daraus  hervor- 
gehen. Der  verhängnisvollste  Schaden  des  Aberglaubens  besteht  aber 
darin,  dass  er  zu  den  schlechtesten  Handlungen,  ja  zu  Verbrechen 
aller  Art  führt.  Und  das  thut  vor  allem  der  religiöse  Aberglaube. 
Es  ist  nicht  auszusagen,  wie  viel  dieser  Moloch  im  Mittelalter  an 
Opfern  yerschlungen ;  die  Haut  mu&s  einem  schaudern,  wenn  man  liest, 
dass  in  Bambei  g  binnen  3  Jahren  (1627—1630)  285  und  in  Wttr«- 
bürg  in  derselben  Zeit  175  Hexen,  ja  in  Quedlinburg  an  eJnem  Tage 
130  Hexen  lebendig  verbrannt  irarden,  nnd  dass  man  noch  1701  in 
Dentseldand  eine  Hexe  hinrichtete,  weil  sie  ein  fleJacUiches  Liebes- 
verhftltnis  mit  dem  Tenfel  gehabt  habe. 

Noch  heutigentags  macht  der  Aberglanbe  üuiatisch,  gransam,  ja 
wahnwitzig  und  nicht  selten  vollständig  irrsinnig.  Voltaire  hatte 
ganz  rechte  wenn  er  sagte:  „Der  Fanatismus  ist  für  den  Aberglauben, 
was  das  Delirium  fftr  das  Fieber,  die  Baserei  für  den  Zorn  ist  Wenn 
einer  glanbt,  dass  er  dnrch  Beten  eines  Psalmen  oder  durch  allerhand 
^hoeus  pocus"  seinem  Feinde  recht  schaden  könne,  so  wird  seine 
Rachlnst  dadurch  nur  mehr  ange&cht  Und  sehen  wir  auch  von  den 
allerschwersten  Ausgeburten  und  Verbrechen  des  Aberglaubens  ab,  er 
bleibt  doch  schließlich  eine  Entweihung  des  Heiligsten  im  Mensehen, 


Digitized  by  Google 


—   107  — 


d«8  reinen,  gesanden  und  liebten  Gtottesglanltens,  an  dem  er  zehrt 
wie  eine  Afterorganisation  am  KOrper.  Mag  er  auch  mitunter  den 
Spott  erregen  nnd  beUebelt  werden,  er  ist  nnd  bleibt  eine  tief  am 
beklagende  Erscheinung  nnd  besonders  anch  eine  Übertretung  des 
Inblischen  Gebotes,  das  da  lautet:  „Es  soll  nicht  unter  dir  gelhnden 
werden  ein  Weissager,  oder  ein  Tagewähler,  oder  der  auf  Vogelgeeehrei 
achte,  oder  ein  Zauberer,  oder  Beschwörer,  oder  Wahrsager^  oder 
Zeichendeuter,  oder  der  die  Todten  frage;  denn  wer  solches  tbnt,  ist 
dem  Herrn  ein  Greuel." 

Ich  könnte  noch  weiter  eingehen  auf  die  Verwüstungen,  welche 
dieser  Fehler  im  menschlichen  Geiste  anrichtet,  nnd  zeigen,  wie  er 
sein  Opfer  nach  nnd  nach  für  das  Leben  ganz  unbrauchbar  machte 
doch  es  sei  genug.  Überblicken  wir  nun  den  Weg  zur  Heilung  dieser 
Krankheit.  Er  ist  nicht  leicht,  die  Heilung  will,  wie  jede  andere, 
mit  Vorsicht  und  Schonung  ausgeführt  sein.  Spott,  den  man  als 
Heilmittel  gerathen  hat,  dürfte  nur  bei  ganz  aberwitzigen  Kund- 
gebungen des  Aberglaubens  am  Orte  sein;  überhaupt  hilft  auch  die 
verächtliche  Behandlnng  des  Aber^^läubischeii  nur  halb;  der  Irrthum 
desselben  wird  ins  V^erborgene  getrieben  und  bleibt  dann  oft  um  so 
zäher  haften.  Ob  es  viel  helfen  wird,  wmu  man  Vereine  wie  in  Frank- 
reich gründet,  deren  Mitglieder  es  sicli  zur  Aufgabe  stellen,  gerade  das 
zu  thun,  was  der  Aberglaube  verbietet,  also  z.  B.  Freitags  reisen,  die 
Zahl  13  benutzen  etc.,  das  ist  wol  auch  noch  die  Frage.  Immerhin 
ist  aber  ein  solcher  Verein  geeignet,  die  Wahnmeinungen  des  Volkes 
zu  erschüttern.  Dass  man  Schwache  nicht  ohne  Noth  verletzt  und 
dass  man  nicht  überall  das  Kind  mit  dem  Bade  ausschüttet,  also  mit 
dem  Aberglauben  nicht  auch  allen  Glauben  zerstört,  darauf  ist  sicher- 
lich zu  achten.  P]s  ist  ja  klar,  dass  mancher  Aberglaube  aus  einem 
guten  Keime  hervorgegangen  ist,  als  dessen  Ausgeburt  er  da.steht. 
So  gründet  sich  manche  abergläubische  Sitte  auf  Sagen  und  Legen- 
den, die  mitunter  einen  tiefen,  zu  beachtenden  Sinn  haben,  der  bei  Aus- 
rottung des  Übels  nicht  mit  zerstört  zu  werden  braucht.  Dass  es  übrigens 
schwer  ist.  Erwachsene  vem  Aberglauben  zu  heilen,  selbst  wenn  sie 
ihn  erkennen,  kommt  daher,  dass  er  mit  dem  Leben  des  Menschen 
ganz  verwächst.  Das  alte  Wort:  scio  meliora  probo(iue,  deteriora 
sequor  passt  leider  auch  hierher.  Der  große  Lessing  sagt:  „Der 
Aherglaub,  in  dem  wir  aufgewachsen,  verliert  auch  wenn  wir  ihn  erkennen, 
drum  doch  seine  Macht  nicht  liber  uns.**  Und  dass  die  Abergläu- 
bischen auch  dann  noch  bei  ihrer  Meinung  verharren,  wenn  sie  anch 
das  Nichteintreffen  derselben  sehen,  dies  spricht  das  Wort  Jean  Panls 


Digitized  by  Google 


-   108  — 


treffend  aus:  ,.Dem  Aberglauben  wacbfien  die  i^edern,  der  Zufall  mag  ^ 
ihm  dienen  oder  schaden.'' 

Um  so  notli wendiger  ist  es  dalier,  dass  die  Erziehung  dem  Übel 
vorbeugt  oder  es  heilt,  und  zwar  von  innen  und  von  außen.  Bei  der/ 
Heilung  von  iiineu  ist  die  erste  Kegel  die.  alle  Furcht,  d.  h.  alle  uu- 
n<)thi^e  unsinnige  Furcht  aus  dem  Herzen  des  Kiiule>  zu  verbannen. 
Der  Furchtsame  sieht  überall  CTespenster.  ihm  wird  das  faule  Weiden- 
holz zum  feurigen  Manne,  der  Schatten  an  der  Wand  zui'  Geister- 
erscheinuug,  die  Nacht  zum  Schreckensbild.  Zschokke  sagt  ganz  ^.  ' 
richtig:  ..Am  Tam^  ist  jedermann  l)eherzt  uiul  fürcht(!t  sich  nicht, 
aber  am  Abend  oder  des  Nachts,  wenn  der  Körper  ohnehin  erschlalft, 
die  Seele  ermüdet,  die  Einbildungskraft  und  jede  Nerve  empfindlicher 
und  reizbarer  ist,  dann  fürchtet  der  schwache  Steil)liche  l>inye.  die  ot 
am  Tage  verlacht."  Gegen  diese  Regel,  das  Kind  v<»r  Furcht  zu  be- 
wahren, wird  aber  tausendfältig  gesündigt,  „^^'art,  der  schwarze 
Mann  wird  dich  luden!"  oder  beim  Gewitter:  „Horch,  wie  der  liebe 
Gutt  schilt  und  zürnt!"  und  vieles  andere  kann  man  täglich  hören. 
Auch  vor  der  Finsternis  sollte  man  nie  dem  Kinde  Furcht  einjagen, 
und  eher,  wie  Rousseau  will,  Spiele  im  Finstern  ausführen  lassen.  Die 
Furclit  ist  und  bleibt  eine  Haupttiuelle  des  Aberglaubens.  Zui"  Hei- 
lung von  innen  gehört  auch,  dass  das  Kind  das  Unmoralische  des 
Aberglaubens  fühlt  und  sich  schließlich  sagt:  Ich  will  nicht  aber- 
gläubisch sein.  Wenn  die  Überwindung  des  Aberglaubens  möglich  ist 
(nach  Prof.  Stiümpell)  durch  Selbstbeherrschung,  Selbsti'cgierung. 
durch  charakterfeste  Grundsätze,  treue  PffichterfÜttimg,  Math  nnd  Un- 
yerzagtheitden  Weehselflülen  des  Lebens  gegenüber«  Zurttckweisung  thd- 
richter  Wünsche  und  Bogehrungen,  dnrch  einen  heiteren,  harmlosen  nnd 
zufriedenen  Sinn,  durch  Aneignung  und  Festhalten  eines  reinen  ge- 
Iftutertai  €K)ttesglauben,  so  wie  ihn  die  wahre  Christenlehre  darreicht, 
und  durch  das  aus  ihm  entsprmgende  Veitrauen  auf  die  göttliche 
Vorsehung,  welche  die  gesetzlich  von  ihr  geordnete  Welt  überwacht 
nnd  nach  ihren  Zwecken  regiert  —  so  gilt  es  ganz  besonders  diese 
Kleinodien  bei  der  Jugend  zu  fördern,  soweit!  es  nur  möglich  ist. 
Namentlich  muss  der  Trost  in  den  jungen  Herzen  feststehen:  Denen, 
die  Qott  lieben,  müssen  alle  Dinge  zum  Besten  dienen. 

Aber  die  Wurzel  des  Aberglaubens  muss  auch  von  auften  vertilgt 
werden  durch  Aufklärung  und  Beseitigung  alier  schlimmen  Unwissen- 
heit.  Ein  englischer  Dichter  sagt:  Das  einzige  Mittel  gegen  den 
Aberglauben  ist  Wissenschalt.  Nichts  anderes  kann  diesen  Pestflecken 
ans  dem  menschlichen  Geiste  hinwegwischen;  ohne  sie  bleibt  der 


Digitized  by  Google 


—   109  — 


AnsBätzige  ongereiiiigt  und  der  Sdave  nnbefirdt.  Es  ist  daher  die 
heilige  Pflicht  der  Sehlde,  dem  Kinde  nach  allen  Seiten  hin  die  rechten 
Natnrkenntniflse  beizubringen,  die,  wie  ein  Schriftsteller  sagt,  den  Un- 
glanben  Wieden  Aberglauben  ansschlieften;  in  dem  Schiller  denBeobach- 
tnngssinn  zu  schärfen  (denn  schlechtes  Beobachten  ftthrt  zu  Täuschungen) ; 
recht  yieie  Experimente  vor  seinen  Augen  zu  machen  und  das  logische 
Denken  auf  alle  Weise  zu  wecken  und  zu  befestigen.  Und  hier 
schließt  sich  nun  die  nicht  genug  zu  wiederholende  Forderung  an,  dass 
man  beim  Unterricht  und  im  häuslichen  Verkehr  das  Kind  mit  alberneu 
Ammenmärchen  und  Gruselgeschichten  verschont.  Manches  Kind,  dem 
man  von  Todten,  die  im  Grabe  keine  Kuhe  hätten,  vom  wilden  Jäger, 
oder  Tom  Wassermann,  der  die  Kinder  in  die  Tiefe  zieht  etc.  erzählte,  ist 
dadurch  so  abergläubiscli  geworden,  dass  es  sich  kaum  einen  Schritt  in 
der  Dunkelheit  zu  thuu  getraut.  Lieber  soll  man  dem  Kinde  Gescliichten 
ei-zählen,  in  welclien  der  Aberglaube  läclierlich  erscheint  und  die 
Täuschung  leicht  ersichtlich  ist.  Klärt  man  die  Jugend  in  rechter 
Weise  auf,  dann  werden  solche  Dinge  nicht  vorkommen,  wie  in  einer 
Berliner  Gemeindeschule,  wo  ein  an  die  Wandtafel  gemalter  Todten- 
kopt  mit  den  auf  einem  Zettel  stehenden  Worten:  „Ihr  seid  dumm 
und  ich  bin  dumm,  und  morgen  drehe  ich  euch  die  Ktipfe  um"  einen 
furchtbaren  Autlauf  und  eine  schreckliche  Panik  anriditete.  Gegen 
die  Gespensterfurcht  is>t  es  ratlisam,  auch  die  Ambition  ins  Feld  zu 
lüliien  und  das  Kind  beherzt  zu  machen;  es  muss  sich  schämen,  des 
Abends  nicht  iil»er  einen  Gottesacker  gehen  zu  wollen. 

Ehe  ich  nuu  meine  Betrachtung  abschließe,  muss  ich  hier  noch 
die  Bemerkung  anknüpfen,  dass  wir,  wenn  wir  die  Relio:ion  ;als  Heil- 
mittel des  Aberglaubens  hinstellen,  nicht  einem  überladenen  Glauben 
oder  der  Frömmelei  das  Wort  reden,  denn  diese  ist  gerade  eine  Stute 
zum  Aberglauben,  wie  man  noch  heutigentags  in  bigotten  Volks- 
kreisen sehen  kann.  Die  geschnitzten  Heiligen  -  sagt  Lichtenberg  — 
haben  in  der  Welt  mehr  ausgerichtet  als  die  lebendigen;  ich  miichte 
sagen,  sie  haben  auch  mehr  Frömmelei  und  Aberglauben  verursacht 
als  die  lebenden.  Aber  ebenso  sehr  ist  zu  wünschen,  dass  nicht  eine 
schale  Freigeisterei  und  ein  veiblendetvr  Atheismus  in  unsiMin  V<dke 
noch  mehr  Unheil  anrichte,  denn  sie  sind  ebenfalls  Stufen  zum  Aber- 
glauben, wie  ja  die  französische  Revolution  des  voiigen  Jahrhunderts 
beweist,  in  weicher  sich  ein  Diener  damit  brüst ete,  dass  er  nicht 
einen  Buchstaben  mehr  als  sein  Herr  glaube  und  wo  man  docli  den  lächer- 
lichsten Thorheiten  anhing.  Man  muss  mit  Sclüller  ausrufen  :  Drum  edle 
Seele,  entreiß  dich  dem  Wahn  und  den  himmlischen  Glauben  bewahre! 


Digitized  by  Google 


—   110  - 


Es  ist  wol  anzunelimen ,  dass  es  nicht  leicht  möglich  sein  wird, 
den  Aberglauben  im  Volke  gänzlich  zu  yertQgen,  weil  so  viele  B^ac- 
toren  zu  seinem  Entstehen  zusammenwirken,  nnd  wpnn  in  heutiger 
Zeit  so  viele  Tansende  nach  Trier  pilgerten,  um  sich  bei  dem  heib'gen 
Rocke,  der  unter  den  vielen  (über  18)  heiligen  Röcken  als  der  echte 
erklärt  worden  ist  (welcher  yon  der  Jungtrau  Maria  gewebt  und  mit 
dem  Christaskinde  so  gewachsen  sein  soll,  dass  ihn  der  Hen*  auch 
als  Erwachsener  tragen  konnte),  Gluck  und  Segen  zu  holen,  so 
könnte  man  fast  verzweifeln;  aber  ich  bin  überzeugt,  dass  unsere 
Zeit,  die  mit  manchem  Gespenst  einen  siegreichen  Kampf  geführt 
hat,  auch  den  Berg  des  Aberglaubens  mit  seinen  schwarzen,  unheil- 
liringenden  Kratern  um  ein  gutes  Stück  abtragen  wird,  und  wenn 
diese  meine  Betrachtung  aucli  nur  dazu  diente,  ein  Körnchen  von 
diesem  unheimlichen  Berge  loszureißen,  so  würde  ich  micli  freuen. 
Möge  auf  deutscher  Erde  überall  in  Dorf  und  Stadt,  bei  hoili  und 
niedrig,  .iiinof  nnd  alt,  die  Elamnie  der  Aufklärung  brennen  und  möge 
der  Aberglaube  bald  nur  nocli  als  ein  trauriofes  Denkmal  der  Unwissen- 
heit in  unsern  Büchern,  aber  nicht  in  uusern  Uerzeu  stehen!  Das 
gebe  Gott! 


Digitized  by  Google 


Pädagogische  liuudsebau. 

Die  Pädagogik  als  Knnstlchre.  f'ber  dieses  Thema  hat  bekanntlich 
HeiT  Kreisfichnlrath  Dr.  Weygoldt-Karlsruhe  auf  dem  Mannheimer  Lehrertage 
einen  Vortrag  gehalten,  welcher  beitUllig  aufgenommen  und  dann  mehrfach 
abgedruckt  wurde.  Im  \' erlaute  seiner  AastiihruDgen  citirte  Herr  Dr.  Wey- 
goldt  aocb  eine  Beihe  von  Autoren  (bot.  Antoritlten),  welche  Beititge  zor 
Bdenditmiff  Minei  Themas  gelieftirt  bähen.  Doch  ▼mitst  man  d«i  Namen 
eines  Hannes,  der  dasselbe  grundlicher  behandelt  hat,  als  alle  die  genannt  sind, 
nnd  es  überdies  in  demselben  Sinn  und  Geist  behandelt  hat  wie  Herr  Dr.  W. 
Dies  ist  der  Münchener  Universitätsprofessor  Dr.  J.  Frohschammer,  der  seit 
vierzig  Jahren  mit  seltener  Kraft  und  großen  persönlichen  Opfern  der  freien 
Wissenschaft  gedient  hat,  nnd  dessen  geistTOlle,  Ar  die  Pftdagogik  hoch  be- 
deutsame Werke,  auch  Herrn  Dr.  W.  wol  bekannt,  den  Schnlmännem  aller 
Stufen  bei  jeder  schicklichen  Gelegenheit  empfohlen  werden  sollten.  Wir 
glauben  daher  eine  nicht  überliüssige  ErgHnzung  zu  Weygoldts  Vortrag  zu 
liefern,  wenn  wir  insbesondere  auf  Frohschammers  Buch:  „Über  die  Organi- 
sation nnd  Cnltnr  der  menschlichen  Oesellschaft''  (lCllnehenl885,  Ackennaans 
Nadifiilger)  anfinerksam  madien,  dessen  dritter  Hanpttheil  dem  Ersiehnngs- 
wesen  gewidmet  ist  und  in  einem  Abschnitte  unter  dem  Titel  „Die  Organe  der 
Erziehung"  (S.  418 — 436)  auch  dns  obifsre  Thema  erörtert.  Einige  Stellen 
dieses  Abschnittes,  die  zu  Dr.  W'eygoldts  Vorti-ag  in  naher  Verwandtschaft 
stehen,  mögen  hier  Raum  finden : 

„In  den  Schulen  handelt  es  sich  hanptsftchlich  nm  Bfldnng  des  Intellects 
nnd  nm  Beibringung  bestimmter  Fertigkeiten  und  Kenntnisse,  die  für  den 
geistigen  Verkehr  befähigen.  Doch  muss  dieser  Unterricht  stets  auch  mit  >•]•- 
ziehender  Tendenz  verbunden  werden,  d.  Ii.  tiir  Bildung  des  Gemüthes  und 
Willens  geeignet  sein.  Die  Thätigkeit  der  Lehrer  ist  eine  künstliche,  berufs- 
mftßige,  ja  gewissermafien  kttnstlerische,  insofern  es  sieh  dämm  handelt,  die 
Anlagen  des  Kindes  rar  Entwickdnng  an  bringen  nnd  die  Idee  des  Menschen 
an  ihm  zur  Realisiioing  zn  f&Tdem.  Insofern  könnte  man  die  Thätigkeit  des 
Lehrers  als  die  höchste  Knnetiibung  betrachten  und  bezeichnen.  Indes  ist  der 
künstlerisch  bildenden  und  schaffenden  Thätigkeit  desselben  eine  Schranke 
gesetzt  dnrch  das  Material  selbst,  das  zu  bearbeiten,  zu  gestalten  ist:  durch 
die  lebendige,  bewnsste  nnd  wollende  Henschennatar.  Diese  ist  eben  nicht 
blos  passiv,  wie  der  Stoff  des  Künstlers,  nnd  soll  es  nicht  sein,  sondern  stets 
auch  activ,  und  die  Aufgabe  de.s  Lohrers  ist  es,  den  Künstlei*  im  Menschen 
selbst  zn  wecken,  dass  er  sich  .selbei-  bilde,  zum  intellectuelleu  und  insbesondere 
zum  ethischen  Kunstwerk  nach  Möglichkeit  gestalte. 

Dieser  Umstand  nnn,  dass  es  der  Lehrer  nnd  Eriieher  bei  sefaier  Bemft- 


Digitized  by  Google 


—   112  — 


thätigkeit  mit  einem  lebendigen,  bew  n^stfii ,  wollenden  Stnrt  zu  rhnn  liat .  den 
er  bilden  soll,  dass  also  das  Object  seiner  künstlerischen  Bearbeitung  eben  ein 
Subject  ist,  fordert  eiue  besondere  Begabang  desselben:  die  nämlich,  dass  er 
die  imwre»  telbststSodige  Mittbfttigkeit  des  Zöglings  gewinne,  die  Hingabe  von 
dessen  Selbst  an  seine  Tlifttigkeit  nnd  an  Um,  an  seine  Person.  Es  gibt 
Menschen,  die  von  Natnr  ans  beanlagt  sind,  Sympathie  zn  erwecicen,  allenthalben 
Tlipjhiahme  für  das  zn  finden,  was  sie  sagen  nnd  tlinn,  nnd  dämm  entgegen- 
kommende, vei  trauende  Hingebung  für  ihre  Belehrung  und  Leitung.  Dies  sind 
die  geborenen  Pädagogen;  sie  sind  befHhigt,  die  kindliche  Natur  zu  bilden, 
ohne  die  SelbetstSndfgIceit  des  Geistes  zn  beeintrSelitigen,  da  sie  freiwillige 
Antheilnahnie  und  Hingebung  finden.  Außer  dieser  natürlichen  Grundeigen- 
schaft  aber  wie  viel  anderer  wichtiger  Eigenschaften  bedarf  der  Lehrer  und 
Erzieher  für  tüchtige  Erfnllun;r  seines  Berufes!  Heiterkeit  des  Gemüthes  und 
doch  wieder  Ernst  in  der  Behauptung  der  Autorität,  Kindlichkeit,  Fähigkeit 
sar  kindlichen  Natnr  hinabsosteigen  und  dodi  wieder  minnliehe  Wflrde,  nm 
■ie  emp(ffsafBlinn,  Lebhaftigkeit,  am  aafznregen  nnd  Theihiahme  zu  finden, 
nnd  doch  wieder  Ernst  nnd  Rahe,  fHsche,  freithätige  Phantasie  nnd  doch  auch 
Freiheit  von  Phantasterei,  klaren  Verstand,  besonnene  T^rtheilskraft  u.  s.  w. 
Der  Verein  aller  tretVlichen,  oft  scheinbar  sich  widersprechenden  Eigenschaften 
ist  n9thig,  nm  einen  vollkommenen  Pädagogen  zu  ermöglichen  .... 

Den  Lehrei^BUdnngsanstalten  erwftchst  dnreh  all  diese  Erfordernisse  für 
tfiehtige  Lehrer  und  Erzieher  der  Volks jugend  eine  gar  große  nnd  scln^ierige 
Anfgnbel  Znnäch.st  schon  handelt  es  sich  darum,  jene  auszulesen,  welche  die 
richtige  natürliche  Begabung  besitzen,  jene  Natur-Eigensehaften.  von  denen 
eben  die  Rede  war,  und  die  nicht  richtig  Begabten  zurückzuweisen,  damit  sie 
nicht  für  Lebenszeit  aar  Thätigkeit  in  einem  Berufe  genOthigt  werden,  zn  dem 
sie  nicht  geeignet  sind  und  in  welchem  sie  darum  sich  selbst  nnd  die  Jugend 
erfolglos  abquälen.  Denn  die  genannten  Eigenschaften  sind  nm  so  noth- 
wendiger,  je  mfhr  es  sich,  wie  in  der  Volksschule,  ni(>ht  blos  um  Belehrung, 
Unterweisung,  sondern  auch  um  Erziehung  handelt,  —  wülirend  allerdings 
ein  Lehrer  der  eigentlichen  Wissenschaft  sie  eher  entbehren  kann,  da  bd  ihm 
der  schon  mündigen  Jugend  gegenüber  es  sich  fast  ausschlieSlioh  nm  Hitthei- 
Inng  genauerer  Erkenntnissf  handelt  .  .  . 

Was  aber  dem  Lehrer  und  Ei  zirlier  der  X  olksjugend  in  d<>r  Schule  nui 
meisten  noththut  zur  gedeihlii  hen  Wirksamkeit,  das  ist  Begeisterung  für  seinen 
Beruf.  Diese  kann  nur  entstehen  und  erhalten  werden  durch  hohes  Interesse 
für  die  menschliche  Natur  nnd  deren  Bildung  und  durch  liebevolle  Theilnahme 
an  der  Kindesnatnr  and  deren  Entwickelung  und  Gedeihen.  Ein  wissenschaft- 
licher Forscher  kann  sein  ganzes  Interesse  d^r  Sache  selbst  und  deren  Erfor- 
schung zuwenden  und  lirauclit  sich  bei  der  Mittheilunsr  der  Resultate  derselben 
um  die  Zuhörer  oder  Leser  selbit  wieder  nicht  zu  kümmern.  Bei  dem  Lehrer 
der  Jugend  ist  es  anders.  Was  er  Sachliches  mitzutheilen  hat,  ist  für  ihn 
selbst  ein  Altbekanntes  und  Gewohntes,  wofRr  das  Interesse  nicht  fortdauernd 
in  frleidier  Weise  lebhaft  sein  kann:  dagegen  kann  die  kindliche  Natur  in 
ihrtr  Kigenh'it  und  in  ihrer  Fiitwiekelnngsweise  immer  wieder  s^ine  innige 
Theilnahme  erregen,  ihn  lebhaft  iuteiessiren  und  die  Liebe  und  Begeisterung 
für  seinen  Beruf  stets  neu  beleben.  L  ui  aber  dieses  Interesses  für  die  Kindes- 
natur nnd  deren  Entwickelung  recht  filhig  zn  sein,  ist  hSchst  förderlich,  Ja 


Digitized  by  Google 


—   113  — 


uotliweiulig:,  diese  Natur  selbst,  soweit  nor  immer  möglich,  nach  all  ilireu  Fäliig- 
koiten  und  Entwickelungsarten  kennen  zn  If^rnon.  Eingehendes  Studium  derselben 
ist  daher  für  den  Erzieher  unerlässliclu'  Ant'itabe,  und  peychologische  oder  all- 
gemeiner: anthropologische  Stadien  solleu  ihn  unablässig  beschäftigen  nud  sollen 
dämm  aneh  eine  Hanptbeadiiftigiuig  in  LehrerbUdonc^aaiistalten  bildeD.** 

Körperliche  Züchtigung  in  der  Schule.  Unlängst  brachte  die 
^Neue  badische  Schulzeitung"  eine  längere  Abhandlung  Uber  das  Thema: 
«Die  ifi  der  YolksBehiile  solttssigen  Stnflnitteli  inabeaondere  die  karperiiche 
Zttchtisnng'*  von  G.  A.  Weber,  Lehrer  in  Zweihrftoken.   Die  Arbeit  ist  ein 

schönes  Zeugnis  fleißigen  Studiums,  pädagogischen  Geistes  nud  nafivollen  TJr- 
theils  und  wird  \\o\  den  Beifall  der  allermeisten  ihrer  Leser  gefiindon  haben. 
Wenn  trotzdem  liier  einige  Bemerkungen  an  dieselbe  geknüpft  weiden,  so 
geschieht  dies  deshalb,  weü  der  Verfasser  (Herr  Weber)  sich  u.  a.  auch  auf 
den  Heraasgeber  des  „Psedagoginms'*  bemgen  hat  und  zwar  in  einer  Weise, 
die  nicht  blos  persönlicher  Art,  sondern  auch  von  sachlicher  Bedeutung  ist. 

Heil  Weber  erwillint.  dass  ich  auf  der  ersten  A  t  iHaninilung  des  deutsch- 
österreichischen  LhIii  1 1  i  uiuk'S  (1886)  mit  aller  Entschiedenheit  den  Antrag 
auf  eine  Petition  um  Wiedereinführung  der  körperlichen  Züchtigung 
bekämptit  habe.  Das  ist  ganz  richtig,  nnd  auch  gegen  die  beigefügte  Skizae 
meiner  Ansfdhrangen  habe  ieh  nichts  Erhebliches  einzuwenden.  Anders  ist  es  mit 
den  zwei  Sätzen,  welche  Herr  Weber  noch  folgen  Ittsst  nnd  welche  lauten: 
-Solche  Worte  gehen  entschieden  zu  weit  und  schweben  Über  der  realen  Erde 
und  Uber  dem  wiikliciieu  Schulhaus.  Die  Abstimmung  des  Lehrerbundes  ergab 
181  Anhänger,  168  Gegner  der  körperlichen  Züchtigung. 

Was  nun  znnSchst  die  letztere  Angabe  betrifft,  so  mnss  sie  den  Eindmck 
machen,  es  seien  auf  dem  erwähnten  Lehrartage  die  Anhänger  der  körper- 
lichen Züchtigung  in  der  Majorität  gewesen,  und  zu  der  Vermnthung  veranla.saen. 
die  beantragte  Petition  sei  wirklich  zustande  gekommen.  Thatsächlich  aber 
waren  bei  der  ersten  Abstimmung  die  Gegner  der  körperlichen  Züchtigung 
In  der  Majorität,  tmd  erst  bei  einer  zweiten  Abstimmung,  nachdem  sich  eine 
Anzahl  derselben  bereits  entfernt  hatte,  ergab  sich  jenes  entgegengesetzte 
Besnltat.  Was  man  nun  auch  hierzu  sagen  möge:  Thatsache  ist,  dass  die  be- 
antragte Petition  um  Wiedereinführung  <ler  körperlichen  Züthtigung  in  die 
österreichische  Volksschule  unterblieben  ist,  und  das  bezügliche  \ erbot  noch 
heute  besteht. 

Dies  fahrt  mich  auf  den  Punkt,  welcher  meines  Erachtens  für  Jene  Ver- 
sammlung maßgebend  »ein  niusste,  von  Herrn  Weber  aber  nicht  in  Betracht 

gezogen  worden  ist.  NiUnlich :  es  ist  ein  großer  Unterschied,  ob  es  sich  darum 
handelt,  die  nocli  zu  Kei  hl  Ijestehende  körperliche  Züclilignng  abzuschaffen, 
oder  darum,  die  bereits  abgeschaiTte  körperliche  Züchtigung  wieder  ein- 
znfflhren.  In  der  ersten  Form  ist  die  Frage  z.  B.  in  Prenfien  gegeben,  in 
der  zweiten  wurde  sie  auf  jenem  Ssterrdchischen  Lehrertage  aufgeworfen.  Im 
ersten  Falle  muss  die  Lelirerschaft  meines  Erachtens  sagen:  Ergreift,  ihr 
.Schulbehörden,  vor  allem  geeignete  Maßregeln,  ilass  wir  cihne  körperliclie Züch- 
tigungen unseren  Beruf  erfüllen  können,  dann  w  erden  wir  auf  dieses  Strafmittel 
mit  Freuden  verzichten:  im  zweiten  Falle  muss  sie  sagen:  Nachdem  die  körper- 


Digitized  by  Google 


—    114  — 


liehe  Züchtiguiisr  ffpsctzlich  alj^reseliaffr  ist,  womit  wir  principiell  einverstanden 
sind,  bitten  wir  die  Schulbebürden  um  Ergreifung  solclier  Maljre^eln,  welche 
geeignet  sind,  dieses  Strafmittel  zu  ersetzen.  Um  den  letzteren  Pankt  hätte 
sieh  atf  jaMm  Xielirartage  die  Dfeeottfen  banptsaclillch  bewegen  sollen  and 
sollte  sie  sich  ancb  heute  stets  be«'egen,  so  oft  sie  wieder  erhoben  wird.  Leider 
aber  gibt  es  noch  heute  Lehrer  —  ich  habe  deren  einige  kennen  gelei-nt, 
hotTentlich  ist  es  nnr  eine  kleine  5Iin<lerlieit  —  welche  principiell  für  Bei- 
behaltung der  körperlichen  Züchtigung:  in  der  N  olksschule  sind  und  die  Führung 
des  Stockes  als  eines  ihrer  wichtigsten  Amtä-  und  Ehrenrechte  betrachten. 
Jede  Einwendung  hiergegen  nehmen  sie  nngefthr  mit  derselben  EntrOstong 
siütf  wie  ein  absoluter  Selbsth*  i  rscher  die  Aufforderung  zur  Niederlegnng  seines 
Scppters  aufncliiiifn  würde.  Icii  aber  bin  und  bleibe  der  Ansicht,  dass  die 
Ehre  des  Lehrerstan  les  dadurcli.  dass  er  des  Sclilagens  der  Schulkinder  über- 
lioben  wird,  ebensoviel  gewinnt,  wie  dadurch,  dass  er  von  den  „niederen 
Kflsterdiensten"  befreit  wird.  Und  was  die  liebe  Jugend  betrüft,  so  bin 
ich  dvt  Ansiebt,  dass  Kinder,  welche  sehleditafdings  nicht  ohne  Prfigd  gesogen 
werden  können,  nicht  in  die  öffentliche  Volksschule  gehören.  End- 
lich bin  icli  <\i-v  Ansicht,  dass  die  Volksschullehrer  alles  unterlassen  sollt+'n, 
was  der  Meinung  Vorschub  leisten  kann,  die  Volksschule  sei  eine  Anstalt 
für  Proletarierkinder,  wo  der  Stock  als  selbstverständliches  Zuchtiuitiel 
sein  Becht  behalten  müsse,  während  er  unter  Kindern  der  „besseren  StAnde** 
verpönt  sei. 

Aus  diesen  Gründen  rechne  ich  mir  es  zum  Verdienste  an,  jene  Petition 
um  Wiedereinführung  der  köiperlichen  Züchtigung  vereitelt  zu  haben.  Auch 
weiß  ich  und  wusste  ich  schon  damals,  dass  die  fragliche  Petition  nicht  nur 
keinen  Eifolg  gehabt,  sondern  der  Lehrerschaft  eine  empilndliche  Zurecht- 
weisung eingetragen  hätte,  die  in  Verbindung  mit  den  Kundgebungen  der 
„öffentlichen  Meinung"  ihr  wol  mehr  Kammer  bereitet  haben  würde,  als  meine 
wolgemeinte  und  woliilierlegte  (Opposition  und  Warnung.    Es  thut  mir  leid, 
dass  dieselbe  nicht  jedermann  gefallen  hat;  aber  es  thut  nur  nicht  leid,  meiner 
Überzeugung  energischen  Ausdruck  gegeben  /.u  haben.    Ich  weiß,  dass  icli 
hierdurch  der  SsterrelchlschMi  Volksschule  und  Lehrerschaft  einen  guten  Dienst 
geleistet  habe.   Und  wir  wollen  doch  alle  dasWol  der  Schale  und  des  Lehrer^ 
Standes,  im  Einklang  mit  der  stetigen  Besserung  der  Cultur  und  Gesittung. 
Wer  dazu  glücklichere  Wege  weiß  als  ich,  den  kann  und  will  ich  nicht  be- 
kehren) wu  ich  aber  aus  langer  und  vielseitiger  Erfahrung,  sowie  durch  alle 
nnr  mögliche  Überlegung  das  Richtige  gefunden  su  haben  gtenbey  da  lasse  auch 
ich  mich  nicht  bekehren,  selbst  dann  nicht,  wenn  behauptet  wird,  mefaie  Worte 
„schweben  ttber  der  realen  Erde  und  dem  wirklichen  Sehnlhans'*.    Ich  habe 
die  reale  Erde  und  das  wirkliche  Schulhaus  in  einem  lansren  Schuldienst  und 
unter  sehr  verschiedenen  X  crhiiltnisseu  tattsani  kennen  gelernt  und  rechne 
dazu  auch  jene  traurigen  Fälle,  welche  unter  dem  Titel  „Züchtigung  eines 
Schulknaben  mit  tödlichem  Ausgang"  bekannt  sind,  und  von  denmi  einer  in 
dem  nämlichen  Blatte  vorgeführt  ist,  wo  der  Schluss  des  Aufsatzes  von  Herrn 
Weber  steht.    Ich  selbst  habe  einige  höchst  fatale  Züchtigunfjsfälle  amtlieh 
erlebt  und  mit  vieler  Mühe  zu  einem  für  die  betretlenden  Lehrer  glimpflichen 
Ende  geführt.    Aber  mau  soll  mir  nicht  zumutheu,  einer  Praxis  das  Wort  zu 
reden,  welche  im  ganzen  von  sehr  fraglicher  Heilsamkeit  ist,  in  ehiselnen, 


Digitized  by  Google 


—   116  — 


immorliin  nicht  ganz  selteueu  Fillleu  aber  zu  trag-iscIhMi  Fitlgeu  fülirt  und 
dann  in  >veiteu  Kreisen  der  Schule  bittere  Feindschaft  erweckt. 

SehUeSlich  berichtet  Herr  Weber  ttber  meinen  Standpunkt  nocli  Folgendes: 
„Dittes  war  Mieh  nicht  immer  radical  für  Ausschließnog  der  körperlichen 
Strafen  engagirt.  Früher,  als  er  noch  Schulstanb  schlackte,  da  meinte  er, 
an8ü*eben  müsse  jeder  die  gänzliche  Beseitigung  derselben  aas  der  Schule,  und 
darin  geben  wir  ihm  recht.  Nur  sollten,  fährt  er  fort,  die  Schulbehürden, 
solange  es  nun  einmal  noch  Kinder  gibt,  welche  allen  gelinden  Zuchtmitteln 
Trots  bieten,  die  Bestraftang  grober  Vergehen  nnd  hartnackiger  Widereetslich- 
kdt  selbst  in  die  Hand  nehmen.  Denn  nicht  nur  das  Kind  bedürfe  des  Schutzes 
gegen  leidenschaftlidie  Lehrer,  sondern  auch  der  Lehrer  und  dif  Interessen 
der  Schule  bedürfen  des  Schutzes  ge^-en  böswillige  Kinder,  welche  vielleicht 
noch  von  ihren  Eltern  unterstützt  und  aufgereizt  werden."  —  Die  Eingaiigs- 
Bitae  dieses  Fassos  lauten  so,  als  ob  ich  mefaieA&iidit  geKndert  hStte.  Darauf 
habe  ich  nur  zn  bemerken,  dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  sondern  dass  ich  das 
vorstehende  Citat  noch  heute  als  mein  geistiges  Eigenthnm  anerkenne.- also 
noch  ebenso  denke  wie  „früher'',  als  ich  nocli  „Schulstaub  schluckte".  Und 
somit  lioiTe  ich,  dass  mir  auch  Herr  Weber  die  freundliche  Gesinnung  bewahren 
wird,  die  er  mir  an  anderen  Stellen  seiner  trefflichen  Abhaudhmg  bekundet 
hat.  Dittes. 


Die  Schnlgesnndheitspllegci  auf  dem  VII.  internationalen 
Congresse  fflr  Hj'giene  und  Demographie,  London  1891.  Von  Dr.  Leo 
Dargerstein-Wien,  Delegirtcn  des  k.  k.  n.  $.  Landessckulrathes  und  Hono* 
i-ary  Foreign  Counciller  beim  Congresse. 

Das  ui-sprüngliche  Programm  der  Section  des  Congresse«  („Kindheit, 
Jugend  nnd  Schnlleben**)  erflihr  bei  den  Veriiandlnngen  z.  Th.  eine  Umstel- 
lung seines  reichen  Inhaltes,  wodurch  an  Ort  und  Stelle  die  täglich  verwendeten 
Zeiten  fast  gloicli  blieben;  der  besseren  Übersicht  wegen  soll  jedocb  hier  die 
Keihenfolge  nach  Programmpunkten  durchaus  eingebalten  werden. 

Abtheilung  1:  Das  Kind  unter  normalen  Verhültnlssen. 

>iach  der  Erütluuugsausprache  durch  den  Vorsitzenden  J.  K.  Diggle, 
Prftaldenten  de«  London  School  Board,  referirte  Dr.  L.Bnrgeratein-Wien  Aber 
„die  Arbdtscurve  einer  Schulstunde**.  Jeder  Lebrer  kann  die  Erihhmng  machen, 

dass  sich  nicht  selten  vor  Ablauf  einer  Stande  Zeichen  von  Ermndang  bei 
Schülern  zeigen.  Fni  der  Fmirung  des  Optininms  der  normalen  LJlnge  der 
SchuUection  näherzutreten,  wurden  nun  in  vier  Classen  mit  Kindern,  die 
durchschnittlich  11  J.,  11  J.  10  M.,  12  J.  2  M.  und  13  J.  1  M.  alt  waien, 
nach  bestimmtem  Sdiema  gearbeitete,  passend  yorgedrockte,  ganz  leichte  Recb- 
nungsaufgaben  gegeben  nnd  zwar  in  vier  Stücken  für  ZeitiHame  von  je  zehn 
Minuten;  zwischen  den  Zelin-Minuten-Arbeitszeiten  waren  je  fünfMinnten  Pimse. 
Von  vornherein  ist  ein  Ansteigen  der  Leistung  so  lange  zu  erwarten,  als 
Überschuss  an  organischem  Materiale  \oi-handeu  ist.  Wülirend  des  ganzen 
Experimentes  rechneten  nun  die  162  Kinder  zusammen  135010  Resultat« 
silTeni*,  die  Zunahme  der  gewonnenen  Rcsultatcifliem  betragt  zusammen  Ton  der 


Digitized  by  Google 


—  llö  — 


1.  üur  II.  Zelui-Mimiieu-Aibeitszeit  ruud  4000  Ziffern 
IL  „  III.   ,j       j,  1»         ff    3ü00  f, 

m.  „  IV.  tt     n       »ff  4000  ff 

von  der  II.  zur  m.  Zebii*]lüiiit«ii-Z6it  war  aber  die  Zmudme  des  Leia- 
tnngsqnantiiins  die  geringste.  Die  FeUersnnahme  betrog  fBr  alle  Indivldnen 
von  der 

I.  zur  II.  Zehn-AIiuateu-ArbeitSKeit  abgeiaudet  450  Febler 

n.  n  III.    «       f,  «  „       700  „ 

Xn.  y,  TV.    ^       f,  „  350  ^ 

von  der  II.  zur  III.  Zeha-2tUnuteu-Zeit  war  aber  die  Zuuakme  der  Fehler  die 
größte.  —  Es  seheint  demgemäß,  dass  die  Kinder  bereits  in  der  dritten  Viertel- 
stunde merkbare  Zeichen  der  Emfidnng  geben,  nnbewusst  rasten,  nm  in  der 
vierten  mit  erneuter  Kraft  einzusetzen.    Redner  beantragt: 

„1.  Es  ist  wünschenswert,  dass  die  Fnige  der  geistigen.rberbürdung  auf 
exac^  Weise  durch  experimentelle  Untei-suchungeu  studirt  weide  und  dass  die 
Schulbehörden  Untersuchungen  in  dieser  Richtung  fördern  mOgen.''  (Einstimmig 
angenommen.) 

„2.  Ehe  die  Überbttrdnngsfirage  in  einer  modernen  wissenscbafUiehen 
Wdse  studirt  ist,  sollen  die  einzelnen  Schullectionen  im  allgemeinen  nicht 
Ißnger  dauern ,  als  drei  Viertelstunden ,  unterbrochen  durch  Viertelstunden- 
Pausen.^     iMit  allen  gegen  eine  Stiniine  angenommen.) 

Dr.  H.  Kuborn-Lültich  sprach  über  die  Furtschritte  der  Schulhygiene 
in  Belgien  (siehe  Verhandlungen  des  Wiener  Congresses  1887),  W.  A.  Laue- 
London  wflnscht  Unterricht  allw  mit  Endehnng  Beschiftigten  in  dar  Anatomie 
und  Physiologie  der  Bewegungswerkzeuge,  A.  Feret-Paris  dem<msürirte  sdne 
bereits  im  Jahre  1889  in  Paris  vorgeführten  Snbsellien. 

G.  White-Lüudon  verlangte  in  der  Schule  jedenfalls  ein  System  ki.ij>er- 
Ucher  Erziehung  und  die  dazu  nöthigen  materiellen  Behelfe,  als:  entsprechenden 
Raum,  den  ftreien  Spie^lats  und  die  gedeckte  B^e.  Unbedingt  soll  jede 
Schule  auch  für  Schwimnnnitorricht  sorgen.  Redner  anerkennt  dit-  bezügliche 
Action  des  London  Selioo]  Poard,  der  besolilossen  hat,  überall  dort,  wo  sich 
i'in  tiir  den  Unterricht  nicht  ganz  geeignetes  Schwimmbad  nahe  dem  Schul- 
hause  bcüudet,  in  jeder  neu  zu  erbauenden  Schule  ein  sulches  einzurichten, 
damit  die  Ersiehung  aller  die  Schule  besuchenden  Knaben  und  Kadchen  all- 
ffißhlich  in  dieser  Richtung  vervollstSndigt  werden  könne.  Während  des  Vor- 
trages von  White  machten  24  gleich  costumirt«  Scliulrnftdcben  von  7  — 12 
Jahren  unter  dem  Conimando  einer  Lehrerin  neuerdinps  in  Londoner  Volks- 
schulen eingefühi-te  Frei-  und  Ordnungsübungen  auf  dem  zu  diesem  Zwecke 
geräumten  Podium  des  Saales,  nm  gewisse  Stellen  des  Vortrages  zu  illustriren; 
diese  Übungen  boten  natttriich  fttr  uns  nichts  Neues. 

Lord  Meath-London,  qpricbt  sich  auch  für  den  Schwimmunterricht  und 
—  im  Gegensatz  zu  White  —  gegen  das  Geräthturnen  in  Volksschulen  aus. 
Er  hat  bereits  im  Hause  der  Loids  einen  eben  in  ^'erhandluug  stehenden 
Gesetzentwurf  betrelieud  physische  Erziehung  in  der  \  ulksschule  eingebracht, 
nachdem  er  sich  von  dem  bisherigen  traurigen  Stand  dieser  Sache  in  England 
fiberaeogte:  Von  sKmmtlichen  englischen  Städten  mit  mehr  als  15000  Ein- 
wohnern antwortete  nur  etwa  die  flälfte  bejahend  auf  seine  Anfrage,  ob  irgend 


Digitized  by  Google 


—   117  — 


eine  Körperübung  —  wenn  auch  nur  zwisclien  den  Schaltifichen  —  von  Schnl- 
vregen  in  der  Elementurscliule  gethebeo  werde. 

Folgende,  ursprünglich  von  N.  Smitli-Londoii  anijgiMtellte  Thesen  wevden, 
die  erste  mit  Majorität,  die  zweite  and  dritte  einstimmig  angenommen:  1.  „Die 

Hausarbeit  der  Schulicinder  ist  einzuschränken. "  2.  „Ausgiebige  körperliche 
Erholung  soll  vorßrenoinnien  werden."    3.  ,,In  den  Intervallen  swlsdien  den 

Übungen  soll  lUm  Körjier  gchiUige  Rast  gegeben  werden." 

Dr.  A.  Schülield-London  spricht  sehr  überzeugend  von  der  Nothwendig- 
keit  hygienisehenünterriditeB  Ittr  das  H&dchen  als  kttnfUge  Gattin  und  Matter, 
Hantrerwalterln  nnd  Eraiebeiin,  von  denen  Wert  für  das  Weib  enr  VerlMnge- 
mng  des  Lebois  nnd  Erhaltung  der  weiblichen  Reize.  Kedner  betont,  daas 
unter  den  armen  Classen  die  Gesundheit  des  Mannes  that«ilchli(  Ii  seine  Haupt- 
stütze, die  einzige  Garantie  für  Weib  und  Kind  ist,  Trunkenlieit  n.  s.  f.  oft 
ihre  Ursache  nar  in  einem  ungesunden,  unordentlichen  Heim,  schiecht  gekochten 
Uahlzeiten  a.  dgl.  hat,  nnd  beantragt  die  (einstimmig  angenommene)  These: 
„Dieser  Congress  tritt  wann  für  den  Unterricht  der  Mädchen  nnd  Franen  in 
der  persönlichen  Hygiene  nnd  der  des  Haashaltes  als  integrirenden  Theil  ihrer 
Erziehung  ein.'* 

Sir  Ph.  Magnus-London  plaidirt  für  den  Handfertigkeitsunterrioht  mit 
Kücksicht  auf  dessen  intellectuellen,  schuldisciplioären,  industriellen  und  ükono- 
misehen  Wert,  nnd  weist  darsnf  hin,  daas,  wenn  «r  aneh  die  für  rein  geistige 
Arbeit  verfligbare  Zelt  ▼ermindert,  er  dafilr  durch  die  ünterbrechnng  die  Em- 
pftnglichkeit  für  geistige  Arbeit  steigert  nnd  einen  Tbeil  der  BestraAmgen 
mit  ihren  deprimirenden  Wirkungen  wegfallen  macht. 

Dr.  De8gnin-Antwcri)en  spricht  über  die  llyeriene  des  neugeborenen 
Kindes;  in  den  großen  französisclien  Städten  wird  die  Kenntnis  der  ersten 
PHege  Neageborener  im  Volke  darch  massenhafte  \'erbreitung  passender  Flug- 
scliriften  betrSehtlich  gefordert. 

Abtheilung  II:  Das  Kind  unter  abnormen  Bedingungen. 

W.  Mitchell-Glasgow  stellt  die  Thatsache  fest,  dass  bei  den  arbeitenden 
Classen,  z.  15.  in  Glasgow,  liiiatig;  ein  Zinnner  als  Wohnung  für  eine  Familie  mit 
halberwachsenen  Kindern,  ja  sogar  mit  Aftermietem,  benutzt  wird  und  ver- 
langt gesetdiehes  Eingreifen  gegen  diesen  Ühelstand,  ganz  besonders  wegen 
seiner  moralischen  Folgen.  Eine  diesbeniigliche  These  wird  nach  l&ngerer 
Discossion  abgelehnt. 

Dr.  H.  Kuborn  hat  die  Bewegung  der  Criminalität  im  Vergleiche  mit 
der  der  \'olk8bildung  für  Belgien  studirt,  erstere  während  eines  Zeitraumes 
von  50,  letztere  während  eines  von  40  Jaliren  derselben  Periode  und  zwar  auf 
Gmnd  der  Amtsacten,  wobei  aaf  gewisse  Änderungen  der  Gesetzgebung  hin- 
sidbtUch  der  Verbrechen  gebttrend  Rficksicht  genommen  wurde,  was  anf  die 
Länge  der  den  einzelnen  Durchschnittsberechnungen  zugrunde  Hegenden  Zeit- 
stücke von  f'infla^s  war.  Diesen  VerhiUtiiissen  Rechnung  ti-nsrend  hat  Kuborn 
drei  Tabellen  aufgestellt,  eine  für  die  Verbrechen  im  allgemeinen  von  1850 
bis  1875,  die  andere  für  die  schweren  Verbrechen  — 1875,  die  dritte 
für  die  Verbrechen  Qberfaaupt,  betrachtet  vom  Gesichtspunkte  der  Oriminal- 
gesetzgebnng  seit  der  Beform  derselben  (1867)  bis  1885.   Enboro  gelangt 

FadafogiUB.  14.  Jahif .  H«ft  If .  9 

Digitized  by  Google 


—   118  — 


auf  streng-  loj^^isi  hoin  AN'ege  zu  dt  ui  S(  lilnssp,  drtss  die  Zahl  der  \'erbreclK'n  sicli 
in  Belgien  im  \  erliältuiä  zur  Bevölkerungsziffer  beständig  vermindere.  Die 
eharakteriBdachen  Ziffen  am  Aniiui;  und  am  Ende  der  gMuen  Garre  lind  Ar 
die  schweren  Vertneclieii:  Einer  auf  70 141  Einwohner  1836—1839, 

„     „  102  523       ,  1868—1815; 
Verbrechen  äberhaapt:  „    18  452       »       1850 — 1855, 

,     ,    4Ü3Ü7       „  1881—1885. 

Um  mit  der  Bewegung  derVerinredien  jene  der  VoHtebOdnng  in  Yergleieh 
9sa  setaen,  betrachtet  Knbom  die  Ziffern,  welche  dieVennehning  reprSeentiren: 
der  Volksschulen,  des  Lebrpersonales,  des  Schulbesuches  im  Verhältnis  zur 
BevölkerunfTsziffer,  der  Auslagen  für  Unterricht  und  der  narh  den  Assentproto- 
koUen  des  Lt  schh  und  Schreibens  Kundigen.  Die  Zahlen  der  letzteren  sind  iu 
Procent  der  Abgebtellten: 

1843:  4915 7o;  1850:  5515  «  1860:  60-59 «/o?  1870:  70*77 »/o; 
1880:  78-34 •/«;  1883:  81-51  «/o. 

Das  constant  umgekehrte  Verhältnis  von  Criminalität  und  Volksbildong 
wird  in  die  Augen  springen  durch  die  liezü<rlichen  Cnrven. 

Nach  Abrechnung  der  Idioten  von  Geburt  siud  iu  Belgien  unter  1000 
QeistesgeitBrten  2*94  abedmte  Analphabeten  imd  1*54  mSickib,  die  eine  mehr 
oder  wMiiger  voUsttndige  Schnlbildang  graoesMi  haben.  —  Bedner  besieht 
sich  auch  noch  auf  die  Selbstmorde.  —  Knborn  hat  durch  seine  Arbeit  den 
allgemein  gUltigen  Nachweis  geliefert,  es  sei  die  seinerzeit  von  Franzosen 
für  Frankreich  aut'ge.stellte  Behauptung  falsch,  dass  die  Moralität  in  omgekehi'tem 
\'erhältnis  zur  Volksbildung  stehe  (!). 

Oberet  Prendergast- London.  Man  bemttht  sich  in  England  seit  längerer 
Zeit  mit  viel  Erfolg,  jugendliehe  Individuen,  die  vom  rechten  Wege  abweichen, 
in  eigene  Schulen  zu  bringen.  In  die  „Industrial  Schools"  werden  bettelnde, 
vagirende,  in  Gesellscluift  von  Gewohnheitsdieben  betrofiene  u.  s.  f.  Kinder 
gebi'acht.  Infolge  der  ludusti'ial  School  Acte  haftet  solchen  ivinderu  keiu  Makel 
fürs  Leben  an.  —  Kinder,  die  dem  Sehidberaeh  anaweiehen,  konunai  nenerlieli 
in  einen  eigenen  Zweig  der  Industrial  Scheda,  die  Tmant  Sehoola,  wo  ihnen 
Unterricht  nnd  Schulleben  überhaupt  recht  angenehm  gemacht  wird;  die  Wir- 
kung eines  einmonatlichon  Besuchs  dieser  Schulen  ist  gewöhnlich  eine  vortreff- 
liche (1890:  !)0"  „  für  regelmäßigen  Schulbesuch  gewonnen!),  oft  begleitet  von 
großer  Dankbarkeit  der  Eltern.  Ililtt  die  Truant  School  nicht,  so  kommt  das 
Kind  in  eine  Industrial  School;  hingegen  wurde  die  Binselhaft  nach  ausgiebiger 
Erfahrung  fallen  gelaasen.  1880  passirte  eine  Ergänzung  der  Industrial 
School  Acte  in  wenigen  Stunden  ohne  Debatte  beide  Häuser  des  Parlaments: 
sie  betraf  weibliche  Kinder,  welche  von  den  Eltern  zur  Prostitntion  aufgezogen 
werden.  Die  bezügliche  Auslage  für  pflichtvergessene  Eltern  fremder  Kinder 
spart  den  Stenertrftgeni  spätere  größere.  —  Jugendliche  Verbrecher  kommen 
in  die  Belbrmatory  Schools.  —  In  Großbritannien  sind  anßer  12  Ktlstenschilfen, 
wo  Matrosendienst  geleliit  wird,  55  Reformatory  Schools  (Auslage  1890 
119 836  Pfund,  5854  Zöglinge)  und  141  Industrial  Schools  (1890:  360947 
Pfund,  22  735  Züf^linere). 

Dr.  Desguin  spricht  über  die  Erziehung  armer  Waisen;  diese  muss, 
da  die  Kinder  vielfiush  erblieh  belastet  sind  (Allcoholismns,  Syphilis,  Tnbercnloee) 
TOT  allem  eine  gesunde  sein,  dann  eine  dmche.   Geschlossene  Waisenhftoser 


Digitized  by  Google 


—    119  — 


aild  anfisBlaasen  und  dafHr  Iftndliche  Oolonien  nnd  EimniethiBg  In  FamiUen 
«nxottreben. 

Frl.  M.  Nigg-Konit'ubiir^.  N.-Ö. .  wünscht  die  Errichtung  von  Kinder- 
Recoüvalescentenhäusern  aus  örteiitlicheii  Mitteln  nnd  schildert  unter  \'urzeigung' 
von  Möbeln  etc.  die  Eiurich  lang  des  Uerzmansky 'sehen  Kinder-Beconvalesceuten- 
UuM  in  Weidlingaa  bei  Wien. 

L.  DaTies-LondOB  qirieltt  fir  arae  Kinder,  ohne  RBcktlcht  aaf  die 
Würdiglceit  der  Eltern  fi'eie  Mahlzeiten,  nicht  nur  ^litta^mable  an,  ebenso  Kost 
fBr  arme  Mütter  wllhrond  einer  )E:ewissen  Zeit  aus  üftVntlichon  Mitteln;  seine 
Forderungen  wurden  in  beredter  Weise  von  Frau  Besant- London  secnndirt. 
Was  in  unseren  Schalen  „Überbürdung''  genannt  wird,  ist  oft  nur  Nahmngs* 
mangel  („over-preMiire ,  nnder-feeding").  Der  Staat  liat  den  üntenicht 
obligat  gemacht,  er  hat  auch  dafür  zu  sorgen,  dass  das  Kind  die  auferlegte 
Pflicht  erfüllen  könne.  —  Rednerin  schlägt  folgemle  These  vor:  „Indem  dieser 
Congress  die  Pflicht  des  Staates  f^egen  seine  zukünftigen  Bürger  hinsichtlich 
der  Erziehung  anerkennt,  erklärt  er,  dass  Ernährung  und  Bekleidung  zu  deren 
wirkangaTOller  Ersiehung  nöthig  sei.**  Diese  Theee  wird  angenommen,  nach- 
dem eine  lebhafte  Diaennion  die  Notiiwoidiglceit  dee  Fortsehrittes  in  der  an- 
geregten Richtung  gezeigt  hat.  Ein  Zasatz  zur  These  Besants  verlangte 
Anwendung  von  Strafgesetzen  gegen  Eit^,  die  ihre  Kinder  Temaehlftesigen 
und  wurde  anch  angenommen. 

Abtheilung  III:  Das  an voilkouimen  constituirte  Kind. 

Dr.  F.  Warner-London  hat  im  Verlaufe  von  drei  Jahren  50  027  Kinder, 
2fiHS4  Knaben  und  2.-i  143  Mädchen,  in  106  Schulen  so  untersucht,  dass 
jedem  Kinde  in  einem  recht  hellen  liaume  ein  kleiner  Gegenstaud  (Münze,  BIei> 
Stift  ete.)  hoch  vorgehalten  wnrde,  wobei  Redner  ans  dem  Gestehtsanadmek, 
den  Angenbewegnngen,  der  Kopf-  nnd  KSrperiialtang  9b6.  sehr  rasch  anf  die 
nonnale  oder  abnormale  Beschaffenheit  des  Kindes  scMoss;  überdies  mussten 
die  Kinder  noch  die  Hände  hoch  emporheben,  endlich  wurde  der  Gaumen 
untersucht.  Nachdem  auch  die  Lehrer  die  vSchwachbegabten  angegeben  hatten, 
die  Warner  allenfalls  nicht  ausgewählt  hatte,  wurden  die  derart  ausgeschiedenen 
Abnormen  genau  antersncht^  KopfinaAe  genommen  etc.  Nach  Wamw  ist 
dieser  flinke,  Unterricht,  Lehrer  nnd  Kind  wenig  stSrende  Methode  seitens 
eines  geübten  Spitalarztes  mit  ganz  gutem  Erfolge  verwendbar.  Die  Details 
derselben  hat  er  allerdings  auf  dem  ('ongresse  nicht  geschildert.  Als  abnorm 
wurden  5851  iüuder,  3(316  Knaben  und  2235  Mädchen,  befunden;  Warner 
gibt  die  Spedficaftion  beaftglich  der  Defeote  des  KSrperbanes  nnd  des  Nerven- 
systems (Abnormitftt  des  Ganmens,  des  Graninms  ete.,  oder:  allgemeine  Balance 
schleditf  Aogenbewegungen  defectiv  etc.).  Die  ZifTem  in  der  Specification, 
leider  nicht  procentisch  gegeben,  sind  anch  fast  in  allen  Detailposten  bei  den 
Mädchen  geringer  als  bei  den  Knaben.  Dr.  Warner  nahm  in  der  Folge  in 
veränderter  Form  eine  These  auf,  die  ui-sprünglich  von  den  auf  dem  Gebiete 
der  psychopaihisehen  HinderwertiglEeiten  so  wol  erfthrenen,  leider  beim  Gon- 
gresse nicht  erschienenen  Herren  Dr.  L.  Strttmpell,  Dr.  F.  L.  A.  Koch, 
Dr.  Emil  Schmidt,  Dr.  Ernst  Hasse  am  Schlüsse  ihres  gemeinsamen,  von 
Dr.  Kotelmann  verlesenen  Elaborates  aufgestellt  worden  war.    Diese  mit 

9* 

Digitized  by  Google 


—    120  — 


allen  gegen  eine  Stimme  aufgenommene  These  laatete:  „Der  Congrese  ernennt 

eine  CominiBsion,  bestehend  ans  Persor.en  beziehungsweise  erfahren  in  der 
Untersuchung  1.  der  pliysischeu  Beschaffenheit  der  Kinder.  2.  der  pristigen 
Verhältnisse  und  Leidenszust&nde  derselben,  8.  der  Ei-ziehung  und  der  Methoden 
mit  Kindern  omzngehen,  4.  der  statistischen  CompUation  von  Thatsachen. 
Aufgabe  dieser  Commission  soll  es  sein,  die  Yerhiltnisse  der  die  Schnlai  be- 
suchenden und  anderen  Kinder  m  nntersuchen  und  nach  einem  bestimmten 
Plane  vorzugehen.  Der  Congress  ermächtigt  die  Commission ,  sich  durch 
CooptatioD  zu  verstärken  und  anerkannte  Autoritäten  um  Unterstützung  anzu- 
gehen, wenn  sie  es  für  nöthig  tiudet/' 

F.  Beach-Dartford  constatirt,  dass  die  Gharity  Oif;aDisation  Sodety  vide 
defective  Kinder  dem  Verbrechen  zusteuernd  gefiinden  bat.  Dr.  M.  Ganster- 
"Wien  gibt  eine  Eintheilung  der  geistig  Defecten,  in  dem  Sinne,  dass  sie  ent- 
weder durch  Scliule  und  Hans,  odtr  blos  durch  Anstalt.^pflege  oder  überiianpt 
nicht  mehr  zu  heben  seien  und  wünscht    ortschritt  iu  dieser  Kichtuug. 

Dr.  A.  Jakobi-New  York  betont  die  NoÜiveadigkeit ,  die  Gesunden, 
Starken,  vor  den  Gellüiren  des  Zosammeaseins  mit  Minderwertigen  m  schfitaen. 

Dr.  L.  Down -London  constatirt,  dass  er  bei  seiner  vor  30  Jaliren  in 
einem  Londoner  Gefüngnis  gemachten  Untersuchung  eine  auffallend  große 
Zahl  der  ,.\'erbreclH  i "  als  in  der  Tliat  schwachsinnip:  befunden  habe.  Kr 
weist  auf  die  Correlation  zwischen  geistiger  Kraft  und  pliysischer  Ausgestal- 
tung bin. 

Dr.  J.  M.  Rhodos- Didsbur}'  bemerkt,  dass  ein  in  Frankreich  eben  vor- 
liegender Gesetzentwurf  die  Ktablirung  je  einer  Schule  für  epileptisehe  nnd 
einer  für  iiidit  oiilleptische  Idioten  in  jedem  Departement  verlangt. 

J.  r.  liichards  wünscht  die  Untersuchung  jedes  neu  iu  die  Schule  ein- 
tretenden Kindes. 

Dr.Gnye-Amsterdam  erOMot  das  vielfach  beobachtete  Anftreten  geistigBi 

Znräckbleibens  als  Can^equenz  behinderter  Nasenathniung  und  fBhrt  aaBer- 
ordentlich  beweisende  Fülle  aus  seiner  Praxis  diitVir  auf,  wie  nach  operativer 
Eröffnung  der  verlegten  Atillllnnps^^ tirr  dit-  ^■^eistiiren  KiUiigkeiten  und  die 
Leistungen  der  früher  unfähigen  Kinder  rapid  zunahmen.  Kein  Kind  sollte 
ohne  iratliche  Untersnchnng  in  die  Sehnle  eintreten. 

Dr.  Ed.  v.  Hofmann-Wien  wünscht  auf  Grund  seiner  Wahrnehmungen, 
dass  den  Vjesonders  in  der  Pnbeitätsperiode  i>sycliisch  erhJiht  reizbaren  rhachi- 
tisclien  und  bydrocephali-sclieu  Kindern  mehr  Aufmerksamkeit  zugewendet 
werde.  Kedner  berichtet  unter  \  orlage  abnoim  gebauter  Schädeldiicher  von 
Ihm  secirtwKInderleieh«!  Uber  die  bei  jugendliehen  Selbstmördern  beobachteten 
anflkUenden  Abweiefanngen  des  Schftdelbaues  nnd  verweist  gleichfalls  anf 
Grund  .seiner  Sectionsbefunde  auf  die  Thatsache,  dass  unter  Umständen  gani 
leichte  Srlililge  auf  den  Kopf  den  Tod  als  letzte  Conseqnenz  nach  sich  zu 
ziehen  a  enuögen.  Die  Schule  sollte  dieseu  Dingen  mehr  AufmerlLsamkeit  zn> 
wenden. 

Dr.  Tb.  Escherich*Oraz:  Defecte  Kinder  sind  fost  alle  in  der  Lage 

mit  der  linken  Hand  Spiegelschrift  zu  schreiben.   Spiegelschrift  bei  Knaben, 

die  über  acht  Jahre  alt  sind,  ist  ein  wahrscheinlicher  Hinweis  anf  geistige 
Abnormität  des  Kindes,  also  mit  ein  Aiilialtsjiunkt  zu  der  bezüglichen  Beurthei- 
lung.  Das  l'rocent  der  Kinder,  welche  Spiegelschrift  zu  schreiben  vermögen, 


Digitized  by  Google 


—   121  — 


nimmt  mit  der  Höhe  der  Classe  ab,  Uädchen  schreiben  sie  länger  als  Knaben, 
ei  achreiben  tie  mehr  Frauen  als  Uftiiaer. 

Dr.  F.  J.  Campbell*) -London.   Die  Blinde&erzlehnoff  mU  nichk  Wol- 

thlltij^keitssache,  sondern  Aufj^abe  der  öffentlichen  ErziehaogsbehSrde  sein.  — 
An  Carapbells  Schnl»^  t  rhalten  sich  von  den  seit  1^70  eingfetretenen  Blinden 
80 — öO",  „  selbststilndig,  manche  haben  ein  sehr  nettes  Einkommen  („handsome 
incomes'*);  1890  erwarben  die  ehemaligen  Schüler  zusammen  circa  16000 
PAud.  —  Das  Wichtigste  ist  vor  allem  ^e  richtige  phytisohe  Eralehang, 
welche  dem  Blinden  die  ihm  von  vornherein  mangelnde  Sicherheit  gibt.  Die 
blinden  Kinder  in  Carapbells  Schnle  spielen  und  laufen  herum,  lernen  Turnen, 
Schwimmen,  Rudern,  Rollschuhlaufen;  es  ist  die  einzige  Schule  überhaupt  in 
Europa  (nicht  nur  Blindenschule),  welche  die  Sargant'schen  Apparate  eingeführt 
hat,  die  ausgiebig  imd  mit  bestem  Erfolge  benUtit  werden.  Es  wird  amerUca- 
nisches,  deatsehes  and  schwedisches  Tarnen  betrieben.  —  AnAer  der  physischen 
Erziehung  muss  den  blinden  Kindern  schon  vom  Kindergarten  angefangen 
das  Verständnis  für  den  Ernst  der  kurzen  und  leichten  Lection  beigebracht 
werden.  Im  Elternhause  sollen  blinde  Kinder  nicht  erzogen  werden.  Nach 
dem  systematischen  Unterricht  in  den  gewöhnlichen  Schnlgegenstftnden,  Hand« 
fvtigkeit,  sowie  Glavier'  nnd  Harmoniamspiel,  wird  das  Kind  Ar  jene  Rich- 
tung, für  welche  es  Begabung  hat,  speciell  vorbereitet,  OTentneU  für  ein  Hand- 
werk. —  Wichtig  ist  die  Thätigkoit  der  Schule,  den  aasgebildeten  Blinden 
Erwerbsstelluni^en  zu  vermitteln.  -  Campbell  will,  dass  alle  Blinden  aus  dem 
Zustand  des  Halb-i'auperismus  gerissen  werden  und  der  blinde  Bettler  ver- 
schwinde^  nnd  stellt  folgende  einstimmig  (und  mit  dem  Zasatie  „und  Tanb- 
stammen"  von  Ifoberly)  angenommene  These  auf:  „Die  Zeit  ist  gekommen,  in 
der  die  Endehang  der  Blinden  nnd  Taubstummen,  auf  ein  höheres  Niveau  ge- 
hoben  und  durchaus  praktisch  gemacht,  einen  Theil  des  nationalen  Erziehnngs- 
systems  ausmachen  sollte.*' 

Campbell  berichtet  auch  über  seine  Verbesserangen  im  Lesen  und  Schreiben 
der  Blinden,  die  er  Jedoch  nicht  in  die  Pnuds  einführen  will,  ehe  sie  nicht  von 
sehr  zahlreichen  Blinden  nnd  deren  Freunden  anerkannt  sind,  nm  die  Zahl  der 
Methoden  nicht  zu  vermehren. 

(ienpral  Moberl y-Lüiidüii  bedauert,  dass  die  Londoner  Eltern  von  Taub- 
stummen oft  aus  Unwissenheit,  d.  h.  Unkenntnis  des  Nutzens,  ihre  Kinder  nicht 
in  die  Speeialschnlen  schicken.  Das  durch  die  Lantirmethode  Erlernte  werde 
wol  vielfach  wieder  vergessen,  da  die  Angehörigen  ans  dem  Volke,  die  nnr  deni 
Dialekt  kennen,  später  sich  nicht  die  Mühe  geben,  den  in  der  Schale  erlernten  ge- 
brochenen Worten  de.s  guten  Englisch  der  Taubstummen  zu  lauschen.  Auch 
das  Ablesen  vom  Munde  halte  er  nicht  für  sehr  wertvoll.  Redner  anerkennt 
die  gnten  Wirkungen  der  kürzlich  eingeführten  körperlichen  Übungen  und  jene 
des  Kochois  bei  den  Siteren  tanbstommen  mdchen. 

Dr.  H.  Gntzmann-Berlin  betont  dagegen  die  Verwendbarkeit  des  Ab- 
iesens vom  Munde  und  den  Wert  der  r.nut.Kjiraf^he  für  die  Entwickelung  der 
Brnstorgane  der  Taubstummen.  —  Auf  eine  Statistik,  die  sich  über  200  000 
Kinder  erstreckt,  gestützt,  constatirt  er,  dass  von  den  in  die  Schule  eintretenden 


*)  Der  blinde  Director  einer  gvoBartig  eingerichteten,  nur  durch  Piivatwol* 
thfttigkeit  erhaltenen  BUadenaohale;  seine  Wxw  liest  den  Vortrag. 


Digitized  by  Google 


—   122  — 


Sechsjährigen  bereits  0*5 '^/o  an  Stottern  und  Staimuelu  leiden,  im  zweiten 
SdralJahre  1  ^j^  toh  den  14  jährigen,  also  am  Sehlnme  der  Volkncirahseit,  gar 
1*5*^/0.  Sonach  ist  eine  energische  Hjrgiene  der  Lantsprache  in  der  Schale 
nnthig  und  der  Staat  sollte  dafür  sorgen,  dass  die  Lelirrr  in  ihrer  Anshildungs- 
zeit  die  nStbigen  aprachphysiologiflchen  and  sprachhygienischen  VorlienntniBie 
erwerben. 

Dr.  L.  Kotel]iiftnB*)-Hambni9  bringt  dto  nlt  den  uMliigaii  SfiBrndetifl 
belegten  Betoltate  selDer  grflndllehen  Studie  Uber  die  SebtehlrÜB  der  Kinder 

vor.  Im  allgemeinen  ist  das  linke  Ang^e  das  kräftigere.  Sowol  bei  den  Kars- 
ais bei  den  Weitsichtigen  nimmt  die  Sehschärfe  mit  dem  Grade  der  Myopie  bezw. 
Hypermetropie  ab.  Erblicb  belastete  Kurzsichtige  liaben  eine  geringere  Sehschärfe 
als  nicht  erblich  belastete;  sie  ist  im  allgemeinen  relativ  die  beste,  wenn  nur 
die  Matter,  aehlechter  wenn  nnr  der  Vater,  am  sehlechtesteii,  wenn  beide 
Eltern  belastet  waren.  Die  SehschSrfe  der  Normalsichtigen  nimmt  mit  den  Schnl- 
ond  Lebensjahren  zn,  die  der  Kurz-  nnd  Weitsichtigen  ab.  Kedner  fordert  die 
Weiterbekämpfong  der  Korzaichtigkeit  mit  den  bekannten  Mitteln. 

Abtbeflimg  IV:  Hygiene  dea  Sebnllebena. 

Dr.  0.  Stnrges-London  spricht  über  physische  Anzeichen  von  Übelo, 
herrorgemfim  dnrch  imriehtige  Bdiandlong  in  der  Schale,  apeciell  Aber  Veits- 

tanz,  der  sich  allmählich  oitwickelt,  leicht  zw  übersehen,  aber  aach  leicht  zn 
constatiren  ist.  wie  Redner  an  drei  damit  behafteten  Kindern  zeig-t:  iJJsst  man 
sonst  auffallende  Kinder  in  der  Erregung,  z.  B.  bei  Prüfungen,  die  Arme  auf- 
heben, Handflächen  nach  vorwärts,  so  illllt  bei  dem  mit  Veitstanz  behafteten 
Kinde  eine  oder  die  andere  Hand  mrttck  oder  vor,  zittert  Man  tollte  in  der 
Schule,  wenn  angezeigt,  den  Versuch  maeh«i. 

M.  Morris-London  spricht  ührr  die  —  von  anderen  Rednern  bestätigte 
•  —  Häufigkeit  des  Leidens  der  Kopfhaut  „Ringwurm"  in  den  Volksschulen 
Londons  und  die  nöthige  Behandlung,  Dr.  O.E.  Shelly-Hertford  begründet  die 
Nothwendigkeit  nnd  fordert  dieFtthrnng  systematischer  Berichte  überlnfiBetiona- 
kraakhelten  hi  Sdralen. 

Dr.  L.  Kotelm ann  weist  an  zahlreichen  Photographien  und  Facsimilea 
nach,  dass  die  Schrägschrift  erst  im  Anfang:  des  1  ().  Jahrhunderts  Eingang 
gefunden  hat.  Die  hygienischen  Vorzüge  der  ^^teilschrift  liegen  vor  allem 
darin,  dass  sie  nur  bei  ^gerader  Mittenlage"  des  Heftes  geschrieben  werden 
kaan,  die  Schrägschrift  aber  nar  in  anderen  Lagen.  Jede  Rechtslage  ist 
werflich,  weil  Kopf  und  Humpf  dabei  nach  rechts  hin  gedreht  und  das  rechte 
Ange  dabei  der  Schrift  mehr  genähert  wird,  als  das  linke.  Die  schrilge  Mitten- 
lage ist  nicht  weniger  iiachtlieilig,  da  der  Kopf  dabei  nach  links  geneigt  werden 
muss,  wobei  die  Wirbelsäule  nach  rechts  ausgebogen,  die  rechte  Schulter  ge- 
hoben, das  linke  Aage  der  Schrift  mehr  als  das  rechte  genihertwird.  (Wnndt- 
Lamansky'sches  Oesets:  Die  Verbindnngdinie  der  beiden  Aogenmittdpankte 
atdlt  sich  jederzeit  parallel  der  Zeile.)  Bei  Steilschrift  nnd  gerad<  r  ^littenlage 
hingegen  ist  zu  Kurzsichtigkeit  und  Rückgiatsverkrümmung  kein  Anlass.  Sie 
hat  auch  pädagogische  Vorzüge:  weil  kein  schwierig  zu  merkender  schiefer 
Winkel  auftritt,  wird  sie  im  allgemeinen  leichter  erlernt  und  der  Lehrer 

**)  Bedacteur  der  Tortrelfliehea  »Zeitsdiiift  fflr  Schulgesandheiti^ilege''. 


Digitized  by  Google 


—  123 


brancht  nicht  immerfort  zum  Geradesitzen  zu  mahnen,  weil  dios  von  selbst 
geschieht.  Dr.  Kotelmann  beantragt  die  mit  allen  gegen  eine  .Stimmt'  aiige- 
uomiuene  These:  „Da  die  hygienischen  Vortheile  der  Steilschrift  sowol  durch 
medidiiltelie  Fonchang  als  dnreh  das  praktlBelie  Eiperimeot  dratlidi  erwiesen 
nnd  festgestellt  sind,  und  da  mit  Einfühnmg  dieser  Schrift  die  schädlichen 
Knrporlialtungen  in  so  hohem  Grade  vormieden  werden,  welche  geeignet  sind, 
Wirbelsäuleverkriimnmngen  und  Kurzsichtigkeit  hervorzurufen,  so  wird  em- 
pfohlen, Öteilschhtt  in  den  Volks-  und  Mittelschalen  allgemein  einzuführen, 
beiw.  m  MueD.*  — -  J.  Jaekion-London  behandelt  denselben  Gegenstaad, 
ansfehend  toii  dar  Bedeatnng  des  S^reibens  and  der  HaadiMdiiift. 

Abtheilung  V:  Das  Gesetz  in  seiner  Beziehung  zum  Kinde. 

Dr.  Jakobi  bespricht  die  gesetzliche  Regelang  der  Arbeit  des  Kindes  in 
den  Vereinigten  Staaten  nnd  wflnscht  die  Ansdehnnng  der  OesetEgebnng  ancb 
anf  laadwirtschaftliche  Arbeit,  damit  der  Schnlzwang  allenthalben  dnrehf&hrbar 
sei.  Dr.  E.  Paget-Salford  berichtet  über  nnr  Ar  Enf^d  acute  Hissbrftnche 

bei  der  Lebensversiclierung  von  Kindern.  — 

In  der  I.  Sectiou  (präventive  Medicin)  wurde  der  Antrag  von  Dr.  E. 
Sea ton- London  angenommen:  „Die  earopftischen  Regierangen  sind  dringend 
n  ersnehen,  eingehende  nnd  systematische  Nachforschnngen  Aber  die  Ursachen 
der  Diphtherie  vornehmen  za  lassen",  in  der  IX.  Section  (Staatshygiene)  der 
Antrag  von  Dr.  J.  G.  Currie-Neu-Braunschweig:  „Anztig<iifli<lit  für  In- 
fectionskrankheiten  soll  für  den  Arzt  und  den  Ilansliiilter  obligatorisch  sein." 

Als  Ort  des  Vi  II.  internatiunaleu  C'ongresses  für  Hygiene  und  Deuiogruphie 
1894  wurde  wegen  ofBcieUer  Einladung  der  Hunieipalität  Budapests  diese 
Stadt  TOigesehlagen  und  demgendUl  auch  gewählt 


Otto  Ernst  als  Lyriker  und  Essayist.    Von  C.  Ziegler  —  Eichen. 

Die  pädagogische  Presse  hat  gewiss  nicht  nur  das  Recht,  sondern  auch 
die  Pflicht,  neben  der  Pflege  der  pädagogischen  Wisienschaft  und  der  Vertre- 
tung der  Standesinteressen  auch  der  Cnltnrgeechichte  des  Lehrerstandes,  wie 

ich  es  nennen  möchte»  ihn  Aufmerksamkeit  zuzuwenden  und  ihren  IiCSem 
auch  solche  Amtsgenossen  vorzustellen .  welclie  sich  durch  ihre  Leistungen  auf 
einem  anderen  Gebiete  menschlicher  Geistesbethiitigung  anssrezeichnet  haben. 
Die  nahe  Verwandtschaft  zwischen  den  Begriffen  Lehrer  und  Schriftsteller 
bringt  es  mit  rieh,  dass  in  dieser  Beziehung  die  literarische  Thfttigkeit  die 
erste  Stelle  einnimmt,  der  sich  die  Tonkunst  anschlieflt.  Noch  vor  zwanzig 
Jahren  war  die  stetige  Klage  unserer  Fachpresse :  Mangel  an  Mitarbeitern,  und 
heute  wird  nicht  nur  ein  großer  Theil  derselben  mit  wirklich  gediegenen 
Arbeiten  bedient,  die  Lehrer  nehmen  vielmehr  in  allen  Zweigen  der  Literatur 
eine  bedeutende  SteUe  ein.  Kaum  zu  zählen  sind  die  pädagogischen  Kännkin 
und  Fräulein  im  j^Ettrschner",  wo  allerdings  bedeutende  Namen  nnd  Nullitäten 
iHedlich  nebeneinander  stehen.  Zu  den  ersteren  gehtat  auch  Otto  Emst,  und 
e«;  geht  schon  ans  unserer  Überschrift  hervor,  wo  er  sich  seine  Sporen  ver- 
dient hat. 

Wer  ist  nun  Otto  Ernst?  0.  E.  Schmidt,  so  lautet  sein  voll^taudiger 
Name,  wurde  am  7.  Oetober  1862  zu  Ottensen  alB  vierter  Sohn  eines  Cigarren- 


Digitized  by  Google 


—   124  — 


arbeitcrs  erpboren  und  besuchte,  von  einem  Bruder  seit  dorn  5.  LebPHsjahrc  in 
den  Elementen  des  Wissens  unterrichtet,  von  18ßU  bis  1877  die  N'olksscliule 
seines  Ueimatsortes.  Dem  Lebrerstande  wurde  er  durch  seinen  Lehrer  Karl 
Bindrieh  mgeführt,  von  leinen  Eltern  war  er  für  den  Bemf  dnes  Handwerken 
oder  Fabrikarbeiters  bestimnit.  Bindrich,  der  das  achlammemde  Talent  er- 
kannt und  den  strebsamen  Schüler  liebgewonnen  hatte,  bot  ihm  ans  freien 
Stücken  unentgeltlichen  Unterricht  an  und  unterwies  ihn  in  selbstloser  Woiso 
ein  Jahr  lang  in  deut«cher  Sprache  und  Literatur.  Von  1878  bis  1883  besuchte 
Schmidt  das  Präparandemn  und  das  Seminar  zu  Hamburg  und  förderte  steh 
nebenher  kräftig  dnrch  angestrengtes  Seibststndinm.  Seit  dem  Abgang  vom 
Seminar  ist  er  Volksschnllehrer  in  Hamburg  and  tritt  seit  einigen  Jahren  aneh 
unter  errnßem,  allseitigem  Beifall  als  Recitator  auf. 

Mit  Gedichten  trat  Schmidt  zuerst  1882  in  Zeitschriften  an  die  (')flent- 
lichkeit;  1885  wurde  seiae  mit  ausgezeichnetem  psychologischen  Scharfblick 
geführte  Untersnchnng  über  den  Einfluss  des  Ebrgeixes  auf  Bildung  und 
Charakter  (^1^  Parasit  der  Seele")  preisgekrönt,  und  in  demselben  Jahre  er^ 
rang  er  mit  seinem  Essay  „Der  moderne  literarische  Dilettantismus  und  seine 
Bekämpfung  '  den  von  der  ^Deutschen  Schriftstellerzeitung tür  die  beste  He- 
arbeitnng  dieses  Themas  ausgesetzten  Preis.  Das  Jahr  1889  brachte  ihm  den 
Augsburger  ScbiUerpreis  für  seine  bei  Hinricus  Fischer  Nachfolger  in  Norden 
ersebienene  Sammlung  „Oediehte*  (Preis  3  M.).  Im  FrlU^ahr  1890  erschien 
unter  dem  Titel  „Offenes  Visier"  ein  Band  gesammelter  „Essays  aus  Lite- 
ratur, Pädagogik  und  öflentlichem  Leben"  (Hamburg,  Kloss.  2.00  ^[.X  Gegen- 
wärtig bereitet  Ernst  die  Heransgabe  eines  Bandes  Novellen  und  Feuilletons  vor.*) 

Von  besonderem  Einflüsse  auf  die  Gestaltung  seiner  dichterischen  Indivi- 
dualität ist  seine  Gattin,  eine  „lebendige  Muse**,  der  die  Oedicfate  zugeeignet 
sind,  deren  er  immer  wieder  Jubelnd  gedenken**  mnss. 

„Du  im  in  Weih  und  meine  Muse, 
Täglich  .<(  lirnkst  Du  neue  Lieder 
Und  erwccküt  eiu  zartes  Kcho, 
Alte,  Ungst  TeRansohte  wiedä>. 

Und  solange  Du  mir  lächelst 
•  Mit  deu  Augen  kindlich  helle. 

Weicht  der  Dichtkunst  sUßer  Zauber 
Nicht  Ton  meines  fibtnses  Schwelle. " 

Sehr  anregend  wirkte  auch  sein  edler,  vielseitig  gebOdeter  Vater  auf  ihn 
ein,  dessen  Andenken  er  das  „Oifene  Visier"  widmet  mit  den  Worten: 

.,Wi\<  "ft  in  TiiLT*".  die  in  \iicht  versanken. 
Mit  gleicher  Glut  in  uosera  Uersen  brannte, 
Was  dann  im  Tausch  Tersehwiegener  Gedanken 

Ein  froh  beredtrr  Bliek  dem  nndern  nmiute: 
Aas  diesen  Blättern  sollt'  es  Dich  umweh'n 
Hit  der  Erinn'mng  tnrambeirUtmtten  Flflgel  — 

Nun  wird".«?  allein  durch  meine  Seele  creli'u 
Abs  Geistergruß  von  einem  stillen  liiigel."'  — 

Die  „Gedichte"*  enthalten  in  einer  größeren  Abtheilung  ,.T.yrische.s  und 
Episches und  in  einer  kleineren  scharf  pointirte  „Epigramme  ',  die  zum  Theil 


*)  THfbereits  eisehienen  und  wird  im  uKohsten  Hefte  aigeieigt.fp).  E. 


Digitized  by  Google 


—   125  — 

eine  persönliche  Spitse  haben.  Von  den  ttbrigen  greife  ich  anfe  geratewol  zwei 
Ideinere  heraoa: 

Erkennen  und  Lehren, 

Zu  der  Erkenntuis  Höh  n  klimmst  Du  am  finxtorem  Thalo 
Freudig  sicheren  Schritte;  droben  ju  (rUihct  ilis  Licht! 
Aber  willst  Du  von  sonnigen  Hiihen  die  fiiibe  des  Lichtes 
Tragen  ins  tiosterc  Thal,  irrst  Du  zumeist  Dich  im  rfad.** 

Sinnspruch. 

Niemali  darehdringst  Du  einen  gro6en  Oeiet, 
Wenn  Dn  an  seinem  kh'inpn  Trrthmn  Dich 
lüt  überlegnem  Stolze  hämisch  weidest; 
Niemals  erachlieB»  steh  Dir  ein  edtes  Hen, 

Wenn  Dm  von  seinen  Zügen  all' 

Jedweden  leisen  Ft  hltritt  ängstlich  scheidest: 

Dem  GroBen  nflfne  gern  und  ganz  den  Sinn; 

Denn  eine  reine  Stätte  will  das  Reine. 

Dann  fällt  ein  Strahl  von  jenem  Geist  auf  Dich, 

Und  jeiiM  HenoM  Fhunoie  wiimt  des  Deine." 

Otto  Ernst  int  ein  scharf  ansgeprftgter  Charakter  mit  einer  gUlheiiden 
Begristerung  für  Freiheit,  Recht  nnd  Wahrheit;  anfe  bitterste  .hasst  er  jedes 

Venteckspiel : 

«Der  Feige  gibt  ein  schillernd  Wort  gelegner  Deutung  hin  — 
fian  Sinn  behemche  jedes  Wort;  doch  nicht  das  Wort  den  Sinn." 

Freimflthig  und  ohne  IfenschenAircht  offenbart  er  ans  sein  Inneres,  ein 
edles,  wannes  Hen.  Sein  begeisterter  Ideallsmas  hUt  sich  fem  von  jeder 
Sdiwtrmerei;  er  ist  nicht  blind  gegenüber  dem  großen  Heer  von  Übeln  in 
dieser  besten  aller  Welten,  wo 

,.So  nahe  wohnt  das  Leid  der  Lust, 
So  nah'  das  Lehen  dorn  Tod." 

Selbst  in  der  Stunde  des  höchsten  Glückes  hört  er  den  „Schrei  verborgener 
Sehmeraen*  der  KUlionen,  die  in  gleicher  Stande 

.....    den  Becher  des  Todes 
Schlttrfni  mit  kaltem  Vwbleicliendea  Mnnde." 

Und  in  fest  absehreckender  Schärfe  verkftndet  er: 

„Es  ist  ein  Staub  nur,  der  sich  freut, 
Die  Menschheit  blutet  morgen  wie  heut.** 

Aber  der  Dichter  verliert  nicht  den  Glauben  an  die  Ideale,  Iftast  sich 

dorch  nichts  abhalten,  für  ihre  Verwirklichung  zu  kämpfen. 

-Drum,  ob  ein  tiefer  Ingrimm  um  Deine  Lippen  bebt. 
Ob's  jfth  in  Deine  Augen  heiBqueUkmd  rieh  eriiebt, 

Du  musät  der  Lüge  lachen  bei  aller  stillen  Qual 
Und  trotzig  weiter  wandern  aufwärts  zum  Ideal." 

Er  hat  ein  scharfes  Auge  für  die  gesellschaftlichen  Sünden  anserer  Zeit 
und  fährt  ans  das  sociale  £iend  in  ergreifenden  Bildern  vor: 

Vor  dem  Znchthaose. 

Die  Ihr  das  Haupt  so  frei  zum  Himmel  hebt, 
Yergeeset  nicht  in  Snrem  guten  Henent 
Dais  hinter  diesem  giaaen  Kttfcenisaem 


Digitized  by  Google 


—   126  — 


Ein  redlich  Theil  vod  Eurer  Sünde  wohnt. 

Und  lasst  in  Eurem  Innern  wiederhallcn 

Deu  wilden  Scbmerzenssclirci  der  hier  Bcgnbneii) 

An  deren  Faß  die  schwere  Kette  Idirxt, 

ünd  die  yeTdammt  ftod  —  «veh  um  Eure  Sdrald. 


Und  doch  sehnt  er  sich  nicht  nach  deu  romantischen  Zeiten  zoräck,  doch 
hangt  er  mit  jeder  Faser  seines  Herzeus  an  der  modexneii. 

Viele  Gedichte  athuen  eine  tiefe  Liebe  nur  Natur,  und  trelTend  Tenfceht 
Ernst,  worin  Theodor  Storni  eine  so  große  Meistersehaft  besaß,  die  geheimen 
Stimmen,  das  geheinmisToUe  Schweigen  in  der  Natnr  anszunalen. 


JStSU  war  alles. 

Da  zog  ein  Lnfthaucb  durch  die  Wipfel  der  Bäume, 
Zog  tiber  das  ruhige  Wasser  hin 
ünd  kräuselte  soiuen  Spiegel  zu  leichten  Wellen, 
Und  sieh!  Es  ranscht  leise  Uber  die  fluten. 
Der  Wellen  Geister  illteterten,  kfcberten.  kosten. 
Die  Gcisterkläugc  triifen  mein  hmsduml  olir 
Und  zogen  mich  fort  zu  sinnendem  Träumen. 
Wiedoim  stül  war  alles.* 


„Welch  goldig  Lenehten  fließt  so  vngeehnt 

Wie  leichter  Zauber  um  die  starren  Bftnme? 

Was  zittert  wie  geheimer  Feierton 

Mit  leisem  KUngen  durch  des  Himmels  Rftnme? 

IMe  Flut  des  Liebtos  rinnt  in  froher  Hast 
Vom  Fclsenhaupt  bis  iu  den  Abgrunds  KlUfte; 
Und  horch!  —  schon  ruft  ein  Fink  mit  leisem  { 
Zaghaften  Jabel  in  die  stillen  Lüfte." 


Dnzcih  dnen  großen  TheÜ  der  Dichtungen  geht  ein  gewisser  didalrtiseher 

Zng,  der  oft,  namentlich  in  den  als  „Episches"  besdehneten Feesien,  eine  demo- 
kratische Färbang  zeigt.  Es  sind  Gedankendiditangen,  die  snm  Theil  absieht* 
lieh  musikalische  Formen  verschmähen. 

Das  eigentliche  Lied  des  Dichters  wurzelt  in  seinem  häuslichen  Glück,  es 
besingt  die  eheUche  Liel»  in  den  sartesten  vnd  vielgestaltigsten  Tönen.  Ernst 
bietet  tms  hier  Perlen  tob  nnyergftngUdiem  Werte.  Hier  eine  Probe: 


Zu  Roäs,  mein  Lieb,  mein  ail&üä  Lieb, 
Wir  müssen  schnell  von  dannen. 
Yen  dannen  durch  die  tiefe  Naont. 
Durch  Feld  und  Hag  und  Tannen! 
Hinweg  von  unsrer  Feinde  Herd, 
Die  uns  nur  Finch  nmd  Hohn  bescliert 
Und  nns  von  sidi  Tcrbaonea. 

Bliek  auf,  mdn  Lieb,  mein  sttles  Lieb, 

Walpurijisniirbt  i?t  heute! 

Es  schwirren  um  den  ätarrcn  Berg 

Gar  wundersame  Leute. 

Es  drehen  sich  im  Hoehzeiti^tanz 

Und  treiben  wilden  Mummeuschana 

Die  graven  Hexenbiftnte. 


Oder: 


Walpurgisnacht. 


Digitized  by  Google 


—   127  — 


Fürwahr,  mein  Lieb,  mein  söBet  Lieb, 
Sie  gleidien  gteaz  den  Fratsen, 

Die  un!«cr  Glück  vergifteten 

Mit  Droli'n  und  sUfiem  Schwatzen« 

Die  Angm  stieren  glBsera-kalt; 

Die  Leiber  sind  verx-hrunipft  Üld  tlt, 
Sie  heulen  wie  die  iiLatzen. 

'ffinweg,  mein  Lieb,  mein  süßes  Lieb! 
Hiet  kann  das  Glück  nicht  weilen. 
UmfiMie  Dn  mich  ohne  Graim 

Und  la'iR  uns  fürder  eilen  I 
Wir  finden  un»re  Heimat  doch, 
Und  läg'  8ie  in  der  Feme  noch 
Viel  hundert,  hundert  Meilen!  — 

0  sieh,  mein  Lieb,  mein  süßes  Lieb, 
Wie  schwinden  schui'll  die  Sorgen! 
Da  steigt  die  Sonno  roth  enipoj, 
Die  lange  WUT  wborgcn. 
Was  dorten  prangt  in  stiller  Praoht, 
Und  was  so  hell  in  uns  erwacht: 
Das  ist  der  Maienmoigeii. 

Der  EssayiBt  Otto  Ernit  steht  in  poUtiedier  imd  reUgifieer  Hiniicbt  anf 
dem  lüBenteD  FlUfel  der  Unken.   Das  „Otae  Visier*  ist  dämm  nnr  ein 

Bach  für  gereifte  Männer.  Der  Titel  spannt  die  Erwartung  hoch,  aber  das 
Werk  macht  sie  nicht  zusclianden.  Ein  Kilinpe  von  der  Art  Ernst's  kann 
getrost  mit  offenem  Visier  in  die  Schranken  treten  ,  seine  Waften  sind  scharf 
und  blank,  und  gewandt  weiß  er  sie  zu  haudhabcu.  Wahrhaft  berückend  ist 
der  Olau  nnd  die  SchIrfB  der  Dietimi. 

Das  Buch  enthält  folgende  Essays:  Glauben  nnd  Wissen.  BeUgion  oder 
Literatnr  als  Centrum  des  Volksschulunterrichts'?  Der  Lehrer  nnd  die  Lite- 
ratur. Ein  Parasit  der  Seele.  Constante  Majoritäten.  Eine  Phrase  der  Geistig- 
Armen.  Das  Elend  der  modernen  Lyrik.  Der  literarische  Dilittantismus.  Poe- 
tische AnschanKehkeft.  Ltterarische  Allotria.  Die  moderne  Literatnrspalting^ 
nnd  Zola.  Die  OeschlechtsUebe  nnd  ihre  literarische  Bedentnngr.  IiOisiafs 
Nathan  und  das  ästhetische  Phrasenthum.  Die  Charaktere  in  Goethe'sEgmont. 
Der  HanH-rling'sche  Ahasver  nnd  sein  Tdeen^u'lialt. 

Am  bedeutendsten  sind  ohne  Zweitel  die  Aufsätze  aus  dem  Gebiete  der 
Literatur.  Selbstverständlich  wird  mancher  Leser  hie  und  da  anderer  Meinang- 
sein  nnd  den  ästhetischen  Omndsfttzen  nicht  immer  anstimmen.  Die  Glans- 
leistong  ist  naturgemftA  die  Preisarbeit  über  den  Dilettantismus,  in  der 
Pädagogik  und  Literatur  eng  versohwistert  erscheinen.  Denn  das  Hauptmittel 
zu  seiner  Bekämpfung  besteht  nach  Ernst  darin,  dass  ^nian  die  große  Masse 
des'  Volkes  consomtionsfUhiger  macht  für  die  wahrhaft  edlen  und  gediegenen 
Erxengnisse  der  Dichtkunst,  indem  man  es  lehrt,  von  sellMt  eine  gesunde 
geistige  Nahmng  an  wShlen  nnd  den  Dilettantismns  mit  seinen  wertlosen  Kaeb- 
werken  beisdUe  zn  schieben." 

Einen  wnnden  Punkt  deckt  die  Atiliandhnig  ..Literarische  Allotria"  auf. 
Ich  setze,  gleichzeitig  um  ein  Bild  von  der  Prosa  des  Dichters  zu  geben,  einige 
Stellen  hierher:  „Der  heilige  Tempel  der  Literatur  wird  von  einer  schmutzigen 
Schacherer-  nnd  TrOdlerhande  umlagert,  welche  mit  dem  kreischenden  nnd 


Digitized  by  Google 


—    128  — 


feilschenden  Lockruf  ihrer  Stimme  die  banalen  Instincte  de«  Pablicums  gefangen 
nimmt  .  .  .  Nächstens  werden  wir  es  erleben,  dass  ein  neaes  Blatt  sich  erbietet, 
den  16  Jährigen  Jangfhuien  unter  seinen  Abonnenten  Tränme  auszulegen  und 
strebsamen  Beamtei^jüngUngen  nach  Mittheilong  Ihrer  politischen  Gesinnung 
und  Einsendung'  dpr  Abonnementsbescheinigfang-  beziij^lich  ihrer  zukünftigen 
Carriere  das  Horoskop  zu  stellen.  .  ,  .  Eine  ijanze  Reihe  dieser  Zeitschriften 
hängt  dem  specitisch  literarischen  Theile  ihrer  Hefte  eine  wolgerüUte  Trüdel- 
bnde  an,  und  mit  diesen  literarischen  AU4ytrien  ist  schon  recht  Bespectables 
san  geistigen  Verderb  des  PnUlennis  nnd  snrVerpäppelnngsefaiesG^eschmackes 
geleistet  worden.  Man  kennt  die  reichbesetzte  Tafel  fßr  große  Kinder:  "Rössel- 
sprnng,  Schach,  Seat,  Arithmoffryph,  Logogryph ,  Akrostichon,  Homonym. 
Palindrom,  Räthsel,  Charadr-,  h'ebns,  Salon-Magie  otc  »  tc.  Man  missverstehe 
mich  nicht:  ich  weiß,  dass  mau  Schach,  Seat  u.dgl.  spielen  kann,  ohne  kindisch 
zn  sein;  aber  wer  diese  Dinge  in  einem  emsthaften  Literatnrblatt  nicht  ent- 
behren kann,  der  ist  ein  großes  Kind,  und  wer  diese  Allotrien  in  das  Blatt 
hinein  bringt,  der  speculirt  auf  große  Kinder.''  Mit  Recht  wmdet  sich  Ernst 
auch  gegen  die  Art  und  Weise,  wie  das  Haby  Publicum  durch  die  Texte  zu 
den  Illustrationen  in  zärtliche  Bevormundung  eingewickelt  wird.  „Da  em- 
pfangen wir  den  nnsehltilwren  Änfbchlnss,  dass  der  Baaernjonge,  der  anf 
jenem  Bilde  neben  dem  Baaemmädel  steht,  der  Sohmalzbanem-Hans ,  nnd  dass 
sie  die  Nndelbanem-Toni  ist.  Wir  erfahren,  dass  er  mit  dem  M&del  schäkert, 
ihr  allerlei  Zilrtliohkeiten  ins  Olir  flüstert,  ibr  sagt,  wie  gut  er  ihr  sei  und 
von  der  Hochzeit  spricht,  die  nun  bald  koramen  werde.  O  glücklich  der,  den 
ihr  belehrt!  ihr  Illostrationsbeschreiber.  Man  hätte  ja  glauben  können,  dass 
die  beiden  über  auswärtige  Politik  oder  über  Kant's  kategorischen  Imperativ 

.,s(  li.lkerten."  Wäre  ich  ein  reicher  Mann,  ich  legte  einen  .\bzug  dieses 

Aufsatzes  allen  Redactenren  und  allen  gi  oL5en  Kindern  unter  den  Weihnachtsbaum. 

In  dem  Essay  über  die  Literaturspaltung  zeigt  F>nst,  wie  Idealismus  und 
Realismus  nichts  weniger  als  cuutradictorische  Begriffe  sind.  „Man  lasse  also 
die  blindwflthige  Prindpenreiterei  und  prüfe  die  künftigen  Ersengnisse  der 
deutschen  Literatur  einfach  darauf  hin,  ob  sie  wiiUiche  Dichterwerke,  d.  h. 
idealistisch  nnd  realistisch  sind,  ünd  die  jUngeren  nnd  älteren  begeisterten 
Vertreter  de^  realistischen  Gestaltens  können  ihr  ernstes  Streben  nicht  ein- 
leuchtender beweisen,  als  indem  sie  auch  nach  Verkörperung  eines  positiv- 
idealen Elements  in  ihren  Werken  ringen.  Die  W' elt,  in  der  wir  leben,  treffend 
sn  kennneichnen,  ist  etwas  Grolles;  aber  die  Welt,  nach  der  wir  streben,  in 
dauernden  Gedanken  und  Gestalten  zu  befestigen,  ist  gewiss  nicht  minder 
groß.  Die  erstere  Arbeit  ist  von  Zola  als  bauendem  Kiinig  so  gründlich  in  die 
Han<l  genommen  worden,  dass  nebenher  an  diesem  Hau  nur  noch  die  Kärrner 
zu  thun  haben.  Aber  Zola,  der  grimmig-düstere  Voltaire  uuseres  social-revoln- 
tioniren  Jahrhunderts,  wartet  anf  seinen  Roossean,  oder  besser,  er  wartet  anf 
einen  Mann,  der  beide  Krftfte,  die  niederreißende  und  die  auf  bauende,  hi  sich 
▼ereinigt  nnd  die  Menschheit  durch  strahlend  helle  Beleuchtung  des  Gegen- 
satzes von  Gut  und  Böse  in  unserer  Zeit  zu  einer  mannhaften  Auferstehung 
emporröttelt.  Wann  und  wo  dieser  Mann  erstehen  wird  —  wer  weiß  es? 
Wenn  er  ans  unserer  Nation  erwüchse,  so  würde  sie  mit  diesem  Geiste  der 
Welt  Tielleieht  das  grüflte  Geschenk  machen  von  allen,  die  ihr  die  Welt  über- 
haupt Terdankt" 


Digitized  by  Google 


—   129  — 


Einen  reichen  Genuss  gewllliren  die  lioiden  letzten  Abhandlung'en,  welche 
an  die  Stelle  der  trockenen  philologischen  Erklärung  eine  poetisch  durch- 
wärmte, nachcoDfitrttirende  Paraphrase  der  Dichtung  setzen.  Die  AbhandloDg 
fUmr  die  GfeMhleehtdielie  enthUt  eine  Fülle  feiner  psychologischer  Bemerkungen 
nnd  gestaltet  sieli  ungewollt  zn  einer  hohen  Wertaehfttsnng  der  Ehe,  d.  h. 
natttrlicfa  der  echten  Ehe. 

Am  meisten  wird  der  zweite  Essay  auf  Widerspruch  stoßen,  welcher  als 
Mittelpunkt  des  Volksschulunterrichts  den  Literaturunterricht  aufstellt,  also  an 
die  Stelle  der  religiösen  Erziehung  die  ästhetische  setzt  und  damit  einen 
Stranß'eehoi  Gedanken  wieder  anftiimmt 

Wer  das  „Offene  Visier"  tüchtig  dnrcbstndirt,  der  wird  ohne  Zweifd 
reichen  Gewinn  fitr  seine  Gedankenwelt  davontragen;  OB  gehOrt  SU  denBüchran, 
die  der  Maikt  nicht  eben  alle  Tage  bringt. 

Otto  Emst  ist  nicht  nur,  wie  viele  unserer  „Jüngsten'',  staik  im  Nieder- 
reißen, er  ist  ebenso  groß  im  Anfbanen;  er  hat  nicht  nnr  einen  kühlen  Kopf, 
sondern  aneh  ein  warmes  Hens.  So  hat  er  dfo  beste  Anisicht,  in  nnsorem  Lite- 
ratnrkampfe  mehr  nnd  mehr  ein  „Bufer  im  Streit"  zn  werden  nnd  mit  offenem 
Yisiw  an  hervorragender  Stelle  die  Klinge  ;En  schlagen. 


Jm  der  Fachpresse. 

Von  Buddf  DietHeh'HoUtnffen'S^riOi. 

494.  Ein  Vorläufer  Pestalozzis  (Fr.  Gärtner,  Bair.  Lehrerz.  1891, 36) 
Job.  lUch.  Poppel,  gest  176S.  Geburt  nnd  Jagend  nnbekannt;  als  Stndent  in 
den  WalsenhRnsem  zn  Freising  nnd  Erding  thfttlg.  Lange  Zeit  nnsicheres 
Tasten  nach  dem  zusagenden  Beruf  ^vie  bei  Pestalozzi.   Helfer  der  durch  den 

bairischen  Erbfolgekrieg  eitern-  und  nlHlachlos  gewordenen  Kinder  zu  München 
wie  Pestalozzi  zn  Stans.  Aber  er  (selbst  völlig  mittellosj  wurde  nicht  von  Be- 
hörden unterstützt,  erlangte  auf  seinen  verdrussreichen  Gängen  nur  geringe 
Mittel.  Trotzdem  erOiftiete  er  sein  Waisenhans  Ende  1742.  Erst  1751  erhielt 
es  die  sichere  Grundlage.  Gegenwllrtig  ist  es  ciin-  städtische  Anstalt.  (Fresko- 
^enjUlde  im  Nationalmusenm;  Groppe  in  einem  Gemttlde  des  Münchner  Batb- 
haussaales  von  Piloty.) 

495.  Zum  Gedächtnis  eines  schlesischen  Schulmannes  (K.Kissmanu, 
Plld.  Ztg.  1891,  29):  Chr.  G.  Scholz,  geb.  19.  Jnll  1791,  gest.  3.  Hai  1864, 
„der  sich  in  schwerer  Zeit  der  anUrtrebenden  Lehrerschaft  angenommen**, 
„zeitlebens  ffir  eine  freie  Schule  und  einen  freien  Lehrerstand  eingetreten.^ 
Durch  die  von  ihm  gegründete  ..Sohlesische  Schullehrerzeitung"  Hebung  des 
schlesischen  Lehrerstandes.  Beziehungen  zu  Harnisch,  "NVander,  Diesterweg 
(^„einer  der  hervorragendsten  Schulmänner  Diesterwegscher  Kichtung**  — Nach- 
rnf  von  Diesterweg  in  den  Bhefai.  Blftttem). 

496.  Erweiterung  der  Lehrerbildung  (Fr.  Tombcrger,  Päd.  Rund- 
schau 1891,  VI).  Vorbildung:  dreidassige  Bürger-  (höhere  Volks-)  Schule. 
Eigentliche  Lehrerbildungsanstalt:  ö  Jahrgänge  (Eintritt  mit  dem  14.  Alters- 
jahr in  den  vier  ersten  Classen  die  ^Vi£senschafteu  zu  erledigen,  die  letzte 
der  bilmfliehen  AnsbUdnng  zn  widmen.   Am  Schlüsse  des  vierten  Jahrgangs 

Digitized  by  Google 


—   130  — 


Prüftinp:  auf  Avissenachaftliclie  Keife,  am  Schiasse  des  fOnften  PrftAlDg  auf 

Iiehrftihif?keit.  Dazn  ein  seclistes  Jahr  für  Ansbildnng;  zu  Lehrern  an  höheren 
Volksschulen.  (Nachdem  wir  diosc  österreichischen  Reform  vorschlüge  noch 
uotirl,  kommen  wir  auf  die  —  in  der  Theorie  gelöste  —  Lehrerbildungsfrage 
«Q  dieser  Stelle  nidit  mAr  ta  spreeheo.) 

497.  Pädagogen  der  Gegenwart  als  NatarwisseDschaftler 
(R.  Schulze,  Dentsehe  Schulpraxis  1891,  33).  Verf.  nacht  danmf  avftnerk- 
samf  »wie  leichtfertig  die  für  den  Volkssohulnnterricht  in  Physik  und  Chemie 
passenden  LehrstolTe  von  gewissen  Pädagogen  behandelt  worden,"  wie  der  den 
LehreiTi  „von  gewissen  Seiten  geraachte  N'orwurt'  der  Halbbildung'  oft  gar  zu 
Kehr  begründet  ist**.  Nachweis  hauptsächlich  an  dem  Polackschen  Realien- 
buch,  „welches  von  Fehlem  strotst",  etngeredmet  die  nachlftssige,  nicht  dnrch- 
dachte  Aosdmcksweise.  (Wtum  Herr  S.  meint:  ,,]faa  kann  sich  nicht  genug 
wundem,  wie  ein  solches  Bnch  überhaupt  zur  Einfühmng  in  die  Schule  hat 
gelangen  können so  müssen  wir  dazn  bemerken,  dass  uns  dies  gar  nicht 
wundert.  Weiß  Herr  S.  nicht,  was  in  der  modernen  Welt  ein  Name  und  ein 
Titel  und  ein  Amt  bedenten?) 

498.  Die  Nothwondigkeit  der  allgemeinen  Volksschule  in 
Bücksicht  auf  die  sociale  Frage  (H.  Schrüer,  Päd.  Ztg.  1891,  26).  Im 
AmwWiiSB  an  das  „politische  TestamOBt**  des  Freiheini  von  Stein  nnd  den 
Scholgesetaes-Entwiirf  des  prenB.  Staatsraths  Sttvem  (1819),  die  beide  die  all- 
gemeine Voskssdinle  gewollt,  deren  Grandsätze  „Stern  und  Kern  aller  Reform» 
vorsrhl-ige"  genannt  werden,  charakterifirt  Verf.  einerseits  die  Schilden  der 
modernen  (deutschen)  Schnlorganisation,  anderseits  die  wirtschaftliche  und 
gesellschaftliche  Bedeutung  der  allgemeinen  Volksschule.  —  Vgl.  eine  ähn- 
liche Arbeit  von  J.  Vanselow  (Dentsehe  Schnlztg.  1891,  36.  37),  wo  auch  anf 
die  üntenlditsflusher  eingegangen  wird. 

499.  Die  dogmatisch-scholastische  nnd  die  biblisch-psycholo- 
gische Lehrweise  im  Religionsunterricht  (Nene  Bahnoi  1891,  VII). 
L  Die  rein  dogmatische  Methode  („der  Pietismus  hat  die  Alleinherrschaft  der 
Dogmatik  gebrochen'').  H.  Die  rein  verstandesmäßige  Methode.  (I  und  II 
stimmen  überein,  „indem  sie  sieli  an  den  Verstand  wenden  —  dogmatisch-ratio- 
nalistischer Intellectualismus'';.  III.  Die  dogmatisch  •scholastische  Methode 
(Vereinigung  von  I  nnd  II,  vermöge  der  inneren  Verwandtschaft).  IV.  Die 
biblisch-psychologische  Metbode  (die  „Methode"  des  Verfl).  —  „Ist  es  anch 
möglich,  den  Kopf  ins  Herz  zu  bringen?  Diese  einfache  Frage  trifft  den  Kern- 
punkt der  gan/en  Methodik  des  Religionsunterrichts  besser  als  manches  dick- 
leibige Werk  über  Katecbetik." 

500.  Die  Disposition  im  Aufsatzunterricht  (0.  Steinel,  Üair. 
Lehrerztg.  1891,  36j  —  an  Mittelschulen.  Verf.  beleuchtet  Nuthweudigkeit 
und  Wert  des  Aibeitoplans  und  bringt  Bdspiele  aus  der  Pmis,  um  so  Migen, 
mit  wieviel  Flelft  nnd  Lust  die  Schiller  die  Bausteine  zusammentragen.  Aber 

jeder  soll  seinen  i  icr*  tien  Plan  haben.  —  Ein  beachtenswerter  Wink  für  die 

Wahl  der  Themata:  Themen,  welehe  sich  gelegentlich  im  Unterricht  ergeben 
nnd  für  welche  «icli  ein  lebhat'tess  Interesse  zeigt,  von  einem  »Schüler  uotiren 
20  lassen.  (Vortheil:  Die  Schüler  werden  sich  mit  den  Stoffen  freiwillig  beschäf- 


Digitized  by  Google 


—   131  — 

tigen,  sieb  davon  miteinander  nnterbalten.)  Anregung  zur  Wahl  aus  dem 
Schülerkreise  selbst. 

501.  Lyriiehe  Qediehte  alt  Leaettfleke  (E.  H^l,  Freie  Schul- 
zeitong  1891,  35.  38).  Ente  Soige  des  Methodikers:  die  epische  Anknfipflnig 
oder  Anreisnng  („welche  die  zun  lyrischen  Ausdruck  drKngenden  Gemütha- 
stimmnngpn  oder  Gefühlserregrung-en  hervorrief" )  za  erkennen.  „Nicht  blos  er 
selbst  wird  durch  das  klare  Erkennen  dieses  Hintergrundes  den  festen  Halt  ge- 
winnen, sondern  er  wird  auch  im  allgemeinen  vur  der  Leetüre  durch  Herbei- 
siehung  dieser  VeranlasBimg,  die  wir  den  lyrischen  Standpankt  Benaen  mSohten, 
die  Vorbedingung  für  das  Erwachen  unmittelbarer  Oefuhle  und  Sthnmnngen 
bei  den  Schülern  erfüllen."  Die  ..epische  Anreiznng"  bietet  sich  aber  in  vielen 
Fällen  wirklich  unmittelbar  von  selber  dar:  Erscheinungen  im  Frülilins^  — 
Wanderungen  —  Ferienaufenthalt  auf  dem  Lande,  im  Walde  u.  Weiteilün  ist 
den  SchSlem  die  Einheit  der  Stimmiing  („lyrische  Einheit'^  nin  Bewnsstscin 
za  Migen.  Kehr  nicht;  mit  der  LOenng  dw  beiden  hier  gestellten  Aufgaben 
ist  in  enieberiscber  Hhisicbt  genng  gethan. 

502.  Real  Unterricht  und  Sprachunterricht  (H.  Stucki,  Schwei«. 
Lehrerz.  1891,  32  -M  i).  Di*'  drei  Realfjlcher  bilden  die  ik-griffssphilren : 
Natiirleben,  Land  und  Leute,  Knt Wickelung  des  Volks.  „Sie  entspringen  der- 
selben Basis  des  unmittelbaren  Wahrnehmungskreises,  sie  greifen  auch  auf 
allen  Ponktoi  ineinander,  aber  sie  gipfehi  in  besonderen  Zielen:  EinbUck  in 
den  Natnrhanshalt,  Verständnis  des  Landes  nnd  Volkes,  Kenntnis  seiner  Ent- 
wickelungsgeschichte."  „Diese  Ziele  müssen  für  die  Volksschule  bestehen 
bleiben,  wenn  es  sich  um  tüchtige  üeistesschulung  h.andeln  soll.  Sie  dürfen 
bestehen  bleiben,  weil  die  Fähigkeit  des  correcteu  und  geläuhgeu  mündlichen 
nnd  schriftlkhea  Gcdankenansdmcks  durch  de  in  der  gründlichsten  nnd  nach- 
baltigsten  Weise  gefordert  wird.'*  „Hanptbedingnngen  Ar  den  Erlbig:  eigne 
Anaohanong,  selbst thfttigst  PrftfiBl,  Urtheilen  nnd  Schließen,  fortwährend  cor- 
rectes  Aussprechen  der  wa  gewonnenen  Eentnissei  tagtägliches  Niederschreiben 
derselben." 

503.  T'hin  für  naturkundliche  Glinge  in  den  Laubwald  (E.  .Scheller. 
Deutsche  Blätter  1891,  19.  20).  Wir  machen  auf  diesen  au  Stoft  und  guten 
AViuken  reichen  Plan  angelegentlich  aufmerksam.  —  Hauptpunkte:  L  Namen. 
II.  Lage  (dam  aneh:  Aassehen  von  ferne;  Umgebung;  Oberflftchenfbmi;  Wege; 
„schöne  Plätze";  Besonnnng;  Winde).  lU,  Menschen  im  Wald.  IV.  Boden- 
verhältnisse (Humusschicht;  Quellen;  Moos;  Laubdecke  in»  Herbst  und  Früh- 
ling). V.  Der  Waldbestand  (woran  erkennen  wir  die  verschiedenen  Baum- 
arten? Angabe  alier  möglichen  Erkennungszeichen).  VI.  Waldpflanzen.  VII. 
Waldthiere.  Vm.  Nähere  Ehinlbetrachtungen.  IX.  Vennche.  X.  Sammlongen 
(Steinarten;  Hdhnurten  mit  Binde;  Blatter,  Blüten  und  Frttcbte  mit  Samen; 
Zweige  mit  Knospen ;  Keimpflanaen;  Thierspuren  an  den Pflansen;  IQssbildangen 
nnd  Krankheitserscheinungen). 


Digitized  by  Google 


Literatir. 


Dr.  Cf.  Stephan,  Die  hKodicbe  Erdehnog  in  Dentsehland  wührend  des  acht- 
zehnte]! jkliihundcrts.    Wiesbaden  1891,  Bergmano.    162  S. 

wahrend  das  üroßtheil  der  pädagogischen  Tagesliteratur  in  handwerks- 
mäßigen Conipilationcn  zu  handwerksmäBigem  Gebrauch  besteht,  liegt  uns  hier 
eine  üriginalarbeit  vor,  die  in  der  That  eine  Lücke  ausfillit,  bisher  Ver- 
boTgenes  taa  Licht  sieht  und  dem  Leser  eine  ebenso  lehnreiche  wie  anr^ende 
Lectttro  bietet.  Nachdem  Referent  das  Bocb  TOn  AnAmg  bis  Ende  Wort  fHr 
Wort  gek'sen  hat,  wiiii(Urt  er  s^ich  nicht,  diiss  ein  ('ulturhistorikrr  wie 
Biedexmanu  demselben  die  lebhatteste  Anerkennung  zollt  und  ausdrücklich 
henrorfaebt,  dass  hier  eine  ebenso  nothwendige  wie  eiBprieBUche  literariacbe 
Arbeit  mit  rUhinlirher  Umsicht,  (Jnindlichkeit  und  Sacbkenntnis  pfilii-trt  i~t. 
-Herr  Dr.  Stephan'^  fügt  er  hinzu,  „hat  mit  einem  wahrhaft  staunenswerten 
fleiSe  aus  einer  Unmasse  thetls  ron  pSdagogisehen  und  anderen  Sebrilten 
jener  Zeit  (des  18.  Jahrhundert'^  niluilich),  tbeils  und  iiishcsondere  von  Ei  'Crra- 
phien  und  Selbstbiographien,  ürietwechseln  und  sousligeu  Auizcichoungcn  von 
Gelehrten,  Diditem,  Staats»  und  GesdiSftsniiinnem  u.  s.  w.  die  einzelnen  Bau- 
steine zu  seinem  "NVcrke  zu  sani  menget  raffen  und  hat  daraus  nicht  etwa  ein 
bloßes  lose  getilgtes  Mosaik,  sondern  ein  organisches,  in  allen  seinen  Tbeilen 
eng  zusammenhängendes,  sieh  gegenseitig  er^nzendes  und  erläuterndes  Guses 
geschaffen."  In  der  Hnschaulichstcn  Weis-e  führt  uns  Verfasser  in  das  häus- 
liche Leben,  die  Donkuuf^^art ,  die  Sitten,  Gesinnungen,  Gewohnheiten,  den 
Bildungsgrad,  die  socialen  \  ei h  iltnisse  der  mittleren  und  höheren  iStände  des 
18.  Jahrhunderts  und  Itesondcrs  in  ihre  Veraiistjiltiingen  zur  Erziehung  und 
zum  Unterricht  der  Jugend  ein,  mj  dass  uns  manches  vertraut  und  begreiflich 
wird,  was  in  den  Werken  über  allgemeine  Cult Urgeschichte  und  üeschichte 
der  Pädagogik  nur  s<'liemafisch  und  halb  räthselliaft  erscheint.  I'as  helle 
Licht,  welches  hier  z.  H.  über  die  Hofmeister-Krziehuug  und  Hülnieistcr-riida- 
gogik  yerbieitet  wird,  dient  selbst  noch  zur  Aufklärung  Uber  aotuelle  Er- 
scheinungen und  Streitfragen.  Aber  auch  in  vielen  anderen  Beziehungen  ist 
Stephans  Buch  eine  schätzenswerte  Ergänzung  der  Cultur-,  Literatur-,  Schul- 
und  Erziebungsgescbichte.  D. 
Heinrich  Schröer,  Die  allgemeine  \  olkss(  lni]e  als  Grnndbedingang  zur  end- 
giltigen  Lösung  dei*  Schulrefoimfrage.  Krfurt  und  Leipzig  1891|  Bao- 
meister.    54  S. 

Verfasser  plaidirt  für  eine  einheitiiehe  Gestaltung  des  ganzen  deutschen 
Schulwesens  in  dem  Sinne,  „dass  die  sämmtlichen  Bildlingsanstalten  des  Volkes 
in  organischem  Zusammenliantje  stehen  und  ein  phinvoU  geglicderte>,  in 
seinen  Tbeilen  zweckmäßig  zusanitnenwirkendt-s  (üinzes  darstellen'',  und  widmet 
namentlich  der  allgemeinen  Volksst-hule,  als  dem  gemeinsamen  Unterhau  des 
ganzen  Bildungswerkes,  eine  genauere  Betrachtung.  Die  sogenannten  „Vor- 
schulen", eine  pädagogische  Specialität  Preußens  (auch  in  einigen  anderen 
Ländern  nachgeahmt),  werden  als  dem  einheitlichen  Auf  bau  widerstrebend  mit- 
besonderem  Nachdruck  bekämpft. 

Dass  die  deutschen,  bcsondoEs  die  preußischen  Yolksschullehiet  diesem 
Schriftchen  ein  lebhaftes  Interesse  entgegenbringen  werden,  lässt  sieb  mit 
Sicherheit  erwarten,  da  sie  in  Herrn  Schröer  mit  Recht  einen  ihrer  besten 
WortfUhrer  erblieken,  der  sieh  sdion  Tielfhch,  besonders  audi  als  lanfi;fährlger 


Digitized  by  Google 


Redacteur  der  Berliner  „Pädagogfischen  Zeituug*  bewahrt  hat.  Auch  dicM 
neue  Vcniftentlichung  wird  seine  nltcn  Fitumli'  und  alle  diejcnigon  Leser 
befriedigen,  welche  eine  kurze  und  klare  Orii  atirung  Uber  die  aufgeworfene 
Zeitfrage  i^ilnschen;  zu  einer  giflndlicheu  EiOxtenuig  über  die  Ausgangs- 
punkte, Princiincu  und  Consequenzen  derselben  reicht  eine  Broschüre  von 
wenigen  Bogen  uaiürlich  nicht  aus.  Das  kürzeste  und  zugleich  schwächi-te 
Capitel  der  kleinen  Hchrift  ist  das  sechste,  wo  der  conf essionelle  Religions- 
unterricht als  mit  der  allgemeinen  Volksschule  vereinbar  behandelt  und 
zugleich  behauptet  wird,  dies  sei  auch  die  Ansicht  der  „überwiegenden  Mehr- 
heit der  deutschen  Volksschullehrer".  Allerdings-  ist  dies  bereits  oft  i  nainentlich 
von  Führern  der  preußischen  Volksachulielurer,  JUtting  u.  8.  w.)  behaupteL 
aber  niemals  bewiesen  worden;  dies  kSnnte  ja  nur  durch  eine  (allgemeine  und 
geheime)  Abstimmung  geschchfii.  Wir  unsererseits  halten  daran  fest,  da^s 
confessioneller  Bdigionsunterricht  in  die  allgemeine  Volksschule  nicht 
gehört,  weil  er  dem  einheitliehen  pädairogisohen  Geiste  derselben  widerspricht ; 
zndi  ni  sind  wir  der  t'berzcuguncr ,  il;iss,  sulanire  er  fortliosteht ,  aneh  die 
geibtlichc  Schulaul^icht  mit  iäien  C'ouäc^ueuzeu  fortbestehen  wird  and  be- 
rechtigt ist.  Wer  jenen  will,  muss  sieh  auch  dieser  unterwerfien.  (Auf  das 
Thema  der  allgemeinen  Volksschule  weiter  cinzuirehcn.  £rl;iu1it  Kct'erent  hier 
unterlassen  zu  können,  da  er  dasselbe  in  seiner  „Schule  der  rädogogik",  be- 
sonders in  der  „Methodik  deryolksschule"  ausftthrlidi  behandelt  bat.)  D. 
Leimliach,  Die  deatsdien  Diehter  der  Neuzeit  und  Gegenwart.  IV.  Bd. 
Kassel,  'l'li.  Kay. 

Von  diesem  äauuuelwerkc  liegt  nun  der  vierte  Hand  vor,  der  die  Buchsiabeu 
H— K  umfasst  und  die  Zahl  der  Dichter  bis  auf  849  fortführt,  die  Zahl  der 
ausffewiihlten  Probon  aber  bis  auf  1705.  Neben  bekannten  Namen  ort-cheinen 
auch  wenitr  t^ckannte  utler  nur  im  Freundeskreise  geehrte  l'oeteu:  neben  Jähns, 
Jensen,  Jordan.  Kaden.  Kallieck.  Kaufmann,  Kdm,  G.  Keller,  Kletke  z.B.  auch 
der  in  Tirol  beliebte  HunuM,  der  in  seiner  engeren  Heimut  Nnrdfi'ihmen  viel 
gelesene  Jariseh,  der  in  übe ritst erreich  gefeierte  Kalieubrunner,  der  sonst  nur 
als  Technologe  geschützte  Karitiarseh  und  der  Gründer  der  iu  DeutscJüand 
hoehanfjesi  honen  Vcrlagstinna  Julius  Klinkbardt  ipseudonym  Karl  Th.  Kind)  u.  a., 
die  so  (iun  li  Leimbach's  Werk  auch  weiteren  Leserkreisen  vielleicht  bekannt 
werden.  Und  gar  mandier  dieser  bislang  wenig  beachteten  Dichter  verdiente 
diese  Auszeichnung-,  man  le^e  z.  B.  die  ausgewählten  Proben  aus  < Gottlob 
Kemmlers  Gedichten,  und  man  wird  sich  erstaunt  fragen:  Wie  konnte  nur 
dieser  gottbegnadete  Sänger  aller  Welt  und  m  Ih  t  -  den  Literaturgeschichten- 
Schreibern  so  ganz  unbekannt  bleiben!  Es  ist  nicht  das  letzte  Verdienst  Lcira- 
bach's,  auf  diese  Diehtergestalt  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  —  Was  für 
Mfihe  und  Kleit?  iu  Leimbach's  Buche  steckt,  das  vermag  nur  der  zu  wUrdigeu. 
der  in  ähnlicher  Lage  sich  einmal  beüuiden  und  die  Literatur  über  einen 
neueren  Dichter  zu  sammeln  gezwungen  war.  Wie  viele  Standen  TergebUdien 
Suchens  nach  einem  r>atuni,  nach  dem  Titel  einer  Schrift!  Nun  alles  so  betiucm 
Torli^t:  Proben,  Biographisches,  Titel  der  Werke  und  Ausgaben,  Inhaltsangaben, 
Gkaraktenstik  —  sollte  das  Werk  auch  gebttrend  gewtlrdig^  werden  und  dem 
Verfasser  doch  wenit,'stcns  für  seine  Milbe  die  Genugthuuns?  zutheil  werden, 
nicht  vergeblich  gearbeitet  zu  haben.  Leider  —  der  Verfasser  sagt  es  uns  in 
einer  Nadhschrift  selbst  ist  sein  Werk  noeh  lange  nicht  so  verbrdtet,  wie 
es  sein  innerer  Wert  wol  verdient.  W. 

Stöckel,  Geschichte  des  iiittelalters  und  der  Neuzeit.    520  S.  München, 
Franz  Bcher  Verlag  (J.  Both). 

Dieses  lEbuidbuch  verdi«it  Beaditung;  es  ist  gut  stilisirt  und  ttbersiohtlirb, 

enthiilt  viel  interessantes  Detail  zur  Belebung  des  T^nterriehtes  und  weist  in 
den  Anmerkungen  häuhg  auf  analoge  Vorgänge  hin  oder  deckt  Beziehungen 
auf,  die  klftran;  kurz,  man  sieht  es  ihm  an,  dass  der  Verfasser  in  der  histo> 
rischen  Literatur  belesen  ist  und  zugleich  die  Bt  ilürfnisse  des  Unterrichtes 
kennt  Auch  ihm  gcgeniiiier  können  wir  die  Bemerkung  nicht  uutcrdrUckeu, 
die  wir  schon  hei  Besprechung  vieler  Handbücher  der  (reschiehte  machen 
mussten:  Sagenbattes  oder  weniger  gut  Beglaubigtes  sollte  immer  so  sduurf 

Pedaco^inm.  14.  Jtliig.  Heft  II.  10 


J 

Digitized  by  Google 


134  ~ 


nls  nur  mttglieh  gekenmeicbnet  werden.  Das  geschieht  auch  iu  diesem  Bache 
nicht  iiniiKT.  Ich  vorweisp  bfispiclsballier  nur  auf  S.  158,  wo  die  von 
Ott'ikar  er/.ihltc  Huldifjiinerssccnc  ircschildert  wird,  nU  ob  sie  sich  wirklich 
zii^etnigen  hiitte.  W. 

Ueiitseliel  und  Märkcl,  I'mschau  in  Heimat  und  Fremde.   II.  Band:  Europa 
mit  AusBchlass  des  Deutsclien  Reiches.    Hirt,  Breslau.    Preis  3.60  M. 

Der  vorliegeude  zweite  Band  diese»»  geographischen  Lesebuches  uiiifasst 
759  Seiten  mit  zahlreichen  Abbildungen  von  Städten,  Landschaften,  Volks- 
typen, die  den  im  gleichen  Verlag  erschienenen  nBildertafeln"  entnommon  sind. 
Den  Arten  der  Abbildungen  entsprechen  auch  die  Texte.  Sie  sind  ans  Werken 
von  Land-  und  Lcutokcuneru  geschöpft  und  so  >tili^irt.  dass  sii'  ein  Schüler 
der  oberen  Classen  einer  YoUuscliule  ohne  Schwrieri^keit  versteht.  Die  Heraus- 
geber haben  eh  diesem  Zwecke  (Ue  benfltsten  Onginale  an  manchen  Stellen 
kUnsen  oder  umarbeiten,  ja  manchmal  auch  einen  Text  aus  zwei  oder  drei 
.Schilderungen  herstellen  müssen.  Dass  es  ihnen  gelungen,  ein  wahrheits- 
getreues anschanliehes  Bild  zu  entwerfen,  beweist  schon  der  eine  ümstand, 
dass  tr^Tz  des  kurzen  Bestandes  der  Sammlung  andere  Herausgeber  ähnlidier 
Lesebücher  aus  den  verscMcdensten  Gegenden  die  Beschreibungen  in  der 
Fassung  Hentschd-HSrkels  herttbeigenominen  habra.  Schfllvbibliotheken  mögen 
sich  das  Buch,  das  zur  Belebung  des  geogiaphischen  Unteiridhtes  beitragen 
kann,  nicht  entgehen  lassen.  — r. 

J.  Bftefli,  Pe8talozzi*s  rechenmethodisohe  Gnmdsttae  im  Liebte  der  Kritik. 
137  S.   Bern  1890,  Schndd,  Francke  &  Co.   Preis  1.50  M. 

Der  Verfiis^^er  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gcmatht  nachzuweisen,  dass  der 
bekannte  Am^n-itV,  welchen  Knilliug  gegen  Pestaloz^i's  Liruudsätzc  gerichtet 
hat,  und  Knillin^^s  Reformvorschlage  US  grundlos  und  hinfällig  zu  betrachten 
sind.  —  Riiclli  «:eht  von  der  I' l)crzcu gung  aus,  die  Geschichte  der 
Kechenmcthodik  habe  uns  darüber  belehrt,  es  könne  sich  in 
diesem  Unterrichte  nicht  mehr  um  ein  Niederreißen  de>  bisher 
(iesehaffcncn  und  di e  A  ufrichtung  eines  Neubaues  handeln,  son- 
dern die  anzustrebenden  Verbesserungen  seien  lediglich  in  einer 
zweckmäßigen  Ausgestaltung  des  Vorbandenett  SU  suchen.  —  Er 
bemerkt  ferner  in  der  Einleitung,  wenn  sich  jemand,  wie  Knillinfj,  berufen 
fiililt,  so  schonungslos  in  ilie  unklaren  Kiipfe  anderer  hineinzuleuchten,  so 
dürfe  man  wol  an  die  Klarheit  und  Folgerichtigkeit  eines  solchen  Keformators 
die  strengsten  Anforderungen  Stellen  und  müsse  seine  Aufstellungen  ernster 
Beurtheilnng  unterziehen. 

Im  ersten  Abschnitte  >vird  der  Begriff  der  Zahl  erörtert.  Von  Pestalozzi 
wird  gesagt^  er  betrachtete  die  Zahl  Sis  eine  den  Dingen  zukommende  £i^;en- 
schaft,  wdcbe  wir  auf  Qmnd  der  Anschauung  von  den  Dingen  abstrahiren. 
Er  defiuirt  die  Zahl  ausdrücklich,  als  das  in  den  Dingen,  real  vodiandenc 
Verhältnis  des  Mehr  und  Minder. 

Bei  Enilling  dagegen  schwankt  die  Ansicht;  bald  nennt  er  das  ans- 
einandcrliegcnde  Viele,  die  conercten  Gr<".ßen,  die  in  den  I>ingen  selbst  be- 
gründeten quantitativen  Unterschiede,  die  Zahl,  wie  wenn  sie  unabhängig 
von  unserem  Denken  bestUnde;  dann  heiSt  es  bei  ihm  wieder,  das  auseinander- 
liej^t'ude  Viele  sti  uueh  gar  keine  Zahl,  es  sei  ledip:lich  das  Material,  aus 
welchem  das  Denken  in  freier  Thätigkeit  die  Zahl  erzeuge.  Mit  großer  Aus- 
führlichkeit weist  Rttefli  das  Sehwanken  der  Begriffe  bei  Enilling  nach,  und 
zeigt,  wie  sonach  iiberhauitt  Folgorii  Iitigkrit  entfallen  niusste.  Von  den  vielen 
recht  interessanten  Auseinaudcrsetzungeu  des  \'erl'assers  möchten  wir  mir  die 
eine  hervorheben,  welche  unverkennbar  die  Ursache  einer  weityerbreiteteo 
Meinungsver^ibii'deuheit  enthält.  Hüefli  meint  nämlich.  Knillinf^s  Zahlbegrifl 
klebe  an  den  couereten  i)ingen,  er  vermöge  gar  nicht  den  Begritt  der  reinen 
Zahl  au  erfassen.  Es  sei  al>er  wol  zu  untcrsrbeiden  zwischen  einer  Aniahl 
von  Dingen,  das  ist  den  benannten  Zahlen,  und  der  reinen  oder  unbenanntcn 
Zahl.  Wir  stimmen  hier  Rilelli  vollständig  bei  und  bemerken,  dass  die  •\uf- 
lassung  der  Zahl  als  Concretum  wol  nur  in  der  N'olksschule  mSglieh  und 
kaum  in  dieser  aufireeht  zu  erhalten  ist;  wogegen  die  Zahlenlehre,  wenn  sie 


Digitized  by  Google 


—   135  — 


PK  Ii  uiir  um  eiueii  woiutr  üoliercu  Standpunkt  stellt,  es  nur  mit  den  reinen 
Ziihk'u  zu  thiin  hat. 

Bei  Kniiling  ist  das  Rerhnon  weniger  eine  Verstandes-  nls  vielmebr  eine 
Gedärhtniägacbc,  in  Bczuff  nut  welche  er  sogar  den  Ausdruck  gebraucht,  es 
sei  nicht  viel  mehr  als  gedankenloses  Geplapper.  Diesem  entgegen  gelinflft 
Büefli  sehr  sehön  der  Nachweis,  dass  es  völlitr  in  der  Hand  des  Lehrers  ge- 
legen sei,  aus  dem  Rechchuntcrrichte  hauiitsächlich  eine  Sache  des  Verstandes 
oder,  wenn  er  will,  des  GedächtnisÄCs  zu  machen.  Damit  steht  im  innigen 
Zusammenhange,  dass  schwachveranlagte  Kinder  es  (loch  zu  einer  ansehn- 
lichen Fertigkeit  im  Bödmen  zu  bringen  vcnuiigen,  wenn  nämlich  der  Lehrer 
den  Untcrriäit  auf  die  Pflege  des  Gediehtntflsei  lud  meclMiiiMlier  Vorgänge 
einrichtet. 

Treffend  ist  ferner  Riiefli's  Bemerkunsr,  dass  auch  das  elementare  BccUnen, 
als  Zweig  der  Mathematik,  vor  aiuh  rii  Fädiern  durch  Klarheit  und  Bestimmt- 
heit seiner  Begriffe  und  Frllieilc  sirh  auszeichnet,  dass  sonach  diese  Eigen- 
Bchatton  hei  richtiger  l  aterweisung  in  diesem  (iegenstundc  auch  in  sprach- 
licher Beziehung  sich  ausprttgen  mtusscn.  Unmöglich  ist  die  sprachliche  Ver- 
wertung des  (iegenstandes,  wenn  die  BcgrifTe  des  Lehrers  seihst  so  schwankend 
und  unsicher  sind,  wie  man  es  Kniiling  an  einer  Reihe  mangelhalter  Detini- 
tionen  nachzuweisen  vermag. 

Das  .äußerste  an  Widersprüchen  hat  Kuillinür  iu  Bezug  auf  den  sittlichen 
Wert  des  Rechenunterrichtes  geleistet:  bald  wird  dessen  sittlicher  Wert  ganz 
TCmeint,  weil  ja  der  Gegenstand  eine  reine  Gedächtnissachc  ist,  dann  wieder 
leuchtet  doch  die  Einsicht  auf,  in  wie  hohem  Maße  ein  Gegenstand,  bei  welchem 
das  Kennen  wesentlich  mit  dem  Können,  das  heißt  das  Verstehen  mit  dem  Aus- 
üben zusamnientallt ,  zur  (k-winnung  des  SelhstTertraiiens,  svr  Feitigimg  des 
Charakters  und  der  Sittlichkeit  bei^gen  muss. 

Sowol  Knilling's,  als  Bllefli's  IMchcr  sind  der  Methodik  des  Bcchenuntor- 
richtes  j,'ewidmet.  Das  Werk  des  erstcren  macht  vom  Anfang  bis  zu  Ende 
den  Bindruck  des  Entwurfes  zu  einem  beabsichtigten  Versudie;  man  wird 
beim  Lesen  die  Empfindung  nicht  loe,  der  Verfasser  sei  ein  Projectenmaeher. 
Dagegen  ist  RUefli's  Buch  als  Kritik  entworfen  und  bezeichnet,  aber  mit  sn 
viel  Scharfsinn  und  Sachkenntnis  abgcfaaet,  dass  nicht  blos  Knilüng's  Wider- 
mrflche  und  ünhaltbarkeiten  aufjpredeckt  werden,  sondern  dass  der  Leser  aus 
demselbttB  einen  reichen  Gewinn  an  Belelmnig  empfängt.  Wir  möchten  c:crn 
aagen«  wenn  es  gestattet  Ui  Kleines  mit  Groüoni  bu  vergleichen,  es  hat  uns 
dies  Buch  an  Lessing's  Anti-OBtae  erinnert.  Sowie  ohne  Kenntnis  der  Schriften 
Ton  Gi'if  /:e  Lessintj's  Streit.schrift  allein  den  Gcnuss  der  Bt  lrhning  gewährt, 
SO  eri:reut  uns  auch  BUefli's  Buch,  ohne  seinen  Gegner  zu  kennen,  durch  Klar- 
heit vnd  Wahrheit,  welche  von  dem  einen  Leaet  als  Belehnmg,  von  dem 
anderen  als  ZiistimninnLr  der  eigenen  Ühenengnng  mit  Vergnügen  entgegen- 
genommen werden  mag.  H.  E. 

Die  Grundlekreu  der  astronomischeu  Geographie  uud  ihre  unter- 
riehtliche  Behandlnng.  Fili>  Lehrer,  Seminwisteii  md  den  Privat- 
gebraach bearbeitet  tob  0.  Riedel,  Seminartehrer.  Hit  57  üliistrationeii 
und  zwei  Sternkarten.   Wittenberg  1890,  Vertag  Ton  B.  Herrosd.  X  und 

177  Seiten.    Preis  2.50  M. 

Ein  Handbuch  für  deu  Lehrer,  gibt  es  durchwegs  die  Methoden  an,  wie  dtti 
Söhfllem  die  astronomischen  Wahrheiten,  die  Kenntnis  der  Erde  als  Welt- 

körpcr  heifjehraeht  werden  kirnnr  n  und  sulh  ii.  Fr:iLr'  n  vnii  dr  n  einfachsten  an 
bis  zu  den  compUcirteren  (für  ächiilcr  höherer  öchuicu;  leiten  die  einzelnen 
Capitel  ein,  die  Antworten  sind  aumeist  beiji^efHgt  fiinfeche,  avf  der  Tafel 
leicht  auszuführende  Zei'"hnungen,  die  I'esehreibiinc:  der  Tlandhahnnir  einfiuher 
Apparate  (besonders  wird  auf  die  Keicluuann'scheu  Tellurien  uud  Planetarien 
hingewiesen)  helfSsn  den  Unterricht  veratftndlit^  machen.  Die  angewendete 
3reth()(le  ist  eine  recht  glückliche  /n  n< Diien.  D;is  ^faß  des  N'erhuüjfon  geht 
wol  über  das  in  der  Volksschule  Torzunehmeude  ziemlich  weit  hinaus  ^z.  B.  Prä- 
cession  der  Tag^  und  Nachtgleichen),  aber  der  Verfasser  wollte  eben  sem  Buch 


Digitized  by  Google 


—   136  — 


auch  fHr  hQhere  LehrniBtalteii  braachbar  gestttlteo.    Deshalb  ist.  auch  znm 

Schlus-o  aiif::i  fr«'-'»  '!,  was  in  drei-  oder  cincla-M'iri  n  Vnlksi-chulen  V'.iii  ireboteneii 
Materiale  zu  DciimcD  ist.  Die  eiugestrcuteu  Gedichte  sind  reiiit  KUt  ans- 
ffewShlt,  aber  für  ein  Handbuch,  das  doch  kaum  der  Sehtller  in  die  Hand  be- 
kommt, etwas  tilirrfiiissiir.  rii)  den  roidien  Tiilialt  zu  fliavaktrri^iron.  führen 
wir  noch  au,  da&j  nach  einer  melbodischeu  Einleitung  ein  Vorciirsus  folgt,  der 
Ar  Schüler  von  8 — 11  Jahren  bestimmt  ist;  der  Hauptcursus  nmfasst  folgende 
Capitcl:  Horizont  und  scheinbare  Iliiiiiiielsu:r:.stalt ;  (reatalt  der  Krde.  Weltraum 
und  Weltkürper;  Rotation  der  Erde;  Revolution  der  Erde;  Stellung  der  Erd- 
achte und  Paralleli^iiiiis  ilirer  Lage;  das  Liniennetz;  die  Erdbahn  eine  Ellipse; 
PrSeession  der  Ai|iiiiii)(  ti>  ii;  der  ^Innd:  IMaiiott  ubewoirtiiiiren :  das  Sonnou- 
systeni;  Schwerkraft,  und  Schwu n<i kraft ;  i-lnf  ti  riiiiiii;s-  und  <iriU>enbe8fim- 
mungen;  die  Fixstcrnwclt  (Bestimmung  der  SternoitC;.  I'ie  Ausstattung  des 
Buches  ist  gut,  nur  die  erste  Sternkarte  (nördlicher  Eiuimei)  ist  nicht  in  allen 
Theileu  deutlich.  C.  H.  K. 

A.  SpTOeUioirs  Ornndsfige  der  Physik.  Übersichtliche  Anordnung  und 
ansführliche  Darstellung  des  HanptiriU^cbsteti  ans  dem  ganzen  Gebiete, 
nnter  steter  Berücksi-  litifjimq-  der  iienesten  Foi>'  luingen  und  Krtindung«n, 
nebst  einem  \'nrl)eii'itinii;srui>iis :  Die  wichtigsten  Erscheintingen  des  tilg- 
lichen  Lebens  und  die  gevNöhulichäten  Gegenstände  des  täglichen  Gebruuches 
in  75  Einselhildem.  —  Zweite  vollständig  umgearbeitete  nnd  Yerbeiserte 
Auflage  mit  %42  Abbildungen,  einer  Specdnltafel  in  Farbendnick  nnd  mit 
einem  geschichtlichen  Anhang.  Hannover,  Verlag  von  Carl  Meyer  (Gustav 
Prior)  18i)0.  —  XIT  und  4H0  Seiten.    Preis  3.50  M. 

bowol  in  den  Einzelltildcni  als  in  der  systematischen  riiy.^ik  geht  Sprockhof! 
von  Versuchen  und  Beobachtuntr*  n  aus  nnd  leitet  daraus  die  Gesetze  ab, 
woh  he  sodann  durch  viele  B«'i-^]iielc  erläutert  w<>rden.  Die  systeniatisi  he 
Physik  t heilt  er  in  drei  IlHUi)ttheile:  Merhanik  (Allgemeines,  M.  der  festen, 
flü>>igrn  und  luftfirmigen  Körper),  Lehre  von  der  schwingenden  Bewegung 
(Schall,  Wiinne.  Licht\  Magnetipuiu'i  und  Elektriritäf .  Die  !)arstellung  ist 
eine  vorzügliche,  sowul  was  die  Beschreibung  ih  r  Er>cbcinnugen  und  Ver- 
suche, als  die  tiesetze  anbelangt.  Fußnoten,  olf  zit  nilich  austltbrlicher  Art, 
erläutern  eingestreute  Begrilfe  oder  geben  historische  Daten  belehrender  Natur. 
Der  erste  Theil  des  Buches  (der  Vorbereitungscursusi  behandelt  nur  praktische 
Fragen  des  gewöhnlichen  Lebens  und  erklärt  die.selben  in  sehr  klarer  Weise, 
Der  ge&cbichtiicbe  Anhang  stellt  in  tabellarischer  Form  die  Entdeckungen  aut 
dem  Gebiete  der  Physik  und  die  wichtigsten  Erfindungen  vom  Alterthunie  an 
bis  zum  Jahre  1883  zusammen.  Die  Abbildungen  sind  sehr  verständlich  und 
sauber  ausgeführt.  Jedem  Lehrer  der  i^hysik,  auch  denen  an  bühcren  Lehr- 
anstalten, wird  das  Lehrbuch  ein  willkommener  Rathgeber  sein.  Die  Abb- 
itattnng  ist  sehr  schOn.  C.  B.  R. 


▼•itatwotO.  BiMlMtettr  Ihr.  Friadrieh  Oitt«».  JtaBlidniek«f«i  Jalia»  Kliakhardt,  LdytiB. 


Digitized  by  Google 


Der  iitensiTe  Uiterriekt 


Von  RealgyuiQadialdirector  Dr.  Drotike- Trier. 

ßei  den  Berathnngen  der  bekannten  Berliner  Schnlcommission 
wurde  beBonderes  Gewicht  auf  den  ,4nten8iTen**  ünterricht  gelegt, 
von  dem  man  hoffte,  dass  dorch  ihn  vollständig  ersetzt  werde,  was 
dnreh  die  Verminderung  von  Lehrstunden,  sowie  der  hftndichen  Auf- 
gaben und  dureb  die  recht  wesentliche  Einschrftnknng  der  einzelnen 
Fficher  zweifellos  verloren  gehen  müsse.  Wir  wollen  heute  nicht 
untersuchen,  ob  nicht  in  einer  richtig  geleiteten  Schule  der  üntenicht 
wirklich  intensiv  ertheilt  wird,  so  dass  das  Minimum  der  häuslichen 
Arbeiten  bereits  dort  eingeführt  ist,  ob  nicht  die  bislierige  Art  der 
Abitnrientenpriifuugen ,  sowie  die  immer  c^rößeren  Anforderungen  an 
die  Scliüler  seitens  der  aofsichtfllhrenden  Behörden  den  wesentlichsten 
Theil  der  Schuld  tragen,  wenn  noch  an  vielen  Orten  die  Schuljugend 
unter  der  Arbeit  seufzt;  wir  wollen  auch  nicht  untersuchen  (eine  sehr 
dankbare  Aufgabe!),  wie  weit  an  der  nicht  genüi?(Mi(l  kräftigen  Ent- 
wickelung  der  Jugend  das  Haus  die  Scliuhl  trägt  und  Umstände  mit- 
wirken, die  ganz  außerlialb  der  Macht  der  Schule,  wol  aber  dem 
Arzte  sehr  nalie  liegen;  wir  wollen  den  intensiven  Unterricht  selbst 
einer  etwas  genaueren  Betrachtung  uuterzielien. 

Mathematisch  ausgedrückt,  ist  die  Intensität  einer  Kraft  die  Größe 
ihrer  Wirkung  in  der  Zeiteinheit;  der  Unterricht  ist  also  um  so  in- 
tensiver, eine  je  geringere  Zeit  verbraucht  wird,  um  dasselbe  Ziel  des 
T^'nterrichtes  /u  ei  i  eichen,  dem  Schüler  bestimmte  Kenntnisse  zum  klar 
bewussten,  daueriiden  Eigenthuin  zu  machen,  so  dass  er  diese  nicht 
blos  stets  im  Geiste  gegenwärtig  hat,  sie  also  auch  iui  geeigneten 
Falle  verwerten  kann,  sondern  dass  dies  Wissen  und  Können  auch 
sein  Wollen  und  Handeln,  seine  Denkungsart,  also  seine  sittliche 
Führung  beeintlusse.  Wodurch  aber  wird  diese  Intensität  vergrößert, 
Ulli]  unter  welchen  Bedingungen  ist  überhaupt  eine  größere  Intensität 
niöglicli?  Auch  hier  Nvird  der  Vergleich  mit  den  nieclianischen  Ge- 
setzen uns  Klarheit  verschaffen.    Es   ist  stets  die  Intensität  der 

Psdagogiam.    u.  Jahrg.  Heft  III.  11  j 

Digitized  by  Google 


—    138  — 


«jeleisteteu  Arbeit  direct  proportional  der  aufgewendeten  Ki'aft.  Bei  dem 
Unterrichte  sind  es  a>)er  zwei  Kräfte,  welche  das  Resultat  herbei- 
füliren,  die  in-oductive  des  Lehrers  und  die  receptive  des  Schülers. 
Und  die  Widerstände,  welche  bei  der  Arbeitsleistung  zu  überwinden 
sind,  d.  h.  die  Bedingungen,  von  denen  die  Wirkung  der  Ki*äfte  ab- 
hängt, sind  theils  in  dem  Lehrer,  theils  im  Schüler,  tiieils  aber  auch 
in  äußeren  V'erhältnissen  zu  suchen.  Wa,s  nun  zunächst  den  Lehrer 
betrittt,  so  niuss  ei-  während  des  «^a'sammten  Unterrichtes  in  nie  ruhen- 
der, lifespanntester  Aufmerk-samkeit  selb.st  den  Unterricht  ert  heilen 
und  gleichzeitig  alle  Schüler  im  Auge  behalten,  um  iiirer  Aufmerk- 
samkeit sicher  zu  sein:  nicht  einen  Moment  lang  darf  sein  Geist  an 
irgend  etwas  anderes  denken,  als  an  den  zu  belianilplnden  (TCgeustand 
und  an  die  Schüler,  kein  anderes  Bild  darf  seine  Sinne  scliwäclien, 
sein  Auge  nmss  klar  und  scharf  jederzeit  die  Mienen  der  Schüler  an- 
sclmuen,  um  aus  ihnen  zu  erkennen,  ob  sie  auch  das  Gesagte  liciitig 
erfassen,  mit  ganzer  Seele  beim  Untei liclite  sind.  Aus  diesen  For- 
derungen geht  hervor:  1)  dass  der  Lehrer  alles  das  meiden  muss,  was 
irgendwie  den  Unterricht  im  allgemeinen,  die  Aufmerksamkeit,  die 
volle  Hingebung  des  einzelnen  beeinträchtigen  kr»nnte;  es  sind  also 
alle  Xebenfragen  über  Dinge,  die  nicht  zu  dem  Unterricht  gehören, 
fernzuhalten,  Anspielungen  auf  Vorkommnisse  dürfen  nie  gemacht 
werden,  da  sie  gerade  die  geistige  Aufmeiksamkeit  ablenken  miissen; 
2i  dass  der  Lehrer  den  Unterricht  in  einer  mtiglichst  fesselnden  Form 
ertheilt,  er  muss  daher  nicht  blos  absoluter  Heri-  über  den  Stotf  sein, 
also  selbst  stets  sich  genau  vorbereiten,  um  auch  auf  jede  mit  dem 
bebandelten  Thema  in  Zusammenhang  stehende  Frage  gerüstet,  mit 
jeder  Seite  des  zu  betrachtenden  Unterrichtsgegeustandes  genau  be- 
kannt zu  sein,  sondern  vor  allem  mnes^er  selbst  an  der  Sache  ond 
an  ihrer  didaktischen  Behandlang  das  lebhafteste  Interesse  haben  und 
dies  auch  dnrch  die  Art  seines  Unterrichtes  d^  Schttlem  zeigen,  mag 
die  Methode  je  nach  dem  Stoffe  henrisUsch,  sokratisch,  akroamatisch 
oder  eine  andere  sein;  denn  nur  eignes  lebhaftes  Interesse  vennag  bei 
anderen  wieder  Interesse  zu  erregen  und  wachzuhalten;  es  müssen 
daher  diejenigen  Punkte,  welche  auf  derjbetreffenden  Entwickelungs- 
stufe  am  ehesten  die  Theilnahme  des  Schülers  erwecken  und  ihm  das 
klare  Verständnis  bringen,  hervorgehoben  werden;  denn  die  erstei« 
kann  ohne  das  zweite  nie  entstehen;  3)  dass  in  dem  Schüler  durch 
den  Unterricht  das  GefUhl  der  weiteren  Entwickelung,  das  Bewusst- 
sein  des  Fortschrittes  erzeugt]  wird;  denn  das  Geffthl  des  Stehen- 
bleibens liisst  nie  die  fiwudige,  hingebende  Arbeitslust  aufkommen;  4)  dass 


Digitized  by  Google 


—   139  — 


die  Methode  in  keinem  Fache  stets  dieselbe  sei,  sondern  sich  von  Fall 
zu  Fall,  je  nacli  der  geistigen  Stufe  der  Schüler,  nach  der  eignett 
pädagogisch-didaktischen  Kraft  des  Lehrers  und  nach  dem  gerade  be- 
handelten Gegenstand  ricliteii  muss;  wo  es  möglich  ist,  iiiuss  der 
Schüler  selbst  das  Nene  tinden,  den  Zusammenhang  zwischen  zwei  Er- 
selieinuneren  oder  die  Foliren  eines  Gesetzes  aufsuchen;  die  alte,  nach 
meinen  Erfahrungen  nocli  immer  nicht  <(eniigend  beachtete  Kegel,  dass 
jede  Fray-e  an  die  Classe,  nicht  an  den  einzelnen  Schüler  zu  richten 
ist.  muss  streu^^  durcli<>:etuhrt  werden:  auf  das  innere  Vei-standnis  ist 
möglichst  früh  starkes  (lewiclii  zu  le^en,  da  niclit  das  gedankenlose 
Aufnehmen  in  das  Gedächtnis,  sondern  nur  das  klare  Eindringen  in 
den  Zusammenhang  der  Dinge  die  dauernde  geistige  Tiieilnahme  sichert. 

Nacli  dem  Vorstellenden  sind  die  Anforderungen  an  den  Lehrer 
sicher  keine  geringen  und  ilire  ErfüHung  bez.  Beachtung  sind  von 
einer  Reihe  von  Umständen  abhängig,  die  von  den  Lehrern  selbst, 
von  dem  Director  und  von  den  Behörden  wol  zu  berücksichtigen  sind. 
Da  ist  zunächst  die  jjhvsische  Kraft  des  Lehrers.  Wer  je  seinen  Unter- 
richt im  vollen  Sinne  intensiv  gegeben  hat,  der  weiii.  dass  es  unuiög- 
licli  ist.  Tag  für  Ta^  mehr  als  zwei  solcher  Stunden  nacheinander  zu 
ert heilen.  Müsste  ein  Anwalt,  mit  der  vollen  Intensität,  wie  hier  an- 
genommen, Tag  fiir  Tag  arbeiten,  wochenlang  ohne  jede  Unter- 
brechung, z.  B.  tagtäglich  eine  drei-  bis  vierstündige  Rede  halten,  so 
wfirde  er  bald  zusammenbrechen.  Erst  nach  einer  Bohepanse  wii-d 
der  Lebrer  im  Stande  sein,  in  gleicher  Welse  weiter  zu  nntenichteii. 
Jeder,  der  Neigung  dazu  hat,  sieh  dem  Lehrfiiche  zu  widmen,  frage 
sich  daher  zuerst,  oh  er  stark  genug  ist,  die  Anstrengungen  auszu- 
halten Schon  jetzt  sind  die  Mühen  des  Lehrerstandes  sehr  auf- 
reibend. Zählten  doch  die  Rheinischen  Lehrercollegien  1888  nur  - „ 
unter  ihren  MitgUedeni,  welche  40  bez.  mehr  Jahre  im  Dienste  ge- 
standen hatten,  und  noch  nicht  6**/«,  welche  ein  Dienstalter  von  Aber 
30  Jahren  erreicht  hatten!  In  welchem  andern  Stande  ist  ein  so  nn- 
gOnstiges  Veriiältnis  zu  finden? 

Um  den  Lehrer  nicht  unnöthig  aufisureiben,  ihn  doch  möglichst  - 
lange  zu  erhalten,  muss  der  Stundenplan  mit  größter  Torsicht  ange- 
fertigt werden.   Schon  jetzt  ist  es  nicht  leicht,  nur  unter  Beiück- 
sichtigung  der  Lehrgegenstftnde  einen  guten  Plan  au&ustellen,  in  Zu- 
kunft wird  dies  noch  unendlich  viel  schwieriger  sein. 

Sodann  muss  die  Arbeitsfreudigkeit  und  Geistesfrische  des  Lehrers 
stets  vorhanden  seb;  er  selbst  muss  daher  ein  heiteres  Gtoüth  be- 
sitzen, es  verstehen,  mit  den  Schfllem  jung  zu  sein,  in  ihren  heiteiii 

II* 

Digitized  by  Google 


—   140  — 


Lebensanschaimngen,  ihrem  frischen,  fröhlichen  Handeln  nicht  überall 
Unbotmäßigkeit  oder  schlechten  Geist  wittern.  Ein  grämlicher  Lehrer 
kann  viel,  viel  verderben.  Die  Stellang  und  das  Einkommen  des 
Lehrers  muss  aber  auch  so  sein,  dass  ihm  nicht  die  tägliche  Sorge  um 
die  Existenz  seiner  Familie  und  seiner  selbst,  nicht  die  stete  Zurück- 
setzung, der  er  noch  heute  in  allen  Verhältnissen  in  geradezu  gehäs- 
siger Weise  ausgesetzt  ist.  jeden  Lebensmuth  nelimen.  Es  soll  ja 
hierin  eine  Wandlung  geschalten  werden.  Vor  allem  aber  ist  dann 
auch  die  Ausdelinung  des  Relictengesetzes  auf  alle  Lehrer  ein  absolut 
dringendes  Erfurdeniis.  Welche  Begeisterung  soll  es  im  L^lii  er  einer 
städtischen  Anstalt  erzeu;^en.  wenn  er  bedenkt,  dass  mit  seinem  Tode 
Frau  und  Kinder  dem  Elende  oder  der  ööentlichen  Woltliäti^keit 
anheimfallen?  Welche  Gefühle  müssen  erwachen,  wenn  ein  im  Dien.st 
ergrauter  l)irector  bei  öftentliclien  Festlichkeiten  trotz  der  Kgl.  Ca- 
binetsordre  vom  2H.  December  seinen  TMatz  hinter  den  jüugsten 
Käthen  von  Landgericht  und  Regierung  angewiesen  erhält? 

Die  receptivft  Thätigkeit  der  Schüler  bedingt  ebenfalls  den  Erfolg 
aucli  des  intensivsten  Unterrichtes  des  besten  Lehrers.  Möglicli.st 
gleichförmige  intellectuelle  Bildung  der  sämmtlichen  Schüler  ist  hier 
die  Grundbedingung.  Gleiche  Beanlagung  der  aus  den  verschiedensten 
Krei.sen  stammenden  Schülei-  ist  nie  zu  erwarten.  2:lei<-h  «rute  Kennt- 
nisse, ja  auch  nur  gleiche  geistige  Stärke  tür  ein  scharfes  Achtgeben 
sind  nie  zu  hoffen.  Je  größer  aber  der  Unterschied  zwischen  den 
einzelnen  Schülem  in  dieser  Beziehung  ist,  um  so  weniger  wird  ein 
intensiver  Unterricht  ausrichten  können,  wenn  nicht  von  vornherein 
daranf  verzichtet  wird,  wenn  auch  nicht  aUe,  so  doch  die  grOBte  Zahl 
der  Schfller  eiiier  dasse  regebnftßig  weitenofUhren.  Daher  wird  es 
noch  mehr  Pflicht  wie  frOher,  schon  von  den  unteren  dassen  an  die 
Schttler  za  individoalisiren  nnd  sehSrfer  bei  der  Versetsong  vorzu- 
gehen. 

Zu  den  äußeren  Umständen,  welche  von  wesentlichem  Einflüsse  auf 
die  Erfolge  eines  intensiven  Unterrichtes  sind,  hebe  ich  als  die  wich* 
tigsten  hervor:  die  Erscheinung  des  Lehrers,  die  Zahl  der  SehQler 
einer  Classe  und  endlich  das  Classenzimmer  nach  seiner  GMalt,  Größe, 
Beleuchtung  und  inneren  Einrichtung.  Der  Emst  und  die  Würde  des 
Lehramtes  muss  sich  auch  im  Äußern  des  Lehrers  kundgeben;  wol 
kann  die  geistige  Überlegenheit,  die  Begeisterung  für  den  Unterrichts- 
gegenstand, die  sich  auf  dem  Gesichte  des  Lehrers  zeigt,  manchen 
Mangel  an  der  Erscheinung  desselben  den  Schülern  veiigessen  machen, 
aber  das  Auftreten  und  die  Tracht  dürfen  ebensowenig  eine  lächer- 


Digitized  by  Google 


—   141  — 


liehe  Eitelkeit  als  eine  absolate  Vernachlääsigiing  der  äulieren  Perädn- 
liclikeit  zeigen;  beides  setzt  den  Lehrer  in  den  Augen  der  Schüler 
und  auch  der  EUtern  derselben  heranter,  ist  gaeignet.  die  Aufmerk- 
samkeit der  ersteren  auf  die  Person  zu  lenken,  gegebenen  Falles 
sogar  den  Spott  herauszafordem,  während  geiade  das  Beispiel  des 
Jugenderziehers  aiif  die  Knaben  wirken,  sie  zu  richtiger  Wert- 
schätzung der  Persönlichkeit  unbewnsst  anregen  soll. 

Die  Zahl  der  Schüler  soll  nach  den  Beschlüssen  der  Commission 
in  keiner  Classe  über  vierzig  betragen;  bei  stetem  intensiven  Unter- 
richt, der  bereits  für  die  unteren  Classen  eine  vollständig  indivi- 
duelle Behandlung  der  einzelnen  Schüler  voraussetzt,  ist  diese  Zahl 
eher  zu  groß  als  zu  klein;  vor  allem  aber  ist  darüber  zu  wachen, 
dass  diese  Zahl  auch  wirklich  nie  mehr,  auch  niclit  in  den  unteren 
(lassen  überschritten  wird!  Wird  nun  nicht  mehr  gestattet,  dass  in 
allen  Classen  Doppelcöten  eingefühi't  werden,  dann  wird  sich  erfah- 
rungsgemäß die  Gesammtschiilerzahl  einer  Anstalt  auf  etwa  H10(?  D.  R.t 
stellen  (  tür  die  8  unteren  Classen  je  40,  für  die  3  mittlereu  je  30.  tur  die 
3  oberen  je  20i.  Würden  aber  wieder  DoppelcCtten  eingeführt,  und 
diese  müssen  für  alle  (  lassen  eingerichtet  werden  oder  für  keine i, 
so  ergibt  sich  die  absolut  unzulässige  Zahl  von  über  tUK)  (?  1).  K.i 
Schülern.  (Die  Maximalzahl  von  400  fin-  eine  Anstalt  stimmt  nicht 
mit  der  angenommenen  für  die  einzelnen  Classen.» 

Die  Schulräiuiie  in  ihrei'  inneren  Einrichtung  sind  in  den  letzten 
Jahren  ein  wahres  Versu<  lisfeld  für  berufene  und  unberufene  sog. 
Sachverständige  gewesen.  Aber  trotz  aller  schönen  Autsätze,  trotz 
aller  Zahlentabellen  über  die  Dimensionen  der  Bänke,  über  die  Große 
und  Höhe  der  Räume,  über  die  Größe  der  Fenster  u.  s.  f.  ist  leider 
eine  sehr  große  Zahl  von  Olassenzimmern  aach  heute  noch  nicht 
den  Anforderungen,  die  man  bei  intensivem  Unterrichte  stellen  mnas, 
entsprechend.  Der  Lehrer  mnss  von  seiner  Stelle  ans  (Katheder, 
Tafel)  sämmtUche  Schttler  mit  einem  Blick  überschauen  können;  es 
darf  daher  das  Classenzimnier  weder  zu  lang  noch  zu  brdt  sein;  wenn 
z.  B.  54  SchtUer  zu  je  4  Schttlem  in  Bänken  hintereinander  sitzen, 
wie  soll  der  Lehrer  diejenigen  in  der  vierzehnten  Bank  noch  von 
Tom  übersehen?  Oder  wenn  60  Schttler  in  3  Reihen  von  Bftnken  zu 
je  6  sitzen,  also  5  Reihen  hintereinander,  so  gibt  es  auch  kdne  SteUe 
hn  Zimmer,  von  der  ans  auch  der  begabteste  Lehrer  gleichzeitig  alle 
flbersehen  kann.  Die  beiden  gewählten  Beispiele  sind  mir  in  meiner 
Thfttigkeit  an  einer  Anstalt  vorgekommen.  —  Die  richtige  Einrichtung 
der  Bänke  scheitert  noch  immer  an  der  einen  Thatsache,  dass  die 


Digitized  by  Google 


—   142  — 


OrOfie  (und  auch  das  Alter)  der  Schüler  einer  Classe  sehr  verschieden 
ist  und  selbst  in  einem  Jahre  oft  sehr  stark  wechselt  Ein  gi  oßer  Fehler 
ist  es  bei  vielen  Bänken  neuerer  Construction,  dass  sie  auf  den  Boden 
festüiescb raubt  werden  mflesen,  also  nicht  verrückbar  sind,  und  dass 
sie  zu  viele  bis  nahe  zam  Boden  raiGhende  £isen-  bez.  Holztheile 
besitzen  ;  infolgedessen  ist  die  ordnungsmäßige  Beinigung  nicht  möglich. 

Die  Vortheile,  die  man  von  dem  intensiveren  Unterricht  erhofft, 
sind  die  größeren  Leistungen  in  geringerer  Zeit,  namentlich  auch  die 
Verlegung  der  hauptsächlichsten  Lernarbeit  in  die  Schule,  d.  h.  die 
Entlastung  des  Schülers  von  häuslicher  Arbeit,  damit  die  Jugend  sich 
mehr  köi*perlichen  Übungen  liingeben  könne.  Ob  dies  aber  in  <b^m 
Grade  möglich  ist.  nmss  erst  die  Erfalnunof  leliren.  Um  bei  <lem 
früheren  Vergleiche  /u  bleiben,  so  kann  eine  bestimmte  Kraft  in  einer 
bestimmten  Zeit  auch  nur  eine  gewisse  Arbeit  leisten;  die  Kiatt  ist 
hier  die  des  Lehrers,  sie  kann  ebensowenig  wie  die  des  Dampfes  in 
einem  Kessel  beliebig  hoch  gespannt  werden;  andereiseits  ist  die  Ar- 
beitsleistung einer  Maschine  abhängip-  von  den  Reibungswiderständen 
und  der  Größe  der  Last:  bei  größerer  Krafteniwickelnng  wir<l  aber 
die  Arbeit  nicht  i)roi»ortional  vergrr»ßert.  vieimeiir  werden  die  A<  lisen- 
lager  u.  s.  f.  erhitzt,  die  Maschine  verdorben  und  statt  siößereu 
(•rewinn  zu  erzielen,  hat  man  scliweren  Verlust.  Der  (4eist  des  Kindes 
kann  innerhalb  einer  bestimmten  Zeit  nicht  beliebig  viel  in  sich  auf- 
nehmen und  zu  seinem  festen  Eigenthum  machen:  öftere  Wieder- 
holungen, langsames,  ganz  allmäldiches  Fortschreiten  sind  nr.thig, 
wenn  der  Wissenstotf  auch  dauernd  dem  Schüler  übermittelt  werden 
soll.  Vier,  ja  fünf  Stunden  intensiven  Unternchtes  uaciieinandt  i  hält 
kein  Lehier,  noch  viel  weniger  aber  ein  Scliüler  aus.  Wol  hat  es 
stets  einzelne  Lehrer  gegel>eu,  die  intensiven  Untei  iicht  gegeben  haben; 
ich  selbst  bekenne  auch,  dass  ich  dies  gem  gethan  habe;  aber  wenn 
dies  geschah,  dann  wollte  kein  anderer  Lehrer  die  dai'autfolgende 
Stunde  ertheilen,  weil  die  Schüler  so  abgespannt  waren,  dass  sie  gar 
nichts  mehr  leisteten.  Mit  Bfleksicht  darauf,  dass  die  Schiller  in  allen 
Untenrichtsstnnden  noch  eine  gewisse  geistige  Frische  haben  müssen, 
damit  nicht  eine  ungleichförmige  Bildmig  erzengt  werde,  habe  ich  die 
Sache  ändern  mflssen;  und  wenn  auch  die  Schiller  fast  völlig  frei  von 
häuslichen  Arbeiten  und  Wiederholungen  sind,  so  habe  ich  dies  nur 
durch  wesentliche  Beschränkung  des  Unterrichtsstoffes  erreichen  können. 
Und  da  sind  wir  an  dem  Hauptpunkte  angekommen:  auch  bei  inten- 
siverem Unterrichtebetriebe  als  bisher  ist  nur  dann  ein  Erfolg  möglich, 
wenn  die  Lehrziele  in  allen  Fächern  wesentlich  vmingert  werden. 


Digitized  by  Google 


—    143  — 


Eine  dahin  trehende  Bestimmung-  mnss  sich  in  ei-ster  Linie  an  die  die 
Aufsicht  fiihi'enden  Behörden  wenden:  Directoren  und  Lehrer  müssen 
sirh  stets  nach  diesen  richten  und  von  den  Schülern  dasjenige 
verlan^^en.  was  von  den  Rathen  im  Examen  und  bei  Kevisionen  ge- 
fordert wird. 

Als  wiehtig-stes  Mittel  zur  Verhütung-  einer  ('beranstrentrung  der 
Si'hüler  sclieint  die  nnrchführungf  des  Classenlehrersystems  empfohlen 
zu  sein.  An  ordentlich  geleiteten  Schulen  besteht  dies  bereits  meist, 
nur  ist  \ielfach  eine  noch  weiteie  Durchtührung  dessell»en  unmöglich, 
weil  die  Lehrkräfte  nicht  deiuput sprechend  sind.  Wo  gibt  es  z.  H. 
einen  Lehrer,  der  in  Deutscli.  Latein,  (Tiic<'hi.sch,  Französisch  und 
(nach  den  neuen  Vorschlägen*  Knglisch,  daneben  aucli  vielleicht  in 
Geschichte  in  Secunda  gut  unterrichten  kann?  Wo  einen  solchen,  der 
diese  Bürde  auch  dauernd  tiagen  kann?  Wenn  bis  jetzt  in  einzelnen 
Anstalten  das  Classenlehrei'system  noch  zu  mangelhaft  ausgel)ildet  ist, 
so  trittt  nicht  blos  dem  Director.  der  die  Vorschläge  dazu  gemacht 
hat.  sondern  mehr  noch  die  Behörde  der  Vorwurl'  dass  sie  solch  eine 
durch  und  durch  unpädagogische  Vertheilung  des  Unterrichtes  ge- 
nehmigt, vielleicht  sogar  den  betr.  Director  besonders  ausgezeichnet  hat. 

Noch  einen  Punkt  mochte  ich  hervorheben:  es  ist  der  ethische 
Wert  der  häuslichen  Arbeiten.  Die  Aufgaben,  die  der  Schttler  außer- 
halb  der  Classe  machen  soll,  sind  nicht  blos  bestimmt,  das  Wissen 
and  Können  zu  befestigen,  sondern  sie  sollen  auch  die  Jugend  daran 
gewöhnen,  den  eigenen  WiUen  zn  fiben,  die  Willenskrait  zu  stärken, 
die  Arbeit  als  eine  Pflicht  und  als  ein  Recht  anzusehen,  ihre  Zeit 
einzntheilen  und  mit  ihr  hanshftlterisch  umzugehen;  wer  in  den  jungen 
Jahren  es  nicht  lernt,  selbststftndig  zu  arbeiten  (je  intensiYer  der  Unter- 
richt wird,  um  so  mehr  wird  dor  SehQler  zn  rein  receptiver,  unselbst- 
ständiger  Arbeit  angeleitet),  die  Erholung  nur  als  nothwendige  und 
erwOnschte  Stärkung  von  Geist  und  Körper  anzusehen,  um  sich  desto 
eifriger  wieder  der  PflichterflUlung  zu  widmen,  der  wird  auch  im 
Leben  nicht  ein  brauchbares  Mitglied  der  menschlichen  Oesellschaft 
werden;  ftlr  ihn  ist  und  bleibt  die  Arbeit  ein  Fluch,  und  er  selbst  ist 
und  bldbt  ffir  seine  Mitmenschen  ein  Ballast;  wehe  dem  Staate  und 
der  Gesellschafti  wenn  die  leitenden  Kreise  nicht  die  intensive  Arbeit 
als  ihr  unreränfterbares  Recht,  als  ihre  heiligste  Pflicht  ansehen! 
Jene  Answttchse,  welche  in  der  Jugend  jeden  Keim  der  fröhlichen 
Lebenslust  erstJdran  wollen,  sind  Gk>tt  Dank  doch  nur  selten;  wo  sie 
sich  flnden,  da  sollen  die  Behörden  rilcksichtslos  einschreiten,  das 
eiternde  Giftgeschwür  ans  dem  gesunden  Organismus  ausschneiden. 


Digitized  by  Google 


—    144  — 


Abel  man  hüte  sich  umgekehrt,  eine  Jugend  heranzubilden,  die  keine 
Selbstständigkeit  kennt,  die  Arbeit  neben.sachlich  behandelt  und  die 
kiirperliclie  Kraft  über  das  geistige  K<)nnen  setzt;  nur  eine  harmonische 
Ausbildung  der  körperlichen  und  der  geistigen  Kräfte  muss  das  Ziel 
der  Jugenderziehung  sein  und  bleiben. 

Man  erwarte  von  einer  intensiveien  Unterrichtsmethode  nicht  zu 
viel;  jedenfalls  wird  sie  viel  mehr  Kräfte  verbrauchen  bei  Lehrern 
imd  bei  Sch&toni;  die  Zalil  der  letzteren,  welche  nicht  ihr  Ziel  errddiea, 
wird  stark  anschweHen,  die  gesundheitlichen  VerhAltnisse  werden 
kaum  wesentlich  bessere  werdoi,  wenn  okht  auch  die  Lemziele 
bedeutend  yenringert  werden.  Was  aber  zweifellos  stark  wadisen 
wird,  das  sind  die  Ausgaben  für  die  Schulen. 


Digitized  by  Google 


über  Beral'äireudigkeit. 

Yoii  Bectw  Th,  XofMlmaiiit-iScAwef«. 

Ijust  und  Liebe  zur  amtlichen  Thätigkeit,  also  pBerutisfreudig- 
keit",  bedarf  wol  kein  Stand  noth wendiger  als  der  Lehrstand.  Ab- 
gesehen davon,  dass,  was  ja  selbstverständlich  ist,  jede  Thätigkeit  unter 
den  segensreichen  Fittichen  der  Herufsfreudigkeit  besser  gedeiht,  reichere 
Erfolge  aufzuweisen  hat,  wirkt  sie  auch  anl  egend,  erfrischend  und  be- 
fruchtend auf  die  Umgebung,  auf  die  Mitarbeiter  oder  sonst  irgendwie 
mit  der  Thätigkeit  in  naher  Beziehung  Stehenden.  —  Unlust  dagegen, 
A\'iderwillen  oder  auch  nur  Gleichgültigkeit  sind  schlechte  Förderer 
der  Arbeit  und  üben  einen  lähmenden,  hemmenden  Eiufluss  auf  die 
Umgebung  aus.  Mag  der  Mangel  an  Freudigkeit  in  den  meisten 
Beroiisarten  durch  ernste  Pflichtü-eue  ersetzbar  sein,  —  in  dem  Lehr- 
amte  ist  er  es  nicht!  Dort  leidet  nnr  ein  einzelner  Mensch  und  etwa 
noch  eine  geringe  Ansahl  von  ErwaehseiieD,  die  mit  Jenem  geschftftlich 
in  Berflhrung  kommen;  hier  aber  leidet  eine  ganze  Einderschar;  denn 
die  Lust  oder  ünlnst  des  Lehrers  überträgt  sich  naturgemäß  ond  aus- 
nahmslos auch  anf  die  Kinder.  Ein  ftisches,  frendiges  Wesen  des 
Lehrers  wirkt  anregoid  ond  bebend  auf  die  noch  unentwickelten 
Geister  der  Kinder;  ein  mattes,  nnlnstiges,  geqnftltes  Unterrichten  be- 
wirkt das  G^egentheil;  die  geistige  glftckliche  Entwickelung  der  Schfller 
hangt  in  der  That  wesentlich  von  der  mehr  oder  weniger  firendigen 
Stimmung  ihrer  Lehrer  ab.  Doch  das  ist  eine  alte  Wahrheit»  die 
mdes  genflgend  beweist,  dass  vorzugsweise  dem  Lehrstande  um 
der  Jugend  willen  Beru&freudigkeit  nothwendig  ist 

Es  verlohnt  sich  daher  wol  der  Ktthe,  einmal  etwas  eingehend 
den  Umständen  nachzuspüren,  von  denen  die  Berufsfreudigkeit  der 
Lehrerwelt  mehr  oder  weniger  abhSngig  ist,  zumal  sich  dieselben  zum 
Theü  der  Kenntnisnahme  deijenigen  Männer  entziehen,  die  mit  ihrem 
Einlluss  und  ihrer  Macht  wesentlich  auf  eine  erhöhte  Berufsfreudigkeit 
der  Lehrer  hinwirken  könnten. 


Digitized  by  Google 


—    146  — 


Als  die  vesentlichsten  Bedingangen,  anter  velclien  ein  Lehrer 
freudig  seines  Amtes  walten  könnte,  dürften  ohne  Zweifel  folgende 
anzusehen  sein: 

1.  Ein  Iiehrer  mnss  .inneren  Beruf"  für  sein  Amt  fühlen;  er 
soll  mit  ausgesprochener  Neigung  Pädagoge  werden. 

2.  Er  mnss  in  den  Vorbereitongsanstalten  für  seinen  Beruf  zweck- 

gemaß  und  würdig  vorbereitet  werden. 

8.  Tritt  er  in  seinen  Beruf  ein,  so  soll  er  materiell  so  gestellt 
werden,  dass  er  von  seinem  Einkoramen  bei  bescheidenen,  seiner  Stellung 
angemessenen  Anspiüchen  sorgenfrei  leben  kann. 

4.  Er  muss  bei  der  Gründung  seiner  „Häuslichkeit-'  Vernunft  und 
Herzensneigung  walten  lassen,  damit  das  Familienleben  nicht  einen 
störenden,  sondern  erfrischenden,  fördernden  Einfluss  auf  seine  amtliche 
Thätigkeit  ausübe! 

n.  At  last,  not  at  least  —  bedarf  er  in  seinem  schweren  Amte 
auch  der  wol wollenden  Unterstützung  seitens  seiner  „Vorgesetzten", 
d.  Ii.  der  Männer,  die  staatlich  verpflichtet  sind,  seine  Thätigkeit  zu 
überwachen  und  zu  fordern! 

Wenn  wir  zunächst  diese  fünf  Punkte  als  die  wesentlichsten  iie- 
dingungen,  unter  denen  eine  ..amtliche  Freudigkeit"  möglich  ist.  an- 
erkennen, so  ist  es  klar,  dass  die  Berufsfreudigkeit  nur  zum  Tlieil  in 
der  Hand  der  Lehrer  lieert.  dass  dieselbe  dagegen  auch  vielfach  von 
aullen  her  gegeben  oder  gentmimen.  erhöht  oder  verndudert  werden 
kann.  Eltern,  Lehrer,  uanieutlich  aber  niedere,  hohe  und  h«»(liste 
Vorgesetzte  haben,  je  nachdem  sie  wol-  oder  übelwollend  vertahreu, 
einen  großen  Kiutluss  auf  ..Lust  oder  Unlust  -  des  Jjehrerstandes. 

Wie  die  Neigung  überhaupt  bei  der  Wahl  des  Berufes  für  den 
.lüncrling  entscheidend  sein  soll,  so  ist  sie  im  besonderen  von  htichster 
Wichtigkeit  bei  der  Kutscheidunu^  tur  den  pädagogischen  Beruf.  Wer 
ohne  innere  Neigung,  wol  gar  mit  Abneiguug,  etwa  durch  die  Lebens- 
verhältnisse genöthigt  oder  um  des  ..Brotes"  willen  den  Lehrstand 
wählt,  kann  ja  wol  bei  tüchtiger  Vorbereituuu:  und  gewissenhaftem 
Ernste  seine  Pflichten  mit  einigem  Erfolg  ertiillen,  wird  aber  kaum 
je  mit  Toller  Betiiediguug  und  Freudigkeit,  also  auch  nicht  mit 
besonderem  Segen  wirken.  Es  kann  daher  nur  wünschenswert  sein, 
dass  sowol  alle,  welche  keinen  inneren  Beruf  fttr  das  Lehramt  ftthlen, 
demselben  fem  bleiben,  als  auch  dass  diejenigen,  welche  die  Herzens- 
neigung dazu  treibt,  sich  nicht  durch  änfiere  Umstände  verleiten 
lassen,  einen  anderen  Beru£azweig  zu  wählen,  sondern  sich  dem  ihnen 
von  Gott  gewissermaßen  zugewiesenen  Beruf  mit  ganzem  Interesse  in 


Digitized  by  Google 


—    147  — 


die  Arme  werfen,  unbekümmert  danun,  welches  materielle  Los  ihrer 
warte.  —  Diese  Forderung  klingt  ja  höchst  ein£Kh  nnd  selbstverständ- 
lich, —  und  doch  dfiiite  die  Dorchffihrung  derselben  nicht  so  gans 
leicht  nnd  einftch  sein.  Irren  ist  menschlich;  gar  zu  leicht  aber 
ULoschen  sich  junge  Leute  Aber  ihre  Anlagen  nnd  Flihigkeiten;  die 
äußeren  Verhältnisse  der  fiemf^arten,  unter  denen  ihnen  die  Wahl 
freisteht,  üben  auf  die  unerfahrenen,  den  sinnlichen  Eindrücken  noch 
sehr  zugänglichen  G^flther  naturgemäl!  einen  großen  Einfluss:  Zu- 
reden guter  Freunde  und  Bekannten,  die  kein  psyi  liolngisches  Ver- 
ständnis haben,  wirken  oft  genug  verderblicli  auf  die  Entschließung 
junger  Leute.  Selbst  die  eigenen  Eltern  führen  nicht  selten,  meist  in 
der  besten  Meinung,  ihre  Kinder  auf  einen  falschen  Weg.  —  Wer  es 
an  sicli  selbst  erfahren,  welcli  ein  Lebensunglück  es  ist,  in  einen 
falschen  Beruf  zu  gerathen,  der  darf  wol  ein  Wort  darüber  sprechen, 
—  ein  warnendes  Wort! 

Es  ist  sicher,  dass  in  vielen  Fällen  weder  der  Jüngling  selbst, 
noch  dessen  Filtern  oder  Angehrtrige  Einsicht  genug  haben,  die  richtige 
Berufswahl  /u  t reifen;  aber  auch  ebenso  sicher  ist  es.  dass  ans  der- 
artigen Mi>sgritten  viel  Unheil,  rnzufriedenheit  und  Unsegen  erwächst. 
Hier  ist  zum  TheiJ  die  (Quelle  so  manches  verfehlten  Lebens  zu  suchen. 
Hier  t^Witinet  sich,  meine  ich,  für  die  Sdnilen  ein  wahrhaft  sefrens- 
reiches  Feld  der  'l'h;iti<rkeit.  Wenn  die  Lehrer,  besonders  aber  die  in 
den  ersten  ('lassen  untt-nichtenden  Dirigenten  der  Scliule  f^s  sich  zum 
«Trundsatze  machen  würden,  bei  passender  (lelegenheit  wiederholentlich 
ernst  und  eindringlich  ül)er  die  l>evi>rstehende  Berufswahl  zu  sprechen, 
ihren  Schülern  )»esonders  ans  Herz  zu  legen,  dass  keine  aiidei  en  Gniiide. 
als  nur  die  eiyrene  Neitrung  und  Beanlagung  bei  der  ^^'ahl  de-  Be- 
rufs mal^jjeliend  sein  müsse  u.  s.  w.,  ja.  dann  künnte  so  maiicliem  nnlieil- 
vollen  >[iss}.n-itf  vorgebeugt,  so  manclies  Lebensunglück  vermieden  werden! 
Dass  dies  nicht  in  dem  wünschenswerten  Umfange  geschieht,  das  mag 
zum  Theil  auch  an  der  (Tewi.ssenhaftigkeit  mancher  Lehrer  liegen;  sie 
halten  es  tür  unrecht,  auf  Kosten  der  vorgescliriel)enen  Pensen  der- 
gleichen Gespräche  zu  tühren.  Und  doch  —  welcher  Segen  kann  für 
diesen  oder  jenen  der  Scliüler  aus  's(»lclien  Belehrungen  türs  ganze 
Leben  erwachsen,  während  ein  kleiner  Zuwaclis  an  Kenntnissen  dem 
gegenüber  wahrhaft  unwesentlich  erscheint!  Andere  wieder  halten 
überhaupt  von  allgemeinen  moralischen  Belehrungen  nichts,  weil  sie 
ja  doch  keinen  Eindruck  auf  die  jugendlichen  Gemüther  machen,  also 
nur  auf  Zeitrerschwendung  hinauslaufen.  Ja  —  wer  sich  so  wenig 
für  das  znkttnfdge  Wol  der  ihm  anvertraiten  Jugend  erwärmen 


Digitized  by  iioogle 


—   148  — 


kann,  dass  er  mit  seinen  Worten  keinen  Eindruck  zu  inaclien  glaubt, 
der  liefert  eigentlich  auch  schon  den  Beweis,  dass  er  seinen  Beruf  ver- 
fehlt hat  Ohne  Zweifel  thut  den  Zöglingen  vor  ihrer  Ent- 
lassung aus  der  Schule  eine  möglichst  eingehende  Aufklärung 
über  die  bei  der  Wahl  des  Berufes  inaligebenden  Grnndsätze 
noth.  Gelegenheit  dazu  wird  sich  bei  Behandlung  der  verschiedenen 
Unterrichtsfächer,  namentlich  aber  bei  Schulfestlichkeiten,  Entlas- 
sungen etc.  oft  und  ungezwungen  finden.   Man  wolle  sie  nur  benutzen! 

Es  folgt  die  Besprechung  des  zweiten  Punktes,  der  zweiten  Be- 
dingunir.  die  überaus  wichtig,  ja  unerlässlich  fiir  die  spätere  Berufs- 
freudigkeit  erscheint;  das  ist  die  würdige  und  zweckmäßige  Vorbe- 
reitung tür  den  Lehrberuf.  Sprechen  wir  zuerst  von  der  Vorhildimg 
der  später  an  liölieren  Lehranstalten  wirkenden  T^ehrer.  Die  eigent- 
lirlic  Stätte  ihrer  Vorbildung  ist  also  die  ..Universität".  Schon  vor 
Jahren  habe  ich  in  einem  Artikel  dieser  Zeitschrift  „Ein  ortenes  Wort" 
aut  die  Unzweckmäßigkeit  der  akademischen  Einriclitungen.  auf  die 
Verderbliclikeit  und  den  Missbrauch  der  sogenannten  .akaderai.sohen 
Freiheit""  hingewiesen;  mag  das  hie  und  da  Anstoli  erregt  liaben.  oder 
mag  man  mit  vornehmer  (Teringschätzung  darüber  hinweggegangen  sein 
—  ich  kann  nicht  lielfen,  noch  einmal  muss  ich  meiner  Überzeugung  Aus- 
druck geben,  wobei  ich  schlecliterdings  nur  das  Heil  der  studirenden 
Jugend,  nicht  aber  die  Fehde  gegen  die  Träger  der  heute  noch  auf 
den  Universitäten  herrschenden  Riehl ung  im  Auge  habe!  —  — 

Schon  von  den  Gymnasien  bringen  die  meisten  jungen  Leute,  die 
sich  dem  Schulfach  widmen  wollen,  —  denn  wir  sprechen  hier  nur 
von  diesen,  —  einen  gewissen  wissenschaftlichen  Dünkel  mit  und  eine 
im  ganzen  unreife  nnd  verkehrte  Lebensauffassung.  Sie  haben  auf 
dem  Gymnasium  Homer,  Sophokles,  Horaz  etc.  gelesen  und  haben  aus 
diesen  Schriftstellem,  deren  Lectflie  für  die  unreife  Jugend,  die  noch 
keine  LehenserfUirung  hat,  entschieden  gefilhrUch  ist,  neben  vielem 
Schönen  und  Guten  eine  fiüsche  Lehensweisheit  geschöpft.  Nor  zwei 
Punkte  seien  aus  dieser  fidschen  VorstellungsweiBe  hervorgehoben: 
einerseits  halten  sich  diese  jungen  Studenten  für  etwas  Bevorzugtes 
anderon  g^enflber,  die  nicht  denselben  Bildungsgang  durchgemacht,  und 
andrerseits  leben  sie  unter  dem  iirthttmlichen  Eündruck,  als  ob  der 
Zweck  des  Lebens  nur  —  gegenüber  den  gröberen  sinnlichen  Ge- 
nüssen der  niederen  StAnde  —  ein  verfeinerter  geistiger  Gennss  wäre; 
demgem&fi  sind  sie  auch  in  dem  fttr  die  später  von  ihnen  sn  erziehende 
Jugend  sehr  gefährlichen  Irrthum  befangen,  dass  das  von  ihnen  an- 
gestrebte Amt  nur  dazu  bestimmt  sei,  ihnen  selbst  Wolstaad,  Genuas 


Digitized  by  Google 


—    149  — 


und  Ehre  zu  bringen,  wälirend  sie  noch  keine  Ahnung  davon  haben, 
daas  ihre  znkünftif^e  Thätigkeit  im  Schulamte  der  Jugend  Nutzen  und 
Segen  schaffen  soll,  dass  es  später  die  Hauptsache  ist,  in  oneigen* 
nütziger  Thätigkeit  Glück  zu  verbreiten  und  hierin  seine  ganae  innere 
Befriedigung  zu  suchen.  Dieser  Geist,  den  die  jungen  Leute  aus  dem 
Gymnasium  mitbnngen,  findet  nunmehr  in  dem  akademischen  Leben 
und  Treiben  mannigfache  Nahrung.  Die  wissenschaftlichen  Studien 
werden  —  wenn  sie  überhaupt  in  den  ersten  Semestern  betrieben 
werden  —  in  einem  vollständig  über  das  Niveau  und  Bedürfnis  der  all- 
gemeinen Bildung,  die  doch  die  Schule  vermitteln  soll,  hinaus- 
gehender Weise  fortuesetzt.  Jeder  Studirende  wählt  sich  zwei  oder 
drei  Fächer,  in  die  er  sich  möglichst  vertieft,  während  er  in  analeren 
ünterriclitsgegenständen  selbst  die  Anforderungen  der  allgemeinen 
Bildung  vernachlässigt.  Im  übrigen  aber  wird  nunmehr  die  aus  dem 
Horaz  etc.  gewonnene  Theorie  des  Lehensgenusses  in  allen  mi »glichen 
Vanationen  ins  Praktische  iU)eisctzt.  Nun  heillt  es.  Nunc  est  biben- 
dum,  nunc  pede  libem  pulsanda  tellns;  —  (»der.  ..dulce  est  desipere 
in  loco"  u.  s.  w.  —  Heide  Kichtungen  des  akademischen  Lebens  sind 
offenbar  gleich  fälsch  und  veiderblich.  hie  Vertiefung  in  die  Fach- 
studien hat  zur  Folge,  dass  die  betreffenden  Studirenden  später  außer 
Stande  sind,  allgemein  bildend  auf  ihre  Zöglinge  zu  wirken;  in 
der  Neigung,  ihre  erworbenen  Kenntnisse  an  den  Mann  zu  bringen, 
gehen  sie  über  die  Grenze  der  zur  allgemeinen  Bildung  gehörenden 
Anforderungen  zum  Schaden  ihrer  Schüler  entweder  hinaus,  oder  sie 
fühlen  sich  unbefriedigt,  dass  sie  dies  nicht  dürfen,  und  unterrichten 
nnr  mit  halbem  oder  völlig  mangelndem  Interesse.  Beides  ist  gleich 
schlimm  fttr  die  zu  eniehmde  Jugend.  —  Durch  nichts  m  recht- 
fertigen ist  aber  das  Kdrper  und  Geist  verwttstende  »Knetpenleben" 
der  jungen  Männer,  die  dereinst  die  Trftger  der  Volksbildnng  und  der 
Volkswolfabit  sein  sollen!  Mag  mit  der  Beobachtung  des  stadentischen 
Gomment,  mit  den  hnmoristischen  „Bierorden**  und  Debattm  immerhin 
eine  gewisse  „Schulung  des  Geistes"  verbunden  s^,  die  geistige 
Richtong  kann  dadurch  wahrlich  nicht  in  die  rechten,  heilsamen 
Bahnen  gelenkt,  sondern  nur  abgelenkt  werden  von  allem  Guten  und 
Edeln.  ~  Die  geistige  Frucht,  die  aus  solchem  Leben  erw&chst,  ist 
einerseits  »geistiger  Hochmuth'*,  andrerseits  eine  gewisse  traurige 
„Blasirtheit''  und  Genusssucht,  die  oft  genug  die  später  zu  flber- 
nehmenden  ernsten  Berufiq^chten  als  eine  unliebsame  Last  empfinden 
läset  In  den  schonen  Jahren,  in  denen  die  noch  nicht  zu  voller  Kraft 
und  Harmonie  entwickelten  Körper-  und  Seelenkräfte  noch  der  sorg- 


Digitized  by  Google 


—   löO  — 


saiii.^teu  i*llege  und  Ausbildung-  Itedürlen,  werdt^u  diese  von  (jott  dem 
Menschen  zu  seiner  Beglückung  verliehenen  Kräfte  zum  großen  Theil 
in  einer  wahiluift  frevelhaften  Weise  geschwächt  und  vergeudet.  Wie 
aber  ist  diesem  alt  eingebürgerten  Treiben  Einhalt  zu  thun  oder  vor- 
zubeugen? I  Kirch  Verbot  oder  äußeren  Zwang  uieine  ich  niclit.  Nein  — 
vielmehr  ist  die  heilende  Wurzel  in  die  (rymnasien  zu  verlegen.  L>iese 
sollten  es  sich  zur  Aufgal>e  uiaclieii,  die  zur  Universität  abgehenden 
Jünglinge  so  vorzubereiten,  dass  sie  nicht  nur  einen  klaren  Einblick 
in  die  Getähien  des  heutigen  Studenteulebens  und  in  die  allein  richtige 
und  heilsame  Verwertung  der  schönen  Studienjahre  zur  Universität 
mitbringen,  sondern  dass  sie  sogar  mit  Abscheu  vor  solch  schalem, 
frevelhaftem  Treiben  ei-füllt  werden!  Durch  derartige  enjste,  wieder- 
holte und  nachdrückliche  Belehrungen  der  Primaner  würde  wahrlich 
mehr  Heil  verbreitet  werden,  als  durch  die  geisty<d]8ten  Erkliningeii 
nrnteressanter"  Stellen  ans  den  Ghissikem  u.  s.  w.!  Durch  solche 
Episoden  dürfte  so  manches  Jünglings  Lebensglück  begründet  oder 
gerettet  werden,  während  jene  „gelehrten  Kenntnisse**  den  SchOlem 
nnr  einen  flüchtigen  Gennss  gewähren,  ihren  geistigen  Dünkel  ver- 
mehren, im  günstigsten  Falle  wol  auch  ein  wenig  zur  Schärftmg  des 
Verstandes  beitragen.  Doch  —  ich  will  mich  begnügen,  noch  einmal 
auf  diesen  „ErebsschAden**  des  Universitätslebens  in  der  HolBiang  hin- 
gewiesen SU  haben,  dadurch  gewichtigeren  Stimmen  Anregnng  gegeben 
zu  haben,  sich  gegen  diesen  alten  verderblichen  »Zopf  zu  erheben!  — 
Und  wenn  an  die  Stelle  der  gelehrten  fachwissenschaftüchen  Vorträge 
Vorträge  treten  würden,  welche  den  späteren  Volksbildnern  volles 
Verständnis  für  ihren  schönen  Bemf,  Lust  nnd  Liebe  zu  dem- 
selben zu  vermitteln  geeignet  wären,  sollte  das  auf  ihre  zukünftige 
Bernfsfrendigkeit  und  erfidgreiche  Wirksamkeit  nicht  von  bei  weitem 
günstigerem  Einfluss  sem?!  —  Ohne  Zweifid.  Becht  eingehende,  warm 
gehaltene  ethische,  philosophische  und  pädagogische  Vorlesongen  dürften 
zweckmäßig  den  Kern  der  akademiselien  Stadien  bilden.  Vorlesungen 
über  Philnsophie,  Logik,  Psychologie,  Ethik,  Oesundheitslehre,  Päda- 
gogik, Unterrichts-  und  Erziehnngslehre,  Geschichte  der  Erziehung 
und  des  Unterrichts  u.  a.  sollten  in  den  Vordergrund  treten  und  nicht 
wie  bisher  als  Nebensache  bt^handelt  werden.  Dagegen  könnten  eine 
Menge  fadiwissenschaftlicher  Vorlesungen  fallen  oder  doch  ohne  Nachtheil 
erheblich  beschränkt  werden;  denn  der  Vortheil  dieser  Vorlesungen 
ist  doch  nnr  eine  dürre  Frucht,  die  kein  lebensfähiges  Samenkorn 
enthält.  Von  großer  Wichtigkeit  aber  wäre  es,  wenn  das  kaiserliche 
Wort:  ,.£iu  jedei*  Lebi-er  soll  turnen  und  täglich  turnen"  auch  aut 


Digitized  by  Google 


—   161  — 

r 

die  Univeisitäteu  Anwendung  fäudel  Wenn  jede  Universität  einm 
Turnplatz  nehst  Turnlialle  hätte,  wenn  akademische  Turnlehrer  ange- 
stellt wartMi.  wenn  täglich  eine  Stunde  fiii  die  zukünftigen  Schulmänner 
angesetzt  würde,  in  der  sie  ihre  Kürjierkiäfte  und  somit  auch  ihr  gei- 
stiges Leben  kräftigen  konnten,  statt  in  bursciiikosen  Vergnügungen 
Körper  und  Geist  zu  schwächen  und  zu  zerrütten,  oh.  welch  ein  großer 
Gewinn  wäre  das!  —  Nicht  nur.  dass  die  dadurch  gewonnene  leibliche 
und  geistige  Kraft  den  einzelnen  Studirenden  und  später  deren  Zög- 
lingen zu  gute  kommt,  nein,  es  hat  dies  auch  eine  praktisdie  Seite. 
Es  würde  dann  jeder  Lehrer  dereinst  belahigt  sein,  ohne  weiteres 
den  Turu-Unterricht  seiner  (.'lasse  zu  übernehmen.  Wir  würden  dann 
allmählich  dahin  kommen,  dass  jede  Schuldasse  täglich  eine  Stunde 
den  Leibesübungen  widmen  könnte  —  und  wer  wollte  leugnen,  dass 
dies  überaus  wünschenswert  wäre?!  — 

So  viel  einstweilen  über  die  Universitäten,  als  Vorbereitungs- 
anstaltcn  für  das  höhere  Lehrfach.  Auf  die  Vorbereitungsantalten  fiir 
das  niedere  Lehifach  komme  ich  wol  später  noch  einmal  zurück;  hier 
an  dieser  Stelle  habe  ich  nur  zu  bemerken,  dass  die  Vortmitung  in 
den  Lehrerseminaren  offenbar  insofern  sich  vortbeilhaft  yon  dem 
UniversitStaleben  abhebt,  als  die  Jünglinge  dort  ihre  Kdrper^  und 
Geisteskräfte  tftglich  in  tüchtiger  Arbeit  üben  und  stärken,  und  als 
dort  mehr  für  allgemeine  Bildnng,  namentlich  für  die  pfidagogische  und 
turnerische  Ansbfldnng  geschieht. 

Im  allgemeine  möchte  ich  als  Schiusastein  der  Besprechung  des 
zweiten  Punktes  nur  die  Behauptung  aufteilen,  dass  die  Bemüsfireudig- 
keit  und  somit  die  innere  Befiriedigoog  in  Erfüllung  der  Beru&pfliehten 
außerordentlich  abhftngig  ist  yon  der  Art  und  Weise  der  Vorbereitung 
auf  den  Beruft  gleichviel  ob  die  im  Obigen  angedeuteten  Änderungs- 
▼orschläge  für  zweckmäßig  erachtet  werden,  oder  ob  andere,  und  yiel- 
leicht  bessere  in  Vorschlag  gebracht  werden  sollten. 

Als  dritte  Bedingung  stellten  wir  eine  sorgenfMe  Lebenslage  der 
Lehrer  hin.  —  Dass  eine  auskömmliche,  sorgenfreie  Existenz  zur  Be- 
lebung und  Erhaltung  der  Arbeitslust  und  Bemfisfreudigkeit  im  all- 
gemeinen viel  beiträgt,  ganz  besonders  aber  dem  Lehntande  noth- 
wendig  ist,  weil  eben  eine  mit  Nahrungssorgen  verknüpfte  Stellung 
allmählich  müde  und  verdrossen,  ja  endlich  „unfähig"  zur  Arbeit 
macht,  das  ist  ja  so  selbstverständlich,  dass  es  keiner  weiteren  Erörterung 
bedarf.  Es  fragt  sich  nun,  wo  der  Gi-und  der  traurigen  Thatsache 
zu  suchen  ist,  dass  eine  Menge  yon  Lehrern  an  höheren  und  niederen 
Schulen  der  wünschenswerten  Sorgenfreiheit  entbehren  und  mehr  oder 


Digitized  by  Gtfogle 


—   152  — 


weniger  daraiit  aii<(e\s ieseii  sind,  sich  nocli  neben  ihrem  Amte  Kin- 
nalimen  zu  verschalten.  —  Nun  —  die  Antwort  ist  höchst  einfach: 
Theils  sind  die  Gehälter  der  Lelirer  in  der  That  zu  knapi»  bemessen, 
so  dass  die  Einnahmen  auch  bei  den  bescheidensten  Ansprüchen  nicht 
zur  Unterhaltung  einer  Familie  ausieicheu,  tlieils  aber  sind  es  auch 
die  zu  hoch  gescliraubten  Ansprüche  an  den  sogenannten  „Lebens- 
genuss",  welche  selbst  ein  bei  vernünftijren  Anspiüchen  auskömmliches 
Gehalt  als  nicht  hinreichend  erscheinen  lassen.  Solch  abnorme  Fälle, 
wo  die  Schuld  an  lasterhaften  (Tewohuiieiten  oder  an  einer  absolut 
unglücklichen  Wahl  der  Lebensgefahrtin  liegt,  wollen  wir  nicht  weiter 
berühren.  Die  erste  Voraussetzung  trilft  leider  noch  auf  einen  großen 
Theil  der  Volksschullehrer,  besonders  in  den  Städten,  zu,  deren  Ge- 
hälter schlechterdings  nicht  so  hoch  bemessen  sind,  dass  sie  „ohne 
Nebeneinnahmen**  ihre  Familien  „antAäskdig^  eraihren  köimeiL  Die 
zweite  Veraiueetsung  passt  auf  eine  Menge  der  Lehrer  an  höheren 
Lehranstalten  t  deren  Gehalt  ja  an  und  fOr  aicfa  recht  anskOmmlich 
sein  könnte,  wenn  es  eben  die  heutige  Zeit  nicht  mit  sich  brächte, 
dass  höhere  Ansprüche  an  den  „Lebensgenoss"  gestellt  werden,  als 
nothwendig,  ja  heilsam  sind.  Die  geselligen  ümgangsformen,  denen 
man  sich  nur  auf  die  Gefhhr  hin,  als  Sonderling  zn  erscheinen,  ent- 
ziehen kann,  erfordern  heutzutage  einen  Aufwand  von  Zeit  und  Hittebif 
der  in  keinem  Verhältnisse  zn  dem  geistigen  Gewinn  steht,  den  man 
davonträgt,  wenn  Oberhaupt  von  einem  Gewinn  dabei  die  Bede  sein 
kann  und  nicht  vielmehr  von  einem  geistigen  „Verlust".  Denn  geist- 
und  gemfithanregend  pflegen  die  heutigen  geselligen  ZusammenkOnfte 
nicht  zu  sein;  zum  höchsten  gewähren  sie  den  Betheiligten  durch  den 
sie  belebenden  humorvollen  Witz  eine  angenehme  Zerstreuung,  die  aber 
von  höchst  zweifelhaftem  moralischen  Werte  ist  'in  erster  Linie 
miisste  demnach  als  wänschenswert  bezeichnet  werden,  dass  die  Volks- 
schullehrer so  gestellt  wttrden,  dass  sie  bei  vernünftiger  Lebensweise 
nicht  nöthig  hätten,  sich  Nebeneinnabmen  zu  schaffen,  sondern  von 
ihrem  Einkommen  sich  mit  ihrer  Familie  anständig  zn  unterhalten  im 
Stande  wären.  Die  lediglich  auf  den  Krwerb  zielenden  Nebenbeschäf- 
tigungen nehmen  einen  großen  Theil  der  Kraft  und  des  Interesses  in 
Anspruch,  der  voll  und  ganz  dem  Berufe  gewidmet  sein  sollte;  sie 
beeinträchtigen  demnach  die  ,. Berufsfreudigkeit''  des  Lehra»  zum 
Schaden  seiner  Zöglinge  erheblich;  es  leidet  die  Jugend,  wenn  der 
Lehrer  nicht  auskömmlich  gestellt  ist.  In  dankenswerter  Weise  ist  ja 
nun  auch  an  maßgebender  Stelle  eine  entsprechende  Aufbesserung  der 
Lehrer-Gehälter  ins  Auge  gefasst  worden.  Möchte  die  Mafiregel  keine 


Digitized  by  Google 


—   163  — 


halbe  bleiben!  —  Um  aber  mit  dem  Gehalte  auskommen  zu  können, 
dazu  bedarf  es  einer  verständigen  Einrichtung,  und  diese  hängt  oft 
mehr  von  der  Frau  als  vom  Manne  ab.  Auf  eine  gliickliche  Wahl 
der  Lebensgetaliitin  wiid  also  viel  ankommen.  Die  Frau  des  Lehrers 
wird  nicht  nur  i)raktisch  und  tüchtig,  sondern  autli  an  Geist  und  Ge- 
müth  so  weit  fft^l>ildel  sein  müssen,  dass  sie  ein  klares  Verständnis  und 
ein  warmes  Interesse  für  die  Bestrebungen  ihres  Mannes  hat,  dass  sie 
ihm  nicht  als  hemmende  Last  das  Leben  erschwert  und  vei  bittert,  sondern 
dass  sie  ihm  in  seinem  schweren  Beruf  tröstend,  erlieiternd  und  tördernd 
zur  Seite  steht.  Vorsicht  bei  der  Wahl  der  Leben>gefälirtin  ist  dalier  nicht 
nur  in  seinem  eigenen,  sondern  auch  besonders  im  Interesse  der  Jugend 
des  Lehrers  ,.heilige  Pflicht".   „Drum  prüfe,  wer  sich  ewig  bindet!"  

Indes,  was  hilft  es,  wenn  alle  Jene  Bedingungen  erfüllt  sind,  wenn 
jemand  aus  wahrer  Neigung  Pädagoge  geworden,  wenn  er  tüchtig 
vorbereitet,  mit  Lust  und  Liebe  in  seinen  Beruf  eintritt,  wenn  seine 
materiellen  und  häuslichen  Verhältnisse  befriedigende,  ja  beglückende 
sind,  was  hilft  ihm  dies  alles,  wenn  er  durch  die  Maßnahmen  und 
Vorschriflen  der  vorgesetzten  Behörden  in  seiner  freien  Thätigkeit 
gehenunt  und  in  Balmin  gezwängt  wird,  die  seiner  individoeUen  Bieh- 
tnng  nicht  entsprechen?  —  Sehr  wol  ftUile  ich,  dass  ich  hier  einen 
heiklen  Punkt  berflhre,  dessen  offene  Besprechung  hie  nnd  da  An- 
8to6  erregen,  wol  auch  gar  zu  Missdeatnngen  Anlass  geben  konnte; 
indes  darf  mich  dieses  GeflUd  im  Hinblick  aof  das  Interesse  von  Tan- 
sendea  meiner  Collegen  nicht  abhalten,  ans  meiner  £ifUurang  heraus 
mafiToU  der  Wahrheit  die  Ehre  m  geben. 

Zunächst  wird  niemand  die  Wahrheit  der  Behaaptong  bestreiten 
können,  dass  es  Pflicht  nnd  Anl^be  der  SchnlbehOrden,  sowol  der 
Patronats-  als  der  AnfiuehtsbehOrden  ist,  die  Thätigkeit  der  einzelnen 
Scholen  nnd  ihrer  Lehrer  za  nnterstfltzen  nnd  zn  „fordern**.  Diese 
FOrderong  kann  aber  nnr  anf  dem  Wege  „wolwollenden"  Entgegen- 
koDunens  erreicht  werden!  MOgen  die  voigesetztea  Behörden  mit 
Festigkeit  thOriehte  Einrichtongen  beseitigen,  mOgen  sie  Verirmngen 
nnd  Pflichtverletzungen  mit  Emst  entgegentreten;  aber  sie  sollen  nicht 
nur  die  Herren  spielen,  nnr  von  oben  herab  ohne  Bttcksicht  anf  die 
Ansicht  und  Eigenthfimlichkeit  der  Lehrer  herrschen  nnd  „befehlen" 
wollen.  Was  wird  denn  dadurch  gewonnen?  Nnr  Lehrer,  die  eine 
sdavische  Gesinnung  und  kein  eigenes  Streben  haben,  können  durch 
solch  rücksichtslose  Behandlung  allenfoUs  äußerlich  in  der  yon  der 
Behörde  yorgeschriebenen  schablonenhaften  Thätigkeit  erhalten  werden, 
—  besser  aber  werden  sie  dadurch  nicht  I  —  Edlere  Charaktere 

FadifogfiaD,  U.  Jaluv.  Heft  lU.  12 


Digitized  byGoogle 


—   164  — 


aber.  Männer,  die  eigenes  Wollen  und  eigenes  Streben  l)eseelt,  werden 
durch  solche  Behandlung  zunächst  bedrückt,  in  ihrer  freudigen  Thätig- 
keit  gehemmt  und  verlieren  schließlich  vollständig  den  Muth  und  die 
Lust  zu  der  ihnen  sonst  so  lieb  sfewesenen  Arbeit!  —  Das  kann  nicht 
gut,  das  kann  nicht  heilsam  sein!  Doch  woi-an  liegt  es,  dass  der- 
gleichen traurige  Missverhältnisse  in  neuerer  Zeit  ganz  besonders  im 
Volksschulwesen  so  weit  verbreitet  sind?!  —  Der  Grund  kann  nur 
darin  liegen,  dass  die  Männer,  die  zur  Schulaufsicht  berufen  werden, 
aus  Schulen  hervorgegangen  sind,  deren  Thätigkeit  es  mehr  auf  die 
■wissenschaftliche,  als  auf  die  moralische  Bildung  absielit,  und  — 
das  sind  unsere  ..höheren  Schulen",  in  denen  heute  die  gemüthliche 
Seite  der  Bildung  immer  weniger  und  weniger  angeschlagen  wird. 
Alle  Achtung  vor  den  wissenschaftlichen  Leistungen  unserer  Gymnasien! 
Aber  —  mögen  sie  nur  zusehen,  dass  ihre  Zöglinge  „des  Wissens 
Schatz  nicht  mit  dem  Herzen  zahlen!"  —  Wieviel  Unheil  haben  doch 
«sbon  auf  Erden  sogenannte  „dassische"  W<»rte  angerichtet,  die  jon 
der  Jagend  als  Ausq^rftche  grofier  Geister  mit  Begeistening  als  die 
grüfite  Lebensweisheit  anilsefosst  werden,  wfthrend  sie  hei  lacht  be- 
sehen nicht  den  geringsten  moralischen  Wert  haben.  Beis^elsweise 
will  ich  nur  das  Gfoethe^sche  Wort  aofBhren,  welches  jener  grofie 
Meister  vielleicht  einmal  bei  Gelegenheit  in  WeinseUgkeit  hingeworfen! 
^Nnr  die  Lumpe  sind  bescheiden!''  Welch  eine  Summe  von  BOcksichts- 
losigkeiten,  Unbescheidenheit,  ja  Frechheit  mag  wol  in  der  Neuzeit 
ohne  dass  wir  es  ahnen,  die  Folge  dieses  Ausspruches  sein!  Fflr  über- 
aus unheilvoll  darf  man  femer  mit  Recht  den  Ausspruch  des  Horas 
halten ,  der  ja  eine  grofie  Macht  Aber  die  jugendlichen  Gemttther  er- 
rungen und  mit  Vorliebe  cithrt  wird:  „Odi  profanum  vulgus  et  aiceo.** 
Man  stellt  wol  keine  zu  kOhne  Behauptung  auf,  wenn  man  der  Wir« 
kung  dieses  missverstandenen  Wortes  auf  die  Sdiu^jngend  zum  grofien 
Theil  jenen  heute  grassirenden  »geistigen  Aristokratismns*  zuschreibt, 
der  gmdezu  mit  den  christlichen  Lehrern  allgemeiner  Menschenliebe 
in  Widerspruch  steht!  —  Mit  welchem  Recht  darf  sich  dn  Mensch, 
dem  Gott  die  Gnade  erwiesen  hat^  einen  Vater  zu  haben,  der  ihn  das 
Gymnasium  durchmachen  Heß,  wo  er  Griechisch  und  Latehnsch  lernte, 
über  einen  andern  Aberheben,  dem  es  nicht  so  gut  im  Leben  ge- 
worden, der  sich  aber  vielleicht  durch  eigene  Kraft  und  eigenes 
Verdienst  zu  ehrenvoller  Stellung  emporgeinngen?!  Mit  welchem  Kecht 
darf  einer,  der  Griechisch  und  Lateinisch  weiß,  sich  für  besser  halten 
oder  verächtlich  auf  andere  herabsehen,  die  jene  Sprachen  zwar  nicht 
gelernt  haben,  aber  vielleicht  viel  natzlichere  Dinge?!  Und  wo  liegt 


Digitized  by  Google 


—    155  — 

die  Berechtigung  ittr  einen  Mensehen,  sich  ffir  allein  weise,  ja  f&r 
„unfehlbar'*  zu  halten  und  von  allen  ihm  «Unterstellten*  yerlangen 
am  dfirfen,  dass  sie  unbedingt  and  nrtheilslos  seiner  Vorschrift  feigen 
sollen?!  Wie  darf  ein  Mensch  andere  selbstdenkende  Menschen  «iin- 
mfindig''  machen?!  In  neuerer  Zeit  ist  ja  ntm  fOr  das  VoDcBschnlwesen 
▼iel  gethan  worden.  So  ist  namentlich  das  Anfeichtspersonal  bedeutend 
▼ermehrt  worden,  indem  nicht  nur  das  Amt  der  Ereisschulinspectoren 
vollständig  abgezweigt  ist  von  anderen  Ämtern,  sondern  auch  die  Zahl 
derselben  fast  um  das  Doppelte  vermehrt  worden  ist.  Zum  grofien 
Theil  sind  aber  diese  Herren  dem  jüngeren  Lebrerkreise  der  höheren 
Schulen  entnommen;  es  sind  demnach  Männer,  welchen  der  Wirkungs- 
kreis, in  den  sie  nun  aufsichtführend,  also  „anoi*dnend  und  fördernd'' 

eintreten  sollen,  bisher  ganz  fremd  gewesen  ist!  Es  fragt  sich 

doch  sehr,  olt  Männer,  die  vordem  nur  wissenscliaftlichen  Unterricht 
in  einzelnen  Fächern  ertheilt,  sich  auch  so  bald  in  das  umfangi'eiche 
Material  des  Volkssfluilwesens  hineinarbeiten  werden,  dass  sie  sich 
darin  völlig  zu  Hause  fühlen,  zumal  den  meisten  von  ihnen  diese  neue 
Beschäftigung  im  Gegensatz  zu  der  früheren  wenig  symiiathisch  sein 
dürfte!  Indes  —  das  ginge  noch;  bei  der  nöthigen  Intelligenz  und 
Kneigie  —  denn  nur  Männer  von  solchen  Eigensrhaften  werden  ja 
gewählt  —  werden  sit'li  die  meisten  wol  über  kurz  oder  lanrr  lünein- 
tinden.  Doch  ein  andei-er  (Tcsichtspunkt  ist  es,  der  hierbei  weit  be- 
tlenklicher  erscheint.  Es  bringen  nämlich  diese  Ht  rren,  was  ihnen  ja 
nicht  zum  Voi-Avurf  gemacht  werden  kann .  jenen  oben  erwähnten 
aristokratischen  Geist  mit  in  ihr  neues  Amt,  jene  Auffassung,  als  ob  sie 
etwas  Besseres,  etwas  Nobleres  wären,  als  die  Männei-,  mit  denen  sie 
nunmehr  in  amtlichen  Verkehr  zu  treten  haben.  Was  sie  aber  nicht 
mitbringen,  das  ist  Wol  wollen  und  Herz  tür  die  nunmehr  ihrer  Auf- 
sicht anvertrauten  Seelen,  Jiingf^  und  alte!  —  So  ist  es  denn  natur- 
gemäß und  nicht  zu  verwundern,  dass  die  aus  solchen  dem  Volksschul- 
wesen femstehenden  Kreisen  gewählten  Kreisschulinspectoren  ihren 
vorläuhgen  Mangel  an  Fachkenntnis  unter  einer  gewissen  „Zugeknöpft- 
heit*^  und  Schnddigkeit  zu  verbergen  genütliigt  sind;  denn  ^.imponii-en'* 
sollen  und  müssen  sie  doch  ihren  Lehrern.  Ob  sie  aber  dadurch  dem 
vernünftigen  Theil  der  Lehrerwelt  in  Wahrheit  imponiren??  —  Mit 
dem  Orundsats:  „Oderint»  dum  metuant"  dfirfto  man  doch  heute  nicht 
weit  kommen,  zumal  im  Schulwesen,  wo  der  Geist  der  Liebe  herrschen 
soUI  Ein  Bdspiel  fürs  allgemeine:  Ein  jüngerer  Lehrer  konunt  vom 
Seminar  und  tritt  mit  freudigem  Eifer  seine  erste  Lehrerstelle  an.  Er 
arbeitet  mit  jugendlicher  Frische  imd  vollem  Herzen;  in  freudiger 

12* 


Digitized  by  Google 


—    106  — 


Erwai  tung  sieht  er  der  ersten  Schulrevision  entgegen  in  dem  Bewusst- 
sein,  nacli  besten  Kräften  im  Interesse  der  Jugend  gearbeitet  zu  haben. 
—  Der  Tag  erscheint  und  mit  ihm  der  Revisor,  ein  junger,  stattlicher 
Herr.  Nach  kurzer  Begrüßung  eilt  der  Kevisor  in  das  Classenzimmer 
und  nimmt  in  vornehmem  Schweigen  verliarrend  sehr  eingehend  die 
ßevisioii  jib.  Nach  Beendigung  derselben  hält  er  strenge  Kritik  ab, 
tadelt  dieses  und  jenes,  verlangt  liie  und  da  eine  Änderung  und  em- 
pfiehlt sich,  die  Erwartung  aussjuechend.  bei  der  iiiiclisten  Revision 
bessere  Resultate  zu  finden.  — -  Knt tauscht  und  verstimmt  Ulsst  er 
den  Lehrer  zurück.  Wie  ganz  anders  hatte  sich  dieser  <lie  Revision 
gedacht!  Er  hatte  gehufl't,  in  dem  Revisor  einen  wolwoUenden,  freundlichen 
Herrn  zu  hnden,  der  auch  einige  Worte  maßvoller  Anerkennung  liaben 
werde  für  das,  was  er  (iutes  geleistet,  der  ihn  da,  wo  er  gefehlt,  mit 
freundlichem  (Teist  zurechthelfen .  ihm  guten  Üatii  und  praktisclie 
Fingerzeige  an  die  Hand  geben  werde.  Auch  hatte  er  vielleicht  im 
stiileu  gehuöt,  dass  der  Herr  sich  auch  ein  wenig  theiliiehmend  um 
seine  persönlichen  Verhältnisse  küiiimeiu  weide.  Und  nun?  —  Das 
vornehijic,  zugeknöpfte  Wesen  des  Revisors  hat  iliu  verletzt;  die 
Wahiiifchiuung,  dass  unbegründeter  Tadel  ausgesprochen  worden  ist, 
dass  Dinge  bemängelt  worden  sind,  welche  er  im  Seminar  gerade  als 
gut  und  praktisch  bat  preisen  kören,  nimmt  ihm  das  Vertrauen 
zu  seinem  Vorgpesetzten  oder  anch,  was  noch  schlimmer  ist,  zu  sich 
flell»t.  Kurz  —  statt  sich  durch  die  Beyision  —  wie  es  ja  sein  sollte  — 
angeregt  and  zu  neuer  Arbeit  erfrischt  zu  f&blen,  föhlt  er  sich  ge- 
druckt und  ndssmuthig.  Der  erste  Tropfen  „Wermuth"  ist  in  sein  amt- 
liches Leben  gefoll^.  Fallen  der  Tropfen  mehr,  so  ist's  wol  bald  um 
seine  Schöna»  ihm  Ton  Gott  gegebene  Freudigkeit  geschehen;  dann 
wird  aus  dem  freudig  arbeitenden  und  strebsamen  Lehrer  ein  „miss- 
vergnügter",  seine  Pflicht  nur  mit  Widerwillen  erfüllender  Lehrer.  — 
Von  lüteren,  pflichttreuen  Lehrern,  zumal  solchen,  die  studirt  haben 
und  etwa  zur  Leitung  von  Töchterschulen  berufen  sind,  die  aber 
einer  ähnlichen  Behandlung  ausgesetzt  sind,  —  da  ja  nach  neueren 
gesetzlichen  Bestimmungen  auch  die  höheren  Mädchenschulen  der 
jährlichen  Revision  durch  die  Ereisschulinqiectoren  unterliegen,  — 

will  ich  gar  nicht  reden!  Wehe,  wehe,  wenn  ein  Lehrer  erst 

unterrichtet  mit  der  „geballten  Faust"  in  der  Tasche!  Warum,  wes- 
halb? —  Könnte  es  wirklich  nicht  anders  sein?!  Gewiss  —  es 
könnte!  ^  Sollte  wirklich  eine  derartige  Yermdurung  der  Schul- 
auMchtsbehörden  und  eine  ähnliche  Art  und  Weise  der  AuMchts- 
führung,  wie  die  erwähnte,  nothwendig  sein?  0,  das  wäre  ein  trauriges 


Digitized  by  Google 


—   157  — 


Zeichen  der  Zeit  und  eben  kein  (  onipliuient  für  den  Lelirerstand.  Männer, 
die  dereinst  lieriiten  sind,  die  -lugend  zu  erziehen  und  derselben  in  ihrer 
ganzen  Lebensfiilirunfr  als  Muster  zu  gelten,  sollten  und  dürften  nicht 
wie  ^Unmündige-  beliandelt  werden,  denen  beständig  auf  die  Finger 
gesehen  werden  niuss.  Ist  das  bei  dem  einen  oder  andern  wiiklich 
nöthig,  so  sollte  er  auch  nicht  „Lehrer"  sein.  s<j  hat  es  an  der  rich- 
tigen Erziehung  oiler  Vj)rbereitung  gefehlt.  (Vterum  censeo:  die 
Vorbereitungsanstalten,  die  S^chulen,  die  Seminare  und  l'niversitäten 
k'innten  ohne  Schaden  in  Avissenscliattlicher  Hinsicht  manche  Forde- 
rung fallen  lassen,  sollten  aber  mehr  auf  die  allgemein  menschliche, 
moralische  und  Gemüthsbildung  hinwirken!  Wenn  aus  den  Seminaren 
junge  Lehrer  hervorgehen,  die  Verständnis  für  das  lüziehungswesen, 
Eifer,  Lust,  Liebe  und  wahre  Freudigkeit  für  ihren  Beruf  mit- 
bringen, die  nicht  zu  knechtischer  Gesinnung,  sondern  zu  einer  edlen 
Selbstständigkeit  erzogen  sind,  dann,  —  ja  dann  wäre  das  jetzige 
—  polizeiliche  —  Aufsichtssystem  überflüssig,  dann  würde  ein  frischerer, 
freierer,  neuer  Geist  in  die  Lehrerwelt  kommen^  und  —  der  Staat 
könnte  viel  Geld  am  Aafsichtspersonal  ersparen! 

Viel  könnte  noch  gesagt  werden  über  Dinge,  Verhältnisse  mid 
Einrichtungen,  die  nameatlieh  den  Lettern  von  Commonal-Schnlen  das 
Leben  zu  erschweren,  die  amtliche  Thätigkeit  zn  verleiden  und  die 
sBemMreudigkeit**  herabasnstimmen  geeignet  sind,  wozn  namentlich 
der  80  überaus  beschwei'liche  Verkehr  mit  der  Egl.  Regienmg  durch 
das  Landrathsamt,  den  Kreisschnlinspector  nnd  die  stftdtische  Schal- 
deputation zQ  rechnen  sein  würde;  indes  —  es  mag  genug  sein! 

Zum  Schlosse  komme  ich  noch  einmal  anf  das  im  Anfang  G^esagte 
zurück:  Der  Lehrer  bedarf  im  Interesse  der  Jagend  mehr  als 
jeder  andere  Stand  der  Bernfsfreadigkeit!  Nur  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt schrieb  ich,  was  ich  schrieb! 


Digitized  by  Google 


Die  Pidagogik  der  Kmst. 

Von  Oito  Emat  Schmidt- Hamburg. 


I. 

r 

er  von  einer  „Pädagogik'*  der  Kunst  spricht,  hat  von  vom- 
herein  ein  starkes  Ifisstranen  gegen  sich.  Denn  was  kdnnte  anders 
beabsichtigt  sein,  als  die  Konst  zur  Schnlmeisterin  za  machen,  zur 
89jährigen  Kathederjungfraa  mit  spitzer,  brillentragender  Nase,  ge- 
drehten Locken  und  weitfaltigeni  Gewände,  das  jedes  ungebundene 
Spiel  der  Muskeln,  jeden  unkeuschen  Formenrciz  verhüllt!  Wo  wii"d 
die  goldene  Freiheit  und  Selbstherrlichkeit  der  Kunst  bleiben?  Zur 
nüchternen  und  strengen  Pedantin  wird  sie  werd^,  die  von 
Amts  wegen  zu  lehren  hat,  was  in  den  Büchern  der  anerkannten 
Religionen,  der  attestirten  Wissenschaften  und  der  gangbaren  Moral 
steht.  Mir  ist  ein  solches  Misstrauen  und  Missverständnis  niclit  erspart 
geblieben,  nachdem  ich  einmal  in  meinen  unter  dem  Titel  ..Ottenes 
Visir!"  erschienenen  „gesammelten  Essays  aus  Literatur,  Pädagoc:ik  und 
öffentlichem  Leben"  auf  die  eminent  pädagfoofische  Bedeutung  der 
Kunst  hingewiesen  hatte.  Ein  scharfsinniger  und  feinfühliger  Kritiker 
hat  mir  in  der  „Gegenwart"*)  ausführlich  den  Bescheid  gegeben,  icli 
wolle  die  Kunst  so  sehr  mit  rationalen  und  praktisclien  Elementen 
bereicliern,  dass  sie  in  ein  Verhältnis  strenger  Dienstbarkeit  zu 
Wissenschaft  und  Moral  trete  und  folglich  ihre  Sonderart  aufgeben 
müsse.  Im  folgenden  werde  ich  eingehender  meine  Meinung  ausein- 
ander setzen,  als  ich  in  meinem  Huche  (Teleg^enheit  dazu  fand,  und  dann 
hoft'entlicli  wenigstens  eine  Wirkung  erzielen,  entweder  die,  dass  die 
leuchtende  Fleckenlosigkeit  meines  asthetisdien  Gewissens,  oder  die, 
dass  meine  ungeheure  Sündenblindhcit  erkennbar  wird,  die  in  ihrer 
Hai'tnäckigkeit  noch  heute  nicht  sieht,  worin  mein  Verbrechen  liegt. 

Ganz  kurz  will  ich  sciion  liier  bemerken,  dass  ich  mir  die  i)äda- 
gogische  Wirksamkeit  der  Kunst  wahrhattig  uicht  auf  die  Schule  und 

•)  Jahig.  1890,  No.  33  und  34. 


Digitized  by  Google 


—  169  — 


das  Kindesalter  beschränkt  denke,  vielmehr  die  Kunst  als  Erzieherin 
aller  Menschen,  in  ei-ster  Linie  der  erwachsenen  und  gereiften,  be- 
trachten will.  Damit  ist  vielleiclit  schon  ein  kleiner  Theil  von  Miss- 
vei^ständnissen  beseitigt.  Aber  ganz  besonders  betonen  will  ich,  dass 
ich  unter  Erziehung  niclit  allein  die  Bildung  des  sittlichen  Mensclien 
verstehe.  Die  Auffassung  des  Erziehungsbegrifts  in  diesem  beschränkten 
Sinne  ist  leider  ein  Irrthum  vieler  Laien.*)  Man  denkt  sicli  dem  ent- 
sprechend auch,  wenn  man  von  einer  pädagogischen  Kunst  liürt,  sofort 
etwa  eine  Literatur  von  elirbar  seichten  Gedichtchcu  und  Geschichtchen 
mit  raoralisirender  Tendenz  für  artijre  und  ungezogene  Kinder  und 
Erwachsene  und  empfindet  davor  natürlich  ein  sehr  berechtigtes  Grauen. 
Zugegeben  —  was  der  ,.modernste  Philosoph Friedrich  Nietzsche 
und  seine  Anliänger  nicht  zugeben  würden  und  auch  ich  gewiss  nicht 
als  ausgemacht  betrachten  will  —  zugegeben,  dass  es  eine  absolute 
Moral  gebe,  deren  Begiitl'e  unveränderlich  und  unantastbar  wären,  und 
zugegeben  ferner,  dass  die  sittliche  Bildung  des  Menschen  das  letzte 
und  eigentliche  Ziel  seiner  Erziehung  wäre,  so  bleibt  doch  nner- 
sihutteilich  bestehen,  dass  die  intellectuelle  und  die  Gefühlsbildung 
des  Menschen  die  unerlässliche  Voraussetzung  seiner  sittlichen  Ver- 
vollkommnung sind.  Es  ist  richtig,  dass  Gefühls-  und  Verstandes- 
bUdung  niemals  eine  unbedingt  zuverlässige  Garantie  fllr  den  sittlichen 
Wert  eines  Menschen  bieten.  Geschichte  und  tägliches  Leben  bieten 
Beispiele  dafür,  dass  bei  hoher  Intelligenz,  bei  tiefer  Beligiositftt  und 
bd  feinem  fistiistiBchen  Empfinden  nidit  nur  ehizelne  unsittliche  Hand- 
Inngen,  sondern  dnrcbans  unentwickelte,  schwache,  ja  missgebildete 
Charaktere  möglich  sind. 

Das  regelmaAige  Erschrecken,  das  gleichsam  rathlose  Staunen 
und  Nicht&ssenkOnnen,  mit  dem  wir  Jene  unharmonischen  Naturen 
betraditen,  die  intelligent,  gef&hlroll  und  dennoch  unsittlich  sind,  sollte 
uns  darüber  belehren,  dass  wir  die  Functionen  des  Willens  in  eine 
zu  enge  causale  Verbindung  mit  dem  Denken  und  Fflhlen  gebracht 
haben.  Auch  der  Ehiwand,  dass  in  jenen  Naturen  Verstand  und 
Gefühl  nur  nidit  gründlich  und  harmonisch  genug  durchgebildet 
seien,  hilft  nicht  Uber  alles  hinaus;  die  EriUining  entkriftet  diesen 
Einwand  nicht  selten.  Goethe  kann  m  dieser  Hinsicht  als  „dassisches" 
Beispiel  gelten.  Man  wird  ihm  die  höchste  wissenschaftliche  Durch- 
bildung des  Geistes  und  die  allerhöchste  Lebendigkeit  und  Beweg- 
lichkeit des  Gefühls  nicht  absprechen,  ihm  aber  doch  selbst  nach 


*)  Leider  audi  Tieler  ndagogen!  D.  B. 

Digitized  by  Google 


—   160  — 


Beinen  begeistertsten  Biographen  keine  sittliche  Größe  zusprechen  können, 
die  einen  Vergleich  mit  jenen  Momenten  aushielte.  Das  Wort  Jung- 
Stilling's,  dass  (ioeth^'s  Herz  so  groli  gewesen  sei  wie  sein  Verstand, 
vermag  selbst  ein  Lewes  nicht  überzeugend  genug  zu  illustriren.  Es 
scheint,  als  ob  der  Wille  zuweilen  seinen  eigenen  Kopf  hätte.  Mir 
allerdings  scheint  es  nur  so.  Mein  Name  müsste  nicht  Mensch  sein, 
wenn  nicht  mein  gesammter  Seeleninhalt  auf  ein  monistisclies  Ziel 
hindrängte  und  nicht  auch  für  sich  selbst  nach  einer  einheitlichen 
Grundlage  suchte.  Unsere  „wissenschaftlichen  Getülile",  sagt  J.  H. 
V.  Kirchmann  sehr  treffend,  „bestimmen  unwillkürlicli  das  Denken,  den 
Monismus  hölier  als  den  Dualismus  zu  stellen,  und  dienen  dem  Grund- 
satze zur  Stütze,  wonach  man  die  Principit  ii  nicht  ohne  Noth  ver- 
mehren soll."  Ich  würde  nun  sehr  gern  auseinandersetzen,  wie  ich 
mir  eine  Einheitlichkeit  der  Functionen  des  Denkens,  Wollens  und 
Fuhlens  denke  und  wie  ich  za  der  Ansicht  komme,  dass  jede  För- 
derung des  Menschen  auch  thatsächlich  eine  Förderung  seines  Willens, 
d.  h.  seines  sittUfshan  Wertes  bedeutet  Aber  einestheils  wOrde  mich 
das  zu  weit  führen,  andemtheils  bin  kh  gewiss,  dass  ich  die  hohe 
pädagogische  Bedeutung  der  Kunst  auch  schon  auf  Qnmd  der  nn- 
▼erkennharen  Wechselwirkung  zwischen  dem  Willen  ehierseits  nnd 
dem  Denken  nnd  FOhlen  andererseits  Uftrlieh  erweisen  kann. 

Sokrates  war  es  bekanntlich,  der  da  behauptete,  dass  die  Tugend 
ein  Wissen  sei,  dass  niemand  freiwillig  schlecht  handle,  niemand 
schlecht  handeln  würde,  wenn  er  sein  Bestes  kennte  —  nnd  alle  Re- 
actionftre  und  DnnkehnAnner,  die  mit  Hingebung  nnd  Liebe  fOr  ehie 
möglichste  Beschränkung  des  Volksschnlunterrichts  wirken  nnd  der 
Überoeogung  leben,  daas  bei  möglichst  mangelhafter  Kenntnis  des 
Alphabets  die  OflfentUehe  Sittlichkeit  und  der  private  Yortheil  besonders 
Torsflglich  gedeihen:  alle  diese  Leute  könnten  wol  einen  Sokrates  ver- 
giften, aber  nicht  ihn  widerlegen.  Der  Einwurf,  dass  es  sich  bei 
Sokrates  um  ein  Wissen  der  Vernunft,  um  sittliche  Intelligenz  handle, 
verschlägt  nichts.  Denn  den  Inhalt  der  (praktischen)  Vernunft  «btläfen 
doch  wol  sittliche  Begriffe,  und  wer  will  Begriffe  erfassen  ohne  den 
Verstand?  Sittliche  Begriffe  erkennt  man  nur  mit  ganzer  Schärfe  nnd 
Deutlichkeit  auf  dem  Wege  der  Selbstbeobachtung,  fiberhaupt  auf  dem 
Wege  p^ychologisdien  Denkens.  Selbstbeobachtung  wiederum  erfordert 
nicht  nur  die  größte  Schärfe,  sondern  auch  die  straffeste  Energie  der 
Verstandesthätigkeit  Ich  habe  gefunden,  dass  der  Grad  der  Fähir>keit 
und  Neigung,  sich  selbst  zu  beobachten,  als  Gradmesser  dienen  kann  für 
den  gesummten  Wert  eines  Menschen.   Nur  bei  vornehmen  Naturen 


Digitized  by  Google 


—   161  — 


findet  man  diese  Beschäftigang  zur  Gewohnheit  aasgebildet,  und 
sicherlich  sind  die  „oberflächlichen''  Naturen*),  die  an  eine  Möglichkeit 
der  Selbstbeobachtung  überhaupt  nicht  denken,  wenn  auch  nicht  die 
verbrecherischsten,  so  doch  die  gemeinsten.  Aus  fortgesetztei'  Selbst- 
beobachtung fließt  nothwendig  jenes  sokratische  Wissen  vom  wahren 
Heil  des  Menschen,  jene  Intelligenz,  die  folgerirhtie:  zur  Tiifrend  werden 
muss,  weil  ein  derartig  Beobachtender  einfach  nicht  im  Zweifel 
darüber  sein  kann,  ob  er  vor  einem  Morde  glücklicher  sein  werde  all 
nach  demselben. 

Es  ist  ni<  ht  mithi^r  zu  bemerken,  dass  die  Kunst  dem  Studium 
der  Psyche  eiu  ungeheures  Material,  ja  das  ungeheuerste  Material 
bietet,  mehr  sogar  als  das  kleine  Selbst,  das  doch  so  unermesslich 
reich  ist  an  psychischen  Präparaten,  von  den  gewaltigsten  liiuab  bis 
zu  den  mikroskopischen!  Aber  uüthig  ist  es,  die,  wenn  ich  so  sagen 
darf,  Methode  des  künstlerischen  Denkens  in  Schutz  zu  nehmen.  Denn 
ihr  erstehen  nft  genug  Feinde,  die  sie  eine  jrroße  Gefahr  für  die 
lügische  Schulung  des  Geistes,  eine  haltlose  Beschäftiguug  nennen,  die 
den  Verstand  zerfahren  und  verworren  mache.  Ein  trauriger  Inthum! 
Es  versteht  sich,  dass  der  Geist  seine  elementare  Schulung  nur  durch 
die  Wissenschaft  erlangen  kanu.  Danach  aber  beansprucht  die  Knust 
als  formal  bildende  Kraft  minde.stens  einen  Platz  neben  der  Wissen- 
schaft. Denn  gibt  diese  unserem  Denken  eine  feste  Structur,  so 
verleiht  ihn)  jene  die  Beweglichkeit.  Wenn  man  um  Seile  des  Systems 
schwimmt,  ertrinkt  man  vielleicht  nicht:  aber  ein  Schwimmer  ist  doch 
nur  der,  der  mit  einem  „Hilf  dir  selbst"  hinausplatschert  ins  un- 
begrenzte Meer  der  Gedanken!  Beweglichkeit  ist  i las  große  Geschenk, 
das  die  Kunst  dem  Intellect  spendet!  Denn  die  Beweglichkeit  der 
Vorstellungen,  ihr  „freies,  leichtes,  freudiges''  Verbinden  zu  unge- 
ahnten, ttberraschenden  Abstractionen,  wie  sie  die  Wissenschaft  nicht 
errdeht,  ist  das  Kriterium  der  Kanst."**)  Diese  Beweglichkeit  steckt 
an;  der  Knnstgenießende  fühlt  anch  sdne  VorsteUnngai  in  stftrkere 
Bewegung  veroetzt:  er  AUt  sieh  „angeregt",  wie  man  sagt.  Den 
Pferden,  velehe  jahraus,  jahrein  über  hartes  Pflaster  traben,  werden 
sehneil  die  Beine  steif.  So  geht  es  dem  Geiste,  der  sich  nur  anf  dem 


*)  „Obecfliehlich"  gemde  aueh  m  dem  Sfauie,  daas  sie  die  umgebende  Welt 
als  Obafliehe  betnuhten  «ad  deh  eelbst  mit  naivem  Egoismus  sb  innenten  Ken 
ietfen,  su  deeaen  Betrachtung  sie  natttriich  nicht  durrbdringeu. 

**)  Wer  Mich  filr  diese  Frage  interiN<irt,  den  darf  ich  viplleii.lit  auf  meini^  Be- 
traehtnngen  zur  I'sycliologie  der  Dichtkunst  im  „Magazin  tilr  Literatur"  vcrwciäeu 
(Jahrg.  1890  und  91). 

Digitized  by  Google 


—   162  — 


Fahrdamm  der  Systeme  bewegt  Der  kfinstlerische  Gedanke  will  nicht 
als  absolute  Wahrheit  gelten;  eben  deswegen  tritt  er  nicht  mit  harter 
Unverletzliehkeit>  mit  dem  beängstigenden  Ansprach  der  Unerschtttt^r- 
lichkeit  an  mis  heran;  er  weicht^  wenn  es  sein  miiss,  dem  Widerstand 

unserer  eigenen  Gedanken,  oder  er  schmiegt  sich  ihnen  an.  Bewegung 
auf  elastischem  Buden  sichert  den  Gliedern  die  Geschmeidigkeit.  Be- 
weglichkeit der  Vorstellungen  aber  ist  gleichbedeutend  mit  schöpferischer 
Kraft.  Und  das  ihr  eine  gewisse  schöpferische  Kraft  innewohne,  ist 
Erfordernis  flir  jede  Seele,  die  sich  fortentwickeln  soll,  weil  nicht  aus- 
wendig gelernte,  sondeni  nur  lebendig  in  uns  erwachsene  Ideale  der 
Verwirklichung  entgegend rängen.  Man  hat  mit  Recht  beliauptet,  dass 
alle  Genies,  also  alle  Menschen,  die  eine  im  höchsten  Grade  selbst- 
ständierc  und  fruchtbare  Seelenthätigkeit  entfalten,  zugleich  in  gewissem 
Sinne  i^roße;  Künstler  seien.  Mit  reducirten  Maßen  jrilt  das  von 
jedem  bildungsfähigen  Menschen.  ..Vor  jedem  steht  ein  Hild  dess, 
was  er  werden  soll";  der  einzige  Künstler  aber,  der  dieses  Bild  in 
ihm  nachzuschatieii  vermag,  ist  —  er  selbst. 

Jeder  Psychologe  kennt  endlich  die  Bedeutung  der  Phantasie  für 
die  Bildung  der  Regritte.  Der  Kunstgenuss  kräftigt  die  Phantasie, 
das  ist  selbstverständlich;  eine  entwickelte  EinbiUlungskraft  aber  wird 
mit  größerer  Genauigkeit  auch  jene  abstrahirende  Thätigkeit  der 
Phantasie  ausüben,  welche  die  wesentliclien  Merkmale  eines  Dinges 
von  seinen  unwesentlichen  sondert  und  damit  die  wichtigste  Arbeit 
beim  Bilden  der  Begritte  leistet.  Scharf  begrenzte  Begrifle  sind  die 
Hauptbedingung  des  logischen  Denkens. 

Es  liegt  auch  für  das  bescheidenste  Verständnis  nahe,  dass  das 
Gefühl  in  engerer  Beziehung  zum  Willen  steht  als  der  Verstand.  Bei 
der  Gebart  anserer  sittlich  bedeutangsvollen  Handlungen  können  für 
den  Aogeablick  Verstand  and  Vemanft^  niemals  aber  kann  das  Gefühl 
bei  ihnen  nnbetheiligt  sein.  Ja,  auch  jene  yon  Sokrates  behanptete 
Wirkung  des  Wissens  auf  anser  sittliches  Thon  geschiebt  nnr  dorch 
eine  endftmonische  Vermittelang,  dnrch  die  Vennittelung  des  Glflcka^ 
geflUils,  das  die  Erstrebung  nnd  den  Genoss  unseres  „wahren  Besten** 
begleitet  Zn  leugnen,  dass  der  Kunstgenuss  die  Lebhaftigkeit  und 
die  Mannigfidtigkeit  unserer  Gefühle  steigere,  das  fiült  nun  selbst 
den  üuiatischea  Gegnern  der  ästhetischen  Erziehung  nicht  ein;  es  ftllt 
ihnen  um  so  weniger  ein,  als  sie  glauben,  gerade  ans  dieser  Wirkung 
des  Kunstgenusses  eine  vorzQgliche  Waffe  gegen  die  ästhetische  Er- 
ziehung schmieden  zu  kOnnen.  Dieselbe,  behaupten  sie,  erreiche  nichts 
als  Schwärmerei,  Überspanntheit,  Gefühlsduselei  und  Jene  lächeiliche 


Digitized  by  Google 


—   103  — 


md  erbinliche  Eünbildung,  die  sich  in  arten  nnd  ältesten  Gefühlen 
genng  zn  thnii  glanbe;  nicht  aber  o^iele  sie  eine  kemhafte  sittliche 
Tüchtigkeit.  Dass  unter  Umständen  solche  Erfolge  gezeitigt  werden, 
wissen  wir  alle.  Aber  es  wäre  schlimm,  wenn  sich  der  Einfluss  der 
Knnst  auf  eine  sittlich  irrelevante  Belebung  nnd  Bereiclierun^  der 
Geföhle  beschränkte.  Jedermann  weiß,  was  man  nnter  dem  „Ethos 
des  Künstlers"  versteht.  Ein  Redarteur  äußerte  vor  einiger  Zeit  im 
Gespräch  gegen  mich:  ..Ich  will  bei  jeder  Dichtung  merken,  dass  ein 
sittlich  tüchtiger  Mensch  dahinter  steht."  Wenn  ich  einschränkend 
hinzufügen  darf:  „falls  sich  Gelegenheit  dazu  bietet",  so  kann  ich 
mich  jener  Forderung  anschließen.  Nicht  nur  die  Musik  und  die  bil- 
denden Künste,  auch  die  Poesie,  in  der  doch  ethische  Stoffe  die  her- 
vorragenfiste  Rolle  spielen,  hat  eine  Menge  von  Werken  aufzuweisen, 
bei  denen  die  sittliche  Persönlichkeit  des  Schüpfeis  gar  nicht,  oder 
doch  nur  sehr  mittelbar,  durch  das  Medium  der  künstlerischen  Empfin- 
dung allenfalls,  mitwirkt  und  die  also  keinen  Scliluss  auf  das  Ethos 
des  Künstlers  gestatten.  Allerdings  aber  will  ich  bei  keinem  Kunst- 
werk empfinden,  dass  ein  sittlich  schwacher  oder  gar  gemeiner  Mensch 
dahinter  steht!  Diese  Forderung  hat  iiw  mich  unbeschränkte  Gültig- 
keit.*! Icli  will  vor  jedem  Kunstwerk  die  Atmosphäre  einer  vor- 
nehmen Natur  atlimen.  Alle  Kunst  ist  adlig;  wenn  sie  nicht  adlig  ist, 
ist  sie  auch  keine  Kunst.  Darum  aber  besteht  auch  der  Segen 
dei-  Kunst,  soweit  er  sich  über  unser  Gefühl  verbreitet,  wahrhaftig 
nicht  allein  darin,  dass  sie  es  mit  höherer  Kraft  durchglüht  und  seine 
Regungen  nach  tausend  neuen  Kiclituugen  sich  verzweigen  lässt:  er 
besteht  vor  allem  darin,  dass  die  Kunst  unser  gesammtes  Fühlen 
veredelt  und  es  unwiderstehlich  zu  jener  Höhe  erhebt,  wo  das  reine, 
unbedingte  Gefallen  am  Schönen  wohnt.  Ein  reines,  unbedingtes  Ge- 
fallen am  Schönen  ist  aber  auch  die  Liebe,  mit  der  wir  das  Gnte  nm 
seiner  selbst  willen  verehren:  so  hat  nicht  nur  Herbart  gedacht,  als 
er  dte  sittlichen  Oeftthle  isthetische  nannte,  ao  f&hlt  nnd  spricht  anch 
unser  Herz.  Die  Eingewöhnung  der  Seele  in  das  Glück  des 
SehOnen  ist  nnn  der  Hanptfactor  aller  Erziehung. 

Das  ist  eine  Erfohmngi  die  sich  dem  vomrtheilalosen  Erzieher 
schon  sehr  bald  aufdrängt.  Die  oben  erwähnte  dnnkle  Erscheinung 
einer  gewissen  beängstigenden  Selbstherrlichkeit  des  Willens,  die  ich 

*t  Obwol  es  Ubertlnssig  erscheint,  will  ich  doch  (der  größeren  r>eutlichkeit 
wt'^en)  betonen,  dass  i<'h  selbstverständlich  nicht  nach  der  „so  l>eliebten"  Kölnifich- 
vaAer-Ästhetik  einen  Künstler  deswegen  fUr  unüittlicb  halte,  weil  er  unsittliclie 
Dinge  danrteUt. 


Digitized  by  Google 


—   164  — 


dorchaiis  ai^t  diireh  eine  pmcipieUe  Isolirung  des  Wollens  vom 
Denken  und  Fttblen  begründen  will,  kann  keinem  Menschenbeobachter 
verborgen  bleiben,  am  allerweni^i^sten  doiti  Erzieher.  Sobald  er  sie 
aber  bemerkt,  erkennt  er  folgerichtig,  dass  die  Stelle,  von  welcher 
man  den  Willen  am  sichersten  packen  kann  —  der  Wille  ist  Und 
ebenso  schnell  wird  es  zu  seiner  festen  Überzeugung,  dass  der  nn- 
vernünftige  Wille  des  Kindes  nur  durch  Handlungen  snverlAssig 
enltivirt  wird.  Durch  fortgesetztes  Handeln  unter  dem  conse^uenten 
vernünftigen  Zwange  des  Erziehers  lernt  das  Kind  ans  eigenster, 
innerster  Erfahrun«?  die  Schönheit  des  Guten  kennen,  während  es  sie 
in  Freuden  genießt.  Für  das  Kind  ist  schon  jede  Befolgung  des 
erzieherischen  Gebots  als  solche  eine  gute  That,  deren  innerer  Lohn, 
wie  bei  jeder  anderen,  sich  nie  versagt.  Selbstverständlich  findet  mit 
der  Zeit  eine  allmähliche  Entfesselung  des  kindlichen  Willens  statt; 
aber  auch,  wenn  der  freundliche  Zwang  sich  in  ernste  Führung  ver- 
wandelt hat,  wird  es  immer  den  Erzieher  dahin  treiben  müssen,  dass 
der  Zögling  durch  Handlungen  den  Eindruck  des  Sittlirh-Srhöntn 
in  sich  verstärke.  Die  Kiiigewohnung  in  das  Glück  des  Schünen 
ist  die  denkbar  sicherste  (Garantie  für  die  (xewinnunjr  eines 
sittlichen  Charakters;  an  dieser  Walirheit  kann  auch  die  Annahme, 
(iass  das  Gute  nui'  ein  relativer  und  scbwankeuder  Begrilf  sei,  nichts 
ändern. 

Hekanntlich  wird  aber  nicht  nur  dem  Kinde,  sondern  auch  der 
grüßten  Zahl  der  Erwachsenen  die  heilsame  Übung  im  Keclittliun 
durch  ein  enges  Leben  beschränkt.  Nicht  jeder  Mensch  und  am 
wenigsten  jedes  Kind  wird  durch  die  Verhältnisse  in  einen  Ki-eis  des 
Lebens  gestellt,  der  zu  einem  vielseitigen  Handeln  herausfordert. 
Damit  aber  auch  der  sittliche  Horizont  der  Menschen  kein  enger 
bleibe,  muss  also  Tugend  auch  gelehrt,  sie  kann  nicht  allein  geübt 
werden.  Und  da  die  Lehre,  welche  vom  Concreten  ausgeht,  die  beste 
ist,  so  ist  die  beste  Sittenlehre  das  vorgelebte  Beispiel.  Allein  auch 
das  Leben  unserer  Erzieher  und  Vorbilder  omfasst  bei  weitem  nicht 
die  gansse  FQlle  der  sittlichen  Erscheinungen.  So  tritt  denn  die  große 
Erzieherin  in  ihr  Becht,  die  ein  ungeheures,  unermesslich  reiches  Bild 
von  mensehlichem  Trachten  und  Begehren  vor  uns  anfirollt:  die  Kunst! 
Die  Kunst  ist  ein  Leben,  weil  das  Blnt  des  Kttnstlers  ihre  Werice 
durchpulst,  weil  ihre  Gestalten  der  schöpferische  Ruf  durchklingt,  der 
das  Leben  bedeutet:  Es  werde  Licht!  Der  unmittelbaren  Wirkung  des 
Lebens  so  nahe  wie  möglich  zu  kommen,  war  ja  des  Kttnstlers  greBes 
Ziel!  Wir  leben  gerade  in  einer  Zeit  des  kflnstlerischen  Strebens,  die 


Digitized  by  Google 


—   165  — 


sich  ereifert  und  erschöpft  in  der  heißen  Arbeit,  jenes  große  Bild 

dnreh  seelisch  wahre  Gestalten  zu  bereichem,  zn  den  feinsten  Wurzeln 
unserer  Uandlungen  hinabzusteigen  und  aus  der  dunkelsten  Tiefe  die 
Wahrheit  za  holen.  Und  wenn  das  lebende  Beispiel  unserer  Mit^ 
menschen  immer  den  Vorzug  behaupten  wird,  den  das  Sein  vor  dem 
Schein  hat,  so  haben  die  erhebenden  oder  abschreckenden  Beispiele 
der  Kanst  den  Vorzug,  tdass  sie  uns  sittliche  Phänomene  mit  ihrem 
ganzen  psychischen  Boden  darbieten,  dass  sie,  statt  die  Motive  der 
That  zu  verbergen,  wie  wir  es  seltsamerweise  oft  mit  unseren 
„edelsten**  Handlungen  thun,  mit  heiliger  Rücksichtslosigkeit  die  Decke 
fortreißen  vom  Abgrund  unseres  Innern.  Dadurch  auch,  dass  die 
Kunst  den  Pfeil  des  sittlichen  Gedankens  mit  der  Feder  des  Gefühls 
bescliwinoft .  drin^rt  er  tiefer  in  unser  Wesen  ein,  als  wenn  etwa  eine 
nik'htern-instructive  (leschicht«  in  moi-alisirender  Absiclit  ihn  uns 
vorträf,^t  und  voraussetzt,  dass  wir  aus  der  trockenen  Hülle  den 
sittUch-süßen  Kern  geläiiigst  herausschälen. 

IL 

Naclidem  ich  die  iiädafjof^ischen  Wirkungen  der  Kunst  —  nicht 
erschöpfend,  aber  andeutungsweise  —  erörtert  habe,  rufe  ich  alle  Welt 
zu  Zeugen  auf,  ob  ich  der  Kunst  irgendwo  ein  Ungebürliches,  ein 
Nenes,  Unerhörtes  zugemuthet  habe,  ob  ich  irgendwo  gesagt  habe: 
Das  soll  die  Kunst  wiAenl  und  nicht  immer:  Das  wirkt  sie  und 
das  kann  sie  wirken?  Will  ich  die  Kunst  ihrer  Sonderart  berauben ? 
Will  ich  ihr  rationale  nnd  praktische  Elemente  au&wingen,  die  ihr 
nicht  schon  eignen?  Will  idi  sie  irgend  dnem  Factor  des  mensch- 
lichen Caltnrlebeos  dienstbar,  will  ich  sie  zum  moralisirenden  Bacolns 
machen?  Pas  da  tontl  Bein  zum  Himmel  erheb'  ich  die  Hände.  Nichts 
will  ich,  als  dass  die  erziehliehen  Momente,  welche  die  Ennst  anf- 
zuweisen  hat,  verwertet  werden,  weit  mehr  verwertet  werden, 
als  es  bisher  geschehen  ist,  nnd  dass  man  erkennt,  wie  alles  an  der 
Kunst  dne  erziehliche  Kraft  in  sich  hegt  Die  Anmaßung,  die  Kunst 
mit  etwelche  Elementen  bereichern  zu  wollen,  wftre  die  Iftcherlichste 
von  der  Welt;  die  Kunst  ist  so  reich,  dass  man  ihr  nichts  mehr 
schenken  kann:  alle  Elemente  der  sinnlichen  und  flbersinnlichen  Welt 
bilden  ihren  unverlierbaren  Grandbesitz.  Und  wenn  ich  auch  der 
Konst  ihre  Selbstherrlichkeit  nehmen  wollte,  so  würde  ich  doch  so 
frenndlich  sein  müssen,  sie  ihr  zn  lassen;  denn  die  große  Schnl- 
meisterin,  will  sagen  die  kfinsUerischen  Genies,  durch  die  sie  wirkt, 


Digitizecij|f7  Google 


—   166  — 


wählen  die  Erziehungsmittel  nach  souveränem  Belieben.  In  einer 
guten  Schule  entscheidet  bekanntlich  der  Lehrer,  was  und  wie  «gelernt 
werden  soll,  nicht  die  Schüler.  Dass  man  Kindern  die  ästhetische 
Nahrung  controlirt,  werde  ich  wol  nicht  hervorzulieben  brauchen: 
aber  als  Erzieherin  des  Menschengeschlechts,  als  Ernährerin  der 
großen  Menschheitsseele  duldet  die  Kunst  keine  diätetisdie  Beschrän- 
kung. So  vielseitig  immer  das  Bedürfnis  der  Menschenseele  ist,  so 
vielfältic-  und  wunderbar  sind  die  Wege  der  Kunst.  Wir  durch- 
schreiten diti  riesigen  Nebel-  und  Wolkengebilde  eines  jungen  Scliiller 
—  wir  k<»nnen  sie  durchschreiten,  weil  sie  nicht  körperlich  sind  — 
aber  während  wir  in  Wolken  stehen,  fiihlen  wir  um  unseie  Brust 
den  freien  Haucii  der  Berge;  wir  wandeln  über  die  frost wetterklare 
Ebene  des  alten  Ibsen,  der  Wind  schneidet  scliarf  ins  Gesicht;  aber 
wenn  wir  länger  rüstig  daliin  geschritten,  wird  uns  wurm  und  winter- 
lich-gesund ums  Herz;  wir  schwingen  uns  unter  dem  heiteren  Himmel 
Gk)ethe's  empor,  und  in  unserm  Auge  spiegeln  sich  rosenumsäumte 
CirruswölkcheD;  wir  sinken  tief  hinab  zur  Erde,  um  einen  Zola'schen 
Eisenbalmzag  herankeiifilMn  za  sehen,  und  wftlureiid  der  EoUlendunst 
nns  in  die  Nase  nUägtt  donnert  die  stampfende,  knirschende,  eiserne, 
nnerfoittliche  G^egenwart  Uber  die  Schienen  dahin;  ein  derb-gemUth- 
licher  Friüs  Benter  zieht  uns  in  die  Mecklenburger  Banemstnhe  hinein, 
wo  die  Behaglichkeit  getrener  Herzen  in  den  Wolken  eines  ländlichen 
Kanasters  zittert,  oder  wir  klettern  in  die  Dachstube  eines  sogenannten 
fin  de  siöcle-Menschen  hinauf  und  empfinden  bei  einer  russischen 
Cigarette  ein  Capriccio  Aber  die  tollen  EinfiUle  der  äußersten  Nenren- 
spitzen.  Bis  ins  Endlose  konnten  wir  diese  Anführungen  fortsetzen; 
alle  Gebiete  der  Kunst  könnten  wir,  wie  hier  das  poetische,  durch- 
gehen, und  was  wurden  wir  ewig  finden?  Individuen,  Individuen I 
Nicht  zwei  Menschen,  die  den  Namen  »Künstler''  verdienten,  haben 
auf  dieselbe  Weise  „Stimmung  gemacht**,  selbst  nidit,  wenn  sie  zu 
derselben  „Schule'*  g«Bhörten.  Und  die  Theorie  Iftsst  es  schon  bleiben, 
irgend  jemand  fOr  die  Zukunft  vorzuschreiben,  welche  faktischen 
oder  unpraktischen,  rationalen  oder  irrationalen  Elemente  die  Kunst 
aufnehmen  oder  vermeiden  müsse:  das  Blamiren  vor  den  Genies  ist 
doch  nachgerade  zu  beschämend  häufig  vorgekommen.  Wer  aber  ist 
einseitig  und  parteiisch  genug,  in  jener  unendlichen  Vielheit  die 
Einheit  zu  verkennen?  Wer  empfindet,  wenn  das  Waldweben  der 
Kunst  ihn  mit  tausend  Fäden  und  tausend  Stimmen  nmspinnt  und 
umklingt,  wer  empfindet  nicht  zugleich  den  alle  Zweige  durchrinnenden 
Sonnenglanz  der  menschlichen  Gottbegeisterung?  Aus  dem  weiten  AU 


Digitized  by  Google 


—   167  — 


kommen  jene  t  ädeii  und  Klänge  gezogen  in  ein  frisches,  jugend frohes 
Siegfriedherz,  und  ins  weite  All  streben  sie  wieder  aus  diesem  Herzen 
dahin.  Die  große  Leere  auszufüllen  zwischen  Erde  und  Himmel:  das 
ist  die  Aufgabe  der  Kunst.  Wer  will  ermessen,  was  diese  Weiten 
erfüllt?  Alles  aber,  was  diesen  Räumen  angehört  —  weil  es  unser 
Denken  beflügelt,  unseren  Willen^  reizt  und  unser  ganzes  Wesen  mit 
dem  Glänze  eines  heiligeren  Fühlens  übergießt  —  alles  das  ist  er- 
ziehlich ;  alles  das  hilft  uns  zur  Gottähnlichkeit,  seien  es  die  Himmels- 
chore  eines  Klopstock  oder  sei  es  das  Leben  eines  Zola  schen  Arbeits- 
pferdes, das  in  den  Steinkohlengruben  des  Voreux  von  sonnigen, 
grünen  Wiesen  träumt. 

In  einem  Artikel  über  „die  Scheu  vor  der  Teudenzdichtnng***) 
habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  der  Künstler  seinem  Publicum 
gegenüber  eine  höhere  Culturpotenz  bedeute,  dass  während  des  Schaf- 
fens die  Menschheit  in  seiner  Brust  wachse  und  in  ihi*em  ideellen 
Besitzstande  gefordert  verde,  und  dass  die  Wirkung  jedes  Kunst* 
Werks  eine  menschkeltlich-pädagogisclie  sei.  Noch  frflher  habe  ich  in 
meineiii  Bnche  »QflfeiieB  Yidrl"  die  Emist  als  den  annlidieB  Anadrack 
des  oenschHchen  VoUeiidimgsdrangeB  bezeiehnet  und  behauptet,  dass 
sie  das  „bessere  Beale  der  Zukunft  vondmend  Torbüde."  Das  sollte 
mir  schlecht  bekommen.  Denn  man  legte  mir  das  ans,  als  verlangte 
ich  von  den  Künstlern,  dass  sie  das  Telephon  gefälligst  200  Jahre 
im  vorans  erfinden,  als  nihme  ich  an,  dass  etwa  die  moderne  Kunst 
die  heilige,  gar  nicht  zu  umgehende  Verpflichtung  habe,  eine  tadellos 
constmirte  Flugmaschine  mit  sSmmlichen  Nieten  und  Schrauben  zu 
ahnen.  Man  machte  mir  bemerkbar,  dass  die  Werke  eines  Shakespeare 
(man  hfttte  noch  wirksamer  Beethoven  oder  Baphael  heranziehen 
können)  doch  nichts  enthielten,  was  sich  in  einen  realen  Fortschritt 
ummttnzen  lasse,  dass  man  den  Dichter  mit  Becht  auch  einen  „rftck- 
wSrtsschauenden  Firopheten**  genannt  habe  und  dass  es  doch  anch  die 
pessimistische  Kunst  eines  Byron,  Müsset,  Leopard!  und  Bichard  Wagner 
(?)  gebe.  —  Mit  dem  „rückwirtsschauenden  Propheten**  wollen  wir 
beginnen.  Gibt  es  solche  Leute?  Ist  der  Dichter  wirklich  ein 
Prophet  dieser  Art?  0  gewiss,  oft,  sehr  oft  —  meistens,  wenn  man 
will!  Natürlich  handelt  es  sich  nicht  um  eine  Prophetie,  wie  sie 
Wildenbrnch  übt,  der  den  siebenjährigen  Krieg  und  den  alten  Fritz 
prophezeit,  selbst  nicht  um  die  feinere  und  glaubhaftere  Art,  wie  sie 
Schiller  durch  seine  Johanna  betreiben  lässt.   Worin  besteht  denn 


•)  „Magann  fOf  die  lAteratni",  Jahig.  189a 


Digitized  by  Google 


—   168  — 


aber  die  riickwärtsschaueDde  Proplietie?  Gerade  nicht  darin,  dass 
sie  auf  Kreig-nis^se  hinweist,  die  jedermann  kennt,  sondern  darin, 
dass  sie  auf  das  mit  dem  Finger  hinweist,  was  an  und  in  den  ?]reig- 
iiissen  nicht  bemerkt  wurde:  das  Htihere.  das  Geistige,  das  Nicht- 
sinnliche,  das  Allgemeingültige,  darin,  dass  sie  das  Geschehene  sym- 
bolisch beliandelt  und  uns  unsere  eigene  Erfalirung  deutet.  Nicht 
darin  freilich  bewälu  t  sich  die  Prophetenkratt  eines  Shakespeare,  dass 
er  uns  die  (^esclüclite  eines  alten  Vaters  von  drei  Trichtern  erziiiilt, 
aber  darin,  dass  er  die  Tragödie  des  Undanks  mit  Jahrhunderte  durch- 
leuchtender Walirheit  in  den  Seelen  sich  abspielen  lässt:  nicht  darin 
allerdings  bekundet  sich  die  Proiihetenkraft  eines  Schubert,  dass  er 
Lieder  zu  Lu.<t  und  Leid  der  Liel)e  singt,  aber  darin,  da.ss  er  uns 
zwingend  daran  gemahnt,  wie  aus  verges.><enen  Winkeln  des  eigenen 
Lebens,  aus  vergangenen  Stunden  vergangener  Tage  eigene  und 
dennoch  nie  gekannte  Stimmungen  uns  Uberfließen;  nicht  diuin  wahrlich 
zeigt  sich  die  Prophetenkraft  eines  Claude  Lorrain,  dass  er  uns  mit 
dem  Pinsel  bedeutet,  es  gebe  auf  der  Welt  Bäome,  Wiesen  und  Bäche, 
aber  darin,  dass  er  sie  zu  einem  stimmung-überglänzten  Ganzen  eom- 
ponirt  und  so  snf  unser  Auge  wirkt,  dass  unser  Ohr  bei  schw^gender 
Versonkenhdt  den  „Einklang  der  Natur  Temimmt^.  Mithin  ist  wd 
die  rAckwärtsBchauende  Prophetie  der  Kunst  nichts  anderes  als  eine 
Betrachtung  des  Endlichen  im  Lichte  des  Ewigen.  Das  Ewige  aber 
ist,  wenigstens  fttri  alle  optimistischen  Gemttther,  ein  Ding  der  HoiF- 
nung.  Und  wenn  es  ein  Ding  der  Hoffiinng  ist,  so  ist  es  ein  Ding 
der  Zukunft.  Aber  dann  unterscheidet  sich  ja  das  Sehergeschift  des 
Künstlers  gar  nicht  von  dem  anderer  Propheten!  In  der  That,  nein. 
Man  yeraeihe  meinen  Irrthum:  es  gibt  doch  keine  rAckwArtsschauenden 
Ftophetenl 

Aber  Pessimisten  gibt  es  frdlich!  Inwieweit  eine  pessimistischeKunst 
Kunst  und  inwieweit  sie  pessimistisch  ist,  soll  hier  nicht  untersucht 
werden.  Hinweisen  will  ich  aber  wenigstens  auf  den  sehr  beachtens- 
werten, gewöhnlich  aber  nicht  beachteten  Unterschied  zwischen 
principiellen,  pbilosophisch-consequenten  Pessimisten  und  Oelegenheits- 
pessimisten,  wie  wir  alle  es  hin  und  wieder  und  wie  vor  allem  sen- 
sible Künstlernaturen  es  häufig  sind.  Der  nach  individueller  Erlösung 
vom  Sein  strebende  Pessimismus  Schopenhauers  ist,  wie  ich  das  schon 
früher*)  dargethan  habe,  meines  Erachtens  überhaupt  nicht  mit  der 


*)  In  d«n  EuMj  ttber  „Die  moderne  Litexatunpaltung  and  Zola"  in  meinem 
Toierwlhnten  Buche. 


Digitized  by  Google 


—    169  — 


Kunst  und  dem  Kunstgennss  vernnbar;  etwas  anderes  scheint  es  mit 
dem  Pes^ismns  Hartmann's  zu  sein.  Er  erhofft  nnd  erstrebt  einen 
nnivei*selien  Über^anp-  ziim  Nichtsein  imd  nimmt  eine  bis  dahin  gehende 
and  dahin  zielende  Fortentwickelang  an.  (Beüänfig  eine  Meinung,  die 
einen  starken  pessimistischen  —  Optimismus  Toraossetzt.)  Und  die 
Wahrheit  des  Schönen  besteht  für  diesen  Pessimismus  in  der  ..Über- 
einstimmung" des  Bewusstseins-Inhalts  mit  dem  idealen  Wesen  und 
(Tniade  der  Welt"  Cvuljro  dem  Göttlichen)  und  ist  eine  Wahrheit,  ,,die 
nicht  demonstrirt,  sondern  nur  von  dem  empfänglichen  Sinne  implicite 
erfasst  und  gefühlsmäßig  oder  ahnunj^svoll  ergritten  ^  wird.  iDr.  A. 
Drews,  ..Ed.  v.  Hartmann's  Philosophie  etc/  i  Klar  ist  danach  jeden- 
falls, dass  auch  hier  die  Kunst  einen  eminent  päda«;ügisci»«-n  Wert 
hat,  dass  sie  mit  erzieht  zu  jener  univeisellen  Sehnsucht  nach  dem 
Nichtsein,  zur  Erlösun»:  aus  der  (lualvollen  Welt  des  . dummen" 
Willens.  Ob  nun  das  pessimistische  Entwickelungsziel  erstrebenswert 
ist  —  das  ist  eine  Frage,  die  uns  hier  nicht  angeht.  Ich  für  mich 
bin  der  Überzeugung,  dass,  wenn  wir  die  von  Hartmann  angenom- 
mene Reife  für  das  Nichtsein  erlangt  haben,  wir  uns  eines  Bessern 
besinnen  und  für  das  Weitersein  entscheiden ,  weil  das  Sein  auf  jenem 
StHndpiinkle  sehr  köstlich  sein  nuiss.  das  Niclitsein  aber  aus  denselben 
(■iriinden,  aus  deuen  es  nicht  sauer  sein  kann,  auch  niciit  süß  ist. 
Man  wird  nun  ja  wol  nicht  leugnen  wollen,  dass  die  Werke  Byrons 
und  Wagners,  und  wenn  sie  zehnmal  pessimistisch  wären,  uns  nicht 
nur  momentan  i)egeisteiii  und  entzücken,  sondern  auch  unserem  seeli- 
schen Fonds  die  köstlichsten  Momente  zu  dauerndem  Besitz  hinzu- 
fugen uiul  also  in  ihren  und  unseren  Ideen  und  Stimmungen  das 
bessere  Reale  dei*  Zukunft  vorahnend  vorbilden.  Ich  werde  ja  wol 
nicht  wiederholt  zu  betheuern  brauchen,  dass  ich  unter  dem  beaseron 
Realen  der  Zukunft  nicht  nur  Telegraphendrfthte  und  Eoch'sche  Heil- 
methoden verstehe.  Freilich  ist  es  schon  geschehen,  dass  selbst  so 
eoncrete  Dinge  poetisch  yoraosgeahnt  worden,  nnd  gewiss  ist  die  Qeburt 
großer  physikalischer  Gedanken  oft  darauf  znrückzoAlhren,  dass  die 
Kunst,  wenn  auch  nicht  EmpOngnis,  so  doch  Empiünglichkeit  und 
liebende  Begeisterung  bewirkte.  Das  bessere  Reale  der  Zukunft,  d.  h. 
der  allgemein  erhöhte  Glficksstand  der  menschlichen  Seele 
wird  aber  gleidiwol  nicht  allein  auf  materiellen,  er  wird  vorwiegend 
auf  geistigen  Realitäten  beruhen.  Und  dass  sie  durch  geistige  und 
sinnliche  Realitäten  das  Ahnen  einer  Seligkeit  in  uns  erwecken,  dass 
sie  mit  Pinsel,  MeiBel  oder  Feder  vor  uns  am  Himmel  die  verlockend 
hohe  Niveaulinie  jenes  Glttcksstandes  (nicht  am  Lineal!)  verzeichnen: 

PHdtfofiui.  14.  Jaluy.  Heft  HI.  13 


Digitized  by  Google 


darin  besieht  die  g^ioüe  pädagogische  Kraft  aller  künstlerischen  (ie- 
Uanken  und  .Stimmungen.  Dass  Homer  jene  Linie  schon  so  hoch 
zeichnet  wie  Schiller  seihst  wenn  dem  so  ist  —  was  sagt  das? 
^Tausend  Jahre  sind  voi-  dir  wie  ein  Tag,  der  gestern  vergangen, 
und  wie  eine  Nachtwache.*' 

Schon  seit  lan^^em  sehe  ich  im  llinterj^runde  diesei-  Austiiiiruiigen 
einen  Vorwurf  lauern,  der  sprungbereit  n)it  zoruif^en  Auiren  mich 
angliiht.  Jetzt  ist  sein  Auprenblick  ;;ekommen;  er  setzt  mii-  die  Tatzen 
aiil  ilie  Brust  und  schüttelt  mich.  „Also  selbst  die  künstlerische 
Stimmung  ist  vor  dir  niciit  sicher?  Soweit  die  Kunst  greifl)are  Ideen 
verkörpert,  mag  sie  ja  unsertwegen  erziehen  soviel  sie  will!  Aber  die 
Stimmung  sollst  du  uns  dadurch  nicht  verderben,  dass  du  sie  schul- 
meistern ISsst  Willst  du  uns  nicht  gefälligst  erklären,  wie  die  Stim- 
mung .das  bessere  Beale  der  Zukunft^  vorbUden  soll?  Wlnt  dn  es 
wagen,  in  die  kflnstlerische  Stimmimg  eine  BealitAt  hineinzatflfteln? 
Sie  ist  ein  Duft,  ein  Unbeschreibliches,  UnerklArlichesP  Von  solchem 
Ansturm  bin  ich  natttrlich  ganz  betftnbt,  und  ich  beschränke  mich 
deshalb  auf  die  höfliche  Bemerkung,  dass  ich  alle  Stimmung  für  ein 
gleichzeitiges  Wirken  zahlreicher  Vorstellungen,  dass  ich  sie  deshalb 
Ar  das  Chaos  halte,  ans  äem  sich  bei  plötzlich  verstärkter  Beleuchtung 
die  Sterne  der  Gedanken  bilden,  oder  dass  ich  sie  —  wenn  Herr  Carl 
Spitteier  mir  das  von  ihm  im  8.  StAck  des  „Kunstwart"  gebrauchte 
schöne  Bild  auf  einen  Augenblick  leihen  will  —  für  die  „elektricitäts- 
schwangere  Atmosphäre*  halte,  aus  der  sich  (beim  Schaflienden,  wie 
beim  Qeniefienden)  der  Gedanke  „eines  unvorhergesehenen  Augenblicks 
wie  ein  Blitz  entladet*.  Mit  dieser  diplomatischen  Umschreibung,  die, 
wie  ich  gern  zugebe,  keine  vollgültige  Antwort  ist,  weiche  ich  diesmal 
der  ungestümen  Bestie  aus,  um  ihr  und  dem  liebenswürdigen  Leser 
ein  anderes  Mal  in  dieser  Angelegenheit  ausführlicher  zu  begegnen. 

»Dean  klQger  acht'  ich's,  jctao  hier  su  srhlieBen. 
All  euch  vielleicht  durch  Länge  sn  mdrießen." 

Das  Eine  aber  wollte  ich  doch  nicht  vergessen  noch  zu  bemerken, 
n&mlich:  dass  ich  die  Kunst  nächst  dem  Leben  tiii-  die  berufenste  und 
mächtigste  Erzieherin  der  großen  und  kleinen  Menschen  halte  und 
dass  nach  meinw  Meinung  ans  praktischen  und  theoretischen  Gründen 
der  Literatumnterricht  den  Mittelpunkt  alles  Unterrichtes  auch  dort 
bilden  sollte,  wo  die  Kunst  nicht  im  classischen  Gewände  einher- 
schreiten  und  ihre  Zöglinge  durch  Vocai)pln,  Paradigmen,  Genus-  und 
Declinationsregeln  noch  inniger  an  sich  fesseln  kann. 


Digitized  by  Google 


Fldagogiflelie  Kundsebau. 

Zeititlmmen.  [Loi  des  LebrarsUndes.]  Das  19.  Jahrhundert  liat die 
SteUmig  des  Hanaee  snr  Sehale  ToUatladiff  veiftndert  Der  Staat  hat  den  Schal* 
zwang  angeordnet  nnd  das  BUdnngsmaB  yorgeschrieben,  das  jeder  Bürger  lich 
aneignen  mnss.  Die  Zeugnisse  der  liölieren  SclmlPii  sind  in  Berec.htis"nii2-s- 
Bcheine  amgewandelt  worden.  Da  wagen  die  Eltern  niclit  mehr,  sich  orten  ileu 
Einrichtangen  der  Schale  zu  widersetzen,  theüs  ans  Furcht  vor  drohender 
StraHe,  theila  wdl  ile  eingeaehen  haben,  daaa  die  Schale  mit  ihren  fbetgefllgten 
Ordnungen  ihren  Kindern  nnechfttzbare  Vortheile  vermittelt.  Die  Lehrer 
freilich  müssen  auch  liente  noch  unter  einer  gewissen  Gering^iclultzung  von 
neiteii  der  Eltern  leiden;  es  scheint  diesen  zum  historisclien  iieclit  geworden 
zu  sein,  den  Lehrerstand  über  die  Achsel  ansehen  zu  dürfen,  und  zwar  je  „ge- 
bUdeter"  die  Eltern,  deato  hänflger  diese  Ersdieinang,  Ansnahmen  natHriich 
sogestanden.  —  Dr.  G.  Stephan ,  Die  hansUoheErziehnng  inDentsehland  wahrend 
des  18.  Jahrhnndarta. 

Vor  3*^0  Jahren,  zur  Zeit  eines  Erasmus  und  Reuchlin,  da  war  der 
Philologe  der  erste  Mann  im  Staate,  um  den  Humanismus  und  uro  die  Huma- 
nisten drehte  sich  einen  Augenblick  das  Interesse  einer  Welt.  Aber  gerade 
in  Deotechland  drftngte  die  religiSse  Bewegung  rasch  genug  die  Bildnnga- 
frage  aus  der  entOQ  in  die  zweite  Stelle,  und  die  Theologen  kamen,  wie  sie 
es  im  Mittelalter  gewesen  waren,  auch  jetzt  wieder  oben  auf;  die  Schule  wurde 
ein  Anhängsel  der  Kirche,  der  Lehre)-  ein  Uutergebejier(des  l'fiirrers: . . .  docli  das 
Rad  drehte  sich  weiter:  auf  das  theologische  Zeitalter  folgte  die  Vorherrschaft 
der  Juristen,  nnd  sie  besteht  hente  noch,  soweit  ihnen  nicht  der  Offider  den 
Bang  abgelaafen  hat.  Die  hnmanistischen  Lehrer  aber  sind  bei  diesen  Um- 
schwüngen des  Rades  immer  tiefer  nach  unten  gekommen,  und  so  ist  es  zuletzt 
auch  den  Mediclnern  gelungen,  über  sie  hin  aufzurücken  und  ihnen  und  der 
Schule  gegenüber  Controle  und  dictatorische  Gewalt  in  Anspruch  zu  nehmen.  — 
Aber  freilich,  wenn  von  Schuld,  nicht  nnr  von  dem  Begreifen  eines  historisch 
Ottwordenen  die  Bede  sdn  soll,  so  sind  hier  nicht  in  erster  Linie  die-  LdUrer, 
soodem  es  ist  vor  allem  der  Staat  und  es  sind  ganz  besonders  die  Juristen  zu 
nennen.  Sie,  die  die  Gesetze  niarlien  inid  i]W  Staat sgfHcliüt'te  führen,  haben 
mit  einer  fast  naiv  zu  nennenden  Selbstsucht  dii'  Lt-luer  drunten  gehalten,  den 
Abstand  zwischen  sich  und  ihnen  in  der  Bemessung  der  Besoldungen  markirt 
nnd  ihnen  anch  die  hSheren  Stellen  Im  Scfanlwesen  alle  vorenthalten  nnd  fttr 
sich  reservirt.  In  diesem  letsteren  aber  liegt  nicht  nur  eine  krlnkende  Znrfick- 
Setzung  des  Lehrerstandes,  sondern  zugleich  noch  etwas  ganz  anderes,  all- 
gemeineres: es  fehlt  den  .Juristen  im  Durchschnitt  das  Herz  und  das  Ver- 
ständnis für  die  Schule;  niemand  wird  ihnen  das  verai'geu,  denn  woher  sollten 
sie  es  haben?  Aber  wenn  dem  so  ist,  dann  moss  die  Schale  mit  Nothwendigkeit 

18* 

Digitized  by  Google 


—   172  — 


Qiiter  ihrem  Regiment  leiden;  Olldso  sind  denn  auch  alle  fiir  unser  Schulwesen 
fruchtbaren  (iedanken  —  es  ist  ja  p:anz  selbstveratändlich  —  nicht  von  den 
au  der  Spitze  desselben  stehenden  .luristen,  sondern  von  den  If'achleuten,  von 
Schulmännern  ausgegangen;  dagegen  ist  jene  bureankratisch  formalistische  Be- 
bandlnog  und  Oeataltiing  der  Sehnle,  die  wir  beklagen  und  bekSnipfen,  im 
wesentliclien  ihr  Werk.  So  ist  denn  das  Verlangen,  dass  die  Schul  Verwaltung 
auch  in  ihren  h<iheren  Ämtern  und  Spitzen  SchuhnUnnern  in  die  Hand  gelegt 
weide,  nicht  nui-  im  Interesse  des  Standes,  sondern  im  Interesse  «Itr  Schule 
selbst  und  ihrer  gedeihlichen Entwickelung  durchaus  berechtigt.  —  Dr.  Theobald 
Ziegler,  Die  ¥ngea  d«r  Sclnilrtform. 

[Religion,  Schule,  Kirclie  und  Staat.]  Der  Religrionsnnterrieht  ist 
factisch,  und  natürlich  von  vielen  rühmlichen  Ausnahmen  abgresehen.  auf  unseren 
Gymnasien  im  Durchschnitt  schlecht  und  wirkt  daher  genau  so  wie  aller  andere 
schlechte  Unterricht  auch,  —  verderblich  auf  den  Heist  und  auf  die  Sitten  der 
ClaBBe.  Gerade  hier  liat  die  Phraie  vom  ersidiendeD  Uaterridit  auf  flÜBche 
Bahnen  geftthrt:  Der  Beligieosanterricbt  ist  ein  ünterricfat  vie  jeder  andere, 
man  wollte  ihn  aber  daneben  noch  direct  erziehend  oder  vielmehr  erbaulich 
machen  und  sclirieb  ihm  eine  besondere,  um  nicht  zu  sagen  eine  fast  magische 
Wirkung  auf  die  Sitten  zu.  Dieses  absichtliche  Thun  und  „Machen"  aber 
erreichte  nichts  als  ein  gewisses  unklares  Schwanken  in  Ziel  und  Ton  des 
Unterriehtes  selbst,  nnd  bei  den  Jungen  war  dbie  gans  natllriiehe  Abneigung 
gegen  diese  sieh  ihnen  aufdringende  Tendenz  die  nothwendige  Folge  oder 
verführte  sie,  was  noeh  weit  schlimmer  ist,  sn  Heuchelei  nnd  tief  innerer 
Unwahrheit  .... 

Nur  in  völliger  Unabhängigkeit  von  der  Kirche  kann  die  moderne  Schule 
geddhen  und  leisten,  was  sie  soll.  Und  darum  sind  auidi  das  einzig  Bichtige 
nicht  eonÜBSsionelle,  sondern  ämultansehulen  .  .  .  Wollen  wir  denn  schon  auf 

den  Schulbftnken  jene  confessionelle  Trennung  markiren,  die  unser  deutsches 
Volk  seit  370  Jaliren  spaltet,  wesentlicli  deshalb  spaltet,  weil  damals  ein 
spanischer  Kaiser  auf  dem  deutschen  i'hron  gesessen  und  für  die  religiösen 
und  nationalen  Bedürfnisse  unseres  Volkes  kein  Herz  und  kein  Verständnis  ge. 
habt  hat?  Die  Existenz  protestantischer  nnd  katholischer  Gymnasien  mag 
historisch  begründet  sein,  berechtigt  ist  sie  nidlt  m^.  nnd  die  Schaifling 
solcher  confessionellen  Anstalten  in  unseren  Tagen  fast  gar  ein  \*erbrechen  .  .  .  . 
In  dem  immer  neu  entbrennenden  und  nie  Iiis  zur  Entscheidun^r  durchgetociitenen 
Kampf  zwischen  Kirche  und  Staat  die  Schule  dem  letzteren  zu  erhalten  uud 
sie  gegen  die  Henschaftsgeliiste  der  Kirche  sichermstellen,  ist  die  Pflicht 
aller  tni  gesinnten  Geister;  dam  der  Kampf  um  die  Sehule  ist  dn  Kampf  Ar 
den  Staat. 

[(leschichtsunterricht.]  Und  nicht  viel  anders  Tals  mit  dem  Reliefions- 
untenichte,  siehe  obcnj  würde  es  mit  dem  GeschichtsunterTichte,  wenn  der- 
selbe in  bestimmter  Weise  patriotische  und  politische  Tendenzen  rerfolgen  sollte. 
Daher  wftre  es  auch  nach  meiner  Auffassung  der  Dinge  geradesu  gefthrlich^ 
den  Lehrern  die  Bekämpfung  der  Socialdemokratie  ansdrü<  klich  zur  Pflicht  zu 
machen  ....  Wahr  ist,  da.'.s  an  die  Stelle  des  linchoehenden  jugendlichen 
Idealismus,  der  für  Kaisei-  und  Reicli  als  tür  ferne  Ideale  und  Ziele  schwärmte, 
der  Realismus  des  Besitzens  und  des  Behaupteus  getreten  ist,  und  im  Zusammen- 
hange damit  ist  unsere  ganze  Zeit  nfiehtemer  geworden.   Die  Scblden,  die 


Digitized  by  Google 


—   173  — 


«liirin  lieic*?ti,  sehe  auch  ich  recht  wol.  Aber  unter  der  Hülle,  so  mein»'  ioh, 
»chiiuiJiLuern  die  idealen  Kräfte  des  deutacheii  X'olkes  doch  uach  wie  vor,  und 
wer  seine  Zdt  voitelit,  der  weiß  and  sieht,  nach  welcher  Richtung  hin  sie 
fravitiren,  nnd  wie  aie  im  rechten  AngeobUdc  wiedw  gewecict  werden  kennen. 
Aber  mit  ein  paar  Geschichtastandea  fflehr  weckt  man  das  schlafende  Dorn« 
i*ö8chen  nicht  auf,  vollends  wenn  man  so  großwortio;  nnd  weitspurig-  das  cliau- 
vinistische  Tam-Tam  schlägt  und  verkündigt:  ^Die  Anforderungen  der  Welt- 
stellung Dentachlands  an  die  Ausbildung  der  Jugend  reden  fiir  sich  selbst." 
Liebt  man  denn  die  Weltetellnng?  Liebt  man  denn  sein  Vaterland  nur,  wenn 
es  eine  Weltmacht,  wenn  es  gro6  nnd  mftchtig  ist?  Das  ist  doch  eben  der 
schlechte  Eealismus,  den  wir  bekilmpfen  müssen,  diesen  Geist  der  großwortigfen 
ünbescheidenheit ,  diese  chauvinistische  Sclmeidigkeit  ....  i^is  1871,  aber  dann 
auch  keinen  Schritt  weiter!  In  der  Zeit  von  1871  ab  stehen  wir  selbst  mitten 
innen,  das  ist  noch  nicht  Gesehiehte,  soodem  das  ist  politische  Gegenwart,  nnd 
diese  gehSrt  nicht  anf  die  Sehnle,  weil  ihr  die  Leidenschaften  des  Tages  nnd 
die  Parteikäropfe  der  Zeit,  das  Buhlen  nm  die  Gunst  nach  nuten  oder  nach 
«iben  fern  bleiben  müssen,  l'ber  die  großen  Zeit-  und  Streitfragen,  die  uns 
liente  beschäftigen,  kann  keiner  reden,  soll  keiner  reden,  ohne  Partei  zu  er- 
greifen, als  Mann  der  Partei  aber  verliert  der  Lehrer  mit  Nothwendigkeit  das 
Vertranen  mindestens  eines  Theüs  seiner  Schfller;  nnd  die  Schiller,  die  %n 
Hanse  oder  in  der  von  den  Eltern  gehaltenen  Zeitung  vielleicht  genau  das  Gegen- 
theil  hören  oder  lesen,  werden  durch  <len  Lehrer  schwerlich  belehrt  und  belcelirt, 
wol  aber  frühreif  zum  Kaisonnii'en  und  Kritisiren  heran gezo^-en. 

Th.  Ziegler  a.  a.  O. 

Vom  Lehrertagc  und  Pestalozziverein  der  Provinz  Branden- 
burg.*) Einer  freundlichen  Einladung  der  Stadt  Lackenwalde  folgend,  tagte 
daselbst  am  28.,  29.  nnd  30.  September  d.  J.  der  Lehrer?erband  nnd  der 

Pestalozziverein  Brandenburgs. 

Am  28.  September  gleich  nach  1 1  l'lir  wurde  zunächst  eine  \'orstauds- 
ützung  abgehalten,  in  der  diejenigen  X'on^tandsmitglieder  bezeichnet  wurden, 
weiche  In  den  Terscbiedenen  Abtheilungssitzungen  dm  Vorsits  führen  sollen. 
Bfaie  Itngere  Besprechvng  Teradasst  du  Referat  des  üntnveidmeten  Ober  die 
Zwangserzieiinng  \'erwabrloster  Binder.  Es  wird  der  Beschluss  gefasst,  dem 
Vorstande  des  Landesvereins  preußischer  \'olksschullehrer  die  in  dem  Heferat 
niedergelegten  MeinungsUußerungen  zu  übermitteln,  damit  derselbe  der  „lutt  i- 
nationalen  kriminalistischen  Vereinigung'^  Kenntnis  von  unsern  Wünschen  be- 
zOgUch  der  Zwangsernidinng  Terwahrlostw  Kinder  gebe.  —  Nachdem  die 
Chrnndzüge  für  die  Tagesordnung  der  Hauptversammlung  dnrcligesprochen  nnd 
festgestellt  sind,  wird  die  Sit7:nn?:  nach  1  Ulir  iresrhlossen. 

Um  2  Uhr  eröffnet  der  Vorsitzende,  Uaaptlehrer  Hohenstein-Brandenburg, 

*)  Seit  Jahren  haben  wir  ausftthrlielien  Berichten  unter  obigem  Titel  Raum 

pregj'bpn,  weil  dieselben  ein  dcutlifhcs  Bild  von  der  Situation,  dem  Ooisto  und  dtn 
Bfhtn.'bungen  der  Volksschullehrer  in  dir  Stammprovinz  des  preulHsi  licn  Staat«  s 
geben,  also  gewissermaßen  von  typischer  HtMleutimg  sind.  Anderseits  alier  le<rr  um 
der  Umfang  dieser  Blättor  iinabweisliche  Kilcksichton  auf,  weshalb  wir  diesmal  auch 
an  dem  Brandeubareer  Beriebt  einige  Kürzungen  vornehuicu  musittcu,  ihu  im  Ubrigeu 
jedodi  wortgetreu  mlgen  lassen.  D.  B. 


Digitized  by  Google 


—   174  — 


die  ^>rtreterver8amTnlnIlß:.  Er  heißt  die  Herren  herzlich  wnikoiiiiiit'n  und  bittet, 
da  die  Tagesurduung  eine  sehr  reiche  sei,  bei  den  Debatten  kurz  und  reiu 
saehlicb  sein  m  wollen.  Gern  stellt  er  fest,  daas  die  Verefusarbeit  einen  er- 
freulichen Aufschwang  genommen  habe  nnd  dase  ihm  in  diesem  Jahre  fttst  von 
der  Mehrzahl  der  Kreisverbände  die  Jahresberichte  rechtzeitig:  zugestellt  worden 
peieu  ;  dennoch  müsse  er  es  riip:en.  dass  ihm  nicht,  wie  es  sein  soll,  die  Mitglieder- 
verzeichnisse eingesandt  würden;  ebenso  werde  es  häufig  unterlassen,  ihm 
KeantBfe  Ton  dem  Wechsel  zu  geben,  der  sieh  im  Votaita  der  EreisTerbftnde 
Tollaiebe;  das  allea  führe  aber  so  mancbeilei  UnzntriigUchkeiten  nnd  IQsa* 
standen.  Die  Delegirten  werden  ersucht,  dahin  wirlcen  zu  wollen .  dass  Ab- 
hilfe gesrhaffen  werde.  Würde  das  Vereinsorgan  von  all*  n  Mitgliedern  gelesen, 
so  könnte  so  etwas  gar  nicht  vorkonmun.  nnd  es  würde  dem  Vorstände  die 
Arbeit  wesentlich  erleichtert  werden;  er  bitte  deshalb  recht  dringend,  das 
Vereinsorgao  verbreiten  nnd  allen  Kollegen  dasselbe  warm  ans  Hera  legen 
m  wollen. 

Die  nun  folgende  Feststellung  der  Vertreter  und  Verbände  ergibt  flie 
Anwesenheit  von  77  Delegirten .  die  sich  im  Laufe  der  \'erhandlungen  aut 
79  erhöhen;  von  diesen  werden  vertreten  3t)  Kreisvei  bände  mit  lö'2  Local- 
verbftnden  und  4007  Mitgliedern.  Das  ergibt  gegen  das  Voijalir  einen  Zu- 
wachs  TOD  1  Kreisverband,  10  Localverbanden,  10  Ddegirten  nnd  389  Mit- 
gliedern.   CFolgt  Oescbftftliches.) 

Ks  erhillt  nunmehr  Herr  T'astor  prim.  Seyftartli-Liegnitz  das  Wort  Der- 
selbe führt  aus,  dass  er  vor  etwa  21  Jaiireu  die  Kedaction  der  „Preußischen 
Schulzeitung''  in  der  Hoä'nuug  übernoninien  habe,  durch  dieselbe  eine  allseitige 
Vertretnng  des  Lehrerstandes  in  seinen  Int^^ssen  hwbdanfBhren.  Leider  mnsa 
er  beste  bekennen,  dass  iinn  dieg  bei  der  Lauheit  der  Lehrerschaft  nicht  voll 
und  gana  möglich  geworden  ist.  Na(  Iniem  Redner  die  Grundsätze,  nadi  denen 
er  das  Vereinsolga  II  geleitet,  und  die  Ziele:  innere  Kräftigung  des  Lehrerstandes 
Q&d  äußere  Organisation  des  ächulwesens  —  feste  tinanzielle  Grundlage  und 
innere  einlieitU<Ae  fiildnng  des  Volkes  —  dargelegt,  appellirt  er  an  die  Lehrer 
der  Mark  Brandenburg,  zn  ihrem  eigenra  Vortiieil,  in  ihrem  eigensten  Interesse 
sich  nm  das  Vereinsorgan  zn  scharen  und  sich  das  einigende  Band  zu  erhalten. 
Dahin  müsse  es  kommen ,  dass  jedes  Mitglied  des  großen  Verbandes  anch  das 
Voreinsblatt  halte. 

Von  demselben  Keferenten  wird  alsdann  Uber  das  zu  begründende  ,^  Lehrer- 
heim** in  Schreiberhan  berichtet  nnd  das  üntemebmen  anch  der  Unterstfitzon^ 
seitens  der  Lehrerschaft  Brandenburgs  warm  empfohlen.  — 

Hierauf  gelangt  der  Antrag  Zielenzig:  „Die  Neuregelung  der  Lehrer- 
gehiUter  mit  Rücksicht  auf  den  Mini8terialerla.s>  vom  26.  Juni  er."  zur  Be- 
sprechung. In  der  Begründung  dieses  Antniges  wird  gefordert,  eine  Commissiuu 
an  den  Herrn  Oberprftsidenten  zn  entsenden,  die  an  dieser  Stelle  die  Wünsche 
der  Lehrerschaft  znm  Ansdmck  bringen  soll.  Die  Versammlung  verhält  sich 
ablehnend  dazu,  empfiehlt  vielmehr  Rücksprache  mit  den  Herren  LandrUthen, 
die  zu  der  vi>n  dem  Herrn  niicrprSsidenten  einzuberufenden  (Ninferenz  ein- 
geladen sind,  zu  nehmen  und  diesen  specielle  Haushaltungspläue  vorzulegen, 
wie  dies  bisher  schon  von  vielen  Seiten  geschehen  sei.   (Folgt  Geschäftliches.) 

Der  29.  September  gehörte  dem  Pestaloniverein,  Jedoch  fanden  vor  nnd 
nach  der  Hanptveriiandlang  noch  versdiiedeoe  Seetienssitanngen  statt,  so  wurde 


Digitized  by  Google 


—   175  - 

in  der  Abtheilnng  fiir  Zeichnen  geßprochen  über:  „Das  Zciclinen  in  der  Mädchen- 
schule"  ;  in  der  Sectiou  für  Rechnen  kam  die  Frage  zur  Behandlung:  „In 
welchem  Umfange  hat  die  Behandlung  der  additiven  Sabtraction  Berechtigung 
in  der  Sdrale?**)  and  in  der  Abthdlmig  für  Physik  worden  intereesante  Bzpe* 
fimente  mit  n«ieren  physikalischen  Apparaten  vorgefahrt,  auch  kam  hier  ein 
ganz  neuer  Apparat,  „Horizont"'  genannt,  zur  Vorführung.  Mit  Hilfe  dieses 
Apparates  lassen  sich  die  Fragen  zuverlässig  beantworten:  „Wann  und  wie 
weit  vom  Ost-  bezw.  Westpuukte  eutfernt  geht  die  Sonne  auf  oder  unter  V  '  — 
^Wie  groft  ist  der  Tag-,  der  Naehtbogen?"  —  „lo  welcher  Httbe  steht  die 
Sonne  (Winkel  mit  der  Horizontflftche)?''  —  „  Weldie  Neigung  hatdieHoriEont- 
tläche  zur  Erdachse  fPolliöhe)?"  Die  Fragen  kiiniieii  gestellt  werden  für  jeden 
Ort  der  nördlichen  Erdhälfte  und  für  jeden  Tag  im  Jahre.  Der  dauerhaft 
und  mit  gewissenhafter  Genauigkeit  gearbeitete  Apparat  sei  als  brauchbares 
Anscbannngsmittel  bestens  empfohlen;  der  Preis  beträgt  54  M. 

Oleich  nach  10  Uhr  wird  die  PestalossiTersammlnng  durch  dm  Vor- 
sitzenden, Gymnasiallehrer  a.  D:  Sellheim- Eberswalde,  eröffiiet  Es  erfolgt 
Absingnng  der  Liedstrophe:  „Gieb.  da.<s  ich  tlin  mit  Fleiß.  w;ts  mir  zu  thnn 
gebürcf.  Nach  den  nbliclien  Kt  grüUungeii  und  den  darauf  folgenden  Dankes- 
worten nimmt  der  Vorsitzende  das  Wort  zu  einer  markigen  Ansprache  au  die 
zahlreich  berachte  Versammlong  (4(  0).  Leider  vorbietet  es  mis  der  ans 
angemessene  Kaum,  näher  auf  die  treffliche,  von  Pestalozad's  Geist  nnd  Liebe 
erfüllte  Kede  einzugehen.  Hervorheben  aber  wollen  wir,  dass  der  Redner 
einer  von  den  Jlännern  gewesen  ist.  die  heute  vor  2U  Jahren  an  der  Wiege 
des  jungen  Vereins  gestanden  und  seit  dieser  Zeit  nicht  müde  geworden  sind, 
in  hinge1)ender  Liebesthfttigkeit  den  ann«i  bedrtagtrai  Witwen  und  Waisen 
an  helfen  nnd  ihre  Noth  an  lindem.  —  Die  sich  jetzt  geltend  machenden  Be- 
strebungen ,  den  Verein  in  einen  Rechtsverein  umzuwandeln,  weist  der  Redner 
zurück  und  bittet  alle  Collegen,  auch  ft^rneiliin  die  freie  LiebesthStigkeit 
walten  zu  lassen,  die  Beitrüge  aber,  da  die  Noth  dei'  Witwen  noch  immer  gar 
groB  sei,  nach  Kräften  erhöhen  zu  wollen.    (Folgt  Geschäftliches.) 

Damit  ist  die  heutige  Tftgeaordnnng  erledigt  and  nach  Absingnng  einer 
Liedstrophe  schließt  der  Vorsitzende  die  Versammlung. 

Am  Nachmittage  wurde  den  Gästen  ein  schöuoi-  (reiiuss  durch  ein  herr- 
ti(  lies  Kirchenconcert  bereitet,  das  mit  viel  TJebe  und  Sorgfalt  voi  h»Meitet  und 
ausgeführt  \vurde.  Allen  Mitwirkenden,  insonderheit  aber  dem  tüchtigen  iUri- 
geaten  Herrn  Lehrer  AibrechtpLnakenwalde  sai  an  dieser  Stelle  unser  wärmster 
Dank  dalttr  gesagt  Um  6  Uhr  begann  das  Festessen,  an  dem  reichlich  200 
Mitglieder  theilnahmen  und  das  die  Gäste  bis  nach  Mitternacht  ansaniiiM  tilu'elt. 

Der  30.  Septenibei  brachte  uns  die  Hauptversammlung  des  Lilirer- 
verbandes  der  Provinz  Brandenburg.  Haid  nach  10  Uhr  wnrde  dieselbe  durcli 
den  Vorsitzenden,  Hauptlehrer  Hohenstein- Brandenburg  a.  Ii.,  eröffnet.  Nach 
Abdngung  der  ersten  Strophe  des  Liedes:  ,,0  heü'ger  Geist,  kehr  bei  nns  ein", 
ergriff  der  Vorsitzende  das  W^ort  zu  folgender  Ansprache: 

..Da.s  .Mte  stürzt,  es  ändert  sich  die  Zeit,  nnd  neues  Leben  blüht  aus  den 
Knill' n.  '  I^iese  Worte  unsere.s  Soliillers  drücken  die  Hoffnung  aus,  die  uns 
zu  Aiifatig  unseres  \  erein^ahres  beseelte.    Das  Schulgetz  wurde  in  Aussicht 


*)  Hierüber  wftren  einige  Hittheilnngen  erwUnscht  gewesen.  D.  A. 


Digitized  by  Google 


—    176  — 

gestellt  Manche  Brost  hob  sidi  erieichtert,  and  firendif  strihnten  die  Worte 

des  Dichters  von  den  Lippen:  r-Non,  armes  Hers,  Yerg:is8  der  Qnal»  nun  muss 

sich  alles,  alles  wenden!"  Doch  zum  Schlüsse  derselben  heißt  es:  „Still,  auf 
gerettetem  Hoot,  treibt  in  den  Hafen  der  Greis."  Das  fast  seit  hundert 
Jabi'eu  verliei^ene  and  erwartete  Schulgesetz  wurde  vorgelegt,  aber  es  brachte 
uns  nnr  BnttlliiBchnngen.  Die  Vertreter  der  ProvinzialvefUiidB  kamen  in  den 
Weihnachtsferien  in  ICagdebnrgr  «isammwi  und  „hielten  eifrig  Bath**,  welche 
Ändemogen  bei  diesem  Gesetze  zum  Wole  der  Schalet  des  Volkes  und  des 
Staates  zu  wünschen  seien.  Diese  Wünsche  wurden  den  gesetzgebenden  Kiirjter- 
schaften  raitj^etheilt,  aber  sie  fanden  bei  der  Ikrathung  des  Gesetzes  keine  lie- 
rücksichtigung.  Die  Schule  bedarf  des  Friedens  und  niuss  sein  eine  Stätte  des 
Friedens.  Das  Schulgeseti  aber  wnrde  ein  Zankapfel  der  politiseheo  nnd 
religiSsen  Parteien,  und  dabei  kann  die  Sdinle  nicht  gedeihen.  Die  Verhält- 
nisse  gestalteten  sich  derartig,  dass  Herr  von  Gossler,  der  Schule  nnd  Lehrer 
stets  mit  Wolwollen  beliandelt,  dem  wir  das  Pensionsgesetz,  die  Dienstalters- 
zulagen,  den  Wegfall  der  Witwen-  und  Waiseucassenbeiträge,  die  Halb-  und 
Gaaswaisengelder  an  dankra  liabeai  der  nmere  fraten  Vereinsbestiebnngen 
nicht  nnr  duldete,  sondern  sogar  flfrdarte,  der  ftberatt  für  die  Aehtnng  and  die 
Ehre  unseres  Standes  eintrat,  der  in  denselben  die  intelleetaelle  nnd  moralische 
Kraft  erkannte,  die  fiUiig  und  stark  genug  sei,  alle  Veninglimpfiingen  gebürend 
abzuweisen  und  zu  erti'agen.  der  die  .*>clinle  als  einen  Eckstein  für  Köni^i:  und 
Vaterland  hinstellte  —  und  dieses  alles,  ineine  Herren,  wollen  wir  doch  ja 
nioht  vergessen  —  den  Hinistersessel  verlieft. 

Die  Zahl  unserer  Feinde  ist  auch  nicht  im  Abnehmen  begriffen,  und  in 
reichstem  Maße  sind  wir  in  diesem  Jahre  von  denselben  verunglimpft  worden. 
Herr  v.  Treitschke  führte  den  Reigen;  doch  ist  derselbe  nicht  mehr  ernst  zu 
nehmen.  Wer  so  wenig  Zeitgeschichte  kennt,  dass  er  uns  Ideen  unterschiebt, 
die  von  Geistern  stammen ,  die  mit  ihm  gleiche  Bildung  genossen  haben,  der 
spielt  als  Historiker  eine  reeht  klftgliehe  Rolle.  Wenn  er  sagt:  „Es  ist  ein 
sdilechter  Geist  bei  den  Volksschullehrem  eingezogen,  rie  wenden  sich  von 
ihrer  eigentlichen  Beschäftigung  ab  und  halten  ^'er8ammlungen  ab",  so  beweist 
er  dadurch  nur,  dass  er  unsere  N  ci Sammlungen  gar  nicht  kennt.  Wir  arbeiten 
in  denselben  mit  Ernst,  Eifer  und  Hingebung  au  der  Hebung  der  Volksschule 
nnd  ihrer.'Xehrer  und  damit  fttr  das  Wol  nnseres  dentschen  Volkes  and  mm 
Heüe  des  N'aterlandes.  —  Der  Decan  Decker  in  Griinstadt  schreibt 
dagegen  in  der  ,. Union"  über  unsere  \'ersammhingen:  „Vieles  der  Schule  Er- 
sprießliche ist  auf  den  Lehrerversammlungen  schon  beschlossen  und  ansgeführt 
worden.  Manches  hätten  die  Angehörigen  eines  Standes,  au  dessen  Wege 
reichliche  Domen  wachseni  nicht  erreicht,  wenn  sie  nicht  mit  vereinter  Kraft 
danach  gerungen  bitten.  Aach  sie  haben  erfahren,  dass  Bünigkeit  stark  macht** 

Dr.  Conradt ,  Gymnasialdirector  in  Greifenherg ,  gesellte  sich  Herrn 
V.  Treitschke  zu.  Seine  geringschätzigen  Äußerungen  über  unsere  Hildung  und 
über  unsere  Lei-stungen  sind  schnn  von  anderen  Herren,  die  nicht  pro  domo, 
wie  Herr  Conradt,  gesprochen  haben,  in  das  rechte  Licht  gestellt  worden.  Herr 
Dr.  Thiel,  Geheimer  Oberregiernngsrath,  sagt  bei  Berathnng  der  Frage  über 
die  Ausbildung  von  Lehrern  an  Landwirtschaftsschulen:  „Die  Erfhlumng  zeige, 
da.s8  die  Elementarlehrer  im  allgemeinen  bedeutend  bessere  Lehrer  als  die 
Gymnasiallehrer  seien.''  —  Und  Herr  Professor  Dr.  31ttrcker-HaUe  sagt:  „Bei 


Digitized  by  Google 


—   177  — 

den  Prüftmgfen  der  Schüler  der  landwirtschaftlicben  Winterschulen  dt'r  l'riA  iuz 
Sachsen,  welchen  er  im  Auftrage  der  Provinzialverwaltung  beizuwohnen  habe, 
zeige  sich  \'ielfach  bei  den  neueintrctendeu  Directoren  und  Lehrern  ein  »ehr 
bedenklicher  Maugel  hinsichtlich  der  ^lethudik  des  UnteiTickts,  der  sich  be- 
wanden  in  der  mangalhaftea  Einthejlgng  des  StoiFes  annpredie.  WUirend  die 
profeBBioiiellen,  d.  h.  seminarisÜBch  gebildeten  Lehrer,  welche  an  den  gleiche 
Anstalten  in  den  Elementargepfonständen  unterrichten,  in  dieser  Beziehung  vor- 
züglich ausgebildet  seien  und  deshalb  auch  Uberall  Ausgezeichnetes  leisten,  trete 
der  Maugel  einer  seminaristischen  \'orbiiduug  bei  den  FaclUehrem  leider  häutig 
stSrend  henror.**  Wir  danken  diesen  Herren  für  ihre  Zeugnisse.  Herr 
y.  Treltschke,  Herr  Gonmdt»  wie  sieht  die  Sadie  jetzt  ans? 

Anch  Herr  von  Brühl,  nnser  alter  Freund,  war  wieder  auf  dem  Plan. 
Bei  der  Berathnng  der  Witwenpensionen  sagte  er:  „Man  müsse  bezüglich  der 
( "oneessinnen  an  die  Lehrer  endlich  Halt  niai  lu  ii".  Ihm  zur  Seite  steht  die 
-Cübleuzer  Vüikszeituug" ;  sie  schreibt:  „Der  Schulmeister  von  Sadowa  wird 
immer  gefrSBiger;  es  ist  im  hfichsten  Grade  nothwendig,  dass  man  ihm  endlich 
dm  moralischen  Maulkorb  etwas  hSher  bäng^'^.  —  Die  Aasdmelcsweise  ist  so 
wenig  edel,  dass  ich  der  Ehre  anseres  Standes  wegen  nicht  weiter  darauf  ein- 
gehen kann.  — 

Dagegen  schreibt  Herr  I^farrer  Koblrauscli  iu  seiner  Broschüre:  »Der 
evangelische  Oelittidie  nnd  der  evaogelisdie  VolkssehoU^nr'* :  ^IMe  Besolduiig 
der  Volksschnllehrer  ist  eine  Schmach  nnd  Schande  für  nnser  ganses  Staats- 
wesen, nnd  man  begreift  nicht,  wie  diejenigen,  die  es  zu  verantworten  haben, 

ein  gutes  und  ruhiges  Gewissen  dabei  haben  können."  Und  unser  hoher  Chef, 
der  Herr  Cultusnünister  v. "  Zedlitz-Trütschler,  sagt  in  seinem  Erlasse  vom 
26.  Juni:  „Dass  der  heutige  Znstand  den  Interessen  des  l  nterrichtsweseus 
nnd  den  bflligeo  Ansprachen  des  Lehrerstandes  nicht  mehr  entspricht;  dass  sahl- 
reiche  Beschwerden  und  allgemeine  Berichte  aus  neuerer  Zeit  die  Unhaltbarkeit 
der  gegenwUrtigen  Verhältnisse  erkennen  lassen".  Wir  sind  Sr.  Kxcellenz  dieser 
AVorte  wegen  ganz  besonders  dankbar.  Nacli  einem  solchen  Zeugnisse  von  so 
hober  Stelle  wird  doch  das  widerliche  Geschrei  niedrig  denkender  Seelen  von 
dem  nVnanfHedenen  Scbnlmeister**  endlich  verstummen  müssen. 

Mehie  Herren,  wir  lassen  uns  nicht  irre  machen  durch  das  wibte  Geschrei 
i-ingsnmher,  besondm  nicht  durch  das  der  Bochnmer,  deren  bed^tendster  ^'er- 
tieter  im  Abgpordnetenhausc  Herr  Fuchs  war.  Wir  weisen  ganz  entscliieden 
und  mit  Entrüstung  die  Unterschiebung,  dass  wir  die  religionslose  Schule  wollen, 
zurück.  Wir  fordern  den  Heligionsunterricbt  für  uns  als  Lebrgegenstaud  in 
der  Schule;  wir  wollen  die  Lftmmer  des  Herrn  weiden.  Wir  werden  deshalb 
nicht  ablassen,  uns  in  auseren  Versammlungen  anzuregen,  zu  begeistern  für 
den  hohen  Beruf,  den  Gott  uns  zugemessen.  Wir  werden  fort  und  fort  unsere 
Gedanken  ausrausclien  und  klären.  Irrlhümcr  und  falsche  Auffassungen  be- 
richtigen und  uusem  Gesichtskreis  erweitern,  damit  wir  immer  würdiger  werden, 
das  SU  sein,  was  nnsm*  hoher  Chef  am  6.  Ifai  Im  Abgeordnetenhause  von  uns 
sagte,  als  er  die  uns  gemachten  Vorwfirfe  mit  aller  Energie  mrilekwies:  r^et 
Volimschnllehrer  soll  ein  Hoherpriester  am  Hansaltare  unseres  Volkes  sein;  aber 
ich  bestreite,  dass  die  Lehrer  dieser  Aufgabe  nicht  voll  genügen."  Wir  stehen 
und  haben  immer  gestanden  im  Dienste  der  Ideen  unseres  erhabenen  Kaisens 
Aber  Lehrerbildung  nnd  Erziehung.  Wir  wollen  erziehen  ein  Volk,  das  sich 


Digitized  by  Google 


178  — 


nicht  luikrt  an  lUaehe  Bede,  das  in  aUen  Verhsltnitten  tren  dem  Könige,  das 

in  Zeiten  der  Noth  Gut  und  Blut  opfert  für  die  Ehre  des  Vaterlandes;  denn 
„nichtswürdig  ist  die  Nation,  die  nicht  ihr  Alles  fiendig-  setzt  an  ihre  Ehre**. 
Unser  Wahlspruch  ist  und  bleibt:  „Mit  (rott  fiir  Ivönig  und  Vaterland!"  Ich 
fordere  Sie  auf,  sich  zu  erheben  und  mit  mir  einzustimmen  in  den  Ruf :  Kaiser 
Wilhelm,  der  Schirmer  des  Beehts,  der  Helfer  der  Schwachen,  der  Wahrer  dea 
Fliedens,  der  Förderer  der  Bildung  und  Wissenschaften,  der  Hüter  altdeutscher 
Sitte,  ilev  Pflffrer  cliristlicher  Zucht,  er  lebe  hoch,  hoch,  hoch!  — 

Mit  großer  Begeistern dj;:  stinunt  dir  \*ersannnlung  in  diesen  Hochruf  ein. 
Nachdem  noch  einige  Begrüßungen  ausgetauscht  sind,  wird  das  an  den  Herrn 
Untertiehtaminister  beadilosaene  Telegramm  Terlesen;  dasselbe  lantet:  „Sr.  Ex- 
odlenn  dem  hochverehrten  Chef  der  Unteirlchtaverwaltnng  senden  die  hettte 
zur  General vei-snmmlnng:  anwesenden  llttgUeder  des  Brandenborgischen 
PrOTinziallehrerveibandes  ihren  ehrerbietigsten  Danl<  und  (riuß". 

Aus  dem  Jahresbericht  des  Vorsitzenden  .sei  noch  kui-z  hervorgeliuben: 
Unser  Verband  befindet  sich  nach  allen  Seiten  In  aufsteigender  Bewegung. 
Der  BesQch  in  den  Versammlnngen  der  Einxdverbftnde  war  ein  sehr  reger  nnd 
ist  auch  dementsprechend  gearbeitet  worden.  Die  Beratlinng  des  Schulgesetzes 
hat  in  den  meist«-»  Verbänden  verschiedene  Versammlungen  b»'ans]»ruclif .  MUl'er 
dieser  Arbeit  sind  aber  noch  753  Vorträge  gehalten  worden,  die  grölltentlit-ils 
Fragen  aus  uuserm  Beruf  behandelten.  Sie  sind  ein  Beweis  dafür,  wie  überall 
die  Lehrer  bestrebt  sind,  ihre  Zeit  an  Terstehen  nnd  steh  anf  der  H5he  der  Zeit 
zu  erhalten.  Erfrenli^  ist  es  auch,  dass  sich  in  verschiedenen  Vorbänden 
Abtheilungen  bildeten,  welche  die  einzelnen  Unterrichtsdisciplinen  zum  Gegen- 
staude ihrer  Arbeit  ijeniacht  haben.  —  In  einzelnen  (Tegoudt  n  unserer  Provinz 
stehen  die  Lehrer  leider  noch  dem  Vereiusleben  vollständig  fremd  gegenüber; 
das  Diesterwegjalir,  auch  die  Vorlage  des  Schnlgesetzes  hat  dieselben  nicht 
bewegen  können,  sieh  an  der  gemehisamen  Arbeit  zn  betheiligen;  möge  das 
Comeninsjahr  sie  dazu  treiben! 

Es  erhält  nunmehr  das  Werf  Hcii-  1, ehrer  Otto-Cliarluttenbnrg  zu  seinem 
Vortrage:  r.l>ie  Kefonn  des  \  olkssciiulunterriclits  im  Sinne  des  kaiserlichen 
Erlasses".  Wir  müssen  uns  hier  damit  begnügen,  aus  dem  inhaltsreichen, 
sehwnngroUMi  nnd  formschönen  Vortrage  die  Leitsätze  wieder  an  geben:  I.  Der 
kaiserliche  Erlass  Tem  1.  Mai  1889  fordert  mit  Recht  von  der  Schule,  dass 
sie  der  Ausbreitung  socialistisolier  und  roinuiuriistiselier  Ideen  entgegen  arbeite; 
indessen  kaiiii  flie  Schule  nur  eine  besehiänkte  \\'irksamkeit  entfalten,  da  sie 
a)  nur  einen  Factor  in  der  Reihe  der  culturbildenden  Momentt^  eiues  \'olkes 
bildet,  nnd  b)  nicht  direet  in  die  socialen  Kämpfe  der  Gtegenwait  einzugreifen 
vermag,  n.  üm  im  Sinne  dea  kaiserlichen  Erlasses  zn  wirken,  ist  eine  Beform 
des  Religionsunterrichtes  und  eine  solclie  des  Gescliiclitsnnterriehtes  geboten. 
Dieselbe  ist  vorwiegend  stofflicher,  aber  auch  niethodisclur  Natur.  III.  Im 
Religionsunterricht  ist  a)  der  Meniorierstol!  auf  das  Nothwendige  zu  beschränken 
(zeitgemäße  Umgestaltung  von  Luthers  Erklärungen),  b  i  muss  die  ethische  Seite 
in  den  Vordergrand  treten  (Znräcktreten  des  alten  Testaments  vor  dem  Lebens» 
bilde  Christi).  IV.  Im  Geschichtsunterricht  muss  ai  nene  und  neueste  Zeit- 
geschichte bes<inders  iretrieben  werden,  b)  ist  die  (leschichtp  culturgeschiehtlich 
zu  treiben  (Many:el  :in  geeigneten  Lehrbüchern  für  den  Lehrer).  Belehrungen 
über  Volkswirthbchalt  und  socialpolitische  Gesetzgebung  sind  bei  geeigneter 


Digitized  by  Google 


—   179  — 


V«nuilM>iiBgr  mit  Gesebichte,  Religion,  Geographie  und  Becbnen  zi  verknüpfen. 
V.  Einer  befriedigenden  Lösung  der  gesMlten  Aufgabe  treten  znr  Zeit  noeh 
mancherlei  Hindemisse  in  den  Weg  (Mangel  einer  obligatorisciicn  Fortbildangs- 
sclnile,  überfüllte  Schalclassen  n.  a.>.  —  Der  Vortrag  wurde  von  der  Ver- 
sammlung mit  rauschendem  Beifall  auf-  und  die  Thesen  ohne  Debatte  unverändert 
angenommen. 

Nadi  einor  korsen  Pmm  vw.  15  Hin.  ertdUt  Herr  Hlelecke-Spandan  daa 

Wort  zu  seinem  Vortrage:  »Die  Sprachgebrechon  unserer  Schulkinder,  ihre 
Verhütung  und  Bekiinipfang:".  Audi  dieser  Vortraj?  fand  Anklan?  und  wurde 
mit  Beifall  anf^enoiunien.  In  der  Specialdebatte  wurden  statt  der  vom  Vor- 
tragenden aufgestellteu  Thesen  folgende  drei  augeuummeu:  1.  Die  Maßnahmeu 
znr  Veriifltnng  nnd  Beklmpfting  der  Sprachgebreehen  in  der  Sdinle  sind  noth- 
wendig;  denn  diese  fiben  einen  unheilvollen  Einflnss  auf  die  Entwickelung  des 
Kindes  ans.  2,  Es  ist  nöthig,  dass  der  angehende  Lehrer  im  Seminar  mit  dem 
Wesen,  den  Ursachen,  der  Entwickelung  der  Sprachgebrechen  und  mit  der 
Methode  zur  Heilung  theoretisch  und  praktisch  vertraut  gemacht  werde.  3.  Die 
Bekämpfung  der  Spracbgebrechen  unserer  Schalkinder  Uliet  die  snr  Zeit  dring- 
Udiere  Seite  dleeer  Fknge.  Die  Verhfltnng  derselben  aber  ist  die  wicbtigare. 

Das  Schlusswort  spricht  der  Herr  Ehrenpräsident,  Pastor  prini.  Seyffarth- 
Liegnitz.  In  demselben  trilit  er  in  einem  L'üf  khlick  eine  kurze  Entwickelungs- 
geschichte  des  Brandenburpt  r  rrovinzialielncrverltandes  seit  2U  Jahren  und 
zeigt,  wie  sich  die  \'ersammlungen  immer  würdiger  entwickelt,  die  Verhand- 
lungen steta  rahiger  gestaltet  haben.  Sollen  die  Hauptversammlnngen  nach 
außen  hin  wirken,  so  liegt  doch  der  Schwerpunkt  gtfadein  denSectionssit/ungen; 
und  diese  sind  es  elipn,  die  sich  in  den  letzten  Jahren  kröftig  entwickelt  haben. 
—  Es  ruht  ein  proLler  Segen  auf  diesen  Versammlungen,  den  jeder  tülilen  niuss. 
der  sich  daran  betheiligt.  Auch  edler  Frohsinn  sei  zu  pHegen:  doch  sind  uns 
ala  Pädagogen  gewisee  Grenzen  gezogen,  die  wir  im  eigensten  Intereeie  nicht 
ibenchreiten  dürfen.  —  Mit  Dankeeworten  an  alle,  die  zu  dem  soUSnen 
Gelingen  dieser  Arbeits-  und  Festtage  belgetrageu  haben,  s«)wie  anch  mit  Dank 
«regen  die  Vertreter  der  küniis:!.  Kep-ieruner  und  der  städtischen  Behörden  schließt 
der  Redner.  Die  Vei Sammlung  aber  singt  noch:  „Lob,  Ehr'  und  Preis  sei 
Gott"  nnd  geht  dann  mit  dem  Wunsche:  Auf  Wiedersehen  im  nächsten  Jahre 
in  Soran!  auseinander. 

Für  den  Rest  des  Nachmittages  waren  noch  die  Besichtigungen  einer 
Hut-  und  Tuchfabrik,  sowie  ein  kleiner  Ausflug-  in  die  Umgebung  der  Stadt 
Luckenwalde  geplant,  während  der  Ahend  noch  die  Festtlieilnehmer  bei  einem 
Concert  im  Schützenhause  vereiuigen  sollte.  Viele  Festgeuussen  indessen  reisten 
mit  den  niehsten  Zfigen  bereits  ab  nnd  eilten  der  Heimat  zn.  Alle  aber,  dea 
lind  wir  gewiea,  werden  dankerfüllten  Herzens  an  die  arbeitareicbea,  aber  doch 
anch  so  schönen  Tage  von  Luckenwalde  zurückdenken.  Den  braven  Lncken- 
walder  Collegen  aber  sei  hier  an  dieser  Stelle  noch  einmal  unser  wiirnister 
Dank  für  alle  uns  erwiesene  Freundlichkeit  und  für  die  f^roüe  Miiiie  und  Arbeit, 
die  sie  gehabt,  um  uns  eine  so  gastliche  Stätte  zu  bereiten,  ausgesprochen. 

Reotor  Fr.  Friesicke-Frelenwalde  a/0. 

Aus  Preußen.  [Niederer  K üsterdienst. ]  Bekanntlich  ist  neuerdings 
der  niedere  Köster-  bez.  Messnerdieost,  welcher  in  PreQÜen  (und  auch  in  anderen 


Digitized  by  Google 


~   180  — 


deutschen  Ländern)  vielen  Volkssolmllehrern  obliegt,  sehr  lebhaft  besprorlif  n 
wordtMi.  Wonim  es  sich  da  eig:entlich  handelt,  was  also  den  betrefteuden 
Leiirern  neben  ihrem  Hauptdienste,  der  meist  eine  ganze  Kraft  verlangt,  noch 
ZQgemuthet  wird,  ersieht  man  aas  folgender  Mittheiluug  der  Berliner  „Pädag. 
Zeitang":  „Der  Minister  bat  vor  einiger  Zeit  ErliebiuigeD  aogeordnet  fSbet 
den  Umfang  und  die  Weise,  wie  Kirchendienste  mit  Velkasdnillelirerstellen 
verbunden  sind,  namentlich  sollten  die  Regierungen  zur  Vermeidung  irriger 
Auffassung  Anleitung  g»4)en,  was  als  niederer  Kirchendienst  anzusehen  ist. 
Dahin  ist  zu  rechnen:  aj  in  evangelischen  und  katholischen  Gemeinden:  Auf- 
nnd  ZascUießen,  Lüften  der  Kirche  nnd  Saoristei,  Läuten,  AosSnden  und 
Löschen  der  Kircheulicbte,  Anstecken  bez.  Schreiben  der  Liedemnmmeni,  SetMn 
der  Stühle,  Aufstellen  der  Sammelbüchsen,  Aufrechterhaltung  der  äußeren 
Ordnung  beim  Gottesdienste  und  bei  den  geistlichen  Handlungen,  Besorgung 
von  Hostien,  Brot  und  Wein  für  die  Abendmahlsfeier,  iieschaffung  und  Auf- 
steeken  der  Lichte,  Beinigen  der  Altatgerlthe,  Besiehen  md  Schmficken  von 
Altar  nnd  Kanzel,  Heizung  der  Kirche  nnd  Sacristei,  Balgentreten  und  Schmierai, 
Beinigea  der  Kirche,  Kirchen  wasche,  sowie  Reinigung  und  Aufbewahrung  der 
vaaa  sacra.  Dienstleist nnerfn  bei  Tanffn.  Stellung  von  Handtüchern.  Besorgung 
von  Glockenfett,  Schmieren  der  Glucken,  Glockenriemen  nnd  Kirrlu  ntliiiren. 
ölen.  Aufziehen  und  Stellen  der  Thurmuhr,  Aufbewahrung  der  Kirchen- 
schliissel,  Begleitung  der  Geistlichen  za  Krankencommnnionen  nnd  zn  sonstigen 
Hinisterialhandlungen,  sowie  Tragen  der  vasa  sacra,  Qrabanweisnng,  Reinigung 
des  Kirchhofs  nnd  der  Wesre  von  der  Straße  zur  Kirche,  Beschneiden  der 
Kirchhofshecken.  Einladen  der  kirclilichen  Gemeindeorgane  zu  lieii  Sitzungen. 
Befürdening  von  Circularen;  b;  speciell  in  den  evangelischen  Gemeinden;  £in- 
sanmlnog  des  Opfiers  bei  Minist^ialhaodlungen,  Erhebung  und  Einsammlnng 
besonderer  kirchlicher  Abgaben,  sowie  des  Oeldes  für  Grabstellen,  Einladung 
zu  Hochzeiten  nnd  Leichenbegängnissen,  Patent-Controle,  Currendebefdrderang, 
Gesang  bei  Beerdignnc:en ;  c)  speciell  in  den  katliolisrlien  Gemeinden:  Besorgung 
der  Kohlen  zur  Räutliei  ung,  An-  und  Au.skleiden  der  (.ieistlichen  zu  den  Amts- 
handlungen, Unterhaltung  der  ewigen  Lantpe,  Auslegen  und  Verwahren  dei* 
Paramente,  Besovgnng  des  Weihwassers,  Besorgung  der  Todteabahre  bei  Reqnhil* 
messen,  Bedienung  der  Ghwlampe."    Sapienti  sat! 


Ans  Sachsen.  Will  man  unser  in  ruhiger  Entwickelung  begi'iffenes 
Schulwesen  mit  einem  Schiff  vergleichen,  so  Iftsst  sich  auf  dasselbe  das  Wort 
Uhlands  anwenden: 

Ein  Schifflein  ziehet  lei.se 
Den  Strom  hin  sein  (Geleise. 

Zuweilen  über  hält  das  Schulscliitt  an,  die  Insassen  steigen  ans  Land  und 
vereinigen  sich  zu  ernst- fröhlicher  Versammlung.  So  war  es  auch  letzte 
HichaelisfBrien,  in  welchen  der  Allgemeine  S&chsisehe  Lehrerverein  seine 

IX«  Generalversammlung  (seit  der  Reorganisation  von  1874)  abhielt,  und 
zwar  in  der  Haupt-  und  Residenzstadt  Dresden.  'A(M)2  Personen  des  Lehr- 
stundes  hatten  das  Schulschili' verlassen  und  traten  in  groüer  Versammlung  vor 
die  Öffentlichkeit.  Mit  so  hoher  Theilnehmerzahl  hat  die  Dresdner  Versammlang 
die  GrOBe  der  letzten  Allgem.  Deutsch.  Lehrerversammlnng  in  Mannheim  erreicht 


Digitized  by  Google 


—   181  — 


nnd  zugleich  alle  bisherigen  sächsischen  LehrerversammlnDgen  ttbertroffen 
(8.  „Pa^d.**  X,  II.  H  und  XII,  H.  3).  Der  so  zahlrfiehe  Besnoh  ist  jeden&lls 
auch  der  schönen  und  centi-alen  Lage  Dresdens  mit  zuzuschreiben. 

Den  27.  September  abends  7  Uhr:  Versammlnng  der  Abgeordneten 
(Delegaten)  im  Saale  der  Altatadter  Frelmanrerloge.  Der  SduriftfBbrer  Dir. 
Altner-Dresden  erstattet  den  Jahresbericht  über  die  Thätigkeit  des  Allg. 
Sächs.  L.-V.  und  seines  Vorstandes:  Dor  Verein  umfasse  z.  Z.  6700  Mit- 
glieder, 500  mehr  als  im  vorigen  Jahre.  Er  gliedert  sich  in  66  Bezirksvereine, 
welche  durch  206  Delegirte  vertreten  werden.  (^Auf  je  30  Mitglieder  ist  ein 
Delegirter  zn  wfthlen.)  Die  66  Berirksrereine  hielten  im  Berlcht^ahre 
(1.  Oct.  1890—30.  Sept.  1891)  399  Vereammlnngen  ab,  in  welchen  hanptr 
sächlich  die  Frage  einer  Revision  bpz.  Vermindemng  des  religiösen  Meraorir- 
Stoffes  erwot^en  wurde.  Dt  r  gesetzlich  vorgeschriebene  religiöse  Memorir- 
stoff  (Verlag  von  A.  Huiile,  Dresden)  ist  vom  Bez.-Ver.  Cherauitz  einer 
BeviBion  nntenogen  worden;  das  Gntaditen  urarde  in  der  „Siehe.  Sehnlztg." 
veröffentlicht  (1891 »  Nr.  26)  nnd  von  64  Besirksvereinen  dnrehberatheo.  Das 
Ei^ebnis  der  Berathnngen  ist  ein  sein-  verschiedenes:  aller  Walnsdieinlichkeit 
nach  muss  sich  eine  Majorität  für  die  Revision  und  ]Jes(  hrilnkung  des 
Mcmorirstoffes  ergeben,  nach  den  vorhandenen  Unterlagen  lilsst  sich  aber 
noch  nicht  feststellen,  was  an  Stelle  des  bisher  Gültigen  treten  soll.  Das  vor- 
handene Material  wird  daher,  soweit  es  sich  dasn  eignet,  durch  die  „SKchs. 
Schnlztg.''  veröffentlicht  werden,  damit  eine  abermalige  Aussprache  erfolge, 
nnd  die  Bezirksvereine  Dresden  nnd  ?>eihprg  werden  mit  der  Ausarbeitung- 
einer endgültigen  Vorlage  betraut,  die  sudann  dem  kgl.  Ministerium  des  Cultus 
und  öä'eutlichen  Unterrichts  zugehen  soll  mit  der  Bitte,  die  vorgenommene 
Bevision  gntznheiBen  nnd  gesetsUeh  durchznflbien.  —  In  dcE  899  Sitmiogea 
der  Besirksverdne  sind  vide  wichtige  Frsgmi  aus  den  verschiedensten  Unter- 
nchtsftchern  erörtert,  auch  Berichte  entgegengenommen  worden  über  die 
Mannheimer  Allgemeine  Deutsche  Lehrerversammlung:  Törnal).  In  wirklich 
erhebender  Weise  ist  189U  Altmeister  Diesterweg  gefeiert  worden.  Aus 
24  Bezirken  liegen  daiüber  Berichte  vor.  Nicht  minder  sind  im  Diesterweg- 
Jahre  Peetaloazi,  Gomeoins,  Dittes  nnd  (in  diesem  Jahre)  Th.  KQmer  gefeiert 
worden.  Von  literarischen  Ersclieiniingen  worden  in  vielen  Vereinen  besprochen: 
1.  Güßfeldt:  „Die  Krzieliunff  der  deutschen  Jugend",  2.  Dr.  Langbein:  .,Rem- 
brandt  als  Erzieher"  und  Ii.  M.  v,  Egidy:  »Ernste  Gedanken'*  lüber  die 
christliche  ReligionJ,  Verlag  von  0.  Wigand,  Leipzig.  Letztgenanntes  Büchlein 
enthftlt  „ernste  Oedanken",  die  schon  oft  in  wissoischafllichen  Werken  ans- 
gesproehen,  aber  erst  jetst  ins  Volk  drangen,  s.  B.  Uber  die  Frage:  „DU  denn 
überhanpt  die  Rechtgläobigkeit  das  Wesentlichste  filr  einen  rechtfichaflFenen 
Christen?  (S.  10)".  Anfsehen  erregte  das  Seliriftchen  besonders  deshalb,  weil 
der  Verfasser  Oberstlieuteuant  und  etatsmäßiger  Kgl.  8ächs.  Stabsofhcier  war, 
der  nadi  Ersdieinen  seiner  Schrift  seinen  Abschied  nahm. 

Änf  vieUkehe  Anregimgen  hin  hat  der  Vorstand  des  Allg.  S.  L.-V. 
Gesache  an  die  Kgl.  Regiernng  gerichtet,  es  möge  im  Verordnungswege  eine 
einheitliche  Schrift  (Antiqua'  und  für  alle  Bildungsanstalten  eine 
übereinstimmende  Tensurenscala  eingeführt  werden.  Er.steres  ist 
wünschenswert,  letzteres  nothweudig.  Der  Cassenbericht  weist  nach 
Ahng  der  Kosten  ffir  die  9.  Qeneralversammlnng  einen  Bestand  von  4500  If. 


Digitized  by  Google 


—    182  — 


auf,  von  wt'lehen  sofort  öiM)  M.  einstimmig  der  Comeniusst ifln 'I»;til. 
('entralbibli(ithek)  zu  Leijtzig  überwiesen  werden;  auch  im  Vorjahre  bind  der 
Bibliothek  vum  Allg.  8.  L.-V.  500  M.  zugetlussen.  Möchten  doch  alle  deutscheu 
Lehrararoiae  nadi  ihreii  VermQgeiwTerhUtiiitseii  die  Comeniamtiftangr  nnter- 
•tfttnsn,  damit  de  nicht  wieder  wie  die  letxten  Male  bei  einem  Deficit  anlange 
and  schließlich  gar  unter  den  Hammer  komme!  Die  deutsche  Lehrerschaft 
erhalte  das  Werk  Heegers  in  ihrem  eigenen  Interesse  (N'ergl.  den  Bericht  über 
die  Stiftung  auf  der  Mauniieimcr  A.  D.  L.-Vers.)  —  Die  Delegirteuveräammlung 
beechlott  weiter,  u  die  Kgl.  Kegiemng  und  die  demnftchet  wieder  sBMumeB- 
tretenden  Landiktftnde  eine  ▼em  Vorstende  tm  Vtrltmng  febnehte  Petition 
einzureichen,  in  welcher  um  Erhöhung  der  gesetzlidm  Vinimal  geh  alte 
(s.  pH'd.  XII.  H.  9  und  Übernahme  der  AltPin/.ulagen  anf  die  Staatscasse 
gebeten  wird.  Die  Hauptversammlung  am  folgenden  Tasre  trat  diesem  Beschlüsse 
bei  Im  letzten  \'ereinsjahre  ist  ein  Mitglied  des  Vorstandes  (Dir.  Fink-Zittau) 
nom  kgl.  Bezirke-SeholinBpector  in  Camenz,  der  Gebartaetadt  Lening»,  ernannt 
worden.  Der  neuge wählte  Vorstand  besteht  aus  9  Mitgliedern:  Seliamann- 
Dresden,  Altner-Itivsd.n.  Kleinert-Dresden  (Kedacteur  der  trefflichen  ..Allgem. 
Deutschen  Lehrerz<itung".  Leipzig.  Klinkhardt),  Schunack-Zwickau ,  Freyer- 
Leip^ig,  Kuhnert-Chemnitz,  ÜÜder-Johanogeurgeustadt,  MorgeDstern-Hermanns* 
dorf,  SchaüBr-Zlttao.  Zorn  ScMuue  erstattete  Dir.  Jahn-Dteedeii  Bericht  Aber 
den  Stand  der  neuen  Eolbe-Stiftnng  im  Siehe.  Pestaloasi verein,  wel^e  s.  Z. 
3794  M.  beträgt  und  von  welcher  die  Zinsen  dazu  dienen  sollen,  solche  Lehrer* 
funilien  zu  untei-stützen.  deren  Oberhaupt  geistiger  Umnachtunir  verfallen  ist.  — 
Die  1.  Hauptversammlung  am  28.  September  wurde  durch  die 
Anwesenheit  Sr.  £xc.  des  Herrn  Unterrichtsministers  Dr.  v.  Gerber 
aar  wichtigstoi  von  allen,  die  dar  AUg.  S.  L.-V.  in  den  letzten  20  Jahren  ab* 
gehalten  hat,  —  Der  \  or8itzende,  Dir.  Schumann-Dresden,  bes-rüßte  zunächst 
die  N'ersaninilung'  mit  einer  Ansprache,  in  der  er  betonte:  ])vv  AU^.  S.  Ij.-V. 
und  damit  zugleich  der  silclisische  Lehrerstand  habe  schon  viel  erreicht,  aber  noch 
gelte  es,  in  festem  Zusammeuschluss  fortgesetzt  zu  arbeiten  an  der  Vervoll- 
kommoong  unserer  Person,  unserer  Stellung,  unanrer  Wissenschaft, 
unserer  Kunst!  In  Vertretung  dea  Oberbttrgermeisters  wurde  sodann  die 
Versamminng  namens  der  Stadt  Dresden  begrttBt  von  Bürgermeister  BHnisch, 
welcher  sagte:  „Wir  dürfen  Sie  als  die  würdigsten  und  besten  Mitarbeiter  an 
unseren  commnnalen  Bestrebungen  begrüßen."  Die  Volksschule,  bemerkte  Hr. 
Bfirgermeister  Bönisch  weiter,  bilde  anerkanntermaßen  einen  der  hervorragendsten 
Verwaltungsswelge  der  Gemeinden.  Oelten  doch  die  hohen  edlen  Zwecke  der 
Schule  der  Erziehung  tttchtiger,  brauchbarer  Menschen,  tfichtiger  Bürger  der 
(ioiiH'indf'  und  des  Staates,  der  Erziehung  von  Milnnem,  die  vor  allem  ihr 
\  aterlund  lieben  und  ihm  zu  nützen  snchen.  Die  Stadt  Dresd*>n  8<'i  sich  dieses 
Zieles  der  Schule  wolbewusst,  und  wenn  dieses  Ziel  überhaupt  erreicht  wird, 
so  sei  dies  der  tflobtigen  und  gewissenhaften  Arbeit  der  Lehrerschaft  an  danken. 
Was  in  Dresden  der  Fall,  das  gilt  für  das  gaaae  Land.  Heute  seien,  Gott  sei 
Dank,  die  Zeiten  vorüber,  da  man  der  Schule  sich  noch  missgünstig  gegenüber- 
stellt»', i'^)  Mit  frt'Uilifrer  Enii»tindnng  beobachtet  man  heute,  wie  sieli  zwischen 
Schule  uud  Haus,  Lehrern  uud  Kindern  und  Eltern  ein  freundliches  Band  des 
Vertrauens  und  der  Hochachtung  geschlungen  hat  So  begrüfie  er  denn  die 
Versammlung  namens  der  Stadt  Dresden  auf  das  herzlichste,  mit  dem  Wunsche, 


Digitized  by  Google 


-    188   —  . 

dass  die  Vprliarullungen  von  den  ersprießliclisten  Erfolgen  begleitet  sein  und  die 
zu  läge  tretenden  Anregungen  aut  recht  fruchtbaren  Boden  zum  Heile  der 
Schale  und  des  Gemeinwesens  fallen,  dass  damit  aber  aach  alle  TbeOndaner 
ein  recht  fireimdUehet  Andenken  an  die  Stadt  Dresden  nit  hinw^dunon  mDgen. 
(Laate8  Bravo!)  Den  ersten  Vortrag  hielt  Herr  Oberlehrer  Zenimrich-ZwickÄn 
über  die  Frage :  Bedarf  die  Volksschule  einer  \'erniehrung  der  Eeligions- 
stunden?  Die  letzte  (\'.)  evang-.-luth.  Laiulrs.syiiode  des  Königr.  Sachsen  hat 
eine  Petition  einer  Fredigercuulerenz  um  \  ermchruug  der  Religiousstunden  der 
VoUcBSchnle  zur  ErwSgong  bez.  Berficksichtigrnng  ttberwieMn;  seitdem  ist  obig« 
Frage  bei  uns  eine  vielbesprochene.  Hedner  beantwortet  sie  Tollstftndig  n  e  g  at  i  v. 
Er  legt  den  Schweriiunkt  des  Religionsunterrichtes  in  die  Intensit.tt  desselben, 
die  sich  aber  nur  durch  eine  Änderung  des  bisher  üblichen  (scholastischen) 
Lehj' Verfahrens  erreichen  lässt.  Unser  heutiger  lieligionsunterriclit  leide  nicht 
nnr  nnter  dem  EncyklopftdiamiiB,  sondeni  amdi  unter  der  Systematik. 
Die  Anwendung  der  letzteren  «ei  für  die  Fassnngskraft  d«r  Kinder  viel  zn 
hoch.  In  der  praktischen  Tlieologie  lierrsche  gegeowirtigr  eine  Bewegung,  die 
systematische  Dogmatik  von  der  Kanzel  xn  verweifen,  warum  solle  sie  nicht 
auch  aus  der  Schule  treten  können?  Redner  schließt  seinen  wiederholt  mit 
BeifalUmfen  unterbrochenen  Vortrag,  indem  er  folgende  Resolution  einbringt: 
„In  ErwAgong*  dessen,  dass 

1.  die  dem  Hohen  LandesconsistMimn  eingereicht  i  n  Ephoralberichte  über 
die  Ertheilung:  des  Religionsunterrichts  in  den  Volksschulen  ihre  Be- 
frieiliffuiif^  über  den  fraglichen  Unterricht  ausg'esprochen  haben. 

2.  die  Verordnung  des  Hohen  Ministeriums  des  Cultus  und  üUentlicheu 
Unterrichu  vom  21.  Hai  1881  filr  die  Seholen,  in  welchen  die 
JBrgebnisse  des  Beligionsnnterrichts  den  Anibrdemngen  der  Behörden 
nicht  entsprechen,  bereits  eine  zeitweilige  Vermehnuig  der  Beligione» 
stunden  bestimmt, 

3.  in  der  Erreichung  des  Ziels  des  Memorirens  keine  allgemeine 
Unsicherheit  zn  erkennen  ist,. 

4.  die  Me  und  da  beobachtete  ündcherhelt  der  Kinder  in  der  Beherr» 
schung  des  religiösen  Memorirstoffs  nicht  in  dem  Kangel  an  2Seit» 
sondern  vielmehr  darin,  dass  ein  Theil  des  fraglichen  vorgeschriebenen 
Stottes  zu  weniy-  der  kindlichen  Kassnnpskraft  entspricht  und  nach 
Inhalt  und  Form  als  ungeeignet  zu  bezeichnen  ist,  ihre  Erklärung  hndet, 

5.  bei  richtiger  Vertheilang  dea  religiSsen  HemorierstoiEi  auf  die  einzelnen 
AlterBstnfen  —  die  Sichtnng  und  Verringerung  deaielben  voraus- 
gesetzt —  und  richtiger  Gestaltung  der  Wiederholung  die  zu  wünschende 
Sicherheit  in  der  Beherrschong  desselben  seitens  der  Kinder  sich  wol 
erreichen  lässt, 

6.  die  Zahl  der  wöchentlichen  ünterrichtsstanden  aus  gesundheitlichen 
GrSnden  in  den  mittleren  and  hSharen  Volkasehnlen  nicht  vermehrt, 
auch 

7.  die  den  übrigen  Unterrichtstachern  zugewiesene  Zeit  aus  didactischen 
und  erzieherischen  Gründen  nicht  \crkürzt.  int^leichen 

8.  von  den  in  §  2  des  Volksschulgesetzes  vom  26.  April  1873  vor- 
gesehenen wesentUchm  GegensOndcii  des  ünterrichts  ohne  Schädigung 
des  Erziehmigszweekes  keiner  gestrichen  werden  kann, 


Digitized  by  Google 


—   184  — 


9.  Sachsens  \  nlksgchulen  den  höchsten  procentualen  SatK  an  Keligxous- 

stunden  besitzen  und  endlich 
10.  die  erziehliche  Wiikang  des  Keligionsuntemchu»  nicht  von  der  deni- 

selben  gewidmeten  Zeit,  auch  nicht  von  der  Maaee,  sondern  allein  von 

der  Intensitftt  des  reU|^9sen  Wissens  abhftngt, 
vermag  die  9.  Hanptversamminng  des  AUgromeinen  Sächsischen  Lehrervereins 
die  Nothwendigkeit  einer  Vermehrnn^  der  Religionsstimden  nicht  anzuerkennen. 
wol  aber  hält  dieselbe  angesiciits  der  großen  (iefahreu  des  sittlich-religiösen 
Lebens  eine  Vertiefung  des  religiösen  Wissens  und  znr  Erreichung  dieses 
Zweckes  eine  Reform  des  Beligionsonterrichts  anf  der  Oberstufe  für  geboten 
und  zwar  dahingehend,  dass  der  Katechismnsunterricht  und  der  rnterricht  in 
der  biblisclit-n  (iescliichte  vereinigt  werde,  letzterer  die  Grundlage  der  religiösen 
Unterweisung  bilde  und  die  Kinder  insbesondere  eine  lebendige,  möglichst 
eingehende  Anschauung  und  Kenntnis  de»  Lebens,  der  Wirksamkeit  und  der 
Lebre  des  Erlösers  und  der  Apostel  erhalten.**  Die  Resolntion  gelangte  nach 
kurzer  Debatte  gegen  3  Stimmen  (von  etwa  2200)  zur  Annahme.  An  der 
Debatte  betheiligte  sich  als  Gast  Consistorialrath  und  Superintendent  Dr.  th. 
Dibelius-Dresden:  er  ging  auf  einige  Punkte  in  der  tindunf?  <ler  Tliesen 
ein  und  scUloss  mit  einem  Danke  an  den  \'ortragenden,  da%s  dieser  am  SchlubSe 
des  Vortrages  klar  ausgesprochen  habe:  Nnr  das  eine  Ziel  sei  SB  verÜDlcen, 
die  Kinder  an  Christo  an  ftthren.  (BeifttU.)  Der  dem  einflnssreicben 
geistlichen  Bedner  gezollte  Beifall  erklärt  sieh  daraus,  dass  der  Lehrerstaud 
mit  dem  genannten  Ziele  sittlicli-relis:i'isei-  Bildung-  vollständig  einverstanden 
ist  und  von  je  einverstanden  war.  .Ja.  es  sei  hier  ausdrücklich  ausgesprochen, 
dass  die  Lehrerschaft  niemals  ein  anderes  als  das  angegebene  Ziel  religiöser 
Jngendbildnng  gewollt  hat  und  auch  niemalB  ein  anderes  erstreben  wirdi  Des 
darf  die  gesauimte  QeistUdikeit  sicher  sein!  Nur  über  den  Weg  zu  diesem 
Ziele  sind  die  Lehrer  mit  den  Geistlichen  nicht  allenthalben  einer  Meinung. 

,.1'ber  die  wirksamsten  Mittel  zur  Hebung  des  Lehrerstaudes. 
Histurisch-politische  Betrachtung'',  so  lautete  das  Thema  des  2.  VorU'ages. 
gehalten  toh  Sem.-Dir.  Schulrath  Israel-Zschopaa.  Diese  Betrachtung 
hatte  schon  an  sich  hohen  Wert;  sie  wurde  aber  noch  wertvoller,  weil  sie 
angestellt  ward  von  einem  Manne,  der  nicht  fwie  manche  —  oder  viele?  — 
seinesgleichen!  anf  hohem  Kothurn  einherschreitet ,  sondern  nach  dem  Vor- 
bilde Diesterwe^s  tieiüie:  mit  den  Lehrern  verkehrt;  drittens  war  es  von 
Bedeutung,  dass  Se.  £xc.  der  Herr  Uuterrichtsminister  gerade  diesem 
Vortrage  zohSrte.  Knrz  nach  Beginn  desselben  war  der  Hfanister  in  Begleitoncr 
des  Geh.  Sclmlratlis  Rockel  erschienen.  Der  Redner  (Herausgeber  von  ,.Neu- 
drucken  pild.  Schriften"^.  Zschojiau  bei  Haschke)  entwarf  auf  Grund  reicher 
Quellenstudien  ein  Bild  der  ganzen  liistorisclien  Ent Wickelung  des  (deutschen) 
Lehrerstandes.  Er  wies  nach,  wie  der  Lehrerstaud  durch  die  „Klinke  der 
Gesetsgebnng'',  durch  gemeindliche  Ffirsorge  nud  vor  allem  durch 
eigene  energische  Th&tigkeit  (Bildung,  Fortbildung,  genossenschaftliche 
Selbsthilfe,  zu  dem  heutigen  Stande  gelangt  sei.  Ks  ward  erwähnt:  Dass  die 
Reformation  nnr  Kirchenschulen  kannte:  dass  Balth.  Schupp  gesagt:  ..Die 
Lehrer  haben  Zeisi^futter  und  Eselsarbeit":  dass  17*i4  eine  Dissertation 
erschien:  ,,De  jure  praeceptoris'',  durch  welche  der  Lehrstand  von  der  Rechts- 
Wissenschaft  zuerst  als  ein  selbstst&ndiger  Stand  anerkannt  wird;  dass  (in 


Digitized  by  Google 


—    185  — 


Sachsen)  von  einer  eigentlichen  H  e  b  n  n  g  deBLehreratudeeerit  die  Rede  wnin  kann, 

•eitdein  das  Königreich  (1831)  ein  Verfassunpsstaat  geworden  ist  n.  v.  a.  m. 
Redner  Hell  es  auch  nicht  an  beherzigrenswerten  Mahnworten  zum  Weiterbeschreiten 
der  eing:eschlagenen  Bahnen  fehlen,  namentlich  ermahnte  er  den  Lehrerstand, 
aiflh  von  politladi«n  Putelgetriebe  jedwaMmr  Art  Unrnnlnltm  mid  in  den 
Fordeningen  an  die  Begiemng,  wweit  aie  nach  benehtigt  eredMlnen,  «Inen 
maßvollen  Standpunkt  einEtmehmen.  „Gerade  für  die  Lehrer  ist,  mefaie  icb, 
die  Fabel  von  Wandersmann,  Sonne  und  Wind  lehiTeich :  was  Wind  und  Stnrm 
nicht  veniioihten,  erreicht  gar  leicht  die  Sonne".  So  hat  nach  der  ^Hannov. 
Schnlztg.  "  aui  12.  Juli  d.  J.  der  deutsche  Reichskanzler  a.  D.  Fürst  Bismaick 
in  Friedriehtnih  z«  der  Oberdasee  des  Seminars  ans  Weimar  gesagt,  die  ikm 
ein  Stindehen  brachte;  so  schloss  auch  Schnirath  Israel  seinen  mit  großem Beifül 
an^penommenen  Vortrag:  Die  Sonne  (der  Ai  bcif  und  Ueduld)  muss  beharr- 
lieh scheinen!  Dann  wird  der  Mann  im  pingeiiiillten  Mantel  denselben  able#fen. 

Nach  Beendigung:  des  Vortrages  nahm  der  Vorsitzende  das  Wort,  nin 
Sr.  Exc.  dem  Hrn.  Cultusminister  Dr.  v.  Gerber  für  dessen  Erscheinen  den 
Dank  der  Versammlung  za  entbieten  nnd  Üin  sn  bitten,  dem  Lehrerstande 
Sadisens  das  demselben  bisher  entgegengebrachte  WolwoU«!  aaeh  fbmeriiin 

zn  erhalten.  Die  Versammlung  folgte  findig  der  Aufforderung,  Sr.  Exc.  ein 
dreifaches  Hoch  ansznbring:(  n.  Hr.  Dr.  v.  Gerber  dankte  mit  der  Versiehemng, 
dass  es  ihm  ein  Vergnügen  gewesen  sei,  in  der  Versammlung  einige  Zeit  ver- 
weilai  sa  kSnnen,  und  wUnsehte  den  ferneren  Berathungen  segensreichen  Erfolg. 
Der  S.  Vortrag:  Ȇber  die  Behandlnng  stammelnder  nnd  stotternder 
Schulkinder"  wurde  gehalten  von  H.  E.  Stotzner,  Dir.  der  Taubstummen* , 
anstalt  zu  Dresden  (Redact.  des  ^Anz.  f.  die  neiifste  jjfid.  Literatur".  Beibl. 
zur  „AUg.  D.  Lehrerztg.").  Die  instruetiven  Ausführungen  dieses  Fachmannes 
Stützten  sich  u.  a.  auch  auf  das  im  „Pced."  namhaft  gemachte  Bach  von 
Gotzmann.  — 

In  der  2.  Hanptversammlnng  am  29.  Sept  sprach  zuerst  Lehrer 
Eberth-Dresden  über  die  Frage:  „In  welcher  Weise  kann  die  Fort- 
bildungsschule den  Anforderungen  der  Zeit  am  besten  Genftge 
leisten?"  Er  fjisste  seine  Ausführungen  in  folgende  Sätze  zusammen: 

I.  Die  Fortbildungsschule  hat  neben  der  allgemeinen  Ausbildung  der 
Schüler  ganz  besonders  die  Aufgabe,  sich  in  den  Dienst  des  praktischen  und 
berafliohen  Lebens  za  steilen, 

IL  Die  allgemeiiien  FortbÜdingsseholfln  sind  überall  da,  wo  es  angängig 
ist,  in  fiwhberafllGlie  Scholen  bez.  in  Bemftdassen  unsawandeln. 

III.  Um  eine  für  die  Unterrichtsergebnisse  wttnsehenswerte  Gliedemng 

innerhalb  der  einzelnen  Berufsangehörigen  zu  ermöglichen,  empfiehlt  es  sich, 
in  gi-oßen  Orten  die  kleinen  Fortbildiingsschiilen  zu  vereinigm  und  anter  ein- 
heitliche Leitung  zu  stellen. 

IV.  Der  Lebensberuf  des  Schttlers  bilde  so  oft  als  mdglich  den  Aasgangs- 
ponkt  fUr  die  mlerriditllche  Behandlang  der  Lehntoire. 

V.  Die  schwächsten  Schüler  sind  in  NachhilfBclassen  zu  vereinigen,  in 
denen  nur  Deutsch  nnd  Rechnen  als  ünterrichtsgegenstUnde  auftreten. 

VI.  Zur  Weckung  des  Interesse.s  ist  auch  in  diesen  Nachhilfedassen  dem 
Unterrichte  eine  praktische  Färbung  zu  verleihen. 

Pädagogium.  14.  Jnhrg.  Heft  III.  14  ^ 

Digitized  by  Google 


—   186  — 


VII.  Bei  Aufstellung  des  Lelii  jdanes  sind  g-eeig^iete  Vertreter  der  Rerufs- 
arteu  zn  Rathe  zu  ziehen  und  tlie  thätig^  Theilnahme  hervorragender  Berufs- 
genoMen  an  der  Unterricbtaertbeiluug  ist  zu  empfehlen. 

VIII,  Fflr  jedin  B«nif  tot  eine  das  OflMhUldeibea  ivwlf  stifmde  üata^ 
richtäzeit  auszusuchen ;  doch  itt  hierbei  von  den  AbendatondeD  «nd  vom  Somitaff 
Abstand  zu  nehmen/' 

Diesen  Sätzen  wurde  im  allg:enieinen  zugestimmt. 

Am  ersten  Tage  hatte  die  Versummlnng  folgendes  Begrüßungstelegramm 
beeeUomn:  „Sr.  Higesat  dem  König  Albert,  dem  rabmreioheii  Sieger  auf 
dem  Felde  der  Ehre,  dem  tnneii  Förderer  der  Kfloste  and  Wiaeeneehalteii, 

dem  Schirmherm  der  Wolfethrt  unseres  Volkes,  dem  auch  die  Volksschule  hebe 
landesväterliche  Fürsorge  zu  danken  hat,  sendet  ehrfurchtsvollen  Gruß  der 
AUg.  S.  L.-V.'*  Darauf  war  von  8r.  Maj.  dem  König  eine  telegraphische 
Antwort  eingegangen  des  Inhalts:  „Ich  danke  herzlich  für  den  mir  zuge- 
gaagenen  freondliehen  Groß.  Albert," 

Den  letzten  Vortrag  hielt  Lehrer  Moritz  Mfiller-Leipzig  über  „Bildung 
— Halbbildung"  unter  Beleuchtung  der  Angiiffe  auf  die  Bildung  der  Volks- 
schnllehrer.  Die  Widerlegung  dieser  Angrifte  bildete  nach  einer  eingehenden 
Deduction  der  Begriffe:  „Bildung  uud  Halbbildung"  den  Haapttheü  der  Dar- 
legungen den  Bednen.  Den  Angriffen,  sagte  er,  stehen  ebenwvinle  nnd 
noch  weit  gewichtigere  Aignmente  gegentlber,  welche  für  die  Bildung  dei 
Lehrerstandes  und  seine  von  ihr  bedingte  Thätigkeit  ehrendes  Zeugnis 
ablegen ;  gegenüber  der  versuchten  Herabwürdigung  des  Lehrerstandes  auf  der 
einen  Seite  bemerken  wir  eine  große  Hochachtung  uud  Wertschätzung  auf 
deranderen,  nodi  competenteren  Seite.  So  erwähnte  der  Vortragende  n. a. 
anch  dea  hochaditbareii  HUndiener  Ünivenitita-Frof.  Dr.  J.  Frohschammer, 
dessen  Würdigung  des  Lehrerstandes  und  seiner  Aufgabe  besonders  in  den 
letzten  Schriften  dieses  deutschen  Denkers  hervortritt;  den  Lesern  des  „T^n-d." 
ist  Dr.  J.  Frohschammer  allerdings  längst  bekannt  als  ein  Mann,  dem  die 
ganze  Lehrerschaft  iu  Dankbarkeit  volle  Aufmerksamkeit  zuwenden  sollte, 
weldie  er  nm  seiner  Werke  wülea  Terdient.  Gana  besonders  richtetm  sidi  die 
Ausfühnmgen  des  Vortragenden  gegen  die  von  der  „Leipziger  Zeitung**  nnd 
den  „Grenzboten"  gebrachten  gehllssigen  nnd  herabwürdigenden  Angriffe  gegen 
den  Lehrerstand,  die  tietl)etrültciid  mid  geradezu  den  Ruf  des  sächsischen 
Volkes  schädigend  seien  and  gegen  welche  Entehrung  die  Lehrerschaft  nicht 
nur  im  eigenen  Interesse  aondem  amdi  im  Intereaae  der  Begiemng  protestiren 
müsse.  Der  Vortrag,  der  mit  stUrmischem  Beiftdl  begriUlt  wurde,  wird  gleich 
den  ttbiigen  in  seinem  gannen  ümüuige  in  der  »Slehs.  Sehulstg.**  nun  Abdruck 
gelangen. 

In  den  Neben  Versammlungen  wurde  gesprochen  über  den  H  andfert  igkeit  s- 
onterricht,  über  neue  Anscliauuugsmittel  für  das  Rechnen  und  den  geometrischen 
Untorrldit.  über  den  gegenwärtigen  Stand  des  SterbefiülTmldieningsweaens 
innerhalb  der  sächsischen  Lehrerschaft.  Anßerdem  fanden  statt:  eine  Sitnung 
dt's  „SHchs.  Pestalozzivereins*^  utirer  Vorsitz  „des  hochverdienten  Veteranen  des 
sUchs.  Volksschulwesens",  des  TSjiUnii^eii  Oberschulraths  A.  Berthelt;  eine 
Hauptversammlung  der  „Allg.  Braudversichernngsgesellschaft  sächs.  Lehrer"; 
«ine  auflenxrdentlioh  idclil»ltigeLelirniittel8ns8tellung(Veranschanlichang  einer 
^Lebensgemeinschaft'')  u.  a.  f. 


Digitized  by  Google 


—   187  — 


Zur  Verschfiner  iing^  der  r)re8dner  Ve!*sanimlung  diente  u.  a.  ein  Concert 
des  „Dresdner  Lehrergesangvereins'*  („Die  Mette  von  Marienborg",  Dichtang 
Ton  Fei.  Dahn,  comp,  von  0.  Wermanii,  op.  75)  unter  Leitung  des  k.  Mttsikdir. 
Pmf.  Om.  Wwaami  «d  «uter  Xitwirknng  kttnitlefiioiMr  Stifte,  s.  B.  ier 
MUunten  Wagnersftng«rin  FrL  Therese  Kalten.  — 

Der  „Allf.  SAche.  L.-V."  kann  mit  Befriedigung  auf  seine  9.  H&npt- 
versammlnng  znrflckbiicken  und  darf  hoffen,  dass  ihr  Wellenschlag  an  manches 
Ohr  gedrungen  ist.  Mi3ge  ihm  dadurch  auch  manches  Herz  gewonnen  woi  den  sein! 

„Wo  viel  Licht  ist,  ist  starker  Schatten'',  sagt  Goethe  im  ^Götz^.  So 
ist  es  aaeh  bei  uns,  wo  dch  neben  dem  „AUg.  S.  L.-V."  jungst  eine  „ Freie 
Vereinignng  evMntb.  Lehrer  im  Kgr.  Saehaen**  gebildet  hat  Wir  kOnnen  die 

Nothwendigkeit  einer  solchen  Vereinigung  nicht  anerkennen!  Zwar  sagen 
die  Mitglieder  demiben:  „Wir  beabsichtigen  nicht,  uns  von  den  bereits 
bestehenden  Lehrervereinigungen  zu  trennen,  denn  wir  erkennen  freudig  an, 
wieviel  durch  ihre  bewährten  Vorkämpfer  für  die  Interessen  der  Volksscliule  und 
ihrer  Lehrerenreieht  worden,  wievlelSegen  ans  ihren  Bemflhnngen  horrorgegangen 
irt."  Thatsftchlich  aber  ist  es  doch  dne  Trennung,  und  zwar  eine  beab- 
sichtigte! „In  den  Vereins -Versammlungen  sollen  Schul-  und  Erziehungs- 
fragen der  Gegenwart  vom  kirchlichen  Standpunkte  aus  geprüft  und  be- 
sprochen werden. Als  ob  dies  noch  besonders  nöthig  wäre!  Alle  „maßgebenden 
Factoren"  sind  bei  «na  daAr  besorgt,  dass  die  kirahlffllMii  Biteressen  allaeit 
gewahrt  werden.  Wir  mlshten  der  „P.  V.  e.-L  L.  1.  K  S.**  nurnfen:  Seid  ihr, 
wie  ihr  sagt,  „zn  thatkrftftiger  Mitarbeit  an  den  socialen  Aufgaben  unserer 
Zeit"  bereit,  so  schließt  euch  nicht  ab,  sondern  thut  wie  Paulus  und  gehet  hin 
unter  das  Volk'':  denn  nicht  unter  euch  ist,  wie  wir  glauben,  die  Religiosität 
im  Schwinden  begriffen,  sondern  „unter  dem  Volke"!  — 

Das  neneste  Handbuch  der  Schal  statt  stik  für  das  Königreich  Sachsen 
bringt  folgende  Angaben  über  das  sächsische  Schulwesen:  Sachsen  hat  1898 
Orte  mit  und  1175  Orte  ohne  Volksschulen.  Die  Zahl  der  öffentlichen  evan- 
gelischen Volksschulen  betrilgt  2171,  di»'  der  öffentlichen  römisch-katholischen  39. 
Außerdem  gibt  es  17  Vereins-  und  Stiftungs-  und  60  Privatschulen,  so  dass 
steh  8287  als  Geaammisahl  der  Volksschnlen  ergibt  Dasn  treten  1943  Fort- 
bildnagssehnleo.  Die  SehiUeraahl  sKmmtlieher  Volluadnlen  beltaft  sich  anf 
591 084.  von denen575660 evangelisch,  13 131  rSmisch-katholisch  sindond  2393 
anderen  Conft'ssionen  angehRren.  Die  Fortbildungsschulen  werden  von  70270 
Schülern,  einschließlich  1462  Mädchen,  besucht.  Als  Lehrkräfte  wirken  an  den 
evangelischen  Volksschnlen  285  Directoren,  7823  Lehrer  und  226  Lehrerinnen, 
snsaniniMi  8384  Personen,  an  den  katholischen  7  Directoren,  112  Lehrer  nnd 
17  Lehrerinnen,  zusammen  13().  Außerdem  zählen  die  Privat«chulen  576  Lehr- 
kräfte, von  denen  327  ansschließlirh  an  Privatsrhulon  wirken.  Hiernach  beläuft 
sich  die  Gesaramtzahl  der  Lehrkrüttc  Ub«'rhaui»t  auf  8797.  Auf  1  Lehrer 
kommen  durchschnittlich  67,19,  anf  eine  Volksschule  259  Sehulkinder.  Das 
Vemiehnls  der  an  hSheren  Schulen  nnd  an  Volksschnlen  emerltirten  Lehrer 
lAhrt  627  Namen  anf.  (Jnnipems.) 


AttsDresden.  [Zur  Frauenfrage.J  Das  „FsBd.*  hat  stets  der  Fr  auen- 
ftrage  als  einen  wichtigen  (EniehnngsV  Probleme  der  Gegenwart  grolle 

14* 


Digitized  by  Google 


—   188  — 


Aufmerksamkeit  zugewandt ;  Ja.  es  hat  einige  der  gründliclisten  ,.Stiniien"  zu 
derselben  veröffenüicht  (II,  s'.  201  flF.;  VIII,  S.  700  ff.).  VieUeicht  ist  es  den 
Leaern  nidit  «aintenittiit,  einige  Meinnogen  Uber  (HeM  CtagengtuA  Ava  dam 
Kraiaa  der  Frauen  m  hAien.  Die  (berechtigte)  Airitatioa  in  Sadien  dar 
«Franenfrage"  hat  namentlich  der  seit  1865  bestehende  „Dentsche  Franen- 
verein'*  auf  seine  Fahne  geschrieben,  welcher  am  27.' und  28.  Sept.  hiei-selbst 
seine  16.  Generalversammlung  abhielt,  über  die  einiges  mitgetheilt  sein  mag. 

Den  einleitenden  Vortrag  hielt  Frl.  Auguste  Schmidt-Leipzig  über 
die  Bernfsthttiirlcait  der  Fran.  Rednerin  betrachtete,  mm  für  uid  wider 
die  Berufsth&tigkeit  der  Fran  ins  Feld  geführt  wird.  Aosgeliend  von  aU- 
meinen  Gesichtspunkten  schilderte  Frl.  Schmidt  die  Stellung  der  Frau  inner- 
halb und  außerhalb  des  Hauses  und  tadelte  die  unrichtige  Erziehung,  welche 
meist  den  Töclitem  zaüieil  wird;  idhu  müsse  sie  einei*  menschlichen  Be- 
BÜBunnag,  nadi  dem  Wesen  ihrer  Anlage,  snfttlirea.  Die  FraMD,  beeocden  die 
der  oberen  Ereiae,  werden  mm  Düettantiamaa  erzogen,  nnd  man  wandert  sich 
dann  Aber  ihre  Oberflächlichkeit  nnd  Mittelmäßigkeit.  Nicht  im  We^en  der 
Fran  liegen  diese  oft  vorkommenden  beklagenswerten  Eigenaohaftent  aondern 
eben  in  mangelhatter  Ausbildung  und  Erziehung. 

Die  Kednerin  unterzieht  die  Stellung  der  Fran  in  der  ElhOi  als  Hanafraa 
md  Mntter,  einer  Betrachtnnir,  ebenao  die  Stellnag  dea  Sohnea  nnd  der  Toeliter 
im  Hause. 

Neben  dem  natürlichen  Berufe  der  Frau  und  den  Pflichten  im  Hause 
er  wächst  heute  aber  auch  der  Frau  die  Nolh  wendigkeit  einerBerufsthätigkeit  außer- 
halb der  Grens^u  des  Hauswesens  an  und  lür  sich.  Die  Gegner  der  Bewegung 
sagen,  daaa  eine  aoklie  Bernfttlifttigkeit  den  Fnuien  den  natSrlichen  Beruf 
nSlmie;  aber  die  Bestrebungen  aind  gerade  daranf  gerialitetk  die  Fran  tauf  lieher 
sn  machen,  das  Hans  zn  erbauen. 

Zahlreich  sind  die  Einwürfe,  welche  man  dem  praktischen  Frauenbernfe 
gegenüber  macht.  Es  war  der  Kednerin  darum  zu  thun,  diese  Einwürfe  zu 
prüfen  nnd  sie  als  nicht  stichiialtig  znrttckanweiaen.  Der  erste  Einwand  sagt, 
daaa  die  Fran  dmreh  die  Vorbenitnngen  cur  BemftthfttiglGeit  dem  Hanae  ent* 
fremdet  werde.  Aber  die  Erfahrung  beweist  das  Gegentheil.  Die  treibende 
Kraft  für  die  hUusliche  Tliäti^keit  der  Frau  ist  die  Lipbe  und  treue  Hin- 
gebuner,  und  solanpe  die^e  Kiatt  hoiiu  praktischen  l^orutV-  iiidif  verloren  fi:eht, 
wird  aucii  die  Frau  füi-  die  Erfüllung  der  häuslicheu  l'liichteu  immer  tüchtig 
bleiben.  Ebenso  hinfUUg  ist  die  Behauptung,  dass  im  BemlUeben  die  Frenda 
an  den  hftnslichen  Arbeiten  erlahme  oder  schMrinde.  Die  Ermüdung  etc.  sei 
individuell,  utmI  man  fllnde  vielmehr,  dass  eine  Berufsthätigkeit  die  Fran 
kräftiger  und  widerstaiuisfiUiig-er  mache,  als  dass  sie  die  Kräfte  vennindere. 
Die  Frau  wird  selbststäudiger,  aber  nicht  etwa  —  wie  die  Männer  füi'chten  — 
an  denn  Nacbtheil,  denn  die  Teratindige  Fran  wird  Beeht  and  ümmlit  an 
onteraoheiden  wisaen,  nnd  ihre  Selbstatlndiglteit  kann  nnr  znm  Wole  der 
Familie  dienen.  Die  Natur  der  Fran  widentrebt  praktischem  Berufe  nicht. 
Die  vielen  Tausend  arbt  itenden  Frauen  beweisen  das.  Nur  die  Frauen  der  oberen 
Ständesindnichttähigzusolchem,  und  da  soll  eben  die  vernünftigere  Erziehung 
Abliilfe  schaffen.  Dann  aber  handelt  es  sicli  auch  nicht  nur  um  körperliche, 
sondern  anch  nm  geiatif  e  Arbeit.  Zn  soloher  soll  die  Fran  ffthig  gemaeht  werden 
und  die  IfOglichkeit  ist  Torfaanden.  Bednerin  leugnet,  daaa  die  geistige  BUdnnga- 


Digitized  by  Google 


—   189  — 


fiihigrkeit  der  Frau  geriuger  sei  als  die  des  Mannes  l>a  die  Ent Wickelung-  des 
Deukprocesses  bei  der  Frau  dieselbe  ist  wie  beim  Mauue,  uud  da  vermüge  des 
DenkprocMMt  die  geistige  Bildong  anfgenooniieB  wfjed,  ao  IfMui  diMdbe  avoh 
M  bflün  Geaflfalvditani  auf  die  flciohe  Stoib  gelnwiht  mtden. 

Der  widitigste  Einwaod  gegea  die  Berufstbfttagli^eit  der  Frau  ist  die 
Concurrenzfrag:e,  aber  ancli  dieser  ist  zu  begegnen.  Hier  ist  es  die  Xoth- 
wendigkeit;  der  lieiüigste  Mauu  ist  nicht  immer  imstande,  die  Familie  zn 
ernBbren,  und  die  Frau  moss  eingreifen.  —  Zu  tadeln  sei  die  ungleiche  Be- 
saUnag  deneUMD  Arbeit  bei  Hann  nnd  Fraa.  Maa  veriangt  die  Benhlaag 
des  Lohnes  nach  der  tliatsächlich  geleisteten  Arbeit  und  nicht  nacli  dem 
Geschlecht.  Dann  stehen  sich  Mann  uud  Frau  gleich  gegenüber.  Was  den 
Verlust  der  \\>iblichkeit  betrifft,  den  mau  bei  der  Berufsthätigkeit  befürchtet, 
so  meint  man,  dass  diese  Weiblichkeit  bei  geordneter  Thätigkeit  besser  gewähl  t 
aei,  als  bei  den  jungen  IfIdeheB,  die  weiter  aichta  au  thoa  liaben,  ale  sieb  oaeb 
«inem  Maane  amwisehen. 

Bei  den  unteren  Ständen  erhalten  die  Mftdchen  die  gleiche  Erziehung 
wie  die  Knaben.  Die  Iiöhere  Mädchenschule  aber  bringt  die  Ireunung.  Die 
Jetzige  Erziehuugsweise  macht  es  erklärlich,  dass  die  Männer  die  Unterhaltung 
mit  den  Freoadea  am  Stammtische  der  mit  der  Frau  zu  Haase  voniehen. 

Die  Fraoen  der  besitaeadea  Olaase  eataebliefiea  sieb  aar  schwer,  sieh 
SQ  daam  Berufe  heranzubilden,  sie  betrachten  die  Ehe  als  den  nothwendigea 
Ausgang  der  Jugend.  Von  diesen  Töclitern  wünscht  Rednerin.  dass  sie  länger 
als  bis  zum  16.  Jahre  in  der  vSchule  bleiben,  natürlich  die  Zeit  zu  ernster  Arbeit 
-ausnutzend;  dann  nach  geeigneter  Ausbildung  sollen  diese  Frauen  den  wol- 
th&tigen  MBmtUebea  Anstalten  ihre  Kraft  and  ttberflflsaige  Zeit  widmen.  Anders 
ist  es  mit  den  Töchtern,  die  awar  den  besserea  Stftnden  aagehSiea»  aber  nicht 
besitzend  sind.  Hier  macht  die  falsche  Erziehung  sich  am  meisten 
geltend,  wenn  die  Töchter  anspruchsvoll  aufgewachsen  und  nacli  dem  Tode 
des  Vaters  mittellos,  kraftlos  und  aussichtslos  dastehen,  zu  keinem  praktischen 
Banfe  Obic 

Es  spricht  Fiaa  Dr.  Heariette  Ooldaebmldt-Leipaig  Uber  das 

Thema:  „Die  Frauenfrage  eine  Cultarfrage.*'  Die  Ausf&hmngea 
der  Rednerin  kennzeichneten  die  Frauenfrage  zunRchst  im  allgemeinen,  um 
sodann  die  Stellung  der  Frau  im  Culturleben  der  verschiedeneu  Volker  zu 
beleuchten.  Die  W^ünsche  der  Frauen  richten  sich  vor  allem  nach  dem  Becht 
der  Persönlichkeit  in  geistiger  und  sitUieher  BetbUtignng  nnd  gegen  die 
Ungleichheit  im  politischen  nnd  Ehereeht.  In  England  und  Amerika  etc.  muss 
der  Staat  bereits  mit  der  Frau  rechnen.  Die  Frauenfrage  sei  keine  Brot- 
und  Erwerbs  frage  mehr  und  auch  keine  Jungfernfrage  (wie  sich 
Eduard  von  üartmann  ausdrückt),  sondern  das  Weib  müsse  seine  Talente 
and  Fähigkeitea  eatwiekalB  aad  gdtead  maefasa  kOaBsn.  Dia  von  Hartmaan 
▼OEgaschlageBe  Janggeseilenstaaer  wflrde  vieUeieht  dem  K5rper  Nahrang 
geben,  aber  den  Geist  darben  lassen,  nnd  hier  ist  Hilfe  am  meisten  nöthig. 
Innerhalb  der  Familie,  des  Staates,  des  socialen  Eebens  soll  der  Frau  diejenige 
Stellung  und  der  Einflnss  eingeräumt  werden,  welche  der  Sonderheit  des 
Weibes  gebären.  Die  Katuranlage  gibt  der  Frau  die  Stellnng  als  Bildnerin, 
Etaieherin,  Pflegerin  in  der  Familie.  Dazu  ist  sie  geaohaffen,  und  sie  besitzt 
an  dleseia  Berafb  gaaa  besondere  Torallge.  Wsmm  soll  sie  die  Eigenschaftea 


Digitized  by  doogle 


—   190  — 


nicht  weiter  ausbilden  und  anch  aiißerbalb  der  Familie  bethätigen  könnten, 
yiie  z.  B.  im  Lehrberufe,  im  ärztlichen  Berufe  u.  s.  w.?  Die  Frau  müsse  ao, 
wie  sich  Fraa  von  Mahrenholtz-Biilow  einmal  ansdrfidct,  die  geistige  Mutter 
der  Memdilieit  werden,  wi«  sie  die  sehtttiende,  pflegende  Motter  inneriitlb  der 
Familie  UtL  Nicht  um  egroiBtische  Grundsätze  handle  es  sich,  denn  die  Frau 
verlange  nicht  nur  für  sich,  sondern  für  das  allgemeine  Wol  und  zum  Ausgleich 
bestehender  Cxegensätze,  zur  Krfüllung  der  Mission  der  allesversöhnenden  Liebe. 
Welche  segensreiche  Thätigkeit  hat  die  Frau  schon  jetzt  im  Kriege  entfaltet, 
und  wie  viel  mdur  kflnnte  sie  es  noeh!  —  Frau  Dr.  Goldaehinidt  bdiaodelte 
ebenfalls  die  ConcarrensA*age,  auf  die  ausgleichende  Kraft  der  Natur  hiaweiBend. 
Dabei  sprach  sie  ii.  a.  den  mit  besonderem  Beifall  ausgesprochenen  J^atz  aus, 
dass  das  Studium  geislrfieher  Frauen  vielleicht  dasjenige  der  mittelniUßigen 
Männer  einschränke.  Schließlich  wünscht  Eednerin  deigenigen  Besti'ebungen 
Brfbig,  welfiiie  dtranf  geriditet  alnd»  der  Frau  die  Stellung  za  venekaffen, 
die  tie  nach  Ihrw  Bedeliiuigen  an  den  eidtnrellen  VerbUtnisseii  der  Zeit  sa 
lieanspmchen  habe. 

Unmittelbar  an  diesen  Vortrag  schloss  sicli  der  von  Frau  Professor 
Weber-Tübingen  über  „den  jetzigen  Stand  der  Arztinnenfrage". 
Frau  Weber  ist  bekannt  als  Autorität  auf  dem  Gebiete  der  Fraueufrage, 
•pedell  hat  sie  sioli  mit  der  ÄrstimieBfrage  befust.  Sie  wies  eingangs  ihm 
Vortrages  aof  die  Brfblge  hin,  welche  die  Frau  als  Ärztin  anderer  Länder 
errungen  hat.  so  namentlich  in  Fnfrland,  Amerika,  der  Schweis,  Schweden, 
Italien  und  selbst  in  der  Türkei,  ilun  erkennt  zwar  auch  in  Deutschland  immer 
mehr  die  Berechtigung  des  Verlangens  nach  weiblichen  Ärzten  an,  viele  hervor- 
ragende  PetaSnlichlEeiteii  nnd  Zeitungen  treten  dalttr  ein,  aber  ein  greifbarer 
ErfUg  ist  noch  nicht  ersielt  Die  Frage  wird  aneh  in  Deatiehland  nicht  mehr 
▼OH  der  Bildflftche  vwsehwinden,  und  ihre  Erfüllung  wird  über  kurz  oder  lang 
That*ache  werden.  Wie  in  England  und  anderswo  werden  die  Frauen  durch- 
dringen, wenn  sie  nur  fest  zusammenstehen  und  nicht  ermüden.  Hilfe  wird 
ihnen  ja  von  immer  mehr  Seiten  zntheil.  Bednerln  betrachtet  es  als  ein 
B&thael,  dan  gerade  die  dcntachen  Fraaen  noch  am  nnaelbetstindigsten  sind, 
während  doch  bei  den  alten  Germanen  die  Fran  in  cnltnreller  Beziehung  die 
bedeutendste  Stellung  hatte  nnd  dem  Manne  am  meisten  gleich  stand.  Zahl- 
reiche Frauen  üben  in  an<ieren  Ländern  ihren  Beruf  als  Ärztinnen  aus:  in 
Deutschland  verweigert  mau  ihnen  die  Möglichkeit,  dahin  zu  gelangen.  Die 
Petition,  die  im  Frlll\|ahre  1891  dieoerhalb  an  den  Reichstag  geriehtet  wurde, 
blieb  ohne  Erfolg,  man  wird  aber  immer  neue  einbringen,  mit  Hinbliek  aof 
den  anch  in  anderen  Ländern  erst  nach  mtthsamen  Kämpfen  emtngenen 
Sieg.  Freilich  gibt  es  auch  Länder,  die  ohne  Schwierigkeiten  sofort  zugestimmt 
haben.  In  Boston  gibt  es  beispielsweise  jetzt  40  und  in  Philadelphia  90  weib- 
liche Ärate,  die  mit  den  minnlichen  alle  Rechte  und  Pflichten  theilen. 

Fran  Prof.  Weber  nntenog  die  Oegner  der  Äntinnenflrage  einer  niheren 
Betrachtung  und  theUte  dieselben  in  drei  Classen  ein:  erstens  in  solche,  die 
sich  nicht  htsniachen  können  vom  Altgewohnten:  zweitens  in  die  Landes- 
vertreter, die  zwar  im  stillen  dafür  sind,  aber  die  Si  hwierigkeiten  der  Aus- 
fUlirung  fürchten,  die  zufrieden  wären,  wenn  die  Sache  mit  einem  Male  erledigt 
>vSre;  drittens  die  Ärste  selbst,  welehe  theila  der  Fran  die  Flhigkeit  absprechen, 
theils  ans  Goncorrensneid  dagegen  sind.  Allerdingi  stehen  viele  Ärste  aneh 


Digitized  by  Google 


—   191  — 


der  Frage  sympathisch  gegenüber,  was  schon  darans  hervorgeht,  dass  die 
Petition  u.  a.  von  140  Ärzten  untersclirieben  gewesen  ist.  Besonders  nöthig 
ist  die  ÄritiB  *iif  den  Lande  «ndin  Fabrikgegenden.  Bei  der  Bespreohug 
der  Art  nnd  Weise  des  Franenstndiams  iat  Bednerin  der  Meinung,  dass  das 
StU'liniii  nicht  etwa  in  eigenen  Anstalten,  sondern  in  Geraeinschaft  und  zu- 
sammen mit  den  männlichen  Studenten  erfolgen  mUsse,  uud  dass  ebenso  die 
Examina  dieselben  seien  and  gemeinschaftlich  abgelegt  werden  sollen.  Die 
ThitaMlie  Uhit,  dais  ilch  ana  dem  gemetoiainen  Stodiom  der  Fnaen  and 
Mfenner  nicht  allein  keine  ünmtrigliohkeiten  ergeben,  «mdeni  daas  im  Oegen- 
theil  ein  günstiger  Binflua  anf  die  Lehrart  und  die  Studenten  ausgettbl  wird. 
Schließlieh  macht  die  Rednerin  noch  mehrere  Vorschläge  betreffs  der  Übergangs- 
periode, welche  sich  theils  anf  die  medicinische  Prüfungsordnong,  tbeils  auf 
wolwollende  Auslegung  der  Gewerbeordnung  u.  s.  w.  stützen. 

Den  niehaten  Vortrag  hielt  Fran  Marie  Strttt-Dreeden,  OafttiB  des 
früheren  H(rfb|ieniflinger8  Stritt.  Der  Vortrag  behandelte  die  hAneliche 
Knabenerziehnng  mit  Rücksicht  auf  die  Frauenfrage.  Der  so  oft  zu  findende 
Glaube  an  die  Unfähigkeit  der  Frau,  der  auf  falschen  Anschauungen  oder  Un- 
wissenheit beruht,  gründet  sich  in  der  Hauptsache  auf  die  Erziehung  der 
Knaben.  Deudben  werde  vom  ersten  Tage  ab  die  Heinong  von  der  Ifinder- 
werdgkeit  der  Schwester  beigebraoht,  nnd  in  ihnen  werde  Egoismus  und  der 
Glaube  an  grOAeree  Recht  und  aehr  Starke  geweckt.  Die  Bedneiln  belegt 
durcli  Beispiele,  wie  die  Knaben  rar  Missachtnng  der  Mädchen  erzogen  werden, 
und  wie  dadurch  im  Schöße  der  Familie  Sünde  begangen  werde.  An  den  Sohn 
wendet  man  auch  viel  mehr  Geld,  als  an  die  Tochter;  man  lässt  die  Schwester 
ihn  naaehe  Dienete  lelsfeea,  die  er  sieh  seibat  leisten  mllnle,  damit  er  auch  im 
lA'hen  von  den  Dienstleistungen  anderer  weniger  abhängig  werde.  Als  größten 
Erziehungsfehler  tadelte  Frau  Stritt  die  große  Nachsicht  der  Mütter  den 
Söhnen  gegenüber,  namentlich  bei  jenen  Streichen,  die  man  unter  die  Rubrik 
einreiht:  die  Jugend  muss  austoben.  Recht  gefährliche  nnd  verhängnisvolle 
Dinge  werden  ndt  diesen  Worten  vom  Anstoben  sogedeekt  and  atillaehweigend 
gednldet,  nnd  Idder  neigt  es  sieh  dann,  daaa  das  Toben  nicht  anfhOrt  Und 
wieder  ist  es  das  weibliche  Geschlecht,  das  nnter  den  Ausschreitungen  der 
Männer  am  meisten  zu  leiden  hat.  Aufgabe  der  Mutter  sei  es,  die  Söhne  zu 
lehren,  die  Schwester  als  gleichberechtigt  anzusehen,  sie  nicht  als  geringeres, 
minderwertiges  Wesen  anzusehen ,  sondern  als  starke  Mitkämpferin  in  dem 
Kampfs  nm  das  Dasein. 


Aus  dem  Großiierzogthnm  Baden.  [Mitte  October.]  Vor  10  Jahren 
wurde  auf  directe  Veranlassung  der  Hauptlehrer  Dühmig  iu  Buhl  bei  Baden 
nnd  Dr.  Henaer  in  Mannheim  die  „Conoordia",  eine  „Actiengesellaehaft  Ar 
Dnck  nnd  Verlag*,  in  BflU  gegriadet.  Trota  mannigfiusher  Hindemiaae  von 
oben  nnd  unten ,  trotz  gemeiner  SchmShnngen  der  genannten  Personen  in 
der  Presse  und  Maßregeluni?  des  oben  genannten  Dr.  M.,  gedieh  das  Unter- 
nehmen aufs  beste  nnd  steht  heute  nach  innen  nnd  anßen  gefestigt  zur  Ehre 
der  badischen  Lehrerschaft  da.  Zweck  der  „Concordia"  ist  die  Unterstützung 
nothleidender  Lehrer  nnd  Lehrerrelicten.  Seit  ihrem  Beetehen  hat  die  „Oonoordia" 
an  die  beiden  WoMrittigkeitaanatalten,  den  bad.  Peetalozziverein  nnd  das  Wwen- 


Digitized  by  Google 


—    192  — 


«nd  Waisen-Stift      Letarar,  an  OBtentttnmgea  Ar  nothleidfliidfi  Ldurar  and 

Xieiirerrelicten  die  bedeutende  Snnune  von  36266  Mark  vertheilt,   Aach  in 

dem  aVi^t'laufenen  Vereinsjahre  wnrde  abermals  eine  namhafte  Snmme  zu  ge- 
dachtem Z\ve(:ke  erübrigt.  „Bist,  du  Cljristus,  so  hilt  dir  und  unsl^  heißt  es  in 
der  Bibel;  deu  Christus  der  Lehrer  iu  gedachtem  äiime  vertritt  die  „Selbst- 
hilfe!'* llüge  de  immer  mehr  cntaihen,  denn  ein  Zawarten»  bie  die  ,|Hilfe 
▼en  Zion**  kommt,  könnte  nur  Venweiflnov  fthnn«  snmal  die  soff.  „Nothhilfe*' 
in  den  meisten  FäUen  sehr  problematischer  Natur  ist.  — 

Am  o.  October  wui-de  zu  Otfenburg  die  Generalvei-sammhing  des  ^Allg. 
B^discheu  Vulkäschullehrer- Vereins"  abgehalten,  die  ein  höchst  erfreu- 
liches  Bild  collegialer  Einmfithigkeit  und  Solidarität  der  Interessen  bot  Dem 
.Volkssehnllehrer-Verein  gehOten  naheni  sftmmtHche  Lehrer  Badens  als  Mit- 
glieder an,  die  alle  ein  Sti-eben  beseelt  und  die  sich  fernhalten  von  denen, 
welche,  fiei  es  im  Lutherrock  oder  in  der  Soutane,  sieh  eifrigst  bestreben,  die 
Lehi'er  zu  ihren  Zwecken  zu  niissbrauchcn  und  „in  die  Zeilen  charakterloser 
Ilin4ei3ährigkeit"  zurückführen  wollen.  Die  bad.  Lehrer  kennen  ihre  I'appen- 
heimer  and  bedanem  lebhaft,  dass,  wie  Dr.  Menser  in  einem  Toaste  ansiuirte, 
Jenseits  der  Mainlinie  ein  Theil  der  Lehrer  mit  Küidheit  geschlagen  sei,  indem 
er  den  Lockrufen  der  Rückwäi-tser  zum  Schaden  der  Schul-  und  Lehrerinteressen 
folge.  Als  Folge  einmütigen  Zn^ianinienhaltens  der  bad.  Lehrer  w  ird  im  nilclisten 
I^andtage  ein  (iesetz  zustande  kommen,  das  eine  mächtige  Förderung  der 
materiellen  Besseistellnng  der  Lehrer  und  ihrer  Belioten  involTiren  dflrfte. 
(Wir  behalten  ans  vor,  s.  Z.  dartber  an  berichten.)  —  Einen  der  wichtigsteB 
Punkte  der  Tagesordnung  bildete  der  Antrag  des  Vorstandes:  „Gründung  eines 
T\echtsBcliutz-Vereins.~  IMr  Zwecke  dieses  Vereins  sind  bekannt;  fast  mit 
kStininieneinhelligkeit  ward  der  „Rechtaachutz -Verein"  gegründet  und  dessen 
Statuten  beratheu  und  angenommen.  Ein  weiterer  Punkt  der  Tagesordnung^  wai- 
die  Erhebung  eines  YereinsbeUnges  Ton  1  Mark  Jlhrlieh;  aoeh  dieser  Antrag 
worde  einstimmig  angenommen,  besonders  deshalb,  nm  ein  Capital  anzusMnmeln, 
aus  dessen  Zinsen  ein  namhafter  Beitrag  zur  Besoldung  des  freizustellenden  — 
d.  h.  deu  dienstlicli-discifdinären  Gewalten  entrückten  —  Redacteurs  des  Ver- 
einsblattes erzielt  werden  soll,  zumal  bei  den  jetzigen  Verhüitnissen  das 
Damoklessohwert  stets  ttber  dem  Bedactenr  hänge.  — 

Von  den  tUwigeo  „AntrSgen"  der  nmftuigreichen  Tagesordnnng  wollen 
wir  noch  deiyenigen  „über  die  Betheiligung  der  Lehrer  an  der  Errichtung  von 
Kochst  Imlen"  erwühnen.  Ihre  Köni^l.  Hoheit  die  Frau  Großherzogin  ist  in 
ihrem  edlen  Streben  bemüht,  der  socialen  Noth  in  den  unteren  Classen  der 
Bevölkerung  durch  materielle  Unterstützung  und  Belelirung  thunlichst  eutgegen- 
anwirken.  Die  hohe  Fran  glanbt  dahw  andi  in  der  Eniohtong  you  Koch- 
schnlen  —  im  Anschluss  an  die  Volks«  oder  obligatorische  Fortbildungsechole 
-  ein  weiteres  Mittel  ihres  edlen  Zweckes  zu  erblicken.  Hen'  Rector  Specht- 
Karlsnihe,  ein  zu  Neuerungen  auf  dem  Schulgebiete  —  auch  wenn  diese  sich 
iu  der  Praxis  noch  nicht  erprobt  haben  —  sehr  geneigter  Schulleiter,  hatte 
sieh  als  wiUftUiriger  Interpret  der  Eochschulen  mit  einem  ihm  untergebenen 
Lehrer  der  Besidens,  dem  Referenten  über  dieses  Thema,  eiageAmden.  Herr 
Specht  berichtete  u.  a.,  dass  (ehe  er  nach  Ofienbnrg  geeilt  sei,  um  der  Volks- 
die  Kochschule  zu  freien)  er  in  Karlsrulie  der  Eröffnung  einer  Kochschule, 
welcher  zwei  Lehi'erinnen  vorstünden,  die  iu  einer  norddeutscheu  ätadt,  wo 


Digitized  by  Google 


—   1«8  — 


Kochschuleu  beständen,  ihre  Ausbildung:  erlangt  hätten,  beigewohnt  habe;  er 
emptahl  die  Errichtung  der  Kochächuleu  im  Auschloss  au  die  X'olkssohule  sehr 
wann.  Ob  dabei  weSne  pädagogische  Einaidit  snm  Ansdmck  gelangte,  kaben  wir 
htar  Hiebt  aa  ontenadMn;  praktisch  thftticr  war  indeaaeo  diaaar  Hur  als  Volks- 
schullehrer  —  er  ist  von  Haus  aus  Theologe  —  noch  nicht.  Von  andere 
SoitP  wurde  betont,  dass  es  im  Interesse  eines  gedeihlichtni  Unterrichts  läge, 
keine  neue  Disciplin  der  Volks-  und  Fortbildaugsschole  einzutüten;  die  Schule 
sei  nicht  das  bekannte  „Mädchen  fär  Alles'',  habe  wichtigere  Auijgaben  zu  er- 
IBUan  mid  dtrfe  sieh  nicht  Tenneiatti,  die  sog.  „aseiale  Frage*  dirael  Ktoen  sa 
wollen.  Aach  aus  practischen  Gründen  sei  der  Anschlnss  der  Kodi-  an  die 
Volks-  oder  Fortbildungsschule  nicht  zu  emptehlen,  da  u.  a.  die  Kinder  dazu 
nicht  die  wirtschaftliche  und  geistige  Reife  im  schulptlichtigen  Alter  hätten 
und  die  Zeit  des  Erleruens  der  Kochkunst  zu  weit  von  deigenigen  des  praktischen 
Verwertens  aosekianderliege.  Bin  Anauhlwss  der  Kock-  aa  die  bereits  be- 
stehenden privaten  Haashaltnngsschnlen,  welch  letatere  «nf  Kosten  das  Staates 
überall  im  Lande  errichtet  werden  mtissten,  sei  dagegen  nur  zn  empfehlen. 
Diese  Ansicht  konnte  jedoch  vorei-st  nicht  die  Stimmenmehrheit  erlangen,  da- 
gegen einigste  man  sich  in  der  allgemeineu  Kesolution:  „Die  Lehrer  stehen  der 
Frage,  die  Errichtung  der  Kocbschalea  betr.,  sympathisich  gegenüber." 

Wir  sind  begimrig,  die  Erfiiiga  der  Venmohsstation  Karlarahe  inbetreir 
der  KochBchule  zu  erfahren  und  werden,  wann  wir  s.  Z.  einen  ungeschminkten 
Bericht  über  sie  erhalten  köausn,  nicht  TMiSiBsin,  denselben  im  „PsBdagegiam** 
mitzutheilen.  — 

In  den  letzten  Tagen  duichlief  die  badische  (politische^  i're&se  ein  Artikel, 
in  weldma  Uttere  Klagen  darflber  geführt  wurden,  dass  die  Sohnhudhichts- 
beamten  der  YoUusdialen  Badens  giMtantheüs  aas  den  Bethen  der  Thealegen 

und  Philologen  genommen  würden,  trotzdem  im  vorigen  Landtage  sowol  von 
der  üi'gierung  als  der  Volksvertretung  ostentativ  hervorgehoben  worden  sei, 
dass  die  Volksschuilehrer  auch  liectoren  und  Kreisschulräthe  werden  konnten. 
So  sd  in  Karknihe  mm  SteUvwtrater  des  Bectors  ein  „Lehramtsprakükaat" 
^Gandidat  dea  hllheren  Sehnlamtas)  erkoren  worden,  ein  Mann,  der,  wie  sein 
Titel  sagt)  sieh  erst  in  der  Sohilpraxis  „umznthnn"  habe,  am  dem  Oeaetae  an 
entspi-echen  und  die  Befähigung-  zur  definitiven  Anstellung  zn  erlangen.  Es 
sei  diese  Thatsache  um  so  auftalh  iider.  als  tüchtige,  erfahrene  Lehrer,  selbst 
solche,  die  ein  höheres  Examen  bestanden  hätten,  jahrzehntelang  an  der  Volks- 
aebiüe  so  Kailsnihe  erfSolgreieh  wirkten;  aneh  erhalte  die  Sache  dadaroh  nedi 
einen  eigenthömlicben  Beigescluiuudc,  dass  Hr.Beotor  Specht  im  Anssehosse  der 
Allgemeinen  Deutschi  n  Lohrerversamnilung"  seit  der  Tagung  deraelben  in 
Karlsrnhe  sei  und  daher  vor  allem  die  Pflicht  habe,  die  Interessen  des  Volks- 
scholleiirerstandes  in  erster  Linie  zu  fördern. 


Ans  der  Schweia.  Je  länger  je  mehr  schenkt  man  dem  gewerblichen 
Bildungswesen  die  gebürende  Aufmerksamkeit,  nicht  nur  in  StSidten.  wie 
Basel,  Zürich,  Rem.  Genf  etc.,  wo  in  selu-  gut  organisirteii  Sclmleu  Treti'liches 
geleistet  wird,  sondern  auch  in  kleinern  Orten,  wo  Gewerbe,  Handel  und  Industrie 
einst  bUhtan,  man  aber  dandedstUegeo.  So  projeetirt  man  den  Anabai  der 
gewerblichen  FeriUMnngasehnle  in  Franenfeld,  woselbst  Seenadariehrer 


Digitized  by  Google 


—  m  — 


Schweizer  im  Gewerbeverein  in  einem  wirksamen  Vortrage  die  Nothwendigkeit 
erweiterter  und  aaf  praktischem  Gebiete  vertiefter  gründlicherer  Kenntnisse 
itachgewieBeB  luA. 

Die  Schttlerzahl  der  Gewerbeschulen  ia  Basel,  ZIrich  etc.  wächst  beständig. 
Jene  betrug  beispielsweise  im  verflossenen  Jahre  702,  diese  804.  In  Zürich 
erstreckt  sich  der  Unterricht  auf  folgende  Fächer:  Freihandzeichnen,  Perspec- 
tive! Linear-  und  gewerbliches  Zeichnen,  gewerbliches  Rechnen,  Geometrie,  dar- 
■teUende  <3eoiii«trie,  SolinltwB,  «influhe  Bnchhaltong,  GesehiAsiatefts,  ttut- 
ilMtelie  SpTMlie,  VerftMnmgBlnuide,  Faeheane  ftr  Sehuter  und  Sehiiflidflr;  a.iiQli 
steht  ein  Zeichensaal  unter  Leitung  eines  Fachlehrers  zur  BenQtzuog  frei.  Am 
besten  wird  durclischiiittlich  der  Unterricht  im  Freihandaeidiiieii  und  Schrdben 
beancht. 

Die  Jahresaasgaben  beliefen  ridi  aaf  ca.  Fcs.  30000;  die  Lehrerbesol- 
diiiig«it  allein  errefehtm  die  Soune  Ton  Fes.  17448.  Um  das  bettladig«  Deficit 
anfzahebflo,  beaeh&ftigt  man  aich  anch  hier  mit  dem  Plane»  daa  Fortbildnnga- 
selialwesen  unter  die  directe  Aufsicht  des  Staates  zu  stellen. 

Sogar  Städtchen  mit  lOODO  Einwohner  bringen  große  Opfer  zur 
Förderung  ihres  Fortbildongsschulwesens  oder  der  praktischen  Ausbildung  ihrer 
Jünglinge  vnd  Jongfraoeo.  hat  aelt  etwaa  meiir  ala  einem  Jahre  aein 
Techniknm  mit  173  SchlÜem,  «defae  den  ünterrieht  in  dentodher  und  fran- 
zösischer Sprache  erhalten.  Für  die  Uhrmacher  besteht  ein  vorzOglich  ana* 
gerüstetes  Atelier,  in  dem  sie  den  Bernf  vollständig  erlernen  kJ'mnen,  und  eine 
mechanische  Werkstätte  nimmt  —  neben  einem  elektrotechnischen  Institut  — 
Elektrotechniker  and  Mechaniker  aas  der  Heimat  and  Fremde  bereitwilligst  aaf. 

Die  ganne  Anstalt,  welche  den  Charakter  einer  theila  mittleren,  theDs 
höheren  Gewerbeschule  hat,  besteht  aus  4  Fachabtheilnngen :  einer  mechanisch* 
technisolion  (in  Verbindung  mit  der  ührraachprschule),  einer  elektro-tech- 
nischen,  einer  kunstgewerblich-bautechnischen  Abtheilong  and  einer 
Eisenbahuschale. 

In  einem  Vorenra  werden  die  jungen  Leute,  welche  hereita  ttngere  Zeit 
in  der  Pnuda  gestanden,  som  Ebitritt  in  eine  dieser  Fachachalen  vorbereitet. 
Den  fremden  Sprachen  räumt  man  neben  sämmüichen  mathematischen  und 
technischen  Fächern  viel  Zeit  ein,  so  dass  also  Ingenieure  und  Constructenre 
für  Maschinenbau,  Fabrikanten  und  Dii'ectoren  von  Maschinenfabriken  etc., 
Wwkmeister,  Zeichner,  Aoibeher,  Kleinmechaniker  nnd  Uhrmacher,  Media- 
niker,  Mentenre,  Hodelleore,  Baumeister,  BanfBhrer  etc.  ans  diesem  Technflcnm 
hervorgeben,  die  in  den  zahlreichen  Etablisaements  dieser  Kleinstadt  auch 
gründliche  praktische  Kenntnisse  sich  angeeignet  nnd  deshalb  schon  eine  relative 
Tüchtigkeit  in  ihrem  Berufe  haben. 

Der  1.  August  wird  der  Schweizer  Jugend  als  Tag  des  Ernstes  und  der 
Freude  unTergesdieb  sein,  wurde  er  Ja  doch  in  Stadt  und  Land,  in  der  ab- 
gelegensten Bergsehule  wie  an  der  Universitftt  der  HanpIMadt  mit  gleicher, 
flrendiger  Begeisterung  gefeiert,  durch  Heden  und  Gesänge,  dramatische  Auf- 
flihrungen  nnd  Jngendfeste  —  als  Gedenktag  des  sechshundertjährigen 
Bestehens  der  schweizerischen  Eidgenossenschaft.  Der  Jugend  be- 
sondmrs  an  diesem  Tage  die  energisdien  Thaten  ihrer  Väter  vorzofUiren,  ihr 
den  Wert  der  Freiheit  nnd  Unabhängigkeit,  aber  auch  der  wahren  Bttrgertngend 
klanumachen  und  alt  und  jung,  hoch  und  nieder  m  seigen,  was  wahre 


Digitized  by  Google 


—  196  — 


Vaterlandsliebe  vermagr,  besonders  wenn  sie  von  der  Herrschsucht  und  T'artei- 
leidenschaft  der  Grofien  bedroht  wird,  das  war  die  erhebende  Aufgabe  von 
tausend  und  tausend  Rednern  und  Lehrern  der  Jugend  und  des  Volkes.  Ihi'e 
Worte  haben  gesttodet  und  Kindera  lod  ErwaehseneD  aUerortan  Etniicht  Ter* 
■ehalt  in  die  hohe  Bcidaatnng  dieses  Wiegenfestes  der  schweiMlIschen  Eäd* 
genonenschaft.  Ob  nun  wach  das  ünhistorische  des  Apfelschnsses  nachgewiesen 
und  selbst  der  Rtitlischwur  in  Zweifel  gezogen  werden  mag,  noch  ist  das  ehr- 
würdige Pergament  erhalten,  auf  welchem  die  Waldstädte  eidlich  versprachen, 
adt  Rath  und  That,  Leib  and  Gnt  einander  naeh  Krillea  beisnrtehen  in  «id 
aoßer  ihrer  Almat,  and  noeh  immer  laneehen  Jagend  and  Volk  gerne  den 
patriotischen  Worten  dessen,  der  es  versteht,  vom  Katheder  oder  der  Redner- 
liiihne  aus,  im  einfachen  Dorfsohulzimmer  oder  im  Hörsaal  der  Akademie  den 
rechten  Ton  anzustimmen  zum  volltöuigen  Accorde  der  wahren,  selbstlosen 
VaterlandaUebe,  so,  wie  z.  B.  anch  Schüler  de  der  gesammten  deutschen  Jagend 
im  Zauber  der  dramatischen  Kraft  elnflSflt.  Das  Hftuflein  freier,  mathiger 
Ittnner,  die  unsere  Alpenrepublik  begründet  und  befestigt  haben,  Mrorde  der 
empfänglichen  Jugend  überall  als  leuchtendes  Vorbild  vorgeführt,  und  die  Lehre 
der  Freiheit,  d.  h.  die  Wahrheit,  welche  in  der  iTeschichte  und  Sage  liegt,  wird 
als  verborgener  Goldgehalt  von  den  zakünltigeu  Bürgern  unseres  freien  Landes 
aueh  in  der  Erinnerung  an  den  1.  Angost  1891  gebfirend  gesdifttst  nnd 
pralctisch  yerwertet  werden,  in  weiser  Selbstr^emnf  und  gewistenlialter 
Walirung  der  theaer  erliaaften  Unabhlln^igkeit. 

Ein  Volk,  das  seine  republikaniselip  ^'ertassIlne:  —  die  einzige  in  Europa, 
die  sich  als  solche  seit  dem  Mittelalter  uime  Unterbrechung  erhielt  —  bei- 
behalten und  ihres  Segens  auch  für  die  Zukunft  theilhaftig  werden  will,  muss 
seine  Jagend  anf  das  hohe  Gnt  der  Freiheit  durch  grandUofae  nnd  aUseltiga 
BQdnng  vorbereiten.  Das  sehen  alle  wahren  Patrioten  ein.  Daher  anefa  die 
erhöhten  Anforderuogen,  Gaben  andAnqiritche  au  Onnston  der  Jugenderziehung. 

Das  Volksscholwesen  behauptet  trotz  der  Ungunst  der  Zeit  seinen  ruhigen 
Gang;  mancherorts,  wie  im  fortschrittlichen  Basel,  wird  viel  gethan  ftir  die 
Hebung  desselben  nach  verschiedenen  Richtungen  hin.  So  kommen  ans  von 
dort  her  Hittheihuigen  zu  über  die  Schnlbäder,  laut  welchen  vom  27.  Jan. 
V.  J.  an  Aber  4000  Blder  (Donchen)  an  61  Tsgoi  verabreicht  wurden.  Von 
den  Schülern  und  Schülerinnen,  die  von  Woche  zu  Woche  wechselten,  nahmen 
etwa  80  "  „  freiwillig  theil.  Die  Einrichtungskosten  stellten  sich  auf  Fcs.  2427 
die  Hetriebskc^ten  anf  Fcs.  Fi. 57  per  Tag  oder  7  Cts.  per  Bad. 

Seit  Beginn  des  neuen  Curses  werden  Versuche  mit  der  Steilschrift 
gemacht. 

In  vielen  kleineren  und  grSBeren  Ortschaften  wurde  in  letzter  Zeit  die 
unentiraltliche  Verabfolgung  der  Lehrmittel  beschlossen. 

Auf  d«n  Gebiete  des  Volksgesanges  macht  sich  in  den  schweizer  Sohulen 

eine  besondere  Strömung  geltend,  welche  das  Auswendigsingen  einfacher 
Volkslieder  empfiehlt.  Man  hat  nämlich  übereinstiiiiiiiend  in  verschiedenen 
Gegenden  die  Wahrnehmung  gemacht,  dass  in  Familie  und  Gesellschaft  die 
Pflege  des  Singeas  thatsächlich  zurückgeht,  trotz  der  reichhaltigen  Literatur 
nnd  den  schOnsn  ErlUgen  an  SSngerliBSten  ete.  Ein  merklicher  Anlauf  ist  nun 
gerade  bei  der  Bundesfbier  gemacht  worden»  indem  Jede  Schule  auch  mit  den 


Digitized  by  Google 


—   196  — 


bescheidensten  SangeskiHften  einig:e  Vaterlaiidslieder.  wif  das  Rütiilied,  die 
Nationalhymue  etc.  aosweDtlig  sang  und  zwar  mit  der  denkbar  besten  Aoffassimg. 

Die  LaniMttffievmfragr«  «ndMeh  eotaeUeta  wmiflft  ud  swv  «i 
Oanstan  von  Zirieli,  das,  oentnl  geleeeOf  ab  Stätte  der  Knoat  md  Wfaaoa 

Schaft  von  Anfang  an  viele  Stimmen  auf  sich  vereinigte  mid  Moh  auf  jeder 
Stafe  des  ünterriclits  in  den  vordersten  Reihen  marschirt. 

Die  schweizerischen  Hochschulen  weisen  eine  bedeutende  Frequenz  auf, 
nämlich  1589  immatriculirte  Studenten,  worunter  26  Studentinnen.  Auf  ZUrich 
entfallen  367,  auf  Basel  819,  «of  Bern  422,  anfGenf  181,  auf  Lauaaiie  142, 
sof  Freiburg  104  vnd  auf  Neuenbnrf?  54. 

Von  Zürioli  aus  e:eht  infolß-e  t'herbürdung  der  Medicin-Studirenden 
die  Anre^nn^f.  das  medicinische  Studium  auf  10  Semester  auszudehnen. 

Des  Conferenzleben  entwickelt  sich  in  den  fortschrittlichen  Cautouen  in 
Meitor  noA  fhwktlMtntflr  Wdse,  m  in  Aargan,  Thurgau,  in  ZMab  md  Basel 
ind  in  vielen  Landberirken,  wo  nengewlhlte,  strebsame  nd  energteche  Cdlegen 
den  Sauerteig  ihrer  geistigen  Anregungen  auf  ilire  weiteste  Umgebung  hin 
wirken  lassen.  Deslialb  wurden  in  letzter  Zeit  von  Oberbehörden  mehr  als  je 
bisher  Fragen  von  principieller  Bedeutung  vor  das  Forum  der  Lehrerschaft 
gebracht,  und  selbst  anderweitige  Themata,  z.  B.  solche  rein  didaktischer  Nator 
erfk«iiten  sieh  allerorten  einer  pritoiseiif  aber  dafür  gmns  praktiselMii  BehaadliuMr. 
So  z.  B.  hörte  die  gesammte  Lehrerschaft  der  Stadt  St.  Gallen  ein  woldurchdachtes, 
auf  reielien  i»raktisclien  Krfabrunpeii  Ijernliendes  Referat  von  Frilulein  Bohl  übei- 
die  S pecialclasse  der  Schwaclisinnigen,  welcher  die  Referentiii  seit  der 
Gründung  mit  viel  Gespluck  und  großer  Hingebung  voreteht.  Solche  Souderclasseu 
worden  allgsoMin  als  ein  Gebot  der  NothwendigiEsIt  anerkannt,  md  die  Heran- 
bildung der  Schwachsinnigen,  denen  ja  anch  eine  oiS0iohstglfiekli<^e  Jngendaeit 
xntheU  werden  soll,  bezeichnete  man  dnrchans  als  Pflicht  der  Gemeinde  oder 
des  Staates. 

Auch  der  zweite  Verhandlnngsgegenäland ,  das  Mädchen  turnen,  trug 
den  Stempel  der  Seholpraxis,  indem  Herr  Nietbamer  (ueog^wfthlt  au  die  St. 
Johannsehule  in  Baad)  in  freiem  Vortrag  die  Ziele  nnd  den  zwecknUUUgsten 
Stoff  des  Mädchentnmens,  im  Anschlnss  hieran  in  einer  nahezu  stSndigen 
T.ection  die  Übungen  selbst  in  seiner  sechsten  Classe  vorführte  und  zwar  so, 
daäs  aller  Augen  mit  ges])anntester  Aufmerksamkeit  den  ungezwungenen 
Bewegungen  der  frohen  Schal'  folgten. 

Dieselbe  inraktisehe  Tendenz  macht  sidi  indessen  allmählich  mehr  nnd 
mehr  noch  in  Privatkreisen  geltend;  stellten  doch  kürzlich  hervorragende  Laien 
aus  eifrener  Initiative  den  nachfolgenden  sehr  beachtenswerten  Entwurf  zu 
„Satzungen  eines  Privat-Lyff'nnis"  f  Privat-Akademiei  in  St.  Gallen  zufjammen: 

1.  Die  Privat-Akademie  will  dem  unbestreitbaren  Bedürfnisse  eines  im 
Sinne  der  amerikmisdieo  Cdlegee  auf  das  praktlsdto  Beniftlel»en  gerichteten, 
höheren  ünterrichtes  dienen. 

2.  Sie  nimmt  Schüler  resp.  Zuhörer  (aneh  weibliche  Externe)  nach  voll- 
endetem 1().  Altei-sjahre  unter  der  Bedingung  normaler  Beanlapnng  auf 

3.  Sie  zerfallt  in  einen  \'orcur8  und  eine  akademische  Abtheilung.  Alle 
Neneintretenden  besuchen  zunäclist  den  ersteren.  Letztere  hat  einen  propä- 
dentlschett  Charakter,  indem  sie  fai  die  Anflhige  der  Theologie,  Juispmdene, 
Staatswissenschaft  md  Pädagogik  einführt.  Besondere  Cnise  sind  fltr  aolohe 


Digitized  by  Google 


—   197  — 


Betaite  in  Aussicht  izfenonniien.  welrlie  ans  irg:en(l  welchem  Grande  sich  nidit 
dni^h  üniveraitätsstudien  auf  eine  rat ioiielle  Anitstührong  oder  StaAtsverwaltniij^ 
vorbereiten  konnteu  und  deshalb  iu  irgend  einem  oder  in  mehreren  Zweigen 
(BoflUMltmtf  OwifaM«  ud  Verlkaniagdnuide  ete.)  praktM»  KamteiMe  aodi 
beMmdcn  ntMUff  batett. 

Ob  eine  VoflMreitnDg  für  Theologen  beider  Confessionen  hier  tnnglich  und 
das  Hanptsnel  erreichbar  sei,  das  wird  die  nächste  Zukunft  schon  lehren.  Be- 
dentüani,  beachtens-  und  nachahmenswert  ist  für  alle  Falle  die  zUlie  Enerifie 
und  der  fipohe  Muth,  mit  dem  die  leitenden  Persönlichkeiten  „den  erhöhten 
VdkireebteD  eine  erhöhte  politiiohe  und  wirtsehalttiche,  praetiiehe  und  geistige 
LeistungsAhigkeit"  gegenüberstellen. 

Diese  praktische  Tendenz  scheint  nun  bereits  auch  auf  das  Gebiet  des 
hitheren  Unterrichts  verpflanzt  worden  zu  sein,  wenigstens  beweisen  dies  theil- 
weise  die  Thesen,  welche  von  einer  AutoriUi  im  Zeichnen,  Herrn  Prof.  Öchoop- 
FkwMBlBld,  in  eisern  auf  der  Hanptveraammlnng  der  eoliweiz.  Zeiohea-  und 
0«weri>eachii]ldhrer  gehaltenen  BeHwate  *)  av^^r^stellt  wnrden  md  n.  a^  dem 
Freihandzeichnen  in  Lehrerseminarien  die  Priorität  einräumen,  äm 
Zeichnen  nach  >s  atnrkörpern  und  Modellen  ftbenanstellfii,  die  Methode  des 
Zeichnens  der  obersten  Classe  de»  Seminars  zuweisen  und  dem  Wundtafel* 
zeichnen  die  nöthige  Beachtung  aichem.  —  Ebenso  befürwortet  Prof.  Dr. 
Hmoiker  in  begeisterten  Worten  die  Anlhalme  der  Vateriandsknnde  in  die 
gewerbliohe  FonbOdangSMhnle. 


Ais  der  Fachpresse. 

504.  Der  Stoff  des  Fortbildungsschulzeichuens  (M.  Ludwig,  Die 
Fortbildnngsschole  1891,  VII).  Verf.  hat  die  allgemeine  obligatorische  For^ 
bildongssehnle  (mit  2— -3  Jahresciassen)  im  Auge.  FSr  diese  stellt  er  im 
wesentlidien  folgende  Regeln  auf:  a)  „Geeignetster  Stoff'  das  Linearzeichnen, 
und  zwar:  Zeichnen  von  Constrnctionen,  preonietrischen  Omanicnfen  nnd  geo- 
metrischen Darstellungen  (W —  h  i  iui  Anschluss  an  a).  ..spätestens  im  2.  oder 
3.  Jahre":  Bernfszeichnen  in  vier  Hauptgruppen  oder  Classen  i^Kuustgewerbe- 
treibende,  Holz-,  Stein-  nnd  Hetallaibeiter)  —  c)  Anfj^be  desBemftseichnens: 
die  Sdittler  sollen  einfache,  anf  iliren  Beraf  besflgUche  Zeichnungen  verstehen 
und  in  einem  andern  Maßstabe  selbstständig  wiedergeben  lernen  —  d)  .,ein- 
^'^fhendes  T{ps])rechen  mit  tüchtigen  Lehrmeistern  bezüglich  des  im  Zeichen* 
Unterricht  für  jeden  Beruf  Nothwendigen." 

505.  Fr.  W.  Frikke  (P.  Hanke,  Neue  Bahnen  1891,  VIU).  Das 
Lebensbild  eine«  Hannes  von  bewnnderangtwttrdiger  Arbeitskraft,  Leistongs- 
lUiigkdt  nnd  Ausdauer.  Zosanunenfassendes  ürtheil:  Frikkes  Denken  und 
Sterben  wurzelte  in  der  Gegenwart  und  war  nur  anf  den  Foi  tschritt  gerichtet. 
Was  er  seine  „Ilse"  zu  einem  Freunde  des  Rückschritts  sagen  lilsst:  ..\'or- 
wärts  strebe,  den  Blick  auf  edle  Ziele  gerichtet;  zur  Salzsäule  erstarrt  jeder, 
der  hinter  sieh  blickt!**  das  kennseichnet  sein  ganzes  Wollen.  Was  ihm  fürs 
Dasein  des  Menschen,  Ar  die  Anllsaben  der  Menschheit,  Ar  die  Fortentwick* 

*)  AasfÜhrlicheres  hierttber  in  den  von  Prof.  Puppikoler-ät.  Gallen  vortrefflich 
redigirten  „Blitten  ttt  den  Zcdehen-  und  gewerbL  Beniftiuiterricht''  Nr.  10. 


Digitized  by  Google 


—   198  — 


long  der  Ciiltor  nicht  wertvoll  erschien,  das  hielt  er  nicht  des  Dnrchdenkens 
für  wert.  Daraus  entspranii?  bei  ihm  auch  die  Geringschätzung  fUr  so  manches 
Stück  Wissenschaft,  du  andere  für  wertvoll  halten."  „DieObjectivität,  mitwelcher 
er  bei  aOeii  ISntKhsMmgm  iMUrthefl  ans  der  Sache  henun  folgert,  wobei  er 
dii  voi-t^(  hiedenen  Seiten  eines  G^^emstaades  nnd  alle  Einzelheiten  desselben 
nach  der  Richtung  aller  Ideale  hin  beleuchtet,  steht  perade/n  einzig:  '^i  '  T^'^- 
fremdlich  ist  es,  dass  eine  pädagogische  Zeitschrift,  die  (iirscm  liervorra}^*  iidt  ii 
Geiste  mit  Becht  ein  ganzes  Heft  widmet,  keine  gründliciie  Würdigung 
■einer  eigenartigen  „Ersiebnnge-  und  ünterricbtslehre**  bringt!) 

506.  Anaichten  über  wahre  Bildung  nebst  Erinnerangen  an 
alte  Schulkämpfe  (M.  Müller,  Allg.  deutsche  Lehrerz.  1891,  33.  34j.  Äalte- 
rungen  eines  alten  Lehrers  vom  Geiste  Wanders  —  eine  Seltenheit  in  der 
deutschen  Fachpresse  der  Gegenwart.  —  In  dem  Abschnitte  über  ^ wahre  Bil- 
dong**  der  Nachweis,  dass  die  Beaeichnung  „Ualbbildong"  sinnlos.  —  Aas  den 
„Ertnnenuigen'*:  „Was  wir  branchea  im  Sehnlweeen,  aind  beeeere  Volkaachiden 
nnd  höhere  Schulen,  in  welchen  Englisch  und  Fianzödsch  statt  Latein  und 
Griechisch  gelernt,  und  dass  überhaupt  in»  Geiste  unserer  Helden  der  Pädagogik 
in  allen  Schulen  die  Hauptsache  nicht  versJiumt  wird:  gute  und  ver- 
nünftige Menschen  zu  erziehen,  nnd  zwar  anch  willenskräftige.  Zur 
Errelchnng  dieaea  Zielea  gehSren  abor  aaeb  die  besten  Lebrer  an  die  Spitse 
det  Schnlwesens  nnd  die  rechten  Anstalten,  in  welcben  Lehrer,  wie  sie  sein 
Böllen,  gebildet  werden."  (Dies  in  einer  Flugrschrifl  Müllers  vom  Jahre  —  1858!) 

507.  Die  Entwicklungspädagogik  und  der  Religionsunterricht 
(R.  Köhler,  Rhein.  Bl.  1891,  V.  VI).  Eine  Kritik  der  Abhandlung  von 
Fr.  Polaek.  „Der  Religienaanterrielit  Sa  der  Endehangsschule"  (Rh.  Bl.  1891, 
I),  wdcbe  aalb  nene  die  her?orrageade  Tiehtigkeit  dea  VerftMeta  —  frUieren 
Leiters,  gegenwärtig  neben  Sallwärk  gediegttiaten  Mitarbeiters  der  Bh.  BL  —  • 
bt  kniulet.  Nachweis  (h-r  Widersprüche  )Br<^?en  sich  selbst  und  der  gegenBfttl- 
lichen  Stellung  zu  Pestalozzi  und  Diesterweg.  in  die  jeder  geräth,  welcher  — 
wie  Polack  —  der  Pädagogik  und  der  Dogmatik  zugleich  dienen  will.  Ver- 
werfung dea  latheriaebeo  Eatecbismaa  als  Untenrichteatoff.  Von  der  Weitheisig- 
keit  dea  nninüngliehen  Chriatenthams  und  der  Engherzigkeit  dea  kirchlichen 
Dogmen  Wesens.  ,,Der  Rrlipionsunterricht  hat  alles  kirchlich  Dogmatische 
anzuschließen."  Mahnung  zu  mannhafter  Aufrichtigkeit  unvernünftigen  r»ognien 
gegenüber.  (In  einem  „Nachwort"  bringt  der  kgl.  preuJj.  Schulinspector  Polack 
folgende,  daa  Wesen  dea  Maaqea  scharf  kennseichnende  Vertbeidigung  dea 
KatechinnnB:  „Er  ist  ao  kan,  verthdlt  eich  in  $  Scholjabrea  in  ao  kleineu 
Bissen,  ist  nach  seinem  Wortsinne  auf  biblischer  Grundlage  so  schlicht  [!I]  zu 
erläutern,  nnd  fasst  Lehrergebnisse  aus  der  biblischen  Geschi*  htc  sn  knapp  flj 
als  „System-'  zusammen,  dass  ich  ilin  um  keinen  [Ilj  Preis  entheliren  möchte.,. 
Zum  Zeugen  ruft  er  den  bekannten  Zillerianer  R.  Staude  auf.  Nebenbei  erfahren 
wir,  daaa  P.  den  Eateehiamna  „noch  bente  aaf  eiaaamen  Gangen  nnd  Fahrten 
oft  durchbetet".) 

508.  Obli^atorisrhei- Religionsunterricht  in  der  Fortbildungs- 
schule/ (( ).  I'aclie.  Die  Forlbildungsschulr  ISOl.VII).  Obwol  P.  seine  Antwort 
auf  die  Verhältnisse  seines  engeren  Vaterlandes  (Sachsen)  gründet,  ist  sie  doch 
auch  für  weitere  Kreise  nicht  anintereaaant.  Anlata  an  dieaer  Meinungsäußerung 
(Vortrag  im  Leipeiger  Lehrerrerein)  bot  eine  tob  ildia.  Oeiatliehea  abgeftuate 


Digitized  by  Google 


—   199  — 


Petition,  welche  die  EinflUiraog  des  obligatorischen  Religionsunterrichts  in  der 
Fortbildangsschule  verlangt  —  Fache  stellt  nun  fest,  „dass  kirchliche  Ein- 
richtnngen  vorhanden  sind,  welche  auch  den  Zöglingen  der  Fortbildongsschnle 
Gelegenheit  zur  Pflege  ihres  religiösen  Lebens  bieten  (Besuch  des  Gottesdienstes; 
sooBtlgUehe  „KateoUniratiiiitemdttigeD*)  und  daai  dk  FMildiogMehid«  MllMt 
redlich  bemüht  ist,  die  rdlgiBw  Briienntnis  zn  tördern  etc.*  Somit  gwdHlie 
för  die  „religiös?  Fördernng:  der  erwachsenen  Jugend''  genng;  eine  weitere 
Einrichtung  sei  nicht  nöthig.  Im  übrigen  lasse  die  Thatsache,  dass  die  Jüng- 
linge „durch  die  Coufirmation  in  die  Zahl  der  erwachsenen  Christen  eingereihf* 
«ordeD  aeien,  die  DordifBlining  KaSregeln,  die  nur  nkirehlidi  munttodigen 
Hemchen"  gegenüber  m  reehtfertigen  ist,  unstatthaft  eredieiiieiL  (Der  in 
dieaen  letzten  Worten  vertretene  Standpunkt  ist  ohne  Zweifel  unanfechtbar.) 

bOii.  Die  Methodik  des  deutschen  Unterrichts  an  den  Mittel- 
schulen (Neudecker,  Kepert.  d.  Päd.  1891,  IX).  Ziele:  I.  Sprachrichtigkeit 
—  Angemessenheit  des  Anedrocks  und  Verständlichkeit  des  Zusamtaenhangs  — 
Hemdiftft  Aber  die  Spnudie  (Mittel:  ^Vndadnn.  —  VertieAnig  in  Hnster  der 
Sprachgewalt").  II.  Gleichzeitig:  Denkzndit.  (Hauptsächlich  gilt  es,  „das 
Sinnlose  zn  bekämpfen".  _Tn  der  Gewöhnung  an  Gedankenlosigkeit,  an  ünlogik 
in  den  untersten  Classen  w  urzelt  der  leidige  Hang  zum  unberechtigten  Genera- 
liäiren,  zu  den  einfältigsten  Superlativen,  den  vorschnellen,  halbwahren  Urtheilen 
und  Schlftisen,  die  nns  in  den  oberen  CÜsen  jahrein  jahraus  ärgern.")  HL  Br> 
schließen  dea  Verständnisses  für  das  Wesen  der  Dichtkunst  nnd  EünAbmng  in 
die  Literatur  auf  die  Weise,  „dass  die  Beschäftigung  mit  ihr  zum  bleibenden 
geistigen  Lebensbedürfnis  würde".  (Die  „Wirkung"  einer  Dichtung  hat  der 
Lehrer  durch  die  „recht  sachliche  Analyse"  zn  „vermitteln".)  —  Verf.  schreibt 
Uber  den  dentiolieB  üntenleht  in  einem  Stile,  der  von  leicht  vermeidliclien 
Fremdwörtern  wimmelt 

5in.  Einführung  in  die  Geschichte  der  deutschen  Sprache 
(K.  Kinzel,  Zeitschr.  f.  d.  deutsch.  Unterr.  1891,  VII).  „Geeignetste  Classe«: 
Obersecunda.  Form:  Freie  Unterhaltung.  Zweck:  I  cboi^bichtliche  Zusammen- 
fassung des  auf  frühereu  Stufen  erworbenen  Stoäes  und  Einführung  in  das 
Verständnis  der  spnebliclien  Vorginge.  Weg:  Gegenwärtiger  Zustand  der 
deutschen  Sprache  (Mundart  und  Schriftsprache;  Unterschied  zwischen  Nieder-  ' 
deutsch  und  Hochdeutsch  |  Verf.  arbeitet  an  einer  Berliner  Schule];  Mittel- 
deutsch: große  Gegensätze  zwischen  ober-  nnd  niederdeutschen  Mundarten  i.  — 
Geschichte  der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  (übersichtliche  Darstellung  der 
Entwidmung)  —  von  den  Perioden  der  Sprachgeschichte  (Zeitabschnitte;  Ab- 
grauEBng  der  Gebiete)  —  TorgeachielitUelie  Verhältniaae  —  die  wiehtigaten 
Erscheinungen  nnaerea  apfnehlichen  Lebens  —  als  Nachtisch:  Bespreohnng 
der  deutschen  Personennamen.    »Das  Ganze  auf  12  Stunden  bereohnt  t.) 

.511.  Plan  für  die  iieiiiia tskunde  iDtutsdie  Schulpraxis  1891, 
38.  39).  „Aus  der  Praxis  einer  Arbeitscouferenz."  Bezüglich  der  nothweudigen 
Wandemngen  wird  Torgeaeblagen  „9  grSBere  Ansgänge  Ton  etwa  3--4stflndiger 
Daner  zn  ontemehmen;  wenn  nöthig  können  zwischen  dieselben  noch  einige 
kleinere  eingeschoben  werden.  Auf  den  9  Ausgängen  ließe  sich  ein  Kreis  von 
etwa  1^/,  Stde.  Halbmesser  um  den  Heiraatsort  herum  erledigen.^  In  gemein- 
samer Arbeit  wird  von  der  Confereuz  erörtert,  welche  erdkundliche,  natur- 
wiaaenaebaftliche,  geseDaehaftiiche,  wirtachaftliche  Begriffe,  Leihren,  Besiehungen 

Digitized  by  Google 


—   900  — 


die  Heimat  veransclianliclit  oder  daretellt.  Der  geplaiitf  J^toff  wird  auf  die 
Ans^:änjs:e  vertheilt,  einer  der  letzteren  als  Heispiel  vorgeführt.  (Bei  dieser 
Gelegenheit  erfahren  wir,  dass  die  wackere  „Arbeitsconferenz",  auf  deren 
dvrchweir  tüchtige  Arbelteii  wir  hier  «dM»  nehrAudi  hingowiesai,  dk  rieh  aiicr 
bisher  imer  in  d«n  Schleier  der  Anonymität  g«bU]t,  nahe  bei  Zwiekan  i.  S. 
hMst.) 

512.  Barock.  Kococn  und  Zopf  im  heutigen  knustgewerbl.  Unter- 
richt (Moser,  Zeitschr,  f.  gewerhl.  ünterr.  1891,  IVj.  „Die  kunstgewerblichen 
Seknlen  oder  Classen  können  sich  dem  mächtigen  Vordringen  des  Barock-, 
Beeeeo-  (eventneU  aach  Skipf-)  Stiles  nicht  widereetaen  darcb  gnmdeataliehea 
mchtbeachten  oder  Nichtwollen,  sondern  sie  sind  es  dem  modernen  Eanst- 
gewerbp  schuldig,  jene  Stile  auf  Grund  vorartheilsfreier  Würdigung  in  be- 
schrilnkteni  Maße  zu  pflegen.  Du  aber  ihr  Charakter  ein  höheres  persönliches 
KanstTermügen  des  Schülers  bedingt,  sind  sie  aU  ein  reservirtes  Gebiet  der 
Ontbegabten'an  betradhten,  in  wekbes  diese  eiiuniMirea  sind."  —  (Der  Kantt- 
kritiker  C.  Gnrlitt  sagt:  „Wir  kennen  sehr  wd  die  Ittngel  und  Schwftchen  des 
Barock  und  Rococo.  aber  wir  kennen  auch  ilure  unvergleichlichen  Schönheiten. 
Wir  wissen,  dass  das  17.  und  18.  Jahrhundert  keine  „ Veifallzeit"  waren, 
sondern  eine  eigenartige,  hochbedeutende  KuustbiUte  schateu.") 

Seit  einiger  Zeit  eracheint  hei  G.  KMullinger  in  Arbon  Schweiz.  Thurgau) 
eine  „Wochenschrift  für  Kindergärinerinneii.  Mutter  und  Lehro» 
rinnen  au  Arbeits-  und  Volksschulen'*,  Preis  halbjährlich  Fr.  1.80. 

Die  Veriagsbandlong  von  Karl  KUnner  in  Leipzig  versendet  soeben  daa 
erate Hefte  von:  „St  Cftcilia.  Honatsschrift  fitr  katholische  Kirehaa- 
mnsik."  Kedacteur  Jakob  Grnber  in  Mttnchen,  Preis  mit  HnsikbdlageB 
M.  0. — ,  ohne  solche  M.  H.2()  Jahrlich. 

Die  Herren  Franz  und  Stepbau  Grumbach  in  Karlsbad-Drahowitz  ge- 
denken mit  Beginn  des  nächsten  Jahres  eine  Monatsschrift  anter  dem  Titel 
„Freie  Bildnnffs-BUttar"  anm  Preise  von  1  il.  60  kr.  jlhrUch  henui»> 
angeben.  Grfindnng  von  Volksbüchereien .  Volksbildnngs-  nnd  Lesevereinen, 
Massenverbreitung  guter  Schriften  nnd  volksthämlicher  AnftStae  soll  Zweck 
des  Blattes  sein. 

Soeben  erschieu  der  erste  Band  der  14.  Aul  läge  von  Brock  haus' 
Conversationslexikon.    Mit  der  neaen  Anfinge  erlebt  dieses  Uteste  nnd 

angesehenste  Werk  seiner  Art  daa  lOOjfthrige  JabUftnm,  nnd  die  Verlags- 
handlnng  bietet  im  Verein  mit  .350  Mitarbeitern  alles  auf,  um  dasselbe  in  Text 
nnd  Ausstattung  auf  die  Uühe  der  heutigen  WiBsenschaft  und  Kanst  zu  stellen. 


Digitized  by  Google 


Literatir. 


I^.  Theobald  Ziegle Profemor  der  Philowphie  und  Pttdagogik  an  der  üni- 
versitftt  Straßburg,  Die  Fragen  der  Schnl reform.  ZwSlf  Voriesiiiigen. 
Stattgart  iSiU,  Güsclien.  ITH  S.  2S)0  Mark. 

Wer  jabrau»  jahrein  die  iluchllut  der  ^dagogiächen  Taifcsiiteratur  zu 
beobachten  und  zu  aondiren  verbunden  ist,  der  muss  gestehen,  dasü  diese  Ost» 
tiintr  unseres  Scliriftthums  iüi  (iaii/en  einen  recht  traurio:en  Einilriirk  niai-lit 
uud  zum  weitaus  gröberen  Tlieil  aus  Maehwerken  besteht,  die  man  am  bc:»tcu 
schweigend  snr  Seite  legt.  Um  ko  erfrenlirher  sind  die  weit  selteneren  Er- 
seugniese  wahrhaft  henifcner  Arbeiter  auf  (lie?rm  (iehiete.  von  denen  vor- 
stehender Titel  eiiie.s  uaniliatc  niii<-ht.  Hefereut  niiis^  dii'Se.s  Buch  das  beste 
nennen,  welches  ihm  »eit  Jahren  auf  dem  Markte  der  |iä  l  iirocrischon  Neuheiten 
be£!rf!?net  ist.  Niehl  als  ob  er  in  •leiiist'lltcn  einr  endjfiltigc  liiisiinj;  ji'der  ein- 
zelnen der  arhweheuden  Reformfragcu  laude,  oder  jedem  Satze  dieser  zwidf 
Vorlesungen  zustimmte:  aber  es  ist  in  diesem  Buche  alles  vereiniijt,  was  den 
p&daifogischeu  Schriftsteller  constitnirt:  Wis>ens(  hatt,  (icist,  Charakter  und  Stil. 

Wie  »chou  der  Titel  besagt,  beleuchtet  lierr  l'rofi  ssor  /i^'u:ler  die  „Fracren 
der  Sohnlreform"  und  zwar  bezilglirh  der  höheim  Srimli  ii.  wie  solche  seit 
Iäns:crer  Zeit  auf  der  Tagesordnunsf  stehen  nnd  vor  .lalirestrist  auf  der  lie- 
kamilen  Berliner  Couferenz  eine  ausführliche  Kri.rtcnmi^  rri  iljn  n  haben.  Pen 
VeihAndlungen  und  Besolutionen  dieser  Coufei  t  /  w  ii  l  ill urhalben  Beachtung 
und  eine  strenge,  al>er  gerechte  Kritik  ijewidinei.  Zuijleich  nimnU  Verfasser 
auch  Stellung  zu  sonstigen  Äußerungen  zeitt!:enü>sischer  Pädagogen,  sofern 
sie  sich  mit  den  schwebenden  Rctormfragen  iKjfasst  haben.  Wenn  somit  das 
Buch  keinesw^  einen  blos  akadcmiaeheu  Charakter  trägt,  soodem  frisch  und 
mit  blanken  Waffen  an  actuelle  Probleme  herantritt  nnd  auch  der  Polemik 
Raum  gewUhrt;  so  würde  man  es  doch  schief  bcurtheilen,  wenn  man  es  nur 
als  eine  Qelegenbeitsschrift  von  ephemerer  Bedeutung  bezeiclinen  wollte.  Viel- 
mehr ist  der  Kern  desselben  ein  allgemein  pttdagogischer  von  bleibendem 
Werte;  es  handelt  sich  Herrn  Prot'osor  Ziegler  hauptsächlich  um  Feststellung, 
£rl&nterung  und  Vertlicidigung  jeuor  leitenden  (irunds&tze  Uber  Erziehung  und 
Ünterrieht,  welefae  Uber  nllem  Tagesstreite  eriuib«n  nnd  In  demselben  maS- 
golii  nd  s.  in  iimIsscu.  So  nälierf  sich  dieser  Cyklns  akadenuseher  Vorlesungen 
isehr  einem  kurzgelasäteu  Lehrbuch  der  Pftdagogik  für  höhere  ^Schulen,  und 
man  kann  nur  trilnschen,  dfts«  er  als  solches  recht  eifrig  studirt  weiden  mQge, 
he<.ond>  rs  von  Candidateu  des  Oymnasial-Lehraintes  und  von  jttngeren  Lehrern 
höherer  öchulen  aller  Art. 

Die  erste  Vorlesung  unter  dem  Titel:  „Klagen  und  Anklagen.  Die  Ber- 
liner Konferenz"  -  führt  unmitfclhnr  in  den  gegenwärtigen  Stand  und  Znstand 
dcü  höheren  iSchulwesens  in  Deutschland  und  diuiiit  in  die  schwebenden 
Streitfragen  und  die  Versnehe  cn  deren  Lösung  ein,  wobei  selbstverständlieh 
die  Berliner  Conferenz  nicht  uinirangen  werden  konnte.  Von  besonderem  Werte 
ist  dabei  der  iÜUkblick  in  die  ächulgeschichte,  aus  welchem  bcrvorgebt,  wie 
sich  die  heutigen  Znstftnd^  und  damit  eben  auch  die  Probleme  und  Streitig- 
keiten entwickelt  haben.  Vennisst  haben  wir  unter  den  bewegenden  Faetoren 
der  ijchuleuiwukelnug  und  des  Schulkamples  die  modernen  Sprachen. 

Die  zweite  Vorlesung,  über  „Eraiehen  und  Unterrichten-,  hält  Referent  für 
das  vorzüglichste  und  wertvoUste  Stttok  des  gMuen  Buche»:  jeder  Lduamts-  ^ 

Padafwcittm.  U.  Jahig.  Ucft  Ul.  15 

Digitized  by  Google 


—  202  — 


cau<lulat  xtUtO  sie  dreimal  studiren  iiml  iK'lurzisr'  n  nud  dann  Jedes  .lahr  auf's 
neue  ghtndlich  erwägen.  Deaa  öi«  enthält  das  A  und  ü  aller  ächulpädagogik, 
das,  WAR  jeder  Lehrer  anbedin^t  und  au  nllererst  wissen  und  ffihlen  muis. 

Auch  hier  kiiüptt  Vf'rf'a;->or  ziinäihst  an  eine  Zeitströmims,  an  die  au«  Her- 
bart'ächeD  Ksuiseu  tH>  ott  erschallende  f  ordernng  an,  dass  die  Schule  mehr  er- 
nehen  als  unterrichten,  der  Unterricht  jedenfalls  ein  „erziehender"  sein  müsse. 

IVni  gotrcniUM-r  sayt  er:  „Die  Silnilen  und  vor  allem  die  bühenn  Schulen  >ind 
Üuterricht8anat&lt4:;u:  daä  ist  lilr  mich  ein  so  Selbstverständliches  und  IJn- 
widenprecbliches,  das«  ich  dftrflber  gar  nicht  viele  Worte  machen  kann.  Es 
\nt  nur  eine  Wirkunjer  und  Fnl'j:e  von  der  Macht  di-r  '^^  hhi^rwia  ter  und  Phrasen 
in  unserer  Zeit,  diu»ä  man  dos  verkannt  hat  und  darüber  btrcitct;  und  überdies 
ist  die  Herbart 'sehe  Pädagogik,  welche  von  Haus  aus  Hofmeistererziehung  und 
Schiihint»Tri(ht  nieht  genüjrend  unterschieden  und  aui-einander  ijehalten  hat. 
an  diesem  i^anzi  u  untielif^eu  Streit  und  Missverstäudniä  mithclheiligt. '  Und  nun 
folgt  ein  meisterhafter,  seblc«  hthiu  evidenter,  jjeradezii  i  lassiscbcr  Nachweis 
über  die  erzii  ldiehe  31aeht  des  Unterrichtes  als  solehen.  der  Schulen  als  Lehr- 
anstalten, wie  er  uieiues  Wissi  us  auf  6o  engem  Räume  in  der  gauzen  pädag;o- 
gischen  Literatur  noch  iiirL> mls  erbracht  wurde. 

Die  nun  zunächst  fult^onde  dritte  Vorlesung  unter  dem  Titel:  ^Der  Sturm 
auf  die  elassischeu  Siirat  hcn-*  —  dürfte  aucli  bezüglich  ihre»  pädagogisi  heu 
Gehalten  und  liewichtes  der  zweiten  am  nächsten  zu  stellen  sein.  Sie  bringt 
baiiptsiichlirh  '  ine  Darlcgunir  des  Bildiin<;s\vertes  der  altelassischen  Sprachen 
und  Literaturen,  woraus  sich  dem  Verfasser  die  praktische  Folgerung  ergibt; 
„Kiue  Herabsetzung  der  Unterrichtsstunden  in  den  alten  Sprachen  im  Ganses 
halte  ich  im  Gegensatz  zu  den  Confcrenzbeschlüssen  nicht  für  möglich,  wenn 
die  tlinführung  in  die  cla^^sischen  Schriftsteller  wirklich  noch  gelingen  und 
fruchtbar  gemacht  werden  sidl."  Referent  rechnet,  wie  schon  angedeutet,  die 
hier  vorliegenden  Ausführungen  zu  den  gelungensten  und  schätzenswertesten 
des  ganzen  Buches  und  ist  auch  mit  der  citirten  Folgerung  einverstanden;  er 
bedauert  aber,  dass  Herr  Professor  Ziegler  nicht  auch  den  modernen  Sprichcn 
und  Literaturen,  sofern  sie  in  den  höheren  Schulen  berücksichtigt  werden,  eine 
gleiche  didaktisch-ptidn&fogische  und  nUgeniein  cultnrelle  Würdigung  hat  ange- 
deiben  lii>scn.  Dies  ist  in  der  That  eine  fühlbare  Liit  kc  in  seineu  N'orlesuugen, 
welche  wir  gleich  hier  coustatiren  wollen.  Gestreift  sind  allerdings  die  modernen 
Sprachen  und  Litenturen  an  mehreren  Stellen  des  Bnehes  (in  der  eisten,  dritten 
und  aucli  in  .spiitereu  VorlcsnuLri  ii  :  ali«  r  eine  der  hier  gebotenen  analoge  Be- 
leuchtung haben  sie  nicht  erfahren,  und  infolgedessen  ist  auch  bezäfflich  der 
kttnftigen  Gesammtorganisation  des  höheren  Schulwesens  eine  gewisse  Unsicher* 
heit  geblieben. 

Nun  folgt  eine  Vorlesung  Uber  die  Frage:  „BUdungs-EiiUieit  oder  Mannig- 
faltigkeit?"  Es  mSgmi  ans  derselben  zur  BeBeichnung  der  Stellung  des  Ver- 
fassers eiuiire  Stellen  hier  Platz  tinden:  „Es  ist  nicht  ncthwendig.  dass  alle 
(iriechisch  und  Lateinisch  lernen,  und  ebenso  wenig  uotbweudig,  dass,  luu  ge- 
bildet zu  helBen.  ein  einielner  es  gelernt  habe:  aber  dass  ee  gelenit  werae, 
und  dass  eine  Statte  ila  sei.  wo  ein  erheblicher  F?riichtlieil  unserer  gebfldetcn 
.lugend  CS  lerne,  da.>  ist,  wie  .schon  gesagt,  absolut  nothweudig.**  .  .  .  „Die 
Einheit  der  Vorbildung  ist  nicht  nur  keine  Noth wendigkeit,  sie  wäre  sogar 

bedauerlich  und  scbädlidi.'"  TM<' verseliiedenen  Stände  und  Kreise  branelK  n 

einander,  um  sieb  gegcnscitii;  /u  ergänzen,  und  darum  braucht  unser  Volk 

Bildungsmaunigfaltigkeit,  nicht  Hildmi^'M mheit."  Antik  und  modern, 

historiwh  und  natiinvis^enschaftlich  — .  die  eine  Scliub-  zeiyc  diese,  eine  andere 
jene  Art  zu  denken  wntl  (li(>  Welt  aufzufa-^sen,  damit  <•-.  in  unserem  Volke  nie 
an  Vertretern  dieser  verschiedenen  Bildungswege  und  W  <  Itanschauungen  fehle. 
I'nd  ich  sehe  darin  auch  einen  Gewinn  für  die  Praxis.  Wenn  am  selben  grünen 
Tisch  un.serer  leitenden  Kreise  Müniur  sitzen,  von  denen  der  eine  antik  und 
der  andere  modern,  der  eine  historisch  durch  das  Studium  der  üeisteswissen- 
sehaftcn,  der  andere  empirisch  durch  die  Xatur\vi<>eiis,  |iaften  vorgcliildet  und 
geschult  worden  ist,  so  tiirehte  ich  davon  keine  baliylumsche  Sprachverwirruni^;, 
sondern  ich  hoffe  ▼iAkuchr  umgekehrt  auf  eine  fruchtbare  gegenseitige  Er- 
gänzung, auf  eine  um  so  allsei  tigere  Würdigung  der  gerade  in  Frage  stehenden 


Digitized  by  Google 


—   203  — 


ADgeleiErenbeiteB  und,  was  ich  am  hitcbsten  aniNshlasre,  weil  ich      für  das 

Merkni.i!  h-u  hstor  Bildnns:  hnlto,  niif  vcTstiindnisviiIU  s  Anhörni  und  fn-iindliclir 
Duldsauikeit  auch  abweirhcndcn  Äiu>icbtcu  gegeuübur."  —  Wieder  ätiuuut  Ke- 
ferent  zuj  aber  die  l>eigefH)2^cFolf(eniiig:  ^Hit  diesen  allgemeioen  Erwäfjjfnngen 
ist  für  mich  ziifjU  ich  schon  die  Fraia^c  der  Kinhcit.«schulc  erlodicrt  und  natürlirh 
im  verneinenden  8inno  entschieden"  —  kann  er  nicht  für  ijclfoton  halten. 
Vielmehr  sieht  er  in  der  Einheitsschule  das  richtige  Ziel  der  jct/itr<  u  He- 
weg^ng:  sie  ist  eine  Fordernuir  der  administrativen  (icr'^t  htiirkfit  tiud  ein 
Ochot  iler  l'adagogik  in  dem  von  Prof.  Ziegler  soeben  sell>s.t  Itczcichneten  Sinne. 
Nur  darf  .sie  nicht,  wie  es  die  landliiutige  Agitation  will,  auf  ruiforni.  Schablone 
und  Zwang  hinausl;uifen .  sondern  sie  innss  der  individuellen  Fnilicit  Raum 
geben,  wie  sie  Zieijler  selbst  so  s<litin  detinirt  und  so  kraftvoll  vertritt. 

l'och  wir  müssen  der  Schranken  einer  iJuclmu/eiire  ijedt  ukeii  und  wollen  uns 
daher  bezüglich  der  ttbrigen  Vorlesungen  kurz  lassen  Die  Titel  denselben 
lauten:  „l)a.s  liealgymon.'iium  und  dsis  (iyninasialnionoiiol.  Die  Uealschule  und 
der  Einjährig-Freiwilligen-Schein.  I»er  staatliche  liehrplan  und  die  Freiheit 
der  Bewegung.  ConcentratioD  und  Überl)iirdun>f.  Geschichte  und  Deutsch. 
Tumeu  und  Spielen.  Schule  und  Haus.  Da.s  Abiturientcuexanien  und  der 
Schulrath.  Lehrerbildung  und  Lchrerstellung.'*  Auch  diese  Themata  sind  mit 
gleichem  Scharfblick,  wie  die  früheren  behandelt  und  haben  dem  \"i  rfa-ser  /u 
einer  Beihe  glänzender  AuüfUhruagen  Anlass  geboten,  in  denen  zugleich 
eine  leicbe  Erfabmng  auf  dem  O^iete  der  Schul-  und  Hansenriehung  die 
fruchtbar.>to  Verwertung  trefiinden  hat.  l)a.ss  man  auch  hier  in  ein/elueii 
Punkten  von  den  Anschauungen  des  Vcrfaseers  abweichen  kann,  thut  meinen 
allenthalben  belehrenden  und  fesselnden  AnsfVhnragen  keinen  Eintraif.  Etliche 
der  S(Ii''»nstOM  uml  l»e(lptitsainsten  Stillen  aus  denselben  niiiiren  noch  an  einem 
anderen  ürte  dieser  lilatter  wortgetreu  wiedergegeben  werden.  Hier  seien 
nur  einig«  mit  der  Sobnlpädagogik  in  engst^  Znsammenhange  stehende 
rartien  des  Ruches  Ih  Sunderi  r  Antuierksamkeit  omitfohlen,  naiiioulli>  h  die  treff- 
liche Zeichnung  des  „Specialiätenthuiuü"  mit  »eiueu  „diiuoeu  Virluositäteu"  und 
schSdlichen  Ausartungen  des  Fachlehrersystems:  femer  die  brillante  Iteleuoh- 
tung  der  hnhen  IMir;iseii  von  der  „< 'oncentratinn  des  l'nterrichtes",  welche 
.samuit  den  zugehörigen  didaktischen  Versuchen  als  unpädagog^iicbc,  dilcttan- 
tische  und  gewaltsame  Schnurrpfeifereien  mit  einer  guten  Dosis  von  Sarkasmus 
blo'^Q:' ii  iXt  wi  rdeu:  nicht  minder  da.«  schöne  Capitel  von  der  Bilduni;  und 
Stellung  der  Lehrer  an  höheren  i>chulen,  in  welchem  lieziiglich  der  er.stercn 
natnentlich  auch  du.s  pftdagogisehe  Element  gehörig  betont  wird.  Auf  die 
Fraise,  ob  dieses  (llK-rhaupt  nöihif;  und  nüf/.lieh  >ei,  iribt  Zietrhr  eine  ebenso 
einleuchtende  als  maßvolle  .\ntwort,  welche  «r  mit  den  WUrtcn  einleitet:  „Ich 
glaube  nicht,  da-s  die  Frage  jemals  vermint  wonleu  wäre,  wenn  iiiclit  das 
berechtigte  Verlaiiiren  nach  einer  ]i;idai;oi;is(heii  X'nrhercituni;-  und  Anlemunir 
iilsbald  Ubertrieben  uml  (li-selbe  ungliicLseligerweise  sofort  in  die  engen  spa- 
nischen Stiefel  einer  Schablone,  in  den  Formalismus  der  Herbart'schen  Pftda- 
gogik  eint;eschnürt  worden  wäre." 

Doch  wir  müssen  zum  Schlüsse  eilen  und  erwäliuen  daher  nur  noch,  dass 
Prof.  Ziegler  seinen  zwOlf  Vorlesungen,  in  welchen,  wie  oben  gesagt,  vielfhch 

auf  die  rüiier  ('onferenz  Hcziiir  tri  nommon  ist .  die  derselben  vortrelegten 
Fragen  des  Luterrichtüministcrs,  ferner  die  an  sie  gestellten  Fragen  des  Kaiser.-«, 
enduch  die  Beschlflsse  der  Conferen«  beigefOgt  bat,  was  um  der  Sache  willen 
zweckniäßic:  war  und  vit  Ion  Lesern  erwünscht  sein  wird. 

Die  vorliegenden  akademischen  Verlesungen  sind  sehr  geeignet,  das  allmählich 
etwas  matt  gewordene  Interesse  an  solchen  I'roductioncn  wieder  aufknfriscbcn. 
Ihre  stetige  Fühlung  mit  dem  wirklichen  Leben,  ihr  ininicr  geradeaus  in 
media«  res  eindringender  Gedanke  nirang,  ihre  irische,  kcrniire,  trcimiithige  Sprache 
fesseln  und  erfreuen  den  Leser  von  .\nfang  bis  Ende;  durchaus  ernst  und  ge- 
diegen im  (lehalte,  tlicLlend  und  unirekiinstclt  in  der  Dietion,  bringen  sie  nebten 
griludliehcr  (itdehrsamkeit  auch  den  gesunden  Menschenverstand  und  einen  k<>st- 
Uchen  Humor  /um  wirkungSTollaten  Ausdnii  ke.  Wenn  man  dicKcsRuch  durch- 
gelesen hat,  bettauert  man  nnr  eins,  nämlich,  daw  es  arhon  an  Knde  i.st.  Dann 


lö* 


—    204  — 


dankt  man  dem  Verfasser  und  hce:lUc-k wünscht  die  Universität  Straßbnn;  'Mi  einer 

solchen  Lehrkraft.       driitsi-ho  I*;ul;ifr<^2:ik  zu  einem  solchen  V'^crt.rptrr.  D. 

Ell^elniauil.  }?il<l«M;itlas  zu  Homer.    Ltipzi^,  Seemann.    Ii  M.  <>0. 
Derselbe,  lülderatlaB  zu  Ovids  Metamurphuseu.    Ebenda.    2  M.  00. 
Bei  der  BeoTtheiluiiir  dieser  BilderaÜanteB  wird  man  voremt  die  Frage  be* 

antwort<'ii  inii— in:  Kilr  wen  sind  <ie  bestimmt?  Wem  sollen  und  wem  ki^nnou 
nie  dienen  mu  h  ihrer  Art,  ihri'm  Inhalte.''  Der  Hcrausju^eber  dachte  sich  die 
Jugend  als  KenQtcer,  dachte  m-h  sein  Werk  al»  eine  Art  Scbulhuch.  Das 
dürfte  es  aber  kaum  werden,  wol  aber  ein  Werk  tllr  Krwacbsone,  für  Freiindp 
der  Archäologie,  für  den  Lehrer  in  erster  Linie,  der  mit  Homer  und  Ovid  bicü 
beschäftigt;  f<ii  all  dicKC  kann  es  ein  Werk  der  Belehruni;,  eine  Quelle  reinsten 
Geunss^\^  werden.  Miese  wird  es  interi  'siren ,  /u  sehen,  wie  die  .\lten  ihren 
Homer  und  Ovid  sieb  illustrirtcn,  web  he  8cenen  sie  mit  Vorliebe  lasen, 
welche  die  Kttostlcrphantasic  am  meisten  anrep^ton,  wie  sie  sich  dies  und 
jenes  aiisnmlten  n.  p.  w.  Kin  tieferes  Verständnis  ihr  sTcnannten  Dichtungen 
wird  dat^etren  «iie  .lugend  aus  der  Hctrachtunj;  der  meisten  der  in  den 
Bilderatlanten  enthalt<nrii  .\bbildungen  kaum  ziehen,  ja  der  (iennss  Homers 
und  Ovids  kann  dun  Ii  die  Üctraehtunc:  der  Bilder  ihr  vielleicht  geschmälert 
werden.  Der  .lugend  werden  nämlich  die  zumei.st  der  alteren  Zeit  der 
Kunst  anRchiirigcn  Bililer  wie  eine  Caricatur  vorkommen,  wie  eine  Tarodio 
dessen,  was  sie  sich  vor  der  BctraclitunR  des  Atlas  blos  auf  (irund  der  Lectiire 
▼OTgCBtcUt  hat.  Dort  ein  Achill,  ein  Ileetor  in  aller  Srhnnc,  hierein  Männchen 
in  steilVr  Haltnnu:  mit  dem  vurlractcn  Spitzbart  und  dem  archaischen  hiibni- 
schcu,  griuscndcu  Lächeiu  um  den  Mund  und  anderen  Dingen,  komisch  anzu- 
sehen, den  Alten  nicht  au8tn6ig,  wol  aber  unserer  Jigend.  W. 

'Vdhiigeii  and  Klasiigs  Sammlang  deutscher  Sehnlaasgaben,  Lief.  15; 
Das  Nibelungenlied,  flbertragen  von  Legerlotz;  33:  Goethes  Leb»  nnd 

Werke  von  lleinemann;  'M:  Homers  Ilias,  bearbeitet  von  Kern; 
39:  Seliillers  Leben  von  Lyon;  40:  Klopstocks  inol  Wielands  Leben 
von  Heinemauu  und  lioxberger;  42:  Das  deutsche  \  üikslied,  Auswahl  von 
Matthias;  44:  Auswahl  kleinerer  Schriften  Luthers  von  Schöppa;  48:  Her^ 
ders  Leben,  Lessings  Leben  von  Frans  und  LSsohhom.  (Prt^  des  Kind- 
chens geh.  ca.  60 — 75  IT.) 

Die  eben  genannten  Bündchen  Übermitteln  den  Schülern  unserer  höheren 
Schulen  vier  hcrvorrajyende  IJteraturwerke  und  ilic  Biocrraphien  unserer  sechs 
(Klassiker.  Die  Literat nrwerke  sind  selbstverständlich  in  einer  der  Srhule  ent- 
sprechenden Weise  gekürzt  wiiMlergegebcu:  i^pisoden  oder  die  Üitte  verietsende 
Stellen  sind  nusi^eschieden,  destrleichen  s.  B.  in  den  Schriften  Luthers  alles,  was 
Ober  das  Ka><iin^:svcrinöi;cn  oder  dm  In(t'r<'»entrt'i>  di  r  .rut^cnd  hinaus  geht. 
So  ist  eine  LectUre  hergestellt,  die  man  den  Schülern  unbesorgt  in  die  Uand 
gehen  kann  und  die  sie  mit  Ocnuss  und  Nntsen  lesen  werden,  Anmerkungen 
eriäutern  sachlii  be  od<  r  si»ra<  liliche  Schwit  riirkeiten  des  Texfes  oder  fördern 
sonst  das  Verstäuduis  des  lielescuen,  iudem  sie  es  als  (Uicd  einer  Kette  be- 
trachten und  die  Stellung  cum  Gänsen  erßrtem.  (Z.  B.  das  Volkslied  uod 
sein«'  Typi-ti.) 

Die  Biograi>biea  sind  zwcii'acthcr  .Vrt.  Die  ächillerhiograpbie  Lyons  faast 
die  Aufgabe  anders  als  die  Biographien  der  anderen  Olassiker.  Lyon  schildert 

nämlich  Schiller  vornehmlich  als  Men-^ilim ;  >i  inc  l»ar^ffl!iing'  wird  iinnitr 
kürzer,  je  mehr  er  sich  der  Schilderung  des  Weimarer  Aufenthaltes  nähert, 
und  ist  am  ansfHhrlichsten  hei  der  Vorfllhrung  der  Leidensfabre  des  ZNebters. 
Der  Dichter  Schiller  auf  dem  ]f<>he)»iinkte  seines  S'haflens  kommt  so  nicht 
reiht  zur  Cieltung.  Lyon  mag  darauf  gerechnet  baiben,  dass  die  Leser  seines 
BOchleins  die  Einzelausgaben  der  SchilTer'schen  Dramen  in  der  VelhogenoKla- 
sinif'sfhen  Sammliuiir  in  den  Hihidrii  haben  werden,  an'-  dt nn  Kinleif iiniren 
sie  das  Nähere  Uber  die  Enisii  lmni:  ilt  r  W  i  rke,  ihre  Buhüitung  u.  s.  w.  er- 
fahren. -  -  Die  Biographien  der  anderen  ('lassiker  betrachten  ihr  Thema  ent- 
weder so,  dass  sie  racnr  den  Menschen  oder  mehr  den  Dichter  in  den  Vorder- 


Digitized  by  Google 


—   205  — 


gruiid  riickrn  unil  sct/cn  .  ui<  /..  B.  Heinciiianu  in  il*  r  (lOofliii-Hioijraphie. 
(lurcli  die  Forin  uod  BetrHclituugHWcise  gereiftere  .Schüler  vorau.s,  iudeui  sie 
s.  B.  Öfter  Ober  Goethe  spricht  ,  als  von  Goethe  erzählt.  Etwas  populftrer, 
etwas  mehr  .Tiiironilsclirift !  so  wiin.slict  man  hei  clor  I,«'(  tnrt>  «»ftcr.  Das  rrkonnt 
man  aber  um  so  williger  au,  du.'jä  die  Vert'asäer  insgehainint  mit  dem  ncuestea 
Stand  der  FofBchungf  vertraut  sind.  W. 
Otto  Ernst,  Aus  verborgenen  Tiefen.   Novellen  ond  Skizzen.  Hamburg 

1891,  Conrad  Kloß.    244  S.   3  Afark. 

Dasü  Utto  Ernüt  ein  reich  begabter  Lyriker  ist,  hat  er  durch  seiue  „(.ie- 
diehte"  bewiesen  und  ersieht  man  abermals  aus  dem  sehOnen  Widmnnitsg^rtiSe, 
wHrhfT  soinom  nriioii,  uns  oben  vorliegenden  IJut  lio  vorgesetzt  ist  Dioscs  mm. 
eine  Keihe  von  l>ild«;ra  aus  di  ni  Leben  der  Gegenwart,  be\vei>i  deutlirh.  djusjj 
er  aueh  in  der  Sprache  der  I'rosa  die  gleiche  poetbehe  Begabuni^  zu  <  nt falten 
versteht.  Seine  ,. Novellen  tintl  Skizzen"  malen  uns  mit  phototrra]iliiM  lu  r  Treue 
Personen,  Cliarakter/üge,  lievvohuheiten,  Uestreltunffen,  Zustilndc  und  Si  liii  ksale, 
wie  sie  die  g;egenwärtige  Qesellscbaft,  namentlich  in  ihren  mittleren  und  unteren 

,  Schichten  aufweist;  sie  sind  ein  nuturwahrer  Spiegel  des  socialen,  besonders 
des  häuslichen  Lebens  in  seiner  mannigfaltigen  Vers -biedenheit  und  charak- 
teristischen Bedeutung  selbst  im  Kleinen  und  Kin/rliien.  Bei  all  dieser  realisti- 
schen (oder  naturalistischen)  Ocnauigl^eit  und  Trefflicbkoit  im  Schildern  und 
Enlhlen  spttrt  man  jedoch  flbcrall  den  Zng  ins  Allgemeine,  Ideule,  das  sinnige 
Belauschen  dos  Menschen  in  seinem  Wesen,  seineni  St.uidc  >>  jum  liebrechen 
und  Vorzügen,  seinem  typischen  Gepräge  im  Thun  und  Lattsen,  in  Lust  und 
Leid.  Wenn  uns  dei:  Dichter  im  Leben  der  Gegenwart  mehr  Schattenseiten, 
iiielir  Betrübendes,  ja  Empörendes,  als  Lichtpunkte  und  erhebende  Züge  vorzu- 
führen weiß,  so  liegt  dies  wol  an  der  Natur  des  Objectes,  das  er  vorführt, 
eben  am  Leben  selbst.  Dass  er  uns  aber  nllentbalbcn  mr  lebendigsten  Tbeil- 
uahino  zu  In  wci^i-n.  vi  rstdit  und  luit  dt  iii  -i  hartVn  T'lickc  des  Meri>clii  uki  iim  rs 
die  Wärme  de^  fiüiieuden  üeraeus  zu  verciueu  wciü,  dass  ist  sein  Verdienst, 
die  Fmeht  seines  tiefen  und  reichen  Gemtithes,  dargelegt  in  mustergiltiger, 
oft  SOhneidiger,  aber  .stets  dem  Gedanken  adäquater  Sprache.  M. 

Ans  unserer  Väter  Taljen.    Rilder  ans  der  deutschen  Ceseliiehte.     I.  .\n 

der  römischen  (trenzmaik.     (Jescliielitliche  ErziUilung'  von  R.  HahnKiini. 

Uhistrirt  von  Maler  F.  11.  Waltlier.  14ii  Seiten.  II.  Deutsche  Göttersagen. 

Ffir  die  Jugend  nnd  das  Volk  erzfthlt  von  Hermine  Mdbins.  jülostrirt 

von  UBüet  E.  H.  Walther.  138  Seiten,  m.  Im  ^me  der  YSlkerwandernng. 

Von  ReinhoIdBahmann.  Illustrirt  von  Maler  IL  H.  Walther.  136  Seiten. 

Verlag  von  Alexander  Köhler  in  Dresden  und  Leipzig. 

Nr.  1  beginnt  mit  den  EiulaMeu  der  Knuit  r  unter  (  iisar  in  l)eutM-lUaud  uud 
schließt  mit  der  Hennannssehlaeht.  Xr.  2  schildert  die  altdeutsche  (vAtterwelt 
mit  ihren  ifythen  und  Surren.  Nr.  H  int  wirft  »in  lÜId  der  Bewegung  unter 
den  gennanischcn  .Stamuien  zur  Zeit  der  \  «ilkcrwandcrnng.  l>ic  Verfasser, 
Herr  Bahmann  und  Frau  Möbius,  zeigen  sich  ihrem  Steife  gewachsen  und 
bringen  denselben  in  schöner  und  leicht  fasslicher  .Sprache  zur  Darstellung. 
Die  beigegebenen  Bilder  tragen  wesentli(h  zur  Belebung  des  Inhaltes  bei. 

Wer  tilr  die  leit'ere  Jugend,  etwa  zur  Weihnachtszeit  oder  bei  auil.  n  ii  fest- 
lichen Gelegenheiten  eine  gute  Leetüre  sucht,  dem  sind  diese  Schritten  be.vtens 
zu  empfehlen.    Jedes  Bündchen,  schön  ausgestattet  und  gt;buuih'n,  kosf«>t  nur 
1  Mk.  M. 
Sprvns,  Dr.  II.,  Pritf.  in  Berlin.  Die  analytische  Geometrie  der  Kl»ene 

für  höhere  Schulen.  128  S.  Fig.  im  Text.  Leipzig  1890,  Teubner.  l.üU  M. 
Der  Verfasser  hat  sein  Buch  geschrieben,  weil  ihm  kein  anderes  bekannt 
war,  welches  in  gleich  „ausführlicher  und  einfacher  Weise"  denselben 
Lehrstoff  zur  Darstellung  brächte.  .Nun,  wir  wären  in  der  Lage,  sehr  viele 
Bflcher  zu  nennen,  denen  die  angegebenen  Eigenschaften  im  hnberen  Grade 
beizulegen  sind  als  dem  vorliegenden.  Mit  der  Ansfil1iili<  likeit  kann  man 
übrigens  noch  einverstanden  seiu^  es  fehlt«  uns  wesentlich  nur  die  Verbindung 


Digitized  by  Google 


—   206  — 


niebrpr(>r  ("Joraden  .  ntii  wcnig^itt-ns  lioispicliiwciso  dif  :iiis  ilcr  K  ii  k  1  i  (rsrlion 
Geomotrio  bekaunloa  Ei^entichuttoii  der  Dreieck«'  aii.il\ tiMli  abzulciteu;  auch 
kann  man  ohne  zu  große  Weitlautii^koit  dcu  Hcgrilt  (!•  r  Directrix  bei  den 
Kegelsehnitt.slinien  einfuhren  und  erörtern.  Was  akr  die  Fassliclikeit  der 
Darstellun^i:  betrifft,  »o  lüäst  sie  sehr  viel  zu  wünschen  iibrii?.  ja  es  ntuss 
geradezu  gesagt  werden,  dass  der  Verfasser  die  charakteriHtisehe  Eigeuthüm- 
Uehkcit  der  analytischen  Geometrie  verwischt.  Es  ist  doch  die  analytische 
Geometrie  nichts  anderes,  als  die  Anwendung  der  Algebra  anf  die  (leomotric. 
Wir  setzen  die  (ilciehung  der  <ienideu  und  die  ( ilciclniug  einer  Curvc.  ver- 
binden dieselben  algebraisch  und  haben  i^odann  das  Ergebnis  der  Hechuuug 
geometrispli  ^  deuten;  dies  ist  der  Vorgang,  welchen  die  Schiller  kennen 
lernen  nml  sich  aneignen  sollen. 

Ganz  anders  aber  verfiihrt  der  Verfasser;  er  docirt  bei  der  i'arabel:  Trage  die 
Abscisse  vom  Scheitel  in  der  entgegengesetzten  Kichtnng  auf,  m  criiSltst  du  den 
Piirehi^chnitt  der  'I'unfronrc  mit  der  AVi-iissciiuchsc;  t  l.rnM)  hclÜf  is  lu  i  d^r 
Hyperbel  und  Ellipse:  halbirc  den  Winkel  der  Lcitstrahlen,  beziehungsweise 
den  AuSenwinkel,  nnd  dnrnnf  folgt  eine  wcitittufige  Beweisführung,  etwa  wie 
wenn  man  die  Lehre  von  den  Kcgelschnittslinien  olmo  Kenntnis  dir  ;ui;ily- 
tiseheu  Geometrie  auf  synthetischem  Wege  behandeln  wollte.  —  Durehaus  nicht 
znr  Vereinfachung  des  Lehrganges  trügt  es  ferner  bei,  dasa  der  VerfaMer  die 
K<  frelsi'hnif tslinicn  als  jene  ('iirvt-n  di  tinirt  .  wcli  hr  einer  e-,.\vissen  (ileii-limii; 
eul.sprechen.  Infolge  dieser  Delinitinu  wird  die  Ableitung  der  verschiedenen 
Eigenschaften  dieser  Cnrven  viel  weitläufiger  und  verwickelter,  als  wenn  man 
von  der  cieieiiiu  it  lie/ichungsweise  Constanz  der  Sammen  nnd  Differenzen  ge> 
wisser  Abstünde  au.sj^ebt. 

Der  Verfasser  erweitert  übrigens  seinen  Lehrstoff  über  den  Titel  des  Buches 
hinaus  und  lehrt  die  Herechnuntr  des  Ranminlialte^  vom  dreiachsigen  Ellipsoid 
und  der  Rotationskörper  aus  Tarabel  und  Hvjterbel.  Pazu  benutzt  er  ganz 
unvermittelt  die  durch  Wittstein  bekannt  gewordcnr  Feriuei  fOr  den  Ranin» 
inlialt  des  l'ri>inat<>iile>.  Sn  iranz  auf  irnten  <ilauben  sollte  uian  Schillern, 
welche  der  Abgangsprütuntr  nahe  stehen,  mal  Im  luatisehe  Wahrheiten  denn  doch 
nicht  bieten.  In  der  Tliat  l  i<st  sich  an  das  Trincip  Ton  Cayalieri  an- 
knüpfen, wie  man  dies  bei  Hueliucr  naehsehin  kann. 

Ks  kann  auch  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  die  Mehrzahl  (h  r  Figuren  un- 
richtig gezeichnet  ist:  gleich  die  erste  Parabel  anf  der  S^  ite  -Jä  hat  am  Scheitel 
eine  falsche  Krümmung,  weil  sich  dort  ein  S<hnabel  tindet.  Von  den  riiuni- 
Itchen  (lebilden  hat  nur  die  Zeichnung  des  Ellipsoides  eine;  richtitre  Gestalt, 
alle  übrigen  Figuren  räumlicher  Gebilde  sind  unrichtig,  weil  alle  ('urven  als 
Zweiceke,  das  heiSt  mit  Schnabel  auftreten,  während  die  darstellende  Geometrie 
doch  lehrt,  dass  die  Projcetionen  der  Keirelsehnittsliuicn  in  Ebenen  keine 
W<'ndepuukte  besitzen  können,  obwol  sich  dieser  Mangel  in  einer  sehr  groüeu 
Anzahl  von  Lehrbüchern  wiederfindet,  so  wäre  es  doch  Zeit,  denselben  abzu- 
stellen. Mindestens  den  Docenten  der  Hochschulen  sollten  die  Omndlehren 
Terwandter  Wissenschaften  nicht  fremd  sein. 

Zum  Schlüsse  des  Buches  Huden  sieh  an  300  Aufgaben  zur  Einübung  des 
vorgetragenen  Lehrstoffes.  Im  übrigen  wollen  wir  Ja  nicht  verkennen,  dass 
die>e>  Wel  k  mit  vi' 1  Fb  iß  abgefasst  i-t ,  si»  /.um  Beispiel  wiril  die  Gb  ichung 
der  (ieradeu  aut  dreierlei  Art  vorgeführt,  und  da  sodann  von  den  Tangenten 
des  Kreises  die  Rede  ist,  wMilt  der  Verfiasser  zum  Vergleiche  jene  Formel  der 
(Jeraden   mit  Geschick ,   welche  die  Beziehung  zwisele  n  Gerader   und  Kreis 


rocht  lehrreieh,  nur  «toten  wir  auch  hier  wieder  anf  die  dem  Geiste  der  ana- 
lytischen Geometrie  durchaus  entgegenstehende  Fassong  in  synthetische  Form. 


Hentseliel  E.,  weil.  Seminarlehrar  in  WdBenfels,  nnd  E.  Jftnick«,  Seminar- 
lehrer in  Halbentadt,  Rechenbuch  fKr  die  abschließende  Volksschule,  in 
0  Hefiben  k  40  Pf.  5.  AuH.  Leipzig  1800,  Merseborger. 

Die  vorliegende  Ausgabe  wurde  von  C.  Eicke  und  G.  Limpert  besorgt 
und  daliei  neuesten  Wnnsnhen  und  Sirebuugcu  Rechnung  getragen.  Das 


am  klarsten  ergibt. 


H.  E. 


Digitized  by  Google 


—   207  — 


erste  Heft  enthllt  in  swel  Stufen  die  Zohlcnrftamc  10  nnd  20,  wobei  in 

jfflpui  iVic  Iviclimiiitrsartfn  ir(S(mdcrt  aiittroteii.  D.i'^  zweite  H'ft  cnthiilt  <leii 
ZalUenraum  bis  lOU  ohne  Abätufun^  imd  mit  äouderung  der  Rcchauugsartcn. 
Dm  dritte  Heft  erweitert  den  Zahlenmum  bis  1000  und  bis  su  den  Hun- 
derteln uii'l  iiiarlit  mit  flfii  pinfiirhsf cn  Brüclir-n  bekiiiint.  Das  vierte  Heft 
enthält  den  uubegreu/teu  Ziihleurauui  uud  das  Kcchnea  mit  inehrtut-hhcaaQatCD 
Zahlen.  Dan  fttnfte  Heft  lehrt  das  Rechnen  mit  gemeinen  und  I  »ecimalbrttehen, 
da-^  sechste  endlieh  die  bürpferlichen  Kechnnn^sarten  und  RauiulxTeehnung^en. 
Keferent  ist  zu  sehr  von  dem  Nutzen  der  Grube  scbeu  Metbode  dureh  eigene 
Krfahmng  ttbeneugt,  als  dass  er  fOr  einen  anderen  Vorgang  ein  emiifehlcndes 
Wort  zu  saffen  vermöchte.  H.  E. 

Laiitar,  Lucas,  Der  Rcchenuiiterricht  in  der  \  olksselinlc,  inethodiscke 
AüieitUDg.    79  S.  Laibach  18U0,  v.  Kleimnayr  &  Bamberg.   1  M. 

Der  Inhalt  befiisst  sich  mit  der  Anleitung  zum  Gebrauche  des  dzitten  und 

vierfoi  Ri  t  lieiibuehcs,  das  ist  im  Zalili  uraume  bis  KKK)  und  im  unbegrenzten 
Zahlcaraume;  es  sind  also  ohne  Zweil'ei  Rechenbücher  vom  Verfasser  veröftcnt- 
lieht,  welebe  uns  jedoch  unbekannt  geblieben  sind,  und  zu  deren  Oebranch 
vorstehende  Anweisuns:  zu  dienen  hat.  Im  allirenieinen  kann  man  mit  den 
Ausführungen  des  Vurlatäicrs  wo!  cinveistaadeu  »du;  es  hat  uuä  nur  sonderbar 
geschienen,  dass  diese  Methodik  mit  dem  dritten  Schuljahre  beginnt.  Wo 
bleifien  dif  biidrn  früheren,  cran/.  besonders  das  erstr.  dessm  Methodik  den 
cigcutlichea  Angelpunkt  bildet?  während  ja  doch  alleä  Folgende  ^rijßtentheiU 
UedSchtnissaehe  und  TformalTerfahren  ist  Tm  einacAnen  mflssen  wir  aus.stellen, 
dass  im  dritten  Schnliahrr  die  Sulitraetion  als  Altzii-Iicii  und  iTst  im  virTten 
Schuljahre  niittel>  Hiuzuzähku  gelehrt  wird.  Den  .^chüleru  wird  hiermit  die 
Aufgabe  durch  ein  gaoz  unniUzes  Umlernen  ersehwert.  Mau  kann  auch  schon 
im  ersten  Sciniliahn'  die  Sulitrartion  mittels  Zuziihlenx  lehren,  und  es  ist  kein 
(inind  erlindlioh,  weshalb  übcrhaunl  eine  andere  Art  zu  lehren  sei.  —  Natürlirh 
kann  dann  auch  erst  im  vierten  Jahre  die  Division  ohne  Aufsi  hreibung  der 
Thfilproduete  gezeigt  werden,  was  i^lei(  iifall>  einem  unui»thiuen  rmlerncn 
gl*  iehkommt.  —  Das  Ik-iepiel,  an  welehem  der  „Zusammeugesetztc  Dreisatz** 
erlftutert  wird,  ist  so  nngttchickt  gewählt,  dass  die  Unbekannte  mit  der  gleich» 
na'ni'j-«  n  Iii  kannte  n  am  h  numeriseh  gleich  i-st.  H.  E. 

Scliadef.  [).  F.,  l'rof.  in  Hamburg:.  Leitfaden  für  den  Rechenunterriclit  in 
deu  unteren  Clussen  lir»herer  Lehranstalten  nebst  Aufgabensammlung.  L  Th.: 
Leitfaden.   70  S.  Harabnrg  1891,  Fritzsche. 

Der  Inhalt  d<  s  Hm  hed  verbreitet  sieh  4ber  da^  Rechnen  mit  ganzen  un- 
benannten  und  benannten  Zahlen  mit  geroeinen  und  DeeimalbrUrhcn  und  über 
die  Mehrzahl  der  bürgcrliehen  Rechnungsarten.  Man  kann  mit  dem  Inhalte 
dieser  Druckschrift  wol  einverstanden  sein,  denn  sie  sucht  möglichst  Zusam- 
menhang und  Fügung  herzustellen  zwischen  der  wi.s.Honscbaftlichen  Arithmetik 
und  dem,  was  als  be^joudere  Arithmetik  anf  der  Unterstufe  mitzutheilen  ist. 
Wenn  ali»  r  der  Verfasser  auf  dem  'l'itelblatte  für  sich  eine  „neue  Metbode* 
iu  Anspruch  nimmti  so  mflssen  wir  bemerken,  dass  uns  nichts  in  seinem  Buche 
neu  war,  im  Ocgcnthcil  würden  wir  manches  Ton  dem  beibehaltenen  Mangel- 
haften gern  (Iiiiili  Resser''^  ir^ctzt  gesehen  haben.  .*^o,  nm  mir  eines  hervor 
zohebcn,  scheint  um»  die  Schlussrechnnng  iu  der  auch  Im  im  Vcrtosscr  vortiud- 
lichcn  Form  unbeholfen  und  weitUnfig  und  daher  inaktisch  unbrauchbar. 
Tfcradezu  fehlerhalt,  weil  außerhalb  des  wi-^senschaftliihen  Zusanimenlianges 
stehend,  ist  es  aber,  das  Dividireu  auf  die  8ubtraction  zurückfuhren  zu  wollen. 
Im  Ganzen  aber  ist  das  Bnch  ein  gutes,  schon  wegen  seiner  ttberdciitltchen 
Hervorhebung  des  Wichtigen  dtireb  stärkeren  Tvp<'n'>atz  und  virsibiedrne 
ancrkeuueuhwcrte  £inzclheiten,  so  die  öubtraction  mittels  Ergäiuuug  uud  da^ 
sMib  daraus  ergebende  einfiMrhore  Verfisluen  bei  der  nivision;  dann  andi  die 
Einordnniiir  der  TlieiHiarkeitsrei^M  ln  von  Maß  und  Vielfatdiem  zwischen  Division 
und  Bruchrechnung,  das  ist  an  die  ihnen  systematisch  zukommcude  Stelle. 

Wenn  der  Verfasser  tkbcraeagt  ist,  das»  im  Torliegende  Leitfaden  auch  in 
Verbindung  mit  jeder  anderen  Aufg^nsammlnng  gute  Dienste  leisten  wird, 


Digitized  by  Google 


—   208  — 


srt  kann  man  dieser  seiner  ^fciiiiinc:  wdl  ziistiinnicn.  Wenn  er  aber  ferner  um 
Macbsicht  ersucht  wegen  dvs  iktrcteiu  eines  noch  uobcbauteu  Feldes,  so 
mflracii  wir  eincrsoits  sa^^en,  dam  er  keiner  Naduieht  bedarf,  da  seme  Arbeit 
Ranz  £ri  wi-s  den  bessen  n  ihrer  Art  bi  izu/ählrn  ist:  anderseits  aber  kann 
dieses  (ieliirt  kein  unbebaute.^  Feld  genannt  werden,  da  um  doch  eine  sehr 
rei(  be  Literatur  vorliegt.  Da«  Buch  ersehcint  für  die  unteren  dassen  höherer 
I>ebraiistaIton  reelit  gut  brauchbar,  noeli  dringender  aber  möehten  wir  es  den 
Sciiiinarien  eni|it'ebleu,  au  welchen  juan  zumeist  noch  weit  entfernt  ist,  den 
Zusammoniiang  zwiaehen  Rechenkunst  nnd  wisaenscbaftlicher  Arithmetik  ge> 
fanden  sa  haben.  fl.  K 


Neu  erschienene  Bfieher. 

Josef  Beriihai'd,  Gyumasialprut'essur  iu  Leituieritz,  a)  Formale  Logik  für 
Gymnasien.  121  S.  b)  Empirische  Psychologie  für  Gymnasien.    133  S. 

Ving,  Dominicus. 

Dr.  HcrmRlin  Strasosky.  .lakoli  Kriedri»  h  Kiieß  als  Kritiker  der  Kantischen 
Erkeiiiitiiistlieurie.  Eine  Antikritik,  üamborg  und  Leipzig,  Leopold  Voss. 
75  S.   1.5U  31ark. 

Dr.  Kvacsala  Jinos,  Bisterfeld  JAnos  Henrik  Eletnyza.  Budapest,  az  Athe- 
naenm  R.  tArsnlat  Könyvnyomd^a.  66  Seiten. 

Neudrucke  pädagogischer  Srhrlften,  Herausgegeben  von  Albert  Richter. 
V.  Almansor,  der  Kinder  Hehulspiegel.  Von  3Iartin  Hayneccius.  Mit  «'iner 
Einleitung,  herausgegeben  von  Dr.  Otto  Haujit.  121>  S.  80  Pf.  VI.  J.  G. 
Scbnnimel,  Fritzens  Rei.se  nach  Dessau  und  F.  £.  von  Rockow,  Autheutische 
Nachriclit  von  der  zu  Dessau  auf  dem  Philanthropin  den  13. — 16.  Hai  1776 
angestellten  öffentlichen  PrUfung.  Blit  Einleitung  und  Anmerkungen  heraus> 
gegelien  vmh  Albert  Richter.    7»)  S.   80  l'f. 

]K  Schür.  Dr.  Antitn  K.'.-.  Zur  Würdigung  seiner  Bestrehungen  und  Ver- 
dienste.  Hamburg,  Cuurad  Klull.   115  8.   50  Pf. 

J.  P.  Biekter,  Das  ftwiaSslsche  Schulwesen.  Auf  Grund  der  gesetzlichen 
Bestimmungen  und  der  behdrdUehen  Anordnungen  mit  besonderer  Berttck- 
siditigung  der  inneren  Einrichtung  dargestellt.  Halle,  Tausch  &  Grosse. 
115  8.    1,60  M. 

Karl  <ii'aüd8cheid,  Das  Schulwesen  Eoglauds.  Bielefeld,  HelmicU.  28  8. 
75  Pf. 

Ednard  Teller,  Pädagogisches  Album.  Gedanken  Ober  Erziehung  und  Unter- 
richt in  Aphorismen  für  Lehrer  und  Eltern.  Im  poetischen  Gewände.  2.  Aufl. 

Nanniburg,  M.  8chmidt.    127  8.    1,25  M. 

Jobaiiiies  (lUltzeit,  Reinraenschlichc  Kindererziehnng.  Drei  Vorlesungen,  ge- 
halten in  Augsburg.  Nürnberg  und  Leipzig.  Leipzig,  Siegismund  und 
Volkening.  36  8.  40  Pf. 

Prof.  Dr.  8e¥ed  Ribbin^,  Die  sexuelle  Hygiene  und  ihre  ethischen  Conse- 
quenzen.  Dn  i  Vorlesungen.  .Ans  dem  Schwedischen  übersetzt  von  Dr.  med. 
Oskar  Reyher.   ö.  AuH.    T.eipzig,  l'eter  Hobbing.   215  8.   2  M. 

H.  Wickeiiba«ren ,  .\ntike  und  moderne  Gymuastik.  Vergleichende  Betrach- 
tuugeu  und  \  orschläge.   Wieu,  Pichler.   127  S.   1,50  M. 

VeiMtWttrtl.  BedMtow  Dr.  Frl«dri«h  Diktci.  Baobdniekerei  Jullua  Klinkharit,  Mpiif. 


Digitized  by  Google 


Johann  Jakob  Wehrll, 

der  erste  thargauische  Semiuar-Director.*) 
Von  Dr.  H,  Marf'WiiKUriihtr. 

1. 

man  in  der  Jugend  wünscht,  hat  man  im  Alter.^  Dea 
Jungen  Wehrli  schönste  Hoffiinng  war  lange  die,  einst  in  der  Heimat 
als  Lehrer  wirken  m  kOnnen.  Dem  gereiften  Hanne  wnrde  dieser 
Wonach  in  einer  Weise  erftllt,  wie  der  Jtkngling  sich  nie  bitte 
trftnmen  können.  Er  war  non  Lehrer  der  Lehrer.  Hit  nmsomehr 
Ifnth  nnd  Zuversicht  trat  er  an  seine  Aufgabe  heran,  da  ihm  seit 
1829  eine  Gattin  zur  Seite  ging,  wie  er  unter  Tausenden  sie  nicht 
besser  hätte  finden  können.  Ohne  viel  SchulhQdnng,  aber  gesund 
an  Leib  und  Seele,  reich  an  Oeist  und  Gemttthf  mit  gründlicher  wirt- 
schaftlicher Erfahrong,  von  unermüdlicher  Thätigkeit,  von  freundlichen, 
gewinnenden  Ufflgangsfoimen  bei  aller  Festigkeit  und  Bestimmtheit 
ihres  WiMeos,  von  klarer  Einsicht  in  die  Aufgabe  ihres  Mannes,  war 
eine  musterhafte  Gehilfin  im  Aufbau  des  neuen  Heimes 
und  war  nnd  blieb  eine-üebevoUe  Mutter  der  in  ihrem  Hause  weilen- 
den Zöglinge  und  Lehrer  und  eine  treue,  unermüdliche  Pflegerin  ihrer 
kranken  Hausgenossen,  wie  der  Schreiber  dieser  Zeilen  reichlich  selber 
ei-fahren  hat,  der  das  Bedürfnis  fühlt,  der  edeln,  längst  Heimgegangenen 
ein  Wort  des  innigsten,  wärmsten  Dankes  nachzurufen. 

Zwei  Hauptforderungen  stellte  Wehrli  bei  Übernahme  der  Leitung 
der  Lehrerbildungsanstalt:  Einführung  des  für  alle  Zöglinge  obliga- 
torischen Convicts  und  iHndwirtscliaftliclie  Übungen  neben  dem  wissen- 
schaftlichen Unterricht.  Die  Behörde  war  völlig  damit  eiuvei'stauden. 


*)  Vgl.  „Die  LcbcDsscbulc  Johann  Jakob  Wehrli's"  toq  deuit-elbc-u  Verl'asüer, 
Paedagogium  XHI.  Jahrg.  Heft  7—9. 

PMdiffogiu.  14.  JalHf.  Hefe  IV.  16 


Digitized  by  Google 


—  210  — 


Den  Convict  wollte  Weliiii,  weil  das  Seminar  nicht  blos  eine 
Lehr-,  sondern  auch  eine  Erziehungsanstalt  sein  müsse.  Die  jungen 
Leute,  meinte  er,  kämen  gar  oft  aus  Familien  und  Kreisen,  in  denen 
eine  auf  fester,  sittlicher  Grundlage  ruhende  Lebenshaltung  und  damit 
auch  eine  wirkliclie  Erziehung  der  Jugend  fehle.  Die  spätere  Haupt- 
aufgabe der  jungen  Männer  in  der  Schule  sei  aber  die  Ei-ziehung. 
Um  der.^^elbt-n  genügen  zu  ktumen,  sei  nr»thig,  dass  sie  selbst  eine 
feste  innere  und  äußere  Lebensordnung  sich  zu  eigen  gemacht  hätteo. 
Das  nun  zu  be\virken,  sei  Sache  und  Ziel  des  ('onvicts. 

Die  Einführung  der  Zöglinge  in  die  Landwirtschaft  hielt  Wehr  Ii 
darum  für  ein  wesentliches  Erfordernis  der  Lehrerbildung,  weil  er 
mit  Fellenberg  und  andeni  hervorragenden  Zeitgenossen  die  ratio- 
nelle Landwirtsciiaft  als  die  Grundbedingung  und  die  Basis  der 
wahren  Volkscultur  ansah,  als  das  Mittel  zur  geistigen,  sittlichen  und 
physischen  Kegenerati« »n  der  Menschheit.  Die  Volkslehrer,  so  schloss 
er  weiter,  müssen  daher  nicht  nur  theoretisch  mit  der  culturellen  Be- 
deutung der  verbesserten  Landwirtschaft  bekannt  und  vertraut,  sondern 
auch  in  der  Ausübung  heimisch  gemacht  werden,  damit  sie  auf  dem 
Dorfe  Einsicht  und  Verständnis  in  dieser  Sache  verbreiten  und  den 
Gemeindegenossen  mit  Rath  und  That  an  die  Hand  gehen  könnten. 

Die  Ansichten  über  die  beste  und  zweckmäßigste  Art  der  Lehi-er- 
büdong  sind  heute  nicht  mehr  dieselben,  wie  vor  58  Jahren,  da 
Wehrli  sein  Amt  antrat  Es  ist  ja  selbstverständlich,  dass  in  einem 
so  langen  Zeitraam  manche  einst  feststehende  Ansicht  aberholt  wird. 
Aber  anch  honte  noch  sind  die  maßgebenden  Stimmen  nicht  in  allen 
Punkten  einig.  Ober  den  .Umfang  der  zu  fordernden  Kenntnisse, 
aber  die  Anstalten  zur  Erwerbung  derselben,  ftber  die  Weise  der 
speciell  beruflichen  Zuschnlnng  n.  s.  w.  gehen  die  Meinungen  noch 
sdemlich  auseinander.  Dasselbe  ist  der  Fall  in  Bezug  auf  die  äufiere 
Einriditung  einer  Lehrerbildungsanstalt  Das  Seminar  in  Kreuzlingen 
hat  den  Convict  heute  noch,  und  es  scheint  derselbe  nie  Anfiachtnngen 
ausgesetzt  gewesen  zu  sein.  Bern  will  ihn  für  die  ersten  drei  Jahre, 
die  der  allgemeinen  Bildung  gewidmet  sein  sollen,  anch  femer  bei- 
behalten. Basel  hftlt  ihn  für  das  in  Aussicht  genommene  Seminar  nicht 
fOr  nOthig,  und  ZQrich  hat  denselben  als  der  Erziehung  verderblich 
abgeschaffl^.  Aargau  hat  in  letzter  Zeit  den  Convict  an  der  Can- 
tonsschule  eingeführt  und  rfihmt  dessen  erzieherischen  Erfolg.  Es 
kann  jedoch  hier  nicht  meine  Aufgabe  sein,  auf  diese  verschie- 
denen Ansichten  nnd  deren  BegrBndnng  näher  einzutreten,  sondern 
ich  mochte  nur  noch  nachweisen,  wie  Wehrli,  der  aber  das,  was 


Digitized  by  Google 


—   211  — 


«r  wollte  und  anstrebte,  völlig  mit  sich  im  klaren  war,  seiner  Aufgabe 
zu  genOgea  suclite. 

2. 

Der  erste  Eindruck,  den  Wehr  Ii  empfing,  als  er  im  September  1833 
in  das  vSchlösschen  in  Kreuzlingen  einzog,  war  ein  wehmüthiger.  Der 
Gegensatz  gegen  das  reichbelebte  Hofwyl  war  ein  gar  zu  großer. 

„Wie  kam  ich  in  ein  ödes,  leeres  Schlössli,  wo  sioh  bei  meiner 
Ankunft  nicht  einmal  ein  Stuhl  vorfand,  darauf  zu  ruhen!  Alles 
mussten  wir  nun  selbst  anschaffen,  was  ich  zu  einem  gedeihlichen 
Seminar-Familienleben  nöthig  glaubte.  Ich  hielt  dabei  den  gleiclien 
Orundsatz  fest,  der  mich  in  Hofwyl  leitete,  nämlich  mit  dem  wenigsten 
möglichst  viele  und  gute  Zwecke  zu  erreichen.  Ich  fand  gar  keinen 
Orund,  warum  ich  nicht  auch  in  einem  Cantonsseminar  denselben 
Orundsatz  anwenden  sollte,  wie  in  Hofwyl,  indem  ja  die  Zöglinge 
auch  meistens  Landleuten  angehören  (selten  kam  einer  ans  einem  ver- 
möglichen  Hause)  und  es  ihr  Glück  und  ihre  künftige  Tüchtigkeit 
mehr  fördert,  mit  Wenigem  sich  zu  genügen,  als  zu  sehen  und  zu 
lernen,  wie  man  mit  vielen  Mitteln  nicht  viel  erzielt.  Wer  niuss 
nicht  zugestehen,  dass  dies  letztere  meistens  da  der  Fall  ist,  wo  die 
Geldmittel  und  die  Lehraitparate  zu  reichlich  beisammen  aufge- 
häuft sind?  Ungemeine  Langeweile  quälte  mich  beim  ei-sten  Aufent- 
halt in  Kreuzungen.  Wie  gern  hätte  ich  meinen  Schritt  zurückge- 
nommen, wenn  ich  es,  ohne  Aufsehen  zu  machen,  hätte  thuu  können! 
Doch  es  konnte,  es  durfte  nicht  sein." 

Die  Anschaffung  der  erforderlichen  Geräthe  für  die  künftige 
Seminarbaushaltiuig  half  die  Zeit  ausfüllen.  Man  kam  mit  diesen 
Vorbereitungen  nothdürftig  zum  Ziel,  bis  der  erste  Seminarcurs  im 
Norember  18S3  mit  28  Zöglingen  aeinea  Anfang  jaian,  Wehrli 
wfihlte  eisen  jungei'en  SchuUdirer,  der  den  Normalenrs  in  Hofwyl 
mitgemacht  hatte,  als  Gehilfea  Der  mnaikaliscbe  Unterridit  und  der 
katholische  Beligionsnnterricht  wurde  von  einigen  Conventnalen,  der 
letztere  insbesondere  von  dem  Prftlaten  des  nahen  Eloeters  selbst 
abemommen.  In  dieser  ersten,  ans  Leuten  beinahe  gleichen  Alters 
und  gl^her  (geringer)  Vorkenntnisse  bestehenden  Seminardasse  han- 
tirte  Wehrli  ganz  wie  ein  Doiftchnlmeister  nnterj  ABG-Schtttzen 
«der  wie  ein  Philosoph,  der  gar  nichts  voraossetzt  In  jedem  Unterricht 
wurde  mit  den  ersten  Elementen  begonnen,  diese  Elemente  unter- 
schieden, zerlegt,  geordnet,  in  die  Stnfenreihen  des  Fortschrittes  ab- 
getheilt,  und  nebenbei  traten  dann  die  ZOgUnge  wieder  ans  ihrer 
Einderrolle  heraus,  um  zu  flberiegen,  warum  bei  dem  wirkliehai 

16* 


Digitized  by  Google 


—   212  — 


Kinderuuterricht  ein  solches  Verfahren  das  einzig  natürliche  und  er- 
folgreiche sei. 

Nun  hatte  Wehr  Ii  keine  Langeweile  mehr,  sondern  lebte  in 
fi-eudigster  Thätigkeit.  „Von  da  an,"  erzählt  er,  „kam  ich  auch  in 
engere  Berührung  mit  mehreren  sehr  theilnehuienden  Mitgliedern  des 
Erziehungsrathes  (namentlich  auch  mit  Decau  Pupikofer  in  Bischofs- 
Zell}.  Ks  entstand  Leben,  Thätigkeit;  im  Hause  war  Lemlust,  und 
außerhalb  desselben  "wurden  Straßen,  Wege.  Wassergräben  u.  s.  w. 
angelegt ,  das  vernachlässigte  Schlössclien  und  seine  verwilderte  Um- 
gebung k'bhaft  in  ein  kleines  Paradies  umgewandelt.  Die  äußerst 
reizende  Lage  am  See,  nahe  bei  Kon5>taiiz  und  Kreuzlingen,  von  den 
Leuten  und  bei  den  Leuten  (wie  man  zu  sagen  pflegt),  machte  auf 
mich  einen  stets  freundlicheren  Eindruck  —  und  endlich  ehe  ein 
Jahr  vorbei  war,  freute  ich  mich  des  gewonnenen  Wirkungskreises 
und  dankte  Gott  dafür.  Es  ging  besser,  als  ich  erwartet  und  als 
man  mir  yorausgesagt  halt«.* 

„Neben  den  TJnterrieht8stu]ide&  hatte  jeder  Zeittfaeü  des  Tages 

jeden  einzelnen  Zögling  wieder  seiae  bestimmte  Verwendung. 
Bepetition  des  empfangenen  Untenrichts  mid  Vorbereitung  auf  die 
folgenden  ünteniehtsstunden  — ,  Gartenarbeit,  Sänberong  der  Wege, 
Wassertragen,  Holzspalten,  Oemflserflstnng,  Gymnastik,  Beinigung  der 
ScUalkimmer,  der  Schuhe  und  ttbrigen  Kleidung  n.  s.  w.  waren  auf 
gewisse  Stunden  des  Tages  verlegt,  und  jeweüen  waren  einsehie  Auf- 
seher, welche  ttber  die  Volhdehung  dieser  Besdiftftigungen  Controle 
XU  iUiren.lMtten.  'Jedes  Hans-  und  Gartengerith  bekam  seine  Nummer 
und  seinen  ihm  angewiesenen  Plate.  —  Auf  diese  Weise  war  zugleich 
daittr  gesorgt,  dass  hst  jeder  Zögling  sein  besonderes  Anlsehenunt 
hatte,  dass  bfolge'  der  Wechselordnung  jeder  aUmXhlich  in  allen 
Ämtchen  sich  versnchen  und  ftben  musste  und  im  Ganzen  die  strengste 
Ordnung  herrsehte.** 

»Im  Schlaftaale  hielt  ein  Hilfslehrer  Aufsicht  Hit  den  ZOglingen 
zur  Buhe  gehend,  wehrte  er  jeder  Verletzung  der  Sittsamkeit  Am 
Uorgen  erhoben  sich  alle  zu  der  festgesetzten  Stunde  aus  ihrem  Lager 
und  ordneten  ihre  Betten,  und  der  ZOgling,  der  das  Wochenamt  hatte, 
soigte  fhr  Bemigung  und  Lüftung.  Selten  mochte  ein  Tag  vorbei- 
gehen, ohne  dass  der  Director  seine  Oberinspection  vornahm  und 
auch  in  den  Betten  sdbst  nachsah,  ob  nichts  Ungebfirüches 
geschehen  sei.** 

„Hatten  die  Zi^glinge  durch  frisches  Wassel*  Gesicht  und  Hände 
gewaschen  u.  s.  w.  und  sich  auf  dem  Lehrzimmer  durch  einige  Vor- 


Digitized  by  Google 


~    213  — 


nbütßa  ernflditert  und  ihre  Morgenaodadit  yerrichtet,  so  ging  es 
smn  FMUistücke.  Es  bestand  ans  HaüBigTatie»  MUcli,  Suppe  mit  Brot 
oder  Eartoffiolii,  wie  die  Küche  es  mit  sicJi  brachte;  Kaffee  blieb  auf 
einsebie  fesüiehe  Tage  beeehranH  —  Der  Ifittagstiach  war  ein&eh, 
brachte  wöchentlich  nnr  3—4  mal  FleiscbV  selten  lein  Kellergetiftnk, 
wdl  die  Er&hnmg  aeigte,  daas  die  Müch  nicht  thearer  an  stehen 
komme,  dagegen  der  Oeanndheit  f5rder]icher  sei  —  Abends  6  ühr 
ging  es  zom  Nachtessen,  Snppe  nnd  Gemflse  oder  Kartoffeln.  Wenn 
auch  Terbfitschelte  Lentchen  an&nga  das  Zwlsdienbrot  empfindlich 
▼ermissten,  so  gewohnten  sie  sich  doch  bald,  mit  drei  Mahlzeiten  des 
Tages  sich  an  begnflgen.*' 

Zwischen  8—9  ühr  vor  dem  Schlafengehen  fkad  sich  die  ganze 
Schar  der  Zöglinge  zur  Abendversammlung  ein.  Es  war  das  die 
Stunde  sittlich-religiöser  Prüfung.  Was  den  Tag  über  Auffal- 
tendes, Gutes  oder  Böses  vorgefallen  und  vom  Hausvater  beobachtet 
worden  war,  wurde  da  mit  den  PflegesOhnen  besprochen,  mit  einem 
Emst  und  mit  einer  Milde,  die  jedem  ans  Herz  griff.  Und  wenn  der 
Vater  mit  heiterem  Auge  den  vollendeten  Tag  und  sein  Werk  lobte, 
and  Gott  dafür  dankte  und  seinen  Söhnen  sein  „SchlafiBt  woV*  smief, 
so  galt  ihnen  das  als  ein  himmlisches  Segenswort. 

Erkrankte  ein  Zögling,  so  nahm  ihn  die  Hausmutter  in  ihre 
Pflege.  Wol  bekannt  mit  allen  Schmerzlinderungmitteln  und  geübt 
in  der  Krankenbehandlung,  erwies  sie  sich  als  zartfühlende  Pflege- 
mutter, unermüdlich  bei  Tage  und  in  der  Xacht. 

So  gestaltete  sich  das  Seminarleben  zu  einem  wahren  Familien- 
leben, und  mancher  halb  verdorbene  oder  in  stumme  Sünden  ver- 
sunkene Jüngling  fand  da  Rettung  und  Heilung.  Verrieth  sich  bei 
einem  Zögling  eine  mitn^ebrachte  schlechte  Gewöhnung,  ein  Tempe- 
ramentsfehler, Plauderhaftigkeit,  Lügenhaftigkeit,  Naschhaftigkeit,  Träg- 
heit, Zommüthigkeit,  Neid,  Wollust,  Unreinlichkeit  u.  s.  w.,  so  säumte 
Wehrli  nicht,  ihn  zu  warnen,  ihm  Rath  zu  ertheilen',  wie  er  der 
Sünde  Herr  werden  möge.  Alles  mögliche  wurde  vei*sucht,  das  Übel 
in  seiner  Wurzel  auszurotten.  Spät,  oft  fast  zu  spät  trug  er  bei  der 
Aufsiclitscommission  auf  Entfernung  der  Unverbesserlichen  an.  Die 
Unverbesserliclikeit  eines  Menschen  einzugestehen,  widersti-ebte  seinen 
pädagogischen  Ansichten  und  seinem  Gemüthe. 

In  andern  ünterrichtsanstalten  gilt  die  Beaufsichtigung  der  Zög- 
linge in  den  Freistunden  für  eine  der  schwierigsten  und  mühseligsten 
Aufgaben.  In  Kreuzlingen  war  man  dieser  Sorge  überhoben;  denn  da 
gab  es  keine  sogenannten  Freistunden.   Als  Erholungsstunden  galten 


Digitized  by  Google 


—   214  — 


die  Beschäftigungen  im  Garten  und  Gemüsefeld  und  in  der  Weik* 
st&tte,  sowie  die  zahlreichen  Handreichungen  in  der  Besorgung  di» 
Haushalts.  Namentlich  wurde  der  Garten-  und  Qemüsebau  als  Er- 
siebungsmittel  benutzt.   Kam  ein  Ifremder  zmn  Besache  ins  Seminar, 

so  konnte  er  auf  dem  Gemüseackor  zur  Sommerszeit  die  ganze  Schar 
der  Zöglinge  bei  der  Spatencultur  beschäftigt  sehen.  Jeder  Zögling 
hatte  einige  Quadratklafter  Boden,  den  er  für  die  SeminArküche  be- 
baute, mit  Kartoffebi,  Bohnen,  Kohl,  Mben  u.  s.  w.  Das  geschah 
aber  ganz  kunstgerecht.  Der  Boden  war  sorgfältig  gelockert  und 
geebnet,  die  Pflanzen  genau  nach  der  Linie  und  rechtwinkelig  ein- 
gesetzt, das  Unkraut  überall  entfernt,  zwischen  den  Beeten  die  Wege 
rein  gehalten.  Es  war  die  strenge  Forderung;  denn  auch  in  der 
Bodenbearbeitung  .sollte  der  Zögling  seinen  Oidnungs-  und  Schönheits- 
sinn üben.  Der  Ertrag  der  Arbeit  aber  war  ziigleirli  j^enieinsamer 
Vortheil  aller,  denn  außerdem,  dass  sie  die  Gartenkunst  und  den 
Gemüsebau'  gelernt  und  für  ihr  künftiges  Leben  eine  nützliche  Fertig- 
keit erworben  hatten,  wurde  durch  die  reiche  Gemüseemte  die  Kost- 
gelderdividende für  die  SeminarzögUnge  ermäßigt. 

Zwar  standen  neben  dem  Hofranme  anch  einige  Vonichtungen 
zu  Turnübungen,  sie  fielen  aber  wenig  ins  Auge.  Als  daher  einst  die 
Zöglinge  einer  fremden  Ei-ziehungsanstalt  darüber  ihr  Befremden  ans- 
drückten,  entschuldigte  Wehrli,  dies  sei  eben  nur  der  kleine  Turn- 
))latz,  führte  sie  dann  auf  die  andere  Seite  des  Hauses  und,  auf  die 
Gemüsefelder  weisend,  sagte  er:  Hier  ist  unser  großer  Tnmplatz! 

Wenn  in  den  Sommermonaten  die  Fortbildimgsciirae  für  ange- 
stellte Lehrer  begannen,  so  dorfte  dadnreb  die  dngefBhrte  Ordnung 
oieht  geatürt  werden.  So  weit  die  besdiränkte  Bfiomttcbkeit  es  er- 
laubte, worden  sie  im  Seminargebände  untergebracht  und  ganz  wie 
die  Seminaristen  behandelt;  bei  andern,  welehe  aoswftrts  ein  oAcht- 
liches  Obdach  suchen  mnssten,  wurde  doch  den  Ta^  über  dieselbe 
Begel  innegehalten;  nur  der  Betheüigung  bei  den  [Haiishallnngs- 
geschalten  blieben  sie,  damit  sie  in  den  Freistunden  den  Inhalt  dea 
empfangenen  Unterrichts  au&eichnen  konnten,  enthoben.  Gieichwol 
machte  die  Begsamkeit  und  Ordnung  im  Baushalte  und  besondera 
anch  der  Garten-  und  Gtottsebau  der  Seminaristen  auch  auf  Altere 
Lehrer  einen  so  vortheilhaften  Eindruck,  dass  manche  derselben  nach 
ihrer  Bflckkehr  in  ihre  Gemeinden  woiigstens  fOr  sich  und  ihre 
Haushaltungen  Ähnliches  versuchten.  Die  Ansicht,  dass  der  Land- 
schnllehrer  nicht  bloa  in  der  Schulstube»  sondern  auch  in  Garten  und 


Digitized  by  Google 


—   216  — 


Feld  durch  Anleitung  und  Beispiel  zur  VolkserziehiiDg  mithelfen  kdnne 

und  solle,  gewann  allgemeineren  Boden. 

Für  den  Umfang  des  Unterrichts  war  auch  in  Krenzlingea  die 
herrschende  Ansicht  maßgebend,  dass  der  Volksschullehrer  eine  ency- 
klopädische  i  Übersicht  über  alle  Zweige  des  menschlichen  Wissens  be- 
sitzen, namentlich  aber  die  Muttersprache  und  ihre  Regeln  und  die 
niedere  Mathematik  kennen,  in  Geographie  und  Geschichte  be- 
wandert, in  Gesang  und  etwas  Musik  geübt  sein  und  eine  gute  Hand- 
schrift führen  müsse.  Nach  Wehrli's  Ansiolit  gehörte  aber  auch 
Naturkunde  und  besonders  Landwirtschaftslehre  und  einige  Fertigkeit 
im  Zeichnen  zu  den  Vorzügen  eines  guten  Scluillehrrs. 

Mit  dem  Eintiitt  einer  zw^eiten  Classe  im  Herbst  1834  wurden 
die  Lehrkräfte  angemessen  vermehrt  und  bald  darauf  ein  akademisch 
gebildetei'  Uauptlehrer  für  Sprache,  Geschichte  und  Geographie  ange- 
stellt. 

Zur  praktischen  Vorbereitung-  der  Zuglinf^e  auf  die  Sr-bnlfiilirung 
wurden  nicht  blos  die  benachbarten  Sclmlen  beuutzt,  sondern  es  wurde 
im  Seminar  selbst  für  eine  Anzahl  Kinder  eine  Privatschule  einge- 
richtet, in  welcher  die  Seniinarzöglinge  abwecliselnd  unter  Aufsicht 
Wehrli's  oder  eines  Cieliilten  die  ersten  Versuche  im  Unterrichten 
zu  machen  Gelegenlieit  bekamen.  Die  Kinder  dieser  Semiuarschule, 
für  die  sich  in  einem  benaclibarteu  Gebäude  eine  passende  Unterkunft 
land,  wurden  von  jenen  Anfängern  der  Erziehungskunst  mit  einem 
Erfolge  unterriclitet.  der  bald  eine  größere  Anzahl  herbeizog  und 
endlich  zur  Einrichtung  einer  besonderen  Erziehungsanstalt  Veranlas- 
sung gab. 

3. 

So  entwickelte  sich  die  Anstalt  in  schöner  Weise.  Zöglinge  aus 
andern  Cantonen  drängten  sich  herbei,  und  sie  gewann  bald  einen 
allgemein  schweizerischen  Charakter.  Die  Jahresprüfung  im 
Herbst  1837,  also  nach  vierjährigem  Bestand  des  Seminars,  erhielt 
einen  besonders  feierlichen  Grundton,  weil  Wehrli  in  einer  längeren 
Eröffnungsrede  eine  Art  Rechenschaft  vor  den  zahlreichen  Zuhörern 
ablegte,  die  ein  treues  Bild  von  seiner  Anstalt  gab  und  mit  großer 
Freude  angehört  wurde. 

Um  den  Leser  so  recht  mitten  in  das  Institut  eiuzufülaeu,  lasse 
ich  sie  hier  folgen: 

Titl 

Von  den  Jllagliiisen  und  jungen  Minnon,  die  hier  Tor  ans  ttehea  «nd 
ReehemdMift  tos  ihnm  Jahzeswerk  ablegen  sollen,  wollen  aicb  alle,  einer  aaa- 

/' 

Digitized  by  Google 


—   216  — 


pcnoiniiien,  dfiii  wicbtiffon  Lrhn  rlK  riitV  widnirn.  Ks  sind  ihrer  an  der  Zahl  71,  von 
dcueu  die  älteren  im  Julir  183Ö  uod  die  jungerün  ld34>  ins  äcniinar  getreten  sind. 
Die  iltomi  (oder  die  Seminaristeii  des  dritten  Conei  im  Semiaai)  bestelieB  ave: 
23  Thurgauem,  18  St.  Gallern,  2  Qlarnem  asd  1  AppenMOer.  Die  jflngoen  (oder  die 
Seminaristen  dos  vierten  Curses  im  Seminar)  bestehen  aus  1 6  Tbiirgftacni,  4St.0aUem, 
4  Glamcrn,  1  Basler,  l  Unterwaldner  und  1  Appenzeller. 

Die  ältere  Abtheiluog  zeigte  bei  ihrem  Eintritt  eine  so  auffallende  Vcr- 
«diiedeiiheit  in  den  VoxkenntmaieB,  dam  wir  genöthigt  waten,  in  einigen  Unter- 
rlehtrttelieni  xwei  Uatetabtheilungen  au  madiea.  ~  Indenen  haben  aidi  die  m^ten 
der  schwächeren  Abtheilunir  fast  Uber  Erwartung  nachgemacht,  Überhaupt  hat  in 
allen  Classen  l>einahc  uime  Aui^nahme  eiue  T.embosricrde  sich  entwickelt  und  ein 
Fleiß  sich  kund  gethan,  die  beidt.'  mir  viel  Freude  machten. 

Über  die  Thätigkoit  dieser  jungen  Leute  während  ihres  Aufenthaltes  im 
Seminar,  oder  flberimnpt  Aber  die  BÖitrebnngen  in  umerm  Banae  eine  knne  Über- 
aiebt  zu  geben,  dOrfte  TieHeicht  hier  nicht  am  nnrechten  Flatae  Min. 

Das  Leben  im  Seminar  ist  ein  dreifaches: 

a)  da.s  Leben  im  häuslifhen  Kreise  oder  das  Familienleben; 

b)  das  Leben  in  der  Schulstubo,  im  eigentlichen  Unterrichte,  oder  die  Thätig- 
keit  in  der  wiasenflehaftlidieD  l^dung,  und 

o)  daa  Leboi  anHer  vnami  Vanem,  bti  gaitaibanlidien  Beaehftftjgnngen. 

Ich  stelle  absichtlich  das  häusliche  Lebtfi  voran.  Wamm?  Weil  der  hSus« 
liehe  Kreis  die  beste  Erziehung  trcben  kann  und  ein  Lehrer  vor  allem  eine  gute 
Erziehung  habrn  mus.s,  Erzieher  werden  soll,  um  andere,  die  ihm  anTertrauto 
Jugend,  cizieheud  unterrichten  zu  können. 

Im  BchOnen  Familienleben  iat  der  Ort,  wo  man  aieh  wechadieitig  dnieh 
Theünahme  an  Frrad  und  Leid,  an  Glttck  und  Unglflek,  dnreh  Bdehmag,  fiath, 
Trost,  Beispiel  zu  Einigkeit,  Liebe,  wechselseitigem  VertraueDi  an  edeln  Gesiannagen 
und  Handlungen,  zur  Tugend  ennuthigen,  erhoben  kann. 

Im  schönen  häuslichen  Leben  kann  der  echt  religiöse  Sinn  am  ersten  und  diu 
tieftten  Wuraeln  tauen.  Im  hftuslichen  Leben  iat'a,  wo  die  Grundlage  an  einem 
eeht  duriaüidien  Leben  am  beitra  gelegt  worden  kann.  Da  hat  man  ftuit  die 
Augenblicke  Gelegenheit,  sich  in  der  dienenden  Liebe  zu  üben  —  die  besonders  auch 
heim  Schullebrer  eine  der  ersten  Tugenden  sein  f^oll:  da  ist's,  wo  Liebe  und  Ernst 
die  jüngeren  Glieder  zu  guten  und  verständigen  Menschen  heranbildet;  da  ist's,  wo 
eines  vom  andern  lernen  kann  und  lernen  wird;  —  da 

Wo  man  sich  fflr  alles  danket, 
Alles  gerne  leiht  und  gibt, 
Niemals  zUmet,  niemals  zanket, 
Immer  treu  nnd  airtlioh  liebt. 
Ober  diesem  Friedendiaua 
Breitet  lich  der  Segen  ans. 

Wer  in  einem  solchen  Kreise,  tad  solche  Weise  erzogen  wird;  wer  so  in 
seinen  Mitmenschen  lauter  Hrüder  erkennen  lernt,  ihnen  dient,  gern  dient,  wo  er 
kann,  und  so  die  ganze  Men.schheit  ebenfalls  als  eine  große  Familie  betrachtet .  sii' 
liebt  und  Gott,  ihren  Vater,  Uber  alles  liebt  —  wie  segensreich  wird  ein  solcher 
tiberail  wirken!  Welch«  Weihe  gibt  daa  allem  seinem  Thna  und  Laasenl  Welehe 
Weihe  beaonders  dem  Thun  und  LassMi  des  Ldiren!  Wie  gaas  aadets  tritt  eia 


Digitized  by  Google 


—   217  — 


Bolcher  in  dieSchulo.  wio  {yanz  andere  vcrliisst  er  sie  al.x  dcrjoniefo,  dem  der  fromiM 
Sinn  mangelt  und  dem  dati  Herz  für  edlere  häustiche  Freuden  erstorben  ist! 

Wie  gaai  aaden  iit  er  in,  wie  guut  aoden  außerhalb  der  Schule,  als  der- 
jenige, den  eine  solche  littlidie  Dniohbildang  aligelitl 

Wo  ist  ein  solcher  Lehrer  am  liebsten? 

Ein  Kolrher  I^rhrer  ist  am  liehsten  in  der  Schule  unter  seinen  Kindern  —  in 
diesem  (iuttesbause  -  im  häuslichen  Kreise  und  überhaupt  da,  wo  er  entweder 
Belehrung  geben  oder  Belehrung  hnden  kann.  £in  großer  bekannter  Mann  hat 
etww  starte  gesagt:  ^BiaeB  Sehnlleliier,  der  nicht  singen  kann«  sehe  ich  gar  nicht 
an."  Mit  ebenso  viel  Grund  kSnnto  man  andi  sagen:  Ein  Leliier,  dem  der  Sinn 
fSrs  schöne  häusliche  Leben  mangelt  —  sollte  sich  am  allerwenigBten  in  einer 
Scbiüstube  erblicken  la^^sen. 

Dasa  wir  nun  bei  unterm  Zusammenleben  im  äeminar  nach  diesem  Ziele 
itKibten;  dais  diese  Jflnglinge  beinshe  ohne  Aninnhine  sieh  ihres  Familienlebens 
ftevten,  einer  dem  andmi  diente,  der  Stirkere  dem  Sohwidieran  nachhalf  der  Oe* 
snnde  den  Kranken  pflegte  und  am  nächtlichen  Krankenbette  wachte;  dass  sie  sidi 
jeden  neuen  MoTs:en  mit  Gruß  und  Geffengruß  erfreuten  und  fi;omeinscliaftlich  vor 
(fOtt  triiton,  zu  ihm,  in  brüderlieher  Liebe  untereinander,  ihre  Herzen  erhoben,  vor 
ihm  gemeinücbattlich  den  Entscblusä  fuiiäteu,  die  küstliche  Zeit  wol  zu  ntttzen  nnd 
ihr  Tagewed^  so  an  beginnen,  an  mittein  nnd  an  Tollenden,  daas  sie  sieh  desselben 
am  Abende  vof  ihm  Ikenen  dürfen;  —  daas  das  in  nnserm  hindiehen  Kreise  ge- 
schehen  sei,  darf  ich  SiÜDntlioh  aussprechen.  —  Noch  am  spftten  Abende  ihres 
Lebens,  ich  bin  es  versichert,  werden  sie  sich  mit  Liebe  und  Freude  unserer 
Morgen-  und  Abcndunterhaltung  erinnern,  und  wie  ich,  die  Entschlttsse  segneu,  die 
sie  da  mit  mir  gefasst  haben.  Ich  darf  hoffen,  dass  beinahe  alle  mit  diesem  Sinne 
nnd  Geiste  in  ihren  Schnlai  wirken;  dass  ihre  Schulen  wahre  Pflanastitten  an 
einem  schönen,  religiösen,  häosUchen  Leben  und  Torsdiulen  an  einem  nioht  minder 
edeln  hürfjerlichen  Leben  sein  werden. 

(Jott  seijno  unsere  Ik'm(lhuue:eu,  unser  Streben  hierin! 

Auch  der  Sinn  für  ein  veredeltes  Äußeres,  fdr  Ordnung  und  Reinlichkeit 
hat  bei  unaeni  jungen  Leuten  gewonnen,  hat  nch  eistaifct  an  den  Übungen,  die  sich 
in  nnserm  binsHchen  Kreise  mannigfldtig  dart&etea,  und  ich  darf  erwarten,  daas  sie 

auch  hierin  in  ihren  Sdnlw  mit  Gottes  Hilft  Gutes  schaffen  werden.  Wie  werde 
ich  mich  jedesmal  freuen,  wenn  ich  ihre  Schtilen  besuche  und  da  die  Schulstuhen 
nett  und  reinlich  antreffe,  dass  sie  einen  anlachen!  Wie  werde  ich  mich  freuen, 
wenn  ich  die  Kinder  mit  reinen  Händen  und  reinem  Gesichte  erblicke  und  auch  die 
Irmsten  ein  ord»tliches  Anssdien  haben!  Wie  werde  i^  midi  freuen,  diese  nmine 
Zöglinge  einst  in  ihren  Schulen  auch  in  diesem  AuBern  als  Vorbilder  vor  ihren 
Kindern  zu  sehen  —  in  nettfMu,  reinlirheiti ,  aber  einfarhem  Gewände,  fern  von 
allem  Luxus,  fem  von  aller  ModeuaihiitTerr i  und  eitlem  Wesen  —  fem  von  einer 
l'^risur,  die  da  zeigt,  dass  der  Lehrer  einen  be^iscren  Blick  in  den  Spiegel  habe,  als 
in  die  Sehulstnbe,  auf  die  vielleicht  besehmutaten  Fenster,  Winde,  BOden  und  mit 
Tinte  besnddten  Tisehe  ^  geadiweige  einen  Blick  in  die  Herien  der  Kinder.  Wie 
werde  ich  mich  freuen,  wenn  ich  vernehme,  das«  die  Kinder  meiner  25ögling:e  in  der 
Schule  auf  diesem  Wc^e  (erziehend  gelehrt  und  lehrend  erzogen)  nach  nnd  nach  den 
Sinn  für  Einfachheit,  für  Reinlichkeit  und  Ordnung,  wie  Liebe  zu  Fleiß  und  Thätig- 
keit  mit  in  ihre  Häuser  und  Hütten  bringen  und  da  die  Schule  nachbilden! 
0  wie  schon!  Gott  gdw,  dass  es  gesdidie! 


Digitized  by  Google 


—   218  — 


Das  zweite  Leben  im  Seminar  macht  der  eigentliche  rnterricht  in  dem 
Scbulsaale  aiu>.  Bei  Leruhegierde  uud  l'leiß  und  den  daraus  hervorgebeudeu  Fort- 
mhiitten  wnvdei  den  meistMi  oder  allen  die  Wodien  in  Tagen  nad  die  Tage  n 
Standen.  Ich  glaube  eagea  an  dflifsn,  daaa  iieh  die  meisten  ledit  adiftne  Ktant- 
niflse  angeeignet  haben. 

Froh  wnrde  der  rnterrieht  gegeben,  und  froh  wurde  er  empfangen.  Einen 
organischen,  naturgemäßen  l'ntcrricbt  zu  ertbcilen.  entets  vom  Leichteren  zum  Schwe- 
reren Überzugeben,  und  durch  das  Bekannte  aufe  Unbekannte  zu  kommen,  war  das 
einheitliche  Beitreben  aller  Ldirer  am  Soninar.  Alle  Itnldigten  dem  Gnmdsatae: 

a)  Wtt.s  du  lehrst,  das  lehre  grüniUicb  —  und 

b)  Was  die  Kinder  machen  oder  darstell- n.  das  inii.-scn  sie  recht  iiiaehen. 
Man  suchte  den  rnterrieht  so  zu  geben,  wie  wir  wtüucben  uttasen,  daas  er 

lu  der  Elementargcbule  selbst  gegeben  werden  uiöcbte. 

Der  für  die  thurganiachen  Sehnlen  entworfene  Leotioiuiplan  lag  nia  dabei 
an  Omnde.  Wie  dort  hei  allen  UnteniohlBftehein  anf  lante  nnd  stille  Beschiftignngen 
in  der  Schule  bingcdeutct  ist,  So  versäumten  wir  nicht,  überall  anf  diese  Unte^ 
soheidung  in  der  Beschilftisning  der  Kinder  hinzudeuten,  nämlich: 

1.  auf  den  Stoff  aufmerksam  zu  machen,  den  der  Lehrer  laut  und  ent- 
wickelnd mit  den  iündem  tu  bearbeiten  hat,  und 

8.  an  seigen,  wie  das  Entwidcette  an  stillen  Besehlltignngen  and  Übungen, 
unter  Mithilfe  eines  LehischfllerB,  befestigt  werden  müsse. 

Dahin  müssen  wir  arbeiten,  dass  kein  Kind  mehr  unbeschäftigt  bleibe,  dass 
nicht  Ton  vornherein  Müßiggang  in  der  Schule  gelehrt  werde.  Fleifi  und  Thtttig- 
keit  soll  aus  der  Schule  hervorgehen! 

In  nnserm  Leetionsplane  für  thnigaulsehe  Schulen  ist  im  Anfange  das  Fach 
des  Unterriehtea  in  der  Religion  und  bihUschen  OeodiGltte  veigeniehnet.  Dieaea 
besorgte  für  die  katholischen  ZOglinge  der  hechwürdige  Herr  Prälat  (tos  hiesigein 
Stiftes  und  für  die  cvanglischcn  icli.  Die  l)iblisrhe  (iesehiehte  wiirile  wie  es  der 
Lectionsplan  andeutet,  zur  Grundlage  gemacht,  und  au  diehclbe  die  ülaubens-  und 
Sittenlehre  flbeiall,  wo  der  Gegenstand  und  die  Umstände  dazu  auffordern,  angeknüpft. 

Als  swtttes  Fach  beadcbnet  der  Lectionqilan  die  Spraehe.  Diese  an  beaoigen, 
hat  Herr  Bnmflller  sich  zur  Aufgabe  gemacht.  Das  Lesen,  die  Wort-,  Sats-  und 
Aufsatzlehre  sind  die  Haujitstufen  darin.  Wie  weit  die  Zöglinge  gekommen  sind, 
mögen  ihre  AuMtze  und  mehrere  nicht  ganz  miselungene  rhjrthmiBche  Venuche 
zeigen. 

In  den  Untennoht  der  Aiithmetik  und  Geometde  theilten  aich  die  beiden 
Uenen  Lehm  Wellaner  nnd  Aaenwyler.  Alks,  was  unser  Lectionsplan  in  dieaer 

Hinsicht  verzeichnet,  das  wurde  gelehrt.  Überdies  worden  die  Zöglinge  noch  eine 
ordentliche  Stufe  weiter  geführt.  Sie  lernten  mit  dem  Moxstisehe  umgehen  und 
blieben  mit  der  Ausziehung  höherer  Wurzeln  und  den  wichtigsten  Lehrsätzen  der 
eigentlichen  oder  wissenschaftlichen  Geometrie  und  ihrer  Anwendung  nicht  unbe- 
kannt. 

Aus  der  Naturkunde  daqsnige  an  khreo,  was  ich  glaube,  dass  in  einem  Seminar 

gelehrt  werden  soll,  habe  ich  übemomtacn.  Ich  t heilte  diesen  Unterricht  in  zwei 
Haiipttheile :  in  die  An.schauungs-Nattirl<unde  und  in  die  systematische  Naturkunde, 
welche  letztere  wieder  in  Naturgeschichte  und  Naturlehre  zerfällt.  Einen  besondem 
Zweig  dieses  FSehes  maehte  eine  damit  verbundene  ein&cbeLandwirtsdiafIdehie  ans. 
Den  Unterricht  in  der  Gcogn^hie  besorgte  Herr  Bumttller.  Die  Abtheiluagen 


Digitized  by  Google 


—   219  — 


desselben  sind,  wie  bekannt,  die  Haus-,  Gemeinde-,  Caiitons-.  Vaterlands-  und  Außcr- 
vaterlandskunde.  Gegren  das  Ende  des  Ctirses  tülirt''  Hnr  liurniillfr  die  Zoerliupe 
auch  Qocb  durch  die  matheiualiäclie  ücogiupiiie  vod  der  Eide  hiuuui  in  die  liöbereu 
Weiten  dee  Hbmneb,  damit  lie  Gottes  ADmaeht  im  Oxoßen  wie  im  Kleinen  bewun- 
dern und  anbeten  mScbten.  — 

Die  mit  der  Geographie  so  nahe  verwandte  Gesehichte  lehrte  ebenfalls  Herr* 
Burnüller.    Die  Geschichte  unsers  Vaterlandes  war  uns  Haiipt!<aclic.  mid  ans  der 
allgemeinen  (ics<  hi('bte  wurde  nur  so  viel  damit  verbunden,  als  es  die  Auknuptuugs- 
punkte  and  die  Umstände  geboten  oder  erlaubten. 

Den  Gesangnnterricht  ertheilte  Herr  Profeaeor  Anton,  vnd  swar  naeh 
Nägeli's  Methode.  Seine  Bemühune:.  im  letzten  halben  Jahre  den  Zöglingen  einige 
Begriffe  von  der  llaniinnielelirc  Iteizuhringen,  blieben  nicbt  ohne  £rfolg,  indem  einige 
Versuche  in  der  Cnniiiositiou  ui<-ht  so  übel  ausfielen. 

Die  Kalligraphie  beborgte  Uerr  Wellauer.  Das  Zeiehneu,  welches  in  ilaud- 
xeichnai  und  geometriKhea  Zeichnen  aexftUt,  leiteten  Herr  Wdlaaer  und  Herr 
Aaenwyler  gemeinachaftlich.  Wie  weit  es  die  ZOglinge  in  beiden  braehteUf  daa 
werd^  die  vorzulegenden  Arbeiten  aufweisen. 

Bei  jedem  rnterrichtsfache  wurd«'  bei  dem  Becrinn  de?  t'urscs  mit  dem  eiu- 
tachsten  Unte  rrichte  oder  den  Elenientcu  angefangen.  Man  wollte  jedesmal  einen 
sogenannten  Auschauungsuuterrieht,  d.  b.  eine  klare  Omadanaehauung  vorausgdien 
laaeen.  ^  Wir  theilen  ttbiigena  den  gansen  Seminaieu»  in  drei  Tbeile:  Der  eiste 
bc^(  hiitti(;t  .-ich  mit  den  Elementen,  der  zweite  mit  den  Bealien,  der  dritte 
mit  der  Kepi  tition,  verbunden  mit  den  Vorfilhriintr^ilbunpon 

Indem  wir  die  Zofrlincre  nach  den  bereits  angeia-aehten  Ikiiierkungeii  Uber 
den  Umfang  der  wibseuschatüiehen  Ausbildung  allerdings  weiter  führten,  als  sie  in 
Elementareebulen  in  der  Begd  die  Schfller  bringen  weiden,  lag  uns  dodi  weniger 
die  KUienatufie  der  Winensehaft  am  Heixen,  als  vielmehr  die  Omadlegnng  oder 
die  AsbalONing  einea  Wegea  dasu  und  ein  sicheres  Fortgehen  auf  demselben,  so 
lange  und  so  weit  es  uns  der  auf  zwei  Jahre  beschränkte  Cursus  im  Seminar  ei*- 
laubt«.  Mau  darf  nicht  aur-  dem  Aug-e  lassen,  dash  das  Seminar  eine  Anstalt  sein 
soll  zur  Erziehung  und  Bildung  erziehender  Lehrer. 

lat  es  etwas  anderes,  so  Terfehlt  es  nadi  meiner  Überaeugnng  adnen  Zwedc. 

Ein  drittes  Leben  oder  eine  dritte  Schule  bot  uns  unsere  kleine  Fddgirtnerei 
dar.  Auch  über  diesen  Thcil  glaube  ich  eiiiit,n.-  llechenschaft  geben  zu  müssen. 
Nicht  nur  waren  uns  die  gartenbaulichen  Beschiitfiirungen  im  Laufe  di  r  milderen 
Jahreazeitjeden  Abend  am  i^hloss  einer  zehn-  und  mehrstündigen  geistigen  Thätigkeit 
eine  Bibdang  und  k&tperlidie  Ojrmaaatik,  durch  die  wir  den  Forderungen,  wdefae 
der  KSrper  an  uns  macht,  um  gesund  und  krftftig  an  bldben,  entgegwnVamfir, 
sondern  sie  waren  uns  zugleich  eine  neue  bedeutsame  Sdiule,  die  nach  meiner  Ober» 
zengung  jedrr  Lehrer  auf  dem  Lande  unuin«j;in^'lieh  pas^iren  sollte-  — 

Auf  dem  Lande  die  Kinder  der  Lundlcute  sit  Ii  anvertraut  wissen  und  nur 
geringe  Kenntnisse  von  der  Besehatlenheit  und  Wartung  der  PUanzen  und  Thieio 
haben;  den  Boden  kanm  kennen,  aus  woldiem  die  Pllanaa  wichst;  den  Bettieh  flr 
Bohnen  und  die  Erbsea  für  Kartoffeln  ansehen  und  überhaupt  keinen  Sinn,  keinea 
Wahmehmungsgeist  für  das  landbauliche  Leben  haben;  bei  Wolinungen,  Gärten 
und  Feldern  vorbeigehen,  ohne  einen  richtigen  Blick  auf  dieselben  zu  haben;  voa 
der  Verbindung  des  Schiiaen  mit  dem  Niilzlichen  im  ersten  und  allgemeinsten 
llettsdienbOTttfe  nur  geringe  Begriffe  haben,  der  Naturkunde  atdat  «ne  Biditung 


Digitized  by  Google 


—   220  — 


zu  cfohen  wissen,  diiÄS  sie  die  Landkinder  geistijf  erregt,  mit  Kcnntnisst  n  bereichert, 
dnrch  die  sie  für  die  Bebainms:  des  Bodens  und  Erziehunc:  der  Pflanzen  freudig 
belebt  und  bcthätigt  werden  niUssen  —  ein  solcher  Lehrer  leistet  wenig  —  wenig  ~ 
gar  ni  iranig.  — 

Jkx  Sdrahuterrieht,  TonBglidi  auf  dem  Lande ,  mnBa  mit  dem  Leiten  ver- 
bunden werden.   Die  Wissenschaft  darf  sieh  da  am  wenigsten  Toa  ihm  absperren. 

Beide  mfisaen  untereinander  sich  im  schönsten  Ehehundr-  vercinisren.  Erst  dann, 
wenn  der  LandschuUebrer  einen  solchen  Unterricht  geben  kann,  einen  solchen  Geist 
unter  eeine  Kinder  m  bringen  weiA  —  erst  dann,  sage  ich,  passt  er  in  die  Land- 
•ehnle ,  pant  er  mit  seinem  Sinne  für  Landwirtadiaft,  diesem  Termittelnden  Element, 
TU  den  Landicutcn,  Nur  dann  hat  der  Schullehrer  die  rechte  Stellung  zu  ihnen. 
Fehlt  ihm  aber  dieses  bind»  nde  Element,  m  verfällt  er  leicht  in  Dünkelhaftigkeit,  glaubt 
■zu  den  (ielehrten  zu  geh'tron,  benimmt  sieh  in  und  außer  der  Sehulo  wio  oin  Ge- 
lehrter und  fühlt  nicht,  dass  er  unter  den  Landlcuten  dasteht,  ich  hatte  tust  Lniit 
sn  sagen,  wie  Lothes  Salnftttle.  — 

Dass  nnsere  Feldglitaerel  mit  dem  damit  Terbnndenen  landwirtwliaftliehen 
Unterrichte  mich  zu  schönen  Holbnngen  berechtigt,  indem  sie  von  vielen  muerer 
Zöglinge  in  rechtem  Sinne  aufgefa.s.st  wird,  davon  habe  ich  viele  Beweise. 

Indes  wird,  wie  über  alles,  die  Zukunft  lehren.  —  Nur  auch  dann  nicht  die 
Hftnde  in  den  Schoß  gelegt,  wenn's  nicht  gleich  nach  unsem  Wünschen  gebt.  — 
Laaeet  nna  umarm  Heiland,  dem  Ldner  aller  Lehrer,  Xhnlieh,  nnermttdet  am  Wol 
unserer  Mitbrflder  arbeiten;  so  wir  nicht  erliegen,  werden  wir  einst  ernten  ohne 
Aufhören.    Gott  mit  uns!! 

Noch  ein  Wort,  verehrteste  Herren  1  und  Ihr  SchnlmSnner  besonders! 

Wenn  einmal  in  der  iScbule  —  dieser  hochwichtigen  Volksbildungsanstalt  — 
der  Beligionsvnterrieht  nioht  mehr  ein  Teistand-  und  henloses  Answendigleraen  ron 
schwer  zu  verstehenden  Bingen  oder  ein  trockenes  kaltes  Abfragen  darttber«  sondern 
«in  Unterricht  ist,  der  darin  besteht,  dass  man  mit  liebendem  Herzen  die  Kinder 
auf  ihre  Pflichten  gegen  die  Eltern,  gegen  den  lieben  Vater  im  Himmel,  gegen  die 
Mitmenschen  und  sich  selbst  aufmerksam  macht  —  «ud  dann  gleichsani  jedes  Wort, 
jeder  Blick,  jede  Tbat  zeigt  und  lehrt,  dass  diese  Pflichten  zu  erfüllen,  jedes  Wort, 
«nd  Gott,  den  lieh<m  Allvater,  sum  hosten  Freunde  su  haben,  Aber  slles  in  der 
Wdt  stehe  nnd  die  größte  Seligkeit  sei; 

wenn  wir  einmal  die  deutsche  Sprache,  fem  von  allem  grammatikalischen 
Luxus,  so  lehren,  dass  die  Schüler  durch  dieselbe  lernen  denken,  ihre  Gedanken 
ordentlich  ausdrücken,  gute  Bücher  mit  Verstand  und  daher  gern  lesen  und  einen 
Absehen  vor  Entweihung  der  Sprache  durch  Lttgen,  Fluchen  und  Terleumden  he> 
kommen;  — 

wenn  einmal,  statt  des  mechanischen  Regelwesens  in  der  Bechenkuni^t  und 
anderer  für  das  Volk  ungenießbarer  mathematischer  Speisen,  ein  gesundes  Anschau- 
ungsrechnen und  eine  gesunde  Anschauungsgeometric  dem  Volke  seine  Arbeiten 
ordnen,  denkender  und  anstelliger  verrichten  lehrt,  dieser  Unterricht  Uberhaupt  mit 
^em  BemfUebon  in  nihere  Verbindung  gebracht  wird;  — 

wenn  die  Naturkunde  auf  ähnliche  Weise  uns  vom  Werke  za  seinem  erhabenen 
Schöpfer  filhrt  und  uns  nnserm  Erdenberufe  (Tiandbau  und  Handwerk)  bei  höherer 
geistiger  .Autlas-sung  mit  herzlicher  Freude  und  Lust  zugethan  macht;  — 

w^enn  einmal  die  vaterländische  und  weitere  Geographie,  wie  die  Geschichte, 
flo  gelehrt  werden,  dass  die  Jugend  dnreh  dieselben  vom  Bltemhause  aus  ein  Hern 


Digitized  by  Google 


—   221  — 


für  die  Gemeinde,  für  den  Clinton,  fürs  Vaterland  bekommt,  ja.  die  ganze  Erde 
ttich  Tur  ilir  zu  einem  großen  Vaterland,  die  Meuuchlieit  zu  ciucr  großen  Familie 
gestaltet  und  ihr  Herz  auch  für  die  Nachkommen  sich  erweitert  und  aufthut;  — 

warn  dnmal  der  Qenuig  «of  eine  to  dnüMlie  vad  kunstloie  Weiie  gekiirt 
wild  (wie  es  wol  möglicfa  iit),  dan  sich  alles,  alles,  wo  man  einander  trifft,  mit 
Lrrzerhebcndcn  Gosiiutrcn  erfreut,  zur  Pflichterfüllung  begeistert,  Gott  und  seine 
Welt  besingt ,  -  daäs  jedes  Dorf,  der  ganse  Canton,  ja,  das  ganze  Vaterland  stt 
einer  großen  üesanghalie  wird;  — 

wenn  der  Lnndbay,  dieser  grole  MemeheabiUiuigsnrdg,  in  seiner  Würde 
anf^e&set  ist,  Ton  den  Sdiulen  ans  gefordert  «tad  eiboben  wird; 

und  wenn  alle  Lehrer  cinutal  dahin  gekommen  sind,  dass  sie  auch  ihre 
eigenen  Schwachhoiton  und  Mangel  erkennen  und  zuj^Ioitli  einen  j^Tußcn  Vortb«>il 
darin  erblicken,  dass  sie  durch  den  Unterricht,  den  t-u  ihn  n  Kiudi  i  ii  ben,  selbst 
viel  gewinnen,  sich  veredeln,  tugendhafter  werden  müääcu  und  bie  du:>  neben  dem 
Salarinm  andi  in  Auddag  sn  bringen  im  Stande  sind;  — 

wenn,  sage  ieh,  nUe  unsere  Sdwlen  einmal  so  lehren,  so  enieiien,  so,  nnf 
diese  Weise  bilden,  wenn  alle  I>chrer  Apostel  und  ihre  Schulen  Jüngerschaften  ge- 
worden sind  —  dann  wird's  besser! 

Herr,  die  £mto  ist  groß,  sende  Arbeiter  in  dieselbe! 

4. 

Wie  Wehrli  den  Erzieher-  und  Lehrerbemf  anffasste,  darüber 
gibt  feiBer  uns  erqnicUichen  AnficbluBS: 

Ein  väterliches  Wort. 

Unt^r  dieser  Aufschrift  hat  Wehrli  zu  Weihnachten  1840  als 
Neujahi'sgi'uß  an  seine  bereits  in  mehreren  Cantonen  zerstreuten  Zög- 
linge eine  Reihe  Fragen  zur  Selbstprüfung  gestellt  und  damit  zugleich 
einen  neuen  Beweis  gegeben,  wie  sehr  ihm  ihre  Berufs-  und  Ijehrer- 
treue  am  Herzen  liege.  Sein  väterliches  W'urt  ist  der  Erguss  eines 
wirklich  väterlichen  Gemüths,  hat  aber  einen  so  allgemein  gültigen 
Inhalt,  dass  es  als  feststehende  Beichttafel  für  jeden  liehrer  und  Er- 
zieher, ja  selbst  für  jeden  Bürger  und  Christen  angesehen  werden 
kann.  Diese  Sorge  für  die  ausgetretenen,  bereits  in  Schulen  angestell- 
ten Zöglinge,  die  Dankbarkeit,  mit  welcher  von  denselben  die  Mah- 
nungen des  väterlichen  Lehrere  aufgenommen  wurden,  verbunden  mit 
dem  Vertrauen,  das  die  entwachsenen  Zöglinge,  wenn  sie  des  Rathes 
bedurften,  zu  ihrem  wolmeinenden  älteren  Freunde  geleitete,  rechtfer- 
tigen die  Aufnahme  des  väterlichen  Wortes  an  dieser  Stelle.  Es  ge- 
hört ja  wesentlich  zur  Schilderung  des  Wehrli  "sehen  Seminargeistes. 

„lieine  heben  Freunde!  Wie  gern  müchtc  ich  beute  beim  Antritt  des  neuen 
Jahres  Badi,  meine  Lehrerzügliuge,  die  nun  im  Amte  stehen  und  tu  wiriten  be- 
ginnen, alle  wn  mich  yersammeln  und  einen  ernsten,  feiedichen  Tsg  mit  Such 
Terieboil  Wie  sehr  wünschte  ich,  Euch  allen  sammt  und  Mmders  mein  Ben  aua- 


Digitized  by  Google 


—   222  - 


SulctTon  iMul  lM>«ondo^:^  bei  doni  Kuf,  den  die  uef^enwiirtigo  Zeit  an  uns  thut,  Eiirh 
auf  Kuere  Stellung,  aut'  Euere  Pflicht  und  Ptliditerfülluag  wieder  aufmerksam 
machen  zu  können. 

Da  nun  aber  die  Hindcmisäc,  Euch  alle  iu  dieiicm  Augeublicke  zu  einer 
solchen  yenunmliiiig  hier  so  Tereiaigeii,  n  viele  sliid,  eo  'winde  ich  mich  nun 

brieflich  an  jeden  besonders  and  hiennit  auch  an  Dich,  mein  lieber  Theo|ihill  (so 
will  ich  Dich  nun  in  diesem  Schreiben  anreden). 

Von  Deiner  guten  riesinnunir,  von  Deinem  fjuten  Willen,  mit  dem  Du  da« 
Seminar  verlassen  ha>t.  vou  dtiu  Kiitsriilusse  vor  (Jott  und  dem  Vatorlaude.  E)ein 
Leben  nur  der  McnAclitubilduug  zu  weihen,  wirst  Du,  wie  ich  aunehmen  darf, 
nichts  weniger  ab  nirflckgekommen  sein.  Diese  edeln  YorsKtie  kSnnen,  des  Qlanbens 
lebe  ich,  nicht  erloschen  sein.  Aber  eines  roOchte  ich  fragen,  mein  lieber  jonger 
Kann.  Stehen  sie  wirklich  noch  so  \nn\s^,  so  warm,  so  rein,  so  christlich  erhaben 
in  Deiner  Seele,  wie  damals,  als  iMi  das  Seminar  verließest,  wo  Du  Dir  die  Welt 
viel  reiner  vorstelltest,  als  sie  wiiklirli  ij>t,  und  Du  noch  nicht  halb  so  viele 
Schwierigkeiten  ahntest,  wie  Du  sie  nun  in  der  Wirklichkeit  findest?  —  Haben 
Dein  jugendlidies  Alter,  Dein  Umgang  mit  Tersebiedenen  Heuchen,  Deine  hftuslicben 
und  andere  gesellschaftlichen  Verhiltnisse,  Lust  und  Last  verschiedener  Art,  Lob 
und  Tadel,  Deine  ökonomische  Laije  u.  a.  m.  erhebend  oder  iu<  d«  r(l nackend  auf  flieh 
« iuirewirkt?  Ha-st  Du  Deine  im  Seminar  bcjOfonnene  Lchrcrliildung  und  Lthrertiuh- 
tigkeit  im  Hinblicke  auf  das  Vorbild  des  göttlicheu  Lehrmeiätci»  Jesu  stets  fort- 
gesetzt, wie  es  Dein  Vorsats  war — oder  hast  Du  Tielldcht  Tergessen,  dass  die  Wahr» 
heit:  „Wer  nicht  TorwSrts  geht,  geht  rflckwirts*,  nirgendi  schneller  ihre  Anwen- 
dung findet  als  beim  Lehrer  —  und  zwar  mm  groScn  Nachtheil  seiner  selbst  und 
seiner  Sdiüler?  —  Ist  aber  lotztcrfs  —  wie  Noth  thut  es  nun,  sich  von  dem 
•Schlendrian  loszureißen  und  sich  zu  erheben,  oder  aber  abzutreten  von  einer  Stelle, 
WO  schon  die  blofle  Gleichgilltigkeit  unzuberechncnden  Schaden  stiften  kann.  Ein 
Oirtner,  wenn  er  es  an  einer  Pflanne  Tcrsidit,  schadet  dodi  gewMinlidi  nur  der 
behanddten  Pflanze.  Der  Scbnlgärtner  aber  setzt  nicht  blos  ein  Individaum  anfii 
Spiel,  sondern  schadet  der  ganien  Schnle,  und  dieser  Schaden  erstreckt  sich  oft  anf 
mehrere  (ienerationen. 

.la,  lass  uns,  mein  liel)er  Fnuud.  unsere  Lehreraultrabe  durchaus  nicht  lau 
auila^u!  Lass  uns  beständig  über  uns  waeheu,  dass  wir  uuä  auf  keinerlei  ^^'eisc 
so  schwer  an  der  uns  anvertrauten  Jugend  TersOndigen!  Lass  uns  wadien  und 
beten,  dass  wir  hierin  auf  keinerlei  Weise  in  Yersnchung  fidlenl  Ein  fbrtgesetster 

Kampf  gcßren  alle  Gleichgültigkeit,  gegen  alles  Gemeinwerden  —  ein  beständiges 

■Ringen  uaih  Vollkommenheit,  nm  h  dem  Lehrermuster  Jesu,  führt  allein  dahin, 
dass  Gott  mir  seinem  Segen  uns  beisteht,  dass  wir  die  .lugend  wahrhaft  bilden  und 
veredeln,  um  ndlich  viel  Gutes  stiften  und  so  uns  des  Lehrerberufes  freuen  können. 

Ja,  kämpfen,  ringen  wollen  und  müssen  wir  beständig.  Ihr  seid,  Freunde, 
mit  uns  dessen  bewusst,  dass  jeder  ICeaseb  seine  schwache  Seite  hat  und  seine 

schwache  Stunde;  aber  eben  weil  wir  dieses  wissen,  eben  weil  wir  mit  Pilus 
fühlen,  dass  beim  besten  Willen  das  Fleisch  oft  s.  br  s(  h\va(  h  ist,  ^-o  lasst  uns,  wie 
f  r.  mit  aller  Ansf renrruiig  und  Hcharrlichkeit  den  i,'iit>  n  Kanipf  käniplen.  Diesen 
Kampf  zu  bestehen,  haben  wir  unter  anderem  eiu  vorziigluhes  Mittel  darin,  dass  wir 
auf  unseier  Lebensbahn  anweiliea  stille  stehen  und  einen  prttfenden  lOkk  ttber 
unser  Thun  und  Lassen  in  die  Vergangenheit  werfen.  Dieses  Mittel  wollen  wir 


Digitized  by  Google 


—   223  — 

nun  auch  hi-autzen,  und  beute  beim  Biagang  inin  neuen  Jahre  eine  BoU^  «Mte^ 
Btxenge  Selbstprüfung  vornebracn. 

Frage  sich  jeder  selbst: 
A.  Wie  stehe  ich  als  Lehrer  and  Ersieher  aater  den  mir  aoTei- 
trautea  Sehnlkiadera? 

1.  Bin  ich  auch  ein  wahrhaft  väterlicher  und  crziehendor  Lohrer? 

2.  Betrachte  ich  auch  jeden  Schüler  als  von  (loU  mir  anvertraut? 

3.  Bedenke  ich,  dass  jeder  ischUler,  der  ärmälc  wie  der  reichste,  das  Eben- 
bild Gottes  in  sidi  trägt;  daas  der  gOttlidie  Keim  in  Aua  Toa  mir  an  einer  fhicht- 
trageaden  Pilanxe  entwickelt  werdoi  soll? 

4.  Bedenke  ich  st«  t;^.  dass  ich  nun  ElteiMteMe  Tertietea  and  das  Kiad  nicht 
btos  einige  Kenntnisse  lehren,  sondern  erziehen  niuse? 

5.  Bin  ich  mir  bcwus-st,  das>  ich  nach  Jesu  Lehre  das  Kind  ins  R^icii  (iottes 
lührcu  soll  -  und  dass  ich  es  luebr  durch  meiu  eigen  Beispiel  thue,  al»  durch  das 
Wort  —  aad  dass  flberhaupt  der  Lehrer  mehr  leistet  durch  das,  was  er 
ist,  als  durch  das,  was  er  sagt? 

G.  Wo  zum  Torbilde  die  Belehrung  tritt,  gebe  ich  sie  eniat,  lienlich,  eiadriog- 
lieh  ^  doch  nicht  in  wortreichem  Geschwätz? 

7.  Weiß  ich,  dass  die  vielen  Straten,  die  manche  Lehrer  geben,  den  Beweis 
leisten,  dass  der  Lehrer  seiner  Aufgabe  aicht  gewaehsea,  da«  er  eben  kein  Br- 
lieher  sei?  dass  er  die  Kinder  nicht  aUe  aweckm&fiig  besdiltftige,  kun,  dass  es 
ihm  entwf  ilr  r  im  Kopf  oder  im  Herzen,  und  an  der  rechten  Erzichungsknnst  fehle? 

8.  Weiß  ich  wol ,  dass  das  Verhüten  des  St rafwii rd  i  jren  weit  edler 
ist,  als  das  Bestrafen  desselben?  —  und  dass,  wer  dem  Lubter  den  Ein^anj; 
in  das  schuldlose  Herz  wehrt,  auch  der  Mühe  überhoben  ist,  C6  aus  demselben  durch 
gewaltsame  Mittel  au  vertreiben? 

9.  Sind  im  vergangenen  Jahre  meine  Stiller  durdi  die  Wachsamkeit  auf 
ihre  Hcr/cn,  durch  mein  Beispiel  und  meine  Lehre  wahrhaft  frömmer  und  gottes- 
füichtiger  gewonien,  oder  vielleicht  nur  weniger  roh  und  äußerlich  unständiger? 

10.  Halte  ich  mit  allem  Ernste  darauf,  dass  meine  Schiller  fleiilig  die  iurchc 
besuchen  —  still  und  sittsam  darin  seien  —  auftneiksam  aahSzen  —  Uftos  Bedien- 
sehaft  Tom  GdiOrtea  geben  ~  an  allen  TheOen  der  Oottesrerehmng,  besonders  auch 
am  Gesänge  Antheil  nehmen? 

11.  Geben  die  Eltern  meiner  S<'hülcr  mir  das  Zeugnis,  <la<s  ilire  Kinder  nicht 
nur  Kenntnisse,  sondern  auch  Liebe  uud  Gehorsiun  zu  ihren  Kltern,  Liebe  zur 
Arbeit  und  Liebe  nur  Keinlicbkeit  uud  Ordnung  aus  der  ächule  nach  Hause  bringen? 

18.  ^te.ieh  strenge  darauf ,  dass  aaeh  das  luBere  meiner  Schule 
einen  bildenden  Einfluss  auf  die  Kinder  aasftbe?  Halte  ich  darauf,  dass 
r>ehrgeräthe,  Tische,  Bänke,  Wände,  Boden  u.  s.  w.  stets  rein  erhalten  werden,  und 
wenn  etwas  beschmutzt  worden  ist.  es  auf  der  Stelle,  wo  immer  möglich,  von  dem 
Verunreiniger  selbst  gereinigt  werde? 

18.  GewOhne  idi  sie,  Jedetaeit  an  Hftnden  und  Gesicht  gewaschen  und  mit 
reinlichen  Kleidern  an  erseheitten? 

14.  Bilde  ich  den  Schönheitssinn  auch  dadurch  aus,  dass  ich  alles,  was  im 
Zimmer  an  Geräthen  und  Lehrmitteln  aufzuhäncrcn  oder  aufzustellen  ist,  symmetrisch 
und  gefällig  vor  ihre  Augen  hinbringe,  dass  die  Kinder  auch  selbst  ihre  eigenen 
Bflcher  und  Lehrmittel  in  ihre  Fächer  wol  zusammenorduen? 

16.  Aehte  ich  darauf,  dass  meine  Schiller  beim  Kommen  und  Weggehen 


Digitized  by  Google 


—   224  — 

Lehrer  und  SchulgonosK  H  zu  Rrüßcn  sich  gewöhnt-n,  —  da«B  sie  ain  li  ;iußer  der 
Schule  die  Kegeln  des  Austandes  gegen  ilire  JüitiuenschcD,  welches  Alti  und  Stan- 
de» sie  sein  mögen,  beobachten  und  die  schöne  Sitte  der  Begrüßung  und  dcü  Dankes 
flieh  wol  aneigBenf 

16.  Ist  in  meiner  Schule  gehörige  Buhe  und  Stille?  Sind  die  Kinder  ueh 
Andeutung  des  Lectionsplancs  gut  classificirt?  Sind  alle  Classcn,  mit  Ausnahme  der« 
jenigen,  die  ich  gende  laut  untenicbte,  mit  xweckmäSigen  stillen  Übungen  be- 
schäftigt? 

17.  Lese  kfti  den  gegebenen  Ijeeti(Mis]»lan  Ofteiif  idi  ihm  Mutafcon^ 
nen?  eetie  ieh  mir  lieber  ein  hohee,  als  cinniederes  Ziel? 

18.  Gehe  nnd  lehe  ich  «Uurend  des  Unterrichtes  flbenll  allem  und  jedem 

fleißig  nach? 

19.  Helfe  und  eruiiithiü:e  itli,  wo  ich  kann?  Bin  ich  immer  eines  heiteren 
EruBtes?  Bchaltu  ich  den  ochunen,  wichtigen  GIcichmuth?  UUtc  ich  mich  vor 
somigem  Wesen?  Habe  ich  nieht  etwa  Abneigung  gegen  die  einai  und  Voariiehe  Ar 
andere? 

20.  Weiß  ich  auch,  wie  leicht  sich  vcrliur^ane,  heimliche  SBnden  in  Familiein 
und  Schulen  eiiis(lilei( hon  uikI  wie  ein  nagender  Wunu  Leben,  (Jof^undheit ,  Heiter- 
keit und  Denkkriitt  zerbtüren?    Wie.  dict-cs  ?i(  hlcichcndc  Übel  zu  entdecken  ist,  und 

was  ein  Lehrer  zur  Heilung?  desselben  thuii  kann? 

2L  BeuiUhe  ich  mich  im  Unterricht  der  cinzelueu  ^»chultacher,  den  SchiUem 
immer  klarer,  gründlicher  und  fiMsiicher  sn  werden?  Ist  mein  Unterricht  ein 
entwickelnder,  organischer,  oder  sielt  er  mehr  auf  geistige  Dresstr? 

Lasse  ich  auch  der  Erklftrung  und  Eutwickclung  wo  möglich  unmittel- 
bar darauf  mündliche  oder  (schriftliche  DurchUbung  folgen? 

22.  Weiß  ich  im  Unterricht  der  biblischen  (icK-hichte  die  Kinderherzen  lur 
Liebe  zu  Gott,  Jesu  und  ihren  Mitmenficheu  zu  erwärmen  und  zu  gewinnen?  £r- 
stthle  ich  ihnen  ans  der  ffibel  jederzeit  das  Passende  klar,  kun  und  innig,  frage 
ich  sie  darüber  ab  nnd  lasse  sie  wieder  enlhlea?  Verwische  ich  heim  Lesen  ein- 
zelner Capitel  nicht  den  wolthätigen  Eindruck  durdi  eine  trockene  oder  lange 
Katcchisation  oder  durch  den  Versuch  zu  jiredif^eu.  wa*  meines  Amtes  nicht  ist? 
VerHäume  ich  nicht.  Kern-  nnd  Kratt.-^iirUt  hu  der  heiligen  Sciiril't  und  religiöse  Lieder, 
wie  die  von  (.Tclkrt,  auswendig  lernen  zu  lassen? 

23.  Bin  ieh  der  Spruche  üo  mächtig,  da^s  ich  die  Sprache  der  Kinder 
sprechen,  das  heiAt,  ans  meinem  Sprachsohatie  immer  die  der  Fassungskralt  der 
Kinder  Teratllndlichsten  Ausdrucke  xu  wiUen  im  Stande  bin,  und  bin  ich  darin  so 

weit  gekommen,  dass  ich  nun  weiß,  wie  hei  einem  sehr  einfachen,  aller  grammati- 
kiUischen  Künsteleien  entbehrenden  Sprachunterrichte  die  Kinder  denken  und  reden 
und  Gedanken  schreiheu  lernen  können?  Verstehe  ich  diese  Kunst?  Bringe  ich  sie 
wiAIich  daliin,  dass  sie  geordnet  denken,  geordnet  richtig  sprechen,  Brielb  nnd 
andere  LebensauiMtse  sehreiben,  richtig,  schOn  nnd  gerne  lesen  und  das  Gelesene 
verstehen? 

24.  Lernen  die  Kinder  mit  klarem  Vcrj^tand  im  Kopf  und  mit  <i<'r  Ziffer 
rechnen,  Rechnungsault^ulien  geurdnet.  lescrlii  h  und  in  Kürze  darstellen  und  lösen? 
Lernen  sie  vorzüglich  auch  ein  Okunumihches  liaus-  und  GUterrcchenbuch  führen, 
wenigstens  beror  sie  Quadrat-  und  Kuhikwnmela  ansaiehen  lernen? 

85.  Auler  der  Zahl  ist  auch  der  Baum  ein  sehr  bildendes  Element.  WelB 


Digitized  by  Google 


—   225  — 


ich  dasselbe  zu  tichiuicn  Br^riffshcBtiminunpcu,  zur  Bildung  uud  Schftrfunc  des 
Veratandes,  des  so  wichtigen  Augenmaßen,  zur  Vorbereitung  im  Schünschreibcu  und 
ZdekUB,  vie  Moh  inTBildviig  dwSdiSiikeitMiiiBM  in  benntieik?  —  WeiB  ich,  was 
ieh  d«rmiB  dem  Knaben,  dem  werdenden  Hanne,  und  was  ieh  dem  Ittdchen, 
der  kllafkigen  Hanaftav,  an  geben  babe? 

26.  Verstehe  ich  im  nat  urkundlichen  Unterrichte  die  Natnrgegcnständc  lUa 
nn  rorzüglirhcH  Mittel  zu  £;*  Krauchen,  den  Beobachtangsgeiat  zu  sohftrfen,  umsich- 
tiger und  vor8i(  liti^:i  r  zu  niachcuy 

Weiß  ich  die  Lehre  von  den  Mineralien,  Tflanzcu  und  Thicreu  so  zu  behan- 
deln, dass  dadurch  das  Interesse  zur  Hchung  und  Förderung  der  Landwirtschaft  und 
des  GewerbsfleiSes  eiMht  wiidf 

Werden  die  Kinder  bei  der  Naturgeschichte  des  Menschen  zu  höherer  Selbst- 
achtung und  zu  größerer  Sorgfalt  für  ihren  Leib  gelangen,  durch  die  Art,  wie  ich 
^*ie  mit  den  leiblichen  und  ijL-istigeu  Kriiftcii  Vtekaunt  niacbe?  Gehe  ich  auch  bei 
natuilehrlichem  ^phybikulihihem;  Unterrichte  von  der  lebendigen  Anschauung  der 
Natnienolieinnngen  ans?  Halte  icb  die  fidittlei  an  anr  Betrachtung  mit  eigenen 
Angen,  statt  blos  mit  Bfldieraagen?  Veiaalssse  ich  sie  an  Beobaditnngen  d«r 
Lidit-,  Wärme-,  Luft-  und  Wassererscheinungen ,  die  sich  ihnen  tSglich  vor  die 
Augen  stellen?  zu  Bcidiachtungeu  im  Innern  dos  Hiuisos,  im  Wuhuziinmor,  in  Küche 
nnd  Keller,  wie  aiitltrhalli  dt>>clhen  in  Feld  uud  Wald,  in  Thälern  uud  auf  Hohen? 
Bin  ich  im  Stande,  beide,  deu  ualurgeschlchtliehen  uud  uaturlehrlichen  Theil,  so  zu 
bdianddn,  dass  das  Oemttth  bei  Natnrbetrachtnngen  ergriffen  «nd  eihobmi,  die 
GiQBe  und  Liebe  Gottes  immer  mehr  eduumt,  sein  Wille  mit  Anbetung  und  Ver- 
trauen TenKmitteik  nnd  sein  Name  nie  andos  als  mit  hoher  Ehrfurcht  genannt  wird? 

27.  Weiß  ich  durch  die  vaterländische  Geographie  und  Geschichte  die 
Kinder  an  den  heimatlichen  Boden  zu  fesseln,  dass  sie  das  Land,  da»  ihnen  Gott 
gegeben  hat,  lieben  und  achten  lernen  und  das  Streben  in  ihnen  geweckt  werde, 
durch  Fleiß,  Arbeitsamkeit,  wechsebeitige  Theilnahme  und  in  der  Noth  durch 
willige  Beihilfe  und  Vertheidigung  desselben  sich  wert  an  maehen?  Weit  ich 
diese  beiden  Bildungsmittel  so  zu  behaudeln,  dasä  sich  auf  diesem  Bildungswege  in 
Zukunft  mehr  Einigkeit,  mehr  Liebe,  mehr  Thatkraft,  statt  blo6er  Schönrednerei 
vom  Vaterland  erwarten  lässt? 

28.  Und  du,  Gesaug,  schöne,  herrliche  Gabe  von  oben  und  so  sehr  geeignet, 
in  daa  Oemttth  des  Hensohen  Liebe,  Saaflmuth,  Frende,  Friede  nnd  Bnhe  au 
bringen  nnd  dasselbe  dadurch  himmelan  an  erheben!  —  pflege  ieh  dich  in  meiner 
Schule,  wie  du  es  verdienst?  Singen  meine  SehiUer  mit  Gefühl,  verstehen  sie  d-  u 
(Jedanken  des  Gesangtextes,  ist  ihr  Gesang  nicht  blos  sinn-  und  herzloser  SihaU? 
Ist  unser  Gesang  ein  anmuthiger,  ein  reiner,  ein  banlter  uud  doch  erhebender  Ge- 
sang? Lasse  ich  zuerst  den  Text  mit  Emst  und  Wttzde  lesen,  den  Sinn  klar  auf- 
Ihssen  und  erst  dann  auf  den  Schwingen  der  Tonkunst  onporschweben?  Befördere 
ich  besonders  den  CSioral-  nnd  Kirchengesangf  Weiß  ieh  audi  die  ältere  Jugend 
in  der  Gesangliche  zu  erhalten  —  durch  Gesang  auf  ihre  Fortbildung  zu  wirken? 
Stehe  ich  eineui  ( Jcsangvereiue  vor  —  und  uiit  weleher  Würde?  Schmälere  ich 
nicht  das  GcmUthbildende  des  Gesanges  durch  Lieder  von  trivialem  Charakter? 
Halte  ieh  snf  eine  Auswahl,  die  daa  Heis  bessert,  die  Menschenwürde  ehrt  —  au 
Gott  fllhrt? 

29.  Beobachte  ich  aoeh  bei  diesem  Unterrichtsfache  einen  dementarisehen 
Paditoflui.  14.  lahif.  Haft  IV.  1'^ 


Digitized  by  Google 


—   226  — 


GaogV  (iehe  ich  vom  Loichtcrcn  zum  Sdiwcrprcn  nach  po^cbcuct  a  til<  ituiiif?  Bring« 
ich  es  dahin,  dass  leichte  (iesäiijri'  vom  i'latt  wepf  i-ingcn  gelernt  werdony 
*      30.   In  welchem  Fache  ich  auch  uutornchte,  vergesse  ich  nie  die  Kegeln: 

a)  Nie  so  riel  anf  einmal! 

b)  Alles,  was  ich  lehre,  sei  wahr  nnd  klar,  und  alles,  vas  die 
Srhnier  zu  machen  haben,  sollen  sie  echt  und  recht  machen! 

c)  Nicht  blos  der  Lehrer,  sondern  auch  ilic  Schüler  sollen 
sprechen,  tiolleu  2um  Fragen  und  xum  Aut  wurten  (Iber  den 
Lehrgegenstand  angehalten  werden,  ein  Hauptuüttcl,  bie  nicht 
in  Qeistestrigheit  veisinken  an  lassen. 

d)  Die  Schal«  r  >nllen  Bechensehaft  Aber  das  Gelernte  und  Ein- 

fifeÜ  1>  t  (•  trrbc  II   k    II  II  fll. 

ci  Wied e  rhül u  US?  ist  die  Seele  des  U  n  1 1- r r i  c h  t  s. 
Hl.    Bin  ich  in  der  Schule  immer  der  erste  und  der  letzte?    Fange  ich 
dieselbe  jedesmal  mit  Gebet  oder  Gesang  an  und  endige  ne  wieder  mit  einer 
solchen  Weihe? 

B.   Wie  steht'«  um  mich  in  »jcinem  engern  häuslichen  Lebenskreise? 

1.  Wohnt  bei  mir  in  einem  gebunden  Leibe  eine  gesunde  Seele? 

2.  Habe  ich  Sinn  fttr  das  hiusiiehe  Leben?  Wei0  ich  die  Freude  desselben 
SU  TenDchren?  Weit  ich,  wie  scheinbare  Kleinigkeiten  oft  den  Anfang  sum  groBen 
häuslichen]  Glflck,  aber  ancb  ebenso  leicht  snm  gro6en  hftusliehen  Elend  werden 
können? 

M.  Bin  icli  der  Sobn  iioi  li  Icln  ndcr  Kllim.  i  lire  ich  sie  ii.irb  di  ui  vierten 
Gebot  mit  Wort  uud  That  r  Erleichtere  ich  ihueu  ihr  Alter i'  Verdient'  ich,  ihr 
St<ris  —  ihre  Frende  —  ihres  Alters  Stfltze  und  Stab  zu  heiBen?  Welches  Beispiel 
gebe  ich  hierin  meinen  Sohttlem? 

4.  Bin  ich  ein  treuer,  wolwollcndi  r  Unider  meiner  Geschwister?  Kiinnte 
ich  mich  tTir  sie  /ii  >clnvoren  opfern  vcr^^telieii':*  Was  für  ein  rHispiel  a:ebc  ich  hier? 

5.  Und  will  iclt  mich  in  eheliehe  Verbindung  begeben  -     kenne  ich  die 
Wichtigkeit  dieses  Schrittes,  sowol  in  Ökonomischer  als  physischer  nnd  moralischer 
Besichong?  Ist  dieser  Schritt  nicht  su  frtthe  fttr  meine  Jahre?  Passt  das  weib- 
liche Wesen,  welche!*  ich  mir  zur  (Jattin  Wttnsehc,  zu  meinem  Cbaraktor  als  Mensch, 
zu  mrinoiii  Beruf  als  .Tinri  ndlclin  r  niul  zu  meinen  ökonomischen  Verhiilfnisscn? 
Las>e  ich  mich  bei  im  iner  Walil  nii  lif   dnreli  Idinde  Lcidcnscliaft   und   die  Außen- 
seite verführen?    Wehe  mir,  weuu  iih  dieses  thue;  denn  mein  ganzes  Lebeubgliick 
steht  hier  auf  der  Wage!  Bin  ich  Gatte  und  Vater  —  fühlt  sich  meine  Leben»* 
gefiUiTtin  durch  mich  gMcklich?  Bin  idi  ihr,  was  ich  als  Haan  nnd  Gatte  sein\ 
^'o^?   Betrairc  ich  midi  in  meinem  Berufe  und  in  meinem  Hause  so,  dnss  ich  ihre  \ 
A<'htiin2:  nnd  Liebe  verdiene?        T.iii   ich  Vater        jrebr  ich  in  der  Erziehung:  ". 
meiner  eigenen  Kinder  meiner  (Gemeinde  ein  gutes  Beispiel?  Kiisiebe  ich  sie  in  der 
Ehrftirrht  Gottes  sum  Gehorsam  —  zum  FleiB  —  snr  Beadieidenheit  —  snr  Ach- 
tung und  Liebe  der  Hitmenschen  —  zu  jeglicher  Tugend?  Ersiehe  ich  sie  lur 
Einfac  hheit  in  Nahrung  und  Kleidung,  zur  Ordiiuui;,  lU  iuliclikeit  und  ( ii^ener  Selbet- 
thätisrkeit?    Sorge  irli  für  die  n<>thiu:e  Verstande.-bilduug,  ohne  die  des  Her/en«  zu  * 
vernacblässigeu?    Verweidilii  bi-  ich  sie  nicht?    Stiirkc  icb  ihren  Kiir]ier  durcli  !!<•- 
weguug,  durch  Handarbeit  mit  dem  gehörigen  Wechsel  von  Huhe?    Hüte  ich 
mich  Tor  jeder  Treibbfluserei?  und  httto  ich  mich,  durch  einen  Haufen  « 


Digitized  by  Google 


—  227  — 


von  Spi  r  Isiicheu  die  Klciaea  frUhe  sclioo  launisc  Ii  uad  lernglcichgültig: 

zu  maclieu' 

6.  Im  UUMlielieD  Kxeue  oder  wo  ich  mich  befinde»  nmg  —  strebe  ich 
muner  dwnueli,  neiimi  Beden  nnd  nidiieni  Thun  stets  eine  hMiere,  bildende 

Bichtnng  zu  geben?  Suche  ich  immer  mehr  Licht  zu  er\verben  und  es  dann  zum 
Besten  meiner  T^mgebnnn:  leuchten  zu  lassen  nach  dem  Ausspruch  Jesu,  Matth.  5, 
Vcre  16?  Vermehre  ich,  wo  ich  kann,  meine  religiöse  Gesinnung  —  Friede  im 
Hanse  —  Friede  in  Gott? 

7.  Fi6hne  ieh  ktiaea  Leidensehnften,  die  mieh  Tim  meinem  Benfe  nbriehen? 
Ist  mein  Herz  rein  Toa  tobenden  Begierden  —  quilenden  Wttnsdien  —  giimliebec 
Unsafricdcnheit? 

8.  Fällt  der  Vorwurf  der  Spiclsucht.  der  jeder  Lehrer  wie  einem  bataa  ent- 
gegen zu  arbeiten  verptlirlitet  i.st.  ni<ht  etwa  sclb.st  auf  mirhy 

9.  Verschwende  ich  nicht  öfter  Zeit  in  politiöcher  Kunuengießerti  oder 
nntenUltM  ieh  gar  politisehe  Leidensehaftoi,  statt  vielm^  data  l>eiitttragen,  sie 
so  beaehwichtigen?  .Bin  ich  nach  dem  Evangel.  Matth.  6,  Yen 6  und  6  ein  Sanft« 

mflthijsrer  und  ein  Friedensstifter? 

10.  I'ic  Hand  aufs  Hcr/I  Kanu  ich  nun  nnfrichtisr  sasren,  dass  ich  ein 
gater  Lehrer  :^ci?  Daas  ich  noch  besser  zu  werden  mich  bcmllhe?  Dass  alle 
raeine  Thätigiceit  inr  Omndlage  das  hohe  Ziel  habe  —  snr  Tugend  nnd  zu  Gott 
führen?! 

C.  Wie  steht's  um  mich  im  Yerhftltnis  aar  Gemeinde? 

1.  Liegt  mir  der  moralisciie  und  Skonmnisdie  Znstmd  dendbea  tatf  am 
Henen? 

•2  Trage  ich,  wo  ich  Gelegenheit  habe,  durch  Bath  nnd  That,  ohne  ab- 
stoßende Aufdringlichkeit,  zur  Verbessern ner  und  Verschönerung  der  Gemeinde  bei? 

3.  Biete  ich  gerne,  auch  da.  wo  es  größere  An!<treugung  erfordert,  zu  (ge- 
meinnützigen Anstalten  das  Meinige  hei?  Bin  ich  da  eher  der  erste  als  der  let/.ie? 

4.  Gelingt*B  mir,  an  einem  einlieitlidien,  fHedliehen  Btbgerleben  mein 
Seherflein  beiautragen  und  verderbliche  Zank-  und  TrOlsucht  ferne  au  halten? 

5.  Ist  nieiu  Haus,  so  einfach  es  sonst  sein  maß;,  doch  in  Hinsicht  der  Ord- 
iiniii,',  der  lieinlichkeit,  zwcckniiiliiser  Kinrichtung.  nicht  da.s  letzte  in  der  (tcmcinde? 
i^igt  dad  In  und  das  Um  der  Wubauug,  dass  ich  Lehrer  und  Erzieher  der  Gemeinde 
«ei?  Wie  aind  Stege  nnd  Wege  zu  derselben  beschafliBn?  Wie  baue  ieh  meinen 
Oarten?  Wie  bestelle  ieh  mein  Pflaazland?  Welches  Beispiel  stelle  ich  hierin  unter 
meinen  Mitbürgern  auf? 

n.  Bestrebe  ich  mich,  mein  Mut^lirhste.>^  zur  Belebung,  Würdigung  und 
Hebung  des  landwirtschaftlichen  Berufes  zu  thun?  Bemdhe  ich  mich  in  Beispiel. 
Wort  und  That  eher  der  erste  ah»  der  letzte  zu  sein?  Arbeite  ich  au  Errichtung 
gemeinntttaiger  Binrichtungen,  wie  a.  B.  an  Gemeindebaokofen,  an  Gemeindewaseh- 
li&nseni,  BewahzschttloD,  Arbeitsschulen  für  MIdehen,  LOsdianstalten «  Vermdming 
4er  Armen-  und  Schulfonds  etc.? 

7.  Ist  die  Erhaltline  <kr  >itu  und  Zucht,  die  Fortbildunü-  in  weiteren 
Kcantnissen  bei  der  älteren,  größeren  Gemeindejugend  auch  ein  Gegeustuud,  der 
midi  besohlftigt»  nnd  was  leiste  ich  darin? 

8.  Bin  idi  ein  Freund  von  ununterbrochener  Thfltigkeit?  Beseelt  und  be- 
lebt mich  bei  den  kleinsten  Verrichtungen,  s.  B.  BttumqdlanMn,  Gcmftsebanen, 

17* 

Digitized  by  CjOOgle 


—   228  — 


^^tcgc  uuil  Wigc  anUgiu  und  veib€6sc>ni,  Gcüämc  auticticucu,  Anstaltes  giUndeil 
u.  deTgl.  ein  höhercb  ticfUhly 

9.  Und  Venn  mir  Wideiqiradi  begegnet  —  bin  ich  im  Stande,  soldien  n 
erwSgen,  zu  Vorsicht  und  Kräftigung  ZU  bennteen,  eder  reist  er  mich  gar  zur 
Heftigkeit  oder  Entniutbigunjf? 

10.  Kann  ich  wirklich  Widci>{nii(  Ii  »  rtrageu/  Kann  idi  -i  ll  st  «l'  -^nera 
mein  Wohvoileu  erhalten  und  sie  vielleicht  um  Ende  durch  äaultiuuth  giAsaineu? 
Hube  ich  auch  selbst  die  Er&hruogswahrheit  bevihrt  geftmden?  —  Sauftmuth 
und  Liebe  beswingen  alle  Heraen  —  Wenn  ioh  nur  die  liebe,  die  mich 
lieben,  so  habe  ich  meinen  Lohn  dahin:  und  wenn  ich  dann  Muth  und  Kraft 
in  meinem  Amti-  liihlc.  wenn  man  meine  ThUtijfkcit  anerkennt,  mich  lobt  und 
rtihmt:  aber  vi  iilriiülii  h  und  inutiilos  werde,  sobald  etwa  auch  Tadel  auf  mich  fällt,  — 
dann  habe  ich  auch  iiieiueu  Lohn  dahin. 

11.  fiefleUige  ich  mich  auch  der  stcengsten  Unparteüiehkeit  gegen  jedei^ 
mann?  Widerstehe  ich  Vexsuchungen  dieser  Art,  wie  sie  oft  s.  B.  behn  Abeenien- 
venteichnis  eintreten,  aufs  kräftigste? 

12.  Gehe  ich  l\btibauiit  in  albn  I'Hichten  eines  guten,  dem  Gcsetzo  sich 
unterordnenden  und  Iriudlichcu  liürgerä  der  Gemeinde  und  besonder»  nieinea 
SchulkittdoB  mit  dnem  guten  Beispide  ronnf 

13.  Liegt  etwa  einer  meiner  Schttler  oder  meiner  HitbOiger  auf  dem 
Krankenlager  —  besuche  ich  ihn,  wo  ich  immer  kann,  um  durch  Bath  und  Trost 
au  nützen,  dem  Arzte  an  die  Hand  zu  L;eben  und  (lutes  zn  thun? 

14.  Wird  mein  ijesell.'^cbaltlH  lu  r  Fmgang  von  allen  Verständigen  und 
Guten  gebilligt?  liüte  ich  mich,  GtbcUbcbaften  zu  besuchen,  die  der  Bürger  ab 
der  Ehre  des  Lehrentandes  naehtheiüg  ansieht?  i 

16.  Gelbe  ich  keinen  AnstoB,  kein  ligmis  durch  Hochmuth,  der  keinem 
Menschen  schlechter  ansteht  als  dem  Lehrer,  welcher  Torlcuchtend  als  christ- 
licher L<  brer  in  Demuth  und  in  dienender  Liebe  Jesu  seinem  Herrn 
naeliaümcn  soll? 

16.  Gebe  ich  keinen  Anstot  durch  irgend  eine  Modennacbäfiung  in  Kleidern, 
z.  B.  in  der  Kopfbedeckung?  Bin  ich  auch  kein  Sondeiling,  sondern  bestiebe  ich 
mich,  durdi  nichts  mich  au^^zuzeicbnen,  ah  durch  tflchtige  und  gewissenhafte  Ver< 
waltung  meines  Amtes  und  durch  Heschcidcnhcit? 

17.  Ein  Sprichwort  •^agt:  „Sage  mir.  niit  wem  du  umgehst,  dann 
will  ich  dir  sagen,  wer  du  bist."  Welche  verständigen  Btirger  gehören  zu 
meinen  Freunden?  Habe  ich  solche,  durch  die  ich  an  Charakter  und  an  Tugend 
gewinne?  Suche  ich  Toxstlglich  die  Freundschaft  und  den  Umgang  des  Qeistlichea,  der 
unstreitig  meine  eigene  Bildung  am  Tortheilhaftesten  fördern  kann?  Mache  ich  mich 
seiner  Freundschaft  durch  rnterstützung  in  «einem  .\mte,  diin  Ii  (johiirentleAchtungAvert  ? 

18.  Wcill  ich  mich  auch  bosondens  mit  den  mich  so  nahe  angehenden  Vor- 
bteheru  meiner  Schule  in  dasjenige  Verhältnis  zu  setzen,  aus  welchem  die  Schule 
Vortheil  sieben  muss?  Mache  ich  sie  in  der  Schule  bmitwillig  mit  dem  bekannt,  was 
sie  wissen  müssen?  Lasse  ich  es  nicht  an  der  gehörigen  Zuvorkommenheit  und 
Achtung  fehlen,  welche  ich  ihnen  «^  huldig  bin?  Schade  ich  meiner  Achtung  nicht 
durch  eine  lästige  Zudringlichkeit':' 

Iii.  \Wi6  ich  hingegen  Einladungen  von  wolwoUendcn  Hiirgeru  uud  Freun- 
den zu  wflrdigeu,  beschdden  ansuaehmen  und  sie  zu  wechselseitigen,  bdehrendea 
und  zu  mancher  berichtigenden  Unteriultung,  jedoch  mit  Vorsicht  zu  benutaen? 


Digitized  by  Google 


—  229  — 


20.  Vüd  Ifistt!  ich  schließlich  selbst  thatsilchlich  den  Beweis,  dass  iaFleifi 
und  Arbeitsamkeit  die  h^ti  hste  lulrßferliche  Tusfcnd  besteht? 

D.  jUttd  wie  stehe  ich  du  vor  moinom  allwigsonden  Gott,  dem  ewigen 

Zeujjen  nie  in  es  tiefsten  Innern? 

1.  Ist  er  mir  der  Geber  alles  Guten,  jeden  Tag  uieiu  eräte^  und  letztes? 
Fange  ieh  jedesnud  mit  Ihiii  und  in  Ihm  meüt  Tagowerk  an  und  ende  ich  es 
wieder  mit  Ihm? 

2.  Ist  Er  mein  liebster  und  bester  Freund?  Ist  mir  bei  Ihm  wol.  wenn  mir 
Ron-f  uirüfonds  wol  ist?  Wenn  mich  die  Welt  verkennt,  wenn  alles  mich  za  Tcr- 
lasücn  scheint,  finde  ich  in  Ihm  hinreichende  ßahe  und  Eisatz? 

S.  Wenn  ieh  die  Erde,  den  Himmel  betrachte,  wenn  ich  meinen  Blick  auf 
die  niieadlich  vielen  GeschSpfe  richte;  wenn  ich  meinen  wunderbar  gebauten 
Körper,  meine  Sinne,  moin  Bewinstsein  bedenke,  kann  idi  in  inniger  Liebe  und 
Vertrauen,  mit  ländlichem  Danke  ausrufen:  Vater!  in  Dir  leben,  wirken  und 
sind  wir!? 

4.  lät  mir  Lehrer  das  Zeugnis  luaiues  Gottes,  des  alleinigen  Herzenskun- 
digen, Uber  alle  Zeugnisse  der  Keuschen?  Sorge  ich  dalttr,  dess  Er  stets  ein  reines 
Herz  in  mir  erblicke?  Stelle  idi  mir  oft  das  Vorbild  Jesu  Tor,  wie  er  Tag  und 

Nacht  im  Dienste  seines  Vaters  arbeitete  und  nicht  Zeugnisse  nahm 
von  den  MenscluMi?    Job.  5.  iU. 

ö.  Bekenne  ich  auch  DtTcntlich,  wovon  ich  erfüllt  und  durchdrungen  bin? 
JaH  mir  der  Sonntag  ein  heiliger,  ein  willkommener  Tag?  Ist  mir  der  feniliohft 
Olockenscfalag  ein  hoher  Ruf  Ton  oben  und  gehe  idi  gern  xur  Versammlung  der 
^Ohristen?   Befördere  ich  die  öffentliche  Gottesverehrung? 

Und  nun,  mein  liebi^r  Taeophill  reiche  mir  die  Hand  uml  <■^<X'^  mir  ,  nach 
diesen  cyethanen'  Fragen,  nach  dieser  Selbstbeseh;uiiu]£r:  Inwieweit  bist  Du  nun 
•ein  guter  Lehrer?  ein  guter  Sahn?  ein  guter  Bürger  und  Vater? 

Nidit  wahr,  es  bleibt  noch  manehea  an  Terbcosern  flbrig  auf  das  kosunende 
Jahr?  Jawdil,  immer  noch  fehlen  wir  Lehrer  allesammt  TieL  Aber  arbeiten 
wollen  wir  auch  in  dem  neuen  Jahre,  damit  wir  wirklich  besser  werden. 

Wie's  oft  ist  auf  Erden, 

Also  soirs  nicht  sein: 

Lasst  uns  l)csser  werden, 
(lleich  wird's  besser  sein. 

(tottes  Gnade  und  Liebe  iu-lte  uns  und  stärke  uns  im  neuen  Jahre!  Die 
Liebe  Gottes  sei  mit  uns  und  vermelire  unsere  Liebe,  ohne  welche  wir  elende, 
lebendigtodte  Mmuchen  sind.  —  Die  Liebe  ist's,  die  uns  erwirmt  und  nu  sum 
besten  Lehrer,  sum  besten  Haasvater  antreibt,  sum  besten  Bürger ,  Christen  und 

Men^ben  macht.  Die  Liehe  hat  Freude  und  schafft  Freude.  Sie  bedarf  wenig 
und  gibt  viel.  Nur  durch  Liebe  wer.len  wir  Gott  ähnlieh!  Lasst  nn-;,  meine 
lieben  Freunde,  täglich  Gott  bitten,  dass  Er  unser  kaltes  Herz  erwärme  und  mit 
Liebe  erfülle! 

Quelle  der  Weislieif,        den  Weishftitsbndürftisrcu  Weisheit! 
Ewige  Wahrheit,  lehre  die  Wahrheitsuchenden  Wahrheit  I 
Nichts  gefiillt  Dir  so,  wie  Lust  an  Pflicht  und  Bernfttreue  — 
Ol  sie  Terlave  mich  nie,  die  Lust  und  die  heilige  Trene! 


Digitized  by  Gbogle  ' 


—  230  — 


Lehre  fröhlich  mich  thun.  was  Pflicht  und  Mcnschliihkoit  thun  heitft^ 

l^chre  luuthi;^  mich  tragcD,  im  Blicke  auf  Dich,  den  Berutes  Last! 

Quelle  der  Liebe,  gib  dein  Liebebedürftigen  Liebe! 

Lehre  mich  stets  melir  sein  ein  Beispiel  der  Ssaftnintli  und  Demotht 

Lehre  mich  Jedes  Kiad  als  vertraut  von  Dir  anB  betrachten! 

Gib  mir  Worte  der  Weisheit  aus  Deinem  Munde  fUr  alle! 

Las«  in  alle  Hcrzeu  mich  iiflanzcn  Liehe  der  Wuhrbeit, 

Liebe  <ltri  Recht?«,  der  Kelit^iou  und  der  Tiif^eudl" 

Bevor  icii  uieiu  äeudfichreibeu  BchlieÜu,  will  ieb  Dir  noch  uachätehcudt^  Lied 
am  meiBer  Liedenammluig  mittheilen,  das  idi  Dir  recht  oft  und  viel  mit 
Jlaehdenken  sv  lesen  empfehlen  mochte! 

Des  Geheimnis  des  Lehrers. 

Kennst  du  die  Probe,  kennst  dn  die  Fracht 

Von  deiner  Händo  Wirken,  deinem  Sinnen, 
Die  Kinder  zu  erzieh'u  Zii  frommer  Zucht, 
Und  für  das  lieich  des  Vaters  zu  gewinnen? 
0  forsche,  wo  der  Stein  der  Weisen  liegt, 
Dsmit  man  Heizen  leitet  nnd  besiegt, 
Der  alles  dir  gewinnet,  wa.s  dn  wagst, 
Und  Cime  den  du  ewig  nichts  Tennagst 

Der  Ni^te  bist  dn  dir;  das  eigne  Hen 
Genieftt  nieist  die  ▼oierwKhlten  Freuden; 

Am  tiefliten  kHmmert  dieh  der  eigne  Rehmer/. 
Du  willst  zuerst  im  Winter  wann  dich  kh  iden; 
Kennst  du  die  Freud'  und  iliren  liolden  .Schein, 
Daun  ladeist  da  wol  andre  zu  ihr  ein; 
Floh  Nacht  und  Oram  von  deiner  Seele  fern, 
Dann  seigst  du  andern  froh  den  llorgenstern. 

Der  >iächäte  biüt  du  dir;  liebst  du  dich  uicht, 
Bttftt  dn  dir  selb«  nicht:  Anf^  wvide  Licht! 
So  wandet  dir  der  andre  wol  im  Trttbenl 

Wer  seiner  SUude  nie  mit  Ernst  geflucht, 
Wer  seine  Selitrkt  it  nie  reelit  ife^ueht. 
Der  reißt  den  Bruder  nicht  aus  Sündeunoth, 
Der  fütirt  niemanden  /.um  lebendigen  Gott. 

Der  Mensehensoha,  der  anserwihlte  Stein, 

I«t  Prüfstein  deiner  Thaten  und  Gedanken; 

Fiililst  du  das  Heil.  >v\r\  EiL'cnthum  zu  >ein, 

I)anu  keuuet  deine  Liebe  keine  S<  liriiiikeu  j 

Trieb,  Geist  und  Kraft  wird  mächtig  dich  durrhglüh'n, 

Die  Kindlein  auch  vor  seinen  Thron  su  sieh'n;  — 

Liebbt,  achtest  du  dich  selbst  in  Jesu  nicht, 

So  ist  dein  Leben  nur  ein  Travmgedicht. 


Digitized  by  Google 


—   231  — 


0  aekweier  Traum!  Hier  dunkel  schon  und  ircudlui^, 
Doch  freudenkwer  noch  an  jenem  Tage, 

Wenn  du  vor  ihm  erscheinest  leer  und  blos, 
Wenn  dicli  umgibt  verlorner  Lämmer  Klagel 
Weil  du  die  eitr'nc  Soliirkcit  vcrthiuiut, 
Uaät  andere  zu  retten  du  veräüumt, 
ITnd  Ober  dir,  wie  Sterne,  BdiOn  und  klar. 
Steht  im  Trion^h  der  treuen  Lehrer  Scherl  — 

Wach  aui',  mein  Geist  I   In  deiner  Seligkeit, 
In  deinem  Glanhen  mhen  tausend  Keime  f 
Für  deiner  BrQder  Seelenbeil  bereit! 

Auf,  komm  zum  Herrn;  verlas*«  die  finstem  Träumet 
Liebtet  du  (las  Her/,  das  sterbend  filr  dich  brach, 
So  lieben  dir  viel  andre  Herzen  nach; 
Mit  ihnen  wirst  du  edlen  Samen  aien. 
Mit  ihnen  dort  ab  reife  Garbe  atehenl 

Und  nun,  mein  lieber  Tbeophil,  geht'a  mm  Ahichiede.  Jluge  ich  mit  diesen 
prOfenden  Fragen  Dich  an  Deine  Pflidit  und  PfliefaterfUUnng  erinnert  und  au 

Deiner  Weiterbildung  und  YeryoUkommnung  einen  mutbigen  Antrieb  ins  kommende 
Jahr  gegeben  haben!  Ich  weiB,  der  junge  Lehrer  bedarf  zuweilen  einer  erneuertf-n 
Begnlimng,  Ennuthigung  und  Einlenkung  in's  Geleige  des  Üben<iehselb9twa(  iicni< 
und  der  Donntfi,  damit  er  nieht  wanke  oder  gar  falle.  Wir  Alten  hahen's  ja  noch 
nSthig—  wieviel  mehr  ihr  JungenAmtshrfidNr!  Der  Buf  dieser  Zeit,  meine  lieben  Freunde, 
geht  ernBt  an  und.  Achtet  auf  ihn  mit  allem  Fleiß!  Achte  auch  Du,  mein  lieber  Theophil« 
auf  ihn!  Mach"  auch  Du,  dagK  sieb  das  Vaterland,  das«  auch  ii  li  mich.  Dein  väterlicber 
Lehrer,  in  den  Hoflnungen  auf  1  )ii  h  nie  getäiiHcbt  sehe!  Wird  mir  das  Vergnügen  zutbeil. 
Dich  in  Deiner  Schule  besuchen  zu  können,  .so  hoffe  ich  mich  dann  thatsächlich  über* 
■engen  m  kflnnen,  dass  Du  Dich  bemflhst,  in  die  Baihe  unserer  eifrigsten  und  an- 
strebendsten  Lehrer  m  gehören.  Lies  gern  mir  Vennehiung  reiner  und  christlicher 
Leben.s-  und  Lehreranmchten  und  zu  höherem  Aufschwung  in  den  Evangeliai  daa 
Lehen  Lehren  und  Wirken  des  giittücbon  Gesandten.  Diese  Leetüre,  mein  lieber 
Thcophü,  erhebt,  stärkt  und  erleuchtet  mehr,  ab  es  leider  in  unserer  Zeit  die  groSe 
Zahl  da  LesesUchtigen  kaum  ahnet!  Bete  und  arbeite!  Das  seien  die  letzten 
Worte  fan  alten  und  die  enten  im  neuen  Jahre  von  Ddnem 

▼tterliehen  Lehrer  und  Freund 
J.  J.  Wehrli. 

So  war  und  daclite  Wehrli.  Überall  der  väterliche  Freund  und 
Lehrei'.  (Sohluss  folgt) 


Digitized  by  Google 


Beiträge  zur  Reform  des  Religionsunterrichtes  in  Bezug 

auf  Inhalt  und  Lehrweise. 

Von  Th»  VenuUtkm^Grag. 
Vn.  Über  £ngel  nnd  ähnliche  Mittelwesen. 


▼  on  allen  Schulbüchern,  die  in  den  Händen  unserer  Jugeud 
?>ind,  halte  ich  die  kirchlichen  Katechismen  für  die  schädlichsteu. 
Wollte  mau  gegen  vieles,  was  der  Inhalt  bietet,  im  cluistlichen  und 
pädagogischen  Interesse  auftraten,  so  würde  man  ganze  Bücher  schreiben 
mfissen.  (Ins  Lehrer  kann  nur  das  interossiren,  was  einen  biblischen 
oder  colturgeschichtlichen  Anknftpfangspankt  bietet  oder  wenigstens 
eine  poetische  Mi»  hat 

Die  Jugend  nnd  das  gemeine  Volk  steht  noch  immer  unter  dem 
Bann  alter  theologischer  Anschauungen,  die  den  reinen  Gottesbegriff 
beeintrüchtigen  und  im  Cultus  herrschend  shid. 

So  [heifit  es  x.  B.  im  römischen  Katechismus:  «Die  Gläubigen 
haben  Gemeinschaft  mit  den  Heiligen  im  Himmel,  hidera  die  Gläubigen 
auf  der  Erde  die  Heiligen  verehren  und  um  ihre  FOrbitte  anrufen."  — 
So  bestimmten  es  spätere  Condlien  und  Pflpste;  die  heilige  Schrift 
weiß  nichts  davon,  also  auch  nichts  von  Schutzhefligen  (Patronen). 
Das  Christenthum  anerkennt  um*  Christum  als  den  einzigen  Mittler 
zwischen  Gott  und  den  Menschen.  Seine  wolverstandenen  Lehren 
bieten  alles,  was  wir  bedürfen. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  vermittelnden  Wesen,  die  das 
Christenthum  ttbemommen  hat  aus  dem  Alten  Testamente.  Diese 
Mittelwesen  zwischen  Gott  und  den  Menschen  sind  die  dem  semiti- 
schen Vorstellungskreise  eigenthflmlichen  Engel,  die  als  Yerkfindiger 
nnd  Vollstrecker  des  göttlichen  Willens  erscheinen,  also  nicht  eignen 
Willen  haben,  wie  die  rOmische  Kirche  annimmt  Nach  der  hebi-äi- 
sehen  Weltanschauung  umgibt  ein  Heer  von  Engeln  den  gdttlichen 
Thron,  und  diese  Vorstellung  ist  auf  das  Ghristenthum  flbergegangen. 


Digitized  by  Google 


—  283  — 


Bei  den  heidnischen  Völkern  des  Alterthoms  zeigen  sich  Bor  &hn- 
liehe  Vorstellungen,  wie  denn  überhaupt  ihre  Natuireligionen  manches 
f^emein  haben  mit  den  geoftenbarten.  Von  jeher  hat  sich  die  Ein- 
bildungskraft der  Völker  Wesen  geschaffen,  indem  sie  personificirte. 
Was  ursprünf^lich  der  Volksdiclitung  angelir»rt,  gelit  in  den  Volks- 
glauben über  und  die  spätere  Theologie  macht  daraus  Glaubensartikel, 
die  dann  Eingang  finden  in  den  religiösen  Cultus  und  zuletzt  in  die 
geschriebenen  Urkunden.  Das  ist  —  kurz  gesagt  -  der  historische 
Gang  der  Religionen,  der  aber  liäutig  auf  allerlei  Irnvege  geflihrt  hat. 

^\'e^^en  wir  vorerst  einen  Blick  auf  das  \urchristliche  Alterthuni. 

Bei  den  Römern  bedeutete  Genius  so  viel  als  Schutzgeist,  der 
ähnlicii  den  deutschen  Schicksalsschwestern  (Nornen).  den  Mentw^-lien 
von  seiner  (Geburt  an  durch  das  Leben  begleitete  und  selbst  nach 
seinem  'i'ode  schützend  fortwirken  konnte.  Auch  jedem  Orte  schrieb 
man  seinen  Schutzgeist  zu.  Die  Römer  glaubten  an  gute  und  böse 
Genien.  Die  Griechen  hatten  ihre  Musen  als  Förderinnen  der  Kunst 
ihre  Dämonen,  die  auf  das  Schicksal  wulthätig  oder  verderblich  ein- 
wirkten. Man  stellte  die  Dämonen  in  die  Mitte  zwischen  die  Heroen 
und  Götter.  Nach  Piaton  bringen  sie,  den  christlichen  Engeln  ähn- 
lich, die  Befehle  und  Gaben  der  Götter  zur  Erde  nieder  und  tragen 
die  Bitten  und  Gebete  der  Menschen  zu  den  Göttern  hinauf.  Die  un- 
sichtbar den  Menschen  umschwebenden  Dämonen  brachten  Glück  oder 
Unglück.  Die  Juden  nnd  Christen  haben  sp&ter  alle  heidnischen 
Götter  für  Dämonen  erklärt  und  zwar  f&r  böse  Dämonen,  Ar  Teufel. 

Als  das  deutsche  Hddenthnm  dorch  das  Christenthnm  yerdiflngt 
wurde,  wai'  es  ganz  nAtOrlich,  dass  die  Torfaer  verehrten  Gottheiten 
als  bSse  Mächte  betrachtet  wurden.  Wie  man  einerseits  bishei*  ge- 
hegte Vorstellungen  auf  die  Heiligen  übertrug  (s.  B.  Wodan  auf  den 
heil  Martin  etc.),  machte  man  andererseits  die  früheren  Götter- 
gestalten  zn  genpenstigen,  gottwidrigen  Wesen.  Um  den  Teufel  sam- 
meln sich  im  Volksglauben  viele  alte  VorsteUungen,  und  daher  sind 
unsere  Teufelssagen  so  zahlreich.  Dem  deutschen  Heidenthum  ist  der 
Teufel  fremd,  selbst  der  Name  Diabolos  ist  griechisch. 

Welche  Vorstellungen  hat  nun  das  Juden-  nnd  Christenthum  von 
den  Mittelwesen? 

Das  Alte  Testament  berichtet  von  den  Cherubim,  die  das  Neue 
Testament  nicht  mehr  kennt.  Ein  Cherub  mit  flammendem  Schwert 
hütet  das  Paradies,  nachdem  Gott  Adam  und  Eva  aus  demselben  ver- 
trieben hatte;  zwei  Cherubim  mit  ausgebreiteten  Flügeln  waren  auf 
der  Bundeslade  angebracht;  oft  heifit  es  auch,  Jehovah  fuhr  oder  flog 


Digitized  by  Google 


—   284  — 


auf  dem  <'henib,  wa.s  wol  bedeuten  sul],  er  bewegte  sich  krall  seinem* 
Geistes  durcli  deu  K<iuni.  Die  Cherubim  erscheinen  aber  aucli  zum 
Theil  mit  tliierischer  Gestalt,  als  gefliig:elte  Wuuderthiere  mit  Menschen- 
gesicht. Nähere  Aufschlüsse  gibt  Herder  in  seiner  .Schrift:  „Vom  Geist 
dei*  ebräisrlien  Poesie/ 

Verschieden  davon  ist  die  Vorstell  im*;  von  den  im  Alten  und 
Neuen  Testamente  vorkummenden  Engeln,  und  der  kirchliche  Glaube 
reirht  bis  auf  unsere  Zeit.  Darum  müssen  wir  im  Interesse  unseres 
Jugend-Unterrichtes  ausführlicher  dailiber  sprechen. 

Vor  mir  liegt  der  „Kleine  Katechismus'^  M.  Luthers  und  der 
römisch-katholische.  Beide  sprechen  von  guten  und  bösen  Engeln 
(Teufeln)  und  dtiren  als  Hauptbeleg  1,  14  des  Hebfior-firiefes:  »Sind 
nicht  aUznmal  die  Eng«!  dienende  Geister,  ausgesandt  um  derer  wjQlen, 
die  ererben  bo11«i  die  Seligkeit  (das  Heil)?''  Der  unbekannte  Ver- 
Asser  des  Briefes  an  die  Hebrfter  zeigt  flmen,  wie  die  neatestament- 
liclie  Offenbarung  dmrcii  Christus  ftber  die  alttestamentliche  erhaben 
sei,  nnd  dass  der  Gottessohn  in  seiner  Wflrde  Aber  die  Engel  weit 
hinausragt  Die  Engel  seien  nur  Boten  nnd  Diener  Gottes. 

Was  hat  nun  der  römische  Katechismus  daraus  gemacht?  Unsere 
Kinder  mflssen  Folgendes  lernen:  «Die  merkwttrdigsten  Geschöpfe 
Gottes  smd  die  Engel  und  die  Menschen.  Die  Engel  sind  reine 
Geister,  welche  Verstand  und  Willen,  aber  keinen  Leib  haben." 
(S.  „Großer  Katechismus  Ar  die  kath.  Volksschulen."  Wien,  Schul- 
bücher-Verlag.) 

Was  sich  wol  die  Kinder  seitHenschenalteni  dabei  gedacht  haben?! 
„Was  man  nicht  versteht  —  sagt  Goethe  —  besitst  man  auch  nicht^ 
Da  die  vielen  Kinder  die  angeführten  Worte  ohne  Verstftndnis  aus- 
wendig gelernt,  werden  sie  dieselben  wol  bald  Teigessen  haben,  nnd 
so  wird  es  auch  gehen  mit  dem  Zusätze:  „Viele  Engel  haben  die 
Gnade  Gottes  durch  die  HofFart  verloren;  man  nennt  sie  Teufel  und 
sind  in  die  Hölle  verstoßen." 

Im  Zusammenhange  damit  steht  die  biblische  Überliefenmg  von 
Lucifer,  wie  auch  die  gnechische  Mythe  von  den  Titanen,  die  sich 
gegen  Zeus  enii»r»ren.  Auch  die  germanischen  Riesen  waren  Feinde 
der  Götter,  und  die  bösen  Biesen  sind  nach  dem  christlichen  Volks- 
glaube später  Teufel  geworden. 

Unsere  Kinder  ahnen  es  nicht,  dass  sie  ein  Stück  heidnischer 
Mythologie  lernen. 

Es  liegt  darin  der  uralte  Gegensatz  von  (^ut  und  Böse,  der  sich 
in  fast  allen  Religionen  findet,  indem  man  solche  den  Naturkräften 
entnommene  Anschauungen  persönlicht  (personificirt). 


Digitized  by  Google 


—   286  — 


Kinder  vermögen  aber  Poesie  von  Wiiklichkeit  noch  nicht  zn 
unterscheiden,  und  dämm  werden  sie  nur  irregeführt,  besonders  wenn 
ein  nur  dogmatischgeschulter  Katechet  vor  ihnen  steht.  Besser  wäre 
es,  wenn  Schulbücher  niciits  enthielten,  was  den  Kindern  noch  nicht 
erklärt  werden  kann.  Ein  Kind  wird  nie  begreifen,  dass  Wesen  „ohne 
einen  Körper  doch  Verstand  und  Willen"  haben. 

Älmlich  den  oben  genanuten  (ienieu  und  Dämonen  sind  die 
Engel.  Das  Wort  Engel  ist  griechischer  Herkunft,  aber  durch  die  lieilige 
Schrift  in  alle  neueren  Sprachen  übergetiihrt,  weil  tlir  den  himmlischen 
Boten  und  Geist  kein  heiinisclier  Ausdruck  geeignet  schien.  Angelos 
heißt  Bot*^,  Gesandter,  Verkündiger,  also  eine  Art  Mittelwesen.  Die 
alten  Griechen  glaubten,  der  AIlheiTScher  Zeus  kenne  das  Zukünftige 
er  verkünde  seinen  Willen  durch  Zeichen  verschiedener  Art,  durch' 
Träume,  durch  Blitz  und  Donner,  durch  Vögel  und  Orakel.  Aucli  in 
anderen  Religionen  finden  sich  Vorzeichen  und  Verkündigungen  der 
unsichtbaren  Gottheit.  Im  ganzen  Morgenlande,  also  auch  bei  den 
Hebräern,  daclite  man  sich  solche  Mittelwesen  als  Verkündiger  des 
göttlichen  Willens.  Seit  den  Zeiten  des  babylonischen  Exils  ward 
diese  Vorstellung  mehr  versiiinliclit,  indem  man  glaubte,  dass  ein  Heer 
von  Kngeln  den  grittlicheu  Thron  umgebe.  Unter  ihnen  gabs  wieder 
\'orstände,  von  denen  besondere  der  große  Fürst  Michael  (Daniel  12,  1) 
und  der  Erzengel  Gabriel  genannt  werden.  Vom  Erzengel  Michael 
ist  in  der  deuti>chen  Sage  \ael  die  Bede.  St  Michael  trat  an  Wodans 
Stelle;  mit  Schild  und  Schwert  bewaffiiet  tritt  er  auf  dem  Bilde  Kanl- 
bachs  als  „deutscher  heiliger  Michel''  auf  den  Nacken  Napoleons  IIL 
(1870).  Aof  diesem  Bilde  ist  er,  wie  die  Engel  In  der  Knnst  über- 
haupt, mit  FlQgehi  versehen,  nm  sie  als  Boten  vom  Himmel  zn  be- 
zeichnen. ' 

Bei  dem  ETangelisten  Ifatfhftns  (18, 10)  begegnen  wir  der  yolks- 
thllmlichen  Yorstellnng  yon  Schutzengeln  der  Personen,  die  Gottes 
Angesicht  nfther  oder  femer  stehen.  Bei  Matth.  2, 18  erschdmt  dem 
Josef  ein  Engel  des  Herrn  im  Traume  und  ennahnt  ihn  nach  Ägypten 
zu  fliehen  mit  dem  Kinde  nnd  sehier  Mntter. 

Diese  und  andere  Engelserscheinnngen  im  Nenen  Testamente 
hangen  zusammen  mit  den  zahhreichen  Engelserscheinungen  des  Alten 
Testamentes»  und  diese  wieder  stimmen  zum  Theü  mit  den  Überliefe- 
rungen anderer  asiatischer  Beligionen,  namentlich  mit  dem  Buddbismus.*) 
Bei  Lucas  1  yerkOndet  der  Engel  Gabriel  dem  Zacharias  die  Ge- 
burt des  Johannes,  und  der  Maria  Terkttndet  er  die  Geburt  Jesu. 

*)  VgL  Bad.  Seydel,  Das  EvangdiDin  tod  Jesu  (Leips.,  Bieitkopf)  S.  UM. 


Digitized  by  Google 


—  2S6  — 


Aus  dem  Gruße  (Vers  29  ff.)  hat  sich  später  das  Ave  Maria,  der  eng- 
lische Graß  der  katholischen  Kirche  gebildet.  Damit  ist  zu  vergleichen 
die  Verkündigung  des  ..Engels  des  Heirn"  an  die  Mutter  Simsons,  des 
Erlöseis  Israels  (Richter  13)  und  die  ähnliche  Verheißung  an  Hanna, 
die  Mutter  Samuels  (1.  Samuel).  Als  dem  „Vater  unser"  gleich- 
gestelltes Laiengebet  kommt  das  Ave  Maria  mit  dem  erweiterten,  fast 
ans  Heidnische  «^^renzenden  Mariendienst  seit  dem  11.  Jahrhundert  vor 
und  noch  später  mit  einii^en  Zusätzen. 

Von  dem  was  wir  hier  Uber  diese  Wesen  (etwa  für  den  Religions- 
unterricht in  Lehrerbildungs- Anstalten)  mitgetheilt  haben,  gelnirt  nur 
dasjenige  für  den  Jugendunterriclit ,  was  zur  Erläuteiung  der  bibli- 
schen Erzählungen  dient,  in  denen  Engel  genannt  werden. 

Vieles  davon  ist  als  p(»etisclie  l'mliiillung  anzusehen  und  kann 
nicht  zu  Glaubensätzen  gemacht  werden.  ])er  Lehrer  geht  weniger 
irre,  wenn  er  auch  Bekanntschaft  gemacht  hat  mit  den  alten  Über- 
lieferungen anderer  Nationen.  ^lan  kann  die  Leser  der  biblischen 
wie  auch  aller  religiösen  Urkunden  nicht  genug  daran  erinnern,  dass 
darin  diei  Elemente  in  eins  verwebt  sind:  1.  Geschichtliches,  2.  Lehr- 
haftes, 3.  Dichtung  und  Volksglaube  aus  der  jeweiligen  Periode  des 
betreffenden  Landes. 

Schließlich  sei  noch  erwähnt,  in  welcher  Weise  das  Wort  Engel 
in  unsein  deutschen  Sprachgebrauch  Eingang  gefunden  hat.  Selbst 
in  Eigennamen  linden  wir  es,  z.  B.  Engelhart,  Engelbert.  Außerdem 
heißen  wir  unschuldige  Kinder  vorzugsweise  Engel;  von  alten  Leuten 
wird  niemals  Engel  gesagt.  Kur  schöne  und  geliebte  Frauen  werden 
angeredet:  Meiii  Engel;  anch  Walther  von  der  Vogelweide  schrieb: 
Tinsche  (deutsche)  man  sint  vol  gezogen,  rehte  als  (gerade  so  wie) 
engel  sint  diu  getän.  Nach  einer  tiefgfeifenden  Vorstetlung 
des  biblischen  Alterthnms  ist  jedem  Menschen  ein  Engel  beigegeben, 
der  über  ihn  wacht  und  ihn  geleitet,  woher  die  Ausdmcksweise : 
Die  Kinder  am  Abhang  haben  ihren  guten  Engel;  das  spricht  dein 
guter  Engel  aus  dir;  das  gab  dir  dein  Engel  ein.  Doch  sagt  auch 
Schiller:  Wer  bist  du,  den  sein  böser  Engel  mir  entgegen  schickt?  — 
Anch  Zusammensetzungen  sind  häufig,  2.  B.  Engelbild,  Engelbrot, 
Engelchor,  Engelgabe,  Engelgesang,  engelgleich  u.  s.  w. 

„Ein  Engel  flog  durchs  Zimmerl"  spricht  der  Volksmund,  wenn 
plötzlich  Stille  eingetreten.  Und  ~  vir  schweigen  anch,  und  em- 
pfehlen das  G^esagte  dem  weiteren  Nachdenken  unserer  Leser. 


Digitized  by  Google 


*    Adolf  Diesterweg  über  Eduard  Beneke  and  dessen 

Lehre  tob  Angeborenen. 

Hitgetheflt  Ton  Prediger  HMnHth  JViwflwOor«w-XrofMtodl  in  9Uben!bürgm. 

Die  erste  Lieferung  der  zweiten,  durclig'eselienen  Antla<re  von 
Adolf  Diesterwegs  ausg:ewählten  Schriften  (herausgegeben  von  Eduard 
Langenberg  in  Frankfurt  am  Main,  bei  Moritz  Diestei-weg,  1890)  ent- 
hält auf  Seite  72  bis  85  einen  Aufsatz  „Ülter  das  Angeborne"*. 
Diesterweg  erwähnt  im  Eingang  desselben:  „Das  Beste,  was  wir  vor- 
zulegen haV)en.  rührt  nirht  von  uns  selbst,  sondern  vom  Professor 
Beneke  her,  dessen  , Lehrbuch  der  Psychologie,  Berlin'  und  df^scn 
.Erziehungs-  und  Unterrichtslehre,  Berlin*  wir  bei  unsem  Betracli- 
tungen  zum  Grunde  legen.  •* 

In  seinem  185()er  pädagogischen  Jahrbuch  tür  Lehrer  und  Sclnil- 
freunde  theilt  Diesterweg  zwei  Anfsätze  mit  über  Benekes  Leben  und 
Forschungen,  welche  von  ihm  selbst,  von  Schmidt  und  Dressler  her- 
rühren. Im  ersten  Ai>schnitt  der  Biographie  sagt  Diesterweg  unter 
anderm:  „Beneke  war  mir  befreundet,  ich  schätzte  ihn  sehr  lioch, 
ebenso  sehr  als  Menschen,  wie  als  Gelehrten  und  Korscher.  Als  Mensch 
war  er  das,  was  die  Alten  eine  aninia  Candida  (eine  reine  Seele) 
nannten;  ich  glaube,  dass  er  wie  eine  unberührte  Jungfrau  aus  der 
Welt  geschieden  ist.  Was  er  als  Foi-scher  war  und  geleistet  hat, 
weiß  die  Welt  und  wird  auch  iu  diesen  Blättern  noch  weiter  davon  die 
Bede  sein." 

„Beneke  war  ein  edler  Mensch.  Einem  solchen  setzt  man  gern 
ein  Denkmal.  (Erstes  Motiv.) 

Beneke  war  ein  Iliilosoph.  Diese  Gattung  von  Menschen  wird 
seltener.  Aber  wir  hoffen  mit  Schiller,  dass,  wenn  anch  die  Philo- 
sophien verschwinden,  doch  die  Philosophie  fortbestehen  wird.  Die 
Beneke'sche  wird  aber  so  bald  nicht  verschwinden,  sie  verdient  ver- 
breitet za  werden.  (Zweites  Motiv.)" 

„Seine  Philosophie  war  verstfindlich,  klar,  lembar,  praktisch,  war 
Natorforschong,  ging  von  festen  Thatsachen  ans,  schwebte  also  nicht 


Digitized  by  Google 


—  288  — 


in  der  Luft,  enthielt  keine  (speculativen)  Hirngespinste,  und  sie  er- 
probte sich  in  Anwendungen  sowol  theoretisch  in  der  Pädagogik  als 
Wissenschaft,  wie  aucli  praktisch  in  der  Bildung  junger  Männer. 
Ganz  mit  Heclit  gehören  daher  Scliulmäimer  mit  zu  den  Anhängern 

und  Verehrern  Benekes." 

„Wir  halten  an  der  l'berzpngung;  der  deutschen  Pädagogen 
fest:  ohne  Nachdenken  über  psycliologische  Ersclieimin<ren  ist  kein 
khirbewnsstes  Handeln  als  P^rzielier  m()frlich:  ohne  rationelle  Psyclio- 
loi^ie  gibt  es  keine  ^vissenschaftliche  Pädagogik.  Weil  nadi  unserem 
Bedünken  die  Beneke'.sche  Psyrliolo^ie  in  diesen  wichtigen  Be- 
ziehungen mehr  leistet,  als  irfjfend  eine  andere,  so  halten  wir  an  ilir 
fest  und  empfehlen  ihr  Studium  den  Lehrern,  welche  mit  klarem  Be- 
wusstsein  zu  handeln  das  Bestreben  verspüren." 

Das  von  Diesterweg  im  Eingan?  ei  wähnte  Lehrbuch  der  Psycho- 
logie von  Beneke  erschien  18G1  in  Berlin  bei  R.  S.  Mittler  S:  Sohn 
in  dritter  vermein  ter  Auflage,  neubearbeitet  und  mit  einem  Anhang  über 
Beneke's  sämmtliche  Schriften  von  .Tohann  Gottlieb  Dres.sler,  Seminar- 
director  a.  D.  in  Bautzen,  und  Beneke's  Erzieliungs-  und  Unterrichts- 
lehie  wurde  in  dritter  Auflage  ebendort  1864  von  Dressler  heraus- 
gegeben. 

Ehe  Diesterweg  die  in  diesen  beiden  Werken  sowie  in  den  später 
erwähnten  „psychologischen  Skizzen^  Beneke's  enthaltenen  Bestim- 
mungen über  das  dem  menschlichen  Geiste  Angeborene  mittheilt,  er- 
geht er  sich  in  Betrachtangen  über  die  Geschichte  der  Wissenschaften, 
die  uns  iu  ihrer  Entwicklung  zuerst  immer  rohe  Anfänge,  Festhalten 
lUtt  Sinnlichen  und  Groben,  Beharren  bei  den  Äußeren  Erscheinungen 
zeigt  und  nachweist,  dass  der  Geist  nur  langsam  und  allm&hlich  er- 
starkt zum  Eindringen  in  das  dem  leiblicheii  Auge  und  dem  groben 
Tastsinne  yerschlossene  Innere.  Diese  Wahrheit  wendet  Diesterweg 
noch  in  kurzen  Bemerkungen  auf  drei  Gebiete  des  Erkennens  an: 
«of  fieligion,  Sprache,  Psychologie.  In  Bezug  auf  die  letztere  sagt 
DiesterwQg:  „Je  weiter  die  Wissenschaft  fortgeschritten,  je  tiefer 
man  in  die  Natoi*  des  Geistes  eingedrungen,  desto  mehr  hat  man  die 
früheren  Annahmen  von  nrspr&nglich  Gegebenem,  Positivem,  Angelegtem 
fahren  lassen,  desto  mehr  hat  man  die  Mannigfaltigkeit  der  Ersdiei- 
nungen  auf  einfjAche  Grundvermögen  zurückzufUhren  versucht  Vieles 
von  dem,  was  man  früher  für  angeboren  hielt,  erkennt  man  jetzt  als 
«in  Abgeleitetes,  ja,  man  begreift  zum  Theil  die  Art  seines  Entstehens 
und  Werdens."  „Für  die  Psychologie  nicht  nur,  sondern  auch  und  ganz 
besonders  für  die  P&dagogik  ist  die  Lehre  von  dem  dem  menschlichen 


Digitized  by  Google 


—  239  — 


Geiste  Angeborenen  von  der  böchiten  Wichtigkeit  Falsche  Voraus- 
setsnngen  flihren  den  Erzieher  zn  fSüscher  fieortheilang,  an  fiüscher  Be- 
handlung. Der  theoretische  Mangel  wird  hier  gleich,  da  die  Pftda- 
gogfik  eine  Knnst  ist,  zn  einem  praktischen  Fehler." 

Nach  solchen  und  ähnlichen  Bemerkungen  theiltDiesterweg  folgen- 
den Auszug  aus  den  drei  früher  erwähnten  Schriften  Benekes  mit. 

1.  In  der  ausgebildeten  Seele  unterscheiden  wir  dreierlei: 

a)  (las  Gegenständliche  (Objective); 

b)  die  Form,  in  welcher  die  Gegenstände  psychisch  anfgefasst 
werden; 

c)  die  quantitativen  Bestimmungen  der  vorigen  Moment«. 
Das  erste,  der  G^egenstand,  mit  dem  sieh  die  Seele  beschäftigt, 

sei  er  materieller  oder  geistiger  Art,  kann  nicht  angeboren  sein. 

Eine  gegenständliche  Bestimmung  ist  etwas  Erworbenes;  daher  ge- 
liören  die  Meinungen  von  anp:eborenen  Neigungen,  Leidenschaften  etc. 
zu  den  psycliologischen  Erdicbtun^fen.  Allerdings  entwickelt  sich  in 
dem  einen  Kinde  leichter  diese,  in  einem  andern  jene  Neigung.  Aber 
anjjfeboren  ist  weder  die  eine,  noch  die  andere.  Es  rührt  dieses  eines- 
llieils  von  dtMi  Kinwirkungen  von  außen,  anderntheils  von  der  Ver- 
scbiedenlieit  der  Uranhigen  her,  wovon  nacblier  die  ilcd»-  sein  wird. 
Gewisse  Dinge  stimmen  inelir  mit  der  größeren  oder  geringeren  Kriitiig- 
keit  der  Uraniagen  in  ein/einen  Individuen  iiberein.  Ebensowenig  sind 
die  psychischen  Formen,  wie  wir  sie  in  der  ausgebildeten 
Seele  antreft'en,  angeboren.  Allerdings  gehört  zu  einer  Einbildungs- 
vorstellung Einbildungskraft,  zum  Verstehen  Verstand,  zum  Wollen 
der  Wille;  aber  eine  angeborene  Einbildungskratt  etc.  folgt  daraus 
nicht.  Diese  Formen  haben  sicli  erst  nach  vorgängigen  F^ntwicke- 
Inngen  gebildet.  Allerdings  sind  diese  Entwickelungsgesetze  und  Ent- 
wickehingsverhältnisse  mit  einer  gewissen  Nothwendigkeit  bedingt, 
sonst  wurden  sich  nicht  in  allen  Mensclien  dieselben  Formen  ent- 
wickeln; aber  diese  Bedingtheit  scliliellt  keine  Vorausbildung,  keine 
Traformation  ein.  Es  ist  Prädeterminatiun,  Prädestination.  Wie  der 
Apfelkeni  nicht  schon  die  Zweige,  Blätter  und  Blüten  des  künftigen 
Baumes  in  sich  vorgebildet  enthält,  ebensowenig  enthält  die  erst  zum 
Leben  erwachende  Seele  die  Eigenschaften  und  Entwickelungen  der 
ausgebildeten.  Alle  psychischen  Formen  haben  späteren  Ursprung. 

Das  Angeborene  oder  Ürsprünglich-Gegebene  äußert  anf  das 
dritte,  die  quantitativen  Bestinunnngen  der  psychischen  Anlagen, 
den  grOftten  Einflnss.  Die  angeborenen  Anlagen  ziehen  nur  die 
Grenzen,  hinerhalb  deren  sich  die  Ansbildnng  der  Sede  halten  mnss. 


Digitized  by  Google 


—   240  — 


Zwischen  den  außei-sten  Punkten  sind  unzählige  Grade  möglich. 
Die  angeborene  Anlage  ist  der  sich  gleichbleibende  Factor,  za  welchem 
andere  Momente  von  außen  hinzutreten. 

2.  Angeboren  sind  dem  Menschen  die  Uraniagen  der  verschiedenen 
.Sinnessysteme,  durch  weh'he  die  Seele  von  den  Dingen  und  Be- 
schaffenheiten der  Dinge  der  äußeren  Welt  erregt  wird.  Jedes  dieser 
•Systeme,  z.  B.  das  des  Gesichts,  des  Gehörs  etc.,  besteht  aus  einer 
unbestiniint en  Zahl  von  Ui  vermögen,  welclie  die  Fähigkeit  be- 
sitzen, von  bestimmten  Eigenscliaften,  z.  B.  den  verscliiedenen  Farben, 
ß-ereizt  zu  werden.  Diese  sind  insofern  liestimmt,  als  jedes  System 
nur  für  eine  bestimmte  Art  von  Gegenständen  empfiinglich  ist,  z.  B. 
die  Urvermögen  des  (Tehfirs  nur  für  Scliälle.  nicht  für  Düfte,  Formen, 
Farben  etc.  In  jedem  dieser  Systeme  hnden  wii*  von  Aul'aug  an  drei 
individuell  bestimmte  Grundeigenschaften : 

a)  einen  gewissen  Grad  von  Reizempfängliclikeit; 

b)  einen  gewissen  Grad  von  Kräftigkeit,  wovon  die  Vollkom- 
menheit der  Auffassung  und  der  Aneignung  des  Reizes,  wie 
aucludas  Festhalten  und  die  Keproduction  desselben  abhängt* 

c)  einen  gewissen  Grad  von  Lebendigkeit.  Durch  sie  wird 
das  Maß  der  Schnelligkeit,  sowol  der  nrsiuTmglicheu  Aut- 
nähme  und  Aneignung,  als  der  Reproduction  bestimmt. 

Diese  drei  Grundeigenschaften  sind,  außer  der  unbestimmten 
Menge  der  Uralagen,  das  Angeborene  der  Seele.  Sie  kommen  in 
jedem  Ghnmdsysteme  vor,  nnd  sie  können  in  den  Urvermögen  der 
emsetoen  Gnmd^teme  in  den  yenchiedensten  Gradoi  vorkommen. 
So  linden  wir  in  demselben  IndMdniim  eine  hohe  Beiaempfiinglichkeit 
des  Oesicht«Qrstems  hänilg  mit  einer  sehwachen  des  Gehörsystems 
verehiigt;  in  einend  anderen  hohe  KrSItigkeit  des  Gehörsysteras  mit 
schwadier  ErfiAagkeit  des  Geschmacksystems  etc. 

3.  AnBer  dem  bisher  Genannten:  den  Urvermögen  in  gewissen 
Gnmdsystemen  nnd  den  genannten  drei  Beschaffenheiten  in  jedem  der- 
selben; ist  der  menschlichen  Seele  nichts  angeboren.  AUe  ttbrigen 
Anlagen  der  aasgebfldetfln  Seele  müssen  erst  entstehen.  Sie  ent- 
stehen nach  dem  allgemeinen  Entwickehingsgesetze:  dass  von  allen 
psychischen  Thfttigkeiten,  welche  mit  einiger  Vollkommen- 
heit gebildet  sind,  auch  wenn  sie  ans  dem  Bewnsstsein  ver- 
schwinden, eine  Spnr  im  Innern  der  Seele  znrttckbleibt, 
welche  eine  Anlage  (Angelegtheit)  begrftndet,  die  nun  als  solche 
oder  als  Kraft  in  die  späteren  Entwickelangen  eingehen  kann. 

Wirkt  z.  B.  die  rothe  Faii>e  znm  erstenmale  auf  den  Gesichts- 


Digitized  by  Google 


-   241  — 


sinn  dne»  Kindes,  so  wird  von  ihr  noch  keine  deutliche  VorsteUung 
in  der  Seele  zurückbleiben,  wol  aber  eine  Spur.  Bei'  dem  zweiten 
Eindruck  der  rothen  Farbe  wirkt  diese  Spur  mit,  das  Auffassen  des 
Eindi'ucks  wird  schon  bestimmter  und  die  Spur  wird  verstärkt  etc. 
so  dass  dadurch  eine  Anlage,  die  rothe  Farbe  wahi-zuuehmen,  entsteht. 

So  bilden  sich  Anlagen,  Neigaogen,  GemUthsbescbalfenheiten» 
Fertigkeiten,  Talente. 

Durch  die  Verbinduntjr  der  gleichartigen  Spuren  ist  ein  unend- 
liches Wachsthuni  in  Hinsicht  der  Stärke  der  psychischen  Gebilde  be- 
dingt, je  mehr  Spuren,  desto  stärker  werden  die  Anlagen.  Außerdem 
vereinigen  sich  die  verschiedenen  Spuren  vermöge  des  Gesetzes  der 
Anziehung  des  Gleichartigen  zu  Gruppen  und  Reihen,  entweder  nach 
ihrer  objectiven  Verwandtschaft,  oder  nach  subjectiveu  Verhältnissen, 
z.  B.  ihre  Aufnahme  zu  derselben  Zeit,  in  demselben  Kaume  etc.; 
dadurch  entstehen  schon  unendlich  viele  Modificationen,  Verschieden- 
heiten und  Ungleichheiten  im  frühen  Kindesalter. 

4.  Die  Geistigkeit  oder  Vernünftigkeit  der  menschlichen 
Seele  beruht  auf  der  höheren  Kräftigkeit,  welche  den  Urverraögen 
der  Sinne  des  Menschen,  besonders  der  höheren,  vor  der  der  Thiere 
innewohnt.  Reizbarer  sind  zum  Theil  die  Sinne  der  Thiere  als  die  der 
Mensclien,  und  die  Lebendigkeit  scheint  bei  Menschen  und  Thieren 
keinen  bestimmten  Grenzen  zu  unterliegen. 

Jene  höhere  Kräftigkeit  ist  ui*sprünglich  nur  ein  Gradunterschied, 
wird  aber  nach  nnd  nach  durch  tausendfache  Combinationen  zu  einem 
Artunterschiede;  das  Sinnlicbe  geht  in  Geistiges,  das  Unvernünftige 
in  Vemflnftiges  üto.  Die  menscblidien  Sinne  sind  vermöge  der 
größeren  Kräftigkeit  ihrer  ürvermögen  yon  An&ng  an  geistige.  Schon 
die  ein&chste  sinnliche  Empflndang  ist  heim  Meoichen  eine  andere 
als  heim  Thiere.  Dadnrch,  dass  sie  eine  andere  ist,  vird  der  Mensch 
Ohig,  Begriffe  m  hflden.  Diese  höheren  Formen  sind  der  mensch- 
lichen Seele  nidit  angeboren,  nicht  in  derselben  prftfbrmirt,  sondern 
wen  das  vsprOnglich  Angeborene  eine  Sammlung  von  inneren  Spuren 
oder  Anlagen  bedingt»  so  entstehen  dnrch  diese,  vermOge  der  Übrigen 
peychischen  Entwickdungsgesetze,  die  höheren  Formen  mit  Noth- 
wendigkeit 

6.  Die  Wahrnehmungen  der  ausgebildeten  Seele  sind  ein  sehr 
znsammengesetstes  Prodact:  ans  der  nen  gebildeten  sinnlichen  Em- 
pfindung und  ans  den  unendUeh  vielen  inneren  Spuren  oder  Anlagen 
von  früheren  Empfindungen  gleicher  Art  in  der  Seele  gebildet  Die 
erste  Empfindung  war  der  Empfindung  in  der  ausgebildeten  Seele 

P«ligoi0«m.  14.  Mag.  Haft  IT.  18 


Digitized  by  GOOgle 


—    ^42  — 


zwar  (Irr  Art  nach  gleich,  aber  unendlich  schwächer.  Durch  die  An- 
sammlung und  das  Hinzutreten  gleichartiger  Spuren  erwachsea  die 
Kmptindungen  allmählich  zu  Wahrnehmungen,  und  das  ursprünglich 
Unbewusste  bildet  sich  zum  klar  Bewussteo  empor.  Die  zorftek- 
gebliebenen  Spuren  wirken  als  AnffiuBungskraft,  die  Actiyitftt  der 
Seele  wftehst.  Das  Hinzatreten  der  angesammelten  Spuren  iat  die 
Änfmerksamkeit,  welche  erworben  werden  moss. 

6.  Die  An£fo88iuigen  sind  alle  ganz  indi?idaeller  Art,  es  gibt 
kein  allgemeines  Anffessnngs-  oder  Anschanungsvermdgen,  außer  inwie- 
fern die  gleichen  Sporen  in  mehrere  Empfindungen  nnd  Wahrneh- 
mungen als  Bestandthefl  einzngehen  geeignet  sind.  Die  Auffiissung  der 
Farben  und  Gerflche  fördert  nicht  im  mindesten  in  Hinsicht  der  Auf- 
fiissung  von  Wörtern  und  Formen.  Für  jeden  besonderen  Inhalt 
des  VorstelleDS  und  Empfindens  müssen  Auffassungsvermögen  und  Auf- 
merksamkeit besonders  gebildet  werden.  Damm  sorge  man  f&r  Mannig- 
fiiltigkeit  der  Erregung! 

7.  Die  Eraiehung  hat  den  höheren  Sinnen  das  Übergewicht  zu 
veiBchaifen  über  die  niederen.  Die  Harmonie  der  Bildung  besteht 
nicht-  in  der  gleichen  Ausdehnung  und  StSrke  der  Kriftel  sondern  in 
dem  Obergewidit  des  Höhermi  .Aber  das  Niedere.  Das  ist  die  Harmo- 
nie des  menschlichen  Seins  im  Gegensätze  zu  dem  bloß  thieri- 
schen. Ein  einmal  errungenes  Obeigewicht  pflanzt  sich  in  der  Begel 
fort.  Es  gibt  daher  keine  angeborene  Faulheit,  Naschhaftigkeit  etc. 
Faulheit  beruht  auf  übermäßiger  Ansammlung  von  Spuren  und  Kräften 
des  thierischeu  Vegetationslebens.  Sie  ist,  wie  alle  fehlerhaften  Nei- 
gungen, Fehler  der  Erziehung. 

8.  Die  inneren  Anlagen  oder  Angclegtheiten  können  wieder  von 
selbst  in  die  psychische  Entwickelung  hineingezogen  werden.  Hier- 
durch entstehen  die  geistigen  Formen,  die  wir  Gedächtnis,  Ein- 
bildungskraft, Erinnerungsvermögen  nennen.  Es  sind  kerne 
besonderen,  angeborenen  Vermögen.  .  Das  Gedächtnis  besteht  nur  in 
der  Beharruno^skiaft  der  psychischon  Entwickelungen  und  ist  nichts 
nußer  den  Vorsteliungeu.  Dasselbe  gilt  von  der  Erinnemngs-  und 
Einbildungskraft. 

Darum  ist  keine  allßfeaieine  Übung  und  Bildung  des  GedäclH- 
iiisses,  dt*r  Erinnemngs-  und  Einbildungfskraft  möglich.  Alle  drei  exi- 
siireii  mir  iu  den  Spuren  von  Vorstclhmg^cn,  wie  dieselben  einzeln 
bogiiiihU'f.  einzeln  in  gewisse  \  erbindiingeu  und  Verhältnisse  jj^etreten 
-sind.  Es  gibt  also  kein  allgemeines  Gedächtnis  von  einer  ^ewi.vsen 
stärke,  Leichtigkeit  der  Auftassung  etc.,  kein  allgemeines  Ennuerungs* 


Digitized  by  Google 


—  243  — 


vermögen,  keine  allgemeine  Einbildungskraft;  sondern  jede  Anlage  ist 
nur  Anlage  für  das  in  ihr  Vorgebildete  und  für  dasjenige,  in  welclies 
sie  als  Bestandtheil  eingehen  kann. 

9.  Auch  der  Verstand  wird  gewöhnlich  als  ein  angeborenes 

Vermr»gen  der  Seele  aufgeführt,  mag  man  angeborene  Begriffe  oder 
nur  Migeborene  Formen  für  die  Bildung  der  Begriffe,  Urtheile  und 
Schlüsse  annehmen.  Aber  vor  dem  ersten  Abstractionsprocess  existirt 
die  Verstandesform  gar  nicht  in  den  Anlagen  der  menschlichen  Seele, 
oder  der  Mensch  hat  keinen  Verstand.  Durch  ihn  oder  vielmehr  duich 
die  dadurch  im  Innera  zurückbleibende  Spur  wird  der  Veratand  erst 
begründet;  er  wird  erweitert  mit  der  Zahl  der  Abstractionspro- 
cesse  und  erhöht  in  dem  Maße  der  Verallgemeinerung  der  Abstractionen. 
Der  Grund  dazu  liegt  in  der  größeren  Kräftigkeit  der  Urvennögen, 
xlie  wir  als  Verstandesvermögen  anzusehen  haben.  Aber  nur  im 
weitesten  Sinne  des  Wortes;  denn  diese  Anlage  enthält  ja  doch  nicht 
die  mindeste  Vorbildung  der  dem  Verstände  eigenthümlichen  Form. 

Die  Bildung  des  V'erstandes  kann  der  der  besonderen  Vorstellungen 
nur  folgen  und  setzt  die  gegenseitige  Anziehung  der  gleichartigen 
Vorstellungen  voraus.  Nur  das  kräftig  Aufgefasste  und  kräftig  Repro- 
ducirte  kann  zu  klaren  Begriffen  verarbeitet  werden.  Nichts  prägt 
sich  tiefer  ein  als  die  Producte  der  Selbstthätigkeit. 

Nur  aus  den  selbsterfahrenen  oder  doch  klar  vorgestellten  uud 
tief  empfundenen  einzelnen  Fällen  stammt  der  allgemeinen  Regel 
ihre  Wahrheit.  Anschaulichkeit  und  Wirksamkeit.  Wird  dieselbe  von 
Anfannf  an  blos  abstract  c:ebildet,  .so  entbehrt  sie  aller  festen  Hal- 
tung und  dient  höchstens  d«izu,  dass  man  sich  einbildet,  von  einer 
Sache  zu  wissen,  von  der  man  doch  eigentlich  nichts  weiß. 
Darum  lässt  uns  eine  so  abstract  gebildete  allgemeine  Regel  im  Sliclii 
wenn  es  ihre  Anwendung  auf  besondere  Verhältnisse  gilt. 

Durch  einseitige,  bevorzugte  Übungen  bilden  sich  besondere  Arten 
•des  Verstandes.  Man  begünstige  in  der  Jugend  diese  Einseitigkeit 
nicht!  Man  gebe  sich  aber  nicht  dem  Wahne  hin,  als  wenn  es  allge- 
meine Übungen  des  Verstandes  gäbe.  Dieses  ist  nur  insoweit  der 
Fall,  als  die  Verstandesübungen  etwas  Gleichartiges  haben.  Übrigens  nützt 
^  blos  an  Wörtern  geübter  Verstand  seiner  Thätigkeit  an  Sachen 
wenig  oder  gar  nichts.  £s  gibt  daher  ebensowenig  allgemeine 
Terstandes-  als  allgemeine  Gedächtnisübungen. 

10.  Die  Vernunft  ist  kein  angeborenes  Vermögen.  Sie  ist  nichts 
amderee,  als  die  ideale  Norm  des  AUgemein^Menschlichen,  oder  die 

18* 

Digitized  by  Google 


—   244  — 


Gesamtheit  der  höchsten  und  zugleich  fehlerlos  gebildeten  Producte- 
des  menschlichen  Geistes  in  allen  ihren  Formen. 

Diese  kurzen  Auszüge  werden  hinreichen,  die  Ansichten  Beneke's 
in  Betreff  des  der  Seele  Angeborenen  anzudeuten.  Ein  Mehreres 
wurde  hier  in  aller  Kürze  nicht  beabsichtigt. 

Allerdings  ist  das  Vorstehende  einer  weitläufigeren  Eiläuterung 
und  Begründung  bedürftig.  Wer  sich  darnach  sehnt,  wird  nach  der 
„Erziehuügslehre"  des  Verfassers  selbst  groiten.  Es  ist  ein  sehr  reich- 
haltiges, ganz  neue  Forschungen  enthaltendes  Buch,  welches  nicht  ge- 
lesen, sondern  studirt  sein  will.  Eine  reiche  Ausbeute  ist  der  Ge- 
winn für  diese  Anstrengung. 

Eine  der  wichtigsten,  aber  zugleich  schwierigsten  Theorien  der 
ganzen  Schrift  ist  die  Erklärung  des  Bösen  und  seiner  Entstehung. 
Die  Grundansicht  des  Verfassers  über  dasselbe  enthält  der  folgende 
Ausspruch:  „Weit  entfernt,  dass  das  liuse,  wie  von  einigen  be- 
hauptet worden  ist,  der  menschlichen  Natur  ursprünglich  eigen  oder 
angeboren  Min  sollte,  Ifisst  sich  Tidmehr  nichts  nachweisen,  waa 
derMlbeD  in  gldchem  Matte  entgegen  wAie." 


Digitized  by  Google 


Pädagogische  Kundschftu. 

Zeitstlmmeo.  [Schvle  und  Sehablone.]  Bs  ist  oluurakterfstiMili  fllr  dte 

geschichtliche  Entwickelang  unseres  Mittelschulwesens,  dasa  sie  dem  aUgemeinen 
^ug-e  folgend  mündet  in  der  staatlichen  Centralisation.  Während  die  Geschichte 
der  Pädagogik  noch  im  vorigen  Jahrhundert  uns  von  den  eigenartigen  Schöpfunsren 
pädagogischer  Enthusiasten  erzählt,  welche,  Schwärmer  und  Eiferer  und  wenig 
wbüdlich  im  Einzelnen,  durch  eine  Fülle  von  Anregungen  befrachtend  wirkten, 
die  padagogliclie  Idee  lebendig  erhielten  und  noch  dem  groBen  Kreiie  der  Oe- 
bildeten  vor  Augen  stellten,  dass  es  Probleme  der  Erziehung  gebe,  —  ist  es 
allmählich  allenthalben  stille  geworden,  alles  hat  sich  znr  glatten,  gleichför- 
migen Regelmäßigkeit  abgeglichen,  ist  in  den  Ring  der  unterschiedslosen  staat- 
lichen Unifurmität  zusammengeschlossen,  und  nur  Sonderlinge  und  Schiff- 
brfichige  erlMiran  die  freiere  Behandlung  privater  Eniehungsthätigkeit  Die 
Lehrpläne  sind  itaatlich  codificirt,  die  Lehrer  zu  Beamten  geworden,  die  man 
fürchtet  und  die  mancliem  Eltempaar  als  eine  Art  von  Bildungspolizei  er- 
scheinen; feste,  meist  überlieferte  Formen  umgeben  und  regeln  den  Schul- 
bedrieb,  nnd  seitdem  das  Bildnngsideal  ein  miliiärisches  Normalmaß  erhalten 
und  die  Zeugnisse  deh  in  Bereebtigungssdieitte  nmwaaddtNi,  irt  die  Ordnung 
sn  jener  HShe  gediefaeot  auf  welcher  a«ch  der  Uneingeweihte  in  ihr  die  Un- 
natnr  n  ahnen  beginnt. 

Allerdings  dem  Fremden  wird  solch  wolgefdgte  Ordnung  immer  impo- 
niren,  und  es  wäre  unbillig,  die  vortheilhafte  Seite  dieser  Entwickelang  ver- 
Icennen  zu  wollen.  Eür  das  moderne  Haas  ist  die  derzeitige  Einrichtung  un- 
■etreitig  höchst  bequem.  Der  fabrikartige  Zuschnitt  der  Schult hätigkeit  über- 
hebt den  Familienvater  aller  Überlegung  nnd  Soige  nm  die  Zweckmäßigkeit 
der  Mittel  und  Wege  fttr  die  Erziehung  der  männlichen  Jugend.  Ist  die 
Schnlanstalt  gewählt  —  und  wie  sollte  man  sie  anders  wählen  als  nach  dem 
Maßstab  der  Berechtigung!  —  so  läuft  in  den  meisten  Fällen,  ein  Durch- 
«chnittsmaaß  von  Gaben  und  Leistungen  vorausgesetzt,  der  Bilduugsprocess 
nUt  jener  bembigenden  Regelmäßigkeit  ab,  weldm  die  Familien  Ycm  jeder  wel- 
tena  TheHnahme  ntbindet.  Erst,  wo  eigenartige  Knabennatnrea  hi  berech- 
tigtem oder  unberechtigtem  Widerstreben  den  erwarteten  Ansatz  der  üblichen 
•Jahresringe  ablehnen  und  sich  gegen  die  Aufnahme  der  lehrplanmäßigen 
Nahrung  sperren  —  erst  da  treten  Fragen  nnd  Aufgaben  an  das  EUtembans 
heran,  zu  deren  Lösung  weder  Geschick  noch  Neigung  vorbanden.    Irre  ich, 


Digitized  by<aOOgIe  | 


—   246  — 


niclit,  so  liegrt  die  Grundbedingung  fBr  die  Gesundung  unserer  Scliulznstände* 
in  der  Wiedererweckung  der  pädagogischen  Idee.  Bei  der  historischen  Ge- 
staltung unserer  Schulen,  unter  dem  Druck  einer  vor  allem  auf  äußeren  Erlolg, 
auf  g^ifbare  fiesultate  arbeitenden  Zeitrichtong,  in  dem  Streben,  sich  in 
enter  Linie  den  Sehein  nnd  die  Vorflieile  dessen,  was  fBr  Büdnng  gilt,  m 
sichern,  besteht  die  Gefohr,  dass  der  einfache  pädagogische  Sinn,  der  die 
deutsche  Schnle  groß  gemacbl^  Terloren  gehe  und  die  Qnelle  wahrhafter  Idealitlt 
verschttttet  werde. 

Dr,  Karl  Andreä,   Über  Gründe  und  Ziele  schulreformatorischer 
Bestrebnngen  (Langensalza,  Beyer  &  Söhne). 

[Dentsehe  Gymnasien  nnd  andere  Schnlen.]  Man  wird  nieht 
leugnen  können,  dass  die  Gymnasien  vielfach  eine  Art  von  Bildungs-Monopol 

fttr  sich  in  Anspruch  genommen  haben  und  noch  nehmen,  dass  sie  mit  der 
Prätension  auftreten,  als  ob  sie  allein  es  seien,  welche  Gebildete  aus  sich  her- 
vorgehen lassen,  und  dass  sie  deshalb  zuweilen  einen  gewissen  BildungshocU- 
mnth  lor  Sdun  tragen.   Und  an  diesem  thSrichten  Vomtlieil  partidpfaren 

wir  y  Akademiker"  alle,  jonge  und  alte,  reichlich          Wir  wollen  ehrlich  sein 

nnd  gestehen:  auch  unter  uns  classisch  und  akademisch  Gebildeten,  unter  Phi- 
lologen und  anderen  (relehrten,  untt^r  Hochschalprofessoren  und  Gymnasial- 
lehrern gibt  es  ungebildete  Menschen;  denn  einseitige  Fachbildung  ist  immer 
nur  halbe  nnd  addechte  Bildung;  der  Student  hat  dafür  längst  schon  den 
treffenden  Ansdmck  „Fachsimpel''  nnd  nFacihsimpelei"  gefunden.  Wahre 
Bildung  ist  freilich  nur  Eine;  aber  der  Wege  dazu  kann  es  gar  verschiedene 
geben:  den  einen  bildet  Schule  und  üniversitllt,  den  anderen  das  Leben; 
den  einen  die  humanistische  Schule,  einen  anderen  die  realistische.  <.)der  viel- 
mehr, die  Schule  gibt  Überhaupt  keine  Bildung,  sondern  nur  Vorbildung,  nur 
Gmadlage  nnd  Anlkng,  nur  Bmehstfieke  und  Theile.  Bleiben  wir  bei  diesem 
letKten  Bilde:  Wenn  die  Bildung  ein  Ganses  ist,  von  dem  auch  das  Gym- 
nasium nur  Theile  gibt,  so  lassen  sich  andere  Schnlen  denken,  die  ebenfalls- 
Theile,  andere  Theile  geben,  und  im  Lauf  des  späteren  Lebens  müssen  dann 
die  Besitzer  eines  solchen  Theils  dieses  Stückwerk  erst  ergänzen  und  in  sich 
zu  einem  Qanien  ausbanen  und  abrunden. 

Idi  glaube,  dass  bei  uns  in -Deutschland  die  Bildungswege  zu  peiuliel» 
normirt  und  vorgeschrieben,  die  Zugänge  zn  den  verschiedenen  Ziden  zu  Sogst- 

lieh  verclausulirt  sind.  Wir  fragen  immer  erst  nach  dem  Woher,  nnd  wenn 
sich  ein  Mensch  darüber  nicht  genügend  ausweisen  kann,  wenn  er  nicljt  die 
richtige  Anstalt  besucht,  nicht  das  richtige  Abiturientenzeugnis  in  der  Tasche 
hat  und  vonECigeii  kann,  so  hüft  ihm  alles,  was  er  etwa  weiß  und  kann,  zn 
dem.gewünschl»n  Zide  nidite  

Dan  Frieden,  den  SeliuUHeden,  den  wir  so  nothwendig  brauchen,  sdiidlk 
deher  nicht  die  Besdtigung  der  Realgymnasien,  sondern  vielmehr  nur  ihre  Er- 
haltung nnd  die  Vennehmng  und  Erweiterung  ihrer  Berechtigungen  ..... 
Woran  Icrankt  eigentlich  unser  Realschulwesen?  In  erster  Linie  an  der  allge- 
mein verbreiteten  Anschauung,  dass  das  Gymnasium  die  vornehmere,  die  Real- 
schule die  weniger  vornehme  Anstalt  sei;  wer  daher  den  Trieb  der  Vornehm- 
iidt  bat     md  wer  bittre  ihn  nidit?  ~  der  acMdit  seine  Söhne  lieber  auf 


Digitized  by  Google 


—  247  — 


das.  Gymnasiam  als  aiif  dte  Bealschale         Wer  den  El^jfthflg-FreiwilligeB- 

schein  haben  will,  so  sagt  man,  geht  lieber  aufs  (Tymna«inm:  hier  erhRlt  er  ihn 
sozusagen  gratis,  ohne  besondere  PrUt'ang,  also  leichter:  hier  kann  man  ihn 
ersitzen;  denn  wenn  ein  Junge  last  in  jeder  Classe  zwei  Jahre  lang  die 
Bloke  godHlekt  hat^  ao  erfutt  tehliefflkih  die  Lehrer  ein  meneeUiohes  Rfihren, 
and  sie  lassen  ihn  los;  nnd  nicht  blos  das  menschliche  Gefiihl  dee  Hitleidi:, 
WBwiBfu  das  Interesee  dvr  Srhule  selbst  treibt  da/.u  und  fordert,  daiB  BUUk  sioh 
dieses  Ballastes  (iocb  immer  wieder  möglichst  rasch  entledige  

Was  wir  also  branchen,  das  sind  mit  einem  Worte  Schulen  für  das 
Volk,  nicht  Scholen  für  kttniUge  filMr^eoiBein  md  Stnatsbeamte....  Mehr 
BOdong  für  die  UeinMi  Leute,  mehr  Bftimg  Ar  dni  Volk!  —  Wir  sind  all- 
zasehr  gew9hnt,  die  Bildung  von  oben  heftib  zu  sehen:  von  nnten  ans  ange- 
schant  nimmt  sich  in  derselben  vieles  anderl  ans:  utkI  dazu  gehört  im  Sclinl- 
wesen  die  Scliaffung  von  richtigen  Kealschulert,  die  einen  brauchbaren  mittle- 
ren Bürger-  und  besseren  Arbeiterstand  heran/üeheu,  die  durch  und  durch 
piaktlieh  lud  gar  nieht  gelehrl  nnd  gar  nicht  vornehm  «bid.  Damit  ist  aneh 
ein  Nationales  geleiltet,  selbst  wenn  diese  S<Anle  dem  Hew  direot  keinerlei 
Dienste  mehr  thUte:  es  wäre  durch  sie  ein  Beitrag  gegeben  zur  Lösnnp  der 
socialen  Frage.  Mehr  Herz  fürs  Volk!  Das  ist  der  Ruf,  der  tilglich  lauter 
erhoben  werden  niuss,  auch  auf  die  Gefahr  hin,  dass  er  einstweilen  noch  man- 
eiiem  mimtSaeftd  in  die  Ohren  klingt  nnd  dem,  der  ihn  erhehti  wenig  Dank 
einbringt;  liier  tpedalisirt  er  aich  dahin:  Schalen  fttr  das  Volk,  die  gat  volka- 
th&mlich,  nicht  aiistokratisch  vornehm  sein  mfissen ! . . . 

Ich  kann  es  weder  socialpolitiprh  noch  moralisch  für  einen  Gewinn  an- 
sehen, wenn  das  Studium  immer  mehr  vei-theuert  und  finanziell  belastet  und 
dadurch  immer  meki*  zu  einem  Privilegium  der  Reichen  gemacht  wird.  Das 
bringt  Ton  Tonhereitt  einen  protsigen  Qeiat  in  nneer  Beamlenthnm,  nnd  daa 
verbittert  anf  der  andern  Seite  die  ftrmeren  Classen  mit  Recht,  wenn  sie 
sehen,  wie  ihnen  oder  vielmehr  ihren  begabten  Sehnen  dax  Aufsteigen  in  die 
llMwren  Schichten  immer  mehr  erschwert,  geradezu  unmöglich  gemacht  wird. 

Dr.  Theobald  Ziegler,  Die  Fragen  der  Schulreform. 


[Volksbildung.]    Vom  Vorrtand  der  „Gesellschaft  für  Verbreitung  von 
Volksbildung"  in  Berlin  erhalten  wir  folgende  Mittheilnng-:  Die  Volksbiblio- 
theken, die  in  den  siebziger  Jahren,  nach  Begründung  der  „Gesellschaft  für 
Verbreitung  von  Volksbildung"  einen  gauz  erbeblichen  Aufschwung  nahmen, 
sind  in  den  letalen  Jahren  an  vielen  Orten  znrllckg^angen,  ja  von  einxelnen 
Vereinen  ganz  aufgegeben  worden.    Die  Ursachen  scheinen  weniger  in  der 
Sarlie  Reihst,  als  in  dem  rnistande  zu  liegen,  dass  sich  die  Aufmerksamkeit 
von  den  Bililiotheken  mehr  al  trewaiidt  und  auf  andere  ilhnliche  Einrichtungen 
gelenkt  hat.    Die  Volksbibliotheken  werden  aber  dort,  wo  sie  gut  verwaltet 
werden,  nach  entspreobend  beantit,  so  dass  eine  leUiaftere  Fürsorge  Ar  dieses 
VdlkaMldnng»'Inititat  in  Jeder  Beriehnng  wttnicbentwert  «rseheint.   Von  dieeea 
Erwlgnngen  ausgehend,  fasste  der  Central-Ansschass  der  Gesellschaft  für  Ver- 
breitung von  VcUubihlang  nach  vorangegangenen  Berathnngen  folgende  Be- 
schlüsse : 

.  -■     1.  Der  Vorstand  der  Gesellschaft  wird  beauftragt,  eine  Broschüre  zu  ver- 


Digitized  by  Google 


—   248  — 


riffentlicht^n,  in  uflchor  die  Bedputung  der  Volksbibliotheken  dargethan,  ihr 
augeübiicklicher  Stand  gezeichnet,  die  gegen  sie  eriiubenen  Vorwürfe  zorück- 
gewiMon  and  Fingerzeige  la  ihrer  VerbeBsenmg  gegeben  werden.  InsbesoDdere 
teil  die  BroMhfire  enthalten:  Hnstenrenefehnlne  für  fsm  kleine  Blbliellieken 
and  Verzeichnisse  derjenigen  bewährten  Schriften  (ältere  nnd  neuere  Volks- 
olasslker),  die  bei  Nengriindung  einer  Volksbibliothek  in  erster  Linie  Berück- 
sichtigung verdienen,  sowie  besondere  Verzeichnisse  für  liindliche  Büchersamm- 
longen,  in  denen  die  wirUchaftliche  Arbeit  der  Laudbewoliner  (Obstbau,  Vieh- 
zaoht,  Landwirtsohaft,  Weinealtar)  ausgiebig  BerMitehtigung  ihidet. 

2.  Die  Zeiteehrift  der  GeiellBehnft,  der  „BUdangt-Tereia*,  bringt  fort- 
laufend  unter  einer  besonderen  Rubrik  eine  Anzeige  neu  erschienener  Bftoher, 
die  sich  zur  AnRcliaffung  für  Volks-  und  Vereinsbiblibtheken  eignen. 

3.  Die  Gentraisteile  der  Gesellschaft  fördert  die  Einrichtung  von  Waader- 
bibUothekea  Ar  Stadt  oad  Land,  erläsat  einen  Aufruf,  in  welchem  um  onent- 
«eltUclM  Überlamng  von  gnt  erhaltenen  JBttehom  ond  Zeiiaehriften  gebeten 
wird,  die  ärmeren  Vereinen  auf  Wunsch  zugesandt  werden  sollen,  und  versucht, 
durch  Anregung  und  Mithilfe  in  den  Bei  liner  Vororten  gnte  VolkahibUotheken 
«vent.  mit  Lesezimmern  ins  Leben  zu  rufen. 

4.  Auch  für  die  Jugendbibliotheken  wird  unter  Benutzung  der  von  Lelirer- 
vereinen  bearbeiteten  Venseiebnitee  ein  Mnaterkatalog  aafgeatelU  nnd  wenn 
möglich,  in  gleicher  Weite  wie  für  die  übrigen  BibliotbelEan  die  nea  ereehei- 
nende  Literatur  registrirt. 

Diese  Aibeiten  sollen  vom  Vorstande  der  Gesellschaft  sogleich  in  Angriff 
genommen  werden.  Wir  wünschen  den  Bemühungen,  die  herrlichen  Schätze 
nnterer  Volkdlterator  in  jede«  deutsche  Haot  na  bringen,  den  weitgehendtteo 
EiMg.  Sollte  dner  nnaertr  Leter  in  der  Lage  und  gewillt  tein,  in  der  einen 
oder  anderen  Weise  mit  Batli  nnd  Tbat  zu  helfen,  etwa  durch  Hinweis  auf 
gute  Werke,  Bezeichnung:  soL  lier  in  vorliegenden  grednickten  Katalogen,  durch 
Mittheilnng  von  P'rtulii  iiiigen  auf  dem  Gebiete  des  X'olksbibliothekswesens, 
durch  statistische  Mittlieiluugen  über  Benutzung  einzelner  Volksbibliotheken  etc., 
to  werden  Elntendnngen  mit  grOitem  Danke  entgegengenommen  ?om  Bnreaa 
der  Gesellschaft,  Berlin  W.,  MaaBenstraße  20,  oder  von  deren  Oeneralaeeretftr, 
Lehrer  J.  Tewe,  Beilin  NO.»  Pallitandenttr.  100. 


[Tarnen.]  Unlingtt  itt  bei  nelmich  in  Bielefeld  eine  Broschüre  unter 
folgendem  Titel  erschienen :  „Schulreform  und  Turnunterricht.  Eine  tnrn- 
piidagogische  Streitschrift  als  ernstes  Maimwort  an  die  Schulbehörden  und  den 
deutschen  Lehrerstand,  zugleich  eine  kritische  Betrachtung  über  die  XL  deutsche 
Tnmlehrer-Veraammlnnir.''  Wer  tich  &ber  die  derzeitige  Sachlage  aaf  dem 
beseichneten  Gebiete  orientiren  will,  darf  dieie  Schrift  nicht  ttberseben.  . 


[Schalarbeit  nnd  Schfilerkraft.]    Prüf.  Dr.  Leo  Bnrgerttein,  der 

im  Novemberhefte  des  „Psdagoginm",  iibtr  den  VII.  internationalen  Congresa 
für  Hyg^iene  und  Demographie,  London  1891,  berichtet  und  hierbei  auch  einen 
von  ihm  selbst  gehaltenen  Vortrag  skizzirt  hat  (^siehe  S.  115  f.  unserer  Zeit- 
tchrift),  hat  nun  teinen  Vortrag  unter  dem  Titel:  „Die  Arbeittkarve  einer 
Schalttnnde"  in  voUttladigem  Wortlante  TeMratUcht  (40  Seiten,  Hambug 


Digitized  by  Google 


—    249  — 


ud  Lei9d9  bei  Lcfopold  Von).  Wir  empfehlen  die  etmirelchen  nnd  «n- 
re^enden  UateESWihiiDgeii  «nseres  geaeldttstea  Mitarbeiten  eingehender  Be- 
acfatang. 


Von  derWeiehiel.  [Polnieeher  Prtvat-'Spraelinnterrielit.  Fori- 

biidnngssohule.  Was  die  Lehrer  an  erwarten  hfttten,  wenn  die 
Schnlg^esetzgebuDg  in  Windthorst'aelie  Salinen  einlenken  würde. 

Polnische  Lehrer  im  Westen,] 

Unterm  11.  April  1891  hat  Coltusminister  Graf  Zedlitz  an  die  königL 
Kegierungen  an  Bremberg  nnd  Posen  folgende  Verftigung  erlassen: 

„Ans  den  Kreiien  der  pofaiieebcii  GdatUcltkeit  wird  die  Beschwerde  er- 
hoben, dass  die  Erlblge  des  in  polniecber  Sprache  ertheilten  Beligioneonter- 

rlchtes  in  den  Volksschulen  durch  den  Fortfall  des  polnischen  Sprachiiutir- 
richtes  beeinträchtigt  würden,  und  dass  die  Mög-lichkeit,  dieser  Beeinträcli- 
tignng  durch  Einiichtung  p^^liiisrlien  Privatunterrichts  vorzuboueron ,  durch  ein 
Verbot  der  königl.  Regierung  an  die  \'olk8schuIlebrer,  einen  derartigen  I'rivat- 
nnterrieht  an  Sbemehmen,  abgeeefanitten  sei. 

Bereits  mein  "Herr  AmtsvorgSagcr  hat  wiederholt  darauf  hingewiesen, 

dass  der  Fortfall  des  polnischen  Sprachunterrichts  in  dem  Lehrplan  der  Volks- 
schulen nur  bezweckt,  für  den  Betrieb  des  deutschen  Unterrichts  mehr  Zeit 
zu  gewinnen,  dass  aber  den  Hi'thcilijj^ten  überlassen  bleibe,  außerhalb  der 
Schale  Veranstaltungen  zu  tiefieu,  um  ihren  Kindern  besondere  Ausbildung  im 
polnisehen  Leeen  nnd  Sobreiben  zu  gewithren.  Wenn,  wie  es.  den  Anschein 
hat,  das  Verbot  der  kSnigL  Begiemng  an  die  VoilcaschnUehrer  die  "Vnrkong 
gehabt  hat,  eine  weitere  Verbreitung  von  Veranstaltungen  für  Ertheilnng  des 
polnischen  Lese-  und  Schreibunterrichts  überhaupt  an  liindem,  SO  ist  dasselbe 
Uber  den  vorbezeichneten  Kähmen  hinausgegangeu. 

Demanfolge  veranlasse  ich  die  königl.  Regierung,  die  \'olksschuUehi^ 
Ihres  Beairks  darttber  an  yerstftndigen,  dass  die  Erfheiinnff  von  PriTatnnteri 
rieht  an  polnische  Kinder  im  polnischen  Lesen  und  Sclireibea  innerhalb  Ihrer 
Gemeinden  auf  Antrag  hn  der  königl.  Regierung  ilinen  werde  gestattet  werden. 
Den  Wünschen  der  Betheiligten  wird  es  zumeist  entsprechen,  dass  dieser 
Privat-Unterricht  in  den  Räumen  der  Schulen  ertheüt  wird  und  ist  hiergegen 
nichts  in  erinneni,  sofern  die  Gemeinden  die  ^enntanng  4er  Sdnlriume  ge- 
statten* 

Was  die  Sprache  des  liatholischen  Religionsanteniohtea  in  den  VoUusehnlen 

anbelangt,  so  hat  zwar  mein  Herr  Amtsvorgänger  durch  Verfügung  vom 
22.  Januar  1888  den  Obergang  von  der  polnischen  zur  deutschen  ünterrichts- 
spraobe  vorgeschrieben,  nnd  ich  habe  aus  den,  mit  Erlass  vom  13.  December 
V.  Jsi  aurfickgesendeten  Sprachübersichten  ersehen,  dass  bestimmungsmäßig 
▼erfiihrea  und  fiut  dnrehweg  fttr  polnische  Kinder  der  Beligionsunterrieht 
deutsch  ertheilt  wird.  Das  Auftreten  wiederholter  Beschwerden  auf  diesem 
Gebiete  lässt  es  indessen  wünschenswert  erscheinen,  bei  denjenigen  Volks- 
schulen, welche  nicht  ,in  unzweifelhaft  deutschem  Sprachgebiet  liegen,  und  in 
welchen  die  Ertheilnng  des  katholischen  Religionsunterrichtes  sich  ganz  oder 
iMwaiM  im  dautsebsr  Spnehe  ToUaielrty  diw  emente  Prttftuig  in  dieser  SMt- 


Digitized  by  Google 


—   2Ö0  — 


fnn^  eintreten  zn  lassen,  ob  die  polnischen  bezw.  als  zweispracbif^  «roftihrten 
Kiiith  r  mit  volli m  Verstilndnis  dem  Unteiricht  folgen  können.  Ist  dies  nicht 
anzanefameo,  «o  ist  je  nach  Lage  des  einzelnen  Falles  der  polnische  Eeligions- 
nnterrieht  aa  ^  SIb&b  te  taM  «rtbeilt^s  Unterrichts  sa  aetmn.* 

Dieser  Verfligmigr  des  ünterridilaaiiiiBlBra  mmtm  lietheOigton 
CoUsgen  von  Anfang  an  erhebliche  Bedenken  entgegengebracht.  MfedUHi 
nahen  ein  Jahr  seit  ihrem  Erlass  vei-floss-  ii  ist.  lassen  sich  die  Folgen  oinis'fr- 
nnften  übei-sehen.  Was  den  Kennern  der  Verhältnisse  von  vornherein  klar 
war,  ist  zu  Tage  getreten:  Der  Ministerial-Erlass  über  die  Zulassang  des  pol- 
nischen Privatunterrichts  in  nnsem  Volksschnlen  hat  die  Begehrlichkeit  der 
Polen  von  nenera  erwedct.  Es  vergeht  kein  Tag,  ohne  dass  man  in  pol- 
nischen niättem  lebhaften  Klagen  darüber  begegnet,  dass  die  nntergeojdneten 
Schnlbehörden  den  Anweisungen  des  Ministers  widerstreben.  Die  ganze  Be- 
wegung läuft  darauf  hinaus,  die  deutschen  Katholiken  zu  polonisiren.  Es 
wird  von  allen  Seiten  jedes  Mittel  angewandt,  dieses  Ziel  zn  erreichen.  Man 
hetreibt  bei  den  Eltern  die  Absendnng  von  Gesnchen  om  Überweisung  ihrer 
Kinder  in  die  polnischen  Abtheilnngen  beim  Religionsunterricht;  wol  anch 
Schnlvorstllnde  und  Heist liclikfit  werden  dieserlialb  vorstellig.  Prüft  dann  ein 
Hegierungsbeamter  die  \  erhiUtnisse,  so  stellt  sich  heraus,  dass  die  angeblich 
polnischen  Kinder  von  deutschen  Eltern  stammen.  Freilich  beheri-schen  diese 
Kinder  snHer  der  Vuttenpraehe  auch  das  Pohlische.  Es  ist  aber  unerhSrt, 
jeden,  der  polnisch  spHcht,  als  Polen  za  bezeichnen.  Die  Begriffe  .polnisch** 
ntid  „katholisch"  sollen  gleichbedeutend  sein;  sie  sind  es  jedoch  nicht.  Die 
Lage  der  deutschen  Katholiken  hierzulande  ist  keine  beneidenswerte:  sie  finden 
an  der  Geistlichkeit  keinen  Bückhalt.  Ks  ist  deshalb  sehr  weise,  dass  die  An- 
sledelungseoniniissioii  mit  der  Heimnsfehung  katholischer  Ansie^tr  vorsichtig 
■verfUirt;  in  den  meisten  FsHen  ist  der  deutsche  Katholik  der  Slavishrung 
verfallen,  eben  weil  die  Geistlichkeit  zn  den  Vorkämpfern  der  Entdcutschnng 
zählt.  Die  Lehrer  gehen  keineswep-s  freudig  an  die  P>rfeilnng  des  polnischen 
üntenichts.  Von  der  Unterrichtsverwaltung  sind  sie  in  eine  missliche  Lage 
'versetzt  worden:  sie  sollen  denselben  Kindern,  die  sie  polnisch  untenichten, 
Kenntnis  der  deutschen  Sprache  beibringen,  sollen  das  Deutsche  brancben,  das 
jetzt  verhasster  geworden  ist  als  früher.  Der  Pole  des  Mittelstandes  sagt: 
Der  Minister  will  gar  nicht  haben,  dass  unsere  Kinder  deutsch  unterrichtet 
werden,  sonst  hiltfe  er  nicht  angeordnet,  dass  jtolnischer  Privatunterricht  ertlieilt 
werde;  nur  die  unteren  Behörden  trugen  die  Schuld,  dass  man  uns  nicht  mehr 
Zugest&ndnisse  machte  Solche  Gedanken  kann  man  oft  aassprechen  hdren. 
Die  pohiisehen  Ultras  schüren  das  ITener  weiter.  Sto  fSirdeni  nicht  nur  die 
Znrfickversetjsung  der  Lehrer,  die  seinerzeit  im  dienstlichen  Interesse  nach  dem 
Westen  geschickt  werden  mnssten,  sie  fordern  anch  polnischen  Unterricht  an 
den  Heminaien.  Natürlich!  Man  will  eine  polnische  „national ''-gesinnte  Lehrer- 
schaft heranziehen,  um  dann  die  Schule  den  „nationalen''  Interessen  nutzbar 
m  mache».  Nimmt  das  Oentrum  d«i  „Kampf  um  die  Sdnde**  auf,  wie  das 
jängst  anf  dem  Danziger  Katholikentage  feierlich  verMtaidigt  wurde,  so  kennen 
die  polnischen  Sonderbestrebungen  dadurch  nur  geff»rdert  worden.  Die  Kegie- 
rung  wird  in  den  Parlamenten  Gelegenheit  haben,  zn  der  Angelegenheit  xStellung 
zn  nehmen.  Es  steht  zu  erwarten,  dass  von  polnischer  Seite  lebhafte  Klagen 
vOTgehracht  werden.   MUehtm  die  Idtendeik  Kreise  dann  dia  Sacfalag»  un- 


Digitized  by  Google 


—   251  — 


lültogen  prüfen.  Über  die  Kothwendigkeit,  das  D^utschthnm  auch  fcrneihia 
gegen  slavische  t'berp:riff^^  7M  schützen,  karrn  kein  Zweifel  sein.  Man  tilusche 
sich  nicht:  kleine  Zugeständnisse  machen  die  Polen  nicht  zn  einer  allertreuesten 
Opposition;  größere  verbietet  das  Staatswol.  Man  gebe  sich  keinen  Illusionen 
ftlmr  die  eigendiehfln  Zwecke  md  Ziele  der  fielnitdieii  Propaganda  hin!  Der 
Mlieren  NachgieMgkeit  gegen  nnberechtigte  polniaehe  Ansprüche  verdanken 
wir  die  PoloniBimng  von  Tausenden  dentioher  Kadwliken.  Dieae  bittere  Lehre 
sollte  niemals  vergessen  werden. 

Nach  der  bisher  von  den  königl.  jwreisscholinspectoi'en  geübten  i'raxis 
durften  na  dem  polniaöhen  FriTat-S^radrantexrieht  die  der  deataehen  S^raehe 
nftehtigen  mid  von  Dentaehen  atanunenden  Kinder  vom  aageblieh  polniaehen 
Eltern  mit  deutschem  Namen  nicht  theilnelimen,  auch  wenn  die  Eltern  selbst 
den  Wunsch  aussprachen,  dass  man  es  ihren  Kindern  (restatte.  Nachdem  die 
königl.  Kegiemng  in  vielen  Fällen  die  Gesuche  und  13escli\\  <  r  ien  der  Eltern 
abschlägig  bescbieden,  hat  der  Unterricbtsminister  eine  Euisciieidun^  ^ctrutYen, 
welche  den  WQnadien  der  angeblich  polniaehen  Ettem  Bechnung  trlgt.  Seine 
daraaf  bezügliche  Verfögung  lautet: 

„  Auf  den  Bericht  vom  5.  September  d.  .1.  erwidere  ich  der  königl.  Regie- 
rung, das«,  nachdem  durch  den  Erlass  vom  11.  April  den  Volksschullehrern  die 
Ertbeünng  von  polnischem  Privatuntei-richte  in  ihren  Gemeinden  verstattet 
worden  lat,  ea  döt  Xütcni  —  mögen  sie  polniacher  oder  dentacher  Natioaalitftt 
sein  —  aaheini  geatallt  iat,  ilire  acho^ichtigen  Kinder  an  dem  in  flirw  Ge> 
meinde  zagelassenen  Privatunterrichte  im  Pdniachen  theilnehmrai  zn  lassen, 
i^ie  königl.  Regierung  hat  hiemach  die  Unterzeichner  der  wieder  beifolgenden 
Eingabe  zu  bescheiden  und  das  sonst  etwa  Erforderliche  zu  veranlassen." 

Bei  den  Polen  herrscht  über  diesen  Entscheid  natürlich  große  Freude. 
Der  „Dsieonik  Posnanaki"  theOt  mit,  daaa  bald  nach  Bekanntwerden  dea  Er* 
lasses  in  jeder  Posener  Schule  eine  Anzahl  rein  deutscher  Kinder  bei  den 
I^elirem  der  polnischen  Sprache  sich  gemeldet  und  im  Namen  der  Eltern  nni 
ihre  Annahme  zu  diesem  Unterrichte  gebeten  hat.  Dieses  beweise  nach  An- 
sicht des  genannten  polnischen  Blattes,  dass  nicht  allein  bei  den  Polen,  sondern 
aneh  bei  fielen  Dentaehen  daa  Bedfirfhia  der  Kenntnia  der  pi^lniadien  Simehe 
aich  Ahlbar  gemacht  habe.  Daaa  aich  die  Begdirlidikeit  der  Polen  steigert^ 
sehen  wir  aus  einigen  Auslassungen  des  „Knryer''.  Nachdem  dieses  polnische 
Hlatt  dem  Cultusminister  für  die  Verfügung  Dank  ausgeRprnehen  hat,  heißt  es 
weiter:  Unsere  Dankbarkeit  würde  noch  größer  sein,  wenn  der  Herr  Minister 
nicht  auf  halbem  Wege  stehen  bleiben,  sondern  ebenso  wie  er  erlaubt,  daas 
iBimtliehe  Kinder,  deren  Ettem  ea  wflnechen,  ohne  Aaaaahme  im  Poiniadhen 
nntenMhtet  werden  • —  es  auch  gestatten  wollte,  dass  den.  Kindern,  deren 
Eltern  es  verlangen,  der  Heligionsunterriclit  in  polnischer  Sprache  ertheilt 
werde.,..  Der  Herr  Minister  erklärt  im  Kescript  vom  11,  April,  dass  die 
Bücksicht  auf  den  Religionsunterricht  ihm  gebiete,  dafür  Sorge  zu  tragen, 
daaa  die  polniaehen  Kinder  polnisch  leaen  lernen.  Wie  kann  ea  demgegenftbar 
von  Herrn  Minister  gediddet  werden,  daaa  die  Kinder,  welche  za  Haoae  polniadi 
beten,  den  Religionsunterricht  in  der  Schule  in  einer  ihnen  nicht  genau  ver- 
ständlichen Sprache  erhalten,  in  einer  Sprache,  welche  nicht  in  der  Wärme  zu 
ihrem  Herzen  spricht,  wie  es  der  Religionsunterricht  erfordert,  wenn  er  Fräclite 
bringen  soll  ?  — 


Digitized  by  Google 


—   252  — 


Hauptaächlicli  um  iVic  deutsche  Sprache  bei  den  schulentlassenen  polnischen 
Knaben  weiter  zu  ptlegen,  wurde  im  Jahre  1887  die  oblig;atori8che  Furtbil- 
duogsschale  in  Posen  und  WestpreuÜea  eingeführt.  L>ie  anfänglich  befxiedigen- 
dea  Erfolge  dJeaer  BinrlAtiiDir  gingen  jedoeh  bald  swOdc.  Bei  den  Heiitern 
nicht  minder,  als  bei  den  Lehrlingen  zeigte  sich  ein  heftiger  Widerstand  gegen 
die  Fortbildangsscliulf,  Ilm-  Schülerziilil  g^ing  immer  mehr  zurück,  die  Schulen 
wurden  leer  oder  lösten  sich  auch  völlig  auf.  Der  Besuch  des  Unterrichts 
aber  konnte  nicht  erzwungen  werden,  da  der  Bicbter  in  zahllosen  Fällen  dahin 
ealMliledy  dMi  in  Vn»9tn  die  Molidfakft  mit  dem  volleadeteii  14.  Ld^n^jahr 
onfliOrt,  ein  darflber  Unaiugeheader  gMetelioher  Zwang  am  Sdmlbenidi  aber 
nicht  bestehe.  Und  so  war  es  tbatsächlich,  die  Gesetzgebung  hatte  eben  eine 
Lücke  gelassen.  Diese  Lücke  im  Gesetz  ist  nunmehr  durch  Einführung  des 
Zwangsparagraphen  in  die  Novelle  zur  Reichsgewerbeordnung  ausgefüllt. 
Danach  können  gewerbliche  Lehi-iinge  and  Arbeiter  unter  18  Jahren  durch 
Ortattatat  warn  Bemch  der  obllgatoriaehen  FortbilduigaBcbQle  vnter  Anwendnnflr 
empfindlicher  Strafon  gezwungen  werden.  Die  städtischen  Verwaltungen  in 
den  Pr-dvinzen  Posen  und  Westpreußon  sind  gegenwärtig  mit  der  Aufstellung 
solcher  Ortsstatutcn  beschäftigt,  und  es  steht  zu  erwarten,  da.ss  die  obliga- 
torische Fortbildungsschule  sich  nunmehr  auf  sicherer  gesetzlicher  Grundlage 
in  den  polniidien  Landeetlieileo  weiter  kriftig  entfidtea  wird.  Den  Yelrteni 
MUeh  seheinf  dieser  gesetslidie  Zwang  vnbeqoem  n  sein;  denn  sie  gehen 
vielerorts  mit  der  Orfindung  sogenannter  „Innungsschulen**  vor,  um  insbesondere 
über  die  Bestimmung  der  Unterrichtszeit  freie  Hand  zu  behalten.  In  der 
Stadt  Posen  beispielsweise  wollen  drei  Innungen  solche  Schulen  einrichten. 
Alle  derai  tigen  Versuche  haben  indes,  wie  die  Erfahrung  vielfach  bestätigt  bat, 
neuMBSwerte  Erfolge  nicht  sa  enielen  yermocht.  Bs  wire  daher  wol  m 
i^flnaehen,  dass  die  Regierung,  wenigstens  in  unserer  Gegend,  alle  Absonde- 
rungen beseitigen  und  die  staatliche  obligatorische  Fortbildungsschule  ohne 
Unterschied  durchfüliicn  möclite.  In  anbetracht  der  Wiederzulassung  des  pol- 
nischen Privat-Sprachunterrichts,  der  die  Verdeutschung  des  polnischen  Ele- 
üsiits  donh  die  VoUrssehnle  inumildn  antetheben  geeignet  ist,  cneheiBt  es 
dringend  nSthig,  mit  der  aUgvnieiMi  WiedsreriMhangr  der  obUgatiMlsehsB  Fort- 
Uldongssehale  anf  gesetdicher  Grundlage  ungesäumt  vorzugehen. 

Was  die  Lehrer  zu  erwarten  hätten,  wenn  die  Schulgesetzgebung  in 
Windüiorst'sche  Bahnen  einlenken  würde,  das  hat  die  ermländische  Geistlich- 
iLeat  nnter  der  Fttbrong  des  Bischofs  Dr.  Thiel  durch  ihr  Vorgehen  gegen  die 
katholisdten  Mitglieder  der  Lehrerrereine  mit  einer  DentHehkeit  genigt,  die 
wol  geeignet  sein  könnte,  gewissen  Schwärmern  die  Angen  zu  Offnen.-  Der 
Abg.  Krebs  hat  auf  der  Danziger  Kathnlikenversammlung  geäußert,  man  sudie 
in  seiner  Heimat  (Ostpreußen)  die  Meinung  zu  verbreiten,  dass  die  katholischen 
Lehrer  nicht  dasselbe  Kecht  hätten,  wie  die  anderen.  Schweilich  hat  der  Herr 
hierbei  an  das  Treiben  den  erallndlseheB  Glems  gedacht,  sonst  wfirde  er  wol 
noch  hinsngeAgt  haben,  dass  man  selbst  die  yerwerfUcbBten  Mittel  nieht  un- 
versucht gelassen  hat,  nm  die  Lehrer  in  swingen,  einem  bischöflichen  Willen 
zu  Gefallen  anf  die  Ausübung  ihrer  staatsbürgerlichen  Rechte  zu  verzichten. 
Weder  Lockungen  noch  Droliungen  sind  zu  diesem  Zwecke  gespart  worden, 
ja  man  hat  sogar  die  Kanzel  gemisabrancht,  um  das  Volk  gegen  die  Lehrer 
anfktthetsen  und  diese  dadnroh  mltarbe  sn  maehen.    Man  bat  sie  forasr  bei 


Digitized  by  Google 


—   253  — 


Bewerbnnpen  nm  erledigte  Kirchsclmlstellen  mit  der  Hegründong  abgewiesen, 
dass  sie  Mitglieder  der  sogenannten  freien  Lehrervereine  seien,  oder  von  ihnen 
eine  Beficheinigang  über  ihren  Austritt  aas  den  Vereinen  verlangt.    Dass  solcher 
Dnidt  «liistlae  Mitglieder  na  Infierlidiea  ÄMUl  liewogen  li«t|  kaim  nieht 
tberraachen.   Die  Mehmhl  aber  hilt  aUen  Anfeohtmigeii  nun  Trots  getreu- 
lich stand.    Diesen  gegenüber  sieht  sioh  nun  der  Bischof  an  der  Grenze  seiner 
Macht.    Die  hie  und  da  gebrauchte  Androhnng  kirchlicher  Straten  verfÄngt 
nicht,  da  sie  in  unserer  Zeit  zur  Erreicbang  hierarchischer  Zwecke  doch  nicht 
■elir  M«gefiihrt  worden  kenn.   Anfeiner  Firmange-  nod Viiitationsreise  nahm 
der  Bieebef  Dr.  TMel  mehrftMdi  Oetegenheit,  leinen  Unnrafh  darBber  m  lofiem, 
data  es  immer  noch  eine  große  Anzahl  von  Lehrern  gibt,  die  seine  Herrschaft 
auf  weltlichem  Gebiete  nicht  anerkennen  wollen.    Bei  der  Kirchenvisitation 
zu  W.  im  Kreise  Allenst«'in,  zu  welcher  auch  die  Lehrer  mit  den  Schulkindern 
erschienen  waren,  stellte  er  an  eine  Abtheilung  der  letzteren  die  Frage:  „Als 
wae  iit  diriBtOB  geboren  werdm?"  und  erhielt  hieranf  die  Antwort:  »Ale 
Menaeb."    Dieee  Antwort  brachte  den  Biscliof  in  eine  solche  Aufregung,  dass 
er  vor  versammelter  Gemeinde  ausrief:  „Die  Kinder  kennen  nicht  einmal  die 
Grundwahrheiten  des  Christenthums!"    Offenbar  lag  dieser  Äußerung  die  Mei- 
nung zn  gründe,  die  Kinder  hätten  keine  Kenntnis  von  der  Gottheit  Christi 
gehabt  üid  dodi  dflifte  ee  den  Biscbof  nieht  lehwer  geworden  eein,  lieh 
doreh  nSherea  Eingehen  anf  die  Sache  von  der  Ünhaltbarkdt  jener  Heinnny 
m  übenengen.    Aber  er  begnägte  sieh  nieht  damit,  den  betreffenden  Lehrer 
vor  vorsammelter  Gemeinde  bloszustellen ,  sondern  er  führte  sogar  bei  der  königl. 
Begierung  darüber  Beschwerde,  dass  die  Classe  jenes  Lehrers  über  die  Grund- 
walirheiten  des  Christenthums  nicht  genügend  unterrichtet  sei,  da  es  ihm  (dem 
Bitehef)  trots  aUer  angewandten  Hfthe  nicht  gelungen  wire,  ane  den  Kindern 
herauszubringen,  dass  Christus  Gott  aei.    Infolge  dieser  Beachwerde  wnfde 
die  betreffende  Schul«'  'lurcli  den  znstAndigen  Krcissclmlinspector  im  Auttrage 
der  Regierung  einer  gründlichen  Kevision  in  Bezug  auf  den  i^cligionsunterricht 
unterzogen,  die  drei  Stunden  in  Anspruch  nahm.    Sie  ergab,  dass  die  Angaben 
dee  Bischoft  jeder  tbateftchlichen  Grundlage  entbehren.   Der  Biachd  hat  bei 
der  betreffenden  Kirehenviaitation  jene  Sdinlclaase  soniehst  nach  den  dnrf  gött- 
lichen Personen  gefragt  nnd  richtige  Antworten  erhalten,  worin  auch  die  Lehre 
vor  der  Gottheit  Christi  eingeschlossen  war.    Darauf  hat  er  dann  die  Frage 
gestellt:  „Als  was  ist  Christus  geboren  worden?"  und  die  unzweifelhaft  rich- 
tige Antwort  erhalten:  „Ais  Mensch."    Hierauf  hat  der  Bischof  au  jene  Kinder 
fiberhanpt  keine  Frage  mehr  gerichtet,  iat  vielmehr  in  aeiner  Erregtheit  so- 
gleich m  Tadel  und  Anklage  vor  versammelter  Gemeinde  übergegangen.  Dass 
sich  der  ganze  Vorgang  in  dieser  Weise  abgespielt  hat,  wurde  vom  Kreis- 
schulinspector  durch  Nachfrage  bei  den  Schulkindern  festgestellt.    Ebenso  ergab 
sich  hierbei  die  interessante  Tliatsache,  dass  von  den  25  Kindern  dieser 
Söhnle,  die  bei  der  betreffenden  Kirehenvialtation  zugegen  gewesen,  die  Mehr^ 
saht  (14)  bareita  eonffrmirt  iat.   Der  matSndige  Pforrer  hfttte  alao,  wwn  die 
Anachnldignngen  des  Bischofs  begründet  wären,  es  auch  nicht  vermocht,  jenen 
Kindern  im  Cnnfirmandenunterrichte  die  „Grundwahrheiten  des  Christenthums** 
beizubringen,  und  er  hätte  sie  auch  ohne  die  Kenntnis  derselben  für  reife 
Christen  erklärt,  indem  er  sie  zu  den  Sacramenten  annahm.    So  liefert  denn 
jener  Unatand  einen  handgretflichen,  wenn  anch  indirecten  Beweia  fttr  die  Hin- 


Digitized  by  Google 


—   264  — 


tiUlis:keit  der  Bt^liauptung-en  des  Bischofs.  Hoffentlich  wird  letzterem  nach 
diesem  miBsloBg^^uea  Verauch  die  Lust  zu  weiteren  ungerechtt'ertigteu  Angriffen 
vergehen. 

Wie  stSndft  ea  mm  aber,  wenn  dieWindtbonftelMii  Sehnlantilge  Gewts 
wflren?  Dieie  fordern:  „In  das  Amt  eines  Volksschullehrers  dürfen  nur  Per- 
eoneo  berufen  werden,  gegen  welche  dio  kirchliclie  Ikhörde  in  kirchlich-religiöser 
Hinsicht  keine  ^Einwendungen  gemacht  hat.  Werden  später  solche  Hinwen- 
dungen erhoben,  so  darf  der  Lehrer  zur  Ertheilang  des  Religionsunterrichtes 
nieht  weiter  ngtüBrntm  wetden.**  Wie  leidit  „Iänwendiinfl;en  in  Idrehlleh* 
religiOeer  Hinsiclit''  erhoben  werden  Icönnen,  geht  daraas  hervor,  dass  der 
Bischof  gerade  aus  angeblich  kirchlich -religiösen  Gründen  verlangt,  dass  die 
katholischen  Lehrer  aus  den  sogen,  freien  Lehrervereinen  austreten  sollen. 
Für  die  Lehrer  ist  dies  treilich  eine  weltliche  Frage,  da  es  sich  hierbei  um  die 
AesQbnng  von  Bediten  handelt,  die  ihnen  dnrch  die  VerlSuBang  und  dai 
Vereinageaets  gleich  allen  andeien  Staatablligeni  lageaichert  aind.  Wer  sweifidt 
aber  naeh  den  mitgefcheilten  Thatiachen  noch  daran,  daaa  der  Bischof  nnter 
der  angeführten  Voraussetzung  gegen  alle  diejenigen,  die  ihm  in  dieser  welt- 
lit  heil  Frage  den  Gehorsam  versagt  liaheii.  Einwendungen  ..in  kirchlich-religiöser 
Hinsicht"  erheben  würde/  Eine  TrüfuDg  solcher  Einwendungen  durch  die  vor- 
gesetste  SchnlbehOrde  wftre  nach  dem  Windthorst'eehen  Antrage  nkdü  zqliaoig, 
es  würde  vielmehr  sofort  die  Entdehong  des  Religionsonleiridita  and  damit 
in  vielen  Fällen  dei-  Verlast  der  ^ranzen  Stellung  erfolgen.  Dagegen  zeigt 
dt^r  niitgetheilte  Fall  nnwiderleglich,  wie  noth wendig  es  ist.  dass  derartige  und 
iihnliche  Einwendiuigen,  die  ja  der  kirchlichen  Behörde  auch  unter  den  heutigen 
Verhiltnisien  nieht  verwehrt  sind,  von  der  dem  Lehrer  voiKeaetaten  Ober- 
behSrde  geprSfl  werden.  Berechtigte  Beschwerden  werden  hierbei  gewiss  Be- 
rttcksichtigong  finden,  die  Lehrer  aber  sind  so  gegen  Vergewaltignng  gesdifitrt. 
Dies  mögen  namentlich  diejenigen  unter  ihnen  bedenken,  die  mit  dabei  sind, 
die  Ketten  für  iliren  Stand  schmieden  zu  helfen.  Noch  eiu  Beispiel  möge  hier 
angeführt  werden,  um  die  in  den  Windthorst'scben  Anträgen  enthaltene  Forde- 
mng  m  belenehten,  dass  der  cor  Leitung  des  Beligionsaiterrichts  berofene 
Geistliche  befugt  sein  aoU,  „den  Ldirer  für  die  ErtheUung  des  Religrionsunter- 
rieht«  mit  Weisungen  zu  versehen,  die  von  letzterem  zu  befolgen  sind."  Wenige 
Tage  nach  der  oben  erwähnten  Revision  des  Kreisschnlinspectors  ei-schien  in 
derselben  Schule  der  Pfarrer  B.  aus  W.,  um  im  bischöflichen  Auftrage  eine 
Revision  dee  Beligionannterrlchta  vomaelmien.  Br  wandte  sich  noerst  an 
die  Ostern  d.  J.  in  die  Schale  anfltenommenen  Kinder  mit  der  Frage:  «Was 
ist  Gott?^  und  war  sehr  erstaunt,  von  sechsjUirigen  Kindern  keine  regelrechte 
Detinition  über  das  Wesen  Gottes  zu  erhalten.  Seiner  Verwunderung  hierüber 
gab  er  sofort  vor  den  Kindern  Ausdruck  und  wollte  auch  die  Ausführungen 
des  Lehrers,  dass  demrtige  Definitionen  sich  fttr  diese  Stufe  nicht  eignen  und 
daher  anch  in  den  dem  Unterrichte  an  Grande  gelegten  „Katecheeen  von  Hey** 
nmgangen  seien,  nicht  gelten  lassen,  sondern  er  blieb  dabei,  jene  Begriffsbestim« 
mung  müsse  im  Religionsunterricht  den  .\nfaiitr  bilden,  gleichviel  ob  die  Kinder 
das  verstehen  oder  nicht.  Bei  der  weiten  n  Frage  nach  dem  zweiten  Kirchen- 
gebot stellte  sich  heraus,  dass  der  Ffarrer  den  Wortlaut  dei>selüeu  nicht  genau 
Icannte,  was  er  wieder  nicht  angeben  wollte,  bis  er  durch  Voilialtang  des 
Katechismus  flberflihrt  wurde.   Welche  Fördmung  Id^nnte  wol  der  Beligiona- 


Digitized  by  Google 


—   2&5  — 


Unterricht  trtahien,  wenn  Leute  oineu  nmßgebonden  Eintiiiss  auf  ihn  ansüb^n 
sollten,  die  weder  der  Methode  noch  des  Stofifes  Herr  sind?  Ware  es  nicht  ge- 
ndeni  v«rdArbllek,  wenn  der  Lehrer  ihre  Wtiniiigen  ohne  weiteres  befolgen 
nMe?  Pfturer  B.  gehSrt  so  den  vor  knnem  enuumten  LoealeehnHntpectoren- 
Von  d«i  ans  den  Provinzen  Poeen  nnd  Weetprenften  seit  1886  nach  deni 
Weeltti  versetzten  polnischen  Lehrern  befinden  sich  noch  53  in  der  Hhein* 
provinz,  Westfalen  und  Hessen-Nassau,  und  zwar  18  im  Rog.-Bez.  Düsseldorf, 
10  im  Reg.-Bez.  Trier,  7  im  Reg.-Bez.  Koblenz,  (i  im  lieg.-Bez.  Köln,  5  im 
Keg.-Bez.  Wiesbaden,  4  im  Reg.-Bez.  Münster  nnd  3  im  Reg.-Bez.  Aachen. 
15  polnische  Lehrer  sind  bereite  in  die  Hdmat  zorttchgelEebrt.  Davon  ^d  11 
als  Emeriten  ans  dem  Dienst  geschieden.  Neuerdings  haben  4  weitere 
Lehrer,  deren  Frauen  an  Heimweh  litten,  in  der  Trovinz  Posen  Lehre i*stellen 
erhalten,  und  3  Lehrer  stehen  aus  derselben  Ursache  mit  der  königl.  Regie- 
rang wegen  ihrer  Zarückversetzung  nach  der  Provinz  Posen  in  Unterhandlung. 

j  Aus  Württemberg.]  Die  Hochflut  schulpolitischer  Schriften  in  der  "2  Hälfte 
dtih  vurigeu  und  im  ersten  Viertel  dieses  Jahres,  sowie  die  lebhafte  Besprechung 
derselben  in  Sehol-  und  politischen  Tsgesbiftttem  lieft  hoffen,  dass  die  leitenden 
Kreise  den  schwebenden  Sehnlfragen  erhöhtes  Interesse  schenken  werden,  nnd 
in  dieser  Annahme  wnrde  man  nicht  getäuscht;  das  Jahr  1891  hat  eine  Reihe 
nennenswerter  Besserungen  gebracht,  die  in  unserem  in  der  Schul entwicklung 
60  sehr  zurückgeblirbenen  Lande  doppelt  freudig  begi-äüt  und  aufgenommen 
werden.  Znent  folgte  ei>e  Anderong  des  ConfereAswesens  «nd  eine 
Einschrftnknng  der  Anfsatspflicht.  Die.  Zald  da*  Gonfareniea  wnrde 
fiir  die  über  30  Jahre  alten  Lehrer  von  4  auf  2  herabgesetzt.  Die  jöngeren 
Lehrer  haben  bis  zu  dem  eben  genannten  Zeitpunkte  außerdem  noch  2  sogen. 
Sondercouferenzen  anzuwohnen.  Die  Aufsatzpflicht,  die  seither  bis  zum  voll- 
endeten fünfzigsten  Lebensjahr  dauerte,  wnrde  aufs  40.  herabgesetzt;  auch 
wurde  die  Zahl  der  AnfUltie  theilweise  vermindert  Wlihrend  bis  mir  Äiide^ 
rnng  des  GoDferensweeens  jeder  Lehrer  bis  zn  seinem  50.  Lebensjahre  jährlich 
2  Aufsätze  machen  musste,  sind  jetzt  nur  noch  die  jüngeren  Lehrer  bis  zum 
volh  iideten  30.  Jahre  zur  Lieferung  dieser  Anzahl  verjtHichtet.  \'on  da  an 
bis  zum  40.  Jahre  ist  alljührlich  nur  ein  Aufsatz  auszuarbeiten  und  abzugeben. 
Die  Wiohtigiceit  dieser  Nevregeiang  besteht  niin  darin,  daas  doreh  die  Ver« 
vindening  der  Zahl  der  Conferenaen  von  jetzt  ab  weniger  geistliche  GoollBrena« 
directoren  nöthig  sind  als  seither  und  dass  zur  Leitong  der  Sonder-  oder  Lern- 
conferenzen  auch  tüchtige  Volksscliullehrer  berufen  werden  können.  Gegen- 
wärtig sind  es  evangelischerseits  deren  10.  Beides  zusanimengonommen  — 
Entbehrlichkeit  mancher  geistlichen  Conferenzdirectoren  nnd  Beiziehuug  von 
Lehrern  mir  Leitong  von  Conferenaen  —  ergibt  eine  ansebnliehe  Binschrftnknng 
des  geistlichen  Einflusses  aufs  Schulwesen,  denn  es  sind  eben  jetzt  erheblieh 
weniger  Geistliche,  die  sich  mit  der  Schule  bernfsmftßig  zu  beschäftigen  haben. 

Der  weitere  Verlauf  des  Jahre.s  brachte  eine  ansehnliche  Gehalts- 
erhöhung, welche,  was  wol  selten  der  Fall  sein  dürfte,  von  beiden  Kammern 
einstimmig  bewilligt  wnrde.  Während  vor  2  Jahren  noch  im  40.  Jahre 
100,  im  45.  Jahre  140  nnd  im  60.  200  HIc.  Altersaalage  gereicht  wurden, 
hat  lieh  infolge  der  seitherigen  zweimaligen  Anfbesaemng  die  Sache  so  ge- 


Digitized  by  Google 


—   206  — 


staltet,  da£8  unständige  Lehrer  vom  zai  ück gelegten  25.  Jabre  an  vomStaate  50  M. 
arbaltttij  tOndige  Lelurer  eriuJtCfi  fon  Tage  dei  DaHaittvins  an  (etwa  mit  27 
bis  SSJahnn)  bii  mm  85.  lieben^jalire  Jlhrileh  160  Mk.,  welche  als  Stelleii- 

zalage  zu  betrachten  sind,  so  dass  jetzt  Württemberg  mit  1100  Mk.  Minimal- 
gehalt  (neben  freier  Wohnung)  ^^ol  die  höchsten  Anfangsgehalter  in  Deutsch- 
land bezahlt.  Vom  35.  Jahre  an  betrilgt  die  Alters/ulag:e  200,  vom  40.  an 
250,  vom  45.  an  300,  vom  50.  an  400,  vom  ob.  an  5Ü0.  Zugleich  wurde 
in  Ansdcbt  gestellt,  dass  die  grSSeren  StBdte  n  erheblichen  Hehrlebtangen 
zu  den  Stellengehalten  herange/o;^'^« n  werden  lolleu.  Auch  sei  der  Untenehfed 
in  der  Bezahlung  zwischen  Land  und  Stadt,  wenn  beide  dieselbe  Bevölkerungs- 
ziffer aufweisen,  aufzuheben.  Diese  Ausgestaltung  des  Systems  der  Alterszu- 
lagea  wirkt  natürlich  auch  vortheilhaft  auf  die  Witwen-  und  Waisenpensionen, 
«elebe  in  3  Abstnftugen  gereidit  irerden,  Ar  deren  Bemessung  (wenigstens 
fBr  die  mittlere  und  obere  Stufe)  ein  füniOlluriger  Dnieiisdmittsgehilt  tob  1380, 
resp.  1910  Mk.  nötig  ist.  Infolge  dieser  neuesten  Aufbesserung  rfidtt  alsdann 
künftig  eine  sehr  große  Anzahl  Witwen  in  die  mittlere  Stufe  von  390  Mk. 
und  eine  ziemliche  Zahl  in  die  höchste  Stufe  von  4S0  Mk.  Die  Kinder  erhalten 
bis  zum  18.  Lebeu^ahr  als  Halbwaisen  je  ein  Viertel,  als  Vollwaisen  je  die 
Hftlfte  d«r  betreffimden  Stnft. 

Wie  die  Regierung  nnd  die  Stände  in  diesODi  Stücke  alles  thaten,  um 
den  Wünschen  der  Lehrer  gerecht  zu  werden,  so  machte  die  Regierung  auch 
einen  Anlauf,  die  Schulanfsicht  im  Sinne  der  Lehrerbestrebungen  zu  regeln. 
Allein  es  zeigte  sich,  dass  die  kirchlichen  Parteien  mächtiger  sind  und  mehr 
vermögen  als  der  gute  Wille  eines  Ministers.  Anlast  nr  ErOrCeraag  der 
Schnlanürichtafrage  gab  der  vom  Cnltusminister  Dr.  7cni  Sarwey  eingebraehte 
Gesetzentwurf  betreffend  die  Ortsschnlbehörden.  —  Württemberg  hat  seit 
1865  die  ?'inrichtuns-  der  ürtsschulbehörde.  Im  Laufe  der  Jahre  haben  sich 
jedoch  namentlich  durch  ein  neues  Kirchengemeindegesetz  Änderungen  als 
nothwendig  erwiesen,  die  einer  gesetxlichen  Regelung  bedurften.  Die  Nene- 
mngen  betrefliMi  tot  allem  die  ZnaanmeaaetBang  dieser  BehSrde;  insbesondere 
soll  die  Zahl  der  Geistlichen  niemals  3  übersteigen,  was  jetzt  in 
größeren  Orten  gegen  seither  ebenfalls  eine  Einschränkung  des  geistlichen  Ein- 
flusses bedeutet.  Im  Zusammenhang  über  die  Zusammensetzung  und  die  Ob- 
liegenheiten der  Ortsschulbehörde  schlug  nun  die  Commission,  welche  den  Ent- 
wurf Torsttberatben  hatte,  vor:  „In  grStoren  Stidten  mit  mehreren  Volks- 
soimlen  kann  die  Ortsscholaufsicht  einem  oder  mehreren  Ortsschulauisehem 
ohne  die  BefcIliiLMins'  zu  einem  Kirchenamt  übertragen  werden."  Über 
diese  6  Worte  entspann  sich  eine  ötiLgige  Redeschlacht,  aus  welcher  wir  kurz 
Folgendes  erwähnen:  Auf  der  einen  Seite  wurde  mit  Freuden  begrüßt,  dass 
dnreh  diesen  Antrag  zum  erstennml  das  Prineip  der  rein  geistUohen  Sshvlaif- 
sieht  dnrehbrochen  wnrde;  anf  der  anderen  Seite  erblichte  man  in  diesem 
kleinen  Zugeständnis  an  die  Lehrerschaft  „das  große  Thor  fttr  die  Entchrist- 
lichung  der  Volksschule".  Ersteren  Standpunkt  vertraten  —  man  höre  nnd 
staune  —  württembergische  evangelische  Prülaten;  letzterer  wurde  von 
katholischen  Geistlichen  und  —  Lehrern  verfochten.  Die  schönsten  und 
beweiskrllUgsten  Ansführnngen  an  Oonsten  der  Begiernngsvorlage  worden  van 
dem  Kanzler  der  Universität  Tübingen  (y.  Weizäcker)  vorgebiaeht,  der  damaf 
hinwies,  dass  bei  Ltfsang  der  Seholfragen  Tersehiedene  Factoren  coneorriren 


Digitized  by  Google 


—   267  — 


„Da  ist  der  Staat,  da  ist  die  Kirche,  da  ist  die  Familie,  auch  die  Ge- 
meinde ist  genannt  worden.  Ich  möchte  noch  etwas  änderet«  hinzufügen,  was 
zunächst  durch  den  Lehrerstand  vertreten  iat,  nftmlich  die  Bildung,  die  aas 
dar  Witianteliaft  hArvorgeht,  aa  dar  steh  der  VdküehaUelirer  seinen  Theil 
hat."  Neben  diesem  weiteren  Faetor  —  der  Wissentebaft  — ,  der  bei  LQsuiir 
dieser  Frage  in  Betracht  zu  ziehen  ist,  stellte  der  Eedner  das  Verbftituis  von 
Staat  und  Kirche  in  Beziehung  auf  die  Sclinle  fest.  Die  lieiitipre  Schule, 
wie  sie  besteht,  ist  ein  Werk  des  Staates  und  des  großen  wissenschaft- 
lichen Fortschritts,  darum  bat  der  Staat  in  erster  Linie  ein  Kecht  aof  die 
Sehnle.  —  Von  gegneriseher  (katholischer)  Seite  wurde  henrorgehoben,  „dast 
wir  ans  ini  abschUgem  Wege  befinden,  wenn  man  darauf  hinarbeite,  der 
Lehrerwelt  eine  ganz  aufsichtslose  Aratsführang  zo  verschaffen.  Dieser 
Weg  tühre  uns  zu  Dingen,  die  bis  jetzt  nur  als  Ziele  der  Socialdemokraten 
bezeichnet  wurden  sind."  Diesen  Ausfülirungeu  trat  ein  Eedner  der  Linken 
eaergtoeh  gegenüber,  welcher  unter  anderem  betonte,  wie  UlUg  nnd  niehta- 
sagend  der  diesmal  nr  Abwedudmup  gegen  sie  gekehrte  Yonnirf  der  Forde- 
rung des  Socialismns  sei.  Die  Abstimmung  am  dritten  Tag  ergab  folgendes 
Besultat:  57  gepen  2()  Stimmen  waren  dafür,  „dass  in  Städten  mit  mehr  als 
25  för  die  Angehiirigen  einer  Confession  bestimmten  Volksschulclassen  für  diese 
die  OrtsschulauMcht  einem  oder  mehreren  Ortsschulaufsehem,  welche  die 
Bef&hignng  an  einem  Klrehenamte  nicht  haben,  Übertragen  werden 
kann." 

So  weit  wäre  alles  ^ut  und  schön;  aber  die  Kammer  der  Abgeordneten  — 
denkt  und  die  der  Standesherren  —  lenkt.  Dieses  kleine  Zugestiindnis  an  He 
Lehrerschaft,  das  zur  Zeit  außer  Stuttgart  noch  4  weitere  Städte  getroden 
bitte,  kam  den  meiil  katheUsehen  Standesherren  an  nidleal  Ter,  weshalb  sie 
dem  Beschlösse  der  anderen  Kammer  nicht  beitreten  kennten.  „In  Württem- 
berg hat  von  Jeher  der  Grandsatz  der  geistlichen  Aufsicht  über  die 
Volksschule  bestanden."  Über  die  Universitäten  und  höheren  Lehranstalten 
früher  nicht  auch  ?  „Die  Wirkung  dieser  Einrichtung  ist  eine  wahrhaft  segens- 
reiche gewesen."  Ja  wohl;  der  gesammten  Schulzeit  wusü  für  Religion 
verwendet  werden  nnd  die  dessen  sind  grMtentheils  an  AbtheOnngsontenicht 
genöthigt,  trotzdem  die  Zahl  der  gleichzeitig  zu  unterrichtenden  Schiller  In 
bildunpHfrenndlichster  Wei.'^p  nur  auf  die  niedere  Zahl  90  festgesetzt  ist. 
,Ein  dringendes  Bedürfnis  zur  Änderung  dieser  Einrichtung  ist  nicht  zu  er- 
kennen." £s  ist  leider  bedauerlich,  dastt  die  Kinder  des  Volks  auch  in  Uber- 
fiUlten  dessen  noch  viel  an  viel  imrnen.  Diesem  Obelstaad  mnss  abgebolfni 
werden.  „Selbst  aber,  wenn  ein  solches  Bediirfliis  vorläge,  so  kSnnte  es  gegen- 
über der  I^rindpienfrage  nicht  als  entscheidend  erachtet  werden.''  Ist  natürlich 
das  T'rineip  gerettet,  dann  bleiben  auch  die  nnlialtbarcn  Scliulzuständc  be- 
stehen. „Würden  nunmehr  auch  Laien  zur  Ortsschulaufsicht  zugelassen,  so 
wäre  dies  eine  Durchbrechung  des  Princips  von  unabsehbarer  Tragweite." 
ist  recht  gnädig  von  den  hohen  Standeshenren,  dass  sie  Schnlfaohmftnner, 
die  tagtBgllch  im  Schnlgesdiftfte  thätig  sind  und  deren  eigenster  Beruf  die 
•genaue  Kenntnis  der  Pädagogik  ist,  als  Laim  bezeichnen.  Es  ist  dies  eine 
vullständige  Verkennung  der  wirklichen  Sachlage.  Wir  Lehrer  betrachten 
die  Geistlichen  als  Laien  im  Schulgeschäft  und  Schalbetrieb.  Solange  dieselben 
nicht  mit  eigener  VerMtwertUefakelt  wealgatens  ein  Jahr  lang  eine  Normal- 

PUagasin»  M«  <'«^-  Bcft  IT.  19 

Digitized  by  Google 


—   258  — 


classe  von  90  Scliülern  in  allen  Volksscluiltacliern  nnterrichtet  haben,  muss 
uns  Lehrern  das  Recht  zustehen,  sie  als  Laien  zu  betrachten.  „Zwar  soll  der 
Sache  eine  nicht  unbedentende  EiuBcbränkang  gegeben  werden.  Gleichwol 
erhebt  ileli  die  Beaorgnis,  dass,  wenn  man  etannl  y<m  Prladp  abgewlelieii  iet» 
man  Mf  eine  nbeehlHlge  Bahn  geriUh,  nnd  daM  nach  nnd  naeh,  beeonden 
bei  dem  jetzigen  bedenklichen  Zog  der  Zeit,  immer  weitere  Folgen  sich  daran 
knü])fen.  und  dass  am  Ende  sich  Verhllltnisse  ergeben  würden,  welche  nichts 
weniger  als  erwünscht  wären."  Es  ist  schön,  dass  sich  die  Herren  so  kJar 
und  dentlich  aussprechen.  Es  ist  ja  sicher,  daas  durch  Einführung  der  fach- 
mfUiniichen  .SchidanMeht  die  SchnlverhSltnisse  bedeutend  gebeeeert  würden, 
womit  eine  Hebung  der  Volksbildong  Hand  in  Hand  gehen  müsste.  Gesteigwte 
Volksbildung  wiire  allerdings  etwas,  was  den  Htncn  nicht  weniger  als  er- 
\\  iinsclit  wlire.  Narht  nniss  es  sein,  schwarz,  rabnischwarz  I  ilan  tÜhre  doch 
au,  was  durch  eine  allmähliche  Steigei-ung  der  Vulksbildung  für  den  Staat, 
die  Gemeinde  nnd  die  Kirche,  wenn  dieselbe  nicht  veiigeschoben  wird  als  Deck- 
mantel znr  Befriedigung  hietttrehisehar  Gelfiste,  Schlimmes  entstehen  ]c5nnte. 
Nun,  Geistlichkeit  und  Adel  stiitzen  sich  gegenseitig.  Mit  25  gegen  3  Stim- 
men wurde  der  modificirte,  bedeutend  eingeschränkte  Entwurf  der  Regierung, 
soweit  er  sich  auf  Zulassung  von  „Laien"  zu  Schulanfsicbtsämtern  bezieht,  ab- 
gelehnt nnd  der  2.  Kammer  zur  nochmaligen  Berathung  übergeben.  Das  Er- 
gebnia  derselben  war,  daaa  jetst  45  gegen  87  Stimmen  sieh  gegen  die  Zu- 
lassung von  Lehrern  aussin^chen.  Uns  Lehrern  ist  es  recht,  dass  es  so  ge- 
gangen. Was  geboten  wurde,  wäre  zu  wenig  gewesen  und  hätte  eine  durch- 
greifende .Änderung,  die  ja  doch  nicht  mehr  zu  lange  auf  sich  warten  lassen 
kann,  bedeutend  verzögert.  Die  Lehrerscliaft  nimmt  aber,  wie  ein  Abgeord- 
neter sehr  richtig  bemerkte,  die  Bewegung  för  die  FaehauMeht  neu  auf,  ver- 
stärkt durch  den  moraUadien  Erfolg  der  Landtagsdebatten,  und  ihre  Bestre- 
bungen sind  getragen  von  der  Sympathie  der  bürgerlichen  Kreise. 


Digitized  by  Google 


Literatur. 


Enist  und  J.  Tews,  Deutsches  Lesebuch    für  Mädchenschulen 

(Mit  Berücksichtigung  des  hauswirtschaftlichen  Unterrichts,  i   In  drei  Händen. 

Band  I.    Haus  und  Heimat.   (Für  das  2.  und  3.  Schnljahr.)  2(30  8.  1)0  Pf. 

Band  II.  Haus  und  Vaterland.  (Für  das  4.  u.  ö.  Schuljahr.)  344  S.  1,20.  Mk. 

Bändln.  Haas  und  Welt  (FllrdM6.,7.ii.8.SchuUahr.)  563  S.  1,80.  Mk. 

Leipzig  und  Berlin  1891,  Julius  Klinkhardt. 

In  WUrdigune:  der  liohcn  Wichtigkeit  des  Fainilicnlebona  Tür  die  Bildung, 
Gesittuni»  und  Wolfalirt  der  ganzen  Nation,  und  geleitet  von  der  (Jber- 
zeugan^,  dass  dem  weiblichen  Gkscbleehte  der  mächtigste  Einflou  Mf  die 
Gestaltung  des  Fainilienlet)ens  zufällt,  haben  die  Verfasser  in  dem  vorliegenden 
Leäebucbe  ein  möglichst  wirk.Hanl(^s  Mittt  1  zur  Bildung  und  Erziehung  deutächer 
MBddiew  achafliMi  wollen.  Dos^  hierbei  auch  die  hauswirtschaftliche  Be- 
lehrung Anspruch  auf  Berücksichtigung  habe,  ist  seit  langer  Zeit  in  der 
PSdagogik  anerkannt,  in  der  Praxis  aber  leider  oft  vergessen,  daher  in  der 
Neuzeit  wieder  nachdrücklich  betont  worden.  Auch  die  Herren  Ernst  und  Tews 
erkennen  diese  Forderung  als  berechtigt  an,  wie  schon  der  Titel  ihres  Lese- 
buches zeigt,  und  machen  in  demselben  vollen  Emst  damit,  ihr  zu  genUgen. 
Hierin  liegt  zugleich  einer  der  (ürilnde,  weshalb  sie  für  MBdcbenschulen  ein 
besonderes  Xiesebuch  als  wünachenswert  betrachteten,  w&turend  bisher  im  all- 
gemeiaen  beide  Geiehleebter  in  den  VoHasehuIeB  einerlei  Lesebflcher  bentitst 
haben.  Außer  dem  c^^-tibnten  Punkte  bat  aber  in  dem  neuen  Lesebuche  auch 
alles  andere,  was  dem  eigenthttmlichen  Wesen  des  Mädchens,  der  Lebeas- 
stollong,  dem  Gefühls-  una  iBtereasenkreise  des  weibtielieB  Gescbleehtes  and 

seiner  naturgemäßen  Ausbildung  cntt<pricht,  sorgfältige  Beaehtunfr  gefunden. 
>iicht  als  ob  die  Herausgeber  einer  surüden  Absonderung  der  Mädcheubüdung 
▼OD  der  des  mKaalichea  Gesolileehtes  VonHdrab  leistea  woUtea;  Tielmehr  haben 
sie  die  gemeinsamen  Grundlagen  aller  wahrhaft  mensehlieben  und  natio- 
nalen Erziehung  zu  voller  Geltuns  gebracht,  so  das»  ein  sehr  großer  Theil  der 
hier  gebotenen  Leaeetfleke  aaeh  den  Knaben  aatrftglich  sind  und  tbataftohlicb 
geboten  zu  werden  pflegen:  nur  ist  einerseits  die  Pflege  der  Gemiithswelt, 
aniier.seits  die  praktische  Vorbildung  fUr  das  Leben  speciell  auf  Wesen  uud  Beruf 
des  Weibes  gegrBadet.  Insofern  wollen  die  Herausgeber  allerdings  ei ne  R  e  f  o  r  ni 
des  Mädrhenunterrichtes  mibahnen  und  derselben  durch  ihr  Lesebuch  eine 
Stütze  bieten:  demgemüli  enthält  dasselbe,  durchaus  auf  8ittlich-relig^ö.ser  und 
Taterländi scher  «irundlage  ruhend,  „sowol  die  fttr  die  .Tugend  beiderlei  Ge- 
schle'bts  bewährien  Losestoffe  aus  den  SehStzon  der  deutschon  Literatur,  als 
auch  neue  Lesestücke,  die  das  Weib  in  seinem  häuslichen  Wirken  und  Sehatfeii 
als  Lehrerin  der  Kinder,  als  Pflegerin  der  Erkrankten,  als  Priesterin  des 
Hanaas,  als  (renossin  des  Mannes  in  Freud  und  Leid  darstellen  und  dem  Mäd- 
ehen  den  Weg  zeigen,  den  es  arbeitend  und  schaffend  selbst  einst  waudelu 
soll,  um  die  hoben  .\nfgahen  zu  erfQUen,  die  dem  deut^hen  Weilie  im  deut* 
adiea  Volksleben  für  Gegenwart  und  Zukunft  gestellt  sind". 

Wolthuend  berflhrt  hierbei  der  Umstand,  dass  die  Herren  Emst  und  Tews 
sich  frei  halten  von  der  stolzen  Selbstüberhebung,  mit  welcher  heute  so  viele 
Pn(ieotmacher  ihre  „Reformen^  anpreisen  und  alles  biaher  Geleistete  hcrab- 
«etaen.  Die  Herausgeber  dieaea  aeuea  Lesebadiaa  aagen  ansdrdoUich:  „Wir 

19* 


DIgitized  by  Google 


—   260  — 


halten  dah  Fundament  unserer  Volkbhchulc  —  also  auch  der  Mädchenschule  — 
für  ein  du^^  hau^  g;eäundcfl:  wir  wollen  dasselbe  durchaus  nicht  erschüttern, 
sondern  im  (Jegentbeil  noch  befestigen;  wir  wollen  die  Allgemeinbildung 
nicht  verflachen,  sondern  vertiefen:  aber  wir  fordern  mit  derselben  Ent- 
schiedenheit, dass  die  Eigenart  der  weiblichen  Natur  und  der  Wirkungskreis 
des  Weibes  auf  allen  Stufen  volle  W'ürdigung  und  Berücksichtigung  finde." 
So  sprechen  Männer,  die  etwas  gelernt  haben  und  wissen,  was  sie  wollen. 
Auch  in  der  methodischen  Anordnung  der  in  ihrem  Lesebudie  aufge- 
speicherten BildungHstoffe  folgen  sie  (kin  iiaturgcuiäßen  und  längst  bewährten 
ftdncine,  nämlich  dem  der  concentrischen  lüreisei  welches  schon  auf  dem  Titel 
Hires  Winkes  erkennbar  ist.  Als  IDttelpnakt  alles  weibKelien  Denkens  und 
AVirkens  wird  überall  Haus  und  Familie  festgehaltcu ,  um  den  ^i^•h  dann 
die  nächste  Umgebung  (Hof  und  Garten,  Feld,  Wiese  und  AVald,  die  Schule 
und  der  Heimatsort),  nner  das  engere  und  weitete  Vaterland,  die  ganze  Natur» 
die  Erde,  der  Himmel,  die  weite  Welt  in  immer  wachsenden  Kr(  isr  ii  herum- 
lagem,  indem  alles  von  dem  ersten,  nächsten  und  beharrlichsten  Schauplatxe 
des  DaseiiM  aus  betrachtet  nnd  wieder  auf  ihn  mflekbcMgcn  und  so  m  im» 
gezwungener  W^eisc  ein«  tinheitlichr,  nher  immer  tieftie  und  breitere  Dnrdh- 
bildung  des  Geistes  und  Herzens  erzielt  wird. 

Somit  können  wir  das  hier  forUegende  Weik  im  Oannen,  nach  seiner  Idee» 
seinem  Plan  und  seiner  Ansfithning  nur  mit  lebhaftem  Keifalle  aufnehmen. 
Dass  sich  bei  geuaaerer  Kritik  und  beim  praktischen  Gebrauch  in  der  Schule 
im  Einzelnen  mancherlei  Ausstellungen  oder  wenigstens  Meinungsverschieden- 
heiten ergeben  werden,  kann  wol  bei  einem  so  nmtanglichen  Unternehmen  als 
selbstverständlich  vorausgesetzt  werden.  Vielleicht  kann  dieses  oder  jenes 
Lesestück  durch  ein  anderes  ersetzt  oder  einfach  gestriehen  werden.  Um 
ein  Beispiel  anzufiiliren:  Referent  würde  die  beiden  Sonette  von  Heine  „An 
meine  Mutter"  {li&nd  III,  S.  255  f.)  gern  entbehren;  sie  kommen  ihm  ziemlich 
leer  und  „gemacht"  vor,  nicht  au  dCV  Höhe  ihres  Themas  stehend,  innerer 
Wärme  und  natürlichen  Schwunges  ermangelnd,  jedenfalls  nicht  zu  den  be^f»  n 
Erzeugnissen  des  Dichters  gehörend.  Indessen  —  zunächst  handelt  es  sich  um 
das  Ganze,  um  die  Hauptsache,  und  da  können  wir  nur  wünschen,  die  deutschen 
Lehrer  mögen  das  Werk  ihrer  beiden  Collegen  mit  Wolwollen  aufnehmen  und 
ihm  die  ThUren  der  SchuLstuben  öffnen;  sie  mögen  auch  selbst  durch  gerechte 
Kritik  und  gute  Jvathschläge  an  der  Verbesserung  desselben,  wo  es  noch  noth- 
thnt,  mitwirken.  Die  Verfasser  erklären  sich  beieit^  solche  Unterstützung  be- 
reitwillig entgegenzunehmen  und  dankbar  zu  verwerten.  Jedeni^Üs  haben 
sie  durch  ihre  mühevolle  Arbeit  ihren  Beruf  zur  Förderung  deut:-rlier  Bildung^ 
sattsam  bewiesen;  und  die  Verlagshandlung  hat  dem  Werke  durch  scMnen, 
oosteetca  Dmck  anf  gntem  Pft|»iere  und  durch  billigea  Pieii  (ß  Dradneiteii 
gtoUn  Fonnatee  für  elneii  Pfträig)  dia  Veibieitnng  erldditert,       K.  K. 

*■    Prof.  Dr.  Karl  Stejskal,  Regeln  n.WSrterTerfieichnis  für  die  dentsche 

Eechtschreihnng.    .^nf  Grundlage  der  vom  hohen  k.  k.  MiDisteriura  für 

Cultus  und  Unterrieht  für  die  österreichischen  Schulen  festgestellten  Recht- 

sclireibung.    Wien  1891,  Manz.    166  S.    Preis  gebunden  60  Kreuzer. 

Die  vielen  Eeformv ersuche  und  Verordnungen  auf  dem  Gebiete  der  deutschen 
Orthographie  haben  es  endlich  dahin  gebracht,  dass  keine  deutsche  Ortho- 
graphie mehr  auf  AUgemeingiltigkeit  Anspruch  machen  kann,  und  man  es 
jedem  Schriftsteller  oder  Buchdrucker  überlassen  muss,  sich  zwischen  den  ver- 
schiedenen Systemen  ohne  heftige  Anstöße  durchzuwinden.  Am  Ende  wird 
man  bei  der  nun  einmal  eingerissenen  Zerrüttung  unserer  Orthographie  dieselbe 
fDr  eJne  Nebensache  halten  nnd  weitgeheiide  DuTdung  gegen  ihre  Tersciiiedenen 
Formen  üben  müssen.  Allein  in  der  Schule  wird  trotzdem  eine  Richtschnur 
unentbehrlich  bleiben,  weil  sonst  Lehrer  und  Schüler  rathlos  und  unange- 
nehmea  Folgen  ausgesetst  sein  würden,  da  ja  die  Orthographie  in  unserer  Zeit 
zu  einer  Kegierungsangelegcnheit  geworden  ist  -  eine  ?eltH;ime  Erscheinung,  aber 
doch  eben  eineTbatsache,  die  Beachtung  erheischt.  Und  so  sei  den  üslerreichischeu 
Lehren  und  Schulen  der  crthographisolie  Leitfedea  von  Dr.  St^duJ  als  Batli- 


Digitized  by  Google 


—  261  — 


Siber  uad  Wegweiser  bciiteaa  empfohlen;  kano  er  auch  nicht  beanspruchen, 
e  wiMmschaftlich  allein  richtt|i:e  Sohnibonif  >u  lehren,  so  ist  er  doch  flrceignet» 
vor  amtlichen  Verweisen  zu  sichern.  SarhkenntDis  und  Fleiß  sind  boi  Aus- 
arbeitung des  Bttdies  za  voller  Geltunjr  gelani;:t;  die  Ausstattung  desselben  ist 


Fr.  Nniler,  Rathgeber  f Ar  Volkssohiillehrer.  Dritte  A iifiage.  KitSTin 
den  Text  gedrackten  Abbildaiigeii.    Langensalza  1891,  Beyer  A  Sdhne. 

Ö43  Seit.    0.40  Mk.. 

Ein  tiurgttiltig  auägcarbeitotes,  in  üciner  Art  recht  gutes  Buch.  Es  umfMtt 
die  preuoische  evangelische  Volktschulc  in  allen  ihren  Vcrhältuissea 
und  Beziehungen  und  ist  daher  sehr  geeignet,  den  preuBiscbcn  Volksschullehrcr 
und  Volksscbulbearoten  in  seinen  Lebens-  und  Berufskreis  einzufahren,  den 
nicht-prouBischen  Schulmann  Uber  die  iircii  Bische  Schulpraxis  zu  informiren 
und  zu  einem  Urtheil  über  dieselbe  zu  befähigen.  Der  erste  (kürzere)  Uauptp 
theil  des  Werke«  fllhrt  „die  wichtigsten  Einrichtungen,  Ordnungen  und 
amtlichen  Bcstimmungca  für  VolksHchulru"  vor,  wälireiul  der  zweite  großerel 
den  Unterricht  in  der  Volksschule  ausführlich  behandelt  uad  hauptsAchlich 
Lehrgänge  fllr  die  Tenehiedenen  ftAvlttite  ntSttt  Pxobdeetioaea  bringt.  S(off> 
und  stimdcnpliinc  fQr  verschieden  gegliederte,  kleinere  und  grBSm  Yolks- 
schulen  schlieBen  das  Werk  ab. 

Da  der  Verftnaer,  prantiaeher  Seminarlefaier  und  Übungwehttlleiter,  den 
Hauptzweck  verfolgte,  in  die  fiu  ti-  'h  1)i  sti  luMidrn  Verhilltnisse  und  Normen 
«inzufiihreu .  sowie  die  jetzt  herrschenden  Methoden  darzulegen,  ohne  ein 
neues  System  aufteilen  oder  die  Grundkgen  der  Pfdagogik  nnd  Didaktik 
einer  fundamentalen  Untersuchung  unterziehen  zu  wolleu,  so  iribt  nein  Buch 
im  wesentlichen  keinen  Anlass  zur  Kritik.  Was  er  wollte,  ist  ihm  gelungen; 
die  gegebenen  gesetzlichen  Weisungen  sowie  die  literarischen  Behelre  für  die 
Yolksschulpraxis  hat  er  mit  Umsicbt  iii  seine  narMtcllunc;-  cingeflochten,  womit 
er  zugleich  die  Pflichten  und  Keuhte  des  V'olksächuUehrerä  iu  den  veracluedenen 
Besiehnngen  UargesteUt  und  demselben  Mittel  sur  Fortbildung  bekannt  ge* 

iimf'ht  hat.  D. 

Prof.  H.  Heidrich^  Handbuch  für  den  Religionsante  rricht  in  den  oberen 
Classen.  Dritter  Theil:  Glaubenslehre.  Berlin  1891,  Heine.  2r)4  S.  5,20. Mk. 
Obwul  da.s  „l'ii(l;i<?ogium  sich  mit  dem  Religionsunterricht  in  der  herkömm- 
lichen Form  wenig  zu  befassen  pflegt,  dilrfte  es  wol  einer  kurzen  Anzeiire 
des  Heidrich'schen  Werkes  Raum  zu  <rtl»en  lufit  soin.  da  tlussellte  principiell 
einer  besseren  Gestaltung  de«  Rcligiuuduutinii  ht.s  keineswegs  wider8trel)t. 
Vor  allem  sei  aber  bemerkt,  dass  der  Titel  des  unofi-zeigten  Buches  einiger 
ErlSnterungen,  bez.  Zusätze  bedarf.  Es  ist  nämlich  filr  den  Religionsunterricht 
in  den  oberen  Classen  höherer  Schulen,  namentlich  der  Gymnasien,  bestimmt, 
wie  denn  der  Herr  Verfasser  selbst  preußischer  Gjmnasialdirector  ist;  femer 
hat  er  den  R^Iigionsanterricht  in  erangelischen,  speciell  lutherischen 
Sehnten  im  Auge,  und  endlich  ist  es  nicht  etwa  filr  die  Hand  der  Sehttler, 
sondern  zum  (iebrauch  ftlr  Lehrer  bestimmt. 

Was  nun  den  Geist  des  Werkes  anbelangt,  so  wird  er  am  besten  durch 
folgende  swei  Gmndsitze  gekennsefchnet:  1.  „Nicht  su  der  Hensdien  Fitten, 
nicht  einmal  der  Reformatorou.  nollcn  Lehrer  und  Schüler  sich  setzen,  sondern 
zu  den  FiiBen  dessen,  der  auch  der  Reformatoren  Heister  war."  (Vorwort.) 
2.  „Nicht  sunt  .System  der  Dogmatik*  soll  der  Sebtller  der  oberen  Classen 
geflihrt  werden:  auch  hier  ^Wt  rn,  iminor  n  v  h  mehr  Krn>t  zu  machen  mit  der 
HO  sehr  beachtenswerten  Forderung  der  Erläuterung  zu  den  Lehrplänen  der  h«ihercn 
Sehnlea,  dass  auch,  die  liOtore  Schule  nieht  Theologie  Idire,  sondern  Religions- 
nnteiri<Ät  ertlieUe;  daf  System  grhiirt  auf  die  l'iiivr'rsitilt,  nifht  in  tlon  Si  hiil- 
nnterrieht.*'  (S.  8.)  Damit  kann  man  wol  einverstanden  und  unter  heutigen 
VerhUtniaMn  auch  zufrieden  sein,  besonders  wenn  diese  Grundsätze  so  ernst, 
besonnen,  vomrtheilslos  und  mit  so  reichem  Wi.><sen  durcht^eführt  werden,  wie 
es  in  dem  hüchät  beachtenswerten  Werke  des  Herrn  Prot.  Heidrieb  geschieht. 


M. 


Digiffzed  by  Google 


—   262  — 


ۥ  Jacubi,  Bibel-Atlas  zum  Gebrauche  an  Lebrersemiuarien,  Gym^ 
naiien  and  Bealsebnlen,  sowie  ffir  Geittliche  und  Lehrer.  N«ut 
Karten  mit  erklärradem  Text   Siebente,  ToilBtändiff  omgearbeitete  ond 

erweiterte  Auflage  des  „Atlat  zur  biblisehen  Geecbichte'*.  Gera,  Th.  Hof> 
mann.    Preis  1,20.  Mk. 

Ein  äcbr  gutes,  uraktiscb  t-mgeru-htttt-ä  uutl  schüa  au^gct'ulirtCb ,  äcincoi 
Zwecke  eDtsprecbendea  Lehrnuttel.  A. 

Ihr.  Herai.  WesendOBek,  Der  modern-relipidBe  Wahnsinn  oder  Christi 

Lehre  —  keine  göttliche  Lehre,  Graf  Leo  Tolstois  Evani,M  Hum  — 
Narrheit.    Leipzig:  1891,  Selbstverlag  des  Verfassers.  182  S.  2  Mk. 

Der  Pädae;üg  iiiu.«s  .seine  Zeit  verstehen.  Ein  wichtiges  Mittel,  sie  kennen 
EU  lernen,  ist  die  zeitfi:enös6ische  Literatur.  Darum  machen  wir  auf  das  ange- 
zeigte Bucli  uiit'iiurksuni.  Wer  nur  Schriften  aus  irgend  einem  dor  ver« 
^rbicdeneu  l.'anciliiger  auf  .sieh  wirken  lässt,  wird  ein  l>ruchstückartiges,  ein- 
seitiges, rcrachrobenes  Bild  tob  der  Lage  der  beutigen  Gescllsdialt  und  ihren 
(teistes-strömungen  erhalten.  Darum  gilt  pb,  nach  allen  Richtungen  hin  Vm- 
hcbau  zu  halten  und  auch  Bücher,  wie  das  vorliegende  ernster  Prüfung  zu 
wflrdigen.  Der  Verfasser  hat  seiner  Zeit  im  Deutschen  Reiche  die  staatlich 
OlganisirtMi  und  <'ontrolirrf  n  .'^fhiilin  srunnit  den  gelelirtcn  Studien  rif*'  ab>()lvirt» 
int  dann  [tieußischcr  (J yulUil^iilllcbrcl■  und  preußischer  Kreiss»  liulin>|it  t  tur  ge- 
wesen, hat  also  mindestens  ebcnsoTiel  Anspruch  darauf,  gehört  zu  weiwiit 
als  viele  andere,  die  auf  dem  Büchermarkt  ihre  iStimme  eri^challcn  Ia.s.seiL. 
Freilich  wird  Wesendonck  darauf  gefasst  sein  müssen,  dass  man  ihn  todtzu- 
schweigen  oder  todtzuseblagen  versucht.  Aber  denen  dies  am  Herzen  liegt^ 
die  mögen  an  ihre  eigene  Brust  klopfen  und  bedenken,  dass  die  hier  ange- 
schlagenen Töne,  welche  ihnen  so  grell  in  die  Ohren  dringen,  nicht  erschallen 
würden,  wenn  nicht  eine  so  unixcheucrc  Suiiwne  von  Liitrc  und  Heucholei  Tag 
fQi  Tag  ffesxirochen,  prakticirt  und  zu  Ehren  unserer  vielberutenen  Ulaubens- 
und  Gewissensfreiheit  der  Welt  aufiifeKwaiigen  wUrde.  Wie  es  in  den  Wald 
schallt,  scluillt  es  heraus.  Den  guten  Willen,  die  Wahrheit  zu  finden  und 
zu  sagen,  und  nur  sie  allein,  wird  man  Wesendonck  nicht  absprechen  können; 
wie  weit  er  sie  erreicht  hat,  das  mag  der  Leser  mit  sich  selbst  ansmacben. 
Da.s8  sich  Wesendonck  su  viel  mit  Tolstoi  beschäftigt,  findet  freilich  der- 
jenige ttlr  übezflttssig,  welcher,  wie  Referent^  den  Herrn  Grafen  Leo  Tolatoi 
niemals  Ar  einen  Propheten  oder  für  ein  grooes  Licht  gehalten  hat.  Die  un- 
gezählten Tausende  aber,  welche  für  ihn  tfcschwürnit  haben,  luiigm  nun  auch 
seine  neueste  Bescherung  sammt  der  ihr  auf  dem  Fuße  folgenden  Kritik  ge- 
nielkn!  £.  Ii. 

Ulbricht  ond  Ki»n«l,  Grnndsflge  der  Geschichte.  3  TbeUe.  Dresden» 
H5Ckner. 

Diese  „rJrundzUge"  sind  fUr  den  riiterricht  auf  der  oberen  Stufe  der  (ivm- 
nasien  und  Realgymnasien  bestiuiuit,  und  das  hat  für  die  Auswahl  und  die 
Behandlang  des  StoflSes  entschieden.  Fast  mliditen  wir  aber  glauben,  dass» 
was  d.is  erstere  lietrifft,  dos  Hüten  etwas  zu  viel  geschehen  ist,  besonders  im 
111.  Tbeiie,  der  Neuzeit,  wo  au  Namen  und  Zahlen  so  viel  geboten  ist,  dass 
nur  ein  Torsllglich  hegahter  .TüngHng  bei  groSem  hBvslichen  Flei6  den  Stoff 
sich  einprägen,  kauin  iliesi  r  alier  auf  die  Dauer  ihn  behalten  wird.  Die  IW- 
bandlung  des  :Stuncs  dagegen  ist  vortreftlich:  knapp  und  doch  klar.  weiiUber- 
aichtlieh;  pragmatisch,  also  rrsarhen,  Folgen,  beeinflflssende,  begleitende  Uiu- 
stiinde  scharf  hervorbebend,  ohne  doch  das  biograidiische  Elemcnf  zuriick- 
ziMJräniren.  —  l>eni  ..Mittelalter"  ist,  das  dürfen  wir  nicht  ühertjelicn  — 
eigen ihiindicb,  dass  es  auf  die  wirtschaftlichen  Verbältnisbc  Wert  Icct  und  so 
nach  dem  Vorgange  Xitsche's  i'aiiitel  heranzieht,  die  bislang  die  Lelirbücher 
vernachlässigten.  Gar  manches  Ereignis  erhält,  dadurch  eine  ganz  andi  re  I>e- 
leucbtung.  Wenn  wir  dem  Buche  noch  einen  Wink  gehen  soUen,  wie  es  fQr 
den  Unterricht  brauchbarar  werden  könnte,  so  ginge  er  dahin,  die  Art  de» 


Digitized  by  Google 


—   263  — 


Itriukcs,  iDAbesiuuder«^  der  ZilUiu  iiud  Biali»iiibcu  zu  auderu.    Hier  ließe  sich 
virics  übersichtlicher  und  zwcckuiäßiger  gestalten.  W. 
MMU^r-Däudliker.  Lehrbuch  der  allgenieinen  (teschichte  für  höhere 
Volksschulen.  Seminarien  und  Mittelschulen.  Zürich  1891,  Schult- 
hess.  3,60  Mk. 

Für  die  mittleTen  der  drei  geaaimten  Schulen  bulten  wir  dieses  Lehrbuch 

am  bruuclibarsfon.  Im  «iofii'cnsatze  zu  den  inei^ft'ii  hchrl'iicheru.  die  Kaiser  an 
Kaiser,  Krieg  an  Kriojf  reilien,  ffti-st  es  die  gesohiibtliehr  i-Jutwiiklung  tiet*  r, 
wie  dies  srhou  aus  der  Grupiiirung  des  Stoffes,  der  AusÄiheidung  von  gewissen 
vcrcin/clt  sti  llenden  riiaf-:\i  Inn  und  der  ZusaninionzicLting  des  sachlich  Zu- 
buuiuiengehurigeu  erhellt,  dies  nun  unter  eine  biibere  Einheit  gefasöt  und  nicht 
ganz  äufierlich  aneinander  gereiht  erseheint.  leh  denke  dabei  be.'^onden;  an  die 
Kaisergeschichtc  des  Mittelalters,  an  die  Rlimerzüge  u.  s.  w.  Au<  li  die  neueste 
Geschichte  ist  in  dieser  den  Stot!'  beherrschenden  Weise  erziihlt  ^z,  ß.  Einiirung 
Italiens,  Einigung  Deutschlands,  nationale  Bestrebungen  im  IHirkenreich).  Bei 
einem  Schweizer  Lehrbuch  braucht  man  das  eigentlich  nicht  zu  erwähnen, 
daas  es  der  Entwicklung  des  BUrgerstandct«  und  seiner  Bedeutung  fl\r  die 
CulturgCijohichte  überall  gerecht  wird.  W. 
Edni.  Meyer,  Leitfaden  der  Gescliichte  in  T;ibelleiif<n  la  für  jireußische 

höhere  Lehranstalten.  lI.Theil:  Mittelalter.  Berlin  1Ö90,  Weidiuauu. 
Das  diarakteristiscbe  dieses  Leitfkdeiu  liegt  auter  in  der  Tabeilenform  in 

manchen  eingestreuten  Bemerkungen  und  Fußnoten,  wrlehe  Hinweise  enthalten 
auf  die  noch  andauernden  >  ach  Wirkungen  der  mittelalterlichen  Ereig- 
nisse. Gewiss  ein  gesunder,  beherzigenswerter  Gedanke.  Gar  Tide«  aus  dem 
Mittelalter  Ii.if  ja  nur  vnn  diegem  ( iesiebt>)»unkt  aii.s  betrachtet  fi\r  die  Jugend 
Interesse.  ~  Ein  anderer  Zug  kennzeichnet  diesen  Leitfaden  als  ein  Buch  fUr 
die  oberen  CluseB  der  höheren  Schulen:  Die  naeh  dem  Originaltexte  mitge- 
theilton  (,>tiolloncitate  ftnuneist  Charakteristiken  der  Herrschor^  und  der  IJoich- 
thum  an  Detail,  bewniuin  was  die  deutsche  Kechtsgeschichte  bctritlL  W. 
Heine,  Die  Geschichte  in  tabellsriBcher  Übersicht.  2.Avfl.  Hannover 
1891;  Hdwing. 

Ahnlich  wie  Edm.  Meyer  für  preußische  (;ymnasi(*n  hat  Heinzc  die 
(»eschichte  in  Tabellenform  für  Lehrerseminare  zusammengestellt.  Aus  den 
Verschiedenheiten  der  Lehrzicle  beider  Arten  von  Schulen  ergeben  sich  auch 
die  .\bweichunpeu  in  dem  (Quantum  des  mitgetbeilfen  Stoffes  und  einige  andere 
Vers<-hiedenheiten,  z.  B.  dort  (^uelUnstellen  in  den  Anmerkungen,  hier  iiiobts 
derartiges.  Beide  haben  aber  durch  die  Form  das  Gleiche  erreichen  wolleu: 
eine  größere  Übersichtlichkeit  des  I-enistoflVs .  ferner  die  M<)glicbkeit,  dass  der 
Schuler  selbst  den  Stoff  sprachlich  einkleide  und  so  vor  dem  baldigen  meciia- 
nischen  Lernen  bewahrt  bleibe  und  ihm  außerdem  die  Repetition  erleichtert 
werde.  Was  leicht  hiitte  vermieden  werden  können,  ist  der  stete  Gebrauch  des 
Prilsens  statt  des  Inii>erlects.  Der  Blick  des  Schülers  »oll  in  die  Vergangen- 
heit gerichtet  sein,  und  das  Buch  sagt  Z.  EL  1097  wird  Nicäa  crubert.  \V. 
ditz,  Dentsche  •Tcschiclite  in  Fragen  und  Antworten.   3.  Auflage» 

Nürnberg  18Ül,  Korn.   l,4ü  Mk. 

Wir  haben  seinerzeit  die  zweite  Auflage  dieses  Baches  im  Ptedagogium  an- 
gezeigt und  freuen  uns,  divss  der  Verfasser  die  dort  gegebenen  Winke  zur 
Verbessemng  seines  Katechismus  in  dieser  neuen  ^»^^(^1^^^  verbesserten'' 
Anfing«  benutzt  hat  Sdum  der  Druck  macht  diese  Ausgabe  viel  praktischer, 
auch  die  Uberall  durchgeftlhrtc  <irupidniug  der  Antworten  und  die  Aufb'isung 
mancher  Fragen  in  L'nterfragen;  aber  auch  sachlich  ist  manches  viel  besser 
als  In  der  letsten  Auflage.  Einiges  ist  anBerdem  nen  Unzagekommen  und 
auch  der  Anhang:  um  eine  (auf  (Jrund  der  im  Lehrbuch  zerstreuten  Einzel- 
tragen zusammengestellte)  £ntwicklung8£rage  vermehrt.  iSolcbcs  „Operiren'' 
mit  dem  Steife  m  lehren  ist  nicht  das  geringste  Yerdienst  des  Buches.  W. 
Dietleln,  Die  Weltgeschichte.  8.  Anil.  Brannschweig  1891,  Appelhaas  dt 

Pfenningstorff.    1,80  Mk. 


Digitized  by  Google 


—   264  — 


Dieser  Leitfaden,  bestimmt  fiir  Sdiiiler  iiud  Sohiilenanea  iu  Bürger-,  Blitt^l-, 
Präparandcn-  und  höiieren  MiidchenAcbuIen,  nimmt  bei  der  Auswahl  des  Stoffes 
bereits  Rücksicht  auf  den  bekannten  kaiserlichen  Erlasa  vom  1.  Mai  1889  und 
widoiet  jedem  größeren  Abschnitt  der  politibchen  (.ieschichte  immer  auch  einen 
Paragraphen  „Culturgeachichte".  Das  Lernen  wird  erleichtert  durch  eine 
jedem  C'apitel  vorangestellte  Disposition  und  durch  eine  ihr  entsprechende  Zer- 
legung eines  größeren  Ganzen  in  Thcile,  die  durch  Ziffern  noch  besonders 
•  markirt  werden.  Größerer  und  kleinerer  Druck  scheidet  außerdem  Wichtigere» 
von  Kebensftchliohem.  Die  Karten  entsprechen  dagegen  nicht  ihrem  Zweck. 
Es  sind  iliwr  acht.  Nr.  7:  Deutschland  znr  Zeit  der  Hohenstaufen,  Nr.  8: 
Karte  zur  Geschichte  Frii  driclis  dos  Tiroßen!  Es  fehlen  al>o  Zwischenglieder. 
Was  ist  die  Folge?  Der  Kartenzeiclmer  setzte  auf  die  Karte  „Uohenstaufan" 
trisolnreQr  Namen  wie  „Friedland,  H.  Waldetein,  Pilsen,  Wittenberg,  Amlnas*' 
1  ».!  W. 

flolfnieyer  und  Hering:,  Hilfsbuch  für  den  Geschichttiiiiterricht  in 

Präparandenanstalten.  Hannover  1<S91,  Helwing. 

Auch  dieser  in  6.  Auflage  erscheinende  Leitfaden  ist  bereits  auf  Grund  deü 
Eflamw  Tem  1.  Hai  1889  vmfeaibeitet.  Die  yenseit  vm^Mst  jetst  die  Seiten 

156 — 816  und  behandelt  die  (Icsrhirlitc  bis  zur  Erwerbunjj:  Helgolaiifls.  T>rr 
GesanuntStoff  wird  in  44  Capitel  zerlegt,  z.  B.  Cap.  14:  Chlodwig,  15:  Mohammed, 
16:  Bekehrung  der  Deutochen  zum  Christenthum,  17:  Karl  der  Orole, 
18:  Heinrich  I..  19:  Otto  20:  Heinrich  IV.  etc.  .Manches  Capitel  enthalt 
aber  aufler  der  (iescbichte  der  im  Titel  genannten  Person  oder  Thatsadie 
auch  anderes;  Capitel  20  z.  B.  auch  die  Geschichte  Heinrichs  IU.,  sadilidi 
betrachtet  also  den  Höhepunkt  und  den  tiefsten  Stand  der  Kaisermacht  unter 
den  Saliern,  üb  also  der  Titel  gut  gewälüt,  sei  dahingestellt.  Wir  wtlrden 
Heinrich  UL  ein  cii^cnes  Capitel  einräumen  wie  Heinrich  IV.  Anerkennung 
▼erdient  im  allgemeinen  die  leichttlioßende  Erziihluntr.  doch  zeigen  sich  auch 
hier  noch  manche  stilistische  Ungenauiekeiten  z.  B.  Karl  aß  mit  Frau  und 
Kindern  zusammen  und  führte  sie  auf  aflen  seinen  Reisen  nüt  steh.  Das  war 
sehr  lästig,  denn  er  hatte  keinen  festen  Wohnsitz  und  war  fast  immer  auf 
Reisen.  118).  -r-  Den  Anhang  dürfen  wir  um  der  dort  luitgetheiiten  Fragen 
willen  nicht  unbesprochen  lassen.  Es  sind  ihrer  siebenzig,  und  wir  kOnnen  wol 
sagen,  die  meisten  sehr  gut  gewählt.  Die  Beantwortung  setzt  voraus,  dasn 
der  Schüler  sich  den  Stoff  des  Lehr])uches  nicht  mechanisch  angeeignet  habe, 
und  darauf  sollte  doch  jeder  Lehrer  als  eines  seiner  Hauptziele  hinarbeiten. 
Nur  wenn  der  Lehrer  so  fragt,  dass  der  Schiller  eine  neue  VoisteUangKreihe 
bildea  muss,  hat  der  Geschichtsunterricht  Wert  W. 

Pk.  Plattier,  findet  de  grammaire  et  de  litt^ratnre  frangaiae. 
J.  BielfiBid  k  Karlsruhe,  1891.    Prizid'abomiemeDt:  nn  an  7  fraae«  60. 

=  6  marcs. 

Unter  diesem  Titel  veröffentlicht  H.  Plattuer,  Verfasser  von  zahlreichen 
trefflichett,  besonders  in  Deutschhind  sehr  verbreiteten  firansOeiicben  Lehr- 

bflchcrn,  eine  Zeitschrift,  die  sich  die  Aufjjabe  stellt,  alles,  was  für  den  Fnter- 
richt  int  Französischen  von  bleibendem  Werte  ist,  zu  bringen.  Für  Freunde 
und  Kenner  des  Franzöifaehen  tNMtinint,  beeonden  aber  tStt  Lduer  dieser 
Sprache,  wullcti  di'-  ftfiulis  in  erster  Linie  das  moderne  Franzi/sisch  in  den 
Kreis  ihrer  Behandlung  ziehen,  also  nicht  eine  rein  wissenschaftliche  Publication 
sein,  ohne  jedoch  das  Lateinische,  das  AltflransOeische  und  die  anderen  romanischen 
Sprachen,  insoweit  «^ie  znr  Beleuchtung  und  ErklSmng  des  hentigen  Spiadi- 
gebrauches  dienen,  unberücksichtigt  zu  lus.scu. 

Der  erste  Abschnitt.  Grammaire,  wird  sich  bestreben,  nicht  etwa  die  Zahl 
der  Kegeln,  die,  wie  bekannt,  nur  zu  oft  der  Laune  der  Grammatiker  ihre 
Entstehung  verdanken,  noch  zu  verniehreu,  sondern  dies^dhcn  wie  möglich  zu 
verringern  und  durch  Beispiele,  entnommen  vorzüglich  den  Schriftstellern  des 
19.  Jahrhunderts,  zu  stützen.  Ebenso  tindeii  hier  die  anderen  Zweitjc  des 
Sprachstudiums  Aufnahme.  —  Die  Litterature  wird  vornehmlich  Aufsätze 
bringen,  bestimmt,  die  Kenntnis  und  Erklämng  der  beliebtesten  Scholavtoren 


Digltized  by  Google 


—   266  — 


SU  fördern«  —  Die  Pages  choisies  »ollea  dco  Letter  mit  merkeuäwertun 
SleOeii  mi  bekannten  Btlehem  oder  solche,  die  es  so  sein  ▼erdienten,  rertmat 

machen.  —  Die  Analyse  critique  will  nur  wirklich  berltnfende  literarische 
Erscheinungen  berttckfiicbtiiBren.  —  Die  Kcvue  des  revues  stellt  sich  die 
Aufgabe,  dea  Inhalt  einiger  sprach  wlsscasdiaftlichen  Zeitachriften  in  mSg^ichiter 
Kürze  zu  renimiien,  o^e  sich  jedoch  mit  trockenem  Aufzählen  der  Namen 
der  Autoren  eu  begnügen.  Aber  anch  die  Erscheinungen  der  letzten  zwanzig 
Jahre  sollen  einer  Rflckschau  unterzugen  wi  rden.  Auch  metbodi.%che  und 
andere  üntcrrichtsfragen  werden  in  den  Etudcs  hesprochon.  S<hlicßlich  öffnet 
die  Petite  correspondance  ihre  Spalten  allen  Mitthcilurifjon.  Fnif^en.  Aut- 
worten seitens  der  Leflei. 

Wir  rathen  allen  jenen,  die  sich  auf  eine  verhältnismäßig^  billige  und  beijucme 
Weise  einen  angenehmen  und  verlässlichen  Fllhrer  beim  Studium  des  Franzö- 
sischen verschaffen  wollen,  die  Yorlicgende  vielversprechende  Zeitschrift  zu 
abomniren,  und  sind  der  Überzengong,  dass  sie  uns  fJBa  diesen  Bath  dankbar 
■ein  «erden.  E.  K. 

Dr.  0.  Strien,  Elementarbach  der  fransSsisehen  Sprache.   97  S. 
Halle  a.  S.  1890.  Verlag  von  Eugen  Stein. 

Unstreitis;  einer  dei  besten  Lembeheil'e  ^Ur  die  eiste  Uaterzichtsstufe.  Der 
VerfasBer  imdet,  dam  den  meisten  EfementarMohem,  die  den  Forderungen 
der  neusprachlichen  Reform  Rechnung  tragen  wollen,  ein  Mangel  anhaftet: 
der  zu  schwierige  Text.  Um  denselben  zu  beseitigen,  verwendet  er  in  den 
ersten  Nnrnmem  der  enten  AbtheOnng  seines  'Werkehens  eine  Aiunlil  ftraa- 
zösischcr,  schon  eincin  zehnjährigen  Kin<Ie  geläufiger  Wörter,  geht  also  von 
einem  theüweise  iiekauuten  aus.  Dass  ein  solches  Verfahren  die  iicception 
and  die  Bcfrodaction  «rleiditerfc,  ist  Uar.  Die  AnfiuagdectioaeR  der  1.  Ab> 
thcilung,  die  der  Autor  selbst  verfasst  hatte,  um  ein  allmähliclics  Fortschreiten 
vom  Leichten  zum  Schwereren  herzustellen)  sind  dem  Inhalte  nach  dem  Leben 
des  Kindes  in  Scbnle  und  Haus  entnommen.  Eingefttgt  ersdieinen  denselben 
einige  der  Altersstufe  des  Zr.glings  entsprechende  Verse  und  rJodichtchen. 
Unter  £  stehen  diu  auf  das  LcHcHtück  bezüglichen  Fragen;  C  bringt  die  Bei- 
spiele in  den  aus  dem  Lcsctextc  zu  entwickelnden  Regela,  wthrend  D  Anf* 
gaben  nur  mündlichen  und  schriftlichen  Fiutihung  der  letzteren  vorführt. 

Der  2.  Abschnitt  enthält  eine  dorn  vorhergehenden  entsprechende  Zahl 
deutscher  Lectioncn,  deren  Inhalt  dem  der  <  orresjtondirenden  Nummern  dM 
1.  Al)schnitt8  entspricht  und  somit  (ielegenlieit  i;il)t,  das  franz.  Stfick  in  etwas 
veränderter  Form  wieder/-ug*;ben.  Hierin  stellt  wol  der  Verfasser  mit  den 
von  den  meisten  Neuerern  Tertretem  n  Anschauung  im  Widerspruche,  und 
auch  \^ir  würden  im  Interesse  des  Buches  und  dem  der  lernenden  Jugend 
wUns(  hen,  dass  derartige  Forderungen  mit  weniger  Ungestttm  gestellt  würden. 
Eine  systematische  Zusanmienstellung  des  bebuidelten  gramnatisehen  StolBes 
durch  Betspiele  soll  die  Regeln  ersetzen. 

Das  allerliebste  RQchlein  dürfte  nach  Inhalt  und  dessen  Behandlung  der 
Au%abe  vollends  entsprechen,  die  der  geschätzte  Reformer  3Iünch  dem  ersten 
Jahre  des  franz.  Unterrichts  zuweist,  denn  es  ist  ein  wesentlich  propideutische«. 
Die  inneren  Vorzüge  weiden  noeh  durch  einen  seinen  und  groten  Druck,  dar 
dai4  Werkcbeu  sofort  als  ein  tta  die  Jagend  bestimmtes  erkennen  lässt,  erheb- 
lich vermeiirt.  E.  R. 

Dr.  H.  Strieil^  Lehrback  der  franz.  Sprache.  LTheil.  148 S.  Halle a.ä. 

1891,  Verlag  yon  Engen  Stein.  Geh.  1,40  Hk. 

Das  Peiwuni  der  Quarta  enthaltend,  sehließt  sieh  dieser  Lelirirang  an  den 
obgenannten  an.  Beide  sind  nach  denselben  Ürundsätzeu  bearbeitet  und 
gleidi  eiagefiditet.  Der  Inhalt  der  Lesestttelra  ist  ein  mannigfaltiger:  auch 
die  Landeskunde  und  franz.  Geschichte  finden  .\ufnahinc.  Der  dritte  Abschnitt 
bietet  nur  zusamuieuhiingendu  Stücke  zum  Übenfetzen  aus  dem  Deutschen. 
Diesdben  sind  theils  Umarbeitungen  der  entsprechenden  franz.  LesestSdce, 
theil«  inhaltlich  von  denselben  verschieden,  doch  so  gewählt.  da»s  nur  aus- 
nahmsweise die  Angabe  eines  neuen  Ausdrucks  nothwcndig  wird.  Auch  dieser 
Arbeit  mn^s  man  die  vdlste  Anerkennnag  zollen  and  wünschen,  dass  der 


Digitized  bf Google 


—   26Ö  — 


2.  Theil  des  Leiurbucbcs,  dessen  Eracheincn  schon  in  kflnester  Zeit  in  Aussicht 
gestellt  wird*  eine  den  beiden  Tontdienden  ebenbUrtiK«  Leistnag  werde. 

K.  H. 

J.  Pülljer,  Sclmlvürsteher  in  Altona,  Lehr-  nnd  Leinbucli  der  franz. 
Sprache.    2.  Aufl.    II.  Theil.    Hannover  1801,  Verlag  von  Carl  Meyer. 

203  S.    1,60  MtL 

Die  iiietbodischen  <  I(  >i(  liti<jiuiikti',  von  denen  sich  der  Verlafi.*er  der  Be- 
arbeitung dei  iweit«u  Theileti  ieinen  Lehrbuches  leiten  ließ,  sind  gleich  den- 
jenigen des  von  uns  bereite  besprochenen  entea  Thefles.  Beide  bilden  ein 

zusamni<  iihiin<ren(!es  (Janzc  Prinriii  nnd  Durchführung  venlienen  all  dtLS  Lol», 
das  dem  Herrn  Autur  vou  der  l'acüpreääe  geworden.  Die  Wortbilduog,  deren 
eingehendere  I'flege  von  so  vielen  Seiten  befürwortet  wird,  zieht  sich  auch  in 
dem  vorliegenden  Lehrtexf<'  nnter  steter  Anlehnuntr  un  dm  ^l)nng^>tofif  dnrch 
eine  Reihe  vou  Leetioucn  hin.  Der  Verfus^^er  holtt,  dass  die  Benutzung  des 
zu  etymologischen  Übungen  dienenden  .StoÖ'es  fttr  die  sprachliche  Itildung  der 
Schüler  von  nirlit  <r>-ri'nt:^ein  Werte  sein  wird  —  und  diese  Ansicht  wird  jedef 
erfahrene  Schnlmann  mit  ihm  theilen.  E.  R. 

¥.  H.  Schueitler,  Lehrgang  der  franz.  Sprache  für  Kaafleate  und 
Vorichale  snr  frans.  HandelscorrespondenE.  2.  Aufl.  Dretden  1891, 

Verlag  von  Gerhard  Rühtmann.    IKl  S.    1  Mk.,  geb.  1,20  Mk. 

Was  noT  xa  oft  bloße  Phrase,  ist  hier  Thatsache:  Das  Wcrkohen  H.  Schneitlcrs 
entspricht  einem  tiefgelilhlten  IJedttrfhisse.  Mit  welchen  Schwierigkeiten  jene 
zu  kftin^)fen  haben,  die  französisch  nur  in  der  Absiebt  lernen,  uni  sich  die 
Kenntnis  der  Handelskorrespondens  in  diesem  Idiom  anzueignen  und  zu  diesem 
Behnfe  sich  an  der  Hand  irgend  einer  Onunmatik  mit  den  Elementen  der 
Fremdsprache  vertraut  machen,  dann  erst  zn  einem  Handhuche  der  franz. 
Correspondcnz  greifen,  weiß  der  Befcxent,  als  Lehrer  an  einer  Handelsschule, 
nur  zu  gut.  Den  offenbaren  ITmweg  —  nnd  diesen  macht  man  fiast  aasnabms« 
los,  da  es  an  einem  für  diese  Zwecke  brauchbaren  Biichf  liishuiij  f  iilte  will 
nun  H.  Schneitier  durch  Veröffentlichung  des  vorliegenden  Lehrganges,  der  in 
erster  Linie  die  Bedflrftiitfle  der  Handelsschvien,  kanftnännischen  Fortbildung«» 
schulen  und  iilinlii  In  r  Anstalten  im  Auffe  hat,  dem  Lernenden  ersparen. 

Aus  der  tirammaiik  führt  dieser  Lehrgang  nur  die  für  die  praktische  Uand- 
habung  der  Sprache  «nbedingt  nothwendigen  Elemente  vor.  Der  Yocabelsdiats 
nnd  die  I'iiraseologie  gehören  ausschließlieb  dr  r  kaufmiinuischen  (Jeschafts- 
aprache  an.  Der  Ubungsstofi  ist  zum  grüßten  Theilc  der  „l'orrespondance 
eonimercialo  von  P.  9.  Aufl."  entlehnt.  Es  ist  somit  begreiflich,  dass  der 
Schüler,  irreift  er  -niiter  zu  ircend  einem  Handhuche  der  franz.  Corresjiondetiz, 
etwa  zu  d'  iii  eben  aniiefiihrtcn,  eiulianzes  vor  sich  hat,  dessen  einzelne  Tlieile 
ihm  bereits  bekannt  sind.  Deutsche  Übungsbeispiele  enthlUt  das  Buch  nicht; 
diese  sollen  durch  Ketroversion  der  t■ranz^si^^hen  ersetzt  werden,  nh  aber 
das  Interesse  des  Lernenden  und  auch  der  Erfolg  nicht  dnrch  \veni<rstcns  theil- 
weise  Benicksichtiirnnir  der  be recht i öftesten  Fordemng  d<r  nenspraehlichen 
Befonner  erhiiht  würde,  wir  meinen  die  znsamnienhftncrende  LectUre,  dies  geben 
wir  dem  Herrn  \'erfasser  zu  bedenken,  ohne  den  Finfang  des  Buches  zu  ver- 
größern, könnte  eine  .\nzahl  auf  den  Handel,  Industrie  u.  Ä.  sich  beziehender 
Lesesttteke  beigegeben,  dafür  viele  zur  Veransehauliehung  nicht  unbedingt 
nOtbigc  Einzelsätze  ausgeschieden  worden.  Allein,  selbst  in  der  gegenwär- 
tigen Fassuni;  zeu};t  das  Buch  von  dem  großen  Fleiße  und  der  ungewöhnlichen 
Sachkenntnis  des  Verfassers,  und  wir  hoffen,  dass  t^eine  Arbeit  in  den  Kreisen, 
für  die  sie  bestimmt  ut,  freudige  Anfriahine  linden  wird.  £.  £. 

M^moires  du  Marqais  de  Ferri^res  snr  la  r^volntion  fraD^aiee  et 

snrrassembldeconstitnante,  herausgegeben  nnd  erklärt  von  Dr.  P.  Pf rle. 
107  S.  nnd  einem  Plan  von  Paris  iro  Jahre  1793.  1,50  Hk. 
M^moires  et  S'ntivcnirs  du  Comte  de  Lavallette,  heraoegegebeil  Qud 
erklKrt  vou  Dr.  J.  Sarraziu.  114  S.  1,50  Mk. 


Digitized  by  Google 


—   267  — 


Gehören  zu  der  äauuuluufi;  gcticUiulitliciier  (^ucUeuwerke  zur  ueut>|iracliiicheii 
Leefelbe  im  Mberen  ünteniehte,  die  unter  ÜMdigratOBsiBeher  Mitwirkunir  von 
Dr.  Friedrich  Perk'  hi  raiii^irrpclMii  wird  und  bei  Max  Nicinryor.  Halle  a.  S. 
Tedi^t  ist.  Diene  SauiuUuug,  umfassend  bis  jetzt  H  elegant  autieestattcte 
Biaddien,  will  eine  Tertieftere  und  mniittelbaxere  Erkamtnis  der  National- 
cntwiikoliini::  der  Franzosen  und  Enirliiudcr  durch  die  Schulirrtüre  fördern. 
Dic^c  C^uellfnüchriiten  —  Kudeu,  Briefe  und  Meinuiren  —  Htcllcn  sieh  in  erster 
Linie  den  deutschen  Bealgymnasien  in  den  Dienst  und  behandeln  insgesammt 
£rei|B:uitisc  und  Zoatlnde,  die  im  anderweitigen  Untesiiehte  bereit»  be^rochen 
wurden.  E.  R. 

Cic^ruu  et  ses  amis,  etude  sur  la  soclete  romaiue  du  temps  de 
C48»r,  par  Gaston  Boisaier.  Ansgew&Ute  Abschnitte  xnin  Scbnlgebrandi 
heranagegeben  von  Dr.  K.  Meyer.   Halle    S.  1891 ,  Verlag  von  Max 

Niempyer.  151  S.  1,20  Mk. 

£in  glücklicher  Gedanke  war  es,  einige  Abschnitte  aus  dem  obgcuauuteu 
Ureaeklteten  Werke  des  Akademikeis  BoiBsier  in  nsam  deipbini  herauszui^ben. 

Da  T^oissior  in  demselben  in  äußerst  fesselnder  Weise  besonders  die  inneren 
Zubtiinde  der  ücächichte  Kouis  schildert,  welche  dem  Primaner  eines  deutschen 
G3rmnasium8  bereits  sum  Theile  bekannt  sind,  so  wird  die  Lectfbft  des  Ausznites 
zur  Vorriefung  und  Krweitorunc:  seiner  historischen  Kenntnisse  nicht  wenig^ 
beitragen.  Da  der  Herausgeber  selbst  gesteht,  dass  zum  gründlichen  Ver- 
ständnis dieser  Leetüre  numliaftc  arehäolojsische  Kenntnisse  erfbrdeilidi 
sind,  so  liegt  die  Krage  nahe,  ob  es  nicht  im  Interesse  der  Sache  wäre,  die 
die^ibczüglichcD,  nütliigen  Erklärungen  sei  cn  in  Fußnoten  oder  im  Auhauee  zu 
geben.  E.  R. 

BAauni^  de  l'hiatoire  de  la  litt6ratnre  fran^jaise  par  Alfred  Ab8]HIc1u 

Heidelberg  1892,  Verlag  von  Julius  Groos.   :m  S.    4,50  fr. 

Der  Verfa.'«eT  war,  wie  er  in  der  Vorrede  bemerkt,  bestnbt.  besonders 
jene  Geisteswerke  hervorzuheben,  deren  Verdienst  und  Bedeutung  die  gesunde 
Kritik  und  der  gute  Geschmack  mehrerer  Generationen  anerkannt  iiat.  Nicht 
jedennauus  Sache  ist  es,  eine  Literaturgeschichte  zu  schreiben.  Da  uns  nun 
der  Autor  versichert,  bei  der  Bearbeitung  des  vorliegenden  Handbuches  alle 
in  Sachen  der  Kritik  maßgebenden  Werke  zu  Rathe  gezogen  zu  hnben,  so  .sei 
es  auch  jenen  empfohlen,  die  sich  nicht  blos  mit  wolgedrechselten  ästhetischen 
Phrasen  snfiriedenstellen.  Für  Gandidaten  fta  FraonSsiscb  an  Osterr.  Bürger^ 
schulen  scheint  es  uns  ganz  passend  zu  sein.  £.  R. 

Bibliotbeqne  fran^nise.  Dresden,  Verlag  von  Gerhard  Rtthtmann.  Preia 
pro  Hand  geb.  üO  Pf.,  Dopi»elband  90  l'f. 

Obgleich  in  erster  Linie  für  den  Sciuilgeliraucb  ht'>timiiit,  hat  die  vorliegende 
Sammlung  von  französischen  Jugendschriften  bereits  die  stattliche  Zahl  von  62 
Bändchen,  von  denen  die  meisten  in  mehrfacher  .\uf läge,  aucb  in  Privatkreisen 
große  Verbreitung  gefunden.  Erklärende  Fußnoten,  ein  vollständiges  Wörter- 
verzeichnis und  die  auf  jedes  einzelne  Capitel  sich  beziehenden  Fragen  am 
Ende  des  Buches  unterstützen  die  Lectürc  und  die  ConTersation  in  erwünschter 
Weise.  Die  Auswahl  ist  eine  recht  gediegene;  die  besten  franz.  Jugendschrift- 
steller finden  wir  darin  vertreten.  Somit  können  wir  die  Bibliotbeque  fran- 
vaise  den  ächttlern  und  allen  jenen  getrost  empfehlen,  die  um  eine  gute  und 
angenehme  tmm.  Jugcndlectttre  verlegen  sind.  £.  R. 

Br.  Johann  Ad.  Griesmann,  Director  in  Leii)zig,  Der  Rechennnterricht 
in  der  Volksschnlo.    Leipzig.  Richter.    201  S.    2.75  Mk. 

Der  Verfasser  bemerkt  iui  Vorworte,  dass  durch  die  Einführung  des  dccimal- 
getheilten  Htbus-,  HaB-  und  Gewichtsystems  die  Bedeutung  der  gemeinen  Brfiche 
für  deu  \"oIksunfi'iri(  ht  inrlir  in  den  Hintergrund.  da::*  ir<  ii  jene  der  Dceimal- 
brüchc  in  den  Vordergrund  gedrängt  worden  ist.  i>ieäe  Veränderung  wurdo 
aber  sofort  nur  von  einem  Theil  dar  Ldame  eillMMt,  während  die  ttbriffen  noch 
heim  altea  Vorgänge  vciharrten;  somit  ist  denn  ein  gewisses  Schwanken,  eine 


Digltizecl  by  Google 


—   268  — 


(Insicbcrhcit  iu  Bezug  auf  die  StoffTertheÜung  in  den  eiazelaen  Schuljahren 
eingetreten.  Der  VerfasBcr  widmet  »ein  Buch  seinen  (^lletfen  an  den  Leipzi^r 
Volksschulen  und  hoflft  dmnit  zuniuhst   an   dieson  wirdrr  einen  einheitlichen 

Yoigaiur  SU  enielen.  Wir  meinen,  das»  der  Verfasser  die  au^eq^rochenc  Ab- 
sieht Twlkonimen  errtidit  hmhe,  vmä  itm  ielne'Aibeit  dieQrandngre  eines  ge- 
deihlichen und  einheitlichen  ('ntfrrichtes  zu  bilden  vornii>(  .  auUerdein  aber 
noch  höchst  beachtenswerte  GrundzttffO  enthält.  Gleich  in  der  Einleitung  hat 
er  uns  widuhsA;  erfrent  dardi  den  Naehweis,  dais  hei  der  Dfrision,  „Hessen" 
und  „Tbcilcü"  zu  unterscheiden  eine  unniit/f  Zeit-  und  MUhe-Vorsrhwenduug:  sei, 
da  doch  die  Benennung  des  Bechnungsergebuisses  die  Folge  eines  Urtheils  ist» 
welches  rtm  BeehnrntgsTorgange  gans  unabhiogig  gebildet  werden  musi. 
Auch  sind  wir  sehr  einverstandeu  mit  der  Bemerkung,  dass  die  VolkHsrhule 
im  Rechnen  sich  jeuer  Ausdrücke  und  Formen  zu  bedienen  habe,  welche  bei 
den  Mafhenifttikeni  fon  Fach  gebrSneblieh  sind.  —  Dagegen  können  wir  der 
Euipfehlune:  des  Recheiikastens  von  TiUieh  im  allgemeinen  niclit  zustininien; 
obwol  wir  dem  nicht  widersprechen  können,  dass  er  in  der  Hand  eines  ge- 
wandten Lehrers  gute  Dienste  su  leisten  TermOge,  so  verdient  im  allgemeineii 
doch  die  Kofeliechenniaschine  den  Vonug. 

Fftr  das  ers-tc  Schuljahr  setzt  der  Verfasser  als  Hrenze  des  Lehrstoffes  den 
Zahlenraum  zwült;  wir  halten  die  Grenze  zwanzig  tür  richtiger  und  wichtiger 
nnd  wissen,  dass  an  den  Schulen  in  Österreich  mit  dieser  Abstufung  die 
licHteii  Erfolge  erzielt  werden.  Im  üliritreii  Itekennt  sicli  der  Verfasser  als 
Anliaiiger  G  ruhe's  und  emptiehlt  die  BehandlunLr  des  Lnnaiinteu  Zahlenraumes 
nach  des,sen  Methode,  womit  wir  durchaus  einverstanden  sind.  In  jedem  folgen- 
den Scbiiljuhre  forderr  der  Verfasser  zunächst  die  Wiederholung  des  Voraus- 
geganfreiiea  uu  l  gibt  uucli  trenau  an,  wie  bei  dieser  Wiederholung  vorzugeben 
sei.  —  Dem  zweiten  Schuljahre  fällt  natürlich  die  Erlernung  des  Rechnens  im 
Zahlenraume  bis  hundert  zu.  Höchst  beachtenswert  ist  die  Bemerkung  des 
Verfassers,  dum  zuerst  eine  Grundform  des  Einmaleins  wol  einzuprägen  sei. 
che  man  zur  Tinkehrung  der  Factoren  sehreitet.  (Die  Nichtbeachtung  dieses 
Grundsatzes  führt  zu  den  traurigsten  Misserfolgen.)  —  Ebenso  müssen  wir  zu- 
stimmen, wenn  der  Verfasser  hervorhebt,  der  Wert  des  Rcchennntcrrichtes 
liege  wesentlich  in  seiner  formalen  Seite,  durch  welche  die  materielle  stets 
w^e  surttckgedrängt  werden.  —  Das  dritte  Schuliahr  beschäftigt  sich  mit 
dem  Rechnen  im  ZaSlenmiinie  hi«  Tftnsend  und  der  EinfBhmng  in  die  Bmeh- 
lechnung.  Dabei  bemerkt  der  Verfasser  unter  anderem,  man  habe  in  der 
Sebule  zumeist  von  der  Benennung  „Eilogramm"  Gebrauch  zu  machen,  während 
die  Benennung  ^PArade"  nnr  gans  avsnahmsweise  zn  gehrauehen  sei.  Es  hat 

nioh  hierbei  in  der  That  die  Schule  ein  schweres  Versäumnis  zu  Schulden 
kommen  lassen.  U&tte  man  sich  den  Rath,  weichen  der  Voriasäcr  jetzt  erst 
ertheilt,  vor  20  Jahren  zur  Norm  genommen,  so  wftre  man  heute  Uber  das 

Wirrsal  der  verschiedenen  Maßsysteme  längst  hinaus.  Das  vierte  Schuljahr 
behandelt  den  Zahlenkrcis  bis  zu  einer  Million  und  bis  zu  den  Tausendsteln. 
Es  kommen  mehmamige  Zahlen  vor,  Jedoch  nur  flolehe  mit  dedmaler  Theilung. 

Mit  der  Einfi\hrunc:  in  die  Bruchrechnuni^  wird  weiter  vorcfegangen.  Mit  dem 
allen  kann  mau  wol  einverstanden  sein  und  auch  ganz  besonders  damit,  dass 
die  Subtraction  durch  Ergänzung  und  die  Division  ohne  Aufschreiben  der  Theil- 
prodiiete  gelehrt  wird;  dagegen  sind  wir  nicht  einverstanden  mit  der  Ein- 
fttbruug  des  Wortes  „Vollzahl",  welches  der  Verfasser  bald  für  Minuend,  bald 
für  Dividend  gesetzt  haben  will.  An  sieh  ist  das  Wort  nichtssagend  und  daher 
als  Kunstwort  nicht  zu  emiit'ehlen,  aber  durchaus  verfehlt  ist  es,  einem  Kunst- 
worte eine  zweifache  Bedeutung  zuzuleufen.  -  Diis  füutte  Schuljahr  ist  der 
Erlernung  des  Rechnens  mit  gemeinen  und  Decimalbrüchen  gewidmet:  daran 
reiht  sich  die  Schlussrochnunir,  von  welcher  der  Verfa-oser  nicht  verkennt,  dass 
ihr  etwas  (iekünsteltes  anhattet,  da  die  Autgaben,  welche  durch  dieselbe 
zwcekmäßig  zu  li)sen  sind,  dafür  künstlich  vorbereitet  sein  müssen.  Für  den 
thatfiächlichcn  Gebrauch  empfiehlt  er  den  Sehluss  auf  die  Einheit,  wie  wir  das 
aaoh  schon  bei  anderen  gelesen  haben.  Am  Schlüsse  dieser  Abtheilung  finden  wir 
noch  die  Bemerkung:  Der  Bruch  ist  ein  nngeaeigter  Quotient.  Der  Verfasser 


Digitized  by  Google 


—   269  — 


UQterlähht  auch  nicht  nac-hzuwciiiien ,  yriv.  außcTordeotlicb  fnu-htliur  ilirsn 
Erklärunc:  i'iir  die  ganze  DurcbfiUirung  der  Brucbrecbnung  und  für  die  Her- 
i;ti  Illing  dos  ZoaammenluBges  swuchoi  gemeinen  nnd  Decimalbiltehen  in  ver- 
werten i»t. 

Im  seohsten  Schnljabre  beginnen  die  bilrgerlicben  Rccbnungsarten.  Im 
«iebonton  tritt  noch  dir  ab^rckür/.te  Miiltiplication  und  I>ivihion  auf.  und 
die  bürgerlicben  Kechniuigbarteu  werden  fortwMeüEi.  Dftbei  empliclüt  der 
VeifuBer  den  Bmchsatz  als  die  zweckmäßigste  Form.  Im  «elit«n  Sdraljahre 
sollen  die  Schiller  noch  cinijfci<  erfahren  ühcr  diis  Rechnen  mit  Buehstabcn  und 
die  AoflOeungen  von  ikstiiumuiigsffleichiuigon,  sodaim  Uber  Weduel,  Börsen- 
eüeeten  und  ZineeniastniMilleB,  enuich  Uber  Quadrat-  nnd  Kubikworseln. 

Wir  wurden  beim  Studium  dcf  vorlioß:cnrlcn  Burhes  unwillkürlich  vermöge 
des  Gegensatzeii  an  das  Buch  des  Dr.  Hart  mann,  welches  Uegenstand  und 
Titel  mit  dem  'vorstellenden  gemein  kat,  erinnert.  Beide  nnd  in  gleicher 
Heimat,  nämlich  in  ?!ichs(>n  entstanden;  das  ältere  Werk  ftlhrt  uns  einen  sehr 
ausgedehnten  gelehrten  Apparat  vor:  an  betritt  i»ozueageu  den  Schauplatz 
mit  gFoBem  Pompe.  Die  OeBohichte  der  Methodik,  ^e  Pädagogik  Herbarts 
und  Zillers  werden  als  Srhunstiicke  heranjje/.ogen.  Viel  einfacher  tritt  un« 
der  VerfatuKsr  des  vorliegenden  entgegen;  t»eine  Bemerkungen  sind  Walirheiteu, 
wdehe  er  ohne  Zweifel  durch  schulmftnnische  Erfahrung  gewonnen  hat,  die  er 
aber  angemessen  zu  begründen  nicht  versüunit.  Was  den  Effect  Itetrifft,  so 
müsHcn  wir  gestehen,  hei  Dr.  Hart  manu  keinen  gefunden  za  haben,  /um 
mindesten  nicht  einen  solchen,  welchen  nutn  ah  P'ortichritt  subeneicbnen  ver- 
möchte; dagegen  ist  das  vorliegende  Buch  wo!  dazu  angethau,  Zwiespalt ifrc 
Heiuungeu  und  verscbiedenefi  Vorgehen  in  einheitliche  liahueu  zu  lenken  und 
auf  eilUgieichem  Wege  xa  gedeihlichem  Ziele  lu  fBhien.  H.  £. 

Feriiiaid  Reese,  Oberlehrer  in  Wismar,  Elementargeometrie.  Wismar, 
Heinstorft  98  S.  89  Figuren  im  Text  1^  Ifk. 

Deraelbe,  Vorschale  der  Geometrie.   Ebenda.    10  S.  0,50  Mk, 

Der  Verfasser  nennt  sich  einen  Schiller  von  Karl  Snell.  hndet  aber,  dass 
dessen  Lehrbuch  sich  fOr  die  Hand  des  SchQlcr«  nicht  eiirne,  und  hat  deshalb 
selbst  nach  der  Methode  von  Thibaut-Snell,  deren  Vorzüge  er  als  bekaant 
voraussetzt,  das  vorstehende  Lehrbuch  der  Planimetrie  abgefasst.  Wir  müssen 
gestehen  nicht  m  wissen,  was  unter  der  genannten  Vethodc  sn  -verstehen  ist; 

wir  vormuthen  aber,  es  damit  der  Vorgang  gemeint,  dass  sich  an  die 
Voraussetzung  uumittelbar  die  Entwicklung  anschließt,  aus  welcher  bouach 
mm  Schinsse  der  Lehrsatz  herauswichst;  während  man  sonst  die  Behauptung  dem 
Beweise  voranstellt.  Von  dieser  Eic;enthnni]irhkeif  ist  «Jchon  in  der  .Methodik 
von  Kcidt  die  Kcde,  und  sie  wird  nicht  ahs  eine  unbedingt  musterhatte  biu- 
gestdlt,  weil  es  im  Oegentheile  wttnsclienswert  erscheint,  dass  dem  Schfller 

da-  Ziel  bekannt  sei,  auf  welches  dii'  Knt Wickelung  lossteuert  Reidt  bemerkt 
weiter,  daä.s  dat»  Setzen  der  Behauptung  vor  oder  nach  dem  Beweise  oichtü  zu 
schaffen  hat  mit  der  Bezeichnung  der  Methode  als  analytisch  oder  synthetisch, 
während  ja  ohnehin  doeirend  oder  heuristisch  nicht  das  Lehrbuch,  sondern  nur 
der  Lehrer  verfahren  kann.  Im  Übrigen  beschränkt  sich  das  Vorliegende  auf 
die  Ldnen  des  Enklid;  von  neueren  Sätzen  ist  nichts  aufgenommen,  daher  wir 
wol  sapren  dürfen,  es  genüge  dic«er  Leitfaden  den  Anfordemngen  eines  Oym- 
nasiumä,  aber  nicht  denen  einer  Keal^chule. 

Dcfi  Verfa.s:>ers  Vorschule  legt  dem  Eiuftthningsunterri(  htc  das  Zeichnen  zu 
Grunde.  Der  Text  enthält  Erklärungen  über  verschiedene  Fiiruren  und  .\n- 
wcisung  sie  zu  eutwerlcu.  En  hat  gewlnä  auch  seine  Vortheile,  den  Zeichen- 
unterricht zur  Profldeatik  der  Geometrie  n  venverten,  obwol  man  (äa» 
Zweifel  raj>eher  sum  Ziele  gelangt,  wenn  man  die  Schüler  an  Modellen  zu 
sehen  anleitet.  H.  E. 

Friedrich  Junge,  Hauptlebrer  in  Kiel,  Naturgeschichte.  II.  Die  Cul- 
tarweaen  der  dentaehen  Heimat  nebst  fluran  Freunden  und  Fdnden, 
eine  Lebenagemeinaehaft  am  den  Mentehen.    I.  Die  Pflansenwelt» 


Digitized  by  Google 


—  270  — 


Kiel  und  Leipzig  1891,  Lipsioft  A  TiBcher.  XVI  a.  371  S.    Geh.  3Uk., 

gut  geb.  S.80  Mk. 

Der  Vvrfastiei  dieäes  Werke!)  machte  vor  eiaigeu  Jatirca  eiu  nicht  unberech- 
tigtes Anfwhen  dareh  sein  Bnch  „Der  Dorfteieh  als  Lebensgeineiiiiebalt.'*  Er 

beabsichtij^to  mit  dciiisi  Ihm  di-m  iiiiturhistorisohcn  rntorrirhte  in  den  iiiiteri  n 
Claasen  eine  andere  Richtung  zu  geben,  denselben  aus  dem  schabloiienhaft^iu 
Wege  m  einer  wirklich  pnktiwäen  Bedeatnng  tu  bringen.  Weniger  war 
ihm  um  das  Eiuzohvcsnn  hicrhoi  zu  thnn,  als  um  das  Ziisammonlohoii  und  die 
Wechselbeziehungen  der  Lebewesen,  um  das  Einheitliche  der  organischen  und 
llieilwdse selbst  dernnovganiBohen  Natvr  in  eioem  abgegrenzten  Ganzen.  Ähnliche 
Tendriiz  vi-rfolirt  iuieh  das  neuere,  el>en  vorlieerende  Werk.  Wie  wir  ))eim 
„Dortteiche"  dieser  neuen  Kiehfuuir  alle  Auerkeiinniiü:  zollten  und  nur  iiedeukt'ii 
SnSerten,  ob  wol  flberaÜ  (auch  in  der  Stadt)  di*  >•  Methode  praktiseb  durrhzu- 
filhrcn  Hei,  so  nillsseii  wir  bei  dem  vorliejyciuk'U  Werke  »iniimwundeu  da> 
vollste  Lob  des  Dargelioteiifn  aus.sprerhen.  —  Da»  ganze  Buch  griin<iet  sich 
auf  selbsteigene  Beobachtung  —  M)nst  könnte  es  nicht  mit  solcher  Wärme 
geschrieben  sein  —  und  leitet  den  Lehrer  an.  zu  seiner  eisjeuen  Belehrung 
nicht  nur  die  Natur  zu  beobachten,  sondern  auch  durch  Versuche  der  ver- 
schiedensten Art  in  die  Geheimnisse  des  Lebens  der  I'fianzen  einzudringen 
und  dieselben  den  Kindern  tiberzeugend  zu  erklären.  Das  Buch  ist  geradezu 
ein  Vadc  mecum  für  den  gewissenhaften  Lehrer,  welches  ihm  nicht  blos  in 
dem  Besprocheneu  al.s  Führer  dienen  soll  und  kann  (es  ist  zumeist  flir  holstei- 
nische, resp.  norddeutsche  Verhältnisse  geschrieben),  sondern  ihn  auch  anleitet, 
nntCT  allen  Verhält uissen  und  Himmelsstrichen  den  richtigen  Weg  zu  finden, 
wenn  er  mit  denkendem  Geiste  dasselbe  durchstudirt.  Die  rflanzeu  sind  in 
einer  gewissen  systematischen  Ordnung  besprochen,  ^weil  es  umnöglich  ist,  fär 
aDe  deutschredenden  Schiller  eine  naäi  Lebensgemeinschaften  geonlnete  Natvr* 
geschichte  zu  sehreiben";  dal)ei  ist  aber  das  Prim  ip  der  Zusammenfrclii»ria:keit 

Sewisser  Lebewesen  und  deren  WeiAnelbesiehung  darin  festgehalten,  dass  anf 
ie  Sehtdlinge  entsprechende  Rtteksicht  genommen  ist  und  auch  hie  und  da 
auf  jene  Thiere.  welche  fördernd  einwirken  knnncn.  Am  li  --ind  in  einitrcMi 
Httckbiickeu,  wie  „Wahl'',  pMoose",  „Pilze",  wirkliche  Lci^eusgemcinächaften 
gesehiMert.,  und  mOchten  wtr  diesbezüglich  besonders  wai  den  Anhang  mm 
NValde.  „die  Knicke  in  Sr  lile-^witr-Holsteiu"  iinf'incrksam  machen.  l>em  Ent- 
stehen und  \  ergehen  der  l'flauzen  ist  allerorten  ein  bedeutendes  Augenmerk 
gewidmet  und  hier  seihet  in  ti^rgehender  wissenschaftlicher,  chemischer  und 
Hhysikalischcr  Methode  der  Wcff  angegeben,  wie  der  Lehrer  in  iiiiaIoj?en  Fällen 
lorsüheu  soll.  Die  Beschreilmngen  sind  überall  höchst  gewi>.scuhaft  durch- 
gefllhrt  und  andi,  trotsderleider  mangelnden  Abbildungen  i  wir  sind  heutzut^^ 
so  sehr  daran  gewöhnt)  in  ansohaulicbiter  Weise  (jojri  bi  ii.  Her  Verfasser  ist 
SU  gewissenhaft,  an  vielen  Orten  anzugeben,  au.s  welchen  Werkeu  er,  neben 
seinen  eigenen  Anschannngcn,  geschöpft  hat.  —  In  l»esond(  rs  gelungener 
tTbersichtliehkeit  gibt  er  am  Schlüsse  in  einem  „Rückldicke  auf  das  Pflanzcn- 
leben"  eine  physiologische  Dai-stellung  desselben,  tiihrt  die  fordernden  und 
hindernden  Erscheinungen  an,  so  das>  er  damit  eine  wahre  Hecapitulation 
und  Ziimimmenfassung  des  früher  im  Einzelneu  (iesa;;ten  bildet.  In  einer 
„Zeittalui  lur  Beobachtungen  und  Versuche"  leitet  er  endlich  den  Lehrer  an, 
wie  er  es  einzurichten  habe,  an  der  Hand  des  Buches  sich  für  seine  Bedtlrf- 
nisse  die  nöthisjeu  Daten  zu  sannncln.  —  Auch  bei  diesem  Werke  Junge's 
mflssen  wir  den  Ausspruch  thuu,  diiss  es  für  die  Hand  des  Lehrers  der  richtige 
Führer  ist,  um  den  naturkundlichen  Unterricht  zu  einem  wirklich  ersprießlichen 
Resultate  zu  führen,  und  dass  nicht  etwa  nur  YolksschuUehrer,  sondern  auch 
solche  hühercr  Schalen  aus  demselben  sehr  viel  lernen  können  und,  wie  wir 
wflnschen,  leinen  weiden.  C.  B.  B. 

Jokannes  WeiMlMfl,  Der  Garten  des  Bflrgeri  und  Landmaanet, 

iasondttrhdt  dei  Oeistlichen  and  Lehrers  anf  dem  Lande.  Praktische  An- 
leitmiff,  wie  man  sieh  seine  nächste  Umgebnng  durch  Gemfise-,  Obst-  and 


Digitized  by  Google 


—    271  — 


Blttiiienzuclit  angfenehtn  machen  und  den  größtmöglichen  Nntsen  daraus  er- 
zielen kann.    3.  Auflage,  mit  140  Abhttdungen.     Laogensalia  1891, 

Beyer  Ä  Söhne.    39G  S.    4  Mk. 

Referent,  welcher  selbst  seit  lunijeu  Jahren  sieb  vid  mit  (iai  teuhnu  hesebäf- 
ligt  hat  und  mit  der  einschlägigen  Literatur  wol  vertraut  ist,  kauu  diw  Buch 
des  Herrn  Wesselböft  besten«  empfehlen.  Dasselbe  behandelt  alle  Theile  dc8 
Oartcnbaaes  —  die  allgemeinen  Bedingungen  desselben,  den  Oemüsc-  und 
Obstbau,  die  Blunicn/.u«  bt  und  «onstige  Ziergärtnorei  —  mit  fachuiännischcr 
Sachkenntois,  sowie  mit  iiinieichender  Ausführlichkeit  und  Anschaulichkeit:  es 
wird  sich  daher  allen  Oartenfkeanden,  beaOBden  aber  Lehrern  und  Geistlichen 
auf  dem  Lande,  ab  nfltalieher  Ftthrer  und  Batgeber  enrehM».  E. 


Neu  erschienene  Bücher. 

Emanuel  Itavr.  Steile  Lateinschrift.  Mit  zahlreichen  lllnatrationen.  2.  Anft 

Wien,  Pichler.    175  Seiten  Text.   2,40  M. 
Hago  Weber,  Die  Pflege  nationaler  Bildung  durch  den  Unteiricht  in  der 

Matterapnehe.  OekrSnte  Preisaohrift.   2.  Aofl.  Leipsig,  Jnl.  Klinkhardt. 

249  S.  3  M. 

F.  Ilarbort,  Socialdemolcratie  nnd  Yolkischnie.  Hannover,  Karl  Meyer.  58  S. 

80  Pf. 

Otto  Zuck,  Bibellesen,  im  Aiischluss  an  biblische  Geschichten  und  Katechismus. 
I.  Theil,  das  Alte  Testament.  157  S.  IL  Theil,  das  Neue  Testament.  164  8. 
Je  2  Mark.  Dreaden,  KlhtniMUi. 

Otto  Zvek,  Die  Evangelien  dea  chriatlichen  KircheiOahtea.  Eine  Hand- 
reichnng  nur  Gewinnung  ethiadi-teligiSBer  Gedanken  ana  den  Evangelien. 

Erster  Theil:  Von  Advent  bis  Ostern.  Dresden,  Ktthtnuuin.  163  M.  2  S. 

(f.  Kaack.  Epistel-B öchlein.  Die  Episteln  des  Sclmljahres  zum  Gebrauch  für 
Präparanden,  Seminaristen  und  Lehrer.  Dresden.  Külitmann.  I5ßf^.  2  Mark. 

6.  Krause,  Perikopen-Erklilrung.  Erster  Theil.  Erläuterung  von  üü  Evan- 
gelien für  alle  Sonn-  nnd  Festtage  des  christlichen  Kirchei^ahres  für  den 
Unterricht  der  evangel.  Jugend  und  die  htnaliche  Andacht  der  evaogel. 
Ghriaten.  4.  Aofl.  Bremen,  Heinaina.  240  S.  2  M. 

Dr.  BoUe,  Dentache  ÜbangsatAcke  Im  Anaehlnas  an  Wellera  Leaeboch  ans 

Herodot.  Hildbnrghausen,  Eeaaehrlng.  92  S.  80  Pf. 
D.  Bernhard  KofC^e,  Theodor  Korner  ein  Sänger  und  ein  Held.  Zum  hundert- 
jährigen Gedächtnis  seines  Geburtstages  dem  deutschen  Vülk»^  geschildert. 
Wittenberg,  Herrose.  t)2  S.  50  Pf.  10  Exempl.  4,50  M.,  25  Exp.  10  M., 
50  Ezp.  17^  M. 

M.  Sitte,  Unier  Krieg  von  1870/71.  Seibatverlag,  Berlin,  Magdebnrgeratr.  12. 

192  S.  2  M. 

K.  Krebs.  Beiträge  zum  Geschichtsunterricht  in  der  Volkeschnle  des  König- 
reichs Sachsen.    Leipzig,  Rossberg.    144  S.   2,20  M. 

F.  O&nther,  Aus  der  Geschichte  der  Harzlande.  Viertes  Bändchen:  Aua  der 
Zeit  der  sächsischen  Kaiser.   Hannover,  Karl  Meyer.  92  S.   1  M. 


Digitized  by  Google 


—   272  — 


R.  Helm,  Heimatkunde  von  Leipzig.  Ein  Führer  zu  Schülerausflfigen  in 
Leipzig  und  seiner  Umgebung  nebst  einer  systematisclieu  Heimatkunde. 
Mit  Abbildnnfren  und  Voselschauansicht.  Leipzig,  J.  J.  Weber.  lJ)4  S.  2  if. 

F.  0.  Albert,  Liederbuch  für  äcbalen.  Enthaltend  methodische  ÜbuDgeu, 
GhoriUe  nnd  Lieder.  Zweites  Heft^  5.-8.  Schaljahr.  Altenbiirg,  Bonde. 

335  S.  80  Pf. 

Rudolf  Baatz,  Formenstndien.  Musterzeichnnngen  für  Schule,  Haus  und  Gr«- 
werbe.  110  Tafeln  mit  circa  500  Mustern.  Frankfurt  a.  M.,  Ao^t  Frey. 

3,50  M. 

H.  Herold,  Jugeudlectüre  und  Schäler-Bibliotheken  unter  Herücksichtigung 
der  ZettveriiiltiiiiM.  Kit  Autwahl  und  Inhaltsangabe  guter  Jugendschriften 
und  einem  Vorwcirte  von  Dr.  L.KeUBer.  Wlnster,  SchOnioj^  146  S.  1  H. 

IMetiieh  The4«i,  JugendgrüBe.  Neue  Geaehlehten  Ar  die  Kinderwelt  Mit 
vielen  Bildern.  (Pnehtwerlc!)    145  S.   Dresden  und  Wien,  Universum, 

Alfred  Hanschild. 

Kinder -Gartenlaube.    Farbig  iUustrirte  Zeitschrift  zur  Unterhaltung  und 

Belehrung  der  Jugend  im  Alter  von  7 — 15  Jahren,  Baad  XJ.  Nürnberg, 

Veriaff  der  Kinder-Gartenlaube.  288  S.  geb.  2,50  M. 
Neudruekepldagogiseher  Schriften.  Herausgegeben  von  Albert  Richter. 

Vn,  J.  B.  Schupp,  Vom  Schulwesen.  Mit  Einleitung  und  Anmerkun^tu 

von  Dr.  Paul  Stötzner.    106  S.    VUi.  J.  A.  Comenius'  Mutterschule. 

Mit  Einleitunj^-  von  Albert  Kichter.   86  S,  Verlag  von  Richard  Richter  in 

Leipzig.   Preis  jeder  Nummer  80  Pf. 
€h.  0.  Salxmaiu  Ausgewählte  Schriften.  Mit  Salzmanns  Lebensbesehrelbnng 

herausgegeben  von  Eduard  Ackermann.  II.  Band.  Langensalna,  Beyer  A  SOhne. 

294  S.   -2.50  M. 

Konrad  Fischer,  Geschichte  des  deutschen  VolksKcliullclircrstandes.  Ersteund 
zweite  Lieferung,  ^  48  S.,  i\  50  Pf.    llannuvej-,  Karl  Meyer  (Prior). 

Dr.  Bernh.  Heinzig,  Die  Schule  Frankreichs  in  ilirer  historischeu  Entwicke- 
lung  beaottden  seit  dem  dentsch-französiscben  Kriege  von  1870 — 71,  nebst 
einer  Übersetzung  des  neuesten  frans.  Primtrsehulgesetses.   Leipzig  u. 

Frankfurt  a.  M.,  Kesselring.    90  S. 
Dr.  ('.  Kehr,  Theoretisch-iii-aktische  Anweisung  zur  Beliaiullung  deutsclier 
Lesestücke.    Eine  Methodik  des  deutscheu  Spracbnnttrrichtes  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  ungetheilten  Volksschule,   ü.  AuÜ.,  bearbeitet 
von  F.  Martin.  Gotha«  Thienemann.  506  S.  4,80  M. 

H.  LQdemain,  Plan  und  Stoff  fBr  den  deutschen  Sprachunterricht  nebet  An- 
deutungen für  die  Behandlung  des  StoAlBS.  Bremen,  Rühle  A  Schlenker. 

284  S.  4  M. 

H.  Messien,  Materialien  für  die  schriftlichen  Arbeiten  in  der  Fortbildungs- 
schule. Auf  Grund  des  Lehrjilans  für  die  FortbildnngSSCbnlen  des  König- 
reichs Sai'iisen.    MeiUeii.  Schlinii)ert.    63  S.    50  Pf. 

Johannes  lleyer,  Archiv  füi-  die  Praxis  des  VolksschoUehrei-s.  irrster  Band. 
Muster-Lehrproben  aus  allen  Untenichtsgebleten  der  deutschen  Volksschule. 
Hannover,  Karl  Meyer.  316  S.  3  M. 

Vcnittwortl.  B«la«(*iu  Dr.  Friedrich  Dittea.  nD«lidra«k«rei  Jalint  KliakhardI,  Leipiig. 


Digitized  by  Google 


Die  kireklielie  waä  il%  pliilMepliische  Sittenlelire. 


Von  Directox  Q^erU^InUeHmry. 

Die  rechte  Erziehung  bedarf  klarer  Erkenntnisse.  Wer  zur 
Sittlichkeit  erziehen  will,  mnss  genau  wissen,  was  ihm  als  sittlich  und 
hochsittlich  oder  umgekehrt  als  unsittlich  und  verwerflich  oder  frevel- 
haft gilt,  und  welches  Thun  und  Denken  als  sittlich  gleichgültig  be- 
trachtet werden  darf.  Es  soll  darum  bier  g^anz  objeetiv  dargestellt 
werden,  weldie  Ansichten  als  Hanptriehtungen  des  menschliclieii 
Strebens  nach  Sittlichkeit  gegenwärtig  in  der  Welt  esdstiren,  nnd  in 
welcher  Weise  dieselben  vom  Mittelalter  ab  wfihrend  der  kirchlichen 
Reformation  nnd  in  der  Neuzeit  durch  bahnlM«ehende  Geister  yei^ 
ändert  worden  sind.  Es  sollen  jOngere*)  Lehrer  ond  Erzieher  dadurch 
zum  Studium  dieser  ernsten  Fragen  nnd  zum  selbststilndigen  Denken 
angeregt  werden. 

Während  des  Mittelalters  stand  das  gesammte  sittliche  Verhalten 
und  Streben  der  Menschen  im  Dienste  der  Religion.  Die  große 
allgemeine  Frage  der  Glftubigen  betraf  das  Heil  der  Seele  nach 
dem  Tode  und  demgemäß  den  Erwerb  des  Gnadenschatzes  ffir 
das  Jenseits.  Demgemäß  dachte  man  bei  seinem  Thun  und  Lassen 
stets  daran,  wie  dasselbe  vor  Gott  oder  der  Kirche  nnd  den  „Dienern 
Gottes**,  üea  Priestern,  ge&lle,  und  welchen  Lohn  oder  welche  Strafe 
man  dafür  namentlich  nach  dem  Tode  zu  erwarten  habe.  Man  fürchtete 
eine  Nemesis  wol  sdion  fOr  das  Leben  auf  der  Erde;  aber  diese 
Furcht  trat  jener  viel  größeren  und  nachhaltigem  gegenüber  leicht 
in  den  Hintergrund.  Je  mehr  der  Sünder  seinen  Leidenschaften 
firöhnte,  je  mehr  er  in  leichtsinnigem  und  frechem  Spotte  sich  über 
jene  Seelenangst  hinwegsetzen  wollte,  desto  mächtiger  und  verzehren- 
der wurde  er  davon  ergritfen,  wenn  Krankheit  oder  Unglücksfälle  ihn 
an  seine  menschliche  Schwäche  und  Ohnmacht  gemahnten,  oder  wenn 
die  letzte  Stunde  nahte  und  seine  Seele  neben  den  Todesqualen  noch 

Kann  älteren  auch  nicht  achadeo.  D.  R. 
tmiagotUvm,  14.  Jdvg.  H«ft  V.  20 


Digitized  by  Google 


—    274  - 


durch  Gedanken  an  die  Ewigkeit,  an  das  göttlicbe  StraljgeriGlit  und 
die  ewige  Verdammnis  gemartert  wurde.  Der  gute,  müde,  liebevolle, 
redliche  Mensch»  der  seine  Pflichten  gegen  Gott  und  seine  Ifitmenschen 
treulich  zu  erfüllen  strebte,  seine  Leidenschaften  beherrschte  und  der 
Kirche  und  ihren  Dienern  stets  gehorsam  und  unterthan  war,  brauchte 
2war  Tor  dem  Tode  und  dem  gOttUdien  Stra%ericht  nicht  zu  erbeben; 
aber  selbst  bei  ihm  erwies  sich  die  große  Zeitidee  so  mächtig,  dass 
er  unablässig  bemflht  war,  „seine  Seligkeit  untei*  Furcht  und  Zittern 
zu  schaffen^,  sich  stets  als  „unnfttzen  Knecht**  fdblte,  weil  er  „nur 
gethan,  was  er  zu  thun  schuldig  gewesen'',  und  selbst  bei  seinen  un- 
eigennfttzigen,  edeln  Thaten  stets  an  den  „Lohn  im  Jenadts**  oder 
mindestens  an  die  beifällige  Liebe  und  das  Wolwollen  seines  durch 
diese  Thaten  erfreuten  Gottes  dachte.  Bei  solch  einer  Gesinnung 
dachte  niemand  daran,  Lohn  oder  Strafe  für  sein  Thun  nur 
von  dem  Richterspriirli  seines  Gewissens  abhängig  zu 
machen,  bei  jeder  Tliat  lediglich  vor  sich  selber  zu  bestehen. 
Für  jeden  Christen  des  Mittelalters  galt  als  letztes  Gericht  das  ent- 
scheidende Urtheil  Gottes  und  Christi  im  Jenseits,  und  auf  Erden  (la> 
Gericht  der  Kirche  und  der  Geistlichen.  Die  Kirche  mit  dem  Papst 
an  fler  Spitze  besaß  in  ihren  Augen  dif^  volle  Macht  »zu  lösen  iui<l 
zvi  binden*',  die  Sünden  zu  vergeben  oder  duich  Weigerung  die  Sünder 
der  ewigen  Verdammnis  zu  übergeben.  Niemand  war  frei,  niemand 
wagte  es,  selbstgerecht  zu  leben  und  zu  handeln,  sein  sittliches  Thun 
und  Lassen  von  seinen  religiösen  Pflichten  zu  timnen.  Alles  Denken 
4ind  Handeln  stand  im  Dienste  Gottes  und  der  Kirche. 

Diese  große  Idee  ist  nach  der  heiligen  Schrift  vi»n  Christo  selber 
gelehrt  und  verbreitet  worden.  „Trachtet  am  ersten  nach  dem  Keiche 
Oottes  und  nach  seiner  Gerechtigkeit,  so  wird  euch  solches  alles  zu- 
fallen"', lehrt  der  Herr.  ,,SaninieIt  euch  Schätze  im  Himmel,  die 
weder  Motten  noch  T>(»sf  tVesson  und  die  Diebe  nicht  nachgraben  und 
stehlen."  „Mein  ßeich  ist  nicht  von  dieser  Welt,  wer  mir  nachfolgen 
Avill,  der  verkaufe,  was  er  hat.  und  gebe  es  den  Armen.  Dann  gleicht 
er  dem  Manne,  der  den  verboignen  Schatz  im  Acker  durch  den  Er- 
lös von  .seiner  Habe  erstand."  Wenn  Christus  die  Arnien  Iteleiirt.  ver- 
heißt er  ilinen  wie  den  Trostbedürttigen.  wie  allen,  die  „mühselig  und 
beladen  sind",  die  Helohnuug  und  Wrsriluiung  im  . Jenseits.  ^Sie  wei- 
den getragen  von  den  Engeln  in  Abrahams  Schoß,  sie  werden  dort 
getröstet.  Die  Keichen  dagegen,  welche  hier  aut  Eiden  herrlicli  und 
in  Freuden  gelebt  haben  und  sich  um  die  Armen  und  UnglückliclH  U 
vor  ihrer  Thüi'  nicht  bekümmert  haben,  kommen  an  den  Ort  der 


Digitized  by  Google 


—    27Ö  — 

<^ual  und  werden  gepeinigt."  Die  Leidtragenden,  die  geistlicli  Armen, 
die,  welche  hungern  und  dtlrsten  nach  der  Gerechtigkeit,  sollen  selig 
werden.  „Seid  friedfertig,  seid  barmherzig,  liebet  eure  Feinde,  nehmt 
auf  euch  mein  Joch  und  lernt  von  mir;  alles  wird  euch  im  Himmel 
wol  belohnet  werden."  „Seid  demflthig,  bereut  enre  Sünden,  Gott  ist 
die  Liebe.  Ich  werde  durch  mein  Blnt  each  bei  ihm  vertreten  nnd 
ench  von  sehiem  Zorn  ierlOsen.**  Der  Sflnder  kann  bei  wahrer  Bene 
noch  in  seiner  Todesstnnde  erlitot  werden.  „Wahrlich,  ich  sage  dir**, 
wird  als  Trost  dem  renigen  Scfaficher  am  Kreuz  zogemfen,  „hente  noch 
wirst  dn  mit  mir  im  Paradiese  sein.' 

Es  liegt  in  den  einzelnen  Gedanken  und  kleineren  Ideen,  ans  • 
denen  sich  jene  gewaltige  Idee  zusammensetzt,  ein  groBer  Theil  der 
weltbezwingenden  Macht  des  Christenthums.  Das  ganze  Leben  wird 
nach  dieser  Idee  geregelt,  die  Erde  zu  einem  Vorort  des  Himmels, 
unser  irdisdies  Leben  zu  einer  Vorbereitung  auf  das  Leben  im  Jen- 
seits gemacht.  Unser  ganzes  Denken  und  Streben  in  Sittlichkeit  und 
Sitte,  in  Kunst  und  Wissenschaft,  in  der  Cksellschaft  und  im  Staate 
soll  in  der  Beligion,  in  der  Frömmigkeit  aufgehen;  alles  irdische 
Glftck,  alle  irdische  Lust  nnd  Freude  hat  ihre  Berechtigung  nur  soweit, 
als  sie  mit  dieser  gewaltigen  Idee,  der  Allbeheirscherin  des  mensch- 
lichen Daseins,  nicht  in  Widerstreit  gerfttb,  von  ihr  gutgeheißen  oder 
geduldet  wird.  Wer  recht  und  gut  handelt,  soll  nicht  w&hnen,  damit 
im  Jenseits  bestehen  zu  kOnnen;  denn  „wir  sind  allzumal  Sflnder  und 
mangeln  des  Rahmes,  den  wir  vor  Gott  haben  sollen**.  Darum  stehen 
Demiith  und  Buße  höher  als  Gerechtigkeit  und  Tngendstolz.  „Es 
wird  im  Himmel  mehr  Freude  sein  über  einen  Sftnder,  der  Buße  thut, 
als  über  neunundneunzig  Gerechte,  die  der  Buße  nicht  bedürfen.**  Die 
größte  Liebe  des  Vaters  wird  bei  der  reuigen  Wiederkehr  dem  ver- 
loren geglaubten  und  niclit  dem  sittlich  unbescholtenen  gerechten 
Sohne  zutheil.  Der  demüthige',  bußfertige  Zöllner  geht  „gerecht- 
fertigt vor  Gott^  aus  dem  Tempel,  und  nicht  der  streng  gesetzlich 
handelnde  tugendstolze  Pliaris&er. 

Dier^o  gi-oße  weltbezwingende  Idee  ist  ausgesprochen  und  zur 
Klarheit  gebracht  worden,  als  „die  Zeit  erfilUet  war",  als  bereits  Mil- 
lionen von  Menschen  in  den  verschiedensten  Vrdkern  dunkel  ahnten, 
dass  die  alten  religiösen  Formen,  Anschauungen  und  Zustände  unhaltbar 
geworden:  als  die  Gemüther  der  Edelsten  und  Besten  unter  Juden 
und  Heiden  sich  in  tiefem  Sehnen  nacliider  noch  verschleierten  Wahrheit 
fast  verzehrten  und  darum  i^eneigt  waren,  das  neue  Licht,  die  neue 

„trohe  Botschal't  des  Heils''  mit  wahrer  Inbrunst  zu  begrüßen.  Mochten 

20* 

Digitized  by  G6pgle 


—   276  — 


viele  Lehren  des  Herrn  auch  nur  den  schärften  Denkem  klar  werden: 
die  Lehre,  dass  im  Himmel  ein  einiger  Gott,  der  Schöpfer,  Erhalter 
und  Begierer  der  Welt»  als  ein  liebender  Vater  aller  Menschen  walte; 
dass  dessen  Liebe  nnd  Erbarmen  namentlich  den  Armen,  den  Be- 
drückten und  Bekümmerten  zatheü  werde;  dass  dieselbe  Liebe  und 
Gttte  sogar  die  Ärgsten  Sünder  in  Qnaden  annehme,  diese  trostreiche 
nnd  erhebende  Lehre  wurde  in  ihrer  Einfachheit  selbst  von  dem  aim- 
seUgsten  Sdaven  begrüEto.  Demgemäß  fiud  die  andere  Lehre,  dass 
auf  das  elende,  geqoAlte,  nnmhige,  sorgenvolle  Leben  aif  Erden  ein 
schönes,  schmerzfreies,  trostreiches  Leben  im  Jenseits,  im  Reiche  des 
liebenden  Vaters,  folgen  werde,  gar  leicht  das  willigste  G^ör  nnd 
mit  ihr  die  große  Idee,  dass  man  sich  während  des  ganzen  Lebens 
auf  Erden  auf  das  Jenseits  würdig  vorzubereiten,  mit  allen  Kräften 
für  das  Heil  der  Seele  nach  dem  Tode  za  sorgen  und  bei  jeglichem 
Thun  und  Lassen  sich  zu  fragen  habe,  ob  es  im  Himmel  bestraft  oder 
wol  belohnet  werden  könnte. 

Diese  gewaltige  Idee  und  diese  Lehren  erfüllten  die  Gemüther  aller 
Christen  in  den  ersten  Jahrhunderten  nach  Jesu  Opfertode  mit  tiefer, 
heiliger  Liebe  zu  Gott  und  zu  ihrem  Religionsstifter  und  Heilande, 
Jesu  Christo;  mit  der  echten  todesmuthigen  Begeisterung  für  ihren 
Glauben  und  mit  der  opferwilligsten  Liebe  zu  ihren  Mitmenschen  und 
zu  dei*  neuen  Gemeinschaft,  der  christliclien  Kirche. 

Aber  schon  im  zweiten  Jahrhunderte  nach  Christi  Tode  wurde 
das  inniß  fromme,  liebevolle  und  schöne  Zusammenleben  in  der  neuen 
Gemeinde  getrübt.  Es  bildeten  sich  infolge  verschiedener  Lehr- 
meinungen arge  Spaltungen,  und  das  Sectenwesen  drohte  den  neuen 
Glauben  ganz  zu  zerstören  und  zu  durchsetzen.  Ks  hatte  sich  leicht 
und  ohne  Widerspruch  die  Scheidung  in  Priester  und  Laien  vollzos^en, 
in  Geistliche  mit  dem  Benife,  die  heilige,  geliebte  Tielire  zu  studireu 
und  durch  Predigt  und  Seelsorge  zu  verbreiten,  und  in  die  Menge 
derer,  denen  diese  Studien  und  Predigten  zu  gute  kamen.  Aber  man 
bedurfte  jenen  Spaltungen  und  Secten  gegenüber  einer  Kinheit  und 
darum  einer  Autorität,  die  durch  ihr  Ansehen  den  Hader  dämpfen, 
jede  abweichende  Meinung  zur  Unterwerfung  zwingen  konnte.  Dies 
Bedüi'fnis  schuf  das  Dogma  von  der  Priesterweihe,  erzeugte 
und  befestigte  die  Lehre,  dass  in  Glaubeussachen  nur  die  Priester 
vom  heiligen  Geist  erleuchtet  werden,  und  dass  die  Beschlüsse  der 
aus  Priestein  gebildeten  Concilien,  durch  welche  das  gesammte  Reli- 
gionswesen in  den  Hauptsachen  geregelt  und  festgestellt  wird,  als 
Ausflüsse  des  heiligen  Geistes  unantastbar  und  unfehlbar  seien.  Der 


Digitized  by  Google 


—   277  — 

Nutzen  dieser  Dogmen  trat  selir  dentUeh  herror,  ate  Ck>n8taatl&  im 
Anfange  des  4.  Jahrhonderts  die  christliche  Beligion  anr  Beligion  des 

ganzen  römischen  Staates  machen  wollte  und  darnm  die  Frage  stellte: 
„Welche  Beligionsleliren  sollen  fortan  von  allen  Unterthanen  als  die 
wahren  anerkannt  und  befolgt,  welcher  Glaube  fortan  bekannt  werden?*" 
Das  Concil  zu  Nicäa  gab  darauf  die  Antwort  (325),  vernrtheilte  die 
Lehren  des  Bischöfe  Arios  als  falsch,  nahm  das  Glaubensbekenntnis 
des  Atlianasius  an  nnd  schaf  damit  die  „heilige  römisch-katho- 
lische Kirche". 

Als  die  Priesterschaft  zu  dieser  Machtfülle  gelangt  war,  wnrde 
jene  große  christliche  Idee  von  ihr  als  die  AUbeherrscherin  des  ganzen 
Lebens  richtig  erkannt,  gewürdigt  und  mit  allen  ihr  zu  Gebote 
stehenden  Mitteln  zur  Dnrchfühnmg  gebracht  Mit  Hilfe  derselben 
suchte  sie  das  gesanimte  sittliche  Leben  der  Menschen  zu 
regeln.  Man  soll  nicht  vorkennen,  dass  diese  Unterordnung  des  ge- 
samraten  sittlichen  Lebens  und  Strebens  unter  jene  proße  religiöse 
Idee  damals  aus  der  reinsten  Absicht  entsprang.  Inmitten  jener  Zeit 
greulicher  Roheit,  wüsten  Sinnentaumels,  entsetzlicher  Ausschwei- 
fung:en,  empörender  Gewaltthätigkeit  und  Rechtlosigkeit  wollte  die 
Kirche  in  Christi  hehrem  Sinne  alle,  die  „müliselig  und  beladen  waren", 
in  ihren  starken  Sdiutz  nehmen,  und  die  in  Lüsten  aller  Art  und 
in  Selbstsucht  verkommenen  Menschen  mit  Hilfe  der  Religion  zu 
besserer  Sittlichkeit,  zu  einem  Gott  wolsfetalligen  Leben  erziehen. 
Alles  was  sie  in  dieser  Absicht  befahl,  wurde  „in  niajorem  Dei  glo- 
riam",  zur  höheren  Ehre  Gottes  angeordnet;  und  da  ihre  Befehle  wie 
göttliche  Gebote  betrachtet  wurden,  so  bildete  sich  überall  in  den 
.europäischen  Culturstaaten  neben  der  volksthümliciien  Sitte  und  Sitt- 
lichkeit eine  besondere  Lebenstiihrung,  die  sich  nach  den  Geboten 
der  besonderen  kirchlichen  Moral  richtete.  Dieselbe  fand  überall, 
selbst  bei  heftigem  Widerstreben,  ziemlich  schnell  Eingang,  weil  sie 
als  eine  heilige  Forderung  der  Religion,  als  der  Ausfluss  des  göttlichen 
Willens  hingestellt  und  durch  sehr  klug  gewählte  Mittel  aufgezwungen 
wui'de.  In  kluger  Erkenntnis  der  menschlichen  Schwächen  und  Leiden- 
schaften behandeltrn  die  Priester  die  Laien  in  Gesammtheit  als  un- 
mündige, der  Erziehung  bedürftige  Kinder,  und  unterwarfen 
ddi  die  edlereu,  die  feineren,  ja  selbst  die  scharfsinnigen  Naturen 
dnrch  den  Hinweis  anf  den  guten  Zweck,  auf  den  göttlichen  Willen 
nnd  ihre  heilige,  göttliche  Sendung.  Bei  Qelegenheit  der  yolksthftm- 
lichen  Feste,  der  „NaiTen-  nnd  Eselsfeste"  nnd  des  „Carneval*'  ge- 
stattete die  Kirche  der  glinbigen  Menge,  wie  Schnlboben  sich  anszn- 


Digitized  by  Google 


—   278  — 

• 

toben,  sich  in  freier  Laune  allen  fleischlichen  Gelüsten  hinzogeben,  ja. 
Verspottung  des  Heiligen  and  Frevel  aller  Art  zu  begehen.  Sie 
wusste  genau,  dass  in  den  Tagen  der  inneren  Zerknirschung,  die  auf 
solchen  wQsten  Taumel  folgen,  die  Sünder  in  durchaus  bußfertiger, 
demuthiger  Stimmung  zu  den  Geistlichen  eilen  würden,  um  hier  Trost 
und  Vergebung  zu  finden.  Da  hatte  man  denn  reichlich  Qelegenheit, 
seine  Erziehungsmethode  auszuüben  und  die  Lehre,  dass  nur  die  Tbat 
sittlich  und  gut  sei ,  die  von  dei*  Kirche  erlaubt  sei,  zu  unbedingter 
Anerkennung  zu  bringen. 

Dies  Ei-ziehungssystem  suchte  die  Kirclie  durch  Belohnungen 
und  Bestrafungen  zu  unterstützen.  Da  die  meisten  Menschen 
weit  eher  geneigt  sind,  ihren  Lüsten  und  Begierden  zu  fröhnen,  als 
sich  um  des  Guten  willen  zu  beherrschen  und  sich  sinnliche  Vergnü- 
gungen zu  versagen:  so  glaubte  man  sie  am  leichtesten  zu  ei'ziehen, 
wenn  man  den  schwachen  Willen  zum  Guten  durch  verlockende  Ver- 
heißungen zu  stärken  und  den  verderbten  durch  schwere  Drohunpfen 
mit  entsetzlichen  martervollen  ^Strafen  einzuschüchtern  und  in  Banden 
zu  halten  vermöge.  Dieser  Zweck  schuf  die  Lehre  von  dem  Fege- 
feuer, vom  Teufel  und  von  der  Hölle  mit  ihren  Schrecknissen  und 
entsetzlichen  (Qualen,  und  die  vom  Himmel  mit  seinen  Knpfeln  und  den 
dort  gebotenen  selij2:en  Freuden.  Es  wurden  infnlg-e  dieses  Zweckes 
die  verschiedenartigen  Kirchenstraten  und  die  Mittel  bestimmt,  durch 
welche  der  Sünder  die  VeigeViung  erlangen  köinie.  Es  wurde  zu- 
gleich festgestellt,  welche  Thaten  als  verdienstvoll,  welche  \\  ei  ke  als 
gute,  Gott  wolgetHllige  gelten,  und  wehhe  verdammeuswerl  seien. 
Für  die  ersteren  sicherte  die  Kirche  als  Verwalterin  aller  guten  Werke 
der  Menschheit  den  Gläubigen  hier  auf  Erden  „Absolution",  Vergebung, 
der  Schuld,  und  nach  dem  Tode  die  Belohnung  im  Himmel;  für  die 
schweren  Versündigungen  bei  L'nbußfertigkeit  die  entsetzlichen  Strafen 
und  Qualen  in  dem  Fegefeuer  und  in  der  Hölle. 

Um  dies  Erziehungssystem  wirksam  zu  machen,  war  es  nothwendig, 
dass  die  gläubige  Menge  die  Kirche  als  ihre  einzige  wahre  Heils- 
anstalt, den  Papst  als  den  Statthalter  Gottes  und  Christi,  die  Priester 
als  gottgeweihte,  heilige  Personen  betrachtete  und  ilire  Lehren  prü- 
fungslos als  wahr  annahm.  Die  Geschichte  lehrt,  welche  Anstrengungen 
gemacht,  welche  Kämpfe  geführt  wurden,  um  selbst  die  Mächtigsten 
auf  Erden  zur  Anerkennung  der  päpstlichen  W^eltherrschaft  und  Macht- 
Alle  zu  zwingen,  und  die  kirchliche  Lehre  von  allen  ketzerischen 
Ansichten  und  Lefanneinungen  zu  reinigen.  Der  ftuBere  Erfolg  war 
ein  großartiger,  dies  beweisen  die  frommen  Sfftungen,  die  „Seelen- 


Digitized  by  Google 


—    279  — 


messen/  die  Wall&brten,  die  Bnß-  and  Betttbnngen,  die  Almosen- 
spenden,  die  Yerehrnng  der  Hefligen  nnd  der  Jnngfraa  Maria,  der 
freundlichen  und  bereitwüligen  Helfer  in  jeder  Seelennotb,  der  Abscheu 
vor  Eetsem,  Hexen  und  Teufelsdienem;  dies  beweist  ^  ungeheure 
Macht,  dwen  sich  ein  Innocens  I2L  am  Anfang  des  13.  Jahrhunderte 
iUhmen  durfte.  «Die  Sorge  Ar  die  Seele**,  sagt  Jul.  Lippert  in  seiner 
„Deutschen  Sittengeschichte**,  „ist  [dem  Dnrchschnittsdeutschen  des 
Mittelalters  ganz  so  wichtig  wie  dem  dadurch  berülimtcn  Ägypter. 
Alle  Schenkungen  gehen  aus  der  Sorge  für  die  Seele,  für  das  Himmel- 
reicli  hervor,  sind  ,Seelgeräthe*.  Durch  Seelgerätlie  ist  der 
Gimd  gelegt  worden  zu  dem  gesammten  Uberreichen  Kirchengute,  zu 
Abteien  und  Bistliümern  und  ihrem  Landbesitz.  Man  kann  glauben, 
eine  ügy()tische  Urkunde  zu  lesen,  wenn  Thietmar  von  der  Bestattung 
Otto  III.  berichtet,  wie  Heimzog  Heinrich  dessen  Herz  in  einer  Kapelle 
beisetzt  nnd  dazu  ,um  des  Seelenheils  des  Verstorbenen  willen  hundert 
Hufen  von  seinem  eigenen  Besitz'  schenkte.  Für  ihres  vei'Storbenen 
Gemahls  und  ihres  Sohnes  Seelenheil  hat  Mathilde,  die  Witwe  Hein- 
richs I.,  das  Kloster  Nordhausen  gestiftet.  Der  einst  reiche  <7rnf 
Lintbold  hatte  dem  Kloster  Zweifalten  soviel  von  dem  Seinen  geschenkt, 
dass  ihm  bei  seinem  Tode  zur  Belohnung  der  Diener,  di»^  den  (ge- 
lähmten im  Tragstuhle  zu  tragen  pflegten,  nichts  übrig  geblieben  war. 
als  sieben  Lammfelle.  Wer  sich  nicht  durch  eine  Schenkung  sichern 
konnte,  dass  fiir  ihn  eine  , Seelenmesse*  abgehalten  wurde,  musste  sich 
aut  die  Treue  und  Liebe  seiner  Hinterbliebenen  stützen.  Aber  selbst 
auf  solche  Treue  wollte  niemand  die  Zukunft  seiner  Seele 
setzen." 

Wii'  fragen:  Hat  dies  Krzieiuingssystem  der  Kirche  sich  frucht- 
bringend erwiesen?  Ist  die  Menschheit  dadurch  in  sittlicher 
Hinsicht  gebesseit  worden? 

Die  Geschichte  muss  diese  Frage  verneinen.  Hei  (-Jelegenheit  des 
Ablasshandels  im  Anfange  des  IH.  -laiuhunderts  zeigte  sich's,  dass  die 
Menschen  durch  die  Insherige  Erziehung  abergläubig,  feig,  sclavisch, 
eigennützig,  heuchlerisch,  feil,  gewinnsüchtig  geworden  waren  und  das 
Gefühl  für  die  Heiligkeit  schwerer  Pflichten ,  für  (Terechtigkeit  und 
für  Freiheit  der  Mehrzahl  nach  fast  ganz  verloren  hatten.  Diese 
Einsicht  bestimmte  unsern  großen  l^uther  in  erster  Linie,  gegen  den 
Ablass  und  gegen  diese  ..Werkheiligkeit"  der  Scheiuchristen  autzu- 
treten. Die  Menschen  machen  aus  ihrer  Sittlichkeit  eine  Art  von 
Schachergeschäft,  bedenken  und  berechnen  stets  die  belohnende  Ver- 
geltung, thuu  das  Gute  nie  um  des  Guten  willen,  nie  aus  reiner 


Digitized  by  Google 


—  280  — 


Achtung  vor  dem  Gesetz,  sondern  nur  aus  lIuHnung  auf  Belolinung 
oder  aus  Furcht  vor  Strate.  Selbst  bei  dem  PfeDnig,  der  dem 
Bettler  gereiclit  wird,  bedenken  sie,  dass  er  ihnen  oder  ihren 
Kindern  Zinsen  tragen  könnte.  ,.Gib",  wird  das  Kind  belehrt,  ,.damit 
der  liebe  Gott  dir's  spater  vergelte!"  Vom  Unrecht  wird  durch  diese 
kirchliche  Lehre  niemand  znriickgehalten;  jeder  folgt  froh  und  frech 
seinen  Gelüsten  und  Begierden.  Werden  die  Gewissensbisse  zu  aig. 
so  lässt  man  sich  durch  Kirchenbuße  und  gute  ^^'erke  vom  Priester 
entsühnen  und  folgt  in  Seelenruhe  den  neuen  sündlichen  Verlockungen. 
iJiese  kirchliche  Erziehung  hat  in  Wirklichkeit  nur  Scheinerfolge 
aufzuweisen;  denn  noch  niemals  ist  ein  sündhafter  Mensch 
dadurch  in  seiner  («esiniiuiis:  veredelt  worden. 

Die  auf  jener  großen  christlichen  Idee  beruhende  Sittenlehre  ist 
in  Bezug  auf  eine  besondere  Riclitung  verhängnisvoll  geworden.  Wir 
denken  an  den  Kiufluss,  den  die  Lehre  von  dem  Werte  der  Ascese 
ausübte.  Dieselbe  wurde  durcii  die  Auffassung  erzeugt,  welche  die 
wortführenden  und  herrschenden  Priester  in  den  ersten  Jahrhunderten 
nach  Christi  Geburt  und  das  Mittelalter  hindurch  vom  Wesen,  der 
Bedeutung  und  der  Berechtigung  des  Weibes  besaßen  und  zur 
Geltung  brachten.  Den  Aposteln  und  den  Kirchenvätern  galt  das 
Weö)  als  „unrein'',  als  „das  Oefäfi  der  Sünde**,  als  „diej  yerfBhT8rin% 
die  nach  der  EnftUung  der  Bibel  die  Sünde  in  die  Welt  gebracht 
hat  und  die  MÜimer  za  Gnmde  richte.  nWeib",  ruft  Tertnllian,  „du 
solltest  stets  in  Trauer  und  Lnmpen  gehen,  Thrilnen  der  Bene  weinen; 
denn  dn  bist  die  Pforte  zur  HGUe.**  In  jener  Zeit,  als  die  Frauen 
ganz  rechtlos  waren  und  scheinbar  die  Yenmlassnng  m  den  greu- 
lichsten, geschlechtlichen  Ausschweifungen  und  den  unnatOrlichen  Lastern 
gaben,  hatten  die  frommen  Eifinrer  fOr  sie  nur  eine  £ut  grenzenlose 
Verachtung.  Die  Ehe  galt  ihnen  darum  hOdistens  als  „ein  noth- 
wendiges  Übel''.  »Die  Ehe'',  sagt  der  Apostel  Paulos,  »ist  ein  nied- 
riger Stand;  heiraten  ist  gut,  nicht  heiraten  ist  besser."  Kirchen- 
▼&ter,  wie  Hieronymus,  Qrigines  und  Augustinus,  nannten  die  Ehe 
„unrein  und  unheUig'^,  „stets  ein  Laster,  das  höchstens  zu  entschul- 
digen sei".  Augustinus  meinte  und  predigte:  „Die  Ehelosen  werden 
glänzen  am  Himmel  wie  leuchtende  Steine,  wahrend  ihre  Eltern  den 
dunkeln  Sternen  gleichen."  Das  Verlangen  nach  geschlechtlicher  Ver^ 
einigung  der  Männer  mit  den  Frauen  wurde  als  „fleischliches  OelOste" 
bezeichnet  und  als  das  schwerste  Hemmnis  beim  Streben  nach 
dem  Himmelreich,  nach  der  ewigen  Seligkeit  betrachtet. 
„Wandelt  im  Geiste  und  widerstehet  den  Lttsten  des  Fleisches!" 


Digitized  by  Google 


—   281  — 


Daraus  bildete  sich  selir  bald  die  Ansicht,  dass  in  der  Ascese,  d.  h. 
in  (It  r  gänzlichen  Enthaltung  von  jeder  Art  geschlechtlicher  Ver- 
bindung, ja  selbst  von  gemüthlichero,  freundlichem  Umgang  mit  dt^n 
Frauen  die  größte  Sittlichkeit»  das  Gott  am  meisten  volgeföUige  Leben 
zu  finden  sei  Die  Wirknng  dieser  Lehre  zeigte  sich  im  Mönchs- 
gelübde, im  Klosterleben,  in  der  Einsetzung  des  OOlibats,  der  Ehe- 
losigkeit aller  Gelstlichai.  Diejenigen  Priester,  welche  ihre  starken 
geschleehtlidiai  Triebe  durch  blutige  Oeifielnng,  durch  Kasteiung  aller 
Art  nnterdr&ckten  und  durch  diesen  besonders  ascetischen  Eifer  sich 
anszdchneten,  worden  als  hochsittliche  und  sehr  finomme  Hlbiner  be- 
trachtet nnd  wol  gar  heilig  gesprochen.*) 

Die  Ascese  blieb  sehr  bald  nicht  anf  die  Enthaltung  von  „fleisch- 
lichen Oelüsten**  beschränkti  man  dehnte  sie  aus  auf  „Augenlust  und 
hoffftrtiges  Wesen,"  anf  alle  ranschenden  Feste  nnd  sinnlichai  Ver- 
gnügungen, znletst  auf  die  haimlosesteD  siiinlichen  Genüsse  und 
Freuden.  Die  Bestrebungen  der  Kflnste  wurden  nur  soweit  geachtet 
und  erlaubt,  als  sie  zur  Yerherrlichung  des  Gottesdienstes  beitrugen, 
im  Dienst  der  Beligion  oder  vielmehr  der  Kirche  arbeiteten.  Sie  er-  * 
hielten  die  freiere  Bichtnng  erst  unter  dem  Einfluss  der  dassischen 
Studien,  zur  Zeit  als  auf  religiösem  Gebiete  die  Beformation  begann. 
Infolge  der  kirchlichen  Moral  galt  während  des  Mittetolters  bei  den 
„Frommen  Tor  dem  Herrn'*  die  Erde  als  ein  Jammerthal,  als  eine 
Stätte  der  Vorbereitung  für  das  Leben  im  Jenseits,  und  als  echte 
Sittlichkeit  die  größte  Enthaltsamkeit  von  allen,  auch  den  harmlosesten 
Genfisseu  und  Freuden. 

Die  Wirkung  dieser  Forderung  ist  yon  jeher  bedeutend  gewesen 
und  hat  namentlich  das  Ansehen  ascetischer  Geistlicher  so  sehr  ge- 
fördert, dass  die  Kirche  von  ihrem  Standpunkte  aus  alle  Ursache  hat, 
die  Ascese  als  sittliches  Gesetz  noch  jetzt  in  der  alten  strengen  Foim 
aufrecht  zu  erhalten.  Die  große  Menge  hängt  zu  sehr  an  einem 
sinnlich-frohen  Gennss  des  Lebens,  als  dass  sie  ihre  Freuden  selbst 
um  der  idealsten  Forderungen  willen  willig  und  mit  Leichtigkeit 
opfern  sollte,  und  bewundert  darum  aufrichtig  jeden,  der  um  solcher 
allgemein  als  heilig  geltenden  Ideen  willen  seine  Lebensfreuden 
dauernd  zum  Opfer  bringt  Damm  werden  diese  alten  Ansichten  von 
der  Ascese  noch  jetzt,  selbst  von  protestantischen  Priestern  aufrecht 

*}  So  der  heilige  Fnuicigciis  von  Asuai.  Wenn  die  Phantasie  ibui  verlockende 
^der  vorfflhrtc  und  sein  |E:e9cblo('ht|ichp>  Vorlantron  z«  arg  wurde,  hat  er  si«  h 
naekend  in  BreunncsselD  geworfen,  hia  der  Schmerz  die  wilde  Begierde  erstickte. 


Digitized  by  Gdpgle 


—   282  — 


erhalten,  obwol  diese  Herren  nach  Luthers  Vorbild  heiraten;  obwol 
sie  an  dem  vackem,  kemgesnnden  deatschen  Beformator  auch  in  Bezog 
auf  harmlose  Lebensfreaden  einer  edlen  deotschen,  bürgerlichen  Ge- 
selligkeit ein  leuchtendes  Huster  nehmen  konnten  und  bei  einem  an- 
stftndigen,  landesftbUdiaL  Leboisgenuss  durch  kirchliehe  Verordnungen 
keineswegs  beschrlnkt  werden.  Die  tonangebenden  orthodoxenHerrseher 
unter  ihnen  möchten  gar  zu  gern  dieselbe  Macht  und  dasselbe  Ansehen 
genießen  wie  ihre  katholischen  „Brüder  in  Christo^',  und  wissen  sehr 
genau,  dass  diese  Idee  von  der  sittlichen  Verpflichtung  zu  strenger 
Ascese  zur  Befestigung  einer  solchen  Herrschaft  wesentlich  beiträgt* 
Wir  tinden  jene  Ansicht  auch  überall  noch  bei  dem  Volke,  ja  selbst 
bei  vielen  Gebildeten.  Die  „Frommen  vor  dem  Herrn",  gleichviel, 
welcher  Confession  sie  seien,  erklären  auch  heutzutage  überall,  dass 
der  Christ  in  Bezug  auf  Nahrung,  Kleidung  und  andere  Bediiifnisse 
sich  auf  das  Nothwendigste  zu  beschränken  und  sein  Leben  neben  der 
Arbeit  nur  frommen  Übungen  zu  widmen  habe. 

Das  bisher  geschihlerte  kircliliche  Erziehungssysteni  verlangte 
•  von  allen  Oiristen  unbedingte  Unterwerfung  unter  die  Lehren  und 
den  WiUcn  <ler  Kirche.  I)afi:t^gen  begann  erst  leise  iu  schüchternen 
Anfängen,  dann  iniiiicr  lauter  und  cnerg-isclier  das  Streben  nacli 
Freiheit  und  öelbstbestinimun ^i;  hervorzutreten.  Ks  >o\\  hier 
nicht  untersucht  werden,  in  welcher  Weise  die  Geistlichen  ihre 
Stellung  und  Machtfiille  niissbraucht  und  die  Opposition  liervorfreriiten 
haben.  Es  sei  nur  auf  die  geschichtlichen  Thatsachen  iiinge\viet.en. 
Nach  mehrfachen  verunglückten  Ver.>U('hen  brach  im  Anfange  des 
10.  Jahrhunderts  der  Tag  des  großen  Befreiungskampfes  an.  der 
wenigstens  für  einen  großen  Theil  der  Christenheit  zum  Sie^e  liihren 
sollte.  Es  beganu  die  Reformation.  Ihr  llauptheld,  unser  großer 
liUther,  eikanute  mit  seinem  scharfen  Geiste  sehr  bald,  dass  es  sich 
zunächst  darum  handle,  die  Macht  der  Kirche,  d.  Ii.  des  Papstes  und 
seiner  Geistlichen  über  die  Gemüther  der  Menschen  zu  brechen,  die 
Gewalthaber  ihrer  bisherigen  Heiligkeit  und  rnfehllnirkeit  zu  ent- 
kleiden. In  der  ersten  der  drei  berühmten  Schriften,  welche  für  sein 
Werk  bahnbrechend  wurden  (,.An  die  Fürsten  und  den  Adel  deut- 
scher Nation"),  spricht  er  von  drei  Mauern,  die  die  Römlinge  um  sich 
gezogen  haben.  Indem  dieselben  durch  sein  gewaltiges  Wort  nieder- 
gerissen werden,  spricht  er  die  Grundsätze  aus,  dass  „jeder  Mensch 
sein  eigner  Priester  sei",  dass  „alle  Christen  zugleich  Geistliche, 
Priester  nnd  Weltliche  seien*^,  dass  Jeder  das  Recht  habe,  in  der 
Bibel  zu  forschen  und  daraus  seinen  Ölauben  zu  schöpfen."  Er  macht 


Digitized  by  Google 


—   283  - 


den  GeiBtlidieD  za  einem  Beamten  und  Diener  der  Gemeinde  zu  einem 
Prediger  und  Seelsorger.*) 

In  der  zweiten  jener  drei  bahnbrechenden  Schriften  (»Von  der 
Freiheit  des  Christenmenschen'')  legt  Lnther  die  Ornndzüge 

zu  einer  neuen  Sittenlehre,  die  mit  der  gereinigten  echten  Fröm- 
migkeit nnd  Religion  innig  verbunden  sein  soU.  „In  der  katholischen 
\\' elt'S  sagt  Heinrich  Lang  in  der  Darstellung  von  Luther's  religiösen 
Charakterbild,  „suclite  man  mit  seiner  Frömmigkeit  immer  etwas  zu 
verdienen,  der  endliche  Mensch  rechnete  und  marktete  mit  dem  unend- 
lichen Gott,  der  ihm  ferne  stand,  um  den  Preis  des  Himmels,  der 
außer  ihm  la«^.  Aus  dieser  Quelle  des  P'J^ennntzes  und  der  Lohn* 
sucht  flössen  die  Gesetzes-  und  Kirchenwerke,  denen  er  sich  untei*zog 
Hier  bei  Luther  will  der  Menscli  nichts  verdienen;  wenn  er  Gott  hat^ 
hat  er  alles,  was  er  suchte;  im  Glauben  hat  er  volles  Genüge.  Was 
er  hinfort  thut,  geschielit  nicht,  um  einen  Himmel  zu  verdienen, 
sondern  weil  er  den  Jlimmel  in  sich  hat,  der  sich  aufschließt 
und  seinen  Segen  über  die  Welt  ausgießt." 

Luther  lehrt  ein  neues  Verhältnis  zu  Gott,  das  Verhältnis  des 
Kindes  zum  liimmlisclien  \'ater.  Es  vertraut  dem  Wort  des  Vaters 
und  nimmi  dankend  die  Gaben,  die  er  ihm  darbietet.  Es  schenkt  dem 
Vater  sein  ganzes  Herz,  ist  in  diesem  liebenden  Nehmen  und  Geben 
glücklich  und  fiihlt  sich  in  dieser  Freude  gedrungen,  den  Näclisten  zu 
lieben,  Gutes  zu  thun  und  andere  zu  beglücken.  Wenn  Versuchung 
sich  regt,  so  lürchtet  es  sich,  den  liebenden  Vater  zu  betrüben,  und 
sucht  nach  dem  Fall  in  echter  Reue  seine  Versöhnung  zu  erlangen. 
Dazu  hilti  ihm  Chriätus,  seiu  Mittler  und  Heiland.    „Wolan",  sagt 

*)  „Alle  Chrht«!!'',  sagt  Luther,  „sind  soirleieli  Oeistliobe,  Priester  und  Welt* 

liehe.  Ein  Bürgcnneister  ist  ebensogut  eine  geistliche  Person  als  ein  Papst,  weil 
er  «lun-h  das  Regiment,  das  er  führt,  zur  Bestrafunfr  der  Hüscn  und  zum  Schutz  der 
üuten,  ebenso  die  Zwecke  (les  Qotlc.^ireichos  fürdfrt,  wie  tli  r  I'juisf  mit  seinem  Pre- 
digen und  äegeuspeudeu.  Will  man  aber  diejcuigcu  Pcr^oueu,  welche  von  der 
Gemeind«  beauftragt  sind,  au  predigen,  zu  taufen  n.  s.  w.,  in  besonderm 
Sinne  Geistlidie  nnd  Priester  nennen,  gut!  so  ist  das  ein  Gemeindeamt  wie 
jedes  andere,  und  der  Triitj^cr  dosselhcu  ist  nur  durch  die  besondere  Art  seines 
Amtes  und  Werkes,  nicht  durch  oiiie  höhere  Würde  iiud  bt-MMiflcre  Heilis:- 
keit  des  Standes  xintorschicden  von  den  Trägern  anderer  deuit  indcämtcr.  l'ie 
Gesellschaft  ist  ein  Leib  mit  vielen  Gliedern;  jedes  Glied  hat  seinen  bestimmten 
Dienst,  nnd  in  dieser  dienenden  Stellung  sind  alle  einander  gleich.  Die 
weltliche  Obrigkeit,  der  Schuster,  der  Schmied,  der  Bauer  sind  Glieder  wie  der 
Predicrer;  jeder  hat  sein  .Nmt  und  Work,  womit  er  der  (iemeinschaft  nilt/lich  sein 
soll.  Alle  dir  HP  Werke  wirken  zusiimnicn,  Leib  und  Seele  zu  tördcm,  wie  die  Glied- 
maßen des  Kürpers  alle  einander  dieueu." 


Digitized  by  Google 


—    284  — 


Luther  in  jener  berühmten  Schrifti  „mein  Gott  hat  mir  unwürdigen 
Menschen  ans  lanter  Liebe  yollen  Beichthnm  aller  Frömmigkeit  und 
Seligkeit  gegeben.  Ei,  so  will  ich  solchem  Yater,  der  mich  mit  seinen 
fiberschw&nglichen  Gaben  also  ttberschttttet  hat,  wiederum  frei,  fröhlich 
und  umsonst  thnn,  was  ihm  wolgefiUlt,  und  gegen  meinen  N&chsten 
auch  werden  ein  Christ,  wie  Christus  mir  geworden  ist,  und  nichts 
mehr  thun,  denn  was  ich  sehe  ihm  noth,  nützlich  und  seligUch  sei, 
dieweil  ich  doch  durch  meinen  Glanben  alles  Dings  in  Christo  genug 
habe.  Siehe,  so  fließet  ans  dem  Glauben  die  Liebe  und  Lust  zu  Gott» 
und  aus  der  Liebe  ein  freiwillig-fröhlich  Leben,  dem  Nächsten  zu 
dienen  umsonat." 

Demgemäß  legt  Lutlier  das  Hauptgewicht  auf  das  gläubige 
Verhältnis  des  Christen  zn  seinem  Gott  und  Vater  und  den 
täglichen,  lebendig^en  Verkehr  mit  ihm.  Alle  Büß-  und  Bet- 
Übungen,  alle  ..Werkheiligkeit",  sowie  der  sclavische  Gehorsam  gegen 
die  Gebote  der  Kirche  sind  wertlose  Bemühungen.  Wert  hat  nur 
die  echte  Frömmigkeit,  der  „Glaube,  d.  h.  das  volle  Vertrauen  und 
die  lierzliche  Zuneigung  zu  dem  Gott,  der  mir  im  Wort  und  Leben 
Jesu  Christi  die  Zusage  seiner  Liebe  zu  mir  gegeben  hat".  Aus 
diesem  Glauben  soll  unser  ganzes  sittliches  Verhalten  ent- 
springen; wir  sollen  das  Gute  thun  und  das  Böse  meiden  um  dieses 
liebenden  Gottes  und  Vaters  willen,  sollen  uns  in  zweifelhaften 
Fällen  zuerst  fragen,  ob  wir  diesen  unsern  Gott  betrüben  würden. 
Darum  beg-innt  Taither  in  seinem  „Katechismus"'  jede  pjklärun<r  eines 
sittlicheil  Gebotes  oder  Verbotes  mit  den  Woi-ten:  ..Wir  sullrii  Gott 
fürchten  und  lieben",  dass  wir  nicht  stelilen,  ehebreciieii.  verratheu, 
tüdteu;  dass  wir  unsere  Kitern  und  Herreu  lieben  und  in  Ehren  halten. 
Hauptsache  ist  bei  jeglichem  sittlichen  Thun  die  (lesiniiun&r, 
nicht  die  That  selbst.  Man  kann  ja  wolthätit;-.  diensteitrig,  ent- 
haltsam, mäßig  sein  aus  nichtsittlichen  Beweggründen,  aus  Eitelkeit, 
aus  Klugheit,  aus  Lohnsucht,  aus  Heuchelei,  wie  die  Schale  der  Frucht 
schön  und  glänzend  sein  kann,  während  der  Kern  faul  ist.  Die  Werke 
machen  den  Menschen  nicht  gerecht,  sondern  ein  gerechter  Mensch 
maclit  fromme  und  gerechte  Werke.'* 

Durch  dieses  Hervorheben  und  Betonen  der  Gesiunung  ist  der 
große  Luther  der  Reformator  nicht  nur  der  licligion,  sondern  zu- 
gleich der  Sittenlehre  geworden.  Fortan  wurde  den  bessern  Menschen 
klar,  dass  nur  ein  wahrhaft  frommer  Mensch  sittlich,  nur  ein  wahrhaft 
sittlicher  Mensch  fromm  sein  könne.  Die  Lehre,  man  soll  das  Gute 
thun  und  das  Böse  meiden,  um  seinen  lieben  Gott  und  Vater  im 


Digitized  by  Google 


—   285  — 


Himmel  nicht  za  betiüben,  nm  stets  seinen  BeüSül  za  erhalten,  uns 
seines  Wolwollens,  seiner  Liebe  freuen  zu  kennen,  ist  eine  so  ein- 
fache, so  leicht  &s8liche^  dass  selbst  ein  kleines  Kind  sie  zu  begreifen 
nnd  danach  sein  Handdn  einzorichten  Termag.  Namentlich  erfiwnt 
diese  Lehre  so  hoch  nnd  innig  alle  liebevollen,  guten  Gemüther;  sie 
ist  dem  deutschen  Volke  so  recht  »aus  der  Seele  gesprochen*'.  Darum 
gilt  sie  noch  heute  bei  allen  einlkchen  Menschen,  bei  allen  tiefen  6e- 
mttthem,  bei  allen  Frauen,  namentlich  bei  allen  Mflttem,  und  spricht 
ein  ernstes  und  geinchtiges  Wort  bei  der  Erziehung  der  Kinder  zu 
Sittlichkeit  und  Frömmigkeit. 

Ein  Kind,  das  Vater  und  Mutter  yon  ganzer  unverdorbener  Seele 
liebt,  vermag  dies  GeflUil  unter  Anleitung  der  Mutter  und  der  Lehrer 
gar  leicht  auf  seinen  Gott  und  Vater  im  Himmel  zu  fibertragen. 

Diese  kerngesunde  Reformation  des  sittlichen  Lebens  und  Strebens 
ist  sp&ter  durch  einen  gewissen  Bttckfall  in  die  Ansichten  der  alten 
katholischen  Kirche  wieder  eingeschrftnkt  worden.  Luther  kdirte 
wieder  statt  des  liebenden  Vaters,  der  uns  alles  aus  lauter  Gnaden 
gibt,  zu  sehr  „den  alten  starken,  eifrigen  Gott**  heraus,  „der  Uber  die 
80  ihn  hassen,  idie  SOnde  der  Vftter  heimsuchet  an  den  Kindern  bis 
ins  dritte  und  vierte  Glied  und  zu  straibn  drohet  alle,  die  seine  Ge- 
bote ttbertreten,"  dagegen  „allen,  die  dieselben  halten,  Gnade  und 
alles  Gute  verheifit**  Dabei  hat  der  grofie  Mann  in  seinem  Eifer,  die 
Menschheit  zu  erziehen,  den  Fehler  begangen,  in  das  sittliche  Handeln 
statt  der  vorhin  genannten  schonen  Beweggründe  die  Mhere  Fnttsht 
vor  Gottes  Zorn  und  seiner  Strafe  und  die  Hofhung  auf  seine  Be- 
lohnung hier  auf  Erden  and  im  Jenseits  hineinzutragen  und  dadurch 
die  alte  Lohnsucht  und  scla\ische  Gtesinnung  heraufzabcschwOren.  Da 
er  die  Lehre  von  dem  Teufel,  von  der  Hölle  und  den  Höllenstrafen, 
wie  das  Mittelalter  sie  ausmalte,  fortbestehen  ließ*),  so  konnte  es 
nicht  ausbleiben,  dass  diese  Gesinnung  bei  der  Mehrzahl  der  Menschen 
in  der  alten  Weise  beharrte.  Dazu  kam  noch,  dass  Luther  mehr  als 
einmal  betonte:  „Dies  ist  der  fllmehmste  Ai*tikel  der  ganzen  Christ- 


*)  Die  Furchr  vor  dem  TtMitel  und  den  Martorn  in  der  Höllf  wird  von  dt'n 
orthodoxen  evaagelischeu  Geistlichen  noch  heutzutage  eitrigst  geweckt  und  geuiihrt. 
Leider  wird  das  BeiuQhen  nax  ra  sehr  mit  Erfolg  gekiOnt.  Zur  Zeit  der  kirchlicIieB 
and  staatlichen  Reaetloa  in  den  fOnflagei  Jabien  nnieies  Jabrhnnderts  waren  grole 

Kirchenvisitationen  eingeführt,  bei  denen  die  vornehmsten  (  i eist  lit  heu  auf  diese  Lehre 
Hauptgewicht  Iccrton.  Xa^h  einer  recht  irrollcn  Schilderung  der  Hüllenstrafen  haben 
wir  gegen  öOO  Men<schen  in  einer  protestantischen  Kirche  erzittern  sehen,  haben  sie 
schluchzen  und  heulen  hören  müssen. 


Digitizedby  Google 


—    286  — 


üchea  Lehre,  nämlich,  wie  wir  Belif  werden  kOnnen.**  Kein 
Wunder,  dass  die  alte  WerkheUigkeit  im  Grande  besteben  blieb.  Sie 
nahm  nur  andere  Formen  an. 

Als  die  reformatorischen  Ideen,  die  Ideen  der  Glaubens-  und 
Oewissensfreiheit,  immer  kräftiger  die  Welt  zu  beherrschen  be- 
gannen, stellte  sich  mit  dem  Fortschritt  der  AufklSning  das  BedOrfliis 
«in,  die  sittlichen  Lehren  und  Anschauungen  einer  erneuten 
Reformation  zu  unterziehen.  Dazu  trug  wesentlich  der  Umstand 
bei,  dass  der  Glaube  an  Gott  durch  den  groBartigen  Aufechwung  der 
Naturwissenschaften  bei  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  gebildeten 
Denker  eine  tiei^sehende  Veränderang  erlitt 

Schon  in  Luther's  großem  und  scharfem  Geiste  hatten  sich  in 
Bezug  auf  die  landläufige  Vorstellung  von  Gott  arge  Bedenken  geregt 
Aber  er  hatte  dieselbe  bekämpft  und  hatte  als  echter  Mystiker  sich 
seinen  eigen thflmlichen  Gottesglauben  geschaffen.  Dieser 
Glaube  galt  ihm  als  der  unbedingt  wahre,  und  er  hielt  daran  sein  Lebe- 
lang mit  voller  Treue  fest.  In  diesem  Glauben,  sagte  er,  yennag  der 
Mensch  allesselbst  überGott  „Gott  thut  den  Willen  des  Gläubigen."  Als 
Helanchthon  nach  seinem  zommüthigen  an  Gott  gerichteten  Gebete  wider 
Erwarten  genas,  zweifelte  er  keinen  Augenblick,  dass  der  Freund 
und  Mitkämi)fer  olme  dies  Gebet  gestorben  wäre.  „Jeder  Mensch 
soll  t'estiglich  glauben,  dass  (4ott  ihm  zu  der  Seligkeit  ein  Gott  sei, 
dass  Christus  für  ihn  gelitten  habe."  „Das  Wort:  für  euch",  heißt 
es  in  der  Erläuterung  zum  Sacrament  des  Altars,  „erfordeit  eitel 
gläubige  Herzen.'*  „Gott  ist  nicht  Gott,  wenn  er  nicht  unser 
Gott  ist."  „Wenn  Gott  allein  für  sich  im  Himmel  säße,  wie  ein 
Klotz,  so  wäre  er  nicht  Gott."'  Auf  diesen  mystischen  subjectiven 
Glauben  an  Gott  baut  er  den  Glauben  an  ('hristum  als  den  Erlöser 
und  den  (jlaubcn  an  die  Auferstehung.  „Wenn  wir  (b'r  Auferstehung 
nicht  warten  und  nicht  hoffen  dürfen,  so  ist  auch  kein  Glaube  und 
kein  Gott  nicht.-' 

Man  sieht  leiclit  ein,  dass  dieser  mystische  Glaube  niclit  v^n 
allen  Menschen  getheilt  werden  konnte,  dass  die  Ansichten  namentlich 
durch  die  Fort  schritte  in  den  Naturwissenschaften  einen  gewaltigen 
Stoß  erhalten  niussten.  Schon  Paulus  hatte  gesagt:  „Ist  Christus 
nicht  auferstanden,  so  ist  unser  Glaube  eitel."  Wie  nun.  wenn  die 
Xaturwissenschatten  bewiesen,  dass  ein  Mensch,  dessen  Leib  wie  der 
unsrige  eingerichtet  gewesen  ist,  nie  hat  auferstehen  und  nie  in  sicht- 
barer und  greit barer  Köri)ergestalt  wiederum  auf  Eiden  hat  wandeln 
können? 


Digitized  by  Google 


—   287  — 


Man  sieht  ferner  leicht  ein,  daes  mit  dieser  Ver&nderung  des 
Gettglanbens  zugleich  die  Sittenlehre  verändert  werden  mnsste; 
denn  wer  nicht  an  Gott  als  eine  Person,  als  den  liebenden  Vater  im 
Himmel,  glaubt,  kann  ihn  nicht  von  Herzen  lieben  und  auch 
nicht  die  sittlichen  Gebote  aus  Liebe  und  Ehrfurcht  yor  ihm 
befolgen. 

Welche  Veränderungen  der  Gottglanbe  im  Laufe  der  Zeit, 
namentlich  in  den  gewaltigen  Bildungs-  und  Aufldärungsstttrmen  des 
18.  Jahrhunderts  erlitten  hat,  ist  an  der  Hand  der  G^hichte  nach- 
zuweisen. Die  „Encyklopädisten*"  in  Frankreich,  Diderot,  d'Alem- 
bert,  Helretius,  Holbaeh,  la  Mettrie  und  ihre  Anhänger  in  den  andern 
europäischen  Staaten  —  man  denke  an  die  yomehmen  Kreise  im  da- 
maligen Bussland  —  erklärten  den  ganzoi  Gott^nben  für  veraltet, 
leugneten  des  Dasdn  Gottes  frischweg  ab.  Die  „Deisten**  in  Eng- 
land fHüoker,  Herbert  von  Cherbury,  Shafbesbury,  Oollins  u.  a.)  und 
ilire  Gesinnungsgenossen  in  Frankreich  und  in  Deutschland  —  den 
Oäenbarung*Giäubigen  gegenüber  die  Rationalisten  genannt  — 
liielten  am  Dasein  Gottes  fest,  aber  ihr  Glaube  bestand  größtentheils 
nur  in  einem  kalten  Klügeln  und  Vernünfteln.  „Si  Dieu  n'existait  pas", 
sagte  Voltaire*),  „il  faudrait  1*'  <  reer;  mais  toute  la  nature  nous  crie 
qu'il  existe."  Durch  Spinoza  breitete  sich  unter  den  bedeutenderen 
Dichtern  und  Denkeni  der  chissischen  Zeit  unserer  Dichtkunst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  der  „Pantheismus"  aus, 
die  Lehre,  dass  Gott  in  allem,  alles  in  der  Natur  und  im  Menschen- 
leben ein  'l'lieil  der  Gottheit  sei.  Goethe  sprach  in  seinem  „Faust" 
das  bei  iilimte  pantheistische  Glaubensbekenntnis  aus,  das  mit  den  Worten 
sclilielit:  „Gefülil  ist  alles,  Nam'  ist  Scliall  und  Kauch,  umnebelnd 
Himmelsolut."'  Später  ist  der  Gottglaube  durch  die  wunderlichsten 
metaphysischen  Klügeleien  der  bedeutendsten  Philosophen  hin-  und 
liergezerrt  worden,  ohne  dass  es  gelungen  wäre,  eine  Ansicht  zu 
schaflen.  die  den  einfachen  Kinderglauben  der  naiven  liebevollen  (4e- 
müther  ei'sctzen  »mIci-  den  feinen  und  scharfen  Denker  irgendwie  be- 
friedigen könnte.  Ott  ist  man  beim  iitudiren  dieser  Ansichten  ver- 
sucht. Schoiienliauer's  Trtheil  über  Hegel,  Fichte,  Schclling  zu  be- 
stätigen.**;   Jedenlalls  wiid  jeder  Goethe  recht  geben,  weun  er  in 

*)  Vdtaire  und  J.  J.  BooBiean  gehOien  nicht  m  den  „Encyklopädisten",  obwol 
de  Mr  IMaoVn  „EnoyUopMift"  Beitriige  lieferten. 

**)  Schopenhauer  sas^t  (Die  Welt  als  "V^lle  und  Toriteliung,  Anbang  : 
^Die  erri'ßtc  Frochhoit  im  Auftis<hon  liaren  Unsmnf.  im  Ztisnmnionsohinifren  -inn- 
loser,  raäCDdci  Wortgetecüte,  wie  uiau  sie  bisher  uur  in  Tollhäu>cru  vernommen 


Digitized  by  Google 


—   288  — 


Bezug  auf  solche  unklare,  theilweise  ganz  siaulose  Klügeleien 
ausi-uft: 

„So  schwätzt  und  lehrt  mau  ungestört, 

Wer  mag  sich  mit  den  Narr'n  befassen? 

OewShiilidi  gtanbt  diu  Meudt,  wenn  er  nw  Worte  hSrt, 

Et  mflne  sich  dabei  doeh  noh  wie  denken  laesen.*' 

Ftti*  E.  V.  Hartmann  ist  Oott  „das  ünbewusste**  (Philosophie 
des  Unbewussten).  Dies  ünbewnsste  bildet  und  erhält  die  Welt, 
bildet  und  erhält  in  den  Wesen  auf  Erden  den  Organismus,  gibt  ihm 
im  Instinete  das,  ^was  es  zn  seiner  Erhaltung  ndthig  braucht,  erhält  die 
Gattungen  durch  Geschlechtstrieb  und  Mutterliebe,  leitet  die  Menschen 
beim  Handehi  durch  Ahnungen  und  Gefühle,  fördert  den  bewusst^ 
Denkprocess,  beglttckt  durch  das  Geffthl  Ars  SchOne."  „Erait  seines 
absoluten  HeUsehens  (Allwissenheit)  kann  das  Unbewusste  nie  irren, 
ja  nicht  einmal  zweifdn  oder  schwanken;  es  besitzt  Allweisheit,  All- 
gegenwart" etc. 

Es  ist  klar,  dass  unter  dem  Einflnss  dieser  yerschiedenartigen 
Forschungen  und  Ansichten  bei  den  durch  ernste  Stadien  Gebildeten 
eine  Sittenlehre  sich  ausbilden  musste,  die  mit  der  kirchlichen,  selbst 
mit  äetf  welche  yon  Luther  und  später  von  den  protestantischen  Geist- 
lichen gelehrt  wurde,  nicht  fibereinstimmen  konnte.  Dazu  fehlte  der 
rechte  Glaube  an  Gott  und  der  Beweggrund,  die  sittlichen  Pflichten 
ans  Liebe  und  Ekrfiircht  vor  dem  himmlischen  Vater  zu  erfOllen.  In 
der  Tliat  ist  eine  solche  neue  Sittenlehre  entstanden.  Sie  ist 
noch  nicht  weit  verbreitet,  ist  nm*  unter  ernsten,  fein  gebildeten 
Denkem  zu  finden.  Sie  erfordert  ein  scharfes,  rücksichtsloses  und 
folgei'echtes  Denken  und  wird  von  der  großen  Menge  schwerlich  je 
ganz  begriffen  und  gewürdigt  werden.  Aber  sie  ist  bei  den  edelsten 
Dichtem  und  Denkern  zu  finden,  belierrscht  den  Willen,  das  Thun 
und  Lassen  einer  schon  bedeutenden  Anzahl  der  wackersten  Menschen 
und  darf  darum  von  den  herrschenden  Mächten  im  Staate  und  in  der 
Kirche  nicht  mehr  abgewiesen  oder  p:ar  gewaltsam  unterdrückt  werden. 
Eltern  und  Erzieher  haben  die  ernste  Pflicht,  diese  neue  Sitten- 
lehre —  wir  wollen  sie  die  philosoiiliische  nennen  —  mindestens 
genau  kennen  zu  lernen.  Bei  einer  recht  ein^^-eluiulcn  Prüfung'  diirfte 
sich's  herausstellen,  dass  gar  manche  ihrer  Forderungen  schon  bei  der 
Erziehung  kleiner  Kinder  zu  verwerten  sind. 

hatte,  tfat  endlich  in  liegel  auf  und  wurde  das  Werkzeug  der  plompsten  allgc- 
meinen  Xystiflcation,  die  je  geweien,  mit  einem  Bifblg,  vdchex  der  Nocbwdt  fitbel- 
haft  enchdnen  vnd  ein  Denkmal  deuteoher  Niaieerie  bleiben  wird." 


Digitized  by  Google 


—   289  — 

D«r  SehOpfer  nnd  Begrflnder  dieser  pMosophischen  Sittenlehre 
ist  der.  groBe  Immanuel  Eant.  Der  philosophisch  gebfldete  Leser 
wird  wissen,  welche  gewaltige  Umwälzung  in  der  Wissenschaft  durch 
diesen  großen  Denker  vollzogen  wurde.*)  Er  selbst  hat  seine  That 
(s.  Einleitung  zur  „Kritik  der  reinen  Vernunft")  mit  Fug  tind  Recht 
mit  der  des  Koperuikus  verglichen.  „Er  kehrte  die  gesammte  Er- 
fahrnng  sammt  allen  historischen  und  exacten  Wissenschafteii  gaos 
sacht  nnd  sicher  um"  durch  die  einfache  Annahme,  dass  ansere  Be- 
griffe sich  nicht  nach  den  Gegenständen  richten,  sondern 
die  Gegenstände  nach  unsern  Begriffen.  Der  Gedanke,  welcher 
ihn  zum  Beformator  der  Philosophie  macht,  ist  die  Einsicht,  dass  die 
Erfahrung  des  Menschen  ein  Product  gewisser  Stammb^giiffe  ist,  durch 
welche  die  Erfahrung  bestimmt  wird. 

Man  kann  p:ar  nicht  ,,erfahren",  wenn  man  nicht  von  Hause  aus 
zur  Verbindung  von  Subject  und  Prädicat,  von  Ursaclie  und 
Wirkung  orgaiiisirt  ist.  Die  alte  Philosophie  lehrte:  Der  Causali- 
tätsbcgriff  stammt  nicht  aus  der  Erfahrung,  sondeim  aus  der  reinen 
VeiTiunft,  und  ist  dieses  seines  höheren  Ursprungs  wegen  auch 
jenseits  der  Grenzen  niensdilicher  ?^rfahrung  gültig  und  an- 
wendbar. Kant  lehrte  dagegen:  Der  Causalitätsbcgriff  ist  ein  Stamm- 
begriff  der  reinen  Vernunft  und  liegt  als  solcher  unserer 
ganzen  Erfahrung  zu  Grunde.  Er  hat  eben  deshalb  im  Gebiete 
der  Erfahrung  unbeschränkte  Gültigkeit;  aber  jenseits  desselben 
keine  Bedeutung.  Die  Ei*schcinungswelt  folgt  aus  unsern  Begriti'en. 
Nur  eine  relative  Wahrheit  ist  uns  zugänglich,  und  diese  liegt  nur 
in  der  Erfahrung.  Unser  ganzes  auf  Sinne  imd  Verstand  gegrün- 
detes Erkennen  zeigt  uns  nur  eine  Seite  der  Wahrheit.  Die  andern 
können  wir  weder  durch  Wissenschaft,  noch  durch  Glauben,  noch 
durcli  ^Ictaphysik,  noch  durch  irgend  ein  anderes  Mittel  erkennen. 
Wenn  unser  Dichten  und  Handeln  Ideen  erzeugt  und  fordert,  die 
jenseits  aller  Erfahrung  liegen**),  so  führen  dieselben  uns  in  eine 
eingebildete  Welt.    Darin  liegt  ihr  Nutzen,  obgleich  sie  uns 

•)  Diese  Umwälzung  int  so  gewaltig,  diis»  sie  das  Btstohende  von  Grund  auf 
erschtttteni  konnte.  Daruiu  ist  naturgemäß  ein  bedeutender  KUckschlag  erfolgt,  eine 
Beaction  auf  die  große  Beyolution.  Aber  es  wird  der  Welt  nichta  helfen,  sie  wird 
allmShlidi  Kant's  Ldiren  ala  wahr  anerkennea  und  anndimen  mttaaea;  dem  aie  aat- 
halten  die  absolute  Wahrheit  von  Naturgesetzen.  Damm  daif  man  mit  B6<At  Mgen: 
,Anf  Kant  zurückgehen,  heifit  Fortschreiten.'' 

•*)  Ideen  definirt  Kant  als  ..  nothwe  ndige  Vernunft  begriffe",  denen 
kein  cuugruircuder  Gegenstand  in  den  Rinnen  gegeben  worden  kann.  Solche  Ideen 
sind  a.  R  die  BegiiffS»  Gott,  Freflieit,  ünateililiohkeit,  Tenfel,  Httlle,  Bibilliide  ete. 
FMi«agtBB.  U.  Jahiy.  Hafk  V.  21 


Digitized  by  Google 


—   290  — 


keine  Erkenntnisse  geben.  Wii-  betrügen  uns,  wenn  wir  durch 
sie  unser  Wissen  erweitem  wollen;  wir  bereichern  uns,  wenn  wir 
sie  zur  Basis  unsers  Handelns  machen.  „Gegenstände  der  Sinne"» 
sagt  Kaut  in  einem  Briefe,  „können  wir  nie  anders  erkennen,  als  blos 
wie  sie  uns  erscheinen,  nicht  iiacli  dem,  was  sie  an  sich  selbst  sind, 
—  nie  das  ,Ding  an  sich,  —  und  übersinnliche  Gegenstände  sind  für 
uns  keine  Gegenstände  unserer  theoretischen  Erfahining."  Der  ratio- 
nalen Theologie  bewies  er,  dass  ihre  bekannten  drei  Beweise  flir  das 
Dasein  eines  persönlichen  Gottes  nicht  haltbar  seien  nnd  nur  beweisen, 
^wie  die  .Venmiift  vergeblich  ihre  Flügel  ausspanne,  um  fßtet  die 
Sinneiiwelt  dareh  die  Uofie  Macht  der  fifpeenlation  hlnaniiznkommeiL^ 
Ebenso  bewies  er,  dass  die  läm^^  Uber  Willensfreiheit  und  Unstnb- 
lichkeit  sich  nicht  beweisen  lassen.  Der  Glanbe  an  einen  persönlichen 
QcU,  an  Willensfreiheit  des  Menschen  nnd  seine  Unsterblichkeit  seien 
nnr  „Postnlate  der  praktischen  Vernunft**.  „Das  einzige  Abso- 
Inte,  was  der  Mensch  hat**,  sagt  Fr.  Alb.  Lange  in  seiner  ^^e- 
schichte  des  Materialismns",  „ist  nach  Kant  das  Sittengesets; 
von  diesem  ftsten  Punkte  aas  sind  alle  Ideen  der  Menschheit  n 
ordnen.  Das  Ideale  ist  nicht  nach  vermeintlichen  Beweisen,  sondern 
nach  schien  Besiehnngen  zu  den  sittlichen  Zwecken  der  Menschheit 
an  benrtheilen.*'  Sowie  unsere  sinnlidie  Anschauung  mit  der  All- 
gemeingOltigkelt  für  alle  Menschen  nnr  möglich  ist  bei  jenen  ein- 
geborenen Stammbegriffea  (Kategorien),  mit  Hilfe  deren  der  sugefilhrte 
Stoff  verarbeitet  wird,  so  ist  eine  feste  und  für  alle  gültige 
Sittlichkeit  nicht  möglich  ohne  gewisse  eingeborene  Sitten- 
gesetze. Diese  dürfen  nicht  aus  der  ErSftbrung  geschöpft  sein, 
sondern  müssen  a  priori  lediglich  in  den  Begriffen  der  reinen 
Vernunft  wurzeln,  „völlig  a  priori  blos  durch  die  Vernunft  vorge- 
stellt werden."  Dies  eingeborene  Sittengesetz  ist  da;  es  ist 
die  eingeborene  Liebe  zum  Guten,  die  eingeborene  unbe- 
dingte Nüthigung  zur  Pflicht,  der  y^kategorlsche  ImperatlT^^ 
Dies  Sitten-  und  Pfliclitgebot  ist  eine  ,tganz  unmittelbare,  nicht  weiter 
abzuleitende  \'ernunftthatvsache".  Der  menschliche  Geist  ist  sein 
eigener  Gesetzgeber  und  bethätigt  und  genießt  in  dieser  Selbstgesetz- 
gebung seine  Freiheit.  Indem  der  Wille  seinem  sittlichen  Gesetze 
gehorcht,  gehorcht  er  sich  selbst.  Diese  Freiheit  ist  zwar  unbegreiflich 
wie  die  von  jedem  Menschen  {z:efiihlte  innere  Verpflichtung;  aber  oiine 
Freiheit  sei  keine  Sittlichkeit ,  also  müsse  sie  sein.  Die  sittliche 
Würde  und  Hoheit  der  Menschheit  liege  einzig  und  allein 
in  dieser  treien  Selbstbestimmung  der  sittlichen  Vernunft. 


Digitized  by  Google 


—    291  — 


Durch  diese  Lehreu  wurde  Kant  der  Reformator  der  Sitten- 
lehre und  der  große  Erzieher  der  Meascbeu  zu  echter  Sitt^ 
lichkeit. 

Zunächst  ist  festzuhalten,  dass  Kant  damit  Sittliclikeit  und 
Sittenlehre  scharf  von  Frömmi^^keit  und  Religion  abtrennte. 
Der  sittliche  Gesetzgeber  ist  nicht  Gott,  sondern  der  Mensch  selbst. 
Da  die  sittliche  Verpflichtun<?,  der  „kategorische  Imperativ"  dem 
Menschen  (zum  Unterschiede  von  den  Thierenj  so  eingel)oren  ist  wie 
der  Geschlechtstrieb  und  die  Fähigkeit,  die  Erscheinungen  nach  Ur- 
sachen und  Wirkungen  miteinander  zu  verbinden,  so  müssen  sämmt- 
liche  Sittengesetze  im  Laufe  der  Jahrhunderte  und  Jahrtausende  durch 
die  Menschen  selbst  geschatfen  worden  sein.  Dies  gilt  auch  für  die 
heiligen  zehn  Gebote,  obschon  dieselben  nach  der  Erzählung  aus  dem 
Alten  Testamente  auf  dem  Berge  Sinai  von  Gtoit  selbst  gegcl)en 
worden  sind. 

Die  Sittlichkeit  hängt  mit  der  Frömmigkeit  der  Menschen  inso- 
fern zusammen,  als  beide  Bichtungen  des  mensehUchen  Denkens, 
Fuhlens  nnd  Strebens  ihre  Orondqn^  In  der  ans  eingeborenen 
idealen  Liebe  haben,  die  sich  in  den  oben  erörterten  drei  Haupt- 
richtnngen  als  liebe  zum  Grofien  (Frömmigkeit),  Liebe  znm  Gnten 
(Sittlichkeit)  und  Liebe  zum  SchOnen  zeigt.  Sittlichkeit  itthrt  anch  zu 
echter  Frömmigkeit  (s.  Eants  Vorrede  zn  „Beligion  innerhalb  der 
Grenzen  der  bloBen  Vernunft aber  sie  hat  in  dieser  Fröm- 
migkeit nicht  ihre  <laelle.  Im  Gegentheil  darf  echte  Sittlichkeit 
eher  als  die  Qu^e  der  echten  Frömmigkeit  betrachtet  werden,  denn 
eine  solche  Geffthlsgmndlage  besitzt  in  voller  Reinheit  nur  ein  wahr^ 
halt  sittlicher  Mensch.  Sie  ist  ohne  wahre  Sittlichkeit  gar  nidit  denkbar 
und  erhalt  durch  sie  erst  ihren  wahren  Wert. 

Damm  ist  die  Sittenlehre  nach  Kant  Ton  der  Bellglon  nnd 
Ihren  Leliren  nnd  ]>ognien  ganz  nnabhinglg.  Sie  muss  sogar 
die  kirchlichen  Gebote  nnd  Beorderungen,  welche  an  ein  bestimmtes 
sittliches  Thun  und  Lassen  Drohung  von  Strafen  nnd  Verheißung  von 
Belohnungen  auf  Erden  nnd  im  Jenseits  knüpfen,  als  unsittlich  nnd 
gefährlich  abweiaien  und  verwerfen.  Es  ist  durchaus  falsch, 
einen  Menschen,  der  an  die  Dogmen  der  herrschenden  Kirche  nicht 
glanbt,  als  unsittlich  zu  bezeichnen.  Kant  sagt  ausdrücklich,  „dass 
ein  Mann,  der  sich  festiglich  überredet  halte,  es  sei  kein  Gott  und 
kein  künftiges  Leben,  dennoch  rechtschaffen  und  dem  Rufe  seiner 
inneren  sittlichen  Bestimmung  anhänglich  bleiben  könne**.  „Der  sitt- 
liche Mensch**,  heißt  es  in  der  Vorrede  zur  »Beligion  innerhalb 

21* 


Digitized  by  CjOOgle 


—   292  — 


der  Grenzen  der  bloßen  Vernunft",  bedarf,  um  seine  Pflicht  zu 
kennen  und  zu  beobachten,  weder  der  Idee  eines  andern  Wesens 
über  ihm,  noch  einer  andern  Triebfeder  als  des  Gesetzes 
selbst.'**)  Der  kategorische  Imperativ,  d.  h.  die  uns  eingeborene 
Verpflichtung  zum  sittlichen  Handeln,  Inst  sich  auf  in  einzelne  Impe- 
rative, die  uns  unbedingt  zu  bestimmten  Handlungen  veranlassen. 
Dieselben  stammen  lediglich  aus  der  Vernunft  und  der  uns 
eingeborenen  Liebe  zum  Guten.  Darum  sagt  Kant  mit  Recht: 
„Das  Princip  der  Sittlichkeit  liegt  allen  Handlungen  vemünftiger 
Wesen  so  zu  Grunde,  wie  das  Naturgesetz  allen  Erscheinungen." 
„Ist  der  menschliche  Wille  rein",  heißt  es  in  der  „Kritik  der  prakti- 
schen Vernunft%  „so  ist  sein  alleiniger  Bestimmungsgrund  das  mora- 
lische Gesetz.*'  Es  fällt  mithin  selbst  die  Verpflichtung,  das  Gute  zu 
thun  aus  Liebe  und  Ehrfurcht  gegen  Gott.  ,.Die  Annahme",  sagt 
Kant  weiter,  „dass  Gott  der  Urgrund  unsei'er  Verbindlichkeit  zur  Be- 
folgung der  Sittengesetan  aei,  ist  nicht  nothwendig;  denn  dieser 
Qrand  beruht  (wie  hinreicheDd  bewiesen  worden)  lediglich  auf 
der  Autonomie  der  Vernnnft  selbst**  Danit  fidlen  selbsiver- 
stlndlich  sämmtliche  Drohungen  mit  Gottes  Zorn  imd  Strafgericht 
und  ribnmfliGhe  TerheiSnngen  seiner  Belohnung  auf  Erden  nnd  im 
JenseitSt  denn  dnieh  den  Hinblick  auf  dieselben  wird  der  That  der 
Charakter  einer  echt  sittliehen  ganz  geraubt 

Bei  einem  kategorischen  Imperativ  ist  jede  Frage  nach 
dem  Warum  des  Sollens  als  thSricht  abzuweisen.  Dies  gilt 
fttr  die  Sittengesetee  wie  flkr  die  Natoigeeetze,  bei  denen  es  sich  statt 
des  Sollens  um  das  Mttssen  handelt  WÜl  man  Gott  als  den 
Schopfer  der  Nator-  und  der  Sittengesetze  hinstellen,  so  hat  dieser 
Glaube  seine  Yolle  Berechtigung;  aber  daraus  folgt  nicht,  dass  der 
Zwang,  etwas  thun  zu  mttssen  (Abhftngigkeit  von  Naturgesetzen), 
oder  der  kategorische  Imperativ,  etwas  thun  zu  sollen  (Abhängigkeit 
vom  Sittengesetz)  In  Jedem  besondem  Falle  auf  dieses  unseres  Schöpfers 
besonderen  Willen  und  Befehl  zurttckzufllhren  sei.   Der  wahrhaft 


*)  An  das  Das^  Gottes  sn  flrlaoben  und  niiBer  TeriiBltnis  so  ibm  ab  dem 

Schöpfer,  Erhalter  und  Regierer  derWrlt  und  liebenden  Vater  aller  Menschenkinder 
fMtzuhalten  imd  zw  regeln,  ist  Saciie  der  Religion,  nicht  der  Sittlichkeit. 
Uni  diesen  rntersclüed  klar  zu  erkennen,  studire  man  Kant,  namentlich  seine 
„Ci rundleguug  zur  Metaphysik  der  bitten",  „Kritik  der  prukti»ehen 
yernnnft"  nnd  ,Beligion  innerhalb  der  Grensen  der  bloAen  Vernnafi." 
FreOidi  gehOrt  dasn  nothwendig,  dass  man  vorher  seine  „Kritik  der  reinen  Yer- 
nanft"  sdir  soigftltig  studirt  habe. 


Digitized  by  Google 


—   293  — 


sittliche  Hensch  tbat  das  Gute  lediglich  am  des  Guten  willen»  weder 
in  Hoifiinng  auf  iigend  eine  Belohnung  noch  ans  Fnrcht  vor  irgend 
ehier  Strafe  hier  anf  Erden  oder  im  Jenseits.  Wer  wahrhaft  sittlich 
handelt,  denkt  bei  Vorsats  and  Ansftthmng  weder  an  Gott*),  noch  an 
irgend  eine  fromme  oder  kirchliche  Yerpflichtnng.  Sobald  ihm  solche 
Gedanken  in  den  Sinn  kommen,  —  etwa  bei  der  Überlegung  vor 
einer  That,  —  wird  er  sofort  nusstranisch  gegen  die  Beinheit  seiner 
sittlichen  Gesinnung.  Dies  Misstrauen  ist  bei  der  gegenwärtigen  Er- 
ziehung durch  die  kirchliche  Sittenlehre  wol  begründet,  und  es  ist 
jedem  Mensclien  nur  zu  rathen,  bei  seiner  Selbstprilfung  und  Selbst- 
erziehong  darauf  ernstlich  an  achten.  Das  Gefühl,  welches  den  wahr- 
haft sittlichen  Menschen  nach  trener  Erftillung  schwerer  Pflichten, 
namentlich  nach  einer  recht  schweren  Unterdrückung  seiner  sinnlichen 
Triebe  und  Neigungen  ergreift,  ist  nicht  das  Bewusstsein,  GKittes 
Willen  gethan  und  damit  Gottes  Liebe  erworben  zu  haben,  sondern 
wie  Kant  sagt:  „Die  Achtung  für  uns  selbst  im  Bewusstsein 
nnserer  Freiheit."  Wir  fühlen,  dass  wir  vor  uns  selber  be- 
stehen können,  dass  wir  nnserer  Menschenwürde  gemäß  ge- 
handelt haben.  Ein  echt  sittliches  Handeln  macht  uns  unmittelbar 
nicht  frömmer;  aber  es  macht  uns  ernster  und  mehr  geneigt,  auch 
eine  echt  fromme  Gesinnung  in  uns  auszubilden,  denn  wir  fühlen  die 
sittliche  Verpflichtung,  auch  die  Ehrfurcht  gegen  alles  Heilige  in  uns 
groß  zu  ziehen,  ..Gott  zu  geben,  was  Gottes  ist".**)  Die  Gefühle, 
welche  durch  sittliches  Streben  und  Handehi  in  uns  ausgebildet  worden, 
sind  j^och  nicht  religiöser  Art,  haben  mit  dem  Übersinnlichen  ganz 
und  gar  nichts  zu  thun,  und  knüpfen  sich  demgemäß  auch  nur 


*i  Der  sittliche  Mensrh  dcukt  an  Gott  bei  Ereignissen  in  Freude  und  Leid, 
im  (ilUck  oder  Unglück  und  in  den  Ucsciiit-ken  und  Wechself&ilen  des  Lebens, 
die  Ha,  Beine  aSchgtea  Lieben,  seine  lOtbfii^ier  oder  die  Qeaammthdt  aller  Keasehen 
betnibtt,  aber  nieht  bei  eeinem  Handeln,  für  das  er  sich  allein  oder  sdnen 
mtmeaaehen  gegenfibcr  verantwortlich  ist.  Damm  ist^s  filr  ihn  z.  B.  ganz  gleich- 
gttltig,  ob  er  vor  Oericht  die  Eidesformel  in  einfacher  oder  in  feierlirher  Weise, 
loiieend,  mit  der  Hand  aui  Crucifix  ablegen  soU.  £r  spricht  die  Wahrheit  auch 
«Im«  solch  eine  Verpflichtung,  lediglioli  am  der  WnhMt  willen,  ans  Afihtuig 
T<nr  dem  Oeieti.  Der  Oedanke  aa  OoCtei  Straljgefielit,  das  den  MeioeidigeB 
hier  auf  BideB  oder  in  Jeaaeite  eveilea  kSaae,  komnit  ilun  daboi  gar  aioht  ia 
den  Sinn. 

♦*)  In  dieser  Weise  „filhrt  Sittlichkeit  zur  Religion".  Es  ist  klar  rtass  damit 
aicht  die  Verpflichtung  gemeint  ist,  an  bestimmte  gefordert«  Dogmen  der  einzelnen 
Kirchen  zu  glauben.  Den  (jlluubeQ  Uberlässt  die  Sittlichkeit  der  individuellen  Über- 
leagnag. 


Digitized  by  Google 


—    2Ü4  — 


an  das  Leben  anf  dieser  unserer  Erde.  Der  Glaube  an  Un- 
sterblichkeit und  an  das  Leben  Im  Jenseits  bat  mit  der  Sittlichkeit 
nichts  za  thnn,  sondern  gehSrt,  sowie  der  Olanbe  an  Gott  ins  Gebiet 


der  erste  thurgauische  iSeminar-Director, 

Von  Dr.  IT.  Morf~Wintertkkr. 

(Soblusfi.) 

6. 


a  Wehrli,  wie  schon  nachgewiesen,  in  der  verbesserten  Land- 
wirtschaft die  Grundbedingung  aller  wahren  Volkscultiir  er- 
kannte, ließ  er  sich  die  Förderung  derselben  auch  außerhalb  des 
Seminars  mit  großem  Eifer  angelegen  sein.  So  vei'anlasste  er  1885 
die  Gründung  eines  landwirtschaftlichen  Vereins,  um  durch 
denselben  nicht  nur  eine  rationellei  e  Bearbeituiifr  des  Bodens  und  ein- 
sichtigere Betreibung  der  Viehzucht,  sondern  auch  eine  edlere,  der 
culturellen  Bedeutung  der  Landwirtschaft  genugthuende 
Auffassung  des  Bauernberufes  zu  verbreiten.  Kr  nannte  die  Ge- 
sellschaft mit  Vorliebe  Bauern  verein.  p]s  iiV»te  derselbe  nach  und 
nach  großen,  wolthätigen  und  weitreichenden  Eintluss  anf  die  Bauern- 
schaft und  die  Betreibung  ihres  (jeschäftes  aus,  weil  ihm  bald  alle 
bedeutenderen  Landwirte  und  die  eintlussreichsten  Männer  des  Cantons 
beitraten.  Wehrli  wurde,  wie  billig,  an  die  Spitze  des  Vereins  gestellt. 

Mit  gleichem  Erfolge  wirkte  er  für  die  Errichtung  einer  can- 
tonalen  landwirtschaftlichen  Schule.  Im  lahr  18:59  ordnete  der 
Erziehungsratli  eine  landwirtschaftliche  Kuabenaiist;ilt  an,  noch  in 
Verbindung  mit  dem  Seminar  und  mit  der  Beschränkung  auf  Garten- 
und  Gemüsebau,  stellte  sie  aber  1841  selbstständig,  verlegte  sie  in  die 
Wiitschaftsgebäude  des  Klosters  Kreuzliugen  und  wies  ihr  ein  an- 
sehnliches Areal,  bis  auf  60  Jucharten,  an.  Die  Anstalt  wurde  ganz 
nach  Wehrli 's  Sinn  organisirt,  als  „eine  yolkstiidmliche  Erziehnngs- 


der  Beligion. 


(SdiliuB  ftilgt) 


Digitized  by  Google 


—  295 


aostalt  ftr  BaaernsOhne".  Die  Fflhning  dendben  wurde  einem  aeiner 
taehtigsten  Zöglinge,  Wellaaer,  übertragen.  Ihre  Leistungen  worden 
bald  allgemein  anerkannt  nnd  gereichten  dem  Qrflnder  und  dem  Vor- 
ateher  zur  Ehre. 

Da  die  Armenerziehung  immer  Wehrli's  Herzenssache  war  und 
blidb,  ruhte  er  nicht ,  bis  er  die  Gründung:  einer  landwirtschaftlichen 
Ärmenscliule  zur  Aufnahme  verwahrloster  Knaben  zu  Stande  gebracht 
hatt«.  Als  die  Röthigen  Geldmittel  gesammelt  waren,  wni-de  auf  dem 
Bemrain,  nahe  dem  Schlachtfeld  von  Schwaderloch,  eine  kleine  Stunde 
vom  Seminar  entfernt,  ein  Landgut  angekauft,  das  von  edlen  Obst- 
bSumen  besetzt  war  und  eine  herrliche  Aussicht  bot  über  Constanz, 
Kreuzlingen,  die  Ufer  des  Boden-  und  Untersees.  Hier  wurde  die 
landwirtschaftliche  Armenschule  am  11.  December  1843  mit  5  Zög- 
lingen eröffnet  und  eingeweiht.  Auf  Wehrli's  Rath  wurde  sein 
Zögling  und  Schüler  Johannes  Bissegge r  an  die  Spitze  derselben  ge- 
stellt. Die  Wahl  war  eine  überaus  glückliche.  Mit  unbegrenzter  Hin- 
gebung, in  rastloser  Thätigkeit,  mit  seltenem  pädagogischen  Geschick, 
mit  rührender  Treue,  ein  zweiter  Wehrli,  lebte  er  seinem  schweren 
Amte  über  vierzig  Jahre  und  erfreute  sich  der  schönsten  Erfolge. 
Nur  die  Erschöpfung  der  Kräfte  könnt«  ihn  zu  dem  Entschlüsse  bringen, 
seine  ihm  ins  Herz  gewaclisene  Anstalt  und  seine  lieben  l'flegesöhne 
zu  verlassen  und  im  nahen  Kreuzlingen  Tage  der  wolverdienten  Ruhe 
zu  genielien.  Aber  er  sollte  deren  sich  nicht  lauge  erfreuen.  Trotz 
der  liebevollsten  Pflege,  mit  der  ihn  die  Seinen  umgaben,  erlosch  sein 
Leben  bald,  und  er  ging  seiner  Gattin,  der  treuen,  wackern  Gehilfin 
in  seiner  langen  Erzieherlaufbahu,  voran. 

6. 

So  reichte  Wehrli's  Wirksamkeit  weit  über  die  Mauern,  die 
Gärten  und  Felder  seines  Schlösschens,  ja  selbst  über  die  Grenzen  des 
Cantons  hinaus.  Welches  Ansehen  er  genoss,  das  zeigte  naujentlich 
das  landwirtschaftliche  Fest,  das  am  1.  und  2.  October  1846  zu  Bürgeln 
gefeiert  wurde.  Es  bildete  den  Höhe-  und  Glanzpunkt  des  Zeugnisses 
Ar  sdne  Erzielrnngabestrebungen. 

„Er  hatte  die  Landwirtschaft  als  Sehnlmann  anfgefasst  nnd  in 
seinen  ünterrichtsplan  Im  Seminar  an^S^nommen.  Anf  sebiai  Betrieb 
Batte  die  Gesetzgebung  den  Schnllehrem  als  Besoldnngstbeil  ein  Stück 
Land  zugewiesen  nnd  dadurch  die  Verbindung  der  landwirtflchaftUdien 
Biteressen  mit  den  Interessen,  der  Schule  glekhsam  doenmentirt. 
Durch  ihn  war  man  za  der  Erkenntnis  gelangt,  dass  in  der  ländlichen 


Digitized  by  Google 


—   296  — 


BeschSftigimg  das  saveritosigste  und  nacUialtlgste  Erzieliiiiigsiiiittel 
gegeben  sei  Bei  dem  Feste  selbst  waren  es  die  mittelbaren  nnd  nn- 
mittelbaren  Schüler  Wehrli's,  die  Zöglinge  der  landwirtschaftUehen 
Schnle,  die  Zöglinge  des  Seminars,  einietaie  dnreh  Wehrli  ftr  die 
Landwirtscbaft  gewonnene  Lehrer,  welche  aar  Ansschmttcknng  des 
Festloeals,  aar  Einordnung  der  Aasstellangsgegenstände,  aor  Ver- 
herrlichang  der  Feier  dnreh  harmonische  GesAnge  das  Wesentlichste 
beigetragen  hatten,  nm  das  landwirtschaftliche  Fest,  die  Deoenninnui- 
feier  des  landwirtschaftlichea  Vereins,  an  einem  aUgemeinea  schonen 
YolkBfeste  an  machen. 

Mochten  andere  bei  der  Bettaditong  der  Anestellungsprodttcte 
die  Mannig&ltigkeit  nnd  Vollkommenheit  derselben  bewundem  oder 
aas  denselben  auf  die  Ertragsfäbigrkeit  des  Bodens  nnd  die  Vortheile 
des  Climas  thnrgaoischer  Gelände  Schlnsafolgerungen  ziehen;  — 
mochten  wieder  andere  vom  finanziellen  oder  kaufmännischen  Stand- 
punkte aus  au  Vergleichungen  des  landwirtschaftlichen  Gewerbes  mit 
anderen  Gewei'ben  sich  veranlasst  fühlen,  oder  die  Kehrseite  des 
Landbaaes,  die  Mühen  und  die  Zinslasten  des  TAn^mMin^  Jenem  Ernte- 
reichthum  der  AusHtellong  entgegen  halten;  —  mochtoi  endlich  die 
eüHgsten  anter  den  Festbesuchem  den  Kunstgriffen  nachforschen, 
vermittelst  welcher  der  Elrde  so  ausgezeichnete  Producte  abgewonnen 
wurden:  —  bei  Wehrli  und  seinen  geistesverwandten  Freunden  war 
doch  bei  diesem  Feste  die  Haiiptfreude  die,  in  der  Productenausstel- 
lung  und  in  der  allgenieinen  Theilnahme  des  Volks  den  Triumph  der 
naturgetreuesten,  landwirtschaftlichen  Krzichimgs weise  zu  erkennen. 

Wehrli  war  die  Seele  des  landwirtschaftlichen  Festes,  und  mit 
vollstem  Rechte  desselben  Präsident. 

Es  gehört  nicht  hierher,  die  Einrichtung  und  den  Verlauf  des 
Festes  zu  beschi'eiben  oder  die  Volksmenge,  die  daran  theilnahm,  mit 
Zahlen  zu  bezeichnen,  oder  die  lierzensergießungen,  Kraftworte  und 
Witzspiele  der  verschiedenen  Festredner  in  Erinnerung  zu  bringen, 
oder  die  ausgezeichnetsten  Gäste,  welche  aus  den  Nachbarcantonen 
und  auch  aus  den  entfeniteren  Cantonen  Aargau  und  Bern  dabei  sich 
einfanden,  zu  nennen.  Ähnlicher  Aufmerksamkeit  werden  ja  oft  auch 
Dinge  gewürdigt,  die  nur  lustiger  Natur  sind.  Dass  aber  Lehrer  und 
Schul  vorsteh  er  nach  den  eigentlichen  Festtagen  mit  ihren  ganzen 
Schulbevülkerungen  ein  Nachfest  begingen  und  den  jugendlichen 
Seelen  den  Segen  und  die  Würde  des  sonst  so  gering  geachteten 
Bauerngewerbes  in  seiner  rationellen  Umgestaltung  vor  Augen  hielten, 
war  ein  Beweis,  dass  Wehrli' ^  Erziehungsgrundsätze  in  die  Tiefe 


Digitized  by  Google 


—   297  — 


gedrungen  waren  und  auch  an  zakUofUgen  Früchten  und  Erfolgen 
reich  sein  werden.**  (Pupikoto.) 

7. 

Diese  erfolgreiche  Thätigkeit  nach  außen  minderte  Wehr  Ii 's 
Sorgfalt  und  Eifer  füi-  den  Mittelpunkt  seines  Wirkens,  für  das  Se- 
minar, in  keiner  Weise.  Von  den  Erlebnissen,  wie  das  eben  geschil- 
derte, von  seinen  Besuchen  in  seinem  lieben  Bernrain,  in  der  nahen 
landwirtschaftlichen  Schule,  von  Versammlungen  des  landwirtschaft- 
lichen Vereins  kehrte  er  immer,  erfrischt  und  ermuntert,  mit  neuer 
Kraft  und  neuer  Lust  in  seine  Anstalt  zurück.  Der  spätem  Ge- 
schehnisse wegen  ist  wol  angezeigt,  das  ürtheil  eines  Zöglings  des 
Wehr  Ii  sehen  Seminare  über  Wesen  und  Geist  der  Anstalt  hier 
folgen  zu  lassen.  Der  als  tüchtig  anerkannte,  vor  etlichen  Jahren 
heimgegangen e  Schulmann  Schlegel  redet  aus  eigener  Anschaunng 
und  Erfahrung  also: 

„Das  Seminar  war  Wehrli  Herzensangelegenheit.  Dieser  ersten 
Pflicht  lebte  er  mit  ganzer  Seele,  mit  der  größten  Gewissenliaftigkeit. 
Obschon  vielseitig  in  Anspruch  genommen  (viel  Zeit  erforderte  auch 
seine  ausgedehnte  Correspoudenz),  gab  er  regelmäßig  seine  Unter- 
richtsstunden und  war  selten  von  Hause  abwesend." 

„Er  zersplitterte  seine  Kraft  nicht  an  alle  möglichen  Nebendinge 
und  Nebengeschttfte,  die  mit  seiner  Hauptaufgabe  in  keiner  engen  fie- 
idehung  standen,  Bondem  w  eoncentrirte  seine  Thätigkeit  anf  die 
stete  Verrollkemnuinng  seiner  Anstalt,  die  seiner  Gegenwart  bedurfte. 
Er  betete  sich  vielleicht  ans  diesem  Gronde  höchst  selten  mit 
schriftstellerischen  Arbeiten.  Von  der  Politik  hielt  er  sieh 
Stele  ferne.** 

«Gleichwol  drängte  es  ihn,  seinen  gemeinnfttzigen  Sinn  andi  noch 
ireiterhhi  sa  bethätigen,  seine  reichen  Er&hmngen  auf  dem  Gebiete 
der  Armenerziehnng,  der  Volksbildung  und  der  Landwirt- 
schaft zu  verwerten.  Immerhin  war  aber  die  Wirksamkeit  anfier 
dem  Seminar  eine  solche,  die  mit  seiner  Lebensaufgabe  in  innigstem 
Znsammenhang  stand." 

„Wehrli  hielt  große  Stücke  anf  den  familifiren  Charakter  der 
Anstalt  Er  erkannte  im  Convict  einen  sittlichen  Hebel  der  Lehrer- 
büdnng.  Es  h&ngt  wol  wesentlich  von  der  Persönlichkeit  des  Con- 
victfflhrers  und  der  ganzen  Leitung  ab,  ob  ein  Internat  sich  schädlich 
erwdse,  oder  ob  ee  auf  den  Charakter  nnd  die  Sittlichkeit  der  Zög- 
linge wolth&tigen  Einflnss  ausübe.  Wehrli' s  Seminar  machte  auf 
uns  nie  den  Eindruck  klösterlicher  Zncht  nnd  Abschliefinng. 


Digitized  by  Google 


—   298  — 


Gegentheils  waltete  in  dieser  Anstalt  allezeit  ein  trefflicher, 
pädagogischer  Geist  Hilde  nnd  Frenndlichkeit  war  der 
herrschende  Ton.  Die  liehevolle  Behandlung  weckte  Tolles 
Vertrauen.  Die  ZOglinge  ftthlten,  dass  sowol  die  Erm ante- 
rnng,  als  die  Warnung  ans  wolwollendem  Herzen  floss.  Willig 
folgten  sie  meist  dem  väterlichen  Bath.  Das  Verhältnis 
zwischen  Lehrern  nnd  Schülern  war  ein  vertrauliches,  unge- 
zwungenes. So  gestaltete  sich  das  Seminarleben  zu  einem 
wahren  Familienleben.  —  Regelmäßig  versammelte  Wehrli 
in  einer  Abendstande  sämmtlichc  Zöglinge,  um  gemeinsam 
die  Beobachtungen  und  die  Vorfälle  des  Tages  zu  besprechen 
Es  waren  Stunden  sittlich  religiöser  I'riifun^if.  Es  geschah 
dies  mit  einem  Ernst  und  einer  Milde,  die  jedem  ans  Herz 
griff.- 

„Erkrankte  ein  Zögling,  so  nahm  ihn  die  Hausmutter  in  ihre 
Pflege.  Geübt  in  der  Krankenbehandlung  erwies  sie  sich  als  treue 
Pflegemutter,  unermüdlich  bei  Tag  und  in  der  Nacht.  —  Wer  l^ei 
Wehrli  war,  widmet  auch  der  ,Mutter  Wehrli*  ein  fi'eundliches 
Andenken.** 

«Es  war  Wehrli's  lebendige  Überzeugung,  dass  der  Gkirten-  and 
Gemflsebau  ein  höchst  beachteuswertes  Erziehungsmittel  sei,  deshalb 
sah  er  die  Beschäftigung  mit  Lsndbau  als  einen  integrirenden  Theil 
der  Lehierbildung  an.  Derselbe  sei  körperlich  stärkend,  gemüth- 
bildend,  ein  treffliches  Mittel,  die  Sinne  zu  wecken,  die  beste  Übung 
zui'  leiblichen  Selbstständigkeit;  er  bezwecke  Ordnungssinn  und  Arbeits- 
lust, haushälterische  Einfachheit  und  Sparsamkeit.  Wehrli  erblickte 
in  solcher  Arbeit  ein  vermittelndes  Element  zwischen  Schule  und 
Haus,  ein  Mittel  zu  innigem  Vei  kehr  mit  dem  Volk,  insbesondere  mit 
der  Bevölkerung  agricoler  Landestheile.  Sie  sei  eine  gesunde  Ab- 
wechslung und  die  beste  Erholung  nach  geistigem  Schulunterricht 
Wol  hatte  die  Anstalt  auch  Vorrichtungen  zu  Turnübungen;  doch  be- 
trachtete er  liebei'  den  Acker  als  den  großen  Turnplatz  seines  Se- 
minars."* 

„Jeder  Zögling  hatte  —  in  einer  bestimmten  Wechselordnung  — 
ein  Amt  als  Aufseher  über  die  ScUaftäle,  Aber  die  Arbeiten  im  Hof, 
bei  Tisch,  im  Garten,  im  Holzschopf.  Jeder  erhielt  auch  ein  Stfkk 
Boden  zu  seiner  Bearbeitung.  Die  meisten  ZOglinge  arbeiteten  mit 
rechter  Lust** 

^Nach  den  Grundsätzen  Wehrli's  war  das  Seminar  nicht  nur 


Digitized  by  Google 


—  2y9  — 


Unterrichts-,  sondern  insbesondere  aaeh  Erziehnngsanstalt  Der 
Lehrer  mttsse  'zum  Erzieher  zuerst  seihst  erzogen  werden.  Er  legte 
das  Hauptgewicht  anf  die  Bildang  des  Charakters.  Das  Motto 
an  der  Front  des  Anstaltsgehäadest  „ora  et  lahora'',  charakterisirte 
Wehrli*s  Ströhen,  den  Geist  nnd  die  Bichtung  des  Seminars.  Vor 
aUem  ibrdi»rte  er  von  einem  Erzieher  der  Jugend  und  des  Volkes  ein 
gesundes  Herz,  eiben  hellen  Kopf,  eine  anstellige,  arbeitsame 
Hand.  Das  Ideal  einer  Volksschule  auf  dem  Lande  war  ihm  die 
mit  Garten-  und  Gemttsefeld  umgebene  und  mit  einer  Werkstätte 
versehene  Schule,  w  dass  der  Lehrer  neben  dem  Unterricht  im  Zimmer, 
oder  vielmehr  mit  demselben  abwechsehid,  die  Kinder  anleiten  kOnne, 
denkend  "zu  arbeiten  und  arbeitend  zu  denken,  körperlich  und  geistig 
sieh  zu  i^tien  und  zu  erholen,  sehwftcheren  und  weniger  gewandten 
Sehfllem  dienstfertig  nachzuhelfen." 

„Wer  Wehrli  sah  und  kannte,  musste  ihn  hochsch&tzen  und 
lieben.  Die  äußere  Elrscheinang  entsprach  ganz  dem  inneren,  einfiMdien, 
schlii^ten  Wesen.  Der  kleine  Mann  imponirte  freilich  nicht  durch 
seine  Gestalt,  wol  aber  durch  seine  reine  Gesinnung,  den  großen 
Charakter,  die  reiche  Erfahrung,  durch  den  olonadel,  der  in  seinem 
Auge,  in  seinem  geistigen  Gesichtsansdrucke  sich  abspiegelte.  Seine 
hohe,  gewd)bte  Stirn  verrieth  den  denkenden,  forschenden  Geist;  seine 
beobachtenden  Augen  leuchteten  wie  zwei  belle  Sterne;  sie  waren  der 
reinen  Seele  treues  Abbild.  Es  war,  als  ob  sie  in  waaer  Bmerstes 
blickten  und  lesen  wollten,  was  im  Grunde  des  Hei-zens  vorging.  Das 
Äußere  deutete  bei  ihm  auf  ein  reiches  Innenleben.  Sein  Aussehen 
war  gesund,  blühend,  jugendfrisch.  In  seinen  Manieren  war  nichts 
Affectirtes,  Geziertes,  Gezwungenes,  Gesuchtes.  Er  gab  sich,  wie  er 
war;  sein  Thun  war  natürlich,  ansprechend,  liebenswürdig.  Tn  soiner 
Kleidung  erschien  er  sauber,  ordentlich,  angemessen.  Das  war  nun 
allerdings  nicht  ganz  pestalozzisch,  aber  doch  recht.  Er  mied  alles 
Auffallende.  Stand  er  untemchtend  vor  seiner  Classe,  so  hatte  er 
nicht  selten  die  Hände  über  den  Rücken  geschlagen.  Hielt  er  aber 
mit  der  Rechten  ein  Buch,  so  legte  er  die  Linke  über  die  Brust. 
War  er  im  BefTriffe,  mit  seinen  Schülern  eine  schwierige  Aufgabe  zu 
lösen,  so  pflegte  er  wol  die  ubere  Zahnreihe  über  die  Unterlippe  zu 
legen.  —  So  steht  Wehrli's  Bild  noch  heute  ganz  deutlich  vor 
unserer  Seele." 

,,Goethe's  Satz:  Tages  Arbeit!  Abends  Gäste!  Saure  Wochen! 
Frohe  Feste!  fand  aucli  im  Kreuzlinger  Seminarleben  Anwendung. 
Auch  da  folgten  der  Arbeit,  dem  angestrengten  geistigen  Studium 


Digitized  by  Google 


—  300  - 


als  wolthätige  Abwechslung  frohe  Spiele,  häusliche  gesellige  Fest- 
freuden verschiedener  Art.  Wehrli  war  kein  Freund  von  finsterm 
Geist  und  Kopf  hängerei;  er  liebte  jugendlich  heitern  Sinn,  fröhliches, 
frisches,  natürliches  Wesen.  Gern  gewährte  er  den  jungen  Leuten 
eine  Freude  „in  Ehren".  Schon  die  botanischen  Excui-sionen  machten 
Ulis  viel  Vergnügen,  noch  mehr  die  gemeinsamen  Ausflüge  und  S[)azier- 
gänge  am  Sonntag  Nachmittag,  besonders  wenn  damit  auch  eine 
Einkehr  verl)iinden  war.  Am  Geburtstage  Wehrli's  machten  wir 
eine  genussreiche  Reise  auf  den  Hohentwiel,  wo  Gesang  und  Rede 
das  Fest  verherrlichten.  Eine  hohe  Lust  war  uns  die  Seefahrt  nach 
dem  gegenüberliegenden  Mr»rsburg,  wo  wir  dem  badischen  Seminar 
einen  Besuch  abstatteten.  Seminardirector  Nabholz,  mit  dem  Wehrli 
in  freundschaftlichem  Verkehre  stand,  kam  mit  seinen  Seminaristen 
auch  herüber,  um  uns  einen  Gegenbesuch  zu  machen.  Wehrli  nahm 
uns  gern  in  die  Versammlungen  des  landwirtschaftlichen  Vereins  mit, 
wo  wir  auch  etwas  dnrch  Gesangsvorträge  zur  Verherrlichong  der 
Feste  beitragen  duften.  Er  gestattete  uns  regelmäßig,  «s  den  eaa-  * 
tonalen  S&ngerfesten  activ  theOzitnehmen.  Ebenso  besachten  wir  ein 
Sftngerfest  im  nahegelegenen  Constanz.  Wehrli  war  mit  den  dortigen 
Frofessorm,  wie  SehmalhohE  vl  a»,  innig  befrenndet  Sie  ersachten 
ihn,  ehien  Toast  in  bringen.  Und  als  sich  der  anspradislose  Wehrli 
weigerte,  wurde  er  anter  dem  Jabel  der  Henge  auf  die  Bednerbflhne 
getragen.  —  Becht  willkommen  and  angenehm  waren  uns  stets  die 
Sonntags-Abendnnterhaltangen  im  Seminar,  denen  alle  Seminarlehrer, 
die  ganze  Familie  Wehrli  nnd  oft  noch  Befreondete  von  Constans 
oder  KrenzUngen  beiwohnten.  Da  wechselten  Chor-  and  Quartett- 
gesfinge,  Scherz  und  Emst  in  Dedamation  und  dramatischen  Aof- 
ftihrungen.  Die  Auswahl  der  Gedichte  und  die  Anordnung  des 
Ganzen  war  gftazlich  der  Seminaristen-Abtheüung  flberiassen,  die  nach 
der  Beihenfolge  fttr  ünteriialtnng  zu  sorgen  hatte.  In  Ermangelung 
gedruckter,  passender  Theaterstacke  wurden  dieselben  wol  auch  von 
den  Seminaristen  selbst  fabricirt  Waren  sie  auch  nicht  bühnengerecht 
angelegt,  so  machte  die  Aufflihrung  doch  oft  viel  Kurzweil.  So  be- 
schlossen wir,  als  die  Reihe  wieder  an  unsere  Bankabtheilnng  kam, 
ein  Schattenbild  der  Schule,  die  alte  Regelwerk-,  Schablonen-  und 
Gedächtusschule  vorzuflUuren,  den  pedantischen  Schulmeister  sammt 
sehier  steifen,  mechanischen  Methode  zu  persifliren.  Wie  es  schien, 
war  uns  die  komische  Darstellung  gelungen;  denn  Wehrli  freute  sich 
herzlich  und  klatschte  uns  Beifall  zu.  —  Das  war  die  helle,  heitere 
Seite  des  Seminarlebens,  seine  Poesie.  Denen,  die  zur  Ferienzeit  in 


Digitized  by  Google 


—    301  — 


der  Anstalt  blieben,  war  zu  Spid  mid  Ftende  noch  mehr  Baum  w- 
gönnt  So  fiberstiegen  wir  »HOmlianer''  in  der  MoigenflrUie  des 
31 .  December  mittelst  Leitern  die  Umfassungsmanem  des  .Schlflsstt", 
stellten  uns  mit  nnsem  Violinen  und  andern  Instrumenten  im  Hofe  in 

einen  Kreis  und  brachten  den  Sylvestern  ein  gar  köstliches  Concert 
Mfehrli  vertrug  die  Lästigkeit,  den  jugendlichen  Frohmuth,  sogar 
manche  Unebenheiten,  wenn  sie  nnr  nicht  gnte  Sitte  und  Anstand 
▼erletzten." 

„Hell  leiK  htet  uns  vom  pädagogischen  Himmel  Wehrli's  Stern 
hernieder.  Wehrli  war  ein  Meister  im  Unterricht;  ein  Vater  in  der 
Erziehung;  er  war  schlicht  und  wahr,  treu  und  bieder.  Mit  dank- 
barem Herzen  gedenken  seine  Schüler  der  schönen  Stunden  des  Unter- 
richts, die  sie  bei  ilim  genossen.  Sagt,  Freunde,  wars  für  uns  nicht 
jedesmal  hoher  Geunss,  wenn  Wehrli,  von  innerster  Freude  verklärt, 
in  unsere  Mitte  trat?  Brachte  nicht  seine  Gegenwart  eine  festliche, 
sonntägliche  Stimmung  in  unser  Geniüth?  Waren  wir  nicht  Aug*  und 
Ohr,  wenn  er  entwickelte  und  mittheilte?  Wie  selten  einer,  verstand 
er's.  die  jungen  Geister  zu  wecken  und  sie  mit  hohen  Gedanken  zu 
erfüllen.  Sein  Unterricht  war  Weckung,  Kräftigung,  Anregung  zur 
Selbstthätigkeit  und  praktischen  Tüchtigkeit;  sein  Unterricht  trieb 
zur  Fortbildung,  zur  Arbeitsfreudigkeit.  Wo  er  war  und  wirkte,  war 
Leben  und  Streben  nach  Gutem  und  Rechtem.  Sein  Kernwott  und 
seine  Mahnstimme  hieß:  .Harmonische  Ausbildung  aller  Kräfte  ist 
wahre  Erziehung.  Bildet  drum  im  Schüler  hellen  Kopf,  gesundes 
Herz  und  eine  arbeitende  Hand!  Studirt  fleißig  die  Kindesnatur  und 
bildet  euch  selbst  durch  eigenes  Nachdenken  und  Beobachten!  Werdet 
echte  Jünger  des  größten  Meisters  und  Erziehers!'  —  Was  mich  immer 
am  stärksten  zu  Wehrli  zog,  und  was  mich  wie  Sonnenschein  durch- 
wärmte, das  war  seine  quellfrische  Heiterkeit,  sein  immerdauemder 
FrQhling  im  Herzen,  seine  ewig  frische  Begeisterung  für  den  hohen 
nnd  herrliclien  Lehrerbemf.  Nie  Termoehten  dio  stamn,  t«»dt6n 
Formen  seinen  Geist  ans  Niedwe  «i  bnooen;  ,aufwärts  nnd  vorwfirtsi* 
das  war  sein  Losungswort  Diese  Lust  am  Werke  der  Erzieihnng, 
die  reine  Frende  am  Idealen,  am  Wahren  nnd  Gnten  gab  seinem 
Leben  die  rechte  Weihe.  Diesen  Sinn  fürs  Edle  snchte  er  anch 
seinen  Zöglingen  einzupflanzen.  Unvergesslich  bleiben  mir  die  Schlüsse 
Zeilen  eines  Briefes'  Ton  Wehrli:  Jm  Frflhling  komme  nnd  besuche 
ans!  Komm',  wenn  Da  nur  willst.  Da  redlich  aoÜBtrebender  Mann, 
Da  bist  als  ein  treaer  Arbeiter  im  Beiche  Gottes  ans  immer  will- 
kommen! Gott  erhalte  Dich  anserm  Lehrerstande  gesund  nnd  woll 


Digitized  by  GöOgle 


—   302  — 


Bleibe  tieu  unsern  Grundsätzen  für  Erziehung  und  Unterricht!  Himmel- 
an gelie  Dein  Streben  jederzeit!  Nach  oben!  Oben  ist  Licht!  Halte 
an  in  Arbeit  und  Gebet!*  —  Meine  Freunde I  Erneueiii  wir  recht  oft 
das  Andenken  an  Vater  Wehrli!  Erfrischen  wir  unsern  Geist  au 
diesem  lloclibilde,  an  diesem  Lebensborn!  Erwerben  wir  uns  solche 
Heiterkeit  und  solclien  Muth!  Sein  Vorbild  mahne  uns,  in  seinem 
Sinn  und  Geiste  zu  wirken.  Ja,  auch  wir  wollen  unser  Leben  der 
Schule  und  den  Kindern  weihen."*) 

„Der  Erfolg  von  Wehrli's  Seminarwirksamkeit  Ubertraf  alle  Er- 
wartungen. Er  brachte  die  Anstalt  in  kurzer  Zett.'m  Bnf  nnd  An- 
erkennung. Nachdem  sie  abdanii  die  sechsjährige  Flrobeseit  glänsend 
bestanden  hatte,  erhielt  sie  f&r  eine  weitere  Zeitdauer  eine  gesicherte 
Stellung.  Die  Frequenz  nahm  zu.  Da  sich  das  Seminar  durch  seine 
Leistungen  bereits  bewährt  hatte,  erwarb  es  sich  bald  allgemeines  Ver- 
trauen.  Der  Zudrang  aus  verschiedenen  schweizerischen  Cantonen, 

*)  Hier  mair  eine  Mittlieilimc:  nus  dem  „rhätischon  Alprnbotr-n^  über  die  Ver- 
•ammlung  scliweizeriscber  Schuliniinner  (1849)  am  Platze  sein.  Kcfercnt  zeicbnet« 
WehrH  mit  wenigen  Worten,  wie  er  leibte  und  lebte.  Da  biefi  es  u.  a.:  „Denke 
dir  den  sohlicfaten  und  wahren,  den  in  seinem  hohen  Alter  noch  so  muntern  und 
lOstigeo  , Vater  Wcbrli',  einst  Fellenbergs  und  reetalonns  mtarbeiterl  ICt  fimide* 
Tttklärteni  Antlitz  steht  er  mitten  in  einer  wiickern  Schar  von  ihm  gebildeter, 
tflchtigcr  Sobiilmiinner,  nach  allen  Seiten  bin  die  Hände  reichend  zu  freundlicher 
BegrMung  mit  herzlichen  Wortcul  Nun  tönte  die  Glocke;  es  folgte  die  Eröffnung 
der  Verhandlungen.  ,Bittder  reicht  die  Hand  snm  Bunde*  sehallt'i  durch  die  weiten 
Baume.  —  Bdbttt  und  Diacunion  boten  hohen  Genuss.  Keller,  Kettiger  u.  a. 
äußerten  manch  gehaltToUea  Gedanken.  Doch  das  Beste  brachte  unstreitig  Vater 
Wehrli.  Ihm,  dem  Veteran  schweizcriscbon  Scliiihvcscns,  wurde  nämlich  ein  hem- 
liebes  Hoch  gebracht.  Der  Gefeierte  erbub  sich  und  sprach  iu  t>cinur  ansjiruchlosen, 
gemflthlichen  Weise  nngefUur  so:  Liebe  Freunde,  theure  Beruftgenossen!  Ich  soll 
da  Auftraten  und  efaie  Bede  halten:  aber  das  ist  meine  Sache  nicht  I6k  bia  kein 
Bedncr,  doch  drängt  es  mich,  Euch  meinen  innigen  Dank  zu  bezeugen  fttr  die  mir 
sugcdachte  Ehre.  Es  ist  vorhin  bemerkt  worden,  ich  sei  noch  einer  von  denen,  die 
einst  an  der  Seite  von  Vater  Pestalozzi  das  Feld  der  Volkserziebunff  angebaut,  und 
das  ist  wahr^  mit  freudiger  KUhrung  gedenke  ich  jener  Zeit.  Wahrend  meiner 
seitherigen,  Tie^ährigen  WiifaNunkeit  als  Schulmann  ist  schon  viele«  geforscht  nnd 
behauptet  worden  Aber  das,  was  noth  thnt  im  Ersieluingsweeen,  ttb«r  das,  was  in 
die  Volksschule  gehOre.  Ich  habe  gefunden,  daas  es  drei  Hauptpunkte  sind,  auf  die 
wir,  tbcurc  Berufs^jenossen,  bei  der  Erziehung  und  Bildung  unserer  lieben  Schweizer- 
jugend unser  Augenmerk  zu  richten  haben.  Wir  müsden  darnach  trachten,  da&i 
unsere  ZOglinge  1.  einen  kellen  Kopf  bekonunen,  damit  sie  das  Wahre  vom  Fal- 
schen, das  Gute  vom  BAsen  unterscheiden  lernen,  2.  ein  gesundes  Hers,  8.  eine 
»rbeitsiiiiK-  Hand.  —  Diese  drei  Gedanken  führte  er  weiter  MB  in  einer  W^eise, 
wie  es  allen  Anwesenden  tief  SU  Mensen  drang  und  sie  mit  neuer  Liebe  fOr  ihrsa 
heiligen  Beruf  begeisterte. 


Digitized  by  Google 


—  ao3  — 


insbesondere  von  St.  Gallen,  Appenzell,  Glarus,  8chafFhausen,  Baselland, 
Schwyz,  Unter walden  etc.,  war  so  f^roß,  dass  die  Zahl  der  Zöglinge 
bald  auf  80  anwuchs  und  die  Räumlichkeiten  kaum  mehr  genüg^ten." 

Nunmehr  bot  das  Schlösschen  ftir  die  so  zahlreiche  Anstalt  nicht 
mehr  genug  Raum.  Darum  wurde  sie  im  Jahr  1850  in  das  1848 
aufgehobene  Kloster  Kreuzlingen  verlegt.  Nun  hatte  sie  ein  geräu- 
miges, freundliches  und  be(iuemes  Heim.  Dieser  Einzug  bezeiclinet 
einen  bedeutsamen  Markstein  im  Leben  Wehrli's.  Er  stand  auf  der 
Höhe  seiner  äußerlichen  Lebensstellung,  seines  Strebens  und  Wirkens. 
In  diesen  neuen  Räumen  feierte  er  am  6.  November  1850  seinen 
60.  Geburtstag.  Mit  Befriedigung  durfte  er  auf  seine  Vergangenheit 
zmückschauen.  Sein  Wirken  liatte  Früchte  getragen.  Kiu  Zeugnis 
dafür  war  auch  diese  Feier.  Dum  Schreiber  dieser  Zeilen,  der  als 
Mitglied  der  Seminarlehrerschaft  mit  dabei  war,  ist  dieselbe  in  leb- 
haftester Erinnerung  geblieben.  Pupikofer,  der  seinen  Freund 
Wehr  Ii  durch  seine  Gegenwart  erfreute,  sagte  von  diesem  Fest: 

„Als  Welirli  im  klOsterlidieii  B«lectorinm  seineii  seehstigsten 
Gebnrtstag  feierte,  umgeben  vott  seiiier  Familie,  seinen  Mtarbeitem 
und  Freunden  und  in  der  Mitte  seiner  Zöglinge,  und  jede  Classe  seiner 
Zöglinge  dnrch  ihren  Spreeher  dem  trraen  Vater  nnd  der 'guten 
Htttter  nnd  Srankenwfirterin  Wehrli  den  tie^efBhlten  Bank  ans- 
sprach  nnd  im  Preise  des  Erzieherhemft  flbeiiloss,  wie  freudig  g^änxte 
dabei  des  Altmeisters  Aoge,  wie  herzlich  dankte  ei*I  Zwischen  den 
Tischen  nmhergehend,  begrttßte  er  jeden  mit  einem  liebenden  Worte  oder 
Tertranenden  Blicke.  Es  war  das  zwar  nichts  Ungewohntes;  denn  so 
oft  sein  Namenstag  anch  früher  gefeiert  oder  einer  abgehenden  8e- 
miniutilaBBe  ein  Abschiedsmahl  gegeben  worden  war,  pflegte  iüinliches 
m  geschehen.  Aber  der  Übergang  des  geliebten  Lehrers  fiber  den 
sechszigsten  Markstein  semes  segensreichen  Lebens  war  für  seine 
ZOglinge  eine  herzergreifende  nnd  begeisternde  Ermnnternng, 
fftr  Menschenbildnng  und  Seelenrettnng  wie  er  zn  leben  nnd 
zo  wirken." 

Jedoch  sollte  die  Glanzperiode  seines  Schaffens  nur  noch  knrze 
Zeit  dauern.  Die  herbsten  und  schmerzlichsten  Erfahrungen  warteten 

seiner.  Ein  scharfer  Wind  erhob  sich  yon  Sftdwesten  her. 
Eine  im  stillen  vorbereitete  Opposition  gegen  die  Unter- 
richts- und  Bildungsweise  im  Seminar,  gegen  die  angestrebte  Jßich- 
tung  in  der  Entwicklung  des  thurgauischen  Schulwesens,  gegen  die 
Schulbücher,  bei  deren  Erstellung  doch  die  Lehrerconferenzen  begut- 
achtend mitgewirkt,  gegen  Wehrli's  Persönlichkeit  selber,  fing  an, 


Digitized  by  GöOgle 


—   304  — 


sieh  hören  zn  lassen.  Zun  eigentlichen  Ausbruch  des  Sturms  gab  die 
beabsichtigte  Gründung  einer  Cantonsschule  in  Frauenfeld  Anlasse  Die 
Primarlehrei*schaft  sah  sich  durch  die  Errichtung  einer  höheren  Lehr- 
anstalt in  ihren  materiellen  Interessen  bedroht.  Sie  \ erlangt«,  es 
mOsse  derselben  eine  bessere  Ausstattang  der  Volksschule  und  die 
Ökonomische  Besserstellung  der  Lehrer  vorangehen.  Wehrli,  meinte 
sie,  sollte  als  Vorkämpfer  in  dieser  Sache  auftreten.  Aber  dasQ  war 
sein  ganzes  Wesen  nicht  angethan;  auf  eine  Ai*ena  zu  treten,  war  nicht 
seine  Sache;  seiner  Natur  entsprach  die  VermittleiToUe,  die  er  dann 
auch  in  dem  erbitterten  Streit  als  seine  Aufgabe  ansah.  Das  zog 
ihm  scharfen  Tadel  zu  von  Sprechern  der  Lehrerschaft,  die  auch 
wiefler  ihre  Instructionen  von  leitender  Seite  empfingen.  Von  da  an 
wurde  die  ganze  Wirksamkeit  Wehrli's  einer  scharfen  —  um  nicht 
zu  sagen  böswilligen  —  Kritik,  die  ihi'e  Quelle  außerhalb  des 
Lehrerstandes  hatte,  unterworfen  und  sein  ganzes  Thon,  wenn  nicht 
verderblich,  doch  verkehrt  gefunden. 

„In  einer  Lehrerversamndung  in  Kreuzlingen"  (1851),  erzählt 
Schlegel,  „welcher  Wehrli  präsidirte,  kam  der  Sturm  zum  Ausbruch. 
Es  schmerzte  Wehrli  um  so  tiefer,  da  sogar  manche  seiner  Zöglinge 
in  unüberlegtem  Eifer  auf  Seite  seinei-  erbitterten  Gegner  sich  stellten. 
Schlag  auf  Schlag  folgten  Angritt'e  auf  Wehrli,  das  Seminar  und  den 
Erzieiiungsrath.  Das  war  eine  harte  Zeit,  eine  scliwere  Prüfung  für 
den  edlen  Mann,  der  in  unwandelbarer  Treue  sein  Leben  der  Hebung 
und  Entwicklung  des  Volksschulwesens  und  der  Heranbildung  eines 
tüchtigen  Lehrerstandcs  gewidmet  hatt«.  Diese  Verkennung  that  ihm 
weh;  doch  ließ  er  dem  Parteikampf  seinen  Lauf  und  schwieg." 

Die  Zahl  der  Gegner,  berichtet  Pupikufer,  bestand  zwar  aus 
einer  nur  sehr  kleinen  Minderheit  der  Lehrerschaft;  aber  Heftigkeit 
und  Beharrlichkeit  ersetzten  ihre  numeräre  Scliwäche.  Die  treuen 
Freunde  Wehrli's  ersuchten  ihren  väterlichen  Freund  um  die  Er- 
Uobnis,  die  Angriffe  abwehren  za  dürfen;  er  verweigerte  sie  ihnen; 
aadi  enthielt  er  sidi  selber  aller  Erwiderung;  er  wollte  das  Stroh- 
feuer ausflackem  lassen.  Und  doch  konnte  er  den  Schmen,  von  seioeii 
Zöglingen  bekfimpft  und  geadunikt  zu  werden,  seine  Eniehnngs- 
gnmdsätze  von  seinen  GeistessOhnen  mit  FiUten  getreten  zu  sehen, 
kaum  verwinden.  In  dSmmeriger  Abendstille  klagte  er  sebiem  Ver» 
trauten  (Papikofer)  sen&end,  wie  er  nicht  fiusen  kOnne,  dass  Gottes 
WeHregiemng  die  wahre  Volkserziehung  preisgeben  kdnne.  Als  jener 
ihm  hieranf  etwas  barsch  die  Frage  Torhielt»  ob  er  denn  auf  das  Ge» 
lingen  grOfiere  Ansprache  machen  wolle  als  Christus,  der  unter  zw9If 


Digitized  by  Google 


—   306  — 


JüLgeru  einen  Verräther  zählte,  antwortete  er  leise:  „Ich  ^vüi  nicht 
mehr  klagen,  sondern  an  den  Heiland  denken/ 

Die  Anklagen  gegen  das  Seminar  gingen  wesentlich  dahin,  es 
werde  äber  die  Sorge  ffir  Ohaiukter  und  Gonftth  die  Verstandes- 
bildung  veniachlässigt,  und  die  wisBenschafUiche  Ausrüstung  sei  eine 
ungenügende^ 

Der  Unterricht,  der  am  meisten  angefochten  wurde,  war  der  in 
der  Beligion,  den  Wehrli  ertheilte.  Es  fehle  demselben  die  wissen- 
schaftliche nnd  dogmatische  Gmndlage.  Die  OeisÜichkeit,  vorab  die 
strenggläubige,  verlangte,  dass  er  einem  Theologen  flbertragen  werde. 
Aber  Wehrli  war  entsdilossen,  ihn  nicht  aus  der  Hand  zu  geben. 
Wie  diesei'  ünteixicht  beschaffen  war,  darüber  belehrt  uns  ein  com- 
petenter  BenrtheUer  des  Fachs  und  der  vertrauteste  Kenner  des  Se- 
minars, Decan  Pnpikofer,  also: 

„Avt  den  Bdigioiuiiiitenridit  legte  Wehrli  groAes  Oewiebt,  nicht  blos  weil 
ihm  die  Bdigion  ein  Hilflsmittel  der  Bndehung,  sonden  weil  ne  ihm  HenteiueBelie 

war.  Ob  er  aber  Rationalist  oder  Supematurali.Ht  war,  Gegensätze,  in  denen  die 
damaligen  Rcüirions-Strcitisfkcitcn  fast  aufschlicülieh  »hh  bewegten,  hätte  er  ><ll>st 
liei  iillrr  meiner  Antriebt igkeit  und  Klarheit  kaum  beantworten  kimnen.  Ihm  er- 
(»cbiea  die  Welt  ala  dati  große  Vaterhaus  Gottes  und  die  ganze  Natur  alä  eine 
Offenbftrong  Miner  Mtcht,  Weisheit  vnd  Ottte;  aber  auoh  die  Nothwendigfcett  der 
Arbeit  nicht  als  da  Flach,  oder  als  eine  Strafe,  sondern  als  eine  segensrolle  Bin- 
rirhtUDg  Gottes.  Er  sehOpfte  die  Religion  nicht  aus  der  Natur  und  betrachtete  sie 
aueh  nicht  als  ein  Erzeugnis  der  Vernunft:  aber  er  fllhlte  das  Bedürfnis,  die  Lohren 
der  Offenbarung  mit  der  Natur  und  Vernunft  im  Einklang  zu  wissen,  und 
find  in  Cflitisti  Lehve  das  Zeugnis  fflr  selehe  Oheteinttimm uug.  Mit  seüiea 
Schtttoa  las  er  hii  fieligimisnnterriehte  am  liebsten  die  Braagelieii  ond  Oeüerts- 
Lieder  und  nmehtc  davon  Anwendvng  auf  Her/,  Leben  und  That;  und  was  durch. 
Wort  und  Lehre  gefunden  war,  wurde  durch  Gesaiiij  tiekrätfigt.  Die  Vorschrift: 
„Bete  und  arbeite",  machte  sieh  überhaupt  bei  Wehrli  iiuch  iu  Beziitr  ;iuf  die 
Religion  t>o  durchgreifend  geltend,  dass  bei  ihm  Frümmigkeii  und  Arbcittifreuüigkeit 
swei  Dinge  warea,  die  ohne  mnander  gar  nieht  bestehen  kflnnen,  aber  doch  onr  » 
lange  nsammen  bestehen  kOnnen,  als  die  Liebe  sie  miteinander  verbindet  Indem 
er  diese  Auffassung  auf  seine  Zöglinge  ttbertrug,  durfte  er  die  tiefere  Begründung 
nnd  die  confessioneUe  Auadracksweise  des  Bekenntnisses  dem  Leben  und  der  Kirdie 
anheimstellen." 

Auch  die  Übrigen  Unterriclitsfacher  wurden  bemängelt,  und  die 
Leistungen  als  völlig  ungenügend  i)ezeielinet  in  öftentlichen  Blättei-n 
selbst  von  Leuten,  die  das  Semiiiar  nie  betreten  hatten.  Im  .Talir  18öO 
kam  ich,  einem  liuf  von  Wehrli  folgend,  als  Lelirer  dahin,  blieb  als 
solcher  zwei  Jahre  in  der  Anstalt  und  glaube  mich  l)erechtigt,  in 
dieser  Sache  ein  Wort  mitreden  zu  düitVii.  Ich  traf  diei  wolbesetzte 
buccessivclasseu  mit  —  Wehrli  inbegriflen  —  sieben  Lehrern.  Der 

i'asdagogiOB.   14.  Jahrg.   Heft  V.  22 


Digitized  by  Google 


—   306  — 


Geist,  der  Ton  und  die  Aibeitsfireadigkeit  in  der  Anstalt  waren  so, 
wie  Sclilegel  toß  oben  ^^esdiildert.  S&mmtlidie  Lebrer  erüieilteii  Ihren 
Unterricht  mit  grandlicher  Sachkenntnis,  mit  gewissenhaftem 
Eifer  und  mit  einem  Erfolg,  wie  ihn  andere  Seminare  nicht 
besser  aufzuweisen  hatten.  Auch  im  spftteren  Bem&leben  zeigten 
die  Schfller  Wehrli's,  dass  sie  in  Jeder  Beziehung,  in  wissenschaft- 
licher Ausrfistnng,  wie  in  der  praktischen  SchulfUirung  den  Lehrern 
anderer  Cantone,  auch  de^enigen,  ans  dem  der  Wind  kam,  durchaus 
ebenbOrtig  seien.  Dass  Wehrli  hervorragender  Begabung  die  richtige 
Wegleitnng  und  mächtige  Anregung  zur  Weiteibfldung  zu  geben  Ter- 
stand,  beweisen  die  Namen  Wellaner,  Mflller,  Bissegger,  Hafter, 
Tschttdi,  Schlegel,  Schelling,  Graf,Bibi,  Buedin,  Zingg,  Gull, 
Gonzenbach,  Bartholdi,  Schlaginhaufen,  Burkhard  u.  v.  a. 
Aber  wenn  einmal  „Ton  richtiger  Seite"  die  Parole  ansgogeben  ist,  so 
wird  sie  ungeprüft  geglaubt,  und  der  Glaube  pflanzt  sich  durch  De- 
cennien  fort 

Mitten  in  diesen  Stunnzeiten  erlebte  Wehrli  die  Genugtliunng, 
von  der  Berner  Regierung  einen  Ruf  zur  Übernahme  der  Diiection 
des  Lehrerseminars  zu  Mflnchenbuchsee  zu  erhalten.  Seine  Freunde 
im  Ganton  Bern  erinnerten  sich  nach  zwanzigjähriger  Abwesenheit 
seiner  um  die  Schulen  des  Cantons  Bern  ei-worbenen  Verdienste  und 
boten  ihm  durch  jenen  Ruf  ein  elirenvolles  Asyl  in  der  Nähe  Hofwyls. 
Indessen  Vater  Fellenber^  war  todt,  die  dortigen  Rrziehung:^- 
anstalten  waren  aufgelöst-,  Wehrli 's  G^undheit  war  erschüttert,  und 
so  sehr  es  ihn  in  die  Nähe  Hofwyls  zog,  fand  er  doch  besser,  den 
Ruf  abzulehnen.  Auch  in  Thurgau  legte  sich  der  Sturm;  die  lautesten 
Eiferer  kamen  zu  der  Einsicht,  man  sei  im  Streit  viel  zu  weit  ge- 
gangen. Aber  infolge  der  Neuwahl  des  Erziehungsrathes  1852,  in 
dem  nunmehr  seine  Ankläger  die  Meliiln'it  Imtten,  fand  er  es  an  der 
Zeit,  zurückzutreten.  Kr  sali  voraus,  dass  nun  eine  Keorgauisation 
der  Anstalt  kommen  werde.  Da  aber  seine  ganze  Persunliclikeit  mit 
der  damalif^en  Hinrichtung  innigst  verwachsen  war  und  ihm  eine 
totale  Umgestaltung  unmöglich  zusagen  konnte,  gab  er  sogleich  seine 
Entlassung  ein,  ließ  sich  aber  dazu  bewegen,  noch  bis  Frühjahr  1853 
zu  bleiben. 

Das  Winterhalbjahr  1852  auf  1853  war  für  Wehrli  eine  harte 
Zeit.  Der  Gedanke,  vom  Seminar  sich  trennen  zu  müssen,  drückte 
ihn.  Die  Lungenblutun^^en,  die  ihn  früher  schon  heimgesucht,  stellten 
•sich  mit  vermehrter  Heftigkeit  ^vieder  ein.  Die  Forderungen  der 
neuen  Aufsichtsbehörde,  wenn  sie  auch  in  milder  Form  gestellt  wurden, 


Digitized  by  Google 


—  ao7  — 


verlangten  manches  Ungewohnte.  Der  Abschluss  der  Rechnungen  und 
die  Inventarisation  brachten  doppelte  Arbeit.  Es  war  dem  mit  seinem 
Seminare  gleichsam  verwachsenen  Manne,  als  wenn  er  bei  lebendigem 
Leibe  beerbt  würde. 

Doch  maclite  er  in  dieser  Zeit  auch  tiostreiche,  er(}uickende  Er- 
fahrungen, dass  er  nicht  umsonst  gelebt  und  die  Misskennung  keine 
allgemeine,  dass  die  Hocliachtung  und  Liebe  der  Edelsten  und  Besten 
ihm  geblieben  sei.  Am  Neujahrstage  1853  trafen  mehr  als  vierzig 
Männer  aus  den  Cantonen  Thurgau,  St.  Gallen.  Appenzell,  Glarus, 
einstige  Zöglinge,  bei  ihm  ein,  an  ihrer  Spitze  die  Armenerzieher 
Lütschg  aus  der  Linthcolonie,  Zellweger  aus  der  Sdiurtanne  zu  Trogen, 
damals  in  Gais,  Wellauer,  Erzieher  im  Waisenhause,  Schlaginhaufen, 
Vorsteher  der  Töchterschule  in  St.  Gallen.  Sie  waren  gekommen,  im 
Namen  von  nahezu  vierhundert  Hofwyler  und  Kreuzlinger  Zriglingen, 
ihm  eine  Dankadresse  zu  überreichen  mit  einem  Album,  in  welchem 
die  Unterzeichner  ihre  Namen  mit  einem  Denkspruche  begleitet  hatten, 
der  den  geliebten  väterlichen  Freund  an  seine  Verdienste  um  sie  zu 
ei'innem  und  ihrer  Dankbarkeit  zn  versichern  geeignet  war. 

Einige  Monate  später,  unmittelbar  vor  seinem  Abschiede  aus  dem 
Seminar,  überbrachten  eine  grolte  AasaU  thnrganischer  Lehrer,  ange- 
fthrt  Ton  den  Lehmn  Bartholdi  in  Franeafeld,  Habisrentinger  in 
IsUkon,  HaiiBeliiiftim  in  Ghftttingen,  dem  väteTiieheii  Erstoher  imd 
Freunde  eine  zweite  DanlcadresBe  mit  beigefügtem  Albnm  yon  sieben- 
nndnemzig  Lehrern.  Die  Worte  tiefjufefllhlten  Dankes  nnd  inniger  Ver- 
ehmng,  welche  daibei  gesprochen  worden,  Iconnten  ihren  Zweck  nicht 
▼erfehlen. 

Die  Bitternis,  die  der  im  Dienste  der  Jagend-,  Lehrer»  nnd  Volks- 
bildung ergraute  Wehrli  im  FrOlgahr  1863  bei  der  ofBdellen  Ober- 
gabe des  Seminars  nnd  der  AnkOndignng  einer  neuen  und  besseren 
Zelt  aus  amtlichem  Hunde,  ohne  ein  Wort  des  Dankes  an  den 
Scheidenden,  noch  dnrchsukosten  hatte,  bleibe  hier  unerOrtert 

8. 

«Als  in  den  Maitagen  von  1863  Wekrli  das  Seminar  Ereoslingen 
▼erliefi  und  auf  das  Landgut  seines  Schwiegersohnes  Moosherr  nach 
Gnggenbtlhl  hinftbersiedelte,  besog  er  ein  zum  Zwecke  einer  Erziehungs- 
anstalt woleingerichtetes,  neues  Haus.  Eine  starke  Stunde  von  Kreuz- 
ungen landeinwirts  in  der  Gemeinde  Andwyl  anf  einer  Hflgelfläche 
gelegen,  gewfthrt  Guggenbühl  eine  weite,  reizende  Aussicht  zunächst 
in  den  Thalgrund  Ton  Erlen  nnd  anf  idie  denselben  durchschneidende 

22* 


Digitized  by  Google 


und  Viek'heiulo  Eisenbahnlinie  von  Zürich  nacli  Konmnshorn;  dann  iiber 
die  gegenüber  liegt  nden  Hügel  von  Schloss  P^ggishausen,  Wertbiilil, 
Gübris,  auf  den  Gebirgskranz  der  Alpen,  südöstlich  aus  dem  Bodeusee 
sich  eriiebeud,  von  den  fisterreichischen  Vurarlbergen  bis  zu  den  Tii-oler- 
und  liüudneralpen  hinauf;  südlich,  gerade  gegenüber  hinter  dem  dunklen 
Tannenbei'g  auf  den  gewaltigen  Säntis  und  seine  Ausläufer;  süd- 
westlich auf  die  Glarner-  und  Schwyzer-  und  dit-  angrenzenden  Berner- 
aipen, so  dass  westlich  die  Kette  des  Hr>rnli  und  in  weiter  Ferne  der' 
Albis  und  Ütliberg  den  Horizont  begi-enzen.  Rings  um  Guggenbühl 
her  breiten  sich  schattenreiche  ObstbaunipHanzungen  aus,  unter  denen 
zahbeiche  Dörfer  und  Höfe  halbversteckt  hervorschauen.  Guggenbühl 
wurde  daher  von  Altei-s  hei*  schon  mit  gutem  Grund  als  der  Lugins- 
land oder  Guckinsland  der  Umhegend  bezeichnet  Einem  Mann,  der 
sein  ganzes  Leben  der  angestrengten  Arbeit  gewidnwt  hatte  und  der 
Ruhe  bedurfte,  versprach  die  von  Wehrli  gewählte  nene  Wohnstätte 
den  mannigfaltigsten  Natnrgenti8&^  (Pupikofer.) 

Etva  zwanzig  Zöglinge  der  Seminarschale,  welche  ihm  von 
Freunden,  namentlich  ans  der  westlichen  Schweiz  zor  Erziehung 
waren  anvertraut  worden,  folgten  ihm  nach  GnggenbiUd.  Ohne  Rast 
begann  also  anch  hier  wieder  ein  fHsches  Anstaltsleben.  Den  Ort 
hatte  Wehrli  gewechselt;  er  selbst  war  sich  gleich  geblieben. 

Im  Sommer  1853,  lesen  wir  bei  Schlegel,  zog  sich  Wehrli 
dnrch  ErkSltong  eine  BmstentzBndnng  zu.  Eine  Cor  im  Heilbade 
WeiBenburg,  bei  welchem  Anlass  er  seine  Bemer  Frennde  besuchte, 
hob  sein  Übel  nicht  Nachdem  im  Jahre  1854  mehrere  RttckftUe  er- 
folgten und  Wehrli  die  Hoffiinng  auf  Genesung  au^b,  traf  er  seine 
letzten  Anordnungen.  Am  15.  Hftrz  1855  schlummerte  er  sanft  zur 
ewigen  Buhe  ein.  Damit  war  ein  Leben  mhmwfirdiger,  rastloser 
Thätigkeit,  ein  Leben  voll  Mtthe  und  Arbeit  geschlossen.  Bis  zur 
letzten  Stande  war  er  seinem  Wahlspruch:  nbete  und  arbeite'*,  treu 
geblieben.  Noch  auf  seinem  Kranken«  and  Sterbebette  schrieb  er  ein 
Testament  an  seine  Zöglinge,  es  waren  seine  Lebensregeln  und  Segens- 
wünsche.  Das  war  sein  letzes  Berufswerk. 

Eine  große  Volksmenge  geleitete  am  20.  März  den  Heimge- 
gangenen zum  Grabe  auf  dem  Kirchhof  in  Andwyl.  Pfarrer  Bion*) 
hielt  die  Leichenrede  und  zeichnete  in  KUrze  ein  getreues  Lebensbild 
des  braven  Mannes,  dessen  Tod  das  ganze  Land  betrauerte.  „In 
Hunderten  von  Volksschulen  und  Bettungsb&usem  in  der  Nähe  und 

*)  Der  Vater  des  Qrttnden  der  FerieoGoionieii. 


Digitized  by  Google 


—   309  — 


in  der  Ferne  ist  es  die  dankbare  Erinnening  an  Vater  Wehr  Ii,  vas 
Lelirer  nnd  Erzieher  zn  freudiger  Thätigkdt  im  Jngendonterricht 
belebt«* 

Wol  konnte  der  GrOnder  der  rasch  aufblühenden  Gnggenbfihler 
Wehrlischule  bei  seinen  gestörten  Gesnndheitsverhfiltnissen  der 
jungen  Anstalt  nicht  mehr  die  Thätigkeit  widmen«  die  er  gerne  geQbt 
hatte;  aber  er  hatte  sicli  treuer  Hilfe  zu  erfreuen.  Seine  rechte  Hand, 
seine  Stütze  und  sein  Trost  in  diesen  letzten  Jahren  war  einer  seiner 
tüchtigsten  Schüler,  der  überdies  bei  Wehrli's  Freund  Eberhard 
als  Lehrer  an  der  landwirtschaftlichen  Armenschule  in  Carras  bei 
Oenf  sich  für  die  Erzieheraa%abe  trefflich  erprobt  hatte:  J.  J.  Müller, 
nunmehr  Verwalter  des  Cantonsspitais  in  Winterthnr. 

Seinem  väterlichen  Freunde  war  er  mit  inniger  Liebe  und  Ver- 
ehrung zugethan.  Er  setzte  die  Anstalt  nach  dessen  Tode  eine  Reihe 
von  Jahren  fort,  bis  seine  heimatliche  Regierung  seine  Begabung  und 
Türlitigkeit  zur  Leitung  von  Anstalten  erkennend,  ihn  zu  einer  höheren, 
freilich  auch  schwierigeren  Aufgabe  berief. 

In  seinem  Heimatdiirfcheu  Eschikofeu  blieb  Wehrli  unvergessen. 
Damit  sein  Andenken  auch  bei  den  zukünftigen  Geschlechtern  fort- 
lebe, setzte  ihm  die  Gemeinde  nahe  beim  Schulhaus  einen  DenlLstein 
mit  der  Inschrift: 

Dm  Andenken  des  treuen  Lehrers  .1.  ,T.  Wehrli,  Seininardiiector, 
geb.  zu  Escbikofen  179<J.  ß:<.>st.  auf  (ruggenbtthl  ISoö. 

Dessen  Wahlspruch: 
Bete  und  urbeiti-. 

Gewidmet  von  der  Heintutgeuieiade. 

Es  bewahrheitet  sich  ewiß^: 
Das  Andenken  des  Gerechten  bleibet  im  Segen! 


Digitized  by  Google 


Fremdes  und  Heimisches  im  Unterrichte. 

Von  A.  Schöffer-Berlin. 

In  vielen  deutschen  Schalen  und  ebenso  in  vielen  Familien  wird 
die  französische  und  die  englische  Spi-ache  gelernt,  ausländische  Li- 
teratur geübt  und  betrieben.  Gegen  die  Anwendung  dieses  Bildungs- 
mittels dürfte  nichts  einzuwenden  sein,  viehuehr  ergeben  sich  leicht 
die  mannigfachen  Vortheile  desselben.  Wer  eine  fremde  Sprache  nach 
ihrem  elementaren  Grundstofte,  nach  ihren  syntaktischen  Gesetzen  und 
ihrem  Geiste  kennt,  wird  foitwälirend  veranlasst,  die  eigene  Sprache, 
deren  er  sich  von  Jugend  auf  mit  unreflectiiter  Gewohnheit  bedient,, 
diu'ch  eingehende  Vergleichung  mit  der  fremden  tiefer  und  vielseitiger 
aufzufassen.  Hierzu  bieten  sorgfältige  und  sinngemäße  Übersetzungen, 
sowol  aus  der  fremden  Sprache  in  die  eigene,  als  aus  dieser  in  jene, 
eine  vortreffliche  Grundlage  und  zugleich  eine  Anleitung,  sich  im  be- 
stimmten und  klaren  Gebrauche  der  Muttersprache,  besonders  auch 
durch  geschickte  Anpassung  mancher  syntaktischen  Wendungen, 
formell  zu  vervollkommnen.  Doch  dies  bedarf,  für  den  Kundigen 
wenigstens,  hier  keiner  weiteren  Ausführung.  Nicht  weniger  wird 
man  sich  in  der  Erweiterung  seiner  Kenntnis  durch  die  aufmerksuuie 
Leetüre  fremder  Pi-osaiker  und  Dichter,  besonders  derjenigen,  welche 
auf  die  Gestaltung  der  heimischen  Erzeugnisse  einen  größeren  oder 
geiingeren  EiuÜuss  geübt  haben,  gefördert  sehen.  Man  kläre,  kräftige 
und  bereichere  seinen  Geist  aus  dem  nahrhaften  Kerne  jener  Literatur, 
indem  man  die  faden  oder  schädlichen  Hülsen  derselben,  soweit  diese 
sich  Yorlhiden,  beiseite  wirft.  Außei*dem  ist  die  Kenntnis  fremder 
Sprachen  und  die  geübte  Fertigkeit  in  ibnin  Gebranche  Ar  die  ge- 
schftftliche  GoiTespondens,  die  gesellige  Verstibidigung  odor  Unter* 
haltong  mit  Ansländeni  oft  nnenfbehrlich  nnd  also  in  jeder  Hinsicht 
dnrchans  zu  empfehlen. 

Nor  eines,  worauf  es  vor  allem  ankommt,  was  zum  Nachtheile 
der  beabsichtigten  Bildung  stets  versäumt  und  vergessen  wird,  ist 
hierbei  wol  zu  beachten.  Vertiefe  man  sich  doch  in  keine  fremde 
Sprache  und  Literatur,  ohne  sich  zunftchst  mit  den  reichen  Formen  und 
Schätaen  der  heimischen  Sprache  und  Literatur  einigermaßen  vertraut 


Digitized  by  Google 


—  311  — 

za  machen.  Es  ist  vielfach  bildend,  verwendbar  und  lobenswert,  das 
fremde  Idiom  mit  einiger  Kenntnis  tind  Sieheriieit  behandehi  zu 
kt^en;  aber  widersinnig  und  ttdierlich  ersdieint  dies,  wenn  man  es 
nach  allem  planmäßigen  Unteiriehte,  nach  allem  Anfhssen  und  Lernen 
nieht  so  weit  gebracht  hat,  einen  Yorrath  eigener  Gedanken  und  Qe- 
Ahle  in  der  Mnttersprache  geschickt,  klar  und  schftn  anssosprechen. 
Um  dieses  an  können,  mnss  man  mor  dorch  Beraiehenmg  nnd 
Schftrfong  des  Denkens  jenen  Vorratli  in  sich  angesammelt  haben; 
denn  aosprilgen  lassen  sich  Mttnaen  nur  insoweit  als  das  Metall  dasa 
vorhanden  ist  In  dieser  schätienswertea  Fertigkeit,  diesem  edelsten 
Ergebnisse  echter  und  gründlicher  Geisteebüdmig,  werden  unsere 
allerlei  treibenden  nnd  lernenden  ZOgUnge  nirgends,  weder  anf  höheren 
noch  auf  niederen  Untenichtsanstalten,  ansreichend  gefördert  Ihr 
erworbenes  Wissen  besteht  (mit  Ansnahme  des  arithmetischen  nnd 
geometrischen)  ftberwiegend  in  grOfierer  oder  geringerer  AnflUlnng  des 
Ged&chtnisses,  welches  awar  die  stoffliche  Grundlage  aUes  Könnens 
und  Schaffens,  aber  nicht  dieses  selbst  darstellt.  Was  wir  an  schrift- 
lichen Leistangen  dort,  selbst  bei  den  Begabteren,  zu  sehen  bekommen, 
das  besteht  meist  aus  kaltem  und  geschmacklosem  Flickwerke,  in 
welchem  keine  Bildung  des  eigenen  Denkens  und  des  sprachlichen 
Ausdrucks  hervortritt  Man.  mache  hierauf  getrost  die  Probe,  und 
man  wird  das,  was  ich  gesagt  habe,  gewiß  nicht  übertrieben  finden. 
Verursacht  wird  diese  Schwäche  theils  durch  den  Mangel  au  gehöriger 
Übung,  theils  auch  durch  die  oft  unpassende  Wahl  der  Aufgaben, 
welche,  besonders  auf  den  höheren  Stufen  des  Unterrichts,  zur  Be- 
arbeitung gestellt  werden.  Da  uns  nur  das  zu  gdingen  pflegt,  was 
wir  mit  der  nöthigen  Sachkenntnis  und  mit  Neigung  ergreifen,  so  ist 
nicht  zu  erwarten,  dass  der  Schüler  solche  Stoffe,  welche  zu  weit- 
schichtiger oder  unbestimmter  Natur  sind,  welche  außerhalb  seiner 
Erfahrung  und  Theilnahme  liegen,  mit  liebevollem  Fleiße  behandele. 
Zudem  unterlässt  es  der  Lehrer  gemeinhin,  die  auff,^egebenen  Stoffe, 
besonders  solche  von  mehr  sittlieh-abstractem  Inhalte,  seien  sie  an 
sich  auch  wolgeeignet,  durcli  mündliche  Ausführung  und  Zerglie(leruii<i- 
dem  Denken  des  Schülers  vorher  zu  nähern  und  dadurch  anzieht  iKlt  r 
zu  jnachen.  Ein  Muster  dieser  jArt  von  Behandlung,'  bieten  uns  die 
vielfachen  Gespräche  des  Sokratos,  welche  Xenophon  in  seiner  einl'acli- 
scliünen  Weise  dargestellt  hat.  Was  «lort  der  alle  liellenisclie  Meister 
trairend  und  erörternd  mit  Männern  vollzieht,  das  kann  der  sorgsame 
Lehrer  da,  \\\>  es  sich  um  <;eimuere  Bestimmung  unklarer  Begriffe 
handelt,  iji  kleinerem  Maßstäbe  auch  mit  seinen  Schülern  thun. 


Digitized  by  Google 


—   312  — 

Ütxrigens  bedarf  es  wol  kaum  der  Bemerkung,  dass  die  Schfller  nicht 
etwa  za  fertigen  Meistern  der  Bede  und  der  Sdirift  ansgelnldet 
werden  sollen;  denn  die  Meisterschaft  kann  sich,  hei  stets  fortgesetzter 
Übong,  nnr  im  Laufe  ein^  langen,  durch  vielfache  Er&hnmgen  und 
Beobachtungen  bereicherten  Entwickelnng  der  mfinnlichen  Kraft  er- 
geben. Nor  das  soll  auf  dieser  Stofe  erieidit  werden,  was  von  dem 
jagendlichen  Alter  als  nOthige  Ansritetnng  flir  das  Leben  selbst  zn 
WQnsdien  und  zu  erwarten  Ist  Nicht  wenig  trftgt  zur  geistigen  An- 
regung des  Sdifilers  allerdings  dsa  Lesen  geeigneter  Schriften  bei 
(mitnnter  sogar  mehr,  als  aller  Unterricht  der  Schule  selbst).  Aber 
die  ftble  Seite  dieser  BeschSfUgung  liegt  darin,  dass  dem  SdiAler  zu 
vieleriei  geboten  und  er  selten  angeleitet  wird,  das,  was  er  liest, 
sinnvoU  in  sich  zu  verarbeiten.  Gewiss  hätte  er  weit  größeren  Vortheil 
von  einigen  wenigen  Bttchern,  welche  er,  beliebig  blätternd  und 
wählend,  in  behaglicher  Muße  zwanzigmal  hintereinander  liest  und 
durchdenkt,  als  von  Hunderten,  welche  er  in  gedankenloser  Hast  auf 
Nimmerwiedersehen  durchfliegt.  In  dieser  flüchtigen  Weise  aber  pflegt 
die  lernende  Jngend  die  zuströmenden  Lesestoffe  zn  genießen,  ganz 
ebenso,  wie  es  die  Erwachsenen  meist  selbst  zu  thun  pflegen.  Das 
Ergebnis  derselben  bildet  eine  regellose  Überfüllung  und  Verwirrong 
des  Geistes,  verbanden  mit  nachtheiliger  Aufregung  der  Phantasie, 
welche  den  Überreizten  nicht  selten  auf  abenteuerliche  Abwege  leitet. 
Nur  in  wenigen  wird  die  Kraft  des  saciigemäßen  und  vernünftigen 
Denkens  entwickelt;  und  diese  eben  bedarf  am  meisten  der  Stärkung 
und  der  sprachliclien  Ausbildung.  Wo  es  später  noth  thut,  greifen 
dann  Viele  zu  der  Hilfe  eines  gedruckten  Briefstellei-s,  ganz  ähnlich, 
wie  schwache  Versmacher  sich  wol  des  Gradus  ad  Paruassuni  be- 
dienen. Aber  wie  trocken  und  leer  muss  ein  Geist  sein,  welclier.  um 
eine  größere  Ausfulir  1111.2:.  einen  Brief  der  Nei<^ung  oder  Liebe  lierzii- 
stellen,  sich  solcher  scliabloneuliaften  Muster  bedient;  desgleichen  der. 
bei  welchem  solche  matte  und  kalte  Schriftstücke  anschlagen!  Für 
eine  so  tiMurige  Verarmung  und  Verödunn:  des  Sinnes  ist  nicht  weniger 
der  einst  genossene  Unterricht,  als  der  ungeschickte  und  verwalirloste 
Verfasser  selbst  verantwortlidi  zu  machen.  Um  Geist  und  Gemüth 
zu  erwecken,  zu  der  an^^emessenen  Form  der  Spraclie  hinzuleiten,  dazu 
bat  jener  frülizeitig  mitzuwirken;  er  soll  die  Kraft  des  Denkens  und 
Wollens  anregen  und  entwickeln,  wie  der  Gärtner  durch  kiuistlirhe 
Priege  aus  einfachen  iiinl  wildwai  hseiulen  Blumen  gefüllte  und  duft- 
reiche herstellt.  Das  veifeldt  er  aber,  wenn  er,  bei  den  ins  Endlose 
getriebenen  Haarspaltereien  der  grammatischen  Analyse,  wie  sie  in 


Digitized  by  Google 


—    313  — 


Tiden  Anstalten  ttblich  sind,  es  au  t&chtJger  ond  nachhaltiger  Übung 
im  Oebranche  fehlen  lässt.  Was  wOrde  man  zn  einer  Folge  unfertiger 
und  missrathener  Speisen  sagen,  deren  AnüBrtiger  sich  stolz  auf  seine 
Kenntnis  der  besten  Eochbttcher  beriefe?  Lieber  weniger  graue  Theorie 
und  dafür  mehr  lebendige  und  thatkriftige  Praxis!  Alle  Sprache  und 
alle  Kunst  des  Vortrages  ist  früher  gewesen  als  Grammatik  und 
Elietorik,  wie  anf  anderem  Gebiete  die  anschauende  Auffassung  und 
Beobachtung  der  Dinge  selbst  als  nnentbehrlichei*  Grundstoff  dem 
Gebrauche  der  logischen  Denkformen  vorausgeht. 

Auf  das  sachgemäße  Können  und  Leisten  also  kommt  es  an,  und 
bei  allem,  was  gut  oder  vortrefflich  hergestellt  ist,  beachtet  man  weit 
mehr  den  geistigen  Inhalt  und  seine  klare  und  schöne  Darstellung, 
als  die  Beobachtung  der  sjTitaktischen  Regeln,  welche  dazu  mitgewirkt 
hat.  Welchen  Nutzen  gewähren  uns  alle  modernen  und  antiken 
Muster  der  (Tescliichte,  der  Redekunst,  der  denkenden  Forscliun<>'  und 
Darstellung,  wenn  wir  in  der  eigenen  Sprache  gedankenarme  und 
geschmacklose  Stümper  bleiben,  ohne  es  dabei,  wie  gewöhnlicli,  in 
einer  fremden  zu  gewandter  Sicherheit  zu  bringen?  Im  herrlichen 
Paris  und  London,  im  classischen  Athen  und  Rom,  auch  im  weiten 
Oiient  sind  wir  zu  Hause;  aber  in  der  Heimat,  in  unserem  eigenen 
Inneren  erscheinen  wir  als  unfertige  und  unbeholfene  Fremdlinge. 
Da  haben  unsere  großen,  ewig  frischen  und  blühenden  Classiker, 
wt^lclie  wir  an  allen  Orten  durch  eherne  und  marmorne  I  )enkmäler,  durch 
pomphafte  Zweckessen  und  Toaste  zu  ehren  lieben,  die  Arbeit  ihres 
mühevollen  Lebens  umsonst  verschwendet.  Unzweifelhaft  sind  ihre 
Werke  zu  dem  Zwecke  da,  in  anderen  eine  gleiche  oder  doch  ahnliche 
Kraft  des  Anschauens,  Denkens  und  Schaffens  anzuregen,  niclit  aber, 
diese  ungepflegt  verkünmiern  zu  lassen  und  nebenbei  einer  müßigen 
und  tluchtigen  Leselust  zu  dienen.  Ks  gibt  im  allgemeinen,  wie  be- 
kannt, nichts  Schwächeres,  Unklareres  und  Ungeschickteres,  als  schrift- 
liche Leistungen  eines  Menschen,  welcher,  nach  zurückgelegten  Schul- 
und  Lehrjahren,  mit  Vernachlässigung  alles  anderen  sich  als  Geschäfts- 
mann, besonders  als  Handwerker,  seinem  Berufb  widmet  Bei  Getogenlieit 
kann  man  auch  häufig  bemerken,  wie  er  Gedrucktes  oder  Geschrie- 
benes, sei  dieses  selbst  von  der  ein&chsten  und  leichtesten  Art,  kaum 
deutsch  zu  lesen  und  sinngwnftB  aufini&ssen  versteht  Üm  diesem  zu 
begegnen,  bemflhen  sich  viele  unserer  Zeitschriften,  ihre  Mittheilungen 
in  recht  yolksthOmlicher  und  zugleich  breit  geschmackloser  Weise 
«inzurichten,  weiche  Einrichtung,  beiläufig  bemerkt,  auch  fttr  die 
Fanungsgabe  mancher  Gebildeten  unerlässlich  erscheint  Dass  ein 


Digitized  by  Google 


—   314  — 


Mensch  von  so  mangelhafter  Anst^dimg  seiser  Anlagen  nicht  imstande 
ist,  als  Bürger  an  den  Angelegenheiten  des  Vei^Msmigslebens  und  der 
Gemeindeverwaltung  erfolgreich  mitsuwirken,  liegt  anf  der  Hand. 
Zwar  wird  mancher  dieses  untergeordneten  Schlages,  za  Besitz  und 
Ansehen  gelangt,  dieses  oder  Jenes  hOrgei'lichen  Ehrenamtes  theilhaftig» 
aber  JedenfhUs,  wie  man  oft  sieht,  zom  flkhlbaren  Schaden  des  6e- 
meinwols;  denn  mit  dem  Mangel  an  geistiger  Dnrchbildnng  verbindet 
sich  meist  eine  gemeine  nnd  eigennützige  l>enkart,  durch  welche  der 
reine  Eifer  fOr  Wahrheit,  Becht  nnd  Gemeinwol  niedeigehalten  wird. 
Ohne  Sachkenntnis,  ohne  Obersidit  und  UrtheU,  erlllllt  so  ein  Spieft- 
bfirger  seine  staatsbfirgerlichen  Pflichten  nur  obenhin,  als  dienstbarer 
Anhänger  dieses  oder  jenes  beredten  Wortführers,  welcher  ihn  für 
seine  Zwecke  oder  für  die  seiner  Partei  zu  gewinnen  und  auszunutzen 
versteht 

An  allen  Orten  haben  wir  jetzt  sogenannte  Fortbildungsschulen.« 
Mikrhten  diese  Anstalten  darauf  hinarbeiten,  dass  ihre  Zöglinge  nicht 
nui*  das  Gute  und  Brauchbare,  was  sie  vordem  auf  Schulen  gelernt 
haben,  in  sich  au^isclien,  befestigen,  auch  durch  nene  Kenntnisse 
erweitem,  sondern  vor  allem  tüchtige  Anleitung  zum  mündlichen  und 
schriftlichen  Ausdinck  der  Gedanken  erhalten.  Befruchtet  und  ge- 
stäi'kt  aber  wird  das  Denken  durch  die  anscliauliche  Erkenntnis  alles 
dessen,  was  im  sittlichen,  geselligen  and  staatliclien  Leben  füi*  den 
Menschen  wiclitig  und  wissenswert  erscheint;  und  der  beste  Weg  zu 
diesem  Erkennen  ist  der  einer  wechselseitigen  Untersuchung  und  Er- 
örterung?, welche  den  vorliegenden  Stoff,  unter  Beachtung  alles  Ge- 
gebenen und  Vorhandenen  klar  und  fertig  liinstellt.  Der  gegebenen 
Anleitung  miisste  sicli  dann  behufs  weiterer  Selbstbildung  ein  reges 
und  wachsendes  Interesse  tiir  die  reichen  Schätze  unserer  Literatur 
anschließen.  Dies  w^äre  zugleich,  soweit  es  belebend  fortwirkt,  das 
beste  Mittel,  um  der  sinnlichen,  ästhetischen  und  sittlichen  Verwilde- 
rung, in  welcher  wir  so  viele  Mensclien,  besonders  des  Handwerker- 
standes, mMiriickt  und  traumartig  dahinleben  sehen,  wirksam  entgegen- 
zuarbeiten, i  ber  die  genannten  Übelstände  ergehen  sicli  Viele  in  be- 
gründeten Klugen;  aber  sie  beklagen  den  schlechten  Ertrag  eines 
Feldes,  dessen  Anbau  und  Pflege  aus  Nachlässigkeit  versäumt  wird. 
Wo  es  bei  allen  Mitteln  der  Industrie,  des  äußeren  Conibals  und  Ver- 
kehrs an  jenem  geistigen  Hintergrunde,  an  humaner  (lesittung  und 
Bildung  der  Bürger  fehlt,  da  erweisen  sich  tiir  den  instand  des 
Ganzen  selbst  die  feinsten  und  besten  Furmeu  der  Verlassung  und 
des  geselligen  Lebens  als  unzulänglich. 


Digitized  by  Google 


Pftdagogificlie  Bandficliaa. 

Zeitstimmen.  [Der  Kampf  ums  Hecht.]  Welch  tiefe  Beschämuug^ 
mit  M  in  nBf  herTonmUm,  «abmuifllineii,  wfo  Jenor  «isfludM  Gedaake  dw 
geranden  BeehtageflUds,  dass  in  Jedem  Baeht  die  Penon  selber  mit  ihrem 
gusen  Recht  nnd  Ihrer  ganzen  Persönlichkeit  angegriffen  und  verletzt  er- 
scheint, der  Wissenschaft  in  einer  Weise  abhanden  kommen  konnte,  dass  sie 
die  Preisgabe  de^ä  eigenen  Rechts,  die  feige  Flucht  vur  dem  Unrecht  znr  Rechts- 
pflicbt  erheben  konnte!  Kann  es  Wander  nehmen,  wenn  in  einer  Zeit,  in  der 
solche  Aosichteik  eich  in  der  Wissenschaft  ans  Tageslieht  wagen  dorfien,  der 
Geist  der  Feigheit  and  apathischen  Erdnldang  des  Unrechts  anch  die  Geschicke 
der  Nation  bestimmte?  Wol  nns,  die  wir  erlebt  haben,  liass  die  Zeit  eine  andere 
f?e worden.  —  solche  Ansichten  sind  jetzt  geradezu  eine  Unniögliclikeit  gewor- 
den (das  wäre  sehr  zu  wünschen!  D.  £.),  sie  konnten  nur  gedeihen  in  dem 
Snm]Kf  eines  politisch  nnd  reohtlieh  gleich  yorkommsnen  nationalen  Lebens. 

Hit  der  soehen  entwickelten  Theorie  der  Feigheit^  der  Verplliehtnng  znr 
Preisgabe  des  bedrohten  Rechts,  habe  ich  den  änfiersten  wissenschaftlichen 
Gegensatz  zn  der  von  mir  vertheidigten  Ansicht  berührt,  welche  umgekehrt 
den  Kampf  ums  Ktcht  zur  Pflicht  erhebt.  Nicht  ganz  so  tief,  aber  immer  tief 
genug  anter  der  Höhe  des  gesunden  Kechtsgefähls  liegt  das  Niveaa  der  An- 
sicht eines  neueren  Phflosephen,  Herhart,  Uber  den  letzten  Omnd  des  Rechts. 

Er  erblickt  denselben  in  einem  ästhetischen  Motiv :  dem  Misf fallen  am  Streit  

Wäre  der  ilsthetische  .'^tandpnnkt  bei  der  Würdigung  des  Rechts  ein  benM  h- 
tigter.  ich  wüßte  nicht,  ob  ich  das  ilsthetisch  Schöne  beim  Recht  anstatt  darein, 
dass  es  den  Kampf  ausschließt,  nicht  vielmehr  gerade  darein  setzen  sollte, 
dass  es  den  Kampf  in  sieh  schließt.  Wer  den  Kampf  als  solchen  llatheüseh 
nnsehSn  findet,  wobei  Ja  die  ethische  Berechtigung  desselben  ganz  anAer  Frage 
gelassen  wird,  der  möge  nnr  die  ganze  Literatur  und  Kunst  von  Homer's  Tlias 
und  den  Bildnerarbeiten  der  Griechen  an  bis  auf  unsere  heutige  Zeit  streichen; 
denn  es  gibt  kaum  einen  Stoff,  der  für  sie  eine  so  hohe  Anziehungskraft  be- 
wfthrt  hätte  als  der  Kampf  in  allen  seinen  verschiedenen  Formen,  nnd  den- 
jenigen soll  man  noch  erst  suchen,  dem  das  Schauspiel  der  hSchstm  Anspannung 
menschlicher  Kraft,  das  die  bildende  Kunst  und  die  Dichtkunst  verherrlicht 
haben,  statt  des  Gefühls  iistlietischer  Befriedigung  das  des  ilsthetischen  Mi.ss- 
falleus  eintiöl^K .  Das  liöch.ste  und  wirksamste  Problem  für  die  Kunst  und 
Literatur  bleibt  stets  das  Eintreten  des  Menschen  für  die  Idee,  helBe  die 


Digitized  by  Google 


—  816  — 


Idee  Recht,  Vaterland,  Glaube,  Wahrheit  Dieses  Eintreten  aber  ist  stets 
ein  Kampf. 

Allein  nidit  die  Ästhetik,  sondern  die  Ethik  hat  uns  Anfscbluss  darüber 
sn  geben,  was  dem  Wesen  des  Beehts  entsprieht  oder  widen]irieht.  Die  Ethik 

aber,  weit  entfernt,  den  Kampf  ams  Recht  so  TOTwerfen,  zeielinet  ihn  den 

Individuen  wie  den  Völkern  ...  als  Pflicht  vor.  Das  Element  des  Kampfes, 
das  Herbai  t  aus  dem  Rechtsbcg^riff  ausscheiden  will,  ist  sein  ureigenstes,  ihm 
ewig  innewohnendes  —  der  Kampf  ist  die  ewige  Arbeit  des  Rechts. 
Ohne  Kampf  kein  Beeht»  wie  ohne  Arbeit  kein  Eigenthnm.  Dem  Sats:  „lin 
Schweiße  deines  Angesidits  sollst  da  dein  Brot  essen,"  steht  mit  gleicher 
"Wahrheit  der  andere  geg-enüber:  „In»  Kampfe  sollst  dn  dein  Recht  finden." 
Von  dem  Moment  an,  wo  das  Recht  seine  Kampfbereitschaft  aufgibt,  gibt  es 
sich  selber  auf  —  auch  vom  Recht  gilt  der  Sinuch  des  Dichters: 

Das  ist  der  Weisheit  letzter  Schlu.-is: 

Nur  der  verdient  sieb  Freiheit  wie  das  Leben, 

Der  tfl^eh  sie  erobern  mnss. 

Dr.  Budolf  Ton  Ihering,  Der  Kampf  ams  Recht,  10.  Aull. 

(Mit  der  Herbart'scheu  Maxime  vergleiche  man  auch  die  von  Ihering  zur 
Bestätigung  seiner  eigenen  Anschannng  eitirten  Annprttehe  Kantus:  Wer  sieh 
sam  Wurm  macht,  kann  nachher  nicht  klagen,  wenn  er  mit  FuBen  getreten 

wird."  „Lasst  euer  Recht  nicht  ungeahndet  von  anderen  mit  Füßen  treten."  Dies 
sei  „Pliicht  in  Beziehung  auf  die  Würde  der  Menschheit  in  uns- ;  dagegen  sei 
„Wegwerfung  seiner  Rechte  unter  die  Fä&e  anderer  Verletzung  der 
Pflicht  des  Menachen  gegen  sich  selbst) 

^  [Entwickelnng  des  Lehrerstandes.]  Es  gahZdtCD,  da  devtsche  Ge- 
lehrte, Zierden  der  Wissenschaft,  mit  gem^er  Not  und  Entbehrung  kimpfen 
mussteu.  Heute  noch  finden  sich  die  Lehrer  an  den  höheren  Schnlen  zurück- 
gesetzt und  können  unerfreuliche  Vergleichungen  mit  andi^en  Berufsclasseii 
nicht  abweisen,  die  bei  dem  gleichen  Einsatz  an  Zeit  und  Kräften  weit  mehr 
Ansehen  haben  als  sie,  einüsch  ans  dem  Grande,  weil  ihnen  ein  reicherer  Lohn 
sntbeil  wird.  Koch  iprSBeren  Nachtheilen  ist  der  deutsche  Volksschullehrer- 
stand  ausgesetzt  gewesen.  Seine  kümmeilichc  Lag^e.  sein  geringes  Ansehen 
ist  fast  sprichwörtlich  p:eworden  in  dem  Volke,  das  sich  rühmen  darf,  in  Be- 
ziehung auf  die  allgemeine  Volksbildung  unerreicht  dazusteheu  ...  Es  war 
ein  zweifelhaftes  Gtosehenk  fttr  den  gameD  Stand,  alt  die  Sdmle  und  mit  ihr 
die  Lehrer  avm  Gegenstande  politischer  Bttcksichten  ond  Erw&gnngen  gemacht 
wurden.  Bald  umworben,  bald  zuruckgestoßoi,  bald  ein  willkommeoer  Helfer, 
b:ild  mit  Misstranen  betrachtet,  heute  angespornt,  morg^en  zurückgehalten, 
wurde  der  Lehrerstand  oft  in  seinem  Ringen  nach  Selbstständigkeit  gehemmt 
und  iu  seiner  Entwicklung  gestört  und  in  den  Kampf  der  Parteien  gezogen. 
Es  wftre  wonderhar,  wenn  er  sich  dabei  stets  tadeUM  erhalten  bitte  .... 
Die  dentschen  Volkncbullehrer  waren,  wie  das  deutsche  Volk  sie  haben  wollte, 
und  manchmal  waren  sie  besser,  als  man  sie  wünschte  ....  Lst  es  nach  dem 
Vorgange  der  Dichter  erlaubt,  den  Entwickeluu^sgang  eines  g-anzen  Standes 
unter  dem  Leben  und  der  Charakterbildung  eines  einzelnen  Menschen  aut'zn- 
fsssen,  so  kann  man  der  ferneren  Entfidtnng  des  dentschen  Volknehvllelirer- 
Standes  mit  frendiger  Zuversicht  entgegensehen.  Eine  harte  Jngendselt  bereitet 


Dlgitized  by  Google 


—   317  — 


einen  gediegenen  Mannescharalcter  vor.  Oft  enttliuscht,  verachtet,  vergessen 
Uüd  verkannt,  durch  Leiden  nnd  Entbeln  uiigcii  geprüft  und  gestählt,  hat  er 
doch  in  lieh  selbst  Halt  gefunden  und  schreitet  zu  größerer  Festigkeit  und 
Tttchtigkeit  und  so  grSßerer  SellMtstliidigkeit  rltetiflr  fort  Konrad  Fischer, 
Geeehlehte  des  dentschen  VoUcsschnllebrentaadeB  (HaimoTer,  Karl  Keyer). 

Aus  Hessen -Nassau.  Wer  hiltte  es  gealnit.  dass  der  Hesuch  des 
Kasseler  Friedrichs-Gymnasiums  von  selten  unseres  Kaisers  einmal  der  Anstoß 
zu  einer  weitgehenden  Beform  des  Schnlwesens  «erden  würde!  Wie  lange  hat 
man  Beformen  gefordert,  wie  hartnackig  haben  sich  die  alten  Gymnasialpftdagogen: 
gegen  dieselben  gestiHubt.  Doch  bewahrheitet  sich  auch  hier  wieder  in  einem 
eigenen  Siruu'  das  alte  Wort:  Cn  sar  snpra  grammaticos.  Unser  Kaiser  ninsste 
als  Scliüler  au  sich  erfahren,  dass  man  in  unseren  Schulen  nicht  znviel,  sondern 
zu  wenig  fUr  das  Leben  lernt,  dass  das  Lernen  vielfach  ein  Benueu  mit  Uiu* 
demisten  ist.  Die  Znnge  des  Kindes  hat  kanm  die  Fllhigkeit  erlangt,  in  der 
Muttii  Sprache  reden  zu  können,  da  quält  man  sie  schon  mit  der  Aussprache 
fremder  Wörter,  ja  es  kommt  zur  ersten  fremden  Sjiraclie  bald  dit-  zweite, 
dritte,  für  manchen  selbst  die  vierte  hinzu.  Der  Schüler  tritt  kaum  in  die 
Schule,  und  mau  bescliäftigt  ihu  im  Keligiuusuutemcht  mit  den  grüßten  Eäthscln 
fär  den  Menschengeist,  mit  der  SchSpfong  der  Welt,  mit  der  Sfinde  nnd  der 
ErlOsong;  in  der  Geschichte  versetzt  man  ihn  nach  Rom,  Oiiechenhind,  In- 
dien u.  s.  w.,  nnd  der  arme  Junge  weiß  kanm,  wo  er  selbst  zu  Hause  ist  Die 
fortwährende  Belastung  des  Gedächtnisses,  die  Vielgeschäfligkeit,  das  Vielerlei, 
das  Hasten  und  £ilen  von  einem  Wissensgebiet  zum  anderen,  die  mangelnde 
Einsicht  in  den  Stoff,  die  fehlende  Durchdringung  und  Beherrschung  desselboi 
ensengen  Unsicherheit,  (Jnmhe,  geistige  nnd  kSrperliehe  Erschlaifting.  Unsere 
Schüler,  die  mit  einem  Bildungsstoff  gequUlt  werden,  der  ihnen  und  dem  Leben 
fremd  ist  nnd  fremd  bleiben  wird,  gleichen  Älensclien,  deren  Kraft  man  durch 
Waten  in  einer  endlosen  Sandwüste  erhöhen  will.  Wenn  man  einen  ,Mt  iibchen 
durch  eine  unbekannte,  uninteressante  Gegend  führt,  so  wird  er  bald  Miss- 
b^agen,  Ermüdung  mid  das  immer  heißere  Verlangen  empihiden,  in  schSnere 
Gefilde  zu  gelangen;  so  geht  es  den  meisten  Schülern  unserer  höheren  Schulen, 
die  mit  Schiller  singen  können:  „Ach,  aus  dieses  Thaies  Gründen,  die  der 
kalte  Nebel  drückt,  könnt  ich  doch  den  Ausgang  finden,  ach,  wie  fühlt  ich  mich 
beglückt!" 

Bei  dem  Untenrldit  bleiben  vlelfooh  die  anerkanntesten  pädagogischen 
Forderongen  nnberlieksichtigt,  wie  n.  B.  die,  dass  derselbe  die  menschliche 

Natur  nnd  deren  Entwickelungsgesetze  zu  berücksichtigen  hat,  dass  der  Fn- 
terrichtsstoff  nach  dem  StHiidjiunkte  und  der  geistigen  Entwickelung  des  Schülers 
auszuwählen  und  zu  vertheilen  ist,  dass  die  Ciegcnstiliuie  mehr  nacheinander  als 
nebeneinander  zu  betreiben  sind,  dass  man  vom  Bekauuteu  zum  Lnbekanuttu, 
vom  Mähen  anm  Femen  fortzuschreiten  hat  Nicht  Aoswendiglemen,  sondern 
Anschauung,  nicht  W' ort  begriffe,  sondern  Einsicht,  nicht  Wissen,  sondorn  Eraft^ 
nicht  mechanische  Fertigkeiten,  sondern  freies  Können  und  W^ollcn  nmss  der 
Unterricht  bezwecken,  wenn  er  wahrliaft  bildend  sein  sidl.  Der  frenidsiirach- 
liche  Unterricht  beginne  erst,  nachdem  eine  genügende  Kenntnis  der 
Kntterspiache  erlangt  ist;  die  Mathematik  werde  erst  gelehrt,  wenn  die 
bfirgerlichen  Bechnnngsarten  begriffen  nnd  bis  zur  Sicherheit  gettbt  sind;  im 


Digitized  by  Google 


—   318  — 


Eeligiunsanter rieht  gehe  man  vom  Leben  und  der  Lehre  Jesu  aus  und  be* 
handle  die  GeMhichte  des  BeidieB  Gottce  und  die  Lehre  der  conllBarioiielleii 

Bekenntnlaieliriften  erst  dann  in  der  Sprache  der  I.nthcrbibel  and  der  Eate- 
ohismen,  wenn  der  Schüler  sprachlich  soweit  gefördert  ist,  die  veralteten  For- 
men zu  verstehen,  in  der  Geographie.  Geschichte  und  Natarkunde  gehe  man 
von  der  Heimat  aas  and  verweile  da  so  lange,  bis  die  Fähigkeit  erlangt  ist, 
Fernliegendes  an  begreiUHn;  die  Geaetae  der  dentaehen  Sprache  aoehe  man 
ent  an  erkennen,  wenn  der  Sehfller  Sprache  hat,  nnd  verschone  ihn  crana  oder 
möglichst  lange  mit  der  von  der  lateinischen  Sprache  entlehnten  Terminologie. 
Alles  das  hat  der  deutsche  Kaiser  in  seiner  bedentsamen  Rede  bei  Eröffnung 
der  Schulconferenz  and  in  seinen  Schalerlassen  anch  gewünscht,  seine  Schüler- 
erfahmngen,  sein  Verkehr  mit  Männern,  die  von  der  Nothwendigkeit  der  Schol- 
reform  flberaengt  sind,  hahen  ihm  das  nahegelegt;  allein  wir  haben  ana  den 
Verhandlangen  der  Sohnloonferenz  ersehen,  dais  die  Mehrzahl  der  Sehvlmlaner 
nicht  für  diese  Reform  zn  gewinnen  war.  Diese  beriefen  sich  immer  auf  das 
bewährte  Alte  und  bedachten  dabei  nicht,  dass  unsere  Gymnasien  schon  liin^st 
leer  ständen,  wenn  sie  niclit  gerade  mit  den  meisten  Berechtignngen  aas- 
geatattet  wiren.  In  der  Hauptstadt  der  Provina  Hessen-Hassan  hat  der  dentache 
Kaiser  den  Anstoß  za  seinen  Beformbestrebongen  erhalten,  In  der  größten  Stadt 
dieser  Provinz,  in  Frankfurt  am  Main,  will  man  jetzt  den  ersten  Versach  zur 
Erprobung  des  Neuen  machen.  Von  Ostern  1892  an  wird  ein  städtisches 
Gymnasinm  seinen  Lehrplan  derart  gestalten,  dass  in  Sexta  mit  demFran- 
zösischen  begonnen  wird,  w&hrend  das  Latein  erst  in  Untertertia,  das 
Grieehisch  erst  in  Untersecnnda  anftreten  soll  Aach  ein  Realgym* 
nasinm,  die  Mnsterschule,  wird  Ostern  1892  in  Sexta  mit  dem  Französischen 
beginnen,  den  Beginn  des  Lateinischen  ebenfalls  nach  Untertertia,  den 
Anfang  des  Englischen  nach  TT^ntersecunda  verlegen.  Dicso  Anstalten 
wollen  dieselben  Ziele  wie  bisher  verfolgen,  und  wir  sind  der  Ansicht,  sie  wer- 
den sie  leiditer,  weil  natnigemiBer,  grflndlicher  nnd  sicherer  errelehen.  Selbst- 
verstflodlieh  sind  ihnen  dieselben  Bereehtignngen  zugesichert,  die  diesen  Schnl- 
gattungen  nach  dem  neuerlichen  Erlasse  zuertheilt  sind.  Es  ist  bisher  nur  von 
den  Sprachen  die  Rede,  gewiss  werden  aber  auch  die  oben  gezeichneten  For- 
derungen für  die  anderen  Untemchtsfächer  Berücksichtigung  linden,  da  ja 
dsroh  die  Yerlnderungeu  in  den  Sprachen  Zeit  nnd  Banm  dafür  gewonnen 
werden.  Nicht  nnr  fllr  die  Erreichnng  des  Bildnngsaieles  werden  diese  Ein- 
richtungen des  Lehrplans  von  der  grSllen  Bedentnng  sein,  sondern  anch  für 
das  Verhältnis  der  Schulen  zu  einander:  es  werden  fernerhin  Gymnasium.  Real- 
gymnasium, Oberrealschule  und  Realschule  bis  Quarta  einen  gemeinsamen 
Unterbau  haben,  Gymnasium  und  Realgymnasium  sogar  bis  Übertertia  ein- 
schließlich.  Ist  man  soweit  gegangen,  so  wird  man  anch  hald  dahin  gelangen, 
eine  gemeinsame  Grundlage  für  alle  Sdiulen  zu  ßnden,  dies  omao  eher,  je 
mehr  man  diV  sorialen  und  wirtschaftlichen  Nachtheile  erkennt,  welche  die 
Zer.splittening  unseres  Schulwesens  mit  sich  bringen.  Mehr  ,\ls  70  jiroußisoJie 
Städte  mit  nur  je  einer  höheren  Schule  haben  sich  vor  kurzem  an  den  Kaiser 
gewandt  nnd  gebeten,  es  mOehte  die  Befinm  des  hSheren  Schnlwesena  anf 
der  Grundlage  eines  einheitlichen  üntertwaes  lltr  alle  hSheren  Sehnleo  erfolgen, 
wir  fordern  mehr,  wir  fordern  einen  gemeinsamen  Unterbau  für  alle  Schulen. 
Uniengbar  ist  eine  der  Hanptnrsachen  der  vielfältigen  nnd  tiefen  Spal- 


Digitized  by  Google 


—   319  — 


tmgvn  in  nnierem  Volksleben,  die  in  den  leidentohnftliciien  Inteweien-  nnd 
PtindplnüdUnpfen  der  Gegenwart  In  die  Erecheinang  treten  und  einer  gedeüi- 
lichen  Fortentwickelung  der  Nation  sich  hinderlich  erweisen,  die  Zenplittemng 
unseres  Schulwesens.  Jedoch  wäre  ea  ein  Irrthum,  anzunehmen,  dass  nur  die 
gegenwärtig*  bestellende  Vielköpflgkeit  des  höheren  Schulunterrichts  hieran  die 
Schuld  tr&gt:  viel  tiefer  einschneidend  ist  die  von  unten  anf  bestehende  Ab- 
sondenmg  der  höheren  Stfnde  von  den  niederen,  der  vermOfenden  von  den 
nnvermOgenden  durch  die  gesondert  bestehenden  Vonchulen  nnd  das  immer 
weiter  um  sich  greifende  Kasten-  und  Standesschulwesen.  Die  Einheit  des 
Volksgeistes  beruht  nicht  nur  anf  der  Einheit  der  höheren  allgemeinen  Bildung, 
sondeni  vielmehr  auf  einer  allgemein  verbreiteten  Volksbildung.  Daher  muss 
die  höhere  Unterriehtsnnstalt  (Gymnasium,  Bealgymnasinni,  Obenrealschule) 
mit  der  Mittelsohnle  (prenß.  Mittelschule,  höhere  Bfiigerschnle,  Bealsehnle)  und 
der  allgemeinen  Volksschule  (Bürgerschule)  in  organische  Verbindung  gesetzt 
werden.  Eine  solche  Reform  unseres  deutschen  Schulwesens  fordert  das  Na- 
tionalitätsprincip,  fordert  die  B&cksicht  anf  die  sociale  Einheit. 

Auch  in  wirtschaftlicher  Besdehong  ist  die  Zerspellung  unseres  Schul- 
weseos  ein  Fehler.  Wie  manche  kleinere  Stadt  hat  neben  der  BflrgerBchule 
eine  Mittelschule,  hOhere  Töchterschule ,  eine  Realschule ,  ein  Progymnasina, 
Realprogymnasium,  oder  gar  ein  G3'mnasium  nnd  Realgymnasium,  dazn  zu 
allem  Überfluss  noch  gesonderte  Vurschulclassen  für  die  höheren  Schulen.  Dass 
durch  eine  Vereinfachung  hier  viel  Geld  gespart  werden  kauu,  wird  jedermann 
einleuchten.  So  wenig  als  die  Enabenndttdechulen  und  höheren  Schulen  be- 
sondere Vorschuldassen  nöthig  haben,  so  wenig  bedürfen  sie  die  Mädchen- 
mittdschulen  und  höheren  Töchterschulen,  nnd  alle  Kinder  der  Nation, 
Knaben  und  Mädchen,  sollen  wenigstens  in  den  drei  ersten  Schuljahren  die 
aligemeine  deutsche  Volksschule  besuchen.  Für  alle,  welche  eine  weiter 
angelegte  Büdnng  erstreben,  schließt  sich  an  die  drei  ersten  Schuljahre  die 
ICittelsehnle.  Die  höhere  Sehnle  setse  erst  mit  dem  7.  Sdiu]jahr  ein, 
wo  für  Gymnasium  und  Realgymnasium  das  Latein  beginnt.  Die  allgemeine 
Volksschule  hat  8,  die  Mittelschule  7.  das  Gymnasium  und  Kealß:.ymna8inm  6, 
die  Oberrealschule  nur  2  besondere  Jahrescurse.  Die  Volksschule  nimmt  ihre 
Schüler  nach  dem  vollendeten  6.,  die  Mittelschule  nach  dem  9.,  das  Gymnasium 
und  Bealgynmasinm  nach  dem  12.,  die  Oberreslschule  naeh  dem  16.  Lebens- 
Jahre  auf.  Die  Mittelschule  ersetzt  demnach  für  diejenigen  Schfller,  welche 
apiter  die  höhere  Lehnnstalt  besuchen  wollen,  die  Glassen  Sexta,  Quinta  und 
Quarta. 

In  den  drei  ersten  Schuljahren  sind  Religion,  Deutsch  und  Rechneu  die 
HraptOeher,  die  Volksschule  erwdtart  Ueselben  spKter  dnreh  die  Bealien;  die 
Mittelschule  hat  in  ihren  drei  ersten  Sdin^jahren  (4. — 6.)  noeh  besonders 
Franaösisch;  wenn  die  Schüler,  welche  in  die  hOhere  Lehranstalt  eintreten 
wollen,  abgehen ,  kommt  Englisch  und  in  Knabenmittelschnlen  Mathematik  hinzu. 

Eine  solche  Einrichtung  unseres  Schulwesens,  bei  welcher  eine  Dreiheit 
gewissermaBen  zur  Einheit  wird,  bewahrt  den  guten  Kern  der  bisherigen  Ent- 
wickelnngt  setnt  aber  Ordnung  an  die  Stelle  der  Zerklttftung,  die  bisher  soviel 
beklagte  Überbürdung  der  Schüler  wird  nicht  mehr  so  leicht  vorkommen,  weil 
die  schwierigeren  Fächer  später  auftreten,  und  die  Entscheidung  über  die  Be- 
rufswahl kann  dann  erst  auf  Grand  der  nötbigen  Erfahrung  getroffen  werden. 


Digitized  by  Google 


-   320  — 


Der  Segen  aber,  den  diese  Einheitsschale  in  socialer  qnd  wlrtaoliaftlicber  Be- 
ziehoog  bringen  wird,  ist  unberechenbar.  A.  0. 

[B.  Vum  deatscheu  OstKeestraud.J  Die  gewaltigen  Ei-bchiitteraugea 
des  UMhtfdMn  Lebens,  welobe  oub  der  Enltnrkampf  gebracht  hat,  werden 
hier  nodi  fortgesetst  bis  snm  einsamsten  Flsoherdorfe  im  welBtti  Dflnensande 

verspürt.    Es  war  nicht,  sondern  es  ist  noch  hente,  wie  vor  20  Jahren,  ein 
Kampf  -vnni  FclH;?:nm  Meere",  vom  Bodensee  bis  an  den  Belt.  Zwar  wird  dieser 
l«eftige  Bürgerkrieg  nicht  mit  Blut  und  Eisen,  soudeni  mit  den  Waffen  des 
Geistes  gef&hrt.  Wann  der  Sieg  endlich  entschieden  sein  wird,  wer  kann  das 
wissen?  —  „NAch  ruhen  in  der  Zeiten  Scholle  die  heiteren  nnd  die  schwanen 
Lose."    Was  die  Znknnft  auch  fnr  das  nächste  Jahrhundert  bringm  mag, 
eines  glauben  wir  schon  heute  zu  wissen,  dass  die  gesunde  Mensclit^nveriinnft 
sich  nicht  wird  aus  dem  Felde  schlagen  lassen.    Welches  sind  denn  nun  die 
bisherigen  Erraugenschatten  des  in  Kirche  and  Schule,  in  den  Parlamenten 
und  Bierstoben,  in  den  Vereinen  wie  in  den  Ministerien  geführten  beiBen  Cnltnr- 
Juunpfes  der  letzten  20  Jahre?  Die  grofte  Lehre  fflr  alle  Gebildeten 
ist  die  gewesen,  dass  die  gewöhnlichen  Volksclassen  für  kirch- 
liche Freiheiten  ebensowenig  die  zeitgremäße  Reife  haben,  wie  für 
die  politischen.*)    Daher  war  die  .Vuthebung  der  Maigesetze  eine  unbe- 
dingte praktische  Nothwendigkeit  (?  D.  R.).  Die  nach  Völkerfrieden  duftenden 
Simnltanschnlen  wnrden  doreh  kalte  Kirehenlnft  flberall  niedergedrüelct,  ja  die 
schön  eingewurzelten  Anstalten  waren  »  in  Dorn  in  den  Augen  christlicher 
Heißsporne.   Es  konnte  nunniehi-  das  Unglaubliche  geschehen,  dass  einige  Orte 
Simultanschulen  neben  Confessionsschulen  hatten,  dass  z.  B.  die  Stadt  Elbing 
sechs  siebenclassige  Simultan-Mädchenschaleu  and  sechs  siebenclassige  Con- 
fessions-Knabenschnlen  besaft.  XMeses  Beikel  ist  unseres  Eraohtens  von  giMerer 
Bedeatong  in  dem  sensationellen  Frindpienstrdte,  als  es  anf  den  erste»  An> 
blick  scheinen  könnte.    Wenn  es  wahr  ist,  dass  bei  dem  Lehrerwechsel  zur 
Religionsstunde  an  manchen  Orten  gerufen  worden  ist:  „Katholiken  heraas", 
oder  von  der  anderen  Seite:  „Ketzer  heraas",  so  sind  das  nicht  bloße  Un- 
geschliffenheitra,  sondern  Hetzen,  die  das  Oegentheil  von  dem  fördern,  was 
durch  die  SchOpfling  der  Simnltanschnle  erreleht  werden  sollte,  nimlich  der  Friede. 

Eine  weitere  Folge  des  mit  Dr.  Windthorst  nur  scheinbar  zü  Grabe  ge- 
tragenen Cultnrkampfes  ist  die,  da.ss  die  kleinen  und  großen  Bombensplitter 
als  religiöse  >treitt'ragen  unter  das  Volk  flogen  nnd  dieses  zum* Selbstdenken 
herausforderten.  Gerade  hierin  liegt  ein  großer  Segen,  w  elcher  zu  den  schönsten 
Hoffhnngen  berechtigt 

Einstweilen  befinden  wir  nns  hier  in  den  weitm  Strandgegenden  noch  in 
dem  Stadium  des  f^berganges  za  hoffentlich  besseren  Verhältnissen,  in  welchen 
die  i»ro|)lietis('hen  ^^^J]•te:  „Es  wird  eine  Herde  und  ein  Hirte  werden,"  mehr 
Geltung  gewinnen  mögen.  Es  gab  früher  Fechtvereine,  d.  h.  solche  Vereine^ 
welche  durch  kleine  Gaben  große  Capitalien  ansammelten,  am  damit  oluw  Rttek- 
slcht  anf  die  GenftseiiMi  Waisenhinser  an  errichten.  Jetzt  gibt  es  in  gans 
Xorddeatschland  nar  katholische  nnd  evangelische  Fechtvereine.  Frühw 
gab  es  GesellenToreine,  jetst  katholische  nnd  evangelische  Gesellenvereine. 


*)  Steht  es  um  die  herrschenden  C'lassen  besser?   D.  B. 


Digitized  by  Google 


—  321  — 


Früher  gab  es  Armen  vereine,  jetzt  katholische  und  evangelische  Armen- 
vereine.  Früher  gab  es  Lelirervereine,  jetzt  katholisohe  und  evangelische 
Lehrervereine.  Ein  CtIücIv  ist,  dass  die  katliolisohon  Lehrervereine  in  Preaßen 
noch  meistens  dem  allgemeinen  Laudesverein  angehören  dürfen,  welcher  im 
letsten  Jahre  einen  ZnwaehB  von  3898  ^pfen  erhaltoi  hat  ond  nnnmehr 
39410  mtgUeder  dUt  Wie  lange  die  katitoliaehen  CoUegen  diese  Freiheit 
noch  genießen  werden,  ist  eine  andere  Frage.  Einen  ungleichen  Kampf  führt 
zur  Zeit  der  Voi  sitzende  dos  ormländischen  Lehrervereins,  Herr  Rector  Fischer 
in  Allen-^teiii,  gegen  den  Bischof  in  Frauenburg  wegen  derartiger  Bevormun- 
dung. Wer  hier  unterliegen  wird,  ist  unschwer  voranszasehen.  Ziehen  wir 
ferner  die  Joden-  and  Menonitenfrage  in  Betracht,  durch  welche  Ost-  und 
Westpreußen  selir  stark  berührt  wird,  so  sielit  man,  wie  ungeheuer  sich  die 
religiösen  Differenzen  und  liestrebongen  seit  dem  Beginn  des  sogenannten 
CulturkampffS  zugespitzt  haben. 

Die  evangelischen  Bewohner,  welche  in  Lethargie  die  Decennieu  dahin- 
roUen  sahen,  worden  nnn  aoeh  wacker  aofgerUttelt.  Eine  besondere  Anregoog 
brachte  noch  das  Jahr  1883  mit  seiner  400j&hrigen  Lntherfeier.  Es  ent- 
standen Luther fePtspielc  von  Hans  Herrig  und  anderen,  und  immer  häufiger 
ertönte  in  Stadt  nnd  Land:  „Ein'  feste  Burg  ist  unser  Gott*^,  als  ob  ein  gefÄhr- 
licher  Glaubeusfeind  im  Anzüge  sei.  Es  bildeten  sich  Vereine  zu  einer  Luther- 
stiftong:  Die  deutsche  Lutherstiftnng  steht  unter  der  hohen  Protection 
Sr.  MijeBtftt  des  deutschen  Kaisers  und  K5nigs  von  PreoBen  Wilhelm  ü.  Sie 
gliedert  sich  in  einen  Centraiverein  mit  vielen  Localvereinen  und  ei-strebt  das 
Ziel,  das  Andenken  des  großen  Reformators  im  evangelischen  Tlieile  des 
deutschen  Volkes  rej^e  zu  erhalten  und  damit  gleichzeitig  Zweeke  di  r  Wulil- 
thfttigkeit  zu  vei  binden.  Der  Haujitverein  für  Ostpreußen  ziiiilt  7U4  Mitglieder 
und  hat  seinen  Sita  in  Königsberg.  Im  loteten  Oesohftftaifahre  wurden  Pfarrer- 
nnd  Lehrerkinder  unterstützt  mit  drei  Gaben  k  100  Mk.,  fünf  Gaben  &  75  Hk. 
und  vier  Gaben  -X  50  Mk.  Der  Verein  besitzt  außerdem  ein  zinstragendes 
Capital  von  80(X)  Mk.  Zum  Vorstand  gehören  Oberbürgermeister  Selke,  Pro- 
fessor Dr.  jur.  Zorn,  Gymnasiallehrer  Dr.  Haidas,  Landgerichts-Präsideut  Kessler, 
Goosistortalrath  JAe,  BOsberger,  Commercienrath  Weiler,  Graf  INbihoff-Fried- 
richsstein,  Oraf  Bolenburg-Prassen,  Superintendent  Bschenbach,  General-Super- 
intendent Pötz,  Kechtsanwalt  Dr.  Kranz,  Gymnasial-Director  Dr.  Grosse,  Jnstus- 
rath  Dr.  Jüterbock,  Kittei  triitsbesitzer  Meßling-Zieg'enburg  und  Rittergutsbesitzer 
Dr.  Seydel-Chelchen.  So  schön  auch  alle  solche  Veranstaltungen  sein  mögen,  so 
tragen  sie  zur  Schlichtung  religiöser  Händel  sicherlich  nichts  bei.  Mehr  im  Stiileu 
wirken  auJterdem  emsig  die  Baptisten,  die  Irvinglaner,  die  Hemihuter,  die  Phi- 
lipponen,  die  Reformirten,  die  Oichtdianer  etc.  Ei,  wenn  die  erst  noch  alle  ihre 
Confessionsschulen  beanspruclien.  dann  wird  guter  Rath  theuer  werden!  Doch 
haltl  —  hier  kann  uns  geholfen  werden.  »Soeben  ziehen  die  ersten  Apostel  der 
englischen  Heilsarmee  durch  unsere  Ostprovinzeu.  Gelingt  es  diesen,  die 
nrae  Lehre  rar  Gesammtamtahme  n  Idingen,  so  ist  daa  Ifode.  des  Coltnrlcam]rfea 
besiegelt  Leider  scheint  hieixu  wenig  Aussicht  ra  sein.  Die  in  Daudg» 
Königsberg  nnd  Elbing  vorläufig  abgehalten«!  Versammlungen  waren  nnr  spär- 
lich besucht.  AUe  wurden  durch  Absingen  geistlicher  Lieder  iitid  durch  (ie- 
bete  eröffnet.  In  Elbing  glaubte  man  vielleicht  eher  Propaganda  zu  machen, 
indem  man  einen  bekehrten  Biedermann,  einen  Ostpreußen,  der  Versammlung 

Padacosiain,  14.  Jahrg.  H«ft  V.  23 


Digitized  by  Google 


—   322  — 


vorführte,  welclier  im  liestaurationssaale  gieicii  au  Ort  and  Stelle  ein  langes 
Olanbentbekenntnis  im  eehten  PharisSarton  benagte.  Aach  dieaei  Mittel  nog 
aber  nicht,  nnd  so  ist  es  bei  diesem  einen  „Heiligen"  einstweilen  gebliebeo» 

nnd  der  Kampf  in  der  Kirche  nnd  Schule  dauert  fort.  Mit  großer  Spummg 
sehen  alle  Parteien  dem  Erscheinen  des  neuen  preußischen  Unterrichts- 
gesetzes entgegen.  Möchte  es  gelingen,  durch  dasselbe  den  erseiinten  „Wel(> 
frieden",  wenigstens  in  preoBisehen  Landen,  anzubahnen! 


Aas  der  Fachpresse. 

513.  Pädagogische  Ketzereien  (J.  Mähly,  Schweiz.  Lehrerz.  1891, 
49 — 52).  Ein  geistreicher  Mann,  der  hier  spricht,  ohne  Zweifel!  Aber  er 
urtheilt  oberflächlich,  setzt  „den  Theil  füi-s  Ganze'',  übertreibt  stark,  hantirt 
mit  Phrasen  nnd  Witzeleien,  gibt  vor,  den  tbatsächlichen,  d.  h.  den  Dnrch- 
•ehnltts-Betrieb  des  Unterrichts  sni  schildern,  malt  Jedoch  nnr  die  allerschUnunsten 
Znstände  ans.  Selbst  die  Verhältnisse  der  „höheren"  Scholen  (wo  allerdings 
mehr  als  genug  „Professoren"  ohne  jede  pädagogische  Alinnng  «wirken"),  mit 
denen  er  sich  hauptsächlich  beschäftigt,  verzerrt  er.  Noch  wenisrer  i^erecht 
wird  er  der  Volksschule ;  den  gegenwäitigen  Stand  der  Volksschulpädagugik, 
die  Tielfluh  erfreallehen  Leistongen,  die  wackeren  Befbrmbestrebnngen,  Ton 
denen  nnsere  Fachpresse  zengt,  kennt  er  ttherhanpt  nicht.  „Es  ist  —  naeh 
Hm.  M.  -  ein  unanfechtbarer  Haupt-  nnd  Cardinalsatz,  dass  die 
Schule,  und  selbst  die  besteingerichtete,  im  Grunde  ein  nothwen- 
diges  Übel  sei*'  (weil  sie  so  viele  so  verschiedene  Individualitäten  „za- 
sammenpferdit''). 

514.  Ist  die  Schule  ein  nothwendiges  Übel?  (G.  Stocki,  Sehwds. 
Lehrers.  1891,  50. 51).  Entgegnung  anf  den  „Hanpt-  nnd  Cardinalsats"  des 

Vorigen.  —  „Eine  in  jeder  Hinsicht  gut  eingerichtete  Schule  ein  wfirdigeg, 
der  vollen  Kraft  der  Besten  wertes  Ziel  der  Zukunft."  —  Wie  nach  des  Verf. 
Wunsch  eine  „best  eingerichtete''  Schule  aussieht:  Classe  mit  40  Kindern  in 
zwei  Jahrgängen,  also  2  mal  20  („es  ist  aus  einer  Reihe  von  Gründen  gut, 
wenn  immer  die  Hftlfte  der  Classe  sehriltUch  arbdtet").  Kinder  gnt  genllirt 
nnd  gesnnd  (wofür,  wenn  nöthig,  „ selbst verstftndlich"  der  Staat  sorgt),  normal 
begabt  (Schwaclibotrabte  und  Einseitigveranlagte  ausgeschieden).  Räumliche 
Verhältnisse,  Ausstattung  der  Zimmer  vollkommen  entsprechend.  Lehrer  mit 
möglich  freiem  Spielraum  (nicht  „eingeschnürt  darch  Keglemeuts,  Stundenpläne, 
Haadhficber,  Examen  n.  ä.").  Maßgebend  fir  Stoffiraswahl:  Yerdannngsprocess 
der  kindlichen  Seele  (Stndinm  desselben,  Saamlnng  beaflglielier  ErlUmmgen 
„vornehmste  .Aufgabe  des  Schnlmanne.«i").  Die  wirksamsten  Beweise  fttr  den 
höheren  Wert  des  Cla.^sennnterrichts.  („Die  Pädagogik  wird  dem  Einzel- 
unterricht niemals  den  Vorzug  vor  dem  Classenunterricht  einränmen  können." 
Sobald  es  „be.st  eingerichtete"  Schulen  gibt  —  allerdings!) 

515.  Über  die  Ordnung  der  Natnr  und  ihre  Bedeutung  für  das 
Ersiehnngswesen  (Bfthring,  Pftla.  Lehrers.  1891,  28).  Wir  notiren  gern 
an  yemnnftii^n  -.  Wort  wie  das  folgende  (wenn  wir  den  Gedanken  auch  niclit 
zam  ttsten  Maie  ansgesprochen  hören):  ,  Anf  dem  heimischea  Boden,  der  überall 


Digitized  by  Google 


—  823  — 


triebkräftig  ist  oder  triebkräftig-  gemacht  werdeu  kann,  nmss  das  £rciehiuig8- 
werk  aufgebaut  werden,  nicht  auf  l'ajjicr  und  Druckerschwärze." 

516.  Vorschläge  zur  Uebung  der  pädagogisch-literarischen 
Kritik  (DentMfae  Sdinlpr.  1891,  61).  Verf.  empfiehlt  in  seinem  kurzen 
MpnisgekrOnten"  Aufsatz  u.  a.  „summariedie  Übersichten"  dieaer  Art:  „Durch 
Znsammenstellnng  ähnlicher  ErscheinnDgen,  darch  Beleuchtung  von  vei-schie- 
denen  Gesichtspunkten  aus,  durch  Hervorhebung  der  Vorzüge  und  Mängel  dei- 
einzelnen  Bücher,  durch  Angaben  darüber,  welche  Bedürfnisse  durch  diese» 
oder  jenet  Boeh  befriedigt  werden  ete.  — *  küanten  (im  Verhältnis  za  der  Zahl 
der  besprochenen  Schriften)  kni^pe  AnflAtie  geschaflisn  werden,  welche  sidi 
intereesanter  lesen  ale  gew5bnUche  Recensionen,  eine  Übttlicht  geben  über  die 
neueren  Fachscliriften  und  es  ennögliclion.  dass  der  Leser  aus  der  Menge  der 
Neuheiten  das  für  seine  Ansprüche  Geeignetste  heraustindet."  —  Eine  /war 
nicht  neue,  in  unseren  Fachblättern  aber  doch  nur  selten  dargebotene  Form 
(weil  ihre  nothwendigen  Bedingungen  großes  stiUstitehes  Qeechlck,  Treflbidier* 
heit,  umfassende  pädagogische  und  wissenschaftliche  Bildung  sind). 

517.  Aufgaben  der  Bürger  den  Lehrlingen  gegenülicT  iScluile 
und  Werkstatt*),  1891,  „Der  Bürgerschaft  fällt  die  hohe  und  lolinende 
Aufgabe  zu,  alle  Einrichtungen,  welche  geeignet  erscheinen,  dem  aufwachsen- 
den mtanlidien  Geschlecht  (die  Begehungen  zur  Funilie  nnd)  den  freien  Ver> 
kehr  mit  Erwachsenen  xn  erleichtem,  thatkrifticr  sn  nnterstfitxen."  Beispiel: 
Lehrlingsabtheilnngen  in  (Berliner)  Turnvereinen.  Nothwendiger  Monatsbeitragp 
seitens  der  freiwilligen  Förderer:  20 — 30  Pfg.  Verlauf  der  fibnngsstunden: 
Kürturnen  —  Volkslied  —  geregeltes  Turnen  (bei  den  GerUthübungen  Mit- 
glieder der  Mäimerabtheilungen  als  ßiegenführer)  —  Kürturnen  —  Volkslied. 
S^ele  —  TnmflEihrten.  Bedeutung  und  vielseitige  Aul^be  äier  Leiter. 

518.  Der  Religionsunterricht  und  seine  Reform  (Fricke,  Die 
deutsche  Vttlksscliule  1891,  21—25).  Zweckbestinunnng:  „Der  Uoligions- 
unterricht  niuss  in  die  Balinen  inneilichei-  Einwirkung  geleitet  werden,  wenn 
er  seinen  Zweck  —  Willensläuterung  —  erfüllen  soll."  Er  soll  den  Schüler 
also  geschickt  machen,  dais  er  qtftter  im  Leben  drauBen  „den  Schwerpunkt 
aller  Ereignisse  in  sein  Inneres  zu  legen''  ffthig  ist  —  die  Wege  balinen  nsur 
Selbsterkenntnis,  die  das  Übel  nicht  im  Äußeren,  sondern  im  Inneren  sucht, 
wodurch  der  Selbstverblendung  entgegengewirkt,  die  Unzufriedenheit  aufgehoben 
wird  und  der  Mensch  die  rechte  Ötellung  zu  seinem  Nächsten  gewinnt."  — 
Keine  Neuigkeit,  nur  eine  nothwendige  Wiederholung. 

519.  Hauswirtschaftlicher  Unterricht  ^ftd.  Beform  1891,  34). 
Verf.  behandelt  die  Frage  als  „Ketzer."  Und  in  zwei  wesentlichen  Punkten 
hat  er  Recht,  indem  er  n.lmlieh  1.  das  vielfach  noch  Dilettanten-  und  Pfuscher- 
hafte  der  bezüglichen  Bestrebungen  tadelt.  2.  treft'end  beiiu  rkt :  Der  nächste 
Schluss  (aus  der  Thatsache  der  wirtschaftlichen  und  gemüthlichen  Missstände 
in  der  sog.  Arbeiteifamilie)  wire:  der  „Arbeiter"  und  d«r  kleine  Handwerker 
mttssen  so  gestellt  werden,  dass  auch  von  ihren  HSusem  und  ihren  Hausfrauen 

das  vielcitirte  Wort  Schiller's  (,  und  drinnen  waltet  und  lehret  die 

Hftdchen**)  gelten  kann.  Da  aber  diese  Schlnssfolgerung  schon  stark  nach 


SsMitthcilungen  des  Vereins  für  das  Wol  der  aus  der  Schule  entlassenen 
_  Berlin. 

23* 


Digitized  by  Google 


-~   324  — 


Socialdemokratie  rieclit,  und  ili<^  Scluile  iiaoli  g'cwissen  ..Autoritäten"  auch  die 
AufMrabe  hat,  die  Socialdemokratie  zu  bt'käinj)tVn,  sn  muss  die  „ßocialc  Frage** 
auf  anderem  Wege  gelöst  werdeu,  und  so  kommt  mau  „natürlich'*  auf  die 
HanBhaltmignchüleii  und  den  hantwirtschaftliclMii  Unterricht. 

520.  Das  Zeichnen  von  Blü ten formen  (Th.  Wunderlich,  Die  Kreide 
1891,  IX).  Der  Untorri(  ht  im  freien  Zeichnen  soll  die  Bestrebnnseu  dei-  Neu- 
zeit, die  Formen  der  heimischen  Flora  dem  Kunstg-owerbe  mehr  und  mehr 
dienstbar  zu  macheui  berücksichtigen  —  deshalb  Vorlagen,  welche  durch  eiu  Ab- 
seielinai  nntllrildwr  PAatyMiifonnen  mit  geringer  ümMdong  gewonnen  vraiden 
kfionen.  Eine  Beilage  bietet  »einige  duomlcterietiaelie  Beispiele  loldier  Blttteii- 
formen"  (von  Butomns  umbeUatus,  Tilia  paryifolia,  Borago  ofßcinalis,  Solannm 
tuberosum,  Myosotis  palustris,  Geraninm  pratenseX  pezpiohnet  nach  natürlichen 
Pflanzen,  jedoch  nicht  naturalistisch  /'dass  alle  jene  I  riregelmüßigkeiten  und 
Zufillligkeiten,  welche  die  Naturform  autweiüt,  wiedergegeben  wären),  sondern 
■0,  daas  die  geometral  augebreitete  Blfitenlbrm  Ton  allen  Mängeln  befreit 
eneheint  (Theile  symmetrisch  durchgebildet  und  mit  Hinsicht  auf  den  orna- 
mentalen Zweck  frei  umgestaltet).  Selbstverständlich  mehrei  e  natürliche  Exem- 
plare zur  Vergleichung  vorhanden.  Überdies  peeieiiete  Besprochuner,  wobei 
einerseits  „botanische  Belehiungen  nicht  umgangen  werdeu  dürfen'',  anderer» 
seita  dareh  die  Schfiler  die  „cbarakteriatiMlien  UttlliiUnien**  an  finden  aind. 

521.  S&tse  für  den  Schreibnnterrieht  an  gewerblieliea  Vor- 
bereitungsschulen  (K.  Prinz,  Päd.  Rundschau  1891,  XI).  Der  Vorschlag, 
die  l^bnngssätze  voniehmlich  der  Gesundheits-  und  Wirtschaftslehre  und  den 
besonderen  Berufsverhältnissen  zu  entnehmen,  lässt  sich  hören  (ist  übrigens 
nicht  neu,  und  Verf.  bringt  außerdem  noch  .Kegeln"  aus  anderen  Gebieten). 
Nnr  sollten  „MneterAtae"  (aelbatvereUlndlich)  durch  eine  gewiaae  Vornehmheit, 
jedenfalls  Gedrängtheit  des  Stils  sich  auszeichnen.  Dieser  Vorschrift  genügen 
aber  diejenigen  des  Hrn.  Pr.  in  dei-  MiOirzabl  nielit:  sie  sind  wortreich,  alt- 
backen, schulmeisterlich  —  etliche  sogar  komisch  oder  sinnlos,  wie:  »Suche 
dir  deine  Concurreuteu  durch  gediegene  Arbeit  und  rasche  Bedienuug  vom 
Habe  (!)  zu  aehaffen."  (Wenn  nnn  —  waa  man  doch  «teacht  —  alle  dleaer 
Hahnanfir  folgen,  wer  liaat  aieh  dann  „Tom  Halae  aehaifen"?)  „Daa  Kind  er- 
ziehe man  kindlich,  den  Jüngling  mit  Ernst  und  gründlich."  „Den  starken 
Mann,  den  schwachen  Greis  erziehet,  Menschen,  mit  Fleiß  (11).  —  So  was  ist 
also  in  unserer  l^'acbpresse  immer  noch  „möglich". 

Von  neuen  Broschüren  ist  vor  allen  eine  hochwichtige  Eondgebuug  des 
lierühmten  Münchener  Professors  J.  Frohschammer  zu  erwähnen.  Sie  führt 
den  Titel:  „Tu  es  Petrus!  Ein  geschiclits-  und  religionspliilosophischer  Essay" 
(Breslau,  Eduard  Trewendt,  32  Seiten).  Der  gelehrte  und  scharfsinnige  Verf. 
unterzieht  diejenigen  Stellen  dea  neuen  Teatamentea,  welche  als  Beehtabaaia 
fBr  daa  Papatthun  geltend  gemaebt  wwden  —  Ifattfaiaa  XVI,  18 1  and  einig» 
andere  —  einer  grttndlichen  Untersuchung  bezüglich  ihrer  Echtheit  nnd  Be- 
deutung, um  zu  einer  klaren  Entscheidung  über  die  wichtigste  aller  jetzt 
schwebenden  Culturtragen  zu  gelangen.  Wie  bei  Fiohschammer  diese  Ent- 
scheidung ausfällt,  dies  möge  mit  ein  paar  Sätzen  seiner  Abhandlung  bezeichnet 
werden.  „Weder  ist  irgendwo  beseogt  oder  bewieaen,  daaa  Petroa  je  Bischof 


Digitized  by  Google 


—   325  — 


in  Bom  war»  da  vielmdir  alle  l>eg]ftili%teB  DrkimdMi  dämm  icbweigen  oder 
feradeni  daa  G«geiitlieU  andeuten,  noch  itt  dem  Petroa  Je  ven  diriatui  der 

Primat  über  die  übrigen  Apostel  und  die  ganze  Kirche  fibertragen  worden." 
Bezüglich  der  Begründung  des  Papstthnnis  anf  die  Stelle  bei  Matthäus  nnd  auf 
einige  Ähnliche  kommt  Frohschammer  insbesondere  zu  folgendem  Resultate: 
„Wer  dieselbe  zurückweist  als  unecht  oder  ongiltig,  der  thut  nichts  andei-es, 
ala  waa  Petnu  aelbat  und  die  Apoatel  gethan  haben.  Wenn  dagegen  daa 
römische  Papstthnm  aich  auf  diese  Stelle  nnd  ein  itum  andere,  ebenso  proble- 
matische gegründet  hat  und  noch  darauf  stützt  mit  seinen  Ansprüchen  auf 
Vorrang  und  Herrscliaft.  so  handelt  es  dabei  vollständig  anders,  als  Petrus  selbst 
sammt  den  übrigen  Aposteln  und  die  ganze  alte  Kirche  gethan  haben.''  Diese 
Citate  aollen  nicht  mm  blinden  Glauben  an  Frohaehammera  Lehre,  sondern  an 
eniatem  Stadinm  nnd  grBndlicher  Prttflmg  aeiaer  Sehiift  aalftirdem.  Ea  liegt 
Mer  ein  „  Entweder  —  oder"  vor,  dem  nur  Schwachköpfe  oder  schwankende 
Charaktere  ausweichen  können.  Entweder  ist  der  Papst  Christi  niid  Gottts 
Statthalter,  oder  er  ist  es  nicht.  Im  ersten  Falle  sind  ihn»  alle  Völker,  Staats- 
lenker and  Fürsten  bis  zu  den  Kaisern  hinauf  unbedingten  Gehorsam  schuldig; 
im  anderen  Falle  aind  aeine  Anaprfiche  nnbereehtigl  Tertinm  non  datar,  außer 
fGr  achwache  und  zwoidentige  Seelen.  Die  Frage  mnss  entschieden  werden, 
wenn  über  dio  ('>rnndbedingung  aller  Cultur,  über  die  Geistes-  und  Gewissens- 
freiheit, entschieden  werden  soll.  Niemals  wird  sie  verstummen,  bis  sie  endgiltig 
gelöst  ist,  sei  es  im  Triumphe  oder  im  Untergange  der  modernen  Cultur.  Hier 
gilt  nicht  farbloae  Halbheit,  dipIomatiBehea  Laviren,  hinterhaltigea  Schachern, 
Ekiftgegenkommen  nnd  Anaweichen,  aondem  aar  ein  Uarea  Ja  oder  dn  Uarea 
Nein  nnd  ein  dementsprechendes  mannhaftes  Handeln.  Es  wftre  doch  endlich 
Zeit,  dass  man  begriffe,  um  was  es  sich  handt-lt.  Am  27.  December  des  Jahres 
1891  ist  im  Lateran  das  von  Leo  XIII.  seinem  \  ui-bilde,  dem  Papste  Inno- 
cenz  III.,  errichtete  Denkmal  enthflllt  worden.  Und  dieser  Innocenz  III.  be- 
zeichnet den  Gipfelpnnkt  der  pftpetUchen  Anaprttche  nnd  der  pipatlichen  Gewalt; 
die  Oberherrschaft  Uber  Kihlige  nnd  Kaiser  erldirte  er  für  sein  unanfechtbares, 
gottgesetztes  Krdit.  welches  er  dann  auch  trinniphirend  durchsetzte.  Nun  hat 
ihm  sein  Nachlulger  in  diesen  Tagen  ein  Denkmal  errichtet.  Ist  es  da  nocli 
immer  nicht  Zeit,  dass  die  Völker  erfahren,  worauf  denn  eigentlich  das  Recht 
der  rOmiachen  Weltheirschaft  bemhe?  Wir  glauben,  daaa  Frohachammer  ein 
aebr  seitgemBBea  Thema  angeaehlagen  hat  mit  aeinem  «Tn  ea  Petmal"  — 


In  Preußen  werden  noch  immer  die  Ergebnisse  der  bekannten  Berliner 
Schnlconferenz  lebhaft  erörtert.  Wer  sich  in  Kürze  über  die  Hauptpunkte  der  \  er- 
handlungen  eine  klare  Infimnation  verschaffen  will,  dem  empfehlen  wir  die  kleine 
Schrift  Tom  Oymnaaialdireetor  Dr.  Grnmme  in  Gera:  „Die  wichtigeren  Be- 
tehlfiase  der  Berliner  Schnlconferenz  von  1890  nebst  ein  paar  kurzen  Betrach- 
tungen über  die  Reform  des  höheren  Schulwesens"  (Gera  bei  Hofmann,  30  S.). 
Der  vollständige  (ofticielle)  Bericht  über  diese  Verhandlungen  ist  in  t  iueiii 
Bande  von  ÖOO  Seiten  erschienen  und  erfordert  ein  langwieriges  Studium,  zu 
deaaen  Eileichtemng  kürzlich  ein  aehr  «rwllnachter  Behelf  nnter  tilgendem 
Titel  erschienen  iat:  „Alphabetlach  geordnetea  Sachregister  zn  denVerhand» 
Inngen  etc.  Heranagegeben  tob  Dr.  H.  G.  Stemmler**  (Ohrdruf,  Seibatverlag, 
23  Seiten). 


Digitized  by  Google 


—   326  — 


Im  Caaton  Bern  ist  von  einer  aus  angesehenen  Schalmftnnem  zusammen- 
gwetitai  Commtedoii  ein  «Catalog  fttr  die  Lehrerbibliotheken"  so- 

sammengestellt  worden,  welcher  auch  andcrwJlrts  als  guter  Kutligiber  bei 
Anschaifung  von  ßüchersaminlnng:en  für  frrößere  Lehrerkreise  Heachtung  ver- 
dient. Der  als  Mannscript  gedruckte  Catalog  dürfte  auf  Verlangen  von  Hm. 
Seminardirector  M artig  in  Hot'wyl  bereitwillig  geliefert  werden. 

Bai  Scbmid,  Fraoeke  &  Co.  in  Bern  iet  eine  nBibÜMb-topographiselie 
Karte  von  Paltetina"  von  B.  Leuzinger  (Preis  H.  1.60)  enehienen,  welche  ala 
eine  ganx  vorzügliche  Leistung  der  Kaitographie  bezeichnet  werden  kann. 

Der  Lehrerverein  „Freie  Schnle"  zu  Horn  in  Niederösterreicli  hat  einen 
vomBürgerschallehrer  Alois  Sehr  impf  verfassten  „Leitfaden  für  deuEieiuentai*- 
nntenicht  in  der  mathematischen  Geographie**  (43  Seiten,  30  Kreuer.  Yerlaflr 
des  genannten  Vereins)  henuugegeben,  weleher  in  Faehknisen  viel  Beifiill  ge- 
ltenden hat. 

Von  der  Hingst  als  vortlipilbaft  bekannten  Si^hnljreographie  TOn 
E.  V.  SeydlitK  i  Verlag-  von  F.  Hirt  in  }?reslan  u.  Leipzig)  ist  eine  italienische 
Bearbeitung  erschienen,  deren  erste  AuHuge  in  5üOU  Exemplaren  binnen  sechs 
Wochen  verlEaaft  war. 


Nachtrags. 

In  PrenBen  ist  wieder  einmal  ein  Scliulgesets-Entwnrf  anf  der  Tiigt-ä- 
Ordnung.  Die  Bespreehnng  desselben  mnsste  wegen  schwerer  Erltranknng  des 

Hwransgebers  dieser  Blätter  dem  nftchsten  Hefte  vorbehalten  bleiben. 

Am  28.  Januar  fi  icrtf  nnst-r  ven  hrt«  r  AlitarTx'iter  Herr  Theodor  Ver- 
nuleken  seinen  achtzigsten  Geburtstag.  Wir  kommen  hierauf  im  nächsten 
Hefte  aorttck. 


Digitized  by  Google 


t 


Literatur. 

H*  Stkemf,  Sdudinspector  in  Worms,  Wegweber  zur  Fortbildung  dentaeher 

Lehi-er  in  der  wissenschaftlichen  nnd  praktischen  Volksschnlp&dagogik  and 
zam  Äasban  derselben.  Auf  g^chichtlicher  Grundlage  nnd  mit  Angabe  der 
Literatur  und  Lehrmittel.  I.  Die  wissenschaftliche  Volksschulpädugogik, 
394  S.  Leipzig  1892,  Friedrich  Brandstetter.   5  Mk. 

Verfasser  bietet  zunächst  einen  Überblick  der  geschichtlichen  Bütwidielliiig 
dor  (Iciitsrhen  Volksscbulpädagogik  und  VoIkKschtiTc  l>is  auf  Diesterwcg,  worauf 
er  das  Zeitalter  Diestcrwcgs,  diesen  selbst  und  seiuc  Mitarbeiter,  besonders 
deren  Pädagogik  darstellt,  dann  den  Ausban  der  Pädiigogik  nach  Diesterweg 
ausführlich  vorführt  und  schlieBlich  eine  vergleichende  Charakteristik  der 
Diesterwegschen  und  der  Herbart-Zillerschen  Pädagogik  entwirft.  Ein  lite- 
rarischer WegM'eiser  schließt  den  Band  ab.  Die  Arbeit  zeugt  von  umfassender 
Sachkenntnis,  großem  Fleiße  nnd  klarem  Urtheil.  Die  verschiedenen  Bich- 
tungen anf  dem  Gebiete  der  Pädagogik  und  Methodik  der  Volksschule  bis  zur 
(icgcnwart  werden  eingehend  nnd  objeotiT  dargelegt,  wobei  als  besonders  ver- 
dienstlich hervoxsuheben  ist,  daaa  Scbertr  die  Diea  tax  wegsehe  P&dagogik, 
welche  seit  Iftngeren  Jahren  dtinh  ünwineidieit,  Stthnperei  nnd  Afterweiraeit 

im  Bunde  mit  reactionärein  Geiste  stark  verdunkelt  und  in  raam  hen  (legcuden 
fast  verdrängt  war,  wieder  in  das  gehörige  Licht  gestellt  hat.  Sein  Werk 
kann  der  hentigen  deatsbhen  Lebrerwdt,  oesoniton  der  jüngeren  Generation, 
in  der  Thiit  als  wertvoller  ^"Wccrweiser"  cmpfohluii  worden.  Ks  bietet  der- 
selben eine  ^te  Grundlage  und  zugleich  die  Mittel  nnd  Wege  zu  grtlndiicher 
Forttiildung  in  ihrer  Bexämnanflenalt.  D. 

Dr.  M.  M.  Am«ld  SeM«r,  Prof.  a.  d.  Univers.  Freibnrg  L  Br.,  Über  Ehv 

Ziehung,  Bildung  und  Volksinteresse  in  Deutsdiland  nnd  England.  99  S. 
Dresden  18U1,  Oskar  Damm.    1  Mk.  50  Pf. 

Eine  Reihe  von  Abhandlungen  über  tolgende  Themata:  Schule,  Erziehung 
and  Wetthemchait  der  Engländer.    Die  Lehr-  und  Lemfreibeit  an  unseren 

FiiiversitUten.  Wissenschaft  und  Publicum.  Literarische  Production  und  (  her- 
production.  Unsere  Bibliotheken.  Zur  Beurtheilung  der  heutigen  Engländer: 
Drage's  Cyril.  —  Es  sind  vorzugsweise  die  obersten  Stufen  des  Bildungiweaena 
und  die  ihnen  dienenden  Mittel,  Kräfte  nnd  .Vnsfalfen  in  Betracht  srczogen. 
Dabei  sind  durchgehcnds  die  Zustände  in  Deutschland  und  die  in  England 
einander  gegenübergestellt,  um  das  Bessere  von  beiden  Seiten  zur  Geltung  zu 
bringen.  Hauptzweck  ist  dem  \''erfasser  einerseits:  Die  Wissenschaft  ilrr  Na- 
tion verständlich  und  wert  zu  machen,  anderseits  die  Nation,  ihre  Woliltahrt 
und  Shie  der  Wissenschaft  an.s  ]{<  rz  zu  legen.  Der  Vortrag  ist  —  soweit  es 
bei  so  gewichtigem  Stoffe  möglich  —  lei(£t,  elogBat^  fenületoniatisch ,  aber 
geistreich,  abgeklärt,  gediegen.  J.  S. 

A.  Ernst  nnd  J.  Tews,  Dentaches  Lesebnch  Ittr  Btftdtlidie  nnd  gewerbliche 
Forfcbüdnngiachnlen.  Zugleich  als  Hann-  nnd  Familienbneh  lllr  Handweiter 

nnd  Gewerbetreibende.  Band  L  Für  einfachere  Schnlverhältnisse  und  die  un- 
teren Stnüm  mefarclasdger  Fortbildnngaschnlen.  377  a  1  Mk.  50  Pt  Band  IL 


• 

Digitized  by  Google 


—  328  — 


Für  die  oberon  Stufen  niohrclassig^er  Foitbildnngaachuleii.  430  S.  1  11k. 
70  Pf.    Leipzig  und  Berlin,  Julias  Kliukhardt. 

Im  vorigen  Hefte  dieser  Zeitschrift  haben  wir  das  von  den  Hemn  Ernst 

lind  Te\\>  lirr:i:i«<;cp:cbcne  deut.sche  Lr«ol)uch  für  Mädchenschulen  angezei^ 
uDd  empfohlen.  Mit  gleicliem  Beifall  briiigon  wir  das  flir  Fortbildungs- 
schulen bestimmte  LeKbuch  derselben  VenEwser  rar  Kenntnis  der  betheili|^ 

Kreise.  PasHoHie  ist  für  Lehrlinge  und  Gehilfen  des  Handwerker-  und  (le- 
wcrbciitandeä  bestimmt,  zugleich  aber  auch  sehr  geeignet,  den  bereits  gereiften 
Qliedem  dieser  Oeeellschaftsclasse  als  belehrendes,  unterhaltendes  und  gemüth- 
bildendes  Lc^^obuch  zn  dienen.  Besonrlere  Rücksicht  ist  bei  Abfassung  de«selben 
auf  die  iu  Preußen  und  im  deutschen  licichc  für  den  Gewerbestand  maß- 
gebenden Verlialtnis.se,  Gesichtspunkte  und  Nonnen  genommen.  Die  Anordnung 
des  Stoffes  ist  nach  deui  rrin<  ip  erfolgt,  ebenso  diis  eigenthüniHcbe  Berufsleben, 
wie  die  ethischen  .Seiton  der  socialen  Verbände  (Familie,  Gemeinde)  und  die 
Kechte  und  Pflichten  des  Staatsbürgers  gleiehmifiig  zur  Geltung  zu  bringen. 
Kin  Anhang  brin-rt  schätzenswerte  Anwei.-<iung  und  Muster  für  schriftlichen 
Verkehr  (Geschatt.-aufsätze).  Auch  bei  diesem  Werke  ist  die  bewährte  cou- 
oentiische  Disposition  zur  Anwendung  gekommen,  sodass  der  zweite  Band  als 
eine  naturgemäße  Vertiefung  und  specicUerc  Ausarbeitung  des  ersten  erscheint. 
Die  Verlagshandlung  hat  wie  immer  durch  solide  Herstellung  und  billigen  Preis 
des  Werkes  die  Intenttonen  der  Heransgeber  wirksam  naterstfltst  M.  K. 

C.  M.  Sauer,  Italienisches  Conversationslesebncli,  4.  Auflage.   XII  IL  400  S. 

Heidelbeifr  1S<)1.  Julius  Groos.  Geb.  Mk.  ()0  Pf. 
T.  ii.  G.  Valette.  Niederländische  Con\ ersatidiis-tirammatik,   VI  u.  370  S. 

Heidelberg  1891,  Juüus  Groos.   Geb.  -4  Mk.  60  Pf. 

I^.  Wladislaiu  Wicberkiewiei,  Polnische  CkmTersatioBs^raminatik.  Vn  n. 

485  S.  Heidelberg  1892,  Julius  Groos.  Geb.  4,60  Mk. 

Indem  wir  unsere  Leser  auf  die  obigen  neuesten  Biinile  der  bei  Julius  Groon 
iu  Heidelberg  erscheinenden  Sammlung  neusprachlicher  Lehr-  und  Lesebücher 
nach  der  Methode  Gaspey-(  >tto-Sauer  aufmerksam  machen,  halten  wir  eine 
weitere  Empfehlung  derselben  iu  Anbetracht  des  außerordentlichen  Beifalle>, 
den  die  Gaspey-Otto-Sauerscben  Sprachbücher  bisher  gefunden,  für  Uberfiilssig. 

Rudolf  Knilling,  Der  ZaUennuiiii  von  1 — 20.  Ein  Leitfaden  bei»  ersten 
Unterrieht  in  Stadt-  nnd  Landaehnlen.  43  S.  Kllnehen  1892,  Theodor 

Ackermann.    60  Pf. 

Bekanntlich  hat  Vcr£.  mit  eigenthUmlichen  BefoxmTersuchcu  auf  dem  Gebiete 
des  elementaren  Rcchennnterrichtes  eine  lebhafte  Bewegung  hervorgerufen,  die 
an  ihm  selbst  nicht  spurlos  TorQbergegangen  ist.  Pas  vorlietjende  S.  hrit'trlien 
zeigt,  dass  er  sich  von  gewissen  Irrtottmem  nnd  Misaghflcu  losgemacht  und 
sich  den  bewihrten  Grandsitsen  nnd  methodisehen  Behelfen  des  Beehennnter» 
richts  wieder  genähert  hat.  Gern  citiren  wir  aus  dem  Vorworte  seiner  neuen 
Arbeit  den  Sats:  »Der  Abfassung  des  Leitfadens  sind  die  gründlichsten  und 
sorgfültigaten  Stnwen  Torangegangen."  Andi  wollM  wir  ihm  nieht  wider- 
spr« .  Iu  II,  wenn  i  r  lieit'ün^t:  ..l  ud  so  dürfte  es  dem  VerfHS.ser  in  der  That  ge- 
lungen sein,  etwas  Gutes,  Brauchbares,  Praktisches  und  vielleicht  sogar 
Mustergiltiges  sn  sdialFen.''  JedenCdla  wird  es  sich  IdaMB,  den  hier  geaeigten 
Gang  einmal  ornstlirJi  dnrchsoflUiien}  er  ist  Idar,  leidit,  natflilioh  und  ver* 


8.  F«  Mnderlok  nnd  G.  E  Kröger,  Beetoren  in  Oldenburg,  Bechenbach  in 
iwef  TlieOen.  L  Tbl.  166  S.  11.  Anfl.  1  Uk.  n.  TU.  186  S.  18.  Anfl. 

1  Mk.   Oldenburg  1890,  Schulze. 

Die  AuiB;aben  beginnen  sofort  mit  dem  unbegrenzten  Zahlenraume,  zunächst 
mit  Tier  GrnndTeehnQngBarten  in  gansen  nnbemmnten,  dann  in  mdimamigen 
Zahlen,  darauf  folgt  das  Hechncn  mit  gemeinen  nnd  schließlich  das  mit  Deci- 
malbrüchen.  Wir  haben  uns  schon  wäderholt  dahin  ausgesprochen,  dass  die 
Dedmalbrilehe  vor  den  gemeinen  Brflohen  leieht  zn  behanddn  sind,  weil  die 


M.  J. 


Digltized  by  Google 


—   329  — 


Schüler  infolge  der  decimalen  Thoilungf  von  Münzen,  MiiCen  und  Gewichton 
in  Bezug  auf  diese  Brüche  ein  weit  vollständigeres  Anschauungsmaterial  be- 
•itHn,  als  fnr  gemeine  Brttche.  —  Die  yereldikchtc  Division  nämlich  olme 
Äufscnreibnng^  der  abzuziehenden  Theiljirnduetc,  scheint  den  Verfassern  noch 
unbekannt  zu  nein;  im  Übrigen  haben  wir  nur  zu  bedauern,  dass  l'Ur  Decimal- 
brüchc  ein  kleinerer  Typensatz  geitraueht  wurde  und  überhaupt  der  Sats  an 
vielen  Stellen,  z.  B.  Seite  05— (58,  dann  125—129  und  155—159  so  gedrängt 
erscheint,  dass  er  den  Augen  uni.souiehr  em2)tiQdlicii  wird,  als  auch  das  Papier 
keine  gaos  weiBo  Far})c  besitzt. 

f^>er  den  zweiten  Theil  hatten  wir  schon  Gelegenheit  uns  sehr  anerkennend 
auszusprechen,  da  sein  reicher  Inhalt  iu  Bezug  auf  bürgerliche  Eechnungsarten 
nnd  Verwandtes  ihn  zu  einem  höchst  beachtenswerten  Lehrbehelf  für  Hürger-« 
Handels-  tind  Gewerbeschulen  macht.  H.  E. 

J.  Welcker,  Oberlehrer  zu  Wiesbaden,  Übungsbuch  zum  mündlichen  und 
schriftlichen  Rechnen,  vollständige  Umarbeitang  des  Übungsbuches  von 
B.  FrickhSffer.  3  Hefte.  5.--13.  Aull.  WfeabaAen  1890»  Limlwrth. 
Jedes  Heft  40  Pf. 

Des  ersten  Heftes  erste  Abtheilung  ist  für  die  ersten  zwei  Schuljahre 
bestimmt;  die  erste  Stufe  enthält  den  Zablenraum  bis  fünf,  dann  folgt  die  Ab- 
stufung von  jeder  Deeade  zur  anderen.  Im  gansen  Hefte  kemmt  nur  Addition 
und  Subtractir)n  vor.  welche  Rechnungsarten  zu  dem  sogenannten  Ziihlcn  in 
Reihen  entwickelt  werden;  auf  diese  Art  und  Weise  war  der  Rechcnüut<  rricht 
schon  vor  50  Jahren  üblich.  Man  kann  nun  nicht  sagen,  dass  die  Kinder  vor 
50  Jahren  nicht  auch  rcclmen  gelernt  hätten,  doch  wurden  >either  bezüglich 
der  Leichtigkeit  des  Erlernens  mittelst  der  Grubescheu  Methode  so  gün- 
stige Erfahrungen  gemacht,  daas  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Lehrer  und 
der  Lehrbücher  mehr  oder  weniger  sich  dieselbe  2U  eigen  gemacht  haben. 

Des  ersten  Heftes  zweite  Abtheilung  ist  uns  nicht  zugegangen,  dürfte 
aber  wahrscheinlich  die  Multiplication  und  l^ivision  mit  ganzen  Zahlen  ent- 
halten. Das  zweite  Heft  lässt  abwechselnd  zwei  Abschnitte  Über  dasBcchnen 
mit  gemeinen  Brüchen  und  zwei  mit  mehrfach  benannten  Zahlen  aufeinander 
folgen.  Der  fünfte  AIim  imitf  enthält  Aufgaben  über  das  Rechnen  mit  Decimal- 
brUdien.  Der  Verfasser  vertheidigt  diese  Anordnung  mit  derBehauptung,  dass 
im  Vericehmleben  die  gemeinen  mllehe  hBufiger  vorkommen  nnd  daher  dem 
Verständnisse  d«>s  Kindes  näherstehen,  eine  BiTiauptung.  welcher  wir  durchaus 
widersprechen.  Wir  haben  uns  ttbeizeugt,  dass  seit  Einführung  der  decimal 
getheilten  Ifflnsen,  Maße  und  Gewichte  das  anschauliche  YerstSndnis  der 
Kinder  für  die  Decinialbriiche  mindestens  ebensogroß  ist,  als  für  die  gemeinen 
Brüche,  und  dass  daher  das  Rechnen  mit  Decimalbrüchen  ohne  erhebliche 
Sehwierigkeiten  im  vierten  Sdin^ahra  durchgeführt  werden  kann.  Das  dritte 
Heft  enthält  Aufgaben  über  die  bürgerlichen  Rechnungsarten,  in  einem  auf 
das  ^'othwendigste  beschränkten  Umfange.  Wenn  wir  also  trach  nicht  in  der 
Lage  sind,  iii^nid  einen  methodlsehen  JPortMshritt  an  diesem  Lehrbehelfe  zu 
erkennen,  so  kiSnnen  wir  doch  zugeben,  dass  er  dem  Redürfnisse  einer  drei-, 
vierclassigen  Landschule  wol  entspricht.  Nur  muss  mau  sich  dabei  bewusst 
Ueiben,  so  >u  nnt^chten,  wie  dies  andi  schon  vor  60  Jahren  Qblich  war.  IL  B. 

Beehenbuch  für  llftdehensehnlen  in  5  Heften.   40 — 88  S.  Hlldborg- 

hansen  1890,  Oadow.    25-35  Pf. 

Das  erste  unterscheidet  nur  die  Zahlcnräome  10  und  100,  in  welchen 
die  Aufgaben  nach  Bedmungsarten  gesondert  vorkommen.  Das  nweite  Heft 

gelangt  bis  zum  Zahlcnraume  UXXX)  und  führt  einfache  Brüche  vor.  Im 
dritten  Hefte  gelangt  man  bis  zum  unbegrenzten  Zahlenraume,  die  Einfüh- 
rung in  das  Recmien  mit  gemeinen  nnd  Decimalbrflchen  wird  fortgesetzt  Das 

vierte  Heft  bringt  die  Brnehreohnnng  zum  Abschluss.  Das  fünfte  Heft 
endlich  enthält  die  bürgerlichen  Rechnungsarten,  einiges  aus  der  Raumlehre 
nnd  gcmifldite  Aufgaben. 

Wir  haben  schon  des  (ifteren  bemerkt,  dass  die  Schüler  außerordentlich  an- 
geregt werden,  wenn  ihr  künftiger  Beruf  oder  ihre  wahrscheinliche  Lebens- 


Digitized  by  Google 


—   330  — 


Stellung  in  den  Kreis  des  Unterrichts  gezo^?«  !!  wird;  es  ist  also  gar  kein 
Zweifel,  dass  der  obigen  Verlatrshandlung  durdi  die  Veröffentlichung  dieses 
Rechenbuches  von  einem  ungcnuuntcn  Verfasser  ein  glücklicher  Wurf  gelungen 
ist  Gewiss  wird  es  die  Mädchen  sehr  freuen,  ihre  eig;enen  Namen,  anstatt 
jener  der  Knaben  in  den  Textaufgaben  zu  lesen:  außerdem  aber  kann  ein  Rechen- 
buch fUr  Mädchen  nicht  anders  aussehen,  als  ein  solches  fttr  Knaben.  (?  D.  R.) 
Nur  im  «weiten  Thcil  dos  letzten  Heftes  wird  dieser  Unterschied  hervor- 
ragend markirt.  Dem  Rechenunterrichte  wird  ja  auch  zu^emathet,  die 
Schiller  in  die  that«ächlichen  Verhältnisse  des  Vcrkchrslebens  einnrftthxen  und 
dieser  Aufgabe  wurde  aus  dem  Standpunkte  de?«  Mädchens  im  letzten  Theilc 
Rechnung  getragen.  Wir  linden  die  Au^aben,  welche  sich  auf  weibliche 
Handarbeiten  und  auf  HanswirtBchaft  beziehen;  ja  mjorar  ein  auf  14  Tnge  aus- 
gedehnter Speisezettel  nebst  Kostenttbcrschlatj  befindet  sich  abc:odruekt.  Fernere 
Ausgaben  beziehen  sieb  auf  Wäsche,  Garten.  Putzmacherin  und  LebensTersiche- 
mn^.  Wir  stehen  nicht  an  zn  erUtoen,  dass  das  Tontehende  Lehrmittel  als 
ein  recht  erfreulicher  Fortncliritt  zu  begrüßen  ist,  da  dasselbe  in  hohem  Grade 
das  Interesse  der  ächttlerinnen  anzuregen  und  damit  die  Arbeit  zu  erlcichtem 
und  ZV  Iftfdeni  Turmag.  H.  B. 

(hrtlepps  patentirte  Bechenmaschtne.  üniTNnal-Ldimiitlel-Appanitftr 

Rechnen,  Geometrie  und  Zeichenunterricht.    Max  Bossbach  In  firftirt» 

Patentinhaber  and  Fabrikant.   Selbstverlag,  1890. 

Die  unter  obigem  Titel  erschienene  Druckschrift  cmptieblt  die  genannte 
Rechenmaschine  anf  das  wSrmste.   Diese  Beehenmaschme  kommt  m  ihr^ 

Grundform  der  russischen  Ku<;elrechcnniiu<chin6  g^ich.  nur  sind  die  Stäbe  in 
verticaler  Bichtung  verschiebbar  gemacht  und  die  jECngeln  durch  Würfel  ersetzt. 
Die  Witafel  sind  normal  oder  diagonal  durchbohrt  im  Yorrath  zu  halten,  vnd 

da  sie  auch  noch  verschieden  bemalte  Fläch'  n  haben  können,  so  ist  klar,  dass 
die  Vorrichtung  nicht  blos  zum  Rechnen,  sondern  auch  zum  Zeichenunterrichte 
verwendbar  ist.  Ja  es  lassen  sieh  sogar  die  Wflrfel  anf  eine  Weise  ordnen, 

dass  sich  Flächenbercchnuntron  und  Fliichenvf  rwandlungen  er2rehcn.  D<'r  Preis 
des  Apparates,  welcher  nahe  einen  Quadratmeter  (irößc  erreicht,  stellt  sich  auf 
30— M  Mk.  Et  Temiag  ohne  Zweifel  an  einer  Volksschule  recht  gut«  Dienste 
zu  leisten,  was  auch  durch  Zeugnisse  von  verschiedenen  Seiten  bestätigt  wird.  H.  E, 

Dr.  Heinrich  Schotte«,  Inhalt  und  .Methode  des  planimetrischen  üntenichts, 
eine  vergleichende  Planimetrie.  370  S.   Iieipzig  1890,  Teabner.    6  Mk. 
Der  Verfksser  «lagt  vorwortlich,  dass  sdir  yiele  Lehrbfleher  der  Geometrie 

veröffentlicht  wrrdi  ii.  für  deren  Entstehung;  ausreichende  Gründe  zu  fehlen 
scheinen.  Offenbar  wollte  jeder  Verfasser  etwas  Besseres,  als  das  bisher  vor- 
handene bieten;  sehr  hftufig  aber  konnte  dieser  Oedanke  nur  bestehen  und  znr 
1  )urchfilhninc  uicrcn.  weil  der  betreffende  "Wrfasser  nii  ht  hinreichend  mit 
der  schon  -vorhandenen  Literatur  vertraut  war.  £s  wird  gewiss  jedem  Fach- 
genossen  erwttnseht  sein,  ehe  er  daran  geht  neue  Gmndsfttie  und  Anffiusongeii 
in  einem  Lehrbuehe  durchzuführen,  darüber  Aufsrhluss  zn  erhalten,  ob  das  ihm 
als  neu  Erscheinende  nicht  schon  £rtthcr  bekannt,  ob  es  nicht  schon  kritisch 
beleuchtet,  oder  vielleicht  gar  verworfen  wurde.  Znesem  thatsächlich  bestehen- 
den ßedOiiTnisse  hat  der  Verfasser  durch  die  TOlliegemde,  mflhevoUe  vnd  hOdlSt 
dankenswerte  Arbeit  abzuhelfen  gesucht. 

Der  vorliegende  erste  Band  des  Werkes  beginnt  mit  einem  Abschnitte 
„Über  die  Eeformbestrebunpren  auf  dem  Gebiete  des  planiuiotri- 
schen  Unterrichtes";  der  Verfasser  vcrtheidigt  die  Sätze:  I.  „Der  geometrische 
Unterricht  muss  vor  dem  arithmetischen  entschieden  beTOIsagt  werden,  weil 
er  die  Grundlage  bildet,  weil  er  in  den  unteren  ('lassen  verständlicher  ist. 
n.  Der  arithmetische  Unterricht  beginne  erst  in  Secunda;  einzelne  Theile  er- 
fordern nur  mechanische  Einttbimg.  III.  Die  Methode  des  geometrischen  Un- 
terrichtes ist  im  Sinne  der  neueren  Geometrie  umzuformen,  ohne  jedoch  die 
Zwecke  der  Schule  zu  verleugnen.  IV.  Der  Zeichenunterricht  muss  für  alle 
Classcn  obligatorisch  gemacht  werden,  ist  jedoch  im  systematischen  Zusaumien- 
bange  mit  der  Geometrie  zu  ertbeilen,  also  ein  zeiii  geometrisehea  Zeichnen." 


Digitized  by  Google 


—   331  - 


Zur  üatarstlltsniig^  dieser  seiner  Heinuiiff  führt  der  Verftuser  eine  gtote  H enge 

von  Citaton  an;  dicgelbcn  füllen  nahe  an  fünf  Pnn-kiiocren  nnd  sind  44  vcr- 
bchiedenen  Scbriftstellera  eatlelmt.  Umierea  grülitcu  Beil'all  verdient  wol  die 
Anftthning  ftber  die  Bedentvng  der  IbitlHinatik  fOr  die  Gharakterbildung  der 
Jugend,  indem  sie  die  freie  ^IbstthAtigkeit  mehr  fordert,  als  irgend  «n  an- 
derer Lehrgegenstand. 

Die  YOTStelwnden  ErOrtemngen  Uber  die  Beformbestrebungen  sind  gleidiBam 
als  Einleitung  gesetzt.  Das  erste  Capitel  des  eigentlichen  Werkes  trSgt  die 
Überschrift  „Der  Raum",  wel<hom  rnbocrenztheit,  diesfalls  gleichbedeutend 
mit  Unendlichkeit,  dann  Stetigkeit  und  aiu  h  (ileirhartigkeit  zukommen.  Anch 
hier  sind  die  Ausfühnintren  des  Verfassers  verhältnismäßig  kurz,  gegenüber 
der  grofien  Menge  von  Citaten,  welche  gleichfalls  einer  reichen  Literatur  ent- 
nommen rind.  Unter  denselben  gefiel  uns  am  besten  ein  Vorschlag  von  Erd- 
inann.  anstatt  des  Lehrsatzes:  die  Winkclsnnimc  eines  Dreieckes  ist  gleich 
zweien  Rechten,  lieber  den  Satz:  Die  Wiiikelaumnic  der  Vielecke  ist  conslant, 
unter  die  gruirflegenden  Wahrheiten  aufzunehmen.  Das  zweite  Capitcl 
erörtert  die  Frage:  was  ist  Gegenstand  der  Geometrie?  und  ist  ziemlieh  kurz 
gehalten.  Im  dritten  Capitel  mit  der  Überschrift  „^aumgebilde"  tct- 
thcidigt  der  Verfasser  die  Meinung,  dass  die  Anordnung:  Körper,  Fläche,  Linie. 
Punkt  die  einzig  berechtigte  ist;  der  Körper  als  anschauliches  Ding  muss  an 
die  Spitze  gestellt  werden,  die  ttbrigen  Raumgebflde  sind  nicht  anschaulich, 
sondern  Ikgrifte.  Letzteres  ist  auch  die  Ursache,  da-s  ilf  r  Verfasser  mit  den 
Aufstellungen  von  Helm  ho  Uz  Uber  zweidimensionale  Cicometrie  sich  nicht 
einverstanden  eAlftren  kann,  sondern  einen  larroten  Theil  dieses  Gapitels  dem 
Nachweise  der  Hinfälligkeit  der  Hehnholtzseboii  AnnahnK  ii  widmet.  Im 
vierten  Capitel  „£bene"  und  im  lüniten  Capitel  MOerade''  geht  der 
Vezfluner  von  der  Behauptung  aus,  dass  dies  a  priori  Torhandene  Begriffe 
Sflum,  welche  in  dem  Schüler  nur  treweckt  zu  werden  brauchen.  Eine  Vor- 
iteUlung  a  priori  erinnert  selir  au  ein  Wunder^  es  ist  wie  in  der  Naturlebre: 
wenn  man  mit  den  Erfclirungen  zu  Ende  ist,  so  stellt  die  „Kraft"  als  Wort 
zu  rechter  Zeit  sich  ein.  Um  dem  Wunderbaren  auszuweichen,  wollen  wir 
lieber  sagen:  Ebene  und  krumme  Flächen,  gerade  und  krumme  Linien  sind 
dadnich  au  nntendieidMi,  dass  die  einen  dtu  Begrenzte  in  dedkungsgleiche, 
die  anderen  dasselbe  in  ungleiche  Theile  theilen.  Diese  Erklärung  wird  vom 
Verfasser  als  von  Archimcdcs  herrührend  angeführt.  Sie  ist  so  einfach,  als 
es  die  Sache  zulässt,  über  welche  wir  allerdings  durch  die  tägliche  EriUirung 
lange  vorher  })clebrt  sind,  ehe  in  der  Schule  der  (teometrieunterricht  begonnen 
hat.  Ein  einjähriges  Kind,  web  lies  seine  ersten  (lehversuchc  unternimmt, 
gewinnt  schon  eine  Reibe  von  Erfahrungen  über  Ebene  und  Gerade.  Es  ist 
aber  durchaus  nicht  nöthig,  Begriffe,  welche  den  allereintachsten  Erfahrungen 
zuk'iintrlich  sind,  als  angeboren  zu  erklären,  l'berhaupt  sind  wir  der  Über- 
zenirung,  dass  nur  Anlagen,  aber  niemals  BegriflFe  angeboren  sind.  Der  Beweis 
für  das  Gegentheil  wurde  noch  nicht  erbracht.  —  Nicht  einmal  den  Begriff 
des  Ichs  kann  man  als  einen  angeborenen  bezeichnen;  denn  es  kann  mit  voller 
Berechtignog  die  Behauptung  vertreten  werden,  dass  dieser  Begriff  durch 
Erfahrung  gewonniOi  sei.  Dann  ist  aber  auch  der  Begriff  der  Richtung,  als 
der  Beziehung  zwischen  mir  und  einem  anderen  auBer  mir,  nicht  mehr  an- 
geboren, sondern  Erfahrunixssachc. 

Des  weiteren  will  der  Verfasser  von  parallelen  Linien  nicht  gesagt  haben, 
dass  sie  die  gleiche  Richtung  haben,  sondern  dass  sie  eine  Kbnliche  Richtung 
haben.  Dies  ist  wul  mehr  ein  Streit  um  Werfe,  welcher  wenig  erhelilicb 
scheint.  Doch,  meinen  wir,  würde  die  Parallelen-Theorie  durch  Verffleichung 
einschlägiger  astronomischer  TeihSHnisse  nieht  ftnerheblich  ge^vinnen.  Bekanntp 
lieh  besitzen  nur  wenic:  Fixsterne  eine  jihrliche  Parallaxe,  das  lieißt,  für  die 
Üehrzahl  der  Fixsterne  würde  mit  unseren  Listrumentcn  betrachtet  die  jähr- 
liche Bewegung  der  Erde  in  ihrer  Bahn  als  ansdehnungsloser,  rohenitor  Punkt 
erst ht  inen.  In  aniiercr  Deutung  würde  dieses  heißen:  Ein  cylindevfOrmiges 
StrahlenbüBchei,  dessen  Grundfläche  einen  Durclmiesser  von  40  Millionen  Heilen 
heaitct»  cnelieiiit  ans  der  Entfernung  der  meisten  FJzatene  wie  eine  geiadA 
Linie,  fm  Vergleich  mit  dieser  Thatsadie  wird  man  wohl  angestdien  mttseen, 


Digitized  by  (Google 


—   332  — 


(lass  j<  no  TarallcleB,  welt  ho  wir  auf  d«T  Erdobtrflflohc  zti  ziehen  vermögen, 
nicht  uur  als  von  llüilicker,  sondern  geradezu  ab  von  gleicher  Kichtoag  bc- 
seichnct  werden  mtliMi. 

Es  wird  ferner  noch  anirofdhrt,  dieHerade,  lH  zi»  liMii!rP\\ <'i"^c  ilie  Ebene,  könne 
ab»  der  geonietrische  ürt  aller  jener  Punkte  erklärt  \ver(l<-ii,  welche  von  zweien 
g«srebcnen  Punkten  Ehitfernung  haben;  dies  igt  aber  gewiss  keine 

einfache  Erkläriin£j,  sondern  eine  sülche.  welch*  >f  lum  i-in  ziemlich  vorpe- 
schrittt'iies  geometrisches  Vorstellungj'Vennögeu  crtniilirt.  Daireiriu  die  Er- 
klärung der  geraden  Linie  als  der  Richtung^  des  Lit  iit.-<trahlo>  zwar  einfach 
ist,  aber  doch  irf'\vi>s  nnr  auf  Erfahrung  beruht,  und  durchaus  nicht  ein  syn- 
thctischcä  Unheil  a  priori  iicaaunt  werden  kann.  Der  Verfiujser  hätte  die 
l^thetifldien  Urtheile  a  priori  nicht  wieder  aus  dem  (jrab<:  der  Vergessenheit 
hervorholen  sollen,  in  weh  ho  8it>  ja  auch  von  dt-r  Phih>s()phic  seit  mehreren 
Deoennien  schon  gelebt  worden  siud.*j  Im  libri^cu  ist  sein  Werk  gewiss  ein 
sehr  wertvoller  Beitrag  für  die  Didaktik  der  Geometrie,  welcher  in  Hin- 
kunft von  jedem  Schriftsteller  auf  Uiescm  Oebicte  zu  rathe  gezogen  wer- 
den muss.  U.  £. 
DitimPf  Geschichte  des  dentschen  Volkes  in  drei  Bänden.  Heiddbergt  Winter. 

Diese  „Deutsche  Geschichte"  wendtt  sich  an  ein  anderes  Publicum,  als  die 
im  Jalire  1889  erschienene  dcutsfhr  Geschichte  von  Kümmel,  deren  Eigeu- 
thflmlichkeiten  wir  im  „Pa-dairogium"  seinerzeit  darlegten.  Sie  ist  noch  popu- 
lärer in  der  Fassung  und  stoft'lich  iiieht  so  reichhaltiü;  wie  jene.  Ihr  schlichter 
Ton,  ihre  Klarlieit  in  der  Zeichnung  der  .Situationen  und  Charaktere,  die 
kräftige  !{•  t\  iiliel)Mng  der  leitenden  Idee,  ihre  mehr  gleicbmftftige  Bduaalnng 
der  einzelnen  Epochen  unserer  Ge^:ciii<  litf  wird  ihr  Freunde  genug  gewinnen, 
auch  das,  dsu^s  sie  das  culturgeschichtliche  Element  in  breiter  Weisf  heran- 
sieht, und  als  einen  Theil  des  Ganzen  in  die  Schilderunür  der  ein/  1r.'  n  Ab- 
schnitte verweht  und,  weil  sie  auch  die  Einflüsse  fremden  Lebens  aui  unsere 
Geschichte  betont,  die  Eigenthümlichkeiten  desselben  des  breiteren  ausführt. 
So  —  um  das  zulet^st  Gesagte  durch  ein  Beispiel  zu  veranschaulichen  -  -  er- 
zählt Dittmars  deutsche  Geschichte  bei  der  Darstellung  des  Unterganges  des 
Westgotbenreiches  auch  die  Entstehung  des  Islams,  dessen  Lehren  und  Ans- 
lircitung,  <iie  Organisation  der  arabischen  Eroberungen  und  die  Geschichte  der 
Ouugaden-Djnastie.  i>er  erste  Band  (Lief.  1—5,  &  i  Hk.)  fUbit  die  Erzählung 
Ms  zum  Jalöe  1266,  der  swehe  hu  1648.  Das  ganze  Weilt,  von  Sdte  des  Yet- 
lage»  sehr  hübsch  ausgestattet,  wird  in  16  Lieferungen  abgeschlossen  sein.  W. 
Heinze  und  fJoett«'.  Geschichte  der  dentschen  Literatur  von  Goethe'sTode  bis 

anf  die  Gegenwart.    Dresden  18'J0,  P.  Heinze.    0  Mk. 
Dieselben.    Deutsche  Poetik.    Dre-sden  18tJl,  P.  Heinze.    5  Hk. 

Neben  den  Werken  eines  Gottschall  und  eines  Solomon  wird  auch  diese 
Literaturgeschichte  den  Weg  ins  Publicum  finden,  das  ein  Bedürfnis  filhlt, 
sich  über  die  deutsche  Literatur  der  Gegenwart  und  jüngsten  Vergangenheit 
zu  orientiren.  Sie  behandelt  an  die  5(X)  Namen  der  letzten  60  Jahre  auf 
4ö2  Seiten,  die  jetzt  beliebten  Schriftsteller  ausführlicher  (Hiographie,  ihre 
Werke,  Inhalt  derselben,  Charakteristik  und  kritische  Würdigung),  die  zahl- 
reichen anderen  kürzer  (Name,  Hauptwerk,  Vorzüge  und  Mangel  <iurch  ein 
Beiwort  oder  einen  einzigen  ^tz  andeutend,  z.  B.:  «eine  geistreiche,  aber 
etwas  scharf  ncfepfefferte  Satire,  die  das  polltische  und  literarische  Gebiet  um- 
Avsst.  pflciit  Daniel  Spitzer  in  den  bekannten  Wiener  Spaziergängen. 
S.  391.)  Um  den  Leser  Uber  die  Uasseuproductionen  der  Literatur  leichter  zu 
orientiren,  ist  der  Stoff  in  einer  recht  psssenden  Weise  gruppirt  und  die  be- 
kannte Eintheilung  nach  der  Heimat  der  Dichter  aufgesehen;  das  Auffinden 
irgend  eines  Namens  aber  durch  ein  Inhaltsverzeichnis  leicht  gemacht.  Die 
Darstellung  ist  eehlicht  und  frei  von  Phrasen  und  Wortgellunker,  was  b^annt- 
lieh  nicht  von  jcih'r  Literaturgeschichte  gilt. 

Ähnlich  sachlich  gehalten  ist  auch  die  Poetik  der  beiden  Verfasser.  Es  ist 
eine  Besdireibang  der  Eigenthflmlichkeiten  jeder  einselnen  yenfonn  nnd  IHch- 

*)  Siehe  Wundt,  Logik,  1.  400. 


Digitized  by  Google 


—  883  — 


tUD^sart,  oft  —  und  das  ist  gewiss  nur  löblich  —  an  der  llaud  eines  liestimmtcn 
Qedichtcs.  Dabei  begnügt  .sie  sich  nicht  mit  einer  Detiuition ,  soudern  geht 
tiefer  in  die  Technik  jeder  Dichtungsurt  ein,  sodass  der  Leser  \\irklich  auf- 
geklärter an  die  Lectt^  der  Dichtungen  schreiten  kann,  vieles  beachten  wird, 
was  er  sonst  Qbersehen  hStte.  Auch  in  der  Poetik  ist  die  Einthetlung  eine 
vielfiach  andere  als  in  den  üblichen  Handbüehern.  So  tbeilt  das  Buch  die 
Gedankeiüyrik  2.  B.  in  Weltsymbolik  (SchiUerg  Qlocke.  Spasiergaiigl,  Poesie 
d«r  LebenserkenntBlB  ^prikdi«  SalomoiB,  Ueder  aes  Mim  Sebafly)  und 
prophcti.sche  Dichtung  iHamerlingK  Germanenzug).  W. 

(loeihe's  Hennanu  und  Dorothea,  erl&atert  von  1^.  A.  Fnnke.  5.  Aufl. 

Paderborn,  Schöningb.    1  Mk. 

Diese  ErlRvterung  ^\iU  ein  Hilfimiittel  sein  Bnm  schnlniftBigeii  Verstüiidnis 

des  im  Titel  genauntcn  "Werkes.  Sic  begleitet  dcu  Te\t  mit  Fußiioti  n,  iu 
denen  sie  Uber  äachiiches  Auskunft  gibt,  sprachliche  Schwierigkeiten  ^betreffen 
sie  dag  Lexikon  oder  die  Onunmatik)  biDwegrftnmt,  »uf  eigentbttnüicne  Schön- 
heiten crewisser  Stellen  anfmerksani  nr.uht  und  die  der  Haudluns:  oder  den 
Gesprächen  zucfrundc  liei^ende  Disiiusition  ber?orhebt,  oder  endlich  Fragen 
«nfwirft>  dureli  deren  I^autwortung  der  Schüler  beatimmte  Beziehungen  u.  dgl. 
erkennt.  Es  bietet  das  Buch  somit  lUl  das,  worauf  der  Lehrer  bei  der  Kr- 
liiuterunj?  eines  (iedielitr«.  in  den  oberen  Cliissen  höherer  Schulen  zu  uebteu  hat. 
Der  Anhang'  liictct  iliiu  Aiit>;itzthemas  im  Anschluss  an  die  LectQre  (123),  dann 
Fragen  (zumeist  mit  beigesetzter  Lrisunsz)  über  einzelne  (iesänfre  und  ülier  das 
gaoxe  Gedicht  (z.  B.  Uber  die  historis(hc  Grundlage,  wobei  ein  lehrreicher 
Hinweis  auf  den  8tdF  von  LoncliBllow  Bmngeline,  «her  die  Motive  dar  Ände- 
rungen an  der  Vorlage  v.  s.  w^  W. 

Otto  Sutermeister,  Praktische  Stilschule.  Zürich  1890,  Schulthess.  2  Mk. 
Diese  Stilschule  ist  keine  Schablonarbeit,  mag  man  nun  die  jeder  T'hemen* 
grnppe  Torangeschicktcn  „Winke",  die  Beispiele  oder  die  Aufgaben  ins 
Auge  fassen.  Überall  Originalität.  Der  eine  oder  der  andere  wird  dies  und 
das  Thema  selbst  für  die  oberste  Classe  eines  Gymnasiums  zn  ho(  Ii  gegriffen 
erklären,  wir  werden  ihm  nicht  widersprechen;  aber  das  wird  auch  uns  je ib  i 
ohne  Unterschied  zugeben  müssen,  daüss  auf  keiner  der  Aol^aben  ieuer  be- 
kannte fingerdicke  S<£alBtaub  liegt,  dass  ferner  unter  den  Beispielen  die  Stereo- 
tj'pen  Erbstücke  fehlen  und  dass  endlich  selbst  der  zur  Erleichterung  der 
Gedankeafindung  eingestreute  Citateaschatjs  nicht  zum  hundertstennmlc  ab- 
gedruckte Ware  ist  Nnr  wenige  Lehrer  werden  sich  einer  solchen  Beleienheit 
rühmen  dürfen  wie  Sutermeister.  W. 

Ilinne,  Praktische.  Stillehre.  H.  Aufl.   Stnftirart  IHOI.  Koch. 
Derselbe,  Praktische  Dispusiti  nslehre  in  neuer  (iedtaltimg  und  Begi'üuduDg. 
5.  Aufl.  Stuttgart  1891,  Koch. 

Beide  Bttcher  sind  in  der  Lehrerwelt  seit  langem  als  praktische  Hil6bttcher 
bekannt.  Die  praktische  St illehrc  irruppirt  die  Themen  naeh  der  Sehwierigkcit 
für  den  Schüler,  gibt  ihm  bei  jeder  Gruppe  Winke  (Couipositionsregeln),  dann 
ein  oder  das  andere  Husterbeispiel  (viele  sind  eigene  Arbeit  Binne^s),  und 
endlich  Themen,  die  nach  dem  Muster  zu  bearbeiten  sind,  im  ffanyen  1909. 
Darin  wird  ein  Heurtheik-r  den  Schwerpunkt  des  Buches  ündeu,  dam  Binne 
gezeigt  bat,  wie  die  schriftlichen  Übungen  von  der  ersten  bis  sur  letalen  Unt«p- 
richtsstufe  an  die  Lectttre  anireschlnssen  werden  können. 

Die  praktische  Dispositionslehre  hat  bei  ihrem  ersten  »scheinen  Anziehen 
gemacht.  Sie  g^bt  nämlich  ein  Schema,  naeh  dem  eine  Abhandlung  über 
eine  einfache,  allgemeine  Behauptung  geschrieben  werden  muss  und 
erläutert  es  eingebend  an  Beisjiielen.  Charakteristisch  an  der  Methode  ist  die 
Art,  wie  der  Übergang  von  der  Einleituna:  zum  Thema  („der  große  Tberfifang") 
und  der  vom  Thema  cum  Schluss  („der  kleine  Übergang")  bewerkstelligt  wird. 
Rinne  verlangt  nftmlich,  dass  in  denselben  stets  (und  darin  liegt  ein  Mangel, 
Schablone)  drei  Momente  wiederkehren;  Zugeständnis,  Entgegnung,  Thema  in 
dem  gioften,  und  Zugeständnis,  Entgegnung  (Beschränkung),  Folgerung,  in  dem 
kltfnen  Übergang  (durch  die  dabei  gebnmten  Co^jnseSimea  und  Partikeln 


Digitized  by  Google 


—   334  — 


etwa  80  ausgedrückt :  „Zwar  —  aber.'^  ^Unzweifelhaft  —  allerdings  duijegen/j  — 
In  einen  Tbflilc  des  Hucliea  modificirt  Rinne  sein  Schema  auch  filr  anaere 
ThemeDgruppen  als  die  oben  genannte.  —  Nebenbei  bemerken  wir,  dasa  der 
gehässige  Ausfall  gegen  „Cholevius  (S.  5)  und  einen  Herrn  Dr.  Laas"  auf 
S.  14  füglich  wegbleiben  könnte.  W. 
Friedrich  Martin.  Scliulgrammatik  der  deutschen  Sprache.  4.  Aufl.  Breslau,  Hirt. 
Maitinü  Graniuiiitik  ist  nicht  für  eine  bestimmte  deutsche  Landschaft 
geschrieben  uml  nimmt  dementspreehend  auch  nicht  auf  den  Dialect  einer 
hfstiinniton  Gegend  Rücksicht,  etwa  zu  dem  Zwecke,  die  Schüler  von  ihrem 
Umgangsdciitsch  zum  fehlerlosen  Gebrauch  der  hochdeutschen  Schriftsprache  zu 
erziehen;  mich  ist  sie  keine  historische  Grammatik,  die  durch  Heranziehung 
älti  rcr  Sprachformen  das  heute  Geltende  erklären  will.  Den  Kernsdicn  Ivc- 
lorniea  i,'egenüber  ist  sie  sehr  coiiservativ,  selbst  die  Kt  rns(he  Detinitiou  des 
Satzes  nimmt  sie  nicht  an.  EigenthUmlich  ist  ihr  ferner,  dass  sie  nicht  blos 
die  Ergebnisse  des  Unterrichtes  mittheilt,  sondern  auch  den  Gang  desselben 
und  auf  die  begrift'liche  Seite  einen  großen  Wert  legt.  Beispi«Je  bringt  sie 
in  geringer  Zahl;  die  Terminologie  ist  die  lateinische,  doch  ist  sie  nicht  conse- 
quent  festgehalten.  So  heißt  es  z.  B.  öfter:  Eiu  Dingwort  im  Nominativ,  ein 
Eigensebauswort  als  Attribut  u.  S.  Zu  loben  ist  dagegen  die  ÜbersicbtlichJceit. 
die  in  jeder  Weise,  aiicli  dun  ii  den  Drnck,  dnich  Baildtitd,  FftrocraplMn. 
Ziffern  und  Biu  hstalien  gcliirdert  wird.  n^. 

Shakespeare'»  dramatische  Werke.    Deutsche  Yerlagsanstalt  in  Stattgart. 

Geb.  3  Mk. 

Um  diesen  Preis,  drei  Mnrk,  dürfte  wohl  noch  niemals  ein  so  wertTolles 

Werk  in  so  schöner  Ausstattung  dunreboten  worden  sein.  !>ie  Ht;  Dramen  in 
der  Schlcgel-Tieckschen  i'l)ersetzung  sind  in  einem  Grülioetavbaude  von 
942  Seiten  mit  gut  lesbaren  Lettern  abgedruckt;  außerdem  ist  dem  Ganzen 
ein  prächtiges  Porträt,  ferner  eine  markig  geschriebene  Einleitung  ül»er 
Shakespeare's  Leben  und  eine  Charakteristik  seines  Schaffens,  sowie  jedem 
einzelnen  Drama  eine  W^Urdigung  aus  der  Feder  des  bekannten  Shakespeare- 
Forschers  Oechelhäuser  vorangeschickt.  Die  Shakespeare-Gesellschaft  hat  iu 
der  That  mit  dieser  Aufgabe  dem  deutschen  Volke  ein  Geschenk  ^macht.  — r. 

B^rckardt,  Die  spricbwSrtlichen  B«den8arteD  im  deutschen  yolksmiud.  478  S. 

Leipzig,  Brockhans. 

In  jüngster  Zeit  piml  inohn  n;  Bücher  erschienen,  die  den  Zweck  verfolgen, 
die  sprichwörtlichen  Kedeiisarteu  im  deutschen  Volksmund  nach  Sinn  und  Ur- 
sprung 7Ai  erläutern  und  so  dem  Lehrer  ein  bequemes  Hilftmittel  zu  geben, 
sie  im  deutschen  rnterriohte  in  der  mannigfachsten  Weise  zu  verwerten.  In 
die  Reihe  dieser  Schritten  stellt  sich  auch  Borchardt,  der  nicht  weniger  als 
1132  sprichwörtliche  Rcdeosuten  alphabetisch  nach  einem  Stichwort  ordnet, 
deutet  und  auf  den  Ursprung  zurückzuführen  sucht.  In  den  meisten  Fällen 
ist  das  letztere  ihm  gelungen;  in  anderen  freilich,  wie  dies  in  der  Natur  der 
Sache  liegt,  kann  er  nur  Muthmaßungen  geben,  die  ihn  mit  Vorliebe  auf 
das  Gebiet  der  germanischen  Mythologie  fä&«n,  wohin  ihm  kaum  alle  Leser 
immer  folgen  werden.  Was  an  seiner  Sammlung  aber  uncinireschrankt  zu 
bilu  n  ist,  das  betrifft  die  Auswahl  und  das  Heranzit  hen  ähnlicher  sinnver- 
wandter Ausdrücke  und  Wendungen  bei  der  Erläutei^ung  irgend  eines  der 
Sprichwörter  oder  geflügelten  Worte.  — r. 
Petiscns,  Der  Olymp.   20.  Aufl.  Leipzig,  Auielang. 

Wenn  ein  Buch  trotz  zahlreicher  ähnlicher  Werke  zwanzisr  Anflaircu  erlebt, 
so  muss  es  ein  gutes  Buch  8<'in,  d.  h.  alles  und  zwar  in  sciioner  Form  bieten, 
was  ein  bestimmter  Leserkreis  von  ihm  verlangt.  Der  Leserkreis  ist  hier  die 
sonst  gar  nicht  leicht  zu  iK-frii-flitrcnde  .Tuirend.  Sie  findet  in  dem  Buch  die 
dassischc  und  germanische  M.vtholotjie  schliclit  und  einfach  entählt,  illustrirt 
durch  47  schön  geschnittene  Abbildungen  der  auf  dem  Höhepunkte  dier  antiken 
Kunst  geschaffenen  Göttertypen,  ferner  all  jene  Heldeusageu,  deren  auch  ein 
Jeder  tos  uns  in  längst  entschwundenen  Tagen  mit  gcs]>uuntester  Aufinerk- 
samkeit  gelauscht,  endlich  die  Schüdemng  der  Cultst&tten  und  Hauptliarte, 


Digitized  by  Google 


—   385  — 


sowie  die  Erläuterung  der  Symbole  der  Gottheiten  und  die  Art  ihrer  Dar- 
BtelloniBr  in  der  bildenden  Knnst.  Antikes  greift  mit  allen  Fasen  in  unser 
Leben  ein.  BodasB  das  Stadium  desselben  keine  Tertorene  Htihe  genannt  wer- 
den darl.  — r. 


Neu  erschienene  Bücher. 

Oi«  Twiehavsen,  Natorgeachlchte  L  Der  natavgeachichtllehe  Unterricht  in 

aasgeführten  Lectionen.  Nach  den  neuen  methodischen  Grandsätzen  fttr 
Behandlang  nnd  Anordnung  (Lebengpremeinschaften).  I.  Abtlieilung,  Unter* 
stufe.   3.  Aufl.    Leipzig,  Ernst  Wunderlich.    248       2  Mk.  HO  Pf. 

deorp;  Schlieider,  Der  Religionsunterricht  in  der  Schule,  in  Anlehnung  au 
die  29.  Allgemeine  deutsche  Lehrerversammlnng.  Mannheim,  Bensheimer. 
73  S.  1  H. 

Dr.  HeniAiiii  Sehiller,  Schnhutieit  nnd  Hnnaax1»eit.  Ein  Vortrag.  Berlin, 
Weidemann.  61  S.  60  Pf. 

Dr.  Josef  Leos,  Der  österreichisdie  Gyinnasiallehrplan  im  Lichte  der  Con- 

centration.    Wien,  Alfred  Heilder.   70  S.   90  kr. 

A.  Patnschka,    Volkswirtschaftliehes  Lesebucli  für  jedermann.    NacU  den 

Quellen  bearbeitet.     2.  Autl.    (iutlm,  Hebrend.    21.'^  S.    2  M. 

Franke's  Neues  Stit  kerei-Monogranim.  812  Monogramme  von  AA  bis  ZZ 
(7cm  hoch).    Zürich.  Orell  Füs.sli.    8  Mk.  80  Pf. 

Calmberg-Utziuger,  Die  Kunst  der  Rede.  3.  Anfl.  Leipzig  und  Zürich,  Oi-ell 
FiinU  &  Co. 

Fitscken,  Anfiatastoffe  für  die  ][ittel<  nnd  Oberstufe  mehrciassiger  Volkse 
schulen.  2.  Hefl:  Beschreibungen.  Hannover,  Hans. 

Krämer,  Praktisch  erprobte  MusteranfUltse  nnd  Übnngsstoife.  2.Thett:  Mittel- 

stufe.    Weinheim  (Baden),  Ackermann. 

Martens,  Deutsche  vSprachübungen.    1.  Heft.   Hannover,  Manz.  30  Pf. 
Otto-Zimmermaini.  Anleitung,  das  Lesebuch  als  Grundlage  und  Mittelpunkt 

eines  bildenden  Unterrichtes  in  der  ^lutteraprache  zu  behandeln.   H.  Anfl. 

Leipzig,  Amelang. 

Wald,  Eine  Vereinfachnng  der  deutschen  Becbtschreibnng.  Bielefeld,  Helmich. 
Zeynek,  Lehrbneh  der  deutschen  Stiltotik  nnd  Poetik.  6.AuiL  Graz,  Lenschner 
&  Lnbaasky.  2  Mk.  60  Pf. 

Unterrichtsstoff  fttr  die  deutsche  Grammatik  und  Orthographie,  zusammengestellt 
von  Lehrern  der  königl.  Vorschule  zn  Berlin.  2.  Theil.  Berlin, 

Habel. 

Hans  Sommert,  Methodik  des  deutschen  Sprachunterrichts.  Zweite,  um- 
gearbeitete Auflage.  Wien  1802,  A.Pichler's  Witwe  &  Sohn,  224  Seiten. 
1  fl.  40  kr.  ö.  W.  =  2  Mk.  80  Pf. 

Adalbert  Maxa,  Rede-,  Schreib-  and  Stilfibongen.  Ehi  praktisches  Handbuch 
für  Lehrer.  II.  Abtheilung.  Wien  1892,  A.  Pichler's  Witwe  &  Sohn. 
169  Seiten.    1  iL  =  2  Mk: 


Digitized  by  Google 


—   836  - 


A.  Spöttel,  Zur  Spruclii  t'iuig-ung^.  Ein»'  Sammlung  d»'r  gt  bräuchlichstcn  Fremd- 
wörter etc.  mit  Bezeichnung  der  Aosspraclie  und  Angube  ilirer  Abstanunang 
nebet  deren  Anwendnnir  in  Sfttzen.  Hflnehen  1891,  Max  Eellerer^B  Hof- 
Bueli-  nnd  KimsthaBdliuig.   39  Seiten. 

FeierstulieB.  Gedenkbnch  f&r  deoteche  Lelirer.  Znm  Beeten  dee  Jllttingw 
Denkmale.   Unter  Mitwirkung  hervorragender  Freunde  und  Vertreter  dee 

Lehrerstandes  heraiiRefcgeben  Vf>n  C.  Radfiuacher,  Scheve,  Backes,  Lehreni 
in  Küln  a.  Bh.  Biclcteld,  A.  Helmich  (Hugo  Anders).  183  Seiten.  2  Mk., 
geb.  3  Mk. 

M.  Jost,  Annaaire  de  l^Eneeignement  priuiaire.  Hoititoie  Ann6e  1892.  Parie» 
Librairle  Claeeiqne  Armand  Colin  et  Gie. 

Wilketai  Bidey  nnd  Karl  Vogt,  Daa  Tomen  in  der  Volke-  und  Bfirgeredinle 

für  Knaben  und  tfftdcben,  eowie  in  den  Unterclassen  der  Mittelschalen. 

II.  Tht  il.  Das  Turnen  im  sechsten,  sieb»  ntt-n  und  achten  Schuljahre.  Zweite 
V.  rb.  ss.  rtc  Auflagt'.  Wien  1892,  A.  Pichler  s  Witwe  &  Sohn.  185  Seiten. 
1  t\.  ü.  W.  =  2  Mk. 

Tlieudor  Vernalekeu,  Kinder-  und  Uuusmürcht  u,  dem  \'ulke  treu  nacherzählt. 
Zwdte,  nen  dnrdigeeehene  Auflage.  Mit  6  Farbendinckbildeni.  300  S. 
Wien  n.  Leipzig  1892,  Wilhelm  BnuunttUer. 


VenuitwMa.  B««MtMr  Dr.  Frltdrieb  DltU«.  Bvclidniekcni  Jvlivt  Kllakhardt,  Laifric. 


Digitized  by  Google 


Die  kirchliche  und  die  philosophische  Sittenlehre. 


Ton  Diieetor  A*  therth'liuttrfmrff, 

(SeUoBS.) 

D,.  redliche  Erfüllung  sittlicliei  Ptiichten  gewährt  uns  Selbst- 
achtnng,  edeln  Stolz,  Seelf  Tinilie  (die  Kühe  des  guten  Gewissens), 
innere  Heiterkeit,  echte  Lebensfreude,  Kraft  und  Festigkeit  im  Kampfe 
gegen  jeden  Unterdrücker  des  guten  Rechtes,  gegen  Angriffe  der  Thor- 
heit  und  Bosheit,  edeln  Freiheitssinn,  edeln  Gemeinsinn,  Mäßigkeit  im 
Glück.  Würde  im  Unglück,  echtes  Mitleid  mit  jedem,  der  Gewalt 
und  Unrecht  erdulden  muss,  und  sichert  uns  die  Achtung  und  Liebe 
aller  Guten  und  Edeln  und  eine  rulii^e  .Sterbestunde. 

Es  ist  klar,  dass  eine  Sittenlehre,  die  eine  solche  Gesinnung 
fordert  und  solclie  Gefnlile  und  Eigenschaften  ausbildet,  mit  der  oben 
geschilderten  kiichlichcn  Sittenlehre  ihrem  innersten  Wesen  nach  ini 
Widerspruch  stellen  niuss.  Dort  Abhängigkeit  von  der  Kirclie  oder 
von  dem  durch  die  Kirclie  ausgelegten  Willen  Gottes,  liier  die  Autono- 
mie der  menschlichen  Vernunft  und  die  frtiv  Selbstbestimmung  des 
Menschen;  dort  steter  Hinblick  auf  das  göttliche  Gericht  auf  Erdeu 
und  im  Jenseits,  und  demgemäß  die  stete  Frage  nach  Gottes  Beifall 
oder  Missfallen;  hier  nur  der  Hinblick  auf  das  Gesetz  und  die  Frage 
nach  der  vernunftgemäßen  Beurtheilung  unseres  Thuns  oder  Lassens 
durch  das  eigene  Gewissen.  Unter  diesen  Verhältnissen  können  höch- 
stens bei  den  beideu  Lekreu  einzelne  Gebote  oder  Verbote  gleichen 
Wortlaut  haben. 

Bevor  wir  diese  Gebote  selbst  beleuchten,  fragen  wir  uns:  Welche 
Urundsät/e  fordert  die  dui  cli  Kant  begründete  philosophische 
Sittenlehre  im  Gegensatz  zur  kirchlichen? 

Sie  fordert:  Frage  nie  nach  Lohn  oder  Strafe  auf  Erden  oder  im 
Jenseits,  sondern  thu'  das  Gute  aus  Achtung  vor  dem  Gesetz,  aus 
EhrAircht  yor  der  die  Welt  erhaltenden  heiligen  Pflicht.   Thue  reeht 

Tmii^gixm.  14.  Mag.  Heft  Tl.  24 


Digitized  by  Google 


—   S38  — 


und  scheue  niemand.  Wenn  du  siehst,  dass  das  gute  Recht*)  gebengt, 
das  Gesetz  frevelhaft  verletzt  wird,  so  lass  dich  weder  dorch  die 
Bücksicht  anf  deine  eigene  Behaglichkeit,  auf  deine  irdische  Glück- 
seligkeit, noch  durch  die  Furcht  vor  dem  bösen  Blick  und  den 
Drohungen  der  Gewalthaber  und  eigensüchtigen  Übelthäter  von  dem 
sittlichen  Kampfe  um  diese  heiligen  Güter  zurückhalten.  „Die  Ehr- 
würdigkeit der  Pflicht  hat  nichts  mit  Lebensgenuss  zu  schaffen;  sie 
besitzt  ihr  eigenthümliclies  Gesetz  und  ihr  eigentliümliches  Gericht.'' 
(Kant.)  Jede  fremde  Autorität,  die  stritt  des  Gesetzes  als  Norm  iliren 
Sonderwillen  aufstellen  und  durchführen  will,  hat  für  sich  keine  sitt- 
liche Berechtigung  oder  Geltung  und  soll  unter  Umständen  als  gefähr- 
liche Tyrannei,  als  verderbliches  Hemmnis  für  die  Ausbreitung  und 
Ausübung  echter  Sittlichkeit  aufs  äußerste  bekämpft  werden.  „Handle 
nur  nach  derjenigen  Maxime,  durch  die  du  zugleich  wollen  kannst, 
dass  sie  ein  allgemeines  Gesetz  werde".**) 

Die  echte  philosophische  Sittenlehre  schließt  nicht  jeden  Lebens - 
gi-nuss  aus.  „Wir  sind",  wie  Kant  sagt,  „Bürger  zweier  Welten, 
der  wirklichen  und  der  intelligibeln  Welt",  und  darum  hat  das 
aus  der  noth wendigen  Selbstliebe  stammende  natürliche  Strebeu  nacli 
irdischem  Glück  und  Wolsein  neben  dem  idealen  seine  Atolle  Berech- 
tigung und  soll  uns  duich  keinen  Priester  der  Welt  verkümmert 
werden. 

„Fxende  Mit  die  auote  Fedtr, 

In  (lor  ewigen  Natur; 

Freude,  Freude  treibt  die  B8der 

In  der  großen  Weltenuhr." 

Eine  fireadiose,  unter  Soigen,  Noth  und  Entbehrungen,  unter 
Znrftcksetznngen  und  Kränkoogen  aller  Art  verlebte  Jngend  lässt  sich 
nie  verwinden;  die  Rückerinnening  vergällt  uns  das  spätere  Leben, 
selbst  wenn  dasselbe  glücklichere  Tage  und  reiche  Mittel  zum  Ge- 
nnas gewährt.  Dagegen  zehren  wir  alle  in  unseren  alten  Tagen  von 
den  glücklichen,  d.  h.  genussreichen,  frohen  Stunden,  die  wir  in  der 
Jugend  verlebt,  von  den  harmlosen  Freuden,  die  wir  in  vergangenen 
Tagen  genossen  haben.  »Eine  frohe  Stunde  wiegt  ein  Jahr  von 
Schmerzen  aufl'^ 

*}  WereohtntkUdiMiAditnigTOf  deiiiX}«Mli]itaddnlen 
Bedht  und  das  Gaieti  ab  heUige  Güter,  mit  aaderaii  als  die  hOdntea  Otter  des 

Ldtons  anerkenneii  und  achten. 

**)  Die  Maxime  ist  das  subjcctive  Prinrij)  zu  handeln,  ist  also  der  Grundsatz, 
nach  welchem  der  Mensch  bandelt.  Der  Lnperatir  oder  daa  Gesetz  ist  die  Ver- 
pflichtung, nadt  der  er  handeln  soll 


Digitized  by  Google 


-    389  — 


Aber  freilich  kann  das  Streben  nach  (xeuuas  leicht  aoBurteii  und 
dem  höhei'en  idealen  leicht  hinderlich  werden. 

„Wenn  wir  zum  Guten  dieser  Welt  geUuigMi, 
Dilnkt  uns  das  Bessre  Trug  und  Wahn. 
Die  uns  das  Leben  gaben,  herrliche  Gefühle 
Erstarren  in  dem  irdittcben  Gkwühle." 

Der  Genuss  soll  unser  Leben  nur  würzen,  er  darf  nicht  seine 
Speise  bilden.  Eine  übertriebene  Hingabe  an  das  Sinnenleben  erschlafft 
die  Seele  und  raubt  ihr  die  Fähigkeit,  sich  dem  für  das  ideale  Streben 
nothwendigeu  Zwange  ohne  Murren,  ja  mit  Freudigkeit  zu  unterziehen. 
Da  jedes  Streben  nach  Genuss  nur  die  Befriedigung  der  eigenen 
Lust,  nur  das  eigene  Glück  im  Auge  hat,  so  muss  es  bei  unmäßiger 
und  unweiser  Erfüllung  unserer  Begier  die  edle  Elirfurcht  vor  dem 
Heilii^en  und  seinen  idealen  Forderungen  schwer  beeinträchtigen  und 
dagegen  in  bedenklicher  Weise  die  Quelle  alles  Bösen,  die  Selbst- 
sucht fördern. 

Darum  verurtheilt  die  Sittenlehre  unbedingt  jeden  unmäßigen 
Genuss,  weil  derselbe  uns  im  Sti'eben  nach  dem  Ideal  sittliclier  und 
religiöser  Vollkommenheit  hindert;  aber  Genuss  als  solchen  sieht  sie 
als  nothwendig  und  darum  als  vernünftig  und  erlaubt  an  und  bezeich- 
net jedes  Streben  nach  Lebensfreude  nnd  irdischer  Glückseligkeit, 
solange  dasselbe  kein  Gebot  einer  idealen  Pflicht  verletzt 
oder  der  Erfttllung  desselben  hinderlich  wird,  dnrchans  als 
gut  nnd  loblich.  Die  Lehre  der  kirchlichen  Moral  von  dem  sitt- 
Uehoi  Wert  nnd  der  Nothwendigkeit  der  Asoese  wird  yon  der  philo- 
sophischen Sittenlehre  verworfen.  Dagegen  fordert  dieselbe,  dass  der 
Mensch  in  Anerkennung  der  Gefithr,  welche  die  fibennftftige  Hingabe 
an  sbinlichen  Genuss  bereitet^  vm  der  hohem  Pflicht  willen  seine  sfam- 
liehen  Triebe  nnd  Neigungen  in  fester  Zucht  halten  und  darum  un- 
abUssig  nach  Selbsterkenntnis,  nach  rechter  Erkenntnis  semer 
Schwachen  nnd  Fehler  nnd  nach  Selbstbeherrschung  streben 
soll  Du  sollst,  so  lautet  der  Grundsata,  diine  sittliche  Gefllhlsgmnd- 
lage  so  ansbildea,  dass  du  im  Urtheiien  und  im  Handeln  mit 
dem  Denken,  Urtheiien  und  Handeln  eines  ideal  sittlichen 
Charakters  fibereinstimmst  Damit  wirst  du  zugleich  dein  sitt- 
liches Gewissen  bilden,  so  dass  jede  deiner  Thaten  und  deine 
Gedanken  Yim  diesem  innem  Bichter  scharf  und  rficksichtslos  gelobt 
oder  getadelt  werden.  Bei  einer  recht  sorgfältigen  Selbsterziehnng 
wirst  du  sittlichen  Tact  erlangen  und  schlieftlich  dahin  kommen, 
nicht  anders  als  sittlich  handeln  zu  können;  das  Sittengesetz 

24» 


Digitized  by  Google 


—   340  — 


wird  dich  beherrschen  wie  ein  Naturgesetz.  Dieser  Zustand 
soll  das  Endziel  deiner  sittlichen  Selbsterziehung  bilden*). 
Trotz  der  Verwerfung  der  Ascese  verlaufet  die  philosophische  Sitttju- 
lehre,  dass  wii*  unter  Umständen  um  der  Ptliclit  willen  jeden  Genuas, 
ja  alles  das,  was  wir  irdisches  Glück  nennen,  zum  Opfer  bringen  und 
selbst  das  Opfer  unseres  Lebens  nicht  scheuen  sollen.  „ Nichts wüi'dig 
ist  die  Nation,  die  nicht  ihr  alles  freudig  setzt  an  ihre  Ehre."  Für 
das  Vaterland  und  die  Freiheit  —  Begriffe,  die  di»-  kirdiliclie  Sitten- 
lehre gar  nicht  kennt  -  hat  schon  luanclier  wackre  Mann  freudig 
sein  Herzblut  vergossen;  andere  lial)en  für  ähnliche  hohe  sittliche  Ideen 
freudig  ihr  Vermögen,  ilire  Ruhe  und  ihre  Gesundheit  geopfert.  „Die 
Tugend  ist  kein  leerer  Wahn." 

Da  zu  solchem  Thun  ein  hoher  Grad  von  Selljstbeheri-schuug  und 
ein  starker  sittlicher  Wille  gehr»rt,  so  fordert  die  ernste  Sittenlehre, 
dass  wir  uns  von  frühester  Jugend  an  in  strenger  Selbst- 
beherrschung üben  und  darin  keine  Nachsicht  gestatten 
sollen.  Das  Naturgesetz  lehrt,  dass  rückwärts  kommt,  wer  nicht 
vorwärts  geht;  dass  man  der  Sclave  seiner  Triebe  und  Begiei*den 
werden  muss,  wenn  man  sie  nicht  zu  bändigen  versteht  Das  Bän- 
digen kann  nicht  frtth  genug  begonnen  werden**).  Freilich 
aeheinen  manche  Menschen,  wenn  sie  nach  wOst  und  wild  verlebter 
Jugend  znr  Besimiang  gekommen  sind,  diese  Behauptung  za  wider- 
legen. Sie  leben  vielleicht  Jahrzdinte  hindurch  als  gesetzte,  scheinbar 
recht  sittliche  Bürger  nnd  Bürgerinnen  nnd  meinen  jenes  Natnrgesetzea 
spotten  zn  dtifen.  Irret  euch  nicht!  Diese  Menschen  sind  ihres 
Willens  nie  sicher.  Die  wüsten  Bierden  ihrer  wilden  Jugend- 
zeit können  pl5tsdich  wieder  erwachen  und  sie  entsetslidi  unteijochen. 
Dann  hilft  keine  Warnung,  kein  Gedanke  an  den  einst  heifi  gdiebten 
Mann,  an  das  einst  heiß  geliebte  Weib,  an  die  geliebten  Kinder; 
keine  mahnende  Vorstellung  von  Ehre  und  liebe  der  Mitmenschen. 
Alles,  alles  wird  der  neu  erwachten  verzehrenden  Leidenschaft  zum 
Opfer  gebracht  Der  scheinbar  ausgetriebene  Teufel  ist  zurückgekehrt 
und  „hat  sieben  unreine  Geister  mitgebracht".  Wer  nicht  in  seiner 
Jugendzeit  gelernt  hat,  das  wilde  Herz  zu  zähmen,  vergiftet  sein 


♦)  Der  vortreflniche  Arzt,  Professor  Dr.  Heim  in  Berlin,  Überall  »der  alte 
Heim"  genannt,  pllegte  in  Fällen,  (In  ihm  seine  rfiioht  üchr  sehwer  wurde,  zu 
sagen:  „Ich  möchte  gern  anders  handeln,  wenn  nur  das  dumme  (iewissen 
nicht  wäre." 

**)  Wir  weiden  spftter  bei  Beleuchtung  der  Erziehung  kleinw  Kinder  (unter 
4  Jahren)  su  nnbedmgtem  Gehorsam  darauf  surttckkommen. 


Digitized  by  Google 


—   841  — 


innerstes  Leben  and  mnas  nur  zu  oft  das  entsetolkh  tiaiinget  enchftt- 
temda  Wort  sprechfin:  Es  ist  zu  spftt!" 

„And  thuB,  untaught  is  youth  mr  heart  to  tame, 

My  Springs  of  life  were  poison'd.    Tis  too  lato!"  (BjTon.) 

Damm  warnt  diese  ernste  Sittenlehre  den  Jüngling,  TOn  der 
Meinung  abzustehen,  dass  ein  gelegentliches  Sündigen,  eine  gewisse 
Nachsicht  gegen  unsere  Schw&chen  bei  den  schwereren  sittlichen  Pflich- 
ten oder  argen  Verlockungen  und  Versuchungen  in  der  Jugendzeit 
nicht  viel  schaden  werde.  Man  ist  in  dieser  Zeit  nur  zu  sehr  geneigt 
sicli  zu  entschuldigen  und  sich  wol  gar  darauf  zu  berufen,  dass 
Genialität  ein  ^Austoben"  nothwendig  mache,  dass  es  genug  geniale 
Mensclien  jref,'"ebeii .  die  bei  einem  wahrlich  nicht  streng  sittlichen 
Leben  doch  Hervorragendes,  ja  Großes  geleistet  haben  und  sogar  von 
der  Nachwelt  bewundert  und  gepriesen  werden.  Hei  der  Sittlichkeit 
kommen  die  Werke  des  schaffenden  Geistes  nicht  in  Betracht,  sondern 
nur  das  Gemüth  und  die  Gesinnung.  Man  lialte  daran  fest,  dass 
Nachsicht  und  Feigheit  im  sittlichen  Kampfe  wie  in  jedem  andern 
nur  Schaden  bringen  und  den  Siec:  veieiteln;  dass  sie  den  sittlichen 
Emst  der  Gesinnung  beeinträchtigen  und  den  Willen  zum  Guten 
schwächen  müssen.  Dies  Naturgesetz  gilt  für  alle  Menschen, 
auch  für  die  genialen,  höchst  begabten  und  wird  sich  nie 
ändern. 

Die  strenge  j)hilosophische  Sittenlehre  hat  bei  ihren  Forderungen 
nicht  nur  den  einzelnen  Menschen,  sondern  auch  die  Gemeinschaft 
aller  im  Auge  und  sclireibt  demgemäß  sehr  ernste  Ptlithten  vor. 
Christus  hat  dieselben  durch  den  scluinen  Grundsatz  ausgedrückt: 
„Liebe  deinen  Nächsten  wie  dich  selbst."  Die  rechte  Betrach- 
tung der  Folgen,  die  uns  nothwendigerweise  aus  unserer  Selbstbeherr- 
schung erwachsen  müssen,  zeigt,  dass  diese  sittliche  Kraft  auch 
um  unserer  Mitmenschen  irillen  nöthig  ist.  Die  wolthätigen 
Folgen  einer  echt  sittlichen  Handlungsweise  erstrecken  sich  nidit.inir 
auf  nnsere  nächsten  Angehörigen  oder  lOthftrger,  sondern  auf  alle 
Menschen  ohne  Unterschied.  Sie  tragen  dazu  bei,  den  Ban  der  sitt- 
lichen Welt  ansammenznhalten  und  auf  Erden  das  Reich  des 
Friedens  und  der  Liebe  grttnden  zn  helfen. 

Im  Hinblick  aof  diese  Pflicht  der  Nächstenliebe  verlangt  die 
philosophische  Sittenlehre  Ton  jedem  Menschen  Qemeinsinn,  berdt- 
villige  Hilfe  allen,  die  unrecht  erdulden  müssen,  —  nHilfe,  wo 
die  Unschuld  weint*)**  —  von  Unterdrttckeni  des  Bechts  bedringt  oder 

*)  Dos  Mitleid  mit  den  Kranken  und  den  Annen,  die  nnyendinldet  nicht 


Digitized  by  Google 


—   342  — 


yetfblgt  werden;  Treae  (Treue  gegenflber  dem  gegelMiien  Worte, 
der  ehrlichen  Überzeugung,  seinem  GlanbeOi  den  Freonden,  dem  Gatten» 
dem  Fürsten,  dem  Vaterlande),  Achtang  des  fremden  Rechts, 
Redlichkeit  und  Billigkeit  in  Handel  und  Wandel,  Achtung 
vor  der  fremden  auf  festem  Glauben  beruhenden  Überzeugung 
und  vor  jeder  sittlich  berechtigten  PersHnlichkeit,  gleichviel 
welchem  Stande  und  Berufe  sie  angehöre,  welche  Stellung  sie  im 
Leben  einnehmen  möge;  Wahrhaftigkeit  —  „Wahrheit  gegen 
Freund  und  Feind"  — ,  Wahrheitsmuth  d.h.  den  Muth,  seine  Gesin- 
nung offen  zu  zeigen,  jedem,  der  unrecht  thnt,  möge  er  noch  so  hoch 
stehen,  die  Wahrheit  zu  sagen  und  ebenso  offen  die  eigene  Schuld  zu 
bekennen  (edlen  Freimuth),  und  endlich  Milde  und  Versöhnlich- 
keit, Überwindung  der  Leidenschaft  des  Hasses,  Austilgung  aller 
Rarhegelüste  (Rache  ist  stets  unedel  und  unsittlich)  und  echte  Toleranz, 
d.  h.  die  achtungsvolle  Anerkennung-,  dass  jede  fremde  Überzeugung, 
welche  des  Menschen  Denken  und  Handeln  als  Pflicht  reg:elt,  neben 
der  unserigen  völlig  gleiche  Berechtigung  habe.  Diese  Forderung 
bezieht  sich  nicht  allein  auf  die  verschiedenen  religiösen  Übei-zeuf^ungen, 
sondern  gilt  auch  für  die  beiden  großen  sittlichen  Gebiete,  für  das 
politische  und  das  sociale. 

Zugleich  mit  diesen  Forderungen  stellt  diese  strenge  Sittenlehre 
an  uns  das  Verlangen,  die  diesen  Grundsätzen  entgegenstehenden 
Grundsätze,  Ansichten  und  Bestrebungen  der  Selbstsucht  zu 
verachten  und  dieselben  mit  Aufbietung  aller  Kräfte  zu  be- 
kämpfen.*)  £s  ist  durchaus  unrecht,  bei  solchen  Kämpfen  sich  ieig 


duidi  Menschen,  sondern  durch  das  Schicksal  ins  Elend  geiaten,  ist  eine 
fromme  Pflicht,  gehört  ins  Gebiet  der  Religion. 

*)  Benäidie  Schilderungen  solcher  KAmpfs  und  vemdundener  Menschen,  die 
dneh  einxelne  jener  nttUdien  Tugenden  herrorienditen,  gehen  uns  Jene  volksthllni- 

lichen  Epen,  welche  aus  alten  iin  Volke  geeehnffUMü  vad  vielfach  gesungenen 
einzelnen  Heldenliedern,  Balladen  oder  Roiiianzen  zusanimenffeBtellt  wordon  sind, 
wie  das  Nibelungenlied,  das  (ludrunlii  il.  das  Waltharilied,  der  „Cid".  (S.  Herders  „Cid".) 
Wie  herrlich  bekunden  die  Helden  und  Huldinnen  in  jenen  die  verschiedeneu  hoch- 
sittiidieD  Foiderungen  der  dentsehen  Tzene;  wie  henlieh  neig;!  der  spenisdie  Volk»- 
held  neben  der  heUenrnSüiigen  Tepftxfceit  edeln  Frafanntht  WakiMtwnth,  JKaamet' 
stolz  vor  KOmgstbronen",  Treue  und  Vaterlandsliebe,  selbst  bei  dem  schnödesten  Un- 
dank, dessen  Rein  König  sich  ihm  gegenüber  Bchuldig  macht!  AIh  der  König  Don 
äancho  seine  Schwester  Uraka  ihres  ErbtJieils  berauben  will  und  dem  Cid  befiehlt, 
ihm  dacu  behilflich  zu  sein,  folgt  der  Held  dem  Befehl  der  hShem  sittlichen  Pflicht, 
dteVnMhnU  m  beeehttUen  md  geht  ruhig  in  die  dniobttber  Ihn  Yeihlagte  Verban- 
nung. Als  iUe  Betehebunme  sieh  fttrehten,  dem  neuen  KBnige  Alftnio  den  vom 


Digitized  by  Google 


—   343  — 


zurückzuziehen  oder  unthätij^  zuzuschauen.  Das  Gesetz  des  weisen 
Solon,  dass  im  Staate  jeder  Partei  ergreifen  solle,  gilt  für 
alle  Zeiten  und  für  alle  diese  Kämpfe  als  weise  und  sittliche  Forderung. 

Die  Erhabenheit  einer  solchen  Sittlichkeit  und  solch  einer  Sitten- 
lehre zeigt  sich  namentlich  darin,  dass  sie  diese  Forderungen  auf- 
stellen, ohne  dafür  irgend  einen  Ersatz  zu  bieten  oder  zu  ver- 
heißen, dass  Menschen,  welche  diese  schweren  Forderungen  erfüllen, 
dabei  nur  an  ihre  Menschenwürde  denken,  diese  Opfer  nur  bringen, 
um  vor  sich  selber  zu  bestehen.  Diese  Sittenlehre  kennt  bei  allen 
ihren  Forderungen  nur  das  eine  erhabene  Wort:  Du  sollst! 
Wenn  der  Jünger  im  Hinblick  aut  die  süßen  Freuden  der  verbotenen 
Genüsse  zweifelnd  ausruft:  „Warum  soll  ich  diesen  Genuss,  dies  süße 
Glück  meiden,  warum  darf  ich  mich  nicht  den  zwar  leichtsinnigen 
aber  so  lustigen  Genussmenschen  anschließen?",  so  ertönt  statt  jeder 
Begründung  nur  dies  eine  erhabene  Wort:  Bn  sollst!  Da  bist 
ein  Mensch  und  hast  als  Vorzug  vor  den  Thieren,  als  eigenthflmliche, 
specifisch  menschliche  Begabung  die  Kraft  erhalten,  diesen  Belelil  als 
einen  unbedingten  zn  fühlen.  Daram  lebe  nnd  strebe  wie  ein  Henaeh 
and  erhebe  dich  mit  jeder  Besiegung  deiner  Gelfiste  ttber  dae  Tbier 
QBd  thierisebe  Triebe  nnd  Bedflrfiiisae.  Vennehe  ee  nnr,  dieh  redlieh 
sa  bemftben  nnd  Selbstbebensehnng  sn  «langen,  so  wird  dir  aOmSb- 
licb  klar  werden,  was  der  weise  Kant  sagt:  „Zwei  Dinge  eifttllen 
das  Gemfttb  mit  inuner  neuer  und  zunehmender  Bewnndemng:  der 
gestirnte  Himmel  Uber  mir  nnd  das  moraliaehe  Gesetz  in  mir.** 
Dn  wirst  aDmihlich  die  Wahrheit  des  Wortes  erkennen: 

tJhm  wir  Haudieii  niir  nnd,  der  Gedanke  beuge  das  Haupt  dir; 
Doeh,  daai  Memwhen  wir  sfad,  lidite  dich  ftendig  empor." 

Willst  da  anf  das  heilige  Sittengesetz  nicht  hOren  nnd  deinen 
Lfisten  frOhnen,  so  lebe  wie  ein  Thierl  Dn  wirst  dafür  nicht  mit  der 
gOttUchen  Strafe  im  Jenseits ,  mcht  mit  den  Qualen  in  Fegefeuer  nnd 
HODe  bedroht.  Wir  weisen  nur  darauf  hin,  dass  die  Folgen  deiner 
Handlnngsweise  mit  der  Nothwendigkeit  von  Naturgesetzen 
sich  einstellen  müssen  nnd  sich  einstellen  werden.  Es  gibt 
für  dich  emen  Himmel  nnd  eine  Hölle  hier  auf  Erden.  Dir  ist  die 
Handosigkeit  versagt»  mit  der  das  Thier  alle  seine  Triebe  befriedigt 
Dn  weißt  was  gnt  nnd  bOse  ist,  was  dn  sollst  nnd  was  dn 

Reichstage  geforderten  Keinigungseid  abzunehmen,  ontenieht  er  sich  dieser  wich- 
tigen Au^abe,  tflmok  er  weit,  da«  der  stohie  Gebieter  ikn  deairegen  huam  maA 
voMgei  wild.  Hau  arilge  ^  Jagend  Iber  dieie  Tbalea  vod  GnuMbltM  recht 
uMUBnm,  danit  de  dieielbeii  liäb  mm  Xaater  aehne. 


Digitized  by  Google 


—    344  — 

nicht  BollBt  Da  hast  ein  Gewissen'*')  nnd  mnsst  seuie  Stimme 
liQren,  magst  da  immeriun  dich  bemflhen,  sie  za  nnterdrOcken  oder 
diefa  dagegen  m  betftaben.  Darom  Ueiben  dir  die  Vorwürfe  des 
bOsen  Gewissens  nicht  erspart,  and  dieselben  können  unter  ümstSn- 
den  zn  entsetzlichen,  nie  anfliörenden  Qoalen  werden.  Auf  die  kOst- 
Jiche  Buhe  und  stille  Seligkeit  des  guten  Gewissens,  auf  edles  Selbst- 
bewusstsein,  edeln  Stolz,  auf  echte  Menschenwürde  mosst  du  daon 
yerzichten.  Wenn  du  dich  zum  Sclaven  deiner  Lttste  erniedrigst,  so 
machst  du  dich  naturgemäß  zum  Sclaven  aller,  die  in  selbst- 
süchtiger Herrschbegier  oder  aus  anderen  schlechten  Beweg- 
gründen  die  Fehler  und  Schwächen  ihrer  Mitmenschen  ans- 
Zttbeaten  pflegen.  Sei  gewiss,  dass  du  dieser  Sklaverei  nie  ent- 
rinnen kannst,  so  schwer  die  Fesseln  dich  auch  drücken  mögen.  Da 
wirst  ohne  sittliche  Selbstbeherrschung  auch  nie  die  köstliche  innere 
Heiterkeit,  die  rechte  Lebensfrische  und  Lebensfreude  erlangen,  die 
uns  Menschen  bei  schweren  Unglücksfällen,  in  den  schwierigsten 
Lebenslagen  aufrecht  erhält**).  Du  wirst  infolge  der  inneren  Unruhe 

*)  Gewissen  iit  des  Wiitea  um  den  sittliclieii  Wert  und  die  Bedev- 
Inng  uaeeree  Thune  und  Leesene,  mieier sittlichen  eder  unrittBehen  Heudlunge- 
weise.  Man  knaa  ee  daher  „den  innern  Bichter"  nennen.  Es  ist  eine  Scclen- 
thätigkeit,  bei  der  unser  sittliches  Verhalten  klar,  begrifflich  durchdacht 
wird.  Die  Warnung,  welche  der  Menficb  vor  der  That,  die  Beue  und  Angst,  resp. 
die  Freude,  welche  er  nach  derselben  fohlt,  haben  mit  diesem  Gewissen 
eigentlich  nichts  sn  schaffen.  Da  sie  dassslbe  Vbet  bebten  und  von  seinem 
BicbteiBpruche  unzertrennlich  sind,  so  spricht  man  von  einem  guten  und  einem 
bösen  Gewissen  und  sapt,  dass  das  letztere  den  Üliclthfitor  „schlatro"  oder  peinige. 
E.s  ist  besser,  zu  sagen,  dass  diese  Qualen  vou  der  ^eele  oder  vom  (ieinüthe  aus- 
gehen. Das  Gewissen  luuss  durch  Aneignung  klarer  Begriffe  und  durch  Übung  im 
Fühlen  nnd  Ducchdenhen  sittlicher  Gesetse  nnd  Theten  in  ihnlieher  Weise  wie 
das  Knastvrtheil  gebildet  werden. 

**)  Eine  herrliche,  herzerfrischende,  sittlich  denkende  tind  strebende  Natur  hat 
Dickens  in  seinem  Roman  „Martin  Chuzzlewits  Leben  und  Schicksale^ 
gezeichnet.  Der  ehrliche  wackere  üauäknccht  und  Kellner  Mark  Tapley  bwitzt 
eine  se  kMtfehe  Lebensfiriscbe,  dass  er  meint,  in  glUcklicheo,  geordneten,  guten  Vei^ 
hiltnissen,  bei  denen  ihm  das  Leben  leicfat  wird,  nicht  genug  Ehre  erwerben  su 
können.  „Jedermann  kann  heiter  und  guter  Dingo  sein",  sagt  er,  „wenn  er  gut 
gekleidet  ist.  Wenn  ich  recht  zerlumpt  und  doch  recht  lustig  wiire.  so  würde  ich 
glauben,  mir  darauf  etwas  zu  gute  thun  zu  dürfen."  „Wenn  man  als  Totengräber 
oder  als  Leichenbestatter  oder  bei  einer  Lungenentzündung  vergnügt  wäre,  so 
wOide  dabei  wenigstens  Ehre  su  ednlen  seu."  Diese  kSetliohe  auf  echter  Sitdieh- 
keit  berahende  LebensbisdM  eihilt  ihn  in  allea  Lagen  nidüt  nur  aufrecht,  sondern 
augleieh  stets  heiter.  Als  es  ihm  und  seinem  Herrn  Martin  in  Amerika  so  schlecht 
geht,  dass  sie  in  der  That  Ursache  zum  Verzagen  haben,  so  sagt  Mark  zu  sich  selbst : 
.Nun,  Meister  Tapley,  gib  acht!  Die  Dinge  sehen  ungefähr  so  schlecht  aus,  wie  sie 


Digitized  by  Google 


—    346  — 


„yon  Beg^ierde  zum  Genuss  taumeln,  imd  im  Gennss  vor  Begierde 
yerscbmachten**,  bis  da  zuletzt  erkennen  mnsst,  „dass  der  Zaaberbecher 
des  Lehens  nur  am  Bande  glänzt,  dass  für  den  gierigen  Trinker  unten 
wermutbittere  Hefe  liegt."  (Byrons  „Childe  Harold's  Pilgrinage: 
Life's  enchanted  cnp  but  sparkies  near  the  brim.  His  bad  been  qnafTd 
too  quickly,  and  he  found  The  dregs  were  wormwood.  (Canto  III.) 
Versuche  es  dann  mit  dem  Priester,  kanfe  dir  Ablasszettel,  lass  dich 
mit  Verheißiiiifj:en  trösten:  wir  können  dir  nur  sagen,  dass  alle  Trö- 
stungen der  Religion  und  alle  religiösen  Übungen  dir  jene  kostbaren 
Güter  nicht  geben  werden*).  Das  Walten  der  ehernen  Naturgesetze 
vennag  niemand  zu  ändern. 

Du  musst  bei  einer  solchen  Verachtung  der  sittlichen  Pflicht  der 
Selbstbeherrschung  auch  auf  die  rechte  Achtung  und  Liebe  unter 
deinen  Mitmenschen  verziclitcn.  Kreilich  hat  der,  „welcher  irrt, 
gar  viele  Gespielen"-,  aber  wehe  dem,  der  auf  solche  Freunde  baut, 
oder  von  ihnen  Acl»tung,  Liebe  und  Gegendienste  erwartet.  Wahre 
Freunde  hat  nur  der  sittlich  Strebende,  der  Redliche. 

Die  Achtung  und  Liebe  der  Mitmenschen  zeigt  sich  am  klarsten 
bei  der  durch  groUere  Gemeinschaften  vollzogenen  Wahl  der  Tüchtigen, 
Tapferen,  Leistungsfähigen,  welche  ein  Vertrauensamt,  eine  wichtige 
oder  hervoiTagende  Stelle  einnehmen,  oder  im  Kaini»fe  um  die  heilig- 
sten Güter  des  Lebens  als  Führer  dienen  sollen.  Äfeinst  du,  dass 
man  dich  Schwächling,  dich  leichtsinnigen,  lüsternen  (^enussmenschen 
zu  solch  einer  Stellung,  zu  solcher  Führerschaft  für  würdig  erachten, 
mit  Vertrauen  beehren  wird?  Vielleicht  wählen  dich  jene  Menschen, 
welche  gefügige  Werkzeuge  brauchen,  um  ihre  Ideen  gewaltsam  zur 
Geltung  zn  bringen,  oder  am  gewissenlose,  im  Grande  ToArecfaeriscIie 
PlSne  Miflfthren  zu  können.  Da  kannst  dnreh  sie  wol  sn  Beloknnngen, 
ja  zu  einer  eintrftgUchen,  wol  gar  hohen  Stellung  und  zn  ftnfierUeh 

mmImb  kOnmen,  fmga  Haan.  Du  wixsti  lo  lange  dv  letal,  keine  andeie  derer* 

tige  Gelof^cnheit  finden,  deinen  Humor  zu  zeigen,  mem  foiDer  BniBche.  Und  des- 
halb, Taplt  V.  ist  jetzt  deine  Zeit  da,  dich  als  Mann  sv  enreieeD  oder  nie."  Und 
er  bleibt  unverzagt  und  rettet  sich  und  seinen  Herrn. 

*)  Maria  Stuart:  Frisch  blutend  steigt  die  Itingüt  vcrgebne  Schuld 

Ave  flurem  Idehfbedeekten  Onb  empor. 

Oes  Gatten  ndwfordendee  Gespenet 

Schickt  keines  Mcsscdicncrs  Glocke,  kein 

Hochwflrdiges  in  Priesters  Hand  zur  Gruft.  (Act  I  Sc.  4.) 

Dies  gilt  nicht  bloe  für  den  Mord,  sondern  auch  für  andere  Versündiguagen. 
Heil  Tvnnag  nie,  iie  «uanetreidiett.  Wir  ermnoii  an  die  Sage  Ton  dem  „CDEolet 
im  Haue". 


Digitized  by  Google 


~  346  — 


ehrenden  Auszeichnungen  gelangen ;  aber  diese  Mensclien  verachten 
dich  als  ihren  bezahlten  Sclaven,  als  ihren  Hatzhund*)  und  stoßen 
dich  mit  dem  Fuße,  sobald  sie  deiner  nicht  mehr  bedürfen  oder  den 
lößtigeu  Mitwisser  und  Helfershelfer  entfernen  wollen. 

Die  Folgen  unsittlichen  Thuns,  leichtsinniger  oder  frevelhafter 
Vernachlässigung  oder  Verhöhnung  des  Sittengesetzes,  die  den  eher- 
nen Naturgesetzen  gemäß  unabwendbar  sich  einstellen,  enthalten  eine 
Nemesis,  die  bisher  viel  zu  wenig  beachtet  worden  ist.  Sie  zeigt 
sich  am  deutlichsten  gerade  bei  den  fein  organisirten,  hochbegabten 
Menschen;  denn  diese  haben  bei  ihren  gewaltig  drängenden  und 
stürmenden  Trieben  zugleich  sehr  feine  Empfindungen  und  demgemäß 
die  Anlagen  zu  einem  feineu  Gemüth  und  feiner  Unterscheidung  für 
Gut  und  Böse,  Recht  und  Unrecht.  Daraus  erwächst  so  vielen  der 
Größten  und  Gewaltigsten  die  tiefe  Tragik  ihres  Lebens**).  Wir 
haben  diese  Nemesis  bereits  vorhin  durch  die  Darstellung  einzelner 
Folgen,  die  aus  der  leichtsinnigen  Hingabe  an  die  Siimenlnst  erwach- 
sen, in  einzelnen  Zügen  angedeutet.  Diese  Züge  lassen  sich  leicht 
WDiBlirei,  und  sie  leditfertigen  TollkcMiiiiMii  0oeih^8  Wort:  „Alle 
Schuld  rächt  sich  auf  ErdeD.*" 

Freilioh  hdrt  man  von  Terschiedenen  Seiten,  namentlich  tob  den 
Anhfiagem  der  kirchlichen  Sittenlehre  behaupten,  dass  diese  Nemesis 
auf  Erden  fehle,  dass  der  freche  und  aalglatte  SchnriLe  ungestraft 
bleibe,  dass  die  ünschiild  leiden  müsse,  Ungerechtigkeit  und  Bosheit 
nur  sa  oft  trinmphiren,  und  dass  es  daram  notwendig  sei,  an  das 
alles  ünredit  ausgleichende  Stra^ericht  Gottes  im  Jenseits  an  glauben. 
Aber  dies  ist  eine  Yon  jenen  Behauptungen,  die  sich  ?on  Jahrhundert 
SB  Jahrhundert  fortschleppen,  wie  Dogmen,  wie  Axiome  prDfiingBlos 
angenommen  und  gedankenlos  nachgesprochen  werden. 

Das  Wort  des  weisen  Goethe  ist  wahr.  Die  philosophische  Sitten- 


^  Fürst  BUmaxek  0OII  in  Bezug  aof  einen  früher  sehr  hoch  gestellten  Mann  ta 
offener  Verachtung  seiner  ScIaTendienste  gesagt  haben:  „Er  ist  ein  gnter  Hand; 
aber  auf  Befehl  schwimmt  er  selbst  durch  die  ärgste  Pfütze." 

**)  Wer  im  Leben  selbst  nicht  Gelegenheit  bat,  diese  Wahrheit  au^  eigenen 
BeohnehtoBgtn  ni  aohOpUm,  der  8tndireShakeq>eue^  und  namentUefa  uiteraB  SehiUer 
groBaitige,  wunderbar  tief  und  schfin  magdegto  nnd  kunstvoll  ausgeführte  TmgOdien. 
Leider  hat  die  Nütion  sich  gegenwärtig  von  ihrem  edelsten  und  erhabensten  Dichter, 
ihrem  einstinaligcn  Lieblinge,  in  bedenklicher  Weise  iibgckehrt.  Dem  gcbildctcu 
Streberrolk  unaerer  Tage,  dessen  selbstsüchtige  Grundsätze  bereits  in  die  Schulen 
eingedrungen  in  fein  scheinen,  ist  der  giole  Dichter  m  enst  nnd  m  sticag  sitt- 
lich. Seine  TngOdien  weiden  nieht  mehr  studiert  lUa  pnnkt  Heher  Litentni» 


Digitized  by  Google 


—   347  — 


tobre  weist  den  Glauben  an  Gottes  Richteramt  und  Straf- 
gericht  im  Jenseits  in  der  Erkenntnis  zurück,  dass  eine 
Nemesis  auf  Erden  existirt;  dasB  dieselbe  in  den  nothwendigen 
auf  Naturgesetzen  beruhenden  Folgen  unserer  sittlichen  oder  unsitt- 
lichen Handlungsweise  begründet  ist,  und  dass  die  tiefere  Erkennt- 
nis derselben  ein  ruhiges  unverfälschtes  Rechtsgefühl  voll- 
kommen befriedigen  könne.  Sie  lässt  bei  dieser  Zurückweisung 
den  Glauben  an  Gottes  Liebe  und  Vatergüte,  an  sein  Erbarmeu  und 
seinen  himmlischen  Trost  unangetastet;  aber  derselbe  wird  nur  denen 
zutheil,  die  unschuldig  unter  den  Schlägen  des  Schicksals  oder 
unter  menschlicher  Thorheit  und  Verworfenheit  zu  leiden 
haben,  nicht  denen,  welche  sich  durch  unsittliches  Thun  oder  Thor- 
heit und  mangelhaften  Gebrauch  der  ihnen  verliehenen  Gaben  ihr 
Schicksal  selbst  bereiten.  Diese  Lehre  ist  die  Consequenz  jener 
oben  erörterten  Grundansicht,  dass  alle  sittlichen  Gesetze  lediglich 
aus  der  menschlichen  Vernunft  stammen,  und  der  Urgrund  unserer 
Verbindlichkeit,  sie  zu  befolgen,  nicht  in  Gott,  sondern  in  der  Auto- 
nomie der  menschlichen  Vernunft  zu  suchen  sei. 

Diese  Lehre  könnte  für  die  Menschheit  wahrliaft  befreiend  und 
erlösend  wirken;  denn  sie  fülirt  bei  echter  Anwendung  zu  erhöhter 
Selbsterkenntnis  und  zum  sorgfältigeren  Gebrauch  unserer  Vernunft  und 
der  anderen  seelisclien  Gaben.  Aber  in  dieser  Forderung,  sich  selber 
besser  zu  erkennen  und  die  Schuld  für  unser  Leiden,  für  Unglück 
und  das  Misslingen  verschiedener  Pläne  zunächst  in  uns  selbst  zu 
suchen,  liegt  leider  ein  bedenklich  großes  Hemmnis  fiir  ihre  allseitige 
Annahme.  Niemand  will  schuldig  sein;  jeder  sucht  Vorwürfe  und 
Schuld  auf  den  anderen  zu  schieben,  „der  letzte  auf  den  Teufel,  der 
TeabU  auf  seine  Großmutter."  Niemand  vermag  ruhig  selbst  gerech- 
ten Tadel  zu  ertisgui.  Grttaide  zur  Entschuldigung  sind  stets  bei  der 
Handy  sind  «wohlfeil  wie  Brombeeren**  nnd  weiden  dem  strafenden 
Gewissen  gegenftber  nur  m  leleht  aufgefunden.  Wahrhafte  Bens»  die 
nur  bei  auftichtigem  Bekenntnis  der  eigenen  Sdinld  möglich  ist»  wird 
in  der  Welt  nicht  oft  angetraffiBD.  Daram  snehen  die  Menschen  nur 
zn  leicht  f&r  ihre  eigenen  Thorheiten  nnd  selbstferschnldeten  Leiden 
die  Mitmenschen  verantwortlich  zu  machen,  klagen  Aber  mangelhafte 
Gerechtigkeit  aaf  Erden,  ftber  ihr  trauriges  Schicksal  nnd  fordern 
yon  Gott  dem  Hertn,  dass  er  das  Biehterunt  ansahen  nnd  das  noth- 
wendige  Strsfgeridit  yoUziehen  soUe.  Die  leichtsinnige,  trSge  nnd 
▼ergnfignngssttchtjge  Mntter  klagt  „GottesUage**  Aber  ihre  verwahi^ 
losten,  undankbaren  Kinder  and  fordert  sie  vor  Gottes  Bichterthron. 


Digitized  by  Google 


—  348  - 

Dir  presst  der  Kummer  über  die  Verluste  an  Hab'  und  Gut,  an  fihie 
und  Liebe,  die  sie  durch  die  Kinder  erlitten  hat,  jene  Klagen  ans. 
Es  kommt  ihr  nicht  in  den  Sinn,  diesen  Kummer  als  die  gerechte 
Nemesis,  als  die  Folge  ihres  schlechten  Beispiels,  ihrer  frevelhaften 
Nachlässigkeit  bei  der  Erziehung  der  Kinder  anzusehen.  Der  fromm 
gewordene  Vater  verstößt  den  ungeratenen  Sohn  und  droht  ihm  mit 
Gottes  Strafgericht.  Er  vergisst  dabei,  dass  er  in  seinem  geistlichen 
Hochmuth  die  Fehler  des  Knaben  stets  übersehen  und  ihn  durch  un- 
vernünftiges Überbürden  mit  Bet-  und  Andachtsübungen  zum  Frevler 
oder  zum  Heuchler  erzogen  hat.  Eigennützige  Feiglinge  pflegen  sich 
um  das  Unrecht,  das  tyrannische  Gewalthaber  ihren  Mitmenschen  zu- 
fügen, gar  nicht  zu  bekümmern.  Wenn  das  Unrecht  so  arg  wird,  dass 
sie  trotz  ihrer  Gefügigkeit  und  kriechenden  Demutli  selbst  zu  leiden 
haben,  sind  sie  gewöhnlich  die  ärgsten  Schreier,  klagen  Uber  „himmel- 
schreiende" Uni^erechtigkeit  und  seufzen  über  das  trostlose  £rden- 
leben,  in  dem  dei-  (Tprechte  am  meisten  leiden  müsse. 

Man  könnte  ähnliche  Fälle  mit  Leichtifrkeit  in  großer  Zahl  an- 
führen; aber  dies  Gesagte  wii-d  'genügen,  um  das  Wort  des  weisen 
Goethe  zu  rechtfertigen.  Man  möge  nur  wirkliche  Schickungen 
von  eif^entliclien  Verschuldungen  trennen  und  Schuld  oder  Unschuld 
sorgtaltig  abw;io:en.  Die  Nemesis  zeigt  sich  oft  in  überraschender 
und  verwunderlicher  Weise,  und  es  ist  wahrlich  nicht  nöthig,  seine 
Zuflucht  zu  den  vielen  Fabeln  zu  nehmen,  welche  von  Dicliter- 
lingen  und  Anhängern  der  kirchlichen  Aloral  erfunden  sind,  um  den 
Menschen  das  Walten  des  göttlichen  Strafgerichts  auf  Erden  zu 
Genüitlie  zu  tiihren.  Die  ganz  natürlichen  Folgen  frevelhaften  Thuns 
sind  für  den  klar  sehenden  Denker  so  überzeujirend,  dass  er  zur  Be- 
friedigung seines  Rechtsgefühls  eines  überirdischen  Richters  gar  nicht 
bedarf*).  £s  hat  sich  schon  oft  genug  zugetragen,  dass  vornehme 
Schorken  in  wahnsinnige  Frömmelei  oder  in  Tobsncht  verfielen,  dass 
Gaoner  sidi  ans  Wath  über  einen  yerfehlten  oder  verabsäumten  Betmg 
selbst  entleibten,  dass  geizige  Betrfkger  dnrch  Verluste  in  Wahnsinn 
getiethen  und  mitten  im  Beichthum  m  Terhungem  ittrchteten,  dass 
bOse,  hinterlistige  Verfolger  sieh  in  ihren  eigenen  Schlingen  fingen. 
Der  ehrgeizige  nnd  gewissenlose  Streber  wird  doreh  die  Qnalen, 

*)  Finc  Seite  dM  gloSen  cmehlloheft  Wertes,  der  in  den  herrlichen  erzählen- 
den Gedichten  (Romanzen.  Bulladen)  unsere«  jjroßcn  S(  hilltr  liegt,  beruht  darauf, 
da.^H  der  klar  denkende  philoijophigche  Dichter  ül»crall  bcunibt  ist,  die  Nemesis 
auf  das  Walten  von  Naturgesetzen  zurückzuführen.  (Kraniche  des  Ibikus, 
G«Qg  nach  dem  Bifeiduuniiier  etc.) 


Digitized  by  Google 


—   349  — 

welche  Neid  und  Ehiigeiz  Temrsachen,  oft  in  erschrecklicher  W«iie 
gemai*tert,  und  wit*  gar  oft  vollzieht  sicli  die  Nemesis  dxaeh  die 
Kinder,  die  durch  da»  väterliche  Beispiel  in  Worten  und  Thaten  er> 
zogen  werden!  Es  dürfte  bekannt  sein,  wie  schwer  so  viele  an  den 
Folgen  einer  wüst  und  wild  durchlebten  Jugendzeit  zu  leiden  haben; 
welche  Qualen  ihnen  täglich  durch  den  Anblick  ihier  armseligen,  yer* 
krUppelten  leidenden  Kinder  erwachsen,  deren  Gesundheit  durch  jenes 
Sündenleben  schon  im  Keime  verdorben  worden*).  Man  vergesse  doch 
nicht  die  furchtbare  Nemesis,  die  sich  in  den  schlaflosen  Nächten,  in 
den  wüsten  Träumen,  in  den  wilden  Phantasiegebilden  zeigt,  die 
mit  ihren  Vorwürfen  und  Martern  immer  wiederkehren.  „Der  Teufel 
ist  die  Reue''  (Heue  hier  =  Schuldbewusstsein)  sagt  ein  moderner 
Dichter.    Sie  ist  zugleich  Fegefeuer  und  Hölle. 

Die  Lehre  von  dem  göttlichen  Strafgericht  wird  von  den  An- 
hängern der  kircldichen  Sittenlehre  aufrecht  erhalten,  weil  sie  ihrer 
Meinung  nach  nothwendig  ist,  um  die  Bösen  vom  Sündigen  abzu- 
schrecken. Diese  Absicht  wird  von  der  philosopliischen  Sittenlehre 
verworfen,  weil  ein  Unterlassen  böser  Pläne  ans  sciavischer  Furcht 
vor  Strafe  den  Menschen  nicht  bessern  kann.  Sie  sielit  den  wahren 
Fortschritt  zum  Bessern  in  der  vernnnftgemälien  Erziehung 
der  Kinder,  in  der  rechten  Ausbildung  von  Vei*stand  und  Vernunft 
und  eines  kräftigen  Willens  zum  Guten;  denn  sie  meint,  dass  die 
Menschen  durch  klare  Einsicht  in  die  uaturnothwendigeu,  unausbleib- 
lichen Folgen  ihres  Tiuins  und  Lassens  lun  sichersten  und  wirksaui- 
sten  zur  Besinnung  und  zur  Selbstbeherrschung  gebracht  werden  können. 

*)  Beim  Aablidce  der  oft  so  entsetelichen  Leiden  dieser  nosehiddigeii  Wttxni- 

chen  und  des  unheilbaren  Siechthuras  ihrer  späteren  Lcbensjahro  tritt  der  schOne 
r?lanbo  an  Gottes  Vaterg^te  und  an  seine  versöhnende  und  ausgleichende  Liebe  in 
Keine  Hechte.  Die  Lehre,  „dass  Gott  die  ötindeu  der  V^äter  heimsuchet  an  den 
Kindern  bis  ins  dritte  und  vierte  Glied"  entspricht  nicht  dem  milden  Geiste 
uDsxes  Beligionsstifters,  gehOit  nieht  su  sdner  schVim  „Religion  der  liebe." 
Der  gioAe  edle  Luther  hat  nicht  recht  gethan,  diese  finstere  Anschauung  des  Mittet 
alters  zu  flbcrnehmcn  und  durch  sein  Ansehen  zu  erhalten.  Unser  Gott,  wie 
Cliristut*  ihn  t^elehrt  hat,  ist  nieht  der  alte  liustere,  zornifre,  raehstichtigc  Stammes- 
goU  der  Juden,  sondern  der  liebende  Vater  aller  Menschen.  Jene  finstere  Lehre 
entspridit  weder  der  Yemtinft  nooh  den  neneiett  Fonwhnngen  der  Wisgenschaft. 
Dnzdi  Vemunllgrflnde  lisst  sich's  nicht  reehtÜBitigen,  dass  die  nadigeborenen  ttn> 
schuldigen  Generationien  fOr  die  SUnden  der  Voreltern  leiden  sollen.  Die  Wissen- 
schaft beweist,  dass  zum  Verbreeher  oder  Süuder  niemand  c^eboren  wird. 
Eingeboren  ist  nur  der  Trieb  zum  Leben,  der  Hunger,  der  Geschlechtstrieb,  die  ideale 
Liebe  und  der  auf  ihr  beruhende  „kategorische  Imperativ".  Alle  £igenschaften, 
die  sieb  im  Laufe  der  Zeit  entwidceln,  sind  Produete  der  Erxiehnng. 


Digitized  by  Google 


—   850  - 


Sie  weist  darauf  liin,  dass  durch  Beligiooslehren  und  fromme  ÜlmogiBii 
noch  niemand  sittlicher  und  besser  geworden  ist. 

Eine  Torurtheilsfreie  ErwAgong  der  GrOnde,  durch  welche  die 
meisten  Menschen  bewogen  werden,  an  Gottes  Strafgericht  za  appe- 
liren,  nnd  dasselbe  herbeizuwünschen,  muss  es  jedem  klar  machen, 
dass  dies  Verlangen  in  den  meisten  Fällen  auf  sehr  unlautere 
Regungen,  auf  Neid,  Hass  und  Rachej^elüste  zurückzuführen 
ist.  Die  Erziehung  ist  leider  eine  so  mangelhafte,  da.s.s  diese  Regungen 
bei  den  meisten  Männern  und  selbst  bei  der  Mehrzahl  der  Frauen 
sich  zu  einer  bedenklichen  Stärke  entwickeln,  nur  zu  oft,  namentlich 
bei  heftigen  (cholerischen)  Naturen  den  (Jliarakter  der  Leidenschaft 
annehmen  und  d&s  Gemüth  selbst  bei  kleinlichen  Anlässen  in  Affect 
zu  setzen  vermögen.  Wer  sclavisch  erzog:en  wird,  muss  ein  Tyrann 
werden,  sobald  er  irgendwie  zur  Macht  ja'elangt.  Der  beständig  zurück- 
gesetzte, geschlagene,  gestoßene,  brutal  behandelte  Junge  wird  ein 
brutaler,  rachsüchtiger  roher  Wütheiich,  sobald  die  Körperkraft  ihn  in 
den  Stand  setzt,  seine  Gelüste  an  Schwächeren  auszulassen.  Der  Mensch, 
welcher  nie  an  Gehorsam  gewöhnt  worden,  wird  eigensinnig,  herrsch- 
süchtig, gewaltthätig  und  damit  neidisch  und  rachsüchtig  und  voller 
Haas  gegen  alle,  die  seinem  selbstsüchtigen  Willen  entgegentreten. 
Bei  edleren  Naturen  wird  dnrch  ungerechte  tyrannische  Behandlung 
der  ünitere  Geist  t&ddaeher  Widenetslidikeit,  irilden  nnd  starren 
Trotzes  nnd  Hasses  und  nnyersfthnliclier  Bache  erzogen.  Diese  leiden- 
sehafUichen  Begangen  beeinflnssen  gewObnlich  hä,  Benrtheilung  frem- 
der Thaten  nnser  BechtsgefÜhl  ond  bringen  ein  zn  heftiges,  oft  ein 
leidenschaftliches  Verlangen  nach  BestraAing  der  Scbnldigen,  nach 
söhne  hervor.  In  solchen  Stimmangen  muss  die  hier  anf  Erden  wal- 
tende NemesLs  selbstTentAndlich  zn  gering  erscheinen.  (Gewöhnlich 
wird  sie  gar  nicht  beachtet^  oft  geradezu  bestritten,  oder  als  ganz  an* 
zureichend  betrachtet,  weil  sie  jene  Iddenschaftliehen  Begangen  nicht 
befriedigen  kann.  Was  die  schlechte  Endehong  angebahnt  hat,  wird 
bei  gar  vielen  durch  die  auf  Spannung  und  jene  niedere  Leidenschaften 
spekulirende  Bomanlectüre  vollendet.  Kein  Wunder,  dass  sogar  Frauen 
und  Madchen  selbst  bei  den  Klatschgeschäften  in  iliren  EaffBegesell- 
schaften  anf  Bestrafung  und  Söhne  der  Schuldigen  dringen  und  von 
einer  versöhnlichen  Stimmung  nichts  wissen  wollen.  Unser  Herr  nnd 
Meister  hatte  wahrlich  recht  uns  zuzurufen,  dass  wir  unserem  Belei- 
diger  und  Verfolger  niclit  siebenmal,  sondern  siebenzigmal  siebenmal 
vergeben  sollen.  Bildet  die  Kraft  zu  lieben,  zn  vergeben  in  eurer 
Seele  ans,  so  wird  euch  die  hier  auf  Erden  waltende  Nemesis  wol 


Digitized  by  Google 


—   351  — 


geoHgoi;  80  werdet  ihr  geneigt  werden,  nicht  zu  richten,  eondem 
„stete  an  den  BaUten  im  eigenen  Ange  zn  denken.**  Beiidgt  enren 
Gottglmnben,  macht  nneem  Uengott  nicht  nun  YoUstrecker  eorer 
kleinlichen  oder  niedrigen  imd  yerftchtUchen  Bachegelftate,  oder  eq 
einem  WerkMOg  ftr  Pläne  der  Herrechencht  und  anderer  Leidenachaf- 
ten;  macht  euren  Kopf  klar  und  enren  Willen  stark,  dem  Vernnaft- 
geeetie  ni  folgen  nnd  eure  Leidenachaften  zn  beherrschen,  so  werdet 
ihr  größere  und  reinere  Liebe  zu  Gott  und  zu  euren  Iflftmenachen 
gewinnen ;  ihr  werdet  sittlicher  und  dadurch  zugleich  frommer  werden. 

Eins  bleibt  noch  zu  erörtern.  Es  dürfte  jemand  sagen:  „Wenn 
der  Mensch  nicht  den  Bichterspruch  noch  das  Strafgericht  Gottes  zn 
fürchten  hat;  wenn  er  nur  durch  sein  eigenes  Gewissen  oder  höchstens 
durch  das  Urtheil  der  Mitmenschen  gerichtet  und  bestraft  werden 
soll,  so  braucht  er  nur  sein  Gewissen  durch  Übung  zum  Schweigen 
zu  bringen  und  den  Menschen  gegenüber  sich  fein  zu  verstellen,  um 
allen  Vorwürfen  zu  entgehen  und  unbehelligt,  ja  mit  frecher  Stirn 
stehlen,  l)€trügen,  vorraten,  auf  die  verschiedenste  Weise  sündigen, 
die  sittlichen  Gesetze  und  Grundsätze  übertreten  und  verlachen  zu 
können.  Wenn  [man  nicht  mehr  die  göttliche  Nemesis  zu  furchten 
hat,  so  braucht  man  ja  nur  recht  klug  zu  handeln,  um  der  auf 
Naturgesetzen  beruhenden  irdischen  Nemevsis  zu  entgehen." 

Irret  euch  nicht!  So  klug  ist  niemand,  dass  ihm  solch  ein  Be- 
mühen auf  die  Dauer  glücken  könne.  Während  er  eine  Art  von 
Folgen  klug  vermeidet,  bereitet  sich  unmerklich  die  andere  vor  und 
packt  ihn,  wenn  er  sich  sicher  und  geborgen  wähnt,  mit  vernichten- 
der Gewalt.  Das  Sittengesetz  ist  nicht  eine  willkürliche  Erfindung 
der  Menschheit,  sondern  beruht  auf  einem  Naturgesetz,  auf  der  uns 
Menschen  eingeborenen  idealen  Liebe  nnd  der  damit  zosanunenbängen- 
den  anbedingten  Verbindlichkeit  gegenüber  der  sitfllehen  Pflicht 
Damm  kann  niemand  dieses  Gesetzes  spotten,  ohne  die 
Nemesis  in  irgend  einer  Weise  heranfznbeschw^ren.  Man 
Tergesse  nicht,  dass  dnrch  dies  eingeborene  ideale  Streben  beständig 
in  gemeinsamer  geistiger  Aibeit  Ideen  erzengt,  dass  die  heranwach- 
senden Generationen  nach  solchen  Ideen  erzogen*),  die  Erwadisenen 
Ton  diesen  groflen  geistigen  M&chten  des  Lebens  beherrscht  nnd  ge- 
leitet werden.  Ihrem  Einflösse  kann  sich  niemand  entziehen,  selbst 


*)  Wie  oft  gehm  wu  VerimeherkidaeD  MeaadMii  mit  sittlidifla  OhumUHmd 
■nd  BttlidMm  Streben  herm.  Bs  find  su  ihn«»  littliehe  Ideen  gedrungen 
vad  haben  diei  iMaben  Wunder  gewidrt 


Digitized  by  Google 


—   362  — 


wenn  er  sie  um  seiner  selbstsüchtigen  Gelüste  willen  frech  verspottet, 
„Die  Teufel  glauben  auch  und  zittern.'*  Darum  kann  nienumd  sein 
Gtowiasen  ganz  zum  Schweigen  bringen,  und  ebensowenig  wird  es 
ihm  gelingen,  seine  Mitbürger  durch  den  Schein  von  Bechtschaffen* 
lieit  auf  die  Dauer  zu  täuschen.  „Der  Krug  geht  so  lange  zu  Wasser, 
bis  er  bricht",  und  „Unrecht  sclilägt  seinen  eigenen  Herrn".  Die 
Kinder  nehmen  die  Grundsätze  der  Eitern  an,  betrügen,  belügen,  be- 
stehlen,  verraten  den  eigenen  Vater.  Der  gewissenlose  Staatsbeamte 
wird  durch  diejciiisen  gestüi"zt.  die  er  als  Helfershelfer  /u  Reichthiim 
und  Einen  «gebracht;  der  schlaue  Betrüger,  welcher  durch  kluge  Be- 
nutzun^i  menschlicher  Schwächen  uud  Thorheiten  Keichthum  auf  Reich- 
thum häuft,  erzieht  dabei  in  sich  die  Gier,  die  ihn  schließlich  ins 
Verderben  bringt,  i  Vgl.  A.  v.  Cbamisso's  Gedicht;  Abdallah.;  Überall 
„betrogene  Betrüger"! 

Aber  es  gibt  freilich  Ideen,  welche  solch  ein  frevelhaftes  Auf- 
lehnen gegen  die  heiiii'.sten  sittlichen  Ptiichteu  befördern  und  schwache 
Menschen  nur  zu  leicht  zum  Bösen  veifiihren  können.  Es  sind  die 
Ideen,  welche  aus  der  Selbstsucht  und  tleren  Gelüsten  und 
aus  bösen  voiksthUmlicheu  Leideuschaften  stammen.  Man 
denke  an  die  Ideen,  welche  durch  den  Hass  gegen  Andei*sgläubige, 
gegeu  Ketzei*  uud  Juden,  durcli  die  hochmüthige  Verachtung  des 
Bürgers  und  Braern  miter  Adeligen,  doreh  den  logrimm  des  Prole- 
tariers gegen  die  Beichen,  durch  den  Trotz  des  Strand-  und  Greos- 
bewohners  gegen  die  GFrenzanfeeher  enseogt  worden,  lian  denke  an 
die  geAhrlichen  Ideen,  welche  in  der  Neuzeit  durch  HeRSchandift 
nnd  ParteUeidenachaft  eraengt  sind  und  die  entsetzliche  Strebersncht 
nnserer  Tage  herbeigeführt  haben.  Die  guten,  segeasreicfaen  aus  der 
idealen  Liebe  geborenen  Ideen  haben  mit  diesen  unheÜToUen  frevd- 
haften  Mächten  einen,  beständigen  Kampf  zu  bestehen  und  nur  zu  oft 
moss  das  Gute  in  diesem  Bingen  unteiiiegen.  Die  Gesehiehte  belehrt 
uns  über  Zeiten,  in  „denen  sich  alle  Bande  frommer  Sehen  Uteten'*, 
in  denen  die  «durecklichen  Zustände  zur  Wahrheit  wurden,  welche 
der  große  Schiller  uns  in  seinem  „Spaziergang***)  so  ergreifend 


*)  Ana  dem  Gespräche  entschwindet  die  Wahrheit.  Glauben  mid  Tmie 
Aus  dem  Leben,  es  liiert  selbst  auf  der  Lippo  der  Scliwnr. 
In  der  Herzen  vertr.mlicbsten  Hund,  in  di-r  Liebe  (it  iieiiiini> 
Drängt  sich  der  Sykuphuut,  reißt  vun  dem  Fruunde  den  Freund. 
Anf  die  Ünaehiild  Mbidt  der  Vemtii  mit  TeracbliBgendeBi  Blieke, 
Hit  yergiltendem  Bim  tOtet  des  LSeteren  Zahn. 
Feil  iet  in  der  geaeUndeten  Brust  der  Oedeake,  die  Liebe 


Digitized  by  Google 


—   363  — 


geschildert  hat  Da  treten  denn  die  gemeinen  Schurken  hehldachend 
in  ihrer  ganzen  brutalen  Frechheit  auf,  und  der  noch  sehwaakieiide  • 
Schwächling  wird  durch  den  Hinblick  auf  das,  was  „gäng  und 
gibe  geworden",  was  „alle  thun",  nnr  zu  leicht  verfahrt,  die  besseren 
Hegungen  seines  Innern  leichtfertig  abzuweiaen.  Da  scheint  in  der 
That  mit  dem  Aufgeben  des  Glanbens  an  das  göttliche  Strafgericht 
die  einzige  Möglichkeit  einer  Nemesis  und  Sfthne  und  damit  einer  Ab- 
schreckung von  bösen  Wegen  geraubt  und  das  Gute  rettungslos  dem 
frevelhaften  Streben  des  Bösen  preisgegeben  zu  sein.  Aber  selbst  in 
solchen  schrecklichen  Zeiten,  in  denen  die  p]delsten  „das  große  gigan- 
tische Schicksal"  packt,  „welches  den  Menschen  erhebt,  wenn  es  den 
Menschen  zermalmt*',"  braucht  niemand  in  seinem  Glanben  an  die  auf 
Erden  waltende  Nemesis  irre  zu  werden,  und  darf  der  festen  Zu- 
versicht leben,  dass  das  Gute  allmählich  dennoch  den  Sieg 
davontragen  werde.  Durch  den  Glauben  an  das  göttliche  Straf- 
gericht, an  Fegefeuer  und  Höllenpein  ist  noch  nie  ein  Frevler  von 
seinem  bösen  Thun  abgeschreckt,  sondern  höchstens  nach  der  That 
von  Uli  fruchtbarer  Angst  gepeinigt  worden.  Auch  ziemt  es  dem  Edeln 
nicht,  selbst  beim  Unterliegen  Rachegedanken  zu  hegen  und  tür  die 
Gegner  und  Feinde  besondere  Strafen  zu  verlangen.  Man  denke  an 
Christum,  unser  sittliches  Ideal.  Der  wahrhaft  sittliche  Mensch 
trägt  gar  kein  Verlangen  nach  einer  göttlichen  oder  irdischen  Nemesis. 
Er  kfimpft  and  miteriiegt  in  solchen  Zeiten  mit  dem  Bewnsstsdn  des 
totemiitfaigai  Kriegers,  der  Festigkeit,  Seelenrnhe  nnd  Heiterilwit  in 
dem  Olanben  findet,  dass  er  sieh  für  seine  Mitbürger,  für  die  Ehre 
nnd  die  Freiheit  des  Yateriandes  opfert,  dass  er  damit  eine  heilige 
Pflicht  erfttlit,  nnd  sein  Opfertod  daro  beitragen  werde,  den  hohen 
Ideen,  fftr  die  er  sein  Blot  veigossen,  som  Siege  zn  yerheiU^  Mag 
die  anf  Erden  wsltende  Nemesis  den  Frevler  sdelnbar  gar  nieht  er^ 
leiehen,  ehu  darf  man  mit  Sieherheit  annehmen:  die  innere  Bnhe 
und  Heiterkeit,  das  innere  Glftek,  welches,  im  Bewnsstsein  redlidier 
Fflichterflnang  liegt,  kenn  nnd  wird  den  Frevler  selbst  bei  den 
größten  Erfolgen  nnd  den  grBfiten  Triomphen  nie  beglftcken,  nnd  nie 


Wlift  des  freien  GefOhls  göttlichen  Adol  hinweg. 

Deiner  heiligen  Zeichen,  o  Wahrheit,  hat  der  Betrug  aich  . 

Angemaßt,  der  Natur  köstlichste  Stimmen  entweiht. 

Die  das  bedlliftigo  Hen  in  der  Freude  Drang  sich  «rfindet; 

Kaum  gibt  wahzea  GefUd  aoeh  daieh  TcnUanowB  äak  knnd. 

Auf  der  Tribflne  prahlet  das  Recht,  in  der  Htttte  die  Biatiaoht, 

Des  Qesetaes  Oespenst  steht  an  der  KOnige  Iiiron. 

P^dacoginn.  14.  Jüug.  Heft  VI.  86 

y 

Digitized  by  Google 


—   364  — 


wird  er  dem  Tode  wie  ein  wackerer  aitUicher  Kämpfer  heiter  und 
gefasst  entgegen  geben. 

Es  dürl'te  jemand  noch  fragen:  „Wie  ist  eine  Erlösung  des 
schuldbeladenen  Menschen  denkbar,  wenn  man  nicht  mehr  an 
das  göttliche  Geiicht,  an  Bestratungen  und  Belohnungen  im  Jenseits 
glauben  soll?" 

Darauf  antwortet  die  i)hilosophische  Sittenlelire  Folgendes:  Die 
echte  Sittlichkeit  hat  es  nur  mit  der  wahren  Rene  za  thun,  die 
nicht  in  der  Angst  vor  den  Folgen,  sondern  in  der  Trauer 
ftber  die  That  selbst  besteht  Diese  „Traurigkeit,  welche  nir 
Seligkeit  igniliet",  sucht  nach  der  vettorenen  Buhe,  nach  dem  dwtdk 
eigene  SchiüdTBrlxareiMiiSeflleiifHjeden^  BUekdesMenidiai 
Yen  der  Erde  aufwärts  m  dem  huunliflcheii  Helfer  vnd  Erlöser. 
Solch  ein  vahrbaft  reuiger  Mensch  hat  sich  bereits  selbst 
gerichtet  and  bestraft;  er  bedarf  nicht  mehr  eines  Richters, 
sondern  nnr  eines  liebenden  nnd  erbarmnngsTollen  Vaters. 
Den  wird  er  bei  rechtem  frommen  Glauben  im  Himmel  finden,  und 
nird  dnreh  ihn  erlfist  nnd  getrOstet  werden.  Wenn  Ohristos  daven 
spricht,  dass  Gott  die  Sftnder,  warn  sie  wahiliaft  bereoen,  mehr  liebt 
ab  die  „Gerechten,  welche  der  Bnße  nicht  bedflifen";  wenn  er  dem 
wahrhaft  renevollen  Sch&cher  noch  in  seiner  Sterbeetonde  die  trost- 
reiche Versichemng  gibt:  «Wahrlich,  hente  noch  wirst  du  mit  mir 
im  Paradiese  sein",  so  denkt  er  bei  diesen  Lehren  niemals  an  den 
strafenden  und  streng  richtenden  Gott,  sondern  stets  nur  an  den 
liebevollen  Vater,  der  das  kummervolle  Kind  in  seiner  erbarmungs- 
reichen  Liebe  aufrichten  und  durdi  Liebe  trösten  will.  Diese  schöne 
Lehre  wird  durch  das  Gleichnis  „vom  verlorenen  Sohn"  in  jeder  Hin- 
sicht bestätigt. 

Versuchen  wir  nach  diesen  Erörterungen  noch  die  Frage  zu 
beantworten,  welche  Gebote  und  Verbote  aus  diesem  großen 
Kampfe  der  Ideen  um  das  walirhaft  sittlich  Gute  als  all- 
gemein giltig  hervorgegangen  sind? 

Wie  bereits  gesagt  wurde,  ist  der  „kategorische  Imperativ"  d.  h. 
der  innerlich  gefühlte  Befehl,  höhere  Gebote  als  die  unserer  sinnlichen 
Triebe  als  unbedingt  verpflichtend  anzuerkennen,  als  specifisch 
menschliche  Eig^enschaft  in  der  Disposition  allen  Menschen  ohne  Unter- 
schied gegeben.  Damit  hiUigt  zusammen  das  aus  der  idealen  Liebe*) 

*)  Kant  nennt  die  Eigenacbaft  der  menschhchen  Seele,  welche  bei  allen  sitt- 
liahen  Foxderangen  thätig  iBt,  die  Vernunft,  und  definirt  dieselbe  aiä  „das 


Digitized  by  Google 


—  365  — 


stÄminende  Streben  nach  dem  Ideal  sittlicher  Vollkommenheit, 
aus  dem  als  einzelne  kategorische  Imperative  die  Ideen  hervoi-p^ehen, 
d-  Ii.  ^leinungen  über  neue  sittliche  Ptiichten,  über  das»  was  geschehen 
soll,  um  jenem  Ideal  immer  näher  zu  kommen. 

Aus  der  Betrachtung  dieses  gemeinsamen  idealen  Strebens  aller 
Menschen  wird  die  Erkenntnis  hervorgehen,  dass  zu  allen  Zeiten  eine 
Menge  sittlicher  (Tehote  erst  im  Werden  begriffen  sein  müssen;  dass 
während  des  Kampfes  um  sittliche  Ideen  neue  Gebote  autgestellt, 
alte  als  nicht  mehr  verpflichtend  anerkannt,  ja  als  gefährlich  und 
uusittlich  verurtheilt  und  unterdrückt  werden.  Man  wird  leicht  heraus- 
finden, dass  einzelne  sittlidie  Gebote  in  alten  Zeiten  ganz  anders 
gelautet  liaben,  als  heutzutage;  dass  die  Summe  aller  Gebote  jetzt 
eine  größere  und  bedeutendere  ist,  als  in  vergangenen  Jahrhunderten, 
dass  die  sittlichen  Gebote  und  Verbote,  welche  gegenwärtig  Geltung 
haben,  nicht  die  Summe  der  Pflichten  für  jeden  Menschen 
oline  Unterschied  bilden;  dass  diese  sittlichen  VerpflichtongeQ  je 
nach  G^escUeeht,  Stand  und  Bemf,  Bildung  und  Begabung  Tenchie- 
dene  sein  können.  Es  hat  rieh  im  JjKoh  der  Jahxhmidnrte  und  Jahr- 
tansende  bei  allen  diesen  Kftmpfen  um  sittliche  Ideen  als  objectiv 
wahr  und  giltig  nur  ein  kleiner  Kern  von  Geboten  und  Ter* 
boten  herausgebildet  Derselbe  wird  wenigstens  unter  den  gebil- 
deten GulturTttlkem  als  Canon  echter  Sittlichkeit  anerkannt. 
Dfeser  Canon  schliefit  sich  an  die  sieben  der  sogenannten  heiligen 
sehn  Gebote  an  —  die  drei  ersten  derselben  betreffen  das  religiöse 
Leben  — und  an  einaelne  Lehren  Christi,  die  nach  des  Herrn  eigenen 
Worten  m  der  Forderung  gipfeln:  „Liebe  deinen  Nächsten  wie  dich 
'i  selbst*.  Das  StraijseBeli  des  Staates  grftndet  sieh  auf  Anerkennung 
dieser  Gebote,  wenn  es  die  Übertretung  derselben  als  unsittliche 
Handlungsweise  seinem  Bicbterspruehe  unterwirft  Anfierdem  hat 
Jedes  Volk  seine  besonderen  sittlichen  Anschauungen  yon  Treue,  von 

YermOgen  der  Ideen."  Ideen  sind  bei  ihm  „nothwendige  Vemuftbegriffe,  denen 
kiin  eongnufender  Oegenstead  in  den  Smien  gegeben  weiden  kann",  s.  B.  die  Be- 
griffe Gott,  Freiheit,  Uniteiblicbkeit.  Hier  müssen  die  neueren  Forschungen  der 
Psychologie  zu  Hilfe  genommen  werden;  denn  Beß:ritfe  haben  keine  zu  Thufr  n 
treibende  Kraft.  Diese  Kraft  ruht  in  der  strehenden  und  Brhaffenden  ideulcu 
Liebe.  Die  auu  ihr  ätammeudeu,  zu  Thaten  treihundca  geistigen  Mächte  sind  die 
Ideen.  Idi  bitte  daher  den  Leser,  diesen  Begriff  Idee  feetsnbnlten  (8.  meine  Ab- 
handlnng  „Über  Ideen"  im  „Psedagogium"  Jahrg. XII,  S. 273;  auch  inder2.A]niL 
meiner  „Lchrkunst")  und  dou  Kaiitscben  Begriff  „Vexnnnft**  nocb  mit  dem  Weien 
jener  schaffenden  idealen  Liebe  zu  verbinden. 

Digitized  by  Google 


—  356  — 


Ehre,  von  Recht  uthI  Unrecht,  gut  und  br>s(\  Dieselben  zeigen  sich 
in  den  volksthümiichen  Sitten  und  in  der  damit  zusammenhlliigeuden 
volksthümlichen  Erziehung-,  Denk-  und  Handlungsweise. 

Es  scheinen  demnach  alle  Sittengesetze  mit  Ausnahme  dieses 
kleinen  Canons  „in  dei-  freien  Luft  der  Meinung  und  des  Gewissens 
zu  schweben''.  DemgeiiiäÜ  dürfte  ein  Jünger  zu  der  Frage  berechtigt 
sein:  ..Wo  finde  ich  außer  in  diesen  wenigen  Sittengesetzen 
einen  Halt,  wo  die  führenden  und  leitenden  Vorschriften, 
die  mich  vor  Irrthum  und  Irrwegen  bewahren  mögen? 

Die  Kirche  ist  bd  einer  solchen  Frage  flugs  mit  der  Antwort 
berflii:  Einen  Halt  findest  dn  nur  bei  uns,  nnr  in  unserer,  der  allein 
seligmaehenden  Kirche  nnd  Bdigion*).  Bei  nns  ist  die  ewige  Wahr- 
heit; sie  ist  nna  enthflllt  worden  dnreh  den  Beistand,  des  heiligen 
Geistes.  Allesi  was  ans  der  nienschlichea  Vemnnft  stammt,  ist  deui 
IiTthnm  unterworfen;  nnsere  Gebote  nnd  Offimbarnngen  stammen  von 
Qott  selbst  nnd  sind  dämm  nnfahlbar  nnd  nnaatastbar. 

Da  die  philosophische  Sittenlehre  die  Beligion  mit  ihren  Lehren, 
Trtetnngen  nnd  YerheiBnngen  anf  ihr  besonderes  Gebiet  verweist; 
da  ihre  Lehre  lediglich  ans  der  menschliehen  Vemnnft  stammt,  nnd 
sich  nnr  mit  dem  Leben  der  Menschen  anf  dieser  unserer  Erde  be-- 
Bchiltigt:  so  kann  sie  dem  ringenden  und  strebenden  Jünger  ihr  die 
im  Werden  begriffenen  Sittengesetse,  für  die  Theilnahme  an  dem  sitt- 
lichen Bingen  seiner  Zeit,  ja  selbst  ftr  die  rechte  Befolgung  und 
Ansf&hrang  jenes  oben  genannten  Canons  einen  absolut  sicheren  nnd 
unfehlbaren  Halt  nicht  bieten  nnd  mnss  ihn  auf  die  eigene  Ver- 
nunft, auf  sich  selbst  verweisen.  Sie  kann  ihm  nnr  die  Hanpt- 
regel  geben:  Bekämpfe  standhaft  und  tapfer  alle  Regungen 
der  Selbstsucht  und  folge  nach  Christi  hehrem  Vorbilde  stets  den 
Eingebungen  der  idealen  Liebe.  Noblesse  oblige!  „Adel  ist  auch 
in  der  sittlichen  Welt."  Freiheit  kann  nie  geschenkt,  sie  muss 
stets  errungen,  mit  Aufopferung  selbstsüchtiger  Gelüste  und  Aufbie- 
tnngunserer  besten  Kräfte  erkämpft  werden.  Bei  der  pliilosophischen 
Sittenielire  ist  alles  Übernatürliche  und  daiiun  auch  jede  Hilfe  und 
Unterstützung,  die  außerhalb  der  eigenen  Kraft  liegt,  völlig  ausgeschlos- 
sen. Je  sorgfältiger  der  Jüngling  seine  Geisteskräfte  bildet,  jeraehr 
er  sich  daran  gewöhnt,  seine  'i'riebe  und  Neigungen  um  iioherer  Ge- 
bote willen  zu  beherrschen,  desto  mehr  wird  er  an  Klarheit  gewinnen, 

*)  So  spieehitt  aieht  •Uem  die  ksthollidieii,  Mwdem  aast  die  iutMoxm 
protestantischen  Gebtlkta,  wera^eieh  de  den  Anidnidc  „aOeiii  leligmedieiid'* 
nicht  gebiaudien. 


Digitized  by  Google 


—   367  — 

die  ^orderungeQ  eehter  Sitüiclikeit  zu  erkoinen;  desto  mehr  wird  er 
sein  Oewissen  verfeinem  und  den  WiUen  Oben,  diese  Gebote  za  er- 
ftllen.  Vor  Irrtbnm  bleibt  anf  Eiden  kein  Menscb  bewahrt;  wir 
kennen  znr  Wahrheit  nor  dnrdi  Irrthnm  gelangen.  Jeder  mag  glmiben, 
im  Schöße  der  Eirehe  abeohite  Wahrheit  xn  finden  und  dort  f&r  sein 
Leben  den  rechten  Halt  soefaen.  Dies  GUlck  soll  ihm  unangetastet 
bleiben.  Aber  er  soll  nicht  hoffen,  dadurch  sittlicher  xu 
werden,  für  die  Erkenntnis  der  Lehren  echter  Sittliehkeit  zn  besserer 
Klarheit  zn  gehugen,  oder  das  Gewissen  nnd  den  Willen  aam  Guten 
dadurch  zu  stärken.  Er  darf  helfen,  dass  durch  echt  Bittliches  Leben 
nnd  Bingen  sein  G^ttth  immer  mehr  fBr  echte  E^mmigkat  geOffiiet 
werde;  aber  nicht  umgekehrt*). 

Die  philosophische  Sittenlehre  ist  Strange  nnd  in  ihrem  lieilig^en 
Emst,  wie  bereits  erörtert  wurde,  ganz  unerbittlich.  Sie  stellt  den 
Menschen  lediglich  auf  sich  selbst  Sie  kann  nur  einen  Halt 
gewähren:  derselbe  liegt  in  dem  echten  auf  ideale  Liebe 
gegründeten  sittlichen  Olanben. 

Mit  Recht  fordert  die  Religion  von  jedem  Mensrhen  frommen 
Glauben;  niclit  jenes  bloße  „Fürwahrhalten",  jenes  verständige  ,,nicht 
zweifeln  an  dem,  das  man  nicht  sielief,  sondern  inni^^e  aus  der 
idealen  Liebe  stammende  Hingabe  des  g-anzen  Gemiitlies  an  das  Heilige. 
Glauben  ist  Liebe,  Liebe  ist  Glauben.  Einen  ähnlichen  Glauben 
fordert  auch  die  ernste  Sittenlehre  und  weist,  sowie  ihrerseits 
die  Religion,  dem  Jünger  überzeugend  nach,  dass  er  in  diesem 
Olaubeu  den  rechten  Halt  für  das  irdische  Leben  finden 
werde. 

Der  rechte  sittliche  Glaube  betrachtet  die  Forderungen  der  streng- 
sten Sittlichkeit  als  heilige;  denn  er  sieht  in  der  Erfüllung  der- 
selben das  Heil  der  Welt.  Der  wahrhaft  sittlich  lebende  und 
strebende  Mensch  glaubt,  dass  durch  sie  auf  Erden  das  Reich 
des  Friedens  und  der  Liebe  herbeigeführt  und  fest  begrün- 
det werden  könne.  Er  sieht  das  Glück  der  Menschen  nicht  im 
Genuss,  sondern  in  sittlicher  Arbeit,  im  sichei'en  Besitze  seiner  Bechte 
nnd  Freiheiten  nnd  in  der  gesetzlich  berechtigten  allseitig  freien 

*i  Es  zei^t  Bich  auch  kiuia,  dass  die  That  des  f^roßen  Kant,  dm  wir  diese 
so  hochwichtige  Erkenntnis  zu  yerdanken  hahpn,  der  des  Kopcrnikiis  zu  vprß-leirhcü 
ist.  Für  alle  Hrzielicr  erwiichst  daraus  die  ernste  Pflicht,  die  Sittenlehre  nicht 
wie  bitiher  als  eiu  nebensächliches  Auhängscl  des  Beligiousunterrich- 
^1  sa  behMdeln,  loadern  deiseUen  im  Uaterrieht  eine  selbe tatlndige 
und  herTorrsgeoide  Stelle  einsniftttmeii. 


Digitized  by  Google 


—   368  — 


Entfaltung  seiner  Persönlichkeit.  Er  glaubt,  die  ernste  Sittlichkeit 
und  ihre  Ijehre  kOnne  die  Menschheit  im  Laufe  der  Zeiten  so  efsieben» 
dasB  jeder  den  Kftdisten  «ebten,  ihn  zugleich  ivie  sieh  sdbst  lieben 
und  sein  streng  gesetzliches  Handeln  durch  Schönheit  za  einem  edein 
Handeln  verfeinern  werde.  In  der  Erkenntnis,  dass  die  Yorschriften 
der  heiligen  Sittenlehre  das  freie  Ergebnis  der  frei  nnd  sdbststtodig 
geflhrten  sittlichen  Kämpfe  der  Menschen  dnd;  dass  diesen  Kimpkn 
das  auf  idealer  liebe  berohende  Streben  nach  dem  heiligen  Ideal  sitt- 
licher Vollkommenheit  zu  Grande  liegt:  gelten  ihm  als  heilig  aneh 
die  grofhen  sittUehen  Ideen»  nm  die  jene  den  idealen  Fortaehiitt 
erstrebenden  Kämpfe  geftthrt  werden.  Er  weiß  wol,  dass  in  der  Idee 
noch  nicht  die  abeolnte  Wahrheit  zn  ünden  Ist;  aber  er  glanbt,  dass 
aus  dem  nnausgesetzten  Kampfe  um  diese  „größten  geistigen  Qttter 
des  Lebens**  allmählich  die  ewige  absolute  Wahrheit  hervor- 
gehen und  alle  Parteien  im  seligen  Frieden  vereinigen 
werde.  Demgem&ß  glaubt  er  an  die  Gerechtigkeit  seiner  Sache 
und  vermag  um  derselben  willen  in  diesem  Glauben  als  Opfer  sein  ir* 
disches  Gl&ck  und  Wolsein,  ja  selbst  sein  Leben  einzusetzen*).  Wer 
in  solch  einem  Ringen  und  Kämpfen  irrt,  kann  nie  schuldig 
werden;  von  Schuld  darf  man  nur  bei  denen  sprechen,  die  mensch- 
liche Fehler  wie  Hass,  Herrschsuclit,  Verfolgungssucht  walten  lassen 
und  zur  Unterdrückimg  ihrer  Gegner  sich  fremder  Gewalt,  Willkär^ 
Beugung  des  Hechts  und  anderer  unlauterer  Mittel  bedienen. 

Hau  siebt,  in  diesem  sittlichen  Glauben  kann  man  mit  voller 

*)  Ib  diewm  OlaulMa  haadelB  tdUit  eisfcdie^  wenig  gebildete  MenedieB.  8« 
wiesen  nicht  sich  dnrSber  Reebenschaft  akniegen;  aber  dennoch  ist  dieser  Gliinbt 

in  ihnr-n  vorhanden,  veredelt  ihre  Gesinnungen  und  stÄrkt  ihre  Treue  fiir  die  von 
ihnen  ulä  recht  und  gut  erkannte  Sache.  Bei  den  gebildeten  Denkern,  die  ihre  Er- 
kenntnis durch  das  Stadium  der  Ideenkämpfe  vergangener  Zeiten  Terfeinert  nnd 
vertieft  haben,  Kheint  dieser  rittUdie  Olanbe  seit  den  groSen  aooialen  nnd  pditi» 
tischen  KSmplNi  des  vorigen  Jahrhunderts  in  erfreulicher  Weiie  gekiiftigt  worden 
n  lein.  Denn  neben  dem  weit  verbreiteten  und  künstlich  genährten  Streberthum 
unserer  Tuiie  zciü;t  sich  ein  echtes  sittliches  M ärty rert  h  u ni ,  wie  es  in  früheren 
Jahrhunderten  nur  aut  dem  religiösen  Gebiete  zu  ünden  war.  Wir  begegnen  diesen 
lOrtyieni  der  editenSittliehkdt  tat  demGeUeteder  groBen  loeialeniindpolitiidien 
Kämpfe,  in  denen  fttr  der  Xenidilidt  hOohite  Gttter,  lllr  Becht  vad  FrnOieit 
genügen  wird.  Einzelne  dieser  Märtyrer  gehören  beieitJ*  der  (beschichte  an;  so  der 
Wtlrtteuibergische  Rechtsgelchrte  und  Staatsmann  Job.  Jak.  Moser,  so  die  sieben 
(iöttinger  i'rotessoren,  welche  1837  im  sittlichen  Kampfe  um  ihr  und  ihrer 
Mitbürger  gutes  Becht  ihrer  Stellen  estsetit  mid  (snm  Theil)  dee  Landes  imwiwsa 
wurden. 


Digitized  by  Google 


—   359  — 

Sedtnnüie  und  gatem  Gewissen  leben  und  in  diesem  Glauben  nach 
redlichem  Bingen  ruhig  sterben. 

Da  dieser  Glaube  in  dem  Leben  eines  jeden  ernsten,  tnchtigen 
MeuBGhen  eine  so  grofle  Bolle  spielt,  so  fbrdert  die  philosophische 
SittenlehrOi  dass  man  Toleranz  ttben,  d.  h.  den  Glauben  des  ehr- 
lichen Gegners  achten  und  neben  dem*  seinigen  als  gleichberechtigt 
anerkennen  soll.  Der  Fortschritt  zum  Besseren  kann  nie  ohne  Kampf 
erzielt  werden.  Bnhe,  Stillstand  ist  Tod;  Leben  bringt  nnr  der 
Kampf.  Damm  müssen  in  der  Welt  naturgemäß  swei  große 
kämpfende  Parteien  existiren,  dorch  deren  Ringen  auf  den 
verschiedenen  geistigen  Gebieten  Fortschritt  und  Leben  erzielt  wird. 
Die  Anhänger  der  einen  Partei  sind  von  Natur  so  begabt,  dass  ihre 
Seele  Uberall  geneigt  ist,  die  Initiative  zu  ergreifen,  dem  Alten 
und  Veralteten  gegenüber  liii'  Neues,  Besseres  einzutreten,  energisch,  oft 
stürmisch  und  drängend  den  Fortschritt  anzubahnen.  Es  sind  auf  dem 
kirchlichen,  dem  politischen  und  dem  socialen  Gebiete  die  Männer 
des  Forts<;hritts,  die  „Freisinnigen'',  die  „Liberalen."  Die 
Anhänger  der  anderen  Partei  sind  von  Natur  so  begabt,  dass  sie  das 
Heil  der  Welt  mehr  in  der  Erhaltung  des  Bestehenden,  histo- 
risch Entwickelten  sehen  und  daher  jedes  Vorwärts.streben  als 
ein  Wagnis  betrachten  und  zu  zügeln  versuchen.  Ihrer  Natur  nach 
sind  sie  nie  gesonnen,  zu  irgend  einem  Fortschritt  die  Initiative  zu 
ergreifen.  Sie  werden  auf  den  oben  genannten  Gebieten  als  „Con- 
servative",  auf  dem  kirchlichen  auch  wol  als  „Orthodoxe'',  Offen- 
bainiügsgläubige  bezeichnet.  Da  diese  großen  Parteien  —  nebst  ihren 
verschiedenen  Schattirungen  mehr  nach  links  oder  rechts  oder  nach 
der  Mitte  hin  —  in  ihrem  Streben  beide  gleich  berechtigt  sind, 
80  mitn  es  vom  sitfUchen  Standpimkte  als  ftrsTelhaft,  als  tia  Ein- 
griff in  jedes  Menschen  heiligste  Rechte  beseidmet  werden, 
wenn  Gewalthaber  irgend  welcher  Art  fordern,  dass  man  seinen 
sittlichen  (socialen  oder  politischen)  and  seinen  religiösen 
Glanben  ans  Gehorsam  gegen  die  Macht,  welche  Gewalt  über  uns 
hat,  snm  Opfer  bringen  and  die  befohlene  Gesinnung  und 
Obersengnng  annehmen  solle.  Der  Frevel  wird  zum  Verbrechen, 
wenn  dazu  Gewaltmittel  irgend  welcher  Art  angewandt  werden.  Es 
wird  zog^eieh  klar,  dass  man  von  einem  socialen  und  politischen 
„Glanbeosbekenntnis"  sprechen  nnd  die  Treue  gegen  dasselbe  als 
eine  ernste  sittliche  Pflicht  betrachten  darf  Leider  ist  die 
Bedentang  dieser  Pflicht  noch  nicht  tief  in  die  Kreise  der  weniger 
Gebildeten  eingedrnngen,  nm  das  Leben  im  allgemeinen  ber^  regdn 


Digitized  by  Google 


-   880  ~ 


zu  können.  Die  Frauen  kennen  diese  Pflidit  überhaupt  nicht  (V  d.  R.) 
und  unter  den  Männern  gilt  bei  der  überwiegenden  Mehrzahl  der 
vom  Eigennutz  dictirte  Grundsatz:  „Wes  Brot  ich  esse,  des  Lied 
ich  singe."  Einen  von  sclavischer  Furclit  oder  Eigennutz  veranlassten 
Wechsel  des  politischen  Glaubensbekenntnisses  rechnet  man  als  poli- 
tische .Fahnenflucht",  als  ein  feij>:es  unsittliches  Thun  nur  den  Gebil- 
deten an,  die  sich  über  das  sociale  und  politische  Leben  und  .Streben 
im  Staate  eiu  seibstständiges  Urtheil  bilden  können.  Die  mehr  als 
80  Procent  der  ungebildeten  Staatsbürger  werden  melir  oder  weniger 
mit  grobem  Witzeln  als  „Stimmvieh  ',  als  ..Nummern"  betrachtet,  als 
Menschen,  die  wegen  ihrer  Ab^tiinniung  oder  l'arteilialtung  sittlich 
gar  nicht  verantwortlich  gemacht  werden  diii'fen.  Holleu  wii-.  dass 
die  Be^trelaingeu  der  Besten  in  allen  Nationen,  die  Bildung  durch 
guten  Schulunterricht  und  fortgesetzte  Belehrungen  aller  Art  auch 
dem  einfachen  Arbeiter  zugüugiick  zu  machen,  allmählich  die  uüthige 
Änderung  herbeifühi-en  und  die  sittliche  Bedeutung  der  Treue  gegen 
Qiuere  politische  Überzeugung  auch  in  diese  Volkskreise  bringen  werde! 

Kant  hat  dnieli  seine  Foncbnngeii  und  »eine  Lehren  auf  uns 
DeotBche  eine' ebenso  großartige  wie  segeosralche  WiikoDg  anggeObt 
Seit  der  Zeit  beherrscht  sein  strenger,  hehrer  Tngendbegriff  die  edel- 
sten nnd  besten  Dichter  und  Denker  unseres  Volkes.  Unser  groAer 
Schiller  lebte  und  wiikte  im  Shine  dieser  erhabenen  Sittenlehre;  er 
opferte  dem  Stndiom  da*  Philosophie  des  großen  Königsberger  Denkers 
die  besten  Jahre  semes  Lebens.  Seuie  nnd  Kants  •  eindrmgliche  Worte 
begeisterten  die  gebildete  dentsdie  Jugend,  als  im  Jahre  1813  der 
große  Befreinngskampf  begann»  vnd  bestimmtfln  die  edelsten  Kfinner 
nnd  Frauen  xa  hddenmflthigen  Opfern  Die  begeisterten  Anh&nger 
der  philosophischen  Sittenlehre  bilden  bereits  eine  große,  wenngleich 
stille  und  anspmchslose  Oemeinda  Die  sohftr&ten  Denker  unter 
ihnen  behaupten»  dass  die  Sittüchkdt»  in  dieser  Strenge  nnd  Erhaben- 
heit aufgefasst,  für  das  Leben  der  Menschheit  eine  höhere  Bedentnng 
habe  als  die  Religion;  alle  stimmen  darin  überein,  dass  mindestens 
diesen  beiden  großen  Mächten  die  gleiche  Bedeutung  zukomme. 

Schiller  konnte  sich  nicht  mit  dem  Gedanken  befreuiulen,  dass 
die  größte  Tugend  nur  durch  schwere  Kämpfe  und  Siege  über  die 
sinnlichen  Triebe  und  Neigungen  errungen  werden  könne.  Er  nennt 
Kant  darum  in  „Anmuth  und  Würde"  den  „Drako  seiner  Zeit" 
und  stellt  den  herben,  tugendstrengen  Gemüthem  die  „schönen  Seelen'' 
•gegenüber,  hei  denen  „das  sittliche  Gefülil  sich  aller  Empfindungen 
bis  zu  dem  Grad  versichert  hat»  dass  es  dem  Affect  die  Leitung  des 


Digitized  by  Google 


-  361  — 


Willens  oline  Scheu  überlassen  darf  und  nie  Gefahr  läuft,  mit  den 
Entscheidungen  desselben  in  Widerspruch  zu  stehen."  Der  (j^ro&e 
Dichter  hat  dabei  "wol  mehr  die  Frauen  als  die  Männer  im  Auge  geiiabt. 
Das  weibliclie  Geschlecht  kann  in  der  That  sich  einzelner  solcher 
„schönen  Seelen"  erfreuen.  Aber  es  ist  wol  zu  beachten,  dass  selbst 
die  schönsten  und  edelsten  Seelen  nicht  als  solche  schon  geboren, 
sondern  zu  dieser  edeln,  feinen  Sittlichkeit  erzogen  werden- 
Eingeboren  ist  dabei  nur  ein  großes  Mali  von  idealer  Liebe  und  eine 
feine  Keizenipfaugiichkeit  und  Kräliigkeit  der  Vermögen,  die  bei  der 
schönen  sittlichen  Ausbildung  die  Hauptrolle  spielen.  Diese  Au.sbil- 
dong  selbst  kann  nur  durch  eine  sorgfältige  und  von  besonders  glück- 
Mcben  ümstladfln  begttnstigte  Enielumg  bewiriLt  rardfin.  Es  gibt  in 
.der  That  nicht  nur  auf  dem  Gebiete  des  Schönen,  «mdem  «och  auf 
dem  sittlichen  and  religiösen  ganz  bevorzugte,  man  möchte  sagen 
kOnstlerisch  begabte  Naturen.  Aber  der  Bau  der  sittlichen  Welt  wird 
nicht  durch  sie,  sondern  dorch  die  hart  ringenden,  wackeren,  treneii, 
redlichen  Kämpfer  znsammengehalten  und  fest  begrfindet;  jene  „schönen 
Seden**  bilden  nor  dessen  lieblichen  Schmuck.  Daran  sollen  wir 
Ijehrer  denken  und  bei  unserem  Erziehungswerke  jedem  Kinde  zum 
klaren  Bewnsstsein  bringen,  dass  wir  abgesehen  von  besonderen  Be- 
gabungen als  Menschen  wahren  Wert  nur  in  dem  Maße  be- 
sitzen, wie  es  uns  gelingt,  unsere  sinnlichen  Triebe  und  Leiden- 
schaften zu  beherrschen  und  im  weitesten  Sinne  unsere  Pflicht 
zu  erfflllen. 


Digitized  by  Google 


Ahm  Goneniis. 


A  m  28.  M&rz  werden  es  300  Jahre,  aeit  Arnos  Comenius 
boren  wurde. 

Im  Vorblick  auf  diesen  Gedenktag  hatte  der  Herausgeber  dieser 
Blätter  letzten  Herbst  die  mährische  Heimat  des  unvergesslicben 
Mannes  besucht,  um  in  den  Gefilden  von  Nivnitz  und  Ung.-Brod  der 
Stätte  nachzuforschen,  wo  seine  Wiege  gestanden,  die  Natur  zu  be- 
trachten, welche  seinem  Geiste  die  frühesten  Eindrücke  geboten,  und 
sich  die  Menschenwelt  zu  vergegenwärtigen ,  welche  seinem  Gemüthe 
das  erste  Gepräge  verliehen.  Hierdurch  neu  angeregt  und  überdies 
mehrfach  aufgefordert,  wollte  nun  der  dankbare  Nachfahre  das  ruhm- 
volle Wirken,  das  unvergängliche  Verdienst,  das  begeisternde  Vorbild 
und  den  edlen  Charakter  des  großen  Vorgängers  nochmals  in  Wort 
imd  Seitrift  Torf&hren,  wie  er  es  ehedem  so  oft  gethan  —  in  Lebr- 
vortrS^en,  Festreden  mid  besonden  aaeh  in  aeiner  »Sehlde  der  Pi- 
dagosUL**. 

Leider  aber  mnas  er  dieamal,  noeh  von  den  Naehwehen  schwerer 
Krankheit  belastet,  den  Yersammlangen  ftmbleiben  nnd  setbst  die 
Feder  rnhoi  lassen;  doch  wird  es  hierfBr  nicht  an  Ersafts  fshlen. 
Denn  gewiss  werden»  nadidem  Gomenins  in  weiteren  Kreisen  bekannt 
geworden  und  zu  seinen  Ehren  seihet  ein  eigener  Verein  entstanden 
ist,  aller  Orten  Minner  auftreten,  die  unserem  trflben  Zeitalter  die 
lichtgeetalt  des  17.  Jahrhunderts  kraftvoll  Tor  Augen  führen.  Wolan, 
80  sei  es! 

Wir  unsererseits  bieten  im  Folgenden  einige  Partieen  aus  einem 
demnAcbst  erschehienden  Werke  von  Prof.  Dr.  Kyacsala^,  welches 


*)  Johann  Amos  Comenius.  Sein  Leben  und  seine  Schriften  von  Dr.  Johann 
Xtmmü«.  3  LieferangeD.  Freu  oomplet  H.  6^  Verlag  ▼<»  Jahna  Klinkhardt. 


Digitized  by  Google 


—  863  — 


wol  die  umfassendste  und  gründlichste  aller  bisherigen  Arbeiten  über 
Comenius  verden  dürfte.   

Anschlass  an  seine  Vorläufer  und  Neagestaltung 

der  Didaktik. 

In  Lissa  widmete  sich  Comenius  den  anstrengendsten  didaktisrhen 
Arbeiten.  Die  Anregung  zu  denselben  hatte  er  schon  aus  Bölunen 
mitgebracht.  Doch  wollen  wir  hier  nicht  auf  jene  frühere  Epoche  im 
eiuzelueu  zurückgreifen,  sondern  nur  die  wichtigsten  Vorgänger  Co- 
menius' kurz  betrachten. 

Alstedt,  der  Lehrer  des  Comenius,  ist  selbst  ein  Schüler  des 
Bounäus.  Alstedt  hat  innerlialb  seines  großen  Systems  alles  Wissens- 
werte, auch  die  Didactica  und  Schuhvissenschaft,  bearbeitet  und  die 
in  diesen  beiden  \^'issenschaften  entwickelten  Priuciitieu  waren  wol 
auch  für  seine  praktische  Wirksamkeit  maßgebend.  Alstedts  päda- 
gogische Thaiigkeit  und  iScliriften  sind  nicht  nur  als  diejenigen  des 
Lehrers  des  Comeuius  für  die  Geschichte  der  Pädagogik  wertvoll; 
sie  haben  mehr&ch  einen  selbstständigeu  Wert  Eäne  große  Lnst 
snr  Zergliedflning,  die  dnreh  Beine  ganze  Encykiopftdie  hindorehztoht, 
charakterifllrt  seine  Pädagogik.  Er  behandelt  das  Material  in  zwei 
Disciplinen,  die  in  der  Beihenfolge  veit  von  einander  abstehen;  es 
sind  dies  die  Didactica  (Encyklopsedise  T.  L  84—124)  nnd  die  Schola- 
stica(EncyklopaBdiae  T.IIL273— 318)  deren  Unterschied  wol  im  Namen 
liegt»  aber  in  der  Ansf&hrong  nicht  genan  beachtet  wird,  weshalb  wir 
auch  der  Unterscheidnng  keine  weitere  Bedeotong  beünessen.  Wir 
beschrUnken  uns  bei  der  Wiedergabe  des  geschichtUeh  Interessanten 
auf  die  wichtigeren  Mittel  der  Didaktik.  Unter  denselben  wird  die 
Autopsie  betont  (ES.  L,  p.  97).  Der  Schiller  soll  nicht  nnr  aohOren, 
sondern  aach  selbst  th&tig  sein,  die  durch  Anschauung  erworbene 
Kenntnis  ist  viel  sicherer  als  die  durch  Abstraction.  Ein  weiteres 
wichtiges  Mittel  ist  die  Ordnung,  betreffend  die  Eintheilung  der  ein- 
zelnen Stunden.  Eine  solche  Eintheünng  finden  wir  sowol  in  der  Di- 
daktik, als  in  der  Scholastik. 

Aisted  unterscheidet  drei  Schulen:  die  Volksschule,  Schola  yema- 
cnla  mit  der  Muttersprache  als  Unterrichtssprache,  die  mittlere  oder 
classische  Schule,  deren  Hauptaufgabe  die  Einübung  in  das  Lateinische 
und  Griechische  bildet,  und  die  Hochschule.  Wenn  dies  unseren  Schul- 
zuständen im  allgemeinen  völlig  zu  entsprechen  scheint,  so  ist  doch 
bei  näherer  Betrachtung  manches  wesentlich  verschieden.  Die  Schola 
vernacula  ist  nur  für  die,  die  keine  höhere  Bildung  erreichen  wollen 
die  Mittelschule  ist  eine  selbstständige  Anstalt,  welche  die  Schüler 


Digitized  by  Google 


—   364  — 


■  vom  Anfang  ihrer  Bildung  autniinint.  oline  <iieselben  naclilier  sogleich 
ihren  Rerufsstudien  zu  übergeljcn;  letztere  werden  mit  der  Mittelschule 
durch  einen  dreijährigen  philusopliisclien  (.'urs  verbunden. 

Im  einzelnen  ist  bei  der  Volksschule  bemerkenswert,  dass  auch 
Mädchenunterricht,  ferner  die  Absonderung  der  Gesclilechter  streng 
gefordert  wiid.  Für  den  Lehrer  folgen  einige  methodische  Winke 
und  als  Anfangsjahr  wird  das  angehende  fünfte  Jahr  festgestellt.  Die 
Hauptscbule  ist  die  Mittel-  oder  classische  Schule;  selbe  wird  in  sechs 
Classoi  eingetheilt,  die  aber  je  zwei  Jahre  lang  dauern,  aber  nicht 
ohne  Ausnahme,  denn  die  Begabteren  können  auch  eher  fertig  wer- 
.  den.  Die  Aufgabe  dieser  Schale  ist  die  Philologie  und  so  ziehen  sich 
durch  die  sechs  Olsssen  die  Grammatik,  Syntax,  Oratoria,  Rhetorik, 
Logik  und  Poetik  hindurch.  Jede  Glasse  hat  noch  besondere  Wei- 
sungen f&r  ihren  Unterricht;  uns  interessirt  haujptsächlich  die  Stellung, 
die  Alstedt  gegenüber  den  verschiedenen  Richtungen  d^  sprachlichen 
Methodik  einnimmt  und  die  sich  als  Befolgung  der  synthetischen  Me- 
thode bezeichneii  lAsst  Er  geht  nicht,  wie  Ratich  will,  Ton  einem 
gegebenen  Texte  ans,  sondern  er  sendet  die  Yocabnlatur  yoraus  und 
geht  erst  nach  Erlernung  der  Paradigmen  zu  der  grammatikalischen 
Übung  Aber.  Mit  Ratich  aber  stimmt  er  in  der  Wahl  des  Autors 
Terenz  fiberein.  Selbstverständlich  bildet  die  lateinische  Sprache  nicht 
den  einzigen  Gegenstand.  Dass  die  Religionslehre  sorgfältig  gepflegt 
werden  soll,  ist  kaum  nöthig  besonders  zu  erwälmen.  Schon  im  zwei- 
gten Jahre  lernt  der  Schüler  das  Griechische,  die  Kiemente  der  Musik 
und  Arithmetik;  wir  werden  also  beinahe  an  das  mittelalterliche 
trivium  und  qoadriviam  erinnert;  die  drei  höheren  Classen  verbinden 
den  Sprachunterricht  mit  mannigfaltigen  Übungen  aus  dem  Gebiete 
der  Rhetorik,  Poetik  und  LfOgik,  und  zwar  sowol  in  der  lateinischen, 
als  in  der  griechischen  Sprache  und  bilden  dann  den  Übergang  zu  der 
Philosophie.  Wenn  der  SchUlei-  mit  dem  15.  Jahre  aus  der  Schola 
media  heraustritt,  was  allerdings  nur  inöglich  ist,  wenn  eine  von  den 
sechs  Classen  in  einem  Jahre  absohirt  wird,  steht  ihm  ein  dreijähriger 
philosophischer  Curs  bevor,  dessen  erstes  Jahr  er  hauptsächlich  mit 
der  Mathematik,  das  zweite  mit  der  physischen  und  metapliysischen, 
das  dritte  mit  der  praktischen  Philosophie  zu  thun  hat.  Die  Aneig- 
nung der  Philosophie  geht  Hand  in  Hand  und  wird  vollendet  mit 
stylistischen  und  anderen  Übungen,  die  die  Wiederholung  der  philo- 
sophischen und  humanistischen  Jvenntnisse  voraussetzen,  und  ganz 
gewappnet  und  ausgerüstet  geht  der  junge  Gelehrte  mit  Kude  des 
18.  Jahres  zum  eigeutlicheu  iierufsstudium  über,  das  wol  aul  vier 


Digitized  by  Google 


—   8«6  — 


Biennien  berechnet  wird,  gewiss  aber  nicht  unbedingt  so  lange  dauern 
miiflB.  Es  wird  darin  zuerst  die  theoretische,  nachher  die  praktische 
Ausbildung  in  dem  Fache  des  Schülei-s  verlanfrt  und  zum  ScUusse 
die  peregrinatio,  Studienreise,  welchem  Gefreiistande  er  auch  eine  be- 
sondere Schrift,  die  Epistola  ad  Josuam  Tanu  de  per^nnatioue  (er- 
schienen nach  seinem  Tode,  1641 1,  «gewidmet  hat. 

Dies  die  Hauptzüge  des  in  der  großen  f^ncyklopadie  enthaltenen 
pädagogischen  Systems.  Früher  entstanden,  aber  weniger  ausführlich 
und  systematisch  ist  die  Didactica  sacra  in  dein  biblisch -encyklopädi- 
schen  Werke,  dem  Triuraphus  Bibliorum  Sacrorum  (p.  15 — 21).  der 
wir  nur  einige  Ai)liorismen  entnehmen  wollen.  Großes  Gewicht  wird 
daraiit  gelegt,  dass  der  Lehrer  immer  als  Freund  dem  Schüler  gegen- 
über auftrete,  dass  man  in  einer  Zeit  nur  eins  lehre,  dass  das  Nöthigere 
und  Leichtere  früher  gelernt  werde.  Man  wende  beim  Unterrichte 
häutige  Unterbrechungen  an;  alles  soll  von  selbst  ohne  Gewaltsamkeit 
vorgehen,  man  soll  zugleich  mit  Ohr  und  Auge  lernen,  man  soll  nicht 
weiter  gehen,  ehe  man  etwas  gehörig  erfEksst  hat,  und  bei  dem  An- 
eignen einer  Disciplm  stelle  man  Eintbeilmigen  in  derselben  an.  Für 
die  BeaUen,  die  in  der  Encyklopädie  bearbeitet  werden,  finden  wir  in 
seinem  Leluplane  Irainen  Banm.  Die  ansseMleffiiehe,  flberm&Sige  Be- 
sehSftignng  mit  fi^^radie  und  Grammatik  bewirkt  eine  allza  formale 
Qewan^eity  welche  die  GelUur  der  HohUieit  der  Kenntnisse  mift  sich 
IniagL  Van  denke  nnr:  swdHi  Jahn  mit  ,dem  Stndinm  der  classischen 
^nrachen  &8t  ansscUieAlich  angebracht,  nnd  man  wird  sich  des  Ge- 
dankens kanm  erwehren  kSnnmi,  dass  s^  der  Geist  dabei  abstompfen 
mnss.  Ebenso  ist  zu  rttgen,  dass  die  Mnttersprache  gans  verdrilngt 
mid  nnr  ftr  difgenigen,  die  anf  kehie  hohe  BQdnng  Ansprach  erheben, 
als  Büdnngsmittel  zugelassen  ist. 

Wie  bei  Bonnäns,  baut  sich  auch  bei  Alstedt  die  Theorie  der 
Erziehnng  (nebst  selbststfindig  erforschten  Ergebnissen)  wesenClioh 
anf  den  Anschanungen  der  Alten  auf.  Von  dem  neuen  Geist,  der 
durch  Baw,  Batich  und  ilire  Nachfolger  sich  in  der  Philosophie  und 
Pädagogik  zu  regen  begann,  besitzt  er  fast  keine  Kenntnis.  Sein 
philosophischer  Gewährsmann,  Ramus,  enthebt  ihn  wol  principiell  der 
Aotoritftt  des  Aristoteles,  tb&tsächlich  aber  nicht.  Weht  aber  auch 
ans  seinen  Schriften  keineswegs  die  Neuzeit:  so  gab  er  doch  zu  dem 
systematisierenden  Zug  das  Encyklopädische  dazu,  nicht  nur  als  eine 
principielle  Forderung,  sondern  auch  als  thatsächlichen  Behelf  für 
seine  Schüler  in  jenen  beiden  .o:roßeQ  Werken,  in  der  philosophischen 
und  in  der  biblischen  £ncyklopädie. 


Digitized  by  Google 


—  3W  — 


So  soll  es  nichts  Wissenswürdiges  gebeu,  das  in  der  Encyklopädie 
nicht  enthalten  wäre.  Allerdings  lässt  sich  da  manches  auch  von 
seinem  Standpunkte  aus  tadeln,  aber  man  darf  sein  Verdienst  doch 
nicht  gering  anschlagen.  Der  Gedanke,  alles  Wissenswerte  zusamiiien- 
zofassen,  war  wol  nicht  zuerst  in  Alstedt  aufgetreten,  allein  die  Aus- 
ftthmng  hat  niemand  vor  ihm  mit  der  Genauigkeit,  mit  dem  Umfang 
des  Steifes  und  mit  dem  unermüdlichen  Eifer  betrieben. 

Es  erübrigt  nur  noch  über  die  Didaktik  des  Bodinus  einige  Worte 
zn  sagen. 

Bodinus  Arbeit  enthält  eigentlicli  Kathschläge  für  den  ganzen  Unter- 
richt, aber  einen  festen  logischen  Plan  tinden  wir  hier  nicht,  um  so 
weniger  ein  System.  Unter  den  darin  enthaltenen  Prineipien  finden 
wir  aber  viele  hochwichtige.  Sogleich  dasjenige,  das  an  der  Stime 
des  Baches  steht:  Omnia  fitdliora  fodt  B&tio,  Ordo  et  Modus.  Die 
Einldtang  stellt  als  eine  eehte  Fordenmg  des  Untenidits  die  Natuv 
mAAigkeit  hio,  die  dem  gegenwärtigen  Unterrichte  völlig  abgehe,  und 
die  der  VeriSueer  Torerst  bei  der  Fibel  darin  findet»  daee  man  in  einer 
Tabelle  die  Silben  CTaammenstellt,  damit  das  Kind  mit  dem  QyUabierai 
nicht  anfiel  Zeit  Terliere  (p.  2).  Beim  Schreibenlehren  sollte  man  bei 
einem  Jeden  Bachstaben  drei  Fondamentalstiiche  nnterscheiden,  es 
gebe  femer  sechs  ümwandlongen  bei  der  Schrift,  bei  deren  Berflck- 
sichtignng  man  in  drei  Tagen  das  Schreiben  erlerne  (p.  4).  Bei  dem 
grammatischen  Unterricht  mOge  man  daranf  achtgeben,  dass  der 
Flexion  der  deutsche  Shm  derselben  beigegeben  werde.  Viele  tech- 
nische Winke  folgen  nnn  Uber  die  Aneignung  und  Unterscheidang  der 
Bedetheile,  sowie  auch  Uber  die  Bildung  der  Supina  und  Präteriteo, 
sdiUeßlich  anch  Aber  einige  eiyntaktische  Erschdnungen  der  lateini- 
schen Sprache  (p.  8).  Aus  einem  verdeatschtea  Exempel  könne  der 
Knabe  besser  etwas  lernen,  als  ans  der  Regel  (p.  22).  Die  Grammatik 
sei  der  Schlüssel  des  Unterrichts  (p.  47),  aber  man  solle  diesen  Unter- 
richt mit  der  Leetüre  verbinden,  was  auch  ein  Ausspruch  des  Botter^ 
damus  fordere  (p.  49). 

Die  Bttcher,  die  gegenwärtig  zum  Erlemen  des  Wortschatzes 
dienen,  seien  dazu  durch  ihren  großen  Umfang  ungeeignet;  es  wäre 
ein  Compendium  nothwendig,  das  die  Phrasen  und  Res  ziisamiuen  böte: 
Verfasser  hat  so  eins  vorlanj^t,  aber  niemand  hat  es  geliefert.  Cicero 
vertrete  jrar  nicht  den  ganzen  lateinischen  Wortschatz,  den  man  er- 
weitern möge  (p.  59).  Einheit  der  Sprache  und  der  Res  nnig-en  auch 
darin  zur  Geltung  gelangen  (p.  65).  Auf  die  Muttersprache  werde  auch 
Wert  gelegt  (p.  71—72).  Bilder  und  Ordnung  verhelfen  dem  Unter- 


Digitized  by  Google 


—   367  — 


rieht  in  trefflicher  Weise  zum  Erfolg  (p.  85).  Einige  persönliche  Be- 
merkungen lassen  es  hervorleuchten,  dass  der  Verfasser  vielfach  ange- 
feindet wurde;  man  nannte  ihn  einen  Pseudo-Grammaticus  (p.  35),  man 
warf  ihm  auch  vor,  dass  er  ohne  Grammatik  unterrichte  (p.  80),  dass 
er  seine  Neuerungen  aus  Brotneid  und  (jewinnsucht  unternehme  (p.  89 
bis  90),  welche  Anteindiingen  so  weit  gingen,  dass  er  sogar  auf  der 
Straße  angegriffen  wurde,  worüber  aber  genauere  Berichte  nicht  ge- 
geben werden  (p.  90—95). 

Am  Schlüsse  fordert  Bodinus  noch,  es  möge  dem  Schüler  auch 
der  Zweck  des  Lehrens  gezeigt  werden,  der  nichts  anderes  sei,  als 
das  ewige  Heil.  Von  dieser  Methode  können  Gebrauch  machen,  die 
in  ihrer  Jugend  elwas  Teraftomt  haben,  die  20  hii  30  Jahre  alt  sind 
und  nichla  wten;  die  Kleinen  nnd  sddieftUch  die  FraneiisperBonen, 
Ar  die  der  Yerftsaar  anch  alle  GegenstSnde  der  Bildung  (Grammatiei, 
Logica)  (p.  98—99)  wflnscht. 

Der  Inhalt  zeigt,  daae  die  Schrift  sich  der  Hanpteaehe  nadi  auf 
die  Sprachmethotik  beschränkt»  daes  der  YeriSueer  ein  Anhänger  der 
neuen  Richtung  war,  im  ganzen  gesnnde  Ansichten  yerkOndete  (einige 
minder  verstAndliche  heoehcn  sieh  unter  anderem  auf  die  Erlernung 
der  Syntax),  von  denen  wir  einige  auch  im  Systeme  des  Oomenius 
auffinden  werden« 


Diese  Bestrebungen  waren  Comenius  schon  vor  seiner  Auswande- 
rung hekaant  geworden.  In  Lissa  kamen  ihm  nun  stete  neue  Didak- 
tiker und  Lehrkräfte  zur  Sicht;  auf  einige  müssen  wir  noch  die  Anf- 
merksamkttt  des  Lesers  lenken.  —  Eilhard  Lubin  (1665  geboren)« 
hat  sich  an  den  deutschen  Schulen  besondei-s  zu  einem  ausgezeich- 
neten Kenner  des  Griechischen  herausgebildet;  Bayle  erwähnt  noch, 
dass  er  lateiniBche  Verse  schrieb,  dabei  ein  Eledner,  Mathematiker  und 
Theologe  war;  im  Jahre  1605  wurde  er  zum  Professor  der  Theologie 
in  Rostock  ernannt.  Als  solcher  gab  er  eine  griechisch  -  lateinische 
Parallelausgabe  des  neuen  Testaments  heraus  „cum  praeliminari  Epi- 
stola,  in  qua  Consilium  de  latina  lingua  compendiose  a  pueris  ad- 
discenda  exponitur."  Seine  Invectiven  gegen  den  grammatikalischen 
Unterricht  hat  Comenius  ausführlich  wiedergegeben,  statt  desselben 
schlägt  Lubin  zweierlei  vor:  entweder  ein  coenobium  oder  aber  ein 
illustrirtes  Sprachbuch,  wo  die  Dinge  in  ihrer  Ordnung  dem  Schüler 
vor  die  Augen  gefuhrt  werden.  Hier  ist  zum  erstenmal  die  Forde- 
rung einer  Verbindung  der  beiden  Unterrichtszweige  und  auch  die 
nähere  Bestimmung  derselben  auflgesprochen. 


Digitized  by  Google  J 


—   368  — 


"E.  Vog-el,  Conrector  des  Paedago{:^iums  zu  Güttinj^en,  verfasste 
wirklich  ein  Buch,  in  dem  er  fürs  glänze  Jahr  und  zwar  für  jeden 
Tag  desselben  den  Lehrstoff  in  der  hiteinisclien  Sprache  vorgezeicl)net 
hat.  In  der  dasselbe  einleitenden  Didaktik  schreitet  er,  nachdem  er 
die  Schwierigkeiten  der  üblichen  (vulgaris)  Grammatik  gekennzeichnet 
hat,  zur  Begründung  einer  besseren  Methode,  deren  Gang  seine  De- 
ftnition  beleuchtet.  Die  Sätze,  deren  einige  lüi'  jeden  Tag  bestimmt 
werden,  sollen  inhaltlich,  syntaktisch,  etyni(jlugisch,  phraseologisch  er- 
klärt werden,  daran  sollen  sich  lateinische  AoMtze  and  lateini^sche 
Gespräche  anschliefien,  und  nach  einem  Jahre  werde  die  lateinische 
Sprache  m  einem  Eigenthim  des  Schfllers  werdeiL 

Die  Anaidit  ttber  die  Zwecbnäftigkeit  der  comolKa  htA  Cftcilint 
Frey  ausgebOdet  Br  hofft  «nf  diese  Weise  ebenfalls  im  Laufe  eines 
Jahns  das  Ziel  besser,  als  wie  immer  sonst,  erreichen  za  ktanen. 
Derselbe  fordert  auch  ausdrücklich  „nna  com  yerboram  intelleetn 
grammatico  rernm  distribntionem  philosophicam,  nnd  neben  Mathematik 
auch  neuere  Geschidite  nnd  Gymnastik. 

Und  damit  ist  das  Bild  nicht  yolkndet  Nicht  gasag  an  dem, 
dass  einsdne  neue  Grundgedanken  aasgesprochen  worden,  —  es  be- 
gann flberhanpt  ein  so  reges  Leben  aof  dem  Gebiete  der  Didaktik, 
insbesondere  der  Methodik  des  Sprachnntenichtes,  dass  wenige  Zeit- 
alter ähnliches  aufweisen.  Jeder  eilte  heran,  nm  mit  seinem  Scheif- 
lein  zu  jenem  Gemeingnto  beizastenem,  wovon  die  ihre  schönste 
Lebenszeit  anglücklich  zubringende  Jagend  Lindenmg  ihrer  Geistsfr* 
quälen  erhalten  sollt«.  Morhof  führt  vor  der  Palingenesia  der  Wissen- 
schaften and  nach  dei-selben  eine  große  Anzahl  Didaktiken  an^  die 
nar  Aber  den  lateinischen  Unterricht  handeln,  and  nennt  noch  lange 
nicht  alle.  Wir  haben  ans  auf  die  hauptsächlichsten  Schriften  be- 
schränkt, die  Comenius  selbst  aufzählt.  Sein  Plan  über  die  Schul- 
organisation wird  schon  1628  fertig  gewesen  sein.  Bekanntlich  unter- 
scheidet seine  Didaktik  vier  Schulen,  auf  eine  jede  seclis  Jahre  be- 
rechnend. Die  ersten  sechs  .Talire  wird  das  Kind  zu  Hause  bei  der 
Mutter  unterwiesen.  Die  kaum  20  Zeilen  lauge  Anweisung  der  Di- 
daktik wird  durch  eine  besondere  Schrift,  „Informatorium  der  Mutter- 
schule'', ergänzt.  In  XIT  Kapiteln  schildert  sie  den  Wert  der  Kin- 
der, deren  Bediirtnis  nach  der  Erziehung,  und  weist  nach,  wie  man 
alle  ihre  Gaben  in  den  ersten  sechs  Jahren  zu  einer  ganz  detaillirt 
dargelegten  Stufe  entwickeln  soll.  Es  werden  darunter  die  Kate- 
gorien der  Kenntnisse  und  Fähigkeiten,  Sitten,  Religion,  alle  geistigen 
Anlagen  des  Menschen,  und  zwar  meistens  in  ihrem  Fortschritte  von 


Digitized  by  Google 


—    360  — 


Jabr  zu  Jahr  berücksichtigt.  Allein  das  Bnch  sorg^  nicht  nur  hier- 
fllr;  e»  befrachtet  das  Kind  gleich  vom  Anfang,  von  seiner  Empföng- 
nis  an.  und  gibt  auch  wertvolle  Eathschl&ge  für  die  Leibespflege. 

Da  auf  eine  eingehendere  Analyse  hier  verzichtet  werden  mnss, 
verweise  ich  auf  zwei  Punkte:  Es  sei  die  Pflicht  der  Mutter,  dass  sie 
ihr  Kind  selbst  säuge  —  was  er  mit  vielen  Gründen  stützt;  und  die 
Erweckung  des  poetischen  und  musikalischen  Gefühls  sei  durch  viele 
liebliche  Beispiele  ans  Herz  gelegt.  Sein  eiVener  Sinn  und  seine  Gabe 
zur  Dichtung  koninit  überall  zum  Vorscheiu,  wo  es  sich  darum  han- 
delt, fremde  Verse  ius  Böhmische  zu  übertragen,  und  auch  sonst  zeigt 
die  Schrift  dieselbe  elegante  Sprache,  die  alle  böhmisch  geschriebenen 
Werke  des  Verfassers  kennzeichnet.  Nach  den  drei  ersten  einleiten- 
den Kai)iteln  gibt  das  vierte  das  allgemeine  Ziel  der  Mntterschule, 
das  fiintte  Rathschläge  für  die  leibliche  Gesundheit,  das  sechste  für 
die  Pflege  der  Intelligenz,  das  siebente  des  thätigen  Lebens,  das  achte 
der  Eloquenz,  das  neunte  der  Sittlichkeit,  das  zehnte  der  P^römmig- 
keit.  Das  vorletzte  Kapitel  betont,  dass  die  Aneignung  dieses  Lehr- 
stoffes die  Hauptsaclie  bleibe,  auch  wenn  die  Zeit  der  Aneignung  mit 
dem  sechsten  Jahre  nicht  übereinstimme.  Nach  dem  letzten  Kai)itel 
sollen  die  Eltern  den  Kindern  die  Schule  nicht  als  einen  Sehrecken, 
sondern  als  etwas  Angenehmes  und  Vielverheißendes  Innstellen. 

Dem  Plane  weiter  folgend  wollte  der  Verfasser  des  „Informato- 
rinm  der  Muttersprache"  aofiSi  fOr  die  Volksschulen  sorgen,  und  so 
verÜMste  er  auch  ftr  die  seebs  Klassen  dieser  zweiten  Schule  die 
nOthigen  Lebrbacher. 

Naeb  dem  „Violarlnm"  (L  GL)  folgt  ein  „Bosarinm**  (II.),  beide 
mit  ganz  allgemeiner  Inhaltsbestimmung;  fttr  die  dritte  Classe  ist  das 
^Viridarinm*'  bestimmt,  das  alles  Wissenswerte  vom  Himmel,  yon 
der  Erde  nnd  von  den  Eflnsten  angenehm  besehreibt;  der  fftr  die 
vierte  dasse  bestimmte  „Lat^jrrinthns  Sapientis**  gibt  nützliche  Fragen 
ZOT  Scbftrfbng  des  Verstandes  nnd  des  Gedflchtnissea;  das  „Spiritnale 
Balsamentam**,  für  die  ftnfte  dasse,  zeigt  die  Nutzanwendung  aller 
menschlichen  Kttnste  nnd  Wissenschaften,  fiberhanpt  alles,  was  zn  sehen 
und  zu  thnn  ist;  die  letzte  dasse  (VI)  bekommt  ein  religiöses  Bnch 
«Paradisns  Anim»**,  mit  dem  Inhalt  der  ganzen  heiligen  Schrift,  den 
hanptsftchlicbsten  Sichenliedem  nnd  Gebeten. 

Nach  den  ersten  zwei  Jahren,  die  hauptsächlich  der  Aneignung 
der  EUementarien  gewidmet  sind,  kommt  in  dem  dritten  die  Mit- 
theilnng  alles  Wissenswerten,  um  Stoff  für  die  Bildung  zu  reichen. 
Dieser  Stoff  wird  in  der  folgenden  Stofe  haupts&chlich  zur  Stärkung 

Padieogina,  14.  Jakif  .  Heft  VI.  26 


Digitized  by  Google 


—   370  — 


des  Verstandes  und  Gedächtnisses  verarbeitet.  Die  fünfte  lehrt  die 
J'i  iixis  im  Menschenleben,  während  die  letzte  hauptsächlidi  die  reli- 
giöse Bildung  im  Auge  hat.  Sollte  der  Inhalt  dieser  Lehrb&cher  im 
Grunde  derselbe  Bdn  nnd  sieh  nur  durch  die,  dem  besooderai  Zwecke 
angepasste  Behandlung  imterscheldeii  (wie  wir  dies  etwa  bei  den  la- 
teinischen Schnlbflchera  finden),  dabei  aber  allen  Fordenmgen,  die  die 
Oesammtentwickelang  des  Geeistes  stellt,  Genüge  leisten,  so  moss  man 
Ar  diese  Schnlbttcher  das  höchste  Interesse  empfinden  mid  ihren  Ver- 
lost besonders  schmerzlich  beklagen. 

Eigentlich  sind  diese  Bttcher  bereits  im  ersten  Lissaer  Jahre  ver- 
fiRSst  worden;  nnr  eine  stete  Verbesserang,  wie  wur  sie  bei  allen 
Schnlbttchem  des  Gomenins  finden,  veranlasst  nns,  deren  endgiltige 
Ahihssang  in  das  Jahr  1630  zn  setzen.  Während  der  Abfossimg  dieser 
Bücher  —  also  bevor  er  mit  ihnen  fertig  geworden,  verfiel  er  anf  die 
Idee,  ein  Bnch  zn  schreiben,  das  die  ganze  Sprache  nnd  die  Gesammir 
heit  der  Dinge  in  sich  begreifen  und  „Seminarium  Linguarom  et 
Scientiarum  oranium"  genannt  werden  sollte.  —  Alle  die  Vereuche 
einer  Methodik  der  lateinischen  Sprache,  die  für  diesen  Gedanken 
vorgearbeitet  haben,  waren  ihm  nach  seinem  eigenen  Ausspruch  un- 
bekannt gewesen,  ausgenommen  natflrlich  Elias  Bodinus,  dessen  Di- 
daktik er  vor  einem  Jahre  in  Böhmen  gelesen  hatte.  Diesem  hat 
allerdings  etwas  Ähnliches  vorgeschwebt.  Er  fordert,  dass  man  die 
1700  gebräuchlichsten  Worte  in  einige  Sätze  mit  Hilfe  von  subsidia 
mnemonica  so  vertlieile,  dass  sie  der  Schüler  gar  nicht  vergessen 
könne.  Später  klagt  Bodiuu.s,  dass  Niemand  so  eine  Arbeit  unter- 
nehme. Nun  drückt  Comenius  die  Idee  nnd  die  Bestimmung  eines 
solchen  Buclies  \iel  klarer  aus;  aber  wir  dachten  dem  sonst  ver- 
gessenen Bodinus  diesen  Hinweis  scliuldifj  zu  sein.  —  So  legte  sicli 
also  Comenius  während  der  Verfassung  der  Schulbücher  für  die  Volks- 
schulen auf  die  Ausarbeitung  eines  „Seininarium  Linguarum  et  Scien- 
tiarum omniunr*.  —  Wie  klein  auch  der  Umfang  des  Werkes  geplant 
wurde,  so  kostete  es  eine  überaus  große  Mühe.  —  Als  einige  Freunde, 
bei  ihrem  Interesse  für  die  Arbeiten  des  Comenius,  von  dessen  neue- 
stem Vorsatz  Kenntnis  erhielten,  machten  sie  ihn  auf  ein  Werk  auf- 
merksam, das  aus  Spanien  stammend,  unter  dem  Titel  Janua  Lingua- 
rum den  ganzen  Wortschatz  in  einige  hundert  Sätze  so  vertheilt,  dass 
jedes  nur  einmal  vorkomme,  und  das,  seitdem  mehreremal  von  Neuem 
herausgegeben,  das  Erlernen  der  lateinischen  Sprache  besonders  er- 
leichtere. Aber  das  mit  großer  Freude  und  Erwartung  in  die  Hand 
genommene  Bnch  rechtfei'tigte  nach  dem  Durchlesen  die  daraufgesetzte 


Digitized  by  Google 


—  371  — 


Hoffnung  nicht  und  so  arl)eit(tte  Comenius  das  Jahr  lö3ü  mit  unver- 
Änderteui  Eifer  an  der  Sclirifr  fort. 

Die  beiden  Jahre  1025»  und  HVM)  war  er  mit  der  .Tanna  so  sehr 
beschäftigt,  dass  er  kaum  etwas  anderes  zu  unternelnnen  vei*suchte. 
Sein  Verfahren  war  Folgendes:  um  einen  Parallelisnius  der  Worte  mit 
den  Dingen  zur  Geltung  zu  bringen,  ordnete  er  die  Dinge  naeh  der 
Ka:ssuugskraft  der  Kinder  in  gewisse  Clausen  ein  und  so  entstanden 
100  gewöhnlichste  Inschriften  der  Dinge.  Nun  wählte  er  die  ge- 
bräuchlichsten Wörter  aus,  und  suchte  für  jedes  Wort  das  Ding,  zu 
dessen  Bezeichnang  es  arsprünglicb  und  nachträglich  angewendet 
wnrde;  ans  den  8000  Wörtern  bildete  er  1000  Perioden  nnd  diese 
ordnete  er  aach  stnfenartigr  ein,  erst  kamen  kurze,  dann  längei^, 
mehr-  nnd  melirgliedrige;  jedes  Capitel  enthielt  dann  10  Punkte.  Die 
Wörter  wfihlte  er  nadi  ihrer  nrsprOnglichen  Bedeutung  und  eigenem 
Sinn,  ausgenommen  nur  jene  venigen,  wdche  denselben  verioren  haben 
oder  in  der  Muttersprache  (auf  welche  er  fortwfihrend  Rücksicht 
nahm)  nicht  nach  jenem  gebraucht  werden  konnten.  Die  Homonymen 
hat  er  an  yielen  verschiedenen  Stdlen  angewendet;  die  Synonymen 
meistens  nebeneinander  gestellt;  die  Wortfügungen  ordnete  er  nicht 
nur  mit  B&cksicht  auf  die  Syntax,  sondern  auch  eiymologische  und 
grammatische  ümstftnde  beachtend.  Wfthrend  der  Arbeit  bekam  er 
immer  neue  Werke  ttber  die  Schulfragen,  hauptsächlich  Aber  die  Latafai- 
methode  zur  Hand,  die  ihn  einerseits  veranlassten,  an  seiner  Didaktik 
fortwShrend  etwas  zu  vervollkommnen,  anderseits  den  bescheidenen 
Schulmann  von  Lissa  in  seiner  wunderbar  gehobenen,  fast  möchten 
wir  sagen  schwärmerischen  Stimmnng  nährten  und  erhielten.  In  dem 
Brief,  den  er  bei  der  Gelegenheit  einer  Reise  Lochars  an  Menzel 
schrieb,  berichtet  er:  „Es  ereignen  sich  Wunderdinge,  die  ein  neues 
Paradies  versprechen,  und  das  von  unseren  Sehern  vei-sprochene  Jahr- 
hundert sehe  ich  schon  in  unseren  Händen."  Und  wie  dies  eben 
durch  die  Leetüre  der  neueren  Bücher  bewirkt  worden,  darüber 
schreibt  ei-  an  den  Paladin  von  Beiz:  Ratiehs  Werke  habe  er  schon 
früher  in  Mähren  benutzt;  1627  verfiel  er  auf  mehrere  ähnliche 
Schriften,  die  er  in  der  Vorrede  zur  Didaktik  und  Ph3'sik  erwähnt, 
„üa  begann  ich  viel  zu  holfen  über  das  beginnende  neue  Jahrhundert 
und  wurde  gewaltig  gestärkt  darin,  dass  das  Danielsche:  n „Viele 
werden  da  forschen  und  die  Wissenschaft  wird  vermehrt**"  von  diesen 
letzten  Zeiten  zu  verstehen  sei." 

Und  dazu  kamen  noch  äußere  Umstände.  Die  Berichte  vom 
Auftreten  des  Schwedenkönigs  verbreiteten  sich  wie  ein  elektrischer 

28* 


Digitized  by  Google 


—   372  — 


Funke  durch  die  ganze  evangelisclie  Welt  —  und  wer  hoffte  mehr 
Ton  demselbeD,  als  die  Verbaniiteii?  Je  tiefer  er  in  das  Beich  drang, 
desto  fester  wurde  die  Überzeugung,  er  sei  jener  yerkOndigte  Ldwe 
des  Nordens,  den  Gott  in  diesen  letzten  glorreichen  Tagen  zn  seinem 

Werkzeug  auserwählt  Und  in  dieser  allgemeinen  bis  zur  Betäubung 
gesteigerten  Stimmung  fühlte  der  Geist  des  Ck)menius  seine  Kräfte 
doppelt  und  so  brachte  er  denn  anfangs  des  Jahres  1631  seine  .Tanna 
zum  Erscheinen.  Eine  vom  4.  März  datirte  Vorrede  schildert  die 
Mangelhaftigkeit  der  Erfolge  des  Lateinunterrichtes,  der  außerdem 
noch  die  Zeit  der  Erlernung  der  Kealien  absorbire;  eine  Abliilfe 
durcli  das  die  beiden  Unterriclitskreise  verbindende  Bucli  zu  schatten, 
entspreche  vielseitigen  Bestrebungen,  von  denen  besonders  jene  der 
si>anis(lien  Jauua  erwähnenswert  sei.  Gegen  diese  hat  er  dreierlei 
einzuwenden:  es  fehlen  da  viele  Worte,  die  man  oft  zu  prebrauchen 
hat,  dit'  Iloinnnynia  seien  nicht  darin  enthalten,  und  auf  die  ursprüng- 
liche lU'deutung  des  Wortes  le^^e  das  Hucli  kein  Gewicht.  Dazu 
nehme  man  nocli,  dass  sehr  viele  Sätze  keinen  i»a(la;,'-o^Mschen  Wert 
haben.  All  dem  Übel  will  seine  Schritt  abhelfen;  der  Verfasser  sieht 
selbst  viele  Mängel  in  ihr;  aber  da  sie  die  Frucht  einer  dreijährigen 
Arbeit  sei  und  er  zu  einer  neuen  Umarbeitung  keine  Muße  habe,  so 
übergebe  er  sie  der  Öffentlichkeit  in  der  llofl'nung,  dass  in  dieser, 
durch  das  Interesse  für  die  Didaktik  so  fruchtbaren  Zeit  seine  un- 
vollkommene Arbeit  bald  diu'ch  eine  l)essere  werde  verdrängt  werden. 

Trotzdem  die  Arbeit  mit  Rücksicht  auf  die  Muttersprache  aus- 
geführt worden  war,  veröffentlichte  er  diesmal  nur  den  lateinischen 
Theü,  besonders,  veil  es  ihm  nm  das  Urtheil  Tieler  zn  thun  sei,  die 
den  b&bmisehen  Text  nicht  verstanden;  —  statt  des,  yon  der  spani- 
schen Janua  angewendeten  Index  yerspricht  er  ein  etymologisches 
Lexicon,  mit  den  Stämmen  und  Ableitungen  einzehier  WOrter  „nova, 
sucdncta,  iacili  ratione**.  Statt  der  Benennung  Janua  Linguamm 
gefiUlt  ihm  aber  die  Benennung  Seminarinm  Lingn»  et  Artinm  besser, 
weil  hier  den  Dingen  ebensolche  Sorg&lt  zugewendet  werde,  wie  der 
Sprache,  wodurch  die  ersten  Begriffe  der  Erziehung,  Sitte  und  Fröm- 
migkeit, Grund  und  Gestalt  erhalten  sollten. 

Die  hundert  Kapitel  der  Janua  bieten  wol  kein  strenges  System, 
eine  gewisse  Gradation  nach  dem  Werte  des  Gegenstandes  ist  aber 
doch  im  allgemeinen  festzustellen.  Nach  einer  kurzen  EinleituDg  L 
werden  die  Natnneidie  (g.—äO.)}  dann  der  Mensch  (21.— 30.),  seine 
Thätigkeiten  (31.— 48.)  und  bürgerUchen  Verhältnisse  (49.-68),  dann 
nach  einander  die  Erziehung  (69. — 82),  die  Sitten  (96.)  und  ganz  kurz 


Digitized  by  Google 


—    373  — 


•der  Gkaben  (97.— 99.)  erörtert,  woranf  ein  kurzer  Schlius  feiger  der 
mit  Gottes  Lob  endet.  Die  Art  der  Bebandlnng  und  den  Bdchthmn 
Abb  Inhaltes  mag  folgende  Probe  zeigen:  98.  De  amidtia  et  homa- 
nitate. 

XGm.  Von  der  Frenndschaft  nnd  FrenndUchkeit  (Lentseligkeit). 

901.  Wenn  da  willst,  dass  deine  Gesellschaft  (dein  Umgang)  jedem 
angenehm  sei,  so  sei  gegen  die  (Geringeren  leutselig  nnd  frenndlicb, 
g^n  deinesgleichen  dienstfertig,  gegen  die  höheren  ehrerbietig,  ge- 
horsam, 80  "wirst  da  Gonst  erlangen,  gewinnen. 

902.  Den, -von  welchem  dn  weggehest  (scheidest),  sollst  da  nicht 
unwert  halten  zu  seg:nen,  den,  welchen  da  heimsuchst,  oder  bei  dem 
<da  Forftbergehst,  freundlich  (liebreich)  za  gr&ßen,  deo,  der  dich  grüBt, 
-wieder  zu  grüßen  (za  daoken),  den,  der  von  dir  weggehet,  ein  Stflck- 
chen  zu  begleiten. 

903.  Antworte  sanftmüthig  dem,  der  da  fraget,  zum  wenigsten  mit 
Zuwinken,  oder  Abwinken,  mit  Einwilligen  oder  Abschlagen. 

904.  Falle  dem  Redenden  nicht  in  die  Rede,  doch  hilf  dem  ein, 
welclicr  etwas  nicht  weiß,  wenn  es  dir  einfiUiti  du  sollst  den  nicht 
ÄUfhaltHTi,  der  (leiner  wartet, 

9U5.  Wmn  du  jemandem  in  irgend  einer  Sache  willfahren  (einen 
Gefallen  erzeigen)  kannst,  so  sollst  du  es  nicht  versagen  (absclilagen, 
verweigern),  weder  sei  es  dir  lästig,  noch  beschwerlich,  noch  auch  der 
Mühe  unwert. 

900.  Brauchet  jemand  einen  Rath,  so  rathe  ihm.  bedaif  er  des 
Trostes,  so  tröste  ihn,  der  Hilfe,  so  komme  ihm  zu  Hilfe  und  stehe 
ihm  bei,  der  Beiptlichtung,  so  stimme  ihm  bei;  besuche  die  Kranken; 
80  wirst  du  dir  bei  allen  Gewogenheit  und  Gunst  erwerben  (ge- 
winnen). 

907.  Hat  dich  jemand  verletzet  (beleidiget),  so  sieh  es  ihm  nach 
(sieh  ihm  durch  die  Finger),  so  wirst  du  iiin  beschämen,  gereut  es 
ihn  (bedauert  er's),  dass  er  es  gethan  hat,  so  halte  es  ihm  zu  gut 
(verzeihe  es  ihm),  so  wirst  da  ihn  dir  sehr  verpflichtet  und  verbunden 
machen  (verbinden). 

908.  Bist  da  selbst  dnem  zuwider  gewesen,  so  schftme  dieh  nicht 
Ihn  anzusprechen,  zofrieden  zu  steUen,  zu  versöhnen,  ihm  abzubitten, 
und  ansgesOhnt  zu  werden:  nicht  zum  Schein,  sondern  emstlich. 

909.  Den  Groll  (die  heimliche  Feindschaft)  lass  nicht  alt  werden 
(verj&hren),  damit  er  sich  nicht  in  Hass  yerwandle. 

910.  Stnbeogesellen  und  Tischgesellen  geziemet  die  Einmflthig- 
•keit»  besonders  in  der  gememen  Stube  und  im  Esusaale. 


Digitized  by  Google 


—   874  — 


911.  Es  ist  zwar  niebt  möglich,  dass  nicht  Missstand  nnd  Un^ 
einigkeit  dazwischen  kommen  (sich  einsclileichen)  sollten. 

Aber  die  £inträchtigkeit  soll  durch  die  Gegengedold  emenert, 
und  die,  so  uneins  sind,  durch  ins  Mittel  tretende  (sich  schlagende) 
Unterhändler  versöhnet  werden. 

912.  Hat  jemand  glücklichen  Fortgangs  so  sieh  nicht  scheel,  son- 
dern gönne  es  ihm,  hat  er  Unglück,  habe  Mitleiden  mit  ihm.  Ein 
Barmherziger  soll  sich  der  Elenden  erbarmen. 

913.  "Vor  allen  Dingen  befleißige  dich  der  Wahrhaftigkeit,  nichts 
ist  abscheulicher  (scheußlicher)  als  Lügen;  wer  Lügen  erdenket,  ist 
verhasst. 

914.  Ist  dir  etwas  Heiiiiliclies  kund  worden,  so  siaenge  es  niclit 
aus,  lass  es  auch  keiueu  andern  von  dir  erfahren,  ob  er  schon  dar- 
nach frage:  schweige  still,  sage  ich,  verschweige  (verbeiße)  es,  deine 
Verschwiegenheit  wird  keinem  .schaden,  Uiigelegenheit  machen,  dich 
aber  wird  sie  überaus  lieb  und  wert  (beliebt;  machen  (empfehlen). 

915.  Unter  den  Lustigen  sei  nicht  sauertöpfisch,  doch  auch  nicht 
ausgelassen  fröhlich. 

910.  Gegen  andere  sei  nicht  schwatzhaft,  und  wo  du  was  Artiges 
im  Reden  einmischest,  lass  es  Scherz,  nicht  Gespötte  sein;  zanke  nicht, 
damit  du  nicht  einen  aus  den  Gegenwärtigen  auibriuget>t,  oder  einen 
aus  den  Abwesenden  verleumdest. 

917.  Denn  zanken,  hadern  und  sich  balgen  ist  b&nrischer  Leute 
Sache,  der  Obrenbllaer  imd  faüa^bea.  Angeber  Art  aber  ist  es,  za 
Bcbmfihen  und  fiUacblicli  anzugeben. 

Unter  der  strengen  Dnrchf&brong  des  Grmidgedankais  hatte 
allerdings  sowol  die  Sprache  als  anch  der  Inhalt  zu  leid^  Um  alles 
za  geben,  gab  der  VeiAisser  in  den  Eapitehi  55.-85.  ttber  Gebort 
der  Kinder  nnd  über  die  Eeoschheit  manches,  was  der  kindlichen 
Phantasie  nichts  nfttzen  kann  nnd  in  mehreren  Kapiteln  kommen  6e> 
nennnngen  nnJtethetischer  Gegenstfinde  und  Vorginge  vor,  auf  die  man 
ganz  gut  verzichten  konnte.  Andererseits  mnsste  er  bei  vielen  Benennun- 
gen, wo  der  dassische  Wortschatz  nicht  zu  Gebote  stand,  zu  Wortbil» 
düngen  greifen,  die  wol  auch  Bodinus  anempfohlen,  die  aber  die  Freunde 
der  reinen  Latinität  zu  seinen  Feinden  machten.  Dass  der  Gmndto% 
der  durch  das  Werk  zieht,  ein  recht  sittlich  emster  und  tief  christlicher 
sei,  braucht  wol  kaum  hinzugefügt  zu  werden.  Der  Erfolg  des  Werkes 
war,  wie  Comenius  nach  25  Jahren  erzählt,  einer,  wie  er  sich  ihn 
nicht  habe  vorstellen  können;  es  geschah,  dass  das  Werk  mit  allge> 
mdnpm  Applaus  von  der  ganzen  gebildeten  Welt  ao^enommen  wurde. 


Digitized  by  Google 


—    375  - 

Es  beviesen  dies  sebr  gebfldete  Mfianer  der  yerochiedeDatea  Völker, 
theils  dnreh  an  den  Yerfosser  gerichtete  Briefe,  theils  dadurch,  dass 
sie,  wie  wett^emd^Übersetasimgen  in  dieMntter^rachen  nntemahmen 
So  dehnte  sich  der  KreiB  seiner  Bekannten  anf  die  ganze  gebildete 
Welt  ans  und  LobeprOche  dienten  ihm  nui  Sporn  imd  zur  fYende 
zugleich.   

Mit  Vergnügen  schließen  wir  hieran  ein  treffliches  lateinisches 
Gedicht,  verfasst  und  onserem  Blatte  gewidmet  von  Herrn  iSchalrath 
filt^erich  in  Oschatz: 

In  Memoriam 
J.  A.  Oomenii 
Natali  Tieoentenmo 
D.  XXVin.  Mart.  MDCCCXCII. 
Salve  festa  dies  natiili;;!  Aveto  Comeni 

Cantetur  toto  noincu  iu  orbe  Tuuin! 
Qnifl  DOstrum  potis  est  lilius  dicerc  laudes, 

Qni  quoque  nunc  juvenfls  edncat  atqae  doeet? 
Diftigtn  dehine  tria  eaecida»  elan  Comenil 

Sed  monutnenta  Tibi  non  peritura  raanent! 
Major  Aristoteles  vorbis  —  Tu  celuior  actis 

Iiupcriumque  scholae  tnulidit  illc  Tibi! 
Primu  eras,  qui  res  ipsas,  nee  ▼erba  dooebaa 

BoetrinamqiM  dabaa  emn  pietate  simnll 

aia:  „Omnis  homo,  diylna  atirpe  cieatnt, 

Cocios  cxoptat,  Semper  ima^  Dei!"*' 
„Dux  Natura  mihi!  Naturae  couTenicnteT 

Annis  jam  primig  eradiendus  homo! 
Coiporis  ergo  prioa  Tirea  aenansqne  oolendi. 

Tarn  yirei)  animi,  tum  ratiunia  opest 
Leniter  it  tardoque  rrradu  Natura  per  otbem 

Praecipitutiiue  nihil  —  Fac,  inoderatOT,  ideml" 
Optima  dux  Natura  i^uidem  —  nam  proiäda  lenm 

lit  baeo  ipsa  paieas  —  fleetim  arte  tarnen. 
Baao  artem  methodumqne  Dovam  jam  repperit  Amoa 

Et  primo  juvenes,  quod  monct,  ipse  faeit. 
„Est  priuB  exemplum,  postremo  rcjErula  danda 

Excmplisquo  bonis  duc,  uge,  diacipulos!" 
„Nil  jaTUMB  diicant  unquam,  qnod  invtile  vitael 

Nam  dootrina  miniu^  plus  Talet  integritas! 
Si  qnid  mente  teaet  juvenis,  mox  exprimat  orel 

Nil  puer  ediscat  quod  neeat  inerenium!" 
.  ,^unditus  exercenda  prius  vemacula  liogua! 

Quod  puer  ipse  legit,  scribere  Miet  üem!** 
Fncite  jam  —  enxana  Testxos  iiiliibete,  lodaleal 

Nnm  memone  Juni  Semper  eramos  adhno? 


Digitized  by  Google 


—  376  — 


Noa  ego  credidexuu.   Muucat  noa  pruvidns  Amol, 

ü(  methodos  ib^üs  conTenienter  eatl 
Bgregii  daiiqve  vixi  Te»  Uagne,  sequuntur: 

Franckius  ille  pina,  par  Tibi  mente  sua. 
Tom  —  fere  inaximus  est  —  hic  Pestalozziua  UBIIS, 

Qtti  populo  tot  um  sc  (Iftlit  atqu8  scholae. 
Dengue  muguaiumuä  (^uoi^ue  Diesterwegius  ille, 

Qui  de  Wh»  iduilM  maximB  dunna  tnMt 
OmnibiiB  Iub  tam«n  es  m^jor,  Tu  Hegne  Comeni 

Eb  peter  —  bi  nati  diadpHlique  Tili! 


Digitized  by  Google 


Plldagoglsebe  Rundschau. 


Aus  r*ronßen.  [In  Canossa.]  „Traurifr  ppnng:,  dass  lieiitigresta^es 
solche  Betrachtungen  nothwendit'  sind,  dass  noch  f^^ekilniptt  \vt  r.l«"ii  niusa 
om  die  wertvoÜHteu  Grundlagen  der  deatscheu  Naiiunaibiiduug 
und  am  die  wichtigsten  Beehtstitel  der  denteeliftB  Nationalehre: 
nm  die  Freiheit  des  Gedankens  and  des  Wortes,  des  Olanbens  und 
Gewissens,  der  Wissensehaft  und  Lehrel" 

80  lautete  die  wuchtige  Anklapre  eines  kühnen  und  wahrheitsliebenden 
Hanne»  am  21.  Mai  18UU  im  Cuocert^aale  der  Philliarmonie  za  Berlin  — 
vnd  4000  Sebnlminiier,  daranter  die  165  Abgeordaeteo  m  59709  Mit- 
gliedern der  Lehrenrereine  »Oer  deutschen  Gaoe,  stimmten  dem  nnerschrookenen 
Bednar  za. 

Wie  hat  man  denselben,  einen  „gewissen  Dittes  aas  Wien",  dafür  ge- 
scholten and  verketzert,  wie  hat  man  äber  Missbrauch  des  Gastrechts  durch 
diesen  „Ausländer"  sich  entröstet,  wie  hat  man,  überlegen  l&chelnd,  ihn  der 
tthertriebenen  Schwameherei  beschuldigt  oder  doch  wenigstens  wegen  seiner 
▼erbitterten  Rflcksichtslosigkeit  verartheilt!  Er  hätte  doch  über  gewisse  (an 
sich  freilicli  nicht  zu  leugnende)  VerhiUtniPse  sirli  fein  nianit'Hich  ansschweigen, 
an  dem  iSchleier  nicht  so  täppisch  zupfen  sollen!  Hetzte  er  damit  niclit  die 
ganze  wilde  Jagd  der  SchwarzbUndler  vom  großen  Windtborst  bis  herab  zum 
kleinen  StOcker  nnd  denen  von  Hammerstein  und  Consorten  anf  uns  wehrlose 
OesohSpfe? 

Nun  freilich,  die  danialio-e  (!;vi)\V  Lelirerhetze  hat  er  allerdings  ver- 
schuldet! Aher  gerade  dadurch  hat  der  zeitkundige  Kufer  und  Warner  sich 
ein  großes  Verdienst  erworben:  auch  dem  blödesten  Auge  wurde  nun  klar, 
wo  die  Sehttsen  Ihre  Anfbtellnng  genommen  hatten,  nnd  selbst  das  argloseste 
Wild  seh  sich  nnn,  die  Gr5fle  der  Gefahr  erkennend,  aus  trQgeriscber  Sicher- 
heit und  verhängnisvoller  Ruhe  jäh  aufgescheucht.  Wie  eine  Blendlaterne 
leuchtete  die  Dittes'sche  Rede  mitten  in  das  Dunkel  hinein,  wo  die  Wider- 
sacher des  Fortschritts,  der  Geistesfreiheit  und  —  der  modernen  Volksschule 
ilire  Waffen  schmieden.  Einem  Wind8to6  Tergldchbar,  welcher  die  Nebel  ser* 
nlBt,  nm  einen  Abgnnd  anfkndecken,  aeigte  sie  nicht  allein  dem  Lehrerstande, 
sondern  ngleich  allen  Oebildeten  der  Nation,  soweit  sie  sehen  wollten, 
die  nngehenie  Schwäche  unserer  Zeit  Und  darum  wird  jener  Lehrertag,  anf 


Digitized  by  Google 


—  378  — 


welchem  ein  Dittps  die  Kitter  Her  X&cht  durch  seine  Heraasfordemilf  xwaDfy 
ihr  Visir  zu  lüften,  von  un vprgcFsl icher  Hedentnnpr  bleiben! 

In  den  herrschenden  Classen  unseres  Volkes  macheu  sich  Kräfte  geltend, 
welche  gendesn  den  Freunden  des  ünttnnee  nnserer  Geflellachaftsordnvnff  in 
die  Hände  arbeiten,  indem  sie  an  den  Ghmndsäalen  rütteln,  auf  denen,  historisch 
nachweislich,  die  Macht  und  Größe  unseres  Vaterlandes  beruht.  Freilich  nicht 
mit  Absicht  und  Hewusstsein  thun  sie  dies  —  ganz  im  Gegentheil!  —  wol 
aber  mit  onfelilbarem  £rfolge!  Der  sicherste  Beweis  dafür  ist  der  dem  preußi- 
aehen  ÄI)geordnetenhanM  y<Hrgelegte  Entwurf  eines  yolkssehnlgesetzes 
für  den  preußischen  Staat  Dieser Entwoif,  der  den  Namen  eines  Zedlitz 
trägt  —  jener  alten  schlesischen  Adelsfamilie,  welche  schon  mehr  als  einmal 
glänzende  Vertheidiger  der  GlanbenK-  und  Gewissensfreiheit  gestellt  bat  - 
führt  ans  weit  hinter  die  Zeiten  des  MUhlerschen  and  Baumerscben  Schnl- 
regiments  surfick.  Seit  nenn  Jahrzehnten  steht  in  Prenlen  der  Erlass  eines 
Unterrichtsgesetzes  anf  der  Tagesordnung;  seit  mehr  denn  40  Jahren  ist  die 
geßetzliclie  Regelung  der  Unterrichtsangelegenheiten  dnrch  die  Verfassung 
gewährleistet;  acht  Entwürfe  dieser  Art  sind  bereits  „zn  den  Acten"  ge- 
wandert; seit  dem  Anlange  unseres  Jahrhunderts  hat  die  schon  vom  Freiherrn 
von  Stein  und  seinen  Mitarbeitern  erkannte  Wahrheit:  dass  das  Glfick  des 
Vaterlandes  auf  der  in  den  Sdiulen  begründeten  Oeistesfreihdt  und  Gesittung 
beruht,  ihre  immerwährende  Bestätigung  gefondw;  mehrere  große  Kriege  haben 
gelehrt,  wie  eine  auf  freiheitlichen  Grniidlafren  erbaute  Volksbildung-  die  vor- 
züglichsten Waffen  gewährt  und  den  festesten  Grenzwall  zum  Sciiutze  der 
vaterländischen  Grenzen  bildet;  vor  den  Augen  aller  Zeitgenossen  haben  die 
scheuffliehen  Thaten  ▼erabsohennngswfirdiger  Heuchler  wie  H9del  undNobilIng 
den  Irrwahn  widerlegt,  als  ob  eine  religiöse  Erziehung  nach  den  Forderungen 
der  römischen  oder  protestantisch -orthndoxen  Zeloten  vor  den  schwersten  Ver- 
letzungen göttliciier  und  menschlicher  Ordnung  zu  bewahren  vermöchte  

und  doch  moss  man  es  erleben,  dass  der  preuüischen  Volksvertretung  die  Gut- 
heiAung  Ton  Vorschlägen  zugemutet  wird,  welche  den  Glauben  erwecken 
kSnnten,  dass  ihre  Verfiuaer  hundert  Jahre  —  aus  ihrem  Gedftchtnis  ge- 
strichen  hätten! 

Freilich  war  es  nicht  möglich  gewesen,  die  freisinnigen  Entwürfe  von 
Altenstein  (1819)  und  Falk  (1877)  durchzubringen.  Aber  lagern  nicht 
auch  die  Vorlagen  der  Minister  Bethmann-Hollweg  (1862),  Mflhler  (1869) 
und  Gossler  (1890)  in  den  Aetenscbrtnken  des  Cnltnsministeriums?  Und 
haben  nicht  sogar  die  Baumerscben  Begulative  dem  Geiste  einer  neuen 
Zeit  weichen  müssen? 

Doch  gehen  wir  einmal  kurz  anf  den  Inhalt  des  Zedlitz'schen  Entwurfs 
ein.  Vorausschicken  müssen  wir  indes,  dass  derselbe  nicht  beurtheilt  werden 
kann  ohne  einen  Blick  auf  gewisse  parlamentarische  VerhUtnisse  und  Vor- 
gftnge  in  PreoBen. 

Der  Gang  und  die  Fjitwickelung  der  inneren  Politik  Preußens  und  Deutsch- 
lands ist  etwa  seit  dem  Jahre  1877  stark  beeinflusst  worden  dnrch  die  Hai- 
tang der  ultramontanen  i'artei  unter  der  genialen  Fuhrung  Windthorsts. 
Nidit  ohne  deren  Mitwirkung  vollzog  sich  der  Sturz  des  unvergesslichen  Gnltus- 
ministers  Falk  und  die  Bernfnng  eines  Hannes  von  so  hervorstechend  reac- 
tionftre^  Richtung,  wie  derjenigen  Puttkamers,  in  seine  Stellung.  Und 


Digitized  by  Google 


—  879  — 


ab  dann  auf  Pnttkanier  der  Cultasminister  von  Oossler  folgte,  zeigte  sich 
der  Einflnss  der  nltramontanen  Partei  schon  deutlicher,  indem  sich  diosolbe 
nicht  nielu-  damit  begnügte,  was  sie  aaf  kirchlichem  Gebiet  von  der  Kegie- 
rvng  xorlekATObert  hatte,  sondern  auch  den  Kampf  rnn  den  Beiits  der 
Schale  eriMhete.  „Wir  we&en,"  erkUbrte  Windthoret,  „die  Schale  ^eder  m 
haben,  wie  sie  vor  dem  SehnIanfBicht8ge8etz(l)  war.  Können  wir  Wandel 
hier  nicht  erreichen,  so  werden  wir  darauf  driugren,  dass  mehr  als  es  bisher 
geschehen,  endlich  die  Bestininiung^cn  der  \  erfassung  erfüllt  werden,  welche 
volle  Unterrichts  freiheit(!)  verbürgen.  Wir  können  als  Eltern  verlangen, 
daiB  ooeere  Kinder  voo  eolchra  antmichtet  werden,  deoen  wir  vertraoen 
and  welche  unsere  Religion  aufrecht  eihalten,  nnd  dasB  der  Kirche  ge- 
stattet wird,  ilirerseits  Srhnlen  zn  gründen  (!)  ...  Es  werden  ja 
nene  UnterrichtfJtreset/.e  geplant,  nnd  die  daran  arbeiten,  mögen  wissen,  wie 
wir  Kathuliken  zur  Öache  stehen  . . .  Die  Schale  gehört  der  Kirche  ganz 
allein  (!).« 

Das  war  offm  ond  ehrlich  gesprochen,  and  Jedermann  wante  also,  wo  das 

Centinm  hinaas  wollte.  —  Allein  Herrn  von  Qossler  nnd  dem  ganzen  Ministe- 
rium Bismarck  gingon  diese  Forderungen  denn  doch  zu  weit.  Man  liatte  viel 
bewilligt  und  viel  geopfert,  man  hatte  sich  tief  nnd  tiefer  gebeugt,  aber  vor 
d«r  kleinen  KxceUwi»  im  Staabe  liegen  nnd  anf  dem  Baacho.  ratsehen  —  nein, 
dasa  konnte  man  sich  nicht  entschließen.  Hatte  dmdi  aiidi  der  nnglttckUehe 
Kaiser  Heinrich  noch  das  immerhin  menschenwfirdige  Vorrecht  bewahrt,  im 
Schioeshof  von  Canossa  wenigstens  zn  stelienl 

So  zeigte  denn  der  Minister  von  (iosslt  r  gar  keine  Eile,  sogleich  einen 
Entwarf  yoraalegen,  welcher  den  Windthorstechen  Forderungen  Aasdmck  tmt- 
lieh.  Das  veranlasste  den  anermUdlichen  GeatramsfHhrer,  dem  Minister  an  Hilfe 
za  kommen:  er  selbst  formulierte  dic^jenigen  Sfttze,  welche  den  Hauptinhalt 
des  vorzulegenden  Unterrichtsgesetzes  ausmachen  sollten.  Und  damit  nicht  alle 
Welt  .sogleich  erkennen  sollte,  dass  hier  dasjenige,  was  die  ultramontanen 
Ftthrer  auf  den  Katholikenversammlungen  klipp  und  klar  in  reinem,  gutem 
Deotseh  verlangt  hatten,  bewilligt  sei,  kleidete  er  es  gebnhrendermaflen  in  das 
Müntelchen  einer  fein  diplomatischen  AusdracksweiBe.  «1)  In  das  Amt  des 
Volksschnllehiers  dürfen  nur  Personen  berufen  werden,  gegen  welche  die 
kirchliche  Behörde  in  kirchlich-religiöser  Hinsicht  keine  Einwendung 
gemacht  hat.  W'erden  später  solche  Einwendangen  erhoben,  so  darf  der 
Lehrer  zor  Ertheilang  des  Religionsanterricfates  nicht  weiter  za- 
ge lassen  werden.  2)  Diejenigen  Organe  zn  bestimmen,  welche  in  den  ein- 
zelnen Volksschulen  den  Religionsnnterricht  zu  leiten  lorechtigt  sind, 
steht  ausschließlich  den  kirchlielien  Obern  zn.  3)  I)a.s  zur  Leitung 
des  Beligiousunterrichts  berufene  kirchliche  Organ  ist  befugt,  nach 
eigenem  Ermetsea  den  scholplanmäfiigen  Religiomaiitenrlebt  selbst  za 
erteilen  oder  dem  Beligionsnnterrioht  des  Lehrers  beizawohnen,  in  diesen 
einzugreifen  nnd  fSr  dessen  Ertheilang  den  Lehrer  mit  Weisungen  zo 
versehen  (I).  welche  von  letzterem  zu  befolgen  sind.  4)  Die  kirchlichen 
Behörden  bestimmen  die  für  den  Religionsunterricht  und  die  religiöse  i  bung 
im  den  Schalen  dienenden  Lehr-  und  Unterrichtsbttcher,  den  Umfang  und 
Inhalt  des  schnlplanmUligen  religiOeen  Unterrichtsstoffes  ond  dessen  Ver- 
theilOBg  aaf  die  einzelnen  Olassen."  —  Das  wiikt  doch,  jeder  moss  es 


Digltized  by  Google 


—  380  — 


gestehen,  nicht  so  abschreckend,  wie  der  Satz:  „die  Schule  geliört  der  Kirche 
ganz  alleiu''  —  wenn  es  auch  in  der  Hauptsache  dasselbe  ist! 

ünd  siehe  üMf  es  half!  Der  Minister  vertiefte  sich  in  diese  Windthorst- 
schen  Anträge  ▼on  Jahre  1888  so,  dus  er  zwei  Jahre  später  in  der 
La^ä^e  war,  einen  Entwnrf  vonmlegen,  welcher  den  Ansprüchen  des  Centrnms 
unti:<'fJilir  sieb(Mia('!itolwege8  entgegen  kam.  Hatte  er  auch  bei  der  Verhand- 
lung des  Abgeordnetenhaoses  über  diese  Anträge  nachweisen  können,  dass  die 
Klagen  der  Ultramontanen  nnbereditigt  seien  —  indem  hei  seinem  Amts- 
antritte (1881)  2200  Itatholische  Geistliche  von  Ertheflong  oder  Leitang  des 
Religionsnntenichts  aa^;eschlo88en  waren.  1888  aber  nnr  noch  190,  und  nach 
Abzug  Posens  gar  nur  50  einschließlich  der  evangelischen  — ,  so  entliielt  sein 
Entwurf  doch  folgende  grundlegenden  Bestimmangen :  Die  Keligionsgesell- 
sehaften  haben  mitinwirlten  het  Binflhxnng  neuer  Lehrpllne  nnd  neuer 
Sehvlbflcher  im  BeUgioBsantenieht;  sie  lassen  dordi  ihre  Oigane  den  Unter» 
rieht  inspiciren.  Diese  Organe  sind  berechtigt,  in  den  Religionsunterricht  ein- 
zugreifen und  den  Lehrer  am  Schlüsse  sachlich  zu  herichtieen  .  .  . 
Wo  die  Zahl  der  Schulkinder  einer  Keligiunsgesellschaft  über  60  steigt,  kann 
die  SchnlanlbichtsbebSrde  die  Errichtung  einer  besonderen  Volksschnle  fBr 
dieselben  anordnen  (behnfSi  Ansrottnag  der  Simnltaasehnlenl  Der  Verfl). 

Man  siebt  anf  den  ersten  Blick,  dass  solche  Bestimmungen  mit  der  bis- 
herigt^n  Anffisfnns:  maßgebender  Stellen  über  das  VerhiUtnis  zwischen  Staat, 
Kirche  und  Scluile  nicht  vereinbar  sind.  Der  moderne  Staat  hat,  gegenüber 
den  Zielen  der  hierarchischen  Parteien,  vollen  Grund,  das  unbeschitLukte  Anf- 
sichts-  und  Leitangsreeht  über  die  VoUissehnle  fBr  in  Ansprach  an  nehmen. 
Damit  abfir  bei  den  immerhin  besdurttnkten  Mitteln  des  Staates  die  kostspielige 
Weiterentwickelung  des  Schul wesena  nicht  aufgehalten  werde,  bedarf  es  der 
opferfreudigen  Mitwirkung  kleinerer  \'erbände.  namentlich  städtischer  Gemein- 
wesen, deren  Wetteifer  bereits  schöne  Erfolge  aufzuweisen  hat.  Soll  dieser 
Faetor  indeas  nidit  völlig  aoter  Beehnung  gestellt  werden,  so  dürfsn  die  ans 
dem  großartigen  Steinsehen  Belbrmgedanken  der  Selbstverwaltung  herrührenden 
Befugnisse  der  coromunalen  Körperschaften  nicht  so  weit  eingeengt  werden, 
wie  es  unter  anderen  betreffs  aller  bisherigen  Rechte  tÜr  Ernennung  n.  s.  w. 
der  Lehrkräfte  im  Gosaler'schen  Entwurf  geschah. 

Letaterer  wanderte  übrigens,  nadidem  er  in  langwierigen  GomadBskMis- 
beratungen  noch  mancherlei  Yerladerungen  erfahren  hatte,  und  nachdem  Herr 
von  Gossler  dem  Andrängen  des  Centrnms  zufolge  seinen  Ministersessel  an  den 
Grafen  Zedlitz  abzutreten  genBthigt  gewesen  war.  ohne  Sang  und  Klang  den 
Weg  aller  preußischen  Unterricbtsgesetz-EntwUrfe,  und  heute  liegt  ein  neues 
Werk  vor. 

Hatte  Windthorst  noch  im  Jahre  1887  die  Aufhebung  des  Falksehen 

Schulanfsichtsgesetzes  verlangt,  so  zeigt  der  Zedlitz'sche  Entwnrf, 
dass  es  in  dem,  was  für  das  Centrum  die  Hauptsache  ist,  auch  ohne  eine  solche 
formelle  Aufliebmitr  ^'*lit.  Die  Schule  ist  so,  wie  der  Lehrer  ist.  Hat  man 
den  Lehrer  in  der  Uewait,  so  besitzt  mau  die  Schule  und  mit  ihr  die  Zukunft. 
Was  ein  Windthorst  sieh  visUeieht  nidit  hat  trinmen  lassen:  dass  es  jemsls 
gelingen  könnte,  die  Lehrerschaft  im  ganzen,  also  den  katholischen  und  evan- 
gelischen Tlieil  derselben,  wieder  unter  die  volle,  uneingeschränkte  Botmäßig- 
keit der  Kirche  (d.  i.  ihrer  leitenden  Organe)  zu  bringen,  das  stellt  der 


Digitized  by  Google 


—   381  — 


Zedlitz  scLe  Eiilwurt'  in  sichere  und  nahe  Auspicht.    Windthorst  könnt«'  wol 
darauf  rechnen,  da^s  es  den  Organen  der  päpstiiclieu  Kirche  mit  ihrem  wol- 
dorehdachtea  und  iuifehl1i«r  urirkenden  System  eiserner  DiMiplinaniiittel  fe- 
lingen  mttsater  die  katholischen  Lehrer  den  Absichten  der  Hierarchie  dienst- 
bar sn  madien;  nie  aber  konnte  er  hoDen,  dieselbe  Herrsdiaft  auch  auf  die 
evangelischen  Lehrer  auszudehnen.    Nun  aber  zeigt  eine  Hf frieriMi;,'8- 
vorlage  die  Möglichkeit,  wie  mit  Hilfe  der  Staatsgewalt  die  ideale  Wiudt- 
horsts  nicht  blos  zn  erreiehen,  sondern  noch  xn  ttb  er  treffen  sindl  Herrn 
von  Zedlitz  genügt  es  nicht  mehr,  dass  der  c<nifeBBionel]rreligi(ie  erzogene  junge 
Mann  in  ein  confessionell  eingerichtetes  LehrevaeoiiDar  eintritt,  dort  weiter 
einen  confessionellen  Religionsunterricht  unter  Aufsicht  der  betreftenden  kon- 
fessionellen Kegieruugsabüieiluug  erhält,  gleicherweise  seine  LehrauiiMbetUhigung 
ifir  den  confesnlonelleii  BeUgionsmiterricht  dordi  etaiEztmeo  «rwirbt  und  dann 
onter  dem  Xitbeaofiuchtignng»*  nnd  Vetorecht  der  kirebliehen  Organe  seinen 
Religionsnnten  irlir  ertheilt;  es  genügt  ihm  nicht,  dass  die  EinfKhmng  neuer 
Lehrplilne  und  Lehrbücher  für  dt'u  hN'lipionsunti'rricht  dei-  Seminare  —  wo 
bekanntlich  zumeist  Theologen  aU  Diiectoren  und  erst^*  Lehrer  angestellt 
werden  bezw.  den  lieligionsunterricht  ertheilen  —  „im  Kinvernehmeu  mit  den 
zust&ndigen  kirchliehen  OberbehSrden**  erfolgen  mvss.  Nein,  das  kSnnte  in 
einem  swar  durch  nnd  durch  vom  Confessionalismus  durchsetzten  und  be- 
herrschten Staatswesen  doch  noch  die  Möglichkeit  einer  selhststitndigen  reli- 
giösen Entwickelung,  welche  nicht  ganz  dem  Geschmack  de.s  <  Hjerkirchenraths 
oder  liischotä  entspräche,  übrig  lassen.   Deshalb  wird  bestiuiuit:  „Die  mit  der 
ErtheÜnng  des  Bdigionsnnterriehts  (der  Seminare,  Verf.)  zn  beanftragenden 
Lehrer  (Lelirerinnen)  sind  vorher  den  kirchlichen  Oberbehörden  nam- 
liaft  zu  machen  behufs  .Äußerung,  ob  gegen  Lehre  nnd  Wandel  dfrstllicn 
Einwendungen  zu  erheben  .sind."    Wie  mag-  den  nitramontanen  da.s  Herz  im 
Leibe  hüpfen,  wenn  sie  diesen  vortrefflichen  Paragraphen,  der  auch  die  Semi- 
nare in  ihre  Hiode  sjiielt,  sich  ansehen!  Doch  wdter:  Nicht  genug  damit, 
dass  ein  von  der  kirclilichen  Oberbeh5rde  entsandter  Gommissar  mit  Stimm- 
recht an  jeder  Lehreranstellungprfiftmg  theilnimmt  —  nein,  wenn  derselbe 
„wegen  ungenügender  Leistungen  eines  Examinanden  in   der  Keligion  im 
Gegensatz  zu  der  Mehrheit  der  I'rüfungscommis&iou  Widerspruch 
gegen  die  Brthfiilnng  des  Befähiguugszeugnisses  erbebt,  so  ist  an  den  Ober- 
piüaid^ten  als  Vorsitaenden  des  Provinziaischnloolleigimns  an  berichten**, 
Wabiher  nnn  nteht  etwa  selbstständig  die  Entscheidung  trifft,  sondern  „im  Ein- 
vernehmen mit  der  kirchlichen  Oberbehörde"  zu  ent.scheideii  liat.  Ist 
ein  EinvernehiiieM  nicht  zu  erzielen,  so  wird  dem  Lehrer  das  Lehramtszeugnis 
„mit  Ausschluss  der  Befähigung  für  den  Keligionsunterrichf  er- 
thellt  Was  es  mit  dieser  Bestimmnng  anf  rieh  hat,  Ist  leicht  za  ermessen: 
sie  bedeutet,  dass  deijenige,  welcher  dem  btediSflichen  oder  protestantischen 
Delegaten  nicht  gefällt,  nie  und  nirgends  —  zum  wenigsten  aber  in  seinem 
Vaterlande  —  eine  Anstellung  linden  wird,  welche  seinen  Wünschen  ent- 
spricht.  Die  Prüfungscommission  bei  den  Seminarprüfungen  besteht  aus  Com- 
missarien  des  ProvinzialschnlooUegiQms  nnd  des  Regierungsprftsidenten,  dem 
Director  und  den  Lehrern  des  S«ninars,  — >  daneben  noch  dem  kirchliche 
Delegierten.   Und  wenn  nun  die  ersteren  allesamt,  vielleicht  mit  alleiniger 
Ausnahme  des  jüngsten  Seminariehrers,  überzeugt  sind,  dass  der  iüxaminand 


Digitized  by  Google 


—   382  — 


die  Eif^enschatteii  besitzt,  welche  zur  Ei  tlieiliui^  ciues  truchtbriugeüden  Reli{?i()iis- 
Qoterrichte  in  der  Volksschole  befähigen,  der  kirchliche  Vertreter  aber  diese 
ÜberaeogsDf  nicht  mit  ihnen  teilen  kann,  eo  sind  alle  ihre  Stimmen  nnll 
nnd  niohtiir  gegenüber  jenes  Einen  Stimme  —  wenn  es  nicht  etwa  der 
Ül)errednng:8grabe  des  Ob^rpräsidenten  gelinsrt,  ein  ^Einvernehmen"  herznstellen! 

Nichts  kennzeichnet  st»  deutlich  den  Cieist  des  neuen  Entwurfs,  als  diese 
eine  Bestimmung!  Welche  ungeheure  (ieringschätzung  gegenüber  den  Organen 
des  Staates,  welchen  OipM  von  Mlntranen  gegen  aUe  nichtkirchlicfaen  Be- 
amten, welche  maßlose  Herradibegier  müsste  sie,  wenn  nicht  bereits  vorhanden, 
erzengen.  Das  ist  die  gelungenste  Ihnschreibung  der  Windthorstschen  Prä- 
tension: „die  Schule  f^ehört  der  Kirche  ganz  allein";  und  hatte  Windthorst 
selbst  in  seinen  Anträgen  von  1888  es  versacht,  diesen  Satz  in  unverfängliche 
Formeln  m  bringen,  ao  itt  tein  DiplomatenstU  hiermit  in  den  tielbten  Sehatten 
gestelltl 

Allein  auch  mit  so  weitgehenden  Vorsichtsmaßregeln  scheint  der  Zedlitz'sche 
Entwurf  seines  Erfolges  noch  nicht  gewiss  zu  sein.  Am  Ende  traut  die  ..Kirche" 
auch  den  Lehrern  noch  nicht,  weiche  auf  solche  Art  in  den  Besitz  des  Be- 
f&hignngszengniflses  fdr  den BeligioMunteiTicht  gelangt  sind;  sie  scheint  wenig 
Vertrauen  sn  ihrer  eigenen  Sache  m  haben  nnd  Herr  von  Zedlitz  mnss  das 
wol  wissen.  Natürlich,  der  Jnnge  Lehrer  kann  in  fible  Gesellschaft  geraten, 
er  kann  b(iso  Bücher  losen,  er  kann  unter  anderen  erfahren,  dass  z.  B.  oinnial 
ein  Theologe,  Namens  Sclileiermacher,  gelebt  hat,  welcher  andere  Ansichten 
vertrat,  als  das  heute  herrschende  Eirchenregiment,  oder  dass  es  Päpste  ge- 
geben hat,  gegen  deren  Wjandel  nnd  Lebre  aldi  Einwendungen  erheben 
laseen  —  kurz,  er  kann  schwankend  werden,  dem  Satan  in  die  Hände  fallen. 
Dem  wird  durch  folgende  Maßnahmen  vorgebeugt:  Den  Religionsunterricht  in 
der  Volksschule  leiten  natürlich  die  betreffenden  Reli^ionsgesellschaften.  Mit 
Ertheilung  desselben  werden  nur  solche  Lehrer  beauftragt,  welche  das 
entsprechende  Betkhignngszengnis  besitien.  Der  kirehliche  Vertreter  aber  bat 
„das  Recht,  dem  Beligionsnnterricht  in  der  Sdinle  beisnwohnen  (siebe 
Windthorstsche  Anträge.  3)  durch  Fragen  sich  von  der  sachgemäßen  Erthei- 
lung desselben  und  von  den  Fortschritt^^n  der  Kinder  zu  überzeugen  („ein- 
zugreifen", nennt  es  Windthorst  weniger  unverblümt),  den  Lehrer  nach  Schluss 
dee  Unterrichts  sachlidi  n  beriehtigen,  sowie  denen ttpreobend  mit  Wei- 
enngen  sn  Terseben  (Windth.  AnMge,  3)".  Dem  gegenilber  wir4  sich 
kftnftighin  kaam  noch  ein  Lehrer  die  Freiheit  nehmen,  in  religiöser  Beziehung 
eine  eigene  Meinung  zn  haben,  und  wenn  er  sie  doch  hätte,  wird  er  sie  klUg^ 
lieh  in  den  Schrein  seines  Herzens  einschließen  und  die  Meinung  seiner  kirch- 
lichen Vorgesetzten  heucheln  oder —  zu  Grunde  gerichtet  werden.  Die  „Kirche" 
aber  wird  bltthen  nnd  trinmpbirent  Wie  lange?  Das  weiß  GN)tt  allein  1 

In  einem  Punkt  geht  der  Entwurf  noch  weiter,  als  di«'  ^^'iIultllorst8chen 
Anträge,  welche  vom  preußischen  Abgeordnetenhanse ,  mit  Kin6<  lilu.ss  der  Con- 
servativen.  im  Jahre  LS88  mit  Entrüstung  abgewiesen  wurdttn.  In  diesen 
Anträgen  hatte  Windthorst  das  auf  den  Katholikentagen  so  stark  betonte  Ver- 
langen nach  „voller  ünterricbtiAreiheit'',  nach  dem  Beebt  der  Kirche,  Hihror- 
•eits  Schulen  sn  gründen",  kläglich  verschwiegen.  Der  Zedlits'iche  Ent- 
wurf will  ganze  Arbeit  machen:  auch  dieser  Wunsch  des  verstorbenen  Cen- 
trumsföhrers  ist  nicht  vergessen.   Der  Entwurf  enthält  keine  Bestimmung, 


DIgitIzed  by  Google 


—   383  — 


^'elche  es  der  reichen  katholischen  Kirche  fernerhin  verbietet  oder  anch  nur 
erschwert,  die  uneingeschränkte  Unterricbtsfreibeit  durch  Begründung  kirch- 
licher Schalen  mit  vollen  Zügen  zu  genieften.  Und  sie  wird  es  nicht  einmal 
imnMT  mit  ibrem  Gtelde  sn  besaUoi  haben  I  Irt  doeh  Mgu*  Vonorge  getroffan, 
dass,  „wo  die  Zahl  der  Schulkinder  einer  vom  Staate  anerkannten  Heligions- 
gesellschaft  in  einer  Schule  anderer  Confession  über  dreißig  steigt  (der 
GosBlersche  Kntwurf  sct/.t«'  nOüi",  die  l^^rrichtung  einer  besondiren  Volks- 
schule für  dieselben  statitiuden  kann!  Es  wird  künftig,  wenn  und  su  lange 
eftwa  dieses  Qesetz  bestehen  sollte,  y<m  Erriditiiiiflr  einer  mehrdassigen  Simnl- 
tanschule  an  Stelle  mehrerer  einclassiger  Confessjonsscholen  nicht  mehr  die 
Rede  sein,  ungeachtet  der  Thatsache.  dass  eine  derartige  Zersjilitteruug  der 
olinehin  geringen  Fiuanzkraft  der  Coramunen  naclitheilig  ist.  und  ungeachtet 
der  anerkannten  Wahrheit,  dass  ein  mehrgliedriger  ächolorganismus  in 
BerQcksichtigiiDg  der  SchttleiindiTidnaUtftt  mehr  leisten  kamiy  als  mehrere 
einfache  SchnlkSrper  ohne  jegUdie  GUedenuig.  Oilt  es  doch,  der  verhassten 
Simultanschule  endpiltig  den  Todesstoß  zu  gehen.  Pas  Volk  wolle  sie  nicht, 
meinte  vertheidigeud  Herr  von  Zedlitz,  als  sein  Entwart'  im  Abgeordnetenhause 
die  Anklagebauk  zierte.  Daß  „Volk"  will  sie  uicht'r'  Wozu  dann  solche  iie- 
stimmnngen?  In  NaMan  besteht  die  Simnltanschnle  schon  yoUe  75  Jahre, 
and  soeben  erbebt  sich  die  gesamte  nassaiiische  BevSlkerang  gegen  den  Ver- 
such, ihr  die  liebgewordene,  seit  Generationen  im  Segen  wiritende  Simultan- 
schule  zu  nehmen!  Das  Volk  will  sie  nicht?  So  braucht  man  auch  keine 
Zwingburgen  aafzntuhren,  mit  deren  Hilfe  die  religiöse  Duldsamkeit  zu  Boden 
geworfen  werden  soll!  Fürchtet  aber  die  Begierung,  wie  ihre  sorgsamen  Maß- 
nahmen allerdings  dentiich  genng  erkennen  lassen ,  dass  gerade  das  Volk  sie 
wolle,  BO  bleibt  für  die  Äußerung  des  Ministers  nur  eine  Erklärung  übrig, 
die  wir  respectvoll  unterdrücken.  Der  Entwurf  stellt  sich  auf  den  Standjtunkt 
des  starrsten  CoufVssionalisuuis.  Einmal  über  das  anderemal  erklärte  Herr 
von  Zedlitz  im  Abgeordnetenhause,  dass  es  der  Regierung  darum  zu  thun  sei, 
die  Beatimmnngcn  der  Verfassung  mit  diesem  Entwarf  aar  Aosltthrong  za 
biingen  —  nnd  doch  geht  derselbe  Aber  jene  Bestimmungen  weit  hinaus,  ja 
er  thnt  ihnen  geradezu  Zwan^  an.  Wo  steht  in  der  Verfassung  geschrieben, 
dass  in  der  Schule  die  engherzigste  Confessionalität  zum  Ausdruck  kommen 
Süll?  JSirgends!  Iiier  aber  werden  Bestimmungen  empfohlen,  welche  mit  pein- 
lichster Gewissenhaftigkeit  diesem  Ziele  sostrebea.  Dagegen  ist  dieselbe  Ge> 
wiisenhaftigkeit  nicht  beobachtet  worden  gegenftber  dam  ans  der  Friederieia^ 
nischen  Zeit  herübergekommenen  Allgemeinen  Landrecht  von  1794.  In 
demselben  wird  z.  H.  bestimmt:  ,.Kinder,  die  in  einer  anderen  Religion,  als 
welche  in  den  öffentlichen  Schulen  gelehrt  wird,  nach  den  Gesetzen  des  Staates 
erzogen  werden  sollen,  kdnnen  dem  Beligionsunterricht  in  derselben  beizu- 
wohnen nicht  angehalten  werden."  DasGegentheil  dayon  will  fsst  100  Jahre 
später  die  heutige  preußische  Begierung  zum  Gesetz  machen.  Ein  derartiger 
Vorstoß  gegen  die  Glaubens-  und  Gewissensfreiheit  des  Volkes  ist  im 
Staate  Friedrichs  des  Großen  seit  den  Tagen  eines  Wöllner  nicht  mehr  ge- 
macht worden! 

Infterst  bedenklich  sind  anch  dl^enigen  Bestimmmigen  des  Bntwvrfh, 
welche  darauf  abzielen,  die  Rechte  der  Gemeinden  bezüglich  der  Mitwirkung 
an  derSehnlyerwaltoag  an  beschneiden.  Alle  diese  Bechte  gehen  gmndsAtalich 


Digitized  by  Google 


—   384  — 


an  den  Regierungspräsidenten  über.  Nur  iiiHoweit .  als  dieser  es  für  zweck- 
dienlich hält,  werden  dit*  Gemeinden  zur  Aiitlu  ilnahinc  an  diesem  idealstea 
aller  Selbstverwaltuugszweige  zugelassen.  „Der  Kegieruugsprii&ident  beliehlt, 
die  Oemdiide  —  zahlt!**  Dm  itt  der  korzgefante  Inhalt  der  hezfigUchen  Be- 
stimmongen.  fjkar  Regienugsprlisident",  konnte  der  Abgeordnete  Richter 
mit  Recht  sagen,  ,,hestininit,  ob  eine  nene  Schule  eingerichtet  werden  daif; 
der  Ree^ierungspi iisi.iont  uder  die  Aufsichtsbehörde  bestimmt  die  Classen:  der 
Regierungspräsident  beatiuimt,  wie  gebaat  werden  soll;  der  Regierungspräsi- 
dent bettimmt  die  Anastattong  der  Schale;  der  Segierungspriaideiit  beetinunt» 
wie  der  Lehrplan  sich  auf  die  einzelnen  Claaaen  vertheilen  ioll;  ohne  den 
RegiemngpprHsidenten  kann  kein  neuer  Lehrer  anirestellt  werden;  der  Re- 
gieranpppriisident  mit  dem  Hezirksausschuss  setzt  das  Minimalerelialt  fest;  der 
Segierungbpräsident  bestiumit,  wie  die  Dieustwulinan^  bescliatlen  sein  soll,  und 
ob  der  Lehrer  eine  solche  haben  soll;  der  Regierungspräsident  bestimmt,  ob 
freie  Fenerang  nnd  Heizung  verabreicht  wird;  der  Begiemngsprtoideiit  be- 
stimmt, ob  der  Hann  in  den  Rnhestand  za  versetzen  ist;  er  regelt  die  einst- 
weilige A\'ahmehmnng  der  Lehrerstelle;  korzum,  der  Begiemngsprftaident  be- 
stimmt alles!" 

Die  kurze  Signatur  des  Ganzen  lautet  hiernach:  Priesterherrschuft 
im  Innern,  Allmacht  der  Bnreankratie  im  ÄnBern! 

Bezeiehnend  ist  es,  dass  der  Ministerpräsident,  Graf  von  Caprivi,  den 
Widers]>nu  li  gegen  diesen  Entwurf  damit  glaubte  sti<rni;itisiit  n  zu  dürfen,  dass 
er  behan|itete:  es  handle  sich  hier  um  Christentlium  und  Atheismus  — 
wer  diesen  Entwurf  ablehne,  sei  kein  Llirist,  sondern  ein  Atheist.  Ängstliche 
Gemilther  mag  das  schrecken;  im  allgemeinen  aber  wird  dieser  Schreckachnsa 
wenig  oder  gar  nichts  nützen. 

Und  wenn  der  Entwurf  Gesetzeskraft  erlangen  sollte?  Sind  doch  Ultra- 
montane  und  Consorvative  bereit,  ihn  anzunehmen!    Was  dann? 

Zunächst  wird  die  von  der  Regierung  gehegte  Hotihung,  dass  das  Gesetz 
geeignet  wftre,  ehie  friedliche  LSsnng  der  aocialen  Frage  herbeiznfabren, 
Bich  ala  nichtig  erwetaen.  Wir  sind  in  keinem  Palast  geboren  und 
wandeln  nicht  auf  den  Hohen  der  „ Gesellschaft **;  wir  kennen  diAer  das  „Volk* 
nnd  glauben  sicherer  in  seiner  Seele  lesen  zn  können  als  jene,  welche  aus 
äußerlich  begünstigterer  Stelle  auf  die  Kreise  herabsehen,  in  denen  es  gährt 
nnd  grollt.  Und  daher  wissen  wir  es,  dass  wiederum  der  Abgeordnete  Richter 
das  rechte  Wort  traf,  wenn  er  behauptete,  dies  Gesetz,  mit  welchem  die  Re- 
gierung die  socialen  Gewitterstrahlen  aufükngen  wolle,  sei  ein  zerbrochener 
Blitzableiter.  Ja,  so  ist  es;  wenn  dieser  Entwurf  zum  Gesetz  erhoben 
werden  sollte,  so  wird  es  wirken,  wie  fin  schadhafter  Elitzabieiter,  der  die 
Gefahr  vermehrt,  statt  sie  zu  vermindern.  Nimmermehr  wird  die  Social- 
demokratie  durch  die  Herrschaft  eines  solchen  Gesetzes  entwaffliM  werden. 
Die  preußischen  Regulative  von  1854  haben  es  gelehrt,  dass  derartige  lüüB- 
nahmen  iii(  ht  geeignet  sind,  um  die  Menschheit  zu  veredeln  oder  auch  nur  von 
den  scheußlichsten  Wiirrungen  abzulialten,  dass  jede  geistliche  Verknöche- 
ruug  des  Volksschulwesens  als  natürliche  Gegenwirkung  das  entgegen- 
gesetzte Extrem,  nSmlich  vSllige  Gleichgiltigkeit  in  kirchlichen  Dingen, 
bervoimft.  Und  dabei  gingen  die  Regulative  nicht  so  weit,  wie  dieaer 
Entwurfl 


Digltlzed  by  Google 


—   3ÖÖ  — 


Gcndecn  TerhängnisroU  wttrde  dasGesets  auf  den  Lehrerstand  wirken. 

ZweiÜBlsohne  würde  eine  Fortbildung  der  Pädagogik  seinerseits  anf  lange 
Zeit,  mindestens  Ülngrer  als  das  Gesetz  danert,  ansg:e8chlos8en  sein.  Wie  die 
bildende  Kraft  des  Künstlers,  der  nicht  mehr  frei  schaffen  und  nicht  mehr 
seiner  Eingebung  folgen  darf,  allmälilich  erlahmt,  so  kann  ein  Lehrer,  der  am 
Oftngelbaode  geführt  irird,  deesen  Seele  in  der  Folteikaimiier  einer  „reckt* 
glla1ilg''-kiroh]ielien  Approliatloa  geknetet,  geklopft,  genipft  nnd  geswiekt 
worden  ist,  kein  Pädagoge  mehr  sein;  er  sinkt  zum  elendesten  Stundengeber 
herab!  Diejenige  Geistlichkeit  aber,  welche  im  Sinne  nnd  Geiste  dieses  Ge- 
setzes die  Aufsicht  und  Leitung  der  Volksschule  iibernilliuie ,  könnte  —  das 
liegt  in  der  Natnr  der  Sache  —  weder  Beruf  noch  Neigung  besitzen,  sich  mit 
der  Theorie  nnd  Praxis  einer  Wissenschaft  nlher  zn  befusen,  deren  Grund- 
lagen, einmal  betreten,  de  TSlUg  aheeitB  der  ihr  sngewieeenen  Anljpiben 
fuhren  müsst^n. 

Und  wo  sollte  dem  Lelii  erstande,  dessen  berufliche  Erfolge  in  erster  Linie 
von  einer  nnverwüstlichen  und  stets  sich  erneuernden  freudigen  Hingabe  ab- 
hSagMi,  die  Kraft,  die  Aaedaner  herkommen,  wenn  er  am  Grabe  aDer  aefaicr 
Hoffnungen  stehen  rnttaste,  wenn  zur  materiellen  Not  die  Pein  des  inneren 
Zwiespalts  käme,  Avenn  er  ^^eknickt,  seines  Selbstbewnsstseins,  seiner  Ver- 
antwortlichkeit entkleidet  dastünde,  ein  Spielball  herrschsüchtiger  Priester, 
die  für  ilm  kein  Herz  haben!  Es  ist  eine  furchtbare  Verantwortung,  welche 
diigenigen  anf  rieh  nehmen,  weldie  dnen  Theil  des  Ldireratandes  zur  Ver- 
zweiflnng  oder  —  zur  Gesinnongslnmp^rei  treiben  wollen.  Die  Lehrer  sind 
Christen  und  wollen  Christenthum  lehren;  aber  sie  wollen  nicht  willenlose 
Werkzeuge,  tote  liundstücke  sein.  Sie  wollen  nicht  im  Geiste  einer  unduld- 
samen Priesterschaft,  sondern  im  Geiste  Christi  selbst  den  Religionsunterricht 
erthdleo.  Sie  woUen  sich  nieht  der  Tortur  einer  modernen  Inquisition  nnter- 
worfto  sehen.  Wahrhaft  christlidie  Vertreter  des  gdstlichen  Standes  seihet 
lehnen  ein  derartiges  Gesetz  ab.  Sie  thnn  wol  daran.  Denn  das  gute  Ein- 
vernehmen zwischen  Kirche  und  Schule  kann  nur  gedeihen,  wenn  sich  die 
Kirche  wie  eine  liebende  Schwester,  nicht  aber  wie  eine  tyrannische  Herrin 
benimmt 

Wir  schweigen  dav<m,  dass  der  Bntirarf  keine  der  Forderungen  erfttUt, 

welche  der  Lehrerstand  eben  so  oft  nnd  eindringlich,  wie  mit  gutem  Recht 
erhoben  hat.  Löst  er  die  Frage  einer  verbesserten  Lehrerliildung?  Nein! 
Schützt  er  den  Lehrer  oder  seine  Hinterbliebenen  fürderhin  vor  Noth?  Nein! 
Gewährt  er  die  j^'achaufsichty  Nein!  Weder  in  ideeller  noch  in  mate- 
rieller Beziehnng  erhebt  er  die  Lehrerschaft  in  diejenige  Stellung, 
welche  ihr  vermöge  der  Wichtigkeit  ihres  Berufes  und  jahrzehnte- 
langer treuer  Pflicliterfülliing  gebührt.  Selbst  die  Vertretung  im 
Seliulvoi-stande,  welche  der  P^ntwnif  dem  Lehrer  gewährt,  ändert  nicht  das  Ge- 
ringste an  diesem  Urtheil.  Der  Lehrer  soll  von  Amtswegeu  im  Schulvorstande 
vertreten  sein,  nnd  wo  ihrer  mehrere  sind,  nach  freier  Wahl  Der  Entwurf 
aber  bestimmt,  dass  zum  Schnlvorstande,  dessen  Vorsitzender  der  Ortsschul- 
inspector  (im  Geiste  des  Entwurfs  also  wol  ausnahmslos  der  Geistliche)  ist, 
ein  „von  der  Kreis-  (Stadt-)  Schnlbehörde  dazu  ernannter  Lelirer''  gehören 
solL  Das  ist  nicht  die  Forderung  der  Lehi'erschaftl 

Auch  von  den  politischen  Wirkungen  dieses  Gesetzes  wollen  wir  nicht 

FMdafosiuB,  14.  Jabr«.  Heft  VI.  27 

Digitized  by  Google 


—  386  — 


sprechen.  Das  gehört  an  eine  andere  Stelle.  Aber  als  Patriot  kann  anch  kein 
Lehrer  ohne  tiefstes  Bedauern  wahrnehmen,  wie  schon  der  bloße  Entwnrf  die 
Folge  hat,  dass  es  im  Reichsgebäade  verdächtig  knistert  und  knackt,  als  sei 
dftnell»  in  den  GmndftitaB  encliflttert  Wer  Augen  hat  nt  sehen,  der  sehe, 
und  wer  Ohren  hat  m  hSreo,  der  hOre! 

Man  hat  noch  in  neuerer  Zeit  von  versdiiedenen  Anschaunng'en  und  Stand- 
punkten ans  die  Klage  erhoben,  dass  im  deutschen  Volke  die  Ideale  im  Sinken 
wären.  Der  lebhafte  Widerspruch  jedoch,  welchem  dieser  Gesetzentwurf  be- 
gegnet, hat  gezeigt,  dass  wenigstens  in  deigenigen  Volkskreisen,  welche  nicht 
m  den  Hörigen  der  hierarchiseh-reactioiUtoen  Mehrheit  des  preaßiscfaeii  Abg«> 
ordnetenhanses  gerechnet  werden  können,  der  Idealismus  keineswegs  erlosohen 
ist.  Die  drohende  Unterdrückung  der  geistigen  Fn  iheit  des  pro- 
testantischen Deutschland  wird  die  idealen  Kräfte  mobil  macheu, 
und  wenn  das  frevle  Werk  auch  vorübergehend  gelingen  sollte:  dauern  wird 
es  nicht!  Die  prenftlsehe  nnd  dentsche  Schule  wird  niemals  sein,  was  sie 
schon  zu  Altenstelns  Zeit  nach  dem  Wunsche  der  preuAisehen  Bischöfe  sein 
sollte:  eine  causa  ecclesiastira*  i. 

Zur  Zeit  freilich  sind  unsere  Aussichten  triiV)e.  Wir  stehen  im  Bann  des 
Cierikalismus ,  im  Schlosshofe  von  üanossa.  Unsere  uichtpreußischen  Brüder 
aber  sollen  deshalb  nicht  Terachtlich  aof  nns  herabsehen,  nodi  aneh  i^aii- 
BÜBoh  beten.  Wer  da  steht,  der  sehe  zn,  dass  er  nicht  falle!  Schim  mehr  als 
einmal  hat  das  preußische  Volk  bewiesen,  dass  es  fremdes  Joch  nicht  zu  tragen 
vermag.  So  wird  es  auch  diesmal  sein!  Und  kein  Zweifel:  wenn  der  Aar 
seine  Schwingen  erheben  wird,  dann  sucht  das  Nachtgevögel  seine  dunklen 
Schlupfwinkel  auf. 

Wir  bleiben  nicht  in  Canossa!  — « — 


Aus  dem  G-roßherzogthum  Baden.  (Ende  Januar.)  „Duo  qnnm 
faciunt  i  lom.  non  est  Idem."**}  Diese  oft  auf  ihre  Richtigkeit  bezweifelten, 
altclassischen  Worte  linden  wieder  einmal  ihre  Bestiltigung  in  den  fast  gleich- 
zeitig erschienenen  Gesetzentwürfen  über  das  Eiemeutarschulwesen  in  Preufien 
nnd  Baden.  Wfthrend  der  preoBische  Oesetsentwnrf  nach  dem  Uflhler- 
sehen  Liede,  d.  h.  mit  Verändemn;  des  Snbstantives  „ Wirtdians*'  in  „Kirche*, 
also:  „Grad  ans  der  Kirche  komm'  ich  heraus"  abgestimmt  ist,  bietet  der 
Schul g'esetzentwurf  Badens  eine  die  Gemüther  im  groCeii  timl  ganzen  be- 
ruhigende und  erhebende  Comj^ositiou  dar.  Das  Leitmotiv  des  letzteren  ist 
das  l&enle,  Us  j^st  ni  Beeht  bestandene  Sdralgesetn  vom  Jahre  1868  mit 
seinen  seitgemäBen  Ergtanpigen  (obligatorische  Fortbildnngsschnle,  oUigato- 
rische  Einführung  des  Enabentnrnunterrichts  etc.).  Während  der  Schnlgesets- 
entwnrf  des  Landes  „der  Gottesfiirolit  nnd  frommen  Sitte"  einer  total  rnck- 
schiittlichen ,  engherzig-confesüionelleii  Tendenz  entsprungen  ist,  fordert  der 
badische  Entwnrf  in  Bezug  auf  den  Unterricht  der  Volksschnle: 


*)  Clausnitzer,  Goschichte  des  preußisfhen  rntcrrichtsgesetzes«. 
Berlin,  Verlag  von  E.  GoldscbmidU  (Soeben  in  dritter,  bis  auf  die  neueste  Zeit  fort- 
gefilhxtor  Aunage  erschitiDon!) 

**)  Wenn  swei  dsssdhe  than,  so  ist  es  nicht  dasidbe. 


Digitized  by  Google 


—  387  — 


..T>er  ruterricht  in  dnr  Volks«hule  wird  sämmtlichcn  .soluiliiflichtigpn  Kindi  ru 
gt-uieinscbattlic'b  ertüoilt,  mit  Au»iQahme  des  KeligiousuQtcrriclitij.  sofern  die  Kinder 

verächiedenen  relig^iöscn  Bekenntnissen  angehören.  Die  den  politischen  Qe> 

roeindcn  obliegonde  Ver]>flichtung  kann  weder  im  ganzen  noch  zum  Theile  durch 
eine  vorzugsweise  zur  Erfüllung  coufeäsioDeller  Zwecke  begründete  Corporation»» 
asBtalt  gdeiftet  wetden." 

Die  Unterrichtsgegenstilnde  der  Volksschule  erhalten  doi-ch  den  „Haud- 
ferti^keitsanterricht"  für  Knaben  und  durch  ..Unter Weisung-  der  Mädchen  in 
der  HaiLshaltungskunde"  t  iiu-  Bereicherung.  An  dem  Unterricht  dieser  Gegen- 
stände nehmen  jedoch  nur  solche  Kinder  theil,  deren  Kitern  oder  deren  Stell- 
vertreter sie  ZOT  Thdlnahme  liestimmten.  —  Die  Schulpflicht  dauert  acht 
volle  Jahre;  der  Eintritt  der  MAdchen  in  die  Schule  in  dem  Jahre»  in  wdchem 
sie  sechs  Jahre  alt  werden,  scheirit  uns  jedoch  etwas  zn  fiühe  zu  sein;  jedeil* 
falls  wird  diese  Stelle  de.s  Enlwurtes  eine  Änderung  erfahren.  —  Was  den 
örtlichen  Schulvorstaud  betriät,  so  sind  die  Bestimraougeu  hierüber  die 
alten  geblieben;  nach  denselben  hat  der  dienstälteste  Lehrer  Sita  und  Stimme 
im  Sohulvoratand,  in  welchem  der  Ortsvorstand  (Bfirg«rmei8ter)  in  der  Regel 
den  Vorsitz  führt.  —  Aach  die  Vorbildung  der  Lehrer  ist  leider  unverändert 
geblieben  (zweijährige  Vorbereitung  in  einer  Präparandenscliule  (auch  private 
oder  Besuch  einer  Mittelschulej  und  dreijährigen  Seuiiuarbesuch.  {In  Baden 
bestehen  zwei  hathoUsche,  ein  evangelisches  und  ein  „gemischtes"  Seminar.) 

Wenn  der  prenftlscheSohnlgesetsentwnrfOesetseskraft  erlangt,  so  werden 
bedauerlicherweise  die  Lehrer  PrenBens  total  abhiiiiijrif;  von  der  Geistlichkeit, 
sie  werden  ^Diener  der  Kirche",  welche  die  Schule  als  „Tochter  und  Hagd 
der  Kirditr*  zu  beliandrlu  halicii;  dass  dann  jegliclicr  Fortschritt  der  Päda- 
gogik mit  dem  Maßstabe  eines  Thomas  von  Aquino  oder  des  „Luthermanues 
StScker"  gemessen,  d.  h.  anniehte  gemacht  wird,  ist  selbstverstitaidlich.  Badens 
Schnlgesetzentwurf  dagegen  1  gestimmt: 

„Lehrer,  die  einen  durch  die  zuständige  kin  bliche  Behörde  ihnen  angetngenen, 
für  die  Kireheu-  (Keligions-)  Gemeinde,  welcher  der  Lehrer  selbst  angehört,  aus- 
zuübenden Organisten-  bezw.  Vor8ängerdien>t  überhaupt  oder  unter  den  ange- 
botenen Bedingungen  —  anzunehmen  sich  weigern,  können  auf  Antrag  der  lüich- 
licben  OberbehOrde  des  betrefTendcn  Religionstbeiles  dureh  die  ObersehulbehOTde  cur 
Übern;iliiiie  und  nt>ore;uii<;  des  Dienstes  aiiijehaltcn  werden.  Dab(i  sind  durrh  die 
Obcrschuibebürdo  uach  Anhören  der  Kircheobchördc  und  des  Lehrers  der  Betrag  der 
VergittuDg,  sowie  nStbigenfalls  die  weiteren  Bedinguns^en  festzusetzen,  von  deren 
L(  i-fi]nir  b('7.w.  Einhaltung  die  Verpflichtung  des  Lehrers  zur  t'lternahmc  des  Dienste 
abhängig  heiu  soll.  Andere  niedere  kirchliche  Dienste  dUrfen  die  Lehrer 
nicht  «bernehmen.** 

Yon  wesentlicher  Bedeutung  fBr  die  Stellung  der  Lehrer  Badens  ist 
ferner,  dass  —  lant  des  Entwurfes  —  die  Lehrer  aus  ihrer  bisherigen  Zwitter- 

sfellnng',  wonach  sie  bald  als  Gemeinde-,  bald  als  Staatsliedieiistete  behandelt 
werden  konnten  und  infolgedessen  eine  Masse  von  Utizuträglichkriten  zu  er- 
dulden hatten,  als  Staatsdiener,  bezw.  „etatmäßige  Staatsbeamte-  (nach 
definitiver  Anstellung)  erklSrt  werden.  Dass  infolge  dieser  Stellung  der  seit- 
herige  Besoldnngsmodus  —  Bezahlung:  nach  Ortsclassen  —  fallen  und  an 
seine  Stelle  dieBezahlnng  nach  dem  Dienstalter  treten  mußte,  ist  selbst- 
verständlich. Durch  diese  Aiideriiuir.  für  weh-hr  schon  seit  Deceiinien  in  den 
badischen  Schulzeitungeu  plaidirt  w  uidc,  wird  eine  Ungerechtigkeit  von  miss- 
lichen  Folgen  aller  Art  beseitigt. 

Der  Anfaagsgdialt  etnes  etatmäßigen  Lehrers  betrftgt  1100  Mark, 

27* 


Digitized  by  Google 


—   888  — 


welcher  bis  18(10  Mk.  dmch  Zulagen  ansteigt:  die  erste  (AnfangszuIaEre» 
erfolgt  uach  Ablauf  von  drei  Jahren  seit  dem  Zeitpunkte  der  ersten 
etatmsißigeu  Auätülloug,  die  weiteren  (ordentiicUeu)  Zulagen  erfolgen  uacli  je 
vier  Diensljahrui  in  der  H9he  Ton  Je  100  Mk.  AnBerdem  hat  jeder  defloitl? 
angestellte  Lehrer  eine  IMe  Wobnimg  oder  eine  Wi^ungsentschädigang, 
wie  sie  das  Beamten gesetz''  je  nach  drei  Ortsclasson  normirt  (350,  180  nnd 
160  Mk.),  zu  beanspruchen.  »Die  Dienstwohnung  soll  in  der  Regel  mindestens 
vier  Wohnräume  —  davon  zwei  von  je  20 — 25  (^oadratmeter  Graudfläihe 
md  heisber,  die  ttteigen  toh  je  15 — 18  Quadratmeter  Gmndittehe,  femer 
eine  Kfiehe  nnd  die  sonet  noeh  erfinrderiiehen  HaadMltQngBrBnme  iimfinnnn  * 
Ferner  erhält  der  erste  (Haupt-)  Lehrer,  welcher  vom  Oberschnlrath  bestimmt 
wird,  in  Orten,  die  mindestens  drei  definitive  Lehrer  haben,  100,  in  Orten  mit 
mehr  als  vier  Lehrern  200  Hk.  Dienstzulage.  Die  Fllichtstundenzahl  an  ^ein- 
fachen Volksschnlen"  beträgt  32;  iiir  jede  weitere  wöchwtlich  zu  ertheilende 
ünteniehtntiuide  (ForaUdnngaechal-  nndTanrnnteirieht)  wird  60  MIc  jSbrlieli 
?ergütet. 

Definitive  Lehrerinnen  erhalten  Gehalt,  wie  die  definitiven  Lehrer,  jedoch 
nur  bis  zu  dem  Höchstgehalt  von  1400  Mk.  und  nur  Miet&eutschftdigimg  der 
oben  erwähnten  Ortsclasseubeträge. 

„Lebrer  nnd  Ldirerinnen  in  niokt  etatndlAiger  Stelinng  erkalten  eine 
Vergütung  von  jährlich  800  Mk.  Dieae  Vergütung  erhöht  sich  auf  900  Mk. 
für  das  Jahr  für  Lehrer  und  Lehrerinnen,  welche  die  Dienstprüfune:  bestanden 
haben  und  zwar  vom  Anfang  des  auf  die  Ablegnng  der  Prüfung  folgenden 
Monats  an."  Neben  dieser  Vergütong  haben  die  betreffenden  Lehrpersoneu 
einen  mit  dem  erfbrderlicben  Schreinwerk  eingerichteten  heisbaren  Wohnraum 
T<Ni  mindettena  18  Qnadratmeteir  Chrondflldie  eder  eine  Mietbwntadüldignng 
vom  '/ft  des  obengenannten  Wohnungsgeldes  zu  beanspruchen.  Schulverwalter, 
das  sind  provisorische  Lehrer,  weloho  eine  definitive  Lehrstelle  verwalten, 
erhalten  den  für  den  detiuitiven  Lehrer  bestimmten  I^etrag  des  Wohnuugsgeldes. 

Der  PensionB-  nnd  VSltwMigebalt  —  mterer  tliditete  sieb  Ueker  nach 
dem  Einkommen  der  Ortadawenstelle,  letaterer  betrog  390  Mk.  jUulick  anBer 
dem  Nahrungs-  nnd  Versorgungsbeitrag  der  etwaigen  Kinder  —  richtet  sidi 
nach  den  Bestimmungen  des  „Beamtengesetzes",  Nach  diesem  erhillt  ein  pen- 
sionsfähiger Lehrer,  wenn  die  Zuruhesetzung  nach  vollendetem  zehnten,  jedoch 
vor  vollendetem  elften  Diena^ahre  eintritt,  30%  der  Summe,  welche  unmittel- 
bar vor  der  Znmheeetznng  den  Einkommrasanachlag  (Oehalt  nnd  Wohnonga- 
geld)  darstellt,  nnd  steigt  von  da  an  mit  jedem  weiter  zurückgelegten  Dienste 
jähre  um  1'  /  „  joner  Summe;  der  Ruhegehalt  darf  76 7o  Einkommena» 
anschlags  nidit  überschreiten. 

Der  Witwengehalt  beträgt  iK)"/o  des  mallgebendeu  Einkommens- 
anachlags;  außerdem  erkSlt  eine  Witwe  wibiend  der  auf  den  Todeatag  folgen- 
den drei  Monate  den  vollen  Betrag  des  von  dem  Verstorbenen  bezogenen  Ge- 
haltes und  Wohnuugsgeldes  /'Sterbegehalt).  Das  «rcsetzliche  Waisengeld  (bis 
zum  18,  Jahre)  beträgt  tiir  Kinder,  deren  >[utter  lebt,  -  ,„  des  Witwengeldes 
füi-  jedes  Kind;  für  Ganzwaisen,  wenn  nur  ein  Kind  vorhanden  ist,  */,^,  wenn 
Bwei  Kinder  dieaer  Art  vorhanden  aind  ^/jq,  wenn  drei  oder  mehrere  dieaer 
Art  vorittBden  aind,  fttr  jedea  deradbmi      dea  Witwengeldea. 

Die  Stftdte,  welche  der  Stftdteordnung  nnteratehen  (diea  aind  die  grMenn 


Digitized  by  Google 


—   889  — 


Sriidte  des  Landes),  können  ihr  Schulwesen  auf  Grund  des  Gesetzes  beliebig 
ordnen,  besitzen  das  Präsentationsrecht  der  Lehrer  und  haben  keinen  Beitrag 
an  dieStutMChnteaiw  so  leiffean;  die  Oehalte  der  Lehrpenonea  milawn  Jedoeh 
miadeiteu  so  vid  b^iigen,  als  dieselben  anderwftrts  nach  doi  geeetiUdieB 
Bestimmungen  bezögen.  Die  Bestreitung:  der  Ruheg-ehalte  und  Witwen-  und 
WaiBenversorjETung-  liegt  der  Staatscasse  ob.  —  Für  die  technische  Leitung 
kdnnen  die  Städte  einen  Kector  (Stadtschnlrath;  durch  die  staatliche  Unter- 
richtsTerwaltang  anstellen.  „Das  Amt  desselbcoi  kann  als  ein  Ar  sieh  be> 
atdmidea  eingeriehtet»  oder  ndt  dem  Dienste  eines  akadeadsch-geUldeteii  oder 
iHr  höheren  Unterricht  geprüften  Lehrers  der  Volksschule  der  Stadt  yerbnnden, 
oder  al.s  Nebenamt  einem  im  Hauptdienst  iuiderweit  verwendeten,  der  staat- 
lichen Untenichtfiverwaltuug  unteratehenden  Beamten  übertragen  werden.** 

Würde  diese  Bestimmong  des  Entwurfs  Gesetzeskraft  erlangen,  so  müsste 
dies  in  Hinsielit  auf  das  Anseben  des  Volkssebollelurentaades  lebliaft  bedanert 
werden,  weil  diese  dann  nolens  volens  von  der  Bekleidung  dieser  Stelle  aus- 
geschlossen würden  und  die  Fordening  der  neueren  Plldagog-ik  unbeachtet  bliebe, 
M'onach  der  »Schule  nur  eine  fachmännische  Leitung  ersprießlich  ist.  Un- 
zweifelhaft halten  wir  einen  tüchtigen  und  erfahrenen  Volksschullehrer  viel 
geeigneter  aar  Versehang  einer  Beetorstelle,  als  z.  B.  einen  akadeadsdi  geUl- 
deten  Lehramtspraktikanten  oder  einen  T'tarrcandidaten.  Ebenso  findet  Para- 
graph i)4  mit  allem  Recht  seitens  der  Volksschullehrer  die  abfälligste  Benrthei- 
Inng.  weil  betreffender  Paragraph  verlangt,  dass  an  erweitert i-n  Scliulen'^ 
auch  solche  Lehrer,  die  für  höhere  Schulen  ^Mittelschulen^  sich  die  Lehr- 
befUiignng  erworben  liaben  (Beallelirer),  ferner  akademlMh  gebildete  Lehrer 
an  denselben  angestellt  werden  kOnnen.  Hierdurch  würden  alle  Volkssdinl- 
lelirer,  die  der  Volksschule  tr<  u  geblieben  und  das  Examen  für  „erweiterte 
Schulen "  abgi  legt  haben,  eine  Beeintrilchtigung  erfahren.  Die  Volksschule 
sollte  nicht  als  Versorgungsanstalt  für  solche  Herren  betrachtet  werden,  für 
wiMm  die  BehSrde  keine  enti^Bdiende  VerweBduv  liat  9nm  cuique. 
HoffenliUeh  eorhllt  andi  dieser  Paragraph  keine  Gesetaeakralt 

In  Vorstehendem  haben  wir  die  Grundzüge  des  badischen  Volksschul- 
ge.setzentwnrfs  im  großen  und  ganzen  dargelegt.  Er  enthillt  unleugbar  be- 
deutende Fortschritte,  welche  die  Lehrerschaft  dankbar  anerkennt.  Ein  schönes 
Vorrecht  jedoch,  das  die  definitiv  angestellten  Lehrer  bisher  besaAen,  das  Recht 
der  UnTersetabarkeit,  ftllt  mit  dem  neaea  Ctaeets;  die  Lelurer  sind,  wie  die 
anderen  Beamtea  des  Staates,  ftmerhin  „im  Interesse  des  Dienstes"  versetzbar; 
anch  ist  eine  nene  Versetznngsart  für  die  Lehrer,  welche  sie  bisher  nicht 
kannten,  vorgesehen:  die  „Strafversetzung".  —  Hinsichtlich  der  unverkenn- 
baren Vorzüge  dieser  Gesetzesvorlage  muss  man  die  kleineren  Übel  mit  in 
Kaaf  nehmen,  da  es  aadankbar  sein  liieße,  etwas  Gutes  sa  verkenDea,  weil  es 
hätte  besser  sein  können.  Indessen  wird  anch  die  Berathung  des  E^twnrfes, 
das  hoffen  wir,  noch  manches  Unebene  abschleifen.  Wie  wir  hören,  wird 
der  rührige  und  wackere  Lehrervereinsvorstand,  besonders  der  Obmann  des 
Vereins,  Herr  Hauptlehi'er  Heyd,  noch  dabin  wirken,  dass  der  Anfangsgehalt 
anf  laOO  and  der  Höchstgehalt  anf  2000  Mk.  erhöht  wird.  Die  badisohe 
Leiirerodiaft  verdankt  die  nnlengbaren  Fortschritte,  welche  der  in  Bede  stehende 
Gesetzentwurf  enthält,  in  erster  Linie  seiner  Einigkeit,  ferner  der  thätigen 
und  nmsichtigen  Fürsorge  des  Lehrervereinsvorstandes  und  endlich  dem  wol« 


Digitized  by  Google 


—  390  — 


wollenden,  lehrerfreundlicbeD  and  liberalen  Ministei*  Staatsrath  Dr.  Nokk. 
Wir  sweifeln  nicht  an  der  stellenweisen  Verbesserung  und  Annahme  desOeaetz- 
entwnrfes  aeiteiiB  der  Standekamneni.  Zu  wünschen  wire,  dais  die  in  schwer- 
Terstttndlicher  Fassung  gehaltenen,  sogenannten  „ÜhefimBgabestimmuDgen" 

einer  recht  sorgfilltigen  Durchberatlmiier  unterzogen  und  manche  Härtfii  der- 
selben beseitigt  würden.  Wir  behalten  uns  vor,  Uber  den  \Yeitereu  Verlauf 
der  Sache  s.  Z.  zu  berichten. 

Zun  ScUnase  IBgen  wir  noch  die  HlttheUnng  an,  daas  man  sich  in  Übe- 
ralm  Ereiiea  Badem  darüber  \vu|idert,  das»  der  prenßlsche  Minister  Mlqnel, 
welcher  sich  vor  etwa  drei  Jahren  noch  für  keine  ptnrre  confesKionoIlt'  .Ingeud- 
erziehang  in  Hannover  aussprach,  die  Hand  zu  einer  englieizit^-((infe.s»ionellen 
Schulgesetzentwurf  bieten  kuuute.  Wir  möchten  dem  Uroüstaau;  i'reoßeu,  der 
nodi  eo  vielea  an  der  Schale  and  den  Lehrern  gntanmaolien  liat,  snrofen:  Gehe 
nach  Baden  und  lerne  Ton  ihm!  — r. 


Bei  den  academischgebildeten  Lehrern  Badens  ist  eine  Petition  im  l'iu- 
lani^  in  welcher  am  OleichrteUnng  in  Gehalt  and  Alterszulagen  mit  den  Amte- 
richtem  gebeten  wird.  Die  genannten  Lehrer  wurden  nämlich  durch  das 

Bcamtengesetz  insofern  verletzt,  als  den  Bichtem  nach  zwei  Jahren  die  erete 
Zulage  von  öUOMk.  nach  je  acht  Jahren  bis  zur  Erreichung  des  Maximalsatzes 
von  ÖOOO  Mk.  zugestanden  ist,  während  den  Professoren  nach  zwei  Jahren 
nor  400  Hk.  nnd  je  alle  drei  Jahre  nur  je  4(J0  Mk.  zugedacht  worden.  — 
Wir  wünschen  besten  Erfidg. 


Mannheim.  (Kesolutiou.j  In  einer  dahier  abgehaltenen  Versammlung 
dea  Freisinnigen  Vereins  hielt  Herr  Dr.  Menser  einen  Vortrag  über  den 

preußischen  Schulgesetzentwurf  unter  Bezugnahme  auf  das  badisehe 
Schalgesetz,  worauf  fnl^ende  Kesolution  einstininiitr  angenommen  \vurde: 

„Die  am  1).  Februar  1892  durch  den  Frei.siunigen  Verein  einberufene 
Versammlung  spricht  die  Überzeugung  aus,  daß  die  Durchführung  des 
prenflischen  Sdralgesetzentwnrfh,  bei  der  innigen  geistigen  Zoaammen- 
gehörigkeit  aller  Theile  unseres  Vaterlandes  einen  unheilvollen  Einfluss  auf 
die  culturelle  Entwicklung  der  ß-esaramten  deutschen  Nation  ausüben  würde. 
Sie  dankt  daher  den  freisinnigen  Abgeordneten  des  preußischen  Landtages 
für  ihre  energische  Bekämpfung  dieses  Entwurfes  und  hofft,  daß  es  den 
verebiten  Bemübangen  der  Liberalen  aller  Sdiattirungen  gelingen  wird, 
die  Annahme  deaselben  an  verhindern.  Qegoiftber  den  im  prenHiaelMii 
AbgeordnetMÜiaoBe  geiUlenen  Äusserungen  erklärt  die  Versammlung,  dasa 
sich  die  confeasionel!  gemischte  Volksschule  Badens  seit  einer  Reih««  von 
Jahren  in  segensreicher  Wirksamkeit  erprobt  hat  und  dass  die  große 
Mehrheit  des  badischen  Vollces  entschlossen  ist,  an  dieser  Errungenschaft 
einer  toleranten  nnd  flreigeainnten  Geeetzgebnng  mit  allen  Krilten  fiost* 
anhalten."  N.  B.  Seh. 


Digitized  by  Google 


—   3Ö1  — 


Aas  sSacUsen.  (Nov.  1891  bis  Jan.  1892.)  Der  Uobea  Eutwicklongs* 
atafe,  auf  welcher  nadi  dem  Zengnii  vieler  muer  VoIksecliolweMii  steht,  ent- 
spricht allerdingfs  noch  nicht  die  materielle  nnd  soziale  Stellung  der 
Lehrer.  Die  Blicke  derselbf^n  sind  aus  diesem  Grunde  auf  den  gegenwärtig 
versannnelten  24.  Landtag  gerichtet,  der  im  Novemher  vom  Könige  mit  einer 
Thrunrede  eröffnet  wurde,  welche  u.  a.  ankündigte: 

«In  Dbereinstimmong  mit  den  Gründen,  welche  m  cAier  aUgemelnen 

AnfhesaeniDg  der  Beuntengebalte  ftthren,  wird  Ihnen  anch  ein  Geeetc- 

entworf  über  eine  ErhSlinng  der  llinimalgehalte  der  Volkaachnl* 

lehre r  vorgelegt  werden. 

Die  letzte  Ständeversammlong  hat  sich  ferner  für  eine  neue  Regn- 

linmg  der  Pensionsverhältnisse  der  Geistlichen  und  Lehrer  ausgesprochen. 

In  diesem  Sinne  werden  Urnen  einige  Geeetie  nnd  mehrere  Ändeningen 

der  statotariechen  Beitimmnngen  der  Landesoniveraitit  zur  BeschlieBong 

zugehen." 

Und  in  dem  dem  Landtage  vorgelegten  Berichti;  hieU  es: 

Den  Anträgen  der  letzten  Ständeversauimluug  gemäß  ist  erlassen  worden: 
dae  Geeeta,  6m  WegfUl  der  Penaionabeitrtge  der  Geiatlieben  nnd  Lehrer  be- 
treffend, unter  dem  10.  März  1890. 

Dem  bei  Berathang  des  vorenvJlhnten  (.fesetzes  über  den  Wegfall  der 
Fensionsbeiträge  der  Geistlichen  und  Lehrer  gestellten  Antrage  und  tlei  in 
Beziehung  hierauf  in  dem  letzten  Landtagsab&chiede  gegebeneu  Zusicherung 
entspreehend  wird  nnnmdir  den  Ständen  ein  Geietientwnrf,  die  Anfhebnng  der 
Befreiong  der  Geistlichen  und  Lelirer  von  den  penSnlichen  Anlagen  filr 
Kirchenzwecke  betreftoud,  zugehen. 

Wegen  Gleich.stellung  der  Pensionsverhältnisse  der  Geist- 
lichen nnd  Lehrer  mit  denen  der  Staatsdiener  haben  die  angestellten 
Ihrw&gnngen  nr  Anfttelluug  zweier  Uoranf  beBOglicher  GesetaentwVrfe  ge- 
fBlut,  welche  den  Standen  gleiohlUls  angeben  werden. 

Ein  weiterer  Gesetzentwurf  wird,  den  Vrrliandlungen  über  das  letzte 
Finanzgesetz  entsprechend,  den  Ständen  vorgelegt  werden,  welcher  bezweckt, 
die  für  die  Schulgeraeinden  au.sgesetzten  Staatsbeihilfen  danernd  zu  gewährtn. 
desgleichen  ein  Gesetzentwurf,  welcher  eine  weitere  Erhöhung  der  Lehrer- 
geiudte  an  den  Volksschvlen  in  Aussicht  nimmt 

Von  der  (bei  Gapitel  96  des  Staatshausbaltsctats)  von  den  Stäuden  er- 
theilten  Ermächtigung  zur  Gewitlirung  einer  Unterstützung  für  die  Lehrer- 
bildungsanstalt des  Deutsclien  Vereins  für  Knabenhandarbeit  zu 
Leipzig  ist  Gebrauch  gemacht  worden.  (Vgl.  hierzu:  Psedag.  Xii,  Heft  9, 
Bindschan.) 

Der  Gesetzentwurf,  welcher  die  Befreinng  der  Lebrer  and  Geistlicben 
von  den  Kirchenanlagen  aufhebt,  ist  bereits  im  Januar  angenommen  wor- 
den.—  Von  den  beiden  anderen  Entwürfen  entspricht  der  über  die  Pensions- 
verhältnisse der  Geistlichen  und  Lehrer  allen  Forderungen  der  Gerech- 
tigkeit: Die  Lebrar  werden  nebst  den  OelstUeben  den  ^aalsdienem  gleieb- 
gestelltl  Endlicbl  sagen  wir,  ons  frenend.  Dasa  der  Oesetaentwnrf  nnver- 
Jlndert  Annahme  finden  wird,  ist  mit  Sicherheit  anzunehmen.  So  ist  doch  das 
unablässige  Streben  des  Allg.  Sächs.  Lehrervereins,  der  noch  1888  in  einer 
gründlichen  Denlcschrift  seine  Wünsche  in  Betreff  der  Pensionsverhältuisse  der 


Digitized  by  Coogle 


—   SÖ2  — 


Volksschollehrer  darlegte,  nicht  vergeblich  gewesen.  (S,  P?pdag.  XI,  Heft  2.) 
Das  Gesetz  soll  zngU'icli  rückwirkende  Kraft  erhalten;  es  beabsichtigt,  die 
i'eusioneD  der  bereits  im  Ruhestand  betindiiehen  Geistlicheu  aud  Lehrer,  sowie 
derHInterlaasenen  derselben  in  derselben  Weise  n  erhöhen,  wie  dies  in  einen 
anderen  Gesetzentwntfe  für  die  im  Ruhestand  befindliolien  (Hvilstaatsdienfir 
und  deren  Hinterlassenen  beantragt  ist.  Es  sollen  daher  erhölit  werden  1.  um 
12*  Prozent  die  Pensionen  der  Geistlichen  und  Lehrer  bis  mit  15CX)  M.,  der 
Witwen  bis  mit  000  M.,  der  Halbwaisen  bis  mit  120  und  der  Ganzwaisen  bis 
mit  180  M.;  2.  um  10  Proaeat  die  Peasionea  dar  Gttttlielieii  imd  Lehrer  von 
1600—3000,  der  Witwen  von  600—1200,  der  Halbwaisen  von  120—240 
wid  der  Ganzwaisen  von  180 — 360  lt.;  3.  um  7^/,PraEent  alle  liSheren  Pen- 
sionen. 

In  der  Vorberathuug  erinnerte  Abg.  Geyer  daran,  dass  vor  zwei  Jahren, 
als  die  Regierang  den  Erlass  der  Pensionskassenbeiträge  für  die  Geistlichen 
nnd  Lehrer  beantrag  die  socialdemokratisehe  Partei  diesen  EtIms  awar  für 

die  Lehrer  bewilligt  habe,  nicht  aber  für  die  Geistlichen,  welche  ohnedies  in 
behaglicher  Lage  sicli  betltnden.  Auch  diesmal  werde  aus  demselben  Grande 
seine  Partei  die  Ptiisionserhühungen  nur  fiir  die  Lelirer  bewilligen. 

So  erfreulich  unser  i'ensionsgesetz;  gestaltet  werden  soll,  so  viel  lässt  das 
Dotationsgesetz  nocli  zu  wünschen  übrig.  Der  vorgelegte  Entwurf  besagt: 
§  1.  Das  zu  Geldwert  angeschlagene  Gesammteinkommeu  eines 
stftndigen  Lehren  oder  einer  ständigen  Lehrerin  an  dner  VollEsschnle 
darf  nicht  unter  1000  M.  jährlich  betragen.  Die  Anzahl  der  von  dem 
Lehrer  oder  der  Lehrerin  zu  unteriichtenden  Kinder  ist  hierbei  ohneEin- 
fluss.  Die  freie  Wohnung  oder  die  Wohnungsentschädis-ung  ist  in  diese> 
Einkommen  nicht  einzurechnen.  Das  Einkommen  vom  Kircheudienste 
darf  in  dieses  Einkommen  vom  Sdraldienste  nor  insoweit  eingereciinet 
werden,  als  es  die  Somme  von  900  H.  Jshrildi  übersteigt 

§  2.  Den  Schuldirectoren  ist  neben  freier  Wohnung  oder  einer  ent- 
sprerlienden  Geldentschildigung  dafür  in  Orten  bis  zu  50()G  Kinwohneni 
ein  jährliches  Einkommen  von  niclit  weniger  als  2100  M.,  in  Orten  von 
mehr  aU  5000  Einwohnern  ein  solches  von  nicht  weniger  als  2700  M.  zu 
gewähren. 

§  3.  Jedem  HiUttehrer  ist  anlter  freier  Wohnung  und  Heiznng  oder 
einer  Ton  der  Beslrksachnlinspection  genehmigten  RntsehMigwng  dafttr 

ein  barer  Gehalt  von  wenigstens  720  M.  jährlich  auszusetzen. 

§  4.  Das  Einkommen  ständiger  Lehrer  und  Lehrerinnen  an  Volks- 
schulen, welche  mehr  als  40  Kinder  zählen,  ist  durch  Zulagen,  welch«- 
die  Schuigemeinde  zu  gewähren  hat,  folgendei'maßen  zu  erhöhen:  Nach 
einer  vom  erfüllten  25.  Lebenijahre  des  Lehrers  an  sa  rechnenden  Dienet* 
seit  yon  5  Jahi«n  Mb  anf  1100  K.,  von  10  Jahrmi  bis  aaf  1200  K., 
von  15  Jahren  bis  anf  1300  M.,  von  20  Jahren  bis  anf  1400  If.,  von 
25  Jahren  bis  auf  1500  Äf.  In  Orten  von  mehr  als  5000  Einwohnern 
sind  diese  Gehaltssätze  auf  1200  M.,  1350  M.,  1500  M.,  1650  M.  und 
1800  M.  zu  erhöhen.  Den  sündigen  Lehrern  nnd  Lehrerinnen  an  Volks» 
schulen  von  40  nnd  weniger  Kindern  sind  in  Jedem  der  angegebenen  fünf 
Stadien  60  H.  sonlegen. 


Digitized  by  Google 


—   393  — 


Die  GefieU vorläge  euthUit  weit  niedrigere  SäUe,  als  der  Alig.  Sächt. 
L.-V.  in  Beiner  im  letiteo  Herbate  eingerelehten  PetitioD  erbeten  hatte,  nftm- 
Ueh:  für  alle  festangestdlten  (ständigen)  Lehrer:  1200  M.  Anfaugsgehalt  und 

nach  je  4  Jahren  Erhöhung  auf  1400, 1600,  1800,  2(XX),  22(X)  und  2400  M.; 
frir  Hilfslehrer:  900  M.;  für  Directoren:  2700— SOCK)  M.  —  Sofort  nacli  Be- 
kanutwerden  dieses  Entwurfes  hat  der  Vorstand  des  Sächs.  Lehrer  Vereins  eine 
atatistiaohe  Erhebung  vornehmen  lassen,  welche  dargethan  hat,  dass  die 
G^esetsesvorlage  dnreh  die  thatsftchliehen  Yerh&ltnisie  Wt  ftber- 
holt  iat,  vnd  dass  die  geplante  Avfbeesemng  kaum  den  Namen  einer  Nach- 
besserung verdient.  Es  würden,  wenn  der  Entwurf  Gesetz  würde,  von  291 
Directoren  241,  von  3737  Lehrern  3594  und  von  den  1380  Hilfslehrern 
1155  nichts  zagelegt  erhalten;  das  sind  je  ca.  83,  93  and  84  Proceut  der 
Geaammtheit!  Von  „allgemeiner**  und  „dnrehgreifender"  Anfbenemng  kann 
da  keine  Eede  sein!  —  Die  Enttäuschung  and  Missstiiniiuing  der  Lehrerschaft 
nach  dieser  Seite  hin  war  groß.  Und  sie  ist  auch  iu  entsprechender  Weise 
zum  Ausdinck  gekommen,  z.  B.  in  dei-  „Neuen  Piidag.  Revue"  von  Beeger 
^^1891,  Nr.  6,  ä.  41.  Leipzig,  Zangenberg  &  Himly;.  Auf  diesen  die  Sache 
vSUig  toetaden  Artikel  mag  hier  der  Kürse  halber  noch  hingewieeen  sein, 
ebenso  anf  die  orientirenden  Uittheilnngen  der  umsichtigen  „AWg.  Deutschen 
Lelirerztg".'^  f]891,  S.  4ö2,  8.  493,  Leipzig,  Klinkhardt).  Der  Vorstand  des 
Landeslehrervereins  hat  die  Er^;:ebni8se  seiner  Statistik  den  Ständen  in  einer 
Denksduill  überreicht,  und  es  ist  zu  hoffen,  dass  dieselben  die  Sätze  der  Vor- 
lage om  efewaa  erhöhen  weiden.  Indem  wir  dieser  HolBinng  Banm  geben, 
woUen  wir  ragkioh  henroriiebeo,  da»  die  Bitten  der  Lehrer  anch  yon  G-eiat- 
lichen  nntersttttst  werden:  Die  Pastoralconferenzen  von  Lommatzsch, 
Nossen  und  Wilsdniff  haben  im  letzten  Monat  an  beide  Ständekammern  eine 
Petition  gerichtet,  in  welcher  gleichfalls  um  eine  höhere  Normirung  der  Lehrei** 
gebälter  gebeten  wird.  Die  Petenten  sagen,  dass  ne  in  ihrer  amtlichen  Thätig- 
keit  das  Wirken  der  Lehrer  aar  Genüge  keanw  zn  lernen  Gelegenheit  haben 
und  demselbeil  ihre  Anerkennung  zollen,  und  bringen  im  Weiteren  dieselben 
Gründe  vor,  welche  die  Lehrer  für  ihre  Bitten  ins  Feld  geführt.  (S.  „Sächs. 
Schalztg."  1892,  Nr.  5,  S.  üO,  Leipzig,  KUnkhardt,  Preis  0,20  M).  Man 
hofft,  dass  die  selbstlose  Bitte  der  Pastoren  nicht  anbeachtet  bleiben  werde. 
Wenn  aveh  diese  meinen,  was  wir  sagen,  so  wird  es  wol  wahr  sein!  Alle 
Eh(e  aber  solchen  Geistlichen,  die,  nachdem  ihnen  Gott  gegeben  reichlich  (oder 
wenigstens  binreicliend),  aucli  iliren  Mitarbeitern  günstig  gesinnt  sind!  Mit 
solchen  Männern,  die  in  echt  geistlichem  Sinne  reden  und  handeln,  wer- 
den die  Lehrer  allezeit  gerne  am  Werke  der  Voikserziehung  arbeiten.  —  Ein 
weiteres  über  diesen  Gegenstand  wird  den  geehrten  Lesern  bemerkt  weidan, 
wenn  der  Entwarf  znrBegsbug  der  Lehrergahllter,  Terbessert  oder— nicht 
▼erbessert,  beschlossene  Sache  sein  wird. 

Im  diesjährigen  sächs.  Staatshaushalt  sind  die  meisten  Kapitel  mit  viel 
höheren  Beträgen  als  früher  eingestellti  so  sind  für  die  Lehrerseminare  in- 
folge BililMNUig  der  Ldurer-  nnd  Beantenbesoldangeu  imd  Eäi»niuig  eines 
Seminargebändee  in  BocUitB  436190  IL,  für  die  Volkssehnlen  wegen  der 
Beihilfen  an  die  Schalgemeinden  zur  Bestreitang  ihrer  Lehrergehalte  and 
Steio-ernng  der  Lehrerzalil.  ingleichen  wegen  Verstärkung  der  Fonds  zur  Ge- 
wäliraug  von  Unterstützungen  und  Beihilfen  an  Volksschallehrer  and  Schol- 


Digitized  by  Google 


—   394  — 


gemeindeu,  zur  Fürderuug  des  VolksscbulweseDS  und  zur  Gewährüiig  von  P«i» 
sionen  etc.  an  Lehrer  und  deren  Hinterlassene  1 956 178  X.  mdir  angesetzt 
Zugleich  ist  mitgetheilt,  dasB  die  Erriehtiag  einet  nenen  Seminare 
in  Plauen  bei  Dresden  für  die  Finaonpeiiode  1894/95  in  Aoasieht  genommen 

sei    (S.  rjfda^.  X.  Heft  ^ 

Dem  Minister  v.  Gerber,  ^veleher  die  drei  genannten  Gesetzentwürfe 
vorlegte,  sollte  es  nicht  be  schieden  sein,  dieselben  unter  Dach  zu  bringen.  Bin 
plOtdidier  ToA  nflte  «m  23.  Deeember  den  68jfthrigen  Stnatemaan  hinweg, 
der  fiber  20  Jahre  an  der  Spitze  des  sächsischen  Ministeriums  den  Cnltos  nnd 
öffentlichen  Unterrichts  g^estanden.  In  der  letzten  Landeslehrerversamralnn»- 
war  V.  Gerber  das  erste  Mal  unter  der  Volksschullehrerschaft  erf^cliit  n*  n. 
(S.  Paedag.,  Dez.-Heft  dies.  Jahrg.,  S.  184  f.)  Es  sollte  leider  zugleich  das 
letnte  Hai  sein.  Uan  hoflite  nfanlioh  eeitdem,  dan  Dr.  Oerber  nnnmdu:  anch 
den Volknehnllefareretande  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zuwenden  werde; 
man  vermutet  auch,  dass  die  Petition  des  Allg.  S.lchs.  L.-V.,  am  14.  Okt  ein- 
gereicht, bei  Ausarbeitung  des  Gesetzentwurfs  über  die  Lehrergeliiilter  nicht 
mehr  hat  berücksichtigt  werden  können,  weil  derselbe  vielleicht  schon  fertig 
war;  man  glaubt  nlebt  allgemein,  daaa  nnsere  Bitte  so  sehr  hat  nnberficksich- 
tigt  bleiben  sollen.  —  Unter  dein  Minister  v.  Oerber  ist  in  Saehsen  für  des 
Schulwesen,  insbesondere  aber  für  das  der  höheien  Schulen,  viel  gethan 
worden,  und  eine  große  Anzahl  segensreicher  Gesetze  und  Einrichtungen  sind 
unter  seinem  Namen  ergangen.  Naturgemäß  kann  nicht  alles  Geschehene 
sein  Verdienst  sein,  da  ja  jede  mächtige  ZeitstrGmnng  sehHeMid»  sn  Ände- 
rangen  nnd  Besserungen  führt,  gleldiTid,  wer  an  der  Spitne  steht 

Karl  Friedr.  Wilh.  v.  Gerber  war  am  11.  April  1823  zn  Ebelebeu  im 
Förstenthum  Schwarzburg-Sondershansen  geboren,  wo  sein  Vater  Rector  der 
Stiftsschule  war.  Er  besuchte  das  Gymnasium  zu  Sondershausen  und  widniete 
sich  von  Ostern  1840  bis  1841  in  Leipzig  unter  Albrecht  and  Puchta,  dann 
bis  1843  unter  Wttermaier  nnd  Vangerow,  dem  Stndinm  d«r  Beehtswissoi* 
Schaft.  Nachdem  t  r  1843  dif  juristische  Doctorwtirde  erworben  hatte,  trat 
er  1844  als  Privatdocent  in  die  Universität  Jena  ein,  um  sich  der  akademi- 
schen Lehrthätigkt  it  /u  widmen,  liii  .Talire  184()  erschien  sein  grundlegendes 
Werk:  Das  wissenschaftliche  Priucip  des  gemeinen  deutschen  Privatrechts, 
worin  Gerber  dieDogmatilc  des  dentsehenPriTatreohts  auf  nenen  Boden  stellte. 
In  demselben  Jahre  wurde  er  zum  ausserordoitliclien  Flt>fessor  ernannt,  nnd 
1847,  einem  Rufe  nach  Erlangen  folgend,  übernahm  er  als  Naclifolger  von 
Laspeyres  die  ordentliche  Professur  für  deutsches  Recht  an  der  dortigen  Uni- 
versität. Gerber  war  also  im  Alter  von  24  Jahren  bereits  ordentlicher  Pro- 
fessor. Alsbald  ging  er  in  Erlangen  an  die  Ausarbeitnng  seines  Systems  des 
dentsehen  Privatrechts,  das  in  den  Jahren  1848  nnd  1849  in  Jena  erschien. 
Dieses  bahnbrechende  Werk  hat  bis  heute  immer  neue  Auflagen  erlebt  und 
steht  noch  allen  ähnlichen  Werken  voran.  Es  brachte  ihm  1851  den  Ruf 
nach  Tübingen,  wo  er  als  Professor  und  Nachfolger  von  Wächters  die  Stellung 
eines  Kanzlers  der  Universität  fibemahm.  Damit  erhielt  er  zugleich  Sitz  und 
Stimme  in  der  wflrttembevgisehen  Kammer  der  Abgeordneten.  In  den  Jahren 
1857 — ü^ni  nahm  er  als  Abgeordneter  des  Königreichs  WIrttemberg  thätigen 
Antheil  an  der  in  Nürnberg  nnd  Hamburg  tagenden  Konferenz  zur  Feststellung 
des  deutschen  Handels-  und  Seerechts;  um  das  Zustandekommen  dieses  Werkes 


Digitized  by  Google 


—   396  — 


hat  er  sich  besondere  Verdienste  erworben,  l^arauf  wnrde  ihm  im  MUrz  ISOl 
das  Ministeriam  des  Cultns  in  Württemberg  angeboten,  dessen  Übernahme  er 
jedoch  ableimte.  Dagegen  nahm  er  1862  die  Berofang  zun  Professor  der 
Bechte  und  Obenppellatioiisgeriehtawtti  in  Jena  ao,  doch  Tertamdite  «r  diese 
Stellung  1863  mit  der  Professur  des  deutschen  Privat-,  Staats-  und  Eirchen- 
rechts  in  Leip/J^j:.  Hier  ließ  er  1865  seine  Grundzütre  eines  Systems  des 
deutsclien  Staatsrechts  erscheinen,  wiederum  ein  errundlependes  Werlt  für  die 
wissenschaftliche  Behandlung  des  Gegenstandes,  auf  dem  z.  B.  Lahand  in  seinem 
Lehrbndie  de«  dentBchen  Staatereelita  dnrehaiu  ftaBt  Im  Jahre  1867  war 
Gerber  Mitglied  des  constituirenden  Reichstags  des  Norddeutschen  Bundes,  und 
1871  stand  er  als  Vorsitzender  an  der  Spitze  der  ersten  T.andossynode  in 
Sachsen.  Als  in  denjselben  Jahre  Freih.  von  Falkenstein  von  seinem  Amte 
zurücktrat,  berief  ihn  Se.  Majestät  der  König  von  Sachsen  als  Staatsminister 
nod  Minitter  des  Cnltos  and  «fftotUelien  Vnterriehtes  n  denen  Naehlblger. 
Von  «laeenschaftllchen  VeröffentUehangen  sind  fernerliin  nar  nodi  die  Ge- 
sammelten juristischen  Abhandinngen  (.lenal872)  zu  erwähnen,  in  welchen  er 
zahlreiche  kleinere  Schriften  und  Aufsätze  besonders  ans  den  von  ilim  und 
Ihering  1857  gegründeten  Jahrbüchern  für  die  Dogmatik  des  rümischen  und 
denfiieliMk  FÜTatnehts  Tsreinifte.  Um  so  bedenkender  Isl  die  Thatigkeit,  die 
Geriier  als  Staatsmann  entfUtete.  Wichtige  Aal^ben  hat  er  mit  groflem. 
Geschick  und  weitschauendem  Blick  zum  Segen  für  Saduen  ge15st.  Zunächst 
verdanken  wir  seiner  ^fitwirknug  das  Znstandekommen  der  kirchlichen  Gesetz- 
gebung (1873  und  1S74),  durch  welche  das  Verhältnis  zwischen  Staat  und 
Kirche  in  befriedigender  Weise  festgestellt  wurde.  £ine  schwierige  Aufgabe 
wnrde  dnrdi  diese  GesetagebaniT  ^  grondlegender  Weise  gelöst.  Nieht  minder 
rittd  unter  Gerber  die  Verhältnisse  der  katholischen  Kirche  zum  Staate  geregelt 
worden ;  liesffn  die  Verhältnisse  hier  wenitrer  schwieriof  als  auf  dem  gleichen 
Gebiete  in  Preuüen,  so  ist  es  doch  nicht  zu  unterscliätzeii,  dass  wir  durch  diese 
Gesetzgebung  vor  allen  kirchlichen  Streitigkeiten  bisher  durchweg  bewahrt 
worden  sind. 

Von  giMter  Bedentang  ist  sodann  das  Gesetz  über  das  sächsische  Volks- 

schulwesen  vom  26.  April  187B  nebst  den  Ansföhrungsverordnungen  vom 
25.  August  1874,  dem  seitdem  eine  lange  Reihe  ergänzender  Gesetze  und  \'er- 
ordnungen  gefolgt  sind.*)  Wenn  wir  nicht  irren,  steht  bis  jetzt  dieses  um- 
Ihsseode  Oeseti  in  Deutschland  einzig  da.  WSluend  man  in  PreoBen  hente 
bemüht  ist,  ein  •olehes  Gesetz  erst  ins  Leben  m  rafen,  hat  sieh  diese  bedeut- 
same Schöpfong  des  verstorbenen  Cultusministers  v.  Gerber  bei  uns  schon 
17  Jahre  lang  bewährt.  Die  Aufgabe,  der  Kirche  wie  den  Gemeinden  gleich 
gerecht  zu  werden,  ist  hier  ziemlich  glücklich  gelöst.  Nicht  minder  wichtig 
ist  die  Gesetzgebung  auf  dem  Gebiete  des  höheren  Sehnlwesens,  die  unter 
Gerbers  Leitung  Ar  Sachsen  ins  Leben  getreten  ist  Hier  ist  das  Gesetz 
fiber  die  Gymnasien,  Bealschulen  und  Seminare  vom  22.  August  1876'*)  zu 
erwähnen,  das  als  grundlegende  Arbeit  auf  diesem  Gebiete  die  erste  Stellung 
einnimmt.  Dieses  wie  die  ergänzenden  Gesetze  von  1882  und  1884  —  letztei-e 
die  Kealgymnasien  und  Kealschulen  betreffend  —  haben  bewirkt,  dass  Sachsen 
bis  heute  eine  herroiiagende  SteUnncr  auf  dem  Gebiete  des  höheren  Sehuhmens 


*)  StamitUeh  enchienen  bei  CO. Heinhaid  dt  Söhne  in  Dieideii. 


Digitized  by  Göogle 


—   896  — 


eingenommen  hat.  Die  jetzt  geplante  £lehiilreform  völlig  dnrchgeftthrt  zu  a«heD| 
war  dem  Minister  nicht  vergönnt 

Verdienste  bat  er  sieh  ferner  nm  die  Weiterentwiokelang  der  Laodee- 
üniTenitat  Leipdg  erworbeii;  Ml&er  Anregimg  und  Wirksankeit  yerdankt  sie 

es  mit,  dass  sie  gegenwärtig  eine  der  ersten  Stellen  unter  den  deutschen  Uni- 
versitäten einnimmt.  Mit  Krfolg  ist  Gerber  bemüht  gewesen,  ihr  stets  tüchtige 
Kräfte  znznfiihren.  Die  grußurtigeu  medizinischeu  und  naturwissenschaftlichen 
Institute,  die  einen  großen  besonderen  Complez  ausmachen,  sind  ihrer  wissen- 
schaftUchen  Disposition  nach  Mnstennstalten.  Die  prMbtvoUe  neue  BibUothek 
and  die  Aogenheilanstalt  bilden  die  letzten  Glieder  di<>ser  bedeotsamen  Nen- 
bauten.  denen  diircli  ein  nen*'8  Auditorienhaiis  der  Abschluss  gegeben  werden 
BoU.  Auch  ißt  zu  erwähnen,  dass  unter  Gerber  das  Polytechnikum  in  Dresden 
zur  Uocbschulc  umgebildet  worden  ist. 

Zu  Anfang  Janaar  meldeten  Ii«  Amtsblfttter;  Se.Mioeetit  der  KOfrig  hat 
dem  zeitherigeu  Geh.  Hegierungsrath  im  Ministerium  des  Cnltus  and  (MBuit- 
Uchen  Unterrichts  Kiirt  Damm  Paul  von  Seydewitz  nnter  Ernennung:  znm 
Staatsminister  die  Leitung  des  Ministeriums  des  Cultus  und  öffentlichen 
Unterrichts  übertragen,  ingleichen  den  Auftrag  in  Evangelids  ertheilt.  — 
HOge  das  Wlilnn  das  neaen  HlniiUn  fllr  die  Allgemeinheit  and  ftr  die 
Lahrersehaft  im  besonderen  ein  gesegnetes  sein! 


Die  Sohnlanstftnde  In  Bosnien  und  der  Hercegovina.  Solange 

Bosnien  and  die  Hercegovina  nnter  der  Osmanenherrsehaft  gestanden,  imd  so> 
lange  dort  hinsichtlich  der  Verkehrsmittel  und  der  Sicherheit  des  Lebens  und 
des  Eigenthums  die  asiatischen  Zustände  auzutrelteii  waren,  haben  sich  sehr 
wenige  getraut,  diese  Länder  behufs  einer  wissenschaftlichen  Erforschung  zu 
bereitea,  seitdem  aber  diese  Provinsen  durch  Österrdch-Ungam  oeonpirt  und 
dort  die  herrlichsten  Verkehrsmittel  angelegt  sind,  und  seitdem  dank  der 
Energie  der  Staatsmänner  eine  moderne  Verwaltung  eingeführt  ist  und  in 
jeder  Hinsicht  geregelte  Zustände  platzgegriffen  haben,  hat  die  Gelehrtenwelt 
diesen  Ländern  mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt,  and  es  piigeni  Archäologen, 
Geologen,  Kartographen  and  viele  andere  daliln,  nm  Fmhnngen  aaBBiteto 
und  ilir  Wissen  zu  bereichem.  Über  die  seit  der  Occupation  dieser  Lftnder 
allseits  wahrnehmbare  cnlturelle  Entwifkelung;  ist  bereits  soviel  Gutes  ge- 
schrieben worden,  dass  die  Staatslenker  mit  Stolz  auf  diese  Erninß:enschaften 
zurückblicken  können.  In  allen  Verwaltungszweigen  ist  ein  bedeutender  Fort- 
sobritt  bemerkbar,  und  aneh  auf  dem  Gebiete  der  Volksbildang  ist  bereits 
vieles  getlmn,  obwol  noeh  manebes  naebgeholt  werden  mnas* 

In  jedem  geregelten  Staate  bildet  die  Schule  einen  sehr  wichtigen  Factor, 
denn  von  einem  gut  und  praktisch  organisirten  Schulwesen  hängt  die  Zukunft 
desselben  ab.  Als  Schulmann  habe  ich  mir  zur  Aufgabe  gemacht,  das  Schul- 
wesen in  den  oecaplrten  Provinzen  einer  näheren  Betrachtung  zu  unterziehen. 

Wfthrend  meiner  actiTen  Dientüeistnng  als  Sehnlinspcetor  In  dar  «ehe- 
maligen Militärgrenze  hatte  ieh  Gelegenheit  gehabt,  das  bcMsnische  Schalwesen 
vor  der  Occupation  kennen  zu  lernen  und  ließ  im  Jahre  1879  Uber  die  dama- 
ligen Schulzustände  im  „Piedagogiam''  eine  kurze  Skizze  erscheinen.  Damals 


Digitized  by  Google 


—  397  — 


gib  M  in  Bosnien  unrl  der  Ilercegovina  nar  confessionelle  SchakB  n,  S.  Wtttn: 
917  muhaniedaniscLe  Elenientaisclmlen  (türkisch  ra^tefe); 
41  röm.  katb.  Elementarschulen; 
57  gr.  or.  Elementanchiileii; 

43  höhere  umhaniedanische  Schulen  (tärkisch  MedreiM)  und 

24  Bürgerschulen  (türkisch  mektebi  rizdje  i. 

Diese  letzteren  waren  bezüglich  des  LrhrstKrtes  und  des  Untenichtszieles 
ganz  priiuitiv  und  ähnelten  nicht  im  entferntesten  unseren  gegenwärtigen 
Blrg«ndiid0D. 

Nach  den  statistischMi  Datm  vom  Jahre  1890,  «Im  naeh  VerUuif  Ton 

12  jähriger  Occupation,  bestehen  nun  im  OccupatiODSgebiete  folgende  Sdllden: 

1  vollstilndiges  Ober-Gymnasium  in  Sarajevo; 

1  Privat-üymnasium  in  Travnik  (unter  der  Leitung  der  P.  P.  Jesuiten); 
1  teehnieelie  Sehlde  in  Sin^vo; 

1  FHlperaiidle  in  San^jevo  sor  Heranfaüdiuig  der  Elementuielirer  (Internat); 

1  Militär-Pensionat  in  Sarajevo; 

8  Handelsschulen; 
41  Medresse; 

26  röm.  kath.  Elementarscbolen; 
68  gr.  w.  Elenientamhnlen; 

1  israelitische  Elementarschule; 

4  Privat-Elenit'ntarschulen  und 

löU  allgemeine  Elementarschulen. 

Aus  diesen  Daten  ist  ersichtlich,  dass  der  confessionelle  Charakter  der 
Elementanehnlen  sieht  ganc  gewichen  iat,  and  diea  Ibafc  aieh  anch  nicht  sehald 
erwarten,  zumal  die  GegensHtze  der  einaelaen  Religionegenossenschaften  an 
scharf  zugespitzt  sind.  Die  jüngere  Generation  *  dürfte  vielleicht  in  dieser 
Hinsicht  mehr  znr  Einsicht  ijelangen,  die  Schule  als  eine  allgemeine,  allen 
Bewohnern  des  Landes  gleich  zugängliche  Bildungsstätte  anzusehen. 

Verglefoht  man  die  Scfanlsnitände,  wie  sie  vor  der  Occupation  bestanden, 
mit  den  gegenwärtigen,  b6  sieht  man,  dass  anch  anf  dem  Gebiete  des  Unter- 
richtswesens ein  bedeutender  Fortschritt  gemacht  worden  ist;  obwol  sich  nicht 
leugnen  lässt,  da.>;8  manches  nicht  so  anfgefasst  nnd  durchgetnhrt  werde,  wie 
es  die  pädagogischen  Principien  erheischen.  Zur  Klärung  der  so  wichtigen 
Angelegenheit  werde  ich  einige  Hängel,  welche  bei  der  Organisation  des  Schul- 
wesois  wahnnnehmen  sii^,  h^verheben  nnd  insbesondere  die  Erfiehtnng  der 
Handelsschulen  einer  näheren  Besprechung  nnterziehen.  Derjenige,  der  mit  der 
Organisation  de.s  Schulwesens  betraut  wird,  muss  nicht  nur  höhere  ]iädago- 
gische  Kenntnisse,  sondern  auch  praktische  Erfahrungen  auf  dem  Gebiete  der 
Organisation  dieses  wichtigen  Cultuizweiges  besitzen;  er  soll  nicht  nnr  das 
Sehnlwesen  seines  Heimatlandee,  sondera  anch  das  Schnlwesen  anderer  Cnltnr- 
staaten  genau  kennen ,  damit  er  das  Beste  filr  das  Land .  wo  er  sehe  Thttig- 
keit  entwickelt,  herausfinden  nnd  den  Landesverhältnissen  anpassen  könne. 
Man  mag  in  einmi  Frovinzial-Stiidtcheu  ein  guter  VolkssehuUehrer  gewesen 
sein,  ohne  deshalb  die  Fähigkeit  eines  Organisators  zu  besitzen. 

Wer  ein  Oebftode  solid  nnd  dauerhaft  anfftthren  will,  der  mnss  Ter 
allem  darauf  bedacht  sein,  gutes  und  gesundes  Material  zu  bekommen,  nnd 
solches  wfiAhrenen  nnd  bewälirten  Ueistem  anr  Bearbeitung  übergeben.  Wendet 


Digitized  by  Google 


—   398  — 


mau  diesen  (iesichtepunkt  auf  die  bosnischen  Handelsschulen  au,  su  masB 
man  onwUlkfirlich  zu  der  Überzeugung;  gelangen,  dass  man  diese  Schulen 
ohne  Bflckiicht  auf  die  VorbUdimg  der  Freqnentanten  entatdien  lieft.  Der 
Zweck  der  Handelsschulen  ist,  ihren  Zöglingen  eine  den  Bedürfnissen  des 
praktischen  Gcsolillftslobfns  möglichst  entsprechende  faolili<-lio  Ansbildnuf^  zu 
gewiiliren,  und  nebstbei  auch  jene  allgemeinen  Bildiingszwecke  zu  fördern, 
welche  die  Hauptricbtung  dieses  Fachunterrichtes  /unäclist  ergliuzeu.  Auf 
Onind  dessen  rnnss  demnach  der  ünterridit  in  diesen  Schulen  das  gaoxe  QeUet 
der  kanfmännisclu  II  Fach\vi86enicbaflten,  sowie  die  hierzu  gehörenden  wicht^- 
sten  humanistischen  Lebrfärlier  umfassen.  Vm  dies  erzielen  zu  können,  müssen 
die  Zöglinge  dieser  Lehranstalten  \vfni{rstt'iis  rino  Hür^;('isi:hule  oder  fin  Fnter- 
gymuasium  oder  eine  Uuterrealschuie  mit  gutem  Erfolge  absolvirt  haben.  Ist 
dies  aber  bei  den  bosnischen  Handelaschnlen  da-  Fall?  Ndn!  Die  bosnischen 
Handelsschulen  bekommen  ihre  Zöglinge  ans  den  allgemeinen  Elementarschulen, 
rwo  die  geistigen  Anlagen  noch  nicht  '<o  Piitwirkolt  sind,  um  die  verschiedenen 
rnterricht.sgegenstiinde  mit  Erfolg  autfassen  zu  köjinen.  Durch  die  t'bt'rbür- 
dung  mit  Lehrstoff  muss  die  Jugend  geistig  erlahmen  und  auch  in  der  körper- 
lichen BntwiokeliiDg  gehemmt  werden.  Jeder  pädagogisch  Gebildete  weift  ans 
ErfUimngr,  dass  dnrch  Überladong  des  Lektionsplanes  mit  ünterrichtsDlchem, 
die  ein  buntes  Allerlei  bieten,  das  Wissen,  mit  welchem  vielleicht  für  die 
T'rütung  frepninkt  werden  kann,  ein  äußerliches  bleibt,  im  Gemftth  aber  keine 
Wurzel  schlägt  und  der  Entwickelung  des  Geistes  besonders  bei  sehr  mangel- 
haft Vorgebildeten  keine  feste  Grundlage  bereitet.  Alles  oberflächliche  Wissen, 
aUes  blos  gedftchtnismBftig  angeeignete,  nicht  mit  yoUer  SelbstthStigkeit  und 
Theilnahme  d^  inneren  Menschen  Erworbene  leistet  der  Blasirtheit,  welche 
jede  gründliche  Geistesarbeit  hasst,  Vorschub.  Ein  treib]inusartig«>r  P>\verb 
von  Kenntnissen  und  Fertfgkeiten  hat  keinen  Halt  und  ist  für  die  ileuschlieit 
verderblich.  Die  bosnischen  Kinder  sind  zwar  von  der  Natur  gut  heanlagt, 
aber  Wunderkinder  sind  sie  doch  nicht  Unreif  kommen  sie  in  die  Handels» 
schule  und  unreif  müssen  sie  diese  Anstalten  verlassen  und  werden  zuletzt  als 
kaufmilnnisches  Proletariat  auftauchen. 

Die  Idee  zur  Krri(  lituu^''  der  Haiidelsscliulen  in  Bosnien  und  der  Herce- 
govina,  wo  der  liandelü verkehr  ein  ziemlich  reger  ist,  ist  zwar  sehr  lobens- 
wert, aber  zu  yerfrOht.  Hfttte  man  statt  dieser  Scholen  Bftrgerschnlenf 
wie  solche  in  Österreidi-Ungam  errichtet  sind  und  sich  sehr  bewährt  haben, 
hergestellt,  so  hJltte  man  nicht  nur  den  Rürfrerstand,  dessen  geistige  Bildung 
noch  in  den  Windeln  liegt,  gpisti;r  gehoben,  sondern  auch  einen  selir  brauch- 
baren Nachwnclis  für  die  Handelsschulen  und  die  Lebi*erbildungsan8talt  und 
bei  eventneller  Bnichtung  der  Gewerbe-  und  Ai&eibaosdiulen  andi  fflr  diese 
Anatalten  gewonnoi.  Sdche  Bfligersdiolen  wSren  fOr  Bosnien  und  die  Heroe> 
govina  eine  große  Wolthat  und  würden  eine  höchst  segensreiche  Wirkung 
hervorbringen.  Ans  dem  ErvvUhnten  sieht  man,  dass  das  Material  für  die 
Handelsschulen  nicht  gut  ist,  und  dass  somit  auch  das  Gebäude  nicht  solid  und 
dauerhaft  genannt  werden  kann. 

Wie  steht  es  aber  mit  den  Lehrpersonen  dieser  Fachschule?  Gerade  wie 
mit  den  Zöglingen.  Ich  glaube  mit  TJeeht  behanpten  zu  dürfen,  dass  kein  ein- 
ziger Lehrer  an  diesen  Handelsschulen  eine  speciello  Farhbildung  für  derlei 
Anstalten  besitze.    Ich  kenne  einige,  die  in  der  ehemaligen  Müitärgrenze 


DIgitIzed  by  Google 


—   399  — 


einfache  Volksschullelirer  waren,  und  nnn  finde  ich  sie  als  Directoren  solcher 
Handelsscholeu.  Wo  and  wie  sie  sich  die  Jb'achbildang  für  eine  Handelsschule, 
wo  doch  die  Landenpraohe  (kroatfaeh-MTbiach)  und  ihre  Literatur,  tanftatopiache 
BaehfUminirt  HandelacomapoDdeDs,  Wechselredit,  Hudelageographie,  Haadela* 
geachichte,  Warenkunde,  Handelsrecht,  kaufmännisches  Rechnen,  die  Grundzüge 
der  Nationalökonomie  und  wenigstens  eine  fremde  Sprache  (deutsch,  französisch, 
englisch  oder  itaiieuisch)  zu  lehi'en  sind,  erworben  haben,  bleibt  mir  ein  Käthsel. 

Wenn  man  die  Eichtling  der  Handelsschiilen  fiir  nothwendig  gehalten 
hat,  ao  hfttte  ea  Torlialtg  genllgt,  eine  aolche  Sehnte  an  die  teehnfaehe  Schale 
in  Sarajevo  durch  Enichtung  eines  dre^ährigen  Cursns  anzulehnen,  wie  man 
dies  an  dt  r  Oberrealschule  in  Agram  mit  Erfolg  prakticirt  hat.  Daun  hätte 
eine  solche  Schule  dem  Zwecke  enLspiuchen,  denn  sie  würde  aus  der  technischen 
Schule  gut  vorgebildete  Schüler  und  tachmännisch  gebildete  Leliier  erhalten. 
Sollte  avch  an  dleaer  Sdiole  kein  apedell  f&r  daa  Handelafheh  TingehUd^ea 
Lehrindividuum  vorhanden  sein,  so  müsste  ein  solches  an  die  Handelsakademie 
nach  Wien  l>ehuf8  fachmännischer  Heranbildiin}^  entsendet  werden,  wie  dies 
seitens  der  kroatisch- slavooischen  J..andesregieruug  in  Agram  fast  jiUu*üch 
geschieht. 

Wenden  wir  jetzt  nnaere  Betrachtong  der  Lehrerbildang  fOr  Eleaentar^ 
schulen  m.   Dass  die  Lehrerbildang  eine  sehr  wichtige  Angelegenheit  im 

Staatsorgan ismns  ist.  beweisen  zur  Genüge  die  Thatsachen,  dass  sowol  der 
Staat  als  auch  die  (Tomeinden  wetteifern,  den  Lehrern  eine  derartige  i)ilda- 
gogische  Bildung  augedeiheu  zu  lassen,  welche  sie  in  den  Stand  setzt,  die  ihnen 
anr  Eniehang  and  inm  ünteirichte  anvertraute  Jagend  zu  gesitteten  Ueoaehfln 
und  wttrdigen  Staatabttrgem  heransahfldeo.  Wie  steht  ea  nnn  mit  der  Lehrer- 
bildung in  Bosnien  und  der  Hercegovina  und  woher  recrutiren  sich  die  Zög- 
linge für  diese  Bernfsschule?  Da  noch  .sehr  wenige  Mittelschulen  und  gar  keine 
Bürgerschulen  oder  ähnliche  Lehraustalten  vorhanden  sind,  so  erhält  die 
Lehrerbildungsanstalt  ihren  Nachwachs  meistens  aoa  den  Elementarschalen. 
Ea  itt  wol  wihr,  daaa  man  im  Zeitranme  von  kaam  14  Jahren  Iceinen  tttchtigen 
Lehreratand  heranzubilden  vermochte -,  aber  es  hätte  doch  beaaer  werden  können, 
wenn  man,  wie  bereits  erwähnt,  gleich  in  den  ersten  Jaliron  nach  der  Occu- 
pation  BürK'  i^tliulen  errichtet  hätte,  wo  ein  genügender  Nachwuchs  für  die 
Lehrerbildungsanstalt  herangezogen  worden  wäre.  Es  leuchtet  somit  ein,  dass 
gegenwärtig  aneh  für  diese  aehr  wichtige  Bernftachale  keine  genflgende  Vei<- 
büdong  vorhanden  aei.  lÜt  den  an  dieser  Anstalt  wirkenden  Lehr])ersonen  iat 
es  etwas  besser  bestellt,  zumal  doch  einige  ihre  Lehrhefahigung  für  Bürger- 
schulen erlangt  haljen;  aber  trotzdem  muss  die  Lelirerbildnn^  als  eine  sehr 
mangelhafte  bezeichnet  werden,  weil,  wie  erwähnt,  die  \'urbildung  der  Zöglinge 
kefaie  liinreichMide  Iat  üm  wenigatena  für  die  atildtisehen  Schalen  bessere 
Lehrkräfte  za  bekommen,  musste  man  aolehe  aoa  den  Nachbarprovinzen,  voi^ 
nehmlich  aus  der  ehemaligen  Militärgrenze,  aus  Kroatien  und  Slavonien  heraa- 
zit'lien.  Wie  es  im  Anfange  der  Occupationsjahre  mit  der  Lehrerbildung  be- 
stellt war,  geht  zur  Genüge  daraus  hervor,  dass  der  frühere  Director  der 
Lehrerbildangaaimtalt  ein  gana  almpler  YdloBBchnllehrer  ohne  jede  hShere 
pidagogiaehe  BOdong  war,  und  gegenwärtig  ala  HitreÜBrent  über  das  Schal- 
wcaeo  dem  Schaldepartement  bei  der  Landesregierung  in  Sarajevo  zngetheilt  ist 
Indem  ich  meine  Aasffihmngen  hiermit  schlieAe,  hoffe  ich  mit  allen  treaen 


Digitized  by  Google 


—  400  — 


Staatsbnre:prn,  dass  sich  aucli  auf  dem  Geliiete  des  Ki'ziehungs-  und  Unterricht s- 
wesens  in  den  occnpirten  Provinzen  alles  zum  Bessern  wenden  werde.  In 
dieser  Hoffnung  bestärkt  uns  noch  der  Umstand,  dass  nach  dem  Berichte  des 
Refareoton  in  den  ▼erfloneaen  DcliigntionMitznDgen  die  Staatslenker  in  Bomioi  • 
und  der  Hercegovina  diesem  wichtigen  Cultnrzweige  dorch  Einstellung  bedeu- 
tender Geldauuinioii  für  die  Hebung  des  vSchulwesens  nnd  für  die  Errichtnngf 
nener  ünterrichtsaDstaiten  ihre  vollste  Aafmerksamkeit  geschenkt  haben. 

Franz  Tiöak. 


Theodor  Vernaleken. 

Im  letzten  Hefte  haben  wir  mitgetheilt,  dass  unser  gesehfltzter  Mitarbeiter 
Tlieodor  Vernaleken  am  2H.  Januar  in  Graz  seinen  80.  Geburtstag  gefeiert 
hat.  Wir  benutzen  diesen  Anlass,  einen  kurzen  Lebenslauf  des  wackeren 
Jnbilara  ▼orznlUhreQ. 

Yenialeken  wurde  am  28.  Janoar  1812  zn  Volkmarsen  in  WettfUen 
geboren.  Er  erhielt  seine  Schulbildung  in  Warbnri:  nnd  Paderborn,  worauf  er 
1830 — 1834  das  Lj'ceum  zu  Fulda  bpsnohte.  Anfangs  widmete  er  sich  dem 
Studium  der  Theologie  und  Philologie,  aber  bald  überkam  ihn  die  Wanderlust ; 
en  Mg  flin  nneh  d»  Sehwdz,  der  Heimat  Pestalozzi's.  Hier  gelang  es  ihm 
bald ,  mit  einigm  SchlUem  nnd  Mitarbeiten  des  großen  mdagogen  in  VerUn- 
dnng  zu  treten,  namentlich  mit  dem  Seminardirector  in  Küaenacht,  F.  Scherr 
(Bruder  Johannes  Scherrs),  Bei  diesem  lehrte  nnd  lernte  er  nnd  besuchte 
nebenbei  die  Vorlesungen  an  der  Hochschule  zu  Zürich.  1837  begann  er  seine 
praktische  Laufbahn  als  Lehrer  in  Wintcrthur.  Im  Jahre  1846  gründete  und 
leitete  er  die  „Schweinerbehen  Blfttter  fttr  Ensidiung  nnd  ünterrieht",  hielt 
öffentliche  literar-historische  Vorlesungen  und  entfaltete  schon  damals  eine  be- 
dentende  schriftstellerische  Thilti^keit.  Im  Jahr»»  1S48  schlug  \'eriialeken  tief- 
eingreifende  Reformen  auf  dem  (Tetai^te  des  Unterrichtes  vni-.  In  diese  Zeit 
fUllt  auch  sein  Briefwechsel  mit  dem  Ministerialrathe  Exner  in  Wien,  dessen 
Auflnerkaamkelt  et  durch  Übersendung  einiger  Schriften  auf  sich  gemgen 
hatte.  Der  österreichische  Unterrichtsminister  Graf  Leo  Thun  ernannte  Um 
im  Jahre  1850  zum  Professor  am  Polytechnikum  in  Wien  und  zog  ihn  sofort 
zu  den  Berathungen  heran,  welche  damals  bezüglich  der  Lehrpläne  für  die 
neu  zu  errichtenden  Realschulen  stattfanden.  Gleichzeitig  wurde  er  mit  der 
Ansubeitnng  von  Lesebficbeni  für  die  Volksachule  beauftragt,  welche  jedoch 
ihrer  liberalen  Tendenzen  wegen  Anito6  erregten.  Vemnlekens  Entwurf  ffir 
das  erste  Sprach-  nnd  Lesebuch  bezweckte  Bildung  des  Geistes  nnd  Herviens, 
Weckurig  der  Phantasie,  Anregung  und  Ausbildung  dos  Sprachgefühls  durch 
verständige  Aneignung  des  Inhalts,  Weckung  des  kindlichen  Gemüths  zui' 
€MtesAireht,  zur  Sitte  nnd  Vaterlandsliebe.  Leider  fand  dasselbe  nicht  die 
Genehmigung  der  Ssterrdchischen  BischSfe;  die  VemalekenBehen  Lesebfldier 
fflUSSten  auf  kirchliches  Verlangen  umgearbeitet  wwden.  Als  in  Wien  die 
ersten  selbststündif^en  Healschnlen  ins  Leben  gerufen  wurden,  kam  Vernaleken 
im  Jahre  iSf)!  als  Professor  dei-  deut.schen  Sprache  und  Literatur  an  die 
neugegründete  Ober -Realschule  am  Schottenfeld  mit  der  gleichzeitigen  Er^ 
nennung  zum  Mitgliede  der  Prttfbngscomraission  fSr  Realschulen;  damals  fiel 
auch  auf  Vernaleken  die  auszeichnende  W'ahl.  die  Erzherzogin  Henriette, 
die  nunmehrige  Königin  der  Belgier  nnd  Hntter  der  Kronprinzessin  -  Witwe 


Digitized  by  Google 


—  401  — 


Stephanie,  dritthalb  .Tahre  lang  in  Spraclie.  Literatur  und  Geschichte  zu  unter- 
richten. An  der  Realschule  arbeitete  \'ernaleken  rastlos  für  die  Verbesserung 
des  SpracbonteiTicht« ;  zu  diesem  Zwecke  arbeitete  er  sein  dreibändiges  Lite- 
ntarbneh  ans.  Das  Stodlma  der  Orammatik  balmte  er  nmt  mit  dem 
deutschen  Sprachbnche  an,  diesem  folgte  die  Formenlehre  der  dentechen  Sprache 
und  zuletzt  sein»'  frroße  zweibändige  Syntax,  ein  Werk  unermüdlichen  Sammel- 
eifers.  Um  einen  größeren  Kinfluss  auch  auf  die  Forderung  des  österreichischen 
VolksBcholwesens  zu  erlangen,  gründete  Veroaieken  im  Vereine  mit  dem  Schal- 
lathe  H.  A.  Becker  den  „österreldiiMheii  Sflindboten**.  VenalekMi  war  v$tA- 
loa  thtttig  für  die  Nengeetaltiuig  der  aeterreicbiMheii  Volkeschide.  Zu  AnAog 
der  Sechziger  Jahre  hielt  er  an  der  Schottenfelder  Realschule  fllr  die  Wiener 
Volkssehullehrer  Vorlesungen  über  S{»rarhe  und  Literatur  und  »-ab  damit  ge- 
wissermaßen ein  Vorepit  l  des  Wiener  Lehrer-rvdagogiuma.  Nach  dem  Jahre 
1866  schrieb  Vemaleken  eine  Aufsehen  erregende  Broschüre:  „Über  den  Volks- 
•chiilimterrieht'*,  vnd  half  mit  dieaer  den  Boden  für  das  teterrelehiiehe  Beldie- 
Volksschulgesetz  vom  14.  Kai  1869  vorbereiten.  Er  wurde  von  dem  liberalen 
ünterrichtsminister  v.  Hasner  an  die  alte,  von  Äfaria  Theresia  gegründete 
Lehrer-Präparandie  St.  Anna  berufen,  um  diese  im  Sinne  und  Geiste  des  neuen 
Schulgesetzes  umzugeslalteu.  Am  1.  März  1870  Ubernahm  Vernalekeu  die 
LeitoDg  der  Anstalt,  die  er  bis  zam  Jahre  1877  fahrte.  Bei  seiner  Pouio- 
nirnng  «riiielt  er  in  Anerkennung  seines  verdienstvollen  Wirkens  daa  Bitter- 
kreuz des  Franz- Josephs-Ordens,  Mit  Vernalekeu  schied  von  der  Wiener  Lehrer- 
Hildnngsanstalt  ein  Schulmann,  der  voll  flberzeugungstreue  und  Festigkeit  in 
seiner  Gesinnung,  strenge  gegen  sich,  gerecht  and  wolwolleud  gegen  andere 
war.  Die  Lehramtssöglinge  liebte  er  vvie  dn  Vater  eeine  Kinder;  er  be- 
traditete  ateh  als  ihr  ttlterer  Freund.  Viele  Gegner  machte  er  sich  idlerdinga 
dadurch,  dass  er  frei  and  ohne  Rückhalt  aussprach,  dass  der  bisherige  Reli- 
gionsunterricht einer  gründlichen  Reform  bedürfe.  In  den  letzten  .lalnen 
schrieb  Vemaleken  noch  zahlreiche  Aufsätze  pädagogischen  Inhalts  im  „l'a  da- 
goginm"  von  Dr.  Dütes  und  viele  kleine  Erzählaugen,  Scbwänke  und  Sagen 
im  „Heimgarten**  von  Boiegger.  Zu  erwfthnen  ist  noeh,  dass  Vemaleken  audi 
als  Germanist  sich  verdient  gemacht  hat.  Seine  Schriften  fanden  den  Reifall 
von  Jak.  (trimm,  L  liland  und  Pfeiffer.  Ebenso  hat  er  auf  dem  Gebiete  der 
Sagen-  und  Märchenforschung,  überhaupt  der  Volkspoesie  und  Sittengeschichte 
Ansehnliches  geleistet.  Seit  seinem  Rücktritte  vom  Amte  lebt  er  in  Graz. 
Möge  ihm  ein  heiterer  Lebensabend  beschieden  sein! 

Ans  der  Fachpresse. 
522.  Zur  Theorie  des  Lehrplans  (C,  Spielmann,  Neue  Bahnen  1891, 
Xll).  Ein  „System"  des  Lehrplans,  wie  es  längst  von  den  Zillerianem  — 
wenigstens  in  ähnlicher  Gestalt  —  ausgedacht  worden,  nur  dass  Hr.  Sp.  noch 
das  BchAie  Wort  „Normalität**  dalBr  erftmden  hat  Hr.  Sp.  spielt  flberbanpt 
gern  mit  Worten,  besonderB  auch  mit  Fiemdwr»rtem  („die  awingende  Enge 
des  alles  an  sich  ziehenden  —  centripetirenden  —  Gesinnungsnnterrichts"  — 
.,formal  bildend"  heißt  bei  ilim  zuweilen  „sittlich  bildend").  Den  Begriff 
„Umgang"  scheint  er  als  eine  von  ihm  aubgekramte  Neuigkeit  aasgeben  zu 
wollen;  denn  er  ftthlt  sieh  n  der  Mahnung  bewogen:  »Uan  beachte  beimLeMn 
meiner  Abhandlung  dies  oft  wiederkehrende  Wort*  —  wahrend  doch  „dieses 

Padafagioa.  U.  Jtktf,  Haft  VL  28 

Digitized  by  Google 


^   402  — 

Wort"  jedem  oberflächlichen  Kenner  der  Herbart  -  ZillerseluMi  l.t  lno  ß:('liliiH{^ 
Ist,  ,,Üie  Geschichte  mnss  unbedingt  ans  dem  Realien winkel  liervorgpholt, 
und  aaf  ihre  hohe  Bedeatung  mass  hingewiesen  werden"  —  als  ob  dies  nicht 
edion  Ungst  geschehen  wire,  und  swar  mit  wleher  Übertreibiuig,  daes  «ich 
ein  starker  Gegenstrom  entwickelt  hat  (von  den  Natarwissenschaften  her.  wie 
allgemein  bekannt!)  —  Am  Schlüsse  „planbt"  Verf.  „niclit",  dass  jemand  dio 
„Systeniatisirung  des  Lehrplans  frir  die  Volks-  und  Mittclschnle  tiir  eine 
wissenschaftliche  Sjuelerei  halten""  werde  —  wir  halten  sie  allerdings  dafiir, 
nnd  mit  ahinreiehoiiAeB  Grflnden*.  Zn  aUerlrtit  aber  steht  geeehriebcoi: 
„Wird  nor  das  dringende  BedttrftiiB  der  Systematisimng  der  Ficher  anerkannt 
und  auf  die<:c1be  von  allen  Seiten  hingewiesen  und  gewirkt,  dann  ist  mein 
gehnlichster  Wnnscli  erfüllt,"  Ja  —  wenn  ein  Lehrerherz  in  ?peren- 
wärtigen  Zeitliluflen  nichts  sehnlicher  zu  wünschen  brauchte  als  jenes  oder 
ähnliches:  dann  müssten  wir  mindestens  schon  im  Vorhofe  zum  pädagogischen 
Paradiese  dtaen! —  (Wdehe  Bewandtnis  es  mit  dem  römischen  „Sprftchwort* 
Mens  Sana  in  eorpon  saao  hat,  wolle  Hr.  Sp.  im  Bep.  d.  Pmd.  1889/90,  VII 
nachlesen.) 

.523.  Die  Ferien  nnd  die  kiiri>erliche  Entwicki-lnng  des  Kindes 
(0.  Janke,  Päd.  Zeitg.  1891,  33).  Hauptzweck  der  Ferien:  „\'ullständige 
Gompensation  der  hemmenden  EinflUsse  des  SehnUebens.**  ,,Sie  mttssen  so 
lange  dauern,  dass  ihr  Hauptzweck  in  möglichster  Vollkommenheit  erreicht 
werden  kann";  deshalb  einmal  im  Jahre  ..crroße"  Erholungsferien.  (Alle  nicht 
mit  Kücksicht  auf  das  Kind  angeordneten  Ferien  sind  auf  die  geringste  An- 
zahl Tage  zu  beschi'änken.^  Gleiche  Dauer  für  alle  Schulen.  Die  Erholungs- 
fiarien  sind  anf  die  Zelt  an  Terlegen,  wo  das  Waehsthnm  der  Kinder  am  ge- 
ringsten nnd  wo  Anümthalt  im  Freien,  Baden  n.  K.  BOgUcb  ist.  —  Hit  inter- 
essanten  i^Iittlioiliingen  Qber  die  Hesslingen  nndWSgnngen  in  schwedischen 
and  dänischen  Schnlfn. 

524.  Über  «h  ii  Bilderreichthum  der  deutschen  Sprache  und 
dessen  Verwendung  im  Unterricht  (J.Bacher,  Schweiz.  Lehrerztg.  1891, 
28.  29.)  «Die  Muttersprache  lernen,  heiBt  leben  und  erfohren."  —  Überall 
Anklänge  an  Hildebrand,  wie  denn  diesem  Meister  auch  ein  Tlieil  der  zahl- 
reichen BtMspielc  entlehnt  ist.  —  Solche  ,.Denkübnngen"  (im  Sinne  HildebiTiiidsl 
„die  man  zur  Feststellung  dei'  eigentlichen  ]?edentnng  der  Wörter,  oder  zur 
Klarlegung  des  Bedeutungswandels  anstellt,  sind  selir  dankbar"^  und  eignen 
sich  sowol  Ar  üntm>  wie  für  Oberldassen,  „iudmn  der  Lehrer  die  Schwierig- 
keiten stets  zu  steigern  vermag."  Hauptgewinn  Ar  die  Grammatik;  „denn 
man  kann  mit  Bezog  anf  diese  nie  genug  betonen,  dass  das  Formelle  der 
Sprache  stets  vom  Inhalt  getragen  werden  müsse**  (besondere  gfinstig:  Wort- 
paare wie  trinken  uud  tränken.) 

525.  Gedanken  fiber  den  Atlas  and  fiber  das  Kartenlesen 
(B.  Schmidt,  Prakt  Schalmann  1891,  I.  II).  Eine  gehaltvolle  Abhandlang, 
die  jeder  Lehrer  der  Erdkunde  mit  Genuss  lesen  wird.  —  Wir  skizziren  im 
Folgenden  die  Hanptiredanken:  Schwierigkeiten  beim  Gebrauch  der  Planigloben 
nnd  der  „Erdkarte  in  Mercatnrs  l'rojeetion"  —  f^bersichtskärtchen  nini  Ver- 
breitung der  Menschenrassen,  Pflanzen,  Industrien,  um  Bodencultur,  klima- 
tische Verhiltnisse  sa  veransehanUchen)  gehOren  nicht  in  den  Volksschalatlas 
—  getreaes  Bild  von  der  SteUimg  der  Erde  an  anderen  WeltkOipem  an  der 


Digitized  by  Google 


—  408  — 

Wand  des  Scholcorridors  —  Karte  der  Meeresströimm^en  (zugleii  li  fTberslcht 
der  Weltmeere)  nüthig;  Veranschaiüicliuug  des  Verhältnisses  zwischeu  Wasser 
ukI  Land  mittelst  graphischer  DanteUnng —  Schiffishrtsliiiieii  auf  den  Karten 
der  Erdtheile,  Eisenbahnlinie  nur  in  den  günstigsten  F&Ilen  (Vereinigte 
Staaten)  —  Wichtigkeit  des  Maßstabes  von  Länderkarten  (für  da«  Verständnis 
der  Rauniverhältnisse,  zum  Zwecke  der  Vorerleichung,  auch  mit  dem  ent- 
sprechenden Globus;  dazu  viele  gutgewählte  Beispiele  aus  der  Längen-  und 
Flflohenberedinnng:  Aufgaben,  deren  LSsiing  wol  meistens  der  Beehenstnnde 
[„Sachrechnen!*]  soanweisen  ist)  —  Wert  der  Profilseiehniugen  —  aneh 
HOhenangaben  in  Kilometern  -  -  gewisse  eng  begrenzte  Gebiete  als  typische  * 
Landschaften  besonders  ansfiilirlich  zu  behandeln  i  Beispiel:  Rhonegletscher- 
Landschaft) —  die  verschiedenen  im  Atlas  vorhandenen  Kartenbilder  desselben 
Landes  nacheinuder  betrachten,  mit  dem  im  Ideiusten  Maßstabe  gegebeneu 
beginnend  —  Änknfipfen  an  Meldungen  der  Tagesblfttter  (»leben  in  nnd  mit 
der  Gegenwart")  —  Tertranen  auf  die  Einbildungskraft  -  Hauptzweck  der 
Ansohauliclikeit:  von  jedem  Gebiete  auf  die  einfachste  Weise  in  Seele  des 
Lernenden  eine  Reliefkarte  zu  erzeugen. 

Ö26.  i.'ber  Lücken  im  botanischen  Unterricht  der  Volksschule 
(R.  Hobohm,  Deutsche  Blfttter  1891,  30).  Mangel  an  Anridftmng  Aber  solche 
Kiyptogamen,  die  für  das  praktische  Leben  hohe  Bedeutung  haben  nnd  vor- 
BÜglich  geeignet  sind,  das  pliysikalisclie  und  biologische  Verhalten  der  Pflanzen 
begreifen  zu  lehren.  —  Unterriclitshei8i)ie] :  Mehlthaupilz  auf  Gnrkenblättern. 
V  orgeschlagen  werden  femer  verschiedene  Algen  (in  Tümpeln.  Teichen,  Brunnen- 
trögen), die  sin  Bild  der  Heerespflansen  geben,  odw  die  Brdlmute  bilden 
heUlon,  PolirsohieiBr,  Zahnpulver  u.a.  liefern;  HutterlEom  (durch  dessen  Ein- 
sammeln sich  die  Kinder  Geld  verdienen  können),  Weizenrost,  Weinpilz,  Pinsel- 
schimmel. Kartofteljiil/.  Dagegen  beschränke  man  sich  bei  manchen  unwich- 
tigen ^Hlüuieiein  '  auf  die  Benennung  und  Hervorhebung  charakteristiselier 
Züge.  —  Das  Mikroskop  soll  uöthigenfalls  vom  Fleischbeschauer  entlehnt  wer- 
den. —  Gute  Führer  für  den  Lehrer:  Auerswald  (Botanische  ünterfaaltnngen); 
Rehrens  (Lehrbuch  der  allgemeinen  Botanik,  und  Leitfaden  der  botanischen 
Mil(roelu»pie.) 


Soeben  ist  bei  Jul.  Klinkhardt  in  Leipzig  und  Berlin  erschienen:  Der 
prenfUseheSehulgesetsentwurf  im  Lichte  der  deutschen  ünterrichtsgesetzgebnug. 
Im  Auftrage  des  gesoh&ftsfdhrenden  Ausschusses  dies  deutschen  Lehrervereins 

bearbeitet  von  J.  Tews.  (50  S.)  Eine  mit  vollkommener  Sachkenntnis  und 
großer  Sorgfalt  ausgearbeitete,  sehr  zeitgemäße  und  instructive  Sclirift|  welche 
wir  allen  Lehrern  nnd  Schuliuteressenten  bestens  empfehlen. 


Die  «Steiger-Stiftung*  in  Luxem,  die  al^flhrlich  an  Lehrer-,  Volks-  und 

.Tugendbibliotheken  Bücher  verschenkt,  hat  im  letzten  Jahre  an  Lehrerbiblio- 
theken des  Kantons  Luzem  die  „Schule  der  Pädagogik"  von  Dr.  Fried- 
rich Dittes  gratis  verabfolgt. 


Zum  bevorstehenden  ComeniusIlBste  oiferire  ich  ein  Comenius- Portrait 
6SX58  cm  im  feinsten  Chromo  mit  16  Farben  ausgeführt  zu  M.  2,50  mit 
PostverHodung  zu  IL  2,80.   Dasselbe  am  Blindrahmen  und  auf  I^inwaod 

28* 


Digitized  by  Google 


—  404  — 


aufffesi)aniit  in  antiken  Kähmen  mit  vergohioton  Friesen  eingesetzt  zu  S  IL 
Kiste  für  ein  !'.il(l  ÄF.  1,20.  für  jedes  weitere  um  M.  0,40  mehr.  Miüiatur- 
portrait  von  Comeniu«  in  der  Größe  von  Wj^XlS  cm  100  St.  za  6  IL  Das 
kleine  Portrait  eignet  dck  znm  Vertheileii  unter  die  Jugend.  Dieaes  Miniatnr- 

portrait  ist  in  jeder  Bnchhandlnng  zn  sdiOL    Sollt*  <las  große  Portrait  dem 

Gesdimar  ke  des  T^estellers  nielit  entsprechen,  sn  wird  da-SM-lbo  zurückpenommen. 
wenn  die  Ketournirunjf  franco  tctschieht.  \Wi  Bestellung  bitte  Bahnstation 
anzugeben.    V.  Neubert:  CiiromuüUiographische  Kunstanstalt  Prag-Smichow. 

Wie  wird  ein  Conversationslexikon  gemacht?  t^ber  den  gewal- 
tigen Organisrans.  welcher  bei  Herst ellnnq"  eines  solclien  Biesenbnchs  in  B<'- 
weguug  ist,  hat  man  vielfacli  keine  richtige  Vorstellung,  obwol  es  einleuchtet, 
dass  ein  Werk  wie  der  „Brocldiaus"  nicht  von  wenigen  Personen  geaduMieB 
nnd  g<^mckt  sein  kann.  Aber  wer  liKtte  geglaubt,  da»  allein  mit  der  Anf- 
ärbt itun^  und  Sedaction  der  nahezu  100000  Artikel,  in  wtEeben  die  14.  Auf- 
lauf das  W  i>sen  und  Können  der  Gegenwait  zn  umfassen  sucht,  an  vier- 
hundert (it  ielirte  und  Fachmänner  albr  Disciiilinen  beschUftigt  sind,  dass 
die  Herstellung  des  Werkes  außerdem  ein  technisches  und  buchbändlerisclies 
Personal  der  Firma  von  600  ESpfiBn  mehr  oder  weniger  regelm&Big  bean- 
epmcht,  also  insgesammt  eintausend  Personen  jahrelang  daran  thätig  sind! 

Trotz  der  sclilimmen  Folgen,  welche  der  lang  andauernde  Bnchdrucker- 
streik  auf  die  Herstcllnng  eines  derartigen  Werkes  haben  musste.  scheint  es 
der  Verlagshaudluug  und  Drackerei  zu  gelingen,  das  N'ersUumte  nachzuholen, 
da  sie  den  aweiten  Band  für  das  Jetaige  Frttl^abr  verspricht.  Derselbe  soll 
sich  wie  der  erste  Band  dnrch  eine  Fülle  von  trefflichen  Chromos,  Karten  nnd 
sonstigen  Abbildungen  nnd  dnreh  wichtige  und  reiclihaltige  Artikel,  welche 
von  neuen  (Tesiehtspunkten  aus  bearbeitet  sind,  auszeichnen.  Wie  lang  muss 
wol  der  Artikel  Berlin  werden,  wenn  Aachen  im  ersten  Bande  beinahe  vier 
Seiten  füllt?  Wie  wir  hören,  findet  das  monumentale  Werk  eine  so  gttnstige 
Anitaahme,  dass  dem  sehr  hodi  bemessenen  ersten  Dmok  sdhon  jetat  Nen- 
dmok  des  ersten  Bandes  gefolgt  ist.  Es  mÜ8.sen  Berge  von  Mannscripten  nnd 
Correetnren  die  Kedaction  und  die  Druckerei  passiren,  bis  auch  nur  die  tausend 
Seiten  und  AblUdun^en  eines  der  16  Bände  mit  einwandfreiem  Texte  iu  die 
Uand  des  Käufers  gelangen! 


Digitized  by  Google 


Recensionen. 

Kambly's  Elementar-Mathematik.  bearbeitet  von  Dr.  Hugo  Lang:g:nth. 
I.  Theil:  Arithmetik  und  Algebra.  32.  .Antl.  Für  Realschulen.  213  S. 
2  Hk.  —  für  Gymnasien.   1G8  S.   LH5  Mk.   Breslau  1890,  Hirt. 

Der  Bearbeiter  gesteht  im  Vorworte,  da.ss  die  Lehrbücher  Kanibly's  in 
Uiren  letÄteu  Autlagen  den  Furtschritten  der  Wissenschaft  nicht  mehr  gefolgt 
sind;  er  sah  sich  daher  genötbigt,  nicht  nur  auf  eine  Erweiterung  de«  Stoffes, 
sondern  auch  auf  wissensk-baftliche  Durchdringung  desselben  bedacht  zu  nehmen, 
und  in  der  That  ist  ihm  die  Herstellung  eines  recht  brauchbaren  Lehrbuches 
gelungen.  Den  ersten  Abschnitt,  welcher  von  den  vier  Rechnungsarten  in 
ahflolaten  Zahlen  handelt,  halten  wir  fBr  sehr  wertvoll  lum  Zwecke  einer  all- 
iiuihlielien  Einfilhrung:  des  SchiUers  in  dii  allgemeine  Arithmetik.  Wenn  iiiiiii 
sogleich  neben  den  huchstaben,  Coefücieuten  und  Exponenten  auch  noch  mit 
den  nepfatiTen  SSahlen  beginnt,  so  ist  daa  eine  so  groCe  Hftnftmg  nener  Begiifife. 
dass  eine  schwächere  Begahunij:  dardber  leicht  in  VerwiminEr  cren'itli.  Leider 
hat  sich  zwischen  den  Faragrapheu  sieben  und  elf  ein  Widerspruch  einge- 
sdilidieii,  denn  während  der  Paragraph  sieben  die  Sarnme  Ton  der  Beiheolb^Fe 
der  Addenden  für  imabhilnü^iir  erklärt ,  vorlanirt  der  Paragraph  elf  in  dieser 
Beziehung  uugercclitfcrtigter  Weise  ein  Vorgehen  von  ..links"  nach  „rechts." 
Paragraph  zwijlf  erfordert  eine  ganz  unniltze  Belastung  do8  GediehtniSBes. 
Nachdem  Paragraph  sieben  die  Vertauachbarkeit  der  Addenden  ausgesprochen 
hat,  ist  der  ganze  Parat?ra]di  zwiilf  nur  eine  beispielsweise  Ergänzung  von 
Paragraph  sieben.  —  Was  wcitcrs  die  UnterHeheidung  von  ..Messen"  und 
./Fheilen"  betrifft,  so  halten  wir  es  ganz  itiit  I'rofessor  Westermaun, 
welcher  die  Benennung  der  liechnunc:sergehnisse  einem  Urtheile  zuschreibt, 
das  vom  Recbnungsvorgange  vollkommen  unabhängig  dasteht. 

Der  zweite  Abschnitt  führt  die  algeliraisehen  Zahlen,  zugleich  auch  das 
Rechnen  mit  Null  und  Unendlich  ein.  liiis  Rechnen  mit  diesen  beiden  Nicht- 
nhlen  bereitet  den  SchUlcm  jederzeit  große  Schwierigkeiten,  in  der  That 
kamt  man  Ja  mit  denselben  auch  gar  nicht  rechnen,  denn  die  Mehrzahl  der 
Beenltate  wird  nnb^immt;  es  braucht  daher  der  Schiller  nur  diese  Formen 
ak  Ausdrücke  der  mathematisehcn  Unbestimmth«  it  —  und  dazu  noch  viel 
q|Ater  bei  mehrexer  Festigung  seines  Wissens  kennen  zu  lernen.  Der  Verfasser 
bedarf  Jedooh  des  Redmem  mit  der  Null  cor  Begrttndnng  der  Vonseiebenregel 
der  Äfultifdication,  wozu  sie  jedo(  h  nicht  nöthig  ist;  wir  bedienen  uns  hierfür 
einer  Anzahl  negativer  Einheiten  in  Reihen  und  Spalten  geordnet  ähnlich  wie 
die  poflitive  BinerCdU  anf  Seite  17  tnr  Begrttndniig  'des  Satses  ton  der  Ver- 
tausehbiirkeit  der  Faetoren  gebraucht  wird.  Die  Verwertung  aoleber  positiTer 
und  negativer  Einertafcln  (Vüc  die  Entwickelung  der  elementaren  LdifsKtie 
kann  nralit  genug  empfoUen  werden,  denn  sie  dienen  cor  Begründung  eines 
analyti-schen  UrtheiLs,  welches  in  der  Mathematik  stets  von  einer  Tiel  erfreu- 
licheren Klarheit  begleitet  ist,  als  synthetische  I  rtheile. 

Der  dritte  Absohnitt  befasst  sich  mit  der  .Anwendung  der  vier  Grund- 
rechnungsarten der  allgemeinen  Arithmetik   auf  dii'   liesoudere  .Arithmetik, 
worunter  besonders  das  vierte  Uapitei  von  den  Proportiuueu  den  bürgerlichen 
^Bedunngsartea  wisieDSchaftUeb«  Qmndlage  Terieiht  luid  in  dieser  Biektnng 


DIgitized  by  Google 


—  406  — 


besoudere  Beachtung  von  jeueu  verdicut,  welche  sich  mit  diesen  Rechnungs- 
arten des  Mchrcreu  bcfusscn.  Der  vierte  Abschnitt  luuidflit  von  Rcchuungä- 
arten  der  dritten  Stufe  und  hat  in  jeder  Beziehung  unseren  vollsten  Beifall 
gefunden.  Kinzig  der  Paragraph  06  ließe  sich  vielleicht  noch  anschaulicher 
gestalten,  wenn  man  von  der  Gleichung  ausginge  u  =  b^  =  c7  woraus  sich 
des  Weiteren  ergibt,  dass  >>log  n  =  z  =  j.  ^log  e  sein  uiuss.  Der  fünfte 
Abschnitt  lehrt  die  Auflösung  der  Bcstironiungsglcichungcn  bis  m  den  quadra- 
tischen mit  mehreren  rnbekannteu;  es  werden  die  vi  rsi  liiedeneu  Methoden, 
welche  zur  Aullösung  von  Gleichungen  gebräuchlich  sind,  an  einer  Ansah! 
TOD  Beispielen  erlilvtert,  den  Determinanten  wird  dabei  ein  attgemesBener 
Banm  zugewiesen.  Recht  zweikmiißig  finden  wir  uuch  die  ühersichtlichc 
Zusammenfassung  der  bürgerlichen  Eechnungsartcu  unter  verallgemeinernde 
Formeln.  Der  sechste  und  siebente  Abschnitt  machen  mit  den  Progressioneii, 
Kettcnbrni  1h  n.  der  ( 'iiiiiMnati(»n>^lcbre  und  \Vahr>rhcinIiclil\eit.srechnun£!:  bekannt, 
und  damit  schließt  auch  die  tür  Gymnasien  bestimmte  Ausgabe.  —  Der  Aus- 
gabe für  die  Realschulen  sind  noch  drei  weitere  Absehnittc  beigegeben,  wddie 
von  den  iirithraelijii'hen  Reihen  lif»herer  ördnunsr,  den  (Meicliungcn  dritten  und 
vierten  Graden,  un<l  den  uuendlulien  Kiihtn  haudelu.  Daraus  verdicut,  als 
mit  besonderer  Sorgfalt  und  FaKsIicbkeit  dargdegt,  das  Kennaeidieii  fOr  die 
Convergenz  unendlicher  Reihen  horyorgehohen  zu  werden. 

Da  dem  vorliegenden  Lehrtexte  L  bungsaut'gaben  nicht  beigegeben  sind,  so 
hat  die  Verlagshandlung  ilerru  Oberlehrer  Wimnienauer  in  Hoera  Teranlasst, 
eine  dem  vorliegenden  Lehrhuche  angeiiasste  Aulgnbeniiammlung  zu  veröffent- 
lichen. Wenn  wir  uns  erhiubt  haben,  im  Vorstehenden  Vorsehlage  zur  Ver- 
besserung zu  machen,  so  geschah  das  in  der  Wolmeinung,  dass  diesem  Lehr- 
hnche  wenig  fehle,  um  zu  den  allerbesten  gezählt  werden  zu  können,  und  wir 
wollen  es  noch  einmal  aussprechen,  dass  die  Umarbeitung  durch  Dr.  Langguth 
eine  so  T(dlkomnien  gelungene  i>t,  dass  sie  dem  Lehrhuche  Kambly's  den  vor 
Deoennien  besessenen,  spftter  aber  wieder  verlorenen  Buf,  das  beste  Lehrbuch 
zu  sein,  wieder  cnrBck  zu  erobern  wol  geeignet  ist.  Badlieih  Imt  aneh  ^ 
Vcrlairshandlung  sowol  mit  Rücksicht  auf  die  Ausstattung  ab  auch  in  Resug 
auf  Billigkeit  das  Thunlicliste  gelei.stet,  H.  E. 

Dr.  M.  Focke  und  Dr.  M.  Krass  Lehrbuch  der  allgemeinen  Arithmetik 
and  Algebra  nebst  Aafgabeusammlung  fdr  höhere  Lehranstalten.  5.  Aufl. 
227  S.  HUnster  1890,  Coppeiurath.  2,50  Hk. 

I>ie  Auflage  wird  eine  verhcssertt  und  vermehrte  genannt  und  in  der  Tluit 
finden  wir  au  diesem  Lehrhuche  nichts  auszusetzen.  Wenn  sich  auch  manches 
anders,  vielleicht  einfacher  fassen  lieBc,  so  müssen  mr  das  Vorliegende  doeh 
als  ein  Lehrbuch  bezeichnen,  mit  welchen  wir  leicht  auszukommen  vermöchten. 
Die  Stoff  Vertiefung  geht  liiurcichend  weit;  außer  den  sieben  Rechnungsarten 
werden  die  Gleicbnnirfn  bis  zu  jenen  dritten  Grades  uml  den  (liophautischen 
abgehandelt;  dein  ii  uo«  h  rrot^re^-inm  ii.  < 'onibiiiatinnslehre.  Wuhrselieinlirhkeits- 
rechnung,  liinomischer  Lehrsatz  und  Ketteubrüche  folgen.  Den  einzigen  Wunsch 
Kukhten  wir  aussprechen,  es  nOgt  das  Auftnehen  des  grOtten  gemeinsamen 
Maßes  in  etwas  einfai  hercr  Form  vorgenommen  werden. 

Die  dem  Lehrtexte  beigegebene  .\ufgabensammlung  nimmt  nahezu  die  Hälfte 
des  Buches  ein,  ist  demnach  eine  reichhaltige  zu  nennen,  welche  in  den  letzten 
Auflagen  durch  Einscbaltnng  neuer  Aufgaben  noch  vermehrt  wurde;  dabei 
blieb  die  alte  Numerirung  aufrecht  und  wurde  die  Erweiterung  durch  beson- 
dere Niuiiei iruug  kenntlich  gemacht.  Die  Verfasser  bemerken  zu  dieser  .\uf- 
gabeusammlung,  dass  sie  wesentlich  bestimmt  sei,  dem  Schttler  die  Einttbung 
des  LebrstoiFes  in  ermöglichen,  und  dass  daher  der  Stil  dieser  Aufgaben  ein 
oinfiu.-hert;r  sei,  als  etwa  bei  Heis  oder  15arday.  I>ir-.  s  L' lul  iich  i  rschiinl 
der  Yollen  Bmehtung  der  Fauhgenossen  und  der  bcsiuu  Empfehlung  fUi  Weiter- 
▼erbreitung  wert.  H.  E. 

Chr.  Harms,  Prof.  in  Oldenburg  and  Dr.  Alb.  KalUw,  IM  in  Berlin. 

Rechenbuch  für  Gymnasien,  Realschulen,  Seminare  n.  8.  W.    15.  Auflage. 

204  8.  Oldenburg  1890,  Gerhard  StaUing.  2,25  Mk. 


DIgitized  by  Google 


—   407  — 


Die  vorlif'gf'n<k'  Aiifjraltcnsamiiiliinir.  welche  sich  so  ziemlich  üIk  i  das  rrv- 
sainnito  (Jebiot  der  liosoudercn  Arilhiiu-tik  erstreckt,  war  schOB  in  ihreu  crstca 
Aufhißt  u  als  riiK  sehr  rciohhaltififc  zu  bezeichnen.  In  den  spStemu  Aoflagen 
hat  das  Werk  die  Vcrbtisscrung:  rrt'ahrcn,  dass  das  alte  Maß-  \n\(\  Gowichts- 
system  ausgeschieden  und  vollständig  durch  das  neue  ersetzt  wurde.  Damit 
im  Zusammenhange  wiinh  ii  die  Aufgaben  Uber  die  DecimAlbrilchc  von  den 
Aufgalten  über  die  p:em<  iiii  n  Uriiche  unahhänjfiipr  eomacht,  obwol  ihre  Stolle  int 
Buche  belassen  wurde,  und  die  DccimiUbrüche  den  gemeinen  Brüchen  erst  uai  h- 
fulgen.  Somit  künnen  wir  nur  constatiien,  daM  das  Buch,  so  weit  es  unbe- 
dingt nothwendig  ist,  Verbesserungen  erfahren  hat  und  dies  genügt  wol ,  da 
sich  diese  Sammlung  wie  die  zahlrcirlu  ii  Auflagen  beweisen,  einer  starken  Ver- 
Itreitung  erfreut.  H.  E. 

Kich.  Kliabt',  I^ectnf  in  Magdeburg.  ewerbliclies  Kcchenbucli  nebst 
Buchtühning  für  Handwerker-  und  Fortbildungsschulen.  82  S.  Halle  a.  S. 
181K),  Mühlmanii.   50  Pf. 

Die  Aufgaben  dieser  Saramlnng  tieginnen  mit  solchen,  welche  einer  Wieder- 
holung des  Rechnens  mit  ganzen  Zahlen  dienen.  Es  folgen  sodann  Aufgaben 
über  da»  Kecbnen  mit  gemeinen  und  Decimalbrfichen,  mit  inchrlach  benannten 
Zahlen  und  Uber  die  bürgerlichen  Kcchnung.>arten.  DenSchlusg  madien  einige 
Bemerkungen  über  Wechsel,  Kostenttberschlägc  und  Buchführung;  sogar  der 
Um.«ächlag  ist  noch  zweckmäßig  Tcrwcrtet  zum  Abdruck  des  großen  Einnmleins. 
Die  Aufgaben  sind  hauptsächlich  aus  de-s  Verf.  Lehrthätigkeit  herausgewachsen 
und  sind  dem  Bedürfnisse  der  Gewerbeschulen  sehr  gut  angepasst,  bei  denen 
CS  Erfordernis  ist,  die  formalen  Übungen  mit  den  sachlichen  Beziehungen  des 
Verkehrslebens  auf  das  inniirste  zu  verknüpfen.  Da  außerdem  die  Sammlung 
sehr  reichhaltig  ist,  so  verdient  sie  gewiss  für  die  genannte  Stufe  beste  £m- 
ptchlung.  H.  8. 

U.  B.  Libsen,  AatAhrliches  Lehrbuch  der  Elementar-Geometrie.  Ebene 

uud  körperliche  Geometrie  zum  Selbstunterricht  mit  Rücksicht  auf 

die  Zwecke  des  praktischen  Lebens.  27.  Aufl.  193  Fig.  im  Text.  1 78  S.  H  Mk. 
—  Ausführliches  Lehrbucli  der  ebenen  und  sidiürischen  Trigonometrie  zum 

Selbstunterricht  mit  KUckbiclit  uui  die  Zwecke  des  praktischen  Lebens. 

15.  Aufl.   58  lig.  im  Text    115  S.   2,40  Hk.   Beide  beaiMtet  Ton 

Riehard  Sdlirig.  Leipzig,  Brandstetter. 

Lübsens  mathematische  Lehrbücher  erfreuen  sich  schon  >eit  langem  großer 
Beliebtheit,  und  diese  ist  eine  wolerworbeue  zu  nennen,  da  der  Verfiusser  bei 
der  Anordnung  des  Xidintoffes  vor  aUem  darauf  Bedacht  genommen  hat,  die 
Auffassiing  desselben  für  den  Schiller  zu  erleichtern;  nicht  minder  zielt  die 
Darlegung  uud  Vortragsweise  vornehmlich  auf  Klarheit  und  leichte  Fasslich- 
keit.  Nach  don  Tode  des  Verfassers  wurde  Richard  Schurig  mit  der  Bear- 
beitung der  neuen  Auflagen  betraut,  welcher  fortgesetzt  bemüht  ist,  die  dem 
Buche  eigentbümliche  Euklidische  Behandlung  in  eine  solche  von  verbesser- 
ter und  modernerer  Form  hinüber  zuleiten.  Allerdings  betont  schon  der  erste 
Verfasser  die  Noth wendigkeit  der  Anschaulicbkcit  der  Beweisführung,  aber  zur 
Zeit  der  ersten  Verrtffentlichung  seines  Werkes  war  von  Symmetrie  und  Sym- 
metrieachse in  den  L(^hrbüchcm  noch  wenig  die  Rede,  und  so  entbehrt  auch 
noch  die  gegenwärtige  Auflage  dieses  aUerdings  ganz  vorziu;lichen  Anschau- 
ungsmittels. Nicht  minder  ist  es  ein  bekannter  Mangel  der  Katdfdisehen  Geo- 

nietrir.  ihre  Lehrsätze  nicht  WMdl  Prineipien  geordnet  zn  liabeii.  und  so  hat 
denn  auch  im  VorUegenden  die  moderne  Sondcrung  der  Lehren  nach  L'ougrueu2, 
Ähnlichkeit  und  FlichenTersdüebnng  wenig  BerOcksichtigung  gefunden,  ganx 
sn  geschweige!!  Ton  Theilreiliftltnia,  harmonischer  l'heilung  und  allem,  was 
cor  sogenannten  modernen  s^thetisdien  Geometrie  gehört. 

Auen  die  ..körperliche  Geometrie"  bleibt  ra  den  ilir  yon  Euklid 
gezogfenen  (Jrenzen.  woran  übrigens  nmsomchr  fföitzuhalten  war,  da  ja  eine 
entsdiiedene  ^'erbej^serung  iu  muderuer  Hiuhtung  in  diesem  Theilc  noch  nicht 
bekannt  geworden  ist.  Der  Stereometrie  iblgt  noeh  die  Anwendung  der  Algebra 


Digitized  by  Google 


-  408  — 


auf  die  ficoincrrii'.  witrin  wir  eine  sonst  wenig  bekannte  von  Gau ß  herrtllirende 
oykliscbe  Fornul  liir  die  Berechnung  der  FlächeiiiilllBlte  amregdmlBiger  Poly- 
gone gefunden  hüben.  Ih  n  Srhlu.ss  des  Buches  nuudit  ein  AollMlg  TOO  siebsohtt 
Seiten  ütier  .,praktiö<  he  (ieouiutrie" . 

Noch  mehr  als  im  Vorhergclienden  findet  sieh  in  der  Trigonometrie  die 
StofFvtrtheilung  mit  Rüeksicht  auf  das  leichte  Erfassen  von  Seite  des  Schülers 
vorgcnonuiieu.  Es  wird  mit  einer  Einleitung  begonnen,  welche  dem  Schüler 
/w<rk  und  Bedeutung  dicse-s  Theiles  der  Mathematik  klar  macht.  Im  ersten 
Buche  werden  die  trigonometrischen  Functionen  am  rechtwinkligen  Dreiecke 
und  im  ersten  Quadranten  erkliirt,  es  folgt  sodann  auf  sieben  Seiten  die  Be- 
lehrung über  die  Einric  htung  d(  r  trigonometrischen  Tafeln  von  Bruhns,  an 
welche  man  sich  nicht  hätte  binden  bollen«  weil  man  gegenwärtig  das  Arbeiten 
mit  tnebensteltii^en  Tafeln  in  der  Schule  ftr  SSeitTerm^wendung  Ult,  da  anrh 
eni<tr  [Icchiicr  mit  fünf  Stellen  völligt  >  Au-lantrcn  linden.  Naeb  der  Auf- 
lösung des  rechtwinkligen  Dreiecke«  folgt  jene  des  gleichschenkligen,  womit 
man  sogleich  sum  Be^ff  des  Sinns  eines  stumpfen  Winkels  geungt.  Da« 
vierte  Bneh  be^chiiftiirt  .-^ich  mit  der  Auflösung  schiefwinkliger  Dreiecke, 
dabei  führt  der  C'osinussatz  auch  zum  Cosinus  des  stumpfen  Winkels.  —  Dcnr 
sogenannte  TangentensatB  swiechen  swei  Seiten  und  ihren  Gegenwinkeln 
wird  svnthi  ti'icli  dareelcgt.  Es  hat  uns  aber  seit  Je  geschienen.  (las<  ein  syn- 
thetisch begründeter  Satz  minder  leicht  fasalich  sei,  ab  ein  analytisch  begrün- 
deter; aus  diener  Ursache  haben  wir  es  aueh  inuner  im  rnterrichte  vorgezogen, 
die  Goniometrie  der  Dreiccksaufliisunc:  vorauszusenden.  E>  mag  wol  sein,  dass 
diese  Auffajs.sun£!:  nur  von  der  individutilen  Begabung  abhängt. 

Es  folgen  nun  einige  Aufgaben  mit  Unterstellung  sachlichen  Textes  zur 
Lösung  st  biefwinkliirer  r)re!ccke.  sodann  die  Goniometrie,  die  Functionen  über- 
>tunii)fer  \\  inkel  uud  die  Anwendung  der  Goniometrie  zur  Gewinauntj  der 
MulUeid  sc  heu  Formeln  und  nur  I4taung  trigoBometiiaeher  und  goiuome- 
Irischer  Gleiehitngen. 

Im  zweiten  Theile  wird  der  umgekehrte  Weg  eingeschlagen;  es  wird  mit 
Lösung  des  Hchiefwinkeligen  Dreieckes  begonnen,  und  dessen  Formeln  werden 
sodann  für  das  rechtwinkelige  specificirt,  wobei  allerdings  nicht  eine  große 
Weitläufigkeit  zn  vermeiden  ist.  Wir  haben  mit  der  vorstehenden  Inhalts- 
augabc wesentlich  andeuten  wollen,  wie  sehr  dir  Wrfa.-ser  Itei  seiner  Stoli- 
vertheilung  darauf  bedacht  war,  die  Anordnung  nach  dem  Grundsatze  des  Fort- 
schreitens yom  Leichteren  snm  Schwereren  sv  treffen;  dass  eine  soldie  Anord- 
nung nicht  ohne  Beeinträchtigung  der  alleemeinen  rbersichtlichkeit  niiiglidi 
ist,  muss  angegeben  werden.  Und  wenn  wir  derselben  auch  nicht  zustimmen 
wollten,  so  hat  doch  das  sllgemeine  Urtheil  gegen  uns  entschieden,  nnd  es 
seheint,  dass  "^ich  anch  bei  dieser  StofFvertheilung  die  allgemeine  l  bersicht 
wenigstens  nachträglich  einstellt.  Unsere  Neigung  ist  überhaupt  nur  streng 
systematischen  Lehrofllchem  zngewendet,  iaa  vorstehende  kflnmgt  sieh  aber 
schon  in  seiner  Vorrede  ah  ein  solches  an,  welches  das  Hauptgew irhf  auf  dif 
Methodik,  (las  heißt  auf  leichtes  Erlemen,  legt,  dann  aber  müssen  wir  bekennen, 
dms  diese  Absicht  auf  das  vollkommenste  erreicht  ist.  Der  Yortrag  iMit  «a 
Klarheit  und  Fasslichkeit  nichts  zu  wünschen.  Er  wii'l  von  zahlreichen  gnt 
ausgeführten  Figuren  unterstützt,  und  du  die  Veiiagshandlung  mit  grOBter 
Sorgfalt  für  di«  Hiebt igkeit  des  schwierigen  Ziffcnisatees  gesorgt  hat,  so  ver- 
dient sie  dafür,  wie  für  schöne  Ausstattnncr  überhaupt  nml  lullitri-n  Preis  den 
besten  Erfolg,  der  bei  der  dauernden  Beliebtheit  dieses  Buches  wul  auch  mcht 
anahletbea  wird.  H.  B. 


VamrtwvfflL  tMMm  Dr.  Priadriek  DHt*«.  BaoMiwktnl  Jalla«  Kllakkavdl^  Mfaif. 


Digltized  by  Google 


Die  Mdale  Frage  nid  die  Sekile. 


Von  Fnt  Dr.  tT.  Fr^^ehammer-MUtukm, 

JEine  brennende  Frage,  ein  großes  Problem,  ein  vielbehandeltes 
Thema  der  Gegenwart  ist  es,  dem  wir  die  folgende  knrze  Unter- 
suchung widmen;  und  zwar  vom  Standpunkt  der  Philosopliie  als  Ideal- 
wissenschaft aus,  d.  h.  jener  Philosophie,  welche  es  mit  den  Ideen  der 
Vollkommenheit  des  Seins  und  Geschehens  zu  tliun  hat,  die  also  sich  so 
bt'zeiclinet  ihres  Inhalts  wegen.  Demnach  nicht  vom  Standpunkte  der 
Idealwissenschaft  im  Sinne  der  (Jonstruction  a  priori  oder  der  Er- 
kenntnis durch  das  bloße  Denken  selbst,  wie  es  der  sogenannte  transscen- 
dentale  Idealismas  versucht,  der  von  Kant  ausging  und  seinen  Namen 
nicht  vom  Inhalt,  sondern  von  der  Erkenntnisweise  erhalten  hat. 
Es  ist  dabei  selhstverstfindlich,  dass  diese  Philosophie  die  sodale 
Frage  nidit  zn  lOsen  versndien  kann  durch  irgend  eine  Art  der  Ver- 
besserong  der  materiellen  Lage  der  niederen  arbeitenden  Olassen,  wie 
(Iis  aach  die  Schnle  nicht  vermag,  sondem  nnr  dorch  den  Staat  und 
die  Gesellschaft  selbst  geschehen  kann  nnter  Ldtnng  der  wissenschaft- 
lichen Nationalökonomie,  derBechts:  nnd  Societätswissenschaft  Für  die 
Philosophie  und  die  Schnle  kann  es  sich  nnr  darum  handeln,  ob  durch 
geistige  Mittel  zur  LOsung  dieser  Frage  etwas  beigetragen  werden 
kann,  und  wenn  dies  der  Fall  ist,  durch  welche  Mittel  und  auf 
welche  Weise  es  zu  geschehen  vermag.  Sidier  ist  ja,  dass  dem 
Schlechten,  dem  von  Leidenschaften  blind  Beherrschten,  dem  Trflgen, 
Unwissenden  und  Unverstfindigen  durch  atte  matoieUe  Unterstfltzung 
nicht  geholfen  und  keine  ZniMedenheit  mit  seiner  Lebenslage  bei- 
gebradit  werden  kann,  sondern  dass  zugleich  dessen  Bildung  und  Er- 
ziehung zu  höherer,  edlerer  Lebensauffassung  mitwirken  muss. 

Wenn  aber  von  geistigen  Alitteln  die  Bede  ist  zur  Lösung  oder 
Beschwii^litigung  der  socialen  Frage,  dann  treten,  wie  bekannt,  so- 
gleich die  Häupter  und  Diener  der  Kirche  nnd  deren  Theologen  her- 

Padagogiiia,  14.  Jtkrg.  H«ft  VJI.  29 


Digitized  by  Google 


—  410  — 


vor,  hehrtuptend,  dass  sie  es  seien,  nicht  die  Philosophie  und  die 
Schule,  welche  mit  geistigen  oder  vielmehr  geistlichen  Mitteln  dieses 
Problem  zu  lösen  und  die  Gesellschaft  zu  retten  haben  vor  der 
großen  Gefahr,  die  ihr  droht,  und  dass  sie  allein,  resp,  die  Religion 
oder  vielmehr  der  sofr.  positive  oder  kirchliche  Glaube  dies  vermögen, 
wenn  ilinen  nur  die  nöthif^c  Freiheit  resp.  Machtentfaltung  gewälirt 
oder  gestattet  werde.  Wir  stellen  nicht  in  Abrede,  dass  die  Religion 
in  der  socialen  Frage  und  deren  Lösung  eine  große  Bedeutung  habe 
und  eine  wichtige  Rolle  spielen  soll,  —  haben  wir  doch  selbst  ander- 
wärt« die  Religion  als  ein  sociales  Gut  von  luH-lister  Wichtigkeit  be- 
zeichnet und  geltend  gemarlit  aber  die  sog.  positive  oder  kirchlich- 
dogmatische  Religion,  wie  sie  sich  allmählich  gestaltet  hat,  wird 
unseres  Erachtens  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  wenig  oder 
nichts  zu  leisten  vermögen.  Hat  doch  diese  positive  kirchliche  Reli- 
gion nicht  zu  verhindern  gewosst,  dass  die  Zustände  in  der  Gesell- 
schaft allm&hlicli  seit  mehr  ak  ef&em  Jahriumdert  sieh  gehildet  haben, 
wie  sie  gegenwärtig  sind.  Insbesondere  hat  z.B.  die  päpstlich^katho- 
lische  Kirche,  die  sich  so  unanfhOilich  als  einzige  wahre  Betterin  der 
QeseLlschaft  preist  und  vordrängt,  die  grofie  Bevolntion  mit  ihrer  ver- 
nichtenden gransamen  Wirksamkeit  nicht  verhindern  können  in  ihrar 
aUmähUchen  Vorberdtong  nnd  ihrem  endlichen  gewaltsamen  AuslHraclt 
Und  doch  hatte  sie  in  Frankreich  im  17.  nnd  18.  Jahrhundert  unbe- 
dingte Herrschaft,  und  aoeh  die  Oeneration,  welche  zur  Zeit  der  Be- 
volntion lebte  und  wirkte,  war  nnter  der  Herrschaft  der  Jesuiten  ge- 
bildet und  erzogen  worden!  Und  anch  im  19.  Jahrhundert  fehlte  es  ihr 
wahrlich  an  privUegirter  Stellung,  an  Macht  nnd  Einflnss  nicht,  und 
doch  konnte  sie  nicht  verhindern,  dass  der  Sodalismus  auch  in  katho- 
lischen Staaten  sich  bildete  und  grofi  wurde;  {konnte  die  Völker  mit 
ihren  gewohnten  Mittehi  nicht  mehr  beherrschen  und  lenken  —  wie 
dies  sogar  im  Kirchenstaate  sich  am  auffallendsten  zeigte,  wo  es  der 
pl^istlichen  Kirche  docli  sicher  nicht  an  Macht  und  an  Freiheit  fehlte, 
die  so  sehr  von  den  weltlichen  Regierungen  verlangt  wird,  als  unfehl- 
bares Mittel  öesellscliaft  uiul  Staat  von  dem  Übel  der  socialistischen 
Bestrebungen  zu  befreien.  Dies  lässt  wenig  Hoffnung  hegen,  dass  in 
der  Zukunft  die  kirchliciie  WirJcsamkeit  erfolgreich  sein  würde  gegen 
die  Socialdemokratie,  auch  wenn  ihr  alle  geforderte  Freiheit  gewährt 
ist.  Sie  wftrde  voraussichtlich  ihrem  absoluten  Standpunkt  und  ihren 


*)  S.  d.  Werk:  Über  die  Organimtion  und  Oultiir  der  nenscbUcheu  Oesell- 
•ehaft.  Mttaohen  1886.  8.  306—249. 


Digitized  by  Google 


—   411  — 


liartnäckig  festgehaltenen  Grundsätzen  gemäß  den  modernen  Geistes» 
bedfirfnissen  und  Forderungen  nicht  das  mindeste  Zugeständnis  maclien, 
sondern  nach  altüblicher  Weise  verfahrend,  die  Wissenschaft  und  die 
Bildung  des  Volkes  möglichst  zu  hemmen  und  herabzudriicken, 
die  Prüfung  iiirer  Lehreu  und  Institutionen  zu  hindern  suchen,  un» 
durch  Urtheilslosigkeit  der  Massen  den  Glauben  sicher  zu  stellen. 
Ihre  Glaubenssätze  und  sonstige  Satzungen  miisste  sie  daher  wieder 
dtti'ch  Glaubenszwang  und  physische  Gewaltmittel  aiitdringen  und  zu 
erhalten  streben,  wie  es  ehemals  gescliah  und  noch  gescliieht,  wo  sich 
Möglichkeit  dazu  bietet.  Nächstenliebe  und  Humanität  müssten  wie- 
der schweigen  gegeniilier  der  sog.  (ilaubensptlicht,  und  die  Wahrheit 
wäre  nicht  mehr  für  die  Vernunft  da,  sondern  nur  für  den  blinden 
Willen,  der  sich  ihr  nur  äußerlich  unterwerfen,  nicht  aber  sie  inner- 
lich annehmen  könnte.  Der  Glaube  müsste  wieder  Liebe  und  Mensch- 
lichkeit gegen  die  Mitmenschen  ertiidten,  selbst  aber  nur  als  auf- 
gelegtes Joch  getragen  werden.  Käme  man  nun  mit  all  diesem  wieder 
der  modei'uen  Cultus-Gesellschaft,  so  müsste  man  auch  sogleich  wieder 
die  [»hysische  Gewalt  des  Staates  zur  Verfügung  haben.  Die  alte  gute 
Zeit  mit  iiner  Gewaltthätigkeit  und  Verfolgung  würde  dann  wieder- 
kehren, um  zuerst  den  rechten  Glauben  oder  vielmehr  Glaubensgehor- 
sam gegen  die  Kirchenautorität  zu  erzwingen  und  dann  erst  infolge 
davon  die  modernen  socialistischen  Bestrebungen  zn  verhindern  und 
zn  vernichten.  Es  mnss  dann  ein  kirchliehes  Ver&hren  eintreten, 
▼ie  etwa  sor  Zeit  der  Gegenreformation,  wo  mit  Wort  und  Schwert 
bekehrt  wurde  —  durch  Kirche  und  Staat  Kann  aber  die  Kuvhe 
mit  ihren  Mitteln  doch  Gewaltthfttiigkeit  und  Zwang  nicht  ersparen, 
um  ihre  vor  der  modernen  Wissensdiaft  und  Civilisation  nicht  mehr 
haltbaren  Dogmen  und  Satzungen  geltend  zu  machen,  so  ist  es  ge- 
rathener  für  den  Staat,  lieber  gleich  die  Sache  in  die  Hand  zn  neh- 
men, sowol  um  seine  Antoritftt  der  Kirchenherrschaft  gegenüber  zu 
wahren  und  nicht  als  deren  Werkzeug  zn  erscheinen,  als  auch  im 
Interesse  der  Religion  selbst,  um  diese  nicht  zum  Oegenstand  des 
Hasses  und  der  Verachtung  zu  machen  dadurch,  dass  in  ihrem 
Namen  Gewalt,  Zwang  und  Verfolgung  geflbt  wird. 

Die  Beligion  ist  also  zwar  ein  sehr  wichtiges  Moment  bei  der 
Losung  der  socialen  Frage,  aber  sie  mnss  erst  selbst  humanisirt  wer- 
den, d.  h.  aufhören  als  Gegenstand  wilder  Streitigkeiten  und  fana- 
tischer Verhetzung  der  Menschen  und  der  Völker  gegeneinander  miss- 
braucht  zu  werden.  Sie  wird  dadurch  zugleich  wirklich  christlich, 
da  doch  die  Beligion  Jesu  als  solche  angekündigt  worden  ist,  die  den 

29* 


Digitized  by  Google 


-   412  — 


Menschen  Frieden  auf  Knien  brinfreu  soll,  die  eines  guten  Willens 
sind  —  nicht  etwa  nui*  denen,  die  den  rechten  Glauben  haben,  d,  h. 
denen,  die  dem  Glauben,  der  Auffassung  der  christlichen  Religion  derer 
beistimmen,  welche  etwa  die  Gewalt  in  Händen  haben,  der  sog.  Ortho- 
doxen (nach  ihrer  eigenen  Behauptung).  Statt  dessen  haben  ja  die 
Kirchen -Oberen  und  ihre  Theologen  aus  dem  Christenthum  eine  Reli- 
gion unendlichen  Streites,  gegenseitigen  Hasses  unter  den  Bekennern 
Jesu  und  wilder  gegenseitiger  Verfolgung  gemacht! 

Hier  nun  ist  der  Schule  eine  erste,  wichtige  Aufgabe  gestellt. 
Sie  hat  der  Religion  den  humanen  Charakter  zu  verleihen,  welcher  in 
der  ursprünglichen  christlichen  Religion  durch  das  Gebot  der  Näch- 
stenliebe und  dorch  AufifiEusung  Gottes  als  Täter  aller  Menschen  und 
dimer  als  Kinder  desselben  und  als  Brüder  beaMcfatigt  and  gefordert 
ward,  aber  dnreh  die  eadloeen  und  wathenden  tlieologfiseliea  Streitig- 
keiten nm  des  sog.  orthodoxen  Qlanbens  willen  &8t  ganz  yerloren 
gegangen  ist.  Dadurch  wird  sogleich  den  Menschen  allenthalben  das 
gleiche  Beeht  zntheil,  eine  eigene  Überzengnng  za  haben  und  ebenso 
es  anderen,  d.h.  gegenseitig  zu  gewähren,  anstatt  des  Privil^nrns  des 
einen  dem  anderen  (wenn  er  sbweichenden  Glanbens  ist)  gegenttber.  Von 
den  Theologen  und  Eirchen-Antoritäten  ist  eine  solche  Friedensstiftang 
im  religiösen  Gebiete  schlechterdings  nicht  zn  erwarten,  sondern  nur 
fortwährender  nnversöhnlicher  Streit  und  Krieg,  da  sie  einen  absoluten 
Standpunkt  gegenseitig  einnehmen,  absolute  Wahrheit  zu  besitaen  und 
Gottes  Sache  und  Becht  direct  und  ausschliesslich  zu  vertreten  be- 
haupten. Dieser  Behauptung  und  diesem  Glauben  gegenüber  wird  der 
Lelumtand  eine  schwierige  Au^be  zu  erfüllen  haben,  aber  endlich 
muss  doch  wenigstens  bei  den  Culturvölkern  die  Zeit  kommen,  wo 
W  issenschaft  und  Civilisation .  weltliche  Regierung  und  öffentliche 
Meinung  dahin  wirken,  dass  die  Religion,  insbesondere  die  christliche, 
zu  einer  Stätte  des  Friedens  und  der  Eintracht  werden  —  anstatt, 
wie  bisher,  die  fortdauernde  Veranlassung  zu  Feindschaft,  Verfolgung, 
Schmähung  und  Verdammung  zn  werden  wegen  vermeintlicher  Becht- 
gläubigkeit  und  Irrgläubigkeit.  Der  R'eligionsunterricht  der  sog.  posi- 
tiven Glaubensrichtungen  wird  freiliih  wol  noch  lange  die  Gelegen- 
heit sein,  confessionell  zu  hetzen,  die  .lugend  und  damit  das  Volk 
wegen  verschiedener  Glaubensbekenntnisse  mit  At»nei<rung,  Verachtung, 
ja  Hass  zu  erfüllen  wegen  unwesentlicher  ( 'ultuslträticiie  und  weLren 
abweichender  Glauben.^siitze.  von  denen  das  V(dk  docli  gar  kein  eigent- 
liches Verständnis  erlangen  kann,  ja  sie  gar  nicht  verstehen  darf  und 
die  lür  praktisches  Christenthum,  für  Anbetung  Gottes  im  Geiste  und 


Digitized  by  Google 


—  413  — 


in  der  Wahrheit  und  für  Nächstenliebe  doch  keine  wesentliche  Be- 
deutung haben. 

Eine  weitere  Aufgabe  der  Schule  ist  die  intellectuelle  Bildung; 
d.  h.  die  möglichste  Entwickelung  der  Erkenntniskräfte,  -wodurch  so- 
wol  dem  Einzelnen  es  leichter  wird,  sich  im  harten  Kampfe  ums  Da- 
sein mit  seinen  Fälligkeiten  geltend  zu  machen,  als  auch  das  ganze 
so  gebildete  Volk  und  damit  (Lms  Staatswesen  selbst  an  Kraft  und 
BedeutuDp:  gewinnt,  da  nur  die  geistig  gebildeten  Völker  in  der  Welt- 
geschichte eine  wirkliche  Bedeutung  und  das  ('bergewiclit  über  die 
anderen,  wenij^er  gebildeten  Völkermassen  eilangen.  Indes  gerade 
diese  1^  (irdening.  dass  durch  die  Schule  das  Volk  zu  möglichst  hoher 
intellectueller  Bildung  gebracht  werde,  um  an  d<>r  Wissenschaft  und 
Cultur  einifrermalien  theilnehmen  zu  können,  wird  von  konservativer 
oder  reactionarer  und  clerikaler  Seite  vielfach  angefeindet.  Das  Volk 
soll  diesen  zufolge  intetlectuell  nicht  zu  sehr  gebildet  werden, 
weil  es  dadurch  die  Lust  an  der  Arbeit  verliere,  sich  in  geringer 
Lebensstellung  unglücklich  fühle  und  in  l'nwissenheit  glücklicher  sei, 
auch  wol  leicht  der  Gefahr  der  Halbbildung,  Verflachung  u.  s.  w.  ver- 
falle. Außerdem  sei  die  übermäßige  intellectuelle  Bildung  der  Jugend 
und  des  Volkes  dem  religiösen  Glaoben  vielfach  gefährlich  and  schSd- 
iich,  veranlasse  leicht  Zweifel  an  der  Wahrheit  der  religiösen  posi- 
tiven Lefarai,  störe  den  SeelenfriedeOi  den  der  feste  znversiditlidie 
Glaube  dem  Menschen  gewähre  nnd  nntergrabe  die  Ünbedingtheit 
willigen  Gehorsams  gegen  die  geistliche  Antorit&t  —  Es  ist  ntrn 
allerdings  kein  Zweifel,  dass  die  fortschreitende  intellectneUe  Bildung 
des  Volkes  diese  und  ähnliche  Gefahren  mit  sich  bringt,  aber  soll 
deshalb  diese  Bildung  ohne  weiteres  unterlassen  und  der  Einzelne, 
wie  das  ganze  Volk  derVortheile  beraubt  bleiben,  welche  sTe  bringt? 
Soll  gerade  die  höchste  Gabe  der  Menschennatur  unentwickelt  bleiben, 
dnrdi  welche  er  sich  über  alle  anderen  Wesen  der  Erde  so  hoch  er- 
hebt, und  soll  das  Volk  in  Unbildung  nnd  Unwissenheit,  also  mög- 
lichst nahe  dem  thierischen  Zustande  erhalten  werden,  weil  mit  der 
Bildung  auch  Ge&hren  verbunden  sind?  Unmöglich,  d^n  dies  wäre 
gegen  alle  Natur  und  Geschichte,  gegen  alles  Recht  und  alle  Vernunft. 
Es  ist  die  Aufgabe  der  Cultui'entwickelung,  nicht  das  Volk  in  Unbil- 
dung und  Stumpfsinn  zu  erhalten,  damit  es  keine  höheren  Ansprüche 
an  das  Leben  erhebe,  sondern  es  so  zu  bilden,  dass  die  damit  ver- 
bundenen Gefahren  auch  allmählich  überwunden  oder  ganz  vermieden 
werden.  Es  ist  dies  aber  eine  der  wichtigsten  Aufgaben  der  Er- 
ziehnngskunst,  die  sich  gerade  der  Lehrerstand  nach  und  nach  an- 


Digltized  by  Google 


—   414  — 


eignen  miiss.  Handelte  es  sich  um  Bedürfiiis-  und  Anspruchslosigkeit 
im  Leben,  wie  sie  mit  Unlnldung  uud  Stumpfsinn  verbanden  sind, 
dann  wäre  das  sicherste  Glück  des  Daseins  überhaui)t  darin  begrün- 
det, gar  keinen  Verstand  zu  haben,  oder  den  dem  Menschen  verliehe- 
nen so  zu  behandeln,  dass  er  gar  nicht  zur  Entwickelung  käme,  außer 
nur  für  ganz  sinnliehe  Genüsse  und  Ang-elegenlieiten,  wie  es  bei  den 
Thieren  der  Fall  ist.  Kann  aber  dies  vernünftigerweise  nicht  ge- 
stattet werden,  um  des  venneintliclMMi  mit  Unbildung  und  Roheit 
verbundenen  sog.  Glückes  willen,  dann  aucli  niclit  die  Vernachlässigung 
der  dem  Menschen  innewohnenden  intelleetuellen  Kraft,  deren  Bildung 
sowol  dem. Einzelnen  als  dem  ganzen  Volke  von  höchster  Förderung 
sein  kann,  ja  fiir  Eealisirung  der  Weltidee  überhaupt  ein  wesentliches 
Moment  ist.  Den  Gefahren  der  „Halbbildung"*)  wird  wol  mehr  und 

*)  Mit  dem  Vorwurf  der  ..Halbhildunj?''  ist  man  in  neuerer  Zeit  gTpcii  den  Lehrer- 
stand sehr  freigebig,  besonders  von  Seife  derer,  welche  denselben  inöglichsl  nieder- 
halten wollen  in  untergeordneter  Stellung.  Er  »oU  möglichst  ungebildet  bleiben, 
damit  er  nicht  der  Halbbfldoig  und  denn  Oefahxen  verfUlel  Ein  leltniBet  Ver- 
langen! Qans  angebildet  wird  man  den  Iiebrerstand  doch  wol  auch  nach  der  Hei« 
nung  dieser  Lmite  nicht  lassen  dürfen,  wie  weit  darf  man  ihn  dann  aber  bilden, 
damit  er  nicht  halbgebildet  werdeV  Ist  eine  (irenze  anzucfcben,  —  etwa  von  Vior- 
tcls-,  Halb-  und  (ianzbildung?  Es  lääst  sich  mit  dem  Hegritf  „üalbbUdung"  gar 
nidits  Bestimmtes  bei«iohnea,  es  s^  denn,  daas  darunter  di«  bkBe  Seheinliildiing 
Tezstanden  werde,  die  von  diesem  oder  jenem  Gebiete  oder  von  mehveren  Oebieten 
nur  oberfliichliobe  und  phrasenhafte  Kenntnisse  hat  und  auf  Grund  deren  sieh  ab- 
»preehcnd  und  cintrcbildet  verliiilt.  Zu  wahrer  uud  ganzer  Bildune:  kann  man  heut- 
autagc  bei  ilct  uuermesslich«'n  Erweiterung  uud  Vertiefung  der  Wissenschaft  nicht 
verlangen,  dass  jemand,  um  Halbbildung  in  vermeiden,  in  allen  Wissenichnften 
oder  nueh  nur  in  einigen  voUkonunen  dardigebildet  sd;  sondern  es  muss  nur  'Ve^ 
neidong  derselben  und  zur  gansen  Bildung  genügen,  in  einem  bestimmten  Gebiete 
voMkommrn  durchgebildet  zu  ßeiu,  und  das  ist  t'iirilen  hchrcrstand  das  pädagogische. 
Wollte  man  zur  Vernn  idiiiig  der  Hiilbbildiing  mehr  VLrlaugen,  so  müsüte  man  so 
ziemlich  alle  Vertreter  der  verschiedenen  Wi^euschafteu  fiir  Halbgebildete  erklären, 
denn  bei  der  Theilnng  der  Wiasenachalten -bleiben  denVertretem  der  venehiedenen 
wissenschaftlichen  Gebiete  die  anderen  giOBtentheils,  wo  nieht  ganz  fremd.  So  ist 
es  z.  B.  größtentheils  bei  den  NaturforKciiem,  den  Historikern,  den  Philologen,  den 
.Juristen  u.  s.  w.  Den  Theolugen  insbesondere  bleiben  in  der  Kegel  nicht  bloß  die 
eigentlichen  Wissenschaften  und  deren  Gebiete  fremd,  sie  werden  auch  noch  sehr 
duNdtig,  Mos  theologjscb  gebildet  und  mit  VorurCbeilen  besondo»  gegen  die 
moderne  Wissenschaft  erflllH.  Sie  kOnntoi  d^r  naeh  obiger  Fovdemng  gau 
besonders  als  blos  der  „Halbbildung''  theilhaflig  bezeichnet  werden!  Es  ist  richtig: 
„Halbbildung"  im  Sinn  von  Seheinbildung  soll  bei  dem  Lehrerstand  vermieden  wer- 
den; dies  kann  aber  nicht  durch  Unbildung,  sondern  nur  durch  gründliche  Durch- 
bildung in  ihrem  eigenen  Fach  vermieden  wcrdeu,  in  welchem  sie  möglichst  ganse 
Bildung  erlangen  sollen. 


Digitized  by  Google 


—  415  — 


mehr  vorgebengt  werden  können,  je  mehr  die  ErziehmigswisseDScliaft 
und  -Kunst  Fortschritte  zu  machen  imstande  sein  wird.  —  Was 
endlich  die  Gefährdung  des  religiösen  resp.  kirchlichen  poaitiTen 
Irlaubens  betrifft,  welche  die  intellectuelle  Bildung  zur  Folge  haben 
soll,  so  ist  darüber  einfach  zu  sagen,  dass  im  allgemeinen  eine  Reli- 
gion, welche  die  intellectuelle  Bildung  der  Völker  überhaupt  zu  fürch- 
ten hat  und  nicht  ertragen  kann,  nicht  die  wahre,  echte  Religion  sein 
kann,  sondern  entweder  schon  im  CTrundwesen  falsch  sein,  oder  in  der 
Entwickelung  eine  falsche  Richtung  genommen  und  in  ihrer  Gestal- 
tung von  der  Zeit  und  den  P'ortschritten  der  Erkenntnis  überholt 
sein  muss,  also  einer  Reform  bedürftig  ist.  Denn  eine  Religion  kann 
nicht  richtig  und  berechtigt  sein,  die  gegen  die  Vervollkommnung  der 
Menschennatur  sich  richtet,  welche  zum  Bestand  die  Niederhaltung 
der  höchsteu  Geisteskraft  von  den  Menschen  fordert.  Wird  der  In- 
tellect  in  seiner  Thätigkeit  und  Vervollkuminnung  gehemmt  oder  unter- 
drückt, muss  sozusagen  das  Auge  der  Vernunft  verschlossen  bleiben, 
damit  blindlings  geglaubt  werden  kann,  dann  werden  auch  die  ande- 
ren Geisteskräfte,  Gemüth  und  Willen  nicht  in  normaler  Weise  thätig 
sein  und  sich  entwickeln  und  vervollkommnen  können. 

Um  die  Bildung  dieser  beiden  Geistes  vermögen  handelt  es  sich 
aber  gerade  in  der  Erziehung,  die  demnach  die  Bildung  des  Intellects 
zngleieh  erfordert.  Dass  zur  Bildung  von  beiden  blos  theoretiflehe  Untere 
Weisung  nicht  genüge,  insbefiondere  nicht  etwa  bloSes  Answendig- 
lernen  yon  Degmen  imct  dtüidier  Gebote  mid  Verbote,  ist  wol  pfida- 
gogisch  ftet  allgemein  anerkannt»  wenn  auch  praktisch  nicht  immer 
dieser  Einsicht  gemftfi  yerihhren  wird.  Es  smd  insbesondere  edle 
Beispiele  als  Vorbilder,  die  hier  wirksam  sind,  weil  sie  anf  die  Phan- 
tasie besonders  der  Jngend  wirken  nnd  zn  edlen  Entschlossen  nnd 
nachahmendem  Verhalten  anregen.  Nicht  mit  Unrecht  ist  behauptet 
worden,  dass  der  Mensch  so  sei,  wie  seine  Phantasie  beschafiim  ist 
Phantasie -VorsteUnngen  machen  Heldoi,  kühne  Unternehmer,  liebe* 
volle  werkthfttige  Menschenfrennde  nnd  selbst  Asceten,  da  durch 
PhantadethfttJgkeit  Furcht  wie  HoiBrang  erzeugt  nnd  za  bestimmtem 
Thnn  angeregt  wird.  Freilich  soUen  diese  Vorbilder  yon  der  Art  sdn, 
dass  sie  in  normaler  Weise  nachgeahmt  werden  kOnnen,  nicht  aber 
Extreme  in  Ascese  und  Wunderlichkeiten,  die  Uhr  die  Menschen  im 
allgemeinen  nunachahmbar  sind  und  nur  Verwunderung,  Scheu  oder 
Mitleid  erregen  können  —  für  das  praktische  Leben  aber  vollständig 
anfrnchtbar  sind,  nnd  auch  andere  nicht  dafür  als  Vorbilder  frucht- 
bar machen  kOnnen.  Es  ist  ein  Hauptmangel  der  Heligionen  bezQg- 


Digitized  by  Google 


—  416  — 


lieh  der  Eraefaimgi  dass  solche  WundermeiiBebeii  am  höchsten  gestellt 
werden  nnd  das  Volk  gerade  mit  ihnen  am  meisten  bdiannt  gemacht 
wird»  Aber  welche  es  sich  doch  nnr  wandern  kann,  ohne  ein  Beispiel 
der  Nachahmung  an  ihnen  zn  gewinnen. 

Als  eine  Hauptaufgabe,  durch  deren  ErfttUung  die  Schule  zur 
glücklichen  Losung  der  sociAlen  Frage  der  Gegenwart  beitragen  kann, 
ist  endlich  noch  dies  heryonuheben,  dass  sie  die  Jugend  und  damit 
auch  das  Volk  zur  richtigen  Würdigung  der  DaseinsverhUtnisse,  mr 
Schätzung  der  Dinge  und  Güter  nach  ihrem  wahren  Werte  anleite 
und  dadurch  Ton  jenen  Illusionen  befreie,  die  hauptsächlich  dazu 
beitragen,  dass  das  Volk  unzufrieden  wird  und  sich  ungl&ddidi  in 
seinen  untergeordneten  Lebenslagen  und  BerafBbesch&fügungen  fühlt. 
Es  ist  vor  allem  die  Nothwendigkeit  der  Arbeit  selbst,  die  als  ein 
MisQgeschick,  als  eine  Last,  ja  zum  Theil  als  ein  göttlicher  Fluch 
angesehen  wird,  während  Freisein  von  derselben,  Müßiggang  als  ein 
großes  Gut  uml  (tIücIc  und  gewissermaßen  als  ein  Götterleben  be- 
trachtet wird  Es  sind  dann  die  äußerlichen  Lebensgüter,  Beichthum, 
sinnlicher  Genuss,  hohe  Titel  und  Würden,  die  man  fllr  schönste,  be- 
glückendste  Lebensgüter  ansieht,  die  man  wünscht,  um  die  man  andere, 
denen  sie  zutlieil  geworden,  beneidet,  ja  mit  Zorn  und  Ingrimm 
betrachtet.  Dass  hier  große  Illusionen  vorliegen,  ist  ohne  große 
Schwierigkeit  zu  erkennen.  Diese  sind  soviel  als  möglich  zu  zer- 
streuen, und  sind  dafür  die  wahren,  wirklich  wertvollen  Lebensgtiter 
zum  Bcwusstseiu  zu  bringen.  Vor  allem  ist  dem  Wahne  entgegen  zu 
wirken,  als  ob  Müßiggang,  Xiclitstlmn  und  bloßes  sinnliche.s  Genießen 
ein  menschenwürdigerer  und  gliickliclierer  Zustand  wäre  als  Arbeiten 
und  mäßiges  Leben.  Die  Arbeit  wii  d  noch  vielfach,  zum  Hieil  durch 
religiöse  Ansichten,  als  ein  Strafzustand,  ja  sogar  als  Folge  göttlichen 
l'  luches  über  die  Menschheit  angesehen,  der  intolge  des  sog.  Sünden- 
falls der  ersten  Menschen  über  die  ganze  Menschheit  soll  von  Gott 
ausgesprochen  worden  sein  (Genes.  3,  17  tf.);  —  eine  Annahme,  die 
schon  mit  dem  biblischen  Berichte  selbst  nicht  in  Übereinstinnnung 
steht,  da  dem  Menschen  selbst  im  sog.  Pai'adiese  vom  Schöpfer  von 
Anfang  an  die  Aufgabe  gestellt  wird,  die  Erde  zu  bauen  und  zu  be- 
wohnen (Genes.  2,  15j.  Die  Arbeit,  das  Schaffen  begründet  im  Gegen- 
theil  das  Glück,  wie  die  Würde  und  Ehre  des  Menschen,  da  dieser 
nur  80  viel  wert  ist,  als  er  für  seine  eigene  VenroUkonunnung  und 
für  das  Wol  seiner  Mitmenschen  leistet,  und  nur  durch  seuie  Wirksamkeit 
Wert  und  Bedeutung  für  daa  Dasein  überhaupt  und  insbesondere  für 
sein  Volk  und  die  Menschheit  erh&lt.  Schiller  lAsst  es  so  ausspvechen: 


Digitized  by  Google 


—   417  — 

„Ehr  den  König  seine  Würde,  ehret  uns  der  Hände  Fleiß."  Jede, 
auidi  die  geringste  Arbeit  hat  ihre  Bedeutung  im  Gesammtdasein  der 
Menschheit  so  gnt  wie  die  auf  den  Höhen  der  Gesellschaft,  wie  das 
Fnndament  seine  grofie  wichtige  Bedeutung  hat,  anf  dem  die  Figur 
8i<'h  erhebt.  Was  aber  das  Lebensglück  betrift't,  so  ist  es  nicht  durch 
Genuss,  Glanz,  prunkenden  Schein  begründet,  sondern  durch  schaffende 
Arbeit,  die  sowol  den  Schaffensdrang  befriedigt,  als  auch  die  noth- 
wendigen  Lebensgenüsse  erhöht  und  veredelt.  Hat  doch  schon  Aristo- 
teles behauptet,  dasss  das  wahre  Glück  des  ^lenscheii  durch  nichts 
anderes  en  eicht  werde,  als  durch  erfolgreiche  Tliätigkeit,  —  also 
nicht  VOM  Reicht huni,  Genuss  und  den  orewöhnlicheu  Glücksgütern  l)e- 
gründet  werden  kann.  Allerdings  ist  die  Arbeit  auch  vielfach  mit 
Beschwerden  und  selbst  Gefahren  verbunden,  aber  immerhin  lässt  sitth 
doch  jeder  Art  derselben  irgendeine  bedeutungsvolle  und  selbst  ideale 
Seite  abgewinnen,  und  dies  um  so  mehr,  je  beschwerlicher  sie  ist,  da 
sie  stets  zum  Ganzen  des  Weliitmcesses  und  der  Krlüiiuiig  der  Auf- 
gabe der  Menschheit  gehört,  wie  Schiller  es  ausdrückt:  ^ 

BeBdilfliKuuK,  die  nie  ennattet, 

Die  langeam  schafft,  doch  nie  lentOrt, 

Die  zu  clt'ui  Bau  (lor  Ew  iVkcitcu, 

Zwar  Sauflkorn  nur  und  Sandkorn  reicht. 

Doch  von  der  großea  Schuld  der  Zeiten 

Ifinuten,  Tage,  Jahie  atretcht. 

Es  ist  selbstverständlich  bei  all'  dem  immer  vorauszusetzen,  dass  die 
materielle  Lage  der  in  den  unteren  Gebieten  des  Daseins  Arbeitenden 
verbessert  wei^e,  soweit  es  nach  Lage  der  physischen  und  geistigen 
DasdiisweiBe  des  Mensche  und  der  mensdillehen  Oesellsehaft  nnr 
immer  möglich  ist. 

Die  Aufgabe  der  Scfanle  wird  hierbei  eine  sehr  grofie  und  sehwie- 
rige  sein,  denn  in  diesem  sinnlichen  Dasein  den  vorherrschend  im 
Sinnlichen  Lebenden  nnd  Wirkenden  die  richtige  Würdigung  der  Arbeit 
and  die  richtige  SchAtsung  der  Dinge,  Güter  nnd  Verhältnisse  nach 
ihrem  "wahren  Werte  beizubringen,  eine  Sch&tzung,  in  der  man  schon  im 
Alterthnm  die  Weisheit  erblickte  und  ein  Resultat  philosophischen  Denkens 
sah,  ist  schwer.  Grundsätze  allgemeiner  Art  und  vemttnflige  Lebens- 
regetai  vermögen  anf  solche  Menschen  nicht  nachhaltig  zu  wirken,  es 
ist  hier  nothwendig,  dass  auch  die  wirkliche  Religion,  das  wahre 
Christenthum  in  seinei*  ursprünglichen  Reinheit  zur  Geltung  gebracht 
werde.  Das  Christenthum  hat  die  Armut  nicht  blos  erleichtern 
\v  ollen  durch  das  Gebot  der  Nächstenliebe,  das  dem  der  Gottesliebe 
gleichgestellt  wurde,  es  hat  dieselbe  sogar  gewissermafien  geadelt,  als 


Digitized  by  Google 


—   418  — 


vollkommeneren  Zustand  geltend  gemacht,  als  den  Besitz  von  Reich- 
thum, so  zwar,  dass  dieselbe  von  Tausenden  fi*eiwillig  gewählt,  dem 
Besitz  von  Reichthum  und  Genuss  voi-gezogen  ward.  Ähnliches  sollte 
auch  in  Bezug:  fiuf  die  Arbeit  angestrebt  werden,  da  dies  noch  vi»d 
u  iclitifift  r  \v;ire  als  jenes.  Die  Erhebnn<?  Vier  Armut  brachte  manche 
Missstände  mit  sich,  förderte  missbräuchlich  auch  den  Müßigganir 
uud  den  Bettel  in  einer  Weise,  die  dem  Einzelnen  und  dem  (^eniein- 
weson  zum  Schaden  gereichte.  Dies  ist  bei  P'örderung  einer  hfilieren 
Auffassung  der  Aibeit  uud  selbst  einer  gewissen  religiösen  Wellie  der- 
selben nicht  der  Fall,  im  Gegentheil  werden  dadui'ch  die  Einzelneu 
in  ihrer  Lebenslage  gef(irdert  und  werden  die  Völker  und  Staaten 
dadurch  nicht  blos  moralisch  und  intellectuell  gehoben,  sondern  auch 
materiell  reicher  und  ph3'sisch  mächtiger. 

Alle  Bestrebungen  der  Lehrer  in  den  Schulen  in  Bezug  auf  rich- 
tige Würdigung  der  Arbeit  und^  in  Bezug  auf  vernünftige  Wert- 
schätzung der  Güt^r  und  Genüsse  des  menscii  liehen  Lebens  werden 
aber  kaum  dcsn  gewünschten  für  das  Wol  und  den  Frieden  der  Gesell- 
schaft nothwendigen  Erfolg  erzielen,  wenn  sie  nicht  unterstützt  wer- 
ömt  von  den  böberen  md  gebildeten  Classen  der  Gesellschaft  durch 
das  Beispiel  und  das  Vorbild  edler  Gesinming  nnd  riebtiger  Sebftteang 
der  LebensgQter  und  Genosse  nacb  ibrem  wahren  Werte.  Man  kann 
▼on  den  nngebildeten  Volksclassen  nicht  eine  hohe  nnd  edle  Gesinnung 
nnd  weise  Benrtheilung  der  Dinge  erwarten,  wenn  diese  unaufhörlich 
wahmebmen,  dass  die  hQheren,  an  Bang  nnd  Bildung  über  ihnen 
stehenden  GeseUschaftsdassen  sie  selbst  nicht  bekunden.  Wie  sollen 
die  niederen  Classen  z.  B.  die]  Arbeit  hochschätzen  als  die  Ehre  und 
Wfirde  des  Menschen  und  als  das  wahrhaft  das  Lebensglfiek  BegrOn- 
dende,  wenn  sie  wahrnehmen,  dass  jene  selbst  ebi  müßiges  Leben  fttr 
das  Höchste  nnd  füij  das  wahrei  Oötterleben  erachten  und  danach 
streben?  Und  wie  soUen  sie  sinnliche  Genfksse  nicht  fllr  das  Höchste 
erachten,  wenn  sie  sehen,  dass  die  höher  Gebildeten  so  sehr  denselben 
nachjagen  und  außerdem  der  großen  Mehrzahl  nach  gierig  stroben 
nach  leeren,  prunkenden  Titeln,  Ehrenbezeugungen  und  eitlen  Änßer 
liebkeiten  aül&c  Art?  Ja,  wenn  sie  sehen,  dass  nicht  blos  die  Träger 
der  Bildung,  sondern  sogar  die  der  Religion,  die  Vertreter  und  Macht- 
haber des  religiösen  (kirchlichen)  Glaubens  dergleichen  Nichtigkeiten  nach- 
jagen, das  Leere  und  Bedeutungslose  hochschätzen,  während  sie  verlangen, 
dass  das  ungebildete  Volk  sich  an  das  wahrhaft  Wertvolle  halte, 
ideale  Gesinnung  kundgebe  und  bethätige,  während  sie  nach  glänzen- 
dem Firlefanz  streben? 


Digitized  by  Google 


—    419  — 


Es  ist  also  swar,  wie  schon  dngangs  bemerkt,  snf  das  Hflehsfce  zu 
wOnscheii,  dass  die  materielle  Lage  der  in  niederen  Lebenssphlren 
Arbeitenden  so  gnt  als  nor  immer  mOglich  gebessert  und  gehoben  werde» 
und  unserer  Zeit  wird  es  zum  nnvergfinglichen  Rnhme  gereichen, 
dazu  großartige  Anstalten  versucht  zu  haben,  —  aber  ohne  geistige^ 
ohne  intellectuelle  und  sittliche  Bildung  wird  alles  vergeblich  sein» 
denn  den  Unvernünftigen,  von  Leidenschaften  Fortgerissenen  nnd  den 
Schlechten  kann  durch  nichts  geholfen  werden! 


Digitized  by  Google 


Drei  Monate  Fabrikarbeiter. 


£rgel)ui>!>e  uud  Fordorutisren  fOr  die  Volkaschnle 
von  Tfteoti,  Liultv,  Wolf- Leipzig. 

Unter  dem  Titel  „Drei  Monate  Fabrikarbeiter''*)  bat  vor  einiger 
Zeit  Herr  Faul  GObre,  Candidat  der  Theologie  and  Generalsecretär 
des  evangeliBch-soeialen  Congresses  in  Berlin,  eine  Studie  veröffentlicht 
die  in  allen  Kreisen  lebhafte  Anfhahme  gefunden  zu  haben  scheint, 
nicht  am  wenigsten  in  Lehrerkreisen.  Der  Ver&sser  hat»  um  „seine 
ärmeren  Mitbrftder  und  ihre  Lage,  ihre  Gedanken,  ihr  Sorgen  und  ihr 
Sehnen"  kennen  zu  lernen,  unerkannt  drei  Monate  in  Chemnitz  als 
einfacher  Arbeiter  einer  großen  Maschinenfabrik  mit  anderen  Fabrik- 
arbeitern «tSglich  11  Stunden  gearbeitet,  mit  ihnen  gegessen  und  ge- 
trunken, als  einer  der  ihrigen  unter  ihnen  gewohnt,  die  Abende  mit 
ihnen  verbracht,  sich  die  Sonntage  mit  ihnen  vergnügt*. 

Dem  yer&sser  ist  es  ernst  um  die  Lösang  seiner  selbstgestellten 
Aufgabe  gewesen,  und  er  hat  sich  diese  nicht  leicht  gemacht;  er  ist 
mit  sittlichem  Eifer  an  sie  lierangctreten ;  diesen,  eine  tiefe  Liebe  zum 
Volke  und  ein  heißes  Sehnen  und  Bemühen,  dem  „vierten  Stande"  zu 
helfen,  erkennt  man  auf  jedei'  Seite.  Er  hütet  sich,  und  waint  selbst 
davor,  seine  Ergebnisse  zu  verallgemeinem;  was  er  uns  bietet,  gilt 
zunächst  nur  von  den  sächsischen  Industrie- Arbeitern;  er  berichtet  es 
mit  der  nöthigen  Objectivität,  dem  nötliigen  Freimuthe  und  greift 
ohne  Sclieu  in  otfene  uud  gelieime  Wunden.  Hoi  r  Gölire  berichtet 
über  die  materielle  Lage  der  Arbeiter,  über  die  Arbeit  in  der  Fabrik, 
die  Agitation  der  iSocialdemokratie,  über  die  socialen  und  politisclieu 
Gesinnungen  seiner  Arbeitsgenossen,  über  Bildung  und  Christenthuni, 
über  sittliciie  Zustände,  uud  in  einem  Schlusscapitel  zieht  er  das 
Facit  seiner  Erlebnisse. 

'  Was  dem  Pädagogen  das  Bucli  so  wertvoll  macht,  sind  zunächst 

**)  Drei  Monate  Fabrikarbeiter  and  Haodwerkslnindie.  Eine  pndctiselie  Studie 
TOD  Paul  GMhie.  Zweites  Zehntaneend.  Leipng,  1891.  Fr.  W.  Grunow. 


Digitized  by  Google 


—   421  — 


nicht  die  Ausfähinin^en  über  die  wiilschafUich^ ,  politischen  oder 
socialen  Verhältnisse  der  Arbeiter,  sondern  das  was  er  über  religiöfle, 
sittliche  und  wissenschaftliche  Bildung  berichtet.  Das  kann  uns 
Liehrem  einen  Anhalt  geben,  wo  die  Schule  den  Hebel  anzusetzen 
hat,  um  an  dem  socialen  Problem  mit  zu  arbeiten. 

Es  zeigt  immer  von  einer  Verkennimg  der  Thatsachen,  wenn  man 
meint,  die  Schnle  könne  die  sociale  Frage  lösen ;  sie  kann  es  allein 
•  bcnsowenig  wie  die  Kirche.  „Die  riclitigen  Ärzte  aller  socialen  Krank- 
heiten", sagt  einmal  K.  E.  Franzos,  ..sind  der  Volkswirt,  der  Priester, 
der  Schulmeister."  G-ewiss,  da  die  sociale  Fra^e  eine  hervorragend 
ethische  Frage  ist;  nur  soll  jeder  auf  dem  (Tebiete  helfen,  auf  dem  er 
(•«»iiipetent  ist.  Die  Schule  darf  sicli  nie  als  Warte  im  Kampfe  gegen 
irgend  welche  politische  Partei  gel)rauchen  lassen;  jede  Politik  liegt 
ihrem  Wesen  fern.  Auch  ihr  kann  es,  wie  Göhre  es  von  der  Kirche 
behauptet,  gleichgiltig  sein,  „ob  sie  in  einem  Feudal-,  Manchester-  oder 
Socialstaate  wirkt".  Das  Ethisch-Keligiöse  ist  der  Bodeu,  auf  dem  die 
Lehrer  kämpfen  müssen. 

Die  Scliule  beansprucht  tüe  Gebiete  des  l'nterrichts  und  der  Er- 
ziehung. Sie  hat  damit  zwei  Verpflichtungen,  die  der  Familie  zu- 
kommen, auf  sich  nehmen  müssen.  Der  Unterricht  bleibt  ihr  nnbe- 
stritten,  wiewol  sie  «ach  auf  diesem  Felde  die  Unterstützang  des 
Hauses  nicht  gat  entbehren  kann.  Kit  dem  Begriff  dee  ünterridita 
hat  sich  der  der  Ehrziehung  allmfthlich  nnlösUch  verbanden;  ja  dieser 
hatr  and  mnsste  es,  als  das  weeentlich  ^richtigere  Moment,  die  erste 
Stelle  eingenommen.  Für  die  Erfolge  auf  diesem  zweiten  Felde  moss 
aber  die  Familie  in  weit  höherem  Malte  als  die  Schale  verantwortlich 
gemacht  werden.  Hier  kann  die  Schnle  niemals  die  Erbin  des  Hanses, 
sondern  nor  seine  Frenndin,  Helferin  and  Beratfaerin  werden.  Dass 
Pestalozzi  die  Wohnstabe  als  Bettnngsanstalt  in  socialai  NOthen  an- 
sah, dass  er  in  der  Matter  die  weitaas  beste  Erzieherin  erkannte, 
das  mass  Ar  alle  Zeiten  G^tnng  haben,  davon  dürfen  wir  nicht  ab- 
kommen. „Das,  was  Eltern  die  Kinder  lehren  können ,  ist  nnd  bleibt 
immer  die  Hauptsache  f&rs  menschliche  Leben,  und  das  versäumen 
die  Eltern  den  Kindern  in  ihrer  Wohnstabe  zu  geben  and  bauen  auf 
Wörter,  die  ihnen  ein  Schulmeister  vorsagt,  die  zwar  wo!  recht  und 
gut  sind  und  viel  Schönes  und  Braves  bedeuten,  aber  immer  doch  nur 
Wörter  sind  und  aus  einem  fremden  Munde  kommen  und  den  Kindern 
nie  80  anpassen  wie  ein  Vater-  und  Mntterwort^  *; 


*)  PMtalomd,  Christ,  u.  Else.  I.  8.  889  ff. 


Digitized  by  Google 


—   422  ~ 


Wo  bleibt  aber  die  Familienerziehuug,  wenn  das  Familienleben 
tliatsächlich  im  Schwinden  begriffen  ist?  Herr  Gölire  hat  dafür  eine 
Monge  Belege  in  den  Kreisen  seiner  Arbeitsgenossen  gesammelt.  Vor 
allem  sind  die  jämmerlichen  W'ohnungs Verhältnisse  an  der  Lösung  der 
Familienl)ande  schuld.*)  „Das  I  raurige  an  dem  ganzen  Wohnungs- 
wesen", sagt  Herr  Göhre  (S.  21),  ,,war  das  Miss  Verhältnis  zwischen 
der  Enge  der  Räume  und  der  Zahl  ihrer  Bewohner.  Weitaus  die 
meisten  Familien  hatten  eine  Scliar  Kinder,  hatten  Sclilafleute  und 
Kostgänger.*'  ,.Das  Ärgste  von  Wohnungsuoth,  was  ich  erlebte,'*  um 
das  drastischste  Beisj)iel  anziitüliren,  „war  bei  einem  Mann  aus  meiner 
Fabrik.  Das  war  thatsächlich  nicht  mehr  menschenwürdig.  Der 
Manu  war  ein  alter  und  langjähriger  Arbeiter.  Er  hatte  eine  ki-änk- 
liehe,  halbgelähmte,  blutflüssige  Frau.  Ihre  Kinder  waren  bereits  er^ 
wachsen  imd  Terhdntet;  sie  hatten  nur  dne  vm  Ihnen  benUch  gepflegte 
Enkelin  noch  bei  sich,  dagegen  ftnf  fremde  Scfalaflente!  Dieses  Ifannes 
Wohnnng  bestand  ans  folgenden  Gelassen :  aus  dner  Stube,  einrai 
Alcoven,  einer  einfenstrigen  Kammer  und  einer  Dachkammer.  In 
dieser  standen  zwei  Betten:  in  dem  einen  schlief  eüi  ganz  junges  Ehe- 
paar, das  hier  zur  Aftermiete  wohnte^  und  in  dem  andeni  das  zwölf- 
jährige Mädchen,  das  Enkelkind!"  —  Das  gesdiieht  in  einem  Staate, 
der  sidi  nicht  mit  Unrecht  seiner  verhältnismäftig  guten  sanitären  und 
aittenpolizeilichen  Verordnungen  und  Einrichtungen  rühmen  darf!  „Das 
Schlafstellen- und  Eostgängerwesen  ist  der  Buin  der  deutschen  Arbeiter- 
fkmilie.  Aber  es  ist  ftlr  de  in  den  allermeisten  Fällen  dne  wirt- 
schaftlidie  Nothwendigkdt"  **) 

Dass  dabei  trotzdem  „die  Zahl  der  Familien,  die  bd  aller  Be- 
schränktheit der  Lebenshaitang  und  Wohnnng  so  gut  als  möglich  auf 
Adretthdt  und  Anstand  zu  halten  versuchten  und  auch  thatsächlich 
hidten,  unendlich  größer  war  als  diejenigen,  bei  denen  aus  irgend 
dnem  Grunde  nicht  der  Fall  war",  das  spricht  laut  genug  f&r  den 
noch  immer  gesunden  Sinn  fiir  das  Häusliche  unserer  Arbeiter. 

Zu  diesen  trüben  Wohnungsverliältnissen  kommt  noch  als  zwdter 
Missstand  die  lange  Arbeitsdauer.  Elf  Stunden  ist  der  Vater,  zum 
Theil  auch  die  Mutter  in  der  Fabrik  beschäftigt,  die  Kinder  befinden 
sich  in  der  Schule.  Selbst  der  Mittag  versammelt  die  Familie  nicht 
zu  gemeinsamer  Mahlzeit.  Kine  einstiindige  Mittagspause,  ein  weiter 
Weg  von  der  Arbdtsstätte  zur  Wohnung!   Die  Mahlzeit  muss  aoi 


*)  H.  Albrecbr,  Wobnung  der  AimeD.  Deutsche  Rnndschaii  XVn,  2  ü. 
♦•)  GOhie  a.  a.  0.  ii.  24, 


Digitized  by  Google 


—  423  — 


der  Strafe,  wenn  ea  gut  geht  im  Fabrikgebäude  selbst  eingenommen 
werden.  »Wie  kann  solcb  eine  Mahlaeit  auf  der  Straße  jemals  eine 
gesegnete  sein?  Wie  kann  man  im  Emst  tadeln,  dan  de  ohne  Gebet 
und  Hände&hen  hineingeworfen  wird?  Wie  muss  sie  ganz  anders 
als  Agitatoren  Worte  es  vermögen,  den  Familiensinn  des  Vaters  nnd 
der  Mntter  und  damit  Familienglück  und  Familienleben  zerstören? 
Denn  diese  Zustände  und  ihre  Folgen  /treffen  ja  nicht  nur  den,  dem 
man  das  bisschen  Essen  im  Topfe  auf  die  Promenadeubauk  bringt, 
sondern  stets  die  ganze  Familie."  *)  Und  wie  ist  es  am  Abende? 
tilMf  und  abg-espannt  kehrt  der  Vater  lieim  von  der  Arbeit  in  seine 
unfreundliche  Behausung;  soll  er  sich  dann  noch  viel  mit  seinen  Kin- 
dern beschäftifjfen?  Oft  sind  sie  ja  län<,^st  .schon  zur  Kulie  f^cj^angen. 
l'ng^estört  und  allein  zusammen  können  Eltern  und  Kinder  nur  wäh- 
rend der  Nacht,  vielleicht  auch  Sonntags  sein.  Es  erhellt  daraus 
dass  ^.intolfre  dieser  Ziistiinde  in  weiten  Kreisen  unserer  großstädtischen 
Industriebevölkeruiifr  die  iiberlielerte  Form  der  Familie  heute  schon 
nicht  mehr  vorhamlen  ist.  Der  alte,  auf  Blutsverwandtschaft  von 
Eltern  und  Kindern  niliende  und  aus  allein  solchen  blutsverwandten 
Gliedern  zusammengesetzte  Organismus  der  Familie,  an  den  sich  in 
besseren  Ständen  bisher  nur  einzelne  Dienstboten  fester  oder  loser 
anschlussen,  hat  in  der  That  in  jener  Bevölkerungsschicht  heute  bereits 
mehr  oder  weniger  einem  erweiterten,  auf  den  rein  wirtschaftlichen 
Bedürlnissen  gemeinschaftlichen  Wohnens  und  Lebens  aufgebauten,  in 
der  Zusammensetzung  seiner  Glieder  durch  Zufälligkeiten  gebildeten 
Kreise  von  Blutsverwandten  und  Fremden  Platz  gemacht  Und  nicht 
die  Socialdemokraten  und  deren  Agitation  haben  daran  die  Uaupt- 
schnld,  sondern  eben  jene  Zost&nde,  die  eine  Fracht  nnserer  ganzen 
wirtschaftliehen  VeriiUtnisse  sind  nnd  die  es  den  ÄiMtem  unmög- 
lich machen,  gemeinsam  ihre  Morgen-  nnd  MittagsmaUzeiten  ein- 
zunehmen, die  sie  zwingen,  die  allerdfliftigsten  nnd  allerengsten  Woh- 
nungen zu  beziehen,  dazu  noch  wildfremde,  hAufig  wechselnde  Schlaf- 
gäste bei  sich  aufisunehmen  und  ihnen  den  yertrauUchsten  gemeui- 
samen  Umgang  zu  gestatten,  den  man  sonst  nur  mit  den  eigenen 
Familienangehörigen  zu  pflegen  gewohnt  war."  **) 

Was  sollen  da  Koch-  und  Haushaltungsschnlen  helfen?  Was 
sollen  Schulsparcassen,  Knabenhorte  und  ähnliche  Einrichtungen? 
Sie  haben  nur  eme  interimistische  Bedeutung,  flir  so  lange  nflmlich, 

*)  061m  a.  a.  0.  a  86. 
**)  G«lire  a.a.O.  S.87ff. 


Digitized  by  Google 


—   424  — 


als  die  Familie  üiren  Verpfliclitungen  nicht  nachkommt  und  nicht 
nachkommen  kann.   „Was  sollen  Reformen  der  Erziehung,  solange 

diese  socialen  Schäden  fortdauern?  Nur  eine  Rechtsordnung,  welche 
die   Gesellschaft   selbst  reformirt,   kann  hier  allmählich  Wandel 

schaffen."  *)  Damit  nehmen  wir  nicht  die  Verantwortung  von  der 
Schule,  dass  sie  durch  den  erziehlichen  Unterricht  die  Farailienglieder 
an  ihre  Familienpflichten  eriiuiere;  denn  die  Schule  soll  und  kann 
auch  zur  Erziehung  der  Gesellschaft  beitragen.  Der  wahre  Volks- 
schullehrer muss  das  sein,  was  Diesterweg  von  ihin  fordert,  ein  Volks- 
pädagog. 

Die  Klagen  über  zunehmende  Verrohung  der  Jugend,  über  da« 
Anschwellen  der  Unsittlichkeit  sind  ebenso  allgemein  wie  berechtigt. 
Man  werfe  nicht  ein,  dass  die  sittlichen  Zustände  vergangener  Zeit 
schlechtere  gewesen  seien,  als  die  der  Gegenwart.  Denn  darin  eben 
liegt  der  Vorzug  unserer  Zeit  vor  der  Vergangenheit,  dass  der  Mensch 
heute  besser  sein  kann,  nicht  darin,  dass  er  besser  ist.  Ist  es  aber 
ein  Wunder,  dass  die  sittlichen  Zu.stände  so  unerfreuliche  sind?  Ist 
es  nicht  vielmehr  ein  Wunder,  dass  sie  nicht  noch  weit  schlimmere 
sind  ?  Dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  dessen  rühmen  wir  uns,  das  dankt 
man  zumeist  der  Schnle.  Hören  wir  darftber  Herrn  Göhi'e!  Er  sagt: 
„Das  Sittengesetz  des  Chriatenthnms,  das  in  der  geschichtlichen  Person 
Jesn  Ton  Naaroth  als  erfilUtes  Ideal  nns  von  Gott  offiBnhart  ist,  sdtp 
dem  das  starke  Bttckgrat  aUer  christlichen  Jngenderziehnng ,  sitzt 
noch  als  das  beste  Stück  ihres  sittlichen  Cbafakters  und  ihrer  selbst 
oft  nnbewnsst  anch  in  den  Herzen  der  mir  nahe  gekommenen  Arbeiter 
fest.  Es  gilt  anch  ihnen  noch  als  Haftstab  nnd  Wertmesser  fOr  alle 
Handlangen  nnd  Oedanken,  als  die  unsichtbare  letzte  Instanz,  die 
Macht  des  GewissoiB,  die  zwar  oft  beiseite  geschoben,  umgangen  nnd 
zum  Schweigen  gebracht  wird,  die  aber  trotzdem  anch  in  ihren  Augen 
eine  unantastbare  Autorit&t  und  selbstverständliche  und  natttiliehe 
Ordnung  ist"  Ja,  das  Gewissen  ist  eine  Macht,  aber  nur  fikr  den 
sittlich  schon  erzogenen  Menschen.  Wer  aber  mahnt  den  Jugendlichen 
Arbiter  daran,  der  Stimme  seines  Gewissens  zu  kusdien?  Wer  ist 
ihm  Führer  in  der  „Jugendwflste'*,  um  mit  Dörpfidd  zu  reden,  die 
vom  Austritt  aus  der  Schale  bis  zur  Mündigwerdung  sich  ansstreekt? 
»Man  denke  daran,  dass  die  nnverhältnismäßig  günstigen  Löhnungs- 
verhältnisse der  unbeaufsichtigten  Jugend  nothwendig  zu  dem  Leioht- 


*)  Wondt,  Bthik.  8.468. 
**)  GOhre  a.  a.  0.  8. 191. 


Digitized  by  Google 


—  426  — 


siiui,  der  Boheit  und  der  VerscliwendangSBacbt  flihren  mttssen,  die 
man  unter  ihnen  in  erstannlichem  Umfange  verbreitet  findet."  *)  Soll 
dann  die  ^Schule  des  Milit&rs"  den  sittlicli  Gefallenen  wieder  auf- 
richten? Sie  könnte  es;  aber  sie  eif&llt  ihre  erziehliche  Pflicht  nicht 
Denn  darüber,  dass  ein  Mensch,  wenn  er  nicht  sittlich  kerngesund  ist, 
mit  dem  Eintritt  ins  Militär  den  letzten  Rest  von  Schamhaftigkeit, 
Austand  und  Menschenwürde  verliert,  darüber  ist  wol  jeder  Ein- 
^jeweüite  sich  klar.  Der  jugendliche  Gymnasijist  hat  einen  sittlichen 
Halt  in  der  Familie,  in  der  Schule;  unserm  jugendlichen  Arbeiter  fehlt 
er.  Die  evangelischen  Jünglings-  oder  katholischen  Gesellenvereine 
helfen  hier  nicht  aus,  weil  sich  ihnen  gerade  die  selbstständigeren,  selbst- 
bewussteren  Elemente  entziehen.  Die  Fortbildungsschule  soll  man  hei 
der  geringen  Zeit,  die  sie  dem  Zögling  widmen  kann,  nicht  verant- 
wortlich machen  für  seine  Entsittlichung.  Und  wie  stünde  es  dann 
bei  den  Mädchen,  die  auch  dieses  Zwanges  ledig  sind?  „Ich  behaupte", 
sagt  Göhrc  iS.  205),  „dass  kaum  ein  junger  Mann  oder  ein  junges 
Mädchen  aus  der  Chemnitzer  Arbeiterbevölkerung,  das  über  17  Jahre 
alt  ist,  noch  keusch  und  jungfräulich  ist.  Der  geschlechtliche  Um- 
gang, auf  den  Tanzböden  vor  allem  groß  gezogen,  ist  unter  dieser 
Jugend  heute  im  weitesten  Umfange  verbreitet.  Er  gilt  einfsuih  als 
das  Natürliche  und  ganz  Selbstverständliche;  von  dem  Bewnsstaein, 
daas  man  damit  dna  Sfinde  begeht^  ist  aalten  «ine  Spar  voriiaiiden. 
Daa  aeciiate  Gebot  exiatirt  in  dieaem  Sinne  da  unten  nicht"  Und 
darin  eben  beeteht  daa  GefiUuüche,  dasa  man  daa  ünaittliche  bereita 
gar  nicht  mehr  ala  aolchea  anaieht,  aondem  ala  etwaa  ganz  Settiat- 
Terstlndliehea.  Soll  daa  ao  weiter  gehen?  Soll  die  träß  Liebe  ala 
ein  aittlieher  Znatand  anerkannt  werden?  —  Die  Familie  kann  anch 
hier  Betterin  werden.  Da  aie  ea  aber  Torlänilg  nicht  ist,  mflsate  die 
FortbÜdnngaadinle  in  ihren  Zielen  und  Fftdiem  erweitert  werden, 
mttaate  aber  anch  ihre  Diadplinargewalt  aoagedehnt  werden.  Die  Zeit» 
in  welcher  der  Charakter  aniSbigt  aich  zn  bflden  nnd  zn  ÜBatigen,  ist 
so  wichtig,  dass  sie  solche  Forderungen  rechtfertigt.  „In  diesem 
wichtigsten  Abschnitte  des  Lebens  die  Jugend  in  sittlicher  Beinheit  zu 
erhalten  und  vor  der  Bahn  dea  Lasters  zu  bewahren,  das  wäre  eüi 
Flrohlem,  das  weit  über  das  sociale  im  engeren  Sinne  hinausgeht, 
eben  weil  seine  T^ösung  die  Voraussetzung  für  die  Lösung  aller  socialen 
Fragen  büdet" 


*)  Göbre  a.  a.  0.  S.  192. 
**)  TrOper,  Die  Schule  und  die  BOciale  Frage,  m.  S.  87. 

B.  14.  iwtug,  Heft  VII.  90 


Digitized  by  Google 


—  426  — 


Wenn  ii'gend  der  Moralimterricht  eine  Bereclitif^iing  hat,  so  hat 
er  sie  gerade  für  die  Periode  der  Mündigwerdung.  Damit  und  von 
ethischen  Grundsätzen  durchdrungen  müssen  volkswirtschaftliche  Be- 
lehrungen und  eiu  Unterricht  in  der  GesellBchaftskonde  Hand  in 
Hand  gehen.*) 

Aber  betont  muss  hierbei  iiimier  werden,  dass  nicht  das  Wissen, 
nicht  Verstandesbildung  den  Menschen  sittlich  maciien  kann.  Luthardt 
citirt  in  seiner  Apologie  des  ('hristenthums  flV.  228.  17i  Matthias 
Claudius  mit  folgenden  Woiten:  „Es  ist  zwischen  den  Begrilten  und 
dem  Wollen  im  Menschen  eine  große  Kluft  befestigt.  Das  Rad  des 
Wissens  und  das  Kad  des  Willens,  ob  sie  wol  nicht  ohne  Verbindung 
sind,  fassen  nicht  ineinander.  Sie  werden  von  verschiedenen  Elemen- 
ten umgetrieben."  Will  die  Schule  erziehlich  wirken,  so  muss  sie  vor 
allem  den  Willen,  das  Gefühl,  den  Trieb  bilden.  Sie  sind  die  psychi- 
schen Grundphänomene,  von  welchen  aUe  geistige  und  sittliche  Ent- 
wickelung  ausgeht**);  sie  sind  die  Steuer,  die  der  Lehrer  bewegen 
muss,  um  die  Lebenssduife  in  das  rechte  Fahrwasser  zu  leiten.  t,J)eir 
Mensch  handelt  nicht  das  eine  Mal  nach  unmittelbarem  Gefthl,  ein 
anderes  Mal  nach  Beflexion,  sondern  immer  nach  Geföhlen.'*^  Wie 
aber  steht  es  mit  der  Gefühls-  und  Willensbildung  in  unseren  Schulen? 
Hören  wir,  was  Herr  Qdhre  darüber  in  dem  Gapitel:  Bildung  und 
Christoithum  berichtet! 

Er  unterscheidet  drei  Bildnngssphftren.  Aus  der  ersten  traten 
diejenigen  Ifindlichen  Arbeiter  hervor,  welche  die  (in  Sachsen  meist 
zwei-  oder  Tierdassigen)  einihehen  Volksschulen  beisudit  hatten.  In 
der  zweiten  standen  die  aus  Mittelstädten  eingetretenen  Arbeiter,  die 
aus  der  achtdassigen  mittleren  Volksschule,  der  sogenannten  Borger- 
schule  hervorgegangen,  und  in  der  dritten  die  groBstttdtisdien  Fabrik- 
arbeiter, die  in  der  ein&chen  achtklassigen  Bezirksschule  ihre  Bildung 
erhielten.  „Die  Dorfbildung'',  sagt  er  (S.  144  u.  ff.),  ^zeigte  sich,  das 
ist  ihr  oberstes  Charakteristicum ,  als  durchaus  rdigi<}s  und  con- 
fessiunell  dogmatisch  bestimmt,  als  eine,  man  kann  wol  kurz  sagen^ 
biblische  Bildung.  Der  Religionsunterricht  ist  das  starke  Rückgrat 
des  gesammten  Übrigen  Unterrichts.  Der  Geist  und  der  Ton,  der  in 
j<mem  herrscht,  wird  weniger  in  ausdrücklichen  Worten  und  mit  be- 
wusster  Lehrtendenz  als  durch  die  Persönlichkeit  und  die  Haltung 


*)  DBipfeU,  Theorie  des  Lehrplam. 

Wundt,  Physiol.  Psycho!.  II.  S4.  Cap. 
*•*)  Wandt,  Ethik.  S.  437. 


Digitized  by  Google 


-   427  — 


des  Lehrers  und  durch  die  ganze  Art  seines  Unten  iditens  auch  in 
die  übrigen  Lehrstunden  hineinget ragten  und  gilt  jedenfalls  vor  allem 
in  den  Aui^en  der  Kinder  als  dersellH»  liier  wie  dort."  „Diese  biblische 
Anschauungsform  von  Welt  und  Leben  erwies  sich  mir  um  so  fester 
in  Kopf  und  Herz  der  Leute  eingeprägt,  als  sie  deutlii  li  in  ihren 
Augen  getragen  und  gestützt,  verbrieft  und  versiegelt  erscliien  durch 
die  überlieferte  und  unfehlbare  Autorität  der  Schrift,  aus  der  sie 
stammt.  Diese  Autorität  gilt  ihnen  gemäß  der  alten  Auffassung  von 
der  Inspiration  nicht  blos,  soweit  diese  Schrift  „Jesum  Christum  treibet", 
sondern  sie  gilt  gleichwertig  und  gleich  einschiankungslos  von  allem 
anderen,  was  sie  an  profanem  Wissen  mittheilt,  bis  auf  den  Punkt 
ttbei  dem  i."  „Dazu  trat  als  eine  dritte  ebenso  wichtige  und  von 
allen  ernsten  gcdankenToUen  Männern  längst  anerkannte  Erscheinung 
der  Umstand  hinzu,  dass  heutzutage  in  der  Schule  die  Heilsthatsachen 
des  ETaDgolinms  iricht  als  persönliche  Lebeaswahrheiten  unmittelbar, 
sondern  als  Lern-  und  Hemorirstoff  lehr-  and  sehnlmäßig,  wie  sie  im 
Eateehismns  formvlirt  sind,  nidit  den  Herzen,  sondern  den  Köpfen  der 
Kinder  übermittelt  za.  werden  pflegen.  0er  BeUgionsanterricht  ist 
hier  also  vorwiegend  Verstandesnnterricht  anstatt  Erziehong  des 
Charakters;  die  christliche  Heilswahrheit  kalter  Lernstoff  anstatt 
warme,  alles  durchdringende  Lebenskraft;  Jesus  Christas  —  nach  dem 
Vorgänge  des  Dogmas  —  mehr  ein  metaphysisches  Bäthsel  als  eine 
historische  gottvolle  FersOnlichkeit**  Aach  der  Conflrmandenonter- 
richt,  den  der  Geistliche  im  letzten  Scholjahi'e  ertheilt,  leistet  nach 
Göhrens  Erfahrung  (and  nicht  nur  nach  seiner)  nicht  das,  was  von 
ihm  erwartet  werden  könnte.  Dieser  so  mangelhafte  religiöse  Unter- 
richt war  die  Ursache  einer  schweren  intellectacllen  und  religiösen 
Krisis  für  diese  ländlichen  Arbeiter,  sobald  sie  in  die  B'abrik  eintraten, 
,.in  der  diese  Bildung  dann  fast  immer  Bankerott  und  einer  anderen 
Platz  machte". 

„Einen  anderen  Charakter  zeigte  die  BUdung  der  jungen  Leute, 
die  aus  meist  besser  situitten  Handwerker-  ond  kleinen  Beamten- 
familien eben  erst  in  die  Fabrik  hereingekommen  waren.  In  den 
Bürgerschulen,  die  sie  besucht  hatten,  sind  die  Schulstunden  zahl- 
reicher, der  Lelirplan  reichhaltiger,  der  Tjehrinhalt  größer  und  gehalt- 
voller als  in  jenen  Dorfschulen."'  „Der  in  ihnen  gelehrte  Wissensstoff 
fnlU  auf  den  Ergebnissen  der  neuen,  modernen  Wissenschaft  und  ist 
unabhängiger  als  dort  von  dem  Wissensstolle  der  Bibel  und  der  Ge- 
dankenwelt des  tiberlieferten  Dogmas."  Doch  auch  hier  geschieht  die 
Aneignung  des  religiösen  Lekistotfes  „unter  selbstverständlicher  An- 

SO* 

Digitized  by  Google 


—  428  — 


erkennung  der  W(irtlichen  Inspiration  der  Schrift  und  der  Richtigkeit 
auch  aller  ihrer  profoneii  Bestandtlicile.  Aber  man  erlaubt  sich  hin- 
siclitllch  der  letzteren  in  der  Praxis  eine  starke,  wenn  auch  still- 
schweigende Correctur,  indem  mau  in  den  übrigen  Unterrichtsstunden 
eben  diese  nach  innerer  logischer  Xothwend'gkeit  allgemcingiltige 
Autorität  eliniinirt  und  die  modernen  Erkenntnisse  hier  als  Autorität 
auerkennt  und  lit  nutzt,  ohne  Jedoch  in  eine  klare  Auseinandersetzung 
dieses  inneren  Widerspruchs  einzuti-eten." 

„Endlich  die  großstädtische  Gemeindeschulliililung.  Sie  ähnelte 
wol  in  manchem  derjenigen  der  Bürgerschule,  aber  sie  steht  nach 
Bildungsziel  und  Lehrcharakter  der  Schule  im  Grunde  doch  nur  auf 
etwa  demselben  Niveau  wie  die  Bildung  einer  großen  völlig  aus- 
gebauten achtclassigen  Dorfschule.  Auch  hier  die  übertriebene  Ab- 
hängigkeit der  profanen  Wissensbestandtheile  von  (leujenigen  der  Bibel, 
auch  liier  die  falsche  Aufüissung  von  deren  Autorität,  auch  hier  die- 
selbe überwiegend  verstandesmäßige  Mittheilung  und  Aneignung  der 
chiistlichen  Heflsthatsachen  ähnlich  wie  bei  jedem  andern  Lehrstoff." 

„Die  ÜBrohe  des  neuen  soeial^  Lebens  tlbt  auch  auf  den  gei- 
stigen und  religiösen  BUdungscharakter  der  meisten  einen  folgen- 
schweren Einfloss  ans.  Sie  Iftsst  es  zu  Iceiner  Erhaltung  und  Festigung 
der  in  der  Schule  angeeigneten  BOdungselemente  kommen,  schwemmt 
vielmehr  dne  Menge  dayon  schnell  wieder  hinweg,  macht  bedenklich 
gegen  die  Zuverlässigkeit  der  bewahrten  und  weckt  damit  sngleieh 
das  Bedflrfliis  und  die  Sehnsucht  nach  einer  besseren  und  um&ssen- 
deren  Bildung,  die  frei  von  Widersprachen  ist,  die  vor  der  modernsten 
Kritik  besteht,  die  ihnen  wieder  imponirt,  und  fttr  die  sie  bereit  sind 
die  gaiuse  alte,  niemals  geliebte,  weil  niemals  recht  fruchtbar  gewordene 
schulmäfiige  Jugendbüdung  zn  opfern." 

„Die  drei  Arten  von  Bildung  machen  in  der  Fabrik  eine  Tdllige 
Wandlung  durch.  Sie  werden  unter  dem  Einflüsse  der  Socialdemo- 
kratie  unaufhörlich  zerstört  und  gehen  in  einer  neuen,  der  socialdemo- 
kra tischen  Bildung  unter." 

Lehrer  und  Geistliche  sind  nur  dazu  da.  dies  ist  die  allgemeine 
Ansicht  in  jenen  Kreisen,  dass  sie  der  großen  Masse  ..etwas  wei>i- 
machen'',  die  Religion  ist  ein  Käfig  für  die  Bestie  Mensch;  „die  Kerle 
glauben  doch  selbst  nicht,  was  sie  reden  '. 

Ist  es  soweit  gekommen?  Ist  das  die  Frucht  achtjährigen  Reli- 
gionsunterrichts? Dass  die  Kirche  in  ihrer  heutigen  Gestalt  ihren 
Beruf  nicht  eitiillt,  das  erkennt  man  in  allen  Schichten  der  Ge.sell- 
schaft;  man  denke  nur  an  die  Bewegung,  die  der  ehemalige  sächsische 


Digitized  by  Google 


-   429  — 


ObentUeuteiiant  von  Egidy  durch  seine  „Ernsten  Gedanken^  hervor- 
gemfen.  ■  Doch  damit  haben  wir  als  Lehrer  nichts  zu  .scIiafTen.  Die 
Kirche  muss  aus  sich  selbst  heraus  neu  gestaltet  werden.  Fragen 
wir  zunächst,  was  kann  die  Schule  thun,  um  dieser  crassen  religiösen 
Indifferenz  zu  steuern.  Unser  Reiigionsuntenicht,  das  liat  man  nun 
doch  erkannt,  krankt  daran,  dass  er  viel  zu  dog^umtisch,  viel  zu  lehr- 
haft ist.  Eine  Hauptschuld  daran  trägt  der  T^uthersche  Katechismus. 
Mag  man  ihn  mit  noch  so  süßen  Worten  preisen  und  uns  mit  noch 
so  bitteren  schmähen,  die  Stimmen  nach  seiner  Beseitig-unt;:  aus  der 
Schule  werden  immer  lauter  erschallen.  Darin  liegt  der  grolie  Fehlei  . 
dass  man  glaubt,  wenn  von  dem  religiös-dogmatischen  Lehrgebäude 
auch  nur  ein  Steinclien  herausgenommen  werde,  dass  dann  der  ganze 
Bau  in  sich  zusannnenbreche.  Das  geschieht  nicht,  wenn  die  morsch- 
gewordenen Steine  von  berufener  Hand  entfernt  und  durch  neue  er- 
setzt werden;  es  geschieht  aber,  wenn  die  Stürme  der  socialen  Be- 
wegung, wie  das  ganz  unausbleiblich  ist,  daran  stoßen.  Ihnen  hält, 
wie  wii*  aus  Gölire's  Schrift  deutlich  erkennen  uiul  wie  es  uns  täglich 
die  Elrfahrung  lehrt,  das  Getuge  nicht  stand,  wol  aber  begräbt  es 
meist  den,  über  dem  es  errichtet  wurde. 

Wir  hftten  ans  ängstlich,  Zweifel  in  dem  Kinde  zu  erregen;  aber 
der  ZweifiBl  wird  ftprebtiMr,  wenn  das  Kind  der  leitenden  Hand  des 
Ldum  entwidist,  und  der  logisdi  nidit  Oescholte  mnss  ihm  in  den 
nwisten  FfiUen  unterliegen;  es  kann  nicht  anders  sein.  „Die  Nator 
beginnt  nichts  Unnfltaes'' ,  sagt  Oomenins,  „in  den  Schalen  also  m(ige 
nichts  behandelt  werden,  was  nicht  den  gediegenen  Nutzen  gewihrt 
für  dieses  und  das  zokflnftige  Leben,  Torzogsweise  aber  ftir  das  zn- 
kfinftige***).  Woin  also,  nm  nnr  ein  Beispiel  m  erwähnen  und  nm 
ein  Wort  Wnndt^s  an  gebranchen,  den  mosaischen  SchOpfongsmythns 
als  die  nnomstOSUchste  naturwissenschaftliche  Wahrheit  lehren,  warum 
die  mflhaame  und  geandite  Eindeutung  in  die  ErgehnisBe  der  heutigen 
Wissenschaft!  Für  den  modernen  Menschen  wird  die  Sonne  nie  mehr 
stillstehen  zu  Gibeon,  noch  der  Mond  im  Thale  j^alon. 

Das  Bekenntnis,  sich  einmal  geirrt  zu  haben,  schadet  der  Auto- 
rität des  tüchtigen  Lehrers  duichaus  nicht;  so  verhält  es  sich  auch 
mit  der  Autorität  der  Bibel,  sie  wird  trotz  ihrer  Irrthümer  das  Buch 
der  Bücher  bleiben.  Wir  untei^aben  nicht  die  Keiigion,  wenn  wir 
die  heilige  Schrift  ihrer  falschen  Autorität  entkleiden,  wir  bringen  sie  in» 
Gegentheü  dem  Volke,  dem  sie  mehr  and  mehr  entschwindet,  wiedei*  nahe. 


*}  Ck>m6tti«8,  Or.  DicL  Heramgeg.  t.  I>r.  Lion,  S.  126. 


Digitized  by  Google 


—  430  — 


£g  ist  möglich,  dass  auf  einer  späteren  Stufe  menschlicher  Knt* 
"wiekdnng  sich  die  Gebiete  des  Reli^i(")sen  und  des  Sittlichen  trennen; 
heute  ist  es  noch  nicht  der  Fall.  Was  wir  fiir  die  Schule  brauchen, 
ist  daher  eiue  religiöse  Ethik,  aber  ja  keinen  Katechismus  der  £thik 
wie  ihn  Frankreich  hat,  damit  wünle  für  eine  alte  Wände  nur  eine 
neue  geöti'net;  sondern  die  ethischen  Wahrheiten  müssen  «n  der  ge- 
schichtlichea  Person  Jesu,  ans  seinen  Beden,  vor  allem  ans  seinen 
Gleichnissen  gewonnen  werden,  sie  müssen  femer  gewonnen  werden 
aus  der  sittlichen  Pei'sünlichkeit  des  Lehrers.  „Der  Lohreretand", 
sagt  Prof.  Frohschammer,  „muss  der  Vertreter  des  sittlichen  Gewissens 
werden."  Dann  darf  der  Lelirer  aber  nidit,  wie  das  ja  lei(b'r  immer 
noch  der  Fall  ist,  nur  als  Strafmeister  erscheinen,  sondern  er  iiuiss 
mit  Liebe  und  Geduld  die  sittlich  und  ireisti}?  Schwaclieii  und  Schwäch- 
sten tragen,  ohne  dabei  in  unmännliche  Weichheit  zu  verfallen.  Die 
Liebe  oflt'ubait  sich  auch  in  der  Strafe  und  da  mehr  als  im  Lohne. 
Voraussetzung  zu  dieser  Forderung  wäre  dann  eine  geringere  Scliüler- 
zahl  in  der  ('lasse,  die  es  dem  Lehrer  ermöglicht,  sich  dem  Einzelnen 
mehr  zu  widmen,  und  andrerseits  ein  möglichst  langes  Beieiuauder- 
bleiben  einer  Clasj-e  mit  ihrem  Lelirer. 

Da^  Bild,  welches  uns  Herr  Göhre  entrollt  hat,  zeigt  wenig  Kr- 
freuliches.  Im  Vorstehcinlen  sollte  gezeigt  werden,  wie  es  durch  die 
Schule  einigermaßen  retouchirt  werden  kr»nnte.  Aber  eine  gründliche 
Besserung,  das  muss  immer  wieder  betont  werden,  kann  uui*  von 
einer  gründlichen  Reform  der  gesellschaftlichen  Zustände  eriiofit  wei^- 
den.  „Der  ganze  Zustand  der  heutigen  GeseUschaft  tendirt  cor  Er- 
zeugung zweier  GeaeUscbaftsdassen:  einer  besitzenden  nnd  benflosen, 
deren  Lebenszweck  im  Genoss  besteht,  und  einer  besitz-  nnd  beruf- 
losen, die  sldi  im  Streben  nach  versagtem  Gennss  erschöpft.**  Dieee 
Kluft  za  ftberbracken,  muss  die  Auffassung  mehr  nnd  mehr  durch- 
dringen, dass  der  B^tz  nicht  blos  {Rechte  dnrAnmt,  dass  er  auch 
verpflichtet,  und  andrerseits,  dass  Beruflosigkeit  eine  Schande  ist 
Dazu  kann  und  muss  auch  (die  Schule  beitragen,  wenn  sie  vor  allem 
auch  betont,  dass  Arbeit  adelt  Die  alte  mosaische  Ansicht  der  Arbeit 
als  Fluch  muss  ehier  besseren  Platz  machen.*)  Sie  muss  ferner  ihre 
ZOfi^inge  den  rechten  Ästhetischen  Genuas  kennen  lehren.  Der  moderne 


*)  Daou  wird  auch  die  lächcrliclie  Furcht  Echwiaiien,  datu  bei  vcrn.ehrter 
BUdung  „€•  ver  iMter  großes  md  hoclgeliüieten  Ödsten  keinen  mehr  gftbe,  jder 
den  Acker  beitdien,  Stiefel  machen  nnd  pntien  Iwolle."  (Wolfg.  Mensel,  Krit  d. 
mod.  Zeitbewuffitf.  »Vonifpid.  Schwindel",  S.  184.^ 


Digitized  by  Google 


—  431  — 


Menscli,  der  iu  so  heißem  Kampfe  und  mit  so  vielen  Widerwärti^?- 
keiteii  um  seine  Existenz  ringen  muss,  bedarf  einer  Erfrischung  des 
Geuiüthes.  Diese  Forderung  erfüllt  nächst  der  Religion  kein  Lebens- 
gebiet so  als  die  Kunst.  Die  Schule  muss  das  Gefühl  für  das  Schöne 
anregen,  das  Leben  voll  entwickeln.  So  muss  es  uns  gelingen,  die 
Flammen  der  Idealitiit,  der  reinen  Begeisterung,  die  zu  yerldscheil 
drohen,  von  neuem  anzufachen. 

Vor  allem  aber  juuss  die  Schule  immer  und  immer  als  eins  Durer 
unvergänglichen  Kechtc  fordern,  die  Kinder  aller  Stände  in  Huren 
Bäomen  zu  versammeln.  Damm  mttssen  wir  soldie  Befoiinen,*wie  sie 
Herr  Dr.  H.  GQring  in  seiner  .Nenen  Dentschen  Schule"  nnd  Herr  Panl 
GQsftld  In  seinem  viaL  sa  sehr  gepriesoieii  Boche  «Die  Erziehimg  der 
deutschen  Jagend**  yorschlagen,  solange  sie  sidi  nicht  auf  die  ^der 
aller  StHnde  entreckea,  znrOckweisen,  als  eine  halbe  Sache,  die  uns 
nnr  rUckwärts  ftihrt  «Nicht  IHUi  genng  kann  der  ans  einer  einr 
seitigen  Staadeseniehiing  entspringendeSaatengeist  bekämpft  werden**  *). 

Wir  leben  in  ;der  gefährlichen  Zeit,  in  der  alte  sittliche  Motive 
verschwinden,  neue  Lebenafonnen  auftauchen;  das  Empfinden  nnd 
Denken  der  heranwachsenden  Jngend  mit  dem  VerfiiU  des  Alten  an 
yersQhnea,  mit  dem  Nenen  vertrant  m  machen:  das  ist  die  nächste 
Anllsabe  der  Yolksschnle,  die  sie  unserer  Zeit  gegenttber  hat. 


*)  Wnndt,  BUiik.  &662. 


Digitized  by  Google 


Mnttorspraehe  Rnd  Grammatik. 

L 

2iu  den  wenic^en  Büchern,  die  man  immer  wieder  gern  ziir 
Hand  nimmt,  ohne  die  Abschwächung  eines  ersten,  genussreichen  Ein- 
druckes besorgen  zu  müssen,  gehört  die  „Gesclüchte  der  griechischen 
Literatur"  von  Ottfried  Müller. 

Ein  deutscher  Forscher  versenkt  sich  in  die  G^eunniflse  einer 
Iftngst  abgeschiedenen  Welt  und  belauscht  mit  jener  fiKmiigkfiit  mid 
Tiefe,  die  germanischem  Oemflthe  eigen,  das  verborgene  Weben  nnd 
die  formenbildende  Sraft  dner  Sprache,  die  jener  Welt  som  Ansdroeke 
eines  Gedankenstojfos  diente,  der  die  Jahilranderte  fiberdanert  uid  die 
Bildnng  nnd  Ernehong  der  modemen  Menschheit  bis  zu  dieser  Stunde 
auf  das  nachdrficUichste  beeinflnsst  hat. 

Und  was  jener  Geist  mit  der  GrOndlichkett  des  deutschen  Ge- 
lehrten er&sst  und  gekUrt  hat»  das  wird  dem  Leser  des  Buches  mit- 
getheilt  in  der  Sprache  seiner  deutschen  Heimat;  einer  Sprache,  die 
ebenso  bot  Bewunderung  hinreifien  kann,  als  die  ^^Ansende  Durch- 
dringung und  die  reizvolle  Gruppimng  des  gebotenen  Stoflte. 

Es  ist  kein  Gelehrtendeutsch  mit  Nebensätzen,  die  „den  Hanpt^ 
satz  erdrossehi'*:  es  ist  die  scUieihte,  aber  formvollendete  S^prache 
eines  Hannes,  der  das,  was  sein  Geist  in  der  Fremde  nnd  an  dem 
Fremden  erlauscht  hat,  in  den  trauten  Klängen  der  Heimat  bei  be- 
wusstem  Streben  nach  volksthfimlicher  Darstellung  anszudrücken  be- 
mftht  ist. 

Eine  mühsam  verhaltene  Begeisterung  für  die  Welt  der  Hellenen 
funkelt  zwischen  den  Zeilen. 

„W&hrend  Aberhaupt  die  neueren  Sprachen"  —  heißt  es  da  — 
„ohne  im  Ohre  zu  verweilen,  sich  sogleich  ihren  Weg  zum  Verstände 
bahnen,  suchen  die  classischen  Sprachen  des  Alterthums  zugleich  eine 
entsprechende  WiriLung  auf  den  äußeren  Sinn  bervorzabhngen  und 


Digitized  by  Google 


—  488  — 


die  Denkkraft  dadurch  zu  unterstützen ,  dass  sie  das  Olir  vorläufig  mit 
einer  Art  von  dunklem  Bewusstsein  des  durch  die  Worte  mitsatbeileii- 
den  Gedankens  ei-fdllen." 

Oder  an  anderer  Stelle:  „In  den  Lauten,  welche  durch  die  ver- 
scliiedene  Articulation  der  Stimme  gebildet  werden,  zeigt  die  grie- 
chische Sprache  jenes  glückliche  Mittelmaß,  welches  allen  öeistes- 
erzeugnissen  jenes  Volkes  eigen thümlich  ist  ;  gleich  fern  von  der  über- 
strömenden Fülle,  wie  von  dei-  mageren  Dürftigkeit  anderer  Sprachen." 

Fast  unübertrefflich  sind  die  Untersuchungen,  durch  welche  Sprache 
und  sprachbildende  Art  und  Kraft  mit  den  Regungen  des  Volksthoms 
in  allen  seinen  Schattirungen  in  Verbindung  gesetzt  werden. 

,,Sowie  die  Mundart  der  Dorier"*  —  resumirt  der  Verfasser  — 
,. überall  die  breiten,  kräftigen  und  rauhen  Töne  vorzieht  und  sie  mit 
unbiegsaiiier  Regelmäßigkeit  festhält,  so  können  wir  natürlich  auch 
die  Neigung  erwarten,  einen  Geist  der  Strenge  und  der  Ehrftareht  Yor 
den  alten  Gebräuchen  durch  den  ganzen  Bau  ihrer  bürgerlichen  und 
h&nallchen  Yerhmaig  mdten  m  lassen.  Die  lonior  dagegen  zeigen 
schon  in  ihrem  Diatoete  die  Neigung,  die  alten  Formen  nneh  Ge- 
schmack und  Laune  m  verindeni,  daliei  ein  Streben  nadi  VersehOne- 
mng  und  yerftänerong.** 

Ottfiied  MfUlers  Bach  ist  weit  Terbreitet;  neoestens  liegt  eine 
Bearbeitung  desselben  durch  einen  Schiller  des  berflhmten  Philologen 
Tor.  Einem  guten  Theile  der  deutschen  Jugend  sind  die  daite  aus- 
gesprochenen Ideen  gdftnUg:  Alt-Hellaa  feiert  im  weiten  Oennanien 
noch  immer  seine  Anferstehung. 

Ober  dem  Todten  wird  leicht  das  Lebendige  vergenen;  und  man 
kann  sich  bei  der  LectOre  jenes  Baches  des  quftlenden  Gedankens 
nicht  entschlagen,  dass  wir  in  Deutschland  auch  nicht  eine  Schrift 
besitzen,  die  Ottfried  Mflllers  geist-  und  gemüthvolle  Methode  anf  die 
deutsche  Muttersprache  und  ihre  röche  Beziehung  com  deutschen 
Volksthume  anwenden  würde. 

Die  deutsche  Sprachwissenschaft  wie  die  deutsche  Geschicht- 
schreibnng  gehen  parallele  Bahnen,  die  mit  dünner  Wnrzel  am  Boden 
des  Volksthnms  hängen  und  sich  in  breiter  Krone  in  den  Sternen  des 
Gelehrtenhimmels  verlieren. 

Unsere  Jngend  wird  angeleitet,  in  der  Sprache  des  Alterthums 
das  Wehen  der  Helmbüsche  und  den  „geviertelten  Takt''  des  Huf- 
schlages dahineilendei-  Rosse  zu  vernehmen.  Dass  unser  Deutsch 
selbst  in  den  trivialen  Formen  der  Dialecte  eine  geradezu  herrliche 
Kraft  in  dei*  Nachahmung  von  Natuiiauten  besitzt,  fällt  kaum  auf  j 

Digitized  by  Google 


—   434  — 


soieru  es  nicht,  >vie  an  einzeluen  Stellen  der  „Glocke"  von  Schiller 
besonders  sinutallig  hervortiütt. 

Man  bewundert  in  Cäsars  „Gallischem  Kriege"  den  aus  den  ge- 
schilderten Situationen  liervorgehenden  Typus  der  Darstellung;  ob 
Jemand  Goethe'sche  oder  Klaus  Grote'sche  Verse,  unter  demselben 
Gesichtswinkel  betrachte,  gilt  als  bedeutungslos. 

Die  reiche  Pracht  und  Klangfülle  unserer  starken  Zeitwörter, 
sowie  die  Natuitreue  in  den  Lauten  jener  schwachen  Zeitwörter, 
welche  Nuancen  von  Gehörsempündungen  ausdrücken,  ist  ein  köst- 
licher, erfrischender  Bergwald,  den  man  vor  den  Bäumen  unserer 
„Sprachbücher"  kaum  mehr  zu  Gesielite  bekommt  Darum  sieht  die 
GeBimmtheit  der  MeiucheD,  weldie  deutsche  Staaten  bewohnen,  ihr 
kOstUehstes  Gut,  die  Sprache,  mit  den  Augen  des  nflchtenuten  Schul' 
bflcherrerstaades  an.  Die  Wirkung  auf  den  ^äußeren  Sinn",  welche 
dem  Deutschen  so  gut  wie  dem  Griechischen  eigen  ist;  das  „Ach,  wie 
klingest  du  so  klarP  unseres  Schenkendorfs  droht  verloren  zu  gehen. 

Die  Stachelhecke  der  Grammatik  schließt  ein  Domröschen  ein. 
Man  ist  eben  an  der  Arbeit,  das  Französische  und  Englische  ans 
diesem  Gefibignis  an  die  frische  Luft  zu  bringen:  wie  lange  wird  die 
deutsche  Prinzessin  noch  schlafen  mfissen? 

IL 

Die  Schulgrammatik  mit  ihrer  einseitigen  Betonung  der  Formen 
und  VerftnderuDgen  ist  ein  Mechanismus.  Aber  die  Sprache  ist  ein 
Organismus.  Vielleicht  steht  man  hier  vor  einer  besonderen  Er- 
scheinungsform jenes  Gegensatzes,  der  zur  Zeit  als  „Vitalismus"  und 
nMechanismns"  das  Gebiet  der  Naturwissenschaften  durchdringt. 

«Bis  jetzf*  • —  sagt  ein  neuerer  Sehriftstellei ,  dem  man  nach- 
rühmen mnss,  in  vielen  Dingen  den  Nagel  auf  den  Kopf  zu  treffen,  — 
„bis  jetzt  hat  man  nur  von  Cäsar  gehört,  dass  er  in  der  Grammatik 
zu  seinem  Vergnügen  las.  Nur  ein  sein*  reicher  Geist  kann  leere 
Kategorien  austiillen  und  miteinander^  in  Verbindung  setzen  und  da- 
durch zu  lebendigen  Organen  umschatl'en;  so  hohe  Anforderungen  darf 
man  an  den  Durchschnittsmenschen  nicht  stellen;  dieser  ist  der  leben- 
digen Einwirkung  einer  gesprochenen  Sprache         weit  zugänglicher 

als  einem  Schwall  wissenschaftlich  geordneter  Einzelheiten,  deren  sinn- 
lose Nebeneinanderstellung  er  zwar  nicht  erkennt,  aber  docli  em- 
pfindet.« 

In  unseren  Tagen  wird  die  deutsche  Grammatik  von  Lehrern  und 
Schülern  in  der  That  schwer  empfunden,  und  es  steht  zu  besorgen, 


Digitized  by  Google 


—  436  — 


dass  über  dieser  Emptindung  die  trauliche  Zuneigung  verloren  gehe, 
die  mau  der  Sprache  seiner  Heimat  unter  allen  Verhältnissen  eut- 
gegenbriogen  sollte.  Trotz  der  großen  Fortsduitte,  welche  Lehrbücher 
und  Metliode  auf  aUen  Gebieteii  des  modemeii  UntoniehtB  «ofwdaeD, 
stützt  sich  die  gebrftnchliche  Orammatik  im  wesentlicheii  noch  immer 
anf  die  ehrwürdigsten  Urbilder;  nnd  ihre  gelehrte  Terminologie,  die 
mit  Zopf  nnd  Palmenfrack  bis  in  die  niederste  deatsche  Yolksschnle 
schreitet,  enthalt  zahlreiche  Elemente,  die  sich  ans  dem  Zeitalter  der 
Humanisten  als  eine  Art  Torsintflntlicher  Überreste  auf  die  Gegen- 
wart vererbt  haben. 

Die  Sprache  ist  Alter  als  die  Grammatik,  welche  das  mechanische 
Gesetz  ans  dem  lebendigen  Organismus  erst  heranskifigelt,  nicht  selten 
aneh  in  jenen  Organismus  hineinkllligelt  Es  kann  daraus  direct  ge- 
sehloBSSD  werden,  dass  die  Anwendung  eines  grammatischen  Untenichts 
auf  der  Unterstufe  absolut  aaszuschließen  sei,  und  dass  auch  die  mittlere 
Stufe  ginzlich  unbemerkt  mit  Mensur  und  Bogel  Terfahi*en  müsse. 

Der  modernen  Volksschule  zumal  thftte  eine  «Chrammatak  der 
Kinderstube",  die  freilich  noch  geschrieben  werden  müsste,  dringend 
noth.  —  Der  Schüler  bringt  aus  der  Kinderstube,  weit  seltener  aus 
dem  Kindergarten,  viel  von  jener  Art  Sprachbildung  mit,  die,  indem 
sie  sich  mehr  an  den  „äufiereu  Sinn"*  wendet,  dem  innersten  Kerne  der 
Sprache  am  nächsten  kommt.  Er  versteht  es,  die  Stimmen  der  Thiere 
nachzuahmen,  und  er  hört  im  Toben  des  Windes  den  menschlichen 
Laut.  Lehrst  du  ihn,  die  Dinge  benennen,  dann  wird  ihm  jener 
Name  am  geläuügsten ,  der  direct  aus  dem  Laute  der  Thätigkeit  her- 
vorgeht. Denn  mit  dem  Geiste  des  Kindes  erfasst  er  am  liebsten  die 
Dinge  in  iliren  Lebensäußerungen.  Darin  aber  liegt  die  Natur- 
geschichte des  „Zeitwortes",  jenes  belebten  und  belebenden  Trägei-s 
der  Sprache,  den  die  Grammatik  so  richtig  als  bezeichnend  das 
„Verbum"  genannt  hat.  Welclie  Si)rach-  und  Klangfülle  schlummert 
auch  für  die  engbegrenzte  Autfassung  des  Kindes  in  dem  klingenden 
Wesen  dieses  wundersamen  Wortes! 

Die  Grammatik  wird  jenem  Wesen  nur  zum  kleinsten  Theile  ge- 
recht: über  der  Form  vergisst  sie  des  Inhaltes.  Eine  rein  technische 
Seite  des  Verbums  wird  sogai*  Veranlassung  es  zu  benennen:  wenig- 
stens kann  man  zweifeln,  ob  die  Bezeichnung  „Zeilwort''  glücklich 
gewählt  ist.  Ebenso  sieht  die  Grammatik  bei  den  Kategorien  der 
„persönlichen,  transitiven  u.  s.  w.  Zeitwörter"  nicht  sowol  auf  das 
eigendiehe  Wesen  des  Wortes,  als  vififanehr  auf  eine  auBerhalb  des- 
selben liegende,  halb  formelle,  halb  sachliche  Beziehung. 


Digitized  by  Google 


—   486  — 


ITT. 

Es  kann  aber  als  eine  Pflicht  des  Unterrichts  angesehen  werden, 
vor  allem  den  Sinn  des  Schülers  dahin  zu  üben,  dass  er  das  Wesent- 
liche und  Eigenthüniliche  einer  Sache  zuerst  beachte.  Das  Wesent- 
liche des  Wortes  ist  Inhalt  und  Umfang  des  Begriffes,  den  es  bezeich- 
net; das  Eiigenthümliche  sein  Klang.  Die  Formen  stellen  Gebrauchs- 
werte vor;  ihre  Kenntnis  ist  weniger  das  Resultat  einer  Vei-stAndes- 
thätigkeit,  als  vielmehr  Sache  einfacher  Übung.  Vertiefung  des  Sprach- 
gefiihls  reicht  in  den  meisten  Fällen  aus;  methodisches  G^eschick  macht 
ganze  Abschnitte  des  Sprachbuches  flberflOssig. 

Wenn  dnem  Schiümaim  ein  älterer  College  den  Baih  gab,  bei 
jeder  UnterrielitSDittterie,  die  er  ans  dem  Gebiete  der  Granmatik 
seinen  Schttlern  darbieten  ▼olle,  sich  erat  die  Frage  au  stellen:  „Was 
ureift  man  da,  wenn  man  das  weift?**  —  und  lachend  hinzoftgte: 
„Sie  werden  stannen,  wie  wenig  man  dann  von  dem  mitantheilen  hat» 
was  unsere  Sprachbflcher  enthalten**  —  so  ist  dies  mehr  als  ein  guter 
EinfiilL  Denn  worin  liegt  der  Wert  der  Erkenntnis«  dass  dasVerlmm 
„drOhnen**  schwach  sei,  gegen  das  Traurige  der  Ersdieinnng  gehalten 
dass  zahlreiche  Personen  mit  durchschnittlicher  YolksschnlfaUdmig  durch 
das  Leben  gehen,  ohne  die  Bedeutung  Jenes  Verboms  nach  seinem 
Wesen  zu  verstehen?  Wörter  dieser  Art  ziehen  sich  aUmAhlich  in  die 
„oberen  Zehnteusend**  zurück,  indem  sie  als  GebranchswOrter  ein 
immer  kleiner  werdendes  GM>iet  einnehmen.  Man  suche  deutsche 
GebirgsdGrfer  ab,  nach  Wörtern  jener  Art!  Die  Volksschule  kann 
dem  Dialecte  nicht  aufhelfen,  wohl  aber  der  Verödung  der  Schrift- 
sprache steuern  durch  eine  gründliche  Reform  des  Unterrichts  in  der 
Mutten^rache.  Vor  allem  müsste  erkannt  werden,  dass  Kenntnis  der 
.B'ormen  unter  Umständen  zur  Wortanuttt  führen  kann,  und  dass  die 
Einreihung  eines  Gegenstandes  in  eine  begriffliche  Kategorie  noch 
kein  Verständnis  desselben  ist. 

Man  pHegt  Sclienkendorf's  schönes  Gedicht  von  der  „Mutter- 
sprache"* an  die  Spitze  der  Lesebücher  zu  stellen;  es  stünde  bezeich- 
nender als  Motto  auf  dem  ersten  Blatte  einer  vernünftig  und  pietät- 
voll abgefassten  Schulf:riammatik:  die  wenigen  Strophen  enthalten  ein 
ganzes  Programm,  dessen  V'erwirkJitliuiig  anzustreben  nationale  Ehren- 
sache sein  sollte.  Denn  die  Sprache  ist  ein  blühendes,  klingendes  Keich, 
das  die  Seele  mit  tausend  lebendio^en  Fäden  umspinnt;  die  mikro- 
skopische Methode  der  Grammatik  legt  in  ihren  zusauimenhauglosen 
Übungsbeispielen  diese  Fäden  einzeln  blos  und  tödtet  sie  zuvor,  um 
sie  besser  auf  ihre  Structur  prüfen  zu  können. 


Digitized  by  Google 


—  487  — 


Ein  russischer  Dichter  sagt  von  seiner  Muttersprache:  ^Dhs  ist 
eine  melodische  Sprache,  die  zu  Herzen  dringt  ;  eine  Sprache,  die  man 
in  ihrem  von  herben  Dissonanzen  imteibrochenen,  traurig -zärtlichen 
Wollaute  einem  Strauß  von  Orchideen  vergleichen  niöcht-e,  mit  Steppen- 
kräutern vermischt."  Sollte  es  nicht  an  der  Zeit  sein,  auch  die 
deutsche  Jugend  in  dem  Sinne  dieses  Urtlieiles  iius  dem  Staube  der 
Grammatik  frischweg  hinaus  auf  die  Spradnviese  zu  führen  und  sie 
sriilicht  anzuleiten,  die  gefundenen  Blumen  und  Kräuter  zum  Strauße 
zu  binden,  ohne  vorher  jedes  einzelne  Pflänzchen  nach  dem  todten, 
trockenen  Herbarium  des  Sprachbuches  zu  bestimmen? 

Die  Natur  ist  unter  allen  Umständen  unsere  Lehrmeisterin,  und 
dämm  unter  allen  l^mständen  schultähig.  Wir  wollen  ihrem  frischen 
und  erfrischenden  Hauche  auch  in  jenen  Stunden  das  Fenster  geöffnet 
halten,  die  der  Pflege  der  iSprach-  und  Sprechfertigkeit  gewidmet  sind. 

„üm  das  Schulhaus  heult  der  Wind;  er  rüttelt  an  Fenstern 
und  Thüreu.  Er  schüttelt  die  Bäume,  dass  alle  Äste  zittern.  Es 
wimmert  in  den  Dachrinnen;  es  ächzt  und  kracht  in  den  Balken 
des  Daches.  Hoch  oben  kreischen  die  Wetterfahnen.  In  den  Stfillen 
der  Banemhöfe  br&llen  die  Binder;  die  Pferde  wiehern  laat  und 
poltern  mit  den.  Hufen.  Der  Dorfbach  branst;  laat  rollt  der 
Donner.'' 

Das  vorstehende,  zasammeohiiigende  Spracbst&ck  enthält  einen 
f&r  kindliche  Anffiissmig  vollkommen  ventfindHchen,  gedrfiogten 
davieransamg  einer  sommerliclien  Gewitter-^ympilionie.  Bei  liclitiger 
—  zaent  mündlicher,  dann  schriftticiher  —  llittheilnng  an  Schiller 
ober  unteren  oder  mittleren  Stnfe  wird  die  Mnsik  der  darin  ent- 
haltenen Zeitwörter  vollkommen  flbenengend  sein.  Die  Hodalationea 
der  Vocale,  die  krüftigen  Accente  der  Doppelconsonanten,  die  scharf 
ansgeprftgte  Rhythmik  der  einsflbigen  Aassageformen  werden  sich  nicht 
nur  sog^ch  an  den  »VerstaBd  wenden",  sondern  auch  «vorlinfig  das 
Ohr  mit  einer  Art  von  danklem  Bewosstsein  des  durch  die  Worte 
mitzatheilenden  Gedankens  erfüllen."  Eine  rein  musikalische  Betrach- 
tung jener  Verba  wird  die  Schreibung  derselben  klar  machen,  und 
naheliegende  Analogien  in  der  Anwendung  der  bezeichneten  Natur- 
töne werden  eine  Vertiefung  in  den  Inhalt  der  Wörter  ermöglichen. 
Leicht  treten  die  dem  Verbum  zukommenden  Merkmale,  die  es  als  ein 
die  Thätigkeit  bezeichnendes,  nicht  selten  auch  nachahmendes  Glied 
der  Sprache  erscheinen  lassen,  hervor.  Indem  das  dargestellte  Natur- 
schanspiel  in  späteren  Tagen  als  ein  Vergangenes,  oder  in  Voraus- 
ahnnng  des  noch  Kommenden  als  ein  Zokänftiges  von  den  Schülern 


Digitized  by  Google 


—  438  — 


unter  ^j^elegentlicher,  vielleiclit  niclit  immer  nöthiger  Anleitung  ge- 
schildert wird,  tritt  eine  technische  Seite  des  Verbums  gleiciisam  von 
selbst  in  die  Erscheinung  und  lässt  die  Ikdeutung  der  zur  Untei'- 
stiitzung  herbeigeholten  ,,Hilfszeitwörter"  auf  die  natürlichste  Art  er- 
kennen. Das  Resultat  dieser  rimng  lipfert  ein  vollkommen  ausreichen- 
dp<  (Terüst  für  alle  iibrigen  (Tebrauclisfurmen  des  Verbums,  die  im 
Wege  bestündiger,  lebensvoller,  immer  synthetischer  Übung  zum  gei- 
stigen Eigenthum  der  SeliUler  gemacht  werden. 

Was  l)raucht  es  nun  noch  der  Kategorien  von  unpeisönlichen, 
rückbezüglichen,  starken,  schwachen,  unregelmäßigen  Zeitwörtern? 
Welchen  Wert  hätte  jetzt  gar  die  Bestimmung  des  Verbums  in  seiner 
gelegentlichen  Eunction  als  Prädicat?  Wo  läge  jet/;t  die  Begründuns: 
fiir  die  Ansicht,  dass  der  Behandlung  des  Verbums  die  Kenntnis  des 
für  die  Unterstufe  so  schwierigen  als  unnützen  Prädicatsbegriffes  vor- 
ausgelien  müsse? 

Die  Auffassung  und  das  Verständnis  eines  Tonstftckes  werdea  on 
nichts  vielseitiger  nnd  tiefer,  wenn  man  es  anf  die  Lage  seiner  Drei- 
klAnge  nnd  die  Berechtigung  seiner  Modulationen  prüft:  Bichard 
Wagner  erledigte  das  bekannte  Qesetz  von  den  Quintenparallelen  im 
kurzen  Wege  mit  der  Bemerkung:  «Der  rechte  Musiker  wendet  sie 
nur  dann  nicht  an,  wenn  er  de  nicht  braucht!'* 

Ein  poetisches  Stflck  auf  seine  Fassung  grammatisch  zu  prüfen 
wird  in  Ansf&hrung  dieses  Gedankens  von  vielen  Schulmftnnem  als 
wenig  taktvoll  angesehen:  die  „lebendige  Einwirkung  der  ge- 
ftprochenen  Sprache'*  ist  eben  das  Beste»  was  der  Unterricht  zn  bieten 
vermag. 

IV. 

Die  Stellung,  welche  die  deutsche  Satzlehre  im  System  dei- 
Grammatik  einnimmt,  und  die  Behandlung,  welche  die  Recepte  der 
Syntax  dem  gesunden,  kräftigen  Stamme  einer  der  schönsten  der 

lebenden  Sprachen  angedeihen  lassen,  kann  Mitleid  erregen. 

Spannt  die  Flexionslehre  das  deutsche  Wort  auf  den  Secirtisch, 
so  legt  die  Lehre  vom  Satzbau  deutschem  Geiste  die  unerträglichste 
Schulfessel  an;  und  ganz  liesonders  schmachtet  hier  germanisches 
Wesen  in  lateinischen  Banden.  Das  Tin)>prinni  "Romanum,  politisch 
und  liistorisrh  übei- wunden,  beherrsclit  zwei  reiche  Gebiete  durch  die 
Form:  die  deutsche  Sprache  und  das  deutsche  Recht.  Neben  der  Ver- 
gewaltigung des  iirsjjriinglichen  germanischen  Rechts  durch  den  For- 
malismus des  rümischen  steht  die  grammatisclie  Dressur,  welche  huma- 


Digitized  by  Google 


—  439  — 


nistische  Scliul Weisheit  gerniaiiiscbem  Denken  zntheil  werden  lieA, 
aU  würdiges  Seitenstiick. 

Das  römische  Recht  basirt  auf  dem  nackten  EigentliumsbegrifF 
und  sieht  das  Merkmal  der  Persönlichkeit  klipp  und  klar  als  die  Be- 
fugnis an,  Eigenthum  zu  erwerben  und  zu  verlieren.  Die  landin titi^e 
»Syntax  ruht  auf  ihrer  erprobten  Srlmlfiirrael  und  gestaUet  der  Sprache, 
zu  dieser  Formel  die  Beispiele  zu  bilden. 

Danelten  schreibt  Montesquieu  über  den  ,.(Teist  der  Gesetze"  und 
douneil  Kli»i>stock  .^^eine  A'eise  von  ».Deutschlands  Sprache". 

Aber  die  Idealisten  werden  unbarmherzig  auf  realen  Boden  ge- 
zogen. Hundert  Jahre  nach  dem  franzi isischen  Philosophen  durfte 
Karl  Marx  hohnlachend  ausrufen:  „Der  (Teist  der  Gesetze  ist  das 
Eigenthum!";  während  Allmeister  Goethe  einige  .lahre  triiher  dem 
russischen  (lelehrten  Uwar(»tf  silirieb:  „Benutzen  Sie  in  Frieden  den 
unerraesalichen  Vortheil,  die  deutsi^lie  Spraclilehro  nicht  zu  kennen;  es 
ist  jetzt  fast  80  Jahre,  dass  ich  daran  url)eite.  sie  zu  vergessen!" 

Auch  die  neuere  Zeit  ist  an  dieser  Arbeit.  Mit  derbem  Hammer 
schmetteite  Rudolf  von  Jhering  in  seinem  „Kampf  ums  Recht"  an  die 
tönenden  Fensen  römischer  jQriqnmdenz,  indem  er  den  ersehen  In- 
halt eines  Ifiehel  Eohlhaas  mit  flammenden  Worten  verfbeht;  wflhrend 
Heinrich  Heine  in  den  ganz  |und  gar  ungrammatischen  Tönen  seines 
SpottUedes  dem  deutschen  Satz-  und  Versbau  den  Grabgesang  an- 
stimmte. 

Grammatische  Di'essur  hat  zwei  bezeichnende  Sprachtjpen  ge- 
zeitigt: den  Quellenstil  und  das  Eanzleideutsch.  Der  erste,  vielen 
Werken  gelehrtdeutscher  Geschichtschreibung  eigenthflmlich,  geht  den 
correcten  Schritt  der  Forschung:  er  dreht  und  wendet  den  Ausdruck 
gleich  einem  historischen  Actenstücke.  Seine  (Signatur  ist  das  vor- 
nehm Leidenschaftslose.  Das  zweite  wandelt  die  Bahn  erprobter  For- 
meb.  Da  die  Gnunmaitik  in  der  Lehre  vom  Nebensatz  Vorder-,  Zwi- 
schen- und  Nachsatz  kennt,  so  bauen  die  Meister  des  Amtsstiles 
beruhigt  ihre  sinnverwirrenden  Satzgefttge,  in  denen  der  Gedanken- 
tropfen eines  Hauptsatzes  nntor  einei-  wahren  Seeschlange  von  Neboi- 
sfttzen  verdampft.  Sein  Merkmal  ist  das  conventioneil  Langweilige. 

Dem  Zopfe  gegenäber  fallen  wallende  Perücken  um  so  mehr  auf; 
man  thut  gern  ein  paar  tiefe  Athemzüge  bei  ihrem  Erscbdnen.  Zu 
den  Sciiriften  dieser  Art  gehören  Moltke's  Reiseschilderungen,  Bis- 
marcks Reden  und  Briefe,  HebV)ers  Prosa.  Das  vielberufene  Rem- 
brandt-Buch  nannte  in  fröhlicher  Übertreibung  dieses  (yedankens 
Moltke  den  einzigen  deutschen  &:$cbrift8telier  der  Gegenwart.  Zuweilen 


Digitized  by  Google 


—  440  — 


weht  die  Locke  besonders  ungebondeu,  wie  im  Tagebiiche  unseres 
Grill parzer's;  aber  mau  liest  sich  darin  in  eine  geistige  Somuieifrische 
hinein.  Die  Sprache  dieser  Männer  ist  ein  Beispiel  für  den  Satz: 
,.Es  gibt  nur  eine  Grammatik,  die  des  Verstandes!"  Sie  stellen 
praktisch  den  echt  französischen  Spruch  auf:  „Der  Stil  ist  der 
Mensch!"  Aber  die  Grammatik  schüttelt  dazu  das  ehrwürdige  Formel- 
haupt, denn  ihre  Tendenz  heißt:  „Der  Stil  ist  die  Regel!** 

Jeder  Unterricht  hat  das  begreifliche,  zum  Theil  Welleitht  noth- 
wendige  Bestreben,  einen  Gedaukenstoff  in  eine  Formel  zu  verdichten. 
Da  ist  denn  dem  Sprachunterrichte  die  Grammatik  ein  gefunden  Essen; 
die  E^rkenntnis,  dass  die  elementare  Dressur  in  den  Formen  der 
MatterspradM  die  höhere Drenor  in  den  „dassiBdien''  waä  „modernen'^ 
Spraehen,  die  das  Gymnadum  besorgt,  wesentlich  unterstatzt,  wird 
nebenher  angelesen. 

So  hoekt  neben  den  begehrteren  Schwestern  der  Vergangenheit 
und  des  Anslandes  das  heimatUche  AsdienbrOdel  im  SchnlwinkeL 
Wann  kommt  der  Freier,  der  es  als  Befreier  zun  firOhUchen  Beigen 
fthrt? 


Digitized  by  Google 


Yolksbildang  und  Yolksbildani^itteL 


Von  Beetoi  A*  GUO'Oaatd, 

T  ' 

An  früheren  Zeiten  hat  man  sich  lebhatt  darüber  gestritten,  wer 
als  {gebildet  gelten  könne.  Die  Discussion  über  diese  Frage  wird 
gegenwärtig^  niclit  mehr  so  oft  und  weit  weniger  heftig  geführt.  Man 
gibt  heute  schon  ziemlich  allgemein  zu,  dass  Wissen  an  sich  noch 
nicht  Bildung  sei,  sondern  erst  das  Eintreten  in  die  Welt  als  tliätiges 
Glied,  die  Befähigung,  das  Wissen  und  Können  in  den  Dienst  des 
Ganzen  zu  stellen,  kurz  die  sociale  Thätigkeit.  Goethe  sagt:  „Mit- 
getheiltes  aufzunehmen  wie  es  gegeben  wird,  ist  Bildung",  mit  anderen 
Worten:  „Bildung  ist  die  aus  dem  an  sich  rohen  Zustande  heraus- 
arbeitende Thätigkeit,  in  welcher  die  Persönlichkeit  mittelst  An- 
eignung, Sichtung  und  Assimilirung  der  vorhandenen  ßildungselement*^ 
mittelst  Selbstentwickelung  und  Selbstbeschränkung  sich  im  Leben 
(trientirt  und  mit  dem  Ganzen  in  die  M'echselbeziehung  des  Em- 
pfangens und  Wirkens  tritt."  Nicht,  dass  mau  „schrecklich  viel  ge- 
lesen" habe  oder  in  fremden  Sprachen  reden  (häufiger  schweigen!) 
kann,  macht  die  Bildung  aus,  sondern  sie  erweist  sich  darin,  wie  man 
lebt  und  handelt,  was  man  f&r  das  Ganze  thnt  und  fikr  deaaelhe  mrt 
ist  Die  Bfldong  ist  also  nieht  blos  ebie  AoBStatfenng  des  Geistee, 
sondeni  eine  Augf^estaltung  desselben,  sie  erweist  sich  nicht  nnr  im 
Antoehmen,  sondeni  vielmehr  dnreh  selbstthätige  Entwickelmig  und 
ÄnSenmg.  Daher  spricht  man  bei  Enaben  imd  Jfbii^ingeii,  die  noch 
von  andern  erzogen  und  nnterrichtet  werden,  von  Ersielmng  nnd 
Wissen,  nicht  aber  von  Bildung,  diese  ei^nnt  man  erst  dem  Manne 
zn,  der  sich  sdbstthätig  fortgebfldet  hat 

Ans  dem  daigelegten  Begriflfo  der  Bfldnng  ergibt  sich,  dass  jeder 
büdnngsAhige  Mensch  zn  seinem  und  des  Ganzen  Beeten  eine  mög- 
lichst tüchtige  Bildmig  erhalten  mnss.  Ehemals  hielt  man  die  Bildung 
nnr  Ar  die  höheren  Stände,  für  die  herrschenden,  nothvoidig;  unsere 

Palmtw»-  1^  Haft  VU.  Hl 

Digitized  by  Google 


—  442  — 


Bildungsanstalten  tragen  noch  heute  vielfach  den  Stempel  der  Standes- 
schulen; aber  ein  Mensch,  der  öffentlich  ausspräche,  nur  bestimmte 
Stände  müssten  gebildet,  andere  aber  in  der  ünbüdong  erhalten 
werden,  würde  für  liirnverbrannt  angesehen. 

Nachdem  unsere  Classiker  Lessing,  Schiller  und  Goethe  ein  neues 
Bildungsideal,  eine  dem  Facligelehrten  wie  dem  Nichtgelehrten  gemein- 
same, allgemeine,  rein  menschliche  Bildung,  die  wüj'dige  Darstellung 
der  Menschheit  in  dem  Einzelwesen  aufgestellt  hatten,  suchte  mau 
die  Bildungsstoffp  zu  popularisiren,  die  große  Masse  des  Volkes  aul 
einen  iiohcreu  Bilduugsstandpunkt  zu  erheben  und  in  einen  gemein- 
samen Rhythmus  des  Fortschritts  zu  setzen.  Die  Wissenschaft  ist 
von  nun  an  nicht  melu-  die  Domäne  einzelner,  die  lateinischen  und 
griechischen  Zäune,  durch  welche  die  Menge  von  den  Bildungsquellt-u 
abgesperrt  wurde,  bekamen  immer  größere  Lücken,  die  Ergebnisse 
der  wissenschaftlichen  Forschungen,  die  neuen  Entdeckungen  und  Er- 
hudungen  wurden  jedermann  zugänglich  gemacht,  große  Künstler  ver- 
schmähten es  nicht,  Volks-  und  Kinderschrifteu  mit  ihren  Bildern  zu 
schmücken,  Bibliotheken,  Museen,  Galerien,  Ausstellungen  etc.  stehen 
jedem  ohne  Unterschied  ofliui,  das  Gebiet  der  Unterhaltongsschriften 
mit  beleluraBtai  Inhalt  ans  allen  Geibieten  der  Wlasensdiaft  und 
Ennat  erweiterte  sich  mit  jedem  Tage,  populftre  Schriften  Aber  die 
Terschiedenaten  Wiasenazweige,  Encyklopädien,  Ctonveraationalerika, 
Broachflren,  Flogblätter  nnd  nidit  zom  geringsten  TheOe  die  öffentliche 
Prease  stellen  aich  in  den  Dienet  der  allgemeinen  Volkahildnng. 

Die  Werke  unserer  daasiker,  die  vorzfiglicliaten  Volkabildnnga- 
mittel,  shid  so  billig  geworden,  dass  man  sie  aoeh  in  einer  be- 
scheidenen Wohnnng  finden  kann.  Es  ist  ein  m&chtiger  Strom,  der 
an  den  einaelnen  heranftatet;  leider  wird  er  aber  dnich  den  Bigen- 
nuts  der  Menschen,  die  gern  im  trüben  fischen,  durch  unreine  Bei- 
mischungen getrfibt.  Wer  kennte  sie  nkkti  die  seichten  und  unreinen 
Unterhaltnngsschiiften,  die  mit  Erfolg  sich  an  die  niederen  Triebe 
des  Menschen  wenden,  seine  Phantasie  verunreinigen,  sein  Urtheil 
verwirren!  Dazu  drängt  sich  diese  Schmntsliteratur  vor,  sie  dringt 
in  die  Wohnungen  der  ungebildeten  Leute  ein  und  wird  dort  aus 
Mangel  an  Besserem  förmlich  verschlungen. 

Heutzutage  spricht  und  schreibt  man  viel  über  Volksbeglückung; 
dass  man  diese  nur  gründlich  durch  Eradehung  nnd  Bildung  erreichen 
kann,  gibt  man  wol  auch  zu,  thut  aber  zu  wenig  dafür.  Die  Vereine 
zur  Bekämpfung  der  Trunksucht,  der  Bettelei,  dei-  Unaittlichkeit  etc. 
bekämpfen  die  Folgen  eines  Übels,  die  Ursachen  können  nur  durd\ 


Digitized  by  Google 


-  44a  — 


bessere  Volksemehnng  und  VoUoMdnng  beseitlirt  werden.  Wir  sind 
ja  in  Bezug  auf  Bildung  der  Inreiten  Hassen  andern  Völkern  voraus, 
doch  ist  noch  viel  Verdienst  fibrig,  es  ist  noch  lange  nidit  genug 
geschehen. 

Unser  Volk  wird  erst  blfthen  and  gedeihen,  wenn  man  die 
Bildung  der  großen  Masse,  die  man  gemeinhin  „Volk**  nennt,  emst- 
lich und  mit  allen  Kräften  hebt,  nicht  aber,  wie  jetzt  noch  vielftch, 
die  Hanptbüdnngsstätte  des  Volks,  die  Volksschule,  in  einem  Zu- 
stande belftsst,  der  nach  den  Aussagen  des  TormaUgen  preußischen 
üntenichtsministers  von  Gossler  in  Besag  aaf  Ausstattung  weit  hinter 
dem  Nothwendigsten  znrflckbleibt,  wenn  man  femer  die  Zeit  nach  der 
Schulentlassung,  die  für  viele  ein  Zurückgehen  im  Wissen  und  Können, 
ein  Verwahrlosen  mit  sich  führt,  fftr  die  weitere  Büdong  durch  Grün- 
dung von  Fortbildungsschulen  ausnützt,  wenn  man  allgemein  Ver- 
anstaltungen trifit,  auch  den  folgenden  Altersstufen  einen  geist-  und 
gemttthbildenden  Bildungsstoff  durch  Volksbibliothekeu  daraubieten, 
Oberhaupt  allen  dazu  zu  verhelfen  sacht,  dass  sie  theilnehmen  an 
dem  Leben  und  Streben  der  Nation. 

n. 

„Unsere  Arbeiter  haben  ein  Recht  auf  Arbeit,"  hatte  Füi-st  Bis- 
marck gesagt,  und  alsbald  schickte  man  sicli  an,  die  Folgerungen  aus 
diesen  Worten  zu  ziehen.  Wir  wünschen  auch,  dass  in  Zeiten  der 
Notli,  wo  sich  Arbeitsmangel  einstellt,  von  selten  des  Staats,  der 
Communen  und  anderer  Verbände  lohnende  Arbeit  geschafft  werde; 
aber  wir  verlangen  noch  mehr  für  sie,  eine  ausreichende  Bildung  für 
den  Kampf  ums  Dasein. 

Bildung  macht  frei,  Bildungsarmut  also  unfrei,  Bildung  gibt  Macht, 
Bildungsmangel  macht  abhängig.  Das  wissen  die  Leute  sehr  wol,  die 
ihren  Kindern  eine  möglichst  weitgehende  Bildung  geben,  die  sie 
Schulen  besuchen  lassen,  die  mit  Berechtigungen  ausstatten,  die  in 
iliren  Bildungsstoffen  die  Zauberformeln  bieten,  mit  denen  man  über 
andere  zu  herrschen  vermag.  Pftr  das  Kind  des  geringen  Mannes 
hört  die  Bildnngszeit  schon  mit  dem  14.  Lebensjahre  auf,  die  Volks- 
schule hat  keinerlei  Berechtigungen  mitangeben,  die  in  ihr  erworbene 
Bildung  gilt  den  fremden  Bildungsstoifen  der  höheren  Schulen  gegen- 
über nicht  als  ebenbfirtlg. 

Wir  leben  in  einer  Zeit,  in  der  die  wunderbarsten  Entdeckungen 
und  Erflndungen  des  Henschengeistes  überall  ihre  Anwendung  finden. 
Wie  die  Erfindung  des  Schiefipulvers  den  VerlUl  der  Adelsherrschaft 

31* 

Digitized  by  Google 


—   444  - 


Dnd  die  liefreiiinp  des  Bürger-  und  Baueinstandes  herbeiführte,  so 
hat  die  Entdeckung  der  Damptkraft  nnd  ihre  Anwendung  einen  neaen 
Stand  geschaffen,  der  in  der  Gegenwart  mächtig  aufstrebt  und  um 
Anerkennung  seiner  Forderungen  rin^rt.  Wie  die  Kraft,  die  ihn  ge- 
boren, äußert  sich  dei*  Wille  dieses  Standes  vielfach  in  einer  Weise, 
die  alle  B'ormen  zersprengen  möchte;  wenn  dieser  Wille  nicht  geleitet, 
nicht  regulirt  wird,  so  kann  er  der  bestehenden  Gesellschaftsordnung 
gefahrbringend  werden.  Wie  will  man  dem  Umsturz  entgegen  wirken, 
wie  kann  mau  unsere  Verhältnisse  für  alle  Theile  befriedigender  ge- 
stalten? Eins  der  vorzüglichsten  Mittel  linden  wir  in  der  Erziehung 
und  Bildung  des  \'olkes.  Mit  allem  Eifer  muss  auf  eine  vernünftige 
Erziehung  in  der  Familie  hingewirkt,  die  mit  oder  ohne  Schuld  der 
Kitern  und  Pfleger  vernachlässigten,  verwahrlosten  Kinder  müssen  in 
Erziehungsanstalten,  die  nicht  genügend  beaufsichtigten  in  Bewahr- 
aiistalten  und  Kinderhorten  während  der  Abwesenheit  der  Eltern  von 
Hause  beschäftigt  und  überwacht  werden .  die  Unterrichtsaustalten 
müssen  noch  mehr  als  bisher  die  Bedürfnisse  des  Lebens  ins  Auge 
tus.sen.  auf  die  Bildung  eines  klaren  Urtheils  und  eine  vernünftige 
Auffassung  des  Verhältnisses  des  einzelnen  zu  Gott,  den  Menschen 
und  der  Natur  hinwirken. 

Unsere  Volkss^chnle  insbesondere  muss  der  Augapfel  unseres 
Volkes,  nicht  sein  AsdienlnOdiel  sein,  sie  muss  hesser  ausgestattet 
werden  als  bishei'  und  durch  die  Fortbildungsschnle  ergftnst  oder 
aber  die  Schulpfliciit  Uber  die  bisherige  Zeit  hinans  yeriflagert  werden. 
Die  Gegenwart  verlangt  neae  Filcber:  Gesetaesknnde,  Yolkswirt- 
schafts-  und  Qesondheitslehre.  Da  heiBt  es  denn,  die  Schalen  sind 
mit  Stoff  flberbOrdet,  sie  können  die  neuen  Fächer,  so  sehr  auch 
deren  Nützlichkeit,  ja  Nothwendigkeit  anerkannt  werden  nrass,  nicht 
mehr  anftaehmen.  Dass  man  eine  Masse  nnnlltzen  Gepftckes  abwerfen 
kl^nne,  mn  das  BFanchbsre  nnd  Nöthige  tragen  m  kOnnen,  sieht  man 
noch  nidit  flberall  ein.  Die  GeseUeskiinde  lasst  sich  sehr  wol  in  den 
Religions-  nnd  Geschichtsnntenieht,  die  Gesnndheitslehre  in  den 
natnrknndlichan,  die  Volkswirtschaftslehre  in  den  deutschen  und 
Bechenunterricht  einflechten.  Man  glanbe  nur  nicht,  dass  wir  eine 
systematische  Gesetzeskunde,  ein  System  der  Nationalökonomie  oder 
auch  der  Anatomie  fordern;  nur  das  für  den  künftigen  Bfliger  des 
Staats,  das  vernünftige  Glied  der  Gesellschaft  und  der  Familie  aus 
diesen  GM»ieten  Nüthige,  das  der  geistigen  Auf&ssung  Angemessene 
sull  in  zweckentsprechender  Weise  gelehrt  werden. 

Da  aber  die  Volksschule  die  Kinder  in  einem  Alter  entlAsat,  in 


Digitized  by  Google 


—   445  — 


dem  sie  geistig  nocb  unfertig,  in  sittlicher  Beziehung  aber  der  Fühnuig 
mehr  als  zu  einer  andern  Zeit  des  Lebens  benöthigt  sind,  so  mnss 
sie  durch  die  obligatorische  Fortini  dungsschale  ergänzt  oder  noch 
besser  mit  verminderter  Stundenzahl  bis  zum  17.  Lebensjahre  fort- 
gefilhrt  werden.  Dagegen  lasse  man  die  Schulpflicht  erst  mit  dem 
vollendeten  7.  Lebensjahre  beginnen  und  srliränke  die  bisherige 
Stundenzahl,  die  zur  körperlichen  Verkümmerung,^  vieler  Kinder  bei- 
trägt, wesentlich  ein.  Die  heute  so  vielfach  beklaj^te  j^eistip-e  üu- 
fertigkeit  und  sittliche  Verwahrlosung  haben  iiauptsichlich  darin  ilireu 
(rrund,  dass  Einrichtungen  fehlen,  die  den  jungen  Menschen  in  seiueni 
bildungsfiihigstcn  und  erziehungsbedürftigsten  Alter  vom  14.— 17. 
Lebensjahre  in  Zucht  nehmeu.  Um  das  Lehr-  und  Bildunf;sbediii  this 
des  Volkes  weiterhin  zu  befriedigen,  müssen  überall  Volksbiblio- 
theken eingerichtet  werden.  Dann  wird  die  Unsittlichkeit ,  Ver- 
brechen nnd  geistige  Verwirrung  erzeugende  Schund-  und  Schmutz- 
literatur am  wirksamsten  von  dem  ^'olke  abgehalten  und  vernichtet 
wei'den  können. 

Kommen  dann  noch  Veranstaltungen  hinzu,  die  für  edle  Gresellig- 
keit  und  L'uterhaltung  sorgen,  wie  die  an  manchen  Orten  schon  mit 
Segen  eingeführten  Volksunterhaltnngsabende,  Lese*  imd  Bil- 
dungsvereine, Gesangvereine  u.  a.,  dann  wird  es  am  vieles 
liesser  werden,  vor  allem  werden  die  in  geistiger  Stumpflieit  und 
mangelnder  geeeUschafUicher  Zucht  woraelnden  Hoheiten  nnd  Ane- 
eehreitongen  immer  seltener  vorkommen.  Mochten  alle  Gebildeten 
dazu  beitragen,  dass  alle  Mittel  angewendet  werden,  um  uiser  Volk 
zn  heben,  es  immer  mehr  zn  gleichmftftigem  Fortschritte  «i  befiUugen 
Die  Gefiihr,  die  uns  von  der  geistigen  Noth  nnd  dtüichen  Boheit 
droht)  mahnt  Ja  immer  eindringlicher  dam. 


Digitized  by  Google 


Pftdagoglfitehe  Jtundsehaa. 

Detttitthei  Beieli.  Über  te  Benich,  imm  sieh  gegwwftrtig  (Wintfl»« 
aonester  1891/92)  die  deatsehen  Hoebselmleii  erfreuen,  gibt  folgende 
interanante  Übersicht  Anfschlnss : 

Die  Universität  Königsberg  wird  in  diesem  Semester  von  667  Studirenden 
und  16  Hörern  (gegen  716  im  Sommer  1891)  beBudit.  Der  theologischen 
Facnltftt  geboren  i&  146,  dar  jaÜOmtnt  157,  der  ««didntodiMi  322,  der 
philoeophisohea  143  Stadirende.  —  Oreifswald:  719  Stndiiende  und  10 
H5rer  (829  im  Sommer  1891).  Die  theologische  Facultät  zählt  244,  die 
jaristiache  76.  die  medicinische  322,  die  philosophische  67  Studironde.  — 
Kiel:  480  Studireude  und  28  Hörer  (630  im  Sommer  1891).  —  Theologische 
Facnltttt  73,  jaiistiacbe  47,  mediebiiMbe  259,  phüoeopbiache  101  Stadirende. 
—  Boitock:  377  Stadirende  vnd  4  HOrer  gegen  377  Beioeber  im  vorigea 
Semeeter.  Theologen  41,  Jnrif^tt  n  56,  Mediciner  139,  Philosophen  145.  — 
Breslau:  12'i2  Studirende  und  30  Hörer  (gegen  1305  im  Sommor  1S91). 
Die  evangelisch -theologische  Facnltät  zählt  144,  die  katholisch -theologische 
182,  die  jaristische  271,  die  medicinische  306,  die  philosopUiche  359  Sta- 
dirende. —  Würsbarg:  1867  Stadirende  and  22  HSrer  (1422  im  Sommer 
1891).  Hierzn  komm«!  noch  125  Stadirende,  welche  in  der  &mtüehen  Prüfung 
stehen.  Der  theologischen  Facultät  gehören  149,  der  juristischen  267,  der 
medicinischen  770,  den  philosophischen  Sectionen  and  der  l'hannacie  181  Sta- 
dirende an.  —  Bonn:  1204  Studirende  und  35  Hörer  ^1392  im  Sommer 
1891).  Die  katboliMh-tbeologiscbe  Facaltftt  sBhlt  165,  die  eTUgelieeb- theo- 
logische 108,  die  juristische  287,  die  medicinische  256,  die  philoeophisdie 
388  Studirende.  —  Halle:  1 522  Studirende  und  62  Hörer  (1493).  Die  theo- 
logische Facultät  zählt  600,  die  juristische  189,  die  medicinische  281,  die 
philoeophische  452  Stadirende.  —  Leipzig:  3431  Stadirende  und  125  Hörer 
(3242).  —  Tübingen:  1172  Stadirende  and  15  HVrer.  Der  evangeliseh- 
theologischen  Facultät  gehören  an  318,  der  katholisch-theologischen  167.  der 
juristischen  193,  der  medicinischen  2'M\  der  philosophischen,  staatswissenschaft- 
lichen und  naturwissenschaftlichen  Facultät  264  Studirende.  —  (TÖttingen: 
807  Studirende  und  36  Hörer  (838j.  Der  theologischen  Facultät  gehören 
184,  der  JarlsÜBehen  164,  der  mediclniichen  217,  der  plriloeophlachen  242 
Stadirende  an.  —  In  Marburg:  840  Studirende  und  42  Hörer  (947).  Der 
theologischen  Facultät  gehören  137,  der  jnriRtischen  155,  der  medicinischen 
258,  der  philnsophisrhen  Facultät  290  Studirendf  an.  —  Berlin  hat  .5371 
Studirende,  außerdem  sind  320  Hörer  und  2651  Studirende  anderer  Hoch- 
Bchalen  und  Lehranstalten  zum  Beenehe  der  Vorleaongen.  bereehtigt  (4427). 


Digitized  by  Google 


—  447  — 


Von  den  .Stndirenden  gehören  707  der  theologischen,  der  juristischeu, 

1410  der  mediciuischeD,  1659  der  pliilubophiscken  Facultiit  au.  —  Meidel* 
berg:  982  Stsdireode  und  144  HOrer.  Der  fheologiachen  FaeolUlt  gehöm 
73,  der  juristischen  253,  der  medicinischen  245,  der  philosophischen  178,  der 
natnrwissenschaftlich- mathematischen  183  Studirend»-  an.  —  Akademie  zrx 
Münster:  384  Studirende  und  13  Hörer  (377).  Der  theologischen  Facoltät 
gehören  251,  der  philosophischen  133  Studirende  an.  —  Straßburg:  9ü9 
Stodirende  und  57  H9rer.  Der  theologischen  Facnltftt  gehOren  118,  der 
juristischen  229,  der  medidnlBchen  356,  der  philoeophiaehen  113,  der  mathe- 
matischen  nnd  natnrwißaoMdiaftlichen  153  Stndirende  an.  Jena:  .')81 
Studirende  und  29  Hörer.  —  Glessen :  543  Studirende  und  42  Hörer.  — 
München  hat  3292  Stndirende  und  55  Hörer,  darunter  136  Studiieude  der 
Theologie,  1214  der  Jnriqinidenz,  97  der  etaatswiaaeiiBehiltlichen  FaealtRt» 
1081  der  medicfaiiBcheii,  600  der  phüosophiichen  AUheUmifen ,  264  stndiren 
Pharraacie.  -  Erlangen:  1060  Studirende.  Davon  gehören  264  der  theo- 
logischen, 228  der  juristischen,  344  der  medicinischen  Facultät,  133  den 
philoeophischen  Abtheilungen  an,  2b  widmen  sich  dem  zahnärztlichen  Studium, 
68  der  nuurmaeie.  Die  Zahl  der  H«rer  betvict  13.  —  Freibarg:  856 
Stodirende  und  62  Hoopitaiiten.  Von  den  Stndirenden  gehSren  208  der  theo- 
logischen, 142  der  juristischen,  304  der  mediciniedien  Facultät  und  der  T^har- 
macie  an,  202  der  philosophischen  Facnltät.  —  Von  den  Universitäten  zn 
Leipzig,  Jena  und  (iiessen  fehlten  noch  die  Angaben  im  einzelnen.  Nach 
den  genannten  FreqnenidlEwn  ünden  wir  an  den  fibrigeu  18  bes.  17  Hoch- 
sehnkn  inegesammt  4414  Stodirende,  welche  den  theologieeben  Facnltftten 
zngehören ;  5620  gehören  den  juristischen  nnd  staatswissenschaft- 
liclien.  5906  den  philosophischen  nnd  7480  den  medicinischen  Facul- 
täten  an.  Am  grüßt«n  ist  demnach  zur  Zeit  der  Andrang  zum  ärztlichen 
Berufe.  —  Ohwol  die  zar  VerfBgong  stehenden  Mittel  infolge  der  niebt 
günetigen  Finaudige  Prenfienfl  nur  beaebrlnkt  sind,  ist  es  doeb  mO^^leb  ge- 
wesen, auch  flr  das  Etatjahr  1892/93  die  Lehrstühle  an  den  Uni- 
versitäten zu  vermehren.  So  sollen  an ßerord entliche  T'rofessnren  für  die 
ostenrop&ische,  insbesondere  russische  Geschieht«  in  Herlin,  für  die  philosophische 
FtanUiit  in  Oreiftwald,  für  die  neueren  Sprachen  in  Marburg  und  für  die  eng- 
liaebe  Spraehe  nnd  Litfceratnr  in  MVnater  gesebafliBn  werden.  An  Enatn- 
Ordinariaten  sind  zwei  in  der  philosophischen  und  eines  in  der  medidnlsehen 
Facnltftt  in  Breslau,  sowie  ein  solches  in  der  theologischen  Facnltät  in  Kiel 
vorgesehen.  Der  Decan  der  theologischen  Facultät  d^r  vereinigten  Fried- 
riehB-Universität  Halle-Wittenberg  hat  die  Preisaufgaben  für  das  Halbjahr 
▼om  12.  Jannar  bis  12.  Jnli  1892  bekannt  gemacht  Die  wisaeniehallliehe 
Preisanfgabe  verlangt  die  Bearbeitung  des  Themas:  „Darf  man  Christum  als 
Urbild  der  christlichen  Sittliclikeit  in  der  Ethik  behandeln?"  Vorbehaltlich 
der  erbetenen  höheren  Genehmigung  soll  bei  der  Bearbeitung  der 
Aufgabe  die  deutsche  Sprache  angewandt  werden.  Auch  ein  Zeichen 
der  flvrtMdireitenden  Zflit! 


B.  Vom  dentschen  Ostseestrande.  AIIp  nuthodisclien  Fragen  waren 
hier  am  Strande  auf  dem  Gebiete  des  höheren  und  niederen  Schulanterrichti 
in  den  Hintergrund  getreten,  seitdem  man 


Digitized  by  Google 


—    448  — 

1^  an  einem  neaen  Lehrplane  Ar  die  hdheren  Unterridittanitalten; 

2)  an  einem  Dotationsplan  für  die  akademisch  gebildet«i)  Lehrer,  und 

3)  an  einem  allgemeinen  VoHLSiclialgesets  föi*  Preußen  im  Coltai- 

ministerium  arbeitete. 

Der  neue  Lehrpluu  t'iu  die  höheren  Unternciit^austalteu  in  Prenien  ist 
irlllcUioh  bis  nun  1.  April  1892  dmreh  das  bekannte  „Siebencestirn'*  am  pida- 
Ko^iscben  Himmel  Borassias  fertig  gestellt.  Wie  weit  man  darin  der  kaiser- 
lichen Directive:  ^Wir  wollen  der  Jngend  nicht  die  Schulzeit  durch 
I'berbürdung  verleiden,  und  wir  wollen  keine  Römer  erziehen** 
nun  Rechnung  getragen  hat,  wird  erst  die  Zukunft  lehren.  In  daa  übertriebene 
Oesehrei  über  die  uberbOrdnng  in  allen  Seholen  misehten  sidi  lante  Bofe 
nach  Abschaffung  der  „todten  Spraehen".  Homer  nnd  Taeitna  wandeln  jedoch 
stolzen  Hauptes  in  20O0.j;ihrigor  Toga  auf  dem  Lehrplane  unter  germanischen 
Ki-scheinungen  nach  wie  vor  umher;  dem  letzteren  Wunsche  ist  also  nicht 
nachgekommen  worden.  Der  Glaabe,  dass  die  Überbürdang  in  dem  aus- 
gedehnten ünterrieht  im  Latein  nnd  ChrleeUseh  in  snehen  sei,  ist  dnieh  die 
Conferenzbeschllisie  der  «aieben  Weisen"  in  Beriin  widerlegt  worden,  wean- 
^eich  sie  Kürzungen  der  Pensen  hie  und  da  gestattet  haben. 

Soeben  ist  denn  auch  der  Besoldungsplan  für  die  Lehrer  an  den 
höheren  Lehranstalten  veröffentlicht  worden.  Man  hatte  erwartet,  dass 
durab  denselben  gereebten  Ansprttehen  für  lange  Zeit  würde  Genfige  geleistet 
werden.  Mit  großer  Spannnng  wurde  seitens  der  akademisch  gebildeten  Lehrer 
an  unsern  höheren  Schulen  das  Erscheinen  des  neuen  Normaletats  erwartet, 
mit  sehr  gemischten  Gefülilen  haben  dieselben  Kenntnis  von  demselben  ge- 
nommen. Seit  zwölf  Jahren  befindet  sich  diese  Kategorie  von  Lelirern  in  einer 
gesteigerteii  Erregung  ttber  die  Unanlingliehkeit  ihres  Anfrttekeos  im  Dienst 
nnd  ihrer  Besoldung.  Zn  wiederholten  Halen  hat  das  Abgeordnetenhans  and 
seine  Unterrichtscommission  diese  Missbränche  anerkannt,  nnd  ebenso  hat  die 
Staatsregierang  wiederholt  erklärt,  dass  eine  „gründliche"  Bessernng  der  Vei  - 
hältoisse  nöUiig  sei,  ja  im  April  1885  hat  der  Cultasminister  v.  Liossler  aus- 
drttddidi  im  Namen  der  Staataregierong  die  EritUbrong  abgegeben,  dass  sie 
die  Glefehstellnag  der  Gymnasiallehrer  mit  den  Richtem  erster  Instanz  für 
berechtigt  halte.  Es  durlPten  nach  allen  den  Vorgängen,  besonders  auch  nach 
dem  Erlass  der  Cahiiietsordre  des  Kaisers  vom  17.  December  1890,  die  be- 
treffenden Kreise  erwarten,  dass  die  Staatsregierang  jetzt  die  Angelegenheit 
sn  einam  befriedigenden  Ende  fthren  werde.  Diese  Hoffnungen  sind  dnrdi  die 
Gehaltssütae,  wie  sie  das  Ministerium  in  Vorsehlag  gebracht  hat,  grOndUeh 
getüscht. 

Das  neue  Volksschulgfsetz  hat  unsern  Dünensand  zu  Pirmlichen 
Saudhosen  aufgewirbelt.  So  sehr  luan  seit  Erlass  der  Verfassung  von  1848 
auf  ein  Volksschalgesetz  wartete,  so  sehr  hat  sich  die  große  Kajoritttt  gegen 
die  Faamng  des  noeh  sehwebenden  EntwurüBS  geltend  gemaeht  Wihread  von 
der  einen  Seite  gefOrchtet  wird,  dass  Geseta  werde  Heuchelei  und  religiöse 
Intoleranz  im  N'olke  erziehen,  wollen  andere  sogar  behaupten,  dass  durch  das- 
selbe ein  wesentlicher  Theil  der  Segnungen  der  Reformation  werde  ver- 
loren gehen.  Wir  sehen  nicht  so  sehwarz.  Paragraphen,  welche  sich  auf  ver^ 
altete  Pihhlbanten  stiitien,  werden  den  Stttnnen  unserer  Tage  nioht  lang»  an 
widerstehen  vermlfgen ;  doch  ruhen  sie  auf  „dentsehen  Sädwn",  so  flberdaaem 


DIgitized  by  Google 


—   449  — 


sie  Jahrhunderte.  Noch  ist  ja  das  letzte  Wort  über  den  sensationellen  Ent- 
warf nicht  gesprochen,  and  doch  ist  ein  Wort  aus  der  Generaldebatte  des  Ab- 
geordnetenhanses  im  Januar  d.  J.  schon  über  alle  Lande  geflogen.  Herr  v. 
Zedlitas  meiDte  za  einigen  nationalUberalen  Fordeningen  auf  dem  Gebiete  des 
Religionsunterrichts,  dass  er  mit  d«Dselb«n  einverstanden  wäre,  wenn  et 
sich  um  den  Unterricht  in  den  höheren  Schulen  handelte.  Unser  deutsche« 
Volk  ist  durchaus  nicht  daran  gewöhnt,  die  Religion  nur  als  Massenbändigerin 
aaznsehen.  Für  unser  Volk  ist  die  Religion  die  Führerin  zur  ewigen  Glucks- 
Seligkeit.  Das  Volk  Tenleht  es  nicht,  weahalb  nnn  den  Schillern  der 
höheren  Schalen  die  Heilswahrheiten  mit  einem  andern  Maße  zn* 
gemessen  werden  sollen,  als  seinen  eiofenen  Kindern.  Sind  die  Kinder 
von  reichen  £ltem  im  Stande,  auf  einem  andern  Wege  iu  den  Himmel  zu 
kommen  als  nnsere?  harschte  ein  Schlossermeister  Ihren  Referenten  an.  Das 
kommt  dnyon!  (Dwwischen  iit  4er  flnffUdie  Ebtwnrf  gefeUen.   D.  R.) 

In  dieser  Zeit  des  Ringens  und  Strebens  nach  gesetzlich  geregelten  Sdinl- 
zuständen  wird  der  Streit  um  die  Trennung  des  Kelig-ionsunterrichts  von 
der  Schale  mit  besonderer  Heftigkeit  geführt.  Außer  den  nicht  zu  unter- 
aoUUEendea  Stimmen,  welche  aus  Süd  und  Nord,  West  und  Ost  laat  geworden 
lind,  Terdient  eine  Abhandlnnsr  des  ProfiMMirs  der  Theologie,  Dr.  Pfleiderer, 
in  den  ^Preußischen  Jahrbüchern"  die  writoste  Verbreitung, 

Ich  kann  bei  meiner  heutigen  Rundschau  unmöglich  einen  garstigen 
Bombensplitter  unerwähnt  lassen,  weit  her  aus  einem  Revolverprocess  in  Berlin 
entflog  und  viele  KOpfe  onserer  Strandpädagogen  erhitzt  hat.  Man  höre!  — 
Ein  hegfthter  Beriiner  Rector,  Namens  Ahlwardt,  war  früher  in  aige  Sdinlden, 
zuletzt  auch  in  Beleidigungsprocesse  verwickelt.  A.  hat  sich  mit  Stocker  ver- 
bunden und  ist  durch  mehrere  Broschüren  in  lebhaften  öffentlichen  Kampf 
gegen  das  „Jndenthum"  getreten.  Eine  dieser  Broschüren  sollte  mehrfache 
Beleidigungen  gegen  ehemalige  Vorgesetzte  und  Collegen  des  Ahlwardt  ent- 
haltM,  vnd  so  worde  im  Febmar  d.  J.  gegen  den  Gnltnrkimpfer  ein  Monstre- 
process  in  Scene  gesetzt,  in  welchem  er,  nebenbei  bemerkt,  bestraft  wurde.  Ahl 
Zeugen  in  diesem  Processe  traten  viele  Privatpersonen,  Stadtschulriltlie,  Lehrer, 
Lehrerinnen  etc.  und  auch  Dr.  Hermes,  eines  der  einflnssreichsten 
Mitglieder  der  Berliner  Stadtschuldeputation,  auf.  Von  Dr.  Hermes 
behauptete  der  Angeklagte,  dan  er  nie  Sdinld^mtationamitKlied  mit  nen- 
mwählenden  Lehrern,  Reotoren  nnd  Directoren  ein  rdigiXtoiP(^tiBches  Examen 
angestellt  und  erklärt  habe:  „Die  gfUtliche  Abstammung  des  Heilandes 
nach  dem  2.  Artikel  ist  für  mich  ein  Märchen."  Zeuge  Dr.  Hermes 
gibt  zu,  diese  Erklärung  in  Gegenwart  von  Directoren  gemacht  zu  haben  nnd 
eridirt  Üsner,  dasa  er  eine  solche  ÄnBernng  in  Oegenwnrt  Ton 
Lehrern  fttr  „taktlos"  halte.  Ist  das  nicht  dieselbe  Geschichte?  —  Der 
2.  Artikel  hat  fiir  die  Lehrer  wol  heilsamen  Inhalt,  für  Directoren  ist  er  ein 
Märchen?  —  Wenn  sich  solche  Ansichten  noch  weiter  entwickeln,  dann  können 
wir  erwarten,  dass  man  für  gewisse  Stände  noch  Dogmen  für  nothwendig  hält, 
fBr  andere  aber  nicht.  Hiennit  lind  wir  denn  anf  ein  ernstes  Thema  gerathen, 
welches  die  ganze  Welt  weit  nifllir  beschäftigen  wird,  als  der  Erlass  des 
preußischen  Volksschnlg^etzes.  Wenn  nicht  alle  Zeichen  trügen,  so  ist  es  hohe, 
ja  höchste  Zeit,  dass  ein  zweiter  Luther  auftritt  und  die  christliche  Kirche 
von  allem  menschlichen  Beiwerk  unnachsichtlich  säubert.    Das,  was  „wahr- 


Digitized  by  Google 


—  450  — 


haft  göttlich"  ist,  braucht  der  Volksschüler  nicht  mehr  und  iiiclii  weniger 
als  der  Gymnasiast,  und  der  Director  nicht  minder  als  der  Lehrer.  Damit 
ist  dfir  Saohe  nicht  gedient,  dsM  man  diejenigren  efnfkeh  ▼«rlireiuit,  welobe  am 
KicftlBchen  GlaabentbekenntiiiB  nur  rütteln.  Das  ist  eben  «ine  grofte  BSmingen- 
schaft  der  Reformation,  dass  wir  die  damaligen  Kirchenväter  ebenso  wenig  für 
„unfehlliar'*  hallen  wie  den  heutigen  Papst  und  sein  Cardinais -(Kollegium. 
Schon  vor  mehreren  Jahrzehnten  verlangten  sehr  fromme  Theologen,  es  sei 
s.  B.  Lic  Nenetanann  genannt»  eine  giündlidie  BeA»nn  der  HbeL  Die  Bibel 
aoUte  Ten  all'  den  Capiteln  nnd  Versen,  welche  mit  dem  Heilsleben  der 
Menschen  nichts  zn  thun  haben,  welche  aber  nach  Inhalt  nnd  Form  leicht 
Anstoß  erregen,  gereinigt  werden.  Bis  jetzt  ist  in  der  hochwichtigen  Angelegen- 
heit wenig  geschehen,  nnd  man  darf  sich  nicht  wundern,  wenn  es  immer  Leute 
gibt,  welche  das  Kind  mit  dem  Bade  ainnhitten.  Andienetti  nimmt  das 
Sectenwesen  in  rapider  Weise  zu.  Es  scheint,  als  ob  die  Mensdibeit  das 
Wort  Friedrichs  des  (>roBen:  » Jeder  kann  nach  seiner  Fa^on  selig  werden* 
anr  Wahrheit  machen  will.  _   

Ans  Westfalen.  Zwei  Thatsachen  sind  es,  über  die  ich  hevte  den 
Lesern  des  ^FMdagogioms*  berichten  machte.  BAxm  an  sieh  sind  beide  ihrer 

Eigenartigkeit  wegen  höchst  beachtenswert,  sie  heischen  aber  besonderes  In- 
teresse wegen  ihrer  symptomatischen  Bedeutung  in  der  gegenwärtigen  Zeit. 
Sie  stehen  beide  in  dem  Zeichen  des  Zedlitz'schen  Volksscholgesetses,  nnd 
wenn  sie  amft  in  keinem  direkten  Znsammenhange  mit  diesem  Entwürfe  stehen, 
so  athmen  sie  doch  den  Qeist  von  seinem  Geiste.  Beide  sind,  obwol  mm&chet 
nnr  von  örtlicher  Bedentnng,  vorzilglich  geeignet,  dem  Leser  als  Zukunftsbild 
zn  dienen  hinsichtlich  der  Verhältnisse,  wie  sie  sieh  nach  der  Annahme  des 
Zedlitz'schen  Gesetzentwurfes  in  Prenßen  entwickelt  haben  würden.  Es 
handelt  sich  in  den  nachfolgenden  Zeilen  1)  om  den  Kampf  der  Stadt 
Heerde  fftr  ihre  Simnltanschnle  nnd  3)  nm  die  VerfSgnng  der  kSnig' 
liehen  Regiernng  in  Arnsberg  vom  26.  Jannar  d.  J.,  wodurch  sie  den 
Lehrern  die  Mitarbeit  an  der  Presse  untersagte. 

Der  Schulkauipf  in  Hoerde  dauert  bereits  annähernd  lö  Jahre.  £r  ist 
ein  dassischeB  Zengnis  dafür,  wie  der  Uitramontanismas  darauf  abzielt,  die 
Selbstverwaltnng  der  Stidte  m  Temichtm  nnd  überall  das  eehwarae  Panier 
der  Litolwaaa  aufznpflanzen,  wie  derselbe  die  Interessen  und  Rechte  anderw 
unter  die  Füße  tritt,  um  seinen  hierarchischen  Gelüsten  zu  frOhnen,  nnd  wie 
er  seine  Losung:  „Für  Wahrheit,  Recht  und  Freiheit!"  auft'asst. 

Bs  war  im  Jahre  1877,  als  die  st&dtischen  Behörden  in  Hoerde,  einem 
aaedrttcUiohen  Wunsche  der  Regiernng  entsprechend,  den  Besehhiw  fhssten, 
die  drei  confeseionell  eingerichteten  Volksschnlen  der  evangelischen,  römisch- 
katholischen  nnd  israelitischen  Schnlsocietftten  in  eine  stftdüsche  Simnltan- 
schnle umzuwandeln. 

Was  das  numerische  YerhJUtnis  der  beiden  hauptsächlich  in  Betracht 
koBunenden  Gonftssionen  anbetrifft,  so  lUilt  Hoerde  mnd  8000  ertngeliiche 
nnd  7000  katholische  Einwohner;  was  aber  die  VerhältnisBe  des  Besitzstandes 
anbelangt,  so  sind  die  Evangelischen  nnd  Israeliten  im  ganzen  wolhabender 
nnd  somit  stenerkrüftiger  als  die  Katholiken.  Zur  Illustration  dieser  Ver- 
hältnisse führen  wir  kurz  die  nachfolgenden,  der  „l^öluischen  Zeitung"  ent- 


Digitized  by  Google 


—  461  — 


nonimenei)  Zahlen  an:  Im  Jahre  1885  86  beispielsweise  wurden  an  Staat«- 
steuern,  welche  bei  Berecbnang  der  städtiechen  Steuern  zu  Grunde  gelegt 
wcfdeii,  erhoben 

1)  Ton  den  EvangeUschen  und  Israeliten  21 119, —  M. 

2  )  von  den  Römisch -Katholischen   8372,—  „ 

und  das  zu  dickende  Schuldeticit  betrug 

bei  der  städtischen  Volksschule  (^Evangelische  und  Israeliten;    34  788,50  M. 

bei  der  kEtholiwOieB  Volknehnle   31 870,84  „ 

mithin  war  das  Deficit  der  CommnnalBchale  mit  164  die  der  rBmisch- 
katholisclien  Schule  mit  380  ^  der  Staatssteuem  zu  decken.  Aus  diesen 
trockenen  Zahlen  erhellt  schon  ohne  Widerrede ,  wie  uneigennützig  und  gerecht 
die  städtischen,  fast  ausschließlich  aus  Protestanten  bestehenden  Körperschaften 
handelteD  and  welehe  Woltfaaten  sie  den  steaerzahlenden,  dasa  nieht  wcd- 
habeadeB  katholischen  IMbrgem  anwenden  wollten,  wenn  sie  bereit  waren,  aodi 
die  katholischen  Schulen  anf  den  städtischen  Etat  zu  übernehmen,  unter  der 
einzigen  Bedingung  nor,  dass  der  simoltene  Charakter  der  Commonalscbole 
gewahrt  bleibe. 

Ja,  nm  das  gleieh  ▼orwegnnehmen,  vor  dnigea  Jahren  ging  die  Stadt 
in  ihrer  Maebgiebigkeit  so  weit,  die  Übernahme  des  katkolisehen  Sebnldeflolts 
ansnbieten,  wenn  der  Schulvorstand  bereit  wäre,  die  Schule  dem  städtischen 

Cnratorinm  zu  unterstellen .  damit  dieses  wenigstens  in  ilußeren  Fragen  mit- 
zureden habei  der  coutessionelle  Chuiakter  der  Schule  sollte  gänzlich  gewahrt 
bleibeB.  Die  ruhigen,  verständigen,  objectiv  nrtheilenden  Katholiken  waren 
ISr  diesen  Ansgloieh,  nieht  aber  der  unter  dem  Einflnsse  des  rOmiseheo  Clenu 
stehende  ScholTorstand.  Bedingungslos  sollte  sieh  die  Stadt  unterwerfen; 
man  wollte  ihr  die  Pflicht  des  Zahlens  auflialsen,  im  ttbrigen  abt-r  sollt»'  sie 
kein  Wort  mitzureden  haben.  Infolge  dieser  Hartnäckigknt  blieb  hiernach 
den  katholischen  Bürgern  nichts  übrig,  als  weiter  zu  zahlen,  und  zwar  hatten  sie 
in  den  Jahren  von  1880 — 90  an  Gommnnal-  und  Sehnlstenern  swischen  600 
nnd  670  ^/o  der  Staatsstenern  aufzubringen,  wBhrend  die  ttbrigen  Bttrger  nor 
«wischen  370  und  410  zahlten. 

Wenn  der  Kinister  von  Zedlitz  bei  der  Berathuug  des  Cultusetat«  am 
7.  Ifftrz  jedoch  die  Höhe  der  den  Katholiken  aufgebürdeten  Lasten  dem  Um- 
stände snsehrieb,  dass  die  Katholiken  besahlt  bitten  lllr  die  Sfannltanschole 
nnd  für  ihre  eigene  Schnle  auch,  so  war  das  ein  Irrthum,  den  der  Minister 
dann  auch  in  einer  späteren  Sitzung  zugeben  mnsste.  Die  Sache  lU-^i  viel- 
mehr so,  dass  die  Katholiken  allerdings  gesetzmäßig  verpflichtet  gewesen 
wiren,  die  Lasten  der  aimnltaaen  Gonunonalsehnle  mittragen  zn  helfen,  — 
und  mir  ist  ein  Fall  bekannt,  dass  in  einer  miserer  Indnstrfestldte  die  Katho- 
liken die  Communalsteuer  einschliefllich  der  Scbullasten  für  die  stftdtischen 
Schulen  zahlen  musstcn.  obwol  sie  sich  auch  den  gleichen  Luxns  einer  eigenen 
confessionellen  Schule  leisteten  —  aber,  und  das  kennzeichnet  wieder  die  guten, 
friedlichen  Absichten  der  städtischen  Körperschaften  in  Hoerde,  schon  in  dem 
Besehlnsse,  dnreh  den  die  Simvltansdrale  gesokaflleo  wnrde,  befreite  man  die 
Katholiken  ausdrücklich  von  diesen  Lasten,  weil  man  sich  in  richtiger  Er^ 
kenntnis  der  ultramontanen  Gehässigkeit  dem  Vqfwurfe  nicht  aussetzen  wollte, 
den  man  vuranssah  und  der  selbst  von  dem  Minister  andeutungsweise  »  rln^ben 
wurde.  Jene  Behauptung  also,  dass  die  evangelischen  und  isi'aelitischen  Bürger 


Digitized  by  Google 


—  452  — 


der  Stadt  auf  Kosten  der  katholifichen  Milbürger  Vortheile  geaösaen,  entspricht 
nicht  der  Wahrheit. 

Bis  nun  Jahre  1884  stand  die  Ansberger  Begiemng  auf  denselben 

Boden  der  Anffassang:  wie  die  städtiBchen  Behörden.  Alle  Versuche  der 
katholischen  Schnlsocietät,  die  I'bprnahiiip  der  J^atliolischen  Schule  ohne  den 
^'erzicht  auf  ihren  confessionellpn  Charakter  und  unter  Wahrung:  J^Her  ibrer 
bisherigen  Rechte  auf  den  städtiscUeu  Etat  herbeizuführen,  wurden  von  der 
Stadt  nnd  der  Begiernng  gemeinsam  snrflelcgewlesen.  Als  jedodi  der  Wind 
nmsprang  und  die  politische  Constellation  sich,  besonders  infolgre  der  Bismarck- 
Rchen  Wirtschaftspolitik,  änderte,  da  wechselten  auch  die  Bilder  im  kleinen : 
man  verbrannte,  was  man  bis  daliin  angebetet  hatte.  Vom  Jahre  1884  ab 
unterstützte  die  Arnsberger  Regierung  im  Gegensätze  zu  ihrer  früheren 
Haltanir  die  Ferdernng  des  luttliolischeB  ScbnlTontaades  gegen  die  stidtisclien 
Behörden.  Es  würde  zu  weit  IBhren.  hier  die  Angelegenheit  in  den  einzelnen 
Stadien  ihrer  Entwickliinia:  zu  verfolgen  kurz,  am  14.  Februar  1891  be- 
schlossen die  Repräsentanten  der  katholischen  Schulsocietät  endlicli,  die  letztere 
unter  Hinweis  auf  den  Vertrag  vom  18.  Juli  1877  bedingungslos  aufzulösen 
nnd  dar  Stadt  die  Übernahme  der  katholischen  Sehnle  anhelnunutellen.  Za 
die^iem  Schritte  waren  aber  die  Katholiken  nicht  etwa  gekommen,  weil  sie  in- 
zwi.schen  ihre  Anschauungen  geändert  lintten  uder  im  Laufe  der  Zeit  mürbe 
geworden  waren-,  nein,  in  ihrer  Klugheit  hatten  sie  sich  vorher  versichert, 
dass  jetzt  »tatt  ihrer  die  Regierung  bei  der  L  bernahme  der  Schule  auf  den 
städtischen  Etat  &  tont  priz  anf  den  «rnftsslondlen  Charakter  der  Schale  be* 
stehen  wfirde.  Die  Vertreter  der  Stadt,  die  ihre  Pappenheimer  kennen,  durch- 
scliauten  indes  den  schlau  eraonnenen  Plan  und  fielen  auf  diese  Finte  nicht 
lnn<'in.  Nachdem  sie  sich  über  die  Absicht  der  Regierung  Klarheit  verschaft"t 
hatten,  weigerten  sie  sich  rundweg,  die  Schule  zu  übernehmen,  und  so  führte 
aneh  dieses  klng  abgekartete  Spiel  nicht  an  dem  beabsichtigten  Ziele.  Jefest 
zog  die  Regierang  andere  Saiten  auf.  Sie  beantragte  beim  Bezirksausschuss, 
die  Stadt  gemäß  §  2  des  (tesetzes  vom  26.  Mai  1887  zur  l'bernahme  der 
Schule  zu  verurtheilen.  Das  geschah.  Die  hiergegen  unter  eingehender  Be- 
gründung an  den  Provinzialrath  gerichtete  Berufung  der  Stadt  wurde  ver* 
worfba,  nnd  endlich  lehnte  anch  der  Oberpritaident  von  WestfUen  den  Antrag 
der  Stadt,  gegen  die  letste  Entscheidong  beim  Oberverwaltnngagerichte  Klage 
erheben  zu  dürfen,  kurzer  Hand  ab.  Mit  Recht  bemerkt  die  „Kölnische 
Zeitung'^  hierzu:  „Eine  solche  Ablehnung  ist  für  den  ruhigen  Staatsbürger 
schwer  verstündlich.  Die  städtischen  Behörden  erbitten  weiter  nichts,  als 
dass  der  Oberprisident  ihnen  ermögliche,  ihre  bisher  nnr  von  BeschliissbehÄrdea 
benrtheilte  Sache  dem  Sprache  eines  Gerichtshofbs  des  Oberverwaltangsgerichtes 
zn  unterbreiten.  Er  hütte  beachten  müssen,  dass  gerade  jetzt  unter  den  Ver- 
hilltnissen,  in  welchen  wir  im  preußischen  Staate  leben,  jeder  Anlass  zu  be- 
rechtigter Unzufriedenheit  möglichst  vermieden  werden  müsse.  £r  hätte  ferner 
sich  ssgen  müssen,  dasa  eine  evangelische  BeySIkemng  einw  Stadt,  wdohe 
14  Jahre  hug  mit  stete  gleicher  Ansdaner  den  Kampf  nm  ihre  Schale  ge- 
ffihrt  hat,  aach  infolge  seiner  Ablehnung  in  diesem  Kampfe  nicht  erlalimen. 
sondern  ihre  Sache  bis  an  den  Minister  and  nöthigenfalls  den  Landtag  der 
Monarchie  verfolgen  wird.  Er  h&tte  femer  wissen  können,  dass  auch,  wenn 
selbst  diese  Sehritte  nidit  an  dem  erwünschten  Ziele  führen,  den  stldtlaohea 


Digitized  by  Google 


—   4Ö3  — 


Behörden  immer  noch  aof  anderen  Wegen  die  Möglichkeit  verbleibt,  eine  Ver- 
handlung der  Sache  vor  dem  OberverwaltiingBgerichte  zn  erzwingen." 

Nicht  genug  hiermit,  ging  die  Arnsberger  Regierung,  bez.  der  Schulrath 
Tyszka,  im  Übereifer  dazu  über,  die  Hoerder  Communaischole  ihres  simnltanea 
Cbankten  sa  entkleiden,  indem  er  die  Anseeiralmig  der  28  inraeUtisehen 
SchQler  und  die  Bildung  einer  besonderen  jUdiichen  Sehvldawe  Ar  die  soldier- 
gestalt  Ausgeschulten  verfügte. 

Alle  diese  Maßregeln,  die  mindestens  als  höchst  sonderbar  bcv.t'i<  imet 
werden  müssen,  brachte  der  Abgeordnete  Bickert  bei  der  Beratliuug  det 
ColtuetatB  im  Abgeotdnetenhaaee  mir  Spradie,  vnd  der  Miniater  erkittrte 
wenigstens  bezüglich  des  letzten  Punktes,  dass  er  die  Ansschulong  der  ia- 
raelitischeii  Schüler  selbstverständlich  inhibirt,  sobald  er  Kenntnis  von  der 
Absicht  der  Regierung  erlangt  habe.  „Üieser  ganze  Vorgang",  so  fuhr  der 
Miai8t.er  fort,  „wirft  jedoch  ein  höchst  interessantes  Licht  auf  die  Nützlichkeift 
der  SimiittaaachnlelniiehtnDgen.  Nlmlieii  hier  lat  die  Begienmg  in  Amabers 
nicht  der  schwarze  Mann  gewesen,  der  angefangen  hat,  sondern  die  Anreguo|r 
zu  der  auch  nach  meiner  Auffassung  völlig  unmöglichen  Organisation  ist  aus 
Hoerde  selbst  gekommen,  und  zwar  ist  die  neue  Organisation  wunderbaier- 
weise  motivirt  worden  aas  der  Simultanschule  heraus,  nämlich  damit,  dass  der 
Veriralir  in  dem  Lehreroolleginm  nnd  in  den  dasaen,  namentUeli  bei  Erörte- 
rungen von  Fragen,  die  den  Geschichtsunterricht  betreffen,  durch  die  Gegenwart 
des  jüdis(  hen  Lehrers  eine  gewisse  bedenkliche  Beengung  fände.  Nach  meiner 
Meinung  ist  die  Regierung  nicht  glücklich  gewesen,  indem  sie  auf  eine  der- 
artige Anregung  eingegangen  ist.  Sie  hätte  sagen  sollen:  Ihr  seid  simoltau, 
eine  Be^ndnng  Y<m  einer  beaonderen  daaae  fBr  die  28  Jüdischen  Kinder 
geht  nicht,  das  wäre  eine  Zurücksetzung  der  berechtigten  Interessen  dieser 
Kinder  und  ihrer  Eltern.  Also  sie  hätte  das  einfach  ablehnen  müssen:  sie 
ist  aber  auf  die  Sache  eingegangen,  hat  jedoch  eine  abschließende  Verfügung 
bisher  nicht  getroffen.  Ich  habe  ihr  zu  erkennen  gegeben,  dass  nach  meiner 
Anaicht  ea  ao  bleiben  milaae,  wie  ea  Usher  gewesen  vritn,  mid  daaa  der 
jttdiache  Lehrer  im  CoUeginm  ebenso  zur  Verwendung  kommen  müsse,  wie  er 
bisher  zur  Verwendung  gekommen  sei."  Diesen  Standpunkt  des  Ministers  und 
die  Desavüuirung  der  Arnsberger  Regierung  durch  ihn  kann  man  nur  billigen, 
wenn  man  andererseits  auch  bedauern  muss,  dass  er  sich  nicht  auch  im  übrigen 
anf  die  Seite  der  Stadt  Hoerde  atellt.  AnflUlen  moaa  ea  aber,  daaa  da*  Hiniater 
in  dem  einen  Punkte,  die  Beengung  der  evangelischen  Lehrer  durch  die  Gegen- 
wart des  israelitischen  Lohrers  betreffend,  der  Köln.  Ztg.  zufolge,  wiederum 
falsch  unterrichtet  (jewesen  zu  sein  scheint.  Sie  schreibt:  „Es  wird  uns  zu- 
verläsjjig  verbürgt,  dass  von  berufener  Seite  in  dieser  Beziehung  niemals  eine 
Klage  an  die  königliche  Begiemng  an  Anaberg  gerichtet  worden  iat  Im 
Gegentheil  haben  die  Herren,  welche  sich  an  in  dieser  Beziehung  maßgebender 
Stelle  befinden  und  welclie  {■rineipielle  Gegner  der  Simultanschule  sind,  auf 
Befragen  versichert,  dass  L'nzuträglichkeiten  irgend  welcher  Art  sich  in  keiner 
Weise  bemerkbar  gemacht  haben.  Auch  hier  ist  also  wiederum  der  Minister 
das  Opünr  einer  Berichtentattnng  geworden,  die  in  keiner  Weiae  die  IMUchen 
VerhältniaM  antrelliuid  geachUdert  hat'*  Bndlieh  irrt  aieh  der  Hiniater,  wenn 
er  behauptet,  die  Arnsberger  Begiemng  könne  sich  zur  Rechtfertigung  ihres 
Vorg^ens  nicht  auf  ihn  bemfen.   Er  trat  sein  Amt  Mitte  Mftrs  an,  nnd 


Digitized  by  Google 


-   464  — 


unterm  29.  Mai  entschied  er:  „Wenn  das  Protokoll  vom  18.  April  1877  von 
der  Einrichtnnp  von  Communalsclmlen  ohne  confessionellen  Charakter  spricht, 
80  entspricht  dies  nicht  den  thatsächlichen  Verhältniasen.  Die  kleine  jüdische 
Sodettt,  wdldw  gkkluBeitig  aufgelöst  wurde,  kum  in  dlewr  Frage  nicht  in 
Betradit  kommen.  Die  Stedtgemdnde  darf  aieh  daher,  naehdem  sie  die  evan- 
gelisdie  Schnle  als  solche  übernommen  und  weiter  unterhalten  hat,  nicM 
weigern,  auf  Verlangen  auch  katholische  Schulen  als  Gemeindeanstalten  ein- 
zorichten."  Irren  ist  zwar  menschlich,  und  selbst  ein  Minister  ist  dem  Irrthume 
«Qterworfbn.  Wie  es  aber  mOglieh  ist,  da«  aleii  der  Minister  bei  einer  solchen 
prindpiell  wiehtigen  Angelegeiiheit  soEOsageD  in  eine  game  Kette  tod  Imagen 
verstricken  konnte,  das  bleibt  einem  bescbriniLten  UnterthanenTentande  Immert 
hin  schwer  erklärlich. 

Nachdem  so  die  Stadt  Heerde  ihr  vertragamäßiges,  ursprünglich  von  der 
Regierang  gewährleistetes  Recht  durch  alle  Instanzen  verfochten,  aber  nicht 
mit  Erfolg  dnrehnsetaen  vermoeht  hatte,  forderte  der  Begierangsifflsident  in 
Arnsberg  durch  Verfügung  vom  4.  Marz  d.  J.  lic  städtische  Vertretung  auf, 
binnen  acht  Tagen  die  Kosten  für  die  katholischen  Volksschulen  in  den  Etat 
einzustellen,  andernfalls  werde  sofort  die  zwangsweise  Einstellung  erfolgen. 
Aber  sowol  Magistrat  wie  Stadtverordnetenversammlnng  haben  das  Verlangen 
des  Begiemngsprlii^ten  randweg  abgelehnt  Sowtit  ist  der  Kampf  gediehen. 
Das  ist  die  augenblickliche  Situation. 

Ware  Graf  Ze  llitz  Minister  geblieben,  so  könnte  man  schon  heute  die 
Sache  als  erledigt  betrachten;  Hoerde  hätte  der  Gewalt,  der  force  miyeore, 
weichen  müssen.  Aber  in  dem  Angenblick,  da  diese  Zeilen  geschrieben  werden, 
dnrehellt  die  Knnde  von  dem  Stnrse  des  Ministen  die  ftbeirasdite  Welt. 
Gestern  noch  auf  stolzen  Rossen,  heute  durch  die  Brost  geschossen!  Möge 
das  ein  gutes  Vorzeichen  für  die  Stadt  Hoerde  sein.  Die  große  Alcht  li'  it  des 
treien  Börgerthnms  wird  dem  Minister  ebenso  wenig  eine  Thräne  nachweinen, 
wie  dem  Werk,  mit  dem  er  stehen  und  fallen  wollte.  Er  ist  gefallen,  „nnd 
seine  Werke  folgen  ihm  naeh".  Diese  unerwartete  Wendnng  wird  in  der 
ganzen  cnltnrfl^andlichen  Welt  als  ein  eittaeodM  Ereignis  freudig  begrfißt 
werden.  Als  Cultus-  und  Unterrichtaminieter  war  dieser  ehemalige  Rittmeister 
ein  Anachronismus  der  schlimmsten  Art.  Er  war  kein  Frömmler  ä  la  Mühler, 
er  spielte  sich  auf  den  Politiker  hinaus,  der  die  Übel  der  Gegenwart  mit  den 
veralteten  Mitteln  nnd  den  verrosteten  Waffen  einer  Iftngst  fiberwnndenen 
Epoche  heilen  zu  können  wähnte.  Er  suchte  die  Bnndesgenossenschaft  einer 
Milcht  —  schreibt  treffend  die  Fraukf  Ztg.  —  die  stets  für  die  Hilfe,  die 
man  von  ihr  öfter  erwartete  als  erhielt,  als  Preis  die  Herrschaft  gefordert  hat, 
einer  Macht,  für  die  jedes  Bündnis  nur  eine  societas  leonina  ist,  wie  sie  ans 
die  alte  Äsopische  Fabel  vom  jagenden  LOwen  sdiOdert  tttnsehte  aidit 
als  er  der  Kirche  die  gXnze  Hand  reichte,  nicht  nnr  über  die  Bedeutung  dieser 
l^^litik,  sondern  vor  allen  Dingen  auch  über  ihre  Wirkung  auf  die  Geister. 
Er  wollte  einen  Kampf  gegen  den  „Atheismus"  führen,  die  Waffe  aber,  die  er 
enthüllte,  war  gegen  die  moderne  Weltanschauung,  gegen  die  geistigen  und 
politischen  Emugensehaften  dea  Jahriinnderts  geriehtet,  nnd  der  Gdst  des 
Jahrhunderts  war  es,  der  gegen  ihn  aufstehen  mnsste  nnd  in  entschlossenster 
WVise  wirklich  auch  sich  gegen  ihn  erhob.  Der  jähe  Sturz  des  Ministers  ist 
geeignet,  auf  der  einen  Seite  Hoflhungen,  die  bereits  ausgegeben  waren,  neu 


Digitized  by  Google 


—   466  — 


sn  beleben,  auf  der  andern  Seite  aber  eine  Überhebung  und  einen  Übennuth 
zn  strafen,  die  sich  schon  vermaßen,  der  Nation  den  Fuß  auf  den  Nacken 

setzen  2a  können.  

Nifäk  den  Axtiktl  27  der  VerikHnng  fttr  die  prenttMlie  Monaraliie  hat 
jeder  PrenBe  das  Recht,  dnrch  Wort,  Schrift  nnd  Druck  vnd  bild- 
liche Darstellung  seine  Meinung  frei  zu  änBern.  Dieses  verfassungs- 
mäßig garantirte  Recht,  das  zu  den  wertvollsten  eines  freien  Bürgers  gehört, 
steht  auch  dem  Lehrer  in  dem  gleichen  Maße  zu  wie  jedem  andern  Staats- 
bürger, nad  die  LdiNr  begingen  das  lehwcnte  Unrecht  gegen  ihren  Stand, 
wüui  lie  rieh,  doroh  wen  es  aneh  irnnrnr  ari,  cUeees  Becht  nehmen  oder  ver- 
kftmmem  lassen  wollten.  Sofern  sie  in  ihrer  schriftstellerischen  Th&tigkeit 
nicht  gegen  da«  Pressgesetz  oder  andere  zu  Recht  bestehende  Verordnungen 
verstoßen,  hat  ihnen  niemand  darein  zu  reden,  haben  sie  niemandem  Eede  nnd 
Antwort  ttbor  dieia  Tliitigkrit  n  •tohea.  Der  §  104  im  Ometwi  beMhad 
die  Dienatrergehender  niehtrichteilidiea  Beamten  ▼om  81.  Jnli  1862  beatiBinit 
anadrttcUich,  dass  der  Beamte  in  seinen  Privatangelegenheiten  „nach  eben  den 
Gesetzen  nnd  Rechten  wie  andere  Bürger  des  Staates  benrtheilt"  werden  soll 
Und  eine  Entscheidung  des  Uberverwaltnngsgerichtes  vom  20.  Dezember  188t) 
besagt:  „Der  Beruf  der  Unterthnnen,  die  Krone  durch  die  von  ihnen  dnrch 
das  Mittel  der  Wahl  in  die  legialatiTen  EOrpereohaften  entsandten  Vertraaena- 
personen  in  den  wichtigaten  Acten  der  Gesetzgebung  und  Staatsverwaltung 
fortgesetzt  za  berathen,  fährt  mit  Nothwendigkeit  zur  Bildnng  politischer 
Parteien  und  zu  ihrer  Th&tigkeit  in  der  Presse,  in  \'ersammlungen  nnd  Ver< 
einen,  die  daan  dient  äber  die  Tagesfragen  der  Politik  zu  belehren,  Gleich- 
gealnnte  m  aaauneln,  Fematehende  hennnudehen  und  in  ttbenengen.  Zn 
solcher  Thätigkeit  sind  aach  die  Staatsbeamten,  unmittelbare  wie  mittel- 
bare, berufen  Kein  Gesetz,  keine  Norm  der  Dienstpragmatik  schließt  sie 
grundsätzlich  und  aügemeiu  davou  aus."  Dass  sie  sich  an  einem  politischen 
Treiben  von  Parteien  betheiligen,  welche  grnndafttzlioh  gegen  die  be- 
atehende  Beehta-  nnd  Staataordnnng  kftnipfen,  sei  mit  der  Sfeellnng 
der  Beamten  nicht  vertrSglich.  Auch  dürfen  sie  nicht  die  Pflicht  der  rflck- 
eichtsvoUen  Achtunfr  gegen  die  Vertreter  der  Staatsbehörde  verletzen  nnd  sich 
an  ungerechten,  unwahren  Behauptungen  and  Angriffen  verleiten  lassen,  sowie 
daa  Vertrauen  zu  einer  sachlichen  und  gerechten  Fuhrung  des  anvertrauten 
Amtes  in  Frage  stellen. 

Nun  betrachte  man  im  Lichte  dieaer  geaetzlichen  Beatimmungen  die  nach- 
folgende Verfiignng  der  KönigL  Begiemsg  sn  Anaberg  vom  26.  Januar  1892, 
die  folgenden  ^Vortlaut  hat: 

„Wie  in  der  letzten  Zeit  zu  unserer  Kenntnis  gekommen  ist,  befaast 
rieb  rine  nicht  nneibebUche  Zahl  von  Lehrern  nnaara  AnMchtakreiaea  mit 
einer  mehr  oder  weniger  fortlaufenden  Mitwirkung  an  der  Tagespresse. 
Dass  eine  derartige  Thätigkeit  als  eine  nebenamtliche  Beschäftigung  im 
Sinne  der  bestehenden  Bestimmung  anzusehen  ist.  kann  um  su  weniger 
zweifelhaft  sein,  als  sie,  wie  es  in  der  Natur  der  Sache  liegt  und  in 
mehreren  der  in  Betracht  kommenden  FUle  auch  mgegeben  wcfrden  iat,  der 
Begel  nach  gegen  ein  entsprechendes  Entgelt,  sei  es  durch  Barzahlung,  sei 
es  in  anderer  Weise,  geübt  wird.  —  Nach  dieser  Richtung  hin  bestimmt 
die  Alierhöcbste  Cabineteordre  vom  13.  Juli  1839,  dass  kein  Staatebeamter 


Digitized  by  Google 


—  466  — 


eine  mit  einer  besondern  Verg-iitnng'  verbandene  Nebenbeschäfti^rnng  ohne 
die  (lenehniigun^  seiner  vorgesetzten  Behörde  abernehmen  darf,  und  der 
liinisterialerlaüs  vom  31.  October  1841  besagt,  dass  den  Lehrern  nar  die 
Übemalmie  soleher  NebeDbeMhafUguifen  fwtattet  wtrden  aoll,  dwen  Au- 
riehtmig  dem  Amte  and  der  Wftnie  eines  Lehrers  keinen  Eintrag  that  und 
ihn  Beinern  nSdisten  Beruft  nicht  entfremdet.  Je  weniger  es  nnn  in 
unserer  Absiebt  liegen  kann,  den  Lehrern  die  Krörterung  fachmännischer 
Fragen  oder  die  Mittheilaug  belangreicher  Wahrnehmungen  und  Erfahrangen 
in  d6D  einaehUflgeii  BUtttem  so  Yermgm  oder  flmen  die  lOtwirkaiig  «i 
der  Hebung  vaterllodiecher  and  religiöser  Gesinnang  za  verschränken,  nm 
80  entschiedener  wird  der  nebenamtlichen  Thätigkeit  eines  Jeden  Staats- 
beamten dann  entgegenzutreten  sein,  wenn  diese  sich  entweder  in  einen 
ausges])! uchenen  Gegensatz  zu  den  vorgedacbten  Bestrebungen  stellt,  oder 
»uaofaÜeilieh  «if  die  HerbeiidiaJAuig  and  Ansbentong  v<hi  Tageeneoigketten 
abdelt  nnd  sich  zu  diesem  Behufe  aof  die  Anwendung  von  Mitteln  na- 
gewiesen  sieht,  die  ebenso  wenig  mit  dem  Amte,  wie  mit  dar  gemmmten 
Stellung  eines  Leliiers  vereinbar  sind." 

Da£s  diese  Verfügung  in  der  onabbängigeu  i'resse  nicht  gerade  in 
aehmeiehelliafter  Weiae  beartheüt  warde,  kann  man  aldi  denken.  So  aelurieb 
a.  a.  die  K91n.  Ztg.,  das  hervorragendste  Organ  der  nationalliberalen  Partei: 
„In  unseren  Tagen,  wo  die  Einittindungen  des  preußischen  T^ehrerstandes  durch 
das  neue  V'olksscliulgesetz  aufs  höchst«  in  Älitleidenschaft  gezogen  und  erregt 
sind,  sollten  wenigstens  keine  Verfägongen  erlassen  werden,  die  in  Lelirer- 
kretaen  peinlidi  berttbren  nnd  vieUeieht  Erbitterong  heryomlbn  werden. 
Ifan  sollte  ancb  den  Schein  vermeiden,  als  wolle  man  den  Lehrern  durch  Ein- 
schiichtej  unKsversuche  das  Recht  der  freien  Meinungsäußerung  verkümmern, 
Hiilf  man  aber  diese  Verfiigung  mit  derjenigen  des  KegierungsprUsidenten  zu 
Frankfurt  a.  d,  0.  zusammen,  so  drängt  sich  der  Argwolin  auf,  als  versuche 
man,  die  Erregung  der  Lehrerkreise  ana  der  groiea  OffBBtiiehkeit  in  die  Braat 
des  armen  Lehrers  zurfickzudrängen,  in  die  ja  die  Sdialvorlage  auch  den 
Kampf  zwischen  Staat  und  Kirche  verlegt.  Grundsätzlich  können  wir  nicht 
anerkennen ,  dass  die  Mitarbeit  an  der  Tagespresse  mit  der  Würde  des 
Lehrers  unvereinbar  sei;  die  Verfügung  legt  die  Empfindung  nahe,  dass  diese 
Hitarbeit  nor  dann  ala  anltaig  beftnditet  werden  aoll,  wenn  nie  aidi  allerdings 
aber  die  Nachrichten  erhebt,  aber  ancb  im  Einldang  mit  den  wediadnden 
Anachauungen  der  jeweiligen  RegierungsiKditik  steht." 

Die  Würde  und  das  Ansehen  des  Lehrerstandes  an  ihrem  Theile  mit 
wahren  zu  helfen,  das  ist  nicht  nur  das  unbestreitbare  Hecht  der  Kegierung, 
fondeni  «i  iit  aveh  sagleieb  ilire  Pflieht,  nnd  nwar  eine  aehüne  nnd  ehren- 
▼eile  Pflieht  Die  Wfirde  and  das  Anaehen  dea  LehroatandeB  aber  dadoreh 
heben  zu  wollen,  data  man  den  Lehrern  die  Mitarbeit  an  der  Presse  ver- 
schränkt ,  das  heißt  nach  unserer  bescheidenen  Ansicht .  das  Pferd  beim 
Schweife  aufzäumen.  Warum  bedienen  sehr  viele  Lehrer  die  Zeitungen  mit 
Tageanenigkeiten?  ^^Um  dioaelbon  in  Ihrein  Litereaae  Minbeoten,  am  Bar- 
sahlnngen  oder  aonat  YergtttangeB  dafltar  an  erhalten**,  sagt  die  Eegierang; 
und  es  ist  ohne  weiteres  zuzugeben,  dass  sie  im  allgemeinen  damit  auf  richtiger 
FJlhrte  ist.  .Aber  wir  können  in  der  That  nicht  begreifen,  warum  das  keine 
ehrliche  Arbeit  sein  soll,  der  man  das  Kainszeichen  der  Nichtwolanstftndigkeit 


DIgitized  by  Google 


—  457  — 


auf  die  Stirn  drücken  mttsste.  Es  ei-scheint  noch  immer  viel  ehrenvoller  für 
die  bei  ihrem  kärglichen  Gehalte  darbenden  Lehrer,  wenn  sie  sich  durch  ehr- 
liche Arbeit  und  deren  Ertrttgnisse  über  Wasser  zu  halten  suchen,  als  wenn 
aie  in  Sebalden  untergehen.  Wau  »ber  Regierung  die  WalinHiunair  sa 
mMhen  f^anbt,  da»  im  AnubMigtr  Bwlike  ferade  ?iBririUtniimMig  viele 
Lebrer  an  den  Tagesblättern  um  des  Erwerbs  vvillen  mitarbeiten ,  so  können 
wir  ihr  nur  den  Rath  geben,  an  ihre  eigene  Brust  zu  schlagen  und  aus- 
zurufen: Mea  culpa!  Warum  gebraucht  sie  ihren  fUnfluas  aul'  die  Gemeinden 
nicht,  damit  diese  die  dnrehweg  nnwilftngHehwi  Geliilter,  beeondeni  vninläug- 
lieb  in  dem  indnitriereiehen  Amiberger  Besbrke,  aeitgemU  anfbenorn?  Aber 
jeder  Schreiber  und  Zeichner,  jeder  Eisenbabnbeamte  mit  noch  so  geringer 
I^ildunj»-  Hteht  sich  ungleich  besser  als  die  Lehrer:  und  mit  verschränkten 
Armen  üieht  die  Regierung  solchen  himmelsdireienden  Zusttodeu  zu.  Von 
Regierungsverfügungen ,  wie  der  obigen,  kann  scblieilich  ein  Lehrer  seine 
FanJlie,  die  doch  andi,  senaagen,  meniobUebe  Bedürlblsie  bat,  nidit  aUtlgen. 
Den  Lehrern  die  Erwerbeqnellen  abgraben,  heißt  weder  sein  AnnbMl  Vnd 
seine  Würde  lieben,  noch  „praktisches  Chiistenthum-'  treiben.  Nur  wer  zum 
Zweck  der  Hebung  der  religiösen  und  vaterländischen  (iesiunung  seine  Feder 
gebraucht,  der  soll  unbehelligt  weiter  schreiben  können.  Da  sind  sie  alle 
feil  benms,  die  aGeainnimgatllebtlgen'*  nnd  Leiietieter,  die'  in  allem,  was  sie 
sprechen  und  schreiben,  genau  den  goüt  ihrer  jeweiligen  Vfwg^esetzten  zu 
treflTen  wissen.  Die  vatcrlilndiscbe  Gesinnung  wird  in  den  amtlichen  Kreis- 
blättem,  und  die  religiöse  in  den  (iomeindeblättchen  der  Herren  Pfarrer  cul- 
tivirt,  und  wenn  es  gerade  einmal  eilt,  so  liat  der  geistliche  Schulinspectur 
andi  nichts  dagegen,  dass  der  gewflnsdite  Artikel  wihrend  der  ünterriohts- 
zeit  entsteht;  den  Kindern  thnn  dann  und  wann  „stille  Denkübungen"  ancb 
einmal  gut,  denn  viel  Wissen  macht  den  Leib  müde.  Auch  diese  Verfügung 
brachte  der  Abgeordnete  Rickert  im  Landtage  zur  Sprache,  indem  er  zugleich 
die  Frage  an  den  Minister  richtete,  ob  er  damit  einverstanden  sei,  dass  die 
Lehrer  wie  Schnljangen  behandelt  wttrdeo.  Der  Hiaisler  erwiderte  daraof: 
Es  bat  sich  herausgestellt,  dass  Lehrer  vielfach  ihre  Hanpttbatigkeit  in  den 
Arbeiten  für  die  Presse  gesehen  haben,  ein  Lehrer  war  sogar  Chefredactenr 
einer  Zeitung.  Die  Sache  ist  reparirt,  da  die  Re^^^ierung  selbst  eingesehen, 
dass  sie  sich  vergriffen  hat.  Dagegen  kann  man  die  Tendenz  dni-chaus  nicht 
missbilligen,  insofern  die  ezecntrlsehe  nnd  agitatorische  TheOnahme  der  Lehrer 
an  der  Presse  eine  Gefährdung  derselben  bezüglich  ihres  Berofra  zur  Folge 
hat.  Es  ist  eine  große  Gefahr  Ar  die  Lelirer,  sieh  in  das  politische  Partei- 
getriebe hineinzubegeben. 

Man  beachte  den  Gegensatz,  der  darin  liegt,  dass  die  Regierung  den 
Nnehdmek  anf  die  dem  Lehrer  aas  seiner  IQtarbeit  an  der  Prasse  m* 
Üiefenden  Einnahmeii  legt  nnd  darin  das  BedeakUebe  erblickt,  wihrend  der 
Minister  diese  Auffassung  als  unhaltbar  verwirft  und  vor  dem  agitatorischen 
Wirken  im  Interesse  politischer  Parteien  warnt.  Dass  aber  diese  W^arnung 
berechtigt  wäre  in  Ansehung  der  westftUischen  oder  Arnsberger  Lehrer  und 
deren  Verhalten,  wird  jeder,  der  die  dleaieitigeu  Veriiiltnisse  kennt,  mndweg 
▼etneinen;  sie  soUte  aaoh  wd  nur  die  Niedirlage  nethdUrfüg  YethiUleii,  die 
sieb  die  Begierang  in  ihrem  Übel  angebraebten  Eifer  Temrsacht  hatte. 


PadafoginiB.  14.  Jalug.  Heft  VU.  S& 

Digitized  by  Google 


—   45g  — 


Das  ^Protestantische  Familienblatt"  von  Dr.  Richard  Weitbreoht  (Ver- 
lag von  Carl  Classen  in  Stuttgart)  enthält  folgende  Betrachtungen:  „Dank- 
bare Polen  bat  es  in  der  Weltgefichicbte  bekanntlich  nocb  nie  gegeben. 
Aneb  die  tob  heate  tiiid's  niebt  Da  bsl  die  Begiernng  den  polnieebeii  Gbn- 
vinisten  v.  Stablewtki  zum  Erzbischof  tob  Posen  ernannt.  Die  dentscben  Ica^ 
tliolischen  Lehrer,  welche  die  Eegiernng  vor  einigen  Jahren  ans  dem  Innern 
des  Reichs  nach  Posen  und  Westprenßen  versetzte,  um  dort  einen  Schutz  des 
Deatachthams  zu  bilden,  müssen  wieder  in  ihre  Heimat  zurück  —  wenigstens 
wurde  fbnea  die  900  Hk.  betragende  Jahreuiilage  gestrieben  —  imd  die 
edlen  Polen  baben  nnn  freien  Lanf,  in  Sebide  snd  Kiicbe  ibr  Pdenthnm, 
voran  die  polnische  Sprache,  nicht  etwa  blos  zu  erhalten,  sondern  mit  aller 
Macht  auszubreiten,  wobei  sie  von  den  Römlingen  deutschen  Stammes  bereit- 
willigst unterstützt  werden,  vermöge  jener  Verqnickung  von  reichsfeindlichen 
und  nltramentaiMB  Beetrebongen,  wie  ite  i.  B.  ueb  in  BlMii'LolibriBgeii  tviv 
banden  ist  nid  dort  ebenfldle  lange  SMt  gebitedielt  wnrde.  ünd  der  Dank 
dafür?  Wahrend  iich  der  Deutschen  jener  Gegenden  die  tiefste  Nieder- 
geschlagenheit bemächtiget  hat.  bezeichnen  die  Polen  all  das  mbig  als  kleine 
Abschlagszahlung,  schicken  für  die  Ernennung  Stablewski's,  in  dessen  Em- 
pfangsaniedniM  beiUtnfig  nicht  ein  einziger  DentM^  gewiblt  wnrdei  eine 
Dankiagnng  niebt  etwa  an  den  Kaiser,  eondem  an  den  Papit,  md  frenen 
sich  nnbftndig  auf  den  nächsten  Krieg,  der,  mag'e  geben  wie  ee  will,  ihnen 
nach  ihrer  Meinung  Gelegenheit  zu  polnischen  Thaten  geben  w-ird.  Am  päpst- 
lichen Segen  wird  es  ihnen  dann  in  keinem  Fall  fehlen,  am  wenigsten,  wenn 
•ie  das  „dentscbe  Joob*  abachtttteln  kannten. 


Eine  Mädchen  -  Erziehungs  Jtnstalt.  In  N,,  \'^  Stunde  von  Bad  S  . 
scbaat  von  einer  terrassenartig  ansteigenden  Höhe  ein  braones,  heiter  und 
etwas  loftig  aussehendes  Gebftade  über  die  \  orberge  des  Tannns  hinweg. 
Das  ist  ein  „Pensionat'',  ein  „Institut",  eine  Eraiebnngsanetalt  ftir  Mftdehen^ 
hatte  man  mir  gesagt,  als  ich  vor  einigen  Jahren  vorbeischlenderte.  Es 
solle  da  anders  zugehen,  als  in  den  meisten  Instituten,  und  es  werde  viel 
davon  gesprochen.  Die  Leiterin  der  Anstalt  sei  Fräulein  H.,  eine  Tochter 
des  ehemaligen  Professors  H.  in  Gießen.  Bestimmtes  über  die  Einriebtang  der 
Anstalt,  tb«r  die  Art  nnd  Weise  des  Ünterrlebts  nnd  der  Eniebnng  konnte 
ich  nicht  erfahren.  Erst  später  hatte  ich  Gelegenheit  anf  Einladung  einen 
Freundes,  der  der  Anstalt  vier  Töchter  anr  Eniebnng  anvertrant  bat,  einer 
Halbjahrs-Prüfung  beizuwohnen. 

Herr  R.,  welcher  die  äußeren  Angelegenheiten  der  Anstalt  besorgt,  empfing 
nicb  anfli  freondliebste.  leb  war  um  swei  Stunden  an  frflb  gekommen.  Dank* 
bar  nahm  ich  die  Einladung  an,  bis  zum  Beginn  der  Prüfung  in  der  Anstalt 
zu  verweilen.  —  Einige  40  Mädchen  im  Alter  von  8  bis  18  .Taliren  werden 
hier  erzogen.  Die  jüngeren  Zöglinge  kommen  nicht  selten  direct  aus  den  Fa- 
milien, die  älteren  aus  den  verschiedensten  Schulen  und  lustitaten,  wo  manche 
bereits  den  gansen  lelnplanmftßigen  Gnrsns  dnrchgemaobt  liabrä.  Sie  vw- 
bleiben  in  der  Anstalt  je  nach  dem  Alter,  in  welchem  sie  eingetreten,  ein  Jabr 
oder  auch  .5  nnd  ß  Jahre.  Die  meisten  MHdchen  stammen  natürlich  nns  Deutsch- 
land;  aber  auch  ans  England,  Frankreich,  der  Schweiz,  Kamäiüen  sind  mehrere 


Digitized  by  Google 


—  459  — 


da,  und  wird  deshalb  deutsch,  englisch  and  französisch  gesprochen  und  gelehrt. 
Mail  kann  sich  die  \'erschiedenheit  der  Zöglinge  kaum  noch  größer  denken. 
Da  ist  es  nun  w  underbar,  dass  alle  diese  Idftdchen  nicht  in  gesondertea  Ab- 
theiluugeu  (Olassen)  von  velinraiiLelinriiiMiiiiiidLelii^^  ■ondem  ia^geBmi 
vom  Frftalein  H.  «Udn  aaterriohtet  und  Mvogen  werden.  Nor  ftr  Spraohee, 
Gesang  und  Clavierspiel,  Zeichnen  nnd  Malen,  überhaupt  für  die  lOgeiMOlltea 
technischen  Fächer  kommen  Hilfslehrer  aus  der  Umgegend. 

W&hrend  so  Herr  Ii.  alles,  was  mir  neu  oder  doch  ungewöhnlich  war, 
benitwUligst  beschrieb  and  erklärte,  ging  plötsslich  neben  mir  die  Thfir  aaf 
nnd  etwas  stUmitech  tntt  eine  nlte,  aelir  einfMsh  geUddete  Dame  ein.  Ich 
hatte  kaum  Zeit  aufzustehen  und  das  „Fräulein  H."  des  Herrn  R.za  vernehmen. 
Sie  faaste  mich  bei  beiden  Händen,  und  in  der  freundlichsten,  liebenswürdigsten 
Weise  begrüßte  sie  mich  wie  einen  alten  Bekannten,  den  man  seit  langer  Zeit 
nicht  gesehen.  „0,  ich  habe  große  Angst  vor  Ihnen  —  Sie  sollen  so  strenge 
sein  —  bei  mir  ist  so  wenig,  was  die  Welt  intemialreii  luum,  aber  Sie 
seilen  ja  gar  niolit  so  schlimm  ans."  Damit  erhob  sie  ihre  Lorgnette  mit 
schwarzer,  ungemein  breiter  nnd  dicker  Horneinfassan^,  hielt  sie  mir  ganz 
dicht  vor  die  Augen,  schaute  mehrere  Secunden  schweigend,  als  wollte  sie  das 
Innere  meines  Kopfes  ergründen,  wandte  sich  dann  ab,  setzte  sich  aaf  einen 
Stahl  nnd  sog  midi  nieder  «af  einen  andern. 

Nim  begann  eine  äußerst  lebhafte  ünterhaltnng.  Unsere  Anstalt  —  so 
ungefähr  antwortete  mir  Fräulein  H.  in  heiterstem  Tone  auf  die  IT  ragen,  die 
ich  mir  erlaubte  —  ist  kein  Institut,  kein  Pensionat,  keine  P'amilie,  aber  alles 
zusammen,  am  meisten  eine  Familie.  In  gesunden  Körpern  gesunde  Seelen  zu 
entwickeln,  ist  daa  Endrid,  dem  hier  alles  dirat.  Wir  bemfUien  ans,  die  ZSg' 
linge  zu  eigener  Tbätigkeit  anzuspornen,  an  eigenes  Denken  zu  gewöhnen. 
Nicht  gelehrte,  sondern  allgemein  gebildete,  liebevolle,  verständige,  thätige  und 
lieitere  Frauen  braucht  die  Welt.  Für  das  Haus,  für  die  Familie  werden  sie 
erzogen,  gleichviel,  ob  es  ihnen  beschieden  wird  oder  nicht,  selbst  eine  Familie 
za  grUniAen;  blasliehe  Tagenden  «i  beOdttigen  sind  sie  doch  alle  benifini.  Und 
darin  werden  sie  täglich  geübt,  w«rden  zur  Sorge  fttr  andere  and  zar  Ordnonff 
angehalten,  die  sie  seihst  zu  erhalten  haben.  In  diesem  Sinne  geschieht  es, 
dass  sie  sich  in  die  verschiedenen  Pflichten  des  Haushaltes  tlit  ilen  und  darin 
abwechselnd  üben.  Für  die  kleineren  Kinder  haben  die  älteren  Mädchen 
mtttterilch  zn  sorgen.  Gepflegt,  geldeidet,  beim  Spiel  and  bei  der  Arbeit  be- 
aoAichtigt  werden  die  Kleinen  nicht  von  den  Dienstboten,  sondern,  wie  in 
wolgeordnetcn  Familien  von  treuen  Schwestern,  so  hier  von  ihren  illteren  Mit- 
schülerinnen. Ohne  mein  Wissen  und  Wollen,  weder  aus  Laune  noch  unver- 
ständiger Liebe,  darf  auch  nur  das  Geringste  eigenmächtig  verfügt  werden. 
So  beooige  ieh  eigentlich  die  Kleinsten,  aber  ich  besorge  sie  darch  die  OrlUeren, 
damit  diese  es  richtig  thnn  lernen.  1r  dem  gleichen  Sinne  wie  die  Kleinen 
werden  die  Großen  erzogen  —  alle  bilden  ja  bei  mir  eine  einzige  Familie. 
Aber  je  entschiedener  mit  den  zunehmenden  Jahren  die  Charakteranlagen  sich 
ausprägen,  am  so  nöthiger  wird  es,  au  der  Stelle  iustinctiver  Impulse  eine 
denkende  and  ferbindende  Fiirsorge  walten  za  lassen.  Bs  ist  nicht  einerlei^ 
welche Sohillerinnen  sich  za  einander  hingezogen  fOhlen.  DaMftdehea  indieasm 
Alter  mehr  einem  allgemeinen  Bed&rftüsse  des  frenndschaftlichen  Anschlasses 
folgen,  als  wirldich  individnelle  Zaneigangen  empfinden,  so  kann  and  mosa 

32* 

DIgitized  by  Google 


—   460  — 


mvn  ihre  Gefühle  auf  den  passenden  G^enstand  zu  lenken  snchen,  S"l  he  eiii- 
mder  nUher  bringen,  die  sich  wolthatig-  zu  ergänzen  geeignet  sind,  and  die 
80  gebildeten  kleineü  Gruppen  dabei  mit  dem  großen  Ganzen  in  lebendiger  Be- 
riliniiiir  erludten.  Bin  ttbenehwIaglichM  0«lilü  darf  ni«  PlUelitflii  gtguk 
andere  in  den  Hintergrond  mrUckdrängen;  der  uberall  sch&dliche  Egoismus  iat 
aucli  in  dieser  Form  zu  bekämpfen.  Nur  dadurch  iHsst  sich  die  liildnng  von 
Cliquen  und  Coterien,  das  Aufkommen  kleinlicher  Intriguen  und  gehässiger 
Klatsclisucht  verhüten;  nur  so  kann  in  der  G^sammÜieit,  zum  Glück  und  Wol 
jeder  eiaieliieii,  eine  Gemeineunkeit  ernster  Arbeit  nnd  firendigen  Strebens 
bestehen  bleiben. 

In  den  höheren  Mädchenschulen,  bemerkte  ich,  ist  die  Neigung,  Cliqnen 
iind  Coterien  zu  bilden,  eine  höchst  auffällige  Erscheinung.  Es  gibt  da  Cliquen 
nach  dem  Stande,  nach  den  socialen  Verhältnissen  der  Eltern,  nach  den  Con- 
fessionen,  die  einen  Verkehr  miteüiattder  nur  auf  das  QescUtfÜiche  —  niNhta 
man  sagen  —  besdirftnlcen.  Sie  werden  jedeniUls  begSnstigt  nnd  gefSrdeit 
durch  die  Schülerinnen  -  Kränzchen  mit  Kuchen,  Kaifee,  Wein,  TSnsdiai  md 
Jlaskeraden,  wie  sie  jetzt  Mode  sind  und  gegen  die  vor  einigen  Jahren  ein  ar> 
fahrener  Schuldlrcctor  alle  guten  Mütter  aufrief. 

„Wol  vergebens*',  meinte  Frihüeln  B.  „Sie  islMen  nieht,  was  alles  in 
diesen  Erttnnehen  nnd  den  anblagenden  Cliquen  vorkommt.  Mldchen,  welshe 
an  solchen  thellgenommen,  sind  für  eine  Anstalt  die  grOBte  Gefahr;  sie  sind 
nicht  selten  so  in  den  Grund  verdorben,  dass  wir  sie  mOgUohst  sohneil  ent- 
fernen müssen." 

„Aber  ist  es  nicht  traorig,  solche  Mädchen  hinaasrastoßen?  Bei  Urnen 
war  vielleieht  der  dnilge  Fiats,  wo  sie  noeh  gnt  werden  kointmi.* 

„Ja»  es  ist  tranrig,  nnd  nur  am  die  übrigen  Zl)glinge  vor  gewissen  Ge* 
fahren  zn  schützen,  entschließen  wir  uns  zu  diesem  äußersten  Schritte.  Aber 
eine  Erziehungsanstalt  ist  doch  keine  Besserungsanstalt." 

„Nehmen  Sie  in  solchen  Fällen  nicht  die  Hilfe  der  Eltern,  namentlich  der 
lliltter  in  Anqimch?''  —  „Ich  thne  es  Idder  Ibst  immer  eline  den  gewflnseh- 
ten  Erfolg.  Übrigens  haben  meine  Erfahrungen  mich  zu  dem  Grundsätze  ge- 
führt, von  meinen  Zöglingen  jede  Mitwirkung,  joden  Kinfluss  der  Eltern  fern- 
zuhalten.   Elntweder  man  vertraut  mir  die  Kinder  ganz  oder  gar  nicht." 

Von  den  Müttern  kamen  wir  auf  die  Erziehung  in  der  Familie,  auf  die 
KindergSrten,  ihre  Begründer  nnd  ersten  Apostel,  denen  FrlnleinH.  com  Theil 
persönlioii  nahe  gestanden,  anf  die  Gegner  und  die  geistlosen  mechanisii'enden 
Ejiigonen  nnd  manches  andere.  Aber  die  fiir  mich  sehr  lehrreiche  Unter- 
haltung mnsste  abgebrochen  werden;  denn  die  Stande  der  Prüfung  war  heran- 
gerückt. 

In  einem  hellen  Saale  des  ersten  Stoekes  hatten  Herrm  und  Damen  ans 

der  Umgegend  Fiats  genomineti.  Die  Ausstattung  des  Saales  war  sehr  einftMlh; 
ein  Fest  schienen  nur  einige  Blumensträuße  auf  dem  Katheder  andeuten  zu 
sollen.  Die  Mädchen  wurden  nicht  wie  eine  Compagnie  Soldaten  in  den  Saal 
geführt  Unbefangen  und  ungeordnet  kamen  sie  herein,  die  kleinen  und  die 
groSen,  sehoben  die  ans  dem  anstoBenden  Saale  mitgebnwhtenStillile  mit  siini- 
lichem  Gerinsche  hin  nnd  her,  bis  aUe  in  letdlieher  Ordnung  beqnem  sitnen 
konnten. 

Hier  gibt's  also  weder  lange  Blinke,  noch  „wissenschaftlich"  ausgekünsteite, 


Digitized  by  Google 


—    461  — 


an  die  ZwangntiUile  in  Zncbt-  und  Irrenhäuseni  eiionernde  Bank-  und  Tiack- 
systeme,  in  denen  zwei  oder  vier  nebeneinander  gesteckte  Kimler  sich  während 
des  allergrößten  Theiles  ihres  Lebens  nur  vorsichtif?  rühren  und  wenden,  heben 
and  setzen  künnen.  Also  aach  deutsche  Kinder  darf  man,  wie  l&ugst  die  ame- 
rikanleelien,  ohne  Schaden  für  die  körperliche  nnd  reUglBBBfttUehe  Efziehnng 
•ttf  gans  fewümlietoii,  billigen  StfiUen  während  des  Unterrichts  ritneii  Innen. 
Allerdings  saßen  die  Hftdchen  anch  nicht  wie  die  Antomateu  mit  zweimal 
genau  rechtwinklig  geknicktem  Körper  mit  aneinander  geklemmten  Gliedern  und 
senkrecht  aufgesetztem  Kopfe.  —  Nur  wenige  der  größei-en  Mädchen  hatten 
an  der  Prüfung  „Toilette  gemacht";  die  meielen  wann  offimbar  in  den  flin- 
fiwhiten  AUtagskleidemerBehienen.  KeinMldeheii  liatte  es  anstladig  geftandan, 
aleli-  oitt  einem  Sattel  anter  dem  Rocke  lächerlich  zu  machen,  und  keins  hatte 
mit  einem  Schniiileibchen  eine  „Bäste^  im  Geschmack  der  SchneideigeseUen 
und  Puppenkütistler  geformt. 

Frttttlein  U.  trat  dicht  zu  den  M&dchen,  musterte  sie  aufmerksam  dnrch 
die  Lorgnette,  nnd  die  Prttfling  begann.  Von  der  eisigen  BehringsstnBe, 
wekhe  Asien  nnd  Amerika  auseinander  hftlt,  ging  es  mit  Fragen  und  Antworten 
über  die  Ströme  nnd  Gebirge  der  nenen  Welt  bis  zum  ^feer,  dann  flugs  nach 
dem  alten  Europa  und  hier  in  allerlei  Kreuz-  und  Querzügen  durch  Griechen- 
land, Italien,  das  alte  Rom,  durch  Frauki-eich,  England,  die  Schweiz,  Deutsch- 
laad.  Lftnder,  Stidte  nnd  Vdlker,  die  in  den  Antworten  eraohienent  wüte 
geeehickt  zu  Anknüpfungspunkten  fftr  die  Geschichte  und  Literatur  aller  Zeiten 
benutzt.  Die  MUdchen  gaben  mit  genauen  Zeitzahlen  Auskunft  über  die  Tar- 
quine  und  Julius  Cäsar,  über  Perikles  uud  dit-  PaHlol  igen.  über  Philipp  den 
Schöneu  uud  das  Zeitalter  Ludwig  IV.,  über  die  Angelsachsen  uud  Heinrich  VUL, 
über  Wilhelm  Teü  nnd  Karl  ven  Borguid,  Iber  Dietridi  von  Bern  nnd  die 
Gudrun,  über  die  Helden  uud  Heldinnen  der  Nibelungen,  über  die  Reformatoren 
und  die  Hohenzollern,  über  Katharina  von  Medici  und  Elisabeth  von  England, 
über  Portia.  die  Gemahlin  des  Brutus,  und  Gertrud.  Stauftacher's  Gattin.  Ein 
Vergleich  ergab,  dass  die  deutache  Frau  in  Schillers  „Wilhelm  Teil"  viel 
grOHer  enchelne,  weit  h9her  stehe,  als  die  Hhnisehe  Fran  in  Shakespeare'a 
Drama.  Das  Gespräch  der  Gertrud  mit  Stanffacher  wurde  von  zwei  Mädchen 
vorgetragen,  und  mit  erhobener  Stimme,  mit  foierlichem  Nachdrock  wiederholte 
die  JBlrziehei'iu  die  Verse: 

..Die  If'tztf  W;ihl  steht  auch  dem  Sehwilchsten  oflfeu, 
Eiu  Sprung  von  dieser  Hriicke  macht  mich  frei." 

So  ging  ea  in  freundlicher,  niemals  .stockender  Unterhaltiing  bis  nahezn 
'  .jti  Uhi-.  Niemand  war  ermüdet,  am  wenigsten  die  alte  Dame,  die  keinen 
Augenblick  gesessen  uud  sich  nur  manchmal  auf  eines  der  größeren  Mädchen 
gettlltst  hatte. 

Das  war  eine  merkwürdige  Prüfung.  Der  systematisch  gescbnlte  Plid*- 
gOge,  der  strenge  ünterrichtstechniker  hätte  vieles  an  den  Fragen  nnd  Ant- 
worten auszusetzen  gehabt;  aber  das  Ganze  und  der  Geist,  der  es  durchwehte, 
selbst  das  Wissen,  das  in  den  Antworten  der  Mädchen  zu  Tage  trat,  konnte 
jeden  befriedigen.  l¥le  die  alte  Dame  die  melir  d«m  40  M Idchen  in  der 
Weise  zu  unterrichten  nnd  m  eniehen  ▼«rmag,  wie  es  die  Prtftmg  darthat, 
ist  mir  nicht  klar.  In  einem  swar  gedmckten,  aber  nicht  yertHfentUehten  Pio- 


Digltized  by  Google 


—    462  — 


tpe^e  wird  gesagt,  die  ZOglioge  mässen  den  Stoff,  welcher  in  der  Lehrstnnde 

vorgetragen  nnd  dnrch  Krenz-  nnd  Qnerfrasren  vielaeitig  beleuchtet  worden. 
selbststÄndig  verarbeiten  nnd  zwar  gruppenweise,  in  einer  (^oineinBanikeit  der  An- 
Btreogang  and  gegenseitigen  Anregnng,  wobei  die  iiltereu  Mädchen  als  Lehr- 
gehflflimtn  die  jüngeren  natenttttzen  nnd  leiten.  Das  klingt  aeiir  einfiMh.  Aber 
nm  diese  Methode  (die  flbrigens  anftällig  an  Peetalo&d'a  Schale  in  Staus 
erinnert)  vollständig  verstehen  nnd  würdigen  zn  können,  wfirde  anch  der  er- 
fahrene Pitdagoge  eine  läneere  Beobachtung  nöthig  haben. 

Zum  Schlttsse  wurden  die  hübschen  Zeichnangen  nnd  Handarbeiten  be- 
sehen und  von  denlttdchen  einige  mebrstimmige  Lieder  gegangen.  Nadidnem 
gnten  Imbiss  durften  die  MKdchen  tanzen. 

Man  darf  wol  annehmen,  daps,  wenn  irgendwo  nnd  irgendwann  der  Er- 
folg entscheidet,  er  über  Erziehung  und  Unterricht  das  letzte  Wort  liat.  Herren 
nnd  Damen,  welche  die  Anstalt  durch  eigene  Kinder  and  dorch  Kinder  be- 
freundster  FamiUen  kannten,  waren  des  nneingesehrinkten  Lobes  tsIL  lüd- 
ehoi,  so  crriOiltea  slsi  wsldie  dalieini  dis  «wildesten  Hnmmeln*'  gewesen  und 
In  öffentlichen  Schalen  and  abgeschlossenen  Instituten  nicht  gut  gethan,  seien 
bei  Frftulein  H.  in  verhältniRmRßig  kursier  Zeit  fleißig  und  gesittet  geworden. 
Die  Schwachen  wUrden  stark,  die  Kränklichen  gesund.  Denn  die  Erziehung 
mnfiMse  hier  alles:  Empfinden  nnd  Denken,  Arbeiten  nnd  Spielen,  Schlafen  nnd 
Waehen,  Essen  nnd  Trinken.  Keine  „Ordnung*  regle  das  Leben,  sondern  ans 
dem  Leben  miteinander  ei^be  sich  ungezwungen  die  Ordnung.  Jedes  wisse 
sich  mit  allen  anderen  gleich  beachtet  und  gleich  geliebt.  Es  wurden  mir 
Eltern  genannt,  welche  der  Anstalt  drei  nnd  vier  Töchter  zur  Erziehung  an- 
TSTtrant.  Ufitter,  die  vor  vielen  Jahren  hier  erzogen  worden,  hfttten  anch  nm 
AnAiabnis  üirer  TSchter  gebeten,  mdchen,  selbst  solehe,  die  aehon  „xeif  für 
die  Gesellschaft",  erbäten  von  ihren  Eltern  als  schönstes  Geschenk  die  Erlaub- 
nis, noch  länger  in  dem  abg^elegenen  Nanenhain  bleiben  zu  dürfen.  Auch 
worden  Beispiele  erzählt,  wie  Frauen,  in  die  Drangsale  des  Lebens  verschlagen, 
mit  dem  letzten  Reete  der  Hoffhang  za  ihrer  alten  Erzieherin  geeilt,  um  ge- 
trOstet  nnd  berathen  zo  werden,  nnd  wie  sie  dann  mitflrisdiemHnthaid  fBster 
Zuversicht  die  harte  Arbeit  nm  ein  nenes  Glück  begonnen  und  zn  Ende  ge- 
führt haben  Von  MenscheUi  welebe  die  Jagend  bilden,  kann  Bübmenswerteres 
nicht  gesagt  werden. 

Ich  erzähle  nur,  was  ich  gesehen  and  gehört  habe.  Ich  getraue  mir  nicht, 
von  einem  Mastw  zn  BpredMn;  aber  anf  ein  Beispiel  mQcbte  idi  die  Kicke 
lenken.  Über  die  Erziehung  und  Bildung  der  Mäd«  h(  n  wird  gegenwärtig  viel 
verhandelt.  Ks  will  mir  scheinen,  dass  Männer  und  Frauen,  beumtote  und  un- 
beanitcte,  auf  eranz  neue  Gedanken  kommen  würden,  wenn  sie  aucli  .^nstalt^  n 
wie  die  in  N.  gründlich  kennen  zu  lernen  suchten,  wenn  sie  Erzieherinnen 
wieFr&nleinH.  anch  soi^;sam  beobachten  nnd  ihre  Erfiriimngen  nnd  Ansichten 
prüfen  and  mit  den  Grundsätzen  und  Vorschriften  in  „Ordnungen*  und  „Re- 
gulativen" vergleichen  wollten.  Freilich,  mit  aller  Unbefangenheit  müsste  es 
gescht'lien,  anch  wenn  es  nicht  zu  vermeiden  wäre,  einige  berühmte  Schablonen 
und  Meister  vor  dem  hier  waltenden  Geiste  eiligst  zu  verbergen. 


Digitized  by  Google 


—   463  — 


Abb  Belfien.  [ Partei TerliftltniMe.  Hftdeheii-GewerbeBcliBle, 
Eeole  professionelle  in  Antwerpen.]  Mm  weiß,  dass  es  außer  den  Tiden 
kleinen  Parteien  hanptsächlich  zwei  grroße  politische  l'arteien  in  Belgien  gibt, 
die  sich  bei  den  Wahlen  in  die  Kammern  die  Majorität  streitig  machen:  die 
katholische  and  die  liberale.  Wenn  eine  der  Parteien  den  Sieg  davon  trägt, 
mxm  der  K9nig  derselben  entepTeehend  sein  Miniekerinra  wttlii«D ;  er  mnts  also 
bald  liberal,  bald  katholiBcli  sein,  je  nach  dem  herrschenden  Wind.  Man  würde 
jedoch  sehr  irren,  wenn  man  hier  d»^m  Ausdruck  „katliolisch"  eine  religiöse 
Bedeutung  unterlegen  wollte:  er  bezeichnet  nur  oim-  politische  Partei,  welche 
allerdings  hauptsächlich  das  Interesse  der  römisch-kaiholischen  Kirche  vertritt. 
Sie  hat  den  groflen  Vortheil,  daas  aie  eine  dnrebaaa  einheitUeliePartet  iBt»  d.h. 
dass  sie  einer  einzigen  Führung  untersteht  und  daher  immer  genau  dieselben 
Ziele  verfolt^t,  wiUirciul  die  liberale  Partei  in  verschiedene  Unterabtheilnngen 
'/erfilUt  und  eine  Alenge  philosophisch-religiöse  Verschiedenheiten  darstellt,  die 
sich  untereinander  befehden  und  bei  den  Wahlen  oft  zersplittern.  Diese  In- 
einif^eit  war  derGmndt  weshalb  im  Jahre  1883  die  liberale  Partei  der  katho- 
lieehen  unterlag. 

Als  die  liberale  I^artei  noch  am  Ruder  war,  hat  sie  sich  besonders  be- 
müht, dem  ganzen  linterrichtswesen  ein<>  freiere,  humanistische  Kichtung  zu 
geben,  und  da  sie  das  aus  Staatsmitteln  nicht  l^onnte,  hat  man  allenthalben 
Geldeammlnngen  in  Gang:  geeetst  und  darane  einen  SchnUbnda,  den  sogenannten 
denier  des  ^coles  gegründet.  Auf  allen  Festlichkeiten,  sogar  bei  öffentlichen 
Aufzügen ,  ließ  man  Sainnielbib'lisen  circuliren  und  brachte  so  eine  große 
Summe  zusammen,  wovon  man  liberale  Schulen  einrichtete.  Diese  6coles  com- 
monales  waren  aber  dem  Clerus  ein  Dorn  im  Auge,  und  von  allen  Kanzeln 
lieB  er  gegen  diese  dni?elB  lohoeleii,  wie  man  de  nannte,  donnern. 

In  dieser  Zelt  entstand  in  Antwerpen  auf  Aaregongr  liberaler  lOnner 
eine  Schule  ganz  neuer  Art»  welche  hauptsflehUch  fBr  die  unteren  und  mittleren 
Hürgerclassen  bestimmt  war,  und  den  Müdchen  eine  Geletrenh»  it  geben  sollte, 
sich  solche  Kenntnisse  zu  erwerben,  mit  denen  sie,  auch  olme  zu  heiraten,  ihr 
Fortkommen  in  der  Welt  finden  konnten,  sei  es  in  Ladengesdilllen  aller  Art, 
sei  es  im  Telegraphen-,  Teleidion-  oder  Postdleost,  oder  in  der  Gonfeetion. 
Die  Schnle  wurde  vom  denier  des  ßcoles  gegründet,  und  es  bildete  sich  durch 
Snbscription  ein  Verein  von  Herren,  in  dem  sich  jeder  zur  Zahlung  einer  jähr- 
lichen bestimmten  Summe  verpüichtete;  anch  erlaugte  man  eine  jährliche  Snb- 
yentlon  ¥ob  der  Stadt.  So  erhielt  sidt  die  Sehale,  weUshe  tiberdiss  dnreh 
Sofailgddeinnahme  ihren  Bestand  stBrkte.  Als  nnn  1883  die  Begierong  wie- 
der in  dieH&nde  der  Katholiken  kam,  gingen  diese  gegen  dieCoinntunalschnlen 
vor  und  vernichteten  einen  großen  Theil  derselben,  wobei  sie  die  Lehrer  auf 
ein  kleines  Wartegeld  setzten.  Man  hätte  geine  tabula  rasa  mit  allen  liberalen 
Sdinlen  gemacht,  wenn  der  König  sich  nicht  widersetst  hätte.  Die  öcole  pro- 
fessionelle entging  dem  Sehieksale  der  AnfUlsiiag,  thells  weil  de  von  Frivat- 
mitteln  gegründet  und  unterhalten  war,  theils  weil  der  liberale  Stadtrath  die 
Subvention  fortbestehen  ließ.  Die  Schule  hat  sich,  dank  der  vortrefflichen 
Leitung  und  der  vernünftigen  Einrichtung,  sehr  gut  entwickelt  und  nach  und 
nach  die  Sympathieen  des  Publicums  erworben;  die  Schfilerzahl  ist  beständig 
fewaehsen,  und  man  war  sdion  llncrt  fenltthigt,  die  drd  nnteren  Caaasen  in 
ParallddMos  einsntheilen.  Die  Sehnle  ist  dne  Slfontliehe  Wolthat,  denn  sie 


Digitized  by  Google 


—   464  — 


verlangt  Ar  deo  umfiRiigrBielmi  Unterrklit  ninr  15  fot.  Schulgeld  pro  TrimeBter 
imd  durch  hochherzigre  Stiftnngren  Bind  eine  Anzahl  Freistellen  geschaffen  wor- 
den, welche  an  brave  arme  Mädchen  verliehen  werden.  1  »ie  Anstalt  hat  jetzt 
nahe  an  5UU  Schülerionen  in  8  Clasaen  mit  14  Lehrerinnen  und  4  Hilfslebreni. 
Die  Hidcheo  sind  im  Alter  von  12  bis  20  Jahren.  Die  Schule  steht  nnto*  der 
OberanMcht  deeUnterrichtamlaisters,  ferner  unter  der  Anfldeht  dee  etldtisdien 
ichevin  de  Tinstniction  publique  nnd  eines  Venraltang;8rath8,  dessen  Mitglieder 
die  Schnle  von  Zeit  zu  Zeit  besuchen.  Die  specielle  Leitung:  liegt  in  den 
Händen  einer  ersten  und  einer  zweiten  Directorin,  welche  beide  mit  gewissen- 
hafter Strenge  die  Ordnung  und  Disciplin  handhaben  nnd  selbst  in  den  Zwi- 
schen-imdErholnngeetonden  keineriei  Ausgelassenheit  anfkonmen  lassen.  Anch 
in  den  Classen  wird  die  Disciplin  durch  Classenlehrerinnen  vortrefflldi  erhalben. 
Die  Unterrichtssprache  ist  Französisch  und  Fliimisr  li. 

Dreimal  im  Jahre  wei'den  allgemeine  (Ntnipositioucn  in  den  (  lassen  ab- 
gehalten, die  erste  vor  Weihnachten,  die  zweite  vor  Ostern  und  die  dritte  vor 
dem  Schlnsse  des  Sdra^Jahres,  in  Jnll.  Die  Besaltate  dieser  Cknnpositionea 
werden  dann  von  den  Lehrerinnen  der  Directorin  in  Gestalt  einer  Ziffer  äber> 
c^ben,  welche  die  Anzahl  der  Punkte  bedeutet,  die  jede  Schülerin  in  jedem 
Fach  erhalten  hat.  Aus  diesen  Ansraben  stellt  nun  die  Directorin  die  Berech- 
nung der  Pnnlcte  zusammen,  welche  das  Gesaramiresultat  der  Leistung  einer 
jeden  SdiVlerln  ergehen.  So  weill  man  dann  mathematisch  genau,  wekhe 
Schälerinnen  in  jedem  Faeh  die  besten  sind  und  bei  der  Preisvertheilang  dmi 
ersten  Preis  bekommen.  Außerdem  f^rlialten  dir  ScliHlerinnen  des  V.  Jahrgangs, 
welche  die  Schule  verlassen  sn]]pn,  ein  Diplom  ausgehändigt,  welches  vom  Ver- 
waltungsrath und  dem  Oberbürgermeister  unterschrieben  und  gesiegelt  ist,  und 
mit  welchem  es  der  SiABlerin  leicht  wird,  eine  Stellung  m  bekommen. 

Nun  noch  ein  Wort  von  der  öffentlichen  allgemeinen  Ausstellnng  von 
Handarbeiten  der  Schülerinnen,  welche  am  Schlnsse  des  Jahres.  Anfang  Augtist. 
in  den  Kaunu  n  der  Schule  veranstaltet  wird.  Sie  ist  sehr  besucht  und  auch 
sehr  interessant.  Da  findet  man  im  Zeichensaai  die  ßesoltate  des  Zeichnens 
und  Halens  auf  Papier,  Ponellaa,  Holz  nnd  Seide,  in  dem  OonÜMSthnasaal  die 
Zeiehnnngen  von  Schnittmustern  aller  BeUeidungssttteke,  eine  reiche  Samm- 
lung von  Weißnaherei  nnd  Stickerei,  Stickereien  in  Wolle  und  Seide,  neu 
angefertig-te  Bekleidungsstücke  aller  Art  bis  zum  Damenmantel  und  zur  Damen- 
robe, lu  einem  auderu  Saal  gibt  es  eine  reiche  Auswahl  künstlicher  Blumen 
in  den  mannigftwhiten  Onnbinationen,  nnd  man  sollte  ei  kanm  glanben,  dass 
diese  wundersehSnen  Sachen  nur  von  den  BQlnden  der  SehUmrlnneii  lientamm«i. 
Die  Namen  der  Arbeiterinnen  sind  jedem  Artikel  angeheftet. 

Den  Schluss  des  Schuljahres  bildet  die  öffentliche  PreiRvertheilnn^  in  dem 
prachtvollen,  mit  den  Porträts  aller  Kunstler  vergangener  Zeiten  und  mit  Bil> 
dem  lebender  Eänstler  geschmttckten  Saale  des  oercle  artistique.  Da  Tcr- 
■aminain  gfeh  die  Lehrerinnen  und  SchiUerinnen  der  Anstalt^  der  Oberbirser* 
meister,  der  ünterrichtsschöffe  (Gchevin),  der  V^fwaitungsrath,  an  dessen  Spitze 
der  bekannte  Advocat  Delvaux  steht,  nnd  der  ganze  Saal  ist  von  Eltern  und 
Freunden  der  Schülerinnen  besetzt.  Eingeleitet  wird  der  Act  durch  (jesang  mit 
Flügelbegleitnng,  Keden  des  Oberbürgermeisters  und  der  andern  Herren.  Dann 
schreitet  num  nr  FreisTertheUung  selbst  Die  Directorin  liest  die  MasMi  der 
Prftmiirten  einiehi  laut  yor,  welche  dann  hervortreten  nnd  ihre  Preise  ans  den 


Digitized  by  Google 


—    46Ö  — 


Händen  des  BfiigermeiBken  oder  der  andern  Herren  empfengen.   Die  Preise 

sind  hübsche  Bflcher,  welche  auf  einem  Tische  liegen  nnd  das  Aage  darch 
ihre  rotlien.  pfrünen,  blauen  g-olderoprepsten  Einbündt^  tTfrencn.  D;inn  richten 
die  Heri  t  n  an  die  Schülerinnen  ermunternde  und  belobende  Worte  und  tanschen 
Handschlag  mit  denselben.  Nachdem  auf  diese  Weise  alle  Preise  vertheilt 
Bind  and  allea  wieder  auf  «einen  Pl&tsen  sitst,  seblieBt  ein  Festgesang  die 
•ehöne  Feier. 

Es  bleibt  noch  übrig^.  in  kurzem  eine  Übersicht  über  die  Classen  nnd  die 
\'ertheiluug  der  LehrtUcher  zu  geben. 

I*"-  ann^e  d'6tades  (A  u.  B). 
Fliiüiiscli,  Französisch,  Reclincn.  Geographie,  Geschidlte  VOO  Belgien^ 
Xatarlehre,  (ieometrie,  Zeichnen  and  Handarbeiten,  Singen. 

U*^  ann6e  d'Atndes  (A  n.  B). 

Flämisch,  Französisch,  theoi-et.  Rechnen,  Natnrielire,  Oeographie  imd  Ge- 
schichte, Zeichnen,  Geometrie,  Handarbeiten,  Singen. 

ann^e  d'^tndes  (A  n.  B). 

Flämisch,  Französisch,  Englisch  oder  Deutsch,  allgemeine  Geschichte,  Geo- 
graphie, Handelsrechnen,  Geometrie  und  Projection,  Pl^iik|  Kalligraphie,  Hand- 
arbeiten, Blnmenmachen,  Confection,  Singen. 

lyenu-  ann^e  d'^tudes. 

Fliiniiscli,  Französisch,  Eng-lisch  oder  Deutsch,  Geographie,  Handels- 
geitgraphie,  Handelswisseuschatt.  l'liysik,  Wirtschaft^lehre,  Buchführung  mit 
Rechnen,  Zeichnen  nach  Gips  und  Modellen,  Gesundheitslehre,  Perspective, 
Confeetion,  Leinennahen,  Singen.  • 

y*me  gnnee  d'etudes. 
Flämisch,  Französisch,  Englisch  oder  Deutsch,  Handelsgeugraphie,  Physik, 
OheMie,  Zelfliuwii  aadt  ModeUea,  Gesudhdtalehr^  Wirtsebaflaieiire,  Haadeli- 
geseta,  Singen,  üsine  Stickerei,  Bobenoonftetion,  Leinwandnllien,  kffaurtlidM 
Binmen. 

Man  sieht,  dass  der  ReUgionsonterrieht  keine  Stelle  im  Plane  hat^  eben- 

ßou  eni^r  ein  allgemeiner  Sittenlehre-Unterricht.  Letzterer  wäre  sehr  angebracht, 
aber  das  Fach  ist  nicht  bearbeitet,  nnd  es  sind  keine  Lehrer  dafdr  da. 


Der  ansgeaeichnete  P&dagoge  Herr  Theodor  SehütK,  den  Lesern  des 

Pädagogiums  seit  langen  Jaliren  wolbekaunt,  eröffnet  zu  Ostern  ein  Lycenm 
für  Haushaltung  und  weitere  Aushildinuj  Jimger  M<i>lr}ie)i  in  Sinzig  an  der 
Ahr,  Rlieinprovinz.  Wir  sehen  dem  Wirken  dieses  Instituts  mit  großem  Ver- 
trauen und  den  besten  Erwartungen  entgegen.  Interessenten  erhalten  nähere 
Anskvnft  von  Hem  Th.  Sehiltz,  Eigenthttmer  nnd  Direetor  der  Anstalt  Die- 
selbe ist  sehr  gfinstig  gelegen  zwischen  Remagen  nnd  Sinzig  im  Bhein-  und 
Ahrthale. 


Digitized  by  Google 


—    46t)  — 


Ais  der  Fiek]HrMW. 

527.  Die  philaEthropisch-pädago^ischen  Bestrebungen  der 
Gegenwart  (Fr.  Reuß,  Eep.  d.  Päd.  1891,  VI  VIII).  „An  den  von  den 
Menschenfreunden  und  Cosmopoliten  aufgestellten  ErzicliungsgrundsUtzcn,  ho- 
wie  an  ihren  hamauen  Ideen  überhaupt  hat  nun  schon  ein  ganzes  Jahrhundert 
gezehrt,  und  die  deutsche  EniehnngswineDBCbaft  und  Praxis  werden  noch 
lange  daran  zehren.  Ist  das  nicht  ein  vollgültiger  Beweis  für  die  Vor- 
trofflichkeit ,  für  den  classischeii  Wert  der  philantliroitischen  Ideen  und 
Grundsätze?''  Diese  hat  R.  zusammengestellt,  mit  den  nöthigen  Quellennach- 
weisen, und  alsdann  die  ähnlichen  Bestrebungen  der  Gegenwart  (gewisser- 
mafloi  als  Fortsetsnngen  jener)  sliizsirt,  unter  Bonfting  anf  beaeichnende 
Än0emngen  In  der  zeitgentasiBchen  Literatnr.  —  Eine  dankenswerte  Arbeit. 

528.  Ober  die  Bedeutung  der  Hntter  für  die  Menschea- 
bildung  nach  E.  M.  Arndt  (A.  Schnitz,  Rep.  d.  Päd.  lS!>-2,  V).  Aus 
Arndts  Lernsätzen:  „Die  Mutter  steht  im  Vorderg^rnnd  in  der  Kindheit,  tiitt 
im  Knabenalter  gegen  den  Vater  zurück,  und  wiid  von  der  Liebe  des  Jüng- 
lings wieder  anfgesncht  als  ürbom  alles  SelnSb*  „Dte  Mutterliebe  nnd  die 
Nator  erziehen  das  Kind."  („0  beiliges  Weib,  wenn  dtt  beide  hast  nnd  be- 
wahrst!") „Die  NichtZerstörung  des  einfilltigen  Natnrverfahrens  heißt 
Menschenbildung  im  h?)chsten  Sinn.  Die  Grnndstinde  aber  ist:  Was  Natur 
begann,  nicht  zu  vollenden.'  „Alle  Erziehung  und  Bildung  des  jungen 
Kensehen  soll  so  gehen,  dais  er  als  ein  schtteer  Ton  sjuHddage  in  dem  ali- 
gemeinen Accord  der  Natormysterien,  dass  alles  Sfißeste  nnd  GeheiniBte  seiner 
Natur  bewahrt  und  gepflegt  werde  für  die  Ii  eiligsten  Genüsse  und  Verständ- 
nisse."   (Siehe  Arndt,  FVagmente  der  Menschenbildung,  2  Bde.,  Altona  1805.) 

529.  Der  VolksBchullehrerstand  im  Spiegel  der  MitweD  K. 
Trunk,  Allg.  deutsche  Lehrerztg.  1891,  40 — 42).  Was  in  vei-schiedeuen 
Kreisen  (anch  unter  den  Lehrern  selbst)  Iber  die  Lehrer  genrtheilt  wird  — 
woher  die  vielen  Aussetsungen  (hanptsieblieh  die  Orllnde  und  Aallsie  ftr  die 

Geringschätzung  des  Standes,  darunter  die  vielfach  verfehlte  Vorbildnng,  die 
„trostlose  Carriere"  —  die  Verleihung  niedriger  ,,Orden''  [an  Stelle  sehnlich 
gewünschter  höherer!])  —  Mittel  zur  Besserung.  —  Im  ganzen  nur  eine  ge- 
schickte Zussnunenstellang  dessen,  was  in  fast  allen  Fachblftttem  schon  oft 
(theflwelse  sn  oft)  gesagt  worden.  (TroHdem  hat  der  Anftatz  in  der  be- 
kannten jährlichen  Prt  ishewerbung  der  A.  d.  L.  den  ersten  Preis  erhalten  — 
deshalb  erwähnen  wir  ihn  hier.) 

530.  Wo  stehen  wir?  iK.  Spyfert,  Deutsche  Schulpr.  1892,  1—3). 
Eine  kritische  Abrechnung,  in  weicher  wir  bei  dem  l'osten  „deutscher  Unter- 
richt* die  AnfAffdenng  zur  Nachfolge  Bud.  Hildebrands  (eine  warme  und 
naehdrttcUiche  Empfehlnng  seines  Grundbuches)  Termissen.  — Verf.  bezeichnet 
als  „allerwichtigste"  Aufgabe  der  zukünftigen  „pftdagogischen  Forschung'*: 
„die  Errichtung  pädafrnerisclier  Bcobachtungsstationen,  die  nach  fost^eeptzter 
Methode  pädagogische  Thatsachen,  Erscheinungen,  Probleme  sammeln;  dann 
wtrden  an  einer  Gentralstelle  diese  Beobachtungen  zu  sichten  und  zu  ver- 
arbeiten sein.  Die  Eigebnisw  dieser  Verarbeitung  würden  BeitrSge  zur  Ge- 
winnung einer  Pädagogik  als  Wissensehaft  sein." 


Digitized  by  Google 


—    467  — 


531.  Über  pMagogriieli«  DisemBlonen  und  die  Bedimrvnfen, 

unter  denen  sie  nützen  können  (B.  Männel,  Dentsche  Blätter  1891, 
50—52).  Als  ,. Bedinp-nnsren"  der  „Nützliclikf  it"  setzt  Verf.  fest:  a)  es  ist 
zu  vfniitidfn  ein  \'(M mischen  nnd  Hineinziehen  politischer  Theorien  und 
Strömungen  iu  die  Pädagogik;  b)  die  Tagesordnung  enthalte  nur  zur  Sache 
GeMriget;  e)  man  kiiii]ifii  g«g«i  Firtei-TemrinMie  nid  ein  IniUehes  Naeb- 
Iffen  eines  politischea  ParlamentarieBiis;  d)  es  werde  ein  vom  Vertraaen  de» 
Gesammtvereins  petraprener  Obraann  der  Leiter  der  Verhandlungen;  o)  man 
einige  sich  in  gewif-sen  Principien:  f)  die  Vf reinsentwickluni?  sei  eine  ans  dem 
Kleinen  herauswachsende;  g)  mau  halte  üich  au  eine  aus  freiem  Interesse  an- 
genommene Vereintsnebt;  h)  es  ist  m  denken  an  eine  der  wadisoiden  Er- 
kenntnis jedes  Vereinsmitglieds  entsprechende  Vereiniendehang;  i)  man  be- 
schränke sich  in  der  Auffassinifr  des  Begriffes  „pSdagogisohe  Erfahrung". 

532.  Aufgilbe  II  unserer  Kar  Ii  pi- esse  (Zeitschr.  f.  d.  deutsch.  IJnterr. 
1891,  XII).  In  der  Einleitnng  zu  einem  Bericht  Uber  den  „deutschen  Unter- 
rieht  in  der  pftdagogiseiien  Presse  des  Jahres  1890"  werden  drei  Aifgabea 
bezeichnet,  zn  deren  Lösung  „unsere  Wochen-  nnd  Monatsschriften  ansdrück- 
lich  berufen  und  verpfliclitet"  sind:  gnte  nene  Gedanken  über  Ziele,  Mittel, 
Wege  (..Fortschritte**)  bekannt  zu  geben  —  wiederholt  mustergültige  Ver- 
arbeitun^'t  n  der  „Ertiudangen  nnd  Entdeckangen"  („solange  sie  noch  nicht 
GemeiDgui  {geworden")  zu  bringen  nnd  dafür  zu  sorgen,  «dass  letztere  in  vor- 
zfigliche  GesammtdarsteUnngen  deijenigen  Gebiete,  welchen  sie  angehören  oder 
für  die  sie  fruchtbar  zu  machen  sind ,  eingereiht  werden"  —  emsthaft« 
(schöpferisch  wirkende,  neue  Ausblicke  eröffnende,  Verhitlltes  oder  Ver- 
borgenes ans  Licht  ziehende,  znm  Fortschritt  antreibende)  Kritik  immer  mehr 
m  Worte  kommen  sa  lassen. 

683.  Was  soll  der  Lehrer  lesen?  (Sehw.  Lehrentg.  1892,  IX 
„Wer  dem  jungen,  unerfahrenen  Lehrer  eine  gewissenhafte  und  sachkundige 
Wegleitung  für  den  Ankauf  geejo-neter  Bücher  gibt,  erweist  ihm  zweifelsohne 
eine  Woltbat,  die  ideellen  nnd  materiellen  Gewinn  bringt."  Ein  Versach  ist 
dnfeh  eine  von  der  Bndehnngtdirectioa  des  Oaatons  Beni  eingsnetate 
Commisslon  bereits  gemacht  worden.  Verf.  «Itaueht,  dass  der  „Oentral- 
ansschnss  des  schweilerischen  Lehrervercins  die  Bildnng  einer  intercantonalen 
Commisslon  veranlasse,  die  mit  Geldbeitrilsren  von  Bund  und  Cantonen  anf 
dem  Boden  der  vorliegenden  (Berner j  Grundlage  weiter  zu  bauen  hätte. 

534.  Die  Erziehung  des  Kindes  zum  „Patriotismus"  (Päd.  Ref. 
1891,  49).  „Gedanken  eines  Ketfera."  —  „Ist  der  WaUspmeh  (Hit  Gott 
für  KOnig  nnd  Vaterland)  als  kriegerische  Devise  für  die  Kindererziehnng  nn- 
brauchbar,  wie  ist  es  da  mit  der  übertragenen  Bedeutung  derselben,  der  Liebe 
znm  „angestammten''  Herrscherhause  und  znm  regierenden  FUi-sten,  der  Liebe 
znm  Vaterlande?"  „Der  ethische  Maßstab  allein  mnss  es  sein,  der  fttr  die 
Answahl  ethischer  Mnstercharaktere,  der  nitiieildoeen  Kindersede  snm  Bd- 
spiel  nnd  zur  Stütze  bestimmt,  die  Bedingingen  setzt."  „Die  Forderung,  die 
Kinder  sollen  das  Vaterland  lieben  lenien.  ist  gleichwertig  mit  dem  Gebote: 
Du  sollst  deinen  Vater  und  deine  Mutter  lieben  —  ebenso  überflüssig  wie  dieses. 
Kinder  lieben  nar  die,  von  denen  sie  geliebt  werden" :  deshalb  u.  s.  w.  „Men- 
schen, die  das  Vaterland  gdsHir  nnd  körperlich  Tcrkommen  l&sst,  sollen  sich 
für  dieses  Vaterland  begeistern?" 


Digitized  by  Google 


,     -    468  — 

535.  Kittderdichter  L.  G;iliiiDg,  Prakt.  Schulmann  1891,  II).  „Über 
nichts  hat  uns  unsere  Scliulweisheit  —  Ästhetik  und  Pädagogik  —  go  »ehr 
im  unklai-eu  g^-h^ssen.  als  über  das  Wesen  dt  r  Kinderdichtang,  und  nur  die 
unverantwortliche  Sorglosigkeit,  womit  mau  dergleichen  Dinge  von  jeher  ab- 
sQtiiQii  gewohnt  bt,  konnte  nneere  ünwigsenheit  entschnldigen,  wenn  Leieht- 
sirin  ein  Entschuldignngsgrund  wäre.  Wir  betrachten  nadi  altem  Herkoounen 
Kindergedichte  als  ein»'  Gattung  der  Poesie,  die  eigens  —  für  Kinder  passt. 
sind  aber  trotz  dieser  unendlich  geisti'eicheu  Definition  auljer  Stand  an;cuß:eb*  n, 
worin  dieses  Passende  eigentlich  besteht."  ^^überste  liichteriu  auch  über  die 
Kinderdiehtnng  ist  die  Äitiietik.) 

Demnäclist  wird  im  Verlag  von  R.  Oldenbourg-München  der  von  Pro- 
fessor Dr.  Karl  \'idhnöller  lierausgegebene  „Kritische  Jahresbericht 
über  die  Fortschritte  der  romanischen  Philologie"  erscheinen.  Der- 
selbe wird  aneh  Berichte  Aber  den  Unterrlchtsbetrieb  romanischer  Sprachen 
an  den  Hoch-  nnd  Mittelsehnlen  germanischer  L&nder,  Yomehmltdi  Deutsch» 
lands  und  Österreichs,  bringen.  Leiter  dieser  AbtheUnng  ^  Professor 
Dr.  Wilhelm  Scheffler-Dresden. 

Um  in  den  Volkssehnlen  die  Schiefertafel  dvreh  ein  besseres  Lem- 
nitfeel  sa  ersetam  und  die  ersten  Schreibäbangen  sogleich  mit  Tinte  leicht 

ausführbar  zu  machen,  hat  Herr  Oberlehrer  Eduard  Schwalb  in  Groß- 
siehdichfnr  h*A  Marit-nbad  (Böhmen)  eine  Schreibtafel  sanimt  Utensilien 
hergestellt,  worauf  wii-  Elemeutarlehrer  mit  dem  Bemerken  aufmerksam 
maflheni  Aua  die  Probe,  weldie  wir  mit  dem  nenen  Apparat  Torgenommen 
haben,  denselben  ab  der  Beaehtang  and  Prillluig  sehr  wert  ersohebien 
Iftsst.  Wer  die  Schwierigkeiten  des  EIementarunt<-rriclits  kennt,  wird  sidi 
gern  mit  einem  Behelfe  aar  Erleichterung  deaselben  bekannt  machen. 

Nachtrag  zur  Tagesgeschichte.  Am  24.  Mftra  warde  Graf  ZedUtz, 
der  Urheber  des  neaesten  prevfiiMdien  Scholgeseta-Bntwnrfes,  sefaies  IDnister- 

postens  enthoben.  An  seine  Stelle  trat  ein  Herr  Dr.  Bosse  (Jurist),  der  all- 
^^emein  als  ,,orthodox  und  conservativ"  bezeichnet  wird.  Auch  d«'r  Reichs- 
kanzler (iraf  Caprivi,  welcher  sich  mit  aller  Kraft  für  den  Zedlitz'schen  Ent- 
wurf eingesetst  hatte,  legte  dag  Amt  eines  preußischen  Ministerprftsidenten 
nieder  nnd  wurde  in  dieser  Stellnng  durch  Graf  Botho  Eolenbug  enetat. 
Letzterer  erklärte  am  28.  Mllrz  im  preußischen  Abgeordnetenhaase,  dass  die 
Regierung  auf  dir  weitere  P'-ratliung  des  nein  n  Schulgesetz-Entwurfes  ver- 
zichte. Derselbe  ist  also  abgt  tlian.  Diese  Vorgänge  haben  bei  den  reactio- 
nären  Parteien  groüe  \'erstimmuug,  bei  den  fortschrittlichen  Befriedigung 
«r»ngt>  Doch  geben  sich  die  letateren  keinen  flberschwftnglkdien  Hofflinagea 
hin.  Einer  ansercr  preußischen  Correspondenten  schreibt  uns:  ,,Es  ist  viel 
gewonnen,  aber  zum  Fröhlichsein  haben  wir  noch  keine  Veranlassung."  Ein 
anderer  meint  bezüglich  des  neut-n  Unteriichtsministers:  „Er  wird  etwas 
vorsichtiger  sein  als  der  vorige,  aber  sonst  die  alten  Wege  wandeln." 


Digitized  by  Google 


Recensionen. 


1.  Nibelnuyen  mid  Kodrnn  inAiiawAbl,  mhd.  Text,  2.Les8iBg'sPhilota8 

imd  die  Poesie  des  siebenjährigen  Krieges.    3.  Lessing's  Minna  von 

Barnlielm.  4.  Lessing's  Nathan.  5.  Bader,  römische  Geschichte. 
6.  Kuuffmaun,  deutsclie  Mythologie.  7.  Lyon,  deutsche  Graiumatik. 
Preis  jedes  Biadchens  in  Leinwandband  80  Pf.    Gösctien,  Stattgart. 

TJm  des  gvnamiten  ftv6enfc  billigen  Preis  bietet  die  CHtaeben'fche  Samm- 
lung commentirte  Ausgnhen  clapsisrhrr  Wf  rkf  oder  Einfübninqrn  in  bestimmte 
Wiwensgebiete  (Ö--7),  deutlich  gedruckt  (also  nicht  in  der  Art  der  Reclam- 
cÖm  Mejer-Au8gabea)  und  elegant  gebunden.  Besonders  das  zi^-cite  der  Bünd- 
chen wird  den  I?eifall  der  Lehrerwelt  finden,  denn  der  Gedanke  an  ein  Haupt- 
werk die  glcichzeitii^e  Literatur,  die  sicli  mit  demselben  Thema  beschäftigte, 
ansiureihen,  i.nt  so  gut  und  glikklicb,  daas  ihn  die  Schule  sich  nicht  cntgeiien 
la8§en  sollte  und  verdiente  Nachahmung.  —  Unter  den  Bändchen  5—7  geben 
wir  Nr.  6  den  Vorzug.  KaufTuiann  behandelt  darin  ein  schwieriges  Capitd, 
reifh  an  Unsicherheiten  und  Hypothesen  und  wenig  geeignet  für  eine  phi-tiM  iie 
Darstellung,  mit  großem  Takt  und  unleugbarem  Ueschick  für  JugendschritV 
BteUerei.  — r. 

Ooethe's  Faust,  erlttatert  von  L.  Vi.  Hasper.   Gotha,  Perthea. 

Die  vorliegende  Faustausgabe  ist  der  10.  Band  der  Keck^schen  Schal» 
ausgaben  der  dassischen  deutschen  Dicbtnngen.  Sie  umfasst  eine  Einleitung, 
den  Abdruck  des  Textes  mit  einer  fortlsufenden  BiUftmng  in  Fussnoten  und 

einen  Anhang,  der  <  inige  Capitel  des  eingehenderen  bespricht  (z,  B.:  die  Mütter, 
Homoncalas,  Euphorion),  deren  Erörterung,  etwa  unter  den  Text  gesetat,  dort 
zu  viel  Baum  eingenommen  hStte.  Die  Anleitung,  schliebt  und  ventftndlieb, 
orwiihiit  ziier.<t  diT  allmählichen  Kntstehung  des  Faust,  die  hineini^oarliciteteu 
Ideen  und  rrobleme  und  erzählt  demgemäß  den  Inhalt  und  Gedankengang, 
die  Brücke  swisehen  dem  ersten  und  sweiten  Theile  und  manchen  der  Scenen 
dieses  Theiles  aufdeckend,  so  q'iir  das  nach  dem  Stande  der  Fan.stfdrschiing 
eben  geht.  —  Die  Anmerkungen  sind  knapp  gehalten  und  die  Ergebuidse  der 
Fans(>LiterataT  verwertet.  r. 

Lyon,  Auswahl  deutscher  Gedichte.   Bielefeld  und  Leipzig,  Yelhagen 
dt  Elasing.   (604  Seiten.) 

Neben  dem  .'^)genannten  „eiscnien"  Bestand  unserer  deutschen  Lesebücher 
enthält  die  Auswahl  Lyon  s  auch  Gedichte  moderner  Poeten,  wie  z.  B.  Gott- 
IHed  Keller's,  Martin  Oreirs,  Enuit  Wildenbmeh's  u.  a.  Den  Hauptstamm 

bilden  aber  doch  Goethe,  .Schiller.  Uhland.  Im  Ganzen  sind  95  Dichter  ver- 
treten, deren  Gedichten  sich  10  Volkslieder  ansehlieüeu.  Die  Dichtei werden 
in  alphabetischer  Reihenfolge  vorgeführt;  zurücksregaugen  ist  bei  der  Auswahl 
bis  auf  Logau;  Dialectdichter  wie  Klaus  (irntli,  Hebel,  iroltei.  Kobell,  Keuter, 
Stieler  sind  natürlich  nicht  ausgeschlossen,  Den  Gedichten  ist  jedesmal  eine 
kurze  Lebensskizze  ihres  Verftssers  vorausgeschickt.  Das  Buch,  schien  aus- 
gestattet, eignet  sich  gut  zu  einem  Festgeschenk.  W. 


Digitized  by  Google 


—   470  — 


Cftssiau- Richter.  Lehrbuch  der  allgemeiueu  Geographie  für  höhere 
Lehranstalten     7.  Aufl.    Frankfort  a.M.  18U1,  Jftger. 

Das  vorliegt  ndc  Lehrbuch  entbllt  in  seinem  weitens  ^fieren  Theil  die 
,Llnderkunde"  \  -  8.  382)  und  auf  ra.  lOD  Si  iteu  einen  Abriss  der  matho- 
matisohen  und  phjsikalischea  Qeographie,  den  äeminarlebrer  Geisel  für  die 
7.  Auflage  fiberarbeitet  hat  Zwd  Dinge,  um  dies  gleidi  vornweg  sni  nehmen, 
wfinsditc  man  anders:  die  Kartcn^ikizzen  mit  ihrer  cic^enthümlichon  Tcrnvin- 
Äunteilung,  ihrer  Häufung  von  Zeichen  und  Namen  und  der  daraus  folgenden 
ÜBflbenrichtlichkeit.  Die  Kartenskizze  soll  ja  nicht  einen  AthM  ersetzen,  sondern 
hat  ganz  andere  Zwecke  als  dieser.  I>as  zweite,  was  da«  Stiiditim  dos  Buches 
enohweren  wird,  ist  die  Art  des  Druckes,  die  Zeilen  sind  zu  eng  aneinander 
gerftokt;  daa  Ganse  sieht  zu  unruhig  aus.  —  I>a  das  Buch  für  höhere  Lehr- 
anstalten gesebrieben  ist.  bietet  es  auch  viel,  ja  sehr  viel  Stoff;  mancbes  Capitel 
wird  wol  auch  nur  tiir  die  ,,LectUre"  bestimmt  sein,  nicht  zum  „Lernen"  wie 
der  Schulausdruck  lautet.  Sieht  man  noch  von  einigen  Druckfehlem  ao,  so 
bleibt  an  dem  Hu« he  alles  andere  au  loben:  die  Sorgfalt,  die  der  Herausgeber 
der  Richtigstellung  der  Daten  gewidmet  hat,  die  Behandlung  der  physischen 
Verhältnisse  Europa.^  nach  (iruppen,  die  Botonung  der  Laufrichtung  der  Flüsse 
cum  Zwecke  des  Zeichnens,  die  eingestreuten  Aufgaben,  die  eine  Diucbdiingung 
des  Oelemten  beawecken,  die  Art,  wie  das  stimt  herangezogene  statisoidie 
Materi.il  vcrui  rtet  ist.  und  endlich,  dasö  dem  vergleichenden  Moment  überall 
Rechnung  gt tragen  und  der  causalc  Zusammenhang  stets  betont  wird.  W. 

Renneberg,  Grandriss  der  Erdkunde.    2.  Aufl.    Leipzig,  Mersebnrger. 
Prell  80  Pf. 

Das  Ausmaß  des  Lehrstoffes  ist  durch  den  Lehiplan  der  in  dem  ausführ- 
liclien  Titel  des  Buches  genannten  Schulen  bestimmt  Die  Übersichtlichkeit 
wird  dnreh  die  Stellung  ast  Namen  auf  der  rechten  und  liidcen  Seite,  ent- 

sjin  rln  nd  der  I.airr  d.  r  duoh  sie  bezeichneten  Öbjecte  und  durch  Gliederung 
des  Stoffes  nach  eiucui  Dispositionsschcma  etc.  erleichtert,  bei  fremden  Namen 
ist  auch  dcien  Ausspradie  angedeutet.  Beachtenswert  und  die  am  Schlosse 

der  Capitel  eingefügten  Fragen,  die  in  <'lementarcr  Weise  den  J^chfiler  zu  Ver- 
gleichen, neuer  Reiiienbildung,  kurz  zu  einer  in.structiven  Behandlung  anleiten, 
lu.sbcäondere  wird  eine  genaue  Einprägung  der  Lage  eiUM  OrtM,  also  eine 
inteusire  Kesciiäftigung  mit  der  lUrte  duieh  diese  Fragen  aBgeatrcbt,  ein 
Zweck,  der  ja  uur  zu  loben  ist.  W. 

€tolhtn,  Wörterbneh  sor  Brlftntonuig  admlgeographiaeher  Namen.  Pader* 
hom,  SchSniiigh.    Preis  1  H.  20  Pf. 

Ähnlich  wie  Coerdes  in  seinem  ..Kchulgeographischen  Namenbuch"  hat 
auch  Gelhorn  nur  eine  Anzahl  geographischer  IVamen  zur  Erläuterung  aus- 
gewählt. Während  aber  Coerdes  bloa  die  I 'hersetzung  di  -j  Namens  überliefert 
mit  Angabe  der  Sprache,  aus  der  der  Name  stammt  oder  hergeleitet  wird, 
geht  CMhom  weiter.  Er  führt  auch  die  Form  des  Wortes  in  der  Sprache, 
aus  der  es  entlehnt  wunle,  an,  femer  die  Formen,  die  es  dunlilaufen  hat,  bis 
es  unsere  heute  Übliche  erhalten.  Auch  ist  vielfach  eine  Erklärung  beigefügt, 
warum  dem  Objecto  gerade  dieser  Name  gegebm  wurde.  Recht  lehnreich  sinn 
auch  die  an  einzelne  Namen  geknüpften  Hinweise  auf  Verwandtes;  s-)  wenig 
auf  den  ersten  Blick  die  Verwandtschaft  in  die  Augen  springt,  sie  ist  doch 
vorhanden,  und  diese  erkannt  oder  erfahren  zu  haben,  intcrenirt  die  SchOler 
sehr  und  belebt,  wie  ja  die  Ortserkliirung  überhaupt,  den  geographischen 
Unterricht.  Dass  viele  Deutungen  der  Wahrheit  uur  nahekommen,  manche 
nur  wahrscheinlich  sind,  einige  blofie  Vermuthungen,  ja  vielleicht  gelehrte 
Spielerei,  weiß  jeder,  der  Namenserklärungen  in  den  verschiedtnen  Werken 
gelesen  und  miteinander  verglichen  hat.  Das  wird  man  aber  Gelhoru  zu- 
gesteheu  müssen,  dass  er  lieber  einen  Namen  unerklärt  gelassen,  als  eine 
wiasensohaftlioh  weniger  begründete  Deutung  aufgenommen  hat.  Auch  in 
dieser  Hinsicht  ist  ein  Vergleich  mit  Coordee  nicht  uninteressant.  Nicht  wenige 
Namen  finden  dort  und  hier  eine  ganz  Tenchiedene  Oentniig  (TeigL  i.  B.,  um 
nur  ein  Beispiel  zu  nennen:  Abriuuen).  — r. 


Digitized  by  Google 


—   471  — 


HMelaayer,  Über  Ortsnamenknnde.    Würzbni^,  Kellerer  (Bauer). 

In  dieser  Broschüre  spricht  sich  der  Verfiwwer  im  Ansrhiuss  an  d:i3  be- 
kannte Egli'scLe  Werk  über  die  Entwicklung  der  wisseuschatüichcn  Namen- 
forschung lind  Namenerklärung  und  deren  Grundsätze  ans,  femer  über  den 
Wert  der  Ortsnamenerklftrung  für  den  geographischen  Unterricht.  Seine  De- 
ductionen  erlfiutert  er  dorch  eine  grofie  Ancahl  gat  geordneter  Beispiele, 
zumeist  fius  der  deutsch' n  nrNimnienkunde  und  bereichert  die  Namensforschuog 
durch  zwei  neue  Erklärungen  der  Ortsnamen  Uammelburg  und  Pfiraumbach. 


Kabert,  Karte  der  Verbreitung  der  Deotsclim  in  Enropa.  SSectioneu. 
(Format  jeder  Seotion:  ein  Quadrat  mit  80  Centimeter  Seitenfiftche,  Preis 

3  Mark.)    Ulogau,  Flemming. 

Die  Karte,  im  Maßstali  l:925(XK),  umfaast  eiu  liechteck,  das  durch  die 
Punkte  Paris  —  Asow,  Karlskrona  —  Rimini  bezeichnet  wird.  Vorläufii?  sind 
zwei  Sectionon  im  Buchhandel  erschienen,  das  obere  linke  Viertel  der  Kurte 
oder  Norddeutschhind  und  die  anstoUenden  Irebiete  Frankreichs.  _  iieigicos, 
Hollands,  Dänemarks,  Russlands  (Ostsceprovinzen  und  Polens)  und  Osterreicbfl 
(NordbOhmens).  Die  Karte  deutet  die  jetzig  Verbreitong  der  Deutschen  in 
den  genannten  Gegenden  an,  bezeichnet  zugleich  aber  auch  —  insofem  iUustrirt 
sie  ein  Stück  deutscher  (  !e>(  Iiii  !ite  jene  (iebiete,  die  dem  Deutschthura  seit 
d«r  Befoimationszcit  verloren  gegangen  sind.  Es  geschieht  dies  dadurch,  daas 
die  Terloren  gegangenen  Orte  mit  brauner  Sehnft  oder  StAnffen  gedmekt 
sind.  Die  jetzijje  Vcrbreitiinij  ist  durch  Flächencolorinine:  ausoj^ezeichnet ,  und 
zwar  ist  fUr  das  deutsche  ä|)rachgebiet  die  gelbe  Farbe  (Niederdeutsche  licht- 
gelb,  Obcrdeutsehe  dairicelgelb,  Niederländer  blassgelb)  gewählt,  Ton  der  die 
Farbentöne  der  Diminisf-hen  und  slavischen  Sprachgecfcndcn  recht  sdutlf  lidl 
abheben.  Im  ganzen  enthält  die  Karte  20  Farbenstufen;  was  sich  dadurch 
crklirt,  daas  ae  ja  zuprleich  eine  ethnographische  Karte  des  größten  Teiles 
von  Europa  werden  wird.  Dadurch,  dass  sich  diese  Töne  zu  drei  oder  vier 
Grundfarben  zusamuieuächließen,  ist  die  Übersichtlichkeit  und  der  haruionisehe 
Eindruck  gewahrt.  Die  Grenzen  des  Sprachgebietes  sind  nicht  blos  dun  h 
Farben  und  Linien,  sondern  auch  durch  die  Namen  der  Orte  markirt,  die 
hflben  und  drüben  knapp  an  der  Scheidelinie  liegen :  so  sind  auch  die  deutschen 
Enelaven  im  fremden  Sprachgebiet  bezeichnet.  Die  Karte,  ein  Werk  deutschen 
Fleißes  und  deutscher  Gründlichkeit,  ist,  wie  die  zwei  Sectionen  darthun,  sehr 
genau  gearbeitet  «ad  Yeidient  um  dessentwillen  sowie  wegen  des  (tegcnstaades 


Andree-Schillniann,  Schulatlas.    37.  Aufl.    Ansirabe  A.   Bielefeld  nnd 
Leipzig,  Velhagen  &  Klaslng.    Preis  1  M. 

Der  Andree-Schillnuum'aohe  Schulatlas  ist  für  die  Volksschule  daa,  waa 
der  Ton  Kirchhoff  -  Kropatsebek  für  die  höheren  Sdinlen:  Klarheit  der  Zeich- 
nung, guts^ewiihlte  Farbentöiie,  ir*  s ''lii  i^tc  ( !•  nenilisiruntj  df  -  Trrrains  und 
zweckentsprechende  Auswahl  der  Objecte  uachen  ihn  zu  einem  höchst  brauch- 
baren Hilfsmittel,  durch  das  der  Sebttler  sieh  die  physiaeben  und  topographischen 
Verhältnisse  eines  Landes  mit  Leit-hti^keit  einprägen  kann.  Jede  der  Karton 
iüt,  von  diesem  Standpunkte  betrachtet,  eine  Musterleistuug,  der  man  —  ich 
glaube  es  behaupten  zu  können  —  keinen  anderen  Yolksschnlatlas  an  die 
Seite  Stelleu  kann.  Die  Blätter  1  und  2  mit  Text  am  Schlüsse  |^. Einführung 
in  da.s  Kartcnvi  rständnie")  und  0  fStr  ungebiete  Deutschlands)  .«ind  wep:en  ihres 
methodisclK  u  Wertes  bcrvorzuhelH  ii :  <iie  lotsten  Blätter  (32,  33  und  Ortskartc 
nir  Gesrhithti  1  »eutschlanda)  sind  beatimmt,  dem  Qeachichtauaterrichte  der 

Volk.«8i-llule  zu   diriifU.  W. 

Keil-Uiecke,  Deutscher  Schulatlas.  36,  Aufl.  Gera,  Hofmann.  Preis  1  U« 

Der  vorliegende  Schulatlas  legt  den  Hanptaccent  auf  die  physische  Karte, 
mthält  aber,  um  sieh  leicht  dem  liedachtnis  eiuzuprägen,  zu  viel  Namen  und 
eine  nicht  weit  genug  gehende  Generaliairung  des  Terrains.  Der  Andree- 


— r. 


W. 


Digitized  by  Google 


—   472  — 


SchUlmann°»^('ho  igt  ihm  darin  weit  überlegen.  Eigentbttmlich  sind  ihin  xa 
üeinum  \'urtheüe  die  Karten  zur  Culturgeograpbie  Dcut«ohlanda  t9),  die  Karte 
der  mittleren  Jahrestemperatur  und  die  geologische  Überricht^karte  von 
Deutschland.  Die  Farbeniüne  der  Karten  sind  zu  grell,  insbesondere^  das  Qrän 
der  Tiefebenen,  desgleichen  stört,  AasH  in  der  Gebir^fsfarbenscala  einige  Stufen 
fehlen;  die  Folge  ist,  dass  /,.  15.  die  Schweiz,  dir  Alinn  zu  wenig  iilastisch 
heraustreten.   Nach  dieser  Richtung  wäre  eine  Verbesserung  wünschenswert. 

GMlller,  Systematischer Schul-Handatlas.  3.Aafl.  Leipzig, Lang.  90 Pf. 

Der  Schulatlas  von  Qaebler  ist  wie  der  von  Andree  •  Schillmann  für  die 
Volksschule  bestimmt,  bringt  aber  mehr  Stoff  nnd  nach  Art  des  .groBen 
Oaebler-Piorke"  auch  Nchenkarteu,  die  am  Hände  der  Hauptkartc  angebracht 
bfioonders  merkwürdige  Ponkte  (z.B.StlUite,  Pttsae  und  GehiigastOcke,  Seen,  InseUi, 
Bvebten  v.  i.  w.)  fn  einem  bedentend  grOBoren  IbiBstab«  ata  die  Hauptkarte 
zur  Anschmimg  briutren.  Mit  Ausnahme  einigf-r  lUiitter.  die  die  physischen 
VerfaftltnisM  gesondert  darstellen,  sind  die  meisten  , Karten  so,  dass  sie  die 
poUtiseben  und  phrsiBdrai  Karten  ▼enrint  voffttlirai/  nid  iwar  die  poUtischen 
durch  Flärhonoolorirung.  Auch  lcc:t  (iisbler  großen  Wert  auf  die  Einzcichnung 
der  t'ommuuicutionswege  zu  Laude  wie  zur  See;  er  benützt  zu  diesem  Zwecke 
Mm  rothe  Linien.  Da  die  Gebirgneichnung  auf  den  meisten  (politische) 
Karten  durch  schwarze  .S<hraffen  ane:edeutet  ist,  treten  die  Terrainverhältni.sse 
nicht  80  scharf,  so  plasUsch  hcrvur,  wie  etwa  bei  Andree.  £in  Vurzug  des 
Gaeblev'idieii  Atlas  begt  darin,  dai^s  ihm  ö  Wandkarten  in  ttbereiiistimmender 
Zeichnnno;  mit  dem  Atlas  zur  Seite  stehen.  W. 

Kleine  Xatuiiehre  für  Schnlen,  Ein  tlmiigs-  und  Wiederholungsbflchlein 
fiii'  die  Hand  der  Schüler,  beai'beitet  von  Kourad  Fuß.  Mit  vielen  Beub- 
aditwigs-  und  ÜbnngsanfirftbeD  and  aUniehflii  in  den  Text  fedrncktenAb» 
bildangen.  Nürnberg  1892,  Verlagr  ^  Friedr.  Korn'aohen  Bachhandlun^. 
IV  nnd  66  Seiten.    Preis  bO  Pf. 

Eine  kleine  Phjsik  für  Volksschulen  darf  nur  das  Wichtigste  und 
leicht  YenUbidliche  bfetM.  Der  Verftwer  bat  eine  gute  Avwahl  getroffen. 

Er  geht  stet,<  mn  R*  obachtungcn  au«,  die  der  .'^chftler  leicht  machen  kann, 
fügt  daran  Erklaruui^«  ii.  bei  Gesetzen  auch  kurze  und  leicht  verstiindlidie 
Begründungen  und  hlicßt  mit  einem  ziemlich  reichen  Übungsstoffe.  An  die 
yerschiedenen  Partien  der  l'livsik  reiht  er  auch  noch  „einige  der  Chonie  an- 

f gehörige  Erscheinungen",  die  fürs  praktische  Leben  von  Wichtigkeit  sind, 
n  einzelnen  haben  wir  keine  Unriebti|^eiten  bemerkt  und  uns  nur  gewundert, 
Wimm  das  Barometer,  das  schon  am  richtis-eu  Platxc.  beim  Lttftdrucke,  ubge- 
bandelt  ist,  bei  der  Wärmelehre  nochmals  als  Wetterglas  auftritt;  einige 
Worte  nhcT  das  in  der  Neuzeit  80  wichtige  Telephon  hätten  wol  eingeschaltet 
werden  können.  —  AuBer  durch  seinen  präcisen  Inhalt  empfiehlt  sich  das 
Büchlein  auch  dnrdi  seine  sebr  nette  Ausstattung.  C.  R.  R. 

Schul- Natnrgescbiehte.  Abtheilong  Zoulogie.  Einselbeschreibangeu, 
Veri^eiehnngeii,  ChnqipenbUder,  Baa,  Leben  nnd  Übenlcht  der  Thier«.  Von 

A.  Sprockhoff,  königlichem  Seminarlehrer  in  Berlin.  Vierte  verbesserte 
Aaflage.  Mit  vielen  Fragen  und  ICX)  Abliilflnnsreii.  Hannover  1  MO  1,  Verlag 
von  Carl  Meyer  ((ioatav  Prior).  iy2  Seiten.  Preis  1  M.  ÜÜ  Pf.,  kart. 
1  M.  80  Pf. 

Wir  hatten  edion  Öfter  Gelegenheit,  SproeklM^s  Lehrbücher  anerkennend 

zu  besprechen,  nnd  auch  dieser  neuen  Auflage  zollen  wir  Beifall.  In  con- 
centrischen  Kreisen  mit  den  Einzelwesen,  alslleprä.scntanten  der  Terschicdencu 
^tematischen  Einheiten  beginnend,  gtkt  der  Vci  iassi  r  allmählich  auf  Ver- 

gleichungen  und  Gruppenbilder  über,  ein  methodischer  Vorgang,  der  für  die 
■nterstufe  der  Naturg^cbichtc  der  allein  richtige  ist.  Die  Beschreibungen 
«ind  jiräcii*,  klar  und  leichtverständlii  h.  Mit  der  Hvgtematischeu  Anordnung 
in  den  Gruppenbildern  lieBe  sich  etwas  rechten,  da  neuere  Eintbeilungen  und 


Digitized  by  Google 


—   473  — 


Anordnungen  nicht  berücksichtigt  sind;  so  z.  B.  Ein-,  Zwei-,  Vielhufcr,  statt 
Paar-  und  I  npsiarbufer;  femer  dass  die  unvoUkommeneD  Säugetbiere  (Beutel- 
tatn^  ZthnAtme  und  Schnabelthicrc)  unter  den  anderen  Ordnungen  cingestrent 
erecheinon;  doch  hat  dies  für  die  Volksiicbulc  keino  wesentliche  Bedeutung; 
Die  AusstHttung,  insbesondere  die  Abbildangen  sind  lobenswert.    0.£.  Ii. 

Die  vorzflgliehsten  essbaren  Pilse  Devteehlands,  gezeidmet  und  be- 
Bchrieben  von  Max  Richter.  Langensalza  1891,  Druck  und  Verlag  von 
Hermann  Beyer  ASShot,  26  Seitea  und  8 Farbendraektafeln.  Preia  gebmden 

1  M.  50  Pf. 

Ein  Hiliöbueh  für  den  Suiiiiiikr  und  den  Zubereiter  Ton  Scbwammgerichten, 
enthält  dasselbe  kurze,  aber  ausreichende  Beschreibungen  der  gewöhnlichsten 
genießbaren  Schwämme,  unter  welchen  wir  aber  doch  einige  nicht  angUEeben 
linden.  Die  Abbildungen  sind  nur  tbeOweise  gut  zu  nenaen,  da  die  Zefeb- 
nuntjcn  mitiinfor  zu  steif,  die  Farbfn  nicht  ganz  natürlich  erscheinen;  gerade 
darauf  sollte  aber  bei  einem  illuBtrirten  Pikwerke  das  Hauptgewicht  gelegt 
werden,  was  nidit  lehwer  ist,  da  ausgezeiebnete  Bilder  in  anderm  'Vratoi 
enthalten  aind.  C.  R.  R. 

Lehrbuch  der  reinen  und  techni  sehen  Chemie.  Anorganische 
Experimen  talcheniie.  l.iiaad.  Die  Metalloide.  Mit  2208  Erklärungen, 
332  Experimenten  und  366  in  den  Text  gedruckten  Figuren.  Für  das  Selbst- 
•todinm  nnd  mm  Gebraneke  an  ForCbfldnog»-,  Fach-,  Ihdutii«-,  Gewerbe- 
schulen and  höheren  technischen  Lehranstalten  bearbeitet  nach  demS^'stem 
Kleyer  von  W.  Steffen,  Chemiker  in  Homburg  v.  d.  Höhe.  Stuttgart 

1889,  Verlag  von  Julius  Meier.    X\'I  und  81U  Seiten.    Preis  16  M. 

Die  Kleyer'scbe  Lehibllehenainmiung  ist  bestinimt,  solche  Personen,  welche 

keim.'  liöhere  Bildung  genossen  haben,  in  die  verschied r neu  realistir-chen  Leht^ 
f&chcr  eimcufUbreu,  damit  sie  durch  Selbststudium  sich  die  praktische  und 
tedmiscbe  Seite  der  Wiseensdiaften  aneignen  kOnnen.  Der  verftuner  hatte 
hierbei  tri-riKli-  hei  der  Chrmie  einen  schwierigen  Stand,  sollte  er  nicht  allzu 
flach  werden  und  das  Buch  auch  einem  gebildeten  Kreise  von  Lesern  nutz- 
bringend machen.  Er  hat  diese  Ani^be  sehr  glfteklidi  gd()it.  Die  Anf- 
einandcrtolci'  von  Fragen  und  Antworten,  die  EinstrcMuing  von  Erklärungen 
und  Annierkiui!^«  n,  machen  es  auch  dem  minder  Gebilde  ten  möglich,  die  Wahr- 
heiten und  llvpothes<'n  der  Chemie  nach  den  neuesten  Erfahrungen  und  For- 
schungen der  Wiasenschaft  zu  begreifen,  und  insbesondere  sind  die  xahlreichcn 
Experimente,  welche  bis  auf  die  kleinsten  Handgriffe  genau  beschrieben  und 
durch  ausgezeichnete  Holzschnitte  unterstützt  sind,  das  richtige  Mittel,  durch 
Selbsterfahrung  sich  von  der  JEUchtigkeit  der  Antworten  zu  überzeugen.  Alle 
Fremdwörter,  die  in  der  Terminologie  nothwendig  sind,  sind  rerstiadlldi 
erklärt,  kurz  es  ist  nichts  yrrabsäumt,  wa<  das  Buch  zu  einem  vorzilei;li(hen 
Lehrmittel  für  den  Selbstunterricht  gestalten  kann.  Anders  dürfte  es  bei 
seiner  Verwendvng  in  höheren  Anstalten  sein,  wo  ja  des  Wort  des  Vortragen- 
den und  Experimentators  allr^s  da.s  geben  mnsB,  wae  in  dem  Buche  enthalten 
ist,  und  zur  Wiederholung  ein  kürzeres  Compendium  passender  wäre.  Besonders 
dankenswert  sind  auch  die  vielen  praktischen  Winae,  welche  oft  tief  in  Er- 
scheinungen dt  s  Lebens  ringreif''n.  Die  Ausstattung  des  Werkes  gereicht 
der  Verlagriiandlung  zur  grüliton  Ehre  und  ist  demnach  auch  der  Preis  ein 
mlCiger  au  nennen.  Wir  empfehlen  insbesondere  Lehrern,  welche  während 
ihrer  Studienzeit  nicht  Gelegenheit  iiattea  praktische  Chemie  zn  betreiben,  das 
höchst  gelungene  Werk.  0.  R.  B. 

Cbenieatanden  in  derVolktschnle.  Lehieibeft  war  Chemie  für  dieVoIka- 
schnle.  Mit  zahlreichen,  anch  von  den  SohlQem  selbstständig  ausführbaren 
Versuchen.  Hennsgegeben  von  L.  Busemann,  Verfasser  der  „Naturkund- 
lichen Volksbücher".  TTannover-Linden  1891,  Verlagsanstalt  von  CarlManz. 

IV  und  52  Seiten.    Preis  00  Pf. 

Pftijiagugium.   14.  Jahrg.   Heft  VlI.  33 


DIgitized  by  Google 


—   474  — 


Das  Büchlein,  welches  woi  vielen  nicht  viel  Neues  bietet  und  auch  nicht 
bieten  will,  ist  aus  der  Praxis  hervorg^c^aD^cn,  das  merkt  man  jeder  Zeile 
desselben  an;  es  setzt  aber  vielfa«  b  L*  hriT  vomud,  die  selbst  aiicb  in  dr-n  ein- 
fachsten  Vorgängen  der  chemischen  Traxls  noch  der  Belehrung  bediin'en,  und 
•olefaer  dfirfte  es,  wenJ^em  naeh  den  LehreinriohtuDgvn  der  OBteneiehuchen 
Lchrorbildiinfrsanstaltcn,  nur  sehr  woniijc  ffeben.  Die  Einfachheit  des  Gefor- 
derten gibt  sich  auch  in  der  geringen  Zahl  des  verlaogten  Materiales  an 
Ghemikuieii  und  an  Appanten  fand.  Einiges  Sachliche  haben  wir  zu  be- 
mängeln. Reite  10  wird  stets  vom  Probiroylinder  s^esproohen  und  ist  eine 
Retorte  (wie  auch  richtig)  abgebildet.  I»ie  Beschreibung  der  Wirkung  der 
Petroleumlampe  (S.  14)  ist  nicht  richtig,  da  doeh  durch  Capillarität  das 
Petroleum  im  Dochte  zur  BrennstcUe  hinaufgesogen  wird.  Die  Bezeichnung 
des  Maguetoisensteius  (S.  18)  &U  natürlicher  IIa  mm  erschlag  ist  etwas  gewagt. 
Der  Rotheisenstein  ist  reines  Eisenoxyd,  nicht,  wie  S.  19  gesagt  wird,  rotlies 
Eiaenoxyd  und  Kieselstein  „zusammengeschmolzen";  ebenso  sind  auch  die 
Braimeisensteine  nicht  „von  Eisenrost  braungefilrbte  Steinmassen".  Die  Schlacke 
(S.  20)  ist  sehr  häufig  grfln  getarlit.  Die  Wirkung  der  Kohlensäure  iS.  22)  iu 
der  Uundsgrotte  ist  unverständlich,  da  von  dem  hohen  spec.  Gewichte  der* 
sdbeo  nients  gesagt  ist.  Der  Avsdrack  »Leichengift"  (S.  24)  bei  schmvtziger 
Wäsche  ist  unrichtiLr.  Das  Zusammenwerfen  von  Kohlenoxydgas  und  Leucht- 
gas (S.  25)  ist  vertehlt,  da  crstcres  ein  Hydrat  ist.  Bei  dem  recht  praktisch 
durchgeführten  Vorgehen  zur  Belebung  in  Kohlenoiyd  Erstickter  (S.  26)  ist 
das  Wiederbeleben  Erdrosselter  nicht  passend  eingefügt.  —  Trotz  dieser  Mängel 
möchten  wir  das  Büchlein  do  h  empfehlen,  indem  die  praktische  Seite  des- 
selben, insbesondere  in  den  zum  Schlüsse  augelBgten  Oapiteln,  Gerbsäure, 
Stärke,  Zucker,  Fett,  Fleisch,  Milch,  Eier,  Hunger  u.  a.  manche  sehr  beach- 
tenswerte Winke  enthält.  C.  R.  R. 

Broekmann,  F.  J.,  Oberlehrer  in  deve.  Versneh  einer  Methodik  mr  LOeang 
planimetrischer  ConatractionsaQfgaben  mit  zahlreichen  Beiepiden, 
Figuren  im  Text.    III  S.    T.cip/ig,  Teuhner.    1  M.  50  Pf. 

Die  Lehrbücher  der  Geometrie  von  Brockmann  erfreuen  sich  einer  solchen 
Bdiebtheit,  dass  sie  sehoit  in  mehreieB  Auflagen  ersehienen  sind;  auch  liegen 
vom  VerfiissiT  zweierlei  Sammlungen  von  Con.structinnsaufgaben  vor.  durch 
deren  Yerüficutlichung  er  sich  ohne  Zweifel  fUr  das  VorlicKeude  zweckmäßig 
vorbereitet  und  eingearbeitet  hat.  Der  Verfasser  stellt  sidi  das  Ziel,  nieht 
blos  Anfleuttiniren  für  eine  mögliche  Lösung  von  Coni«tructionsa\it'gaben  zu 
gebeuj  er  meint,  di  rb  i  wäre  ja  wol  schon  vorhanden,  und  nennt  dies  eine 
latente  Methodik,  snri  lern  t  r  will  eine  systematische  Methodik  schaffen,  welclie 
die  verschiedenen  31ethodeu  derart  zu  einer  Gesauiratheit  vereinige,  dasa  damit 
der  durcbschnittlich  begabte  Schüler  zum  Ziele  geführt  werde.  Dabei  verkennt 
der  Verfasser  nicht,  wie  mangelhaft  die  Vorbereitung  des  Lehrers  gerade  für 
dieeen  Untenichtsaweig  an  den  Hochschulen  betrieben  wird.  —  Das  Buch 
b^:innt  mit  der  ErOrtemng  der  geometrischen  Analysis  und  nntersdieidet  in 
BezuLT  auf  flii'sclbe  die  Mt  tliulr  der  Reduction  der  Aufgabe  auf  eine  frühere 
sehon  bekannte  ^Data),  ferner  die  Methode  der  rarallelverschiebung  und  Drehung, 
und  endlieh  die  Ähnliehkeitsmethode.  Die  Anwendung  dieser  Methoden  wira 
an  125  Beispielen  mit  hinreichender  Ausführlichkeit  erklärt.  —  Über  Con- 
struction  und  Beweis  Uissi  sich  das  Buch  kürzer,  indem  bemerkt  wird,  dass 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nichon  durch  die  Analysis  das  hierfür  Nöthige  hin- 
reichend geklärt  ist.  Es  wird  auch  nur  für  nöthig  gehalten,  etwa  bei  dem 
fünften  Theil  der  vorausgegangenen  Aufgaben  noch  etwas  für  Construction 
und  Beweis  beisufügen.  Dagegen  hält  der  VerCuser  ^e  Determination  für 
einen  liervorragcnd  wichtigen  Theil  der  Auflösung,  weil  dieselbe  eine  Menge 
lehrreicher  und  bildender  Momente  in  Bezug  auf  den  inneren  Zusammenhang 
■wischen  den  gegebenen  und  gesuchten  Grüßen  enthält. 

Es  folgen  nun  eine  grole  Menge  von  Übungsau^ben,  sämmtlich  mit 
Lösungen,  die  letzten  in  derBeihe  sind  Berflhrungsprobleme  von  Pa]ipus  vnd 
Apollonius;  endlich  kommen  iinch  in  einem  Nucbtragc  Aufgaben  zur  Hclmnd- 
lung,  auf  welche  früher  andere  reducirt  wurden,  ohne  dass  dieselben  jedoch 


DIgitized  by  Google 


—  470  — 


BD  den  Elementaraufgaben  pfehiirten;  es  finden  sirh  im  ganzen  '^2!*  cltt-^tc 
An^abon.  Es  ist  wul  nicht  unzuDchmcn,  da»i  der  Anfänger  auch  nur  diu 
Hülfte  dorsolhen  im  ersten  Jahre  seines  Studiums  bewUtigen  werde;  wäre  dies 
aber  der  Fall,  so  hätte  er  ohne  Zweifel  alle  nur  wünschenswerte  und 
mögliche  Fertigkeit  und  Sichcrbeit  in  Lösung  von  Constructionsaufgaben 
erreicht.  Es  scheint  uns  dieses  Buch  viel  mehr  dazu  bcstiuimt,  dasj«  der 
Lehrer  .mit  Sorgfalt  einselne  Auf»ftben  als  Wiederholimgsstoff  herausbebe; 
dagegen  glauben  yrix  im  Sbuie  d«8  verfacseiB  daa  Vorliegende  redit  sehr  den 
jongea  CoUegea  aom  SdlMtetadiiini  empfdilen  au  sollen.  PI.  K 

FlliniiantI,  \V..  Prof.  in   König.sber^,    Synthetische    He  weise  plani- 
metrischer  Sntze.    190  S.    U  Fit^.-Taf.    Berlin,  Simion.    3  M. 

Der  Verfasser  betont  im  V^orwortt-  die  wichtige  Aufgabe  dos  Unterrichtes 
in  der  Geometrie,  dem  Schüler  das  Beweisen  zu  lehren.  Er  erkennt  ferner  die 
Vcrdien.ste  an,  welche  die  Verfas-'er  der  Saniiiihinrren  geometrischer  Übungs- 
aufgaben, ganz  bcöüuders  Petersen,  sich  um  die  Eutwicklung  der  Methodik 
dieses  Unterrichtszweiges  erwurljca  haben.  Er  hat  es  aber  mit  seintfai  Budie 
nicht  lediglich  auf  eine  Sammlung  von  Übungsbeispielen  abgesehen,  eoadem 
hat  wesenUich  den  Zweck  im  Auge,  die  SchUler  zum  sclbstständi'^cn  Finden  von 
•ynthetiäohen  Beweisen  planimctrischer  Sat/e,  anzuleiten;  namentlich  glaubt  er 
damit  angehenden  Lehrern  einen  großen  Dienst  erwiesen  zu  haben.  Endlich 
wttnscht  der  Yerfiisser  jene  Lehrsfttse,  welche  erst  in  letzterer  Zeit  aufgefunden 
wurden,  und  welche  weniger  durch  ihre  fundamentale  Bcib  utiinsi;,  als  durch 
üire  elegante  Form  von  Belang  sind,  einem  größeren  Leserkreise  bekannt  zu 
machen. 

Der  Inhalt  des  Buches  ist  in  zwei  Thcilo  ge^'licdcrt,  deren  erster  befasst 
sich  mit  der  Angabe  allgemeiner  Ziele  und  Kegeln  und  der  verscbicMlenen 
Xetboden  und  ^Amittel  bei  den  Beweisen;  der  zweite  Theil  erläutert  die 
theoretischen  Erörterun*jpn  des  ersten  durch  deren  Anwcndiin'^  auf  HeiH])iele, 
bei  denen  vom  einfachsten,  das  ist  der  Liisung  von  Aufgaben  durcli  Congnieuz- 
satze,  ausgegUlgen  wird.  Eine  fo]<>:eude  Gruppe  bringt  Aufgaben  mit  Lösungen 
durch  Proportionen,  und  endlich  die  letzte  Stufe  Aulgaben,  deren  Lösung  die 
Benutzung  aller  möglichen  Hilfsmittel  erfordert,  zu  denen  neben  der  Trigono- 
metric  auch  die  projectivische  Geometrie  zu  zählen  sind.  Daran  reiht  sich  ein 
Anhang,  welcher  ein  Drittel  des  Buches  umfasst,  über  die  grundlegenden  und 
elementaren  Eigenschaften  der  Brocard'sclien  OMoetKie  und  tlber  die  sieh 
daraus  craebendm  S:it/e,  welche  sich  auf  K^ebdtnitte  bloiehen,  vie  sie  TOn 
Arzt  und  Kiepert  gefunden  worden. 

Der  gedirte  Verfasser,  welcher  den  besten  y^tretem  unseres  Berufte 
Zweiges  beizuzählen  ist,  bat  mit  dem  Vorlie[renden  eine  sehr  dankenswerte 
Arbeit  verüflentlicht;  es  kommt  dieselbe  einer  sytcmatisehen  Zusammenlassung 
▼ieler  Arbeiten  gleich,  welche  ursprünglich  an  verschie4lenen  Orten  zerrtreat 
Veröfifentlicht  wurden.  Da  über  diese  verschiedenen  Zeitschriften,  Programm- 
anfsätze  und  Abhandlungen  ursprünglich  nicht  jedermann  zugänglich  und 
Später  schwer  auffindlicb  sind,  so  ist  sowol  deren  Sammlung,  als  noch  in 
weit  höherem  Grade  ihre  systematische  Ordnung  eine  bochschätzbare  Leistang, 


DIgltIzed  by  Google 


—   476  — 


Neu  erschienene  Btlclifr. 

Dr.  Johann  Kvacsala,  Johann  Arnos  romenins.    Sein  Leben  und  seine 

Schriften.    3  Ltr^ni.  Verlag  von  Julius  Xliukhardt  in  Leifzig,  Berlin  und 

Wien.    5  M.  40  Pf. 
W.  Johann  Amoe  Oomenins.  Sein  Leben  ond  seine  Werke.  Hannoyer- 

Linden,  Manz  &  Lange.    148  S.    2  M. 
Dr.  Matthias  Drbal.  T.rhrbuch  der  empirischen  Psychologie,  5.  Attfl.  Wien 

und  Leipzig- .  ^ViUu*lIn  Hraumüllor.    298  S.    2  H. 
W«  A.  Lay,  Psycholuglsche  Grundlagen  des  erziehenden  Unterrichts  and  ihre 

Anwendung  aaf  die  Umgestaltung  des  Untenriehts  in  der  Natnrgeeehiohteii 

Eine  Festgabe  nnr  Comeninsfeier.    Bfihl,  Eonkordia.    112  S. 
Dr.  R.  llcilniann,  Fttrdoriinfccn  der  pogenwUrtigen  Zeit  an  den  Volkaachnl- 

Unterricht.   Vortrag.    IIuIIp.  Heniiumi  Schroedel.    15  S.   60  Pf. 
Peter  Schaefer,  Das  geschichtliche  Anrecht  der  Kirche  und  des  Staates  auf 

die  Volkaechnle.   EDIn,  Albert  Ahn.   84  S. 
Kourad  Fischer,  Gesdilehte  des  deutschen  VolksBchnllebrerBtandee.   8.  Lief. 

Hannover,  Carl  Meyer.    144  S.    50  Pf. 
C.  Rademaeher,  Scheve,  liake.s.  Feierstunden.    Gedenkbuch  fiir  deutsche 

Lehrer.  Zum  Besten  des  J  Utting- Denkmals.  Bielefeld,  A.  Uelmich.  183  S.  2  M. 
B.  TOM  Sclmkeidorff  nnd  St.  «ed.  F.  A.  Sclmidt,  Über  Jngend-  nnd 

\'olk88piele.    Hannover-Linden,  Mauz  &  Lange.   III  S. 
Josef  M(»ser.  t  ber  Gefuhlsbüdang  in  der  Schale.  Wien,  A.  Piehler's  Witwe 

&  Sohn.    37  S.    30  kr. 
Dr.  Juling,  Taschenbuch  der  höheren  Schulen  Deutschlands.  Bei  Ed.  Kummer 

in  Leipzig.    136  S.    1  U.  50  PI 
A.  €h.  Jessen,  Volks-  nnd  Jogeodbibliotliek.  Bftndehen  81—85.  Wien, 

A.  Piehler's  Witwe  &  Sohn. 
Hipp  und  Schmidt,  Unsere  Kleinen.  Ein  Puch  tür  die  Klcinkinderlehrerinnen 

sowie  für  Lehrer  und  Mütter.  Straßburger  Verlagsanstalt.  173  S.  3  M. 
<Hto  Janke,  Der  Beginn  der  Selralplliebt  Ein  Beitrag  nr  ErOrtarong  dieser 

Frage.  Mit  8  Tabellen.  Bielefeld,  Helnieb.  69  S.  1  M. 
Harry  Schmitt,  Das  kaufmännische  Fortbildnngssehnlwesen  Dentsehlanda. 

Berlin,  Karl  Siegi.smund.    2 Iß  S.    7  Tabellen. 
Ferdinand  Thomas,  Das  Lesebuch  in  der  BUrgerschole.    Ein  Commentar  zu 

dem  im  k.  k.  Sehnlbflehorrerlage  in  Wien  emehienenen  dnitheiligen  Lesebnehe 

für  Österreich.  Bürgerschulen.  l.ThelL  Wien,  Plolilnr.  200  S.  Ifl.SOkr. 
Der  SchreiblesescIilUer.   Stereotyp- Ausgabe.   CStlien,  Sehettler'a  Erben. 

78  S.    50  Pf. 

Vinzenz  Lössl,  Master  der  im  bürgerlichen  Leben  vorkommeudeu  Creschäfts- 
aaMltae  nnd  Geschäftsbriefe.  Landshnt  1891,  AtteoMr.  2Tlieae485Pl 
Bemerkungen  zu  den  Geschäftsaufsätzen.  8.  ThelL  80  Pf. 

Der  Religionsunterricht  in  der  Volksschule  in  Hinsicht  auf  das  neue  preußische 
Volkssclmlp-osetz.  Eine  Stimme  aus  dem  Peichsland.  Straßburp.  Bull.  24  S. 

Dr.  Hor.st  Ket'cr stein,  Beligionsunterricht  und  Erziehung  zur  Religion.  Ham- 
burg, Verlagsanstalt  und  Druckerei  A.-Q.  (vonnals  J.  F.  Biohter).  64  S. 

Jos.  Anbros,  Die  senkrechte  Schrift.  Wien,  A.  Pichler.  80  S.  50  kr. 

Dr.AitoiSckwarsh^fer,  SteOaehriftTorlagen.  Wien,  A.Ploh]er.  12  Bl.  40 kr. 


▼«natima.  Btdaatnr  Dr.  Fri*dTi«li  OitU«,  Buharaekerd  Julias  Klinkhkrdt,  Loipxig. 


DIgitized  by  Google 


I>e8  Thüringer  Reformators  Friedrich  Myconins  Verdienste 

um  das  Schnlwesen. 

Aas  Anlass  «eines  400 jährigen  Oeburtstages 
dargeüUiUt  von 
Dinetov  Dr.  CMCJMI  Xrayanfterer-lMrloAt». 

„Es  ist  nachgerade  zum  Offentliehen  GehdmiiiB  geworden, 
dass  das  geistige  Leben  des  deutschen  Volkes  sich  gegenwärtig  in 
einem  Znstande  des  langsamen ,  einige  meinen  des  rapiden  YerfiUls 

befindet.*'  So  lautet  der  Anikng  des  vielbesprochenen  Buches:  „Rem- 
braiidt  als  Erzieher,  Yon  einem  Deutschen,"  welches  den  immerhin  be- 
deutsamen, wenn  auch  nur  äußerlichen  Erfolg  hatte,  dass  es  in  der 
kurzen  Zeit  von  zwei  Jahren  beinahe  vierzig  Auflagen  erlebte.  Der 
Satz  ist  paradox,  wie  das  ganze  Buch.  Jedoch  fordern  beide  zum 
Nachdenken  auf,  und  etwas  Wahres  liegt  darin,  dass  iu  unserem 
Leben  der  Kunst,  gegenüber  der  Wissenschaft,  ein  größeres  Gewicht 
als  bisher  gebüre.  Hätte  man  in  unserem,  wie  man  manchmal  sagt, 
pädagogischeu  Zeitalter  wirklicli  mehr  auf  die  Lehren  der  Pädagogik 
auch  für  die  moderne  Tjeheiisführung  gehört,  su  würde  man  längst  der 
Kunst  oder  im  allgemeinen  dem  Können  eine  größere  Wichtigkeit  bei- 
gelegt haben  als  dem  einseitigen  Wissen.  Die  Menschen  wären  nicht 
nur  praktischer,  sondern  auch  veredelter;  denn  die  Wissenschaft  er- 
kältet, aber  die  Kunst  und  das  Können  erwärmt. 

Auch  darin  hat  der  Verfasser  im  ganzen  nicht  unrecht,  dass  die 
treibende  Grund-  und  Urkraft  alles  Deutschthums  der  Individualismus 
ist.  Nur  die  Kolgerung,  in  Rembrandt  den  individuellsten  unter  allen 
deutschen  Künstlern  zu  erblicken,  der  aus  diesem  Grunde  „als  Vor- 
bild den  \\'ünsclien  und  Bedürfnissen,  welche  dem  deutschen  Volke 
von  heute  auf  geistigem  Gebiete  vorschweben",  gelten  müsse,  ist  falsch; 
schon  deswegen,  weil  Rembrandt  diese  Bedeutung  garnicht  hat.  Ein 
anderes  Ist  es  aber,  die  entsdiwnndenen  Vorbilder  der  Gmnd-  und  Ur- 
kraft dnrch  Vertieftmg  in  die  dentsche  Vergangenheit  zn  suchen  und 
einem  verflachenden  Eosmopolitismas  entgegenzutreten,  ohne  jedoch 
nationäler  Simpelei  zu  yerfollen,  aber  aof  dem  eigenen  Gmnd  und 
Boden  die  kostbaren,  noch  nngehobenen  Schätze  aoszograben.  Dann 
wird  sich  zeigen,  dass  unser  geistiger  Beichthum  noch  ein  so  un- 

PadHpifivau  14.  Jahiff.  Heft  Till.  34 


Digitized  by  Google 


—   478  — 


erscli(>i)tiicht'i  ist.  wit^  vielleicht  bei  keinem  anderen  Volke,  dass  wir 
notli  weit  davon  entfeint  sind,  pinen  {^«  istigen  Bankerott  anmelden 
zu  müssen,  was  laut  Beginn  und  Inhalt  seiuei*  Ausführungen  „Rem- 
brandt  als  Erzieher"  doch  thun  möchte. 

Diese  Anschauungen  vom  unversiegbaren  geistigen  Reichthum 
unseres  Volkes  haben  eine  sehr  kräftige  Bestätigung  auch  durch  die 
Auslassungen  von  höchster  Stelle  erhalten,  näuilich,  dass  es  falsch  sei, 
von  dem  Grundsätze  ansiiigehen,  der  Scholz  mttsse  so  viel  wie  mög- 
lich wissen:  ob  das  f&r  das  Leben  passe  oder  nicht,  sei  Nebensache. 
Nicht  nm*  werde  die  Jagend  den  großen  Angaben  des  praktischen 
Lebens  ferngehalten,  sondern  dem  Unterrichte  nnd  der  E!rziehung 
unserer  Jagend  fehle  die  „nationale  Basis**.  „Wii*  müssen  Deutsche 
erziehen,  nicht  junge  Griechen  und  Börner."  „Soll  echt  deutsches 
Volksbewusstsein  und  rechte  Liebe  zum  Vaterlande  in  ^unserem  i^eali» 
stischen  Zeitalter  erhalten  werden,  so  ist  nöthig,  dass  jeder  einzelne 
die  großen  Begebenheiten  der  Vergangenheit  nnd  das  Wirken  der 
Vorfahre  kennen  lerat." 

Das  ist  jedoch  durchaus  nicht  so  zu  verstehen,  als  ob  die  so- 
genannten Haupt-  und  Staatsactionen  dei-  Vergangenheit,  die  Kriege 
und  Kriegszflge  derselben,  noch  eingehender  als  bisher  schon  erörtert 
werden  sollten.  Diese  Art  und  Weise  würde  eher  zur  Verrohung 
des  Volkes  beitragen,  als  dasselbe  auf  eine  höhere  Stute  der  Sittlich- 
keit erheben.  rWie  in  vergangenen  Zeiten,"  so  sagt  Herbert  Siiencer, 
derjenige  englische  Philosoph,  welcher  in  neuester  Zeit  unl'estritten 
einen  kräftigen  Anstoß  zur  Reform  des  (leschichtsunterriclits  ge- 
geben hat,  „der  Ki>nig  alles  und  das  V(dk  nichts  war,  so  füllen  in 
älteren  Geschieht sbt*i-icliteii  die  Thaten  des  Ktinigs  das  ganze  Gemälde 
aus,  zu  dem  das  A'^ikshdieii  iiui'  einen  dunklen  Hintergrund  bildet. 
Erst  jetzt,  da  das  WOl  dt-r  Vulker  niehi-  als  das  "Wul  der  Fürsten 
sich  zum  herrschenden  Gedanken  emintrschw  ini:t.  ln-rrinnen  die  Gcscliicht- 
schreiber.  sich  mit  den  Erscheinungen  gesellschalüicheu  Fortöchrilts  zu 
beschäftigen." 

Wo  aller  lässt  sich  in  der  Vergangenheit  ein  bedeutenderer  gesell- 
•schafilicher  Fort.schritt  erblicken,  als,  namentlich  für  Deutschland,  der 
durch  die  Reformation  hervorgerufene?  Ist  das  Christentbum  ohne 
jeden  Zweifel  dei*  mächtigste  Culturfactor  aller  Zeiten,  so  ist  es  in  fusi 
nicht  geringerem  Maße  die  Enieuerung  desselben,  die  Befonnation,  in 
ihrer  Einwirkung  auf  Kunst,  Wissenschaft,  Leben  und  Schule  für  die 
letzten  Jahrhunderte.  Der  Befonnation  verdankt  Deutschland  nament- 
lich seine  jetzige  Volksschule  und  eine  ganz  bedeutende  Anzahl  der 


Digitized  by  Google 


—   479  — 


liöheren  Lebranstalten.  Aber  aiidi  diejenigen  Schulen,  welche  noch  aus 
älterer  Zeit  stammen,  sind  kaum  von  dem  durch  die  Retormation  ge- 
weckten neuen  (leistc  unberührt  ffeblicben.  Jedoch  wer  kennt,  wenn 
es  sich  um  die  deutsche  Refonnatiunsgeschichte  in  den  einzelnen  Landes- 
theilen  hau<ielt,  die  Persönlichkeiten,  welche  bei  dieser  Neubelebung 
thätig  gewesen  sind  ?  Dem  deutschen  Knaben  werden  im  Unterrichte 
fast  alle  FeldheiTeu  des  Alterthums  genannt  Den  Hannibal  mass  er 
auf  allen  Krems-  und  Quer^Zilgen  begleiten  und  jede  noch  so  unbedeu- 
tende Unternehmung  Julius  Cäsars  sieb  einprägen.  Aber  die  geistigen 
HeerAhrer  der  Beformationsseit  werden  ihm  nui*  sehr  summarisch 
YOigefÜhrt,  und  den  Zug»  welchen  die  Befoimation  durch  Deutschland 
genommen  bat,  kennt  er  nur  obenhin.  In  der  Tbat  aber  handelt  es 
sich  dabei  um  geistige  Führer,  welche  nicht  etwa  blos  der  Local* 
gescbichte  angebdren,  sondern  recht  innerhalb  der  großen  Entwicke- 
Inng  standen,  ja,  als  treibende  Krftfte  ihre  Richtung  mit  bestimmt  und 
•die  großen  Erfolge  mit  bewirkt  haben. 

Zu  diesen  Persönlichkeiten  gehört  auch  ein  Friedrich  Myconins. 
Er  war  der  BYeund  Luthers  und  Melandithons  und  hat  Schulter  an 
Schulter  mit  diesen  f&r  das  Wol  der  Schule  und  Kirche  gekämpft 
An  fast  allen  wichtigen  Yerhandlungen ,  welche  den  Fortgang  der 
Befonnation  besEeichneten,  nahm  er  theiL  Von  den  Emestinem  1524 
nach  Qotha  berufen,  damit  er  dort  und  in  Thüringen  die  neue  Lehre 
einführe  nnd  befestige,  breitete  ^ich  sein  Ruf  bald  weiter  ans.  Bereits 
nach  einem  Jährflknft  wohnte  er  auf  besonderen  Wunsch  des  Land- 
grafen von  Hessen,  Philipp  des  Großmfithigen ,  dem  Marburger  Be- 
ligionsgespräche  vom  1.  bis  4.  October  1529  bei. 

Wenn  freilich  jener  Fürst  gemeint  hatte,  Myconins  würde  sich 
nachgiebiger  zeigen  als  Luther,  so  war  er  im  Irrthum  befangen. 
Nichtsdestoweniger  ist  der  Einfiuss  des  Thüringer  Beformators  auf 
das  Zustandekommen  der  Wittenberger  Concordie,  jener  milderen  Auf- 
fassung  der  Abendmahlslehre,  nicht  zu  verkennen.  Im  Jahre  1537 
finden  wir  ihn  in  Schmalkalden  als  Kanzelredner  und  geistlichen  Be- 
rather thätig,  1538  als  ohne  Frage  wichtigstes  Mitglied  einer  Gesandt- 
schaft, die  iu  England  unter  Heinrich  VUI.  den  allerdings  vergeblichen 
Versuch  machte,  Luthers  Lehre  dort  heimisch  zu  machen.  1530  sehen 
wir  ihn  auf  den  Reichstagen  zu  Frankfurt  und  Nürnberg  und  als  He- 
fonnator  im  Meißner  Lande,  wo  er,  unterstützt  von  Creuciger  und 
PfefKnger,  nach  Georg  des  Bärtigen  Tode  die  Reformation  in  Leipzig 
einführte.  Nicht  genug  an  diesem  ebenso  schwierigen  wie  ruhmreichen 

34* 


Digitized  by  Google 


—   480  — 


Werke,  betheiligtc  er  sich  noch  am  Hagenauer  Convente,  1Ö40,  dessen 
Elrfolglosigkeit  seint-  Schuhl  durchaus  nicht  war. 

Hat  Myconius  demnach  hervorragend  für  die  Kirchenreformation 
auch  außerhalb  Thüringens  gewirkt,  so  nicht  minder  in  Thüringen  als 
Schalreformator  oder  richtiger,  da  die  Schulen  erst  za  begründen 
waren,  als  Organisator  deraelbeii.  Um  jedoch  gerade  diesen  Thell 
seiner  Lebensarbeit  zn  verstehen,  ist  es  erforderlich,  anf  sdn  Leben 
nnd  seinen  Entwickelungsgang  etvas  nftber,  wenn  anch  in  gedrängter 
Darstellung,  einzugehen. 

Nach  dem  vorhandenen,  yon  L.  Eranach  gemalten  Bilde  war 
Hyconios  im  Änfiem  eine  Persönlichkeit,  welche  die  Mitte  zwischen 
Lnther  und  Melanchthon  hielt  Er  hatte  die  GrOfie  nnd  ungefähr  auch 
die  mehr  gedrungene  Gestalt  des  ersteren;  doch  seine  ZOge  waren 
durchgeistigter,  ähnlich  denen  des  letzteren.  Er  war  überhaupt  eine 
Vereinigung  yon  Herz  und  Verstand.  Nicht  ohne  Einfluss  mag  dabei 
der  Ort  seiner  Geburt  gewesen  sein,  das  als  Knotenpunkt  von  Eisen- 
bahnen bekannte  Lichtenfels  in  Oberfranken,  wo  nord-  und  süddeutsches 
Wesen  sich  scheidet,  aber  auch  ineinander  übergeht.  Als  die  Glocken 
der  romantischen  waldumkränzten  Benedictiner -Abtei  Banz  zu  Ehren 
des  zweiten  Weihnachtsfeiertages,  des  Steplianstages,  erklangen  und 
das  Geläut  im  Wallfahrtsorte  Vierzehnheiligen  antwortete,  wurde  1491 
zu  Tjichtenfels  einem  ehrsamen  Bür^rer  mit  Namen  Meciim  dieser 
Knabe  als  naclitra2:lic}ies  Weilinachtsgeschenk  geboren.  Zwar  ist  in 
neuester  Zeit  treltt^iid  f^emacht  worden,  dass,  da  man  in  damaliger 
Zeit  den  Beginn  des  neuen  Jahres  manchmal  bereits  zu  Weiimachten 
schrieb ,  das  wahrscheinliche  Geburtsjahr  schon  141J(  >  sei.  Jedoch 
nehmen  alle  älteren  Biographen  1491  an,  und  auch  auf  einer  l>nk- 
münze,  die  zur  Verherrlichung  des  3Iyconius  geprägt  wurde,  ist  sein 
Alter  diesem  Gebnrtsjalir  entsprechend  angegeben,  so  dass  kein  Grund 
vorliegt,  von  der  uispriinglichen  Annahme  abzuweichen. 

Der  \'ater  Mecum  gehörte  zu  den  in  jenen  Tagen  nicht  seltenen 
Christen,  die  von  den  Zuständen  der  Kirche  Iceineswegs  befriedigt 
waren.  Und  doch  war  or  nur  ein  ganz  einiheher  Hann  ohne  gelebrte 
Bildung.  Man  sieht,  die  Beformation  lag  damals  so  zu  sagen  in  der 
Luft  Mecum  wollte  mit  seinem  Sohne  auch  hoher  hinaus.  Nachdem 
er  ihn  die  Lichtenfölser  Stadtschule  hatte  durchmachen  lassen,  sandte 
er  ihn  auf  die  Lateinschule  nach  Annaberg  in  Sachsen.  Diese  Stadt 
galt  zu  jener  Zeit  als  eine  Art  Eldorado.  Vor  kürzerer  Frist  hatte 
sich  dort  und  im  benachbarte  Buchholz  ein  sehr  ergiebiger  Sflberfoaa 
aufgethan  und  die  „Neue  Stadt  am  Schreckenberg,"  wie  sie  zuerst 


Digitized  by  Google 


—   481  — 


hielt,  war  daraufhin  gegrOodet  worden.  Kaiser  Maximilian  verlieh 
ihr  den  Namen  Annaherg  nach  der  heüigen  Anna.  Wie  in  unseren 
Tagen  die  Goldl&nder,  so  mochte  damals  jene  Gegend  die  Menschen 
anziehen.  Indes  hatten  die  Annaherger  über  den  mateiieUen  Bestre* 
bungen  die  geistigen  nicht  vergessen.  Ihre  Lateinschule  genoss  unter 
dem  Hector  Andieas  Weidner,  genannt  Staffelstein,  sogar  einen  be- 
deutenden Buf,  der  auch  in  den  Augen  des  jungen  Hecum  ein  wol- 
verdienter  war;  denn  dieser  spricht  mit  Achtung  von  seinen  Lehrern. 
Bald  war  er  der  lateinischen  Sprache  so  mächtig,  dass  er  dieselbe 
spreclien  konnte.  Yielleiclit  würde  er,  mit  einer  tüchtigen  Bildung 
ausgerüstet,  eine  weltliche  Laufbahn  in  Annaberg  oder  anderswo  ein- 
geschlagen liaben;  das  war  auch  der  Wunsch  seines  Vaters.  Aber 
das  Schicksal  hatte  es  anders  beschlossen.  Kleine  Ursachen,  große 
Wirkungen. 

Mecums  Leben  bietet  in  seinem  Verlaufe  viele  Vergleichungspunkte 
nn't  demjenigen  Luthers.  Beide  waren  einfachen  Familien  entsprossen, 
beider  Väter  hatten  die  Söhne  für  eine  hfihere  Lebensstellung  aus- 
bilden lassen,  beide  wendeten  sich  aber,  um  das  Heil  ihrer  Seele  be- 
sorgt, dem  geistlichen  Berufe  im  Kloster  zu.  In  beider  Schicksal  greift 
endlich  der  Ablasshandel  Johann  Tezels  bestimmend  ein. 

Gerade  auch  in  das  des  Mecum,  der  unterdessen,  einer  Sitte  jener 
Zeit  folgend,  seinen  ohnehin  schon  lateinischen  Namen  in  einen  noch 
lateinischeren  umgewandelt  hatte.  Gern  erging  er  sich  aber  auch  über 
seinen  ursprünglichen  Namen  in  Wortspielen,  z.  B.:  „Ktiamsi  ambula- 
vero  in  medio  umbrae  mortis,  non  timebo  mala,  quia  tu  Mecum  es." 
Schon  1508  durchzog  Tezel  mit  seinem  Ablasshandel  das  Meißner  Land 
und  hatte  es  besonders  auf  das  wolhabende  Annaberg  abgesehen.  Seine 
Ernte  war  hier  gewiss  auch  eine  besonders  reiche.  £s  liegt  nämlich 
sonst  kern  Omnd  vor,  weshalb  er  gerade  hier  die  Bekanntmachung 
erließ,  den  Armen  solle  nach  des  Papstes  Befehl  der  Ablass  bis  m 
einem  hestimmten  Termine  unentgeltlich  Torabfolgt  werden.  Obschon 
nun  der  Vater  des  Myoonius  bereits  Zweifel  in  die  Seele  des  Sohnes 
Uber  die  Berechtigung  des  Ablasses  gesftet  hatte,  gesteht  der  junge 
Friedrich,  wie  wir  einem  berOhmten  spftteren  Briefe  desselben  an  den 
Wittenberger  Professor  Paul  Eber*)  enfnehmen,  doch  frdmftthig,  wei- 
chen mftchtigen  Eindruck  die  Beden  des  pftpstlichen  Commissars  auf 
ihn  ausgeabt  hfttten.  Als  Armer  begab  er  sich  in  dessen  Absteige- 


*)  Tcnisii  Annacbergae  bist.  lib.  II  fol.  4b.  .tqq.  und  hllttlig  TWCfllBntUdlt,  MOh 
LonuDAUsch,  aarratio  de  Frid.  Jktyconias  pag.  10  ff. 


Digitized  by  Google 


—   482  — 


qnartior,  redete  die  im  VorziiDiner  befindUchen  Priester  in  si^chea 
Worten  lateimscfa  an  und  begehrte  den  Ablass  umsonst  Jedoch  Tezel, 
dem  die  Suche  schon  wieder  leid  geworden  war,  schlug  seine  Bitte 
ab  und  verwies  den  jungen  Gelehrten  auf  die  doch  stets  nöthige  „hilf- 
reiohe  Hand,"  wie  der  kirchliche  Ausdruck  hieft.  Nur  einige  Pfennige 
solle  er  wenigstens  darreichen,  und  diese  wollten  ihm  die  Priester 
schenken.  Aher  Myconius  schlug  alles  aus,  kelirte  in  sein  Kämmer- 
lein zurück  und  bat  nun  Gott  oiine  die  Verraittelnng  anderer  um  Ver- 
gebnng  seiner  Sünden.  J«doch  der  Stachel  des  Zweifels  blieb  in  seiner 
Seele  sitzen. 

Wie  Luther  fand  er  bald  im  \selt liehen  Lel>en  keine  Befriedigung 
mehr.  Xacli  Riickspraciie  mit  seinem  Lehrer  Staffelstein  beschloss  er, 
ohne  Wissen  der  Eltern,  ins  Kloster  zu  gehen.  l)ie  reichen  Auna- 
bei-c^fi-  hatten  das  dortige  Franciscanerkloster  neu  ausgestattet  und 
namentlich  mit  einem  prächtigen  Gebäude  versehen.  In  dieses  Khister 
trat  Myconius  im  Juli  1510  ein  und  studirte  von  da  an  nicht  mehr 
vorzugsweise  die  Weltweisen,  wie  einen  Aristoteles,  sondern  den  Ale- 
xander von  Haies,  Bonaventura,  Gabriel  Biel.  Augustinus  und  andere 
heilige  Bücher.  Gleich  während  der  ersten  Nacht,  die  er  im  Kloster 
zubrachte,  hatte  er  einen  merkwürdigen  Traum,  über  den  er  in  dem 
bereits  angeführten  Briefe  an  Paul  Eber  berichtet  sei  in  eine 
gewaltige  FebeneinMe  gekommen,  wo  ihn  ein  Führer,  der  Apostel. 
Paolns,  znerst  zur  Quelle  des  Heils  gebracht  habe,  aas  welcher  zu 
trinken  er  sich  nidit  f&r  wOidig  erachtete.  Dennoch  habe  ihm  Pftnlna 
zu  einem  Tranke  verhelfen,  und  erquickt  sei  er  mit  seinem  Führer 
weitergezogen,  darauf  zu  einem  Ährenfeld  gelangt,  auf  dem  ein 
Schnitter  rOstig  gearbeitet  habe,  ein  starker  Mann  im  kräftigsten 
Alter,  im  Änfiem  dem  Paulus  ähnlich.  Mit  ihm  vereint  habe  nun 
Myconius  eingeerntet,  aber  nur  die  Ähren  und  den  Weizen,  nicht  das 
StroU  geschnitten.  Auch  noch  andere  seien  zu  dieser  lohnoiden  Arbeit 
gekommen;  trotzdem  sei  Myconius  krank  und  krftnker  geworden,  bis 
Paulus  ihn  auf  Christus  verwiesen  habe:  „Diesem  musst  Du  ähnlich 
werden!"  (Huic  oportet  te  conformem  fleri.) 

Damals  deutete  er  diesen  Traum  noch  keineswegs  auf  einen 
Luther  und  dessen  Schnitterarbeit,  sondern  natürlich  nui*  auf  seinen 
Franciscanerorden ,  der  ihn  aus  der  Einöde,  dem  weltlichen  Leben, 
herausleiten  werde;  die  Ernte  aber  sei  das  religiöse  Exercitium.  Nur 
kommt  ihm  zuweilen  ein  Bedenken:  im  ganzen  Traumgesichte  war 
ihm  auch  nicht  ein  einziger  Mönch  erschienen.  Vorläutig  erfasste  er 
aber  den  neuen  Beruf  mit  voller  Seele.  Die  Mönche  machten  den 


Digitized  by  Google 


—   483  — 


o^elelirten  Bruder  zum  Lector.  Bald  aber  regten  sicli  seine  alten 
Zweifel  wiedev.  Um  sich  zu  zerstreuen  und  zu  erfrischen,  erlernte  er 
das  Drechseln,  hantiite  mit  Hacke  und  Spaten  und  schwang?  die  Axt. 
Dann  saß  er  wieder  und  malte  Initialen  aus.  Aber  die  8umme  von 
allem  war  doch  ein  unbefriedigtes  Dasein. 

Tn  Annaber«:  scheint  er  ültriprens  nur  als  Novize,  darauf  in  Leip- 
zig- gewesen  zu  sein;  jedenfalls  linden  wir  ihn  löKi  in  Weimar,  wo 
er  zum  Priester  geweiht  wurde.  „Ich  sung,  wie  es  dazumal  unter 
dem  Papst  Gewohnheit  war.  meine  erste  Messe  auf  den  Pfingsttag.'' 
Die  sächsischen  Herzüge  und  späteren  Kurfürsten  Johann  der  Heständige 
und  Johann  Friedrich  der  Uroßmüthige  wohnten  dieser  ..Erstmesse" 
an,  der  letzten  übrigens,  bei  der  sie  überhaupt  zugegen  waren. 

Ein  Jalir  später  schlug  Luther  seine  Thesen  an  die  Thür  der 
ScUoBskirche  zu  Witfeeabeig,  und  Myconins,  der  lebhaft  an  seine 
Begegnung  mit  Tezel  erinnert  werden  mochte^  stellte  sich  als  einer 
der  ersten  anf  des  neuen  Apostels  Seite.  Aach  das  war  za  jener  Zeit 
keine  gefUirlose  Sache.  Melanchthon  erzahlt  in  seiner  Apologie  der 
Angsbnrgischen  Gonfeesion  Yon  einem  FrandscanermOnche  in  Eisenach, 
Johann  Hilten,  der  yon  seinen  Klosterbrüdern  damals  in  den  Kerker 
geworfen  wnrde,  weil  er  grobe  Missbränche  in  der  Kirche  gerügt  hatte. 
Bis  an  sein  Lebensende  blieb  dieser  Mönch  ein  Gefangener.  So  wurde 
andi  Myeoniiis  überwacht  nnd  sogar  nach  demselben  Eisenach,  darauf 
nach  Leipzig  und  seinem  Annaberg  geschickt,  wo  man  Ihn  achtzehn 
Monate  in  klösterlichem  Gewahrsam  gehalten  haben  soll.  Mit  Hilfe 
einiger  Freunde  gelang  es  ihm  aber,  nach  Zwickau  zn  entkommen; 
dort  durfte  Luthers  Lehre  schon  gepredigt  werden.  Dem  Kloster 
entronnen  und  dem  Mönchsorden  nnn  nicht  mehr  angehörig,  verkündete 
er  unerschrocken  auf  den  Kanzeln  der  säc]isis<  hen  Städte  das  neue 
Evangelium.  Gern  hätten  ihn  vor  allem  die  Buchholzer  als  ihren 
Geistlichen  ganz  bei  sich  behalten,  aber  Herzog  Johann  hatte  ihn 
bereits  tur  Gotha  ausersehen,  wo  er  nicht  nur  die  Kirche,  sondern 
auch  das  Schulwesen  retbrmiren  sollte. 

Für  die  Reforniation  waren  in  Thüringen  und  Gotha  schon  einige 
vorbereitende  Schritte  ^^etliau  w(trden.  Ein  Herzog  Wilhelm,  Bruder 
des  Kurfürsten  Friedricii  des  Santtiniithigen,  hatte  bereits  unt  die  Mitte 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  die  sclilechte  Kindienzncht  zu  verbessern 
gesucht.  Kr  verbot,  um  den  Kint1iis<  der  Geistlichen  auf  das  richtige 
Maß  zurückzuführen,  seinen  l'nterthanen.  mit  widtlichen  Händeln  vor 
ein  geistliches  Gericht  zu  gehen.  Ein  Dutzend  Jahre  .später  sandte 
derselbe  Fürst  einen  Augustiner-Provinzial  nach  Gotha,  uro  der  Kirchen- 


Digitized  by  Google 


-  484  — 


Ordnung  nacluliiicklicli  Geltung  zu  verschatieii,  „dievveil  das  wüste  und 
wilde  Wesen  der  Mtinche  durchaus  nicht  zu  dulden  sei".  Jedoch  auch 
unter  den  (Teistliclien  gab  es  bereits  eine  Anzahl,  die  einer  Kirchen- 
verbesserung nicht  widerstrebte.  Andere  freilich  dachten  anders,  ja. 
missbrauchten  ihre  Gewalt.  Welche  eigentliüialiclie  Autlassung  von 
Religion  und  Hecht  zum  Beispiel  einige  Gothaer  .Stillsherren  hatten, 
—  und  dieser  Fall  steht  durchaus  nicht  vereinzelt  da,  —  erhellt  daraus, 
dass  ein  Gothaer  Bürger  und  Wundarzt,  Namens  Vogler,  der  einem 
Ganonicos  die  Miete  nicht  beaalüt  liatte,  von  diesem  ohne  veiterea 
mit  dem  Bannfluch  belegt  vnrde.  Ab  KnrfBrst  Friedrich  der  Weise 
von  diesem  Sacrileflr  börte,  musste  der  Stiftsherr  natOrlich  seinen 
Finch  zoracknehmen ,  nnd  die  Streitsache  kam  vor  ein  weltliches 
Gericht. 

Unter  den  Stiftsherren  aber,  die  damals  schon  anf  der  Höhe  ihrer 
Zeit  standen,  ist  ein  Eonrad  If nt  (Untianns)  besonders  erwfthnena- 
wert  Ans  der  Schule  des  Alezander -Hegios  hervorgegangeni  ^ 
Stndiengenosse  nnd  Frennd  des  Erasmus,  hatte  er  sich  nach  längerem 
Aufenthalte  in  Italien,  wo  er  an  den  Forschungen  berfihmtei*  Gelehrten 
theilgenommen  hatte  und  nachdem  er  noch  einige  Zeit  hessischer  Hof- 
prediger gewesen  war,  auf  ein  ziemlich  gering  dotirtes  Canonicat  in 
Gotha  zurückgezogen.  Den  übrigen  Stiftsherren  war  er  zu  ernst  und  wol 
auch  zu  gelehrt.  Desto  mehr  schlössen  sich  strebsame  Jünglinge  ihm 
an,  die  er  in  die  Altertbumswissenschaft  einführte.  Zu  seinen  Schülern 
gehörte  vor  allen  Spalatin,  nachher,  wie  Myconius  sagt,  „di'eier  Kur- 
fürsten  Kaplan  und  Historicus*'.  Dieser  war  bekanntlich  Friedrichs 
des  Weisen  rechte  Hand.  Weniger  bekannt  möchte  aber  sein,  dass 
hauptsächlich  Mutianus  es  war.  der  den  Kurfürsten  bei  der  Gründung 
der  Universität  Wittenberg  und  bei  dei-  Wahl  ihrer  Prof'ess(»ren  mit 
seinem  Käthe  unterstüizte.  So  halt  er  als  ein  rechter  Humanist  durch 
Neubelebung  des  i<  orschertriebes  dem  sich  emeuerudeu  Kirchenglauben 
die  Wege  bahnen. 

Schon  lölO  war  auch  Luther  im  Auftrage  von  Staupitz  zur  Re- 
vision des  Augustinerklosters  nach  Gotha  gekommen  und  hatte  dort 
über  die  Kechtfertigung  durch  den  Glauben  gepredigt.  Auf  seiner 
Reise  nach  Worms  ließ  er  sich  aV)ernuils  dort  hören.  „Da  riss,"  berichtet 
Myconius  über  diese  Predigt,  ^der  'J'eulel  etliche  Steine  vom  Kirchen- 
giebel, die  hatten  über  200  Jahre  festgelegen."  Gleich  in  den  folgen- 
den Jahren  schloss  sich  ein  Oothaer  Pfarrer  der  Margaretenldrchei 
J.  Langenhain,  Luther  an.  Zwei  seiner  Gehilfen  aber,  Schneesing 
und  Eisenberg,  mussten  nun  wol  in  ihren  Fredigten  unvorsichtige 


Digitized  by  Google 


—  485  — 


Äußeriint^en  getlian  haben,  man  sollte  doch  einmal  ,,vom  Schlossberge 
oben  beim  Stifte''  anfang-en  und  gründlich  die  schlechte  Wirtschaft 
auskehren.  Die  Prediger  meinten  natürlich,  die  Obrigkeit  oder  der 
Fürst  selbst  sollte  es  thun,  aber  der  genu  ine  Mann  bezog  es  auf  sich. 
Da  geschah  ein  ..Pfaffenstürmen"  in  Gotlia.  welches  Myconins  höchst 
anschaulich  schildert.  hEs  trug  sich  zu,  dass  am  Phngstdienj>tage 
flo24)  wider  die  Freiheiten  der  Stadt  fremdes  Bier  zu  Bufleben  (bei 
Gotliaj  eingelegt  wurde.  Die  l^iirger  zogen  also  bewaffnet  hinaus,  um 
das  Bier  zu  holen.  Als  sie  zui  uckgekommen  waren,  begaben  sie  sich 
auf  da.s  Kautliaus.  Das  eioberte  Bier  fing  an,  ihnen  zu  Kopf  za 
steigen.  Da  liefen  einige  vou  ihnen  den  Schlossberg  hinauf,  stürmten 
die  Häuser  der  Canoniker,  stiefien  Thfiran  und  Öffea  ein,  zerschlugen 
die  Fenster,  serhrachen  Tische  nnd  Binke,  zerrissen  Briefe  und  Siegel 
und  griffen  zuweilen  auch  nach  dem  Oelde.  Hauptsächlich  aber  nahmen 
sie  die  schlechten  Weibehflder  nnd  führten  sie  in  den  Eram  nnter  das 
Bathhaos.  Einige  Mitglieder  des  Bathes  und  besonders  die  Vornehm- 
sten hatten  ihren  Gefallen  daran  und  thaten  nicht  eher  Einhalt»  als 
bis  der  Schade  geschehen  war.  Doch  die  Ganoniker  klagten  es  dem 
FArsten.  Da  worden  Aber  hundert  BUrger  in  Verhaft  genommen.  Auf 
Verbitte  Dietrich  Tonckels,  eines  angesehenen  nnd  rechtschaffenen 
Hannes,  erhielten  sie  ihre  Freiheit  wieder,  nachdem  den  Canonikem, 
za  ihrer  Entschfldigong,  dreihnndert  rheinische  Gnlden  ansgezahlt 
worden." 

Es  wäre  nun  nnrichtig,  anzunehmen,  dass  die  Reformation  ihre 
Einführung  in  Gotha  etwa  einem  Biei*scaudal  verdanke.  Aber  diese 
Ausschreitung  veranlasste  doch  den  Herracher,  auch  seinerseits  dem 
Treiben  der  Stiftsherren  ein  Ende  zu  bereiten.  Freilich  war  er  über- 
zeugt, dass  nicht  minder  die  weltliche  Zuclit  daselbst  einer  durch- 
gehenden Reform  bedürfe  und  hoffte,  dass  Mycoii ins  auch  für  die  letztere 
Aufgabe  der  rechte  Mann  sein  würde.   Er  liatte  sich  nicht  getäuscht. 

„Nach  Erfurt  ist  Gotha",  sagt  Myconius,  ,,tast  die  beste  und  vor- 
nehmste Stadt  im  ganzen  Fürstenthume  Thüringen  gewesen."  Aber 
eine  Misswirlschafi  dort  begann  schon  zu  Ende  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts. Zu  jener  Zeit  waren  Friedrich  der  Weise  und  sein  Bruder 
Johann  noch  Junge  Herren",  und  der  Rath  von  Gotha  thai  eben, 
was  er  wollte.  So  geriet h  die  Stadt  in  der  ^allerfriedlichsten  Zeit** 
tief  in  Schulden.  Wer  in  den  Rath  gewählt  werden  wollte,  niusste 
sich  von  vornherein  als  ein  gefügiges  Werkzeug  der  herrschenden 
Partei  zeigen.  Zunächst  hatte  er  ein  gi'oßes  Festgelage  zu  yeran> 
stalten;  denn  man  fragte  nicht  nach  seiner  TOchtigkeit,  sondern,  wie 


Digitized  by  Google 


—   486  - 


sich  Mycuiiius  iu  der  kr;ittip:en  Sprache  der  damaliiren  Zeil  ausdrückt, 
ob  t'v  aiicli  s^ehörig-  ..zu  tressen  und  zu  saufen**  geben  k«innle.  Alle 
^'enjoinnützigen  Einrichtungen  waren,  wenn  sie  überhaupt  vorlianden 
waren,  schrecklich  mangelhaft.  Von  städiisclieni  PHaster  fanden  sich 
nur  noch  Spuren  in  der  Nähe  des  Rathhauses.  Man  musstc  auf  Holz- 
schuhen oder  gar  auf  Stelzen  gehen,  und  fast  alle  Kathsherren  bedienten 
sich  jener  Fußbekleidung  der  armen  Leute.  SaL5en  sie  dann  in  der 
Rathsstube,  so  standen  die  Holzschuhe  draußen  und  man  konnte  ,.fein 
zählen",  wie  viele  von  ihnen  zur  h'athsversannnlung  gekommen  wareo. 
Es  kam  aber,  wer  gerade  Lust  hatte;  denn  es  war  weder  Ordnnog 
noch  Gehorsam. 

Und  wie  die  Alten  snngen,  so  arwitscberten  die  Jangeii.  Die 
Jennesse  dorte  trieb  es  nicht  weniger  arg  als  der  Rath.  Sie  belästigte 
und  schlng  die  Bürger  abends  nnd  anch  am  Tage  anf  der  StraBer 
kaum  war  jemand  seines  Lebens  sicher.  Überhaupt  war  die  Jugend 
ganz  „verwildert  und  verroht".  Wo  sollte  auch  das  gute  Beispiel 
herkommen! 

Unter  solchen  Verh&ltnissen  war  es  Ifyconius  klar,  dass  er  sein 
Reformationswerk  „von  unten  auf*  beginnen  müsse.  Und  so  üng  er 
gleich  im  ersten  Jahre  seines  Aufenthalts  in  Thflringen  mit  der  Orttn- 
dang  von  Schulen  an. 

Auch  was  er  auf  diesem  Gebiete  geleistet  hat,  finden  wir  in  den 
Quellenwelken  über  ihn  von  SeckendorfF,  Sagittarius,  Menzel  u.  a.  ver- 
zeichnet. Sein  kostbarstes  Vermächtnis  ist  aber  eine  Chronik,  halb 
Selbstbiographie,  halb  (ieschichte  der  Reformation,  ein  Jahrbuch,  das 
er  in  den  Tagen  der  Krankheit,  die  ihn  auch  spätei-  hinraflfte,  wol 
mehr  zusammenstellte  als  erst  niederschrieb.  Die  Mittheilungen  lesen 
sich  nämlich  so  frisch,  dass  sie  als  Tagebuchaufzeichnungen  unter 
dem  unmittelbaren  Eindrucke  jener  wichtigen  Ereignisse  aus  der  Zeit 
von  L")17  bis  1542  abgefasst  sein  müssen.  I  ber  170  Jahre  hatte 
diese  nicht  genug  zu  schätzende  Chronik,  welche  niclits  mehr  und 
nichts  weniger  als  eine  erste  zuverlässige  ( beschichte  dei  Retormation 
ist,  im  Hibliothekenstaube  geiiiht,  bis  sie  endlich  ein  einsichtsvoller 
Consistorial-  und  Kirchenratii  des  über  (4otlia  ragenden  Friedensteins, 
Dr.  Ernst  Salomen  Cyprian,  der  Vergessenheit  entriss,  indem  er  sie 
mit  Vorrede  und  Erläuterungen  verseilen,  „nnd  des  Autoris  antographo'* 
(n'tlia  1710  zuerst  veröffentlichte.  Aber  nicht  nur  des  Inhalts,  son- 
dern auch  der  Darstellung,  einer  kemigen  Prosa  wegen,  die  sich  der 
Lutherischen  würdig  anreiht,  ist  diese  Historia  Reformationis  Friderid 
Myconii  höchst  beachtenswert. 


Digitized  by  Google 


-   487  — 


In  dem  Manuscriptenschatze  der  Gotliaer  Herzoglichen  Bibliotheki 
welcher  liokanntlich  kein  geringer  ist,  bildet  diese  Chronik  einen  wert- 
vollen Theil  in  einem  Sammelbande,  dem  ein  -Neues  Erbbuch  und 
Kopey  der  Ministratur  1024**  voransteht.  Auch  dieses  Manuscript  ist 
eine  ergiebige  (Quelle  und  für  unseren  Zweck  ei^entlicli  noch  bedeut- 
samer, als  die  erwähnte  Thronik.  Dieses  ..Krbbuch  etc."  enthält  näm- 
lich des  Myconius  .Aiiszüfre  ans  den  Arten  der  Gothaer  Archive  über 
Schul-  und  Kirchengererhtsanie  und  gewährt  demnach,  in  Verbindunj^ 
mit  anderen  Nachrichten,  ein  anzieliendes  Bild  von  den  Schulverliält- 
nissen  jener  Zeit,  aber  auch  von  der  Arbeit  des  Thüringer  Eelorma- 
tors  für  die  Scliule  selbst. 

Was  wir  in  Thüringen  an  Lehreinrichtungen  kurz  v<»r  der  Ke- 
turniationszeit  finden,  sind  einzelne  mehr  oder  weniger  gute  Kloster-, 
Dom-  oder  sogenannte  Lateinschulen,  an  denen  theils  Mönche,  theils 
Zonftschulmeister  mit  fahrenden  Scholaren  unterrichteten,  die  ihre 
Schüler  in  die  katholische  Qottesgelahrtheit  einführten  nnd  sie  die 
lateinisehe  Sprache  lehrten.  Wenn  non  anch,  wie  unsere  Erörterungen 
gezeigt  haben»  die  Znstftnde  in  manchen  Stftdten  gerade  damals  nicht 
die  erfrenlichsten  waren,  so  lebte  doch  ein  gesnnder  Sinn  im  dent- 
sehen  BQrgerthnme.  Der  Kern  war  flberall  gut  geblieben.  Und  so 
hatte  sich  Lntber,  als  er  in  demselben  Jahre,  welches  anch  fllr  My* 
eonins  den  Anikng  seiner  kirchlichen  nnd  pädagogischen  Befonnen 
bedeutet,  sein  zQndendes  Sendschreiben  an  die  Bürgermeister  nnd 
Bathsherren  aller  Städte  Deutschlands  erliefi,  in  der  That  an  die 
rechten  Mitarbeiter  gewendet.  Waren  diese  hie  nnd  da  noch  unbe- 
holfen, so  zeigten  sie  doch  guten  Willen.  Die  erleuchteten  Köpfe 
jener  Tage  aber,  die  ein  gutes  StQck  weiter  sahen,  ein  Myconius, 
Spalatin  und  viele  andere,  halfen  unermüdlich  und  mit  kräftiger  Hand. 

Die  erste  Kunde  über  die  Thätigkeit  einer  Schule  in  Gotha  selbst 
stammt  schon  ans  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts.  In  der  ersten 
Hälfte  des  14,  besaß  es,  —  ein  in  den  Augen  der  Modernen  viel- 
leicht sehr  mäßiger  Fortschritt  —  schon  zwei  Schulen,  die  eine  bei 
der  .Margaretenkirche  (die  Kirche  selbst  war  bereits  1254  vorhandenl 
die  andere  bei  der  lo.SO  auf  Befehl  des  nachmaligen  Kurfürsten 
Johann  Friedridi  des  Großmüthigen  abgebrochenen  Marienkirclie  am 
Schlossberge.  Übrigens  werden  auch  schon  besondere  Mägdleinschulen 
erwähnt. 

Das  erwähnte  „Platleiistürmen-'  hatte  den  bestehenden  Schulen 
den  Garaus  gemacht.  Justus  Menius,  der  Amtsnachfolger  des  Myconius, 
sagt  darüber:  „Die  Schulen  waren  allerdings  gefallen  und  abgegangen, 


Digitized  by  Google 


—   488  — 


also,  dass  nicht  allein  kein  einziger  Schüler  \<)rlian(len  war,  sondern 
man  auch  große  Mühe  und  Arbeit  hatte,  dass  man  je  etliche  zur 
Schule  bringen  und  wiederum  von  neuem  ani'icliten  möcht,  und  die 
Sachen  fast  allenthalben  also  standen,  dass  Schulen  und  Studia  beim 
Pöbel  aufs  höchste  verachtet  waien  und  je  eher  zehn  zu  finden,  die 
Schulen  stürmen  und  yerstören,  denn  einen  oder  zween,  so  sie  hätten 
auf-  und  anricbten  können.^ 

Jedoch  diese  schnlloBe,  die  schreckliche  Zeit  lieft  Myconiiis  nicht 
lange  ▼ähfen.  In  der  er^riUmten  HistorlA  Beformationis  berichtet  er 
Seite  65:  »l^io  Schulen  haben  viedemmb  angefimgen  und  restitoiret 
Ist  der  Anfiing  geschehn  im  Augnstinerkloster,  als  noch  die  MSnche 
in  ihren  habitibus  darinnen  waren,  Anno  1524." 

Das  Augnstinerkloster  bestand  zu  Gotha  bereits  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  Es  war  Tom  Papst  Innocenz  V.  bestätigt 
und  yon  ih>ninien  Christen  mit  stattlichen  Stiftungen  bedacht  worden. 
Zur  Zeit  der  Reformation  betrug  die  Zahl  der  Mönche  noch  dreißig. 

Die  Räume  dieses  Klosters  nun  ei*schienen  Myconius  als  die 
geeignetsten  für  das  neue  Schulwerk.  Entsprachen  sie  auch  bei  weitem 
nicht  den  Anforderungen,  die  man  heutzutage  an  die  Beschaffenheit 
und  Einrichtung  TOn  Schulräamen  za  stellen  pflegt,  so  war  man  in  alter 
Zeit  eben  weniger  ängstlich,  ohne  dass  das  herangebildete  Geschlecht 
kränklicher  als  das  heutige  gewesen  wäre.  Auch  die  Mönche  bildeten 
kein  störendes  Element,  da  sie  den  reforniatorischen  Ideen  nicht  ab- 
geneigt wai  en,  im  übrigen  aber  ruhig  in  ihren  Zellen  hausten  und  sich 
höchstens  am  frohen  Treiben  der  -Tugend  ergötzten.. 

Als  Rector  und  Hauptlelirkratt  führte  Myconius  die^ser  neuen 
Schule  im  Augu;?tinerklostei\  welche  er  aus  den  Überbleibsel  der 
beiden  vorhandenen  einrichtete,  den  Magister  Basilius  Monner  zu, 
keinen  l^hilologen,  die  es  als  specifische  Berufsclas.se  damals  noch  kaum 
gab,  sondern  einen  Rechtsgelehrten.  Auch  wurde  die  Anstalt  .sciiwer- 
Uch  schon  in  viele  Classen  eingetheilt,  die  ganze  eigentliche  Schul- 
verfassung  mag  zuerst  ziemlich  in  der  Luft  geschwebt  haben.  Indes 
wird  schon  aus  jenem  Anfang  die  Gründung  des  gotliaischen  Gym- 
nasiums  hergeleitet.  Als  Stiftungstag  gilt  der  21.  December  1524 

Die  landeabenliehe  Bestätigung  der  Schule  eifolgte  aber  erst 
nach  einem  Jahifttnfti  auf  Qmnd  einer  Kirchen-  und  Sehnlenvisitation, 
weldie  auf  Befehl  Johanns  des  Beständigen  der  knrf&rstliehe  Kanzler 
Brück,  Melanchthon  und  Myconius  vorgenommen  hatten.  1529  lieft 
dieser  Fflrst  einen  Schenkungsbiief  auftetzen,  krsft  dessen  das 
Augnstinerkloster  mit  allem  ZubehOr  und  sämmtiicfaen  Einkünften  in 


Digitized  by  Google 


—  489  — 


den  Besitz  der  Stadt  Gotha  überging,  jedoch  mit  der  ausdrücklichen 
Bestimmung,  dass  die  Einkünfte  zu  Kirchen-  und  Scluilzwecken  ver. 
wendet  werden  sollten.  Daneben  sollten  die  noch  übrig  gebliebenen 
Klosterpei*sonen  auf  Kosten  der  Stadt  weiter  verpHet^t  und  ihnen  ihre 
WoliTiung  sowie  das  ganze  Kloster  in  gutem  baulichen  Stande  erhalten 
werden.  Daraufhin  wurden  schon  drei  Sciiuilelirer  angestellt;  mehr, 
so  mein  teil  die  Visitatoren,  seien  für  die  Schule  nicht  nöthig. 

War  es  nun,  dass  die  Stadt  ihre  Schuldigkeit  nicht  that,  oder 
dass  die  Einkünfte  nickt  zureichten,  welche  vielleicht  auch  uni)ünktlich 
eingingen,  schon  wieder  nach  einem  Jahrfünft  nuissten  die  Stadtväter 
höheren  Orts  an  ihre  Pflicht  erinnert  werden,  nicht  nur  den  Gottes- 
dienst zu  fördern,  sondern  besonders  auch  die  Jugend  zur  Lehre  auf- 
ziehen zu  lassen:  ,,derohalben  sie  billig  Fleit>  fin  wenden  sollten,  dass 
treulich  aus  dem  P^inkommen,  so  zu  der  Kiri  lien-  und  Schulenbestellung 
verordnet  worden,  gehandelt  werde.  Denn  wir  wollen  euch  nicht 
bergen,  dass  unser  gnädiger  Herr  in  Erfahrung  kommen  ist  eures  Un- 
fleißes,  so  bei  euch  in  Verwaltung  der  Kiichengüter  und  son^tea 
befunden." 

Schien  danach  der  Bestand  des  Stadtschulwesens  noch  kaum 
gesichert,  so  dachte  doch  schon  in  jener  Zeit  Myconius  auch  an  die 
Begründung  des  eigentlichen  Volksschulwesens.  Hierzu  veranlassten 
ihn  ollenbar  auch  die  Vorreden  zu  den  beiden  Katechismen  Luthers, 
in  welchen  dieser  sich  an  die  Geistlichen  wendete.  Die  Pfarrer  sollten 
an  den  Sonntagnachmittagen,  wenn  das  junge  Volk  und  Gesinde  zur 
Kirche  komme,  den  Kindern  und  den  Dienstboten  die  drei  Hauptstücke 
vorsprechen  und  einprägen.  Um  jedoch  den  Pfarrern  die  Arbeit  zu 
erldditeni,  wurde  zugleich  empfohlen,  dass  an  SteUe  der  Geistlichen 
die  Kirchendiener  „den  Katechisimom,  den  Eirchengesangk  nnd  das 
gebett  mit  allem  trewen  ynd  eyffer  der  Jugendt  dnzabildten  nnd  mit 
jenem  (dem  Gesinde)  zu  flben  haben*. 

Nach  dem  echt  eTangelischen  Grundsätze,  dass  jeder  Christ  Gottes 
Wort  in  der  Bibel  ksea  sollte,  erwuehs  dann  Äesen  Gehilfen  die 
weitere  Aufgabe,  an  einigen  Wochentagen,  besonders  während  der 
Wintermonate,  die  Kinder  im  Bibellesen  zu  unterrichten,  beziehentlich 
ihnen  das  heilige  Buch  zu  eridSren.  Diese  Unterweisung  aber  war 
in  Tbilringen  und  auch  and^wo  der  erste  Baustein  zur  evangelisdien 
Volkssdiule.  Pfiuner  und  Kirchner  standen  damals  in  der  Begel  auf 
einer  BildungsstufB,  beide  gingen  oft  ans  dem  Handwerkerstande  her^ 
vor.  Zur  Beformationszelt  waren  die  ersten  Landp&rrer  in  Thüringen 


Digitized  by  Google 


—   490  — 


nicht  selten  schlichte  Handwerker,  der  eine  ein  Leineweber,  der  andere 
ein  Böttcher,  der  dritte  p^ar  ein  Baderkneclit. 

Es  war  iiberbaupi  ein  Zeitalter  des  Werdens.  Die  Umwälzung 
der  bestehenden  Verhältnisse,  liauptsächlich  die  Venuenguug  von  geist- 
lichem und  weltlichem  Besitz,  machte  überall  Neuordnungen  noth- 
wendig.  So  finden  wir  in  jener  Zeit  aneh  die  ersten  Normaletttts  ffir 
Lehrerbesoldnngen,  welehe  Johann  Friedrich  der  Grofimflthige  nach 
einer  neuen  Visitation  in  Thfiringen,  an  der  wieder  Hyconius  thefl- 
nehmen  masste,  aufstellen  liefi.  Ans  den  Zahlungszeiten,  scheint  her-, 
vorzugehen,  dass  das  Schuljahr  damals  nicht,  wie  jetzt  in  Thüringen 
und  Norddeutschland  fiblichi  zu  Ostern,  sondern,  nach  mehr  sttd- 
deutscfaer  Sitte,  zu  Michaelis  seinen  Anfimg  nahm. 

Beginnend  mit  dem  Michaelisfeste,  sollten  den  Kirchen-  und  Schul> 
lehrern  an  den  vier  Quatembem  ihre  Besoldungen  ausgezahlt  werden. 
Solange  noch  Mdnche  und  Stiftsherren  zu  unterhalten  wären,  sollte 
der  Pfarrer  an  der  Augustinerkirclic  100  fl.,  der  Schulmeister 
(oder  Rector)  fU)  tl.  und  von  seinen  beiden  -Oesellen"  jeder  4')  tl. 
erhalten.  Die  Bezeichnung  Meister  und  Gesellen  beim  Schul-„Hand- 
werk**  rührt  bekanntlich  aus  der  mittelalterlichen  Zeit  her,  in  welcher 
alles,  demnach  auch  das  Schulwesen,  nach  den  Kegeln  der  Zunft  ein- 
gerichtet sein  musste. 

Wurde  einmal  das  Kloster  von  allen  Lasten  frei  sein,  dann  sollten 
die  Besoldungen  auty^ebessei  t  werden  und  der  Pfarrer  120  ti..  der 
Schulmeister  70  i\.  und  seine  beiden  (irselltMi  je  .")()  ti.  empfangen 
Dei-  »  ine  der  Tut erlelirer  wurde  Baccalaureus,  der  andere  Kantor  odei' 
Sangmeister  genannt. 

Auch  für  Dienstwohnungen  wurde  schon  ges(»rgt.  Alle  Kirchen- 
und  Schuldiener  sollten  mit  „bequemen  und  nothdürfligen  Herbergen" 
versehen  werden. 

Angesichts  solcher  Kiirsorge  feldte  es  gerade  der  Gothacr  Schule 
von  allem  Autaugt-  nicht  an  hervorragenden  Lehrkräften.  Der  schon 
erwähnte  Mooner,  ein  geborener  Weimaraner,  welcher  in  Wittenberg 
stndirt  hatte,  war  ein  früher  Anhänger  Luthers.  Melanchthon,  dessen 
Unterricht  er  noch  genoss,  schätzte  ihn  so  sehr,  dass  er  der  neuen 
Schule  in  Gotha  keinen  besseren  Lehrer  empfehlen  konnte.  Aber 
Monners  größtes  Lob  ist  doch  sein  Schüler,  der  berühmte  nenlateinische, 
vom  Kaiser  gekrönte  Dichter  Johann  Stigel  aus  Gk>tha,  erster  Professor 
der  Beredsamkeit  an  der  neugegrOndeten  Uniyersit&t  Jena,  welcher 
auch  später  auf  Myconius  die  Orabschrift,  sogar  in  lateinischer  und 
griechischer  Sprache  zugleich,  verfasst  hat.    Nach  den  Rectoren* 


Digitized  by  Google 


—   491  — 


Schipper  und  Menila  der  (irttliaiT  Schule,  die  beide  später  ins  PfaiT- 
anit  ubertraten,  braclite  dann  Pankratius  Süssenbach,  wie  Myconius 
selbst  schreibt,  die  Anstalt  erst  in  die  ^.rechte  Form  and  Ordnung". 

Damit  aber  auch  alles  in  der  richtigen  Ordnung,  „stet  und  fest**, 
bliebe,  durfte  von  den  Kirchen-  und  SchiUgUtern  uline  Zustinuming  des 
Kurfürsten  nichts  veräußert  werden.  Die  vom  Ratho  und  einem  Ge- 
meindemitgliode  gettihrte  Rechnung  wurde  im  Beisein  des  Amtmanns 

und  des  Pfarrers  gelegt  und  ge))riift.  Konnte  bei  vorkommenden  Un- 
fällen (las  Gehalt  nicht  gezahlt  werden,  so  war  dem  Kurfürsten  Mit- 
theilung zu  machen  und,  was  noch  viel  mehr  ist,  von  ihm  auch  Hilfe 
zu  erwarten. 

Trotz  dieser  vorsorglichen  Maßregeln  geschah  doch  die  Anstellung 
der  „Schuldiener  und  Kirchner'*  immer  nur  auf  Kündigung.  Eine 
detinitive  Anstellung  kannte  man  auch  später  noch  nicht.  ,,ln  jedem 
Jahre,"  so  lautete  die  betrettende  Verordnung.  ..wenn  ein  neuer  Rath 
ausgeht,  soll  vom  Pt'arrherrn  und  Ratlie  dariiliri',  ol»  man  die  Schul- 
diener und  Kirchner  bei  ihren  Diensten  länger  behalten  wolle,  gehandelt 
werden." 

Die  treue  Arbeit  des  Myconius  wurde  durch  rasche  und  sichere 
Erfolge  belohnt,  bereits  nach  1^^  Jahren  kann  er  in  seiner  Ketor- 
mationsgeschichte  Seite  öl  sehreilien:  „Die  Schulen  ins  Augustiner- 
kloster ist  fundiert  und  zu  den  Ministeriis  das  Kinkommen  erwoihcji 
und  geordnet.  Und  ist  alles  durch  die  Kuiiursten  und  \'isiiatures 
bestätigt,  mit  Brief  und  Siegel  ratiticirt  und  geordnet  worden.  Es 
hat  unglaublich  Arbeit  gekostet,  aus  dem  alten,  verspureten,  faulen 
Holz  ein  neues  Haus  zu  erbauen. - 

Deshalb  arbeitete  er.  trotz  schwerer  Krankheit,  an  diesem  Lieb- 
lingswerke auch  nach  dem  Jahre  1542  raslios  weiter.  Waren  trüber 
schon  Stipendien  im  Betrage  von  Je  20  Ii.  für  „arme  Bürgersknaben, 
so  nach  Erkenntnis  des  Pfarrherrn  und  Schulmeisters  zum  Studiereu 
geschickt  sind"',  gestiftet,  lerner  zwei  Gehtilze,  zum  Kloster  gehörig, 
dazu  bestimmt  worden,  fÜi*  die  Knaben  in  der  Schule  freies  Brenn- 
material an  liefern,  so  gründete  er  1543  an  zwei  Tafeln  für  arme  und 
wftrdige  Schüler  im  GonTietorinm  des  Klostors  Frdtiscbe.  Diese  Ein- 
richtung erweiterte  sich  bald  zu  einem  Alumnate,  m  welchem  jedoch 
die  Knaben  nicht  ganz  unentgeltlich  gehalten  wurden.  Für  24  würdige 
nnd  bedürftige  aoswftrtige  Schüler,  welche  in  Qotha  die  Anstalt  be- 
suchten, sollten  aus  dem  Amte  Gotha  16  Malter  Korn  und  12  Malter 
QentiB  geliefert  werden,  um  sie,  soweit  es  reiche,  mit  „Brot  nnd 


Digitized  by  Google 


—  492  — 


Bier"  (!)  zu  versorgen.  Die  Aufsacht  über  den  Tisch  hatte  der  Super- 
intendent und  später  der  Rector, 

Jedoch  wie  es  jedem  ertreht .  selV)st  wenn  er  die  reinsten  Ab- 
sichten hegt,  auch  ^ryconius  liatte  seine  (iegner.  Es  waren  einige 
kurfiirstliche  Käthe,  denen  die  ausgesetzten  Lehrergeliälter  zu  hoch 
erscheinen  mochten.  Da  schneb  ln44  Mecum  eine  präclitige  Satire 
auf  sie,  ein  Sendsclireibeu  an  die  kurfürstlichen  Käthe  „von  der  wol- 
riechendeu  köstliclien  Salbe,  damit  Maria  den  Herrn  zu  Bethania 
gesalbt,  wozu  .ludas  der  Verrätlier  scheel  gesehen**.  Was  aber  die 
Hauptsache  wai-,  der  Widerstand  wurde  besiegt  und  in  demselben 
Jahre  sogar  eine  erste  vollständige  Kirchen-  und  Schulordnung  vom 
Kmfflrsten  erlassen,  die  man  nicht  mit  Unrecht  als  die  Grundlage 
des  Qothaer  und  vielleicht  des  ganzen  Thüringer  Kirchen-  and  Schal* 
Wesens  bezeichnen  kann.  Sie  findet  sich  in  Bndolphi's  bekanntem 
Bache  Gotha  Diplomatica,  Thefl  I,  Seite  152  ff.  abgecbrockt. 

Der  wesentliche  Fortschritt  in  der  neaen  Schalordnong  war  Ar 
Gotha  die  Bestimmang,  dass  non  das  ganze  Aognstinerkloster  mit 
Banlichkeiten  and  Hof  ansschliefilich  zu  Schalzwecken  dienen  sollte. 
In  demselben  befanden  sich  nicht  nor  die  Lehrzimmer,  sondern  aaeh 
noch  die  Dienstwohnnngen  des  Bectors,  der  Lehrer,  des  Ökonomen 
und  die  Räume  f&r  das  Alnmnat  Standen  aber  diese  Zimmer  den 
„Gesellen"  nicht  an  oder  waren  sie  für  Verheiratete  vielleicht  za 
beschränkt,  so  mussten  diese  sich  selbst  mit  „Herbergen"  versehen. 
Die  Zahl  der  Lehrer  war  noch  um  einen  vermehrt  worden,  so  dass 
es  außer  dem  Rector  und  Cantor  einen  Ober^  und  Unterlehrer  gab. 
Für  die  Besoldung  ist  charakteristisch,  dass  Natuialobjecte  auftraten. 
Der  Rector  empfing  80  fl.  bar,  demnach  schon  2U  11.  mehr  als  vordem, 
ja,  wenn  „alle  Klosterlehen  heimfallen  würden",  sollten  1<><»  t\.  voll- 
gemacht werden.  Außerdem  erhielt  er  ö  Erfurter  Malter  Korn.  2  Er- 
furter Maltei-  (4«'i-ste.  1  Kil'urtei-  Malter  Hafer  und  15  Schock  Ge])und 
Keisigholz.  l)er  Ober-Baccalaureus  erhielt  50  ti.  bar,  H  Srliock  (i!e- 
bundholz  und  1  Erfurter  Malter  Korn,  der  Baccalaureus  inhinus  noch 
10  fl.  weniger. 

Uber  ^\'ahlmodus  und  Kündigung  wurde  festgesetzt,  dass  den 
Rector  der  regierende  Bürgermeister  mit  drei  „Kathsfreunden",  dann 
der  Schlossprediger,  der  Stadtpfarrer  und  die  drei  Diaconi  zu  wählen 
hätten.  Weltliche  und  geistliche  Stimmen  :»tanden  dabei  also  wie  4 
za  5.  Der  Bewerber  musste  auf  der  knrfärstlichen  Universität  Witten- 
berg stodirt  and  die  Msgisterwflrde  erlangt  haben.  Die  Bestätigung 
ertheilte^  nach  eingeholtem  Berichte  seitens  der  üniversitAt,  der  Kar* 


Digitized  by  Google 


—   403  — 


füret  selbstv  „Würde  mit  dem  Schalmeister  eine  Ändemng  vorza- 
nehmen  sein,  so  solle  ihm  dies,  damit  der  Schuldienst  keine  Störung 
erleidet  «in  ganzes  oder  halbes  Jahr  vorher  angezeigt  werden;  was 
auch  er  zu  beobachten  hat-»  im  Falle  er  auf  seinei-  Stelle  nicht  bleiben 
will."  Die  Lehrer  wurden  vom  Eector,  Superintendenten  und  Bürger- 
meister gewälilt  und  hatten  vierteljährliche  Kündigung,  Als  Auf- 
sicht.sbehürde  über  die  Schule  fun^^'irte  eine  Art  Kuratorium,  zu  welchem 
außer  dem  Bürgermeister  und  SuperiTitendenten  noch  der  Schlosshaupt- 
mann und  der  „Schösser"  gehörten.  Hier  war  also  die  geistliche 
Vertretuns:  in  der  Mindci-zald. 

Alle  diese  Einrichtungen  verdaukte  die  Schule  der  unermüdlichen 
Thätigkeit  des  Mycituius.  der,  als  er  kurz  vor  seinem  Hinscheiden 
einen  Abschiedsbriel  ua  den  ilim  allzeit  gewogenen  Kurfürsten  richtete, 
in  demselben  schreiben  konnte,  er  empfehle  „aufs  alleruntertlianigste 
und  fleißigste"  diesem  besonders  die  Schule.  Sie  sei  „wie  ein  liosen- 
gärtlein  und  Würzgarten  Gottes". 

Diese  feste  Grundlage  trag  in  der  Folge  wesentlich  zur  weiteren 
gedeihlichen  Entwicklung  des  Gothaer  Schulwesens  bei.  Eine  seiner 
Glanzzeiten  war  diejenige  unter  Andreas  Reyher,  als  vornehme  Eltern 
ans  ganz  Norddentsehland  ihre  Söhne  auf  daa  gothaische  Gymnasium 
sandten  und  ein  Angost  Hermann  Francke  aus  demselben  hervorging. 
Noch  immer  waren  es  aber  die  Klosterrftnme  des  Myconius,  welche 
die  Anstalt  umschlossen ,  im  Lanfe  des  Jahrhunderts  freilieh  so  ban- 
fiUlig  geworden,  dass  Beyher  hftoflg  genng  Klage  dartlber  führte. 
Daher  war  es  hauptsächlich  der  Geist»  welcher  in  diesen  Bäumen 
weiter  wirkte  und  den  schon  der  Praeceptor  Geimaniae  belobt  hatte, 
als  er  dem  SchCpfer  dee  Werkes,  Myconius,  auch  namens  der  Witten- 
berger Universität  amtlich  für  dessen  großen  Eifer  dankte.  Universi- 
täten und  gelehrte  Schulen  erfreuten  sich  aber  damals  des  besonderen 
Wolwollens  der  evangelischen  Ffiraten  nicht  ohne  tieferen  Grund. 
Sie  waren  die  geistigen  Rüstkammern,  aus  [denen  jene  sich  ihre  nie 
rostenden  Waöen,  und  die  Kasernen,  aus  denen  sie  sich  ihre  allzeit 
gewappneten  Streiter  holten.  ^  Luther  mit  seinem  scharfen  Blicke  er- 
kannte dies  vorzugsweise.  „Lasset  uns  das  gesagt  sein"*,  Uußerte  er 
sich,  „dass  wir  das  P^vangelium  nicht  wol  werden  erlialten  kfuinen 
ohne  die  Sprachen.  Die  Sprachen  sind  die  Scheiden,  darinnen  dies 
Messer  des  Geistes  stecket.  Sie  sind  der  Schrein,  dai  inneii  man  dies 
Kleinod  traget.  Sie  sind  das  Getaß,  darinnen  man  diesen  Trank  fasset, 
Sie  sind  die  Kauinier,  darinnen  diese  Speise  lieget." 

Jetluch  ein  Luther,  ein  Myconius  und  überhaupt  die  Geisteshelden 

riid:tgo;^iiiia.    I  I.  Jabrg.    Oeft  VIII.  36 


Digitized  by  Google 


—   494  — 


der  damaligen  Zeit  sahen  doch  noch  weiter.  Nicht  nur  auf  die 
gelehrten  Kreise  sollte  die  ßildunj?  l)e.<cliränkt  bleiben,  sie  sollte,  wie 
wir  aus  des  Thüringer  Reformators  Wirken  nicht  minder  ersehen 
haben,  in  alle  Schichten  des  Volkes  dringen.  Und  auch  in  dieser 
Beziehung  hatte  Myconius  die  schönsten  Erfolge  zu  verzeichnen.  In 
seiner  Keformationsgeschichte  konnte  schon  1542  dieser  Freond  seiner 
größten  Zeitgenonen  sagen,  dafls  in  Thüringen  nun  jede  Stadt  ihre 
ordentliche  Sehnte  habe,  ein  ftr  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahr* 
hunderte  sehr  beachtenswertes  Ergebnis. 


Digitized  by  Google 


Die  Reform  und  die  Stellung  unserer  Schulen 


Bin  B«fent  von  JMmtM  NengthvMiiiirKroniMtt  tu  SidmMlirgtn. 

nter  diesem  Titel  hat  Friedrich  P^duard  Beneke  als  Professor 
an  der  Universität  in  Berlin  im  st lu  m bewegten  Jahre  1848  im  Verlag 
von  E.  S.  Mittler  &,  Sohn  ein  philosophisches  Votum  herausgegeben, 
welches  aucli  heute  noch  bei  den  so  vielfach  amstrittenen  ätreitfrageu 
über  die  Schule  Beachtung  verdient.*) 

Es  war  ihm  dabei  darum  zu  thun,  „einige  Punkte,  welche  mau 
jedenfalls  als  Leuchtpunkte  im  Gesicht  behalten  muss,  wenn  man  sich 
nicht  gefährlich  verirren  will,  und  die  man  gleichwol  ueuerlicli  aus 
den  Augen  verloren  hat,  als  solche  vermöge  einer  tieferen  vrissen- 
schaftlichen  Nachweisung  entschieden  festzusteUen". 

Auf  diese  „Lenchtpunkte"  hinzuweisen,  ist  die  Anijptbe  der 
folgenden  AnssOge  ans  dem  oben  genannten  76  Seiten  nmftssenden 
Schnftchen. 

1)  Die  Geistesentwicklnngen  und  Talente,  welche  snm  Einreißen 
drftngen  und  beflUiigen,  sind  ihrer  ganaen  inneren  Organisation  nach 
so  verschieden  von  den  aum  Aufbau  erforderlichen,  dass  es  beinah  an 
Unmöglichkeit  grenzt,  dass  sidi  beide  in  demselben  Individuum,  und 
dass  sie  sich  bei  einem  Volke  zu  derselben  Zeit  zusammenflnden 
sollten. 

2)  Alle  Einrichtangen  und  Formen  sind  ohne  Verläse,  wenn  nicht 
beseelend  und  maßgebend  der  rechte  Qeist  zu  denselben  hinzukommt 
Dies  gilt,  wie  von  den  politischen,  so  auch  von  den  socialen  Keformen. 
Es  ist  sehr  erfreulich  und  lobenswert,  dass  man  das  Los  der  körper- 
lich arbeitendeu  Classen  in  der  neueren  Zeit  zum  Gegenstande  einer 


*)  Gewifls,  stelleaweiM  jedoch  cum  giano  salis,  O. 

Digitized  by  Google 


—  496  — 


nur  zu  lange  aufgeschobenen  Aufmerksamkeit  gemacht  und  mit  wanner 
Menschenliebe  zu  verbessern  sich  bemüht  hat.  Aber  verdoppelt  ihnen 
ihren  Lohn  und  schafft  ihnen  noch  mehr  Muße,  als  sie  schon  gegen- 
wärt ijr  liaben:  wenn  ihr  ihnen  nicht  Gele<?eiiheit,  Aufforderung  und 
vor  allem  Trieb  zu  geben  im  Stande  seid,  die  in  dieser  Weise  ge- 
wonnenen Mittel  für  ihre  individuelle,  gemiithliche,  moralische  Bildung 
anzuwenden,  wenn  sie  ihren  Erwerb  (wie  hiervon  nur  zu  viele  Er- 
fahrungen vorliegen)  im  Dienste  des  Lasters  vergeuden:  so  habt  ilu- 
dadurch  nicht  einmal  ihr  äußeres  Wolergehen  und  Wolbefinden 
grefördert.  Alle  Bemühungen  dieser  Art  also  gewönnen  erst  die 
rechte  Si(;lierlieit  des  Erfolges  und  die  rechte  Weihe,  wenn  dazu  noch 
andere  hinzukommen:  die  auf  die  Hebung  der  Volksbildung  ge- 
richteten. 

3)  Einigen  Berufsgattungen  ist  die  Anffassung,  die  Benrtheilimg 
die  Behandlung  der  Seelen  weit,  andern  die  Anfifassong,  die  Be- 
nrtlieflnng,  die  Bebuidlung  der  materiellen  Welt  als  Aufgabe 
gestellt 

Der  Geistliche^  als  Eanselredner,  als  Katechet  als  Seelsorger,  der 
Bichter  nnd  der  Sachwalter,  indem  sie,  dem  vom  Bechte  Abgewiehenen 
gegenüber,  die  reehtlich  normale  Gfestaltnng  der  Lebensyerhiltnisse 
rqirftsentiren  nnd  znr  WirUichfceit  bringen,  der  Gesetzgeber  nnd  der 
irgendwie  sonst  an  der  Begiening  Betheiligte,  dieLehrer  aller  dessen  etc. 
haben  es  ndt  der  Seelenwelt  za  thnn;  der  Landwirt,  der  Fabrikant 
nnd  die  mit  diesen  in  gleicher  Linie  Stdienden,  mögen  sie  immerhin 
die  nm&ssendsten  nnd  höchsten  Naturgesetze  fftr  die  Begelung  nnd 
Vervollkommnnng  ihrer  Bemfisthätigkeit  zur  Anwendung  bringen, 
haben  die  materielle  Welt  zum  Gegenstand  wie  ihrer  löblichen,  so 
andi  ihrar  geistigen  Wirksamkeit.  Und  wol  zn  merken:  nicht  nnr 
dass  diese  beiden  Welten  den  Vorstellungen  nach  dui-chans  von- 
einander verschieden  sind,  so  dass,  mit  Ausnahme  weniger,  auf  sehr 
großer  Höhe  der  Abstraction  liegender,  keine  einzige  Vor- 
stellung beiden  gemeinsam  ist:  sie  liegen  ebenso  auch  den  Geistes- 
kräften, den  Talenten  nach  außer  einander,  so  dass  (wir  müssen 
dies  mit  der  größten  Eiitsoliiedenlieit  und  Schärfe  aussprechen)  keine 
einzige  Geisteskraft,  kein  einziges  Talent,  welche  für  die 
AuffassuHir.  die  Beurtheilung,  die  Behandlung  der  einen 
Welt  geeignet  sind,  zugleich  auch  für  die  der  andern  be- 
fähigen. 

4)  Gesetzt,  wir  haben  einem  Schüler  Tausende  von  Natur- 
producten  gezeigt,  haben  ihn  in  der  Auffassung  derselben  geübt, 


Digitized  by  Google 


—  497 


haben  diese  Auffassungen  im  Verhältnis  der  Glei('iiartigkeit  zusammen- 
gebracht und  durch  deren  Verschmelzungen  Begrift'e,  sowie  durch  die 
Hinzunalime  dieser  ReorrUfe  zu  neuen  Auffassungen  Urtheile  und 
Schlüsse  bilden  lassen;  wir  haben  ihn  ferner  aufmerksam  gemacht  auf 
die  ursächlichen  Beziehungen  zwischen  den  Naturerfolgen,  und  nach- 
dem auch  diese  zur  Auffassung  gebracht  worden  sind,  damit  Be- 
gehrungen  in  Verbindung  gesetzt,  durch  deren  Hinzutreten  die 
€ausali-eihen  in  Zweck-  und  Mittelreihen,  und  wo  mehrere  zar  Aus- 
wahl vorlagen,  in  Überlegungen  umgewandelt  wwden  Rind,  ün- 
,  streitig  sind  dnrdi  dieee  GomUnatioiieii  aieht  Mob  Acte,  «mdem  aaeh 
Kräfte  Ton  diesen  höheren  Bildungsformoi  gewonnen  worden.  Aber 
man  frage  sich  nun:  wird  wol,  Termöge  der  hierdmch  gewonneaen 
Anf&ssong»-,  Verstandes-,  ürtheils-,  ÜberlegangsyermOgen  der  so  ge- 
bildete Junge  Mensch  anch  Gernttthsheweguigen,  Entschlflsse,  Charaktere, 
Lebensverhältnisse  Tollkommener  aoftoflunen,  an  begreifen,  zu  be- 
nrtbeilen,  in  Überlegung  an  nehmen  im  Stande  sein?  Mag  ich  mir 
noch  so  aahlreiche  and  vollkommene  Begriffe  nnd  Begriifökittfte  von 
Pflanzen,  von  Mineralien,  von  physikalischen  oder  chemischen  Processen 
erworben  haben:  ich  werde  hierdnrch  nicht  im  mindesten  befilhigt, 
einen  menschlichen  Charakter  besser  zu  verstehen,  als  derjenige,  wel- 
cher diese  Begriffe  und  Begriffskräfte  nicht  erworben  hat.  —  Die 
Bildung  aller  Geisteskräfte  reicht  jedesmal  nnr  so  weit, 
«Is  der  Bewnsstseinsinhalt  desjenigen  reicht,  an  welchem  sie 
erworben  worden  sind,  als  dieser  in  dem  nun  als  Aufgabe  Gestellten 
entweder  der  gleiche,  oder  doch  so  weit  ein  ähnlicher  ist,  dass 
das  Frühere  theihveise  in  die  neuen  Acte  als  Grundlage  (oder  Kraft) 
eingehen  kann.  —  Durch  die  Naturwissenschaften  können 
keineswegs  die  Kräfte  gebildet  werden,  welcher  derjenige 
bedarf,  dessen  künftiger  Beruf  auf  der  Seite  der  Seelen- 
welt liegt. 

5)  Es  muss  Unterrichtsanstalten  geben,  welche  für  die  Wirksam- 
keit auf  die  materielle  Welt  befähigen  und  dies  dadurch  en*eichen, 
dass  sie  die  Naturwissenschaften  (und  die  Mathematik  in  der 
Richtung  zu  diesen  hin)  zur  Hauptgrundlage  des  Unterrichtes  machen. 
Diese  Unterrichtsaustaltcn  müssen  durchaus  selbstständig  hin- 
gestellt werden.  Aber  diesen  ünterrichtsanstalten  gegenüber  muss  es 
dann  andere  geben,  welche  fttr  die  Wirksamkeit  auf  die  Seelenwelt 
befthigen;  und  fOr  diese  ünterrichtaanstalten  kOnnen  jene  ebenso 
wenig  als  Äquivalente  eintreten. 

6)  Die  Sprache  ist  dnrch  nnd  dorch  Reflex  von  Seelen- 


Digitized  by  Google 


—   498  — 


prodncten.  Jedes  Wort  bezeichnet  einen  Begriff  (eine  Zusanimen- 
fassung  von  mehrerem  Besondern,  auf  welches  er  zugleich  anwendbar 
istj  ebenso  jede  Form;  und  dieser  letzteren  liegen  außerdem  noch, 
in  reicher  Muudgftiltigkeit,  Combinatloneii  oder  Besleliiingeii 
anderer  Art  zom  Gnmde.  So  von  dem  am  meisten  Elementarischen 
bis  zu  den  höchsten  dichterischen,  geschichtlichen,  philosophischen  etc, 
Werken;  und  wie  in  Betreff  der  Oeistesprodncte  des  einsetaken 
Menschen,  so  in  Betreff  ganzer  Völker  und  Zeiten.  Indem  w  nun 
die  SprachdarsteUiingen  anibehmen,  nehmen  wir  mehr  oder  weniger 
amdi  die  Seelenprodaete  auf,  welche  diesen  änSeren  Reflexen  als 
ihr  Inneres  zom  Gnmde  liegen;  und  Tennöge  der  inneren  Fortezistenz 
der  in  dieser  Weise  angeeigneten  Gombinationen  werden  zugleich 
unsere  Anffassungskr&fte,  Verstandeskräfte  etc  in  dieser 
Bichtang  fortgebildet. 

7)  Die  Geeammtheit  der  Seelenproducte  macht  die  Seelenwelt 
ans,  und  je  ausgedehnter  und  mannigfaltiger  wir,  vermöge  der  Sprach- 
darsteUungen,  die  ihnen  zum  Grunde  liegenden  Seelenproducte  zur 
Aneignung  und  Verarbeitung  bringen ,  um  desto  ausgedehnter  und 
mannigfaltiger  erzeugen  wir  in  dem  Schüler  die  Talente,  welche  für 
die  Auffassung  und  Behandlung  der  Seelen  weit  erfordert  werden.  Für 
denjenigen  also,  der  sich  dies  anscliaulich  freniacht  liat  und  Avelchem 
dabei  der  unendliche  Reichthum  der  Seelenwelt  und  der  inneren  Or- 
ganisation ihrer  Bestandtheile  klar  vor  Augen  liegt,  kann  es  kaum 
etwas  Lächerlicheres  und  AVidersinnigeres  geben,  als  den  bekannten 
Spracligebrauch ,  welcher,  den  Naturwissenschaften  gegenüber,  als 
UnterrichtsgegenstÄnden,  die  es  mit  „Kealien"  oder  „Sachen"  zu  thun 
hätten,  den  Sprachunterricht  als  auf  „bloße  Namen  und  Formen" 
gehend  bezeichnet.  Von  „Namen"  und  von  „Woitformen "  kann  da, 
■wo  der  Sprachunterricht  in  öifentlichen  Lehranstalten  seiner  wahren 
Bestimmung  gem&ft  ertheilt  wird,  nicht  im  entlerutesten  die  Bede 
sein  (?  D.) 

Um  „FormeD**  handelt  es  sich  allerdings,  aber  um  Seelenformen» 
ganz  in  derselben  Welse  wie  es  sich  ja  auch  in  den  gewöhnlich  se- 
genannten  Natorwissenschaften  durch  und  durch  um  Formen  (Bil- 
dungsformen)  des  Materiellen  handelt  Wie  nun  diese  letzteren 
Formen  zugleich  die  zu  erlernenden  Sachen  sind,  und  welche  da- 
durch, dass  sie  eriemt  worden,  zugleich  zur  Behandhing  dieser  Sachen 
in  den  Stand  setzen,  ebenso  auch  auf  der  Seite  des  Sprachuntenichts. 
Die  Formen,  mit  welcher  dieser  zu  thun  hat,  sfaid  Seelensachen,  und 
diese  sind  vollkommen  ebenso  viel,  wie  die  Sachen,  aus  welchen 


Digitized  by  Google 


—   499  — 


die  materielle  Welt  besteht,  dabei  wertvoller  und  (was  uns  hier 
vorzüglich  angeht)  die  rechten  Sachen,  an  denen  allein  die  Geistes- 
kräfte derjenigen,  welche  sa  Seelsorgern,  zn  Richtern,  zn  Staats- 
miauieni  ete.  besünuiit  sind,  die  flmeB  angemesBene  methodiscbe  Übung 
ukd  St&rknng  erhalten  kOnnen. 

8)  Nicht  nnr  mfissen  wir  yerlangen,  dass  es  fortwährend  Untei^ 
richtaanstalten  gehe,  in  welchen  die  AnshUdnng  ftr  die  Behandlung 
der  Seelenwelt  als  die  üherwiegende  ins  Ange  gefosst  werde,  sondern 
auch  dass  die  in  dieser  Bichtang  sn  bildenden  Schaler  schon  früh 
von  den  flbrigen  gesondert  werden  (?  D.),  damit  wir  den  be- 
aeichneten  Bfldnngssweck  mit  voller  Entschiedenheit  und  in 
stetiger  Spannnng  zn  verfolgen  im  Stande  seien. 

9)  Man  hat  nnter  den  vielen  Emancipationen  anch  schon  mehrfach 
die  Emancipation  vom  Sprachunterricht,  und  namentlich  von  den  alten 
Sprachen  verkttndigt:  indem  durch  die  fortschreitende  Cultur,  welcher 
jener  Umschwung  gewissermaßen  das  Siegel  aufgedrückt,  dem  Menschen 
die  wirkliche  Welt  so  entschieden  näher  gerückt  sei,  dass  dahinter 
die  Beschäftigung  mit  den  Sprachen  zurücktreten  müsse.  Aber  wir 
müssen  entschieden  das  Gegentlieil  behaupten.  Mögen  die  Aufgaben 
der  materiellen  Welt  gegenüber  (denn  diese  meinen  doch  die  Ver- 
fechter jener  Ansiclit,  indem  sie  überhaupt  von  der  „wirklichen  Welt*' 
reden)  in  der  neuern  Zeit  noch  so  sehr  gesteigert  sein:  die  der  Seelen- 
welt gegenüber  vorliegenden  Aufgaben  sind  jedenfalls,  und  namentlich 
infolge  des  neuerlichen  politischen  Umschwungs,  nocli  ungleich  mehr 
gesteigert.  Konnte  man  als  Seelsorger,  als  Lehrer,  als  Richter  etc. 
bisher,  wo  es  sich  gewissermaßen  nur  um  eine  gleiclnnäßige 
Wiederholung  der  Vergangenheit  handelte,  unter  gewöhnlichen  Ver- 
hältnissen allenfalls  mit  bloßen  instinctartigen  Aufl'ai«sungen  und  An- 
wendungen auskommen:  so  ist  den  ohne  allen  Vergleich  sichwierigeren 
Aufgaben  der  Gegenwart  nnd  Zukunft  gegenüber  auch  eine  ungleich 
ansgedehatere,  klarere  nnd  bestimmtere  Auffassung  und  Anwendung 
eiforderlich.  Eine  methodische  Yerinnerlichung  nnd  Ver- 
geistig ung  des  Sprachunterrichtes  also,  sowie  der  übrigen,  gleich 
ihm  anf  die  Seelenwelt  sich  beziehenden,  d.  h.  des  Unterrichts  in  der 
Moral  und  Religion,  nnd  des  ünterrichts  in  der  Geschichte  von 
seUier  inneren  Sdte,  in  lebendig  gegliederter  AbstoAing  so  eingerichtet, 
dass  die  Besehiflignng  mit  den  Sachen  zn^^eich  die  vollkommenste 
Bildung  der  Kräfte  oder  Talente  ergibt,  ist  in  der  gegenwärtigen 
Zeit  recht  eigentlich  das  Eine,  was  noth  that 

10)  In  den  fHkhesten  Zeiten  nahm  die  materielle  Welt,  theUs 


Digitized  by  Google 


—   500  — 


in  feindlichem  Andrängen,  tlieÜB  von  Seiten  der  anf  sie  gerichteten 
Bedfirfiiisse,  fortwährend  ttbermftchtig  den  Menschen  in  Anspruch. 
Bamais  also  mnssten  ihr  gegenüber  alle  Menschen  Streiter  nnd 
Arbeiter  sein,  nnd  dagegen  war  die  Wirksamkeit  anf  die  Seelenwelt 
Sache  sehr  weniger.  Diese  letastere  reichte  kanm  Aber  die  Priester 
nnd  die  Philosophen  hinaus,  so  dass  sich  auch  die  fifldong  daflir  anf 
die  engen  Grenzen  der  Priester-  und  der  Philosophenschnlen  beschrSn- 
ken  konnte  nnd  mnsste.  Wie  nnn  in  der  gegenwärtigen  Zeit?  — 
Unstreitig  hat  sich  das  Verhältnis  umgekehrt  Infolge  der  ungleich 
günstigeren  Stellung,  welche  der  Mensch  der  äußeren  Natar  gegen- 
über gewonnen,  nnd  der  hierdurch  möglich  und  angemessen  gewor- 
denen vielfachen  Theilung  der  Arbeit,  kann  jetzt  eine  nicht  unbedeu- 
tende Anzahl  yon  Menschen,  im  Interesse  der  höheren  Geistesbildung, 
von  der  ge^en  und  auf  die  materielle  Welt  gerichteten  Thätigkeit 
gänzlich  entbunden  werden.  Dem  ßfeja^enüber  hat  sich  in  Betreff  der 
Seelenwelt  immer  mehr  und  mehr  die  Forderung  herausgestellt,  dass 
von  jedem  eine  gewisse  geistige  Selbstständigkeit  er- 
worben werde:  entschieden  in  Betreff  des  Moralischen  und  Keli- 
giösen,  damit  er  sich  in  Hinsicht  dieser  höchsten  und  heiligten  In- 
teressen eine  eigene  (  berzeugung  zu  bilden  im  Stande  sei,  aber 
auch  in  Betreff  des  Intellectuellen.  Auch  für  die  niedrigsten  Volks- 
schulen also  müssen  wir  verlangen,  dass  der  Unterricht  in  der  Sprache 
und  in  der  Religion  nicht  blos  für  ein  äußerlich  kümmerliches  An- 
lerueu,  sondern  gei  st  bildend  ertheilt  werde,  d.  h.  Kräfte  bildend  für 
die  Auffassung,  das  Autl)ehaltcn,  das  Verständnis,  die  Beurtheilung 
des  Geistigen.  Und  so  ist  denn  gegenwärtig  die  Aufgabe  der  Be- 
fähigung für  die  Seelenwelt  keineswegs  auf  einzelne  Gattungen  von 
Schulen  beschränkt,  sondern  eine  ganz  allgemeine. 

11.  Macht  Ml  die  Bildung  iOr  die  Seelenwelt  Ar  alle  Kinder 
nnd  also  auch  für  alle  Schulen  unabweisbar  geltend,  so  veisteht 
sich  auf  der  andern  Seite  von  selbst,  dass  auch  deigeiiigen,  welche 
vorsugsweise  für  die  Wirksamkeit  anf  die- geistige  Welt  bestimmt  sind, 
dessenungeachtet  die  materielle  Welt  nicht  ftemd  bleiben  darf:  dass 
yiehnehr  schon  während  der  Sdiulzeit  auch  in  ihnen  die  Kräfte  fttr 
deren  Auffassung  und  Beurtheilung  anssubilden  und  überdies  die 
Fähigkeit  und  die  Neigung  zu  entwickehi  sind,  die  Ausbildung  dieser 
Kräfte  später  setbstttiätig  zu  erweitem  und  zu  vervollkommnen. 

12.  Durch  das  Hereinziehen  der  alten  Sprachen  und  der  alten 
Geistesbildung  überhaupt  in  den  Gymnasialunterricht  wird  der  üattj^ 
Sache  nach  zweierlei  bezweckt:  dass  der  Blick  des  jungen  Mannes 


Digitized  by  Google 


—  ÖOl  — 


erweitert  werde  zur  Universalität  des  Musterhaften  welches  das 
menschliche  Gesclilerhr  in  allen  Richtungen  des  geistigen  Schattens 
hervorzubringen  im  Stande  gewesen  ist,  und  dass  ihm,  weil  er  selbst 
für  ein  Schatten  dieser  Art  berufen  ist,  die  tiefsten  Grundgesetze 
und  Grundformen  der  seelischen  Naturentwicklung  aufgedeckt 
werden.  Denn  auch  hier  gehorcht  die  Natur  dem  Menschen  nur, 
wenn  er  zuvor  auf  die  Natur  gehorcht,  dieser  ihre  Bilduugsgesetze 
abgehorcht  hat.  Beide  Zwecke  können  natürlich  während  des  ganzen 
Jngendnnterrichtes  nur  in  beschränktem  Maße  erreicht  werden;  aber 
die  yoUkommenere  Erreichnng  derselben  Irt  so  fM  als  mOgUeh  Tor- 
znbereiten:  tiiells  ▼<m  Seiten  der  intellectnellea  Befthigung  dam  nnd 
theils  indem  wir  lebendige  Triebe  zu  späterer  selbstständiger  Foit- 
fthrung  dieser  Bfldaog  begründen.  Dies  sind  die  Hanptanfgaben  Ittr 
das  Gymnasium,  nnd  sie  sind  im  ailgemeinen  nicht  sn  IQsen,  ohne 
die  Griechen  nnd  BOmer.  Der  Charakter  des  Mnsterhaften  in 
diesen  ist  so  allgemein  anerkannt,  dass  diese  Anerkenntnis  selbst  in 
den  allgemeinen  Sprachgebrauch  übergegangen  ist,  welcher  ihre 
Werke  als  die  „Glassiker*'  im  engeren  Sinne  dieses  Wortes  bezeich- 
net. Aber  in  Betreff  der  zweiten  bezeichneten  Aufgabe  hat  man  die 
Nothwendigkeit,  zu  den  Alten  znrttckzugehen,  in  Zweifel  gestellt; 
diesOT  Aufgabe  durch  die  neueren  Sprachen  ebensowol  genügen  zu 
können  geglaubt.  Man  hat  sich  in  dieser  Hinsicht  namentlich  darauf 
berufen,  dass  ja  doch  die  Alten  selbst  keine  alten  Sprachen 
gehabt  hätten.  Hierauf  ist  nun  zu  erwidern,  dass  sie  dessen  eben 
deshalb  nicht  bedurften,  weil  sie  ihre  Sprachen,  ihre  Bildung  hatten, 
welche  infolge  ihres  naiveren  (nativereni,  eleineutarisch-durohsichtigen 
Charakters  ein  weiteres  Zurückgehen  zu  einem  mehr  Elementarischen 
unnöthig  machten,  so  dass  ihnen  also  die  Auffassungen  und  die  Kräfte, 
auf  welche  es  für  die  bezeichnete  Lebensaufgabe  ankommt,  ohne 
weitere  Vermittelung  zuwuchsen.  Die  ihnen  in  dieser  Weise  zu- 
wachs(;nden  Anschauungen  und  Kräfte  reichten  aus  tür  die  ungleich 
einfacheren  religiösen,  juridischen,  didaktischen,  politischen  Verhältnisse, 
welche  ihnen  zur  \\'ürdigung  und  Behandlung  vorlagen.  Unsere  zu- 
sammengesetzteren und  verwickeiteren  Verhältnisse  dagegen  fordern 
eine  mehr  vermittelte,  in  längerer  Keilieufolge  fortgeführte  Vorbildung; 
und  dem  parallel,  ist  alles,  was  hierf  ür  die  modernen  Sprachen,  nnd 
die  moderne  Bildung  überhaupt,  als  Hilfsmittel  darbieten,  Ton  einem 
zn  weit  Torliegenden,  zusammengesetzten,  Torwickelten, 
nnd  dabei  Yon  einem  zu  reflectirten  Charakter,  als  dass  sich  die 
Sehfller  unmittelbar  lebendig  und  yollstfindig  hineinznilnden  im  Stande 


Digitized  by  Google 


—   602  — 


wären.  Wir  müssen  also  für  die  Jugend  jene  elementarisch -durch- 
sichtigere BiUluDg  voranschicken,  ganz  in  Einstimmung  damit,  dass 
sie  die  classische  Jugendbildung  der  Menschheit  gewesen  ist; 
die  Bildung,  durch  welche  hindurch  allein  die  Menschheit  im  Stande 
war,  sich  zu  der  männlich-reiferen  Bildung  m  erheben,  deren  wir 
uns  gegenwirtig  sa  «rfrenea  haben. 

13)  Nicht  auf  das  Äußere  der  Sprache  oder  der  Literator  kommt 
es  an,  sondern  auf  deren  geistige  Grundlage,  oder  bestimmter,  auf 
die  Anschauungen,  BegriiFe,  Urtheile,  Schlüsse  und  sonstigen  Com- 
binationeD,  welche  diese  von  dem  Seelischen  darbieten,  und  auf  die 
hierdurch  zu  erwerbenden  Talente.  Die  moderne  Bildung  ist  weit 
umfassender,  reicher,  tiefer  durchgebildet,  in  Betreff  der  Seelen- 
welt in  noch  höherem  MaBe  als  in  Betreff  der  materiellen  Welt, 
auf  weiche  letztere  zuweQen  die  m  warmen  Verehrer  des  Alterthums 
den  Vorzug  der  neueren  Bildung  haben  beschränken  wollen.  Aber 
gerade  weil  die  moderne  Bildung  ungleich  umfassender,  reicher,  tiefer 
durchgebildet  ist,  dürfen  wir  für  diejenigen,  welche,  um  zur  Be- 
herrschung der  Seelenwelt  befähigt  zu  werden,  dieselbe  gr&ndlicber 
erfassen  sollen,  nicht  mit  ihr  den  An&ng  machen,  sondern  mttssen  die 
Beschäftigung  mit  jener  enger  begrenzten,  weniger  reichen, 
weniger  tief  durchgearbeiteten  Bildung  vorangehen  lassen. 

14)  Die  größte  Beschränkung  des  seelischen  Gesichtskreises 
haben  wir  bei  der  Volksschule.  Die  Lebensaufgabe  der  in  ihr  Zu- 
bildenden geht  ja  zunächst  und  der  Hauptsache  nach  auf  die  Behand- 
lung der  körperlichen  Welt  durch  das  in  ihnen  Körperliche. 
Daneben  sollen  auch  sie  allerdings  zur  Auffassung,  Würdigung  und 
Behandlung  der  Seelenwelt  befähigt  werden.  Aber  was  wir  ihnen  in 
dieser  Beziehung  als  Aufgabe  stellen  können  und  müssen,  bleibt  doch 
jedenfalls  innerhalb  des  eigenen  Volkes  beschränkt.  Auch  in  dieser 
letzteren  Beziehung  fordert  ihre  Bildung  weder  alte  Sprachen,  noch 
neuere  fremde ,  sondern  sie  hat  sich  auf  die  geistigen  Grundlagen  der 
Muttersprache,  der  vaterländischen  Geschichte,  der  (um  es  so 
zu  bezeichnen)  angeerbten  moralischen  und  religiösen  Gemeinschaft 
zu  beschränken. 

15)  Die  Beruftgattungen,  auf  welche  die  höhere  Bürgerschule 
vorbereiten  soll,  gehoiebenfiidls  auf  die  Behandlung  derftufieren  Natur, 
aber  auf  ihre  Behandlung,  nicht,  wie  bei  den  in  der  Volksschule  Zu- 
bildenden, durch  das  in  dem  Menschen  EOiperliehe,  üi  Verbindung  mit 
den  einfacheren  Überlegungen,  wie  sie  sich  dieser  Thfttigkeit  mehr 
oder  weniger  von  selbst  anschliefien,  sondern  durch  das  in  dem 


Digitized  by  Google 


—   503  — 


Menschen  Geistige,  oder  auf  der  Grandlagc  einer  tieferen  Erfassung 
und  Anwendung  der  Entwickliiiigsgresetze  dieser  Natur.  Sollen  die 
diesen  Berufsgattungen  Bestimmten  hierfür  wahrhaft  betähifjt  werden, 
so  müssen  sie,  der  materiellen  \Velt  gegenüber,  auf  einen  bedeutenden 
geistigen  Höhepunkt  gestellt  werden,  und  zugleich  ist  es,  sowol  im 
Interesse  der  Vorbereitung  zu  diesem  Berufe  als  im  Interesse  der 
späteren  Anwendung,  höchst  wünschenswert,  ja  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  nothwendig,  dass  sie  über  die  Grenzen  des  einzelnen 
Volkes  liinausgerückt,  dass  sie  in  die  Gemeinschaft  und  den  Ver- 
kehr mit  den  übrigen  neueren  Völkern  eingeführt  werden,  welche 
sich  in  der  Erforschung  und  Beherrschung  der  äußeren  Natur  besonders 
hervorgethan  haben.  Sie  müssen  deren  Bildung,  zunächst  inwiefern 
sie  ihren  Beraf  angeht,  sieh  m  eigoi  m  maehen  in  den  Stand  ge- 
setst  werden;  dann  aber  auch,  hierllber  hinaus,  wie  weit  es  erfordert 
wird,  nm  fBr  ihre  ganze  Bildimg  den  Um&ng  und  die  Einheit  su  ge- 
winnen, welehe  dieselbe  allein  za  einer  wolorganisirten  machen  nnd 
für  ihren  Bestand  Gewfthr  leisten  kann. 

16)  Die  Sdinle  and  die  Kirche  znsammengenommen  nmfassen  das 
gesannnte  geistige  Fortschreiten  des  menschlichen  Geschlechts  (auch 
für  den  Staat  ist  das  seinige  znletzt  durch  das  Hinfiberwirken  von 
ihnen  her  bedingt);  nnd  das,  bald  mehr  in  dnnkler.Ahnnng,  bald  mehr 
klar-bestimmt  ausgebildete  Bewusstsein  hiervon  ist  es,  was  sie  znVer- 
bfindeten  von  jeher  gemacht  hat  nnd,  solange  das  menschlidie  Oe- 
schlecht  geistig  fortschreitet,  auch  fernerhin  machen  wird. 

17)  Man  [soll  nicht  zu  viel  Gesetze  geben,  nicht  zu  viel  re- 
gieren, nicht  zu  viel  Aufsicht  üben  wollen.  Wo  das  Kecbte  ohne 
dies  geschieht,  ans  freiem,  lebendigem  Triebe  heraas,  da  ist  es  jeden- 
falls besser. 

18)  Eins  der  heiligsten  Rechte  ist  dasjenige,  welches  der  Einzelne, 
und  ebenso  die  Stadt,  die  Landschaft  etc.  auf  ihre  Individualität 
haben,  wie  weit  sich  dieselbe  innerlialb  des  Rechten  ausgebildet  hat. 
Die  wahre  Freiheit  ist  Unabhängigkeit,  nicht  ein  ungehöriges 
Beherrschen  anderer,  indem  man  die  Minorität  einer  oft  zufällig 
oder  auch  hinterlistig  gebildeten  Majorität  unterwirft.  Wird,  durch 
Zwang  oder  durch  zufällige  Fluctuationen  der  Stimmung,  unter  solchen 
Umständen  wirklicli  eine  Einrichtung  allgemein  festgestellt,  so  findet 
man  sich  unwol  in  dem  Kleide,  welches  nicht  passt:  vielleicht  alle 
zugleich;^  und  dann  wird  so  lange  hin  und  her  gezogen  und  gezerrt, 
bis  das  Kleid  zerrissen  ist. 

Bie  Yerhfiltnisse  gegen  Ende  unseres  Jahrhunderts  scheinen  denen 


Digitized  by  Google 


—  504 


gegen  die  Mitte  desselben  immer  ähnlicher  zu  werden.  Das  Drängen 
und  Treiben  auf  dem  socialen  Gebiet  im  allgemeinen  und  auf  dem 
Oebiet  des  Schulwesens  im  besondern  wird  immer  gewaltiger  und  be- 
ängstigender. Da  thut  es  denn  doppelt  noth,  sich  nach  Leitsternen 
umzusehen,  damit  man  nicht  ganz  abii-re  vom  rechten  Wege.  Ein 
solcher  Leitstern  ist  das  philosophische  Votum  Beneke's.  Wenn  auch 
nur  einige  der  Männer,  welche  bei  der  Reform  unserer  Schulen  mit- 
zimtbfin  and  mitmthaten  berufen  sind,  durch  die  mitgetheilten  Ans- 
zttge  aof  dieses  Votiini  anfinerksam  gemacht,  deh  dadnreh  za  ent- 
aprechendem  Thm  bewogen  fühlen,  so  ist  die  geringe  Mflhe  der  Ter^ 
^ifentUchimg  dieser  „Leachtpunicte''  reichlich  belohnt. 


Digitized  by  Google 


Gedaikeii  filier  das  nnreraeidlielie  Thema:  „l^r  SeeialiSBo» 

und  die  Yolkssebiile^ 


an  bat  sich  allmählich  gewöhnt;  dem  geduldigen  Aschenbrödel 


„Volksschule''  alles  in  die  Schuhe  zu  schieben,  alles  anfzubUrdeo. 
Blicht  irgendwo  die  meoschUebe  Bestie  in  ihrar  Sehreekensgestalt  her- 
yor;  irissen  die  Zdtnngen  yon  Brutalitäten  und  Boheiten  su  berichten; 
nehmen  Venintreaangen,  Fftlschnngen,  Unterschlagungen  Überhand; 
-will  die  Sittlichkeit  etwas  mehr  in  die  Brftche  gehen,  als  es  sich  mit 
den  ohnehin  genügend  liberalen  Anschammgen  der  „Ghsellschaft''  yer* 
trflgt;  erhebt  die  rothe  Internationale  noch  lanter  ihren  mord-  nnd 
branddrohenden  Eampfesmf:  da  mft  man  nach  der  Volksschale.  Sie 
mnss  der  zonehmenden  Verrohnng  entgegentreten;  de  mass  das  Pflidit- 
gefthl  einpflanzen  nnd  aaenddien;  sie  nrass  Zucht  nnd  gate  Sitte 
pflegen;  sie  mnss  die  Irreligiosität  nnd  Vaterlandslosigkeit  bekämpfen; 
sie  mnss  —  ja,  wer  mag  wissen,  was  die  Volksschule  noch  alles 
„soll*  und  -mnss'". 

Augenblicklich  steht  die  lichterloh  brennende  sociale  Frage  aof 
der  Tagesordnung.  Hei !  wie  sich  die  pädagogischen  Federn  rühren! 
„Wie  erzieht  man  zum  Patriotismus?  Was  kann  die  Volksschule  zur 
Lösuno;  der  socialen  Frag-e  thun?  Wie  kann  die  Volksschule  die 
Classengegensätze  abmindei  n  V  -  So  und  äbnlicli  erscliallt  es  allerorten, 
und  die  Lehrerschaft  müht  sich  ehrlich  ab,  um  das  moderne  Sphiiix- 
räthsel  zu  lösen.  Nun,  die  Volksschule  in  ihrer  heutigen  Organisation 
als  Standesschule  ist  wol  überbaui)t  nicht  in  der  Lage,  die  Classen- 
gegensätze abzumildern;  sie  ist  vielmehr  im  Gegentlieil  vortrefflich 
geeignet,  den  Classenluiss  sclion  in  die  Kinderwelt  hineinzutiagt.'ii  und 
den  Standesunterscbied  so  recht  schön  ansdiaulich  darzustellen.  Das 
hindert  aber  nicht,  bei  jeder  Gelegenheit  wieder  das  stereotype  „Was 
kann  die  Volksschule  thun"  gebürend  zu  beleuchten,  sich  allen 
Ernstes  darüber  zu  erhitzen,  ob  man  der  vaterlandslosen  Socialdemo- 
kratie  wirksamer  entgegenarbeite,  wenn  man  die  Weltgeschichte  anf 
den  Kopf  stelle  nnd  rückwSrts  constroire.  Dass  die  Schule  ein  djeet 
der  Partei-  und  Interessenpolitik  geworden  ist,  das  ist  das  grOfite 


Von  JB.  St. 


Digitized  by  Google 


—  Ö06  — 


Unglück,  welches  ihr  widerfahren  konnte.  Immer  neue  Aufgaben 
werden  ihr  zugeschoben,  immer  neue  Forderungen  an  sie  gestellt,  die 
zwar  an  sich  allesammt  in  ihr  Gebiet  fallen,  von  denen  aber  jede 
nach  den  jeweiligen  Verhältnissen  die  wichtigste  sein  soll.  Die  Scliule 
thut  sicherlich  ihre  Pflicht  und  wird  ihre  Pflicht  thun,  man  soll  aber 
nichts  Unmögliches  von  ihr  verlangen  und  nichts  Unmögliches  von 
ihr  erwarten.  Sie  kann  die  Irreligiosität  und  den  Internationaütäten- 
schwindel  bekämpfen,  aber  nicht  den  Social ismus. 

Im  Grunde  genommen  handelt  es  sich  in  der  Discussiou  für  und 
"Wider  den  Socialismus  um  die  beiden  Streitfragen:  -Individualismus 
©der  Collectivismus  —  Privatbesitz  oder  CoUectivbesitz  der  Productions- 
mittel  —  fr&»  Einzelproduction  oder  organisirte  G^ammtproduction. 
Alle  Übrigen  in  die  sociale  Bewegung  hinemgetragenen  Streitfragen 
sind  nur  indiTidneUe  Meinnngea  der  jeweOigeii  FUmr,  und  so  sind 
«nch  die  giftsprühenden  Wntluuisbrflche  mancher  Socialdemokraten 
gegen  Beligion  nnd  Vateiland  nur  nSotjeetiTe  Thorlieiten  von  Heiß* 
epomen"*),  nnr  Beiwerk,  nicht  aber  wesentliche,  mit  dem  Sodalismne 
nntrennbar  yerbandene  Bestandtheile.  Solange  sich  die  GeseUachaft 
nicht  über  diese  beiden  wirtschaftlichen  Ornndaitae  endgütig  aas- 
«inandergesetet  hat,  werden  auch  der  hnndertkOpÜgen  Hydra  immer 
neue  Köpfe  an  StsUe  der  abgeschlagenen  nachwaehaen.  Es  liegt  aof 
der  Hand,  dass  die  Yolkaachnle  mit  diesem  wirtschaftlichen  Problem 
nichts  zu  thun  hat.**) 

Aus  dem  Obengesagten  geht  hervor,  dass  die  Socialdemokratie 
nicht  der  Socialismus  selbst,  sondern  nor  der  gegenwärtige  Repräsen- 
tant, die  gegenwärtige  Erscheinungsform  desselben  ist  Man  sollte 
also  in  den  pädagogischen  Kampfartikeln  wenigstens  nicht  allgemein 
von  dem  doctrinären  Socialismus  reden,  der  an  sich  mit  Religion  und 
Vaterland  gar  nichts  zu  thun  hat,  vielmehr  ebensogut  eine  Wirt- 
schattstlieorie  darstellt  wie  jedes  andere  System  der  Nationalökonomie, 
sondern  man  sollte  sich  correcter  Weise  nur  gegen  die  atheistisch- 
revolutionäre  Socialdemoki'atie  wenden. 

*j  Schäffic,  Qiiiiitf'ssonz  dos  Sozialismus.  -  Auf  diese  Broscliilr-^  r  ines  licrufonon 
Fachmannes  muss  hier  anstatt  einer  tieferen  Begrttndang  obiger  Sütze,  die  zu 

Orientiniig  «ber  dieae 

Frfigoii,  über  die  das  (jroße  Publicum  mitsammt  der  schreibenden  und  lehrenden 
Pädagügenwelt  mitunter  noch  tiehr  naive  VorätcUungen  hat,  sei  noch  „Bau  des 
socialen  Körpers"  von  demselben  Verf.  empfohlen  nebst  dem  umfassenden  nationnl 
Skonomiachen  Werke:   Miirlo  ,  Organisation   der  Arbeit. 

♦*)  Etwas  anderes  ist  es  bei  offenbar  unrlcliti^en  Behauptungen  des  Socialismus 
•nf  wirtschaftlichem  (Jebiete,  z.  B.  bei  dem  Satze:  „Nur  die  Arbeit  schafft  Werte", 
Wenaus  dann  der  bertthmte  Sats  folgt:  „Das  Eigenthum  (der  Untemehmergewinn) 
ist  Diebstahl". 


Digitized  by  Google 


—   607  — 


AVer  wagt  es,  die  6efö,hrlicbkeit  dieser  Partei  zu  verkennen? 
£8  hieße  Eulen  nach  Athen  tragen,  wollte  man  hier  nochmals  die 
zersetzende  Wirkung  des  socialdemokratischen  Materialismus  nach- 
weisen. Jawol,  unser  Volk  zeigt  einen  erschreckenden  religiösen  und 
moralischen  Niederrang  infolge  der  rücksichtslosen  Agitation  jener 
„Volksbeglücker",  und  die  Schule  hat  unzweifelhaft  die  heilige  Pflicht, 
diesem  Niedergange  entgegenzuarbeiten,  wie  und  wo  sie  nur  kann. 
Man  sollte  sich  aber  um  alles  in  der  Welt  nicht  einbilden,  damit  den 
Socialismus  auszurotten. 

Vielleicht  aber  die  Socialdemokratie  — ?  Möglich!  Es  fragt  sich 
nur:  Liegt  die  Zaubermacht  der  Socialdemokratie  in  ihrem  aufdring- 
*  lieh  laut  verkündeten  Atheismus  uud  Kosmopolitismus,  oder  hat  sie 
einen  anderen  Grund? 

Freilich,  den  aberwitzigsten  Ideen  wohnt  in  gesellschaftlichen 
Krisen  eine  d&monisch  zwingende  Macht  inne,  gegen  welche  Vemunft- 
gründe  genaa  so  vid  anariebteii,  wie  efai  papiemer  FMtast  gegen 
hnnderttansend  wolbediente  Bi^onette;  aber  der  letzte  Gnmd  des  be- 
Uemmenden  Umsicligreifens  der  Socialdemokratie  ist  doch  wo  anders 
za  Sachen,  nftmlich  auf  dem  wirtschaftlichen  Qebiete.  Die  Ifiss- 
yerbftltnisse  innerhalb  der  modernen  Gesellschaft  sind  so  unbestreitbar 
und  so  angenfiUlig,  die  sodale  Noth  eines  großen  Theiles  der  arbeiten- 
den Glasse  ist  so  schreiend,  dass  es  in  der  That  wanderbar  wftie, 
wenn  die  hilfeversprechende  Socialdemokratie  keinen  Anhang  fSnde. 
Dar  Honger  ist  eine  za  reale  Macht,  vor  der  schließlich  alles  An- 
erzogene nicht  stand  hAlt,  welche  die  niedergehaltene  Bestie  aller 
Beligion  und  allen  Sittengesetaen  zum  Hohne  entfesselt.  Und  dagegen 
soll  die  Volksschule  etwas  ausrichten  können?  Gestehen  wir  es  uns 
nur  ein:  die  Volksschule  trägt  selbst  socialistisches  Gepräge*),  und 
sie  verfahrt  rein  socialistisch,  wenn  sie  Speisungen  armer  Kinder  ver- 
anstaltet und  das  Schulgeld  erlässt.  Überhaupt  weist  selbst  die  negi- 
rende  Socialdemokratie  so  manchen  presunden  Gedanken  auf,  der  aber 
gewöhnlich  erst  dann  Anerkennung  ündet,  wenn  er  vom  Ministertische 
aus  officiell  verkündet  wird. 

Die  Socialdemokratie  wäre  bei  weitem  weniger  getahrlich,  fände 
der  Kampfruf  der  uimmersatten,  zu  Streik  und  Boykott  jederzeit  be- 
reiten Schreier  der  Großstädte  und  Industriecentren  nicht  in  der  Menge 
der  ruhigeren  Arbeiter  der  Landstädte  und  kleineren  Industrieorte, 

*)  Die  der  Volksschule  zugewiesenen  Aufjpilwo,  die  Claflamgegeiiflätce  abiu- 

mildern,  allen  Kindern  crieichc  Bildiinir  anzueignen,  gleiche  Liebe  nisaweiaen  u.  8.  t, 
haben  allesammt  socialistischen  Cbarukter. 


Digitized  by  Google  1 


—   Ö08  — 


und  in  den  Krei.sen  der  untersten  Beamten  ein  lautes  Echo.  Der 
Hungerlolin  aller  dieser  Leute  steht  meist  im  größten  Missverhältnis 
selbst  gegen  das  Einkomnieii  ilirer  streikenden  Collegen,  sie  vermögen 
aber  infolge  ihrer  isulirten  J>tellung  nicht  niitziistreiken.  Dafür  liängen 
sie  often  und  heimlich  der  Socialdemokratie  an  und  lassen  sich  nebst 
vielen  sonst  liberalen  Elementen  selbst  gegen  ihre  bessere  Überzeugung 
mit  fortreiLien,  weil  sie  nur  von  der  Socialdeuinkratie  Jiesserung  ihrer 
Lage  erwarten.  Ohne  Zweifel  hat  der  Socialismus  und  speciell  die 
Soeialdemokratie  schon  so  manche  alte  Gepflogenheit,  die  sich  längst 
überlebt  hatte,  hinweggefegt;  die  Wirkung  dieser  radicalen  Strömung 
ist  aber  doch  immer  die  des  Scheidewassers  auf  das  Eisen:  Der  Rost 
wird  unfehlbar  beseitigt,  aber  auch  das  Eisen  angefressen.  Sicherlich 
wird  aber  die  Socialdemokratie  so  lange  die  Arbeiterachaft  um  sich 
sammeln,  solange  sie  die  einzige  Partei  ist,  welche  die  Arbeiter- 
fürsorge  als  Seltetaweck  anf  ihre  Fahnen  geschrieben  hat  Es  Mbt 
nichts  anderes  ttbrig,  als  die  Arbeiter  dnrch  die  That  eines  Besseren 
za  belehren.  Schafft  ihnen  das  Minimum  znm  menschenwürdigen  Da- 
sein oder  yersndit  es  wenigstens  ohne  Hintergedanken  und  ohne 
egoistische  Ansflflchte,  sollte  es  auch  noch  so  schwere  Opfer  kosten; 
schafft  ihnen  eine  ehrliche  Vertretang,  die  auf  dem  Boden  der  Beligio- 
sitftt  nnd  des  Vaterlandes  steht  und  auf  die  sie  genau  denselben  An- 
spruch haben  wie  der  feudale  Qroßgrondbesitzer,  der  Indnstriebaron, 
der  Kaufinann  und  der  Bdrsenfttrst:  dann  whrd  auch  das  Wort  der 
Volksschule  ein  größeres  Gewicht  erhslten,  dann  wird  die  rothe  Inter- 
nationale in  kürze  zum  Popanz  f&r  Schwachköpfe  und  zum  Horte  der 
immer  nnd  ewig  unzufriedenen  Scbreihftlse,  der  echten  und  rechten 
Proletarier  herabsinken. 

Wird  dann  der  Socialismns  yerschwunden  sein?  Nein!  Die  Ver- 
söhnung und  Verschmelzung  der  nun  einmal  von  Natur  vorhandenen 
Interessengegensätze  der  verschiedenen  Volkskreise,  die  Milderung  und 
möglichste  Ausgleichung  der  Classengegensätze,  kurz,  der  Socialismns 
in  seiner  reinsten  (Gestalt  gedacht,  wird  auch  dann  nocli  nothwendig 
vorhanden  sein.  Kampf  wird  es  nach  wie  vor  geben,  und  muss  es 
auch  nach  wie  vor  geben:  denn  nur  aus  dem  Kann)fe  der  wider- 
streitenden Ideen  geht  die  relativ  beste  Wjüirheit  hervor.  Die  abso- 
lute Wahrheit  ist  für  uns  ^ienschen  unerreichbar,  und  das  zu  unsenn 
Glücke;  sie  würe  der  Tod  alles  Strebens  und  Ringens,  der  Tod  der 
Menschheit  selbst.  „Es  irrt  der  Mensch,  solang"  er  strebt  ',  und  es 
ist  gut  so. 


Digitized  by  Google 


Sollen  die  LehrerbildangsanstalteB  Internate  oder  £xternate 

8ein? 

Kiu  Wort  Diester\v(>p;s  zur  SemfnftTfrapp. 
Mit  Beziehung  auf  die  Gegenwart  laitgetlieilt  von       A.  Steglich- Dreadm. 

Die  29,  Allgem.  Deutsche  Lehrerversammlang  zu  Mannheim 
versuchte  eine  Antwort  zu  <,^ebeii  auf  die  1^'iage:  Welche  Anforderungen 
stellt  unsere  Zeit  an  die  Ausbildung  der  Volksschullehrer?  (Vergl. 
den  Bericht  im  vor.  Jahrg.  des  „Paedag.")  Der  IX.  Deutsche  Lehrer- 
tag, welcher  Pfingsten  d.  J.  in  Halle  tagen  wird,  hat  ebenfalls  das 
Thema:  «Die  Lehrerhfldung"  anf  seine  Tagesordnung  gesetzt  In 
Bflcksidit  anf  die  stattgehabte  nnd  in  Hinblick  anf  die  demnächst 
stattfindende  dieser  großen  Yenammlnngen  wird  die  Frage  der  Lehrer^ 
bildnng  schon  seit  längerer  Zeit  in  pädagogischen  Versammlungen, 
Zeitungen  und  Broschflren  lebhaft  besprochen.  Und  nicht  nur  in 
Deutschland,  sondetn  auch  in  Österreich  und  der  Schweiz  beschäftigt  < 
man  sich  s.  Z.  viel  mit  diesem  Gegenstande,  der  in  einer  Schrift  sogar 
als  „eine  sociale  Frage"  hingestellt  worden.*) 

Unter  den  Zeitschriften,  weUhe  in  den  letzten  Monaten  sich  in 
dieser  Sache  haben  vernehmen  lassen,  sind  u.  a.  die  „Allgem.  Deutsche 
Lehrerzeitung"  und  das  „Psedagoginm"  zu  nennen**);  das  Beiblatt  der 
^ Allgemeinen  Deutschen  Lehrerzeitung",  der  „Anzeiger  für  die  neueste 
pädap^ogische  Literatur",  hat  im  letzten  Jahre  eine  Anzahl  Schrift^ 
nber  die  Lehrerbildung  namhaft  gemacht. 

Warum  über  die  Lehrerbildung  so  viel  zu  sagen  ist?  Weil  die 
Frage  als  eine  sehr  coraplicirte  sich  darstellt,  die  wieder  in  so  und 
so  viele  Unterlagen  zerfalltl   Von  diesen  ist  bekanntUch  eine  der 


*)  l^ect/;  „Die  Lehrerbildung,  eine  sociale  Frafe."  (Gh}tha  1891,  Verlag  von 
Kmil  Bchrend.)   Eine  inhaltMidie  Schrift,  die  aUerdingi  auch  oft  den  Widenpnieh 

des  Lesers  herausfordert. 

*♦)  „Allgem,  D.  Lchrcrzeituug"  iLoipzitr,  Klinkhardt\  Jahrg.  1891:  Nr.  26!  Nr. 
43  (S.  416),  Nr.  45  und  46!  (S.  436,  438,  444,  445. i  1892:  Nr.  1  iS.  8),  Nr.  2 
fg.  —  „Piedagogium",  XIII.  Jahrg.  Heft  9—11.  XIV.  Jahrg.  S.  60,  S.  1 1 2.  S.  129—130,. 
S.  210.  —  S.  ftrner:  „Sächsische  Schulseitniig''  (Leipzig,  EJinkhardt),  1891,  Nx.  2U 

Fadagoglnt.  14.  Jihff .  Haft  Tm.  S6 


Digitized  by  Google 


—   610  — 


am  meisten  umstrittenen  diese:  Sollen  die  Anstalten  für  die 
Lehrerbildung  Internate  (Convicte)  oder  sollen  sie  Externate 
sein?  Bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  scheiden  sich  die  Päda- 
gogen in  zwei  fast  gleicli  große.  Heerlager;  auf  beiden  Seiten  werden 
mit  Eifer  und  Heftigkeit  zahlieiclie  Erfahrungs-  und  Autoritätsbeweise 
ins  Feld  geführt.  Wie  lebhaft  bei  diesem  Gegenstande  die  Geister 
aufeinanderplatzen,  hat  man  ans  den  Verhandlungen  der  29.  Allge- 
meinen  Deutsch«!  Ldirenrersammlnng  er&faren.*)  Man  wird  es 
auch  aas  den  Debatten  des  IX.  Dentsclien  Lehrertages  ersehen. 

Zn  den  Antoritftten,  auf  welche  sich  viele  Bedner  nicht  nngem 
bemfiBn,  gehSrt  anstreitig  Diesterweg,  „ein  Mann,  der  gewiss  sach- 
▼erstibidig  war",  wie  Dr.  Fr.  Bartels,  der  jetzige  Herausgeber  der 
„Bheinisohen  Blätter",  in  Mannheim  mit  Becht  sagte.  Auch  Herr 
Dr.  Eeferstein-Hambnrg  berief  sich  .auf  Diesterwegs  Ansichten.  In 
der  That  moss  es  auch  hente  erwünscht  sein,  Diesterwegs  ürtheil  in 
einer  so  wichtigen  Frage  zu  hören.  Freilich  ist  es  schwer,  des  Alt- 
meisters Ansichten  über  diesen  Punkt  zusammenzustellen,  da  sie  aufler 
in  einigen  Broschüi*en  (Zur  Lehrerbildung,  Streitfragen  auf  dem  Gebiete 
der  Pädagogik  u.  a.)  in  40  Jahrgängen  der  „Rheinischen  Blätter" 
nnd  16  Jahrbüchern  niedergelegt,  diese  literarischen  Schätze  aber 
selten  oder  wol  nie  beisammen  zu  finden  sind.  Auch  die  Herren 
Dr.  Bartels  und  Dr.  Keferstein  haben  in  der  Mannheimer  Verhandlung 
specielle  Belegstellen  für  Diesterwegs  Anschauungen  nicht  angeführt. 
Vielleicht  ist  es  daher  den  geehrten  Lesern  d.  Bl.  von  Interesse, 
wenigstens  eine  Aussprache  des  großen  Lelirerbildners  über  die  in 
der  Überschrift  gestellte  Frage  zu.  hören,  gerade  jetzt,  wo  über  diese 
Frage  so  lebhaft  discutirt  wird. 

Wenn  wir  im  naelifolgenden  außer  der  Antwort  auf  die  erhobene 
Frage  noch  etliche  Worte  des  berühmten  Schulmannes  mittheilen,  so 
geschieht  es,  weil  dieselben  zu  dem  fraglichen  Gegenstande,  wie  er 
z.  B.  in  Nr.  26  und  Nr.  45  u.  40  der  „Allgemeinen  Deutsnlien  Lehrer- 
zeitung" vom  vorigen  Jabre  behandelt  ist,  in  sehr  naher  Beziehung 
stehen.  In  der  Einleitung  und  Begründung  des  Artikels,  der  1836 
geschrieben  ward,  bietet  uns  Diester  weg  einige  schuigeschichtliche 
Ifittheilnngen,  die  ebenfidls  nnyerk&rzt  folgen  mOgen,  weil  sie  auch 
heute  noch  nicht  ohne  Wert  sind  nnd  sich  zu  manchen  der  darin  an- 
geführten Beispiele  sogar  Analogien  finden  lassen. 

Die  nachstehenden  Ausführungen  Diesterweg's  sind  zugleich  eine 


*)  S.  „Allgem.  D.  Ldueneitnng".  1801,  Nr.  26! 


Digitized  by  Google 


—  611  — 


Beleuchtung  des  Aiifj^atzes  im  Junihefte  (S.  590 — 595)  des  vorigen 
Jahrganges  vom  „Piedagogium",  wo  es  u.  a.  heißt:  „.  .  .  Dass  diese 
Anstalten  (die  Seminare)  dann  Externate  und  nicht  Internate 
sein  müssen,  ergibt  sich  von  selbst.  Am  natürlichsten  dürfte 
«8  demnach  erscheinen,  die  Seminare  und  Universitäten 
möglichst  in  Verbindung  zu  bringen  .  .  (Aus  d.  Großh.  Hessen, 
<a  694  fg.) 

Der  Artikel  Diestorvegs  lautet: 

„Einiges  ftber  Seminarioi.  Za  geflUUger  BerflckBicIttigang  int 
HolsteiiilBdifiii.«  (1836.) 

„In  Diaemark  scheuit  man  auf  die  Nothwendigkeit  der  Vennebrimg 
der  SdinUehrer-Seininarieii  snrfiokinkommen.  So  viel  nftmUeh  Terlantet» 
haben  die  Stinde  deB  Henogtimma  Holstein  einsHminig  Ijesohloseeii, 
Se.  Uig.  den  EOnig  am  die  WiederkerstellQng  des  holsteiniseiien 
Schnlleiireneminars  sa  bitten.  Die  BegienmgscoUegien  scheinen  d|e* 
■  selbe  zu  wünschen,  das  ganze  Land  wttnscht  sie,  und  die  Umstände 
fordern  sie.  Man  glaubt  daher,  die  Bitte  werde  Allerhöchsten  Ortes 
gewährt  werden.  —  Das  ehemalige  Seminar  zu  Kiel  blOhte  unter  der 
Leitung  Müllers  in  dem  letatoi  Decennium  des  vorigen  Jahrhunderts. 
Zu  Ende  der  70er  Jahre  ward  es  gestiftet  und  zu  der  Stiftung  des- 
selben damals  dem  Könige  von  der  schleswig-holsteinischen  Ritter- 
schaft ein  Capital  von  10 (XX)  Rthlr.  Schi. -Holst.  Cour,  geschenkt. 
Der  Staat  vermehrte  diesen  Fonds  mit  7000  Rthlr.,  und  durch  Rescript 
vom  8.  Mäi-z  1780  ward  das  Seminai-  mit  dem  damals  schon  he- 
Stehendon  Muhlius'scheii  W'aisenhaiise  in  Verbindung  gesetzt.  Durch 
nachtheilige  Gerüchte  über  den  ^sittlichen  und)  religiösen  Geist  der 
Anstalt,  die  von  einer  feindseligen  Partei  gierig  aufgefasst  wurden, 
kam  es  zu  Müllers  Removirung,  und  unter  Hermes  und  Gensichen 
sank  die  Anstalt,  in  sittlicher  Beziehung  vornehmlich.  Da  erschien 
1820  der  Königl.  Befehl  zur  allmälüichen  Aufhebung  des  Seminars, 
1823  wurden  die  letzten  Zöglinge  entlassen,  und  die  Lehrer  Gensichen 
und  Carstens,  der  Verfasser  der  yortreflnieiien  Eatecheük,  wurden  mit 
ihrem  Tollen  Gehalte  pensionirt  Carstens  errichtete  ein  Priyatseminar 
und  erhielt  bei  der  Benatznng  des  bisherigen  Gebäudes  die  AnlSrieht 
Uber  das  Waisenhaus;  denn  nach  der  Stiftongsacte  mnsste  das  Seminar 
für  den  ünterricfat  der  Waisenkinder  sorgen.  Seine  Eleven  irorden 
auch  befördert,  wenn  sie  sich  einer  Prüfung  am  Tondem'schen  Seminar 
oder  an  der  EckerafMer  Normalsdiule  vnterwaifen;  doch  waren,  sfe 
nicht»  falls  sie  BanemsOhne  waren,  Tom  IfUitärdienst  frei  wie.  ^e 

Digitized  by  Google 


—   Ö12  — 


Zöglinge  in  Tondern.  Vor  5  Jahren  ward  dieses,  welches  bis  dahin 
unter  Deckers  Leitung  stand  und  nach  dessen  Entlassung  interimistisch 
von  Sorensen  verwaltet  wurde,  reorganisirt.  Vom  Staate  wurde  Be- 
deutendes bewilligt,  prachtvolle  Gebäude  aufgefülirt,  die  Bür^j^orschule 
vom  Seminar  getrennt  und  der  bisherige  Collaborator  an  der  Gelehrten- 
sclmle  in  1^'lensburg,  Bahnsen,  zum  ersten,  der  Lehrer  an  der  Mädchen- 
schule in  Glückstadt,  Diekmann,  zum  zweiten  Lehrer  berufen.  Diese 
Anstalt  wurde  aber  nnr  ftr  80  Zöglinge  berechnet  und  enfllsst  also 
jAhrlidi  26—27,  weldie  Anzahl  natftrlieh  zur  Beeetning  selbst  der 
'  gröfiemn  SchnlsteUen  in  beiden  HerzogthQmeni  nicht  hinreicht  Anßer* 
dem  hat  ein  Seminar  weit  im  Norden,  wo  man  schon  ISut  nnr  dlaisch 
oder  schlecht  deatscb  spricht,  ftr  die  dentsehen  flobteiner  viel  ün- 
zntrSg^ea  —  Wenn  mm- das  holsteinische  Seminar  restitoirt  wird: 
so  wird  Uber  mancherlei  SVagen,  wie  man  hOrt,  in  den  B^giernngs- 
coUegiea  ein  Zwiespalt  sein.  Einmal  gibt  es  nfimlicb  manche  Stimmen 
welche  Kid  nicht  ftr  den  passenden  Ort  zn  einem  Schnllehrer^eminar 
halten,  weil  sie  von  der  Universität,  dem  Stodentenleben,  dem  Luxus, 
den  vielen  (Megenheiten  zu  Vergnügungen  üblen  Einfluss  ftrchten, 
während  andere  von  der  Universität  einen  günstigen  erwarten,  andere 
wiederum  äußere  Umstände  für  zwingend  halten,  dass  z.  B.  das  Ge- 
schenk der  Ritterschaft  nur  für  ein  Kieler  Seminai*  gegeben  sei,  dass 
die  Fonds  desselben  mit  dem  des  Waisenhauses  unzertrennlich  ver- 
schmolzen wären  u.  s.  w.  Noch  andere  wollen  neben  dem  Haupt- 
seminar kleine  Privatanstalten  bei  Predigern  errichtet  und  die  Zöglinge 
derselben  für  die  ärmeren  Dorfschulen  bestimmt  wissen. 

Eine  zweite  Frage  ist  die:  Sollen  die  Seminaristen  in  einem 
Gebäude  vereinigt  werden,  so  dass  sie  darin  Wohnung,  Beköstigung, 
kurz,  alles  finden,  oder  soll  man  sie  bei  den  Bürgern  der  Stadt  unter- 
bringen? Zu  letzterem  scheint  man  sich  aus  dem  Grunde  hinzuneigen, 
weil  in  dem  Kieler  Seminar,  besonders  in  den  letzten  Zeiten  seines 
Bestehens,  Gebrechen  und  Laster  mancherlei  Art  eingerissen  gewesen 
sein  sollen. 

Diese  Gegenstände  seheinen  wichtig  genug,  dass  wir  uns  auf  eine 
kuze,  gedrängte  Beastwortong  einlasBcn. 

1.  Wenn  die  Zahl  tllditiger  Schnlamtscandidaten  nicht  hinreicht, 
die  jährlich  erledigten  Stellen  zu  besetzen,  so  mnss  man  anf  deren 
sichere  Vermehrong  denken. 

Es  ist  zwar  gut,  dass  nicht  jeder,  der  Schnllehrer  werden  will, 
gezwangen  werde,  in  ein  Seminar  emzntreten,  aber  als  Begel  mnss 
es  angenommen  werden,  weil  nnr  nnter  sehr  begünstigeaden  Umständen 


Digitized  by  Google 


513  — 


tbk  PriTatwhftltnis  das  leisten  kann,  irss  eine  Anstalt  leistet  Di» 
Zabl  der  Zöglinge  in  Tondem  nt  Termehren,  kann  kein  Sachkenner 
ftr  rathsam  erklären.  70—  80  Zöglinge  ist  schon  sehr  viel,  wenn*  ein 
jeder  von  den  Lehrern  individuell  berücksichtigt  und  praktisch  ans- 
gebüdet  ▼erden  soll,  auf  welchen  beiden  Stücken  der  Wert  eines 
Seminars  wesentlich  beruht.  Ist  die  Zahl  der  Zöglinge  zu  groß,  so 
verschwinden  die  einzelnen,  nur  die  tüchtigeren  werden  zum  Unter- 
richten in  der  Seminar- Ül)ungsschule  zugelassen,  und  es  entstehen 
Mängel  und  Gebrechen  mancherlei  Art.  Eine  Anstalt,  die  40—50  Zög- 
linge hat,  kann  sie  besser  ausbilden,  als  wenn  ihrer  70 — 80  sind. 

Darum  empfiehlt  sich  der  Gedanke  der  Errichtung  einer  nenen 
Anstalt  für  Holstein  von  selbst. 

Zwei  kleinere  Anstalten  sind  auch  aus  dem  Grunde  besser 
eine  einzige  große  oder  zn  gro6e,  weil  unter  denselben  ein  heilsames 
Aufstreben  entsteht  und  man  Gelegenheit  hat,  Verschiedenes  nach 
seinem  Werte  oder  Unwerte  durch  Erfahrung  zu  erproben.  Besuchen 
die  Lehrer  beider  Anstalten  einander,  so  lenien  sie  voneinander,  und 
man  hat  Gelegenheit,  den  einen  oder  andern  von  der  einen  Anstalt 
zur  andern  zu  versetzen.  Eine  einzige  Anstalt  erscheint  leicht  als 
Inhaberin  eines  Monopols,  und  sie  unterliegt  leicht  dem  Geschick  der 
Versteinerung.    Darum  zwei  Seminare! 

Aber  nicht  eine  Unzahl  kleinerer,  zerstreut  über  das  ganze 
Land!  Man  macht  dafür  den  Grund  geltend,  dass  manche  Sclml- 
stellen  sehr  schleclit  seien.  Aber  daraus  folgt  nicht,  dass  deren 
Lehrer  auch  eine  geringere  Ausbildung  bedürfen.  Gerade  umgekehrt 
sollte  man  eher  argumentiren!  Damit  der  Mensch  in  beschränkten 
Verhältnissen  nicht  verkümmere  oder  verbaure,  bedarf  er  einer  tieferen 
Bildung,  einer  höheren  Kraft. 

2.  Passt  eine  Universitätsstadt  für  ein  Lehrerseminar?*) 
Von  einer  Universität  kann  ein  Seminar  keinen  wesentlichen 
Gewinn  ziehen;  in  der  Regel  bringt  sie  ihm  großen  Nachtheil. 

Das  letztere  ist  ofteubar,  wenn  die  Seminaristen  zerstreut  bei 
den  Bürgern  wohnen.  Sie  kommen  mit  den  Studenten  in  Berührung, 
werden  halbe  Studenten,  was  noch  schlimmer  ist,  als  wären  sie  ganze. 
Aber  wii-  wollen  den  besseren  Fall  setzen:  sie  sind  in  einem  Gebäude 
▼ereinigt.  Alsdann  kommen  sie  mit  den  Herren  Studenten  in  keine 
Berührung,  wenigstens  kann  man  sie  davon  abhalten,  so  dass  es  im 


*)  Diese  und  die  folgende  Frage  tiat  Diesterweg  gesperrt  drucken  Uiien. 


Digitized  by  Google 


—  614  — 


besten  Falle  für  sie  so  ist,  als  wären  die  Studenten  nicht  da.  Dana 
aber  könnte  das  Seminar  anch  in  jeder  andern  Stadt  enichtet  werden. 

Den  Lehrern  des  Seminars  nfttzt  eine  Universität  auch  nichts» 
schadet  in  der  Regel  mehr.  Denn  was  die  Methode  betrifft,  so  müssen 
die  Seminarlehrer  darnach  trachten,  dass  sie  nichts  von  der  Methode 
der  Professoren  annehmen.*)  Deren  abbtracte,  akroamatische  muss 
man  sorgfaltig  von  einem  Seminar  entfenit  halten.  Den  wissenschaft- 
lichen Lehrern  wird  solches  am  schwersten.  Um  sie  nicht  in  diese 
Versuchung  zu  führen,  thut  man  am  besten,  man  legt  das  Seminar 
nicht  in  eine  Universitätsstadt.  Wollte  man  für  das  Gegentheil  an- 
führen: die  Seminarlehrer  erhalten  dadurch  Gelegcnlieit,  sich  weiter 
fortzubilden,  die  Sammlungen  der  Universität  sind  zu  benutzen  u.  s.  w., 
so  ist  zu  erwidern,  dass  bei  den  Seminarlelirern  vorauszusetzen  ist, 
dass  sie  die  nöthigen  Kenntnisse  besitzen,  dass  sie  von  den  Seminaristen 
und  Schülern  mehr  lernen  können  für  ihren  Beruf  als  vuu  den  sehr 
gelehrten  Professoren,  dass  man  aus  Büchern  in  dei*  Regel  ebenso 
viel,  wo  nicht  noch  mdir  lernen  kann,  als  aus  dem  todten,  oft  so  geist- 
kaen  Viurtrage  dentscher  Professoren**)  —  knnEi  man  kann  alleniSUls 
die  BdiädUcheii  Einfiflsse  einer  Universitit  anf  ein  Seminar  abwehren, 
aber  großen  Gewinn  kann  es  ans  der  Nfthe  jener  nicht  schQpfen. 

3.  Sollen  die  Seminaristen  zusammen  wohnen  oder  bei 
den  Bürgern? 

Über  diese  Frage  kann  ich  ans  Erfohmng  sprechen.  In  den 
ersten  drei  Jahren  der  Extatenz  des  Seminani  in  Win  wohnten  die 
dortigen  Seminaristen  bei  den  Bflrgem,  dann  alle  in  der  Anstalt; 
hier  in  Berlin  wohnen  sie  som  Theil  in  der  Anstalt^  die  meisten  in 
der  Stadt 

Ich  bin  unbedingt  fttr  das  Zusammenwohnen,  wefl  nur  dadurch 
ein  Zusammenleben  mfiglidi  wird. 

Freilich,  wenn  der  Geist  einer  Anstalt  schlecht  ist,  so  ist  es 
besser,  dass  die  Seminaristen  anch  andere  Einflüsse  erfahren.  Aber 
dann  wSre  es  besser,  die  Anstalt  existirte  gar  nicht!  Wir  mflssen 


*)  Vergl.  Prof.  Dr.  v.  Christ:  „Die  Beform  des  UiiiTexntätBiuitemohtes." 
(HOnchen  1^1,  Riegersche  ünivexBittttsbachhandlung-.) 

**)  Dieses  Urtheil  Diestcrwegs  will  jedenfalls  <  um  grano  salis  verstanden  sein; 
die  deatsche  Wissenschaft^  die  doch  hauptsächlich  durch  Piofenoren  vertreten  wini, 
erfreut  sieh  eines  guten  Bvftst  Wie  Tiele  Proft— oren  niaen  ikran  Gegenstand 
anflgeteichnct  (iarzulcfjcn!  —  Hier  mag  zugleich  erwähnt  sein,  dass  dasselbe 
Heft  der  „Rheinischen  Blätter",  welchem  der  obige  Aufsab:  entnommen  ist,  die 
Utemrische  Anzeige  bringt,  dass  ,,ab  drittes  Heft  der  Lebensfrage  der  GySdutim" 
liei  G.  1>.  Biedeker  in  Essen  erschienen  ist:  „Über  das  Verderben  anf  den  dentsdieB 
Univerbitäten.    Von  Dr.  F.  A.  W.  Diesterweg."    (Preis  b  gGr.) 


Digitized  by  Google 


—  616  — 


also  voransseteen,  der  Geist  der  Anstalt  ist  gnt  Man  hat  solches  js 
aodi  immer  in  der  Hand,  was  mit  nichten  von  don  Geiste  einer 
Stadt  gilt  Wohnen  die  Seminaristen  bei  den  Bürgern,  so  fehlt  eine 
genaue  Beanfinehtigang  and  Kenntnis  des  einzelnen,  und  wer  dazu 
neigt,  der  kann  von  der  Hauptsache  abgezogen  nnd  in  yerderbiiche 
Verhältnisse  gezogen  werden.  In  Idstein  wohnen  auch  die  Semina- 
risten in  der  Stadt.  Von  den  verderblichen  Wirkungen  dieser  Ein- 
richtung kann  der  Oberschulrath  Gruner*)  ein  Lied  singen.  Die  Lehrer 
mögen  noch  so  regsam  sein,  sie  können  niclit  wissen,  was  auf  den 
einzelnen  Stuben  geschieht.  Der  Faule  findet  jederzeit  Gründe  zur 
Beschönigung  seiner  Faulheit.  Dann  gibt  es  in  jeder  Stadt  liederliche 
Dirnen,  die  jungen  Leuten  Gefahr  bringen;  und  wenn  auch  diese 
fehlen,  so  gibt  es  heiratslustige  Bürgermädchen,  welche  die  Semina- 
risten zu  frühzeitigen,  verderblichen  Eheversprechungen  \erleiten,  oft 
gerade  die  besten.    Ich  kenne  das  aus  vielen  Erfahrungen. 

Allem  diesem  begegnet  man  ein  tür  allemal,  wenn  man  die  Leute 
beisammen  hat.  Alles  geht  dann  den  geregelten  Gang:  Aufstehen  und 
Schlafengehen,  Essen  und  Trinken,  Erhuluiig  und  Arbeit.  Es  gibt 
einen  esprit  de  corps.  Man  ergreift  zuerst  lür  die  Tüchtigkeit  einige, 
durch  diese  alle.  Es  kommt  ein  (leist  des  tüchtigen  Strebens  unter 
die  Schar.  Einer  lernt  vom  andern,  einer  übt  den  andern.  Es  wird 
eine  Familie,  Morgen-  und  Abendandachten  können  eingerichtet  verden, 
der  sittliche  Geist  der  Lehrer  verbreitet  steh  dorch  die  ganze  Anstalt 
Zwei  Klippen  sind  zu  yermeiden:  ein  roher  Ton  nnd  pietistische 
Bichtnng.  Wo  tftchtige  junge  Leute  beisammen  sind,  entsteht  leicht 
jener,  nnd  gerade  die  tftehtigsten  (genialsten)  verachten  am  ersten 
gate  ändere  Sitte.  Der  Pietismns  entsteht  leicht  dnrch  einen  kopf- 
hfiagerisehen  Director  oder  Hanptlehrer.  Beiden  Yerirrongen  ist  aber 
leicht  zn  begegnen.  Der  Einwand:  durch  das  Zusammenleben  entstehe 
leicht  eine  klosterliche  Richtung,  knechtischer  Sinn,  Entitodung  des 
bttrgerUdien  Lebens  a.  s.  will  gar  nichts  besagen.  Die  Semina- 
risten haben  ja  bereits  17  Jahre,  d.  h.  solange  sie  gelebt  haben,  in 
der  Familie  gelebt  und  kehren  dahin  zurück,  leben  auch  im  Seminar* 
in  einer  großen  Familie,  biingen  die  Ferien  bei  den  Ihrigen  su  u.  s.  w. 
Dann  ist  ja  von  einer  gänzlichen  Abscheidnng  vom  Leben  gar  nicht 
die  Rede,  und  an  Klosterzucht  denkt  kein  vernünjFtiger,  freier  Mann. 
Spielsucht,  Dieberei  und  andere  Unsittlichkeiten  entstehen  aber  viel 
eher  auf  den  einzelnen  Stuben  in  der  Stadt,  als  in  dem  Seminar,  wo 


•)  «.  „Ptedagogium-  VII,  S.  267  (Januarlieft  l«öö). 


Digitized  by  Google 


—   616  — 


sie  gar  nicht  möglich  sind.  Denn  durch  sie  hört  alles  auf.  Damm 
existiren  nur  zwei  Fälle:  entweder  ist  das  Seminar  gut  —  oder  nicht. 
In  jenem  Falle  muss  man  die  Zöglinge  diesem  guten  Einfliis.se  ganz 
übergeben;  in  diesem  wirkt  es  schlecht,  die  Seminaristen  mögen  drin 
oder  draußen  wohnen.  Wenn  drftoßen,  so  kommen  Schlechtigkeiten 
ZVL  Schlechtigkeiten! 

Nein,  alles  zusammen  in  eine  Anstalt!  Und  einen  Director  mit 
der  gehörigen  Vollmacht  versehen,  wie  au  allen  preußischen  Semina- 
rienl  I)anii  kann  man  ihn  auch  für  alles  verantwortlich  machen. 
Wenn  aber  die  Herde  zerstreut  ist,  wie  kann  man  dann  von  dem 
Hirten  verlangen,  dass  keinem  der  Herde  etwas  geschehe?  Das  Zu- 
sammenwohnen nöthigt  die  Lehrer  zur  Gewissenhaftigkeit  und  Strenge. 
JDis  Ist  ein  Tortrefflichee  Ding.  Ein  Seminarlehrer  soll  kein  Standen- 
geber,  sondern  ein  Brzieher  sein.  Damm  noint  man  aoch  die  Semi- 
naristen mit  Recht  Zöglinge.  Damit  sie  dieses  seien,  mOssen  sie 
mit  den  Lelirem  zusammen  wohnen  nnd  leben. 

Solches  empfiehlt  und  befiehlt  Erfahrung  und  Nachdenken. 

A.  D.« 

f.,Rlniiii>.  lu'  IMütter  f.  Krz.  u.  Unt.  mit  bes.  Berücksichtigung  des  Volkssohul- 
weeeos.  üerauegeg.  t.  Dr.  F.  A.  W.  Oieiterweg.*'  Mai-  u.  Juaiheft  1836,  S.  273 
bii  278.) 

*  • 
* 

Nachschrift.  Viele  wird  es  überrascht  haben,  Diestei'weg  so 
ganz  auf  der  Seite  deijenigen  zu  sehen,  die  fftr  das  Internat  sind. 
Freilich  ist  es  sozusagen  das  Ideal  eines  Internates,  das  üim  vor- 
schwebt —  Den  Lesern  dieser  Blätter  wird  es  interessant  sein,  die 
Übereinstimmung  der  Anschauungen  Diesterwegs  mit  denjenigen  Joh. 
Jak.  Wehrli's,  des  ersten  thurgauischen  Seminardirectors,  festzustellen. 
(S.  das  Januarheft  des  „Piedag.",  S.  210.i 

Zum  Schluss  mag  noch  bemerkt  sein,  dass  die  Seminare  Sachsens 
den  Autorderungen,  die  Diesterweg  in  obigem  Aufsatze  stellt,  jeden- 
falls in  huliem  Grade  entsprechen;  sie  sind  Internate,  jedoch  nicht 
obligatorische,  ihre  Zahl  ist  ausreichend,  ja,  „man  denkt  auf  deren 
sichere  Vei  mehning"  iz.  Z.  bestehen  15  evangelische  Lehrerseminare 
und  1  kathülisches,  sowie  2  Lehrerinnenseminare,)  mit  der  Universität 
stehen  sie  in  keiner  directen  Verbindung.  Seminar  und  Präparande 
(Proseminar)  sind  nicht  getrennt  wie  in  Preußen  und  anderwärts, 
so  daiss  die  Zöi^linge  nicht  erst  mit  dem  17.  Lebensjahre,  wie  Diester- 
weg in  obigem  sagt,  ins  Seminar  eintreten,  sondern  bereits  mit  dem  14; 
der  Corsofl  ist  sechsjährig.  Die  gesetsliehen  Bestimmangen 
darüber  laaten:  SeminarcnrsnB.  Der  Unterricht  wird  in  6  aof- 


Digitized  by  Google 


—   617  — 


steigenden,  bei  dem  Unterrichte  voneinander  getrennten  Classen 
nnentgeltiich  ertheilt  .  .  .  Internat.  Den  Seminarzöglingen  wird  im 
Seminargebäude,  soweit  die  vorhandenen  Wohn-  und  Scblafirfinme 
reichent  freie  Wohnung,  Heizung  und  Beleuchtung  gewährt. 

Wo  die  Räumlichkeiten  nur  theilweise  ausreichen,  haben  zunächst 
die  Zöglinge  der  Mittel-  und  Unterclassen  III  bis  VI  (14. — 18.  Lebens- 
jahr) darauf  Anspruch. 

Zöglinge,  deren  Eltern  am  Seminarorte  leben,  sowie  solche,  denen 
eine  nach  dem  Ermessen  des  8emiuardirect<>rs  geeignete  Wohnung 
außerhalb  des  Seminars  beschafft  wird,  können  aulierhalb  des  Semiuai*s 
wohnen. 

(§§  57  u.  61  des  Gesetzes  über  die  Gymnasien,  Realschulen  und 
Seminare  vom  22.  August  1876.  Nebst  der  Lehr-  und  Prüfungs- 
ordnung fUi'  die  Seminare  erschienen  bei  C.  C.  Meinbold  &  Söhne» 
Königl.  Hofbnehdniekerel,  Dresden.) 


Digitized  by  Google 


Die  Frage  der  eiiheitlieliei  Mittelgelmle  in  Uigan  ind  ibre 

Beziehüng  zur  Volksbildung. 

Ten  Seminardirector  O^xa  Somogyi-Zniövdrcüja. 

K  Ifeinere  Länder  haben  vor  gi-ößeren  den  Vortheil,  dass  sie  oft 
epochale  Fragen  leichter  nnd  schneller  lösen  können  als  letztere-,  sie 
brauchen  nur  einen  energischen  Mann,  der  alle  Hindemisse  zu  besiegen 
weiB,  und  die  Sache  eilt  rasch  ihrer  VeUeadnng  entgegen.  Aber 
kleinere  Länder  sind  infolgedessen  auch  den  ans  Übwelliing  stam- 
menden HissgrüFen  mehr  ansgesetzt  Die  Frage  der  ehiheit]ichea 
Hitteüschnle  beschäftigt  derzeit  alle  Gnltnrlinder;  nns  blieb  sie  anch 
nicht  yerschlossen.  Aber  während  größere  Linder  noch  bei  der 
prindpiellen  Besprecbong  yerweilen,  nähern  wir  uns  in  raschem  Tempo 
der  Ljfsang  des  Problems.  Ob  diese  LOsong  ans  Ehre  bringen,  oder 
ob  sie  unsere  cnltnrelle  Entwickelnng  auf  kfirzere  oder  längere  Zeit 
znrAckwerfen  wird,  bleibt  Frage  der  Zeit  Ich  will  mich  hierUber 
zoniehst  jeder  Memangsftofierang  enthalten;  aber  ich  kann  nicht  unter- 
lassen, nach  Vorflkhmng  der  Ansichten  verschiedener  Vertrauensmänner 
darüber  mich  auszusprechen,  ob  ich  von  der  angestrebten  Beform  f&r 
die  Hebung  der  Volkserziehung  viel  oder  wenig  erwarte. 

Der  jetzige  Cnltus-  und  Ünterrichts-Minister  Graf  Albin  Csaky 
hat  die  Leitung  seines  Ressorts  vor  drei  Jahren  übemommeu.  Schon 
in  seiner  Programmrede  hat  er  sich  für  die  einheitliche  Mittelschule 
ausgesprochen.  Seit  der  Zeit  strebt  er  entschlossenen  Schrittes  seinem 
Ziele  zu.  Anfangs  hat  er  viel  Gegner  gehabt;  aber  ihre  Zahl  ver- 
mindert sich  von  Tag  zu  Tag:  in  der  Enquete,  von  der  ich  jetzt 
berichten  will,  hat  sicli  priucipiell  niemand  g^eu  die  einheitliche 
Mittelschule  ausgesproclien. 

Die  En<iuete,  welclie  der  Minister  zur  Berathung  der  Frage  ein- 
berufen hat,  bestand  aus  7  höheren  Ministerialbeamten,  6  Universitäts- 
jtrofessoren,  8  Studien-Oberdirectoren,  2  Mittelschuldirectoren,  7  Mittel- 
schulprofessoreu ,  aus  einem  Elementarschulinspector,  einem  Bürger- 
schuldirector  und  aus  drei  anderen  hervorragenden  Unterrichtspolitikem, 


Digitized  by  Google 


—    519  — 

also  mammm  m  90  Hitgliedeni.  Die  Enqndte  hielt  ihre  erste 
Sitsnng  em  16.  Fehmr  and  dann  noch  5  Sltnmgen.  Wir  wollen  die 
Berathangen  nicht  in  allen  ihm  Sinnlheiten  Torfblgen:  es  wird 
genttgen,  wenn  wir  deren  wichtigste  Homente  horvorteben. 

Die  erste  Sitzung  hat  der  Minister  selbst  erOffiiet  Er  betonte, 
dass  die  leitenden  Classen  der  Nation  nicht  einseitig  realistisch  oder 
homanistisch  gebildet  werden  dürfen;  außerdem  müssen  die  Eltern 
von  der  Last  befreit  werden,  zn  früh  eine  Lanfbahn  für  ihre  Kinder 
wählen  zu  müssen.  Durch  die  einheitliche  Mittelschule  kann  die  terri- 
toriale Vertheiliing  der  Mittelschulen  verbessert  werden,  wofür  der 
Minister  schon  eine  Skizze  entworfen  hat.  Endgiltifj;  will  er  aber 
nicht  eher  entscheiden,  als  er  die  Meinungen  der  En(iuete-Mitglieder 
gehört  und  erwogen  hat ;  er  wünsche,  dass  jeder  ohne  Kückhalt  seiner 
Uberzeugung  Ausdruck  gebe. 

Um  die  Discussion  zu  erleichtern,  hat  das  Ministeriam  5  Frage- 
punkte aufgestellt,  und  zwar  folgende: 

1.  Welche  Form  der  einheitlichen  Mittelschule  entspricht  am 
meisten  unseren  gegenwärtigen  Verhältnissen?  Soll  sie  in  den  oberen 
Classeu  einheitlich  oder  getheilt  werden? 

2.  Welche  Aufgabe  soll  in  der  nenen  Mittelschule  der  lateinischen 
Sprache,  die  hldier  eine  so  grolle  Rolle  gespielt  hat^  zofhUen,  was  soll 
das  Endziel  des  Unterrichts  in  dieser  Sprache  sein,  und  in  welcher 
Claase  soll  er  beginnen? 

8.  Bis  zn  welcher  Glesse  soll  die  Einhdt  der  Hittelschnle  reichen? 
Soll  sie  in  den  djeren  dessen  zwei-  oder  dieitheOig  werden?  Welches 
sollen  die  gemeinschaftlichen  Gegenstfinde  sein?  (Lateinische  Sprache, 
Bealgegenstfinde,  moderne  Sprachen?) 

4.  Ist  es  nothwendigt  die  Hittelschnle  in  zwei  Glieder,  z.  B.  in 
nntere  nnd  obere,  zn  theflen?  Wfire  es  nicht  zweckmäßig,  die  Ah- 
sohimng  des  unteren  Gliedes  mit  einer  Prfifiing  zn  verbinden  mid 
zwar  unter  Aufsicht  von  Begiemngscommissären? 

5.  In  welcher  Beziehung  soll  die  einheitliche  Mittelschule  zu  der 
Volksschule,  zu  den  praktischen  Fachschalen  und  zu  den  Hochschulen 
(Universität,  Akademien)  stehen? 

Ministerialrath  .].  Klamarik  erläutert  die  Fragepunkte  nnd  be- 
merkt dann,  dass  unter  denselben  zwei  Fragen  fehlen,  welche  trotz- 
dem berücksichtigt  werden  müssen.  Die  eine  betrillt  die  körperliche 
Erziehung,  die  andere  die  Überbürdung.  Von  der  letzteren  bemerkt 
er,  dass  sie  das  System  nicht  berühre;  sie  sei  eine  Frage  der  Methode. 
■  B.L.  Eötvös,  Bector  der  Universität,  weist  darauf  hin,  'dass  in 


Digitized  by  Google 


—   520  — 


der  Organisation  einer  guten  Mittelschale  zwei  Dinge  wicliti^  sind, 
und  zwar:  1)  das  System,  d.  h.  eine  Organisation,  welche  den  Bedärf- 
nissen  der  bürgerlichen  Gesellschaft  entspricht;  2)  der  gute  Lehrer. 
Es  fra<,'-t  sioli,  welches  von  beiden  wichtiger  sei.  Er  hält  das  zweite 
für  wichtigiT,  weil  der  gute  Lehrer  bei  jedem  System  gute  Resultate 
erzielen  wird.  Was  das  System  anbelangt,  so  stimmt  er  für  das 
jetzige  Gymnasium  mit  der  Modification,  dass  auf  das  Freihand- 
zeichnen, welches  für  die  allgemeine  Bildung  sehr  wichtig  ist,  mehr 
Gewicht  gelegt  werde.  Die  einheitliche  Mittelschule  soll  für  alle 
höheren  Schulen  befähigen.  Bei  der  Bi-  oder  Triiurcation  in  den 
oberen  Classen  wolle  er  möglichst  liberal  verfahren. 

.Tul.  Schwarz,  Abgeordneter  und  einer  der  hervorragendsten 
unserer  Cultur-Politiker,  entwickelt  den  Plau  einer  achtclassigen  Mittel- 
schule, mit  einer  Trifiircation  in  den  oberen  Olassen.  Die  Schüler, 
die  sich  den  Humanioien  widmen,  stndiren  Latein  und  Grieehificb, 
diejenigen,  die  sich  den  Naturwissenschaften  oto  den  polytechnischen 
Studien  zuwenden,  beschäftigen  sich  eingehender  mit  Mathematik  und 
Physik;  diejenigen,  welche  nicht  weiter  stndiren,  lernen  National- 
ökonomie, Elemente  der  Bechtsknnde,  Statistik  n.  s.  w.  Die  Bürger- 
schulen seien  auMiehen. 

Karl  Szisz,  reformirter  Bischof,  wünscht  eine  neundassige 
Mittelschule. 

Zoltan  BeOthy,  UniversitStsprofessor,  will  ebenfiüls  neundassige 
Mittelschnlen.  IMe  ungarische  IQttelBehttle  soll  den  gemeinschaftlichen 
Grund  der  Nationalcultur  legen,  «owol  der  Form  wie  dem  Inhalte 
nach.  Die  nationale  Sprache  und  Geschichte  sollen  die  dominirende 
Stellung  in  dem  Lehrplan  einnehmen. 

Jul.  König,  Bector  des  Polytechnicums,  erklärt,  dass  das  Poly- 
technicnm  keiner  besonderen  Mittelschulen  bedürfe.  Er  sei  ein 
eifriger  Anhänger  der  Einheitsschule,  mit  der  Bemerkung,  dass  die 
Mittelschule  von  den  Elementen,  die  nicht  hingehören,  gesäubert  werde 
müsse;  danim  sei  die  Entwickelung  der  Bürgerschule  nothwendig. 
Er  wünscht  neundassige  Mittt  lschulen  mit  einer  Bifurcation  in  den 
oberen  Classen.  £r  ist  kein  i;  reund  der  halbobligatorischen  Gegen- 
stände. 

Ludwig  Spitko,  Studien-Oberdirector,  deducirt  aus  dem  all- 
gemeinen System  der  Schulen  die  Nothwendigkeit  der  einheitlichen 
Mittelschulen.  Für  die  Fachschulen  untersten  Grades  bereitet  die 
Volksschule  vor,  für  die  mittleren  die  Bürgerschule,  für  die  höheren 
die  Mittelschule.    Für  die  einheitliche  Mittelschule  stellt  Bedner 


Digitized  by  Google 


—  621  — 


folgende  Bedingungen:  1)  sie  soll  alle  wesentlichen  Elemente  der 
modernen  Wissenschaft  und  Nationalcultur  zur  Geltung  bringen;  2)  sie 
soll  die  Geschichte  des  Vaterlandes  in  den  Vordergi'und  stellen;  H)  ihr 
wichtigster  Gegenstand  ist  die  Nationalsprache  und  Literatur;  4)  sie 
soll  die  idealen  und  culturellen  Elemente  des  Alterthnms  nicht  ver- 
nachlässigen; 5)  sie  soll  die  lateinische  Sprache  für  jeden  obligatorisch 
machen;  6)  auch  eine  moderne  Sprache  (deutsch)  soll  sie  aufnehmen; 
7)  sie  soll  die  Naturwissenschaften  gehörig  berücksichtigfen;  8)  das 
Zeichnen  ist  unbedingt  nothwendig.  Die  Mittelschule  soll  gegliedert 
—  in  zwei  Abthettangen  (obcro  md  untere)  —  werden  n.  s.  w. 

Hyppolit  Feh6r,  Stndien-Oberdlrector,  wOnseht  die  gkicbieitige 
Reform  der  BOrgersehnlen,  mit  der  ComUnation  der  niederen  Fach- 
schalen.  Die  innere  Beform  der  Profeesorenbüdong  sei  sehr  noth- 
wendig. Die  Anlisabe  der  Mittelachnle  sei  weeentlieh  fbnndL 

Lndwig  Felm^ry,  Uni^eraitifttsprofeBBor,  begrfißt  die  Einheits- 
schule yom  Geeicihtspankt  der  einhdilichen  nationalen  Bildung,  tadelt 
in  den  heotigen  Mittelsclialen  den  Ent^Uopidismas,  das  Memörirea, 
die  Überbflrdnng,  die  VemaclilAssigang  der  kOrpeiüehen  Erziehung, 
der  nationalen  Bildung,  des  IdeaMsmns.  Er  wünscht  eine  Mittelschule, 
deren  Hanptgegenstände:  die  ungarische  und  lateinische  Sprache  und 
Idterator,  die  vaterländische  Geschichte  sowie  Mathematik  wftren. 
Die  sechs  unteren  Classen,  mit  einer  Schlnssprüfnng,  sollen  ein 
geschlossenes  Glied  bilden;  die  Matuiitätsprüfiing  soll  aufgehoben  und 
durch  eine  Aufhahmsprüfang  beim  Eintritt  in  die  Hochschule  ersetzt 
werden. 

Moricz  Kärmam,  Univei-sitäftprofessor,  wirft  einen  Rückblick 
auf  das  Historicum  der  Frage  und  beschreil)t  die  Kntwickelnng  der 
Realschule  seit  zwanzig  Jaliren.  Er  sieht  die  Bedürfnisse  der  National- 
cultur in  folgendem:  Jeder  Sohn  Ungarns  muss  in  der  Mittelschule 
jene  Elemente  der  Cultur  finden,  welche  man  im  Auslande  bietet;  es 
soll  eine  Organisation  zustande  kommen,  welche  jene  Gegenstände, 
die  man  überall  für  wichtig  hält,  genügend  würdigt;  darum  sei  die 
BoEe  wichtig,  welche  die  Reform  den  classischeu  Studien  zuweist. 
Ein  weiteres  Bedfirfiiis  sei,  dass  die  Mittel  der  Cultur  möglichst 
grofien  EreiBen  zur  Verfügung  stehen.  Bedner  weist  darauf  hin,  dasa 
es  Uber  hundert  Ortschaften  gäbe,  in  welchen  nur  Gymnasien  bestehen; 
danun  sei  der  Andrang  zn  diesen  Anstalten  so  groß;  es  sollte  prin- 
dpiell  auBgeaprochen  werden,  dass  da,  wo  es  noch  keine  Bttigerschnlen 
gebe,  kein  GymnaBimn  errichtet  werden  dttrib.  Das  Gymnasium  bleibe 
eine  wissenzehaftliche  Schule. 


Digitized  by  Google 


—  522  — 


Alexander  Lengyel,  Bürgerscliuldirector,  nimmt  die  Bürger- 
schulen in  Schutz  und  sagt,  dass  dieselben  nicht  mit  den  Mittelschulen 
concurriren.  Die  Sache  sei  umgekehrt:  es  sei  auch  hier  betont  worden, 
dass  die  vier  unteren  Classen  der  Mittelschulen  ein  abgerundetes 
Ganze  bilden  mögen  lüi*  diejenigen,  die  eine  praktische  Laufbahn  ein- 
schlagen wolleu.  Er  weist  auch  jene  Behauptung  zurück,  dass  das 
Gynmasiiun  durch  die  Bürgerschule  Ton  wiiifliii  Ballast  beMl  irardai 
könne;  denn  wenn  ein  ScUQer  im  Gfymnaaiiini  nicht  fortkommen  kOnne, 
irflrde  deraelbe  anch  in  der  Büigerschole  za  nidite  kommen.  Er 
wflnseht,  daas  die  Einheitaachnle  Gymnaainm  keifte,  die  Bttiig^eraehnle 
lüttdacknle. 

Karl  Ver^dy,  Sdinlinapector,  sagt:  Es  wnrde  conststirt»  dass 
die  Elemeotandrale  Ar  die  Uittelschnle  nicht  vorbereitet;  die  Schüler, 
welche  von  der  Elementarsehnle  anstreteo,  sind  oft  &ol  im  Denken, 
die  ürsaehe  davon  ist,  dass  man  die  Schaler,  welche  in  die  Mittel- 
schale  eintreten  wollen,  mit  den  übrigen  gemefaischaftlich  unterrichtet. 
Ir  wflnscbt  Yorbereitongclassen.  Die  Bfligerschnle  soU  mit  der  Mittel- 
schnle  nicht  concurriren,  sie  soll  praktisch  entwickelt. werden. 

Emmanuel  Beke,  Mittelscbulprofessor,  spricht  gegen  die  Auf- 
nahme von  der  dritten  Elementarclasse,  denn  das  wäre  nur  ein  Lehrer- 
wechsel, der  des  Opfers,  welches  die  Eltern  bringen  müssen,  nicht 
wert  sei.  Von  11  (XX),  die  in  die  erste  Classe  der  Mittelschule  ein- 
treten, blieben  tTir  die  fünfte  Classe  nur  4(J00.  Die  lateinische  Sprache 
sollte  man  anlangen,  wo  ein  Theil  der  Zöglinge  in  die  niedereren 
Fachschulen  ül)ertret*'.  Die  Geschichte  des  Schulwesens  zeige,  dass 
die  classischen  Studien  gegenüber  den  Realien  und  modernen  Sprachen 
allmählich  zurücktreten:  er  könne  sich  auch  diese  Reform  nicht  anders 
vorstellen,  als  dass  sie  einen  breiteren  Raum  für  die  Realgegenstände 
schaffe. 

Nachdem  noch  einige  Redner  gesprochen  hatten,  wurde  die  Special- 
debatte begonnen.  P^s  würde  zu  weit  führen,  dieselbe  in  ihren  Einzel- 
heiten zu  verfolgen;  es  genüge,  die  Beschlüsse  bezüglich  der  einzelnen 
Fragepunkte  anzuführen. 

1.  Avf  den  erstoi  «Fragepunkt  gibt  die  Antwort  die  Qeneral- 
debatte,  daa  heiftt:  unseren  YerhUtnissen  entspriidit  an  meisten  die 
einheitliche  Mittelschnle  mit  der  lateinischen  Sprache,  mit  grOBerer 
BerOcksichtigang  der  Bealgegenstände^  der  modernen  Sprachen  nnd 
des  Freihandzeichnens  nnd  mit  getheilten  oberen  Classen. 

2.  Die  lateinische  Sprache  ist  in  der  neuen  Hittelschule  obliga- 
torisch. Der  Unterricht  soll  weniger  extensiv  als  intensiv  sein;  das 


Digitized  by  Google 


—  523  — 


zu  viele  Grammatisireii  ist  schädlich.  Das  Endziel  ist  das  Verstehen 
der  lateinischen  Autoren.  Der  Unteiiicht  soll  nicht  in  der  ersten 
Classe  beginnen. 

3.  Die  vier  ersten  unteren  Classen  sollen  einheitlich  sein.  Ge- 
meinschaftliche Gegenstände  seien  die  des  jetzigen  Gymnasiums  mit 
Hinzufügung  des  Zeichnens  und  der  erweiterten  Naturwissenschaften. 
Getrennt,  als  compensatorische  Gegenstände  würden  gelehrt  die 
griechische  und  eins  moderne  Culturspracbe.  In  der  Einrichtung  der 
Anstalten  ist  eine  fewkse  Latitnde  in  Betraff  der  GompensatiDiiB- 
gegenstftnde  wOnschenswert 

4.  Die  Biltarcation  der  Ifittelschiile  ist  nicht  wflbscheoswert 

5.  Die  Erridktnng  der  YorbeieitiingSGlassen  ist  wOnscheoswert, 
aber  nicht  obligatorisch.  -Die  Anfhahmspififang  Ton  der  dritten 
Elementardasse  ftr  die  Vorbereitungselasse  oder  Ton  der  yierten  ESlemen- 
tardaflse  in  die  erste  Classe  ist  nicht  nothwendig.  Das  Übertraten 
von  der  Bflrgersehnle  in  die  Einhdtasehiile  soll  auf  Grand  einei' 
Prttftuig  gestattet  werden.  Die  sechsdassige  Bflrgersehnle  soll  ftr 
niedere  Beamtenstellen  qualificiren. 

Wenn  wir  nnn  Ober  die  Verhandlungen  der  Enqußte  eine  Revue 
halten,  so  ist  eine  gemeinschaftliche  Idee,  welche  alle  Redner  geleitet, 
und  welche  sich  als  rother  Faden  durch  alle  Discussionen  hingezogen 
hat,  nicht  zu  verkennen.  Diese  Idee  ist  das  einheitliche  nationale 
Bewusstscin,  d.  h.  das  Wachrufen  dieses  Bewusstseins  als  Zweck  der 
geplanten  Einheitsschule.  Wird  dieses  Ziel  allein  durch  die  Mittel- 
schule, ohne  Beistand  der  Volksschule,  erreicht  werden  können?  Ich 
bezweifle  es  stark.  Man  kann  die  sogenannte  intellectuelle  Classt^  bei 
uns  auf  200000  Köpfe  schätzen;  ihre  Zalil  ist  von  der  Gesainiiit- 
bevölkernng  (15  Millionen)  des  Landes  kaum  P/a"-«.  Ich  kann  nicht 
begreifen,  wie  es  unsere  Culturpolitiker  inii  der  Gerechtigkeit  verein- 
baren können,  dass  sie  bei  der  Regelung  des  ünterrichtswesens  nui" 
die  Interessen  dieser  Vj^^jf^  berücksichtigen. 

Ich  kann  meiner  Verwunderung  kaum  gehörig  Ausdruck  geben, 
dass  Männer  wie  (Jeorg  Szatmäry  (gegenwärtig  Ministerialrath)  fiii' 
die  Vertheidigung  der  Volksschule  kein  Wort  hatten;  denn  er  war  es, 
der  sich  noch  yor  koiiem  geAofiert  liat,  vie  folgt:  Jn  unseren  Ver- 
hiltnissen  in  Ungarn  kann  wahriich  nor  diejenige  Politik  ftr  national 
gehalten  werden,  welche  die  kiftftige  Ansnfltznng  der  Volkslnldnng 
zn  ihrem  Pragrammponkte  annimmt;  jedes  Begieranga^ystem  ist  nur 
soweit  wahrhaft  national,  soweit  es  die  Coltiir  im  allgemeinen  und 
besonders  die  Interessen  der  Yolksermehnng  befördert  und  ihnen  dient 


Digitized  by  Google 


—   524  — 


Wir  können  eine  gute  Justiz-,  Verkehrs-  und  nationalükononiische 
Politik  betreiben,  eine  gute  Administration  einführen,  aber  einzi":  und 
allein  mit  diesen  und  dm-ch  diese  wird  der  ungarische  Staat  um  kein 
Hmir  melir  ungarisch,  als  er  sonst  ist  ....  Einen  nationalen  Staat 
ohne  kräftige,  \virksame  TJnterrichtspolitik  halte  ich  für  eine  Chimäre." 
Das  Schicksal  der  Nation,  insofern  es  von  uns  abhängt,  wird  auf  dem 
Felde  der  Volkserziehung  entschieden.  Deswegen  liegt  die  Lösung 
der  erhabensten  nationalen  Probleme  auf  dem  Terrain  der  Volksbildung." 
(Siehe:  Ung.  Semiuariehrer-Zeitung  1889,  Oct.)  Wirklich,  ich  kenne 
keine  Stelle,  wo  die  nationale  Aufgabe  der  Volksschule  schöner  nnd 
prägnanter  bewilblinet  wire. 

Betraditen  -wir  die  Frage  nach  dem  Zweck  beider  Sdnilen 
(Mittel-  nnd  Vdlkssdinlen).  Beide  Schnlen  haben  als  Zweck  die  all- 
gemeine Bildnng.  Es  fingt  sich  mm,  welches  ist  der  Unterschied 
zwischen  der  Bildung,  welche  die  lOttelschnle,  und  deijenigen,  welche 
die  Volksschule  zu  bieten  sich  zur  Aufgabe  gestellt  hat  Ich  glaube 
mich  nicht  su  irren,  wenn  ich  behaupte,  dass  jedes  Zeitalter  nur  eine 
^Idung  hat;  wer  den  Gedankenkreis,  das  Bestreben  seiner  Zeit  erfhsst, 
wer  sich  f&r  die  Ideen  der  ErwShlten  seiner  Zeitgenossen  zu  begeistern 
im  Stande  ist,  ist  gebildet  Obwol  also  die  Bildung  jeder  Zeit  nur 
eine  ist,  hat  sie  doch  höhere  und  niedere  Stufen,  sozusagen  coi^ 
centrische  Kreise,  welche  sich  um  so  mehr  erweitem,  je  höher  man 
steigt  Man  könnte  also  sagen:  die  Mittelschule  (hier  immer  das 
Gymnasium  zu  vei-stehen)  hat  die  Aufgabe,  die  allgemeine  Bildung  in 
ihrem  historischen  Zusammenhange,  die  eigene  nationale  Bildung  im 
VerlUUtnis  zur  Bildung  anderer  Völker  zu  bieten;  während  die  Volks- 
schule die  actuelle  Bildung  der  eig-enen  Nation  ohne  Rücksicht  auf 
die  Vergangenheit  und  auf  die  Bildung  anderer  Volker  bietet.  Es 
ist  also  klar,  dass  die  eigentliche  Nationalschule  die  Volksschule  ist. 
Es  ist  ebenfalls  evident,  dass  das  gesaiiniite  Unterrichtswesen  ein 
organisches  Ganze  bilden  muss;  und  jede  Culturiiolitik  ist  verfehlt,  die 
ihre  Basis  außer  der  Volksschule  sucht.  Ich  kann  es  nicht  leugnen, 
ich  habe  von  den  Berathungen  der  Enquete  viel  gehofft;  ich  habe 
gehotft,  dass  die  Auserwähltcn  der  Nation  einen  Modus  linden  würden, 
die  Mittelschule  zui*  Volksschule  in  organischen  Zusammenhang  zu 
bringen,  ohne  die  letztere  zu  schädigen.  Darum  ist  die  Enttäuschung 
so  groß.  So  viel  zur  principiellen  Seite  der  Frage;  betrachten  wir 
nun  die  praktische  Seite. 

Mittelschulen  (Gymnasien  und  Bealsehulen)  haben  wir  18S, 
BOrgerschulen  164^  hOhere  M&dchensehulen  18;  zusammen  865.  Ge- 


Digitized  by  Google 


—   525  — 


nannte  Sclnilen  nehmen  ihre  ZOglinge  ans  der  vierten  Elementaielasse 
anf;  dämm  halten  es  solche  Gemeinden,  in  welchen  Mittel-  oder 
Bfirgerecholen  sind,  nicht  für  nöthig,  die  fünfte  und  sechste  Olasse 
der  EUementarachttle  zu  errichten.  Wenn  wir  noch  dazonehmen,  daas 
78  %  unserer  Elementarachnlen  nngetheilt  sind,  so  werden  wir  ersehen, 
wie  schlecht  es  mit  unserem  Volksschulwesen  steht.  Aber  das  ist 
eben  der  Haken:  die  gelehrten  Herren  wollen  von  den  Zöglingen  der 
un^etheilten  Volksschule  nichts  wissen.  Aber  ich  glaube,  die  Un- 
vollkominenlieit  eines  Theils  einer  Institution  berecliti<rt  nocli  nicht, 
die  gixnze  Institution  zu  verdammen.  Wenn  die  Herren  mit  der  un- 
getheilten  Elenitntarsclmle  nicht  zufi'ieden  sind,  sollen  sie  als  Be- 
din^-ung  zur  Aufnalinie  in  die  Mittelschule  die  Absolvirung  der  sechsten 
Classe  dei-  getlieilten  Elementarschule  —  natürlicli,  wenn  die  Mittel- 
schulen mit  sechs  Classen  eingerichtet  werden  —  aulstellen.  Diese 
Bedingung  würde  auch  die  Leiter  des  Volksschulwesens  ansi»ornen, 
das  Verhältnis  der  getheilten  und  ungetheilteu  Schule  zu  regeln.  Ich 
glaube,  auch  der  Unterricht  würde  dadurch  nur  gewinnen.  Denn  der 
gelehrte  Professor  der  Mittelschule  hetrachtet  das  Unterrichten  in  der 
ersten  nnd  sveiten  daase  nur  für  eine  Last,  welche  er  mit  Wider- 
willen trägt,  nnd  Ton  welcher  er  si<^  mOglicfast  \M  sn  befreten  ' 
strebt;  dagegen  betrachtet  der  Elementarlehrer  das  Unterrichten  in 
der  fünften  nnd  sechsten  Classe  als  die  Krone  seiner  Wirksamkeit, 
welche  er  mit  der  größten  Lnst  nnd  Liebe  pflegt  Dass  ein  Unter- 
richten, welches  mit  Lnst  verrichtet  wird,  besser  ausfallen  mnss,  als 
dasjenige,  weldies  man  nnr  mit  Unwillen  ans&bt,  brancht  nicht  weiter 
erörtert  zn  werden.  Was  die  materielle  Seite  der  Sache  anbelangt, 
sei  folgendes  erw&hnt  Unsere  Elementarlehrer  würden  mit  einem 
Minimalgehalt  von  400  fl.  znfHeden  sein;  die  Mittelschnlprofessoren 
sind  mit  ihren  1200  fl.  Grundgehalt  nicht  zufrieden.  Welch  eine 
Kostenersparnis  würde  daraus  entstehen  1  £s  liegt  nicht  an  dem,  dass 
wir  für  die  Cultur  zu  wenig  opfeni,  sondern  dann,  dass  wir  bei  der 
Ausgabe  niclit  ökonomisch  sind. 

Ic)i  könnte  meine  Betrachtungen  schon  scliließen;  aber  ich  will 
doch  eüiche  Änfiemngen  über  die  Volksschule  nicht  ohne  Erwiderung 
lassen. 

Ein  geehrter  Redner  deducirt  die  Notliwendigkeit  der  jetzigen 
Bürgerechulcn  aus  der  Vorbereitung  zum  Gewerbe.  Ja,  Aveiui  die 
Bürgerschulen  zum  Gewerbe  erzögen,  dann  möchte  ich  der  eitrigste 
Vorkämpfer  dieser  Scliulen  werden;  aber  ich  kenne  keinen  einzigen 
Zögling,  der  die  Bürgerscliule  absohirt  und  sich  eine  gewerbliche 

Pscdagogiam.    14.  Jahrg.   Heft  Vlll.  37 


Digitized  by  Google 


—   526  - 

Laufbahn  gewählt  hätte.  —  Ein  anderer  Bedner  beeeholdigt  die  Volks- 
schulen, dasB  maiidiA  Auer  ZSglinge  im  Denken  find  seifiB.  Idi  kcouie 
sehr  viele  diplomirte  M&nner,  die  im  Denken  fieuil  sind;  sollen  wir  des» 
wegoi  die  Hoch-  und  Ifittelschnlen  verurtheilen?  Außerdem  wird 
die  Sache  nicht  ganz  so  sein,  wie  es  scheinen  mag;  oft  kommt  viel* 
leicht  die  angebliche  Denkfaulheit  von  der  Constemimng  der  aus  der 
Volksschule  ausgetretenen  Zöglinge:  der  Elementarlehrer  unterrichtet, 
der  Mittelschullehrer  trägt  vor;  es  ist  also  natürlich,  dass  der  anne 
ZOgling  sich  nicht  zui*echtzufinden  weiß. 

Noch  eins.  Der  gute  Wille  des  Ministers,  die  vei'schiedeneü 
Schulen  miteinander  in  organische  Verbindung  zu  bringen,  wai*  vor- 
handen. Dies  beweist  das  Gesetz  von  den  Kleinkinderbewaliranstalten, 
mit  welchem  wir  ganz  Europa  überliolt  haben.  Wenn  also  die  Volks- 
schule auch  in  der  Zukunft  das  Aschenbrodel  des  UnteiTichtswesens 
bleibt,  wird  nicht  der  Ministei*  schuld  sein,  sondern  Jene  Männer,  die 
er  um  Rath  befragt  hat 


Digitized  by  Google 


Schalprogramme. 

Von  Bector  Oüd-CasaeL 

Oeit  Jahrhunderten  ist  es  Brauch,  dass  sogenannte  „gelehrte" 
Schulen  Nachrichten  über  ihre  Einrichtungen,  ihren  Lehrplan,  die 
Lehrer,  die  Schiller,  Vorkommnisse  im  Schulleben  etc.  am  Schlüsse  des 
Schuljahres  veröffentlichen,  an  die  Eltern  der  Schüler,  an  Freunde 
und  Gönner  der  Anstalten  vertheilen  und  gegenseitig  austauschen. 
Dieser  Brauch  ist  auch  von  andern,  nicht  „gelehrten*^  Schulen,  wie 
stAdtischen  B&rger-  und  Volksschulen,  angenommeti  worden.  Meistens 
ist  den  Sdmlnachriehteii  der  gelehrten  Schulen  dne  wfaeensdiaftliche 
Ahhandhmg  beigefügt,  welche  in  den  »Ureidisten  FSllen  nur  Fadi- 
mlanflni  ▼ersttadliefa,  daher  l&r  die  meisten  Eltern,  Freunde  nnd 
OOnner  und  auch  Ar  vide  Lehrer  ohne  Nntien  ist  Dnrch  eben 
Erlass  des  Coltasaiiniatera  Dr.  Falk  vom  26.  April  1875  ist  die  jßihr- 
Mche  Ausgabe  solcher  Schnlnachrichten  fttar  die  höheren  Lehranstalten 
allgemein  geboten,  wfthrend  die  Beigabe  ehier  Abhandlong  nnr 
empfohlen  ist  Der  gegenseitige  Austausch  ist  durch  die  angnogene 
Verfttgung  dahin  geregelt,  dass  jede  Central-  besw.  Provinzialbehfirde 
ein  Veiieichnis  der  f&r  Ostern  in  Aussirlit  genommenen  Abhandinngen 
zusammenstellt  und  dasselbe  an  die  Teubner'sche  Verlagsbuchhandlnng 
in  Leipzig  einschickt,  die  dann  alle  Verzeichnisse  zusammenstellt  und 
den  betheiligten  Behörden  und  Anstalten  zur  Auswahl  zusendet.  Mehr 
nnd  mehr  unterblieb  indessen  die  Beigabe  einer  wissenschaftlichen 
Abhandlung,  so  dass  sich  Minister  von  Puttkamer  veranlasst  sah, 
durch  einen  Erlass  vom  31.  October  1879  zu  empfehlen,  diese  für  das 
wissenschaftliche  Leben  des  höheren  Lehrerstandes  so  bedeutsame 
Sitte  festzuhalten,  bezw.  wieder  aufzunehmen.  Hiernach  könnte  es 
scheinen,  als  wären  die  Scliulprogramme  nur  der  Lelirer  wegen  da 
oder  doch  vorzugsweise  ihretwt!gen;  dem  ist  jeducli  niclit  so.  Unserer 
Meinung  nach  waren  die  Programme  von  jeher  hauptsächlich  der 
Kitern  wegen  da,  die  über  das  Thun  und  Treiben  der  Anstalt,  der 
sie  ihre  Kinder  anvertraut  hatten,  unterrichtet  werden  sollten.  Dieser 

37* 


Digitized  by  Google 


—  528  — 


Ansicht  ist  auch  Dr.  Kühner,  der  in  den  Programmen,  die  er  als 
Director  der  Musterschule  in  Frankfurt  jährlich  abzufassen  hatte,  auf 
den  Versuch,  „wissenschaftliche  Specimina"  zu  geben,  verzichtete  und 
sein  ganzes  Bestreben  dahin  richtete,  „nach  bestem  Vermögen  denen 
zu  dienen,  die  er  voraus  als  willige  Leser  kannte  oder  als  solche  zu 
gewinnen  hoffte*'.  Dass  diesem  Zwecke  auch  die  Form  der  Darstellung 
sich  anbequemen  müsse,  ergab  sich  ihm  von  selbst;  so  gestalteten  sich 
seine  Aufsätze  als  \  ersuche,  pädagogische  Gedanken  in  einer  für  den 
Laien  anspreciienden  und  verständlichen  und  doch  auch  dem  wissen- 
schaftlichen Sinne  annehmbaren  F'orm  zu  behandeln.  Im  übrigen 
waren  seine  Aufsätze,  wie  er  ausdrücklich  betonte,  nur  für  die  Eltern 
seiner  Schüler  bestimmt,  und  nur  solche  pädagogische  Zustände,  G&* 
wohnheifen  und  Ansichten,  wie  er  sie  in  der  Schnlgemeiude  charak- 
teristjsch  vertrstan  fimd,  Mldeten  ftbeiall  den  Gegenstand  seiner 
Beqiirechung. 

Ist  das  Programm  nicht  so  eingerichtet,  dass  es  für  die  Eltern 
bestimmt  ist,  so  mnss  es  dem  enti^nchend  gestaltet  werden, 
wenn  es  mit  Gmnd  und  Bedit  beibehalten  werden  soll  Die  Lehrer 
haben  hentsntage  Mittel  and  Wege  genug,  sich  ihre  wissenschaftlichen 
Arbeiten  gegenseitig  zogftngüich  sn  machen.  Hat  einer  eine  wissen- 
sefaalUiche  Abhandlung  geschrieben,  die  etwas  tangt,  so  findet  er 
daf&r  jederzeit  ehien  Verleger,  oder  er  kann  sie  in  den  zahlreichen 
Fachzeitschriften  veröffentlichen;  ist  sie  aber  nichts  wert,  so  sollte 
sie*  auch  nicht  auf  Kosten  des  Staats  oder  der  Gemeinde  gedruckt 
werden.  Solche  Erwägungen  mögen  es  gewesen  sein,  welche  die 
Berliner  Communalverwaltong  zu  dem  Beschlüsse  veranlassten,  die 
Mittel  zur  Drucklegung  der  Programmabhandlungen  nicht  mehr  be- 
willigen zu  wollen.  Außerdem  sind  die  Lehrer  nicht  an  den  Schulen 
angestellt,  um  wissenschaftliche  Steckenpferde  zu  reiten,  sondern  tlamit 
sie  von  dem,  was  sie  gelernt  liaben  und  noch  dazu  lernen,  den  ent- 
sprechendsten Gebrauch  zum  Nutzen  ihrer  Schüler  machen.  Das  beste 
Studium  des  amtirenden  T^ehrers  bleibt  die  beständige  Vorbereitung 
auf  den  Unterricht,  die  fleißige  Weiterarbeit  im  Fache  mit  steter 
Rücksicht  auf  den  Beruf,  das  Studium  der  Pädagogik.  Die  wissen- 
schaftlichen Abhandlungen  können  also  ohne  Schaden  für  die  Lehrer 
und  ihre  ^vissenschaftlichen  Bestrebungen  we^^bleiben,  von  großem 
Vortheil  aber  würde  es  sein,  wenn  die  Schule  das  Progranuu  zu  dem 
gestalten  wollte,  was  es  eigentlich  sein  sollte,  zum  Kechenschafta- 
berichte,  zum  Mittel  der  Verbindung  von  Scliule  und  Haus  zwecks 
Verständigung  Aber  die  gemeinsamen  Aufgaben.  In  einer  Zeit,  in  der 


Digitized  by  Google 


—   529  — 


man  ao  viele  Klagen  der  Schale  über  das  Haus  und  umgekehrt  des 
Hauses  fiber  die  Schule  zu  hören  bekommt^  sollte  man  gar  nicht  mehr 
im  Zweifel  über  diese  Bestimmung  des  Schulprogramms  sein.  Da 
klagt  das  Haus  über  Schuleinrichtungen,  über  den  Lehrplan,  über 
Überbürdung  der  Schüler,  Kingriffe  der  Schule  in  die  Einrichtungen, 
Ordnungen  und  Grundsiitze  des  Familienlebens,  was  die  Schule  ihrer- 
seits mit  Klagen  über  Mangel  an  Einsicht  in  die  Schulverhaltnisse, 
über  verweichlichende  Erziehung,  offen  und  geheim  gewährten  Wider- 
stand etc.  erwidert.  Eine  Verständigung  thut  hier  sehr  noth,  und 
wa.s  liegt  näher,  als  hierzu  das  Schulprogramm  zu  benutzen?  Kämen 
dazu  noch  pädagogische  Abhandlungen  Über  Schul-  und  Erziehungs- 
fragen, wie  z.  B.  Zeiteintheilung.  häusliche  Leetüre,  Verwendung  der 
Freizeit,  Taschengeld,  Bekämpluiig  der  Verfrüliung  des  Genusses, 
PriTatonterricht  u.  a.,  so  könnte  manches  Gute  in  der  Jugenderziehung 
dnreh  das  Programm  bewirkt  wardmi.  Weiß  man  aber  aber  solche 
Dinge  nidits  m  sagen,  so  Terachone  man  auch  das  Hans  mit  wiaaen- 
schafUicheii  AMaDdlnngen,  von  denen  es  in  den  meisten  FftUen  nichts 
hat  als  das  Anstaunen;  dann  spare  man  fttr  solche  Abhandinngen 
Brnckerachwlrae,  Papier  und  Geld.  Manche  Directoren  fügen  ihren 
Programmen  schon  Abhandinngen  ttber  Schnl-  nnd  Eniehnngsfragai 
an,  warmn  wollen  es  nidit  alle  thnn?  Auch  die  Volks-  nnd  Bürger 
schulen,  die  Programme  ansgeben,  soUten  in  denselben  ein  Mittel  der 
Verbindnng  mit  dem  Hanse  sehen  nnd  sich  die  oben  angeführten 
Darlegnngen  an  nntae  machen.  Wenn  die  Banleote,  die  gemeinsam 
ein  Gebäude  aufführen,  sich  nicht  nacheinander  richten  wollten,  so 
würde  nichts  Ordentliches  entstehen;  sollte  es  in  der  Erziehung  und 
bei  den  Erziehern  anders  sein?  Hans  nnd  Schule  müssen  sich  immer- 
mehr gegenseitig  anerkennen,  sich  vertranensTolI  nähern,  und  dazu 
müssen  die  Schulprogramme  mithelfen. 


Digitized  by  Google 


Bei  den  Kleinei. 

Brinnerung  aut>  dem  Lehrerleben. 
YoB  AM»  Siokf'FfonMm, 

Im  Kind  iit  Wahrheit,  xeine,  uiTiarftbehte.   Solang«  uw  dieadbe  ui 

treulierzigen  Einderaogen  entgegenlentthtet  und  von  frischt  n  Kinderilppen  tUii 
offenbart,  darf  uns  nicht  bangen  vor  der  Zukunft,  sofern  wir  nns  nnr  der 
heiligen  Pflicht  bevusst  sind,  dieses  kostbare  Angebinde  der  Natur  zu  erhalten, 
den  Trieb  nach  Wissen  und  Wahrheit  zu  veredeln  and  in  die  rechten  Bahnen 
10  lenken,  vm  ihn  llir  das  ipfttwe  Lehen  fhiehfbar  ni  maehen.  fflehen  Jahre 
lang  hatte  ich  die  ABC-Schtitzen  hl  geistiger  Atznng  und  fand  dabei  reichlich 
Gelegenheit,  die  von  den  „Segnungen  der  Caltnr"  fast  unberührte  Kindes- 
seele, wie  sie  sich  dem  Lehrer  eines  einsamen  Walddorfes  prilsenlirt,  in  ihrer 
ganzen  göttlichen  Ursprünglichkeit  kennen  zu  lernen.  Der  Umgang  mit  der 
Ueinen  Sehar  hatte  für  nüeh  immer  etwas  Erqoi^enilee  md  Ifirfrlsdieiidea. 
Ans  jener  Zeit  sind  mir  zwei  Begebenheiten  erinnwUeh,  die  ddi  meinem 
Henen  und  Gedächtnis  unauslöschlich  eingeprägt  haben. 

Wer  kennt  sie  nicht,  die  enfants  terriblesV  sie  tinden  sich  überaU,  in 
dei'  Hütte  des  Waldbauem,  wie  im  Palaste  der  Großstadt,  und  nicht  zum 
mindeeten  in  der  Dorftehnle  zeigt  sich  ihre  kSstUche  Naivetftt  imd  hannlose 
Unbefangenheit,  die  jedes  Ding  plattweg  beim  rechten  Namen  nennt  Ein 
kleines  Plaj)i)ermäulchen  mit  dem  poetischen  Namen  Veronika,  für  gewöhnlich 
hieß  sie  Vroni,  musste  eines  Tages  wegen  Mangel  an  Schweigsamkeit  mit 
„Dableiben"  bestraft  werden.  Sie  ualun  das  Verdict  autaugs  ruliig  hin,  offen- 
bar in  der  Stillen  Hoflhung,  es  werde  ihr  am  Sehlnsse  des  Unterrichts  mit  ein 
paar  fimindlich-bittenden  Worten,  worin  sie  große  Virtnooitftt  beiaS,  schon  ge- 
lingen, mein  Lehrerherz  zu  rühren  und  die  von  ihr  über  alles  geliebte  Freiheit 
zu  erbetteln.  Als  die  Kinder  das  SchuUocal  verließen,  kam  die  kleine  Sünderin 
zaghaft,  die  Angen  reibend,  auf  mich  zu.  „Nun?''  „Herr  Schnllehrer,  sei*) 
so  gnt  nnd  lass  mich  heim;  ieh  will  wieder  brav  sein.''  ^Wird  nichts  dravs!** 
Oroies  Jammern  nnd  Wehklagen.  «Hüft  niofati;  Da  mnsst  dableiben;  aber 
es  danert  Ja  nicht  lange."  „Ich  fQrchte  mich."  „Ich  bleihe  bei  Dir;  arbeite 
jetzt  an  Deiner  Hausaufgabe."  ,,Aber  meine  Mutter  brancht  mich;  ich  werde 
von  ihr  gezankt,  wenn  ich  so  lange  nicht  komme." 

Bekanntlich  mnss  das  zarte  Geschlecht,  ob  alt  oder  jung,  immw  das 
letzte  Wort  haben;  ich  Teraichtete  aleo  anf  alle  weiteren  ttberaengenden  Ans- 

*)  Es  begegnet  dem  Lehrer  oft,  dass  ihn  die  Anflbiger  mit  dem  vom  Eitern- 
hause,  her  gewohntett  „Du"  anreden,  ndch  seUst  eigOtste  diese  gemitthlidie  Anrede 

jedesmal  sdir.  inul  ich  ließ  nihig  geschehen,  in  der  Gewissheit-,  dess  sie  in  kuner 
Zeit  dem  fremden  „Sie"  weichen  werde. 


Digitized  by  Google 


—   031  — 


einandersetzangen  und  ließ  die  hoffimngsvolle  Kleine  ruhig  lamentiren  und 
argtSoNm ,  ohM  nidi  ^««tt«r  um  sie  n  kttnuMni.  Dtt  wUte,  wie  ininar  in 

solchen  F&Uen,  nngeroein  beruhigend.  Noch  ein  paar  tdiwere  Tropfen,  dann 
hellte  Bich  der  trübe  Himmel  plötzlich  anf  and  mit  der  ganzen  Liebenswürdig- 
keit, deren  die  kleine  Hexe  fUhig  war,  setzte  sie  ihre  Friedenspräliminürien 
in  anderer  Form  fort.  „Herr  ächolleiirer,  wenn  Du  mich  jetzt  fort  lässt,  dauu 
bdumunft  Da  hmIim  Bfaneii  vnd  den  Pftmnlwrtwn";  qmeh'e  und  legte  alt 
Pflund  ihrer  Freiheit  das  Vesper,  welches  ihr  die  fürsorgliche  Muttti  mit- 
gegeben, anf  mein  Pnlt.  Wer  hätte  auch  da  nocli  widerstehen  können!  \  ioni 
hatte  pesieg-t,  und  ich  mnsste  schmählich  caiätuliren.  Inzwischen  war  eine 
gate  Viertehitande  vei^thcben  nud  der  aasgleicheudeu  Gerechtigkeit  Dach 
meinem  BmeMtn  ToUanf  Gcnttge  geectelieD.  Mit  der  bekannten  ernalen 
Mahnan^y  TOn  deren  naohbaltlger  Wirkung  auf  die  kleine  Windfhchtel  ich 
freilich  von  vornherein  keine  sonderlich  hohe  Meinung  hatte,  die  sie  jedoch 
trotzalledem  hoch  und  theuer  zu  respectiren  vei"8i»rach,  entließ  ich  den  lieben 
Schelm,  der,  froh  über  solch  glänzenden  Veriaaf  seines  Fiaidoyers,  Birnen  nebst 
PAumkndien  alsbald  mit  tiefem  Bin  den  Garaus  maehte.  — 

Ich  suchte,  ivie  aleh  dm  jeder  gewissenhafte  Lehrer  angelegen  sein  Iftsst, 
auch  mit  den  Langsamen  und  Armen  im  Geiste  das  vorgeschriebene  Ziel 
wenigstens  annähernd  zu  erreichen.  Nach  mancherlei  Irrthümem  und  Fehl- 
griffen, die  ja  vor  keinem  Anfänger  sicher  sind,  brachte  ich  es  endlich  mit 
FleiB  nad  BebarrUebkeft  dahin,  daas  alle  SebAler  meinen  Aalinderangen  m^ 
oder  minder  genügten.  Alle,  bis  auf  ein  kleinait  armes  Taglöhnerkind,  das 
in  der  hän!5lichen  Pflege  sehr  v(  i  nachliissigt  war  und  vielleicht  eben  deshalb 
ein  äußerst  scheues,  versclilossenes  Wesen  zeigte.  Seine  Kleider  waren 
schmatzig  und  verbreiteten  im  \'erein  mit  einem  hässlicheu  Ohrenleiden  gerade 
nieht  die  HebUchite  AtmoepUre.  Es  kostete  adcb  eine  gewaltige  Überwindnng, 
in  der  Nfthe  des  armen  Wesens  zn  sein. 

Aber  Beispiele  erziehen,  und  das  erhabene  Vorbild  unseres  unvergesslicheu 
Lehrmeisters  Pestalozzi,  der  es  in  seiner  selbst  vergessenden  Menschenliebe 
über  sich  vermochte,  die  mit  iTeschwüren  und  Ungeziefer  behafteten  Waisen- 
kinder eigenbftndig  m  waacben  and  m  reinigen,  lieft  ancb  midi  mit  der  2Seit 
den  Ekel  flberwinden.  Mit  maacheilei,  eifttaienen  GoUegon  abgeiaaaebten 
Konstgriffen  und  Kniffen,  die  einem  Laien  im  Vollcsschnlunterrichte  vielleicht 
lächerlich  erscheinen  könnten,  in  der  Praxis  aber  vorzügliche  Dienste  leisten, 
hatte  ich  der  „Bärbel"  die  Laute  luid  Bnchstabent'onnen  beigebracht,  wenn 
anob  mudt  mandjem  Tenddockleii  Ärger  und  gewaltigen  Gedaldqiroben.  Dan 
ging  endlich;  aber  mit  dem  Zneammenleaen  dar  Laote  sa  SUbea  kamen  wir 
während  Jahren  auch  um  kein  Haar  breit  vorwärts.  Immer  nod  immer 
wieder  machte  sie  die  bekannte  fatale  Pause  zwischenhinein.  Schon  gab  ich 
die  Hofthoug  auf,  das  arme  Ding,  das  in  den  andern  Lnterrichtsgegenständen 
MMMt  leidlidi  ufftau,  in  die  «weite  Glaae  Terartcen  an  kOnnen  and  hatte  ea 
ancb  bereits  in  sohooender  Weise  aof  diese  Galamitit  vorbereitet.  Bei  jedem 
andern  Scbfiler  hätte  nan  eine  solclie  Ankündigung  Henlen  und  Zähneklappem 
hervoi^erufen ;  nicht  so  bei  der  Bärbel,  obschon  sie,  wie  ich  mich  später  über- 
zeugte, kein  geringes  Herzeleid  empfand.  Äußerlich  aber  erschien  sie  gegen 
mich  womöglich  noch  verschlossener  als  zuvor  and  vermied  von  non  an  jeden 
Verkehr  mit  ibren  Genoasen,  die  sie  ihrevaeita  mitleidig  ibrea  Wegea  geben 


Digitized  by  Google 


—  582  — 


lieBen.  Mich  dauerte  das  arme  Geschöpf;  aber  es  war  ihr  auf  keine  Weise 
beinkomiiiM.  Sie  that  swir  wülifir,  wm  ich  aie  UeB;  doeh  UUe  md,  VwuA- 
lichkeit  Heften  sie  gletehgüClg,  und  ihr  Oeeklit  Migte  rtets  demeelben  lethir- 

gischen  Ausdruck.  Manchmal  war  ich  geneigrt,  dieses  Verhalten  der  Verstockt- 
heit lind  Böswilligkeit  zuzuschreiben  und  Strenge  walten  zu  lassen.  Aber  der 
leise  melancholische  Zog  um  den  Mond  und  der  bekfimmerte  iiiick,  mit  dem 
Bloh  das  Kind  imrafien  anachante,  wenn  ich  mich  wieder  eiBHial  Teiri«iiiliili 
mit  ihm  abgemüht  und  sen&end  von  der  Sisyphnsarbeit  abstand,  lieBen  mieh 
instinctiv  fühlen,  dass  doch  ein  menschlich  Ffihlen  unter  dieser  unfreundlichen 
Hülle  verl>org^en  sein  mfisse,  und  ein  gewisses  ])sychologi8che8  Gefühl  sa^te 
mir,  daäs  Strenge  hier  sehr  ttbel  angebracht  wäre.  Also  immer  heiter  und 
wenn  aneh  nur  ftoBerlich;  denn  „Heiterkeit  ist  ja  der  Himmel,  unter  dem  alias 
gedeiht,  Gift  aoagenoniiMii".  Wenn  viela  TropUm  eiiMii  Stein  hSUen,  so 
mnsste  doch  endlich  aneh  meine  Arbeit  von  Erfirif  iein.  Mit  dieser  unverwüst- 
lichen Hoffnung,  die  mir  niornals  abhanden  kommen  nifJge,  widmete  ich  dem 
hil&bedürftigen  Kinde  täglich  einige  Minuten,  erwaii«nd,  dass  es  ihm  unter 
meiner  Assistenz  endlich  glücken  werde,  den  Stein  der  Weisen  zu  finden.  Und 
alehe  da,  mein  GHanban  wnrde  belohnt  und  mein  heUea  Sehnoi  erf&llt,  wenn 
auch  auf  ganz  eigenartige  Weise.  Das  kindliche  Geistesleben  offenbart  sich 
oft  höchst  merkwürdi^r.  Wonach  ich  mit  vielem  Mühen  solange  vergeblich 
gerungen,  das  brachte  ein  anderer  mühelos  in  einer  Nacht  zuwege.  Ein  alter 
Trötter  und  treuer  Kinderfreund  hatt«  das  große  Problem,  wie  schon  so 
maaehes  andere,  spielend  geUlst  —  der  Sehlaf  Sein  milder  Etagel  senkte  er- 
barmend die  Fittiche  über  das  anne  kleine  Menschenkind  und  wiegte  es  iiir 
Ruhe.  Aber  die  kleine  Psyche  umgankelte  und  quälte  ein  hässlicher  Traum. 
Bärbele  befand  sich  in  der  Schule  und  versuchte  mit  mir  zu  lesen.  Ach,  wenn's 
doch  nur  einmal  ginge,  das  dumme  au,  am,  in,  im.  Doch  siehe,  es  geht  Ja! 
WanderiHur,  wie  sieh  die  widerspenstigeii  Gesellen,  die  Lante,  heute  so  glatt 
snsammenfügen,  ganz  so,  wie  beim  Lehrer  und  bei  den  andeni  Schftlem.  Und 
was  das  geheimnisvolle  stille  Weben  des  Traumes  begonnen,  das  spielte  sich 
in  den  wachen  Znstand  hinüber.  Andern  Tages  kommt  Bärbele,  ich  traute 
kaum  meinen  Augen  uad  Obren,  mit  freudestrahlendem  Antlitz  und  der  frohen 
Botschaft:  «Herr  Sehnllehrer,  i  kaan'sl"  „Was  denn,  Blrbele?"  „ Jetat  kann 
i's  a^saaune  lese!"  „Ei,  was  Du  sagst,  lass  mal  hSren!"  Und  sie  las,  anfangs 
mit  erregter,  zitternder  Stimme,  die  Laute  zu  Silben  und  diese  nach  einigen 
Übungen  zu  Wörtern.  Huna,  der  Knopf  war  gebrochen,  der  Kubicon  über- 
schritten. Mit  ü^udigem  Jüfer  las  sie  jetzt  Zeile  um  Zeile,  immer  fließender, 
immer  besser.  Als  ieh  sie  daranihin  bble  and  ihr  die  ersehnte  FromotieB  In 
idchere  Aussicht  stellte,  da  drang  es  wie  ein  erwärmender,  belebender  Soanan- 
strahl  in  das  verdüsterte  Kinderherz.  Ein  nie  empfundenes,  beseligendes  Ge- 
fühl durchzuckte  die  junge  Seele  und  erweckte  sie  zu  neuem,  heiterem  Leben. 
Wo  übermächtige  Freude  keine  Worte  findet,  da  offenbart  sie  sich  in  Thränen, 
welche  die  wunderbare  Eigenschaft  beeitsen,  den  Sohmers  an  lindem  und  im 
Glücke  zu  beruhigen,  immer  aber  das  Glefahgewieht  der  Seele  heraostsUen. 
Mein  Bärbele  weinte  vor  Glück  und  Freude,  und  die  ganze  Classe  gab  ihrer 
Antheilnahme  an  dem  frohen  Ereignis  in  solch  natürlicher  und  rückhaltsloser 
Weise  Ausdruck,  dass  ich  hiervon  fast  mehr  gerfthrt  wui'de  als  von  dem  Glücke 
des  Kindes.  Soleh  ein  Blick  aof  den  Grund  der  Kindussiwfa  Ist  ein  kUsttldiar 


Digitized  by  Google 


-.533— 


Gennss,  ein  Lichtstrahl  in  das  Ailerheiligste  der  Schöpfung,  der  aber  nur  dem 
ntheil  wird,  dem  eine  gütige  Fee  die  Gftbe  Terliehen,  mit  heiterem  Oemlltlie, 
j^imbeeclirieii'*  den  Schleier  vom  Anflits  der  göttlichen  Pqrche  sn  hehim. 
Sdriteeren  Lohn  and  höheren  Genass  für  treu  erfüllte  Pflicht  kann  es  nicht 

gehen.  —  In  der  Seele  des  Kindes  aber  war  eine  wunderbare  lu'ilsaine  Wand- 
lung vor  sich  gegangen.  Von  jener  Stunde  an  legte  es  seiu  scheues,  ver- 
sclüossenes  Wesen  ah  and  zeigte  sidi  h^tor  nnd  nthmlich  gegen  midi  und 
•eine  Kameraden. 

Vienehn  Jahre  waren  verstrichen.  Das  Sehiltal  nnd  die  Oberschal- 
hehSrde  ließen  mich  inzwischen  durch  manche  Pröfunff  pehen,  ohne  dass  ich 
flficklicherweise  einmal  das  Pech  gehabt  hätte,  zu  leicht  befunden  zu  werden. 
Daeh  etlichen  Ühergangsstationen  trieb  mein  LehenndiUaein  unter  mancherlei 
FIhrten  nnd  Nöthen  nnd  Öfterer  Gefahr  an  heimtaddaehen  Klippen  Havarie 
TO  leiden,  an  ein  sicheres  Gestade.  Von  da  führte  mich  im  vorigen  Jahre  in 
der  Ferienzeit  mein  Weg  zum  ersten  Male  wieder  in  jenes  traute  Dörflein, 
wo  ich  einst  meine  pädagogischen  Sporen  geholt.  Uit  dem  eigenartigen  freudig- 
bangen Gefühl,  das  ebien  heschleicht,  wenn  man  eine  laogentbehrte  alte  Heim- 
itittte  nun  ersten  Haie  wieder  betritt,  sog  ieh  die  alte  Dorlhtrafte  hin. 
„Werden  nnd  wollen  sie  dich  auch  noch  kennen;  haben  sie  dir  ein  gutes  An- 
denken bewahrt;  was  wird  aus  deinen  Schülern  geworden  sein,  hat  der  oder 
jene  gehalten,  was  sie  zu  werden  vei'sprachen'.'"'  Diese  und  ähnliche  Fragen 
nnd  Gedanken  beschäftigten  mich  beim  Betreten  des  Dorfes,  das  mir  zui- 
sueiten  Heimat  geworden  war.  Jedes  Hftnslein,  Jeder  Baun  nnd  jedes  Oftrt- 
chen,  an  dem  ich  einstmals  gleichgiltig  vorüberging,  sie  schienen  mich  wie 
alte  Bekannte  zu  grüßen,  und  ich  grüßte  sie  wieder.  Allenthalben  fand  ich 
ein  herzlich  „ Willkommen",  und  das  Händeschütteln  und  das  Fragen  nach 
meinem  Wolergehen  wollte  fast  kein  Ende  nehmen.  Ich  bin  von  Natur  aus 
nicht  mit  einem  übertriebenen  Ehrgeis  ausgestattet;  aher  so  viele  Liebe  nnd 
Treue  that  meinem  Henen  doch  nngemein  wol.  Alles  Schlimme,  was  ich 
etwa  einst  erfahren,  war  vergessen,  und  nur  Freundliches  und  Schönes  in 
meiner  Erinnerung  lebendig.  Unter  meinen  ehemaligen  Schülern,  die  sich  mir 
nunmehr  als  stattliche  junge  Männer  und  üppige  Dorfschönen  präsentirten, 
begrfi6te  mich  aneh  efai  junges  Weib,  es  war  das  Birbele,  jetst  ehie  req^ectoble 
Barbara,  Hausfrau  und  ]\Iutter.  Sie  soll  sehr  arbeitsam  und  tüchtig  sein  und 
erfreut  sich  deshalb  auch,  wie  ich  wahrzunehmen  das  Vergnügen  hatte,  der 
Wertschätzung  ihrer  Nachbarn.  Die  Schularbeit  machte  ihr  nach  jenem  be- 
deatongsvoilen  Tag  keine  sonderlichen  Schwierigkeiten  mehr.  Später  war  sie 
mehrere  Jahre  in  einem  gnton  Banemhanse  in  Dieut,  der  auf  ihre  Endehnng 
den  besten  Einfluss  hatte.  „Ei,  wie  mich's  freut,  Sie  wieder  einmal  zu  sehen," 
sagte  sie,  mir  mit  einem  dankbaren  Blicke  derb  die  Hand  schüttelnd.  „Oft 
habe  ich  daran  denken  müssen,  wie  viele  ilühe  und  Geduld  Sie  mit  mir  gehabt, 
weil  ich  halt  eine  gar  so  Ungeschickte  gewesen  bin.'*  ich  folgte  ihrer  treund- 
Udien  Einladung  an  einem  Besuch  und  war  sehr  befriedigt  von  der  bttueriieh 
einftudien,  aber  sehr  sauberen  Flihmng  ihres  Haushaltes  und  erkannte  an  dem 
vergnügten  Gesicht  ihres  Mannes,  dass  ein  guter  Geist  in  ihrem  Ileimwesen 
walte.  Nicht  minder  aber  erfreute  mich  ihre  aufrichtige  Dankbarkeiti  denn 
sie  ist  eine  seltene  Fracht  im  Lelirerieben. 


Digitized  by  Google 


Ans  der  f  adipresse. 

536.  Der  didaktische  Materialismus  im  deutschen  Sprach- 
nnteiricht  (Pild.  Zeitung  1891,  41.  42).  Ersclieinnnpen  des  ..did.  Mat.": 
t'bermaß  „ortliogr,  Übungen"  („wie  mancher  Lehrer  greift  nicht  in  zweifel- 
haften Fällen  nach  seinem  Duden  —  man  gebe  doch  dem  Schüler  ein  ähnliches 
Kaebselilagebiicli  in  die  Hand;  er  kann  daflir  einige  andere  Blidicr  sehr  gnt 
entbehren")  —  „Analysiren"  —  Denken  über  die  Sprache  (statt  in  der 
Sprache)  —  der  .,Heftecultnp'*  („er  ist  gewissermaßen  ein  Moloch,  dem  der 
Lehrei-  einen  großen  Theil  seiner  Arbeitskraft,  der  Schüler  nicht  selten  seine 
Gesundheit  opfei-n  muss").  —  Nlchtbefolgung  der  Hildebrandischen  Gesetze. 
(HinfliebtUeh  des  Lesens  wünscht  YerfSuser:  „Das  Kind  sollte  aneii  mit  etwas 
kritischem  Blick  lesen  lernen.") 

.')37.  Geflnnken  zur  Comenins-Feier  (Päd.  Ref.*)  1892,  12).  Eine 
km-ze,  edler  Begeisterung  volle  Rede  von  höherem  als  wissenschaftlich-päda- 
gogischem —  von  social -pädagogischem  (oder  politischem)  Standpunkte  ans. 
Damm  nur  üter  die  drei  Bcetrebnngen  des  Helden:  Friedliche  Vereinigung 
aller  Stände  nnd  Partelen  —  Emchtnng  der  allgemeinen  Volksschule  — 
Pflege  der  Muttersprache  und  des  wirklichen  Lebens  in  der  Schule.  —  ..Man 
könnte  Comenius  kein  besseres  Denkmal  setzen,  als  ein  Monnnient  mit  der 
Inschrift  des  29.  Capitels  (didactica  magna)  und  der  Zahl  des  Jahi-es,  in  dem 
er  dnrdi  die  großen  Gedanken  sich  die  Unsterblichkeit  erwarb.*  —  I>er  unge- 
nannte Sprecher  glaubt  (nach  seinen  Schlussworten),  dass  die  Verwirklichung 
der  „allgemeinen  Volkssclmle"  nicht  mehr  allzufem  sei:  «Schon  verkündet 
die  Dilmmernnpr  den  anbrechenden  Morgen.  Die  Volksseele  ist  mäciitig  ergriffen 
von  den  Ideen  „Menschenwürde  und  Menschenrechf ;  sie  ringt,  um  die  Bande, 
welche  nnn  schon  Jahrtansende  Undnrdi  ihre  Kraft  gefesselt  haben,  zu  aer- 
sprengen." 

r)88.  Die  Fragepnnkte  der  heutigen  Pädagogik  narh  ihrem 
geschichtlichen  Herkommen  (E.  v.  Sallwürk.  Rhein.  Blätter**)  1892, 
I,  II).  Als  Stuten  der  Entwicklung  (die  vier  Jalirlmnderte  umfasst)  werden 
genannt  nnd  in  der  bekannten  meisttffaafken  Weise  SallwUrk's  gekennseidinet: 
die  Pädagogik  des  Hnmanismns  die  methodische  Reaction  —  die  Natsr» 
endehnng  —  der  Nenhumanismus  und  seine  Ansülnfer  —  die  Erzieher  der 
Besitzlosen  f  Rochow,  Pestalozzi,  Diesterweg).  —  Schlnssartikel  über  die  Päda- 
gogik von  heute :  Sie  „besitzt  eine  vortrefflich  ausgearbeitete  Theorie,  durch  die 
«ifenfliehe  Schale  ihre  mibestrittene  SteUang  in  Staat  und  GesellschaA.**  HMisI^ 
als  solche  klar  erkannte  An^ben:  sittliche  Bildung  nnd  Erweeknni:  geistiger 


*)  Ein/elnmmner  Pfg. 
**)  Einzelheft  1,Ö0  Mk. 


Digitized  by  Google 


—   585  — 


Kraft"  (denen  die  ^nützlichen  Kenntnisse"  nnr  als  Mittel  dienen).  „Technik 
des  Unterrichts'*  „vortreflFlich  ausgebildet".  „Eine  noch  nicht  gelüste  Anfgabe 
ist  die  Elinordnnng  der  BildungsstofTe  in  einen  den  höchsten  pädagogischen 
ZklCD  «jftmmnm  Lehrplan.  Jr  dar  Verfolgung  dieser  Anilgrabe  niMi  ind 
ivlrd  eine  AuglffitclMiiir  ^  itoh  gtgmtfMg  noch  bekSmpItadeB  pidagogiMiheii 
Richtungen  stattfinden.  Dringlich  ist  diese  Aufgabe,  weil  man  von  der  Er- 
ziehung heute  eine  bestimmende  Einwirkung  auf  die  sittlichen  Verhältnisse  der 
Gegenwart  verlangt.  Dieser  Erwartung  darf  freilich  die  Pädagogik  and  die 
Sdboie  die  Bedingung  entgegenhalten,  dev  mam  ihr  «ngeriUimt  freie  «nd 
selbetftndige  Arbeit  gewUirleiste."  —  In  der  eialettendea  EriMemng  der 
nHdnnng  und  FOfKhnng  in  der  Pädagogik"  wird  bemerkt:  „Es  gibt  auf 
Erden  keine  mächtigere  AutoritAt  als  die  des  Lehrendoi}  dämm  kann  niemand 
ihn  seiner  Verantwortnng  entbinden." 

5S9.  Homo  aim  (0.  Hanffe,  Repert.  d.  Päd.*)  1891/92,  VI).  Der  mit 
viel  Wirme  gesduriebeDe  Antete  iit  reieh  «a  AnregiingeB  bd  psyeliologiaelien 
vnd  pUloeophischen  Studien.  (Nach  Hanffe's  Ansicht  „besteht  die  ganze  Ent- 
wicklung des  menschlichen  Geistes  nur  darin,  die  Fremdheit  der  Materie  zu 
überwinden  nnd  das  Band  zwischen  Leib  und  Seele,  welches  Gott  ist,  an  den 
bellen  Tag  des  Bewnssteeins  zu  bringen."  „Die  Materie  ist  nnr  ein  Moment 
in  der  Entwicklung  dee  Geistes  seihet  Der  Geist  ist  das  wahre  WesAi  des 
Menschen,  welches  aa  der  Materie  nnr  die  Weise  seiner  ftnBerlichen  Erscheinung 
hat."    Vorangegangene  Aphorismen  suchen  diese  Behanptongen  zu  stützen.) 

540.  Die  Abgötterei  des  Wissens  (E.  Fitzga,  Österr,  Schulz.**) 
1892,  1).  n^^issen  ist  Macht,  aber  nicht  Allmacht.  Die  Gegenwart  legt 
zuviel  Machdrack  auf  die  Cultivimng  dee  Verstandes,  vemacblttssigt  daher 
Gemflth  nnd  ESrper.  Die  Benrthettnng  der  Menschen  sehSpft  man  znmetet  nnr 
aus  Studien-  nnd  Prftfangszengnissen.  Je  mehr  deren  vorliegen,  desto  besser; 
daher  das  heutige  Wissensprotzenthum.  Wichtige  Eigenschaften,  die  in  keinem 
Zeugnisse  stehen,  wie  Sparsamkeit,  Treue,  Genügsamkeit,  Findigkeit,  prak* 
tischer  Sinn  etc.,  werden  infolgedessen  zn  gering  gescb&tzt."  „Die  einseitige 
und  ttbertriebene  VerstandeqiAege  ISrdert  allznseiir  den  Egoismns.*  ^Das 
Wissen  mnss  aufhören,  Selbstzweck  zu  sein,  nnd  sich  bequemen,  dem  Menschen 
zu  dienen  als  Rüstzeug  auf  seinem  Wege  zur  Sittlichkeit,  zum  Guten,  zur 
Vollkommenheit.  Ein  guter  Mensch  steht  höher  als  ein  blos  intelligenter, 
und  das  Ontsein  eines  Menschen  hängt  nicht  von  der  Ausdehnung  seines 
Wissens  ab."  (Ist  zwar  nicht  neu,  also  eine  Wiederbolnng  —  aber  eine 
nothwendige,  zeitgemäße.  Es  sind  bisher  nicht  viele  gewesen,  die  gegen  den 
jetzt  noch  in  den  weitesten  Kreisen  herrschenden  Wissenschaftscnltns  eifern.) 

541.  Die  schweizerische  Fortliildungssohule  (E.  Zingg,  Schweiz, 
päd.  Zeitschr. ***)  1892,  I).  „Die  Fortbildungsschule  isteine  nothwendige  Er- 
gänzung der  Primarschule  (deshalb  für  alle  verbindlich,  also  „Obligatorium"), 
und  dnrch  ihre  Einfügung  in  den  Schuloiganismns  erhalten  wir  erst  eine 
eigentlidA  Yolkssehnle,  die  geeignet  ist,  auf  alle  Verhlltoisse  des  privaten 


*)  Eiaseiheft  45  Pfg. 
**)  Einsefarammer  90  "Ptg. 

***)  Einzelhcft  1.20  Mk.  i4  ITcftc  kosten  im  Jahresabonnement  6  Fr.,  fÄr 
Abonnenten  der  Schweizer  Lchrerzeitung  aber  nur  2  Fr.!) 


Digitized  by  Google 


—  586  — 


und  nffentliclieu  Lebens  t  iiizuwirken."  Sorge  für  die  allgemeine  Volksschule 
soll  als  Sache  des  Bundes  rrkllirt  werden.  Als  Name  „Bürgerschule"  vor- 
zuziehen, weil  er  die  Hauptaufgabe  der  Schule  andeutet.  Schüler  vom  10.  bis 
18.  Alter^jahn  in  drei  HsllUahr8-(Wiiiter-)Giin6ii  mit  mindetttna  4  ünter- 
richtsstunden  w9chentli4dL  Errichtung  von  JahreaKhulen  (Beftignis  der  Ge- 
meinden) wäre  zu  erleiehtern  Bod  zu  begünstigen.  —  Ideale  Unterrichtsweise: 
Vorträge  und  Discnssionen  aus  den  Gebieten  der  Geschichte,  der  Landeskunde, 
der  Naturwissenschaften,  der  Volkswirtschaft  und  der  Gewerbe.  —  Besondere 
Lfthrer,  die  anMehUeinieii  im  Bttrgenchiddieiiit  stehen  (dnn  ge^gnet  nnr  die- 
jenigen, welche  n^i<^ii  praktischem  Geschick  verbinden,  auch  im  Leben 
draußen  ihren  Mann  stellen").  Die  berufliche  ADibildung  der  Lehrer  (im 
Seminar;  hat  auf  die  spätere  Wirksamkeit  als  Bürgerschollehrer  Rttckaicht  zu 
nehmen. 

542.  Die  eriiehliehe  Aufgabe  der  Handwerkertelmle  nnd 
Mittel  zu  deren  Lösung  (Cathian,  Zeitschr.  f.  gewerbl.  Onterr.*)  1891/92, 

X).  Nur  eine  verschwindend  kleine  Zahl  junger  gewerblicher  Arbeiter  tindet 
eine  angemessene  Erziehung  im  Eltern-  oder  Meisterhause.  Von  den  durch 
Behörden  und  Vereine  geschaffenen  Ersatzmitteln  (Lehrlingsheim,  Privatpflegej 
Ter^ridit  sidi  VerllMser  nicht  viel.  „Bs  bleibt  —  meint  er  —  Amt  nor  die 
Sdhnle.  Kann  die  sich  der  Erziehoog  des  Lehrlings  nicht  nach  Krttften 
annehmen,  so  ist  die  Hoffnung  auf  eine  Bessernng  der  sittlichen  Zustünde  in 
den  Arbeiterkreisen  nur  eine  sehr  schwache."  ,,Die  erzieherische  Aufgabe 
der  Handwerkerschule  lässt  sich  in  der  Weise  präcisiren,  dass  wir  sagen:  die 
nni  anvertrante  Jugend  soll  fBr  das  Leben,  ffl^  den  Kampf  nms  DaMin  vw> 
bereitet  werden,  nicht  bloe  nach  der  wirtschaftlichen,  sondern  auch  nach  der 
sittlich-religiösen  nnd  nach  der  gesellschaftlichen  Seite  hin.**  Mittel:  Wort 
Schrift.  Beispiel.  —  Einzelziele:  Ehrfurcht  vor  der  Größe,  Schönheit,  Gesetz- 
mäßigkeit der  Welt  ((.Quellen:  naturwissenschaftliche  Fächer)  —  MitgefulU 
Qimt  sldi  eraeigen  durch  Betrat^tong  der  Tagesvorgänge  —  BeBilmng  von 
Zeitangsnaehriehten!)  —  SelbstgefHhl;  Selbotaehtnng  —  wahrer  Mnth  des 
Mannes  —  Mnth  der  Erkenntnis  und  des  Eingeständnisses  —  freiwilliger  Ge- 
horsam —  Sinn  für  Gerechtigkeit  und  Recht  —  geistige  Geweektheit 
(Fähigkeit  des  raschen  Anffassens)  —  Unterdrückung  der  Neigung  zu  faulem 
AaAchiehen,  snr  UnpttnktUehkeit,  aar  Genoissocht,  Übeiliebnng,  Vornehm- 
thnerei.  —  I>er  Lehrsr  feeilich  „rnnss  ein  Mann  des  Volkes  sein;  er  darf 
dessen  Sitten  nnd  Gewohnheiten  nicht  fkemd,  kflhl  nnd  theilnahmloa  gegen- 
ftberstehen". 

543.  Die  Nothwendigkeit  der  Übung  im  lauten,  freien  and 
snsammenhängenden  Sprechen  ans  der  Katar  unserer  Sprache  er- 
wiesen (Fr.  Tanth,  Zeitschr.  f.  d.  deutschen  Unterr.*^  1891,  XII).  Vorafige 

des  hörbaren  (lebendigen,  natflrlichen)  Lautes  vor  dem  sichtbaren  Stödten, 
künstlichen)  Zeichen.  Vielseitigkeit,  Wärme,  Unmittelbarkeit  der  Lautsprache 
(Fähigkeit  zu  reichster  und  sorgtUltigster  Gliederung)  —  B^s<i)iränktheit, 
Äußerlichkeit  der  Zeichensprache.  Darum  hat  der  Mensch  die  Laatspraehe 
als  hsmehende  gewlhlt,  um  den  Eindrueic  aller  Sinne,  sowie  dfe  Gebilde  seines 


•)  Einzelnumtner  hO  P%. 
Einzelheit  1  Mk. 


DIgitized  by  Google 


—   637  — 


eigenen  Denkens  damit  auszudrucken.''  „Die  laute  Sprache  setzt  eine  durch 
Yererbong  überlieferte,  bis  ins  feinste  gehende  Ausbildimg  der  Athmnngs- 
organe  und  des  6«h9n  mit  aUen  dam  gehSrigen  Oehirntlieileii  Toraiu.  Wenn 

wir  diese  Organe  nach  ihrer  Eigenart  nicht  benutzen  nnd  ansbUden,  so 
schädigen  wir  die  Grundlage  und  Ausbildiingsfähigkeit  unserer  heutigen,  nns 
angeborent  ii  Spraclianlage  und  damit  unser  ganzes  geistiges  Leben."  ^SoU 
unsere  Sprache  wieder  eine  ihrer  Natur  entsprechende,  volksthumüche  Schönheit, 
Wolklaag,  Dordisiditigkeit»  ÜberslehtUoIikeit,  Sidierfaett  und  Eügenart  erhalten, 
so  mfissen  wir  in  der  Schule  mehr  als  bisher  das  laute,  freie,  zusammen- 
hängende Reden  mit  besonderer  Betonung  der  Kl.irlieit  und  Schönheit  sowol 
beim  Lenienden  wie  beim  Lehrenden  pflegen,  und  zwar  nicht  nur  in  der 
Einzelrede,  sondern  auch  in  Wechselrede  und  im  gemeinsamen  Sprechen,  im 
gemeinsanien  dranatisehen  Spiel,  im  gemeinsamen  Gesang.*  Hnttenpfaohe 
als  „Mittelpunkt  unseres  gesammten  Jngendlinterrichts.'' 

544.  Die  verschiedenen  Gattungen  der  Geschichtsschreibung 
und  ihre  pädagogisclie  Bedeutung  (Allg.  deutsche  Lehrerz. 1892, 
9 — 11).  Verfasser  erörtert  eingehend  die  „erzählende  oder  referirende"  — 
„lebriiafte  oder  fvagmatlsditt'*  —  nontwiek^de  oder  graetisehe  Oesehidite" 
—  die  „physischeiif  psychischen  und  culturellen  Bedingungen"  für  den 
„Werdeproccss  der  geschichtlif  1h n  Ereignisse"  und  gelangt  schließlich  mit 
Bezug  auf  die  Schule  zu  fols^i  iidem  Ergebnis:  ..Die  Hauptaufgabe  des  Ge- 
schichtsunterrichts in  der  Schule  möge  die  sein,  durch  die  Betrachtung  der 
enltorgesehiehtliehen  Bntwieklnng  der  Menschheit  nnsem  Kindwn  die  Erkenntnis 
TOD  der  fortschreitenden  HunKinitiit  der  menschlichen  Gesellschaft  zu  vermitteln 
und  ein  Geschlecht  heranzubilden,  das  den  stetig  zunehmenden  Anforderungen 
unseres  culturellen  Lebens  gewachsen  ist.  In  der  Ausbreitung  und  Vertiefung 
des  humanen  Priucips,  in  welchem  schon  Herder  die  Bedeuiung  dei'  Geschichts- 
entwicklong  erkannte,  mnss  aneh  die  Schnle  ihr  höchstes  Ziel  erblicken,  nnd 
wenn  der  Geschichtsunterricht  zur  Erreichung  desselben  ein  Scherflein  bei* 
trftgt,  so  hat  er  olfenbar  seine  schönste  und  wichtigste  Aufgabe  erfüllt." 

545.  Kopf-  und  Zwitterrechnen  (W.  Taschek,  Die  Volksschule**) 
1892,  1).  „Kopfrechnen  mit  Ziffern",  „schriftliches  Kopfrechnen"  =  „Zvvitter- 
reehnen."  Der  Eopfrech^er  soll  es  houner  nnr  mit  Zahlen  an  thnn  haben. 
Nachtheile  des  „Zwitterrechnens'*  (ersengt  u.  a.  kein  „Zahlengedächtnis*), 
Verf.  verlangt:  1,  Reines  Kopfrechnen  auf  allen  Stufen  vor  dem  Ziflerrechnen. 
2.  Abschaffung  der  schriftlichen  Darstellung  mündlicher  Kecheubeispiele  vor 
dem  eigentlichen  Zifferrecbnen  im  1.,  2.  und  auch  theil weise  noch  im  3.  Schul* 
Jahre.  (Die  dritte  Fotdamng  „Vermehmng  der  Beehenstuideii'*  ist  keine 
drtnglidm.) 

*)  Einzelnummer  2b  Pfg. 
**)  Einaehrammer  90  Tfig, 


Digitized  by  Google 


Dr.  E.  Wrobel,  Gymnasiallehrer  in  Kustock,  Übuogsbuch  zur  Arithme- 
tik und  Algebra  für  hShere  Lebranstalteo.  II.  Thett  Ar  Obefseemida 
und  Ptima.    189  Seiten.  1.40  M. 

Reenltate  lucrza.    97  S.    1.25  M.    Rostock,  Werther. 

Dea  ertitea  Theil  dieser  Sammlung  haben  wir  uchon  im  vergangenen  Jahre 
mit  (^WUender  ABerkauiiiiig  bequoohen,  und  \iit  TemBgen  dieselbe  auch 
auf  diesen  zweiten  Thcil  auszudehnen.  Die  Anlage  steht  im  Einklänge  mit 
dem  ersten  Thcil,  indem  bei  jedem  Paragraph  eine  gedrungene  Au!>einander- 
setmng  der  einschlägigen  Lehrsätze,  Formeln  und  LQsungsmethoden  Torau- 
(j:eht;  sodann  folgt  eine  große  .Anzahl  sorgt^ltip;  geordneter,  d.  h.  vom  Leichteren 
zum  Schwereren  fortschreitender  Aufgaben.  Der  Inhalt  umfasät  tiuadratische 
Gleichungen  mit  einer  ud  mehreren  Unbekannten,  Exponentialgleichungen, 
arithmetische  Progressionen  erster  und  höherer  Ordnung,  geometrische  Pro- 
gressionen, Zinseszins-  und  Rentenrecbnung,  KcttcnbrUche,  dionhantische  Glei- 
chungen, Combinarionslehie.  WahiMiieniUeuratReelmiiag,  dfltt  biii(niii«ihea  nnd 
polniomiachen  Lehrsatx. 

Wir  haben  uns  die  Htthe  niebt  verdrieBen  lassen,  eine  betiCdiilidie  Ansahl 
der  AufpalH  ii  (lurclizurfchnon,  nnd  haben  dabei  nicht  nur  keinen  Druckfehler 
gefanden,  sondern  auch  bemerkt,  dass,  wenn  ein  neuer  Vorgang  zur  Lösung 
erfcoderiieh  wird,  das  Heft  der  Besultate  bienra  Anweisung  gibt,  die  nXdist- 
ftrtgenden  .Vufsfabcn  sodann  wieder  unter  Fortentwicklung  des  ang-edeuteten 
Qeoankens  ihre  Losung  finden.  Wir  mUssen  also  auch  von  diesem  zweiten 
Tbeile  sagen,  diuss  er  der  äammlung  von  Heis  ebenbürtig  zur  Seite  steht, 
wenn  nicht  diescn)c  an  Sorgfalt  der  .\nlage  und  Durchführung  übertrifft,  und 
können  daher  dioscui  Buche  nur  die  größte  Verbreitung  wünschen.  En  .scheint 
ja  wol  ai  der  Zeit,  dass  die  viclraeb  bis  com  Überdnue  durchgearbeitete 
Sammlon^  von  Heis  durch  etwas  Neues  enetst  weide,  wosu  das  Vorliegeode 
vollste  Eignung  besitzt.  H.  E. 

Dr.  Franz  Uocevar,  Profe&sor  zu  Innsbruck,  Lehr-  und  Übnngsbuch  der 
Geometrie  für  ÜBtefgyiniiMieii.  2.Aafl.  122S.  195Fiff.imTest  U201tk, 
Derselbe,  Lehrbnch  der  Oeemetrle  fttr  ObetgTiniiasieii.   199 S.  213Fi|r« 

im  Text.   1.70  M. 

Derselbe,  iieometrische  Übungsaufgaben  für  Obergymaasien.  1.  Heft 

Planimetrie  and  Stereometrie.    51  S.    öü  Pf. 
2.  Heft.  Trlgronometrie  nnd  analytiscbe  Geometrie.  46  S.  50  Pf. 
Tng  nod  Wien,  F.  Tempsky;  Leipzig,  G.  Freytag. 

Wir  haben  unliiner^t  in  cinciti  Zeitungsartikel  drn  X'orwurf  jjclcsen,  das»  die 
BeepTecbuiiircn  neuer  liücher  hüulig  bchwaiikend  und  iinbestimnil  gehalten  seien, 
woraus  si(  h  die  unangeiebne  Folge  ergehe,  dass,  wenn  ein  Lelurer  ein  ver- 
altmdes  Buch  durch  ein  neues  ersetzen  wolle,  er  nicht  wisse,  nach  welchem 
er  greifen  solle,  ja,  dass  er  geradezu  sich  in  der  Nothwendigkeit  befinde,  alle 
enchienenen  Lehrbücher  durcbsustttdieren«  ehe  er  ntr  Wahl  schreiten  kttnne, 


Digitized  by  Google 


—  689  — 


womit  die  Beäprechuag  neuer  Bücher  aU  eine  ganz  Tersebliche  Arbeit  hinge» 
stellt  ist.  —  Diesen  Fehler  wollen  wir  nicht  auf  vw  tuen,  nnd  wollen  sofort 

erklären,  dass  die  vorBtchcndcn  Lehrbehclfe  als  musterhaft  zu  bezeichnen  sind. 
Bekanntlich  werden  an  den  höheren  Schulen  in  ( »hterreich  nur  Lehrbücher  ver- 
wendet, welche  die  Billignng  des  Unterrichtsministeriums  erhalten  haben. 

Di(»ses  System  hat  mm  allerdins^s  den  Nachtheil ,  dass  wissenschaftliche 
Fortsc  hritte  uur  ^^eh^  langsam  in  den  LchrbUchern  und  des  weitem  auch  in  den 
Schulen  Eingang  tinden;  dagegen  aber  auch  den  ^rolSen  Vortheil,  dass  nicht 
nur  ganz  mangelhafte  Bücher  gar  nicht  in  die  Öffentlichkeit  treten,  sondern 
inm  nch  in  didaktischer  Beziehung  ein  stetiger  und  höchst  beachtenswerter 
Fortochzitt  entwickelt  hat. 

Wie  aus  der  Titeluni^iibe  er^iditlich,  wird  an  den  österrriclii.schen  Gym- 
nasien der  Unterricht  der  Geometrie  zweistufig  ertheilt:  dius  Buch  für  die 
Unterstufe  ist  zugleich  Lehr-  und  Übungsbuch  und  enthält  alle  Theile  der 
Euklidischen  Planimetrie  und  Stereometrie,  jedoch  weitaus  nicht  in  der 
Schwerfälligkeit  jener  Lehrbflcher,  welche  rieh  nicht  yom  Althergebrachten  zu 
trennen  vermögen:  es  wird  von  den  Rütteln  der  Ausehauung  durch  Einftlh- 
rung  der  Begriffe  achaialer  und  centrischer  Symmetrie  auagiebig  Gebrauch  ge- 
maekt.  Eine  sehr  gro6e  AuaU  voRflgUeh  entwerfaner  und  ausgdoitrter  Figuren 
mterstUtzt  den  Text.  Man  findet  neneniiichte  Figuren,  in  Bezug  auf  die 
Lehrsätze  von  den  ungleichen  tje^enstUcken  des  Dreieckes,  dann  von  den 
lUttelpunkten  der  Dreiecken  oder  Vierecken  nmzuschxeibendett  Knise,  über  die 
mögliche  Lage  congruenter  Dreiecke.  Rbcr  die  (  '«mstruction  congruenter  Polygone, 
tlber  das  Verhältnis  der  Flächen  ähnliclier  Figuren  u.  s.  w.  Nur  eine  einzige 
Figur  mässen  wir  als  minder  gelungen  bezeichnen,  es  ist  dies  die  Abwickelung 
des  Mantels  eines  schiefen  Prismas:  dabei  ergab  sich  ein  so  stumpfer  Winkel, 
dass  man  bei  minder  genauer  Betrachtimg  denselben  für  einen  gc«treckten 
halten  wird.  —  Zur  Berechnung  der  Körpcriuhaltt  laiirt  der  Verfasser  du 
Princip  Ton  Cavalieri  ein  und  gibt  demselben  fruchtbarste  Verwertung. 

DasBu<;)i  für  die  Oberst  ufe  enthält  die  Lehren  der  Planimetrie  und  Stereo- 
metrie in  giOlerer  Vertiefung  und  mit  streng  wissenschatt lieber  Bcgrflndimg. 
Von  der  neuen  synthetischen  Geometrie  wurde  nichts  oder  fast  nichts  heran- 
gezogen, dagegen  auch  auf  dieser  Stufe  von  dem  Mittel  der  Anschauung  moglichnt 
Gebrauch  gemacht.  Im  löblichen  Bemühen  wnsste  der  Verfasser  fiir  dieselben 
Lehrsätze  auf  beiden  Stufen  verschiedene  Figuren  beizubringen,  wie  z.  B.  über 
die  Gegenstücke  ungleichseitiger  Dreiecke,  denen  beiden  achiiale  Symmetrie  mit 
uliMrhei  Aux'hauliehkeit,  jedo<  h  in  verschiedener  Gestalt  zu  Grunde  liegt.  In 
der  Stereometrie  wird  das  Princip  der  sich  entsprechenden  Gebilde  auch  äuBer- 
Ueh  ZOT  YenuiselimdiehQng  gebracht,  indem  die  penüden  Ldmltne  Uber  die 
sich  cnt!<prechcndcn  Gebilde  in  zwei-spaltig  bedruckten  Seiten  initgetheilt  werden. 
Der  Satz  des  Oavalieri  erfährt  eingehende  streng  wissenschaftliche  Begrün- 
dung, sodann  aber  aneh  anigebreitete  Verwendung. 

Wir  hatten  schon  Gelegenheit,  das  Leihlbwdi  des  Verfassers  für  Realschulen 
zn  besprechen  und  die  Vorzüge  zn  vtid^en,  welche  bei  dessen  Abfassung  der 
Trigonometrie  und  analy tischen  Qeometm  zutage  traten;  aOe  diese  Vorzüge 
wusste  iler  Vi  rt'as-i  r  am  h  seinem  Buche  für  die  Gymnasien  zn  bewahren,  ob- 
wol  die  eben  geuanaten  Theile  der  Mathematik  für  die  humanistischen  Anstalten 
Tiel  geditngter  behandelt  sind  — so  entfällt  nanentlieh  die  sphSrisdie  Trigono- 
metrie t!:änzlich  und  von  der  Geometrie  der  Lage  wird  kaum  etwa.s  flüchtig 
augedeutet.  Dagegeu  finden  wir  wieder  jene  wolerdachten  Figuren,  welche 
für  alle  WinkelgröBen  eine  einheitliche  Ableitung  der  Fonnel  für  die  Functionen 
der  Summe  und  Piflerenz  zweier  Winkel  gestatten,  und  auch  jene  Figuren,  an 
welchen  die  .Vnflüsnugsformeln  der  Dreiecke  geometrisch  construirt  sind.  — 
In  der  anal  ti  «Ihii  Geometrie  ist  die  Bichtung  der  Drehung  arithmetisch  fest- 
gehalten, indem  die  Drehung  entgegengesetzt  dem  Uhrzeiger  als  die  positive 
angenommen  wird.  Diese  Festsetzung  gestattet  die  Aufstellung  der  Gleichung 
von  Winkeisymmetralen,  deren  Verbindung  sodann  avf  die  symbolischen 
Formeln  führt. 

Die  beiden  Hefte  der  Übungsaufgaben  sind  dem  Lelnbuche  fllr  Obeigymnasien 


Digitized  by  Google 


—  640  — 


derart  augepasstj  daiss  die  Aufgaben  in  derselben  Wei^e  wie  das  Lehrbuch  ge- 
ordnet iind,  vnd  du»  Übungsheft  nadi  Paragraphen,  Fignren  und  Zahlen  nch 

auf  das  Lehrbuch  bezieht,  so  dass  das  rinc  ohne  dxs  andere  kaum  zweckmäßig  tre- 
braucbt  werden  kannte.  Die  Sammlung  enthält  1541  Beiapiele  und  ist  dem- 
nach eine  sehr  reichhaltige  ni  nemieB;  auf  Jedes  der  vier  ^mpttheile  entftüUm 
nngefähr  400  Nuramern. 

Die  Verlagshandlung  hat  ihr  möglichstes  gethan  einerseits  für  tiae  schöne 
lud  sorgfältige  Ausstattung,  andeneits  fttr  einen  möglichst  billigen  Preis; 
es  verdient  d^er  dieses  Buch  als  ein  in  jeder  Beaielinsg  musterhaftes  beste 
Empfehlung.  H.  £. 

Hr.  W.  KrieM,  Sdraliiupeetor,  Ansgangspankte  und  Ziele  des  ireo- 
metrischen  TTnterrichtes  in  der  Volkuohule.    54  S.    3.  Avil 

Breslau,  Morgenstern.    50  Pf. 

Wir  haben  schon  bei  der  ersten  Auflage  vor  5  Jahren  bemerkt,  dass  der 
Titel  dee  Toiiiegenden  Heftes  etwas  ganz  anderes  erwarten  lisst  als  ge- 
boten wird;  der  Titel  scheint  auf  eine  Methodik  hinzuweisen,  der  Inhalt 
zeigt  sich  aber  ak  ein  höchst  elementares  Lehrbuch  der  Geometrie.  Die 
„Unterstufe"  soll  die  SchOler  mit  dem  Oebranch  von  Zirkel  und  Lineal  be* 
kannt  machen,  will  also  im  {janzpn  ein  propädeutis<bor  Unterricht  sein; 
dabei  kommen  jedoch  schon  auf  der  dritten  Seite  Wiukei  ^au"  l'arallelen  zur 
Behandlung,  —  nicht  ^zwischen"  Parallelen,  wie  dort  als  Aufschrift  unrichtig 
steht.  Sondtrbarcnveise  iinterlässt  es  der  Verfasser,  der  Erklänine:  der 
Winkel  au  Parallelen,  sowie  der  Eiutheilung  der  Vierecke  eine  Figur  bejzu- 
tügen,  obwol  er  später  mit  den  Figuren  nicht  gerade  sparsam  ist.  Wir 
geben  für  den  propftdeutiiichen  Unterricht  unbedingt  der  Darlegung  der  Be- 
nehnngen  von  Linien  und  Fignren  an  KörpermodeUen  den  Yorsng  und  sind 
auch  der  festt.n  Überzeugung,  dass  dieser  Vorj^arip:  dem  Schüler  die  Sache  viel 
rascher  und  leichter  zum  Verständnisse  bringt^  als  der  vom  Verfasser  befolgte 
Vorgang. 

Die  „Mittelstufe "  setst  den  geometrischen  Zeicbennnterricht  fort  in  der 
Herstellung  von  31nßgtäben,  in  der  Theilung  von  Strecken  und  Winkeln,  in 
der  Darstellung  von  regelmäßigen  Viele<-ken,  Ellipsen  u.  s.  w. 

Die  ^Oberstufe"  beginnt  mit  der  Congrucnz,  brinj^t  etwas  Weniges  über  die 
Ähnlichkeit  and  geht  abbald  Uber  anr  Berechnung  des  Inhalts  ebener  und  einiger 
iftamHeher  Gebilde.  Die  Figur,  welche  der  Vemisser  cor  Entwicklung  des  pv- 
thaporilischon  Lehrsatzes  bringt,  ist  m>  imliiiiolf*  n,  dass  sir  von  den  Schülern 
als  Edelsbrikcke  bezeichnet  wird,  sie  wäre  daher  zweckmäßig  durch  eine  hand- 
samere, (kren  es  sehr  viele  gibt,  zu  ersetsen.  Gleichfalls  nnbeholfen  ist  die 
auf  Seite  42  luicrt  L-^clicnf  Art,  ein  reffclmä Bitzes  Vieleck  zu  zeichnen,  und  auch 
unnöthig,  nachdem  schon  auf  iSeite  28  ein  eintachcrer  Vcrgang  dafür  gegeben 
ward.  Ohnehin  darf  angenommen  werden,  dass  d«-r  Schüler  derart  zusammenge- 
setzte Constructionen  rasch  vergisst  und  sich  bt  iin  thatsächlichcn  Hedarff  entweder 
eines  Trans^rteurs  oder  der  vcrsucbsweiseu  Tbeiiuug  bedient.  —  Bonn  Trapez 
und  beim  Bingnosschnitt  kommen  Formeln  vor,  welche  der  algebraischen  Ortho- 
graphie ganz  zuwider  sind.  Ein  Verstoß  gegen  die  mathematische  Orthograp 
phie  ist  ein  viel  schwererer  Fehler  als  ein  Verstoß  gegen  die  sprachliche;  letzterer 
kann  den  Leser  höchstens  zu  der  Bemerkung  voranla>sen,  dass  die  Recht- 
schreibung des  Verfassers  eine  ungebräuchliche  sei;  ersterer  aber  veranlasst  den 
Leser  unbedingt  zu  einem  sachlichen  Irrthnm  iMsllgHch  der  AnsfOhrnng  vnd 
Itichtigkeit  einer  Rei  bnun^j.  Wenn  das  Büchlein  trotz  un  riiitreii  Inhaltes  und 
mangelhafter  Auafährung  es  doch  zur  dritten  Auflage  gebracht  hat.  so  sind 
die  Ürssehen  dieser  Ezsdieinung  jcdenfialls  wo  anders  za  suchen,  als  un  Werte 
des  Gebotenes.  H.  E, 


Virantwortl.  Kedoctcur  Di.  Friedrieb  Dittet.   BosMmckcrci  Jnliua  Klinkbardt,  Leiptig. 


Digitized  by  Google 


Das  Gewissen  und  seine  Fliege. 

Von  AvgvH  Btlhm'KSm^ibtrg  in  Oitpveaten. 

In  seinem  neuesten  Essay:  „Ansichten  über  Socialpolitik  des 
Staates'*,  führt  Herbert  Spencer  sehr  treffend  das  Folgende  aus: 
„.  .  .  .  Der  nienschliche  Charakter  ist  das  Kesultat  einer  viel  tausend- 
jährigen Geschichte,  in  der  die  Menschheit  sich  allmählich  aus  dem 
antisocialen  Zustande  ewiger  Kriege  zu  dem  heutigen  vergleichsweisen 
socialen  Zustande  emporgeschwungen  hat.  Eine  Menge  von  Zügen, 
die  in  jenen  vergangenen  Zeiten  wilder  Kämpfe  und  ungezügelter 
Leidenschaften  sich  ausgebildet  haben  und  damals  den  Menschen  zur 
Behauptung  im  Kampfe  ums  Dasein  geschickt  machten,  belasten  ihn 
noch  heute  und  bilden  die  Quelle  des  meisten  Elends  und  Unfriedens 
in  der  Gesellschaft.  — 

Ein  logischer  Irrtham  oder  verbissener  Pessimismus  bewog  ihn 
aber  dazu,  hinzozuiligen:  »Enieheii,  Predigen  hilft  hier  so  gut  wfo 
nichts,  nnd  menschliche  Wdsbeit  ist  hier  ohnmächtig;  wirksam  ist 
nur  die  mranteibrochene,  langsame  nnd  grausame  Zncht,  die  durch 
die  Natur  der  Verfafiltniräe  geabt  wird."  —  Er  begeht  hier  offenbar 
den  Fehler,  dass  er  die  durch  Nachlfissigkeit,  Zuchtlosigkeit  und 
Schlaffheit  der  ftthreaden  KSchte  eines  Volkes  geschaffenen  YerhSlt- 
nisse  mit  den  durch  Um-  und  Vorsicht,  sitüiehen  Emst  und  aus- 
harrende Treue  erstrebten  in  einen  Topf  wirft  und  auSer  acht  ISsst^ 
wie  die  letzteren,  wenn  auch  sehr  langsam,  doch  schlieSlich  den  Sieg 
Uber  die  erateren  eirungen  haben. 

Wie  viel  elender  würde  es  aber  in  der  Welt  ausseben,  wenn 
Familie,  Schule,  Kirche  und  Staat  sich  jeder  Einwirkung  zum  Besseren 
enthalten,  wenn  Presse,  Wissenschaft  und  Kunst  muthlos  jedes  ver- 
edelnde Bestreben  unterlassen  und  alle  Bessergesinnten  die  Stimme 
der  Erfahrung  und  Vernunft  auf  der  ganzen  Linie  verstummen  lassen 
wollten!  Im  Gegentheil:  je  emster  die  Zeit  —  und  unsere  ist  wahrlich 

PMU«a«iSB.  14.  Jaliig.  H«(t  UL  S8 

Digitized  by  Google 


—   Ö42  — 


erust  genug!  —  desto  eifriger  mOssen  die  Vorkehrungen  za  sittlicher 
Erstarkung  geprüft  und  nach  BeAind  znr  Anwendung  gebracht  werden. 

Sehr  t>ch>ver  ist  es  aber,  die  richtigen  Jleilmittel  lieraiiszufinden 
in  einer  Zeit,  in  der  die  alten  Autoritäten  fast  duichweg  wanken, 
weil  ihre  Stützen,  die  blinde  Furcht  und  die  Unfähigkeit  der  Menge 
zu  selbstständigem  Denken,  mit  ihnen  zugleich  zu  vei^sch winden  im 
Begriffe  sind.  —  Nadidem  man  lange  die  Hilfe  In  einseitiger  Pflege 
des  Intellects  gesacht,  alhnählich  aher  geftinden  hat,  dass  die  Mehr- 
zahl der  so  Erzogenen  zu  herzloser  Selhstsncht,  sittlicher  Öde,,  wo 
nicht  gar  zn  rafiOnirtem  Spitzhabenthmn  heranreifte;  nachdem  man 
femer  den  etwas  schflehtemen  Versuch  der  Znrttckschraahnog  der 
Menschheit  in  die  alte  knechtende  Dommheit  aufgegeben  hat,  da  statt 
der  gewünschten  bescheidenen  EinfUt  eine  i-oh-thierische  OldchgÜtig- 
keit  sich  einstellen  wollte,  will  man  es  jetzt  wieder  einmal  mit  der 
Kirche  ymidien,  stellt  reomflthig  alle  seit  Jahren  gegen  die  katho- 
lische Geistlichkeit  gebrauchten  Walfen  beiseite  und  versieht  sie  wie 
die  evangelische  Kirche  mit  ungeahnt  reichen  Oeldmitteln  und  den 
weitestgehenden  Machtbefugnissen  tkber  die  Sohule.  —  Ob  es  helfen 

wird?  Wii"  bezweifeln  es,  solange  die  Kirche  selbst  nicht  einen 

Schritt  Torwärts  thut,  um  sich  die  Theilnahme  aller,  auch  der  Qe- 
bildeten  zn  erringen.  Und  so  bleibt  denn  vorläutig  die  abermals  in 
unvOTdiente  Fesseln  geschlagene  Schule  der  wiclitigste  Factor  für  die 
Hebung  der  menschlichen  Gesellschaft  aus  dem  Sumpfe  der  Selbst- 
sucht und  Genusswuth  unserer  Tage.  Dieser  al»er  ist  iiierfür  kein 
anderes  Mittel  so  zu  empfehlen  als  die  Kräftigung  und  Ausbildung 
der  im  luneni  jedes  Kindes  schlummeniden  Autorität:  des  Gewissens. 

Zunächst  nun  einige  Worte  über  dieses  selbst. 

Das  Wort  „Gewissen"  ist  seinem  Staninie  nach  von  dem  Worte 
„wissen"  abgeleitet,  während  seine  Vorsilbe  so  viel  wie  „mif  oder  „zu- 
sammen-' bedeutet.  —  Lange  kannte  man  dies  Wort  gar  nicht;  denu 
die  alten  Griechen  sprachen  nicht  vom  Gewissen,  sondern  von  Erinnyen 
(Furien),  welche  die  Bösen  plagen  sollten.  Erst  kurz  vor  ihrem  Ver- 
falle kamen  sie  der  Wahrheit  naher,  und  ihre  Sophisten  lelirten:  ,.Der 
Mensch  ist  das  Maß  aller  Dinge",  während  Sokrates  den  tiefsinnigen 
Satz  aussprach:  „Die  Tugend  ist  ein  Wissen;  nur  was  mit  dem  vollen 
Bdwuastsein  des  sitüidifln  Gesetzes  geschieht,  ist  gut,  und  wer  die 
Tugend  wirklich  in  Ihrem  Wesen  ericannt  hat,  der  muss  nothwendig 
auch  tugendhaft  sein."  —  Unter  den  Bdmem  waren  es  besonders 
Cicero  und  Seneca,  welche  sehr  treffend  die  innerlieh  mahnende  Stimme 
des  Gewissens  durch  ihre  Aussprüche  rerdeutlichten;  denu  ersterer 


Digitized  by  Google 


—  543 


«pradL  das  Wort:  „Jeden  qnfilt  seiBe  Bosheit'',  und  Seneca  memte: 
»Ein  sacer  spirittis,  eine  heilige  Begang,  ein  von  der  Gottheit  stam- 
mender  Zug  der  Seele  wohnt  in  nns  aJa  ein  Beobaehter  and  Wächter 
Uber  Gntee  und  BOses.**  Aber  erat  dem  nm  ihre  Zeit  lebenden  Apostel 
Panlns  kam  der  rechte  Ansdrock  dessen,  iraa  sie  ffthlten,  indem  er 
ans  Eorinth  an  die  Christen  in  Born  von  den  Heiden  schrieb,  «die 
das  Oesetz  nich^  haben  und  doch  yon  Natmr  thnn  des  Gesetzes  Weri[, 

....  sintemal  ihr  Gewissen  sie  bezeuget*  Und  seitdem  spricht 

man  häufig  vom  Gewissen,  so  häufig,  dass  man  oft  g:anz  vergisst,  sich 
der  Bekanntschaft  mit  dem  Wesen  desselben  zu  befleißigen. 

Bekanntlich  führt  ein  Wissen  wollen  zn  jeder  Seelenthätigkeit; 
ohne  dieses  gäbe  es  keine  Wissenschaft,  keine  Lust  am  Schönen, 
keine  Kunst,  kein  Recht,  keine  Sittlichkeit,  keine  Religion.  Neben 
diesem  Wissenwollen  geht  der  menschliche  Grundtrieb  auf  ein  Ver- 
langen, ein  Streben  nach  einem  Gut,  welches  je  nach  der  Indivi- 
dualitat des  Menschen  von  tausendfacher  Art  sein  kann.  —  In  dieses 
oft  widerstreitende  Triebleben  sucht  ein  uns  angeborener  Zug  Ordnung 
zu  schaflfen,  was  bei  den  durchweg  sinnlichen  Bedürfnissen  der  Thiere 
nicht  der  Fall  ist.  Bei  ihnen  ist  daher  kein  innerer  Conflict,  er  sei 
denn  durch  Eingritfe  der  Menschen  ihnen  anerzogen.  Dies  Ordnen 
ist  neben  dem  logischen  Denken  auch  das  dem  Menschen  Charakte- 
ristische. Gewöhnlich  gelangt  dieser  Ordnungssinn  bei  ihm  auch  zui* 
Herrschaft  Uber  alle  anderen  Triebe,  wflrde  aber,  da  der  ordnende 
Intellect  an  nnd  fOr  sich  interesselos  ist,  noch  wertlos  bleiben,  wenn 
inr  Menschen  daneben  nicht  noch  ein  sittliches  Princip  wohnte,  das 
den  Ausgleich  der  selbstischen  mit  den  geselligen  Neigungen,  ein 
Unterordnen  der  Sinnlichkeit  nnter  den  Geist  anstrebte.  Dieses  Princip 
ist  uns  offenbar  angeboren  nnd  als  ein  wesentliches  Gattnngsmerfcmal 
des  Menschen  anzosehen.  Selbst  bei  den  allerroheBten  Völkern  der 
Erde,  sogar  bei  den  Menschenfressern  finden  wir  es;  denn  bei  ihnen 
auch  gilt  eine  Unterwerfong  aller  unter  einen  Gebraoch,  anter  eine 
Ordnung.  Anch  sie  verachten  Feigst,  Yeriogenhelt  n.  a.  m.  nnd 
ehren  Math,  Verachtung  von  Schmerz,  Mühe  nnd  Geduld  bei  ESn- 
fibung  ihrer  Fertigkeiten  o.  dergl.  —  Und  von  diesen  Anfängen  an 
ist,  das  steht  fest,  das  sittliche  Princip  bildend  gewesen  bis  auf  den 
heutigen  Tag,  bis  zur  G^taltang  des  jetzigen  ästhetischen  Geschmackes 
in  allen  Künsten.  Die  von  diesem  Frindp  gelenkten  Triebe  sind  zwar 
noch  kein  Gewissen,  bilden  aber  seinen  wichtigsten  BestandtheU;  denn 
zu  diesem  Angeborenen  tritt  nach  und  nach  eine  Gewinnung  von  fest 
nnd  inmker  fester  werdenden  Normen  oder  Gesetzen  für  jedes  Indivi- 

36* 


Digitized  by  Google 


—   544  — 

duun,  sngliiieb  angepftsst  dem  jeweiligen  Zeltgeiete.  Dts  Ganze  -dieBer 
dtükhen  VorsteUmigen  lagert  sich  schließlich  als  Richtschnnr  für 
unser  Handeln  im  Oewiaaen  ab.  Das  Gewissen  ist  also  das  Gefiihi 
einer  inneren  NOthigong,  onser  Wollen  und  Handeln  nach  dem  Ka6- 
Stabe  der  Ton  nns  als  Terpflicbtend  yorgefondenen  nod  aaerkaanteD 
Normen  an  prUÜBa  nnd  zu  richten. 

Bevor  ich  nun  zu  den  AusfiUiningen  über  die'  Pflege  des  Ge- 
wissens übergehe,  möchte  ich  noch  zwei  Irrthümer  in  Bezug  auf  das- 
selbe widerlegen.  Der  eine  ist  der,  dass  man  annimmt,  das  Gewissen 
könne  irren;  er  beruht  aber  entschieden  darauf,  dass  man  von  einer 
falschen  Norm  aus  urtheilt  oder  logisch  falsch  schließt,  und  es  lie^t 
dann  eben  ein  Irrthuin  des  Verstandes  vor,  der  nicht  überlegend 
genug  eingriff.  Man  kann  also  wirklich  einmal  die  thörichtest«  und 
verfehlteste  Handlung  mit  ganz  ruhigem  Gewissen  begehen  und  die 
vernünftigste,  ja  allein  richtige  nicht  ohne  vorhergängige  Einrede  und 
Beunruhigung  des  Gewissens.  -  Einen  anderen  Irrthum  begeht  mao^ 
indem  man  einen  Unterschied  zwischen  einem  bösen  und  guten  Ge- 
wissen macht.  Er  hat  sich  jedenf  alls  dui'ch  einen  bloßen  Sprachgebrauch 
eingenistet;  denn  wenn  das  Gewissen  nach  unserer  obei'flächlicheu 
Meinung  so  recht  bdse  zu  sein  scheint,  so  übt  es  seine  Fonction 
gerade  recht  gut  and  ToUkmunen  ana.  Eb  geht  eben  mit  dem  Oewiaien 
irie  mit  der  Geaindheit;  dieae  ist  da,  wenn  kein  Schmers  geflUüt  wird; 
daa  Gewiaaea  ist  gut,  beaaer  rnhig,  wenn  ea  nichta  BOsea  an  ver- 
aeiaea  hat  Und  es  ist  fttnigena  dooh  eine  recht  gaSdige  Einrichtnng, 
dass  daa  Gewiaaea  sich  aoch  des  Ihatitatea  der  Veijfthning  nnd  Amnestie 

befleilUgt»  aonat  kimea  wir  doch  wol  vor  ewiger  Unnihe  nm.  — 

Wol  alle  Jfenadwn  haben  em  Gewiaaen;  daa  aahmea  dean  ancfa  blaher 
alle  Geeetsgeber  an,  —  und  man  rüttle,  ganz  besonders  Charakter* 
schwadiea  gegenüber,  aa  dieser  Wahrheit  nicht,  sonst  nimmt  bei  ihnen 
daa  Eatachnidigen  kein  Ende  —  aber  die  im  Leben  allm&hlich  ge- 
wonnenen Normen  sind  offenbar  sehr  verschieden,  je  nach  der  Bildonga- 
atafe,  dem  Zeitalter,  dem  Volk  nad  der  ladividnalität  Daa  Gewiaaea 
kann  also  ausgebildet  werden. 

So  tröstlich  diese  Gewissheit  auch  ist:  sie  hält  ans  Emehem  zu- 
gleich eine  Pflicht  vor,  wie  sie  schwieriger  kaum  gedacht  werden 
kann.  —  0,  wie  athmet  selbst  mancher  ganz  gewissenhafte  Lehrer 
auf,  wenn  er  bei  einem  Überblick  des  vorgeschriebenen  Jalirespensums 
findet,  dass  dem  da  geforderten  Soll  gegenüber  ein  ziemlicli  deckendes 
Haben  von  ihm  aufgewiesen  werden  kann;  und  doch  ist  seine  Pflicht 
damit  nui*  dem  Äußeren  oach  erfüllt:  gerade  die  Hauptsache  will  aa8> 


Digitized  by  Google 


—   545  — 

dor  Haitang  der  daase  in  nnd  anBer  der  Sehale,  ans  der  Lebena- 
«ufbasDiig  und  Lebensbaltmig  der  schon  Erwachsenen  anter  seinen 
SchtUem  heraosstadirt  irerden.  — 

„Non,  damit  hat  es  gnte  Wege^  meint  gewiss  mancher  stftdtiscbe 
Lehrer,  der  an  einem  Schiihuigeheiiv  von  «wOlf ,  achtMhn  nnd  mehr 
Oiassen  arbeitet  and  womOe^di  in  der  HAlfte  derselben  an  thnn 
hat  Und  leider  kann  er  es  sagen;  demi  wer  will  da  noch  nach- 
weisen, welches  seine  Schüler  sind?!  —  Niemand,  -  auch  der  Ge- 
wissenhafteste nicht,  —  kann  da  nocli  eine  einheitliche  £inwirkang 
auf  die  Schüler  aosüben,  die  nach  drei  bis  vier  Schuljahren  von  der 
tiefsten  Bedeutung  vor  ihm  auftauchen,  um  nach  etwa  einem  Jahre 
bereits  wieder  aus  seinem  Gesichtskreise  unter  den  tausend  und  mehr 
seiner  Schüler  für  lange  oder  immer  zu  verschwinden,  die  gewöhnlich 
10  bis  20  und  mehr  Lehrer  gehabt  haben,  von  denen  jeder  nach  seiner 
Weise  an  ihnen  arbeitete!!  —  AUerweltsfreunde  und  wahre  Chamäleons- 
naturen können  da  meistens  gezeitigt  werden,  auch  wenn  ein  solches 
Schulungethüni  den  tüchtigsten  Rector  hat,  der  auf  ein  ziemlich  ein- 
heitliches Verfahren  sein  Augenmerk  richtet.  —  Ja,  wie  sieht  es  damit 
aber  in  Wahrheit  ans?  —  Und  wie  kann  es  damit  aussehen  in  einer 
Stadt  von  150000  bis  300000  Einwohnern,  deren  Schulleitung  mit 
ihrem  Ungeheuern  Wust  von  Bureaukratismus  und  tausendtaltigen 
persönlichen  Bestrebungen  und  Wtililereien  im  Grunde  einem  Manne, 
dem  Stadtschulrath  von  „classisch-humanistischer  Sorte^  in  die  Hand 
gegeben  ist?!  —  —  Wollte  man  dieses  Tohuwabohu  einigermaßen 
acharf  beleuchten,  so  konnte  man  BOdier  voll  der  sehreddiehsten 
Dinge  berichten.  Also  fort  davoni  Frene  dkli  darom,  dn  scheinbar 
nrmsdiges  Landsebidmeisterlein;  denn  dn  hast  keine  Ahnung  von  dem, 
was  gerade  manchem  tOchtigen  nnd  chankterfiBsten  stidtisehen  Gollegen 
die  Seele  zenreißen  mnss,  kannst  «igen  auf  diesen  nnd  jenen  deiner 
ehemaligen  Schiller  nnd  mit  Fronde  und  Genngthvong  sagen:  Das  ist 
«iner  meiner  SchQler,  sein  Werden  nach  dem  Geist  ist  mein  Werk!  — 

Wie  kann  nnn  aber  das  Oewissen  des  Sehltters  gekräftigt  nnd 
gut  ausgebildet  werden? 

Es  geschieht  dies  einmal  durch  StSrioing  jenes  angeborenen  sitt- 
lichen Princips.  Wer  sie  bewirken  will,  moss  sich  selbst  auf  den  Boden 
des  Guten  und  Rechten  stellen,  sonst  verletzt  er  täglich  und  stündlich 
die  sarten  Anlagen  des  seelischen  KeimpdJMMchens  in  seinen  Zöglingen; 
sonst  verliert  er  mehr  und  mehr  alle  jene  unsichtbaren  Anknttpfungs- 
ponkte  nwischen  sich  nnd  den  zartbesaiteten  Kinderherzen.  —  Wer 
das  veimag,  der  braucht  sich  ttber  das  Wie  nicht  ängstlich  den  Kopf 


Digitized  by  Google 


—   546  — 


zu  zerbrechen:  seine  Schlier  hiogen  aa  ihm  mit  den  Augen  und  Herzen; 
sie  BteUen  rieh  auf  seine  S^,  wem  er  das  Sehlechte  nm  sie  her 
verdammt,  nnd  athmen  dankerfOUt  auf,  wenn  er  sich  Ittr  das  Onte 
erhebt 

Zorn  andern  hilft  man  dem  Gewissen  der  Schiller  dadurch  &v£, 
dass  nun  sie  nach  und  nach  daran  gewohnt,  auf  sich  selbst  za  merken, 
wolTerstanden:  der  einzdne  auf  rieh  selbst  Wie  delicat  muss  aber 
diese  Sache  angefangen  werden,  wenn  mau  nicht  mehr  verderben  als 
gutmachen  will.  —  Soll  doch  die  Jugend  ihre  Freude,  der  Jüngling 
seine  Lust  haben!  Weiß  man  doch,  wie  verderblich  der  Jesuitenorden 
gerade  auf  diesem  Gebiete  gewii-kt  hat!  —  Und  doch  muss  es  gewagt 
nnd  gemacht  werden;  denn  ohne  innere  Einkehr  keine  Auskehr  der 
im  Innern  bereits  vornestelten  Untugenden.  —  Ich  sagte  schon,  dass 
man  sie  nach  und  nach  daran  frewühnen  muss:  immer  milde,  aber 
dringend,  immer  mit  freudigem  Hoffen  auf  ein  gutes  Gelingen,  stets 
mit  Genugthuung  über  das  schon  Gewonnene,  mit  sieggewisser  Stiiii- 
raung  dem  noch  zu  Überwältigenden  gegenüber,  bis  man  schlieUlich 
von  dem  Scliüler  weniger  als  Lehrer,  denn  als  Freund,  weniger  als 
kühldenkender  Arzt,  denn  als  bewährter  Mitkämpfer  anerkannt  wird. 

Man  muss  femer  das  Gewissen  der  Scliüler  dadurch  auszubilden 
suchen,  dass  man  ihnen  turtgesetzt  aber  mit  Maßen  richtige  Normen 
bietet  und  auf  stete  Beachtung  derselben  hält.  Ein  paar  Stichwr»rter, 
mit  Beharrlichkeit  an  der  richtigen  Stelle  eingesetzt,  wirken  mehr 
als  hundert  langathmige  Lehren  und  Gesetze. 

Auch  glaube  man  ja  nicht,  dass  der  Stoff  und  die  Sache  selbst 
schon  zwingend  nnd  unentwegt  eine  veredehide  Wirkung  ausüben  und 
allcB  som  Besten  kehren  wird!  —  0,  wie  manches  Gebotene  wird 
noch  nicht  eitMwt  oder  nicht  hlsreiehend  gewürdigt  nnd  oft  nvr,  wril 
die  innere  Theünahme  des  Anbietenden  keinen  treffenden,  packendeD 
Ansdmck  f&nd.  Und  wie  oft  hat  man  in  PrllftmgslUIen  keine  Zeit 
oder  Lnst  mehr  dam,  langwierige  nnd  tiefe  Betrachtungen  Aber  die 
sich  aofdrftngende  Angelegenheit  ansostellen,  nnd  nnr  das  glftcUiche 
Auftauchen  eines  so  oft  als  treffend  anerkannten  Wortes  brachte  die 
Rettung  vor  flbereilter,  unbedachter  That  Hsn  biete  den  Kindern 
auch  nur  solche  Nonnen,  die  einem  ans  dem  Herzen  kommen,  und 
nicht  solche,  welche  als  landläufige  Redensarten  bereits  bis  zum  Über» 
druss  gehört  shid  und  daher  Terdftchtig  oder  doch  abstofiend  wirken 
könnten. 

Erst  bei  vorgeschritteneren  Schülern  wage  man  es,  durch  An- 
legung eines  höheren  II aßstabes  die  sittlichen  Begriffe  seiner  Schüler 


Digitized  by  Google 


—   547  — 


zu  erweitern  und  zu  verfeinern.  Hierbei  ist  jedoch  gleichfalls  die 
größte  VoreichL  zu  gebrauchen,  da  man  eben  nie  vergessen  darf,  dass 
man  es  mit  Kindern,  also  mit  Wesen  zu  thim  bat,  denen  sich  meistens 
erst  nach  dem  Austritte  aus  der  Schule  der  roUe  Emst  des  Lebens 
im  mMeflen  pflegt.  Hier  ist  meistens  ein  anfrichtigeä  Wort  Uber 
selbst  erlebte  dttliclie  Schwierigkeiten  mehr  am  Platze  als  gewisse 
Warnungen,  die  gerade  unbeabsichtigte  Unterweisungen  im  Bösen 
werden  kOnnen.  —  Wie  viel  Segen  wftrde  in  Bezug  auf  das  eben 
erwfthnte  Mittel  zur  Gewisseuspflege  euie  den  Zielen  nach  gleichai-tige^ 
aber  nach  und  nach  sich  immer  swangsloser  gestaltende  Fortbildungs* 
schule,  die  sidi  gleich  an  die  regelrechte  Schulzeit  anschlieftt,  schaffen! 
Erst  ebiem  Jünglinge  kann  man  mit  Erfolg  zurufen:  «Werde  ein 
Charakter!**  oder  „Wer  im  Greckoiiaul^utz  dnhergeht,  ist  eine  wan- 
delnde Lttge.**  Und  der  Jungfrau:  „Fnter  dem  I^lbweltsflitter  leidet 
jede  Anmutl),  wie  jede  wahre  Schönheit,"  „Das  Außere  mnss  mit  dem 
Innern,  die  Kleidung  mit  der  Bildung  und  dem  Stande  Übereinstimmen." 
Diesem  Alter  ruft  man  eher  mit  Erfolg  ins  Gewissen:  „Jeder  hat  nur 
einen  Platz,  den  möge  er  gut  ausfüllen/  „Niemand  darf  wähnen, 
dass  er  in  dem  Mittelpunkte  des  Weltganzen  stehe/  „Wer  seine 
Aifecte  noch  nicht  beherrscht,  der  sitzt  noch  tief  in  der  Knechtschaft/ 
„Nicht  das  Behagen  des  Menschen,  sondern  seine  Pflicht  ist  der 
Zweck,  wohin  alles  tendirt.-  „Edel  .sei  der  Menscli,  hilfreich  und 
gut."  —  Fort  also  mit  den  zu  spät  einsetzenden  Fortbildungsschulen, 
deren  Besuch  erst  erzwungen  wird,  wenn  eine  unheilvolle  Verwilde- 
rung bei  der  Jugend  eingerissen  ist,  und  die  außerdem  nichts  (iemüth- 
biidendes  bietet! 

Ein  ganz  besonders  ertolgreiches  Mittel  zur  Pflege  des  (-rewisseDS 
ist  die  Erziehung  zur  Pietät  vor  allein  Großen  aller  Völker  und 
Zeiten.  T>a  mir  das  Thema  niclit  gestaltet,  mich  hierüber  eingehend 
zu  verbreiten,  so  deute  ich  das  Große  nui*  an  mit  dem  Herzenswunsche: 

Griechenscbönheit,  keusrh  und  ynhr, 
Küinerrech f ,  parteilos,  klar. 
BritCQiiraktik,  lest  und  gut, 
0eatiehn  Wisien,  dentacher  Huth, 
GaUteu  Liebreis,  geistdinditiiiikt, 
dritten  lieb,  dvrch  nichts  bcschriUikt, 
Xordlands  anspruchsloses  Wesen: 
Muchct  doch  die  Weit  geuesen! 

Aber  auch  durch  Gewöhnung  zui'  Pietät  gegen  den  Einzelnen 
mnss  das  Gewissen  geschärft  werden;  denn  „die  Ehrfurcht  bewirkt", 


Digitized  by  Google 


—  548  — 


sagt  Dr.  Paul  Gülilcld,  „dass  das  Kind  gehorsam  sein  will,  und  so  wird 
Gehorsam  das  Ziel  seines  ^^'ille^s  und  nicht  dessen  Geißel."  Diese 
Ehrfurcht  vor  der  einzelnen  Persönlidikeit  ist  aber  heute  ein  gar 
seltenes  Ding;  denn  Leute,  die  allei;  von  ihnen  bisher  Hochgeschätzte 
zusammenbrechen  oder  doch  wanken  sehen,  sind  sehr  geneigt,  auch 
die  achtenswerte^ste  Persönlichkeit  mit  einem  einzigen  Worte  gleichsam 
abzuthun  und  den  nun  gar,  der  in  eigenster  Weise  die  Welt  an- 
schaut und  auf  eigene  Weise  sich  mit  ihr  abfindet,  eben  weil  er  nicht 
zu  der  Dutzendware  und  den  oberflächlichen  Allerweltsfreunden 
gehört,  zu  verlachen  und  zu  besudeln.  —  Auch  das  begabteste  Kind 
muss  zur  Achtung  anderer  und  die  Menge  dahin  gebracht  werden,  dass 
aie  nicht  schamlos  dasjenige  bekrittelt,  was  mit  Ehrfnrcht  nnd  Hoch- 
achtung angesehen  werden  will,  sondem  umgekehrt  jeden,  der  in 
seiner  Aninge  etwukGroßes  verspricht,  in  Selbstverleugnung  zu  heben 
nnd  zu  halten  trachtet. 

Kio  j*.-(lci  Measch:  ein  einzig  Wesen, 
Das  so  zu  achten  ist  wie  du; 
Br  mug  sich  frei  sein  Ziel  erlesen, 
Fflhr*  frei  es  der  Vollendung  zu. 
Dem  w!ril  sein  Werk  wol  nionial^i  glttcken. 
Der  sich  dabei  devot  rauss  bUcken. 

Ein  jeder  wttnseiit  ein  eignes  Streben, 
Weil  jeder  anders  sieht  die  Wdt. 

Durrh  vieler  eigcnart'ges  "Weben 
Wird  Harnionic  erst  hergestellt. 
£s  ist  hier  keineswegs  rounütheu, 
Dass  alle  deine  Wege  kneten. 

Willst  du  die  Freunde  stets  nur  lenken, 
Wirrit  du  gefürchtet,  uicht  geliebt; 
Indes  sie  dem  die  Führung  schenken. 
Der,  hochbegabt,  doch  Demnth  flbt. 
Wie  tc^ietlieh,  wenn  in  Kam^lHneiten 
Erprobte  Ktniplsr  diA  begleiten! 

Neben  der  Pietät  niuss  aber  noch  etwas  als  Stütze  des  Gewissens 
gepflegt  werden,  was  weiter  hinaufweist  Paul  Mautegazza  deutet 
dieses  mit  dem  Worte  an:  „Der  Mensch  ist  nur  dann  ein  Mensch, 
wenn  er  etwas  glaubt  und  hofft,  was  höher  steht  nnd  länger  dauert, 
als  er  selbst." 

Diese  Aufgabe  weist  zwar  zunächst  auf  den  Religionsunterricht 
hin,  eine  Disciplin,  welcher  wol  jeder  Lehrer,  wenn  er  erst  ihren 


Dlgitized  by  Google 


—  54d  — 

ganzen  Stoff  beherrscht,  gern,  ja  mit  größter  Verinnerlichnng 
obliegt;  aber  gerade  bei  näherer  Betrachtung  der  Stoffauswalil  müssen 
wir  imiDor  der  Kirche  gedenken,  die  die  einfachen,  rein  ethischen 
Stoflfe  nur  zu  rücksichtslos  verdrängt,  um  die  Kinder  mit  Dingen  zu 
quälen,  die  nach  dem  Eingeständnis  der  Kirche  selbst  auch  dem 
glaubensfreudigsten  erwachsenen  Christen  oft  bis  zum  Tode  hin 
gründlichst  zu  schafteii  maclien. 

Schon  erhebt  sich  der  Kampf  zwischen  denen,  die  da  rufen: 
„Christus  ist  für  uns  ^^estoibeir*,  und  denen,  die  da  sagen:  „Christus 
hat  vor  allen  Dingen  für  uns  gelebt";  —  schon  schreibt  der  Professor 
und  evangelische  Theologe  Dr.  Kast an  -  Berlin  in  der  Wochenschrift 
„Christliche  AVeit":  „Es  gibt  kein  anderes  Mittel,  den  Widerstreit 
aus  der  Welt  zu  schaflfen,  als  indem  das  Dogma  aiiffrcgeben  wird  .... 
Wir  brauchen  eine  Umbildung  der  Lehre.  Sie  muss  weit  ausholen 
und  fordert  ganze  Ai'beit."  Und  da  entsteht  wol  auch  schier  in  der 
Luft  die  Frage:  Lehrer,  wie  wird  es  dir  bei  dem  Kampfe  ergehen? 

 Nnn  der  preußische  VolkssehnUehrer  wird  sieh  die  Antwort  anf 

diese  Frage  angesichts  des  SdudgesetasentworÜBs  Ton  diesem  Jahre*) 
im  stillen  Ifingst  mit  dem  Einwarf  beantwortet  haben:  Das  hSogt 
ganz  von  der  Gesinnung  des  Pfurers  ab,  der  mein^  Beligionsitnter> 
rieht  überwachen  wird.  —  Und  so  steht  es  leider  in  der  That,  wenn 
—  auch  nicht  ganz.  Gewiss  wird  man  an  den  meisten  Orten  wieder 
die  reine  biblische  Nomendatnr  treiben,  viele  Psalter,  Sprüche  nnd 
Lieder,  Definitionen  nnd  Gebete  auswendig  lernen  lassen  mfissen,  ohne 
irgend  welche  Zeit  za  ebner  ErlüAmng  zu  behalten,  nnd  so  scheint 
denn  Herbert  Spencer,  von  dem  ich  in  dieser  Arbeit  aueging,  recht 
behalten  zu  sollen.  Wenn  aber  die  Lehrerschaft  auf  dem  Platze  ist  — 
nnd  sie  kann  ihrem  ganzen  Bildungsgänge  nach  kaum  anders  —  so 
wird,  wenn  yon  ihr  besonnene  Euhe  beobaclitet  wiid,  die  Entwicke- 
lang zu  einem  erhabenen  und  schon  winkenden  Ziele  ruhig  ihren  QttXkg 
weiterschreiten;  denn  der  Geist  macht  lebendig.  —  Ich  kann  nur 
andeuten,  was  ich  meine,  und  schließe  daher  mit  der  Bitte: 

Druni  lasst  deui  Volk  die  dichterische  Sage, 
Lagst  ilmi  der  jus:(mdwouQ'geu  Märchen  Pracht, 
Das  gläubige  Scheu  ülierael'ger  Tagej 
BeUmpft  den,  der  dies  aUes  wttst  Teriacht! 
Doch  laait  es  ftthlen,  wie  im  leisen  Ahnen, 
In  einem  steten,  milden  Übergang, 
l>a.s8  die  Vernunft  zu  Besse rm  will  vermahnen 
Durch  Uberzeugung,  ohne  jeden  Zwans:! 

*)  Zum  Olttck  war  er  nur  „von  diesem  Jahre".  D.  R.  /' 


Digitized  by  Google 


—  660  — 


Für  jede  neue  Wahrheit  sichre  Woge, 
Voll  Sinnigkeit  und  lockender  Gewalt  j 
Für  jeden  Fortschritt  treffende  Beleg« 
Voll  Maik  und  Saft,  in  peiAender  Gestalt. 
Nach  jedet  Wendung  planvolles  Vertiefen, 
Nach  jedem  Schritte  vorbedachte  Ruh'; 
Nach  jedem  Pact  ein  sicheres  Verbriefen; 
So  fuhren  wir  uua  der  Vollendung  tu. 


Aas  der  Geschichte  der  Taabstammenbildang.*) 

Yon  Dr.  IT.  Morf-WinterUiur, 
I. 

Znr  Orientirang. 

Die  fünf  Sinne  sind  die  Thore,  dm-ch  welche  die  Außeiuliuge 
als  BUdungs-  und  Nährstoffe  des  Geistes  in  unser  Innenleben  ihren 
Einzug  halten.  Diese  regen  die  seelisclien  Kräfte  zur  Selbstthätig- 
keit  an,  und  aus  der  Wechselwirkung  zwischen  Receptivität  und  Pro- 
ductivität  lesultirt  die  allseitige  geistige  Bildung. 

L>.t  t  iiies  dieser  fünf  Thore  verschlossen,  d.  h.  ist  der  Nerv,  der 
dem  Organ  dient,  dauernd  unfähig,  die  Leitung  nach  Innen  zu  be- 
sorgen, so  entbehrt  die  Seele  der  Anregung  aus  demjenigen  Gebiete 
der  Außenwelt,  tür  das  nur  der  in  Frage  stehende  Nerv  empfänglich 
ist.  So  erleidet  die  Seele  eine  Einbuße  an  Erkenntnis  und  Eutwicke- 
lung,  die  um  80  größeren  Umfang  hat,  je  höher  der  Sinn  ist,  welcher 
der  Außenwelt  imzug&nglich  bleibt  Ehieii  Wenden  Süm  kann  kein 
anderer  gftnzlich  ersetzen. 

Yen  eminenter  Wichtigkeit  Ar  die  Ansbildimg  des  MensdMn  Ist 
der  GehOrssinn.  Seine  eigentliche  Würde  und  Herrlichkeit  liegt 
darin,  dass  er  dem  Menschen  das  Beich  des  Geistes  aufschließt 
und  dadurch  die  entscheidende  Bedingung  einer  fortschrei- 
tenden  geistigen  Gnltur  darbietet  Durch  alle  Übrigen 
Sinne  h&ngt  der  Mensch  nur  mit  der  vergänglichen  Welt  zu- 
sammen, durch  das  GehOr  allein  mit  der  ewigen  und  höheren. 

Wessen  Ohr  von  Geburt  an  todt  ist,  dem  sind  die  Zugänge  zu 
den  Mitteln  verschlossen,  deren  Einfluss  und  Kraft  allein  vermag,  den 
Menschen  zu  der  hohen  sittlichen  und  geistigen  Bildung,  zur  Humanität 

*)  Wir  hoffen,  dass  diese  Abbaudluug  niclit  bluü  Taulbtuiiimcu-LelireiD, 
nadeni  allen  Leien  iinMres  Blattes  als  lettgenlfi  und  khneieh  endieiiieii  weide. 


Digitized  by  Google 


—    552  — 


20  erheben,  die  ihm  unter  den  flbrigen  G^eschöpfen  diejenige  Stellung 
«aweist,  die  ihm  gebflrt  Der  Gehörlose,  Taabe,  bleibt  auch  zugleich 
stamm,  weil  die  Sprache  nur  durch  SpreehenhOren  sich  erlernt  Die 
Sprachwerlusenge  selbst  sind  bei  den  Tauben  ebenso  normid  gebildet, 
■wie  bei  den  Hörenden.  Die  Ursache  der  Stummheit  liegt  also  nicht 
bei  ihneOr  sondern  in  der  Taubheit  Der  Taube  entbehrt  also  auch 
des  Gebrauchs  der  Sprache.  Diese  aber  gehOrt,  ide  die  höhere 
Geistesbildung,  unter  die  charakteristischen  Unterscheidungsmerkmale 
des  Menschen  vom  Thier,  aber  auch  unter  die  größten  Wolthaten  und 
Güter  der  Menschen,  denn  sie  ist  nicht  nur  die  hauiitsäclilichste  Be- 
dingung des  menschlichen  Zusammenseins,  sondern  auch  das  Mittel  des 
unaufhörlichen  Unterrichts,  so  wie  auch  das  Hauptmittel  der  ge- 
selligen Vergnügen. 

Der  Taube  und  Stumme,  der  Taubstumme,  ist  wol  unter  allen 
Gebrechlichen  der  ung-liicklichste  zu  nennen.  Die  umgebildeten)  Taub- 
stummen stehen  im  natürlichen  Gebrauch  ihrer  FHhi<^keiten  fast  voll- 
siniiifren  Thieren  nach.  Sie  denken  nicht,  wie  der  Hrtrende,  in  Worten, 
in  Begriffen,  .sondern  nur  in  Anschauungen  und  Bildern.  Ein  abs- 
tractes  Denken  ist  ihnen  unmöglich.  Auch  in  sittlicher  Hinsicht 
steht  der  (ungebildete)  Taubstumme  auf  sehr  niederer  Stufe,  besonders 
wenn  er  in  einer  Umgebung  aufgewachsen  ist,  die  sich  wenig  um  ilm 
gekümmert  oder  gar  durch  Beispiel  zum  Bösen  angereizt  hat.  So  ist 
er  auch  ohne  Gott,  ohne  Religion,  ohne  Sitte,  ohne  Gesetz,  eine  Last 
der  Gesellschaft. 

In  früheren  Zeiten  stellte  man  diese  Unglücklichen  in  die  Reihe 
der  Blödsinnigen.  Das  Alterthum  weiß  nichts  von  Versuchen,  die 
Taubstummen  zu  bilden.  Aristoteles  erklSrte  sie  f&r  jeder  Bildung 
nnfthige  Wesen.  Aneh  die  ehrliflidie  Kirche  nahm  siöh  dieser  Un- 
glQcklichen  nicht  an.  Im  Hinweis  aof  BOmer  10,  Vers  14  und  17: 
»Wie  sollen  sie  aber  anmtoi,  von  dem  sie  nichts  gehOrt  haben? 
Wie  sollen  sie  aber  hOren  ohne  Predigt?  86  kommt  der  Ghuibe 
aus  der  Predigt,  das  Predigen  aber  durch  das  Wort  Gottes*  hatte 
der  heil  Augustinus  den  Sats  au^sestellt:  „Von  Geburt  aus  Taab- 
stumme  kOnnen  niemals  Glauben  empfangen,  Glauben  haben;  denn 
Glauben  kommt  aus  der  Predigt,  aus  dem,  wm  matt  hOrt;  de  kOnnen 
weder  lesen,  noch  scfareibea  leroen.**  Seine  Autorität  entseUed  auf 
Jahrhunderte  hinaus  für  das  Verhalten  der  Kirche  an  den  GehOr-  und 
Sprachlosen. 

So  überließ  man  die  Taubstummen  ihrem  Schicksal  und  betrachtete 
sie  mit  stummer  Scheu  als  von  Gott  Gezeichnete,  und  der  religiöse 


Digitized  by  Google 


~   553  — 


Wahn,  man  dürfe  Gottes  an  solchen  Geschöpfen  knnd  gethanen  Willen 
nicht  conigiren,  den  Schöpfer  nicht  meistern  wollen,  war  bis  in  unsere 
Zeiten  der  BUdnng  der  Tanbetommen,  ja,  überhaupt  ihrer  gnten  Be- 
handlnng,  hinderlieh.  Die  Eiiehe  yergaS,  dass  Christas  selber  nach 
der  schOnen  Enihlvng  bdi  Marc  7,  31  in  der  fleilnng  eines  Taab- 
stnmmen  mit  seinem  Beiq^iel  Torangegangen  ist,  und  ftthlte  sieh  aar 
Nachfolge  in  solcher  Thelhiahme  an  dem  Schicksal  der  Unglttckllchsten 
aller  Unglücklichen  nicht  angeregt. 

Wol  fanden  im  16.  nnd  17.  Jahrhundert  einige  sporadische  Ver- 
suche zur  Bildung  von  jungen  Taubsturamen  statt,  jedoch  nur  bei 
Sprösslingen  hoher  Hftnser;  die  in  den  unteni  Schichten  der  Gesell- 
schaft blieben  immer  noch  die  Ausgestoßenen.  Erst  dem  18.  Jahr- 
hundert war  es  yorbebalten,  in  der  Beurtheihing  der  Taubstummen 
Wandel  zu  schaffen.  Zwei  Männer  brachen  die  Bahn,  ein  Franzose 
und  ein  Deutscher,  de  l'Epee  und  Samuel  Hei  nicke.  Sie  lebten 
des  festen  Glaubens,  die  Taubstummen  seien  ebenso  gut  beanlagt  und 
t^liens(t  bildungsföhig,  wie  die  Vollsinnigen.  Ihr  Glaube  war  aber  kein 
todtcr;  sie  bethätigten  denselben  durch  ihre  Hingebung  in  den  Dienst 
einer  bisher  so  herzlos  übersehenen  Menschenclasse.  Nicht  allein,  dass 
sie  die  ersten  Taubstummenanstalten  gründeten,  in  welchen  eine 
nicht  unbedeutende  Zahl  von  Zr»glingen  ihre  Ausbildung  erhielt,  sie 
bildeten  auch  Lehrer  heran,  welche  das  Werk  fortzusetzen  beföhigt 
wurden;  sie  erhoben  unausgesetzt  ihre  Stimme  zu  Gunsten  dieser  Un- 
glücklichen, vertraten  mit  Energie  wie  mit  Erfolg  da«  Anrecht  der- 
selben an  genügsame  Mittel  und  Veranstaltungen  zu  deren  rittllcheri 
geistiger  und  leiblieber  AasbQdioig  uid  worden  nicht  mttde,  die  Zeit^ 
genossen  am  mahnen,  das  an  ihnen  Jahrhunderte  lang  geübte  Unrecht 
nnd  die  ertwrmnngskMe  Vemaohlissigung  endlieh  gnt  an  machen  and 
in  Veigessenheit  zu  toingen. 

„Einen  Taubstummen  bilden,"  so  lautete  ihre  Devme,  »heiftt 
nicht  weniger,  als  ihn  zum  lienschen  machen." 

Bis  in  die  höchsten  Kreise  der  G^llsehaft  hinanf  irarde  die 
Stimme  der  beiden  Hinner  gehOrt  nnd  dieselbe  erweckte»  so  weit  sie 
drang,  thfitige  Theilnahme  an  der  von  ihnen  vertretenen  Sache. 

Diese  Pionire  in  der  Taubstnmmenbildung  verdienen  also  reichlich, 
dass  wir  uns  mit  ihrem  Leben  nnd  Wirken  näher  bekannt  machen. 
Der  erste  Preis  aber  geburt  ohne  Widerrede  dem  Franzosen; 
darum  wollen  wir  unsere  Aufinerksamkeit  zuerst  ihm  anwenden. 


Digitized  by  Göogle 


—  554 


Karl  Michel  de  l  Epee. 

De  l'Epee  entstammte  einer  sehr  angesehenen  und  reich  be- 
güterten Familie  in  Versailles.   Sein  Vater  war  königlicher  Architekt. 

Er  wurde  am  24.  November  1712  geboren.  Seine  große  geistige 
Begabung  und  sein  reiches  Gemüth  offenbarten  sich  schon  in  früher 
Jugend.  In  den  Schulkenntnissen  machte  er  bald  ungewöhnliche  Fort- 
schritte. Sein  Lerneifer,  seine  Liebe  zur  Arbeit  kannten  keine  Grenzen. 
Wie  er  die  Freude  und  der  Stolz  der  Eltern  war,  so  hing  auch  er 
mit  fast  leidenschaftlicher  Liebe  an  ihnen,  namentlich  an  seiner  geist- 
vollen Mutter.  Er  ergi'iff  das  Studium  der  Theologie  und  bestand  schon 
im  Alter  von  17  Jahren  mit  Ehren  die  theologische  Prüfung.  Da  er  sich 
aber  weigerte,  ein  von  den  Jesuiten  ihm  voigelegtes  Glaubensformular 
zu  unterschreiben,  wurde  er  von  jeder  pfarramtlichen  und  kiicli- 
lichen  Wirksamkeit  ausgeschlu^sen.  Da  bezog  er  neuerdings  die  hohen 
Schulen  und  widmete  sich  der  Bechtswissenschaft  Mit  21  Jahren 
wurde  er  Parlamentsadyocat.  Allein  sein  neuer  Beruf  verleidete  ihm 
bald.  Seinem  stOlen,  mildoi  Wesen,  seinem  zarten  Gemflth  war,  wie  er 
sich  ansdrltokt^  der  Tumult  vor  den  Sdiranken  zuwider.  Er  sehnte  sich 
nach  der  stillen  Wirksamkeit  eines  Pforrers.  Dieser  innigen  Sehnsucht 
kam  der  tolerante  Bischof  von  Ti'oyes  entgegen.  Er  flU>ergab  ihm  eine 
Pfiurrei  in  seinem  Sprengel  De  r£p6e's  pfiuramtUche  Wirksamkeit 
war  von  reichem  Segen  begleitet  Seine  Pfairkinder  waren  ihm  mit 
Verehrung  und  Liebe  zugethan.  Seine  glinzende  Beredsamkeit  hatte 
ihre  Quelle  im  Herzen  und  drang  darum  wieder  zum  Herzen.  Alle 
Tugenden,  die  er  lehrte:  Liebe  zu  Qott  und  den  Nftehsten,  brflderlidie 
Theitaiahme  an  dem  Ergehen  anderer,  Sanftmuth,  Wolwollen,  Thätig- 
keit,  Bescheidenheit,  Einfachheit,  übte  er  selber.  Feind  jeder  Un- 
duldsamkeit, wiederholte  er  gern  und  oft  die  Worte  Heinrichs  IV.: 
„Alle  die,  welche  recht  thun,  gut  sind,  sind  von  meiner  Beligion"; 
und  erinnerte  seine  Amtsbr&der,  wenn  sie  sich  etwa  ereifern  wollten, 
an  die  Mahnung  eines  frommen  Bischofs:  „Lasst  uns  alle  Religion 
dulden,  weil  Gott  sie  duldet!"  Er  hatte  sich  täglich  mehr  der  Früchte 
imd  des  Segens  seiner  pfan-amtlichen  Thätigkeit  zu  erfreuen. 

Aber  nach  dem  Tode  seines  Gönners  und  Beschützers  wurde  er 
plötzlich  zu  seinem  und  seiner  Pfmrkinder  großen  Schmerz  seines 
Amtes  entsetzt  und  von  der  Ertlieilung  jedes  Religionsunterriclites 
ausgeschlossen.  Diese  Maßregelung  ging  vom  Erzbischof  Beaumont 
auS|  dessen  blinde  Unduldsamkeit  duixh  Kousseau's  gewaltigen  Brief 


Digitized  by  Google 


—   555  — 


elMDSo  rerewigt  ist,  wie  die  des  Hauptpastors  GOse  durch  Leasings 
StreitschrifteD. 

Der  Abb6  de  FEpöe  zog  sich  nach  Paris  sarOck  und  lebte 
10  Jahre  firei  und  nnbefaelligt  wissenschaftlichen  Stadien.  Er  war 
Ökonomisch  nnabhSngig.  Seine  jfthrlichen  Einkünfte  beliefen  sich  auf 
Fr.  14000,  nach  heutigem  Geldwert  wol  Fr.  SO 000  gleich  an  sehfttMn. 

Gegen  das  Ende  des  Jahres  1763  kam  de  TEpöe  un  eines  nicht 
genannten  Geschäftes  willen  in  das  Hans  einer  Witwe  in  der  me  des 
FossAi-St  Victoiie.  Die  Haasmatter  war  abwesend;  man  führte  ihn 
in  ein  Zimmer,  wo  er  ihre  zwei  TOchter  —  Zwillinge  —  traf,  die 
eifrig  ihrer  Handarbeit  oblagen.  Er  gi-üßte  sie,  ohne  einen  Gegengraft 
za  erlialten.  Er  redete  sie  weiter  mit  etwas  erhöhter  Stimme  an, 
um  eine  Unterlialtun^  mit  ihnen  anzuknüpfm,  aber  ohne  allen  Erfolg. 
Bald  darauf  trat  die  Mutter  ein.  Von  ilir  vernahm  de  l'Epee,  dass 
die  beiden  Mädchen  taubstumm  und  seit  dem  Tode  des  Priesters 
Vanin,  der  ihnen  mit  Hilfe  von  Kupferstichen  einige  Kenntnisse  bei- 
zubringen versucht  habe,  ohne  allen  Unterricht  und  ohne  irgend  welche 
geistige  Anregung  seien.  Sein  Anerbieten,  den  Unterricht  der  Mäd- 
chen wieder  aufzunehmen  und  ihre  geistige  und  religiöse  Entwicklung 
nach  Kräften  zu  fördern,  wurde  mit  heißem  Dank  von  der  Mutter 
angenommen.  Yun  dieser  Stunde  an  bis  zum  Tage  seines  Todes,  den 
2H.  December  1789,  lebte  er  der  von  der  Voi^sehung  ihm  ohne  sein 
Zuthun  zugewiesenen  Aufgabe  der  Taubst ummenbildung  mit  einer 
Liebe,  Hingebung,  aufopferungsvollen  Uneigenntitzigkeit ,  welche  das 
Zeugnis  einer  großen  Seele,  einer  erhabenen  Gesinnung  sind.  A\'ie 
die  Sache  anzufangen  sei,  wie  ein  solcher  Unterricht  an  die  Hand 
genommen  werden  müsse,  darüber  konnte  er  sich  selber  keine  Antwort 
gehen.  Seine  phflosophiachen  nnd  theologischen  Stadien  hatten  bis 
dahin  seine  ganze  Anftnerksamkeit,  sein  Sinnen  nnd  Denken  in  An- 
sprach genommen.  So  viel  schien  ihm  klar,  dsss  mit  KnpfBTBtichen 
nicht  viel  zu  erreichen  sei  Er  fragte  sich,  woran  man  den  Unter- 
richt hei  den  vollsinnigen  Kindern  anknüpfe,  nnd  ei*  gab  sich  die 
naheliegende  Antwort:  An  die  Mattetsprsche,  welche  die  Kinder  aof 
dem  Wege  natürUeher  Entwicklang  sich  erwerben.  Anch  die  Taab- 
stommen,  sagte  er  sich  weiter,  hätten  aof  dem  Wege  natürlicher  Ent- 
wi^ong  ehie  Sprache  sieh  angeeignet,  die  bei  ihnen  gleichsam  die 
Stelle  der  Hnttersprache  vertrete:  das  sei  die  Geberdenspraehe. 
Diese  müsse  die  erste  Grundlage  des  Unterrichts  sein. 

Die  Zeichensprache  Qea  eignes  m6thodiques)  bildete  de  l'Epöe 
so  weit  bis  ins  Detail  aas,  dass  er  seine  ZGglinge  mittelst  derselben 


Digltized  by  Google 


—   5Ö6  — 


auch  In  der  idealen  Welt  einheimisch  za  machen  vemuMifate.  Com- 
petente  und  unbefangene  Benrtheiler  bezeugen,  dass  dieselben  bei 
wiedeiiioltai  OffentUehen  Pmfimgen  bewiesen  hfttten,  dass  sie  in  der 
christlichen  Beligion,  in  der  Fflichtenlefare  ebenso  bewandert  sich  ge- 
zeigt  hftttOD,  wie  von  einem  Vollsinnigen  nicht  besser  zu  erwarten 
gewesen  wflre. 

Biese  ünterrichtsweise  ist  die  selbstständige  Erfindung  und 
Scb5pfang  de  PEpöe's. 

Seine  Methode,  sein  Verfahren  beim  Unterricht  machte  er  wieder- 
holt und  bis  in  die  Einzellieiten  ütfentlich  bekannt  und  hid  jedermann 
ein,  sich  durcli  den  Augenschein  vom  Erfolij  zu  überzeugen. 

Die  Zahl  seiner  Zöglinge  nahm  rasch  zu,  und  er  entschloss  sich, 
(k'u  Unterricht  der  Taubstummen  zu  stiiiei-  einzigen  Lebensaufgabe 
zu  machen.  Im  Jahre  1760  gründete  er  in  Paris  die  erste  Taub- 
stummenanstalt der  Welt;  er  verlegte  sie  als  geschlossene  An- 
stalt nach  dem  Montmartre.  Er  nahm  nicht  nnr  Zöglinge  ans  Paris» 
sondern  auch  ans  den  Provinzen  anf.  Die  Zahl  der  Pfleglinge  hielt 
sich  dauernd  anf  60  und  darüber.  Er  unterhielt  die  Anstalt  auf  seine 
Kosten.  Er  bestritt  nicht  nur  den  Unterhalt  der  Zöglinge,  sondern 
bezahlte  auch  die  Lehrer  und  Lehrerinnen.  Von  seinen  Einkflnften 
brauchte  der  edle  Mann  gar  wmg  für  seine  personlichen  Bedflrihisse. 
Er  versagte  sich  manche  Beguemlichkeit,  um  seinen  „lieben  Ehidem" 
desto  mehr  leisten  zu  kOnnen.  So  wollte  er  in  dem  strengen  Winter 
des  Jahres  1788  —  er  zfthlte  schon  76  Jahre  —  sein  Zimmer  nicht 
heizen  lassen,  um  durch  den  Ankauf  von  Heizmaterial  die  kleine 
Summe  nicht  Überschreiten  zu  müssen,  die  er  für  seine  eigenen  Be- 
dfirfiiisse  festgesetzt  hatte.  Die  Vorstellungen  seiner  Haushälterin  und 
seiner  Freunde  blieben  fruchtlos.  Da  erschienen  eines  Tages  äaf 
seinem  Zimmer  seine  Zöglinge  und  baten  ihn  unter  heißen  Thränen, 
seine  Wohnung  zu  erwirmen,  seine  Gesundheit  nicht  zu  gefährden, 
damit  er  so  ihnen  noch  recht  lange  erhalten  bleibe.  Schließlich  gab 
er  ihren  Bitten  nach.  Aber  noch  lange  nachher  machte  er  sich  Vor- 
würfe, seinen  geliebten  Kindern  die  für  Holz  ausgelegte  Summe  ent- 
zogen zu  haben,  die  er  fiii*  sie  wol  li&tte  ersparen  können. 

Er  nahm  am  liebsten  und  vorzugsweise  arme  Zöglinge  in  seine 
Anstalt  au£  »Die  Reichen**,  sagte  er  ausdrücklich,  „dulde  ich 
gleichsam  nur.  Ihnen  habe  ich  mich  nicht  gewidmet,  sondern  den 
Armen.  Ohne  diese  letzteren  würde  ich  niemals  die  Er- 
ziehung der  Taubstummen  unternommen  haben.  Die  Reichen 


Digitized  by  Google 


—  657  — 

besitzen  die  Mittel,  um  Lehrer  für  ihre  Kinder  za  SDchen  imd  sa 

bezahlen. 

Da  die  Einkünfte  zum  Unterhalt  der  großen  Familie  niclit  reichten, 
gritr  de  l'Epee  seine  Capitalien  an,  trotz  dem  Abrathen  seiner  Freunde, 
Diese  aber  bemühten  sich  dann  mit  Erfolg  dafür,  dass  v<m  ver- 
schiedenen leiten  namhafte  Gaben  in  die  Anstaltscasse  flössen. 
Dennoch  blieben  die  Deficite  nicht  aus.  Unter  solchen  Umständen  ließ 
de  l'Epee  sich  dazu  bewegen,  die  königliche  Regierung  um  einen 
jährlichen  Zuschuss  an  die  Unterhaltungskosten  der  Anstalt  zu  bitten. 
Aber  er  erhielt  blos  leere  Versprechungen.  Ja,  der  König  Lud- 
wig XVI.  sagte  zu  seinem  Beichtvater:  „Der  Abb6  de  l'Epee  thut 
Großes  an  seinen  Zöglingen;  aber  es  wäre  denselben  besser,  wenn  sie 
taabstomm  blieben,  als  dass  ihre  Ohren  dem  Jansenismns  geöffnet 
werden." 

Bald  aber  änderte  sich  die  Stunmong  am  Hofe.  Es  kam  nftmlich 
1777  Kaiser  Joseph  IL  nach  Paris  zun  Besnch  seiner  Schwester, 
der  EOnigÜL  Unter  den  Merkwürdigkeiten,  die  Paris  bot,  war  ihm 
eine  der  ersten  die  Taubstummenanstalt  von  de  PEp^e.  Er 
war  mehr  als  einmal  unter  den  Besuchern  der  Anstalt,  und  er  verlieB 
dieselbe  stets  tief  ergiüEiBn  von  der  Hingabe  des  edetn  Mannes  an 
seinen  Beruf  und  von  den  Leistungen  seiner  Schiller.  Bei  Hofe 
spraek  er  dann  unverholen  sefaie  Verwunderung  und  Missbilligung  ans 
über  die  geringe  Theilnahme  in  den  höchsten  Kreisen  an  dieser  wich- 
tigen Sache.  Die  Anstaltscasse  beschenkte  er  mit  50  Louisd'or  und 
de  l'Epöe  mit  einer  goldenen  Dose.  Diesem  aber  bot  er  eine  Abtei 
in  seinen  Staaten  an.  De  l'Ep6e  gab  die  sdiöne  Antwort:  „Sire^ 
ich  bin  schon  alt;  wenn  Ew.  Majestät  es  mit  den  Taubstummen  wol 
meinen,  so  verwenden  Sie  Ihre  Wolthaten  nicht  an  mich,  der  ich 
schon  mit  einem  Fuße  im  Grabe  stehe,  sondern  an  das  Werk  selbst. 
Es  ist  eines  großen  Eürsten  würdig,  dem,  was  der  Menschheit  wahr- 
haft nützlich  ist,  Dauer  und  Un Vergänglichkeit  zn  sicheni."  Der 
Kaiser  tiieilte  de  l'Epee  ferner  mit,  dass  die  Eltern  eines  taub- 
stummen Mädchens  aus  den  höchsten  Kreisen  Wiens  ihrer  Tocliter 
gern  eine  gute,  christliche  Erziehung  angedeihen  lassen  möcliten  und 
ft-agte,  wie  sie  die  Sache  wol  am  zweckmäßigsten  anstellen  wüiden. 
De  l'Epee  antwortete:  „Es  gibt  zwei  Wege  zu  diesem  Ziel.  Der 
eine  besteht  darin,  dass  man  das  Mädchen  zu  mir  nach  Paris  sendet; 
ich  würde  mir  dessen  Ausbildung  angelegen  sein  lassen,  jedoch  keine 
persönliche  Entschädigung  dafür  annehmen.  Der  andere  Weg  wäre, 
noch  der  einfachere,  der  darin  bestfinde,  mir  einen  intelligenten  jungen 


Digitized  by  Google 


—   668  — 


Mann  von  ungefähr  25 — 30  Jaliren  zu  senden,  damit  er  meine  ünter- 
richtsweise  kennen  und  ausüben  lernt,  um  dann  in  Wien  selber  einer 
solchen  Anstalt  vorstellen  zu  können." 

Dem  Kaiser  leuchtete  der  letztere  Weg  als  ein  weiter  reichender 
ein.  Nach  Wien  zurückgekehrt,  sandte  er  den  Weltpriester  Stork, 
einen  sehr  begabten  Mann  von  26  Jahren,  nach  Paris  in  die  Schule 
de  l'Epee's.  Nachdem  Stork  ein  Jahr  daselbst  zugebracht,  eröffnete 
er  in  Wien  eine  TantetnmmeBanatalt  nadi  deradben  MeChode. 

Aach  der  KOnig  von  Frankreich  konnte  sieh  nicht  auf  die  Dauer 
der  ünterstatBong  der  Taahstiininienanstalt  anf  dem  Montmartre  ent- 
ziehen. Jedodi  erst  manche  Jahre  nach  seines  Schwagers  Joseph  Be- 
SDch  wies  er  derselben  eine  jährliche  Bente  von  6000  Fr.  an,  sowie 
einen  TheQ  der  Einkilnfte  emes  aniig;ehohenen  C(HestinerUo8ters  mit 
der  Znsichemng,  dass  das  Institut  sobald  als  thnnUch  ans  der  bis- 
herigen Ifiethwohnnng  in  die  bequemeren  Gemächer  eben  dieses 
Klosters  yer^tzt  werden  solle. 

Diese  Übersiedlung  erlebte  de  PEpöe  nicht  mdir.  Der  Tod  über- 
raschte ihn,  ihm  und  seinen  Freunden  ganz  unerwartet,  seinen  Zög- 
lingen zum  tiefsten  Schmerz,  Ende  December  1789.  Eine  an  herrlichen 
Früchten  reiche  Wirksamkeit  war  damit  abgeschlossen. 

Welche  erschöpfende  Arbeitslast  anf  de  TEp^e  stets  geruht  hat, 
entnehmen  wir  einem  Briefe  vom  Juli  1783  an  seinen  vertrauten 
Freund  Keller,  Pfarrer  in  Schlieren  bei  Zürich: 

„Soixante-huit  sourds  et  muets  et  environs  trois  cent 
parlants  (vollsinnige  Besucher  der  Anstalt)  m'assi^gent  sans  cesse. 
Mais  ces  visites  impoilantes  de  nos  cont'itoj'ens  et  des  etrangers  me 
d^robent  les  moments  que  je  vondrais  employer  a  m'acquitter  d'autres 
devoirs.  ('"est  ainsi  que  mes  jonrs  secoulent,  me  reprochant  toujours 
de  ce  que  je  ne  fais  pas  ce  (lue  je  devais  faire  et  ne  trouvant  pas 
n6anmoins  le  loisir  de  nry  appli(iuer.  La  nuit  est  le  seul  temps  dont 
il  semble  que  je  pourrais  disposer,  mais  ma  plume  tombe  des  mains. 
Mr.  Ulrich  sera  en  6tat  de  certifier  ce  qu'il  aura  vu  de  mes  occu- 
pations." 

Erst  vier  Jahre  nach  seinem  Tode.  1793,  wurde  sein  Institut  zur 
Staatsanstalt  erhoben  und  damit  getahidrohenden  Wechselfällen  ent- 
hoben und  auf  festen  Boden  gestellt 

•  Verschiedene  Denkmiler  erinnern  an  ihn.  So  erhebt  sich  in  der 
Kirche  Saint-Boche  zn  Paris,  wo  auch  seine  sterblichen  Oberreste 
ruhen,  sein  Monument,  und  zn  VersailleB  ist  ihm  im  Jahre  1843  eüie 
Statue  errichtet  worden. 


Digitized  by  Google 


—   &59  — 


III. 

Samuel  Heinicke. 

Samuel  Heinicke  wnrde  im  Jahre  1727  in  NaoschQtz  bei 
Weißenfels  an  der  Saale  als  Sohn  eines  Bauers  geboren.  Auf  sein 
sehr  bewegtes  Jugendleben  näher  einzatreten,  gestatten  die  Grenzen 
einer  kurzen  Skizze  uiclit. 

Nach  Tjährigem  Dienst  beim  Militär,  den  er  zu  seiner  allseitigen 
Ausbildung  eifrig  benutzt  hatte,  wurde  er  im  Alter  von  42  Jahren 
Schulmeister,  Organist  und  Küster  in  der  (remeinde  Eppendorf  bei 
Hamburg.  Mit  Neujahr  1769  hatte  er  die  Stelle  anzutreten.  An- 
fänglich war  er  gar  nicht  auf  Rosen  gebettet.  Dir  Ortspfarrer, 
Pastor  Granau,  hatte  die  Stelle  einem  Verwandten  zugedacht  ge- 
habt. Er  hatte  schon  vor  dem  Einzug  des  neuen  (  antors  in  der  Gemeinde 
herum  bieten  lassen,  derselbe  sei  ein  Freimaurer,  habe  in  Hamliurg 
meist  mit  Comödianten  und  sonstigen  Freigeistern  Umgang  gepflogen. 
Am  Neiyahrstag  predigte  der  Pastor  so  gewaltig  gegen  die  falschen 
AofUflrer  und  Freimanrer,  die  sich  nun  auch  in  der  stüleo  Gemeinde 
Eppendorf  eingeecUichen  h&tten,  dass  den  Dorfbewolmeni  angst  und 
bang  ▼nrde  und  ne  am  liebsten  den  nenen  Schnlmeister  anun  Dorf 
hinam  getrieben  bfttten. 

Nur  nnvilUg  schickten  sie  die  Kinder  zur  Schale,  und  diese 
kamen  in  einer  Stimmung,  die  ganz  der  der  Eltern  entsprach.  Aber 
bald  sollte  ee  anders  kommen.  Heinicke^s  Unterricht  war  den  Schfllera 
so  interessant,  fesselte  sie  so,  dass  sie  bald  kräftig  fDr  den  Lehrer 
eintraten  und  eine  bessere  Stimmung  Ar  denselben  erweckten.  Doch 
wollte  die  Lantirmethode,  die  Heinicke  statt  des  geisttodtenden 
Bnchstabirwesens  einführte,  —  also  lange  yor  Graser  —  den  Leuten 
nicht  behagen.  Aber  als  er  eines  Tages  einige  Spectakler,  die  lär- 
mend in  die  Schulstube  gedrungen,  rasch  mit  kräftiger  Hand  und 
ohne  Worte  vor  die  Thür  hinaus  beförderte,  hörte  jeder  Widen^nildl 
auf.  Der  Respect  vor  der  körperlichen  Kraft  des  Schnlmeisters  war 
nicht  minder  groß,  als  der  vor  seiner  geistigen. 

Der  Pastor  musste  bald  erfahren,  dass  sein  Cantor  und  Küster, 
der  ihn  schon  äußerlich  —  „eine  Siegfriedsgestalt"  —  um  Kopfes- 
länge überragte,  auch  in  geistiger  Beziehung  nicht  weniger  über 
ihm  stand. 

Die  Stimmung  im  Dorfe  sollte  für  Heinicke  bald  noch  günstiger 
werden.  Der  Pachtmüller  in  Eppendorf  hatte  einen  taubstummen 
Knaben.  Diesen  traf  Heinicke  auf  einem  Spaziergang.  Er  anerbot 
sich,  dem  Sohn  des  Pachtmüllers  Unterricht  zu  ertheiien.   Mit  dank* 

39» 


Digitized  by  Google 


—  660  ^ 


barer  Freude  nahm  der  Vater  das  Anerbieten  an.  Die  Dorfl^ewohner, 
obschon  sie  im  Sinne  ihrer  Zeit  das  Unglück  des  Pachtmiülers  als 
Strafe  Gottes  ansahen,  fühlten  die  Menschentreimdlichkeit  ihres  Lehrers 
heraus  und  näherten  sich  ihm  immer  mehr.  Nur  der  Ortspfarrer  stand 
ihm  immer  gleich  schrotf  gegenüber.  Heinicke  brachte  den  wol- 
befilhigten  taubstummen  Knaben  bald  so  weit,  dass  ihm  über  die 
sichtbare  und  habere  Welt  viel  Verständnis  autging,  dass  er  Worte 
und  Sätze,  wenn  auch  noch  in  unvollkommener  Weise,  aussprechen 
konnte.  Das  Staunen  der  Eppendorfer  kannte  keine  Grenzen,  als  sie 
den  Taubstummen  reden  hörten.  Nach  einigen  Jahren  war  dieser  so 
weit,  dass  Heinicke  ihn  zur  Onfirmation  anmelden  konnte.  Jetzt 
glaubte  der  Fiastor  seinen  Mann  ftsBen  zn  kOnnen.  Zorn  EMannen 
aller  predigte  er  jetzt  Yon  der  Kanzel  herab  gegen  Heinicke,  wies 
seinen  ZohOrem  nach,  dass  ihr  Schohn^ster  ein  Frevler  an  Gottes 
AUmaeht  und  Weisheit  sei,  dn  Mensch,  der  Gott  meistem  nnd  sa- 
reehtw^sen  woUe,  da  er  die,  velche  der  Herr  gezeichnet  habe, 
die  Taabetmnmen,  reden  lehre.  Da  ging  Heinicke  mit  seinem  tanb- 
stommen  ZOgUng  m  dem  seit  Lessing  viel  geschmähten  Haaptpastor 
GOze  in  Hamborg.  Dieser  examinirte  den  Knaben,  andi  in  Hinsicht 
auf  Religionskenntnis,  nnd  war  mit  dessen  Antworten  so  zuMeden, 
dass  er  erklärte,  der  Conflrmation  stehe  nichts  im  Woge,  nnd  wenn 
Pastor  Granan  dieselbe  nicht  vollziehen  wolle,  so  sei  er,  GOze, 
gern  dazu  bereit. 

Nnn  weigerte  sich  Granau  nicht  länger,  um  so  weniger,  da  er 
aucli  vernahm,  wie  der  Hamburger  Oberp&rrei'  sein  Auftreten  in  dieser 
Beziehung  beurtheilt  hatte. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dass  Heinicke 's  Bemühungen  um  den 
taubstummen  Müllerssohn  auch  in  weiteren  Kreisen  Aufsehen  erregten. 
Seine  Freunde,  Reiiiiarus.  Büsching',  I  nzer.  Klopstock,  Graf 
iSchimmelmann.  die  mit  ihm  stetsfort  in  regem  personlicben  Ver- 
kehr gestanden  und  an  seinen  Leiden  und  Freuden  in  Eppendorf  un- 
nnterbrochen  lebendigen  Antheil  genommen  hatten,  versäumten  nicht, 
von  dessen  glücklichen  Erfolgen  im  Taubstummenunterricht  der  Welt 
ötientlich  Kunde  zu  geben.  Die  Folge  davon  war,  dass  ihm  von  ver- 
schiedenen Seiten  Taubstumme  zur  Ausbildung  übergeben  wurden. 
Zu  Anfang  des  Jahres  1774  hatte  Heinicke  bereits  fünf  taubstumme 
Pensionäre  um  sich. 

Heinicke's  Ruhm  und  die  Zahl  .meiner  taubstummen  Zöglinge 
wuchs  immer  mehr.  Die  Anforderung  an  seine  Kraft  überstieg  bald 
das  znlftssige  Maß.  Die  Dorfschule  war  überfüllt  nnd  erforderte  eine 


Digitized  by  Google 


—  661  — 


volle  Manneskraft,  und  doch  gpalt  es  auch,  die  taubstummen  Pensionäre 
nach  Mfiglichkeit  zu  fördern.  Es  war  eine  Riesenarbeit,  die  auf 
Ileinicke  lastete,  die  nur  eine  solche  Persönlichkeit  einige  Jalne 
hindurch  bewältigen  konnte.  Auf  die  Dauer  konnte  es  aber  auch  diest^ 
eiserne  Natur  nicht  meiir  aushalten.  Dazu  kam.  dass  seine  Frau,  die 
als  Pflegemutter  seiner  l*ensionäre  einen  guten  Tlieil  der  Last  zu 
tragen  hatte,  seit  ihrer  Ankunft  in  f]p|H'ndorf  fortwahrend  kränkelte 
und  im  Herbst  des  Jahres  177;"),  nachdem  sie  21  Jahre  lang  mit  ihm 
so  treulich  Freud  und  Leid  getragen,  ins  Grab  sank  und  ihm  ner 
unerzogene  Kinder  hinterließ.  Hei  nicke  fühlte,  dass  er  entweder  sein 
Schulamt  oder  sein  junges  Institat  aufgeben  müsse,  und  es  konnte 
ihm  nicht  ihiglich  Mio,  welches.  Zu  Ottem  1777  l^te  er  eeine  SteUe 
als  SchnhneisCer,  Kttoter  nnd  CtokUa  nieder  and  lebte  allein  seinen 
tanhstiimmen  ZOglingen;  doch  hlisb  er  noch  ein  Jahr  in  Eppendorf. 
Dann  im  April  1778  zog  er  mit  seiner  Familie  und  9  ZOglingen  nach 
Leipzig  und  erOfihete  dort  seine  Anstalt,  die  heute  noch  als  ehrendes 
Denkmal  der  Thatkraft  und  treuer  Hingabe  des  GrOnders  in  schönster 
Bmte  steht 

Zwölf  Jahre  flihrte  Heinicke  die  Anstalt,  wenn  anch  oft  unter 
Schwierigkeiten  und  Anfechtungen,  mit  groBem  Erfolg  iatt  Dass  er 
sich  in  so  viele,  seinem  Bernfe  oft  gar  fem  liegende  Streitigkeiten 
verwickelte  —  er  brach  mehr  als  eine  Lanze  fttr  die  Eantische 
Philosophie  und  sprang  mit  den  Gegnern  dersdben,  den  „Dunkel- 
männeiTi",  arg  genug  am  —  raubte  ihm  viel  Zeit  und  Stimmung, 
und  die  unzähligen  Fehden  machten  ihn  immer  händelsächtiger.  Sein 
Streiten,  seine  Zähijrkeit  und  Grobheit  galt  jedoch  immer  nur  dem, 
was  er  tTir  schlecht  und  verderblich  ansah. 

Seine  letzten  Lebensjahre  waren  keine  leichten.  Zu  allen  Bitter- 
keiten, die  er  durchzukosten  hatte,  traten  ernste  Gesundheitsstörungen. 
l>ie  (-Jicht  plagte  ihn.  Die  Anschuldi^amgen,  die  öftentlich  erhoben 
wurden,  er  behandle  seine  Zöglinge  hart,  scheinen  auf  argen  Übei'- 
treibungen  von  Seite  seiner  vielen  Feinde  zu  beruhen. 

„Stand  auch  fast  alles  gegen  ihn  in  Wafien,  so  war  doch  in 
seinem  Hause  Friede  und  Freude.  In  diesem  Kreise  fand  er  Kuhe 
und  Erholung.  Seine  Zöglinge  und  seine  Kinder  bildeten  eine  große 
Familie,  bei  der  Mahlzeiten,  Erholung  und  Arbeit  gemeinsam  waren. 
Abends  aber,  wenn  die  Zöglinge  zur  Kuhe  gegangen  waren,  wurde 
viel  musicirt  Heinicke  holte  die  Violine  herbei,  die  er  meisterhaft 
spielte,  die  Kinder  sangen,  und  nun  war  aller  Hader  und  Streit  ver- 
gessen; er  war  glflcklich  im  Kreise  der  Seinen.**  (StOtzner.) 


Digitized  by  Google 


—  562  — 


Mit  Beg-inn  des  Jahres  17'.>0  überfiel  ihn  die  Gicht  mit  erneuter 
Hefti(^keit-,  sie  verließ  ihn  nicht  mehr;  er  UDterlag  derselben  in  der 
Nacht  vom  29.  auf  den  80.  April. 

Heinicke  hat  über  100  Schüler  aus  aller  Herren  Ländern  gehabt; 
aber  er  hinterließ  keine  Schätze,  seiner  zweiten  Gattin  nur  die  Sorge 
flii*  3  unerzogene  Kinder  und  für  die  immerhin  noch  junge  Anstalt. 

Hei  nicke 's  Grabstätte  ist  unbekannt;  in  den  Ki'iegsstiirmen  der 
folgenden  Jahre  ist  sie  vergessen  worden. 

Nicht  aber  das  Andenken  an  den  verdienten  Mann.  Im  Jahr  1847 
erließ  ein  Görnitz  aus  den  ersten  Kreisen  Hamburgs  einen  „Aufruf 
zur  Begründung  eines  NationaldenkmalB  für  Samuel  Heinicke,  den 
Stifter  der  ersten  Taubstummenanstalt  Deotschlands."  Unter  Hinwds 
auf  die  allgemeine  Verehrong,  die  Fnmkreicli  de  l'Epöe  zollte,  sagt 
der  »Aufruf*:  „Aber  schiddet  nicht  anch  Dentselilaiid  seinem  Woi- 
th&ter  und  dem  der  Menschheit»  schuldet  nicht  namentlich  Hambarg, 
welches  ja  die  Wiege  des  deutschen  Tanbstommenunterrichtes  ist,  dem 
um  die  Bfldung  der  unglilcklichen  Taubstummen  so  hoch  und  gewiss 
nicht  minder  als  de  TEp^e  yerdienten  Heinicke  ein  Denfanal  der 
Liebe,  der  Dankbarkeit  und  der  Terehmng?* 

Der  Ertrag  der  Sammlung  war  jedoch  ein  geringfügiger  und 
reichte  nicht  zu  einem  Denkmal.  Ein  Thefl  davon  wurde  zur  Unter- 
stützung einer  Enkelin  Heinicke's  verwendet,  der  Bestbetrag  später 
an  Leipzig  abgegeben,  wo  die  Lehrer  und  Schüler  der  Taubstummen- 
anstalt im  Anschluss  an  die  Säcularfeier  des  Instituts  mit  Hilfe  von 
Freunden  dem  Gi-ttnder  desselben,  Heinicke,  im  August  1881  ein 
Denkmal  errichteten. 

Das  alte  Schulhaus  in  Eppendorf,  in  dem  Heinicke  seine  erste 
Wirk>janikeit  als  Volks-  und  Taubstummenlehrer  ausübte,  ist  pietätvoll 
noch  in  seiner  alten  Ursprünglichkeit  erhalten.  Auch  hat  die  Ge- 
meinde das  .\ndenken  ihres  einstigen  Cantors,  Schulmeisters  und 
Küsters  «ladiirch  geehrt,  dass  sie  die  in  Ei)pendoi'f  auf  den  Mai'kt- 
platz  fülirende  breite  Straße  Heinickestraße  benannt  hat. 

IV. 

Methoden  des  Taubstummenunterrichts. 

FQr  den  Taubstummenunteirieht  werden  zwei  Hanptmethodoi 
gehandbabt: 

Die  französische,  von  de  PEp6e  erftinden  und  befolgt,  und 
die  deutsche,  von  Heinicke  begründet. 

Das  Hauptonterrichtsmittel  de  TEp^e's  war  die  Zeichensprache, 


Digitized  by  Google 


—  5«3  — 


die  er  bis  ins  Detail  ausbildete.  Mittelst  derselben  brachte  er  den 
Schülern  alle  Kenntnisse  bei,  die  in  der  Schule  irgend  gelehrt  werden 
können,  Musik  ausgenommen.  Seine  staunenswerten  Erfolge  sind  un- 
widerleglich bezeugt.  An  die  Geberdensprache  schloss  er  die  Schrift- 
sprache, das  Schreiben,  an.  Erst  in  dritter  Linie  kam  bei  ihm  die 
Tiautsprache,  die  Articulation .  das  Si)reclien.  Diesem  Sprechen  sei 
einiger  Wert  für  den  Verkehi*  mit  den  Menschen  zuzugestehen,  aber 
für  die  geistige  Ausbildung  der  Taubstummen  leiste  es  nichts;  es  sei 
ein  mechanisches  Thun  ohne  geistige  Ausbeute.  E>  gab  sich  darum 
geringe  Muhe,  seinen  Zöglingen  das  Sprechen  einzutiben. 

Heinicke  ging  ziendieh  den  umgekehrten  Weg.  Er  gründete 
den  TaabstnmmenonteRicht  auf  die  Lantspraehe,  die  Articulation,  das 
Sprechen.  Dieses  ist  ihm  die  Grundlage  l&r  die  geistige  Ansbildung, 
wie  Ar  die  Ebrwerbnng  von  Kenntnissen.  Das  Schreiben  kommt  bei 
ihm  in  die  zweite,  die  Geberdensprache  in  die  dritte  Linie.  Zwischen 
de  r£p6e  nnd  Heinicke  entspann  sich  bald  ein  scharfer  Streit  Aber 
den  Wert  ihrer  Methode.  Heinicke  hatte  ihn  begonnen,  indem  er 
in  einer  Dmcksdirift  öffentlich  erklfirte,  de  TEp^e's  nnd  .anderer 
Thnn  sei  nichts  weiter  als  Blendwerk,  Thoriieit,  Betrog  nnd  Unsinn. 
In  der  so  begonnenen  F^de  erwies  sich  de  l'Ep^e  als  ein  edler, 
ehrlicher,  gerader  Mann.  Er  legte  seine  Sache  klar,  deutlich,  für 
jedermann  verständlich  dar.  Heinicke  erwies  sich  als  Meister  im 
polternden  Absprechen.  Sein  Unterrichtsverfahren  legte  er  nie  öffentlich 
nnd  klar  dar.  Er  behandelte  es  als  Geheimnis,  rühmte  sich  eines 
Arcanums  zur  Einprä 2:ung  der  Vocale.  Seine  Kunst,  seine  Wissen- 
schaft, sammt  dem  Arcanum  wollte  er  Stork  in  Wien  um  2(XJ(_»  Louisd'or 
verkaufen,  de  l'Epee  müsste  ihm  K-KJIKH)  Fr.  bezahlen.  De  TEpee 
lei.'-te  die  Streitsache  unter  Bcitiiguug  sämratlicher  Actenstücke  einer 
großen  Zald  von  Akademien  zur  Entscheidung  vor,  aber  nur  die  von 
Zürich  trat  darauf  ein,  wol  veranlasst  durch  den  intimen  Freund 
de  TEpee's,  l*farrer  Keller  in  Schlieren. 

Das  in  lateinischer  Sprache  abgefasste  Gutacliten  der  Züricher 
ist  eine  vorzügliche  Arbeit,  würdig  im  Ton,  gründlich  und  klar  in  der 
Sache.  Die  Chorherren  und  Professoren  fassen  die  Hauptpunkte  des 
Streites  viel  bestitninter  auf  und  beweisen  eine  jjrößere  Einsicht  in 
das,  um  was  es  sich  handelt,  als  die  beiden  Streitenden  selbst. 

In  der  Einleitung  begründen  sie  ihre  Befugnis,  ein  Wort  in  dieser 
Sache  mitsprechen  zu  dürfen,  damit,  dass  sie  bezeugen  können,  nicht 
nur  die  eingesandten  Aetenstlleke,  sondern  aaeh  die  Schriften  beider 
Taobstnmmenlehrer  „sorgfältig  dorchgangcn"  zn  haben. 


Digitized  by  Google 


—  664  — 


Es  sei  nun  zu  untersuchen,  ob  die  Behauptung?  Hei  nicke's  richtig: 
sei,  „dass  de  l'Epee  vom  wahren  und  rechten  We«:^  abgeirrt  sei  und 
er  allein  das  beste  und  vorzüglichste  Vei'fahren  in  dieser  Kunst  gd- 
fuaden  habe  und  innehalte". 

„Also  das  ist  zu  erörtern",  wenden  sie  sich  direct  an  de  l'Epee, 
„was  er  au  dem  Verfahren  tadelt,  das  Du  als  ein  theilweise  von  Dir 
gefundenes  begonnen  hast  und  von  großem  Lob  wieder  gefeiert  schaust." 

Dann  analysiren  die  Züricher  Chorherren  das  Verfahren  de  TEpee's 
und  treten  dem  \'orwm*f,  er  habe  keine  rechte  Grundlage,  da  er  die 
Lautsprache  nicht  gebrauche,  mit  folgenden  Worten  entgegen: 

„Wie  denn?  Brauchst  Du  einzig  das  Hilftmittel  der  Schrift  im 
Untarrieht  Deiner  Schüler,  sestiest  Du  gar  nichts  an  die  Stelle  der 
Laote  (Tonsprache),  damit  der  Übergang  von  den  geschriebenen  Wörtern 
zom  Fiesen  der  Dinge  selbst  eriekshtert  würde?  Sind  also  die  Zeichen 
nidits  (ies  signes  möfhodiqnes),  die  Da  methodische  heißest  und  wo- 
durch Da  nicht  nur  die  alltäglich  am  ans  heram  Hegenden  Dinge 
aofii  genaaeste  beseicfaneet,  sondern  anch  das  Verborgenei  den  Sinnen 
ganz  Unzogflngliche  im  einzehien,  wie  mit  einem  Körper  bekleidest, 
dass  es  dentlich  mit  den  Aagen  geschant  werden  kann?  Und  wenn 
wir  diese  Ddne  nnvergleichliche  und  über  alles  Glaubliche 
hinaus  ausgebildete  Kunst  über  alles  Lob  erhaben  heißen,  so 
fürchten  wir  nicht,  dass  wir  irgend  einem  Sachkundigen  und  Ein- 
sichtigen zu  viel  gelobt  zu  haben  scheinen.  So  hat  nun  der  Theü 
Deines  berühmten  Werkes  (Instruction  des  Sonrds  et  Muets  par  la 
Toie  des  signes  m^thodiques  1776)  auf  uns  einen  Eindruck  gemacht, 
dass  uns,  die  wir  vorher  über  manches  zweifelten,  nun  da  fürwahr 
ein  helles  Licht  hervorstrahlte,  und  so  hal>eu  wir  da  Deinen  Scharf- 
sinn und  die  vSorgfalt  der  Lehre  bewundert.  Die  Schriftspraciie  ist 
Dir,  Du  bewährter  Mann,  gar  nicht  ein  Werkzeug,  wodurch  Du  aus 
(lein  Geist  der  Deinen  die  Kraft  zu  denken  und  zu  scliließen  erst 
herausloeken  möchtest.  Uns  Vollsinnige  hat  die  klingende  Rede 
dorthin  geleitet,  die  Deinen  führt  eben  dahin  das  bewunderns- 
werte Kunstwerk  der  methodischen  Zeichen.  Was  wir  fridier 
kiiuni  tür  möglich  hielten,  das  zuzugeben  stehen  wir  gar  nicht  an, 
dass  nämlich  keine  der  im  Mund  und  Brauch  der  Menschen  lebende 
Sprarlie  voller  und  reichhaltiger  sei,  als  die,  welche  Du  mit  den 
1  aubstummeu  brauchst.  Durch  sie  allein  würdest  Du  den  Deinen  allen 
das  Wesen  des  Menschen  wiedergeben,  wenn  Du  nicht  für  durchaus 
heilsam  hieltest  zur  Geistesbildung,  dass  überdies  das  Lernen  der  ge- 
schriebenen Buchstaben  dasn  komme  Doch  bedarf  D«ine  Streit- 


Digitized  by  Google 


—  665  - 


Sache  ja  gar  wenig  der  Deckung  durch  Gründe;  sie  hat  nämlich,  was 
mehr  als  alle  Schlussfolgerung,  die  gewichtige  Autorität  der  Zeugen 
für  sich,  die  täglich  Dir  zuströmen;  deren  Wahrhaftigkeit  und  Ge- 
wissenhaftigkeit —  diejenige  Kaiser  Joseph's,  Linguet's,  selbst 
Perreire's,  Deines  Tadiers  —  mag  Heinicke.  wenn  er  es  kann,  zu- 
Bammenreißen  und  zeigen,  dass  falsch  und  von  Dir  ersonnen  sei,  was 
Du  sagst.  Wii'  aber  haben  nicht  fern  von  unserer  Stadt  Deinen  ver- 
trauten Freund  Keller,  einen  trefflichen  Mann,  der  Deinen  Fuß- 
*    stapfen  nachgehend,  in  der  gleichen  Kunst  aufs  schönste  waltet." 

Die  Begutachter  haben  aus  dem  Studium  von  Hei  nicke's  Streit^ 
Schriften  die  Überzeugung  gewonnen,  „dass  er  de  r£p6e's  Ver&hren 
nicht  kenne,  des  letzteren  oben  angefilhrte  Hanptsehiift  nidit  gelesen 
und  mir  ans  ungewissem  Gerftcht  gesdiOpft  habe  und  dannach  seüie 
Einwendimgeii  nicht  znlrifSsn,  sondeni  dahin  fielen**. 

„Das  ist,  mhniToUer  Ifaui,  was  mt  Aber  Euere  Sache  an  Dich 
glaabten  schreiben  za  soUen,  nicht  am  Deiner  Sache  Hilfe  sn  biingeo, 
was  Dn  nach  onserai  ürtheQ  nicht  bednrftest,  da  von  Dir  dem  Gegner 
Uber  genüg  geantwortet  worden  ist,  sondern  nnr,  am  Deinem  Ver- 
langen nachsakommen." 

„Dir  aber  sei  beschieden,  dn  MedvoUes,.  an  jeder  OlttckseUgkeit 
reiches  Alter  so  zu  geriieBen,  wie  Da  es  am  die  Menschheit  yerdient 
hast.  Lebe  wol!" 

Gegeben  den  7.  Februar  1783. 

Der  Convent  der  akademischen  Vorsteher: 
Dr.  Hess,  Professor  der  Philosophie. 
Dr.  Steinbrüchel,  Professor  der  griechischen  Sprache. 
Dr.  Schinz,  Professor  der  Physik  und  ittatliematik« 
Dr.  Fsteri,  Professor  der  Literatur. 
Dr.  Hottinger,  Professor  der  Bereiisamkeit,  dem  die  Ab- 
fassun*,'-  des  Gutachtens  iil)ertra<j:('n  \vorden  war. 

Durch  die  Geheimniskrämej  ei  schadete  Ji  ei  nicke  seiner  Sache 
so  sehr,  dass  sein  Unterrirhti>verlalireii  nach  seinem  Tode  völlig  ver- 
loren ging  und  die  französische  Methode  au  dessen  Stelle  trat,  selbst 
in  Leipzig.  Wandel  darin  schaffte  1832  erst  wieder  Pfarrer  Jäger, 
Lehrer  an  der  Taubstummenanstalt  Gmünden  in  A\'ürttemberg.  Kr  erhob 
die  Lautsprache,  das  Sprechen,  wieder  zur  Gi  undlage  des  Unterrichts. 
Von  da  aus  ging  dieses  Verfahren  in  den  30er  Jaluen  durch  Scherr 
in  die  Taubstummenanstalt  in  Zürich  ftber. 

Der  Hanptreformer  aber  aof  dem  Gebiete  des  Taabetonunemmta^ 
lichts  in  nnsenr  Zelt  war  Hill,  als  Schriftsteller  and  Ldter  der 


Digitized  by  Google 


—  666  — 


Taubstammauunstalt  in  Weißenfels.  Nicht  nur  hat  er  die  Lantsprache 
(in  Verbindung  mit  der  Schriftsprache)  zum  Hauptunterrichtsmittel 
erhoben,  sondern  auch  den  Unterrichtsstoff  organisirt.  Nach  ihm 
soll  die  Taubstummenschule  —  mutatis  mutandis  —  der  wol- 
geleiteten,  nach  Pestalozzischen  Grundsätzen  geführten 
Volksschule  der  Vollsinnigen  gleich  sein.  Dieselbe  verständige 
Auswahl  des  Lernstoffes  für  das  Leben,  nicht  lilos  für  die  Schule  zum 
Abhören  am  Examen,  dieselbe  Anschaulichkeit  und  Liicken- 
losigkcit,  dieselbe  Selbstthätigkeit  im  Auffassen  und  Be- 
produciren. 

Die  von  Hill  angestrebte  und  auch  ins  Leben  gerufene  Gesammt- 
organisation  des  Taubstummenunterrichts  heißt  mit  vollem  Recht  die 
deutsche  Schule.  Sie  hat  auch  ftlr  lange  Zeit  vollständigen  Sieg 
errangen,  indem  s&mnitliche  Tapbstnmmwilnrtitnte^  die  franzOsisehen 
nicht  ausgenommen,  fut  ohne  Ansnahme  ihr  VerfUiren  adoptirten. 

Wie  trafflieh  der  Lehrer  Hill  seine  Sehnle  sn  ffihren  wuntoi 
davon  war  der  Schreiber  dieser  Zeilen  1857  selbst  Zeuge.  Als  er  sa 
Hill  in  die  CSasse  trat,  glaubte  er  sich  in  eine  gnt  geflihrte  Sehnte 
VoUsinnigeir  yersetzt,  so  frisch,  fröhlich,  lebendig  war  der  ünteniehts- 
veikehr  in  der  Lantsprache.  Bei  wiederholten  Besuchen  habe  idi 
mich  immer  mehr  llbeneugt,  welch  allseitigen  Gewinn  ehi  Lehrer 
der  YoUsinnigen  Kinder  aus  der  wiederholten  Anwohnung  bei  solchen 
TJnterrichtsstnndeii  davon  trflge.  £r  würde  gründlich  davor  bewahrt» 
künftighin  ttber  die  Köpfe  der  Schiller  hinweg  ins  Wortwesen  oder 
—  mit  Pestalozzi  zu  reden  —  ins  Maulbrauchen  zu  verfallen. 
Hill  war  übrigens  in  der  Anwendung  seiner  Unterrichtsmittel  fem 
von  allem  Pedanttsmus.  So  sehr  er  die  Ausbildung  der  künst- 
lichen Zeichensprache  nach  de  l'Epee  missbilligte  und  für  eine  Ver- 
irrung  erklärte,  so  unbefangen  urtheilte  er  über  Wert  und  Anwendung 
der  natürlichen  Zeichensprache  beim  Unterricht.  Er  spricht  sich 
ganz  entschieden  ^'^egen  den  Ausschluss  derselben  aus  und  begründet 
sein  Urtheil  austührlicli. 

Ganz  unerwartet  hat  sich  heute  nochmals  ein  Streit  entv«ponnen 
zwischen  der  deutschen  und  der  französischen  Methode.  V.v  ist  bereits 
wieder  in  ein  acutes  Stadium  getreten,  kann  aber  uicht  mehr,  wie 
vor  hundert  Jahren,  den  Chorherren  in  Zürich  zum  Entscheid  vorgelegt 
werden.  Dagegen  ist  nun  die  höchste  Autorität  in  Deutschland,  der 
deutsche  Kaiser,  von  den  Taubstumnien  selber  als  Schiedsrichter  an- 
gerufen. Der  Streit  ist  hervorgerufen  worden  von  einem  Lehrer  an 
der  Taubstummenanstalt  in  Breslau  durch  lulgeude  lietbrmsclu-ift: 


Digitized  by  Google 


—    567  — 


„Der  Taubstumme  und  seine  Sprache.  Erneute  Unter- 
snehungen  ttber  das  methodologische  Fundamentalprincip 
der  Taubstummen bildung.  Von  Heidsiek,  Lehrer  an  der  Taub- 
stummenanstalt in  Brealan.**  Diese  Kundgebung  aus  den  Reihen  deutsclier 
Taubstummenlehrer  macht  großes  Aufsehen.  Heidsiek  bestreitet,  dass 
der  deutschen  Methode  die  ansschließliclie  Alleinherrschaft  ge- 
bttre.  Er  verlangt  kategorisch,  dass  der  französischen  neben  ihr 
Raum  gegönnt,  und  dass  durch  eine  harmonische  Vereinigiing  beider 
eine  allgemein  gülti<2:e  Methode  geschaffen  werde. 

„Dass  das  Votum  von  Heidsiek",  meint  Dittes,  „hie  und  da 
ziemlich  schroff  klinirt,  und  dass  er  an  der  einen  Methode  die 
Schatten-,  an  der  andern  die  Lichtseiten  stäiker  hervorhebt,  dai'f 
mau  einer  Reformschrift  nicht  allzuhoch  anreclinen." 

Welche  Früchte  diese  Refurmvurschläge  in  den  deutschen  Taub- 
stummenanstalten zeitigen  werden,  wird  die  näcliste  Zukunft  leliren. 

In  den  jüngsten  Tagen  liaben  die  Lehrer  an  der  Taubstummen- 
anstalt in  Breslau.  Heidsiek's  Collegen,  eine  scharfe  Erklärung  gegen 
diesen  in  der  Schlesischen  Zeitung  erlassen.  Sie  weisen  darauf  hiu, 
dass  auf  den  internationalen  Congi'essen  zn  Mailand  und  Bi-üssel  die 
rdne  W<nrt8^raehe  als  dfe  allein  riditige  erUfirt  worden. 

Herrn  Heidsiek  aber  sind  die  Taubstummen,  die  Zöglinge  der 
deutseben-  Taubstummenanstalten,  zu  Hilfe  gekommen.  Sie  treten  mit 
großer  Entschiedenheit  fUr  ihn  und  seine  Reformvorschlilge  dn.  Das 
thut  nicht  nur  der  große  Taubstummeuverein  in  Schlesien,  sondern  auch 
die  in  Preußen,  gegen  welche  hinwiederum  die  Taubstummenlehrer  Ber- 
lins auftreten.  Die  neueste  Kundgebung  ist  eine  von  Taubstummen  aus 
allen  Theilen  des  Deutschen  Reiches  unfierzeichnete  Petition  an  den 
Kaiser,  worin  die  Petenten  bitten,  dass  die  lang  ersehnte  EinfUirung 
der  Geberdensprache  neben  der  Lautsprache  im  Taubstununenunter- 
rieht  Thatsache  werde.  Unter  dem  jetzigen  Mechanismus  „  verblöde 

und  „veröde^  der  Geist  Das  Weitere  ist  abzuwarten. 

(Scbluss  folgt.) 


Digitized  by  Google 


Die  Lehrer  und  die  Presse. 

Von  Kector  A.  Oüd-KaueL 

er  Lehrer  soll  seine  Thätigkeit  mit  der  Arbeit  in  der  Schule 
selbst  nicht  für  abgeschlossen  erachten,  er  mxm  vielmehr  andi  aif 
die  JugeBd  ftber  das  schulpflichtige  Alter  binans,  auf  die  Eltern  seiner 
Schiller,  auf  alle,  die  ein  Interesse  an  der  Sebule  haben  oder  haben 
sollen,  einzuwirken  suchen.  In  kleineren  Orten  wird  ihm  das  durch 
persönliche  Unterredungen  möglich  sein,  in  größeren  Orten  seltener. 
Da  bietet  sich  ihm  ein  anderes  Mittel  der  Einwirkung,  das  ist  —  die 
Offontliche  Presse,  selbstverstAndllch  die  anstindiga  Diese  Art  der 
Einwiricnng  hat  den  besonderen  Vortheil,  dass  sie  sich  Uber  grOAero 
Kreise  erstreckt.  Wollte  man  einwenden,  dass  die  durch  die  Tages- 
presse henrorgemfenen  Ehidracke  sich  sdinell  wieder  verwischen,  so 
ist  das  nicht  ganz  abzustreiten,  es  Ueibt  aber  doch  immer  etwas 
hängen,  wenn  der  richtige  Ton  angeschlagen  wird.  Die  Presse  be- 
schäftigt sich  heutzutage,  wo  sie  die  Wichtigkeit  der  Schule  als 
Cnlturfactor  anerkennt,  vielfach  mit  dieser.  Nicht  inuner  geschieht 
dies  aber  in  einer  der  Schule  und  dem  Lehrerstand  ersprießlichen 
Weise.  Die  Lehrer  müssen  deshalb  selbst  eingreifen  und  für  die  Presse 
schreiben.  Trli  raeine  nicht,  dass  sie  Reporter  für  dieselbe  werden 
Süllen,  sondern  pädafrocfische  Volksschriftsteller.  Wenn  sit'  dabei  nicht 
das  nächste  eig^Mie  Interesse  durchblicken  lassen,  sondern  im  Jnteresse 
des  Volkes  schreiben,  so  wird  eine  heilsame  Rückwirkung  auf  die 
Verliältnisse,  das  Anseben  nnd  die  Stolliinnr  des  Lehrerstandes  nicht 
ausbleiben.  Wie  vielfach  kommen  die  Bewohner  größerer  Stiidte  in 
Verlegenheit,  wenn  die  Frage  an  sie  herantritt:  In  welolie  Schule 
schicke  ich  mein  Kind?  Hier  bietet  sicli  die  Gelegenheit,  den  Leuten 
fiir  die  ersten  Schuljahre  wenigstens  den  Besuch  der  Volks-  und  Büi'ger- 
schulen  zu  eniiifehlen  und  damit  für  die  Idee  der  allgemeinen  Volks- 
schule thatkräftig  zu  wirken.  Tritt  die  Frage  der  Berufswahl  an  die 
aus  der  Schule  entlassenen  Kinder  und  ihre  Eltern  heran,  wer  sollte 
da  besseren  Rath  ertheilen  können  als  ein  einsichtiger  und  erfkbrener 


Digitized  by  Google 


—  669  — 


Schulmann?  Wie  mancher  wünscht  Auf klärung  über  den  Kindergarten, 
über  Jugendschriften,  Fortbildungsunterricht,  Taschengeld,  Tanz- 
stunden u.  a.  Der  Pädagoge  muss  in  diesen  Erzieh uugstragen  das 
Elternhaus  berathen  können.  Gibt  er  hierin  guten  Kath,  so  hilft  er 
sein  eigenes  Erziehungswerk  vollenden  and  erwirbt  sich  dan  Dank 
und  die  Anerkepmimg'  der  Beratheneii.  Die  Zeitungea  shid  mit  wenig 
Ansnahmeii  noch  nicht  danm  gewöhnt,  ihren  Leftem  Leitartikel  Aber 
solche  Fragen  m  Meten.  Wenn  sie  es  thäten,  so  würden  sie  ihren 
Tomehmsten  Zweck,  n&müeh  den,  der  Volksaofldflrnng  zu  dienen,  erst 
erfüllen.  SoUten  sie  jedoch  ihre  Leitartikel  nnr  den  Fragen  der  hohen 
Politik  widmen  wollen,  so  stellen  sie  sicherlieh  den  Banm  anter  dem 
Strich  ZOT  Verftgvng.  Es  shid  besonders  die  ProvinzialblAtter  ins 
Ange  zn  £usen,  die  sicherlich  gern,  wenn  ihnen  guter  StofT  geboten 
wird,  zagreifen  nnd  auch  Honorar  zahlen.  Diese  BUlttar  snehen  recht 
eifrig  ihre  Leser  in  Lehrerkreisen;  sie  wissen,  der  Lehrer  liest  nnd 
hat  Einfluss.  Nun  beruht  alles  auf  Gegenseitigkeit:  soll  der  Lehrer 
ein  Blatt  halten,  dann  muss  ihm  dasselbe  auch  einen  Lihalt  bieten, 
der  ihm  zusagt.  Die  Aufnahme  von  kurzen  Artikeln  über  Zeitfragen 
auf  dem  Gebiete  der  Schule  nnd  des  Lebens,  über  Schul-  und  Er- 
ziehungsfragen, Volkserziehnng  und  Volksbildung  wird  heutzutage  keine 
Schwierigkeit  mehr  bereiten.  lUi  sind  immer  wieder  zu  erörtern  die 
Fragen:  Weibliche  Bildung,  Foi tltlMiinp:  der  Mädchen,  die  öftentlirhen 
Schulprüfungen,  die  Hausautga^eii,  Furtbildungsschulen,  Geseizeskunde 
in  der  Schule,  Volkswirtschaftliche  Belehrung  der  Jugend,  Knaben- 
handarbeit, Schulsparcasse,  Gesundheit.spfletre.  Scliulaufsicht,  Volks- 
bildung, Volk.serziehung  und  Volkswolfalirt,  Staats-  (»der  Gemeindeschule, 
Allgemeine  Volksschule  oder  Standesschule,  Berechtigungswesen  u.  s.  w. 
Auch  wird  es  sich  empfehlen,  gelegentlich  des  Schulanfangs  einen 
Feuilletonartikel  über  den  ersten  Schulfrang,  bei  der  Schulentlassung 
einen  solchen  über  den  letzten  Schultag  oder  au  deren  Stelle  an- 
sprechende Gedichte,  und  an  den  Gedenktagen  von  Männern,  die  sich 
am  das  Schul-  und  Emehungswesen  verdient  gemacht  haben,  kurze, 
packende  Lebensabrisse  in  die  Blätter  zu  setzen,  ich  denke  da  an 
Gomemns,  Pestalozzi,  FrObel,  Diesterweg  u.  a.  Auf  solche  Weise  wird 
das  Öffentliche  Interesse  der  Schale  immer  mehr  zugewandt,  es  wird 
yon  berufener  Seite  und  in  einer  der  Schale  und  dem  Lehrerstande 
förderUcben  Weise  aber  Schul-  and  Erziehungsfragen  gesehrieben,  und 
wenn  man  erst  einsieht,  welches  Kleinod  man  an  der  Schule,  hos- 
besondere  der  Volksschole  hat,  dann  wird  solche  Einsicht  nicht  in 
letzter  Linie  den  Lehreni  zugote  kommen.  Warnen  möchte  ich  yor 


Digitized  by  Google 


-   570  - 


der  zu  speciellen  Behandlung:  d^r  Gehaltsfrage  der  Lehrer  in  der  ' 
'ragespresse.  Werden  die  Einzelnheiten  derselben  mitgetheilt,  so  darf 
man  sich  nicht  wundern,  wenn  der  gewünsclite  Erfolg  ausbleibt,  viel- 
mehr häufig  das  Gegentheil  eintritt.  Bei  schlechter  Gestellten  erregt 
die  Lage  der  Lehrer  vielfach  noch  Neid,  von  selten  des  Geldprotzen- 
thimiB  aber  mitleldigee  Aduelzacken,  ja  Verachtnng. 

.  Man  hat  seitens  der  Lehrerschaft  die  verschiedensten  Zeitschriften 
begründet,  die  ein  einmflthiges  Znsammenwirken  von  Sehnle  nnd  Hans 
und  AnfkUbnng  über  Sdiiilfragen  bezweckten,  der  Erfolg  bli^  aber 
weit  hinter  den  Erwartongen  zorück.  Die  Lente  sind  nicht  gewQhnt, 
Artikel  Aber  Erziehnngs-  und  Schvlfragen  zn  lesen.  Gewöhnen  wir 
sie  daran,  indem  wir  sie  ihnen  in  den  ölfentlichen  Bl&ttem  bieten. 
Ich  habe  seit  länger  als  einem  Jahrzehnt  die  verschiedenen  Blfttter 
meines  Wirkongsortes  nach  dieser  Bichtnng  hin  beeinflosst  nnd  die 
günstigsten  Erfahrungen  gemacht.  Die  ausgestreuten  Samenkörner 
sind  oft  gar  bald  aufgegangen  nnd  haben  Frttchte  gebracht  Damm, 
CoUegen,  überall  ans  Werk. 

In  der  preußischen  Provinz  Schlesien  hat  der  Frankenstein-Peter^ 
witzer  Lehrerverein  bei*eits  die  Anregung  zur  Bildung  einer  „Pi'ess- 
commission'^  gegeben,  welche  die  Aufgabe  hat,  das  Verhältnis  zwischen 
Schule  und  Haus  dadurch  zu  f(jrdem,  dass  sie  kleine,  die  Schule  und 
das  Schülerleben  betreffende  Originalaufsätze  den  politischen  und  unter- 
haltenden Tagesblättern  zustellt.  Der  Schlesische  Provinzial- Lehrer- 
verein hat  die  Ausführung  dem  Görlitzer  Lehrerverein  übertragen,  der 
in  einem  längeren  Aufruf  an  die  schlesische  Lehrerschaft  diese  auf- 
fordert, ihn  durch  Abfa.ssun£^  und  Einsendung  von  interessant  und 
populär  geschriebenen  Artikeln,  sowie  durch  Gewinnung  von  Zeitungen, 
die  geneigt  sind,  solche  Aufsätze  zu  verriffent liehen,  zu  unterstützen. 
Zur  Bearbeitung  werden  u.  a.  emplbhlen:  öcliulversäumnisse ,  das 
Zuspätkommen,  die  Hausautgalifn,  Juf^endschriften,  Elternzeitungen, 
das  Romanlesen,  was  soll  das  Kiml  vor  der  Schulzeit  lesen?  etc. 

In  derselben  Weise  sollten  alle  Provinzialvereine  voi^ehen.  Auch 
für  den  von  Berlin  aus  geplanten  Deutschen  Lehi-er-Schriftsteller-Bund 
wäre  das  eine  entsprechende  Aufgabe,  er  könnte  eine  literarische 
Sammelstelle  bilden,  von  wo  ans  die  dentsche  Presse  sich  mit  Stoif 
versorgen  konnte. 

Doch  das  eine  thun  nnd  das  andere  nicht  lassen;  bevor  soldie 
Gentralstellen  geschaifen  sind,  mnss  der  Lehrer-Schriftsteller  in  seinem 
nächsten  Gebiete  die  Presse  beeinflnssen. 


Digitized  by  Google 


Lehrers  Erdenwallfahrt 


Suig  von  Laid       Lust  dei  Lehreriebew  ▼(«  JE.  Albmi* 
Widmung. 

Euch  allon.  dio  ein  ganzes  Leben 
Im  Dienst  der  Menschenbildun^  stehn, 
Die  oft.  von  Sorgenschwall  uragebea, 
Verkannt  in  dunkler  Tiefe  gelin, 
Die  Fetadesmiuid  des  aehnSden  SlnneBr 
Ach,  wie  so  häufig!  Iftsternd  zeiht: 
Der  Sacht  des  Ehr-  nnd  Geldgewinnes  — 
£ach  allen  sei  dies  Lied  geweiht! 

Ee  redet  oieht  von  Prankpalästen, 
Es  singt  nicht  hoher  Helden  Preis 
Und  führt  Euch  nicht  zu  stolzen  Feflt6B  — 
Nein,  in  des  eignen  Lebens  Kreis, 
In  jenen  stillen  Kreis,  darinnen 
Our  Mlber  werdeti  lebt  und  aehafll, 
Der  MenicUieit  Segen  sn  gewinnen 
In  T^mnen  ringt  mit  Enwt  nnd  Kraft. 

Manch  Bildchen  wird  Erinn'rong  wecken, 
Das  eine  trllb^  das  andre  froh, 
Gedenken  arger  Domenbeeken 

Und  schöner  Anen  sonnig-ftoh. 

Manch  Verslein  wird  Eneh  herzlieb  mahnen: 

„Ihr  Brüder,  überseht  es  nie, 

Wie  reich  anch  Enre  stillen  Bahnen 

An  eehter,  reiner  Poeste!" 

Die  Frendf.  die  in  stillen  Standen 
Vielleicht  ein  Lehrerherz  beglüekt, 
Das  solch  Erkennen  hier  gefunden  — 
Sie  ist  der  Lohn,  der  midi  entaaciktl 
Sie  wird  die  Kräfte  neu  beleben, 
Ein  Himmelslicht  in  AUtag-snnth! 
So  nehmet  denn,  was  ich  gegeben, 
So  freondlich  an,  wie  ich's  Euch  bot! 


-  572  — 


Erster  Gesaug. 

In  Prüfiinarsnoth. 

Frisclior,  klarer  Früliling^morgen! 
Kein  und  krättig  kam  sein  Odem 
Von  den  waldgekrSnten  HShen. 
If  ajeBtfttiBch  robig  nigten, 
Hell  vom  Glanz  der  Morgenaonne 
Überflutet,  die  verklärten 
Gipfel,  flammeuden  Altären 
Zn  vergleichen.  U&cht'ge  Sftlden 
lachten  Nebels  sdiwebten  achimmenid 
Wie  der  BtMk  von  Opferbränden 
Droben  langnun  bimmelwftrts. 

ThaofHscb  lag  die  weite  Ebne, 
Da  nnd  dort  noch  kalil  nnd  braun,  docb 
Meistens  üppig  prantrcnd  in  dem 
Lenzgewand  von  jungem  Grün,  drin 
Liebelnd  sdion  znweflen  Uchte 
Blnmennogen  lockend  blinkten. 
Lnstig  sprangen  jetzt  die  Hilslein, 
Frei  von  Wintemoth  und  Sorge, 
Durcli  die  üpp  gen  \Veidegrtinde. 
Wirbelnd,  wie  beransebt  yon  Wonne, 
SAwang  die  Lerche  eich  znm  Himmel 
Durch  die  feuchten  Wiesengründe 
Scliritt  der  Burprlierr  von  dem  Schornstein, 
Scliritt  Freund  Storch,  der  rothbestrumpfte, 
Langbebeinte,  achnabellcrftft'ge, 
Würdig  wie  ein  Herr  Gehelmrath 
Gravitätisch  nnd  bedächtig 
Und  der  Froschjagd  ernst  beflissen.  • 
Traulich  saß  die  goldgeschmückte 
Liebe  Ammer  nnf  den  BInmefaen, 
Die  am  Band  der  breiten  Strafie 
Eben  BlütenknSaplein  trieben. 
Melancholisch  und  doch  seltsam 
Herzeniuickend  klang  ihr  Lockruf 
Über  die  bethaaten  Flüren 
An  das  Ohr  des  jnngen  Wandrers, 
Der  an  Vogleins  luft'gem  Sitze 
BfiBtig  dicht  vorttberschritt. 

Keddsch  balb  nnd  halb  verdriefllidi 

Sah  der  schmächtig  aufgeschosa'ne, 
Kaum  den  Knabeiischuh'n  entwachsne 
Jüngling  auf  das  liebe  Thierchen. 


-    673  — 


„Du  hast's  freilich  besser,  kleiner 
Lnfit'ger.  lieber  Freund  des  Landinann«!'* 
Sprach  er  mit  besorgten  Mienen. 
„Ohne  Kvamsit  idtwiirrt  dn  seligr 
Von  dem  enten  ICorfragnuieii 
Bis  zum  Untergang  der  Sonne 
Dnrch  die  reinen  Frühlingslnfte, 
Sclimaasest,  treibst  init  deinesgleichen 
Konwett  aller  Art  und  pftlftt  so, 
Wie  der  Schnäbel  dir  gewadiMn. 
Glöcklich  bist  du!  Was  Bzanen 
HeiBet,  da  erfährst  es  nie!** 

Und  das  \  üglein  blickte  tdiweigend, 
Schier  verwondert  nnf  den  jnngUng, 

Fast,  als  wollt'  es  zn  ihm  sagen: 
^Eia,  Menschenkind,  wie  thöricht, 
Dass  du  an  solch  schönem  Morgen 
Gar  so  grämlich  in  die  Welt  schanstt 
Zwar  dein  RSeklein  ist  ein  wenig 
Abgeschabt,  besonders  an  den 
Nähten  und  den  KlU  iibogen; 
Allzukarz  ist  auch  da»  HUslein, 
Wie  gemacht  fdr  einen  andern, 
Wen'ger  nsch  getriebnen  SehOSsUng. 
Selbst  das  Hütlein  ist  nicht  Y9Uig 
Ohne  Spuren  höhern  Alters, 
Und  die  derben  Schuhe  künden, 
Dass  du  nicht  von  hohem  Adel. 
Doch  was  dint  das?  Im  Gebirge, 
Zwischen  Wiese,  Wald  nnd  Heide 
Bist  du  ja  gesnnd  erwachsen  I 
Deines  Blutes  reine  Welle 
Kreist  gar  lastig  durch  die  Adern, 
Und  dein  Antlite,  deine  Angen 
Können  wol  recht  fröhlich  leuchten. 
Fasse  Mut!  Wie  ottmals  denkt  man: 
jWilre  doch  nur  das  und  jenes, 
Was  mich  jetzt  so  quält  und  ängstigt, 
Endlieb,  endlich  aneh  vorllber!* 
So  vertrauert  man  die  Tage, 
Statt  sie  freudig  zu  genießen. 
Und  ist  das,  was  man  solange 
Unter  Zittern,  anter  Zagen 
Nahen  sah,  vorbeigegangen, 
Denkt  man  mdstens  leise  lächelnd: 
wHm,  es  war  aneh  weiter  nix!** 


P»dacogium.   U.  J*brg.  Be|t  IX. 


40 


Digitized  by  Google 


—  674  — 


l'nil  dor  Jüiiprling  mit  dem  frischen 
Antliu  uud  deu  hellen  Augen 
Sehiea  des  VOgleiiis  ungesproohne 
Milde  Mahnung  za  vereteheD, 
Hob  den  Kopf  mit  festem  Willen, 
Schwang  sein  Kuotenstöcklein  muthig 
Und  betrachtete  die  ferne 
Stolze  Stadt  mit  ihren  Thttrmen, 
Direm  hochgelegnen,  alten 
Schlosse,  iliroin  Meer  von  Dächen 
Mit  ganz  andern  Hlirken.  Rüstig 
Schritt  er  weiter  und  gelaugte 
Zeitig  in  die  firtthbelebtea 
LärmerfUlteD  säubern  Straßen. 
Welche  Welt  von  Pracht  und  Wandern 
Für  das  schlichte  Kind  des  Waldes, 
jüas  wie  träumend  au  deu  Läden 
Voller  OlluiE  vnd  Toller  Sehitie 
Und  voll  niegesehner  Dinge 
Langsam  still  vortiberwallte ! 
Welche  Lnst,  inmitten  solrlier 
Herrlichkeiten  air  die  küntt'gen 
Tage  frQhlioii  m  verleben! 
Welches  Glfick,  die  frischen  Krieger 
Kfinftig  immer  schaun  zn  können, 
Die  soeben  flott  und  schneidig 
Bei  dem  Klange  rauschend  lauter, 
Feuriger  Musik  an  nnserm 
Jungen  Freund  vornberschritten! 
Also  denkend,  kam  er  endliehf 
Müde  von  dem  vielen  Fragen, 
Nach  dem  Sitz  der  Lehrerbildung, 
Vor  das  alte,  dfisteremste, 
Schwangran  angehanehte  Kloster, 
Drin  voreinst  die  Franeiscaner 
Ihre  Tage  still  beschaulich. 
Manches  Mal  auch  tapfer  zechend 
Zugebracht.   Mit  dumpfem  Dröhnen 
Rief  die  Klostengloeke  eben 
Hoch  herab  die  achte  Stunde. 
Arp  erschrak  das  Kind  der  Berge, 
Denn  genau  zur  achten  Stunde 
Sollte^ es  im  Seminare 
Sich  snr  Prttfüng  stellen;  also 
Stand  es  in  dem  großen  Briefe 
Ymi  <lei-  h;>rliston  Schulbehörde 
Dürr  und  kalt  mit  strengen  Worten. 
Hurtig,  wie  verfolgt  von  Häschern, 


—  676  — 


Flog  der  JangÜDg:  durch  Me» 

Döstere  Portal,  darüber, 

Hell  in  goldnen  Lettern  leuchtend, 

Staud  geschrieben  „Seminar*'. 
Eilig  trat  «r  la  die  Schauer 

Feuchter,  damp&r,  hodigewdlblflr 

Klosterräume.   Harrend  vor  der 

Ausgetretnen  Wendeltreppe 

Stand  der  hag  re,  kiilmbeuaüte, 
mt  den  fltanren  llänieaiigeii 

RastloB  spfth'nde  Anstaltediener, 

Den  die  flbermüt'ge  Jugend 

Unter  sich  mit  zähem  Frevel 

„Cerberus''  zu  nennen  pflegte. 

TMelnd  prüfte  der  Gestrenge 

Vnieni  Spätling;  aof  der  Stime 

Schwere  Falten,  leise  hüstelnd 

Wie  das  schleichende  Verhängnis, 

Wies  er  wortlos  anfwärts.  Zagend, 

In  der  Hand  die  FederbttdiBe^, 

An  die  Brut  gepreiit  die  eben 
'.Erst  erstandenen  nnschuldweißen 

Blätter,  die  sein  bisslein  Wissen 

Darthun  sollten,  stand  der  Jüngling 

Vor  der  Thttre,  drauf  in  großen, 

'Grausen  Zügen  stand  gesduleben 

^Prüfnngssaal".   Er  pochte  leise, 

Öffnete  und  schritt  in  Sorgen 

In  den  Ranm,  so  leis,  so  zagend, 

•Gleich  als  gelte  es  an  wandern 

Durch  das  grause  Thor  des  Todes. 

Düster  schwärtlich  standen  schon  die 

Sehr  gestrengen  Herrn  Magister 

A'or  der  bangenden  Coix)ua, 

Die  wie  eine  stumme  Horde 

Ansedtomer  Opfiuthlere 

Auf  den  Blaken  harrte.  Fragend 

Schaute  nun  der  Herr  Director 

Auf  den  eben  Eingetretnen, 

Hielt  ihm  schweigend  seine  Uhr  hin, 

'Sagte  fSsierlieh  gemessen: 

„Pünktlichkeit  ist  hohe  Tugend, 

■Ganz  besondtrs  kiinft'ger  Lehrer!** 

Wies  dann  leise  lilchelnd  nach  den 

B&nken,  also  ruhig  wehrend 

AU'  den  stammelnd  yorgebrachten 

^Worten  der  Entschuldigung. 

Nun  begann  der  Prüfungsreigen. 

40* 

Digitized  by  Google 


—   576  — 


All'  die  Lentchen,  die  da  hockteB, 
Hergeschneit  ans  allen  Winden, 
Mauten  auf  den  unschnldweißen 
Blättern  daithun,  wa«  an  Künnea 
Und  «n  WlaMii  sdMm  •rrangeii. 
So  von  früh  bis  Sonnensinken 
Durch  zwei  lanerp,  lanpe  Ta^e 
All  die  klingenden  und  stummen 
Himregister  aufzuziehen, 
TFami,  das  iat  kein  KineheiitiMiit 
Entlieh  galt's,  der  Heimat  BeiM 
Klar  und  fesselnd  darznleg'en ; 
Dann  in  nachgexchriebnen  Sätzen 
Nachzuweisen,  dass  man  mit  den 
OiMMo  Regeln  richtigen  Sehrefben» 
Wol  vertrant  sei  und  nicht  etwa 
(iar  auf  oftnein  Knegsfnß  stehe. 
I>ann,  o  Grausen!  mussten  alle 
Mit  der  Tenfelsknnst  des  Kechnens, 
Hit  dar  u^pui  Fotmeolelare 
Stundenlang  lich  weidlidk  plagen. 
Mancher  saß  da  wie  vernagelt, 
Rathlog  an  der  Feder  kauend. 
Weiter  hatten  sich  die  Lentchen 
Hit  d«r  Weltgetdiicbte  HaUeii, 
Hit  den  Hanen  fremder  VSlker 
Gründlich  noch  herumznschlagen, 
HuMten  ohne  Karten  kühnlich 
Anf  ^tdeckungsreisen  ansziehn, 
Hit  diD  BfltHen  der  Wildnli, 
Hit  dan  LelienweMn  allon, 
Die  in  Wäldern  und  in  Feldern, 
In  der  Lnft  und  in  der  Erde 
Ihr  vergnüglich  Dasein  führen, 
Einen  argen  Stranß  beatehen. 
Hit  dem  BHts  md  mit  dem  Donner, 
Mit  dem  Wunderban  dei  Angee, 
Mit  des  Hebels  arg  verzwickten 
Manclierlei  Gesetzen  mussten 
Sie  vertraut  sein.  Als  dies  alles 
Und  noeh  nanelies,  manehes  andre 
Endlich  war  vorbeigegangen. 
Kam  Fran  Mnsica  als  Abnchlass. 
Hei,  wie  tastete  so  mancher 
Wunderliche  Harmonleen! 
Hei,  ide  teilst«,  qnlkte,  knisehta 
Hanchmal  da  die  Violine, 
Wie  Tom  bOsen  Geist  beseiwn! 


—   677  — 


Und  doch  war  e»  eiue  echte, 

Alte,  köstliche  Amati, 

Iii  den  reohten  Hladen  tearig, 

Schniel/oiul,  seelenvoll  erklingend. 
Schaudernd  hielt  der  würd'ge  alte 
Musikmeister  sich  die  Ohren 
■^fter  zu  mit  beiden  Händen, 
Wenn  die  Gute  unterm  Striche 
Eines  Stümpers  «liO  klagte. 
Auch  beim  Singen  war's  nicht  ohne; 
Manche  ki'ähten  wie  die  Hiihnlein, 
ächea,  mit  halbgebrochner  Stimme, 
ünd  mit  aorgenToller  Sllme 
Hörte  stumm  der  Meister  zu. 

Als  nun  scliriftlich  so  wie  mttndlieh 
Alles  nach  Gebär  vollendet. 
Zogen  sich  die  Lehrer  ernsthaft, 
Das  Ergebnis  am  beraten, 
Aas  dem  Prüfangssaal  nirtlek. 
Leise  plauderten  die  armen, 
Vielgeplagten  jungen  Leute 
Und  besahen  sich  genauer. 
Haneher  war  gar  seltsam  btariseh, 
•Ungelenk  nnd  träg  von  Worten, 
Sommersprossig:,  ja  der  eine 
Leuchtete  im  Schmucke  feurig 
fiothen  Haares  wie  ein  Brandfuchs. 
Dodi  gerade  diese  jungen 
Dorfbewohner  waren  alle 
Unverdorben,  harmlos-schüchtern. 
Andre,  die  in  feiner  Kleidung 
Prangten,  traten  keck  und  sicher 
Anf  wie  ftsefae  Ifodelunrlein. 
Und  doch  hatte  numeher  dnmter 
Wenig  Grnnd  zu  solchem  Wesen, 
Denn  nachdem  er  lange  Jahre 
Fruchtlos  in  den  höhem  Schalen 
Bttnke  wand  gescheuert  hatte, 
War  er  Jetso  abgesohlenkert, 
Und  das  ernste  Lehramt  sollte, 
Ob  er's  früher  gleich  verachtet, 
Nun  zu  Brot  verhelfen.  Leise 
Planschte,  plauderte  die  Jagend 
Von  den  Sehreeken  dea  Examens, 
Den  gemachten  Fehlem  und  den 
Uncezilhlten  bösen  Fragen; 
Von  der  Lehrer  Weise,  von  dem 
2u  erwartenden  Ergebnis 


—   678  — 


Sprach  man  schtu  in  Furcht  und  Eoftaangr... 

Mancher  blähte  sich  gewaltig 

Wie  dir  Oocik«!  auf  dem  Kirchtlionii; 

Andre  wagten,  bla«  vor  Soiige, 

Kaum  zu  athmen:  wieder  andre 

Bargen  ihres  Herzens  Ängste 

Hinter  schlechten  Witzen;  nur  der 

Levehtende  Gennanei\jttngling 

BUeb,  gebebnnisTolles  Liebeln 

Auf  dem  sommerspross'gen  AntUtKy 

Unbewegt  sich  völlig  gleich. 

Endlich  nahte  die  Eutscheidong ! 
Wfirdig,  wie  sieh'e  für  die  Lebrar 
Kttnft'ger  Lebrer  will  gebfiren, 
Traton  jetzt  die  scbwarzlich-düsteni' 
Herren  wieder  ein.  Gewaltig 
Redete  das  Haupt  der  Anstalt 
Von  des  Lebnunta  bober  Wttrde^ 
Yen  dem  Segw,  den  ein  guter 
Lebmr,  wirkend  Obers  Grab  noch^ 
In  der  Menschheit  stiften  könne; 
Von  den  ernsten  Forderungen, 
Die  man  lientintage  aebon  an 
Jene  jnngen  Lente,  die  aiob 
Diesem  herrlichen  Berufe 

Widmen  wollten,  stellen  müsse. 

Und  nun  las  er  unbarmherzig 

Ab  nach  alphabet'scher  Ordnung, 

Wer  beatanden,  wer  gefbUen. 

Heil  wie  lenchteten  die  Blicke 

Jener  nun  in  heller  Freude! 

Hu,  wie  schauten  diese  düster, 

Da  sie,  bärtig  abwftrta  polternd^ 

Alao  gllnaend  dnrehgeraaaelt! 

Kaneber  von  den  feinen  Henrleinr 

Die  so  hoch  einhergefahren 

Und  die  „dummen  Bauernjnngen" 

Ganz  von  oben  her  betrachtet. 

War  darunter  nnd  adiUeb  trolsig^ 

Ein  verächtlich  Läcbeln  nm  die 

Festg^ekniff'nen  Lippen,  aus  der 

Erst  so  kühl  und  Uberlegen 

AngesGliautcn  Anstalt,  die  sich 

Flaekt  mit  Wlaaenaelemetttea, 

Mit  der  Kunst  des  Lesenlehrens 

Und  mit  andern  schlechten  Dingen» 

Selig  erlänzten  auch  die  Augen 

Unsers  jungen  Freundes  aus  dem 


—   579  — 


Waldgebirge,  denn  gar  gütig 
Hatte  des  Direktors  Stimme 
Ihm  verkftndigt:  „Walter  Ehrlieh 

Hat  bestanden  und  wird  wegen 
Ganz  besonders  gnter  Leistung 
In  die  kUnft'ge  Classe  als  der 
Zweite  Schüler  aufgenommen.'' 
Wie  ein  ftmes,  wnnderreicbes 
Land  voU  Sonnenschein  nnd  Wonne 
Sah  er  seiner  Zukunft  Tage 
Vor  den  tmnknen  Blicken  litgen, 
Dasü  ihm  fast  begann  zu  schwindeln. 
Waa  Moit  noefa  gMCihah,  er  merkte 
Nichte  davon  in  seiner  Freude, 
Nichts  vom  r^rinim  der  Durihgefalineo, 
Von  dem  Gliicke  Mitbeglückter. 
Immer  wieder  dacht'  er  fruhUch 
An  der  gnten  Eltom,  an  dea 
Trenen  Lehrers  und  des  wackem 
Pfarrhemi  Freude  über  aolehea 
Vuerwartetes  Gelingen. 
Doch  als  nun  der  Anstalt  Führer 
Milde  Worte  der  Ermahnong 
An  die  vom  Erfolg  Gekrönten 
Richtete  und  ernste  Weisung 
("'her  manolie  iluß're  Dinge 
Gab,  da  spitzte  er  die  Obren, 
Fngte  tieh  die  Worte  soffglich 
Ins  Gedächtnis,  in  das  Herz  nnd 
Gab  sich  selber  das  Gelöbnis, 
Allezeit  ein  treuer,  frommer 
Thätei*  solchen  Worts  zu  sein. 

Jetzt  mit  Segenawnnaeh  entlassen, 
Flog  hebend  die  Jagend  abwirtSf 
Flog  vorbei  an  dem  Gestrengen, 
Der  noch  immer  am  Portale 
Wache  hielt  mit  wunderbarem, 
Unbagreiflich  hohem  Enste. 
Wie  sie  hergekommen,  stehen 
Dann  geschwind  nach  allen  Winden 
Unsre  jungen  Prüfüngsopfer 
Anseinander.   Walter  Ehrlich 
Schritt  arit  fkrohgehobnem  Herzen 
GlllekUeh  llehelnd,  selig  träamend, 
Pfeifend,  singend  und  sdn  Stttekleln 
Ab  und  zn  verwegen  schwingend,  ^ 
Gar  geschwinde  heiiuatwärts. 

(Foi-tsetznng  folgt.) 


Pädagogische  Kuudschau. 

Dentsehes  Reich.  Im  Aprilhefte  (S.  446—47)  bnchte  daa  „Paedag." 

eine  Übersicht,  welche  ein  Bild  des  gegenwärtigen  Besuchs  der  deutschen 
Universitäten  entwirft.  Heute  möge  dasselbe  noch  vervollständigt  werden, 
iiideiu  wir  nach  Aschersons  Kaleoder  die  Zahl  der  Professoren  mittheilen, 
miete  an  den  Hodttefanlen  DeotBcUiads  (sowie  Österreich!  und  der  Schweiz) 
wirken:  Nach  der  Zotammenstellnng  in  Proftesor  AscherMHis  UniTersittts- 
kal ender  hat  Jetzt  die  Univeraitftt  Berlin  die  meisten  Lehrer,  nSmlich 
356,  während  Wien  320  hat.  Es  folgen  Leipzig  mit  195,  ^lünchen  1H5, 
Halle  139,  Breslau  138,  Bonn  126,  Straßburg  122,  Gttttingen  und  Heidel- 
berg 120,  Zürich  119,  Bern  113,  Prag  108,  Freibnrg  i.  Br.  und  Graz  106, 
KSnigsberg  95,  Jena  94,  Harburg  98,  Tftblngen  91,  Kiel  88,  OniCiwald  84, 
Lmsbmck  80,  Würzburg  74,  Gießen  und  Erlangen  64,  Rostock  45,  die  Akademie 
Münster  43,  C'zernowitz  (3  Fakultäten)  39,  Freiburg  in  der  Scliweiz  38,  Lyceum 
Hoseauum  in  Brauusberg  9;  zusammen  3674  Lehrer.  Berlin  hat  auch  die 
meisten  außerordentlichen  Firofeasoren,  nämlich  87;  es  ist  überhaupt  die  einzige 
Vniveraltftt,  wo  die  Zahl  der  aoBerordentlichen  Profeesoren  die  der  ordentlichen 
ttbersteigt;  von  letsteren  gibt  ee  in  Berlin  nur  83,  während  die  meisten  Wien 
mit  91  hat.  Im  ganzen  gibt  es  auf  den  deutschen  Universitäten  zur  Zeit  1476 
ordentliche  Professoren,  davon  in  München  IH),  Leipzig  H4,  Göttingen  63, 
Breslau  62,  Bonn  und  Straßburg  60,  Prag  54,  Halle  öl,  Tübingen  50,  Königs- 
berg nnd  Heidelberg  45,  TnAbwrg  i.  B.  und  Gretftwald  44  n.  t.  w.  Aa0er> 
ordentliche  Professoren  gibt  e^  im  ganzen  685,  nächst  Berlin  die  meisten  (51) 
in  Leipzig.  Leijizig  hat  auch  die  meisten  Honorarprofessoren,  nämlich  13, 
und  übertrifft  damit  auch  Berlin,  das  einschließlich  der  lehrenden  Mitglieder 
der  Akademie  der  Wissenjschaften  10  Honorarprofessoren  zählt.  Heidelberg 
und  Jena  haben  je  8,  Mlindien  6,  Frelbni^  I.  B.  4,  Wien  nnr  3.  Die  meiaten 
PrlTatdocenten ,  lesende  Assistenten,  hat  wiederum  Wien,  wo  deren  nicht 
weniger  als  1 12  Ichren,  während  Berlin  den  zweiten  Platz  mit  156  einnimmt. 
Es  folgen  München  mit  67,  Züricli  mit  57,  Bern  mit  50,  Halle  mit  42  ii.  s  w. 
Im  ganzen  gibt  es  1123  Privatdoceuteu.  Wenn  mau  die  Lehrer  de«  urienta- 
liidien  Semhiars  hinzorecfanety  bat  Berlin  aneh  die  meleten  Spiaeh-  und  Ezer- 
eitienmeister  (20),  Wien  hat  13,  Halle  ind  Heldelbeiv  10,  Breelan  8,  Oreife- 
wald,  Harburg  aind  Httniter  7  n.  s.  w. 


Ans  äachsen.  (Febr.  hisMai  1892.)  Während  unsere  CoUegen  in  Preußen 
weder  ein  Sehnl-,  noch  ein  Scbnldotationsgesetz  begrfiften  dorften,  ist  ans 


Digitized  by  Google 


—  581  — 


die  Frende  widerfaliren,  dass  sowol  nnser  PenBions-,  als  aach  nnaer  Dota- 
tionsgesetz wesentlich  verbessert  wurden. 

A.  Beide  Eammern  des  im  April  d.  J.  geschlossenen  Landtages  haben  das 
Pensionsgesets  flr  Lehrer  md  GeistUdie,  doreh  wekdies  dieselben  den 
CivllstaatilleBtrn  gliieligsitellt  werden,  einstimmig  angenommen.  Wir  be- 
gnügen uns,  diesen  versöhnenden  Art  der  Gesetzgebung,  den  die  Lehrer  schon 
seit  mehr  als  7  Jahren  wünschten  (s.  Paedag.  VIII,  8.  475),  an  dieser  Stelle 
einfach  mit  Dank  zn  verzeiehnen,  indem  wir  die  geehrten  Leser  auf  nnsem 
Torlg«n  Beriebt  hinweiien.   (S.  Xirsheft  d.  J.,  S.  891—98.) 

B.  Das  Gesetz  Uber  die  OebaltSTerhUltnisse  der  Volksschul- 
Lehrer  ist  g-iinstiger  geworden,  als  es  anftlnglich  scheinen  wollte.  (März- 
heft S.  392 — 93.)  Die  Staatsregierung  hat  anfangs  Februiu-  das  Decret  Nr.  14 
snrückgezogen  und  den  Ständen  mittels  Decrets  Nr.  38  einen  neuen  Gesetz- 
entwnrf  Aber  die  Lehrergeihaltsfwfalltnisse  nnterbreltet.  Se.  Ei.  der  Minlslw 
V.  Seydewitz  erklärte,  dass  die  Regierung  bei  Beginn  des  Landtages  nicht 
habe  weiter  gehen  können,  als  in  dem  Entwnrfe,  den  sein  Vorgänger  Dr.  v.  Gerber 
vorgeleert.  Inzwischen  habe  die  Finanzlage  des  Staates  gestattet,  dass  dtr 
Dispositionsfonds  füi-  das  Volksscbolwesen  um  jährlich  300000  Mk.  erhöht  und 
SO  die  Ffigliehkelt  gegeben  werde,  die  HinimalgteaM  für  die  Lehrergehalte  m 
erweitern.  Daher  sei  der  modificirte  Entwnrf  unterbreitet  worden; 
nicht  aber  sei  fiir  die  Regierung  bestimmend  gewesen  die  Agitation,  die  sich 
in  letzter  Zeit  kunde:egeben  habe.  Die  Regierung  sei  ernstlich  bestrebt,  die 
Finanzlage  der  Lehrer  zu  verbessern,  soweit  es  ohne  Verletzung  anderer,  eben- 
fsUt  bereehtigtep  Interessen  mügUeb  sei  Asch  er,  der  lOnister,  werde  immer 
ein  warmes  Hws  für  die  Bedürfnisse  des  Lehrerstandes  haben  nnd  es  gern 
bethätigon!  —  Das  neue  Gesotz  bestimmt  fulg-t^iules: 

§.  1.  (Schon  mitgetlieilt  S.  392.)  Das  jUhrl.  Einkommen  eines  ständigen 
Lehrers  beträgt  mindestens  1000  Mk.  —  Es  ist  also  bei  der  ursprünglichen 
Festsetzung  geblieben,  ohwoi  von  nwd  Seiten  eine  Erhöhung  des  Anfisngs- 
gehaltes  gewünscht  wurde:  Für  eine  Erhöhung  wat  1100  Mk.,  wdehe  die 
badischen  Collegen  erhalten  (s.  Märzheft  d.  J.!).  spradt  sich  der  (conservative) 
Abg.  Conimerzienrath  Haensel  aus;  für  eine  Erhöhung  auf  1200  Mk.  nnd  fiir 
Erfüllung  der  Wünsche  des  Allg.  S&chs.  L.-V.  traten  die  —  sodaldemokratischeu 
Abgg.  dal  Nen  nnd  Ahr  die  Oantoren  („Eircbseliiillehrer")  Tortheilhaft 
ist  die  Bestimmung  des  §.  1,  dass  das  Kircheneinkommen  nnr  insoweit  in  das 
Schnlelnkommen  eingerechnet  werden  darf,  als  es  900  Mk.  (früher  blos  000  Mk.) 
jährlich  über.-iteigt.  §.  2.  Den  Schuldirectoren,  welchen  weniger  als  10  Lehr- 
kräfte unterstellt  sind,  ist  neben  freier  Wohnung  (oder  Wohnnngsentschftdigung) 
ein  jittirliehet  GMialt  vwi  miiHliwtons  SSÖOlfk.  n  gewihren,  allen  fibrigen  ein 
solches  von  mindestens  2700  Ifk.  §.  3  setst  das  Oehah  eiaet  niehtstlüidigen 
Lehrers  anf  mindestens  720  Mk.  fest.  (S.  392.)  §.  4.  Das  Einkommen  stän- 
diger Lehrer  und  Lehrerinnen  an  Volksschulen  ist  durch  Zulagen,  welche  die 
Schuigemeiude  zn  gewähren  hat,  folgendermaßen  zu  erhöhen-,  nach  einer  vom 
erflllltea  25.  Lebensjahre  des  Lehrers  an  zn  rechnenden  st&ndigen  Dienstoeit 

▼on  6  Jaliren  Mi  nf  IfiOO  Ifk. 
n  10     „     r    n  1850  „ 

„16  .   1500  „ 

„  20     „      „    „  1600  „ 


Digitized  by  Google 


—   082  — 


von  25  Jahren  bis  auf  17U0  Mk. 
>»  30     „      II    f»  1800  n 

In  diewm  wie  im  zweiten  §.  bat  miui  die  Untencheidong  der  Lehrer  und 
Diroctoren  nach  der  Größe  der  Orte  wegfallen  lassen,  desgleiclien  hielt  man 
die  Scheidung  der  Lehrer  nach  Schulen  mit  40  oder  weniger  Kindern  und 
nach  Scholen  mit  mehr  als  40  Kindern  nicht  weiter  für  angezeigt,  und  dies 
ua  to  weniger  als  unter  den  vorhandenen  1905  Sdiulgeineinden  nnr  49  tind, 
wdebe  40  oder  weniger  Kinder  haben.   (Vergl.  S.  892 1) 

Die  Vergleichung  dieser  gesetzlichen  Bestimmungen  mit  den  anfHnerlich 
geplanten  bestätigt  unsere  Angabe,  dass  das  Dotationsgesetz  besser  ge- 
worden ist,  als  wir  dachten  oder  vielmehr  —  fürchteten.  Seit  1874  war  in 
Saehwn  keine  Änflwawnug  der  Ldirergehalter  erfolgt;  die  Regierang  hat 
gethan,  waa  aie  nieht  linger  nntwianen  m  dflrfen  glanbte;  in  der  Tfarairedep 
mit  welcher  KQnig  Albert  die  Stände  verabadiiedete^  winl  dies  aneh  ans- 
drttcklich  anerkannt  durch  folgenden  Passus: 

„Durch  die  Bewilligung  der  Mittel  zur  Erhöhung  der  FensioneQ  von  in 
den  Ruhestand  getreteneo  Staatsbeamten,  sowie  von  GeistUclisii  md  Lebrera 
nnd  der  Witwen  und  Waisen  von  solchen  Bediensteten  liaben  Sie  Meine 
Begieraog  in  den  Stand  gesetzt,  in  vielen  F&llen  langersehnte  Hilfe  za 
bringen  und  wahre  Noth  zu  lindem. 

Ihre  Fürsorge  für  das  Gedeihen  und  die  Fortentwicklung  der  Universität., 
sowie  für  die  Kirche  und  Sdrale  wird  zur  Hebung  und  Förderung  der  culturellen 
Interessen  des  Landes  dienen. 

Besonders  angenehm  hat  es  Mich  berilirt,  dass  es  mOglieh  geworden  ist, 
die  Pensionen  der  Geistlichen  und  Lehrer  wesentlich  aafznbesRern  und  durch 
angemessene  Erweiterungen  der  Grenzen  der  Minimalgehalte  der  Volksschul- 
lehrer, sowie  durch  Gewährung  dauernder  Staatsbeihüfen  zu  dem  Einkommen 
derselben  sowol  den  Lehrern  eine  erwünschte  Verbessernng  ihrer  Lage 
als  den  Schulgemeinden  eine  wertvolle  Erleichterung  zutheil  wcfdsii  zu  lassen." 

Die  Lehrer  freuen  sich  dankbar  des  Erreichten.  Denn  wahrscheinlich 
wird  dieses  Jahrzehnt  und  mit  ihm  das  Jahrhundert  zu  Ende  gehen,  ehe  wieder 
einmal  eine  Besserstellung  statthnden  wird.  Durch  dieselbe  werden  dann  viel- 
leioht  die  Wttnsehe  beMedigt  wevden,  die  beteits  ausgesprochen  and  vorhin 
mit  angeführt  worden  sind.  Interim  praeceptores  ernnt  content!.  Aber  wir 
müssen  auch  stets  eingedenk  sein  des  Wortes  Fr.  Rfiekerts:  ],£twas  wfinsch^ 
und  verlangen,  etwas  hoffen  muss  das  Herz!"  — 

Von  Schaivorstäuden  waren  an  den  Landtag  zahlreiche  Petitionen  ein- 
gereicht werden,  hi  welchen  gebeten  wnrde^  dais  ein  and  dieselbea  Sehal- 
bücher,  wenn  nicht  im  ganzen  Königreiche,  so  doch  wenigstens  in  jedem 
Schulbezirk  zur  Einführung  kommen  m9chten.  Aus  den  von  der  Regiernng 
gegebenen  Mittheilungen  ergibt  sich,  dass  zur  Zeit  22  Saramlung^en  biblischer 
Geschichten,  8  Katechismen  mit  Spruchbüchern,  20  Fibeln,  10  Lesebücher, 
12  Beeheahefte,  16  LcitlMen  flir  Beslanterricht»  14  Atlaatea  and  S2  Lieder^ 
bücher  eingeführt  siad,  eine  Fülle  und  Mannigfaltigkeit»  deren  Einschränkung  aar 
Vermeidung  einer  nnnöthigen  Belastung  der  minder  bemittelten  Bevölkemngs- 
dassen  als  erstrebenswert  bezeichnet  wurde.  Bei  der  Berathung  dieser  und 
einer  Anzahl  ähnlicher  Petitionen  kennzeichnete  der  ünterrichtsminister 
Seydewitz  dea  Standpnakt  der  Regierung  in  eiaer  hiterssesntea  Bede, 


Digitized  by  Google 


—  583  — 


deren  InhaltaangaVe  den  Schlnss  unseres  heutigen  Berichtes  bilden  möge: 
V.  Seydewitz  machte  daranf  anfmerksam,  dass  vor  Erlass  des  Schulgesetzes 
von  1878  eine  viel  größere  Mannigfaltigkeit  der  Lehrbüclier  im  Lande  be- 
standen babe.  Nadi  den  Entwürfe  des  ScliidfeaetEe«  aoUte  die  Auswahl 
der  Scbnlbücher  in  die  Hände  der  obersten  Scbulbehörde  gelegt  werden;  die 
Deimtation  der  Zweiten  Kammer  habe  aber  damals  beantragt,  diese  Auswahl 
dtn  S(  hulvorständen  im  Einvernehmen  mit  dem  Bezirksschulinspector  zu  über- 
lassen, und  diese  Bestinuuung  sei  schließlich  Gesetz  geworden  unter  £inräa> 
nnng  der  Fflgliebkeit  an  die  oberste  SehnlbebSrde,  die  geeigneten  SohnU 
b flehe r  zu  bezeichnen.  Von  der  Venammlnng  der  BezirkBecbulinspeetoreii 
sei  es  als  Aufgabe  der  letzteren  festgesetzt  worden,  möglichste  Einlu  itliclikeit 
der  Schulbücher  in  ihren  Bezirken  und  möglichsten  Anschluss  an  die  Xachbar- 
bezirke  anzubahnen;  gleichwol  habe  er  anzuerkennen,  d&ss  eine  Mannigfaltig- 
keit der  Lehrmittel  bestehe,  deren  Einsehrlnknngr  crwBnscht  sei  nnd  wol  aneh 
ohne  Sdiidigung  des  Schalwesens  geschehen  könne.  Eine  zwangsweise  Ein- 
führung: einheitlicher  Srliulbücher  halte  er  für  praktisch  unmöglich, 
weil  die  verschiedenen  Schulen  sich  ganz  verschieden  entwickelt  liiUten;  mau 
könne  dies  höchstens  für  die  einfache  evangelisch-latherische  Volksschule  deutscher 
Sprache  ins  Auge  fasten.  Er  mflsse  deh  aber  aneh  gegen  eine  Uniformi- 
rnng  in  diesem  beschränkten  Umfange  erklären,  denn  es  würde  dadurch  der 
ciiifarhen  Volksfchule  ein  großer  Theil  der  freiheitlichen  Entwicklungsmöglich- 
keit  genommen  werden,  dem  die  Scliule  ihren  Aufschwung  wesentlich  mit  ver- 
danke. Für  die  Einheitlichkeit  komme  im  wesentlichen  nur  in  Betracht  der 
finansleile  Gesichtspunkt,  nnd  dieser  besitne  nieht  die  Wichtigkeit,  die 
ihm  TOD  den  PstNiten  beigemessNi  werde.  Wenn  jetst  einheitlidie  Schnlbflcher 
festgesetzt  wärden,  so  würde  mit  einem  Schlage  den  Erziehnngspflichtigen  eiff 
großer  Aufwand  erwachsen.  Es  wüide  aber  das  Verzeichnis  der  Lehrmittel 
auch  von  Zeit  zu  Zeit  revidirt  werden  müssen,  wodurch  den  Erziehnngs- 
pflichtigen Bene  Ausgaben  aufgelegt  werden.  Dodi  ilnme  er  ein,  dass  Hlss- 
stlnde  Torhaaden  seten,  nnd  er  sei  gern  bereit,  sa  deren  Beoeitlgiag  die  Hand 
zn  bieten.  Freilich  werde  er  damit  nicht  den  Beifall  aUer  Schulvorstände 
finden.  —  Zur  Frage  des  Schulgeldes  sei  die  Stellung  der  Regierung  die- 
selbe wie  früher.  Die  Ausführung  des  Antrages  auf  Aufhebung  desselben 
würde  einen  Anftraad  von  etwa  22  IQlIianen  jährlich  TemrsaoheD,  und  die 
Finandage  sei  nicht  derart,  eine  solche  nene  Last  ta  flbemehmen.  Dies  wflrde 
sich  nur  dann  rechtfertigen  lassen,  wenn  es  sich  um  die  BeseiUgang  wirklich 
schreiender  NothstUnde  handelte,  und  deren  Vorhandensein  könne  er  nicht  an- 
erkennen. Durch  die  Ausführungsbestimmungen  zu  der  Schuldotation  sei  jeden- 
fUls  fttr  Sachsen  dem  Schulgelde  der  Charakter  einer  drückenden  Last  ge- 
nommen worden.  (VergL  Paedag.  Xn,  8.  601.) 

B.  Vom  deutschen  Ostseestrand,  Gegen  den  Strom  ist  schwer 
schwimmen,  und  doch  sollen  in  nachfolgenden  Zeilen  unsem  Lesern  einige 
Oedanken  gegen  eine  Zeitströmung  in  der  deutschen  Nation  vor  die  Seele 
geführt  werden.  Schon  tansendlhch  sind  in  der  politischen  Preise,  in  Sehnten 
und  Vereinen  die  glonreichen  Srmngenschaftöi  der  Jahre  1861,  1866,  1870 
und  1871  besungen  worden;  sie  gipfeln  in  dem  weithin  über  die  Meere  strahlen- 
den deutschen  Kaiserthrone.  Aber  nicht  Uberall  ist  auf  die  Schattenfolge  jener 


Digitized  by  Gopgle 


—   584  — 


glänzenden  Zeitepoche  liin{>-ewiesen  worden.  Als  Rolche  sei  zunächst  in  materieller 
Beziehung  das  bis  auf  200ÜOÜ  Mano  \'ergrößeruug  geschätzte  Vaganteuheer 
erwähnt.  Ferner  lind  tob  Jalir  ra  Jahr  g«tteig<ert6  Kriegirtstnngen, 
Ton  denen  Feldnavedudl  fön  Moltke  sagt«,  daie  ale  für  die  Daoer  mit  gegea- 
Vtrtlgen  Geldopfem  kein  Land  ertragen  könne,  den  europäischen  Völkern 
anferleg:t  worden.  Drittens  schließt  eine  mittelalterliche  Zollgrenze  All- 
dentschlaud  wie  eine  chinesische  Mauer  gegen  den  freien  Weltverkehr  in  der 
Zeit  des  Dampfes  und  der  Elektricität  ein.  In  geistiger  Bextehong  brachte  nos 
jene  denkwUHIge  Z«lt  den  Cnltnrkampf  vnd  mit  ihm  ein  Ganosia.  Das 
war  eine  Kraftprobe  nnd  siehe,  die  schwersten  Kanzlergeschosse  erstickten 
in  den  schwarzen  Kutten  römiRcher  Mönche.  Statt  einer  fortsclireitend-'U 
Aufklärung  erlebten  wir  einen  Kückscliiag,  und  tausendjährige  Heilige  erschienen 
anf  Ahorn-  und  Bimbänmen,  das  Wasser  gewisser  Dorfteiche  Terrichtete  Wunder- 
4siiren,  blntendeHidehen  sogen  viele  tausend  Wallfkhrer  an,  nnd  die  Weit  worde 
mit  neuen  Dogmen  begläckt.  Als  die  Marodeure  der  Gidtorlclaipfbr  sind  die 
Antisemiten  oder  die  Feinde  der  schwarzen  Haare  anzusehen.  Von  der 
Reliierion  sind  wir  auf  die  Sprache  gekommen,  und  so  ist  eine  der  neuesten 
Strömungen,  und  zwar  die,  welche  hier  besonders  ins  Auge  gefasst  werden 
soll,  die  Bildung  tob  „Allgemeinen  deutsehen  Sprachvereinen.'' 

So  weit  die  deutsche  Zunge  kliugt, 
Und  Gott  im  Himnicl  Lieder  singt, 
Das  soU  es  sein! 

Gewiss!  Das  soll  des  Deutschen  Vaterland  sein  und  ttberall,  wo  sieh 

sonst  auf  der  weiten  Gotteserde  noch  Deutsche  finden,  mögen  sie  zusammen- 
treten und  sich  erfreuen  an  den  lieblichen  Tönen  der  Mutter8i)raclie.  Wie 
mancher  Landsmann  in  der  Fremde  jubelte  laut  auf,  wenn  diese  Heimat- 
hUnge  an  eein  Ohr  sehlugeu.  Die  Pflege  der  Muttersprache  ist  Pflicht  jedes 
Deutschen,  ihre  Ausbreitung  ein  frommer  Wunsch  desselboL 

Mit  den  Besti-ebungen  des  „Allgemeinen  deutschen  Sprachvereins"  kann 
sich  der  Verfasser  jedoch  insnfera  nicht  ein vei  . -standen  erklären,  als  der  Verein 
etwas  anstrebt,  was  unzeitgemäß  und  zwecklos  ist. 

.  Der  „Allgemeine  d«BlMfae  Spraehverefn^  wül  die  dentaohe  Spnushe 
von  allen  Fremdwörtern  leiaigen.  Anerkannt  ist  jedoch  von  vfsleB  Selten, 
dass  die  benutzten  Fremdwörter  die  Sache  oft  am  kürzesten  und  treffendsten 
bezeiehnen.  Also,  warum  nicht  alle  Vortheile  gelten  lassen?  —  Die  Fi-emd- 
Wörter  sind  auch  keineswegs  durch  einen  großen  Sünder  und  Deutächl'eind 
in  der  Pelzmfitee  in  unsere  Sprache  getragen  woi-den.  Sie  sind  durch  den 
Studenten,  durch  den  Krieger,  durch  den  Wandrer  schon  seit  Jahrhunderten, 
iMSonders  reiclilich  jedoch  durch  den  enormen  Aufschwung  des  Verkehrs  der 
Völker  ans  den  verschiedensten  fremden  Spraolien  in  die  deutsche  Sprache 
übergegangen.  Wer  darin  eine  bedenkliche  Schädigung,  wol  gar  ein  Attentat 
anf  seine  angestammte  Nationalität  erblickt,  muss  sich  auch  gegen  die  Über- 
oaiime  fkemdlindiseher  Sitten,  Gebriluehe,  Erflndnngen,  KOnste  eto.  energiseh 
verwahren.  Ob  dieses  v^Saftig  wäre,  wollen  wir  den  Lesern  zu  beurtheilen 
überlassen.  Wir  halten  ein  solches  Beginnen  nicht  blos  fiir  unzeitgemäß, 
sondern  für  ebensi^  uninöfjlich,  als  wenn  jemand  einen  mit  zwei  Looomo- 
tlven   bespannten  Eisenbalmzug  in  t>eiuem  Laute  mit  einem  Spazierstocke 


Digitized  by  Google 


Ö85  — 


aufhalten  wollte.  Kecht  viele  Freiudwöi-tev  sind  so  tief  in  die  Volkssprache  ein- 
gebiirfreiT.  das«;  der  T.aie  sc  hon  lange  nicht  mehr  die  ausländische  Abstamninng' 
erkennt.  O&n/.  bPHniiieis  thöricht  ist  es,  sich  über  die  französischen  Ein- 
dringlinge aufzuregen  und  gegen  dieselben  wüthende  Reden  zu  halten  und 
Beiteapoetel  in  die  Welt  zn  sehieken;  denn  eie  haben  vir  doch  nicht  etwa  dee- 
halb,  weil  sie  von  den  Franzosen  kommen,  Mndetn  nnr  deshalb,  weil  sie 
dnreh  die  physische  Lage  des  Frankenreiches  zu  Alldentschland,  durch  eine 
frtihzeitiiar  dort  blühende  Literatur,  duich  den  Handel  mit  Wein  und  Seide  mehr 
als  andere  Gäste  freundliche  Aufnahme  fanden.  Würde  Gallien  durch  Italiener 
bewohnt,  so  hlltten  wir  vielleicht  noch  mehr  italienisehe  Fremdwörter  in 
unserer  Sprache,  als  wir  heute  französische  haben.  So  wenig  sieh  die  denteche 
Spraclie  gegen  fremde  Elemente  hat  schützen  können,  so  wenig  werden  es  auch 
andere  Sprachen  haben  thnn  können,  und  nirgends  ist  bei  den  betrett'enden 
Völkern  eine  allgemeine  Mobilmachung  gegen  Fremdwörter  —  als  zu  fürch- 
tende Keicht-  nnd  Nationalittttafeinde  —  in  Scene  geeetit  worden. 

Wenn  unsere  geredite  Sache  nadi  drei  blntigen  Kriegen  mit  Hilfe  unserer 
vorzüglichen  Feldherren  und  eines  ausgezeichneten  Heeres  siegte,  sind  wir 
noch  nicht  berechtigt,  allen  nnsern  sonstigen  Besitz  der  Mitwelt  als  allein  selig- 
machende Ueiligthümer  aufzudrängen  oder  darzustellen.  Nicht  die  todtgeborne, 
künatUche  VolapOk  wird  Weltsprache  werden,  sondern  eine  natürliche, 
lebende  Völkersprache;  nnsere  traute,  deutsche  Sprache  nur  dann,  wenn  de 
Eigenschaften  besitzt,  welche  sie  den  chaotisch  durcheinander  strömenden 
Völkern  annehmbar  machen.  Wenn  nicht  alle  Zeichen  trügen,  wird  keine 
der  herrschenden  Sprachen  zur  Universalsp räche  erkoren  werden,  sondern 
ans  diesen  wird  letztere  hervorg eben.  Alle  Untwnehmnngen  gegen  die 
nnanfbaltsamen  sprachlichen  Entwickelnngen  im  groBen  Völkertoben  er6cheine& 
als  ohnmftchtige  Bndertchllge  gegen  den  „gewaltigen  Strom  der  Zeit**. 


Aoa  Prenlien.  Wann  «rilte  Itih  wcÜ  mdir  Gnmd  daan  haben,  Ihnen 
mein  Hers  anmacthtttten,  als  jetst,  in  dieier  trttben  Z^!  Daa  neue  Schul- 
gesetz!*) Ich  bin  nicht  im  Zweifel,  wie  Sie  sich  hierzu  im  allgemeinen 
stellen.  Preußen,  das  Land  der  Schulen  und  Casernen,  hat  doch  schon  manche 
Blüten  der  verschiedenartigsten  Blumen  gezeitigt,  so  da&s  wii'  über  den  Gesetz- 
entwurf  uns  nicht  zu  wundem  brauchen.  Aber  erwartet  haben  wir  ihn  nicht. 
Kommt  ea  nna  nicht  tot,  ala  halte  man  sich  die  Augen  au,  um  den  Abgrund 
nicht  zu  sehen,  dem  man  zusteuert?  Rom  ist  es  gelungen,  eitn  n  Keil  in  unser 
Vaterland  zn  schieben,  der  nach  der  Haltung  der  hohen  und  höchsten  maß- 
gebenden Kreise  bei  uns  wol  so  bald  nicht  herausgetrieben  werden  kann.  Der 
deutsche  Einheitsgedanke  ist  durchbrochen.  Hie  Luther!  Hie  Rom!  Die  geringe 
Innigkeit  dea  Verkehrs  swisehen  bdden  Conlbssionen  unseres  Vaterlandes  wird 
noch  geringer  werden.  Hören  wir  nicht  schon  klingen:  „Luther  war  ein  Schuft, 
Selbstmörder,  Eidbrüchiger!"  nnd:  Die  Katholiken  sind  Narren,  und  der  I'apst 
ist  ihr  Gott  aul'  Erden Der  Staat  wird  auf  zwei  Grundlagen  gestellt; 
jedenfalls  bat  der  Gesetzgeber  die  Nothwendigkeit  dazu  aus  gewissenhafter 


*)  ftbwol  inzwischen  die  SacUagc  dac  indenng  eifidnen  hat«,  ist  dieser  Brief 
noch  iouner  lesenswert.  D.  R. 


Digitized  by  Google 


—   686  — 


Beobachtung  der  Natur  g^elernt.  Wie  der  Mensch  ein  reclites  und  ein  linkes 
Bein  hat.  so  mass  der  Staat,  der  doch  eine  Summe  von  Menschen  darstellt, 
auch  auf  zwei  Beine  gesteilt  werden.  Der  ganze  daraas  vielleicht  entstehende 
Streit  ItSmM  ileh  hSehstant  darom  haadebk,  wM»  Bdn  das  nehte  and  welches 
dae  Unke  witre.  Doch  dieae  Frage  wäre  ja  fOr  die  Entwickelong  dw  Staates 
unwesentlich.  Was  wird  nun  die  Schule?  Vermuthlich  ein  Saninielbocken  für 
zweibeinigen  Unralh.  (Entschuldigen  Sie  die  Härte!)  An  Stelle  der  Freiheit 
des  Lehrers  tritt  der  Befehl  des  Geistlichen,  an  Stelle  der  nach  Wahrheit  ringen- 
d«!  Pldagogik  die  sovveiiiw  BessorwlaseDheit  (nicht  Unwiüeidieit)  jedes  Pftpst- 
leins.  Für  letitere  Art  weht  sdion  das  FrilhUiigBlttftleia.  Sein  UebUdiea 
Wehen  hat  aach  unsere  Vericttndiger  des  Evangeliums  aas  dem  Schlafe 
«rweckt.  —  Erziehung  der  Kinder  zu  selbstständigen  Menschen  soll  nicht  be- 
zweckt werden,  es  genügt  ja,  wenn  sie  voll  christlichen  Geistes  (d.  b.  „Wissens**^ 
sind,  die  10  Gebote  auswendig  wissen,  das  Gesangbach  nud  das  ErdAlatt 
lesen  können. 

Unser  Vaterland  ist  wol  noch  nicht  oft  genug  nngliicklich  gewesen?! 
Welches  Volk  kann  auf  einen  30jährigen  Krieg,  auf  eine  Erniedrigung  wie 
1806  a.  7  zarückblickenV  Starres  Festhalten  an  Dogmen  und  Menschensatzungen, 
veraltete  Einrichtungen;  Glaubensliochmuth  und  Glaubenshass,  Edelmanns-  und 
Heeresdllnkel  nnd  Frelheftshaas!  Was  war  die  Folge  des  SQfilirigen  Krieges? 
Man  mnaste  sich  gegenseitig  dulden  —  aus  Sehwiehe.  Dazu  kam,  dass  man 
zulassen  rausste,  dass  die  Nachbarn  in  unsere  Töpfe  guckten,  uns  die  Kost 
vorschrieben,  wenn  sie  es  nicht  gar  vorzogen,  die  schmackhaften  Gerichte  selber 
zu  schlucken.  Als  1807  letzterer  Fall  wieder  eintrat,  da  war  der  Demokrat 
nnd  Athdst  gat  genvg,  den  yerrannten  Staatskarren  aus  dem  Snmpf  an  holen. 

Glauben  Sie  nicht,  verehrter  Herr,  dass  ich  von  Erbitterung  vollgesogen 
*;ei,  ich  bin  meist  Optimist.  Das  bisschen,  das  ich  dazu  beitragen  kann, 
trübe  Zeiten  von  uns  abzuwenden,  werde  ich  redlich  thun,  sonst  käme  ich  mir 
Vor,  wie  einer,  der  zu  seiner  unverbesserlichen  Umgebung  sagt:  „Macht,  was 
ihr  wollt!  Ich  helfe,  dass  ihr  nileh  noch  lehen  lawt" 

Ans  Westfalen.  Hie  frei  —  hie  römisch;  hie  deutscher  Lehrerverein  — 
hie  katholischer  Lehrerverband!  Das  war  das  Felde:eschrei,  die  Signatur  »ler 
verflossenen  Ustertage  für  die  westfälische  Lehrerschaft.  Wie  bedauerlich 
auch  die  durch  hlerarehlseh-poUtlsche  Rinke  herheigeflihrte  Trennnng  der 
westfälischen  Lehrer  in  zwei  feindliche  Heerlager  sein  mag,  so  ist  eine 
,,reinliche  Scheidung"*  immerhin  für  alle  Theile  besser,  als  wenn  sich  so  wider- 
strebende Kräfte  in  einem  Vereine  bekämpfen,  wenn  die  einen  die  l'ferde  hiiitei- 
den  Vereinswagen  spannen,  während  die  anderen  ihm  die  fortschreitende  Bewe- 
gung geben  mSehten.  Wer  sich  nidit'mehr  mit  ans  eins  fühlt  in  dem  großen 
und  heiligen  Werke  der  Jngenderziehnng  nach  den  hohen  Idealen  dnes 
<'nmenius  und  Pestalozzi,  wer  sich  in  trauriger  Verblendung  abwendet  von 
den  auf  die  Hebung  des  Lehrerstandes  gerichteten  Bestrebungen,  wer  sich  zum 
willenlosen  Knechte  jener  macht,  die  den  frei  aufstrebeoden  Menschengeist 
in  die  Fesseln  des  Unstern  Mittelalters  schlagen  mSchten,  der  sdieide  sich 
getrost  von  uns;  fOr  uns  und  unsere  Verdnignng  kann  das  nur  ein  Gewinn  sein. 

Während  dei-  katholische  Lehrerverband  in  Neheim  tagte,  war 
der  westfälische  Provinziallehrerverein  in  der  alten  Metropole  West- 


Digitized  by  Google 


—   587  — 


faleot,  der  bertthmten  ündnstrie-  und  Bierstadt  Dortmund,  der  ehrwordigen 

Tremonia,  festlich  versammelt.  Als  liöfliclie  Leute  berichten  wir  zuerst  überdOB 
katholischen  Lehrerverband;  die  Fremden  haben  ja  stets  den  Vortritt. 

Über  die  \'eräammlaD^  in  Neheim  berichten  oltramontane  Zeitungen,  daas. 
die  DeleglrteiiTemmnliiiig  am  ■  swdteD  Ottertage  dnreh  Vertreter  am  80 
Einzelverdnen  mit  etwa  700  Mltfl^ledem  besacht  gewesen  sei.  Wieviel  von 
diesen  700  indes  Lehrer  sind,  iJtsst  sich  nicht  feststellen,  vielleicht  die  Hälfte? 
An  diesem  Tage  zog  auch  der  Hiscliof  Siniar  in  Neheim  ein,  begrüßt  von  einer 
großen  Volksmenge.  In  der  Delegirteuvei'samnilttng  gelangte  n.  a.  eine  Resolution 
sor  Annalune,  deren  2.  Tbeil  fblgenden  Wortlaut  hat:  ,,In  Erwägung,  dass 
der  k^licdisehe  Lehrerrerband  schon  in  sefner  enten  OMMralTersammlang 
eine  Regelung  der  LehrergehRlter  fdr  dringend  nothwendig  erklärt  hat, 
spriolit  der  westfälische  Provinzialverein  des  katholischen  Lehrerverbandes 
sein  Bedauern  darüber  aus,  dass  auch  die  die^äUrige  Tagung  des  Landtages 
kein  seinen  Bestrebungen  entsj^wchendes  Scbnlgeaets  gebracht  hat  nnd  «faneht 
den  Vorstand  des  ProTinslalvereittB,  nnnmehr  Ar  mOglicfatt  balfUge  geietaUche 
Regelung  der  Lehrergehälter  einzutreten."  Wie  wird  sieh  die  eigene  Partei 
der  Herren  zn  dieser  Forderung  stellen':'  Das  ist  jedenfalls  die  Hauptfrage. 
Wissen  die  Delegirteu  nichts  über  die  Stellung  der  maßgebenden  Organe  der 
Centmmspartei  gegenttber  dem  dentaeli4feisinnigen  Antrage  anf  Eriaas  eines 
Dotationagesetses?  Hakan  aie  denn  nicht  gelesen,  wie  „Oermaaia'',  „EOlnieche 
Volkszeitnng'*  n.  a.  höhnend  erklären:  ,.Entweder  das  Oanse,  oder  nichts!'* 
und  dass  das  Centrura  niemals  die  Hand  dazu  bieten  werde,  einzelne  Sonder- 
fragen ans  dem  Gesetzentwürfe,  auf  deren  schnelle  Lösung  die  Liberak-u  dringen, 
wie  beispielsweise  die  Oehaltsfrage,  herauszuheben  and  gesetzlich  zu  regeln? 
ES,  freiUdi  wissen  de  es  ganz  genan .  aber  die  große  Masse  krandit  es  doch 
nicht  zn  erfUiren.  Man  sieht,  was  die  II  rren  den  von  ihnen  Irregellthrten 
Jeu  bieten  wagen.  Hätte  nicht  die  katholische  I'riesterschaft  einen  nngemessenen 
Einfluss  auf  die  Gemüther  der  einzelnen,  so  könnte  das  Spiel  nicht  lange  dauern, 
es  müsste  an  seiner  eigenen  Unwahrhaftigkeit  zu  Grande  gehen.  In  der 
Hanptyersammlnng  am  Dienstag  war  der  Bischof  aogegen.  Bei  dem  vorher* 
gehenden  Hochamte  hatte  er  mit  Stab  nnd  Mitra  assistirt.  In  der  Er- 
öflfnungsrede  bat  ihn  der  Vorsitzende  um  seinen  obprliirtHclieii  Segen.  Der 
Bischof  entsi>rach  diesem  Wunsche.  In  seiner  Ansprache  redete  er  von  der  hohen 
Bedeutung  des  Lehrerberofs,  die  von  niemand  bestritten  werde.  „Am  wenigsten 
geschehe  das  honte,  wo  eine  so  tieljpreiftnde  Seheidong  der  Oelster  doreh  die 
Frage  nach  den  höchsten  Zwecken  und  Aufgaben  der  Schule  eingeleitet  ist  nnd 
demgemäß  eine  klare  nnd  entschiedene  Lösung  jener  Frage  nicht  mehr  um- 
gangen werden  k;iiiii.  Für  Sie.  meine  Herren,  ist  diese  Frage  endgültig 
gdOst.  Sie  betrachten  es  als  Ihre  von  Gott  gesetzte  Aufgabe,  die  Ihnen  au- 
vertrante  Jugend  fttr  Christus  an  eraiehen.  Daas  aie  ehristliebe  Lehrer  nnd 
Erzieher  der  Jugend  sein  wollen,  das  und  nichts  anders  ist  der  Grundgedanke, 
welcher  in  dem  katholischen  Lehrerverbande  seinen  Ausdruck  gefunden  hat. 
Piese  Veifamniluiii;:  ist  ein  offenes  nnd  entscliiedenes  Zengnis  dafür,  dass 
Sie  die  christliche  Weltanschauung  in  Ilirem  Berufe  muthig  und  kraftvoll 
▼ertreten  wdlen,  Im  Oegensatae  an  dem  vidgestaltigen  modernen  Vn- 
glauben  nnd  Atheismus."  —  Die  Verdächtigung  dernicht  zum  kattioliaehai 
Lehrerverbande  gehörenden  Lehrer,  die  der  Bischof  dorch  die  Betmmng  der 


Digitized  by  Google 


—  688  — 


Gegensätze,  unter  der  abgeschmackten  AatVHnnaQg  des  alten  Kohls  l&ngst 
abgegriffener  Schlagwörter  offenbar  beabsichtigt,  richtet  sich  selbst:  sie  mag 
alles  sein,  eins,  dem  Gebote  des  Herrn  entsprechend,  christlich,  ist  sie  nicht. 
.,,Dara«f*,  w  beriditet  die  ESlidsdie  Viriktnitimg,  „empfing  die  Ver- 
sftmmliiBg,  wftlelie  den  herrlielieii  Worten  ihres  thenreii  Oberhirten 
stehend  sngehört  hatte,  knieend  den  bischoflichen  Segen."  Zwei 
Vorträge  bepchaftigten  sodann  noch  die  Verpammlnng:  1)  Die  Sittenlosigkeit 
eines  Theiles  unserer  Jagend  und  ihre  Gründe,  and  2)  Die  Verbindung  der 
yaterlftndischen  Geschichte  mit  der  Geographie. 

In  Dortmimd,  aaf  d«r  DelegirtenTeffsuBmlnng  des  westfilisclien  Pro- 
vinsiallehrervereins,  gab  der  Vorsitzende  Rector  Knhlo-Bielefeld  in  seinem 
.Tahreeberichte  der  Genngthnung  über  das  Scheitern  des  Zedlitz'schen  Schnlgesetz» 
entwurfs  Ausdruck,  stellte  ein  Vorgehen  des  Landesvereins  der  preuBisdien  Volks- 
sehnllebrer  behnfs  gesetzlicher  Regelang  der  Lehrerdotetion  in  Aussicht  and 
coDStatirte  mit  BeMedignag,  dass  der  Verein,  trote  der  Feinde  ringranif  in 
erfrenliehem  Waclisthume  begriffen  sei,  seine  Mitgliederzahl  sei  im  verflossenen 
Jahre  von  13i)9  auf  1592,  und  die  Zahl  der  Einzelverbäude  von  45  auf  50 
gestiegen.  Aus  dem  Vorstande  ist  einer  der  beiden  katholischen  Collegen  — 
man  sagt,  infolge  eines  Gelübdes  —  ausgeschieden.  Da  die  Ikrathungen  der 
Vereinsangelegenheiten  hier  nieht  weiter  interesiiren,  so  sei  danras  nar  mit* 
getlieOt,  dass  der  nächs^llhrige  westfälische  Lehrortsg  in  dem  im  äußersten 
Osten  der  Provinz  gelegenen  blinden  abgehalten  werden  soll.  Dir  Antrag-, 
den  17.  Lehrertag  nach  Hagen  zu  bemfen  und  ihm  den  Charakter  eicer 
Harkortfeier  zn  verleihen,  da  Friedrich  Harkort,  „Westfalens  Fritz", 
der  „Tribnn  der  preaMsehen  Volkssehale'*,  geb.  im  Febrnar  1793,  in  der 
Mark,  in  Hagen,  Her<lecke  etc.  gdebt  nnd  gewirkt  habe,  fand  leider  nicht 
die  Mehrheit.  Der  Einwand,  dass  man  dsn  großen  Todten  auch  in  Minden 
feiern  könne,  würe  wnl  besser  nieht  erhoben  wttrden.  Man  konnte  ja  den  IS. 
westtiUibcheu  Lehrertag  iu  Minden  abhalten.  Hoffentlich  ist  das  letzte  Wort 
in  dieser  Saehe  noch  nieht  gesprochen;  wenn  aber  —  so  wird  der  mSildsche 
Ganverband  wisien,  was  ihm  Ehre  nnd  Pflicht  gebieten. 

Die  Hauptversammlung  am  Dienstag:  fand  in  dem  großen  Saale  des 
„Fredenbanms"  bei  Dortmund  statt  und  war  von  ungefähr  2000  Lehrern  und 
Lehrerinneu  besucht.  Oherbürgermeibter  Schmieding  wies  in  seiner  Ht^rüßungs- 
rsde  anf  die  Bedentong  der  SeIhstTerwaltnng  flir  die  gedeiUidie  Entwiiddnng 
des  Schalwesens  hin  nnd  hob  hervor,  wie  unser  Volksleben  seit  Einffihrnng  der 
Verfassung  auf  viel  breiterer  Grundlage  in  allen  öffentlichen  Angelegenheiten 
ein  intensiveres  geworden  sei.  Indem  er  so.  wenn  auch  unausgesprochen,  der 
Tendenz  der  letzten  Schulgeset^voriage  entgegentrat,  wandte  er  sich  anderseits 
gegen  die  Feinde  der  Lehrer  and  die  Verlditer  ihrer  Yenammlnngeu,  insoümi 
als  er  die  hriftige  Mitarbeit  der  Lehrer  an  dar  FBrdening  des  Schulwesens 
rtthmte  und  insbesondere  den  Segen  nnd  die  Bedeutung  der  Lehrertage  betonte. 

Rector  van  Ekeris,  der  Vorsitzende  des  Dortmunder  Lehrorvereins,  flocht 
in  seine  Begrüßung  die  Gedächtnisrede  auf  Arnos  Comenius  ein,  und  verstand 
es,  die  grofle  Versaaualang  in  eine  weihevolle  Stimmung  zn  versetien. 

Den  ersten  Vortrag  Uber  ,Die  Jngend-  and  VcUmUtsratar"  hielt 
Linneweber-Hagen.  College  Schepp-Berlin  sprach  in  anregender  Weiss 
über  „Die  Orthographiereform'*.  £r  trat  Ar  die  Dnrchfabrong  des  phone- 


Digitized  by  Google 


—  689  — 


tischen  Princips  in  der  Rechtachreibniie:  ein  und  empfahl  den  Anschlass  all 
den  von  Dr.  Wilh.  Fricke  bpgrriuidetcn  \  erein  für  vereinfachte  Orthographie. 
Bector  Stückmunn-Dortmaud  hielt  einen  Vortrag  über  „Die  Fürsorge  für 
dto  vwwalirlMto  Jugend". 

Mit  ebem  dnrch  fröhliche  aemUtUiidikflit  g«wtiiilMi  FeBtotMn  Huden  die 
arbeitreichen  Tage  ihren  AbBchloas. 


Aas  Hamborg.  Seit  dem  Jahre  1887  Ist  in  Hamborg  ein  merklicher 

B&<^cgang  der  VoIkaachnUebrergehlUter  sa  verzeichaeD,  da  das  Anfrficken  in 
die  feste  Anstellung  und  in  die  erste  Gehaltsciasse  später  als  früher  erfolgt. 
Dies  wird  um  so  schmerzlicher  empfunden,  als  seit  1888  durch  den  Zoll- 
anschluss Hamborgs  eine  bedeutende  Vertheuerung  fast  aller  Lebensbedürfnisse 
eingetreten  iat.  Bis  1887  wurden  die  im  Hamburger  Seminar  anagebfldetMi 
Lehrer  nach  5  Dienstjahren  feet  angeatellt;  1887  stellte  man  zun  ersten  Mal 
nur  die  Hälfte  der  FünfjUhrigen  an  und  ließ  die  andere  Hillfte  noch  ein  Jahr 
warten;  jetzt  sind  6  Dienstjahre  bis  zur  festen  Anstellung  bereits  die  Regel 
geworden.  Bis  1887  erfolgte  die  Beförderung  in  die  erste  Altersdasse  in 
der  Regel  4  Jahre  nadi  der  Ibeten  Anetellang,  nnamehr  aber  ent  6  odmr  6 
Jahre  nach  derselben.  Für  Lehrer  dagegen,  die  von  answirta  eintreten,  haben 
sich  die  AnstellnngsverhJlItnisse  in  den  letzten  Jahren  frf'bessert;  in  den 
Jahren  1887  und  88  wurden  sie  erst  nach  7 — 8  Dienstjahren  (seit  dem  Seminar- 
abgang) fest  angestellt,  gegenwärtig  schon  nach  6  Dienstjahreu.  —  Seit  dem 
ZoHaaeehlnss  Hambnigs  avlieitet  eine  Commiision,  beaCebend  ans  Mitgliedern  des 
Senats  und  der  Bfirgerschaft,  an  einem  aeven  Gehaitsgeseta  für  die  Beamten. 
Bei  dieser  Gehaltsregelung  sind  indes  die  Lehrer  noch  immer  nicht  an  die 
Reihe  gekommen;  zwar  gewährt  man  den  Beamten,  deren  Gehalt  noch  nicht 
geregelt  ist,  inzwischen  eine  Theaerongszolage,  beispielsweise  den  festange- 
steUten  Lsfarem  160  H»  den  iddit  ftstangesteUtsB,  soAni  dieselbeB  das  aweite 
lEiamen  bestanden  haben,  100  M.  jlhrUeh.  Da  aber  der  Hsnshalt  einer 
Lehrerfamilie  mit  2  oder  3  Kindern  jetzt  etwa  400 — 500  M.  theurer  zu 
stehen  kommt  als  vor  dem  Zollanscliluss,  so  ist  jene  Zulage  nur  sehr  dürftig. 
Dazu  kommt  noch,  dass  di^  Theuemngszolage  nicht  erhält:  1)  wer  ein 
Gehalt  von  3000  M.  oder  mehr  besieht,  2)  wer  in  eine  andere  BeemtensfeBUnng 
gelsagt^  d.  h.  flr  insem  Fall;  mr  fbst  angestellt  oder  in  die  erste  Qehalts- 
dasse  beAidert  wird.  So  wird  die  Zahl  derer,  denen  die  Zulage  satheU 
wird,  von  Jahr  zu  Jahr  geringer. 

Ein  recht  merklicher  Unterschied  besteht  zwischen  dem  Gehalt  der  Lehrer 
and  dem  der  Hauptlehrer,  wie  folgende  Übersicht  zeigt: 

nioht  ftst  angesteOte  Lehrer:  1200^1800  H., 
Hast  angestellte  Lehrer: 

2.  Gehaltsdaise:  1750—2500  M., 
1.         „         2250—3500  M., 
(nach  je  3  Jahren  250  H  steigend). 

Haaptlebrer:  9000—4400  M. 
(nach  je  3  Jahren  350  M.  steifsnA). 

Die  Hauptlehrer  beziehen  ferner  750  M.  Wohnnngsgeld!  Das  Gehalt 
der  Hanptlehrer  ist  nun  für  hiesige  Verhältnisse  dorchaos  nicht  zn  hoch;  um 

Pedago^iiun.   lt.  Jahrg.  Heft  IX,  41 


Digitized  by  Google 


—  690  — 


80  weniger  genügt  das  Gehalt  der  Lehrer,  namentlich  der  jüngeren.  —  Dem 
neuen  (iehalta^^esetz  sehen  die  Lehrer  zum  Theil  mit  kühnen  Hofihongen  ent- 
gegen.   Wie  wird  et  «ufUlen? 

In  HanlMiif  bestehen  z.  Z.  3  groAe  Ldurerreniiie:  die  ^GeMllMdnft  der 
IVennde  des  vaterländischen  Schal-  und  Erziehongswesene"  («nd  der  reichste 
Lehrerverein  Deutschlands  mit  vorzüglichen  Casseneinrichtnngen:  Witwen-, 
Pensions-,  Kranken-,  Vorf^chuss-,  Unterstützongscasse  und  Diesterwegstiftnng ; 
rand  650  MÜTe  imd  «JilffiWie  uiterttfttseDde  Mitglieder),  der  „admlwiaaen- 
tchaftlicheBfldiiigtTeteiii*'  (behndelt  namentlich  edudwIaeemciiaftMche  Vngm't 
mnd  250  MitgL)  und  der  „Verein  Hamburger  Volksschnllehrer"  (behandelt 
vorzugsweise  schulpolitische  und  ähnliche  Fragen,  rund  7of)  Mitgl. ).  Im  vorigen 
Jahre  berieth  eine  Commission  ans  lütgliedem  dieser  drei  Vereine  über  eine 
Vereinigung,  bezw.  ein  Znsammengehen  der  Vereine  in  wichtigen  Angelegen- 
heiteo.  Die  Verhandlungen  dieeer  Gommiedon  schienen  einen  recht  erfiftnlichen 
Ausgang  nehmen  zu  wollen;  schließlich  aber  ging  die  Commission,  ebne  that- 
sächliche  Ergebnisse  erzielt  zu  haben,  auseinander,  da  die  allerdings  recht 
verschiedenartigen  Vereine  nicht  gewillt  waren,  ein  entsprechendes  Stück  ihrer 
Sondereinrichtnngen  und  Sonderinteressen  zu  opfern.  Es  ist  das  um  so  betrübender, 
als  schon  ohnedies  das  Ghewicfat  der  Lehrerschaft  in  unserm  doroli  und  durch 
aristokratisch  regierten  Staate  kein  allzu  großes  ist,  um  so  beMbender,  als 
man  seit  einigen  Jahren  damit  umgeht,  den  Lehrern  (genauer  der  Schul- 
synode, bestehend  aus  den  \orstehern  und  lestaiigestellten  Lehrern  der 
öffentlichen  —  höhereu  und  niederen  —  und  den  Vorstehern  der  nicht 
Sflnitliehen  Schulen)  das  Becht  cn  nehmen,  swei  Abgeordnete  in  die  ObenG]inl> 
behSrde  zu  wälilen.  Allerdings  steht  den  Lehrern  dieses  Recht  vorderhand 
noch  zn,  und  sie  haben  neuerdings  zwei  Vertreter  in  die  Obprschulbehörde  ge- 
sandt, die  oft  f?f'mig  ihr  warnies  Herz  für  di*^  Schule  bekundet  und  mit  ebenso 
viel  Mnth  wie  Geschick  die  Interessen  der  Schule  und  der  Lehrerschaft 
wahrgenonunen  haben:  Hai^tlehrer  Fridce  nnd  Sehuldireetor  Dr.  BeinmtUler. 
Solange  solche  Männer  nns  ▼ertreten  und  solange  die  Leitang  des  Hamburger 
Volksschulwesens  einem  Manne  anvertraut  ist,  der,  wie  unser  Schulrath  Mahrann, 
die  innigste  Hegeisternng  für  die  hohen  Ideale  wahrer  Menschenbildnng  mit 
einer  so  sicheren  Hand  für  die  Praxis  der  Schulverwaltung  verbindet,  so  lange 
branehen  wir  nidit  um  die  gesunde  Entwiekhmg  des  Hamburger  VollDnehn]- 
wesens  besorgt  zu  sein.  —  Gleichwol  ist  nnd  bleibt  es  sehr  bedauerlich,  dass 
ein  Znsammenschluss  der  großen  Lehrervereine,  der  über  das  bisherige  bloße 
Freundschaftsverhältnis  hinausgeht,  nicht  zustande  gebracht  ist.  Min  Bild 
des  leider  urdeutschen  Particularismus  im  kleinen! 

Zum  Entwurf  des  iirenlUschen  VdlkssehnlgesetBes  hat  die  Hamburger  VoHu- 
sdraUehrersehaft  entschieden  Stellung  genmomen  und  swar  Qffentlieh  in  einer 
von  mehreren  hundert  CoUegen  und  Colleginnen  besuchten  Versammlung  am 
20.  März,  in  welcher  Hauptlehrer  Fricke  (wie  oben  erwähnt  Mitglied  der  Ober- 
schulbehörde) einen  von  tiefer  Begeisterung  durchglühten  Vorti'ag  hielt. 
Dfo  Yemnmlung  nahm  fblgende  vom  Bedner  vorgeschlagene  BesolntioD  ein- 
stimmig  an: 

,Die  am  20.  März  1892  in  Hamburg  tagende  allgemeine  Versammlung 
hamburgischer  T^ehrer  und  Lehrerinnen  erblickt  in  der  Annahme  des  preu- 
ßischen Schulgesetzentwurfs  ein  Unglück  für  das  ganze  deutsche  Vaterland. 


Digitized  by  Google 


—    591  — 


Sie  missbilligt  die  räckschrittliche  Tendenz  dM  Batwui-fis,  welche  darch  die 
Hervorhebung  der  Confessionalität  im  Religionsnnterricht,  dnrch  den  Gewissens- 
zwang und  durch  die  Ansliefening  der  Staatshoheit  an  die  Kirche  bekannt  wird. 
Sie  luiBsbilligt  das  geplante  Scbolgesetz  femer,  weil  durch  dasselbe  die  Schule 
polittoehea  Ftofedsweeken  dieufbar  gemadit  w«rd«a  loll,  dagegen  bereehtigle 
ForderaDgen  oiiier  gMondeii  Ftdagogik  in  demMlbeii  vnlMrttekaiGhtigt  gdaMen 
werden.« 

Za  einem  besonders  großartigen  Feste  gestaltete  sich  die  Hamburger 
Comeniaafeier,  veranstaltet  von  den  3  obeugunaunten  Vereinen  und  dem  Verein 
Hambarfer  LaadachiiUehrer  (26.  lUn).  Die  Olenspiuikte  der  Ton  nmd 
3000  Personen  (Herren  und  Damen)  besachten  Festveraammlongr  bildeten, 
von  den  herrlichen  Chören  des  Hamburger  Lehrergesangvereins  abgesehen,  ein 
Prolog,  gedichtet  und  meisterhaft  vorj^etragen  von  unserem  in  dieser  Zeitschrift 
schon  mehrfach  genannten  Otto  Ernst,  und  namentlich  die  begeisterte  and 
begeisternde  Festrede  dee  Herrn  Schalrath  ICahrann.  Heryorgehobeii  an  werdna 
verdient,  dass  der  Herr  Schnhrath  sich  mit  dem  Altaeirter  Comüilna  anf  den 
Boden  der  allgemeinen  Volksschule  nnd  eines  Religionsnnterrichtes  stellte, 
der  in  erster  Linie  die  religiös-sittlichen  Ideale  pflegt,  nicht  aber  sich 
auf  die  confessionellen  Dogmen  steift. 

Wann  wird  man  liberall  in  dentsehen  Landen  wie  hier  aolelie  Worte 
von  oben  herab  liSren? 

Aus  Bayern.  Seit  Wochen  freue  ich  mich  auf  die  Stunde,  wo  ich  —  an 
der  Hand  des  Landtagsberichtes  —  dem  geneigten  Leser  etwas  Erfreuliches  mit- 
theilen  dai£  Und  nun  hat  wirkUdi  di«  beispieUoa  schwerfällig  arbeitende 
Landtagemasehine  am  Beginne  dea  WnuMmonaia  das  Ergebnis  der  Gehalta- 

aafbesserungsfrage  der  bayrischen  Volksschallehrer  (ich  bitte  wegen  der  Wort- 
schachtelei  um  Vei*zeihung)  ausgespien.  Diese  Gehaltsaufbesserung  mit  ins- 
gesammt  891 000  Mk.  hat  eine  lange  und  gar  seltsam  anzuhörende  Vorgeschichte. 
Als  rttsiBnli  dem  Landtag  die  Regiemngsvorlagen  zugingen,  war  trotz  eifrigen 
Sndiena  nichts  von  Gehattsanfbessemng  der  Beamten  und  Lehrer  an  finden; 
die  Presse  nnd  die  Linke  mnrrten,  und  da  ericUbTte  der  Finanzminister,  iUls 
die  Kammer  einen  Antrag  einbrachte,  wolle  er  nnd  die  Regierung  zusehen, 
was  sich  machen  ließe.  Der  Antrag  lief  ein  —  und  die  Regierung  verkündete 
Dinge,  mit  denen  die  Beamten  sich  nur  halb  und  die  Lehrer  gar  nicht  zu- 
frieden gaben.  Wieder  ein  llniren  in  der  Presse  —  bei  den  Lehrern  Protest- 
versammlungen und  scharfe  Worte,  die  dem  Cnltusminister  nicht  gefielen  

nnd  die  Regierung  bot  einen  fetteren  Bissen;  d.  h.  der  fette  Bissen  fiel  den 
Ministem  zu,  die  bis  dahin  keinen  Finger  geregt,  und  bei  deiu  n  sich  mit  dem 
besten  Willen  kein  Grund  für  die  Zehntausende  von  Mark  entdecken  lässt,  die 
man  ihneii  in  den  SchoB  gesehttttet  Danach  kamen  die  Beamtem  —  immer 
dem  physikalischen  Satze  getreu:  dass  ein  großer  Kßrper  wiederum  große 
Brocken  anzieht,  wilhrend  an  kleineren  nur  etzliche  Splitter  haften  bleiben. 

Zuletzt  kamen  die  Lehrer  und  dann  nichts  melir.    Allerdings  wartete 

hinter  den  Lehrern  noch  das  unabsehbare  Heer  der  nichtpragmatischen  Beamten 
*   mit  dem  Beamtbnelend  In  nnansgesproehenster  Form ;  —  allein  das  bekam  nichts^ 
Nidlt  einmal  schöne  Worte. 

Was  aber  die  Aufbesserung  der  Lehrer  anlangt,  so  kam  die  folgender- 

li* 

Digitized  by  Google 


~  692  — 


maßen  zustande.  Bisher  wnrde  die  erste  Altersznlage  10  Jahre  nach  dem 
Seminaranstritt  gegeben;  in  Znkunft  wird  sie  schon  nach  5  Jahren  gereicht 
und  zwar  mit  90  Mk.  für  Lehrer  and  72  Mk.  für  unständige  Lelirer  und 
Lehnrimen.  (Dfo  Begfenair  ^^tte  Je  45  Hk.  weniger  beuitngt.)  Dm  meht 
764  280  Mk.  -f  126  57f)  Mk.  =  890  856  Mk.  oder  abgerundet  mit  Rücksicht 
auf  die  HeimlUlle  865000  Mk.  Zum  andern  wnrde  ein  Antrag  des  liberalen 
Abgeordnett-n  Schnliert  (des  ernten  Vorstandos  vom  Bayr.  Lehrerverein)  an- 
genommen, die  künftige  4.  Aitei-szuiage  statt  nach  16  schon  uacli  15  Jahren 
m  gewähren,  macht  In  ¥ark  26000,  woniu  deh  ndetast  die  obeiuulgellihrle 
Geiammtsumme  von  891 000  Mk.  zusammenklaubt. 

Ein  Abgeordneter  der  Linken  meinte,  diese  Regelung  sei  keine  end^iltige, 
ein  streitbarer  Centrumsmann  behauptete:  ja,  —  der  CultUBniinister  versprach, 
die  einzelnen  Kreise  zu  Erhöhung  des  Kreiszuschusses  anzureizen  und  Uberall 
die  eUigatoritehe  Verpflegung  der  Schulgehilfen  durch  die  stlndigeB  Lehrer 
efaunllhreD,  der  CentrumsfUhrer  Daller  —  er  ist  Gymnasialrector  in  Freisiof 
—  meinte,  H50  Mk.  Barbesoldung  wäre  für  18 — ^ 22jährige  Schulgehilfen 
eigentlich  nicht  zu  wenig,  —  das  Haus  klatschte  zu  den  Abgangsworten  des 
Cultusministers:  „Ich  hoffe,  dass  mit  der  Aufbesserung  Freude  und  Zufrieden- 
heit in  die  Lehrerkrelee  einziehty  die  Beruftfrendigkelt  eriilHit  wird  somWole 

nnierer  Kinder,  unser»  Sehlde  nnd  des  Staates!"  —  Bei&Il  und  der 

Yerhaag  fiel  fiber  dieses  parlamenrarische  Spiel. 

Es  versteht  sich,  dass  die  Aufbesserung  nicht  ohne  einige  böse  Worte 
seitens  der  CleriJtalen  gereicht  wurde.  Während  der  lierathung  des  Capitels 
YollDMdiiile  fute  der  Miiwane  See,  ud  die  Opfer,  das  er  dienud  haben 
wollte,  war  die  ^B^.  Lehnneitoiig".  Die  Bayr.  Lehremttimg  wird 
nämlich  seit  Neujahr  jedem  Vereinsmitgliede  gegeben  und  entlädt  auf  diese 
Weise  ihren  gefährlichen  Inhalt  in  Schnlhäuser,  die  bislang  von  liberalen 
Ansichten  nichts  wnssten.  Unsere  Clericalen,  welche  die  Gefahr  erkannt, 
rttitetea  beizeiten  mm  Feldzag  nnd  begannen  die  Lehreneitnng  als  katho- 
likenftlndlich  aasosehwlnen.  Und  wahihaftigt  Manch  einer,  würden  drohende 
peeaniftre  Verluste  (an  den  Wolthaten  des  Lehrerwaisenstiftes)  ihn  nicht  dft> 
von  abgehalten  haben,  wäre  fahnenflüchtig  geworden.  Wir  haben  in  Bayern 
in  jenen  Wochen  ein  Satirspiel  erlebt  —  das  Spiel  ist  nicht  einmal  aus  nnd 
hat  sogar  innerhalb  der  protestantischen  Mauern  Nttmbergs  eine  lustige  Blase 
gewoiliBn  — ,  ein  8atirs|iiel,  das  einen  betrBbenden  Eünbliek  in  die  Maeht  dea 
Ultramontanismns  gewährte.  Für  die  Sache  der  IMchreitenden  Schule  in 
Bayern  aber  wäre  es  nicht  von  Schaden  gewesen,  wenn  jene  Vereinsmitglieder 
ausgetreten  wären;  denn  sie,  die  geistig  Armen,  sind  doch  nur  Hemmschuh 
gewesen  nnd  werden  es  noch  lange  bleiben.  Der  Abgeordnete  Schubert  aber 
hat  naeh  meinem  Olaoben  nieht  die  gliaiendste  BoUe  gespielt;  er  hielt  efai 
paar  schSnstilisirte  Reden,  und  befolgte  im  übrigen  die  Taktik  nnsercr  Kammer» 
liberalen:  das  Centrnm  durch  keine  Principienfrage  zu  reizen  —  so  trefflich, 
dass  er  schließlich  selbst  mit  in  die  Verurtheilung  der  Lehrerzeitung,  des 
Vereinsorgans  einstimmte,  indem  er  sich  so  oft  und  nicht  stets  erforderlicher- 
weise CBm  Wert  meldele.  EÜn  Abgeordneter  aber  sollte  am  wenigstSB  dasBe- 
ilürfnis  fühlen,  in  den  de-  und  wehmUthigen  Sats  auszubrechen:  einnins  indsr 
Frage  der  Aufbesserung  durch  die  Presse  veröffentlichte  Auslassungen  un- 
geeigneter Art  nicht  auf  Bechnung  der  ganzen  Lehrerschaft  zu  setzen  i  Wäh- 


Digitized  by  Google 


—    öü3  — 


raul      Clittuetel-Beimfkmigr  venoehten  die  CSariealM  wkdflr  eiMD  VonloS 

gegen  die  Sininltanschale,  jedoch  ohne  Erfolg.  Der  neue  Cnltasminister  führte 
sogar  den  verwegensten  Kämpen  —  es  ist  ein  Gymnasialrrofessor  ans  der 

Rheinpfalz  —  eigenhändig  und  sehr  elegant  ab  nnd  die  ätadt  Nürnberg 

bflseUoM,  gleichaftn  ab  Anlrnnt  anf  jenoi  Kriegsruf,  in  Zakmift  nur  noch 
SimiiltBiiMhideD  m  eniehUni.  BlMer  erftvoHclieii  Mittheilwig  kann  ich  iwei 
weitere  hlnznfQgren:  eine  Reihe  mittelfiHnkischer  Städte  richtete  an  die  Regie* 
mng  die  Bitte  um  Beschneidnng  des  üppig-  ins  Kraut  schießenden  rpli^ösen 
Gedächtnisstoffes,  —  nnd  eine  ziemliche  Anzahl  bayrischer  Städte  beschloss, 
dem  Lehrer  in  der  Schnloommission  nicht  allein  eine  berathende,  sondern  auch 
eine  beaeUieBoide  Sttamie  suagtatdiAiL  Ja,  die  rnttteUMakiBclie  Stadt  Sdiwa* 
bach  beabsichtigt,  an  die  Spitze  ihres  Schnlwesena  im  bestqualificirtea  ihrer 
yolksschiillelirer  .ca  atellen,  fidls  ea  t<hi  der  Begiemng  erlaabt  wird. 


Aus  Österreich.  Der  „Deutsch-österreichische  Mittelschul  tag",  welcher 
in  der  vergangeneu  Charwoche  zu  Wien  abgehalten  wurde,  beschäftigte  sich 
IL  a.  sehr  eingehend  mit  der  pädagogischen  Vorbildung  der  Uittel- 
schnllehrer,  d«  h.  der  Lelirer  an  Gymnasien  nnd  coordinirten  Anstalten.  Als 
Referenten  über  dieses  Thema  flmgirten  Professor  Dr.  Maiß  und  Prof.  Dr.  Höfler. 
An  der  sehr  lebhaften  Dehatte  betheiligten  sich  außerdem  namentlich  Dr.  von 
Math,  Dr.  Singer,  Prof.  Hoppe,  Prof.  Martinagg,  Prof.  Dr.  Smolle.  Zur  An- 
nahme gelangten  folgende  2  Thesen:  1)  gDie  weaentlldie  Vorbedingung  eines 
Fortaehrittea  In  dur  pftdagogischoi  Vorbfldnng  der  IfittelBdivIlehrar  ist  die 
Pflege  pliilosophischer,  speciell  psychologischer,  logischer  und  ethischer  Studien 
der  Lehramts-Canditaten"  (Hüfler).  2)  „Für  die  pädagogische  Ausbildung 
der  Lehramts-Candidaten  ist  neben  der  theoretisch -pädagogischen  Ausbildung 
an  der  Universitftt  das  Probejahr  der  Candidaten  nothwendig  nnd  hin- 
reichend;  die  Einffihmng  pidagogiadier  Seminare  nnd  Übnngaschnlen  Ist 
nicht  anzustreben*  (UaiB). 

Aus  der  Schweiz.  Am  .SO.  Januar  d.  J.  starb  zu  Baden  (Aargan) 
Franz  Dula,  ein  Schnlmann,  wie  er  eben  nur  in  der  Schweiz  möglich  ist.  Des- 
halb wellen  wir  hier  von  aeinem  Lebensgange  knrz  berichten.  —  Dala  wordeam 
10.  Wtn  1814  im  Ganton  Lnaem  geboren,  beaoehte  die  niederen  nnd  hSheren 
Sehttlen  der  heimatlichen  Hauptstadt  und  seliloss  seine  Studien  an  der  Uni- 
versitHt  Jena  ab  (die  ihn  später,  bei  der  Feier  ihres  "ÖOO jährigen  Bestandes, 
zum  Ehrendoctor  ernannte).  1836  trat  er  in  den  Schuldienst  als  Secundar- 
lehrer  in  Lozem,  fiel  aber  bei  der  Regiei-nng  in  Ungnade,  da  er  seine  libe- 
ralen Gesinnnngea  nicht  verhehlte  nnd  im  beoondem  der  Bflekbernfting  der 
Jesuiten  entgegenarbeiteta.  Er  nahm  deshalb  1842  eine  ähnliche  Lehrstelle 
im  Nachbarcanton  Aargau  an,  wo  er  sich  auch  einen  eigenen  Hansstaiui  grün- 
dete. Infolge  des  „Sonderbuudkrieges"  *)  (welchen  er  als  Schützencorporal 
mitmachte),  kehrte  er  in  seine  Heimat  zurück,  wurde  Mitglied  des  neuen 
Regierangwathea  nnd  bradite  ala  aolehea  ein  nenea  UnterriehtsgeietB  soatande. 


widrigen,  particularistisch- jesuitischen  BSonderbnnd"  der  7  Cantone:  Luzern,  Uri, 
Scfawjs,  unterwaldea,  Zog,  Freibaxg,  waUls  (1847). 


Digitized  by  Google 


—  594  — 


1849  übernabm  D.  die  Leitnnp:  des  Lehrerseminars  in  Rathansen  (Luzem), 
wo  er  eine  andere,  d.  i.  freisinnige  Lehrergeneration  heranbildete  und  durch 
die  That  wie  durch  Wort  und  Schrift  für  die  Hebung  der  Volksschule  und  des 
LchnnrtaadM  nadi  jeder  Blditiuig  hin  wirkte;-  zadem  wwaib  er  sicii  herrer- 
ragende  Verdienste  anf  dem  Gebiete  der  GemeinnUtziglteit  (war  zeitweili|r 
Präsident  der  Schweis.  Gemeinnutz.  Gesellschaft),  z,  B.  durch  seine  Betheiligung 
an  der  Gründung  der  großen  Kettungsanstalt  Sonnenberg  bei  Luzern.  Doch  im 
Laufe  der  Sechziger  Jahre  gelaugte  die  ultramontane  Partei  abermals  zur  Herr» 
Mhaft,  «od  M  folgte  Diila  den  Bafi  der  aarganiaeiMii  Begieraiig  in  die 
Direcüon  des  Seminan  Wettingen  (1867).  Bis  1886  behielt  er  die  Leitimir 
dieser  Lehrerbildungsanstalt,  bis  Herbst  1891  gehörte  er  ihr  noch  als  Lehrer 
(der  Pädagogik)  an.  Dass  ein  Mann  von  solcher  Gesinnungstüchtigkeit  und 
Thatkraft  einen  tiefen  erzieherischen  EinHuss  auf  seine  Schüler  ausübte,  be- 
darf kaum  der  Erwihniing. 

Wenn  wir  aber  D.  gleich  anfugs  all  eine  gerade  der  Schweiz  eigen* 
thümliche  Erscheinung  bezeichneten,  so  hatten  wir  hauptsächlich  die  Art  der 
Ämter,  welche  er  bekleidete,  den  Amtswechsel  im  Auge.  Diese  Möglichkeit, 
und  nicht  seltene  Wirklichkeit  des  Stellenwechsels  ist  in  der  That  für  die 
Bdiwelaariaehe  Lehrerschaft  chankterlttiMli.  Hier  nedi  einige  Beispiele  (ans 
denen  man  freüicb  sieht,  dMe  ee  sich  fiwt  anMchlieUidi  om  „hOhere**  V(dka- 
schnllehrer  handelt):  ein  Secundarlehrer  wird  Stadtrath,  ein  anderer  Staats- 
schreiber (Vorsteher  der  Regierungskanzleii,  ein  dritter  Kegierungsstatthalter 
(Bezirkshauptmann).  Oder:  der  Assistent  in  einem  Laboratorium  der  Universit&t 
(Doctor)  deht  die  Stelle  eines  Ldurers  (fHr  welche  er  allerdings  die  Wahl- 
fthigkelt  besitzt)  an  der  Mldehemeeudanehnle  vor,  ein  BedrksschnUnspeetor 
desgleichen;  der  Leiter  eines  staatlichen  Lehrerseminars  übernimmt  dieDirection 
einer  städtischen  MUdchenschule.  Oder  die  Wandlung  des  Herrn  F.:  Real- 
scbulletirer  —  Bedacteur  einer  politischen  Zeitung  —  Übuugsschnllehrer  am 
Seninlr  ^  etldtiacher  Mftdchenschnllehrer.  Herr  6.  —  und  mit  ihm  schließen 
wir  die  Reihe  —  war  erat  Secnndariehrer,  flbemahm  dann  das  Bectorat  einer 
höheren  TSchtersolmle  nnd  iit  jetst  SecretSr  der  Brsielrangsdirectieii  in  seinen 
Hefanatcant^n. 

Was  wir  hier  angeführt,  dtbfte  deutschen  und  österreichischen  Lehrern 
im  allgemeinen  noch  unbekannt  sein  —  anbekannt  wie  manche  andere  Zustände 
und  VerhUtnisse  im  Schnlwesen  der  Schweis,  und  wie  manche  T^ateaehe  der 

schweizerischen  ünterrichtsgeschichte.  Darüber  hat  man  sich  hierzulande 
mehrfach  beschwert.  8o  z.  B.  jüngst  gelegentlich  der  Comeninsfeier,  Dass 
Comenins  auch  zu  namliaften  Schweizern  in  wesentlichen  Beziehungen  ge- 
standen (man  wird  bald  Näheres  darüber  hören),  davon  wisse  man  „im 
Beiehe  dranBen"  nichts.  Aneh  scheine  man  hie  nnd  da  immer  noch  Gomenios 
fther  Pestalozzi  stellen  zn  wollen  (was  aus  mehreren  Festschriften  zu  ersehen 
sei\  nnd  dies  beweise,  dass  man  die  wahrhafte  Bedeutung  Pestalozzi's  in  ihrem 
Kern  noch  nicht  allenthalben  erfasst  habe,  auch  wol  mit  seiner  Lebensgeschichte 
noch  nicht  genügend  vertraut  sei.  Des  weiteren  wurde  kürzlich  bemerkt:  die 
deutschen  Verihseer  Ton  „Geschichten  der  Hetiiodik"  seheinen  die  Verdienste 
der  Schweizer  um  die  Entwicklnng  des  erdkundlichen  Unterrichts  nicht  zn 
kennen.  Und  in  der  Schweiz.  Lehrerztg.  vom  2.  April  d.  .T.  schließt  die  An- 
zeige der  „Geschichte  des  deatscb.  Tomonterrichts"  von  Prof.  Dr.  Eoler  (Kelu*, 


Digitized  by  Google 


—   595  — 


Gesch.  d.  Meth.  V)  mit  den  "Worten:  „Das  Turnen  in  der  Schweiz  Iit  aloht 
behandelt.  Der  Verfasser  führt  blos  die  diesbezüglichen  Bestreb  ung-en  von 
Zwingli  nnd  Pestalozzi  an  and  erwähnt,  dass  Spieß  und  Maul  in  der  Schweiz 
in  hervorragender  Weise  thätig  waren.  Wir  andern  glauben,  das  Tarnen  bei 
0118  dlirfe  lidk  M  fQt  seiieii  Imnb  wie  das  ao  nanclieii  Sttdteliena  ,,eiiiiet  dcv 
Bliyn'^,  nnd  der  Name  des  Tarn  vaters  Niggeler  Wire  der  Geschichte  der  MeUiodik 
des  deutschen  Volksschalnnterrichts  so  gut  angrestanden ,  wie  der  mancher  an- 
dern Streiter."  —  Hier  handelt  es  sich  im  wesentlichen  um  die  Vergangenheit; 
häufiger  begegnet  man  Belegen  für  das  Nichtwissen  der  Gegenwart.  Nun  sind 
wir  zwar  lelbetverstftndlioii  keineawegt  so  eingebildet  an  fordern,  der  deatsehe 
oder  (Memidiiaobe  Lehrer  müsse  in  dem  vielgestaltigen  Unterrichtsweeea 
aller  unserer  25  Länder  und  Ländchen  bewandert  sein,  und  noch  weniger 
möchten  wir  uns  zu  der  mehr  als  kühnen  Behauptung  versteigen,  die  Schule 
der  vorgeschrittenen  Cantone  sei  die  Erziehuugsschule  im  Öinne  Pestalozzi's, 
Dieaterweg'aT  Hildelnraiid'a*)  and  darnm  dam  grlbidlielMii  Stadimi  jedea  am- 
Iftndischen  BemfiBgenossen  dringend  za  empfehlen  —  aber  dodi  dHrftn  wir 
wünschen,  dass  man  jenseits  des  Rheins  unsere  Schuleinrichtungen  wenigstens 
ihren  Grundzügeu  und  ihren  Eigenthämlichkeiten  nach  kenne;  soviel  steht 
fest:  di^enige  Beachtung,  welche  unsere  kleine  pädagogische  Welt  von  Seite 
der  grOßenii  Naebban  wifkUeli  verdieBt,  hat  aia  noch  nicht  gcflmden. 

Woran  liegt  das?  —  Man  kann  nicht  bdumpten,  daia  an  wenig  ver* 
öflfcntlicht  werde,  oder  dass  die  Veröffentlichungen  schwer  zugänglich  seien. 
In  dem  gegenwärtig  von  A.  Richter  (Leipzig)  herausgegebenen  „Pädagogischen 
Jahresbericht"  ist  stets  anch  der  Schweiz  ein  Abschnitt  gewidmet  (dessen  Be- 
arbeitang  in  guten  Hladen  liegt)  —  leit  1887  enchelnt  flbeidiea  (bd  Onll 
Füssli  in  Zürich)  ein  „Jahrbnch  des  Schweiz.  Untenrichtsweaeos"  —  die 
Schweiz.  Lehrerzeitung  kostet  jährlich  nur  5  Fr.  — das  zwar  schon  1883  heraus- 
gegebene, aber  immer  noch  recht  brauchbare  „Handbuch  der  Schweiz.  Schul- 
gesetzgebnng",  von  0.  üunziker  ist  jetzt  beim  Pestalozziaunm  in  Zürich  za 
dem  Spottpreiae  von  50  Rappen  an  haben.  Sonach  konnten  Bich  wenifttena 
die  Lehrerbibliotheken  grSBerer  Sohnlen  nnd  die  Erdabibliotheken  mit  gnten 
Anfklilningsschriften  versehen.  Für  den  Einzelnen  aber  könnten  das  Beste 
die  größeren  Fachblätter  leisten.  Denn  es  gehört  gewiss  zu  deren  vielseitigem 
Berof,  ihren  Lesern  zu  zeigen,  wie  und  in  welchen  Kreisen  das  pädagogische 
Leben  jenaeito  der  Landeagrensen  aleh  abapielt.  Mit  einer  Reihe  klar  und 
knapp  gehaltener  Artikel  wlre  dto  Avtgtlt»  gelltet**)  Aber  aaeh  die  QneUe, 
oder  vielmehr  die  große  Sammelstelle  der  zahlreichen,  mehr  oder  weniger  stark 
sprudelnden  Einzelqnellen  ist  jedem  (wenigstens  auf  dem  Postwege)  zugänglich 
—  wir  meinen  das  nArciiivboreaa"  des  Pestalozzianoms  in  Zürich.**'^)  Wenn 


•)  Davon  sind  wir  noch  meilenweit  entfernt! 

*•)  Eine  solche  Artikelreihe  bat  bereit«  1889/90  die  firtthete  BedacÜon  der 
Pädag.  Zeitung  (Berlin)  begonnen;  sie  lortsiuetaen,  scheint  die  gegeawirtige  Lei- 
tang  nicht  gewillt  an  sein. 

***)  Hieriier  sollteB  sveist  immer  anoh  diejenigen  kommen,  vrelehe  peiOBBÜdi 
In  Schwei zeriaehen  Schulen  Umschau  halten  und  sich  dazu  so  gut  als  möglich  vor- 
bereiten wollen,  wie  es  im  vergangenen  Jahre  zwei  deutsche  Herren  gethan  (aus- 
gosandt  von  der  Dieaterwegstiftung  in  Berlin  und  von  da  Stadt  Flanea  i.  TogtL). 
Der  Entgeaanato  hat  Uber  seine  Beobaehtongen  zu  Zflrieh  nnd  anderen  Sehwaaar- 


Digltized  by  Google 


—  696  — 


"wir  uns  —  wie  es  im  Folgenden  gpeschehen  soll  —  über  diese  für  die  Schweiz 
hochbedeatsame  AniUlt  einlftariich  ftnflexn,  so  dür&e  daa  sachlich  gerechtfertigt 
erscheinen. 

Das  Pestalozzianom  amfasst  eine  wolgefüllte  oud  trefflich  geordnete  Aus- 
ttellmg  von  SelndgeriUlMii  md  Lehrmittehi  (mit  efner  betooderai,  tut  ver- 
schwenderiseh  ausgestatteten  Abtheilang  für  Zeichen-  und  gewerblichen  Unter- 
richt) —  ein  Lesezimmer  mit  rnnd  70  unmittelbar  nach  ihrem  Erscheinen  anf- 
liegenden Zeitschriften  —  das  an  wertvollen  Reliqnien  reiche,  wiirdig  und 
sinnig  gehaltene  „Pestalozzistübchen"  —  namhafte  Büchereien  —  das  bereits 
erwlhnte  Andihr  ala  SamBebtelle  lllr  alle  mOgUcbea  Mamieoripte  und  DmclC' 
tadieii,  weldie  Ton  dem  MGuitUcheii  und  privsten  Schnlleben  des  In-  nnd  Aus- 
landes Zeagnis  ablegen.  Das  Archiv bnrean  besorgt  die  Verwaltung:  des  Archivs 
(anch  des  „Schweiz.  Centraiarchivs  fiir  Gemeinnützigkeit")  und  der  Biblio- 
theken; aui^erdem  aber  ist  es  die  wissenschaftliche  WerksÜLtte  des  Pestaloz- 
aiaamiw.  Als  boIcImb  flüirt  es  ais:  efneatbeflt  die  grOBerai,  meist  snr  Ver- 
MtaitUdiiiiig  bestimmteil  Arbeften  (imd  die  Uterarische  Thfttigkeit  ist  dne 
vielseitige),  andemtheils  die  verschiedenartigen  kleineren  Geschäfte,  welche 
hauptsächlich  darin  bestehen,  für  studirende  Lehrer  nach  deren  al1ß:emein  ge- 
haltenen Angaben  und  Wünschen  aus  den  Archiven  and  Bibliotheken  der  An- 
stalt das  geeignete  Material  ftvamriüüen,  oder  IBr  soldia  Zwecke  bei  BehSrden 
und  SehnUeitem  briefliehe  Avskniilt,  AeteosUielLe  a.&.  einnlioleii.  Im  Jahre  1891 
worden  38  „größere  Arbeiten"  geliefert,  darunter:  Mittheilnngen  über  das 
Schweiz.  Schulwesen  im  Jahre  1890  für  Richter's  Pädag.  Jahresbericht  —  Be- 
richt über  Entstehung  und  Entwicklung  der  Schweiz,  permanenten  Schnlaus- 
stellnngen  fttr  die  nMittheilangen  der  Gesellschaft  für  deutsche  Erziehnngs- 
uid  Sehalgesehichte''  (Jahrg.  I»  Hefl  2)  —  Beitrag  snr  QeseUchte  der  Sefaul- 
geographie  in  der  Schweiz  (Monographie,  dem  international«!  geogr.  Congress 
in  Bern  vorgelegt,  wo  dem  P.  ein  „erster  Preis"  zufiel)  —  Skizzen  in  die 
„Allgemeine  deutsche  Biographie"  —  Beiträge  zur  Geschichte  des  Schweiz. 
Fortbildungsschulwesens  (Zeitschr.  f.  Schweiz.  Statistik)  —  Vorarbeiten  zu 
einer  Statistik  der  einheimlsehen  Fortbildnngsanstalten  für  MSddien  nndFranen 

—  Sammlangen  für  eine  schweizerische  Landeskunde,  Abtheilnng  Unterrichts- 
wesen. —  Die  „kleineren  Geschäfte"  (1891:  IBH)  sind  zuweilen  im  Berichte 
übersichtlich  nach  den  Hauptgebieten  geordnet,  auf  welche  sie  sich  erstrecken, 
und  zwar  enthält  der  Bericht  über  das  Jahr  1891  folgende  Zusammenstellung 
(die  ZUKem  in  Klammem  beliehnen  die  Zahlen  der  betreffend«!  Ansknnfls- 
nnd  Andeihbegehren) :  Gesetzgebung  und  Verwaltung,  Schulwesen  im  all- 
gemeinen  (35)  —  Einzelne  Schularten  im  besondem  (23)  —  Lehrerverhält- 
nisse (10)  —  Geschichte  der  Pädagogik  (10)*)  —  Allgemeine  Pädagogik  (22) 

—  Methodik  (30)  —  Verschiedenes  (8). 


Städten  in  einem  Sehriftchcn  berichtet,  welches  durchzusehen  wir  nod!  nicht  Ge- 
legenlieit  fmidi'n.  Soltlie  Studienreisen  diirih  fremde  iSchuIen  sind  nun  ohne 
Zweitcl  aui>  wiirmste  anzuratben;  allein  da  sie  .sicli  in  der  Kegel  nur  auf  wenige 
Tage  und  (gröllere)  Orte  erstrecken  können,  so  ist  dus  Ergebnis  weit  davon  ent- 
.femt,  das  Bild  vom  Schulwesen  des  Landes  daausteUen  und  sa  allgemeinen  Uitheilen 
zn  bcrerhtigen. 

*!  Darunter  KW«!  Bdnwdigungen  nach  der  Ldiws-  nnd  AibeUagesehiehts  des 
Uenn  Dr.  Dittes. 


Digitized  by  Google 


—  697  — 


Es  lenditet  dn:  unsere  Anstalt  kann  darch  die  erwähnten  verschiedenen 
Einrichtnrgen  sehr  viel  Gntes  stiften,  nnd  stiftet  es  wirklich;  sie  hat  sich  un- 
entbehrlich gemacht.  Aber  die  hohe  Aufgabe  eines  „Pestalozziannms"  ist 
damit  nicht  erfüllt,  aach  damit  noch  nicht,  dass  es  —  selbstverständlich!  — 
dMn  „Mittdpimkt  fSr  die  PwtalooiAinehniff  imd  Pwtalotdlciiiid«*  bildet. 
Seinem  höchsten  Ziele  wird  er  sich  erst  dann  nähern,  wenn  es  sich  —  seinem 
Namen  entsprechend  —  als  „pädagogisches  Nationalinstitut"  flUilt.  Es  mus 
erstreben,  was  noch  nicht  vorhanden  ist:  die  allgemeine  Volksschule  als  Schnlc 
Peetalozzi's  —  die  naturgemäße  Erziehung  zur  reinen  Menschlichkeit  und  Vater-  . 
ludstreae.  Aber  lo  wenig  die  denteche  Litontvgeediidite  ndt  dem  22.  Wkn 
1832  zu  Ende  gegangen,  so  wenig  bezt  idinet  der  Tod  Peetaloflri'e  den  Schliue* 
stein  der  Erziehnngsgeschichte.  Man  ist  weiter  geschritten,  ganz  besonders 
auf  dem  Gebiete  der  Pädagogik.  Und  wenn  anch  Pestalozzi's  Grundgedanken 
—  NaturgemäÜheit,  Wahrhaftigkeit,  Lebenstüchtigkeit  —  unverkiimmert  für 
aUe  Zeiten  gelten  irerden:  das  Perttlo— lannm  wm  deeh  mitten  im  „bonten, 
blühenden,  ewigbewegten  Leben"  stehen  (allerdittg*  anf  hober  Warte)  nnd 
für  die  vaterländische  Schule  zu  gewinnen  nnd  zu  verwerten  suchen,  was  die 
Nachfulger  Pestalozzi's  —  mögen  sie  wo  immer  zu  Hanse  sein  —  Gutes  er- 
sinnen und  schaffen. 


All  FiehiHrMM. 

546.  Comenius  nnd  Pestalozzi*)  (Preiaarbeit,  Allg.  d.  Lehrerz.  1892, 
12.  13.).  Eine  nüchterne,  unparteiische  (wenn  auch  nicht  durchaus  ßTinidlidie, 
nchlich  genaue),  „hauptsächlich  auf  eine  Reihe  von  Gegensiltzen"  f?:»  ri<  htete 
Yergleichnng,  für  deren  Ergebnisse  gern  mehr  oder  weniger  sinnliche  Schlag- 
fpQrter  geendit  werden.  Dieoe  Brgebntee  sind:  „VSm  tieH»  Khift  trennt  C. 
von  P.  hinsichtlich  des  Grades  ihrer  (wissenschaftlichen)  Bildung,  ihrer  Welt- 
und  Menschenkenntnis."  „C.  war  mehr  Lehrer  als  Erzieher,  1'.  mehr  Erzieher 
als  Lehrer."  ,.C.  war  durch  seinen  Kupf.  P.  durch  sein  Herz,  was  er  war'*; 
C.  ein  Apostel  —  P.  der  Leiter  eines  Missionshauses,  freilich  ohne  Leitnngs- 
takat,  welebea  C.  in  ebento  bobem  Kaße  beoaS  wie  die  P.  gSnaUdi  mangelnde 
Ueisterschaft  in  der  Systematik.  C.'s  Uattersdinle  den  Eltern,  P.'s  ähnliches 
Werk  nur  der  Mutter  gewidmet;  jenes  verdient  vor  diesem  bei  weitem  den 
Vorzug.  C.  verfolgt  „praktisch-reale",  P.  im  wesentlichen  „formale"  Zwecke, 
daher  bei  jenem  i'flege,  bei  diesem  Vernachlässigung  der  „Realien".  Als 
banpteacbUcfaer  8cbnlerf<dg  ?on  <X  inteUeetnelle^  too  P.  »OfaliMbe  FQrdemng 
erwartet. 

547.  Comenius  und  Pestalozzi  (0.  Hunziker,  Pestalozziblatter**) 
1892,  II).  Rede  zur  Comenius-Feier  in  Zürich.  Nach  dem  Bericht  über  die 
„ftuAeren  Schicksale''  und  Schriften  des  C.  folgt  die  Vergleich uug:  Verschieden- 
beiten  in  ibmn  Lebensgang  nnd  Xartjrtbnm  (C.  Märtyrer  der  Sache,  P.  lOr- 


*)  Von  besonderen  .\ufsiitzcn  (il)cr  C.  führe  ich  no<'h  an  dic||eiüsen  der:  lihein. 
Bhitter  1,  II  —  Schweiz.  Lehieizeitung  13  (.C-Numnier"),  U  ~  Deutsche  Blätter 
10,  11  („C.  der  Apostel  des  Friedens")  —  Päd.  Zeitung  (16  Urtbeile  Aber  den  Orbis 
pictus,  darunter  die  Empfehlungen  einer  Magdeburcfr  Si  luilordnung  von  1T)58  und 
einer  Brannschweiger  toq  1738,  und  lobende  Anerkenn uuicfu  durch  Leibniz,  Basedow, 
Goetb^  Herder). 

**)  Um  dea  Pteii  von  80  PI  m  belieben  beim  PestaloBiaanm  in  Zflrieb. 


Digitized  by  Google 


—  5Ö8  — 


lyrer  seiner  eigenartigen  IndividnalitÄt)  —  „Comenins  wird  stets  ein  leuch- 
tender Steru  unter  den  Weisen  aller  Zeiten  sein;  Pestaioz;;&i'8  Bild  wird  tiefer 
im  Henen  aller  derar  hafton,  denen  nlehts  MeoMkliehea  fremd  tot**  —  GL 
Scbnl-  und  Eirchenmann,  P.  Mensch  und  Bürger,  deshalb  aneh  FoUtUur.*) 
—  „Comenius  legte  überzeugend  dar,  waa  für  die  Erziehung  gethan  werden 
mnsste;  P.  wirkte  die  Begeisterung,  da«8  es  gethan  wurde."  —  Gemeinsame 
Forderungen:  Unterricht  auf  die  Anschauung  zu  gründen  —  Natargemäßheit 
an  die  l^tee  aller  EnrfelnngignindaStM  an  stellen  —  aUgemelneVolkmdiila 
.  (aber  P.  wueete  nichts  von  C,  ,,den  theoretischen  Hintergrund  seiner  Be- 
strebungen bot  itini  Koussean's  Emil").  Beide  glaubten  an  die  allein  selig- 
machende, unbedingte  ilacht  der  Methode  (Ziel:  Unterricht  und  Erziehung  zu 
„mechaniairen'').  Doch  die  Volksschale  ist  für  C.  Haaptbildangsmittel,  für  P. 
nur  „Snirogat",  NotlibekeUL  C.  Imnte  Torxttglieli  an  der  Oigaaitation  dar 
Schole;  P.  legte  die  „psjoiiologjsdie  Baiia  aller  Scholbildvng''.  C.  arbeitete 
im  Dienste  des  „Universums",  P.  im  Dienste  des  Volkes,  des  einzelnen  und 
jedes  ^Menschen,  deshalb  geht  er  von  diesem  selbst,  C.  von  der  Bestimmnag 
des  Menschen  aus.  —  Schluss:  Pestalozzi's  innerste  Eigenart. 

548.  Psychologisches  ans  der  Didactica  magna  (Päd.  Ret  1892, 
12).  „Qo  ist  in  den  Bewegungen  der  Seele  das  BanpbnA  der  WlUe;  die 
träbeiiden  Gewichte  sind  die  Gefühle,  die  dem  Willen  eine  Neigung  nach  der 
einen  oder  anderen  Seite  hin  geben.  Das  Peri)endikel.  wflches  die  Bewegungen 
Sffnet  und  schlielit,  ist  die  Vernunft,  welche  ausmisst  und  festsetzt,  was,  wo, 
wie  weit  festgehalten  und  geflohen  werden  soll.  Wenn  daher  den  Wünschen 
vaä  QefUileB  nidiit  ein  alisa  groies  Gtewidit  angehängt  ist,  und  das  Petpett- 
dikel,  die  Vemnnfty  redit  q»errt  nnd  Ofibet,  so  kann  es  nieht  anders  sein,  als 
dass  die  Harmonie  nnd  die  Übereinstimmung  der  Tugenden  folgt. —  Einsender 
bezeichnet  diese  Stelle  als  „von  entscheidender  Bedeutung  für  das  ganze  Er- 
ziehungswerk" und  üudet  darin  eine  Aufforderung  des  Comenius  zu  vertiefter 
GemtttbsbUdnng. 

649.  Des  Comenins  Bedentvng  für  den  Zeiehennnterrieht  ^Me 
Kreide^)  1892,  m).  HittSESflliilA:  «Bs  soUen  aneli  die  Kinder  som  XaleB 
angeltthn  werden,  dass  sie  bald  Im  dlltlen  nnd  vierten  Jahre  mit  Kreide  oder 
Kohlf  Punkt»»,  Linien.  Krcnz»'.  Ringlein  malen,  wie  sie  wollen,  was  man  ihnen 
allmählich  und  spielenderweise  zeigen  kann.  Denn  also  werden  die  Händleia 
fähig,  die  Kreide  an  halten  nnd  Zfige  an  maehen,  nnd  sie  begreifen,  waa  «in 
Paakt  oder  Linie  sei,  was  den  Priceptoren  hemaehmals  an  hllbsdiem  VorliMil 
gedeilmn  wird.**  —  Orbis  pictns:  Indem  man  die  Kinder  sam  «iMalen"  anhält, 
werden  sie  gewöhnt,  „einem  Ding  recht  nachzusinnen  und  scharf  darauf 
Achtung  zu  geben,  auch  abzumerken  die  Ebenmaße  d4>r  Dinge  in  Gegen» 
einanderhaltung  derselben."  —  Weiter  werden  einschlägige  Stellen  aus  der 
IMdaotloa  magna  aagefUut,  nnd  am  Sehhus  das  snsamnenftMende  ürtheil, 
dem  wir  folgenden  Satz  entnehmen:  „Wir  wollen,  dass  bei  jeder  Kunst  von 
MÜpm,  was  in  derstlb^'n  gtlfistet  werden  soll,  Ideen  oder  Vorbilder,  voll- 
ständige und  vollkommene,  aufgestellt  werden,  mit  Beifügung  von  Erinnerungen 


*)  Ob  die  ÜTsaehe  dieses  Oegensataes  nur  in  den  Peisonen,  nieht  aaoh  (riel- 

leieht  zumeist)  in  den  Zeiten  liegt? 
**)  Einzelnummer  26  Ff. 


Digitized  by  Google 


—   599  — 


und  Regeln,  welclie  die  Gründe  des  Geschehenen  nnd  des  Tliuns  aufdecken, 
den  Nachahnningsversach  leiten,  Verirrangen  verhäten,  nnd  wo  solche  vor- 
gekommen, bessern." 

550.  Baumgarten*)  gegen  Diesterweg  (E.  v.  Sallwürk,  Deutsche 
Blfttter**)  1892, 12).  Eiiie  Scbntsrede  für  Diestarw«gB  Stenum  mm  Kindieii- 
thnm  —  nnd  wenn  avch  der  Meister  ihrer  nicht  bedarf,  so  vernehmen  sie 

doch  seine  Jünger  gem.  S.  thut  übrigens  mehr:  er  vertheidigt  mit  Nach- 
druck die  Selbstständigkeit  nnd  Freiheit  der  modernen  Pädagogik  überhaupt 
und  ihrer  Diener.  „Die  Erziehung  ist  die  grösste  Gewalt,  die  über  einen 
UeuMdun  nn«gettbt  werden  kann;  daher  kann  de  nnr  ihrai  eigenen  Geeetaen 
lUgen  tmd  keines  fremden  Herrn  Magd  sein,  nnd  nnr  von  einem  ganzen  Hann 
ausgeübt  werden."  „Die  Religion  ist  blos  eine  Seite  unserer  Cnltnr,  und  die 
religiöse  Unterweisung  der  ganzen  und  einheitlichen  Erziehung  unterzuordnen." 
Mit  dem  „Anctoritäteglanben"  hat  die  Erziehung  nichts  zu  schafifen.  „Ja 
der  Lehrer  idlMt  darf  dem  Kinde  keine  Anetoritit  sein  w<dlen:  erat  sein 
Oiarakter,  sein  hSheres  Wissen  mnss  dem  ZOgling  den  Beweis  liefern,  dass  er 
der  Leitung  des  Unterichtenden  sich  liin^^eben  dürfe,  und  dieser  darf  das  ihm 
entgegenkommende  Vertrauen  nur  dazu  benutzen,  in  dem  Kinde  die  heitere 
Bnhe  des  Gemnthes  hervorzurufen,  welche  den  Organen  des  Geistes  Regsam- 
keit md  Stetigkeit  veileOit* 

651.  Über  Elternabende  (0.  Sdralae,  Deatsehe  Blätter  1892,  11). 

Verfasser  will  dieses  neu  gefundene,  in  Lehrerkreisen  jetzt  viel  besprochene 
Bindemittel  zwischen  Schule  und  Haus  höheren  Zwecken  als  denjenigen,  die 
man  ihm  gewöhnlich  bestimmt,  dienstbar  gemacht  wissen.  —  Den  Eltern- 
abenden soll  (von  den  Lehrern)  nicht  blos  eine  „schnlpftdagogische",  sondern 
andi  dne  soeialB  Aufgabe  gestellt  werden;  namentUeh  sollen  sie  rar  Wadi* 
samkeit  fiber  die  der  Schule  entlassene  Jngend  anregen.  Überhaupt  sei  — 
entgegen  der  herrschenden  Meinung  —  in  dar  Begel  die  Schule  der  gebende, 
das  Haus  der  empfangende  Tlieil. 

552.  Kritik  und  Kritiker  (R.  Seyfert,  Pildag.  Führer***)  1892, 1—2). 
Ein  mit  Ernst  und  Feuer  geschriebener  Aufsatz,  dem  man  um  der  redlicbea 
Absieht  willen  allrastarices  Pathoa  nnd  zu  große  Breite  gern  nachsieht. 
L  Theil:  Allgemeines  („Nicht  nmftssende  Kenntnisse,  nicht  durchdringender 
Seharftinn  und  schlagende  Urtheilskraft  sind  das  Erste  und  Wichtig^ste,  was 
wir  vom  Kritiker  verlangen,  sondern  —  (3pferwilligkeit,  Selbstverleug^nung." 
Auch  n bares,  wirkliches  Geld"  —  nämlich  Zeit  —  mnss  er  zu  „opfern^  bereit 
sein.)  n.  TheQ:  AnsfBhrlieher  Plan  filr  Becendonen  «methodisch-praktiteheir" 
Welke  «mit  ftchwissensehaltUdiem  Inhalt"  (hier  ehie  ErlelchtMiing  durch  den 
Verleger  zu  wünschen:  dieser  soll  jeweilen  „einen  Fachgelehrten  gewinnen, 
der  mit  seinem  Namen  für  die  sachliche  Richtigkeit  des  Inhaltes  bürgt"). 
Wenn  S.  in  dem  von  ihm  geleiteten  Blatte  hält,  was  er  verspricht,  so  wird 
«r  in  dar  Hut  zur  Besserung  der  BecensionsTerh&ltnisse  Wesentliches  bd- 
tragen. 


*)  VoIksBobulc  und  Kirche,  auch  eine  eooialeFnge.  EinBeitxag  sur  Diesterweg- 
feier.     Leipzig,  Grunow  1890. 
**)  Einzelnummer  20  Pf. 
***)  Beilage  aar  Deutachea  Schalpiaxis.  Eiuselaammer  20  Ff. 


Digitized  by  Google 


—  600  - 


553.  Der  Gebrauch  der  Karte  im  erdkundlichen  Unterricht 
(P.  Weigeldt,  Prakt.  Schulmann*)  1892,  I.).  Karte  im  Mittelpunkt;  Einftth- 
rong  üu  EartenventändniB  naoli  und  musb,  aut  jeder  Untenichtastofe,  alio 
EnlJuttmg  der  Uotentoft;  Slobemn^  dai  VtnliiidiiliMi  «wid  ab  nSjslich  in 
jeder  Stunde.  (Der  Atlas  verdient  eine  größere  Rolle,  als  sie  ihm  Verfasser 
zuweist;  er  ist  an  unterrichtlichem  Wert  der  Wandkarte  so  ziemlich  gleich 
zu  achten,  wenn  er  gut  ist;  und  gegenwärtig  besitzen  wir  in  der  That  etliche 
gute  Atlanten,  z.  B.  von  Sehsoidt,  Weltetein.) 

5&4.  Bemerknngen  ttber  den  Unterrleht  in  der  Phjsik  nnd 
Chemie  (R.  Schulze,  Deutsche  Schulpraxis  1892,  7).  Lehrgang  für  den 
„Physikunterricht":  Schwerkraft  (Mechanik  fester  Körper  —  „^ii'r  braucht 
man  so  wenig  als  möglich  vorauszusetzen;  dabei  sind  sämmtliche  anzustellende 
Versnche  derart,  dass  sie  nie  missliiigen'^)  —  Kolecolarkräfte,  Mechanik  der 
flUnfgen  «nd  farfttSnnlgen  Ktoper,  Optik  (oder  letelere  «nneh  der  Heehmiik 
der  flfissigen  Körper,  der  günstigeren  Beleuchtung  wegen ;  jedenfalls  die  Lehre 
vom  Licht  in  der  Zeit  vom  Juni  bis  August  oder  Anfang  SeptMaber")  —  im 
Winterhalbjahr:  Schall.  Wärme,  Magnetismus,  Elektricität. 

555.  Beiträge  zum  deutscheu  l^nterricht  (K.  Strobel,  Deutsche 
Sebobeltang  1891,  46. 46).  1.  OrnndgeeetB:  Vergletehnng  nwiaeken  Sehrift- 
deatsch  und  Mundart.  Bedentang  der  Mundart  für  den  Untwridit  (daa  erito 
Wort  darüber  von  Rud.  v.  Raumer;  dessen  Gedanken  1858  auszuführen  ver- 
sucht von  Burgwardt). —  2.  Syntax, Lehre  vom  Gebrauch  der  Wortclassen  nnd 
Wertformen  in  der  Rede  (Rectionsübuugen  an  Redensarten).  —  3.  In  den 
Iflteten  Sehn^ahren  „Übungen,  die  einmal  naammeniSuaen,  waa  der  geaammte 
Unterricht  an  sprachlichen  Belehrungen  tflglidi  eigeben  hat,  etwa  eine  Stunde 
im  Monat"  ^namentlich  Hervorholen  der  Redensarten,  welche  in  den  Stunden 
vorgekommen  und  die  Kinder  aufgeschrieben).  —  4.  Der  deutsche  Unterricht 
im  Seminar:  „Das  Seminar  sollte  der  Mittelpunkt  sein,  wo  sich  alles  Volks- 
nnd  Alterthflmlidie  der  ganzen  Landackalt  aammelt  nnd  wo  ea  TerariMÜtet  wird." 
—  Zorn  ScUnese  meint  Yeifiwaer:  „  Wenn  erst  anf  dem  Gebiete  der  dentechen 
Grammatik  ein  Besinnen  einträte,  das  ihre  fehlerhafte  Behandlung  klarlegte, 
so  würde  diese  Einsicht  alle  anderen  (dringlichen)  Verbesserungen  und  Erneue- 
ningeu  ohne  weiteres  nach  sich  ziehen."  (Natürlich  kommt  in  dieser  Arbeit 
aaeh  Hildebrand  gebflrend  n  Worte.) 

656.  Zum  dentachen  Anfaatn  in  den  nnteren  nnd  mittleren 
Classen  (K.  Koch,  ZeitBchr.  f.  d.  dentachen  ünterr.  1891,  VUI).  Vom  „Auf- 
satzelend"  und  wie  es  zn  heilen  —  vornehmlich  in  den  unteren  Classen  der 
höheren,  also  in  den  obersten  Classen  der  Volksschule.  „Wir  betrachten  von 
Anfang  an  den  Aa£satz  za  sehr  als  etwas  Abgesondertes,  fttr  sich  Bestehendea, 
als  eine  Anljginbe,  die  mit  den  ibrlgen  Lelatnngen  der  Sohnle  wenig  za  achalBMi 
hat.  Danun  steht  ihm  auch  der  kleine  Schüler  mit  einem  ganz  eigenartigen 
Gefühle  gegenüber."  Die  Sprache,  die  da  auf  dem  Papier  stehen  soll,  erscheint 
ihm  von  vornherein  als  etwas  ganz  anderes."  „Die  gesprochene  und  die  ge- 
schriebene Sprache  bleiben  für  seine  Empfindung  zwei  völlig  verschiedene  Dinge. 
Daa  mnm  doek  wo!  Sdmld  der  Schale  aein.  Ikre  Pflicht  wSre  ea  aber,  ibra 
Zöglinge  ao  zeitig  als  mOglieb  die  Wahrheit  in  dieaer  Sache  —  nicht  za  lehren. 


*}  Etnselbeft  1.60  Mk. 


Digitized  by  Google 


—  601  — 


sondern  erfahren  zu  lassen:  dass  das  geschriebene  Wort  nur  ein  Bild  des 
lebendigen,  gesprochenen  ist  nnd  dämm  von  Eocht«  wegen  ihm  Zng  um  Zag 
gleichen  sollte;  dass  wir  nur  die  Nachl&ssigkeiten  der  mündlichen  Rede  nicht 
Mif  die  geecluriebene  fibeitrag^  dürfen,  schon  deshalb  nicht,  weil  das  ge- 
•ehriebene  Wort  Tm  uu  gvtrHniit  und  yoa.  aadefen  geleMa  wird,  ohne  da« 
wir  ftrtwibrend  erglDsend  nnd  berichtigend  dabei  st«hen  kOnnen."  Die  Schnle 
soll  lehren:  „Was  man  gehört,  erfahren,  gelernt  hat,  kann  man  mündlich  und 
schriftlich  wiederholen.    Beides  ist  im  Grunde  so  ziemlich  dasselbe." 

bb7.  Ein  Wort  Uber  Aufsätze  (F.  Meli,  Schweiz. Lehrerztg.  1891, 43). 
Der  YoraeUaff  des  Verf.,  die  Anftatsttbuigen  einiosehrttnken  and  daffir  «stille 
Beschäftigung  mit  geeignetem  Lesestoff**  (natürlich  auch  selbststäudige  Ver- 
arbeitang  und  freie  Wiedergabe)  einzuführen,  ist  beachtenswert.  Das  geringe 
schätzige  Urtheil  über  die  AufsatzUbung  trifft  aber  keineswegs  diese  an  sich, 
sondern  den  verkehrten,  ungeschickten,  mit  seiner  Muttersprache  nicht  ver- 
tnaten  Lehrer-Mechnniker.  (Der  „Anftats"  als  Niederaehrift  ist  nnd  bleibt 
neben  der  Redeübung  ein  notliwendiges  Hauptmittel  sprachlicher  Bildung  und 
derSelbstzncht.)  —  Die  gewünschten  „Lesestofft  "  aufzutreiben  hält  sehr  schwer; 
denn  sie  sind  sehr  seltt-n.  Die  Dichtungen  von  J.  Spvri  wären  wol  in  erster 
Linie  auszunützen;  alsdann  wären  Stücke  —  uni'  Stücke  (die  allerdings  für 
sich  ein  kleines  Game  bflden  mflssen)  —  ansLienhard  nnd  Oertrnd,  ans  Ben- 
teir^s  und  Rosegger's  Schriften  auszuwählen  nnd  meist  ein  wenig  umzuarbeiten: 
dazu  gehören  aber  wieder  —  abgesehen  von  gründlicher  Kenntnis  der  Kindes- 
seele —  tiefe  sprachliche  Einsiolit  und  ein  feines  (Tcfühl.  f „Volksschriften", 
auch  gute  und  mustergültige,  eignen  sich  tlir  Schulkinder  selbstverständlich  nicht.) 

Herr  Prorector  Dr.  Juling  in  Sch5nberg-Mecklenburg  hat  ein  „Taschen* 
buch  der  höheren  Schulen  Deutschlands*'  (Auslieferung  bei  Ed.  Kummer 
in  Leipzig,  Preis  Mk.  1.  50)  veröffentlicht.  Der  I.  Theil  umfasst  das  Königreich 
Preußen,  der  II.  die  übrigen  deutschen  Staaten.  Da  ein  solches  „Nachschlage- 
bnch  flr  akademisdi  gebfldete  Lebrer**  lingst  erwünscht  war,  so  yerdient  das 
üntetnehmen  allseitige  Unterstützung  von  selten  der  Interessenten,  damit  die 
dem  ersten  \'ersuche  noch  anhaftenden  Mftngel  in  den  folgenden  Jahi^glngen 
anageglichen  werden. 


Der  wunderbare  Aufschwung  Berlins  von  einem  Stidtchen,  das 
sor  Zeit  des  Oroßen  Eorfürsten  6000  Einwohner  zählte,  zn  dem  Riesengemein- 

wesen  von  hente  zeigt  sich  an  seiner  jetzigen  Einwohnerzahl  von  1  (524  3  1 3  Köpfen. 
Dass  Brockhaus'  Conversations-Lexikon,  dessen  soeben  erschiRncnem 
zweiten  Bande  wir  dies  entnehmen,  schon  heute  die  Bevölkerungsziffer  vom 
1.  Janoar  1892  mittheilt,  ist  ein  Beweis,  dass  darin  stets  die  neuesten  Daten 
gegeben  werden.  Die  Bedaction  mnss  TorsBglidie  Beriehnngen  zu  den  Behörden 
haben,  um  statistische  Zahlen  aus  dem  eben  erst  vergangenen  Jahre  1891  zn 
benutzen,  wie  die  Steuererträge  von  Berlin  (ca.  130  Millionen  Mark  gegen  ca. 
90  Millionen  Mark,  welche  das  ganze  Königreich  Belgien  nur  aufbringen  kann), 
oder  die  Bierprodaetion  nnd  •Consnmtion  n.  dergl.  m.  München  allein  hat  naeh 
dem  Brockhaas  im  Jahre  1890  178860000  Liter  Bier  getmnken,  oder  den 
Inhalt  eines  etwa  300  Meter  im  Durchmesser  großen,  10  Meter  tiefen  Bier- 
sees!  Wir  sind  erstannt,  Tliatsachen  bereits  berücksichtigt  zu  finden,  die  eist 


Digitized  by  Google 


—  eo2  — 


den  letzten  WocIhmi  angehören,  z.  B.  das  Gesetz  über  den  Belagemng-sznstand 
in  Elsass-Lothringen,  oder  gar  Begriffe,  die  erst  im  Entstehen  sind,  wie  ^.Bernfs- 
vereine".  Was  sind  Berufsvereine?  Selbst  mancher  Jurist  kann  das  nicht 
iag«ii.  Sie  Bind  dw  Oegenstead  einer  OeeeliTwiage  vea  großer  sodalpoUtiMlier 
Wichtigkeit,  welche  den  Beichstag  erst  in  der  nichsten  Session  beschäftigot 
wird.  In  der  gnten  alten  Zeit  pflegten  die  Conversations-Lexica  dem  Fachmann 
und  selbst  dem  Laien  nft  nicht  viel  Neu«>R  zu  bieten.  Das  ist  nun  freilich  beim 
„neuesten  Brockhaus"*  anders.  Auf  allen  (iebieten  enthalten  die  Stichwurte 
dieees  Bandes,  die  wol  Uber  6000  betragen,  enchSpfende  DanteÜnngen  dea 
Wifliene werten;  man  vergleiche  die  Artikel  Berlin,  Banken,  Beeita,  Bakterien, 
Bahnh(1fe,  Bantaxe,  Banmwolle,  Bier,  wie  wir  sie  gerade  herausgreifen.  Die 
Biograjihien  sind  augenselieinlich  von  den  Lebenden  selbst  durchgesehen.  Nach 
dem  Artikel  Beost  sind  wir  gespannt  auf  den  Artikel  Bismarck,  der  leider 
nodi  nieht  in  diesem  Bsnde  entlalften  ist 

Mit  besonderer  Genagtlinniv  lieben  wir  hervor,  dass  auch  der  zweite 
Band  des  Brockhans  (">sterreich-üngarn  volle  Berücksichtigung  zutheil 
werden  lasst.  Dies  beweisen  nicht  nur  Artikel  wie  Baden,  Bilin.  Auersperg, 
Batthyanyi,  Benedek,  Biancbi,  auch  io  den  Artikeln  allgemeineren  Interesses 
tritt  es  IQ  Tage.  So  ist  bei  den  jurisdeehen  ühI  immer  die  IMerreidüsehe  Ga* 
Betagebnng  mit  angefttlurt,  and  bei  anderen  Artikeln,  wie  Bidar,  BabnhAfe  a.  s.  w., 
ist  in  Wort  und  Bild  Heimisches  als  Muster  mit  herangezogen. 

Was  die  unübertroffene  Eleganz  der  äußeren  Ausstattung  des  Werkes  be- 
trifft, so  haben  wir  nnserm  Urtheil  über  den  ersten  Band  nichts  hinzuzufügen. 
Übenasehffld  ist  wieder  die  Fttlle  oorrecter  Karten,  Plttne  nnd  interessanter  Ab> 
büduigen  auf  58  TafUn,  an  denen  noch  222  Ttetbilder  kommen.  Die  bnntea 
Tafeln  sind  ein  hervorragender  Schmuck. 

Alles  in  allem  genommen:  das  Werk  ist  ein  unentbehrlicher  Hansschats 
für  jeden,  der  aaf  Bildang  Anspruch  macht. 


Digitized  by  Google 


Recensionen. 

Anleitung  zu  botanischen  Beobaclituno^en  und  pflanzenphysiolo- 
giscben  Experimenten.  Ein  Hilfsbuch  für  den  Lehrer  bojm  botanischen 
SchaluDterridit.  Unter  ZugrundelegODg  von  Detmer's  „püaiizenphysiolo- 
giiehem  Fnktieiim''  bearbeitet  von  Frans  Schlei  chert,  Lehrer  in  Jena. 
Hit  52  Abbfldongen  im  Text  Langensalza  1891,  Druck  nnd  Verla«  von 
Hermann  Beyer  &  Söhne.    VIII  and  152  Selten.    Preis  2  M. 

Heutzutage  wird  in  der  Botanik,  wie  auch  in  der  Zonlog^ic,  mit  Recht 
ein  besonderes  Gewicht  auf  die  Lebenserscheinungcu  der  Licbcwesen  gelegt. 
Soll  nun  in  der  Schule  dies  Ton  Nutzen  sein,  so  muss  wenig^stens  hie  und  da 
der  Erklärung  mit  dem  Experimente  nachgeholfen  werden.  Freilich  lanscn 
•ich  viele  derselben  nicht  vor  den  Augen  der  Sehttler  durchführen,  da  sie  Tagt; 
und  längere  Zeiträume  in  An.spruch  nehmen,  sollen  sie  ein  sichtbares  Resultat 
liefern.  Die  Durchführung  kann  oft  mit  den  einfachsten  Mitteln  gemacht 
irorden,  aber  dasn  bedarf  es  einet  Anleitnnitr,  vnd  eine  solche  gibt  in  gcoiflgener 
Weist'  d;i.s  uns  vorliegemle  Buch.  V.a  sind  in  demselben  Versuche  über  die 
Ernährung  der  Pflanzen  vurgotuhrt,  welche  aus  den  verschiedensten  Onippea 
des  Pflanzenreiches  Emährungserscheinungen  beleuchten,  so  z.  B.  Wasserciutiir, 
Assimilation,  insectcnfressende  Pflanzen,  Transspiration,  Athmung  der  Pflanzen, 
Nebcnproducte  des  Stoö"wech8el8  u.  s.  w.  Der  zweite  Abschnitt  handelt  vom 
Wachsthnm  und  den  Reizbewegungen  der  Pflanzen  and  sind  in  demselben 
höchst  intorcssante  Veisncbe  über  Gpo-  und  Heliotropismus  der  Pflanzen,  das 
Winden  und  andere  Bewegungen  enthalten.  Das  dritte  Capitcl  bespricht  die 
vegetative  Vennchrung  und  geschlechtliche  Fortpflanzung  der  Gewächse  und 
fttburt  auch  hier  eine  große  Zahl  hOchst  belehrender  Experimente  und  Beob- 
aohtnngen  tot.  Der  Vortbeil  des  Buches  liegt  darin,  dass  es  geradezu  nur  das 
fttr  die  Schuir  "Wichtige  licspricht,  denn  Neues  will  der  Verfasser  nicht  bieten, 
sondern  nur  das  Brauchbare  zusammenstellen,  und  das  ist  ihm  vollständig 
gelungoi.  Kdn  Lehrer  wird  das  Buch  ohne  Nntsen  aus  der  Hand  legen, 
zumal  die  Vezsnche  so  klar  erläutert  sind  und  mit  so  einfariirn  Mitteln 

femacht  werden  können,  dass  alle  als  leicht  durchführbar  bezeichnet  werden 
Snnen.  Die  beigegebenen  niostrationen,  sumeist  anderen  gediegenen  Welken 
entnommen,  erleichtern  da«  Verständnis  ungemein.  Wir  omi>fehlen  das  Werk, 
das  auch  vorzüglich  aui^gcstattet  ist,  auf  das  angelegentlichste.       C.  R.  R. 

Lehrbj^ch  der  Mineralogie  und  Chemie  in  zwei  Theilen,  für  höhere  Lehr- 
awtaltwi  md  nun  Selbststudium  von  Professor  Dr.  L.  Weiß,  Beal-Gym- 
aatiallehrer.    Eriter  Theil:  Allgemeine  Chemie  nnd  Mineralogrie. 

VII  und  298  Seiten.  Preis  2  M.  80  Pf.  Zweiter  Tlieil:  Elemente  und 
Verbindungen.  VIII  und  240  Seiten.  Preis  2M.  60Ft  Bremen  1891, 
Verlag  von  M.  Heinsins  Naclifolger. 

Die  Vereinigung  von  Mineralogie  und  Chemie  beginnt  immer  allgemeiner 
SU  werden,  und  es  sind  auch  in  der  That  viele  Beriihrungspunkte  vorhanden, 
welehe  dieiMn  Vorgang  rechtfertigen.  In  diesem  Lehrbuch  ist  auch  Auf  gaas 


Digitized  by  Google 


—  604  — 


bedeutende  Abschnitte  der  Physik  EUckgicht  genommen,  wie  es  fUr  ein  ein- 
gehendem Studium  der  Mineralogie  nothwendig;  iit.  Aue  der  Inhaltsangabe 
wird  dies  klar  werden.  T)(  n  ullixcnicinoii  Erkläriincfon  folgen  Capitel  über  die 
Massenanziehung,  die  Cohä.sion.sturmen,  die  physikalischen  Erscheinungen  des 
Lichtes  und  der  Wftrme,  die  Änderungen  der  Cohäsion,  das  chemische  Ver- 
halten der  Wärme  und  des  Lichtes,  und  die  Elektricität;  sodann  folß:t  die 
chemische  Anziehung  (^Aftinitätj,  besondere  Ursachen  chemischer  \'orgänge, 
Stofflbiderung  durch  Theilung,  Mischungen  und  Verbindungen  und  die  anderen 
dwmischen  Verhältnisse.  Hierauf  folgen  Belehrungen  Uber  das  Vorkommen 
und  die  Bildung  der  Mineralien  und  die  Ehithellung  derselben.  Der  Schluss 
des  ersten  Buches  ist  wieder  rein  chemischer  Natur,  er  enthält  die  Classcn 
und  Gruppen  der  Elemente.  Im  «weiten  Buche  des  ersten  Theilee  werden  die 
IGneralien  nach  einer  ebeminhen  Eintheilung  bebandelt,  bierauf  die  Oestetoe 

und  die  Gebirgsformationi  n.  Der  zwi  itc  Th(  il  ist  rrin  chemischer  Natur,  indem 
ia  demselben  die  Elemente  und  Verbindungen  iu  systematischer  Beihenfolge 
beschrieben  werden.  Aus  dieser  Skisurung  ergibt  sieb,  wie  reich  der  Ijihidt 
des  Buches  ist.  Sehen  wir  die  einzelnen  Abschnitte  durch,  so  finden  wir  auch 
hier  eine  Keicbhultigkeit  des  Stoffes,  wie  man  sie  bei  dem  bescheidenen  Um- 
fange des  Buches  kaum  vemuthen  kann.  Als  einen  besonderen  Vorzug  des 
Werkes  möchten  wir  anführen,  dass  den  einzelnen  Stoffen  historische  Ab- 
schnitte vorangestellt  sind,  und  dass  ferner  die  praktische  Seite  der  Verwen- 
dung überall  in  ausreichender  Weise  dmdkgefllhrt  ist.  Der  Methode  nach  iat 
das  Buch  nicht  inductiv,  sondern  es  gebt  vom  Allgemeinen  aus,  was  bei  einer 
mineralogischen  Chemie  (man  Tersceihe  den  Ausdruck)  passend  erscheinen  mag. 
Den  Experimenten  ist  überall  Rechnung  getragen,  jedocli  fohlen  alle  Abbil- 
dungen von  Apparaten,  was  der  Verfasser  damit  rechtfertigt,  dass  er  ein  Buch 
IBr  liemende  nnd  nicnt  ein  Experimentirbucb  fDr  Lehm  sdnrdben  woUto. 
Die  Darstellunc:  i>t  überall  in  irrößter  Klarheit  durrhcrcffilirt,  ja  manche  Partien 
bilden  geradezu  einen  mastergiltigen  Lesestoff.  Durch  Vencliiedenheit  in  der 
Gi96e  der  Sehrift  wird  dentndi  das  Wesmiiliehe  Ton  dem  NebenelehliehaB 
getrennt.  Wir  empfehlen  das  ausgezeichnete  Werk,  das  auch  mu8tei|;Ut^ 
ausgestattet  ist,  der  allgemeinen  Beachtung  und  eitriger  Benutzung. 


Homert  Odyiiee  fttr  Schnle  vnd  Haut.   Hemugegeben  yoii  WiedatcK 

2.  Aufl.    Stuttgart,  Metzler.    Preis  1  H.  40  Pf. 

Dass  die  Odyssee,  fast  möchte  einer  sagen,  wie  die  Bibel  zu  den  Büchern 
gehört,  die  der  Jugend  nicht  vorenthalten  werden  sollen  und  zu  denen  auch 
der  Mann  immer  wieder  zurückkehren  kann,  ist  so  unbestritten,  wie  freilich 
auch  das,  dass  beide  Bücher  der  Jugend  nicht  in  unverkOnter  Gestalt  geboten 
werden  dVrten.  IMe  Odyssee  enthiit  manche  Stdle,  die  anstößig,  ver^nglich 
zum  mindesten  genannt  werden  niuss.  Wiedasch  hat  sie  in  seiner  Kiunilien- 
Ausgabe  ausgeschieden,  aber  auch  sonst  den  alten  Homer  gekürzt,  theiis  dort» 
m  die  HiiNmer>Ferfldinng  Einsehiebed  entdeckt  bat,  theOs  dort,  wo  aaeh 
nnaeiem  oder  seinem  (losdimackc  die  Beden  zu  lang  ausgesponnen  sind  oder 
eine  Nebenliandlung  den  Fortgaug  der  Haupthandlung  zu  lange  aufhält.  Da 
bat  der  Heiaaqgeber  daa  Wort  ergtifliBB  nnd  in  Kttnw  die  E^ode  enihlt. 


Ernst  Keller,  Lehrbuch  für  den  erzählenden  Geschichtsnnterricht 
an  Mittelschulen.    Freibarg  i.  B.  1891,  Wag-ner.    Preis  2  M.  80-Pf. 

Der  Referent  freut  sich,  ein  Lehrbuch  anzeigen  zu  können,  das  ähnlich 
wie  das  öchsU'sche  aus  dem  Vollen  heraus  geschrieben  ist  und  dem  man  es 
ansiebt,  dass  an  ihm  ein  tüchtiger  Fachmann  mit  Lust  und  Liebe  gearbeitet 
bat.  Nur  wer  die  Oescbichte  ganz  beherrscht,  w^eiß  so  die  Worte  zu  wSblen 
und  so  den  Stoff  zu  grupiiireu.  Da  ist  nichts  von  dein  niechanischf  u  Anein- 
andeneihen  der  Begentenreihen  und  dürr  und  trocken  erz&hlter  Thatsachen  an 
•dien,  das  so  viele  LeitfUen  vngenieBbar  madit,  doM  sie  einem  Torkommen 
wie  das  Inhaltsverzeichnis  einer  umfanj^reichen  Weltgeschichte.  Abge- 
rundete Bilder  und  plastisch  gehaltene  Porträts  der  leitend^  Persönlichkeiten, 


a  B.  R. 


— r. 


—  805  — 


ein  kräftiges  Nationalbewusstscin  und  eine  tolerante  Gesinnung  in  kinhliclien 
Fragen,  das  Bestroben,  die  Gesohichte  zu  einem  „Btlrgerhuch"  zu  machen,  also 
neben  der  IJegenteu-  und  Kriegs<?C8chichtc  auch  die  Culturgeschichte,  die  (ic- 
Bchiclite  des  Bürger-  und  Bauernstandes  zu  Worte  kommen  zu  lassen  ^  all 
das  iseicfanet  den  KeOer'selien  Leftfiiden  nus.  Dabei  wXhlt  er  eorgsam  die 
Zahlen  und  sdn  idt't  Unwesentliches  aus  (nur  sollte  er  Sagcnhaftrs  öfter  noch 
als  solches  bezcidinea  oder  streichen)  j  er  rUckt  das  leitcude  Motiv  und  die 
führende  P«n5nlichkeit,  oft  tchon  in  dem  Titel,  in  den  Vordergrund  nnd  bringt 
gar  manches  Detail,  das  jenes  Motiv  nnd  die  Gestalt  recht  scharf  heraustreten 
lässt  und  das  gar  nieht  su  allgemein  bekannt  ist.  Kurz,  das  13 — löjäbrige 
Völklein  als  ^nfltser  den  Leitfadens  kann  daran  seine  Lust  haben.  Wir 
wünschten,  der  Verfasser  schriebe  nun  in  demselben  Geiste  auch  ein  Handbuch 
der  (ü'.schicbte.   Er  hat  das  Zeug  dazu,  und  das  Buch  wäre  ein  Bediirfuiii. 


Ohler,  Bilderatlas  so  Cftsars  Bftebern  de  bello  gallieo.  Leipzig, 

Schmidt  &  Günther. 

In  jüngster  Zeit  hat  man  auch  dadurch  den  Unterricht  in  den  cla.«»sischen 
Sprachen  zu  beleben  ■resiiclit,  dass  man  die  .\u8gal)en  der  SeliriftÄteller  iliustrirte, 
natürlich  nicht  durch  Phantasiebilder,  sondern  nach  archiiologischer  äeite  hin 
durch  VorfBhrung  von  GoBtOmbildem.  Abbildungen  ron  CKsrStmchaften,  Relieft 
und  BfMten,  wie  <  lebe  sich  in  iin-( n  n  Museen  finden,  von  Baulichkeiten, 
Plänen  u.  dgl.  Diesem  Kefornigcdanken  dient  auch  das  im  Titel  genannte 
Werk,  das  Uber  100  lUustratiotten  auf  29  Tafeln  bringt ^  die  auf  78  Seiten 
(gr.  H")  knap}!  und  unter  Hinweis  auf  die  betrcftende  .«teile  in  Otean  gallischem 
Krieg  beschrieben  werden.  Ein  stets  der  Zeichnung  bcigesetster  Becftstabe 
gibt  dem  Leser  Kunde,  woher  rie  entnommen.  Zumeist  sind  es' Bilder  aus 
Duruy's  römischer  Geschichte.  — r. 

V^lf,  Unsere  Colonien.  Land  und  Leute.    Leipzig:  IHÜl,  llmrklians. 

Bei  dem  regen  luteresse,  das  wir  unseren  Culonieu  cutgegeubringeu  und 
den  Tersehiedenartigsten  ürtbeilen,  die  Aber  ihren  Wert  gehSrt  werden, 
wird  es  nicht  wundernehmen,  dass  ben  its  eine  stattliclie  Reihe  Schrift  in  er- 
schienen ist,  die  alle  sich  die  Aut'gabe  setzen,  Land  und  Leute  zu  si'hilderu. 
8ie  tiinn  es  zum  Tbeil  auf  Grund  eigener  .\ns(  itauuncr,  zum  größeren  Theil 
aber  auf  Grund  der  freilich  sich  oft  widersprechenden.  holTnungsfreudigen  oder 
entmuthigeuden  Berichte,  die  Missionäre,  lleichscomniissäre.  gelehrte  Forst^her 
und  Schiffscapitäne  von  ihrem  Standpnidtte  aus  vcröfTentlidit  haben.  Auf  solch 
Material  baut  sich  auch  das  oben  genannte  Buch  auf.  Es  hat  das  (juellen- 
inaterial  grflndlich  durchgearbeitet  und  gesie'itet  und  in  dankenswerter  Weise 
dem  größeren  Lesepublicum,  zuvörderst  unserer  Jugend,  bequem  zugänglich 
geuiacbt.  Dass  es  dieser  letzteren  zusagen  wird,  ist  keine  Frage,  da  alles, 
was  ihr  an  Schilderungen  fremder  Völker  und  fremder  Länder  zu  gefallen 
pflegt,  ja  sie  fesselt,  hier  zu  linden  ist.  Urwaldbilder,  Savannenscenerien, 
»Schilderungen  des  Verkehrslebens,  T^pen  aus  dem  Treiben,  Glauben  und  Qt- 
bräuchen  des  Negers,  Pa])uas  etc.  in  friedltcber  oder  kriegerischer  Zelt,  ans 
dem  Leben  des  Deutscheu  in  der  Haudelsfactorei,  in  der  Plantage  oder  Mis- 
sionsanstalt,  und  ebensolch  prächtige  Schilderungen  der  eigenartigen  Fauna 
der  Tersdiielenen  Colonialgebiete  machen  die  Leetfire  anziehend  nnd  lehrreidi 
/iiirleich.  71  Abbildungen  und  2  Karten  illu^triri  n  das  Geschilderte  und  orien- 
tircu  den  Leser  über  die  Lage  der  im  Buch  beschriebenen  ( )rt.scbal'ten  und 
Reisewege  und  die  .Sitze  der  zahlreichen  Volksstämme.  Als  Jugendschrift  kann 
darum  das  \  cd/  sehe  Buch  bestens  emj^lden  werden.  Es  eignet  sich  für  das 


Krenzel-Weude,  Deutschlands  Colonien.    Hannover,  Meyer.  Preis  2  H. 
50  Pf. 


Älinlich  wie  das  Volz'sche  Bin  Ii  wendet  sich  das  Büchlein  von  Krenzel- 
Wende  an  die  Jugend.  Ist  es  auch  an  malerischen  .Natursciulderungen,  die 
das  erstgenannte  auszeichnen,  nicht  reich,  so  ist  es  doch  anschaulich  und  vor 
allem  übersichtlieh  und  nicht  gar  zu  optimistisch  gehalten.   Ks  hat  mehr  die 


W. 


reifere  Jugendalter. 


— r. 


Padagociiun.  14.  Jthtg.  Heft  IX. 


42 


—  606  — 


Form  eines  Lehrbuches  und  beschreibt  dem^emBB  nach  einer  streng  (  in^^i  baltenen 
Disposition  in  ein«  r  Reihe  von  Paragraphen  1.  das  Land  n:uh  l-ui^c,  Aus- 
dehnung, JBodenform,  Bewässerui^,  Klima,  Pflanzen-  und  ThierwelL,  2.  die 
Bewohner  nach  der  Rasse  und  ^h1,  ihre  Wohnung,  Kleidungr,  Nahmng,  Er- 
werbsquellen, Sitten,  Sprache  und  Religion,  (ndlidi  die  Art  der  ErwerlninLr 
und  Verwaltung  durch  das  Reich.  Dadurch  erleichtert  die  Kinpräguag  ütu» 
Stoffes  und  die  Anffindungr  vnd  ermöglicht  es  auBerdem,  den  Inhalt  von  ge- 
wissen fiesichtspunkten  aus  bequem  zu  hetniehten.  Seiner  Stilir-irung  und 
•einem  Inhalte  nach  mehr  eine  Jugendsclirift  lür  die  mittlere  Alteräätut'e,  iät 
CS  wie  Tob  mit  tahlTdchen  (44)  i^blldungen  «nd  einer  Karte  geschmftckt. 

— r. 

Seeger,  Deutsche  Scbalgrammatik  für  die  Classen  Sexta  bis  Tertia. 
"Wismar  1891,  Hinstorff. 

Die  genannte  (trammatik  ist  für  die  Classen  Sexta  bis  Tertia  bestimmt 
und  stellt  den  Inhalt  (im  Anschluss  an  die  Satzlehre  die  Formenlehre)  in 
systematischer  Anordnung  dar,  so  dass  der  Lehrer  den  Unterrichtsstoff  für  die 
einzelnen  Clausen  selbst  wird  auswählen  müssen.  Und  das  ist  kein  Hangel 
des  Buches,  da  das  Pensum  jeder  Olasse  durch  die  Lehrpl&ne  zur  Genüge  fest- 
gestellt ist  Fflr  manche  Sennlen  wird  aber  das  sehwerer  ins  Gewicht  faOen, 
dass  die  SeeeiT'sehe  nrammatik  nur  wenig  Musterheispiele  und  gar  keine 
Übungsaufgaben  bietet,  also  ein  eigenes  Übungsbuch  erfordert,  das  natürlich 
mit  ^m  Gange  dieser  Grammatik  nidbt  übereinstimmen  kann.  Die  Herein- 
zichung  einer  Anzahl  neuer  Termini  halten  wir  filr  nicht  unbedingt  nßthig. 
Wenn  auch  die  Stilisirung  im  allgemeinen  zweekeutsprechend  ist,  so  ist  doch 
noch  mancher  Ausdruck  zu  bemängeln  (z.  B.  die  Präposition  regiert  den 
Dativ  und  Accusativ;  oder  die  Fassung  der  Regel,  z.  B.  „In  gewissen  Fällen 
ist  es  möglieb,  sich  auf  zwei  verscüiedciie  Standpunkte  zu  stelleu."  Der 
Schüler  wird  aus  dieser  Fassung  nicht  eiitu>  jtmen  wauu  er  sagen  man:  Kurl 
starb  im  Jahre  814  oder  Karl  ist  im  Jahre  8U  gestorben.  Ebensowenig 
wird  er  sich  über  die  Anwendung  des  Präsens  historicum  auf  Orund  des 
S.  25  Gesagten  klar  werden).  —  Lob  verdient  die  Sceger'sche  Grammatik  wegen 
ihrer  Hinweise  auf  Dialect-  und  ältere  Sprachformen,  die  sie  im  I.  Theil 
gelegentlich,  im  II.  Theil,  der  At  die  Tertia  bestimmt  ist,  systematisdi  heran- 
sieht.  Die  Lautlehre  auf  physiologischer  Grundhitrc,  insbesondere  die  Behand- 
lung des  Lautwandels  (mit  Ausnahme  der  „Brechung",  die  nach  der  älteren 
Qrimm'sehen  Aofhasung  gegeben  wird)  ist  so.  dass  sie  die  Scbfller  spielend  in 
ein  interessantes  Capitel  der  deutschen  Sprachgeschichte  einftihrt.  W. 

}[.  Jahn,  Methodik  der  epischen  und  dramatischen  Lectäre.  Leipzig 
1891,  Dürr.    Preis  2  M.  25  Pf. 

Jahn  erörtert  sein  Thema  mit  der  Voraussetzung,  daSB  dem  Lebrer  des 
Deutsehen  vier  Stunden  wöchentlich  zur  V(  rlVitruni;  stehen.  Das  Ist  nun  in 
den  Schulen  der  meisten  Staaten  nicht  der  l-  all;  lu  den  österreichischen  Alittel- 
scbulen  z.  B.  mvss  sieh  der  Unterricht  im  Deutschen  mit  drei  Stunden  der 
Woche  begnügen  und  diese  drei  Stunden  kann  er  selhstver-täiidüch  nicht  aus- 
schließlich der  episeben  und  dramatischen  Lcctüre  witlmou.  MaucLe  der  Kurde- 
rungen Jahns  mögen  also  schon  aus  diesem  rein  äußerlichen  Grunde  fallen;  andere, 
daruiter  das  Lesen  mit  vertheilten  Rollen,  aber  auch  aus  inneren  Gründen. 
Wir  wandern  uns,  dass  ein  erfahrener  Lehrer  —  und  das  ist  nach  der  ganzen 
Art  des  Buches  der  Verfasser  —  nach  Klaucke's  viT-t;indigen  Bemerkungen 
noch  diese  Forderung  festhalten  kann.  Das  mochte  für  ältere  Uerren  rocht 
bequem  gewesen  sein,  besonders  an  heifien  Nadunittagen ,  Seene  Ar  Seene 
herunterlesen  zu  lassen,  aher  Xurzi  n  hat  es  den  Schülern  nicht  gebracht.  Wir 
würden  gar  nicht  solange  bei  die^iem  Capitel  der  Schulpraxis  einer  „guten 
alten*  Zdt  Terweilen,  wenn  wir  nidit  fürchteten,  ein  jüngerer  Ldirer  künnte, 
bestochen  durch  das  viele  Hute,  das  Jahns  Methodik  bietet,  auch  das  als  Aus- 
fluss  erprobter  Pädagogik  ansehen  und  nachahmen.-  Was  au  Jahns  Darstellung 
beeonden  ge0tllt,  i^  die  Verwertung  der  Literatur  mit  kritischem  Sinne,  das 
Heranziehen  concreter  Fälle  zur  Beleuchtung  und  zum  Beweise  des  Ges;\gten 
und  die  philosophiüche  Betrachtungsweise.   Der  jüngere  Lehrer  ündet  außerdem 


Digitized  by  Google 


—   607  — 


im  Aohang  beinahe  die  j^anzc  Literatur  ilhcr  das  Iteljandclte  Thema  zusammen- 
gestellt, aUo  das  in  bequemer  Vorm  mitgctbeilt,  was  man  sich  früher  lange 
Jahie  hindnfeh  mttheToll  nnunetn  mitaBte.  W. 

Tk«lUl,  Das  Drama.   Gotha  1891,  TJiieiiemann. 

DieMi  kleine  Heft  verspricht,  was  der  weitere  Titel  sagt:  es  ist  eine 
gemeinverständliche  Darstellung  de»  Wesens  und  Baues  des  Dramas.  Es 
bringt  das  für  die  Schule  Nothwcndige  in  einer  leicht  fasslichon  Form,  erläutert 
durch  Beispiele  aus  unsere  a  chissischen  Dramen  und  schöpft  aus  guten  Quellen, 
unter  denen  natürlich  Frey  tags  „Technik  des  Dramas"  ohenan  steht.  Vielleicht 
liiifto  PS  fjjch  enipfüblen,  eine  ,-(heiiiati>rIie  Darstp'iiiiitj  des  Aufbaues  eines 
bestimmten  Dramas,  wie  sie  Unbescheid  bis  ins  Detail  ausgeführt,  einzu- 
reihen. Das  «in  von  gfttlerem  praktisehen  Nutzen  als  die  doch  sehr  dürftige 


Lflimaiiii,  Das  K ai  teiizelchnen  im  K(''>^^^I  :U>hischeu  Unterricht.  Halle 
a.  d.  Saalo  \S\)i,  Tausch  &  (Jrusse.  M. 

Im  Mittelpunkte  der  Discussion  üLer  den  geogniiiliisi  hen  Unterricht  steht 
erotronwiirtitr  das  Kartenzeiohnen.  Viel  weniger  Freunde  als  Feinde  und  Wider- 
^a(ilcr  sind  ihui  in  der  Lehrerwi  It  erstanden;  die  Freunde  selbst  sind  über  die 
geeignetste  Methode  in  Zwietracht  und  uneius  geworden.  Bei  dieser  Sarlil  ige 
thnt  vor  allem  Klärung  Uber  die  Zwecke  des  Kortcnzciehnens  noth  und  dann 
eine  objective  Absohätung  des  bisher  Geleisteten.    Beides  versucht  Lehmann, 
Professor  der  Erdkunde  an  der  Akademie  /.u  Münster,  in  dem  obrngeaannten 
Bache,  einem  etwas  veränderten  Abdrucke  der  Itetreffenden  Partie  seiner  „Vor* 
lesungen  über  Hilftoittel  und  Methode  des  geographischen  ünterriehtes".  Dort, 
wo  rr  die  Beile  ii  t  ii  n     des  Kartenzi  i*  lim ns   i  rüiutert,  k.'iiiipft  er  liesonders 
gegen  die  bekannte  Schritt  Bottcher's,  der  dum  K.artunzeichneu  in  der  i)chulo  wenig 
Wert  bdraiBBt  und  Ar  das  besdireibende  Verfahren  eine  Lanze  bricht.  Der 
iraujittheil  seiner  Arbeit   ist  aber  d«'r  Methodik  des  Karfenzeichnens  n;c- 
widn>et.    Er  bespricht  zuerst  das  J?ituations-  und  dann  das  Terrain/.eichnen, 
führt  die  einzelnen  Methoden  des  erstereo  vor  (die  Einzeichnung  iu  gegebene 
Grundlagen,  die  Skizzen  mit  Zugrundeloijung  des  Quadrat-  oder  des  Gnid- 
netzes  oder  eines  Gerüstes  bloßer  Hilt'slinicu),  erläutert  sie,  zumeist  mit  den 
Worten  ihrer  Vei&sser,  an  einem  concretcn  Beispiele  und  —  das  Wertvollste 
und  Lehrreichste  —  schätzt  sie  auch  nach  ihren  Vorzügen  und  Fehlern  ab. 
Denn  das  ist  das  Eigentbümliche,  das»  jede  der  bisher  aufgestellten  Methoden 
für  gewisse  Zwecke  des  geegraphischeu  Unterrichtes  eine  besondere  Bedeutung 
gewinnen  kann  und  darum  nicht  kurzerhand  verworfen  werden  darf,  wenn 
sie  auch  als  ünivemalmethode  sich  nitilit  bewährt.  —  In  Ihnticher  Weise  be- 
handelt  Lehinaiin  am  h  die  Methoden  dCS  Terrainzeiehnens.   Als  die  geeignetfite 
fUr  beide  Arten  des  Zeichnens  erklärt  er  mit  wolerwogeneu  Gründen  —  unter 
denen  nicht  der  letzte  die  Rftcksicht  auf  den  gewiHinlieh  zeiehneriseh  nidit 
besonders  veranlagten  uud  tresehulten  Lehrer  der  Geschielite  uiul  der  Sprachen 
ist,  in  dessen  Hand  ja  bekanntlich  gegenwärtig  der  geographische  Unterricht 
an  den  höheren  Schulen  liegt  —  die  KirchhofTsche  (Zugrundelegung  einet 
geradlinigen  Gradnetzes") ,  beziehungsweise  <Iie   in  Debes'  Zeichenatlas  ver- 
wendete.   So  eifritr  tritt  er  liir  dieselbe  ein,  dass  sich  sein  Buch  wie  eine 
Apologie  dieser  Methode  liest;  immer  und  immer  kehrt  er  zu  ihr  bei  der  Er- 
örterung der  anderen  Metho<len  zurück.    Trotzdem  ist  er  aber  gegen  die 
letzteren  nicht  ungerecht,  nur  will  er  sie  auf  ganz  bestimmte  Zwecke  be- 
schränkt wissen,  über  die  er  in  einem  Bttekblick,  S.  122  ff.,  sich  kurzgefasst  aus- 
spricht   Auf  zwei  Umstände  wollen  wir  doch  hinweisen,  die  vielleicht  das 
Buch  hätte  auch  in  Erwägung  ziehen  können.    Der  eine  ist  die  Auswahl  der 
Kartenskizzen,  beziehungsweise  ihr  Inhalt.    Da  .scheint  uns  Kauf'mann-.'ilajer's 
Verdienst  nicht  gebttrend  hervorgehoben.  Der  andere  ist  die  Art,  wie  Matzat 
in  seiner  Erdkunde  (1.  Aufl.)  die  Kilsten-,  Fluas-  und  Gebirgslinien  zum  Zwecke 
des  Extemporales  in  Theile  zerlegt.    Per  Referent  kann  aus  einer  langjährigen 
Erfahrung  bestätigen,  dass  diese  Zerlegung  deu  ächUleru  die  Arbeit  bedeutend 
erleichtert,  die  SehVler  selbst  dien  Zerugung  in  den  idtMiBten  Fällen  gesduokt 
treffen  und  lhtMt*&  Art  nieht  nllen  Lehrern  bekniint  Ist  (S.  91  ist  —  nebenlMi 


w. 


4a* 


Digitlzed  by  Google 


—  608  — 


bemerkt  -  eine  .^töreude  Anordnung  des  Druckes.)  Was  man  l^'Uniaun';»  Buch 
aber  unbedingt  naobritbmcn  niuss,  ist  die  (iründliebkeit  und  der  Emst,  mit 
dem  die  Frage  bcbandelt  wird.  E»  ist  eine  erschöpfende  Darstellung  des 
auf  dem  bezeichneten  Gelnete  Geleisteten;  zugleich  eine  krUisehe  Ohenchau 
niid  —  nicht  als  das  letzte  nint  hton  wir  das  bcrvorhebcn,  eine  Lehlung,  die 
das  in  der  Praxis  Erreichbare  nie  aus  den  Augen  verliert  und  darum  an 
praktiaehen  Winken  es  nirgends  fehlen  lisst  W. 
K.  Jftrz,  Kartenzeichnen  und  Kartenskizzen  im  ersten  geographi* 

BChen  Fnterricht.   Znaiui,  Fournior  iiml  Habcrlcr.   40  l'f. 

Dieses  Helirhcn  ist  ein  etwas  umgearbeiteter  Aufsatz,  den  der  Verfasser  in 
der  Zeitschrift  für  Srbulgeograpbie  (188S)  TerOffentlicht  hat.  Seine  Methode  des 

•  Kartenzt'ichneus  (Orientirungskrou/,,  gegeben  durcb  den  Meridian  und 
Parallel,  weKlur  das  zu  skizzinndc  Gebiet  in  seiner  gmßtou  Breiton-,  be- 
«iehungsweisc  Läugenausdelinuni:  lunhgchneidet,  Fixirung  bestimmter  Jlerk- 
punktc  innerhall)  der  Viercike;  al>  Maßeinheit  dient  das  Stiii-k  des  MeridiJins, 
welehe«  vom  Durchkreuzuugspunkte  mit  dem  Parallel  bis  zum  Nord-  oder  Süd- 
randc  des  zu  zeichnenden  (Jebictes  reicht)  erläuterte  er  dort  an  einer  Skizze 
von  Afrika,  hier  an  der  Mährens.  Lehmann  hat  in  seinem  Buche  „Das  Karten- 
zeichnen"  die  Mängel,  die  auch  dieser  Methode  ankleben,  des  ansfnhrlichen 
besprochen:  der  wcKOiitlii  hsli'  ^(  Iii  int  uns  der,  dass  die  Zciithnmifr  >i<'b  in  vier 
Felder  thciit,  dio  jedesmal  auf  zwei  aneinander  anstofiendcn  äciteu  offen  sind, 
80  doss  Ar  Tiele  Fixpunkte  die  Lage  nur  sehr  allgemein  bestimmt  werden 
kann  und  dir  ra^ciiaffciir  Zcichcnhiife  liesonders  hei  schwierigeren  Objecten 
darum  nur  eine  geringe  .sein  wird.  Unseren  ganzen  Beifall  dagegen  hat  die 
Einleitung  und  der  zweite  Theil  des  Heftchens,  der  die  Kartenskixcen  im 
Schulbuehe  bespricht.  Da  iflt  wirklidi  keine  Seite,  die  nidit  den  erfahrenen 
Schulmann  vcrriethe.  W. 
Josef  Sekran,  Profenor,  und  Rudolf  Schllssler,  Doetor,  Vonchole  der 

Mathematik  fdi-  östeir.  Uut^ngyninaneiL  Hit  384  Fig^.  (in  besonderem 

Hefte).   219  Seiten.   2.48  M. 
Hierzu  Übungsstoff  in  4  Heften  flir  die  1. — 4.  Chasse.   Zusammen  240 

Seiten.    Jedes  Heft  80  bis  90  Pf.    Wien,  Alfred  Heilder. 

„  In  der  Instruction  für  den  mathematischen  ünterricbt  an  den  Gymnasien  in 
Österreich  wird  die  Fonlcrunsj  ausgesprochen,  „das«  das  Lehrbuch  dem  Schilh  r 
den  ganzen  Lehrstoff  wolgcgliedert  und  ge<ir(lnet  mit  sei  neu  Erklärungen  und  Lehr- 
sätzen vortUhre".  Mit  anderen  Worten,  e>  soll  der  Lehrstoff  nicht  jahrgangsweise 
in  Heften  iretrennt.  sondern  in  einem  Lehrburh  für  das  ganze  Untergvninasium 
vereint  si»  h  in  den  1  landen  des  Schülers  bctinden.  Dieser  Weisung  wurden 
die  Verfas.scr  mit  der  vorliegenden  Arlieit  gerecht,  und  dieselbe  hat  die  Zn- 
laasung  für  den  Untcrrichtsgebraueh  von  Seite  des  Ministeriums  erhalten. 

Der  Inhalt  ist  in  vier  Theile  gegliedert  mit  den  Überschriften:  Besondere 
.\ri11n)H  tik,  allgemeine  Arithmetik,  Planimetrie  und  .Stereometrie.  !•<  r  (Tste 
Theil  umfasst  dasKechnen  mit  ganzen  Zahlen,  gemeinen  und  DecimaibrUchen, 
dann  das  Beehnen  mit  mehrfach  benannten  Zal^n,  die  Proportionen,  die, ein- 
fache Sehlus{?rcchnung  und  die  einfachen  Ecehnungf  n  des  \'(  rkehrs.  Über 
dieses  Gebiet  liegen  so  ausgezeichnete  Bearbeituxigen  des  Lehistodes  vor,  dass 
es  kaum  mög^ch  ist.  Neues  und  Besseres  zu  sdudnn;  und  die  YerfSuser  haben 
ganz  wol  {jethan,  sich  im  allgemeinen  an  die  vorhandenen  ausgezeicliiicten 
Muster  zu  halten;  dennoch  ist  es  ihnen  gelungen,  an  verschiedenen  titeilen 
Verbesserungen  anzubringen.  So  linden  wir  eine  besondere  Darstellung  zur 
Erklärung  der  entscheidenden  Folge,  welche  der  Gebrauch  der  Ziffer  „Null" 
flir  da.s  Zahleusehreiben  hatte.  Auch  für  die  Begründung  der  Theilbarkeits- 
Begeln  finden  wir  tine  eii^eaarti^e  Ableitung,  welche  das  bisher  Bekannte 
womöglich  noch  an  ansehanlirht  r  l»i  dtlichkeit  ühertrifft. 

Weniger  zusagend  als  die  „bLMuulcre "  war  uns  die  ^allgemeine  Arithmetik" ; 
besonders  bezüglich  der  für  den  iSehüler  so  schvitfigeii  Einführung  in  die 
Buchstabenrechnung  scheint  eine  Anzahl  von  Sätzen,  wenn  nicht  erschwerend, 
BO  zum  mindesten  unnöthig.   Die  Ycreinigungssätze  der  Operationen  erster 


Digitized  by  Google 


609  — 


Stu£B  und  der  allgemeinen  Textauachungssätee  (140  und  142)  wären  leicht  in 
^Bfochexer  Form  zu  geben.  Bei  ien  Operationen  zweiter  Stnfe  findet  sieh  die 

Weisung,  die  Null  mit  besonderer  Vorsicht  zu  behandeln;  In  sser  am  Platze 
schiene  una  die  Erklärung,  dass  die  Hall  als  Verneinung  der  Zahl,  Überhaupt 
keine  Zahl  ist,  daher  mit  denelben  aneb  nicht  trie  mit  Zahlen  gerechnet 
worden  k:inn.  Weiter  lesen  wir:  ,,Die  ErlflRrungcn  der  besonderen  Arithmetik 
für  gniUtes  Muß  und  kleinstes  Vielfaches  sind  für  allgemeine  Zahlen  ungeeignet," 
Diese  Behauptung  ist  viUlig  unrichtig,  die  Erklärungen,  welche  diosbc züglich 
für  die  allircnioinfn  Zahlen  (im  Punkte  106)  gegeben  werden,  halten  für  die 
besonderen  Zahlen  ihre  volle  Giltigkeit;  es  tritt  nur  fur  letztere  ein  besonderes 
Verfahren  der  Auffindung  hinzu,  wodurch  aber  die  Giltigkeit  der  allgemeinen 
Pefinition  keine  Einbuße  erleidet.  Im  übrigen  verbreitet  sich  die  allgemeine 
Arithmetik  über  die  vier  Reehuungsarten  mit  ganzen  und  gebrochenen  allge- 
meinen Zalüen,  das  Anasiehen  der  Quadrat-  und  Kubikwurzel,  die  Pro|)ortionen- 
Lehre,  die  zusammengeseUte  Schlussrechnung,  die  einfache  Zinsrechnung,  die 
ZinseszinsTechnung  und  die  Gleichungen  ersten  Grades  mit  einer  und  mehraxen 
Ünbekannten,  und  bäh  sidi  dabei  im  u .srntlichen  an  das  Hergeliraehtc,  wie 
man  es  in  den  anderen  zugelassenen  österreichischen  Lehrbüchern  Üudet. 

An  Dmekfehlem  haben  wir  nur  swei  bemerkt:  einmal  avf  Seite  86,  wo  TOn 
der  Addition  der  Brüche  mit  verschiedenen  Nennern  t^ehandelt  wird.  7X'\<i;i  die 
Formel  doch  zweimal  denselben  Nenner;  und  auf  Seite  107  bat  die  Antwort 
des  ersten  Beispiel  eine  NvU  zn  wenig. 

Die  rManiiiietrie  nnd  Stereometrie  enthalten  in  gedrängter  Form,  jedoch  mit 
klarem  Vortrage  alles,  was  aus  diesem  (icbiete  in  der  Unterstufe  geboten 
werden  kann;  aas  ist  nach  den  einleiteuden  Begrifl'cn  das  Wiehtigstc  ttber  die 
Lehre  von  Congruenz,  Ähnlichkeit,  Fliiehengleichbeit  und  Fliieheumessung, 
aus  der  .Stereometrie  einiges  über  die  Lage  von  Linien  und  Ebenen  im  Räume, 
sodann  die  Berechnung  der  am  häufigsten  vorkommenden  Körper,  wobei  uns 
besonders  das  etwas  nähere  Eingeben  auf  sphärische  Beziehungen  gefallen  hat, 
und  endlich  die  Erläuterung  der  Kegelschnittlinien. 

Die  Verfasser  haben  sieh  aller  llilfsmittd  bedient,  welrhe  die  neue  Literatur 
bietet,  um  dem  Schüler  die  eehwierigen  Aniangsgründe  der  Geometrie  nach 
ThunUehkeit  aneehanKch  nnd  Ätttidi  zu  madien.  Eb  wird  nbbeld  der  Begriff 
der  Symnictnilen  eiun-efülirt  und  mit  deren  Hilfe  die  BoidlVDp:  /wischen  den 
Gegenstücken  der  Dreiecke  dargelegt.  Zur  Grundlwe  der  einheitlichen  Durch- 
führung der  Ranmbefechnung  vrurm  der  fttts  des  (^yalieri  bointart,  nachdem 
er  in  einfacher  Weise  klargelegt  ist.  Der  Unterricht  in  der  riemtietrio  wird 
ganz  besonders  durch  das  Figurenheft  gefördert,  welches  nahe  an  4()U  Figuren 
Ui  hOehst  gelungener  Anlage  und  Ausführung  enthält.  Wir  tindcn  mehrilMdi 
Fieuren,  welche  den  Grundsatz  der  Beweirliehkeit.  der  auch  im  Texte  ge- 
bUrcnde  Beachtung  findet,  zur  Anschauung  bringen.  Auch  das  Erfassen 
flSchoigleicber  Gestalten  ist  durch  die  Art  der  Darstellung  fördemai  lilfte»- 
stützt.  Die  Figuren  auf  der  Sphäre  müssen  wir  im  V eigleijch  mit  d«Mil  andersr 
Lehrbücher  wahrhaft  mustergiltig  nennen. 

Von  den  Heften  mit  Übungw»toff  ist  je  eines  für  Je  eine  ('lasse  des  Unter- 
gymnasiumB  bestimmt.  Man  sieht  aul'  den  ersten  Blick,  dass  der  ÜhungsstiOff 
ra  reicfalidter  Menge  geboten  ist,  und  wenn  man  femer  beachtet,  eine  wie 
mannigfiüt^  Fassung  ganz  besonders  die  Fragen  (b  r  (itumetrie  erhalten 
haben,  so  mnss  man  diesen  Übungsstofl'  völlig  erschöpfend  nennen,  wenigstens 
in  dem  Sinne,  dass  ein  Bedarf  fHr  mehr  daron  nidit  Toriianden  ist  Die  Anf> 
gaben  sind  in  ihrer  Aufeinanderfolge  vom  Leiehteren  zum  Sehwereren  wol- 
geordnet  und  haben  uns  auch  in  der  Weise  befriedigt,  dass  Gleichartiges  nicht 
nur  nebeneinander  steht,  sondern  in  devtlidi  abgetlimheii  Gruppen  geordnet  ist. 

Dieses  Buch,  welches  den  Instrnetionen  der  UnterrichtsTerwwtung  cntsprirht, 
wird  ohne  Zweifel  seinen  Weg  in  Österreich  machen;  doch  auch  außerhalb 
seiner  Heimat  wäre  dessen  Beachtung  höchst  empfehlenswert.  Die  geringen 
Bedenken,  welche  einige  Stellen  der  allgemeinen  Arithmetik  uns  errpcrten, 
können  melu  verhindoru,  da&s  wir  das(ianze  als  eine  Mustcrleistung  bozciclinen, 
der  nur  wenig  Gleichwertiges  an  die  Seite  gestellt  werden  kann, 

Nioiit  ttberuhen  darf  audi  weiden,  dass  die  Yerlagshandlong  das  mSgliditto 


—   610  — 


pofhan  hat,  um  sowol  den  Text,  als  tjanz  hosonders  die  Fij^urcn  srhön  au8su- 


Brnchrechnniif^.   46  S.  Duodezformat. 
Desselben.  Arithmetisches  QaelUalz.   Wesientaachenfonnat.  Wismar, 


Es  sind  die  vorstehenden  Yerlaffswerke  beinahe  nfleiehlftatend,  und  wahi^ 

Rcheinlifli  nur  der  licquemeren  Hiindhahnnt!;  wpcf'ii  wurden  dicsf?  zweierlei 
Formate  beliebt.  Auf  der  ersten  Seite  steht  des  Verfassers  (jebrauchsanweisung, 
jedem  Schüler  eine  der  im  Bnehe  TOTkommenden  mit  Buchstaben  (Iberschriebenen 
Zahlengruppen  jmzuthoilen,  sodann  erhalten  nllc  penicinschaftlieh  eine  zweite 
Zahlengruppe,  welche  mit  der  ersten  durch  eiuo  der  vier  Griindoperationen 
7,n  verbinden  ist.  Mit  Buchstaben  Uberschrieboni'  Z  ilileupruppeu  linden  «ich 
filnfziL',  man  kann  also  fiinl'ziij  SchnitTii  versehicdene  Aufjfaben  zuweisen ;  ferner 
gibt  CS  je  zwanzig  (truppcn,  welelie  mit  jenen  erster  Art  durch  Addition, 
beziehungsweise  Subtraction,  und  je  30,  welche  mittels  Multiplieation  oder 
Division  zu  verbinden  sind,  wobei  filnfziffmal  dasselbe  Ergebnis  eintritt.  Die 
Verbindung  der  fünfzig  (inippen  erster  Art  mit  den  1  CK)  Gruppen  zweiter  Art 
ciht  in  der  That  5000  versebiedene  Aufgaben.  Es  ist  wnl  kaum  nüthig  hervor- 
zuheben, eine  wie  große  Erleichterung  dem  Lehrer  bei  der  beschwerlichen 
Arbeit  des  Anfgaben-Corrigirens  dareh  diese  Bfnrtchtnng  enHhdiit.  Es  Ifisst 
sich  auch  leif'bt  vermeiden,  dsi-ss  alle  Schüler  da,ssflho  Krijcbnis  erhalten,  da 
dvnh  die  zweite  Gruppe  der  gegebenen  Zahlen  eine  20-  bis  SOfhche  Ab- 
weehslang  geboten  ist. 

Der  Verf:i<sfT  unterliisst  auch  nicht  mitziifheilen ,  auf  welche  .\rt  er  zur 
.\usführung  dieses  gewiss  schoa  längst  empfundenen  Vcilungcns  nach  Ver- 
einfachung der  Oometer  unter  Vermeidung  des  gegenseitigen  Abschreibena 
der  Schtilerarbeiten  gelangte.    E!r  stellt    eine   cranz   allgemeine  Hleithnng 
zwischen  vier  unbestimmten  und  sechs  voriindcrlichon  Zahlen  auf,  woraus  sich 
unter  Hinzufflgung  gewisser  Bedingiinafen  ergibt,  dass  von  den  sechs  ver- 
Snderlichen  zwei  vollständig  abhän^-itr  sind.    Sonach  ist  es  mJ^glich,  nicht  nur 
die  beschränkte  .\n/.alil  der  vom  Verfasser  gebildeten  Beispiele,  sundeni,  wenn 
eben  die  unbestimmten  Werte  verändert  werden,  unzählige  Aufgi^ben  dieser 
Art  zu  bilden.   Wir  niUssen  also  dem  Verfa.sser  danken,  nicht  nur  für  den 
von  ihm  ausgearbeiteten,  sehr  netten  Lehrstoff,  sondern  ganz  besonders  fUr 
die  Wegweisung,  wie  überhaupt  solche  Aufgaben  henostelien  sind.     H.  B. 
J.  Schanze,  Rector,  und  Th.  .Tll;?er,  Lehrer  in  Eschwege,  fb  nngsbficher 
für  Handwerker-  und  Fortbildungsschulen,  in  Heften  vonöO — 75S. 
zu  Bf) — 50  Pf.   Wittenberg,  Herrose. 

Das  erste  Heft,  schon  in  der  Vierten  Auflage  erschienen,  enthält  das 
Eechnen  nebst  dem  Wichtigsten  aus  der  Wechsellehre  und  scheint  uns  ein 
recht  guter  Lehrbebelf  für  Handwerker-  und  Fortbildungsschulen  zu  sein,  da 
es  neben  einer  Reihe  von  Aufgaben  für  Wiederholung  (\r<  I{c(  hnens  in  ganzen 
ZaUen  und  Decimalbrflcben  noch  eine  betrftchüiche  Menge  eingekleideter  Auf« 
gaben  fttr  bürgerliche  Bechnungsarten  enthMt. 

Die  B-Ausgabe  dieses  Heftes  ist  für  liindliche  Fortbililiini^sscliiilen  bestimmt; 
darin  wird  unter  Weglassung  der  Erklärungen  aus  der  Wcchsellebre  der  Lehr- 
stoff von  64  anf  4S  Seiten  znsaiiimengesogen. 

Das  zweite  Heft  führt  die  Überschrift:  Praktische  r.enmctric  und  ist 
schon  in  der  dritten  Auflage  erschienen.  Es  enthält  die  wichtigsten.  Eigen- 
schaften der  Dreiecke,  einige  Auseinaadeisetaangen  über  Congruenz,  Ähnlich- 
keit, Flächen-  und  Inhaltsberechnung  erläutert  durch  IHö  Fhungsaufgaben 
und  endlich  die  an.<4führliche  Behandlung  eines  Kostenanschlages  zu  einem 
kleinen  AN'ubnhause. 

Das  dritte  Heft,  die  c;ewerbliche  Buchführuntr  enthaltend,  hat  es  auch 
schon  zur  zweiten  Auflage  gebracht;  wir  finden  in  demselben  nach  einer 
ziemlich  kurzen  Erwähnung  der  nothwt mlitren  ( reschäftsbflcher  ein  auf  zwei 
Monate  ansgedehntee  und  ausgeführtes  Beispiel  der  einfachen  Bachführung 


Hinstorff.    176  S.  50  Pf. 


—  611  — 


eines  Schlossers  mit  Invtüitur,  Tajithiirli,  l'ai^dbucli,  Meiiiurial-  und  Hauptbuchj 
dann  folgen  noch  Geschiilt^vortalle  für  /.ehu  weitere  Buchunio^Bbeispiele  ver- 
schiedener Handwerker.  Da  der  Berichterstatter  seit  zehn  Jahren  an  einer 
Gewerbeschule  im  Rechnen  und  in  der  Buchföhrnng  unterrichtet,  so  darf  er 
wol  nach  seiner  cic:cnen  Krfahrung  ein  l'rtheil  ülicr  den  vorstehenden  Lehr- 
behelf abgehen,  welches  durchaus  gttnätig  lautet.  Das  Interesse  dieser  Schiller- 
gattung wird  nur  rege  gehalten  durch  ErBTternnsren ,  bei  welchen  sie  einen 
umnitlelljaren  Zu>amitionliaiiij  mit  ihrer  Erwerhsthätifrkeit  seli.  n  Da  aber 
diese  eben  nach  den  Gewerben  verschieden  ist,  su  ist  eine  iurtgesct/te,  mannig- 
faltige Abwechslnng  in  der  Einkleidung  sowol  der  Rechnungs-  als  auch  der 
Buchfilhrungsaufirahen  erforderlich,  welrher  zieralit  Ii  s(  !i\vieriQ:eu  Bedingung 
die  Verfasser  des  Vorliei,'eii(len  vollständig  (teniiije  <j;t  !(  isti  t  haben.      H.  E. 

karl  Jacubi,  Director  der iiandelsschale  iaüüttiugeu,  Leitfaden  der  Handels- 
lehre.  GSttingen,  VaDdenbceck.  141  S.  1.80  H. 

Dieses  Handbuch  erkliirt  zuerst  das  Wesen  des  Hamli  Is,  soJann  die  Tflii  hteu 
der  Uandelspersonen,  Handelsgesellschal teu  und  der  übrigen  beim  Handel  be- 
theiligten Personen.  Es  folgt  dne  Übersicht  nber  Mafle  und  Gewichte,  die 
Natur  von  Geld  und  Credit,  das  WiehtisTSte  d(  s  Wechselrecht  es  und  die  ver- 
schiedenen Arten  von  Wertpapieren.  Voa  den  Einrichtungen  zur  Erleichte- 
rung ded  Handels  werden  die  Waren-Auctionen,  Märkte  und  Börsen,  sodann 
das  Zollwesen,  dl«;  llaudelsverrräu'i,  die  Cunsulate,  Handelskanuiiern  und 
Handelsgerichte,  endlich  die  Transport-  und  Verkehrsmittel  besprochen.  Es 
liegen  diesen  Erörterungen  wesentlich  die  Ge.«etze,  Einrichtungen  und  Ge- 
bräuche des  Deutschen  Kciches  zu  Grunde  und  werden  dieselben  in  einer  völlig 
modernen  Auffa.s.sung  durcbgefilhrt.  Obwol  der  Verfasser  zunächst  nur  seinen 
Schülern  der  Handelsschule  ein  Lehrbuch  bieten  wollte,  ist  es  ihm  doch  ge- 
lungen, vermöge  eines  klaren  und  faasiichen  Vortrages  ein  Werk  zu  schaffen, 
welches  nach  aa6erhalb  der  Schule,  sowol  tarn  SelMtuntecricht  ab  auch  als 
Nachschlagcbuch  recht  gute  Dienste  zu  leisten  Tenoag  Und  daher  der  Be- 
achtung bestens  empfohlen  zu  werden  verdient.  U.  £. 


Neil  «nebieneM  BSeher. 

KtHtl  Kehrbach,  Mittheiluugen  der  CieselUchaiL  für  deutsche  Erziehuugs-  und 
Schnlgeaehlchte.    1.  Jahrgang,  3.  Heft.  Berlin,  Hermaiui  HiUler.   III  S. 

Anton  Vrbka,  Leben  und  Schickaale  des  Johann  Amoe  Comenive.  Znaim, 
Fonrnier  &  Haberler  (Karl  Bomentann).   160  S. 

Kail  1>ornemaiin,  ComeDiu»  ala  Kartograph  seines  Vaterlandes.  Znain, 
Fuuruier  &  Haberler  (Karl  Bornemann).    48  Seiten  and  1  Karte. 

F.  (irniidi^,  Johaun  Amoe  Comenins  nach  seinem  Leben  und  Wirken.  Gotha, 

Thieneinann.    89  S. 

Dr.  Paul  Stötzner,  KatichianiscUe  Schriften  I.    Leipzig,  Richter.    88  S. 
80  Pf. 

Dr.  K.  Marold,  Hartmann  von  Aoe,  Wolfram  von  Eschenbach  ond  Gottfried 
YOD  Straßbnrg.   Stuttgart»  GQechen'sche  Verlagshandlnng.  160  S.  80  Pf. 

Prtf.  0.  Glntter,  Walther  Ton  der  Vogelweide.    Stnttgart,  GQochen'sche 

Verlagshandlung.    152  S.    80  Pf. 
Dr.  Karl  Walcker,  Grundriss  der  Weltgeschichte  und  der  Quellenkunde  für 
Historiker,  Lehrer,  Examinanden  und  andere  Gebildete.    Karlsruhe,  Mack- 
lot'sche  Buchhandlung.    315  S.    10  Mk.    Kann  auch  in  10  Lieferungen 
m  1  Mk.  bezogen  werden. 


Digitized  by  Google 


—   612  — 


Dr.  W.  Ncui'<lth,  Elemente  der  \  ulküu  ii  iiichaftalelire.  2.  Aafl.  (großeutkeUs 
neu  bearbeitet  und  vermelirt).  487  S.  Wien,  lüuu'Mhe  Hofboiehhaiidliiiig; 
LelpdiT»  Jnliu  KUnkbardt 

Franz  Mair,  Deutsches  Lesebach  für  die  allgemeinen  Volksschulen  Österreichs. 
1.  Theil  (  für  die  2.  Classe).  91  S.  Geb.  30  kr.  2.  Theil  (für  die  3.  (  lasse). 
180  S.  Geb.  36  kr.  3.  Theil  (für  die  4.  Classe).  212  S.  Geb.  05  kr. 
4.  Theil  (für  die  5.  Classe).    252  S.    Geb.  65  kr.    Wien,  Karl  Graeser. 

E.  Hähnel  and  R.  Patzig,  Deutsche  Spraclischule  in  concentrisehen  Kreisen 
mit  beaonderer  BerttckelchtigaBif  der  WortbOduifp  md  Wortbedentang. 

I.  Tieft.  3.  Schuljahr.  32  S.  20  Pf.    H.  Heft.  4.  Schuljahr.  48  8.  20  Pf. 

III.  Heft.  5.  Schuljahr.  64  S.  25  Pf.  IV.  Heft.  6.  Schuljahr.  80  S. 
30  Pf.     V.  Heft.    7.  Sclmljalir.    SO  S.   HO  Pf.     VI.  Heft.  8.  Schuyahr. 

80  S.    35  Pf.    Leipzig,  Ferdinand  Hirt  &  Sohn. 

Stucki,  Materialien  für  den  naturgeschichtlichen  Unterricht  in  der  Volks- 
schule. I.  TheU:  Botanik.  2.  amgearbeitete  und  TPermehrte  Anflage.  Bern, 
Sehmid,  Francke  A  Compb   74  S.   90  Ff. 

—  Das  Rechnen  im  Anaehlnas  an  den  Bealnnterricbt   Ebenda.   47  S.  60  Pf. 

Enianael  Meyer,  Aufgaben  fllr  den  Unterricht  in  der  BachfBhning.  Nfini- 

berg,  Korn'sche  Buchhandlung.    20  S.    20  Pf. 

Rector  Bambach,  Der  Postverkehr.    Dortmuinl,  Rulifus. 

Friedrich  (irell,  Geaanglebre  fär  Volks-  und  Bürgerschulen.   2.  AbÜieilang. 

3.  Aufl.    40  Pf. 

—  Lieder  für  die  deutsche  Volksschule.  I.  Heft  füi-  Unterclassen.  2.  Aufl. 
20  Pt  IL  Heft  «Ir  Hitteldaasen.  2.  Anfl.  30  P£  IH  Heft  ftr  Ober- 
dassen.  2.  Anfl.  60  Pt  Mflnehen,  l%eodor  Aekemann. 

D.  C.  Pröst,  Chorgeaangschnle  fttr  den  Gesangunterricht  in  Bürger-  und  Volks- 
schulen.   Heft  I.  25  Pf.    Heft  XL  40  Pf.    Heft  HL  1  Mk.    Kiel  jind 

Leipzig,  LipsiUK  &  Tischler. 

Karl  Kuothe,  Einheitliches  Chorgesangbuch  tür  evangelische  Schulen  in  eln- 
MenVerhaltniBeen.  Ausgabe  A.  60  Pf.,  geb.  70  Pf.  Ausgabe  B.  HeftL 
1.— 4.  Schn^.  40  Pf.  Heft  H.  6.-8.  Schn^jahr.  80  Pf.,  geb.  1  Hk. 
Halle  a.  S.,  Hermann  SchroedeL 

Christian  Heinrich  Hohmann,  Praktische  Violinschule.  Nene  gänzlich  nm« 
gearbeitete  Aust-abe  von  Ernst  Heim.  Heft  I,  II,  III,  IV,  V  je  1  Hk.,  «n- 
sammen  in  einem  Bande  3  Mk.    Köln,  P.  J.  Tonger. 

Jacob  Paulli,  Heligiüse  Betrachtungen,  übersetzt  von  Bai^m.  Verlag 
▼OB  A.  Wohknberg  in  Apenrade.   85  S. 

Chr.  Bamain,  Friedrich  Schiller  als  Mensch  nnd  Dichter,  ein  volktthttmUeh 
dai^tellteB  Lebensbild.  Hambnrg,  Herold.   178  S.   Geb.  1.25  M. 


I 


VenntworU.  B«dMt«mr  Dr.  Friedricb  Dittea.   Bucbdnickerei  Julia*  Klinkhardt,  Leipiig. 


Dlgltlzed  by  Google 


Bemerkungeii  Aber  die  Frohaehammemhe  Philosophie,  ins- 
beseidere  über  ihre  Bedebingen  zur  PSdagogik. 

Vortrag,  gehalten  im  Pftdagogisehen  Vereine  zu  Dresden  Ton 

Am  StegiUai-DrmkH. 

Hochverelute  Versammlung l 

e  allgemeine  nnd  eine  besondere  Bedentang  hat  fUr 
den  Pädagogen  die  Philosophie. 

Wie  Ihnen  bekannt,  ist  Aber  die  specielle  Wichtigkeit,  welche 
dieser  großen  Wissenschaft  für  die  Pädagogik  ankommt,  ond  welche 
Ton  niemand  in  Abrede  gestellt  werden  kann,  neuerdings  wieder  im 
„Pflsdagoginm"  (Juniheft  1891)  eine  klare  nnd  treff«ide  Auseinander- 
Setzung  von  sach-  und  fachkundiger  Seite  erschienen.  —  Unsere  An- 
sicht über  die  doppelte  Bedeutung  der  Philosophie  für  den 
Lehrerbe  ruf  können  wir  kurz  in  folgende  zwei  Sätze  zusammen- 
fassen, die  für  den,  welcher  die  allgemeine  und  die  pädagogische 
Literatur  halbwegs  kennt,  keiner  weiteren  Begründung  beilürfen: 

a)  Auf  (las  Geistesleben  des  deutsclien  Volkes  hat  von  je,  nameut- 
lich  aber  seit  Leibniz,  Lessing  nnd  Kant,  die  Philosophie  einen  mäch- 
tigen Einrtuss  geübt.  Trotz  geL'^Mit  hei  liger  Stn'nnnngen  zeiu^t  auch  in 
der  (Gegenwart  „das  Volk  der  Dichter  und  Denker  '  n(tch  Nt'i;^aing, 
den  P]rscheinangen  der  philosophischen  Literatui*  Beachtung  zu 
schenken. 

b)  Die  Pädagogik  ist  iihiloso{)hischen  Charakters;  ist  doch  ein 
großer  Philosoph  selbst  (Aristoteles)  der  Vater  der  Pädagogik  als 
Wissenschaft!  Ihre  Hilfswissenschaften  Logik,  Psychologie  und  Kthik 
sind  philosophische  Disciplinen.  Daher  befindet  sich  der  Lehrer  mit 
seiner  Beiiifswissenschaft  bereits  auf  dem  Boden  der  Philosophie. 

Der  Lehrer  sei  Bildner  des  Volkes!  Daher  für  ihn  die  all- 
gemeine Bedentang  der  philosophischen  Wissenschaft  Der  Lehrer 
sei  Bildner  des  Volkes!  Daher  f&r  ihn  die  specielle  Wichtigkeit 
der  Philosophie.  Wenn  also  der  Lehrer  nnd  Erzieher  sich  mit  philo* 
sophischen  Dingen  befiust,  so  erfüllt  er  nur  den  Bath  Diesterw^: 
Hache  deinen  Beruf  auch  zum  Mittelpunkte  deiner  Lectttre!*) 

')  „Wegweiser."    5.  AuH.   Bd.  I.  S.  66, 
Paiiagosiom.   14.  Jahxg.  Heft  X.  y 


Digitized  by  Google 


—  614  — 


Nun  entsteht  aber  die  Frage!  Mit  welcher  Philosophie  soll  sich 
der  Lelirer  bescbäftigea? 

Von  Diesterweg  wurden  in  den  „Rlieinischen  Blättern"')  den 
Lehrern  mit  vollem  Rechte  die  Schriften  Schleiermachers  und  Benekes 
znm  Studium  empfohlen;  sie  verdienen  auch  lieute  noch  vollste  Beach- 
tung. Neben  ihnen  und  den  älteren  Philosoplien  dürfen  wir  Fichte 
und  Herbart  nicht  vergessen;  denn  jener  hat  die  Erziehung  und  die 
Erziel) uügswissenschaft  vom  politisch-nationalen,  dieser  vom  rein  wissen- 
schaftlichen (theoretisclien)  Standpunkte  aus  zu  fördern  gesucht  und 
zu  fordern  verstanden.  Unter  den  neueren  Pliilosophen  sind  beson- 
ders Schopenliauer  und  Hart  mann  zur  Berühmtheit  gelangt  Soli  auch 
der  Lehrer  sich  ihnen  zuwenden? 

Schopenhauer,  der  den  Willen  als  Grundprincip  aufstellt,  defi- 
nirt  denselben  so,  dass  aus  ihm  nothwendig  die  pessimistische 
Charak terisiruug  des  Lebens  und  eine  wunderliclie  Ktliik  'i  folgt, 
welche  uns  in  das  Nirwana  der  Buddhisten  führt  und  somit  im  prak- 
tischen Nihilismus  endigt.  Auch  Hart  mann,  der  bewusste  Philosoph 
des  Unbewussten,  ist  Pessimist  wie  Schopenhauer,  ja  er  vertritt  den 
Pessimismus  noch  energischer  als  dieser.*)  Es  leuchtet  aber  ein,  dass 
eine  pessimistische  und  nihilistische  Philosophie  und  Denkungsart  am 
"wenigsten  geeignet  ist,  unserer  Zeit  da,  wo  es  fehlt,  aufzuhelfen. 
Denn  gerade  die  Gegenwart  erfordert  allseitig  thatkräftiges  Streben 
und  verlangt,  wie  Bismarck  einst  gesagt,  die  Bethätigung  „praktischen 
Ghiistenfhimui*.  HImi  aber  ist  der  Pessimismns,  den  dine  Phfloso- 
phen  vertreten,  das  untaoglichste  HO&mitteL  (I<di  spreehe  nur  vom 
ethischen,  nicht  vom  wisBengchaftlichen  Werte  ihrer  Werke.)  Zu  einem 
actionsfthigen  Streben  im  Dienste  des  Oanzen,  wie  solches  nnser 
oberstes  sittliches  Prindp  sein  soU,  beflUiigt  nns  nicht  der  krankhafte 
Pessimismas*),  sondern  lediglidi  der  gesnnde  Idealismus! 

Den  beiden  pessunistischen  Philosophen  stellen  wir  swei  andere 
neuere  Denker  gegenftber,  die  eine  ungleich  höhere  Beachtung  ver^ 
dienen,  weil  sie  dem  Idealismus  Bedeutung  zu  erkennen  und  TJnter- 


-1  Rhein.  Blätter.  1834,  Heft  h  u.  0;  1836,  Heft  1;  1886,  Heft  6;  1886^ 
Heft  5.    Vgl.  auch  „Piedagogiuni",  ^liir/.hift  1SS8. 

•)  Lic.  th.  Dr.  Fricdr.  Kirdiuer:  „Über  daa  Grundprincip  des  Weitproccssea." 
Wt  bet.  Berfiekiichtigung  J.  Mnduunmen.  (Kathen  1889,  P.  Schettler.)  &  870. 
J.  Stern:  »Schweglei«  Gcechichte  d.  PhikMophie.''  (Leipiig,  Ph.  Sedaa.) 

&  49a 

.1.  Frobschammer:  „Über  die  Oiganiiation  und  Cuitur  der  GeeelUcheft" 
(Manchen  1885,  Ackermaao.)  S.  291. 


Digitized  by  Google 


—   615  — 


stfttznng  gewfthren:  Es  sind  dies:  Herrn.  Ulrici  und  mehr  noch 
Dr.  Jacob  Frohschammer,  Professor  der  Philosophie  an  der  k.  üni- 
yersitAt  zn  Mflncben,  ein  Mann,  auf  welchen  ich  Ihre  Blicke  lenken 
möchte  durch  den  folgenden,  allerdings  nur  flüchtig  orientirenden  Vor- 
trag. —  Der  Name  dieses  Mannes  ist  Ihnen  nicht  unbekannt;  denn  ab- 
gesehen davon,  dass  Fr.  durch  eine  Beihe  interessanter  ArtOral  in  den 
letzten  Jahrgingen  des  «Piedagoginm''  der  Lehrerschaft  selbst  nlher- 
getreten  ist,  wurde  sein  Name  schon  früher  öfter  genannt.  Einmal 
spielte  Fr.  in  dem  vor  20  und  mehr  Jahren  geführten  römischen 
Kirchenstreite  infolge  seiner  literarischen  Thätigkeit  eine  wichtige 
Holle,  ebenso  bedeutsam  wie  diejenige  des  Stiftspropstes  Ign.  y. 
Döllinger;  zum  andern  stellte  sich  Fr.  in  dem  nunmehr  beendeten 
„Calturkampfe"  mannhaft  und  entschieden  auf  die  Seite  des  deutschen 
Reiches,  wie  seine  hierauf  bezüglichen  Schriften  beweisen/)  Über 
diese  seine  Wirksamkeit,  welche  in  mehrfacher  Hinsicht  an  diejenige 
Luthers  erinnert,  linden  Sic  näheren  Aufschluss  in  bekannten  Werken'), 
weshalb  ich  dieselbe  im  weiteren  unberührt  lasse.  —  In  den  letzten 
Jahrzehnten  hat  Frohschammer  ein  philosopliisches  Original- 
sy Stern  aufgestellt,  auf  welches,  wie  es  sclieint,  erst  verhältnismäßig 
wenige  aufmerksam  geworden  sind,  obsdion  einige  gewichtige  Stimmen 
auf  dasselbe  empfehlend  hinj^e wiesen  liaben.'i 

Fr.  ist,  wie  schon  an^'-rileufet,  einer  der  hervorragenden  und 
hoftenilich  erfolgreichen  Vertreter  derjenigen  Richtung:  in  der  Philo- 
sophie, welche  eine  Vereinigung  und  Versöhnung  des  Realismus  mit 
dem  Idealismus  anstrebt.  Die  Philosophie  in  allen  ihren  Ver- 
zweigungen hat  nach  Fr.  hauptsächlich  den  Zweck,  die  „ideale  Wahr- 
heit**  zu  suchen,  während  die  übrigen  Wissenschaften,  z.  B.  Natur- 
wissenschaft, Geographie  u.  s,  w.,  es  mit  der  reinen  Wirklichkeit,  mit 
der  „realen  Wahrheit"  zu  tliun  haben.  Fr.  geht  daher  auch  in  seinen 
Untersuchungen  meist  von  der  Wirklichkeit,  von  der  realen  Wahr- 
heit aus,  aber  er  prOft,  ob  diese  Wahrheit  auch  der  Idee  entspreche. 
Über  die  Aufgabe,  welche  er  der  Philosophie  im  allgemeinen  und  ins- 

*)  »über  die  xdigkiMii  nmd  kiidi«npolitiMh«ii  Fngea  der  Oeg«iwart*  „1^0 
walire  Bedeutung  dos  Culturkampfes."   Elberfeld  1875,  1H7«^  ]>.  Ed.  LolL 

')  Jroyers  Convere.-Lex.  3.  Aufl.  Bd,  VU  (1876),  S.  2ö4.  Brockheua*  Conv.-Lez. 

13.  Aufl.  Bd.  VH  (1884),  S.  371. 

*)  Kirchner:    „Über  das  Grundpriacip  etc.-    Kothen  :;clietiler,  — 

Dr.  E.  Beioh:  „BetnM!btiaiig«B  Uber  die  PUloeophie  FrobscbaiDraeiB.''  Oxolenlvun 
u.  Leipzig  1884,  Baumert  Bonge.  —  „Pssdag^^nm"  YII,  8.  72  fg.,  Vni,  S.  68, 
S.  261  fg.iXn,B.iUs. 

48* 

Digitized  by  Google 


—  616  — 


besondere  seiner  Philosophie  stellt^  sagt  er  selbst:  «Es  wird  wol  als 
selbstverständlich  betraclittt  werden  dürfen,  dass  auch  das  Gebiet 
des  Idealen,  dass  auch  die  höheren  Ziele,  Güter  und  Weisen  des 
Daseins  fiir  die  erkennende  Kraft  des  Menschen  feistes  Gegenstand 
unablässiger  Prüfung  und  Forschung  seien.  Da  die  Menschen  wie  die 
Völker  ohne  dieses  Ideal  doch  nicht  leben  und  wirken  können  .  .  .,  so 
hieße  es  nichts  anderes,  als  gerade  den  höheren,  besseren  Tlieil  des 
menschlichen  Daseins  dem  Zufall  und  der  Willkür,  der  Unwissenheit, 
dem  Wahn,  Tru{?  und  Aberglauben  überlassen  und  schutzlos  preis- 
geben, wollte  man  der  menschlichen  Erkenntniskraft  und  wissenschaft- 
lichen Forschunp:  es  versagen,  auch  in  diesem  Gebiete  unablässig  thätig 
zu  sein."")  Wie  der  pragmatische  Geschichtschreiber,  so  soll  auch 
der  Philosoph  sein,  nämlich  stets  „die  reale  Thatsache  am  idealen 
Maßstabe  messend  und  beurtlieilend." Da  die  Ideale  für  das  Geistes- 
leben der  Menschen  ilberliaupt  und  demnach  auch  für  die  Pädagogik 
von  giüßt-r  liagNveite  sind,  so  muss  auch  die  Wissenschaft  des 
Idealen  für  jeden,  namentlich  für  den  Pädagogen  von  Wichtigkeit 
und  Interesse  sein! 

Aber  nicht  nur  ,.ldeahvissenschaft''  ist  die  Frohschamniersche 
Philosophie,  sondern  auch  Erklärung  des  Weltvorgan<:^es  aus  einem 
einheitlichen  Princip,  also  System.  Als  „Urundprincip  des  Welt- 
processes"  stellt  Fr.  „die  Phantasie"  auf,  das  Wort  im  weiteren  als 
dem  gewöhnlichen  Sinne  gedacht  —  Wenn  wir  „Phantasie"  mit  »Ein- 
faUduugskraft'*  llbersetien,  so  sprecbeE  "wir  es  aus,  dass  sie  ttberhaopt 
eine  Büdungskraft  ist  Als  solche  macht  sie  sich  auch  reichlich  im 
Leben  der  Renschen  geltend,  wo  wir  sie  als  „subjective  Phanta- 
sie" bezeichnen.  Die  »subjeetiTe  Phantasie''  beheirscht  das  Kindesalter; 
sie  tritt  bei  der  Entwickelung  des  kindlichen  Geistes  deutlich  hervor, 
bis  endlich  der  Verstand  die  Oberhand  gewinnt  —  Wenn  der  Knabe 
als  Bdter  erscheint,  das  Mftdchen  mit  der  Puppe  spielt«  so  hat  ihnen 
den  Plan  dazu  ihre  «subJectiTe  Phantasie"  eingegeben;  ohne  Einbil- 
dungskraft wflrden  ale  gar  kein  Gefidlen  an  solchem  Thun  finden. 
Wenn  wir  irgend  ein  Gut,  einen  Genuss,  ein  Ziel  erstreben,  so  ist 
unsere  Einbildungskraft  die  Urheberin  dieses  Strebens;  sie  malt  uns 
die  (zukünftigen)  Güter  und  Genüsse  in  rosigen  Farben.  Jedes  Ge- 
schäitsuntemehmen  ezistirt,  ehe  es  ausgeführt  wird,  bereits  in  der 

„Die  PhiloMphie  ah  Idealwissenschaft  u.  Sjatem.**  Mfliuhen  1884,  A.  Acker- 

inaun.  S.  67. 

»)  Ebd.  S.  24. 


Digitized  by  Google 


—  617  — 


„sabjectLTen  Phantasie"  der  UnterDehmer;  wenn  der  Kuabe  die  Schule 
bezieht,  so  erblicken  ihn  die  sorgenden  Eltern  schon  als  das,  was  er 
werden  soll;  wenn  ein  anderer  Knabe  zum  Meister  in  die  Lehre 
koiTimt.  80  malt  ihm  seine  Phantasie  schon  das  Bild,  wie  er  selbst  als 
Meister  schalten  und  walten  wird.  So  sehen  wir,  dass  alle  Zwecke, 
alle  Ziele  (Ideale)  menschlichen  Handelns  von  der  Phantasie  ein- 
gegeben und  bestimmt  werden.  Der  Verstand,  die  Urtheilskraft, 
hat  sodann  zu  bemessen,  ob  die  von  der  Phantasie  an^e.^tellten  Ziele 
erreichbar  sind  oder  nicht.  Sind  sie  unerreichbar,  so  .sprechen  wir 
von  Luftschlössern,  von  fixen  Ideen,  von  Illusionen"),  durch  welche 
gleich wol  viele  Menschen  beherrscht  werden.  Der  Wille  endlich, 
den  Schopenhauer  als  Urundiirincip  autt'asst,  ist  beim  Menschen  eine 
secundäre  Erscheinung;  denn  erst  wenn  die  Phantasie  ein  Ziel  auf- 
gestellt und  der  Verstand  beuitheilt  hat,  ob  es  erreichbar  sei,  erst 
dann  entsteht  der  Wille,  der  das  Ziel  erstrebt,  bezw.  davon  abliast 
(Yemeinung).  Erst  ein  Ziel,  dann  ein  Willet  —  Wir  mflssen  dem- 
nach die  «satgectiTO  Phantasie"  die  prodnctiye  Grundkraft  im  Menschen 
nennen. 

Als  diese  erweist  sie  sich  wie  im  Leben  flberhanpt,  so  yorzngs- 
weise  in  der  Kunst**)  Die  Phantasie  ist  es,  von  welcher  alle 
Meister  aller  Eflnste  den  Antrieb  nun  Schaffen  und  Gestalten  em- 
pfangen, durch  welche  sie  ihre  Werke  gleichsam  schöpferisch  henror- 
bringea 

Die  größte  Eflnstlerin  ist  die  Natur.  Sie  erzeugt  unerschöpflich 
neues  und  —  was  hier  betont  sein  möge  —  vielgestaltiges  Leben. 
Betrachten  wir  die  Bäume  des  Waldes,  wir  werden  nicht  zwei  gewahren, 

die  einander  nach  Form  und  Größe  völlig  gleichen;  beschauen  wir  die 
Wolkenbildang  am  Himmel,  sie  ist  jeden  Tag  eine  andere;  bewundem 
wir  die  Felson  des  Gebirges,  —  wir  finden  die  verschiedensten  Größen- 
und  Formenverh&ltnisse,  weshalb  wir  ja  von  „phantastischen"  Fels- 
bildungen sprechen;  mustern  wir  die  tausend  Menschen  einer  Ver- 
sammlung, —  nie  wird  trotz  der  oft  täuschenden  Ähnlichkeit  ein 
Gesicht  dem  andern  völlig  gleich  sein.  Über  die  Mannigfaltigkeit  in 
der  Fülle  der  Erscheinungen  schrieb  vor  fast  120  Jahren  Lavater  in 
seinen  „Fhysiognomischeu  Fragmenten"  also^^):  „Es  ist  keine  Eose 

u)  8.  FfohMhammer:  .Über  d.  Orguiiaat  v.  Cultor  etc.«  8.  278  tg. 

S.  Fruhschammcr:  „Die  Phantasie  «Is  Ortuidpxilicip  d«S  Wel^nOMMS.* 

München  1877,  Th.  Ackermann.   S.  31—36. 

")  Wintcrthur  1775,  1.  Versuch,  S.  45.  —  Yor?l.  Kehr  u.  Kriebitzsch:  „Lese- 
baoh  t  deutsche  Lehierbildungsaastalteo."   Bd.  lY,  2.  Aud.    (Gotha  1877.)  S.  223. 


Digitized  by  Google 


—  618  — 


einer  Rose,  kein  Ei  einem  Ei,  kein  Aal  einem  Aal,  kein  Löwe  einem 
Löwen,  kein  Adler  einem  Adler,  kein  Mensch  einem  andern  Menseben 
ToUkommen  fthnlich  .  .  .  Bei  alter  Analogie  mid  Oleichfönnigkeit  der 
unzähligen  menschliehen  Gestalten  kOnnen  nicht  zwo  gefondem  werden, 
die,  nebeneinaiidergestellt  und  genau  veis^cheD,  nicht  merkhor  yei> 
schieden  wfiim''  Hfttte  ein  EQnstler  an  all  dem,  was  geschaffen 
ist,  doi  Plan,  die  Skizse  entwerfen  sollen,  wie  ein  Baumeister  den 
Grundriss  zu  einem  neuen  Gehäude  entwirft,  —  der  KQnstler  hfttte 
mttssen  eine  immense  Phantasie  au  eigen  haben.  Die  Natur 
besitzt  diese  unermessliche  Phantasie,  welche  wir  als  »objective 
Phantasie"  beoeicbnen  im  Gegensatze  zu  der  begrenzten  nsubjectiven 
Phantasie**  des  Menschen. 

Diese  „objective  Phantasie"  ist  das  in  der  Natur  waltende 
staltungs-  und  Organisationsprincip;  sie  ist  die  Quelle  aller  Gesetz- 
mäßigkeit und  Einheit  bei  aller  Verschiedenheit  in  der  Organi- 
sation im  einzelnen.  Ein  solches  Princip  muss  wol  in  der  Natur 
gelten,  obgleich  wir  es  nicht  zu  entdecken  vermögen.  Bei  der  Zer- 
legung einer  Uhr,  die  der  Techniker  durch  Kunst  hervorgebracht  hat, 
finden  wir  auch  keine  treibende  Kraft,  kein  teleologisches  Princip, 
welches  darin  waltet;  und  dennoch  liegt  der  Uhr  ein  Princip  zu 
Grunde.")  So  mag  auch  der  Natur,  „der  großen  Weltcnuhr", 
wie  sie  Schiller  nennt,  ein  Princip  innewohnen,  welches  unser  Philo- 
soph eben  als  „objective  Phantasie"  charakterisirt.  Die  ,,ol)jective 
Phantasie"  wird  von  ihm  nur  als  solch  immanentes  Princip  aufge- 
fasst  und  dargestellt,  nicht  als  Princip  oder  Macht  über  oder  hinter 
der  Welt,  also  nicht  etwa  als  absolutes  Wesen.''")  In  welchem  Ver- 
hältnisse dieses  der  AN'elt  innewohnende  Form  princip  zu  der  über  der 
Welt  thronenden  Gottheit  stehe,  das  hat  Fr.  letzthin  in  einem  beson- 
deren Werke  „über  das  große  Geheiuinis  des  Daseins"  genauer  unter- 
snclit,  einem  \\'erke,  welches  in  daü  Gebiet  der  Metaphysik  und  ratio- 
nalen Theologie  gehört 

Eine  anfinerksame  Betrachtung  der  menschlichen  und  der 
kosmischen  Natur,  ein  verweilender  BUek  anf  den  Bdchthum  und 
die  Yielgestaltigkeit  der  Welterschehrangen  macht  die  Bichtigkeit  der 
AuÜBteilungen  des  Mfindmer  Philosophen  sehr  wahrscheinlich,  und  wir 
dürfen  auf  sein  System  vielleicht  das  Wort  des  geistreichen  MpfiA 

**)  S.  „Phantasie  als  Grundprincip  des  Weltproccsses",   S.  176  fg. 

„Phantasie  als  Grundprincip  etc."   S.  V,  S.  17. 
**)  „Über  das  uiystexiim  magnum  deaDaseha."  Leipzig  1891,  F.  A.  Brookhana. 
Vgl  „Pfedagogium"  Xni,  8.  660. 


Digitized  by  Google 


—  619 


anwenden:  „Niemals  waren  Natur  und  Philosophie  sich  entgegen: 
Nunquam  aliud  natura,  aliud  sapientia  dicit''.'^ 

Nach  diesen  knappen  Andeutungen  über  das  neue  System  im 
allgemeinen  wenden  wir  uns  zu  eini^^en  Punkten,  durch  welche  das- 
selbe von  Wert  und  Bedeutung  für  die  Pädagogik  ist.  —  Die 
Frohschammersche  Philosophie  erscheint  als  eine  Bereicherung  unserer 
Bemfswissenschaft  zunächst  durch  ihre  Psychologie. 

Frohachammer  betrachtet  die  Menscheneeele  als  einen  Orga- 
nismusi  wie  der  Leib  ein  Orgamamus  iat  Wie  der  „physische 
Organismiis^diirdiSelbstthätigkeit  zur  Selbatatändigkeit  gelangt 
und  dififle  alsdann  behauptet,  „in  solcher  Weise  mag  es  sich  auch  mit 
dem  psychischen  Qrganismna  verhalten**. Und  unser  Philosoph 
führt  diese  Parallele  oonseqoent  nnd  erfolgreich  durch,  womit  er 
zugleich  viele  frachtbare  Anregungen  fllr  die  Pädagogik  gewinnt,  nnd 
darbietet'*).  Denn  es  lenditet  ein,  dass  sich  ans  dieser  Anflhssnng 
der  Seele  ganz  andere  pädagogische  Maßnahmen  ergeben,  als  ans  der 
Annahme,  dass  die  Seele  ein  Hechanismns  oder  eine  tabula  rasa  oder 
sonst  etwas  seL  Freilich  muss  zugegeben  werden,  was  man  oft  be- 
hauptet, dass  sich  in  der  empirischen  Psychologie,  von  welcher  der 
Erziehungskunst  die  meisten  Fingerzeige  kommen,  sehr  vieles  er- 
mitteln und  feststellen  lässt  auch  ohne  jede  metaphysische  Grund- 
ansicht über  das  Wesen  der  Seele.  Trotz  dieses  Zugeständnisses  ist  es 
aber  sicher,  dass  eine  solche  speculative  Ansicht  zur  Vertiefung  der 
psychologischen  Forschung  dienen  muss,  zumal  wenn  diese  Ansicht 
so  von  der  Wahrscheinlichkeit  gestützt  wird,  wie  bei  der  in  Rede 
stehenden  es  der  Fall  ist.  Zudem  bewegen  sich  die  psychologischen 
Untersuchungen  unseres  Philosophen  keineswegs  blus  in  metaphysischer 
Sphäre,  sondern  sie  sind  zum  guten  Theil  Erfahrungsseelenlehre 
wie  diejenige  Benekes  und  fußen  auf  dem  Boden  der  modernen  Natur- 
wissenschaft. Wer  sich  davon  überzeugen  \vill,  der  lese  besonders 
das  3.  Buch  des  Werkes  über  „die  Phantasie  als  (irundprincip  des 
AVeltprocesses".  —  Bis  jetzt  fehlt  allerdings  noch  eine  genaue  An- 
w^endung  der  Frohschammerschen  Psychologie  auf  die  Pädagogik 
als  „Kunstlehre",  eine  Scluift,  welche  die  (vorhin  erwähnten)  päda- 

»')  „über  die  Ehe."   Leipzig,  Ph.  Eeclam.   S.  20. 
*')  „Über  die  Orc^anisntion  und  Ctiltur  etc,"    S.  329. 

„Die  i'bautasie  ala  Grundpriucip  etc."    S.  398  ff.    MPsdAgogiom"  1886 
(Aprilbeft),  S.  409  ff. 


Digitized  by  Google 


—  620  — 

go^sclien  Conseqnenzen  zieht;  es  mangelt  noch  —  kurz  gesagt  — 
an  der  Bearbeitung  einer  sog.  ^pädagogischen  Psychologie",  wie  sie 
Dörjiteld  im  Herbartschen  und  Dr.  Bartels  im  Lotze'schen  Sinne  unter- 
nommen hat.-'^)  Für  philosophisch  p-escluilte  Pädagogen  ist  hier  ein 
reiches  Feld  literarischer  Thätigkeit  otien,  und  es  ist  die  Kloi>stock- 
Mahnung  am  Platze:  Noch  viel  Verdienst  ist  übrig.  Aul',  hab' 
es  nur! 

Auch  die  Logik  erhält  und  erfähi  t  durch  die  Frohschamracrsche 
Philosophie  eine  Stütze  und  BereicheruTig,  wie  umgekehrt  die  von  der 
Logik  bisher  schon  festgehaltenen  Lehi-eu  füi*  die  lüchligkeit  der 
Aulia^>ung  des  Philosoi)hen  sprechen.  — 

Im  Erkenn tnisprocess  des  menschlichen  Geistes  spielt  die  „sub- 
jective  Phantasie*'  eine  ausschlaggebende  Rolle.'')  Ich  brauche  nur 
an  Bekanntes  zu  erinnern:  Schon  der  Wortbedeutung  nach  ist  die 
Einbildungskraft  das  innere  Bildungsvermögen  der  Seele,  ihre  schöpfe- 
rische Energie,  ihre  Productivität. --)  Demnach  ist  diese  Kraft  bei 
allem  Bilden,  das  in  der  Seele  stattfindet,  im  Spiele,  bei  dem  Bilden 
von  Begriffen,  Urtbeüen,  Schlüssen,  bei  Gedächtnisacten  n.  8.  t  Die 
Phantasie  ist  schöpferisch  bildend,  jedoch  nur  in  formaler  Hinsicht.**) 
Die  Logik  nun  Ist  die  Lehre  Ton  den  Formen  des  Denkens.*^ 
Somit  erhellt  von  selbst  die  Wichtigkeit  der  „subjectiven  Phantasie** 
für  die  menschliche  Erkenntnis  nnd  fUr  die  Erkenntniswissenschaft 
Ja,  man  kann  sagen:  Ein  Henschf  der  keine  Phantasie  besüBe,  ▼Qrde 
aneh  nicht  denken  kSnnen.  Ein  Mensch  aber,  bei  dem  die  Fhantade 
ttbeiiriegt,  wird  meist  —  wie  wir  sagen  —  unlogisch  denken.  Daher 
richtet  anf  eine  rechte  Pflege  der  Phantasie  auch  die  Erzielinng  ihr 
Augenmerk;  ich  weise  hierbei  nnr  hin  anf  die  Pädagogik  FrObels! 

Wenden  wir  uns  zu  Frohscbammers  Ethik!  — 

Man  hat  oft  gemeint,  die  Pädagogik  sei  keine  wahre  Wissen- 
schaft; denn  sie  entbehre  der  sicheren  ethischen  (wie  psychologischen) 
Basis;  als  Ziel  der  Erziehung  sei  bald  dies,  bald  jenes  hingestellt 
worden.  Noch  auf  der  jüngsten  „Allg.  Deutschen  Lehrerversammlung** 


-■^'^  ..Beiträge  zur  pädagogischcQ  IXvchologie"  von  F.  W.  Pirriifold.  Ciitcr.sloh. 
Bertclsmanu.  „Pädag.  Psychologie  nach  üeriu.  Lotze  in  ihrer  Anwendung  u.  b.  w.** 
TOS  Dr.  Fr.  Bartflb.  Jena  1890. 

„Phantasie  ak  Gnmdpiilioip  etc.'*  S.  79  IL 
^  T)T.  F.  Dütes:  Lehrbudi  der  Psychologie  n.  Logik.  (Oeaammtaiugftbe.) 
Wien  1874.    §  25.  S.  130. 
Dittea,  ebd.  S.  132. 
«*)  Ebd.  S.  171. 


Digitized  by  Google 


—  621  — 


zu  Mannheim  an  Pfinc^sten  1891  hat  Herr  Kreisschulrath  Dr.  Weygoldt 
in  seinem  Vortrage-")  die  Fragen  gestellt:  „Auf  welche  Ethik  soll 
sich  denn  die  Pädagogik  stützen?  Auf  welche  von  den  verschiedenen 
Ethiken?  Auf  die  philosophische  oder  theologische?"  M.  H.  Diese 
Fragen  sind  für  uns  —  keine  Fragen!  Als  christliche  Lehrer,  und 
Erzieher  halten  wir  es  mit  der  Ansicht,  welche  Dr.  Dittes  am  Schlüsse 
seiner  gründlichen  Kritik  der  Ethik  Hcrl>arts  ausspricht,  indem  er 
sagt"):  „Als  Leitsteni  des  Lebens  und  als  Richtschnur  der  Pädagogik 
kann  sie  (die  Ethik  Herbartvs)  nach  meiner  Überzeugung  nicht  dienen. 
Wo  man  nach  solcher  Leuchte  oder  Kegel  ausblickt,  da  wende  man 
Bich  an  die  Sittenlehre  dessen,  von  dem  gesagt  ist:  Er  predigte  ge- 
waltig und  nicht  wie  die  Scbnftgelehrteu/  Diese  Sittenlehre  Jesu 
ist  es,  welche  nnser  Philosoph  andi  als  die  seinige  prociamirt,  weil 
er  in  ihr  die  wahre  „praktische  Philosophie*  erkennt  —  Die  Ideale, 
welche  die  Sittlichkeit  bedingen,  werden  tob  der  „subjectiyoi  Phan- 
tasie" der  Menschen  heryorgebracht  nnd  yon  der  Vemmift  erkannt 
mid  gelftntert").  In  ihrer  ganzen  GrOBe,  Dentlichkeit  nnd  Beinheit 
sind  nns  die  (sittlichen)  Ideale  aufgezeigt^  „geoifenbart^  in  der  Ldire 
Jesu.  Das  Ldbea  des  Hemi  mit  seiner  Gottinnigk^t  ist  die  yoU- 
kommenste  BeaUsJrmig  des  Sittlich-Idealen  („in  ihm  wohnte  die  Ffllle 
der  Gottheit  leibhaftig^)  nnd  daher  ein  „höchstes,  ewig  wahres  Yor- 
bild^")  Das  Wichtigste  für  die  christliche  Gemeinde  ist  es  nnd 
bleibt  es  darum,  dass  Jesu  Lehre  tren  yerkflndet  und  „die  Belebung 
seines  Gteistes  durch  klare  Darstellung  seines  religiösen  und  ethischen 
Wirkens  und  Lebens"  -")  angestrebt  werde.  Den  Mittelpunkt  seiner 
Lehre  bilden  die  Gebote  der  Gottes-  und  der  Nächstenliebe,  welche 
als  der  eigentliche  Kern  des  Christenthums  Christi  anzusehen  sind.**) 
„Das  Christenthum  Christi!"  Dies  ist  eine  Bezeichnung,  welche  sich 
oft  in  den  Werken  Frohsclianmiers  vorfindet;  er  ist  auch  —  wenn  ich 
recht  unterrichtet  bin  —  nächst  Lesaiug  deijeoige  deutsche  Denker, 

*")  ,4)ie  Pädagogik  als  Eungtlehre."  AIlgem.DeaticlieIie]iX8BBeitii]ig.  (Leipzig, 
KUnUundtlSai,  Nr.22,a216.  — Vgl  dam:  „P»dagoginm**XIV,  S.111.  (Nor.  1891} 

IL  „Paed."  VII,  S.  1  «.    „Über  Pädai,'ogik  als  Wissenachaft'*! 

")  „Pädagogium'*  VII,  S.  fioi.  (Juiiiheft  18S5.) 

")  Frohschammer:  „tjber  die  Urganisution  und  Cultur'',  S.  283.  —  „Über  die 
QenesU  der  Menschheit  und  deren  geistige  Entwickeluag  in  Religion,  Sittlichkeit 
«.  Spcaebe."  (Uflnoh.  1883)»  m.  ThdL  —  »«Phantasie ala  Gnuidprindp  etc*<  ai47— 167. 

*")  Frohschammer:  „Du  neue  Wiiaeii  und  der  nrae  Olanhe."  (Leijpeig  1873^ 

Brockhaus.)  S.  188. 
«»)  Ebd.  S.  186. 

S.  „Pajdagogium"  XUI,  S.  ööy,  5(3Ü. 


Digitized  by  Google 


—  622  — 


welcher  diesen  Begriff  ganz  besonders  präcisirt  und  in  der  phÜoso* 
phischen  Literatur  zur  Geltung  gebracht  hat  Hat  er  doch  eigens 
eine  Schrift,  die  xwar  noch  polemisdier  Art  Ist,  unter  diesem  Titel 
geechiieben*^)  und  einem  Theüe  eines  andern  Werkes*^  diese 
Überschrift  gegeben:  »Das  Christenthom  Christi**!  Des  Philosophen 
Urtheil  ttber  diesen  Punkt  geht  dahin:  „Das  Ghristenthum  Christi 
scheint  nns  die  'wahre  Wiederbelebong  und  Emeaomng  des  rdigifleen 
Olaubens  za  gewähren,  und  es  wieder  in  dem  Bewosstsein,  in  dem 
Gkaben  des  Volkes  hersusteUen,  eine  der  großen  Aufgaben  der  Zeit 
zu  sein,  ebenso  wichtig  fllr  das  religiöse  Leben,  wie  fitar  Staat,  Wissen^ 
Schaft  und  sociale  Ordnung**.*^  Das  „Christenthom  Christi**  ist  die 
wahre  Ethik,  welche  ebenso  wissenschaftlich  wie  volksthamlieh  ist"*) 
In  dieser  Ethik  haben  wir  auch  die  wahre  wissenschaftliche  Grund- 
lage der  Pädagogik  —  neben  der  psychologischen  —  zu  erblidran; 
wir  brauchen  nach  keinem  andern  ethischen  Fundamente  der  Erziehongs- 
Eunst  und  -Lehre  zn  suchen  und  dürfen  sagen:  Einen  andern  Grund 
kann  hier  niemand  legen  aufier  dem,  der  gelegt  ist  durch  Christum 
Jesum! 

Die  Sittlichkeit,  sagt  Fr.,  ist  bei  der  Erziehung  als  Aufgabe  des 
Menschendaseins  geltend  zu  machen.^*)  Wenn  nun  die  Menschen 
die  Gebote  der  Sittlichkeit,  die  Jesus  gegeben,  thatsächlich 
erfüllen  werden,  dann  werden  sie  auch  zur  Glückseligkeit  gelangen, 
sowül  die  einzelnen  als  die  Gesammtheit.  Als  höchstes  Princip  der 
Eraiehung  glaubte  unser  Denker  daher  die  Glückseligkeit  hinstellen 
zu  sollen,  allerdings  ,.so,  dass  darin  alle  anderen  Ziele  und  Princijjien 
der  Erziehung  eingeschlossen  erscheinen  als  Mittel  oder  Nebenzwecke"/") 
Das  Streben,  die  Idee  der  Divini  tat  oder  wenigstens  die  der  Huma- 
nität zu  verwirklichen;  die  Entfaltung  aller  Anlagen  und  Kräfte 
des  Menschen  u.  s.  f.  —  alles  soll  dazu  dienen,  „die  Glückselig- 
keit oder  wahre  irdische  Beglückung"*")  zu  fördern.  Das  Wort 
„Glttckseligkeit"  will  „allerdings  richtig  verstanden,  in  höherem,  idea- 
lem Sinne"  aufgefasst  sein,  wie  Fr.  selbst  henrorbebt.**)  Ein  rich- 

^)  „Das  Cbruteuthuju  Christi  etc."   Elb  erleid  1876,  £d.  Lolis  Verlag. 

„WiflMii  nnd  Glaube.*'  Leipzig  1878,  F.  A.  BrocUiai».  IV.  Thefl. 

")  Ebd.  S.  201. 

•*)  Ebd.  S.  187. 

•*)  „Über  die  Organisation  und  Cultur  etc."  S.  365.  —  Vergl.  hierzu:  „Das 
Cthriatenthum  Christi  und  die  Beligion  der  Liebe."  Ein  Votum  etc.  von  Th.  Schultze, 
OberpiisidMlTatli  a.  D.  Leipog  1891,  Wilh.  fricdiidi.  ^  S.  ferner:  „Fesd."  XIV, 
8.  12  fg.  (Oet.  1891):  Ton  Frohschammer  anaflUirlich  begrttndete  Gedanken  nnd 
Ansichten! 

^)  „Organisation  und  Cultur  etc.'*  373. 


Digitized  by  Google 


—  623  — 


tiges  Verständnis  dieses  Begriffes  finden  wir  ja  bekanntlich  nicht 
einmal  bei  Schopenhauer.  Zur  Gewinnung  dieses  richtigen  Verständ- 
nisses wird  jedem  des  Philosophen  eigene  Darstellung  am  besten 
dienen  können;  deshalb  und  vor  allem  der  hier  gebotenen  £Urze 
wegen  sei  auf  dieselbe  angelegentlichst  hingewiesen 

Aber  nicht  nur  mit  dem  Ziel  der  Erziehung  befassen  sich  die 
Schriften  des  Münchener  Philosophen,  sondern  auch  mit  dem  Ver- 
fahren derselben,  mit  ihrer  Methode.  —  Fr.  hat  es  unternommen, 
zu  zeigen,  „in  welcher  Weise  die  Phantasie  als  Grundprincip  des 
Wdtproeesses  sich  auch  auf  dem  praktischen  Gebiete**  bewähre. 
Dieser  Veranch  ist  ausgeführt  in  dem  hoehinteressaiiteii  Werke  M^ber 
die  Organisation  and  Cnltor  der  menschlichen  GfeBeUsehaft",  welches 
aach  beaeichnet  wird  als  »philosophische  Untersnehongen  ttber  Becht 
nnd  Staat,  sociales  Leben  nnd  Eniehnng^  nnd  in  welchem  ^^11«^^- 
halben  die  idealen  Momente**  der  menschlichen  Thfttigkeit  hervor- 
gehoben werden^.  Dieses  dritte  Haaptwerk  der  Frohschammerschen 
Philosophie  mnss  aia  eine  groBe  Bereicherang  der  Literator  der 
Pftdagogik  angesehen  werden,  als  welche  es  freilich  noch  in  sehr  ge- 
ringem Grade  bekannt  geworden  an  sein  scfaehit.  Das  dritte  Bndi 
der  Schrift  handelt  allein  von  der  Erziehang,  nnd  zwar  „Aber 
den  Gegenstand  derselben**,  die  menschliche  Natur  in  leiblicher  und 
geistiger  Beziehung,  sowie  „über  das  Princip  der  Erziehung".  Es  er* 
örtert  also  im  ümriss  die  anthropologischen  und  ethischen  Grundlagen 
der  Pädagogik  und  gibt  somit  eine  ^pädagogische  Fundamental- 
lehre" (a).  Auf  diese  folgt  sodann  die  Methodenlehie,  die  eigene 
liehe  Erzieh ungslebre  (b),  welche  handelt  „von  der  Methode'*  und 
„von  den  Organen  der  Erziehung*",  sowie  von  der  Schul-  und  Er- 
ziehungsorganisation. Diese  Erziehungslehre  bezweckt,  AVinke  zu 
ertheilen  für  eine  „richtige  Einwirkung  der  mündigen  Generation  auf 
die  noch  unmündige,  um  diese  in  allen  (iebieten  des  socialen  Lebens 
und  Berufes  daiiir  bereit  und  tüchtig  zu  uiacheu Und  man  wird 

»)  „OiguiiMtioii  «.  Ciilt«v  etc.**  m.  Bich,  8.  Capitd,  &  847^76.  7eigL 

dazu:  „Pfedag."  Vm,  S.  252— 253!  ( Januar  1886.)  —  Anm.  In  obiger  Skizze  konnte 
nur  die Bethätigung  der  ,.su bjcctiTen  Phantasie"  auf  dem  Gebiete  der  Sittlichkeit 
kurz  angedeutet  werden.  Wie  die  Macht  der  „objectiven  Pbantaaio"  die  sitt- 
liohen  YeihiltaiHe  der  Mensdieii  llbediaupt  begründete  nnd  bMtindir  aafieeht 
erhllt,  naMte  (leider)  ttbergaBgen  werd»;  es  ist  anigefUirt  ia  des  Pliiloeopben 
Werk  Uber  „die  Genesis  der  Menschheit  und  deren  geistige  Bntwidnlnng  in  Bdigion, 
Sittlichkeit  und  Sprache".   (München  188;5.) 

„Organisation  und  Cultur  etc."   S.  1. 


Digitized  by  Google 


—   624  — 


gestehen  müssen,  dass  dies  in  übernns  {glücklicher  Weise  gelungen 
ist;  Fr.'s  Werk  ist  in  hohem  Giade  belelireiul!  Es  wäre  daher  sehr 
interessant,  würde  aber  hiei-  jedenfalls  zu  weit  führen,  auf  den  In- 
halt dieser  instructiven  Abhandlungen  einzugehen.  Das  wäre  Stotf 
zu  einem  besonderen  Vortrage.  Es  mag  tür  heute  genügen,  dieser 
Untersuchungt-n  Erwähnung  gethan  und  damit  auf  eine  Irische  (Quelle 
der  Erziehungswissenschaft  hingewiesen  zu  haben  *'^)! 

M.  H.  Wenn  es  heute  sich  herausstellte,  dass  ein  Modephflosoph 
wie  etwa  Schopenhauer,  den  jetzt  sogar  die  Frauen  studiren  wollen^'), 
eine  EniehnngBlehre  geschriehen  hahe,  ioh  glaube,  Hnnderte  würden 
sie  eifrig  lesen.  Nim  aber  Frohschammer,  welcher  nicht  (wie  jener) 
eine  negatiTe»  sondern  eine  positive  Ethik  vertritt^  eine  Ersiehnngs- 
lehre  geboten  hat,  wird  man  dieselbe  hoffentlich  mehr  nnd  mehr  nach 
ihrer  Bedentmig  nnd  Tragweite  za  würdigen  yersnehen.  Hieiza  sollte 
uns  auch  noch  der  Umstand  anspornen,  dass  sich  in  den  Schriften 
dieses  Philosophen  eine  große  Wertschfttznng  des  Lehrerstandes  ans- 
spricht,  wie  nach  dem  Angedenteten  schon  vermnthet  werden  kann. 
Fr.  lehrt:  Der  moderne  Staat  soll  nicht  nnr  ein  Bechts-,  sondern 
auch  und  hauptsächlich  ein  Culturstaat  sein!  Im  „Culturstaate"  aber 
hat  der  Lehrerstand  eine  hohe  Aufgabe  zu  erfüllen,  und  demnach  darf 
und  soll  er  anch  eine  hohe  (sociale)  Stellung  einnehmen^^.  Die 
Hochachtung  vor  dem  Lehrerstande,  die  sich  in  den  Werken  unseres 
Denkers  kundgibt,  ist  sonach  nicht  eine  gelegentliche  Versicherung 
herzlichen  Wolwollens,  sondern  eine  Consequenz  seiner  philo- 
sophischen Lehren.  Und  je  mehr  dieselben  verbreitet  werden, 
desto  mehr  wird  auch  in  unserem  Volke  das  Verständnis  für  die  Auf- 
gaben des  Staates,  des  ..('ulturstaates"  wachsen,  desto  mehr  dann 
auch  die  Wertschätzung  der  Schule  und  des  Lehn  istandes  zunehmen. 
Wir  dürfen  sonach  in  der  Verbreitung  der  Werke  Fiohschammers  ein 
wirksames  Mittel  zur  Hebung  des  Lehrerstandes  erblicken. 

Endlich  ist  hervorzuheben,  dass  das  letztgenannte  Hauptwerk 
des  Philosophen  auch  eine  ausgesprochen  social  pädagogische 
Tendenz  hat.  Unser  Altmeister  Diestcrweg  führt  uns  in  seinem  Weg- 
weiser*^) untei'  den  empfehlenswerten  Schiiften  über  Pädagogik  auch 


^  TeigL  hienu:  «Paedagogiiim''  Vnr,  &  861  fg,  u.  Jahig.  XIV,  8.  III  IL 
S.  „Gaitenlaabe*'  1891,  Nr.  87  (Briefkuten). 

*^  S.  die  Abhanilliiii<r<  n :  „Der  rulturstant"  („Orgfanisation  h.  Cultur  etc.'* 
S.  112  tf.)  uud:  „Cultuistaat  und  Lehrexstaad"  („Psedagogiam*'  IX,  1:  October- 
hclt  J8«6,  S.  1  ff.)! 

**}  6.  Avfl.  Bd.  I.  8.  158. 

Digitized  by  Google 


—   626  — 


eine  Reihe  von  „Schriften  über  Social-Pädagogik"  vor.    Er  selbst 
schrieb  vor  55  Jahren  seine  „Beiträge  zur  Lösung  der  Lebensfrage 
der  rivilisation",  deren  erster  betitelt  ist:  „Über  die  Erziehung  der 
unlereu  ('lassen  der  Gesellschaft".'^)    Es  "wird  ja  gerade  gegenwär- 
tig, insbesondere  seit  der  Thronbesteigung  Kaiser  Wilhelms  II.,  selir 
viel  über  die  sociale  Frage  geschrieben:  Wertvolles,  Minderwertiges  und 
Linnützes!  Das  dritte  Hauptwerk  der  Frohschanunerschen  Philosophie 
gehört  ohne  Zweifel  zu  dem  Wertvollsten,  was  auf  diesem  Gebiete  existirt. 
Und  es  ist  bereits  1885  erschienen.  Die  materielle  Seite  der  Frage 
muss  bei   einer  philosophischen  Erörterung  selbstverständlich  aus- 
geschlossen bleiben.  Aber  die  ideelle,  die  geistige  Seite  des  Lebens 
der  Menschheit  wird  von  Fr.  allseitig  betrachtet  und  erwogen.  Seine  Auf- 
gabe in  dieser  Hinsicht  deutet  er  mit  den  Worten  au:  Das  sociale 
Leben  „ist  nim  ebenfSüte  unter  dem  Gesichtspoiücte  unseres  allgemeinen 
Frindpes  zn  betrachten.  Es  sind  dabei  insbesondere  die  brennenden 
socialen  Fragen  der  Gegenwart  in  ErOrtemng  zu  ziehen  und  es  ist 
zn  untersuchen,  wie  sich  die  Losung  derselben  unter  dem  Gesichts* 
punkt  unseres  Principes  und  der  idealen  Lebensauffassung  gestalten 
möchte,  was  also  die  Philosophie  in  unserer  Auffiissung  beitragen 
könne  zur  Lösung  des  schwierigen  Problenis.'***)  Bei  dieser  Betrach- 
tung zeigt  es  sich,  welche  Macht  im  Gesellschaftsleben  die  „subjective 
Phantasie**  ist  Als  eine  solche  erkennt  man  sie  ja  anch  an,  wenn 
man  z.  R  von  der  „erhitzten  Phantasie  der  Massen"  spricht.  —  Es 
ist,  m.  H.,  wit^dei  um  nicht  möglich,  den  reichen  Inhalt  der  Froh- 
schanimersclien  Untersuchungen  jetzt  näher  zu  beleuchten.   Das  wäre 
Stoff  für  den  Vortrag  eines  Social[K)litikers.   Ich  muss  mich  darauf 
bescliränken,  die  Überschriften  der  hierhergehörigen  Abhandlungen 
anzuführen:  Der  „geschichtliche  Entwickelungsgang"  der  Gesell- 
schaft und  ihr  gegenwärtiger  ,. Zustand",  „Socialismus  und  Commu- 
uismus",  „Staats-Socialisnuis",  „die  R^'lii^iou  als  sociales  Gut'',  „ideale 
Güter  für  das  sociale  Leben",  „Illusionen  und  Ideale",  „der  Pessimis- 
mus und  die  sociale  Frage."' In  der  letztgenannten  Abhandlung 
ist  nachgewiesen,  wie  gerade  der  Pessimismus  die  Lösung  der  socialen 
Fragen  ungemein  eisi-liwere  und  wie  derselbe  dureh  eine  ideale  Lebens- 
autfassung ersetzt  werden  müsse,  wenn  die  Kntwiekelung  iles  moder- 
nen Staats-  und  Gesellschaftslebens  zu  einem  glücklichen  Abschlüsse 
gelangen  soll.   Diese  von  unserm  Philosophen  vor  Jahren  daigelegten 

**)  Essen  1836,  bei  G.  D.  Bädeker. 

„Über  die  Organisation  und  Cultur  etc."    S.  2—3. 

Vergl.  „Fwdagogium-  VIU,  Ö.  251—253!  (Januarheft  im.)  , 

Dlgitlzed  by  Google 


—   626  — 


Ansichten  scheinen  mehr  nnd  mehr  auch  die  Überzeugung  hervor- 
ragender Staatsmänner  zn  werden.*')  Und  man  darf  vielleicht  mit 
Recht  behaupten,  dass  pferade  das  3.  Hauptwerk  der  Fr.'schen 
Philosophie  die  größte  Beachtung  verdient  sowol  von  selten  der 
Social  Politiker  und  Staatsmänner,  wie  von  selten  der  Kechtsgelehrten 
und  der  Lehrer  in  Kirche  und  Schule.  Man  wird  nach  der  Leetüre 
dieses  Werkes  und  nach  Kenntnisnahme  von  den  Schriften,  die  uns 
Diesterwegs  Wegweiser  nennt**),  kaum  noch  der  Meinung  Lindners 
sein  können,  welcher  in  seinem  ,,Handbuche  der  Erziehungskunde" 
(1884,  S.  228)  das  Gebiet  der  Socialpädagogik  als  unausgebaut  be- 
zeichnete. —  Vor  kurzer  Zeit  feierten  wir  den  lOÜjährigen  Geburts- 
tag Th.  Kürner.s,  der  das  Wort  gesprochen:  „Es  ist  so  schön,  die 
Menschen  zu  beglücken!"  Dieses  Wort  können  wir  als  Motto  der 
Frohscbammei-schen  Philosophie  betrachten.  Nur  diesem  Zwecke  will 
diese  neue  Schöpfung  deutschen  Geistes  dienen. 

M.  H.  Durch  eine  Reihe  kurzer  Bemerkungen  über  die  Froh- 
schammcrsche  Philosophie  und  ihre  Beziehungen  zur  Pädagogik  habe 
ich  die  Wichtigkeit  dei-selben  andeuten  wollen,  aber  auch  nur  andeuten 
können.  Wichtig  und  wertvoll  ist  in  der  That  diese  Geistesschöpfung.  *•) 
Hoffentlich  wird  sie  einmal  für  das  Geistesleben  nnseres  Volkes  frucht- 
bar und  förderlich  werden,  wie  es  einst  die  Eantsche  Philosophie  ge- 
worden istt  deren  Hauptwerk  —  wie  nach  ihm  auch  dasjenige  Froh- 
schanuners  —  erst  im  67.  Lehensjahre  seines  YeifasBerB  erschien. 
Die  Anzeichen  fttr  die  Berechtigung  einer  solchen  Hoffnung  mehren 
sich.«») 

Anderseits  freilich  muss  es  fast  Verwonderung  erregen,  dass  dieses 
.Orginalsystem  nicht  schon  mehr  Beachtang  nnd  Anklang  gefanden 


„El  llsst  sich  nidit  wogleognen,  es  geht  dnreh  daa  Laad  ein  Pesrimtemni, 

dor  mir  im  höchsten  Oiade  bedenklich  ist.  Solange  deutsche  Philosophen  allein 
sich  iliiiiiit  l)e3ehäftiG:ton .  mochte  es  ja  eine  für  mancho  finzinhoiule  Bcschiiftipfung 
sein.  Weim  aber  diese  geistige  Eichtung  auf  weite  Kreise  übergeht,  die  auf  Uaudel 
und  Arbeiten  angewiesen  sind,  dann  wird  dieselbe  gefthdich;  dnuL  idi  wflMte 
nieht,  warum,  wenn  doch  allea  eitel  ist  nnd  bei  niebta  etwaa  heianskommt,  man  sich 
überbau])t  dann  noch  qnftlen  boU."  Beiebskanstef  von  Oaprivi  am  87.  Nor.  1891  im 
deutschen  Keiehstasro. 

*«)  5.  Aufl.  Bd.  I,  S.  153  fg. 

„Deutsche  Denker  und  iiire  GeisteesdiSpfungen.*'  Heft  2—3:  J.  Froh- 
flohammer.  (Beriin  1888,  Verlag  des  lit  DeutecUand.)  Heianigeg.    Ad.  Hinrichflen. 

S.  „Allgemeine  Pcut.sche  Lebrcrzeitung"  (Leipzig,  Klinkhardt  i,  1887, 
Nr.  27,  S.  260—261;  1888,  Nr.  37—38,  S.366,  376;  1881,  Nr.  19.  ^ilohs.  Scbulctg.'* 
1891,  Nr.  5. 


Digitized  by  Google 


—   627  — 


hat)  als  es  thatsichUcli  der  FaU  ist  Aber  die  Erscheiiiimg,  dase  nene 
Gedanken  und  Ideen  Widerstand  finden,  ja  schroiT  und  selbst  ohne 
Prttfhng  abgewiesen  werden,  ist  bekanntlich  nicht  seltoB.  Je  neaer 

und  fremdartiger  sie  den  herrschenden  VorsteUnngen  gegenüber  stehen, 
desto  mehr  haben  sie  solches  Schicksal  zu  erwarten.  Weder  ihre 
Wahrheit,  noch  ihre  Heilsamkeit,  noch  auch  der  strengste  Beweis 
yennag  sie  dagegen  zu  schützen,  während  umgekehrt  halb  Wahres 
oder  absolut  Falsches  und  Verderbliches  gläubige  Anerkennung  findet. 
Wir  stehen  in  einem  leider  allzu  bewegten  Zeitalter;  auf  dem  Bücher- 
markte, wo  alljährlich  eine  prroüe  Überschwemmung  eintritt,  bleibt  oft 
das  Beste  unbeachtet!  Angesichts  der  kühlen  Aufnahme  der  Froh- 
schammersclien  Philosophie  und  im  Gegensätze  zu  der  Heriilinitheit 
mancher  anderen,  recht  oberflächlichen  Geistesproduete  ist  es  schwer, 
den  Gedanken  zu  unterdrücken,  den  der  große  Humorist  Lichtenberg 
ausgesprochen  hat:  „Wir  leben  in  einer  Welt,  in  welcher  zwar  ein 
Nan-  viele  NaiTen,  aber  ein  weiser  Mann  nur  wenige  Weise  macht".'*') 
Dennoch  dürfen  wir  überzeugt  sein,  dass  treue  Arbeit  im  Dienste  de^ 
Fortschrittes  der  Menschheit  nie  ganz  verloren  ist;  und  so  schließe 
ich  mit  dem  Urtheile,  welches  bereits  vor  Jahren  Dittes  aussprach*^*) 
und  welchem  ich  zustimme:  „Unbedingt  ist  Referent  davon  Uberzeugt, 
dass  in  dem  Werke  Frohschammers  eine  in  hohem  Matte  beachtens^ 
werte  Leistong  echter  Wissenschaft  und  genialer  Schöpferkraft  vor- 
liegt, und  dass,  falls  der  deutschen  Nation  noch  ein  neuer  Aufschwung 
des  G^teslebens  beschieden  ist,  das  System  Frohschammers  eine 
segensreiche  und  ruhmvolle  Zukunft  hat** 

Leitsätze. 

I.  Allgemeine  und  besondere  Grflnde  sprechen  dalBr,  daas  der Lelirer  ftueh 

der  Philosophie  ernste  Aufnierksanikpit  zn  widmen  habe. 

II.  Eine  besondere  Beachtung  verdient  die  Philosophie  FrohschannuerB, 
weil  sie  als  „Idealwissenschaft"  fOr  das  Geistesleben  überhaupt  und  für  die 
Pädagogik  im  beBondcren  Ten  gioSer  Bedentnng  endraint  (,J)ie  niiloaopliie  ala 
Idealwissenscbaft  und  System."   MltiMiheii  1884.) 

III.  Das  System  Frohschammers  stellt  „die  Phantasif  al^  rrrimdprincip  des 
Weltprocessea"  auf,  welche  als  „objective  Phanta.sie"  in  der  Natur,  als  „sub- 
jeotive  Phantasie"  im  Leben  des  Menschen  und  der  Menschheit  wirksam  ist. 
(jDie  nutttaaie  als  OnrndpriMip  des  Wettpfoeeaaea.**  „Ober  die  Geneaia  der  Mensch- 
heit und  deren  geistige  Entwickclung  in  Religion,  Sittlichkeit  und  Sprache".  „Über 
die  Organisation  und  Ciiltttr  (CuItiTirang)  der  menachlichen  Gesellflcluift."  Mflncheii 
1877,  1883,  1885.) 

IV.  Die  Frohschammersche  Philosophie  ist  für  die  Pädagogik  von  Wichtig- 

»')  Lichtenbergs  vermischte  Schriften.   Göttingen  1801,  Bd.  II,  8.  444. 
»«)  .^SMUgogiom"  VU»  8.  74.  (Octoberheft  1884.) 


Digitized  by  Google 


—  628  — 


kcit  durch  ihre  Pgycholog^ic  und  Lofifik,  durch  ihre  Ethik  imdilmder  Elemott- 
tar-  und  Social-Pädagogik  gewidmeten  Uutersuchungem 

A.  Pbyohologie,  Gegenflbei  dm  fmcMeäeam.  Aadehtoii  Uber  daa  Wesen  der 
Seele  („HeehaniBmiu",  tabula  naa  ete.)  betrachtet  die  FrohBchammenohe  Fhiloeopbie 

die  Mcnschensecle  als  den  „psychischen  Organismus",  wie  man  den  Leib  alfl 
den  iihvsischeu  ürp^anismus  hinstellt.  Diese  Auffassuntr  des  Geistes,  welche  —  wie 
Frohächuiumer  sagt  —  „die  Möglichkeit  gibt,  die  Einheit  des  Geistes  und  die 
Vielheit  der  geistigen  Vermögen  zugleich  zn  behaupten  und  zu  erklären",  niuss 
SU  andern  pidagogiachen  Halnahmeii  (Oonseqnenaen)  ftthfen  ala  die  Annahme  tines 
fjMgrehischcn  Mechanismus".  („Die  Phantasie  als  Grundprincip%  HI.  Buch.  fJDtX 
peyebiBcbc  Organismus.''    IVdagojj^ium,  Aprilhoft  1SS(i.' 

B.  Loj^ik.  Alles  Erkennen  und  Denken  sind  psychische  Functionen,  bei 
welchen  stets  die  „subjective Phantasie  das  mitwirkende,  ermöglichende  Moment 
bildete*.  —  Die  Eniehnng  bat  die  Pbantaaie  in  rechter  Weise  la  leitCB}  Fidagogüc 
FrObels.  i,,Phantasic  iüs  Grundprindp",  I.  Bnch,  8^  CttpiteL  —  „Oiganlaation  nnd 
Cultur",  III.  liu.  h,  3.  Capitcl.) 

(.'.  Etiiik.  Die  ..objective  Phantasie"  ist  die  Bcgriiuilcrin  der  sittlichen 
Oeueinschatteu;  die  „tubjective  Phantasie"  die  Bildnerin  der  menschlichen 
Ideale,  irelehe  weaentUch  die  Sittlichkeit  bedingen,  die  Ihre  he«diste  ßitwieke- 
Inngsstufe  im  Christenthune,  wie  es  Christus  gelehrt,  erreicht  hat.  —  Mit  dem 
,,Christenthumc  Christi"  ist  zugleich  die  wahre  ethische  Grundlai^e  aller  Piidaiioi^ik 
gegeben.  (,,Genesi3  der  Menschheit  uud  (Iltlii  (reistir^e  EntwickLluntr  in  lieligion 
und  Sittlichkeit."  „Das  Christeuihuia  Cliristi  etc."  (ElbcrlelU  1876.)  „^\  issen  u.  Glaube.'* 
(Leipzig  1873,  BrocUuuM.  IV.  Baeb.) 

D.  EtoMiteivFIiacafik«  Wie  die  Frohschammersobe  Fhiloflophie  durch  ihre 
Psychologie  und  Ethik  eine  pädagogische  Fundamentallehre  darstellt,  so 
euthiilt  sie  auch  eine  Erziehungslehre,  welche  Audeutung:en  pebcn  will  für  eine 
„richtige  Einwirkung  der  mündigen  Generation  auf  die  noch  unuiiludige,  um  diese 
in  allen  Gebieten  des  socialen  Lebens  nnd  Berufes  dafilr  bereit  nnd  tflchtig  sa 
machen''.*)  („Über  die  Organisation  nnd  Cultnr  der  menschlichen  GeseDsebatt^. 
m.  Buch.) 

E.  Soelal-Piiduarosrlk.  i>ie  Fnih<rliainiiiersche  Philosophie  zeii^t  .das  Strehen» 
auch  dem  Vulke  uud  damit  der  Menschheit  überhaupt  in  ihrer  lebendigen  Eutwjcke- 
luug  einen  Dienst  tu  leisten****);  sie  aidit  daher  in  den  B^ch  ihrer  Unter- 
sttchnngen  anch  das  soeiale  Leben  der  Gegenwart,  welches  durch  einen  krank- 
haft, u  l'<  ssiralsmns  und  durch  den  rm-^tand  sehr  geschftdigt  wird,  daf5S  vielfach 
als  Ideal  trilt,  was  nur  llliisiuu  ist.  Es  müssen  (aht^esehen  von  Anwendung 
materieller  Mittelj  die  „idealen  Güter  lür  das  sociale  Leben"  eine  erhühte  Wert- 
schätzung und  bedeutung  erlangen.  Dass  dies  geschehe,  dazu  kann  die  Froh- 
•cfaammeESche  Philosophie  in  hohem  Haie  beitragen,  („über  die  Organisation  nnd 
Cultnr  d.  m.  Gesellachaft.**  DL  Buch.) 

*)  aOtgtaiMtioB  und  ddtu."  S.  4. 

•*)  .üb«r  die  rsligiSiaii  Fn«en  der  Qvgwmxt*  EUmbAU  1S7S.  8.  Tl. 


Digltized  by  Google 


Ava  der  Geschichte  der  Taubstaninenbildnng. 

Von  Dr.  H.  Morf-Winterfkur. 
(SehlttflB.) 

V. 

Staatliche  F&rsorge  fflr  die  Bildung  der  Taabstammen. 

£ine  genaue  Statistik  Aber  die  Zahl  der  Tanbetommen  in  den 
Terschiedenen  Ländern  seheint  nicht  zn  hestehen.  Man  nimmt  an» 
dass  anf  je  1500  Menschen  ein  Taubstummer  komme.  FQr  die  Volk»> 
Zählung  scheint  eine  besondere  Rubrik  fikr  dieselben  nicht  vorgesehen 
worden  zu  sem.  ünsers  Wissens  hat  in  der  Schweis  nur  der  Kanton 
Graubftnden  Erhebungen  gemacht  Herr 'Pfarrer  Grubenmann 
theilt  mit,  dass  dieselben  49  Taubstumme  im  schulpflichtigen 
Alter  —  also  nur  bis  zum  16^  Jahr  —  bei  einer  Eüiwohnerzahl  von 
96^1  ergeben  haben.  Die  G^mmtzahl  der  Taubstummen  betrflge 
nach  dem  oben  angenommenen  Procentsatz  circa  64;  es  miissten  so- 
mit 15  mehr  als  lü  Jahre  zählen.  Von  den  49  Schulpflichtigen  ?:ei 
ungeföhr  die  Hälfte  bildungsunfähig,  von  den  bildnngsfiihigen  seien  17 
in  Terschiedenen  Anstalten  untergebracht. 

Auch  im  Großherzogthum  Hessen  wurde  1)^87  eine  Statistik  „der 
im  schulpflichtigen  Alter  stehenden  bildungstahigen  Taubstummeir' 
aufgenommen.  Nach  derselben  gab  es  dereu  12<),  wovon  U9  in  Anstalten 
iinterg(  l)ia('lit  seien.*)  Die  Zalil  der  bildungsunfähigen  in  diesem  Alter 
und  derjenigen,  dit^  iiltcr  10  Jahre  zählen,  ist  nicht  angegeben. 

Es  gibt  bereits  Staaten,  in  denen  der  Schulzwang  für  die 
Taubstummen  gesetzlich  eingefülirt  ist  und  ebenso  streng  gehand- 
habt wird,  wie  gegenüber  den  Vollsinnigen;  nur  werden  die  Taub- 
stummen nicht  in  die  gewöhnlichen  Schulen  eingewiesen,  sondern  sie 
sind  der  für  sie  ausschließlich  bestimmten  Bildungsschule  zuzuführen, 
wo  sie  durciischnittlicli  8  Jahre  zu  bleiben  haben.**) 

Voran  ging  König  Christian  IV.  von  Dänemark.  Am 
8.  NoTember  1805  verordnete  er,  dass  sämmtliche  nnvermOgende 

*)  Vert;].  Rouscbcrt.  Kalender  für  TaatutiimmeiildiTer  pio  1891,  S.  236. 

SicliQ  a.  a.  0.,  Seite  221  fif. 

Ptodagogiam.  14.  Jahrg.  Haft  X.  44 


Digitized  by  Google 


—   630  — 


Tiiubstumme  unter  15  Jahren  in  den  Herzoffthiimern  Schleswig  und 
Holstein  der  Taubstununenanstalt  in  Kiel  zu  übergeben  .seien.  ^Die 
Absendung  in  das  Institut  und  die  Ausriistunjr  mit  den  nöthigen 
Kleidern  hat  auf  Kosten  der  Gemeinde  zu  geschelien;  der  Unterhalt 
in  der  Anstalt  fällt  zu  Lasten  des  Staates  Für  das  Fort- 
kommen der  Taub.stuiinnen  nach  vollendeter  Bilduügszeit  sorgt  der 
Staat  noch  in  besonderer  Weise." 

Durch  Circularverorduung  vom  21.  Mai  1807  wird  dieses  Obli- 
gatorium auch  auf  die  Taubstummen  ausgedehnt,  deren  Eltern  nicht 
ganz  vermögenslos  sind,  sondern  einen  Theil  der  Kosten  sa  tragen 
wmflgen.  »Das  Fehlende  ist  yom  ganzen  Lande  zn  tragen." 

Dnreh  königliches  Patent  Tom  30.  Jftnner  1813  werden  aneh  die 
yermögenden  Eltern  nnd  Angehörigen  von  Taubstummen 
unter  das  nämliche  Gesetz  gestellt  nnd  verpflichtet,  ihre  betreffenden 
Einder  nnd  Verwandten  der  Taubstummenanstalt  zuzuführen.  Wieder- 
holt werden  .Obrigkeiten  nnd  Prediger**  der  beiden  Herzogthllmer 
alles  Ernstes  aufgefordert,  die  schulpflichtigen  Taubstummen  gehörigen 
Orts  anzumelden;  den  Predigern  wird  insbesondere  eine  Bufie  von 
6  Thalem  für  jede  daherige  VersSumnis  angedroht. 

Dem  schonen  Vorbild  folgte,  wenn  auch  erst  fast  70  Jahre  später, 
das  Großherzogthum  Sachsen-Weimar-Eisenach.  Das  betreffende 
Gesetz  vom  28.  Mai  1874  verordnet: 

„Der  Regel  nach  soll  jedes  taubstumme  (und  blinde)  Kind  der 
Taubstummenanstalt  übergeben  werden,  insoweit  nicht  a)  der  geistige 
oder  körperliche  Zustand  des  Kindes  dasselbe  als  für  die  Anstalt 
ungeeignet  erscheinen  lässt  oder  b)  nachweislich  für  die  besondere 
Erzieliun<r  und  Ausbildung,  deren  das  Kind  wegen  seines  Sinnesmangels 
bedarf,  anderweit  genügend  gesorgt  ist." 

,.T^>ei-  Aufenthalt  der  Kinder  in  der  Anstalt  dauert  in  der  Begel 
8  Jahre. 

„AVird  ein  taubstummes  Kind  von  seinen  Eltern  oder  Erziehern 
ohne  genügenden  Urund  der  Anstalt  vorenthalten,  so  sind  dieselben 
mit  Geldstrafe  bis  zu  150  Reichsmark  oder  mit  Haftstrafe  zu  belegen." 

Die  Kosten  für  die  Zutührung  in  die  Anstalt,  für  die  Kleider,  für 
den  Unterhalt  in  der  Anstalt  während  der  8  Jahre  haben  die  Eltern 
oder  sonstige  alinientationspflichtige  Verwandte  zu  tragen. 

Sind  sie  unvermögend,  so  hat  die  Gemeinde  einzutreten.  Würde 
diese  durch  die  ihr  auferlegte  Leistung  ftberlastet,  so  flbemimmt  je 
nach  Umstftnden  die  Staatscasse  die  Kosten  theilweise  oder  ganz. 

Durch  Oesetz  vom  18.  Jänner  1876  wird  der  Schulzwang  fftr 


Digitized  by  Google 


—   681  — 


die  taub  stammen  Kinder  nach  denselben  Bestimmungen  auch  im 
Herzogthum  Sachsen- Coburg -Gotha  eingeführt  und  mit  dem 
1.  April  1884  folgte  das  Herzogthum  Anhalt-Dessau. 

Das  Schulgesetz  des  Königreichs  Sachsen  vom  April  1873 
«nthält  Paragraphen,  die  dem  Schulzwang  der  Taubstummen  ent- 
sprechen, aber  consequent  durchgeführt  wie  in  den  obengenannten 
Staaten  ist  es  bislang  nicht. 

In  der  großherzoglich-hessischen  zweiten  Kammer  stellte 
der  Abgeordnete  Vogt  den  Antrag  „auf  Einführung  eines  obli- 
gatorischen Besuches  der  Taubstummenanstalten  durch  alle 
taubstummen  Kinder  des  Landes  und  einer  s jährigen  Schul- 
zeit''. Mit  16  gegen  13  Stimmen  wurde  dieser  Antrag  fUr  einstweilen 
abgelehnt. 

Auch  im  preußischen  Abgeordnetenhause  wurde  die  Frage 
der  Taubstummenbildung  wiederholt  discutirt.  Das  letzte  Mal  in  der 
Sitzung  vom  1.  Decembei-  1877.  Miquel,  nunmehr  preußischer 
Minister,  damals  Oberbürgermeister  in  Osnabrück,  trat  tür  Einführung 
des  Schulzwanges  für  die  Taubstummen  ein.  Sein  treffliches  Votum 
in  der  Sadie  ist  wahrhaft  ergreifend. 

In  der  Discussion  wurden  von  dem  Abgeordneten  Kickert  so 
viele  Schwierigkeiten  hervorgehoben,  die  einer  solchen  Maßregel  entgegen- 
ständen, dass  Miquel,  bei  der  Aussichtslosigkeit,  zu  einem  bestimmten 
Resultat  zu  gelangen,  seine  Erwiderung  also  schloss: 

„Mir  genügt  es,  wenn  nur  die  allgemeine  Überzeugung  sich  bUdet, 
dass  man  unbedingt  das  Ziel  anstreben  muss  und  dass  man  sich 
auch  dazu  nicht  sdieiien  änt,  erhebliehe  Mittel  ftafirawenden,  um 
gerade  hier  anzusetzen  und  alle  taabstommen  Kinder  zu  wirklieh 
menschliehen  Wesen  zn  machen!"*) 

Damit  waren  die  Verhandlungen  geschlossen.  Mit  dem  Rücktritt 
des  Ministers  von  Gossler  ist  auch  das  von  Miquel  erhoffte  Schal- 
geeetz  vertagt  worden;  somit  wird  der  Schnlzwang  fttr  Tanbstnmme 
in  Prenfien  noch  aof  sich  warten  hissen. 

In  allen  fibrigen  dentsehen  Lftndem  ist  eine  solche  staatliche  Fflr- 
aotge  anch  noch  der  Zukunft  Torbehalten. 

Der  um  das  bayerische  nnd  das  deutsche  Schulwesen  flbeihaupt 
hochTerdiente  Graser  kam  auf  den  Gedanken,  den  Taubstummen- 
Unterricht  zu  Terallgemeinem  dadurch,  dass  die  Z5glinge  der  Lefaier- 
bilduDgsanstalten  in  diese  Kunst  eingeweiht  werden  und  so  in  jedem 

*)  8.  Bea^chcrt,  Kalender  L  Taubstummenluhrer  pro  lÖUl,  :3.  238  ff. 

44» 

Digitized  by  Google 


—  632  — 


Dorf  solchen  Unglücklichen  Hülfe  gebracht  werden  könne.  Die 
Eef^iening  unterstützte  diesen  Vorschlag  und  beauftragte  Graser* 
eine  Anleitung  zu  diesem  Zweck  zu  verfassen  und  der  Behörde  zur 
Prüfung  vorzulegen.  Die.se  fand  die  Arbeit  trefflich  und  ordnete  deren 
Veröffentlichung  an.  Sie  erscliien  1H29  und  führte  den  Titel:  „Der 
durch  Gesicht  und  Tonsprache  der  Menschheit  wiedergegebene 
Taubstumme."  Welche  gi'oße  Hoffnungen  Gräser  auf  seina  ein- 
gehende Anleitung  setzte,  sagte  er  im  Vorwort  selber: 

„Indem  sie  nun  ans  Licht  tritt,  wird  die  Besclniinkung  des  Unter- 
richts durch  ausschließende  eigne  Taubstummeninstitute  aut- 
hören, das  Vorurtheil  von  einem  ganz  besonderen  Kunstunterricht 
schwinden,  und  somit  der  auf  wenige  Unglückliche  beschränkte  Taub- 
stummenunterricht nicht  mehr  statt  haben." 

„Bald  wird  jeder  Schuldienstpräpsrand  ans  seinem  Seminar  auch 
als  Taabstanunenlebrer  heranstreten,  und  kein  Vater  nnd  keine  Gemeinde 
mehr  nOÜiig  haben,  ihre  unglücklichen  Kinder  in  entfernte  Anstalten 
zom  Unterricht  za  senden,  sondern  sie  werden  sie  nnter  ihren  Angen 
und  zu  ihrer  Freude,  gleich  den  hörenden  Schlllem,  heranbilden  sehen.  — 

„Aber,  was  noch  das  Wichtigste  ist,  die  Eltern  solcher  Unglücklichen 
werden  in  der  Znknnft,  mit  dem  Taabstnmmennnterricht  in  der  Schule 
bekannt,  ihr  taubstummes  Kind  schon  vor  dem  Eintritte  in  die  Schule 
im  Sprechensehen  und  Sprechen  unteirichten  können." 

Aber  diese  Hofihungen  erfüllten  sich  nicht  Der  Versuch,  den 
Taubstummenunterricht  im  Sinne  Grasers  zu  verallgemeinern^ 
brachte  keine  nennenswerten  Resultate,  Die  Sache  war  zu  schwierig. 

Und  bei  uns  in  der  Schweiz?  Unsers  Wissens  ist  noch  in  keiner 
gesetzgebenden  Vei-sammlung,  weder  in  einer  cantonalen,  noch  in  der 
eidgenössischen,  die  Taubstummenbildung  in  grundsätzliche  Ver- 
handlung genommen  worden. 

VI. 

Zur  Geschichte  der  Taubstummenbildung  in  der  Schweiz. 

Der  erste  Taubstummenlehrer  in  der  Schweiz  war  Pfarrer 
Heinrich  Keller  (1728—1802)  in  Schlieren  bei  Zürich.  Die  Anregung 
zu  (1  ieser  meuschenfreundlichenllifttigkeitTerdankt  er  oflfenbar  d  e  r  E  p^e. 
Es  ist  nicht  durchaus  erwiesen,  aber  sein  vertrautes  Freundschafts- 
verhältnis zu  diesem  Manne  lässt  es  als  sehr  wahrscheinlich  erscheinen, 
dass  er  denselben  auf  einer  Reise  in  Paris  aufgesucht  und  ihn  in 
seiner  lehrenden  Wirksamkeit  gesehen  und  bewundert  hat.  Die  Pfarrei 
Schlieren,  die  ihm  1759  übertragen  worden,  zählte  nur  500  Seelen.  Die 
Amtsgescbäfte  füllten  also  seine  Zeit  nicht  aus.  Die  Muße  benuzte  er  zu 


Digitized  by  Google 


—   63S  — 


jisyehologischeD,  philosophischen  und  physiologischen  Studien.  Geleitet 
von  seiner  menschenfreundlichen  Gesinnung  übernahm  er  im  Jahre  1777 
die  Bildung  zweier  taubstummer  Brüder  von  6  und  8  Jahren,  Söhne  einer 
vornehmen  und  reichen  zürcherischen  Familie.  Er  gesellte  ihnen  noch 
einige  andere  taubstiiinme  Kinder  bei,  und  so  entstand  im  Pfarrhaus 
Schlieren  ein  kleines  Taubstuninieninstitut,  das  erste  in  der  Schweiz. 
Uber  die  segensreiche  Wirksamkeit  desselben  gab  Chorherr  Usteri 
—  der  Vater  von  Paul  Usteri  —  im  „Helvetischen  Kalender"  in 
den  Jahrgängen  1780  und  1781  in  zwei  Abschnitten:  „Vom  Unterricht 
gehörloser  Kinder"  einem  weitern  Publikum  ausführliche  Kunde  und 
erweckte  in  gebildeten  Kreisen  für  die  noch  neue  Sache  das  höchste 
Interesse. 

Den  besten  Aufschluss  über  Verfahren  und  Erfolge  gibt  Keller 
selbst  in  seiner  Schrift:  „Versuch  über  die  beste  Lehrart, 
Taubstumme  zu  unterrichten.  Zürich  bei  Orell,  Gessner, 
Füssli  und  Comp.  178ö," 

Er  legt  nun  in  seiner  119  Seiten  zählenden  Schi'ift  sein  Verfahren 
ausführlich  dar  und  fügt  bescheiden  hinzu: 

„Übrigens  bin  ich  weit  davon  entfernt,  mir  zu  schmeicheln,  dass 
diese  Methode  nach  allen  Tlieilen  ilu-e  völlige  Reife  erlaugt  habe.  Ich 
Imbe  nichts  anderes  als  eigene  Erfahrungen  niedergeschrieben  und  dem 
Publicum  mittlieilen  wollen.  Zu  wünschen  wäre  es,  dass  mehrere 
Gelehrte  ihre  Erfahrungen  in  diesem  Fach  der  Welt  bekannt  machen 
wollten;  so  wäre  zu  hutien,  dass  aus  der  Kunst,  Taubstumme  zu 
unterricliten,  zuletzt  ein  Ganzes  herauskommen  werde." 

Unter  den  Verdiensten  Kellers  ist  das  nicht  das  kleinste,  dass 
er  eiueu  Taubstummeulelirer  herangebildet  hat:  Johann  Konrad 
Ulrich. 

Ulrich  war  Zögling  des  Waisenhauses  in  Zürich.  Lavater 
4^rkannte  seine  große  Begabung  und  brachte  ihn  im  Frühjahr  1779  zu 
Pfarrer  Keller  als  Schüler.  Während  seines  dreijährigen  Aufenthaltes 
daselbst  rechtfertigte  er  in  seltenem  Grade  das  auf  ihn  gesetzte  Ver- 
trauen. Seine  Gönner,  vorab  Lavater  und  Keller,  beschlossen,  ihn 
zu  seiner  weitem  Ausbildung  in  dem  „wundersamen  Unterricht"  zu 
de  TEpee  nach  Paris  zu  schicken.  Mit  Empfehlungsbriefen  von 
Lavater  und  Keller  in  der  Tasche  reiste  er  im  Jahre  1782  dahin 
ab  imd  wurde  aufs  freundlichste  von  dem  berühmten  Manne  auf- 
geiMMDiiieiL  mJ'u  1^  vsL  bean  präsent  de  Mr.  Layater,  et  de  yous»" 
schrieb  de  TEpöe  an  Keller,  „k  qui  j'en  ferai  mes  remerdments 


Digitized  by  Google 


—  6S4  — 


rordiiuure  prochain.  Assorez-vons,  que  je  donnerai  toute  mon  attention 
an  jenne  homme  qni  m'est  venu  de  sa  pari  et  de  la  vdtre." 

Nach  einjährigem  Aufenthalte  in  Paris  kehrte  Ulrich  nach  Zürich 
zurück  voll  guten  Willens  und  voll  schöner  Hoflfnung,  in  seiner  Vater- 
stadt Handreichung  für  seine  Zwecke  zu  finden.  Durch  Versuche  in 
meiner  Kunst  wollte  er  sich  jedoch  zuerst  ausweisen.  Von  zwei  taub- 
stummen Knaben,  die  ihm  dazu  dienten,  war  der  eine  (in  Züi'ich) 
„schwachsinnig  bei  felilerhaftem  Sprachorgau'',  musste  also  als  unbild- 
sam aufgegeben  werden;  der  andere  abei-  in  Meilen\  ein  lebhafter, 
lUhiger,  lieblicher  Knabe,  machte  rasch  erfreuliche  Fortschritte. 

Nun  glaubten  Freunde  und  Gönner  Ulrichs,  es  sei  au  der  Zeit, 
durch  einen  öffentlichen  Aufruf  ,,edle  Menscheufreunde  einzuladen,  durch 
milde  Gaben  die  Errichtung  einer  Privatanstalt  zom  Unterricht  taub- 
stummer Personen''  zu  eiinöglichen. 

Der  Aufruf  trägt  das  Datiun  vom  28.  März  1785  und  ist  unter- 
zeichnet von:  Rathsherr  Usteri,  Dr.  Rahn,  Diacon  Lavater, 
Pfr.  Keller,  Prof  Breitinger,  Piui.  Hottinger,  Dr.  Hirzel, 
Hauptmann  von  Orell,  Director  Cramer  und  Chorherr  Rahn. 

Der  Anfrof  war  ohne  nennenswerten  Erfolg,  bot  bei  weitem  nicht 
die  Mittel  znr  Errichtung  einer  Anstalt.  Bald  darauf  erhielt  Ulrich 
—  1786  —  einen  Bnf  nach  Genf  in  ein  PriTathans  als  Lehrer  eine» 
7jährigen  taabstnmmen  ]Iädclien&  Er  blieb  9  Jahre  in  diesem  Dienst» 
der  ihm  grofie  Offentlicbe  Anerkennung,  ja  Yerehrong  brachte.  Was 
ihm  aber  wol  noch  größere  Befriedigung  gewährte,  war  das  aafler- 
ordentlich  schOne  Besoltat  seines  Unterrichts  bei  der  reiehbegabten 
Tochter,  die  er  n^nm  denkenden,  nützlichen,  sich  selbst  nnd  andere 
erfreuenden  Wesen  nmgeschalTen  hatte."  Ihrem  Lehrer  blieb  «ie  lebens- 
lang in  nnanssprechlicher  Dankbarkeit  zogethan. 

Von  Genf  kehrte  Ulrich  wieder  nach  Zflrich  zurück.  Es  wurden 
neuerdings  Anstrengungen  zur  Gründung  einer  Taubstummenanstalt 
in  seiner  Vaterstadt  gemacht  Dieselben  schienen  den  besten  Erfolg 
zu  versprechen.  Aber  die  bald  darauf  eintretende  Staatsumw&lznncr 
zerstörte  diese  Hoffiinngen.  Ulrich  wnrde  in  den  Staatsdienst  gezogen; 
er  bekleidete  nach  einander  verschiedene  wichtige  Stellen  und  wirkte 
in  allen  bei  seiner  Gewissenhaftigkeit,  seiner  Treue  und  Einsicht  mit 
großem  Segen.  Seine  Ämter  füllten  seine  Zeit  fast  ganz  aus,  doch 
verlor  er  sein  Lieblingsfach  nicht  ganz  aus  den  Augen.  Er  ertheiite 
einzelnen  taubstummen  Kindern  Unterricht  und  bemühte  sich  für  Heran- 
bildung von  Lehrkräften  für  diesen  Unterrichtszweig.  Er  starb  1828. 


Digitized  by  Google 


—  635  — 


Der  Gedanke  an  die  Pflicht,  den  unglücklichen  Taubstommen  su 
Hülfe  zn  kommeD,  sie  durch  Bildung  aus  ihrem  Elend  zu  erlösen, 
einmal  weit  herum  geweckt,  erlosch  nicht  wieder.  Die  nächste 
Anregung  ging  von  Stapfer  aus,  dem  helvetischen  Minister  der  Künste 
und  Wissenschaften,  der  selbst  durcli  die  ärgsten  Sturmzeiten  sich 
nicht  irre  machen  ließ,  Behörden  und  Volk  auf  die  hödisten  Cultur- 
an^aben  eines  Staates  immer  mit  neuem  Nachdruck  hinzuweisen. 

Von  Luzern  aus  erließ  er  am  26.  April  1790  ein  Kreisschreibeu 
an  die  Regierungsstatthalter  dei*  einzelnen  Cantone. 

Er  beauftragte  diese  Cantonsvoi-steher,  durch  die  Ortspfarrer  eine 
genaue  Statistik  aller  Taubstummen  in  ihren  Gemeinden  aufnehmen 
zu  lassen  und  in  zwei  Monaten  einzusenden. 

Nach  dem  beigefügten  Schema  BoUen  die  Pfarrherren  AufscblusB 
geben:  über  die  Zahl  der  Taubstummen  in  jeder  Gemeinde,  über  deren 
Geschlecht,  Alter,  köi-perliche  und  geistige  Beschaffenheit,  über  ihre 
Vermögensverhältnisse,  über  die  Geneigtheit  der  Gemeinde,  für  den 
angegebenen  Zweck  Opfer  zu  bringen,  über  allfällige  BüdungSTerauche, 
die  da  oder  dort  angestellt  worden  etc.  etc. 


Die  äußerst  aufgeregten,  kiiegerfftllteii  Zeiten  waren  nicht  dazu 
angethau,  solchen  Bestrehungen  Vorschub  zu  leisten.  Nur  wenige 
Antworten  gingen  ein.  Es  scheint,  dass  nur  aus  dem  Canton  Bern 
etliche  der  Centralbehfirde  zukamen;  doch  finden  sieh  dieselben  nach 
einer  ge£  Mittheilnng  im  eidgenössischen  Archiv  nicht  mehr  vor. 

In  dem  zürcherischen  Staatsarchiv  liegen  zwei  Berichte,  die  mir  zur 
JBmsicht  freundlich  zugestellt  worden  sind.  Sie  lauten  nicht  ermunternd. 

Der  euie  stammt  ans  der  Feder  von  Pfiurer  Denzler  in  Stamm* 
heim.  Nach  demselben  zählte  die  Gemeinde  6  Taubstumme:  7  weiblichen 
nnd'l  männlichen  Oeschlechts;  7  über  18  Jahre,  1  8  Jahre  alt 

Diesen  Angaben  fügt  Denkler  folgende  Bemerkungen  bei: 

„Beineben  lässt  sich  von  keiner  aller  dieser  Personen  dnige 
Neigung  oder  wirkliche  Geschicklichkeit  zu  mechanischen  Künsten 
merken.  Ich  weiß  von  keinen  besondem  Versuchen,  die  mit  den  einen 
oder  andern  wäien  gemacht  worden,  außer  dass  vor  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  mit  ihnen  medicinirt  worden  ist  und  dass  auch  die  einen 
vor  den  andern  eine  bessere  Auferziehung  genossen.  Ob  aber  bei 
jetzigen  Zeitumständen  die  Gemeinde  für  sie  freiwillig  etwas  thäte, 
bezweifle  ich  sehr,  um  so  viel  mehr,  als  schlechten  Glauben,  Hoffnung, 
Vertrauen  ich  bei  ihnen  und  ihren  Vorstehern  schon  gefunden."  Von 


Digitized  by  Google 


—  636  — 


einem  Institut  weiß  Denzler  niclits,  er  hat  ^nur  gehört,  dass  ünter- 
statthalter  Ulrich  seit  mehreren  Jaliren  in  diesem  seltsamen  Fach 
arbeitet;  mit  wie  viel  Erfolp:  weiß  ich  nicht-. 

Pfarrer  Bosshart  in  Trüllikon  berichtet: 

„In  (lieser  Gemeinde  sind  zwei  Taubstumme  männlichen  Geschlechts, 
23  und  22  Jahre  alt.  Beide  sind  gesund,  äußei-n  aber  nicht  die 
geiingsten  Verstandesföhigkeiten.  Hieraus  lässt  sich  leicht  schließen, 
was  fiir  eine  Beschaftenheit  es  mit  ihrem  sittlichen  Charakter  habe, 
und  dass  sie  zu  keinen  Arbeiten,  besonders  zu  solchen,  die  Verstand 
erfordern,  gebraucht  werden  können.  Holz  trag'en,  dann  Vieh  Futter 
geben  und  es  weiden  ist  alles,  was  sie  können.  Und  da  sie  von  Geburt 
an  taubstumm  gewesen,  so  wtirde  nach  der  Eltern  selbsteigenen  Über- 
zeugung alle  Bemühung,  sie  zu  etwas  anzuhalten,  ganz  fruchtlos  und 
vergeblich  sein.  Und  gesetzt  auch,  ([ass  etwas  mit  ihnen  erzielt  werden 
könnte,  so  würden  doch  weder  die  Eltern,  deren  häosliche  Umstände 
nieht  die  besten  sind,  noch  anch  die  Gemeinde,  die  dermalen  mit  sicli 
selbst  genug  zn  tbnn  hat,  imstande  sein»  etwas  für  ihre  Erdehung 
za  bezahlen.** 

Diese  beiden  Berichte  mögen  so  ziemlich  der  Stimmung  entsprechen, 
die  anf  der  Landschaft  überhaupt  herrschte.  Es  fehlte  nicht  nnr  an 
den  pecnniSren  Mitteln,  sondern  anch  am  Verständnis  einer  Sache,  die 
«elbst  in  mafigebenden  Kreisen  noch  nicht  die  verdiente  Aufmerk- 
samkeit gefunden  hatte. 

Was  Ulrich  umsonst  angestrebt  hatte:  Gründung  einer  Öffent- 
lichen Taubstummenanstalt,  das  erreichte  sein  Schüler  Eonrad  Nä£ 
Er  hatte  sich  zu  diesem  Zweck  in  dem  damaligen  pftdagogischen 
Hauptquartier  der  Schweiz,  in  Tverdon,  niedergelassen. 

Im  Protokoll  der  „Versammlung  der  Schweizerischen  Gesellschaft 
für  Endehnng'*  vom  7.  August  1811  lesen  wir: 

„Herr  Präsident  Pestalozzi  machte  die  G^esellschaft  anf  Herrn 
Näf  von  Zürich  aufmerksam,  welcher  mit  außerordentlichem  C^bick 
jetzt  in  Yverdon  seine  Bildung  zum  Taubstnmmenlehrer  fortsetzt, 
nachdem  er  den  des  Heri-n  Präsidenten  Ulrich  in  ZUi-ich  während 
lAngerer  Zeit  genossen.  Eine  Taubstummenanstalt  sei  mit  Gewissheit 
zu  erwarten,  und  überhaupt  verdiene  der  Unterricht  der  Taubstummen 
darum  die  größte  Aufmerksamkeit,  weil  in  demselben  gleichsam  das 
Vorbild  des  Unterrichts  enthalten  sei;  es  binde  derselbe  an  die 
genaueste  Stufenfolge  und  immer  scheine  klar,  was  von  dem  Gegebenen 
Auch  durch  den  Schüler  begritten  sei." 

Koch  vor  Jahresschluss  1811  konnte  Näf  mit  Bewilligung  und 


Digitized  by  Google 


—  637  — 


unter  Vorschnb  der  waadtläBdüchen  Begienmg  seine  Anstolt  mit 
einigen  ZOgUngen  beginnen.  Von  kleinen  Anfingen  erhob  sieb  dieselbe 
rasch  zn  schöner  Blttte.  Doch  erst  1828  wurden  Taubstamme  auf 
Staatskosten  in  derselben  untergebracht.  Nach  Näfs  Tode  bedurfte 
die  Anstalt  zu  ihrer  Fortexistenz  die  Staatshilfe.  Es  wurden  ihr 
j&hrlich  Fr.  5000  gewährt  1841  ging  sie  ganz  an  den  Staat  über 
und  wnrde  nach  Mondon  verlegt 


Die  Taubstummenanstalt  in  Yverdon  war  die  äußere  Veranlassung 
zur  Gründung  einer  solchen  im  Lantou  Bern.  Die  Anregung  dazu 
ging  von  dem  menschenfreundlichen  Spital  Verwalter  Otth  aus.  Der 
Kii'chenrath,  an  den  die  Sache  geleitet  wurde,  billigte  den  G^edanken 
und  Teranlasste  die  Begierung,  bei  einem  Versuche  für  das  erste 
Prob^ahr  eine  Untersttttzung  von  300  Fr.  zuzusichern.  Über  das 
▼eitere  Vorgehen  gibt  der  erste  Verwaltnngsbericht  folgenden  Anf- 
schluss: 

„Man  suchte  nun  einen  Mann  aus,  dem  man  den  Unterricht  an- 
Tertranen  konnte.  Auf  die  Empfehlung  von  Wehrli  in  Hofwyl  und 
aaeh  einigeii  abgelegten  Proben  wad»  ein  für  die  Volkabfldung  eifrig 
bemühter  Landmann  gewählt:  Johannes  Bfirki,  gewesener  Schul- 
meister in  Tiienstein,  Kirchgemeinde  HOnsingen,  dann  in  Bremgarten 
(bei  Bern).  Man  schickte  ihn  auf  5  Monate  nach  Yverdon  za  Herrn 
Näf,  der  dort  yor  mehreren  Jahren  eine  rOhmlichBt  bekamite  Tanb- 
stnmmenanstalt  errichtet  hat  und  ihm  die  nothwendige  Anleitnng  zur 
Behandlang  dieser  Unglücklichen  ertheilte.  Dann  wnrde  eine  Behansnng 
gemietet  in  einem  stillen,  abgesonderten  Landsitz:  der  Bftchtelen 
bei  Wabern,  eine  halbe  Stande  von  Ben,  und  im  Aprü  1822  fing  die 
Haushaltung  an  mit  Bflrki,  einer  Hanshftlterin  and  2—3  Zöglingen. 
Im  Brachmonat  kam  ein  junger  Mann,  Johann  Stucki  aus  Erlenbach, 
frisch  aus  Heirn  Carles  Normalanstalt  fUr  Schulmeister  in  Boitingen 
zu  uns  und  bot  sich  freiwillig  an,  ohne  Besoldung  da  zu  bleiben,  theils 
als  Leimender,  theils  als  Gehülfe.  Mit  Freuden  namcn  wir  ihn  als 
Unterlehrer  auf,  und  der  Erfolg  rechtfertigte  unser  Zutrauen! 

Man  legte  sich  die  Frage  vor,  ob  man  als  Hanptmittel  beim 
Unterricht  die  kflnstliche  Zeichensprache  (nach  de  TEp^e),  „wie 
es  sonst  überall  geschieht",  oder  die  Tonsprache  oder  die  Schrift- 
sprache wählen  solle.  Auf  Ausbildung  der  künstlichen  Zeichenqpraehe 
wurde  verzichtet,  die  Tonsprache  für  später  in  Aussicht  genommen  — 
immerhin  mit  der  Uoffiüung,  dass  bald  das  Ablesen  von  den  Lippen 

Digitized  by  Google 


—  638  — 


der  Sprechenden  mit  etwelchem  Erfolg  geübt  werden  könne  — ,  das 
Hauptgewicht  aber  auf  die  Schriftspraclie  gelegt.  Die  Zahl  der  Zög- 
linge stieg  bald  bis  auf  25,  welche  Zahl  eine  verhältnismäßig  gar 
geringe  ist,  wenn  der  Kanton  Bern,  wie  die  Verwaltung  nach  un- 
getährer  Schätzuog  glaubt,  wirklich  1000  Taubstumme  zählte.  Der 
Gang  der  jungen  Anstalt  war  immerhin  etwas  mühsam.  „Aller  Anfang 
ist  schwer/  Im  Herbst  1826,  nach  4'/2jähriger  Wirksamkeit  an  der 
Anstalt,  llbernalim  Bürki  wieder  eine  Tiehrstelle  an  der  Prunarschule 
in  Münsingen,  und  die  Leitung  des  Instituts  fiel  Joh.  Stucki  zu. 
Im  Herbst  1834  wurde  dasselbe  vom  Staat  übernommen  und  nach 
dem  Kloster  Frienisber^  bei  Aarberg  verlegt.  Mit  rastloser  Hingebung, 
mit  großem  Geschick  und  unwandelbarer  Treue  waltete  der  bescheidene, 
edle  Stucki,  der  seinen  Zöglingen  stets  ein  innig  liebender  und 
geliebter  Vater  war,  seines  schönen  aber  schweren  Amtes  bis  zu 
seinem  Tode  im  Deceraber  1864,  also  über  42  Jahre.  In  demselben 
Geiste  und  mit  demselben  Segen  leitet  seither  dessen  Mherer  Hit* 
arbeiter,  Friedrich  Übersax,  nun  bald  27  Jabre  die  Anstalt,  die 
mit  ihren  62  Knaben  im  Jahre  1890  nach  dem  Kloster  Mflnchenbnchsee 
dem  froheren  Sitz  des  Lehrerseminars,  &ber8ie4elte. 


An  die  Tanbstommenanstalten  in  Tyerdon  nnd  Bern  reihte  sieh 
bald  die  in  Z&rich  als  dritte  an.  Es  bestand  daselbst  seit  1809  eine 
Blindenanstalt.  Nach  dem  Tode  ihres  Stifters  Hirsel  im  Jahre  1817 
wurde  Ulrich  zun  Präsidenten  der  StiftungsgeseUschaft  (Hilfisgesell- 
schaft)  gewählt  Bald  brachte  er  die  Bildung  der  Taubstummen  wieder 
in  Anregung.  Im  Jahre  1825  wurde  J.  Th.  Scherr,  Lehrer  an  der 
Taubstummenanstalt  in  Gmttnd,  em  Schüler  Jägers  (s.  t.  S.  566)  als 
Lehrer  an  die  Blindenanstalt  nach  Zürich  berufen.  „Was  war  natür- 
licher, als  dass  Ulrich  jetzt  die  Blicke  der  Hitvorsteher  auf  die  ver- 
lassenen Taubstummen  richtete.  Am  1.  Mai  1826  trat  der  ei-ste  Taub- 
stumme in  die  Anstalt  ein.  Im  folgenden  Jahre  wurden  w  ieder  6 
derselben  aufgenommen,  und  so  sah  Ulrich  noch  vor  seinem  Tode  eine 
Anstalt  erblühen,  fiü*  deren  Gründung  er  in  früherer  Zeit  sich  erfolg- 
los bemüht  hatte."  (J.  H.  von  Orell.)  Seit  1832,  also  fast  60  Jahre, 
steht  die  Anstalt  unter  der  bewährten  Leitung  des  allverehrten 
Herrn  Director  Schibel,  der  trotz  seiner  hohen  Jahre  seines 
schweren  Amtes  mit  jugendlicher  Frische  und  Begeisterung  waltet. 
Möge  iliin  gestattet  sein,  noch  lange  solch  seltener,  mit  Liebesfülle 
gesegneter  Kraft  zu  erfreuen.    An  diese  di-ei  ei'sten  Taubstummeu- 


Digitized  by  Google 


639  — 


anstalten  reihten  sich  bald  andere  an.  Heate  sflhlt  die  Schweis  deren  16. 

3  sind  cantonale  Anstalten:  Hlinchenbnchsee  im  Ganton  Bem^ 
Hohenrain  im  Canton  Lozem,  Monden  im  Canton  Waadt; 

1  gehört  der  Gemeinde  Genf; 

3  sind  Eigenthnm  ihrer  Vorsteher:  Bettingen  bei  Basel,  Hephata^ 
die  auch  Schwerhörende  aufnimmt,  in  Bern;  Petit-Saconn ex-Genf; 

2  sind  gegründet  und  geleitet  von  Schwestern  yom  heil.  Kreuz  zn 
Ingenbohl:  Locarno»  Canton  Tessin,  und  Greierz,  Canton  Freiburg; 

7  stehen  unter  wolthätigen  Vereinen  und  erhalten  Staatsunter- 
stütziing:  Zürich,  St.  Gallen,  Zofingen,  Landenhof  bei  Aaran, 
Liebenfels  bei  Baden,  Wabern  bei  Bern,  Riehen  bei  Basel. 

Diese  16  Anstalten  beherbergen  490  Zöglinge,  265  Knaben  und 
225  Mädchen. 

Nacli  dem  allgemein  geltenden  Procentverhältnis  (1 : 150))  zählt 
die  Schweiz  ca.  2000  Taubstumme;  davon  mögen  757o»  also  15(X), 
im  schulpflichtigen  Alter  stehen;  mithin  haben  1000  dieser  Unglücklichen 
in  unsere  für  Milderung  ilirer  Gebrechen  organisirten  Anstalten  noch 
keine  Unterkunft  gefunden. 

Wol  dürfen  wir  annehmen,  dass  vielleicht  100  davon,  durch  Ver- 
hältnisse begünstigt,  anderweitig  die  nöthige  Handreichung  zu  ilner 
Erhebung  aus  dem  Elend  in  ein  menschenwürdiges  Dasein  linden; 
aber  auch  bei  dieser  günstigen  Annahme  und  nach  Abzug  der  bildungs- 
unfUbigen  bleiben  immer  noch  wol  6—700  schulpflichtige,  bildungs- 
fähige Tanbatomme  ihrem  traurigen  Sehickaal  llherlasaen. 

Wäre  es  nnter  solchen  Umständen  nicht  an  der  Zeit 
nnd  ist  es  nicht  nnaasweichliche  Henschenpflicht,  nach  dem 
ruhmreichen  Vorgänge  der  oben  angeführten  deutschen 
Staaten  anch  bei  uns  in  der  Schweiz  den  Schulzwang  ffir  die 
Taubstummen,  an  den  sie  mindestens  ein  ebenso  gutes  An- 
recht haben  wie  die  YoUsinnigen,  gesetzlich  festzustellen 
und  mit  Strenge  dnrchzufttbren? 

Heil  der  Stunde,  in  der  in  unserm  Lande  den  ünglfick- 
lichsten  der  Unglttcklichen  ihr  ToUes  Recht  wird! 


Digitized  by  Google 


Der  Lehrer  Lenmuud  und  ein  Geheimer  Justizrath. 

Yom  HeravBgeber. 

y 

AJu  den  charakteristischen  Züi^en  unseres  Zeitalters  gehört  die 
starke  Betonung  und  eifrige  PHege  dt  r  .Interessen".  Es  gilt  als 
Regel,  dass  ein  jeder  vor  allem  sein  persönliches  Interesse  wahre  und 
fördere.  Dazu  kommt  dann  eine  ganze  Legion  anderer  Interessen, 
als  da  sind  die  Interessen  zahlloser  Vereine,  Genossenschaften  und  Hinge, 
die  Interessen  der  GesehSftsleiite  und  GnmdbesitMr,  der  Arbeiter  nnd 
Oapitalisten,  der  Beamten,  Kflnstler,  Schriftsteller  n.  s.  w.,  kurz  der  StSnde 
und  BerofiBdasBen,  ferner  die  Interessen  der  Frauen,  der  poUtMien 
Parteien,  der  Nationalitäten,  Gonfessionen,  £irchen  u.  s.  w.  Immer  und 
überall  ist  die  Bede  von  Interessen  und  spielt  der  Kampf  um  Interessen. 
Selbst  in  richterlichen  Erkenntnissen  begegnet  man  hftuflg  dem  Aus- 
spruche, der  Beklagte  habe  gehandelt  „in  Wahrung  berechtigter  Inter- 
essen"; nnd  auf  dem  Gebiete  der  Pädagogik,  wo  Tordem  das  Interesse 
sidi  dandt  b^Qgen  mnsste,  neben  anderen  glelchberechtigtai  Factoren 
die  gebflrende  Stelle  einsunebmen,  hat  sich  eine  Partei  gebildet,  die 
mit  ihren  , Juteressen**  alles  andere  an  die  Wand  drildcea  mochte. 
Während  vormals,  als  der  Geist  eines  Kant,  Lessing,  Schiller  und 
anderer  Heroen  unseres  Volkes  noch  lebendig  fortwirkte  in  unserem 
Culturleben,  Moral,  Pflicht,  Gewissen,  Recht  und  Gesetz  die  liörhstcn 
Normen  und  Triebfedern  fikr  jedermann  und  für  alle  menschliche  Ge- 
meinschaft waren,  treibt  unser  Zeitalter  einen  förmlichen  Interessen- 
cultus  und  eine  systematische  Interessenwirtscbaft,  deren  Kern  allent- 
halben die  liebe  Selbstsucht  ist,  indem  ein  jeder  immer  in  erster  Linie 
sein  wertes  Ich  im  Auge  hat,  möge  er  nun  von  den  Interessen  seiner 
Person,  oder  von  den  Interessen  seines  Standes,  seiner  Partei,  seiner 
Nation,  seiner  Kirche  u.  s.  w.  reden.  Und  während  die  alte  Moral 
auf  Einigung  und  Frieden  ausging,  tendirt  die  neue  auf  Zersetzung 
und  Streit. 


Digitized  by  Google 


—   641  — 


Unter  solchen  VerhAltnissen  ist  es  nicht  zu  yerwnndeni,  dass 
auch  der  Lehrerstand  in  den  allgemeinen  Interessenkampf  hinein- 
gezogen wird  und  so  wie  alle  anderen  Gesellschaftsclassen  fOr  seinen 
Nutzen  und  sein  Ansehen  zu  Felde  zieht  Andere  Leute  und  Stände 
glauben  ihren  Interessen  zu  dienen,  wenn  sie  den  Lehrer  und  den 
Lehrerstand  niederhalten  und  herabsetzen  und  thun  dies  bei  jeder 
Gelegenheit,  bald  unter  heuchlerischer  Maske,  bald  mit  offener  Bruta- 
lität. So  wird  es  begreiflich,  dass  sich  aus  der  Lehrerschaft  zahl- 
reiche Stimmen  erheben,  welche  zur  Abwehr  solcher  Unbill  auffordern 
und  Waffen  zu  dieser  Ali  wehr  anbieten.  Es  handelt  sich  da  vor 
allem  darum,  die  vielfachen  Anklagen  des  Lehrerstandes  in  die 
Schranken  des  bereclitig-teu  Maßes  zurückzuweisen  und  die  wahren 
Ursachen  vorhandener  Missstände  klarzulej^en,  aber  auch  unlu^treit- 
bare  Vorzüge  und  Verdienste  zur  Greltunf}^  zu  brin^-^en.  Hiermit  be- 
fasst  sich  nicht  nur  der  gelegentliche  Gedankenaustausch  im  Privat- 
verkehr, sondern  auch  ein  erheblicher  Theil  der  Vereinst hätigkeit  mit 
ilu'en  Voi  t ragen,  liesulutionen  und  Eingaben  an  Behörden,  ingleichen 
die  literarische  Arbeit,  wie  sie  in  Zeitschritten,  Broschüren  und 
Büchern  zu  Tage  tritt,  um  den  guten  Ruf  des  Lehrerstandes  zu 
wahren,  seine  sociale  Stellung  zu  verbessern,  bösen  Leumund  und 
feindseligen  Druck  von  ihm  abzuwehren. 

Bisweilen  erweist  sich  diese  Intention  als  mitwirkender  Factor 
selbst  bei  solchen  literarischen  Unternehmungen,  welche  an  sich  niidit 
dem  Tagesstreite,  sondern  dem  Frieden  des  Hanses  nnd  Gemttthes  ge- 
widmet sind.  So  erschien  unlängst  ein  firenndlich  ansprechendes  Bach 
anter  dem  Titel:  „Dichterstimmen  ans  der  deutschen  Lehrer- 
weif  von  J.  Pawleckl  (Hamborg,  Verlagsanstalt  and  Druckerei 
A.-a^  382  a,  Preis  3  Mark,  geb.  3,50  M.),  welches  yon  125  deutschen 
Lehrern  poetische  Eizeugnisse  ihrer  Muftestonden  bringt,  die  in  erster 
Linie  genommen  sein  wollen,  wie  sie  sich  geben,  aber  doch  nicht  ohne 
Rftcksicht  auf  das  Los  des  Standes  ihrer  Verfiisser  gesammelt  sind. 
Der  Herausgeber  bemerkt,  dass  er  mit  dem  Werke  «dem  deutschen 
Lehrerstande  eüie  Lanze  bredien  wollte",  was  er  auch  in  folgenden 
Strophen  seines  Widmungsgedichtes  andeutet: 

..Vt  rknndf't,  dftSS  in  Lchrorlierzrn 
£iii  ew'ger  j^wuien  Bahn  sicJi  bricht, 
Daas  fie  in  Winlentimi  mid  Darbm 
YeneblosBen  sich  dem  FmhUiig  nicht. 

Verscheucht  den  Schritt  der  Lttgpxopheten, 
Der  LäetcrzuDjOfe  Priesterschar; 
Der  Wahrheit  brechet  eine  Giisse, 
Hebt  sie  zum  Lichte  sonuenklar.** 


Digitized  by  Google 


—  642  — 


Wenn  nämlicli  den  Lehrern  u.  a.  bisweilen  auch  materialistischer 
Sinn  und  Gleichgilt igkoit  gegen  höhere  Bestrebungen  vorgeworfen 
wird,  80  dienen  allerdings  die  hier  vorgeführten  Proben  idealer 
Lebensanschauung  in  schönem  poetischem  Gewände  zu  kräftiger  Wider- 
legung dieses  bösen  Leumunds  und  somit  dem  guten  Rufe  des  Lehrer- 
standes. Möge  daher  das  schöne  Buch  recht  viele  Freunde  finden,  es 
enthält  in  der  'J'hat  zahlreiche  Blüten  echt  dichterischen  Geistes. 

Direkt  auf  die  Lehrerfrage  geht  Hans  Trunk  ein  mit  seiner 
bereits  in  einer  zweiten  Sonderausgabe  vorliegenden  gekrönten  Preis- 
schrift: „Der  VolkssclinlUhrer stand  im  Spiegel  der  Hitwelt'' 
(Graz,  lieoBcbiier  &  La1>eD8ky,  66  S.).  Der  VedSuser  zeigt  zonachst, 
•wie  man  in  yerschiedttien  Kreisen  über  die  Lehrer  und  ihre  Be- 
strebungen urtfaeflt,  femer,  woher  es  kommt»  dass  man  gerade  am 
Lehrerstande  eine  ungewöhnlich  herbe  Kritik  übt»  wobei  er  auf  die 
materielle  Stellung  dieses  Standes,  seine  Bildung,  sein  Terhiltnis  zur 
Schulau&icht,  zur  bürgerlichen  Gesellschaft  und  Politik,  aber  auch  auf 
die  innerhalb  des  Standes  selbst  vorhandenen  Fehler  und  Gebrechen 
zu  sprechen  kommt  und  sehliefilieh  die  Mittel  zur  Anbahnung  besserer 
Zustande  darlegt  Wenn  auch  diese  Themata  bereits  oft  und  viel- 
seitig behandelt  worden  sind,  so  yerdient  doch  die  zasammeoftssende, 
klare  und  freimüthige,  anch  manchen  neuen  Zug  bietende  Schrift  von 
Haas  Trunk,  der  sich  als  wackerer  Beruftgenosse  langst  bewährt  hat, 
aligemeine  Beachtung. 


Ein  ganz  eigenartiges  Buch  hat  jüngst  Herr  Wilhelm  Meyer- 
Markau  in  Duisburg  herausgegeben.  Es  führt  den  Titel:  „Der 
Lehrer  Leumund.  Urschriftliche  Worte  zeitbürtiger  deutscher 
Schriftsteller,  Dichter  und  Gelehrten  über  Lehrer  und  Schule"  (216  S., 
2,50  Mark,  geb.  3  Mark,  Selbstverlag).  Die  Entstehungsgeschichte 
des  Buches  hat  der  Herausgeber  selbst  in  einem  Vortrage  geschildert, 
welcher  den  Titel  führt:  ,.l)as  eiitsclileierte  Bild  des  Volkssihiil- 
lehrers",  uud  bei  Helmich  in  l^ieleteld  zum  Pieise  von  40  Pfg.  zu 
haben  ist.  Wir  fiiliren  aus  dieser  Entsteh ungsgescliichte  die  wich- 
tigsten Dateu  an.  Um  zu  erfahren,  wie  die  „öffentliche  Meinung'* 
über  den  Lehrerstand  urtheile,  wandte  sich  Herr  Meyer  in  einem  Kund- 
schreiben an  ca.  1000  deutsche  Schriftsteller.  Dichter  und  Gelehrte 
(nicht  blus  in  Deutschland,  sondern  aucii  in  osterreich,  der  Schweiz, 
Italien,  Kussland  und  Nordamerika)  mit  der  Bitte,  ihre  bezüglichen 
Anschauungen  kundzugeben,  indem  er  eben  in  den  Personen  dieser 
Kategorie  die  berufenen  Vertreter  und   Organe   der  „üfleutlichen 


Digitized  by  Google 


—  64B  — 


Meinung**  erblickte.  Um  denselben  einen  Leitfaden  für  ihre  Äußerungen 
zu  bieten,  bezeichnete  Herr  Meyer  eine  Reihe  von  Punkten,  welche 
in  Betracht  gezogen  werden  möchten,  nämlich  die  Vorbildung  der 
Volksschullehrer,  die  gesellschaftliche  Stellung  derselben,  ihre  Be- 
soldung; ferner  die  Vorschnifrage.  die  Bekämpfung  der  SociaMemo- 
kratie  durch  die  Schule,  die  Scliülerzahl,  den  Heeresdienst  der  Lelirer, 
<lie  Fachaufsicht,  die  Trennung  der  Schule  von  der  Kirche,  die  Simul- 
tan- und  die  Confessionsscliule,  die  Befreiung  der  Lehrer  vom  niederen 
Küsterdienste,  die  Versorgung  der  Witwen  und  Waisen  der  Lehrer, 
den  Mangel  eines  Volksschulgesetzes  in  manchen  Ländern,  die  Ver- 
wendung der  Person  des  Volksschuliehrcrs  in  literarischen  Erzeug- 
nissen (meist  als  Caricatur).  —  Da  nun  das  Auschreiben  des  Herrn 
Meyer  zuerst  keinen  genügendfin  Erfolg^  hftttei  aaadte  er  demselben 
ein  Mahnwort  mii  einer  ermonternden  Beigabe  naeb,  und  nim  stieg 
die  Zahl  der  Aassprachen  auf  166,  welche  denn  den  Inhalt  des  vor« 
liegenden  Bnches  bilden.  Aaßei'dem  kamen  noch  eine  Anzahl  Briefe 
und  Postkarten,  welche  das  Nichteingehen  anf  die  Angelogenheit  ent^ 
scfanldigten.  Werden  diese  mitgerechnet»  so  hat  nngeOhr  Jeder  fünfte 
Briefempftnger"  Herrn  Meyer,  wie  er  selbst  sagt,  „einer  Antwort 
gewürdigte  Mit  diesem  Ergebnis  ist  er  sehr  zofineden,  so  dass  er 
sich  Jm  Interesse  der  Sache  gar  nicht  dankbar  genug  auszudrücken 
vermag**.  Diese  Freude  wurde  noch  dadurch  erhöht,  dass  in  den 
eingelaufenen  Aussprachen  „beinahe  durchgängig  der  Ton  größter 
Anerkennung,  ja. Hochachtung  über  die  Volksschule  und  deren  Lehrer 
angeschlagen  wird^',  weshalb  Herr  Meyer  schließlich  das  zu  Stande 
gekommene  Buch  „ein  Hoheslied  auf  den  Leiirerstand."  nennt. 

Dieser  Optimismus  durfte  kaum  in  vollem  Maße  gerechtfertigt 
sein,  und  man  kann  sogar  die  Frage  aufwerfen,  ob  der  von  Herrn 
Meyer  eingeschlagene  Weg  zur  Feststellung  des  Leumundes  der  Volks- 
schullehrer ein  ganz  zuverlässiger  sei.  Nur  an  solche  Zeitgenossen 
(Männer  und  Frauen)  hat  er  sich  gewendet,  welche  sich  durch  schrift- 
stellerische Thätigkeit,  überwiegend  belletristischer  Art,  bekannt 
gemacht  haben.  Dass  dabei  solche  Personen,  welche  in  eigner 
Sache  reden  würden,  also  die  Volkssehullehrer  selbst,  sowie  Seminar- 
Directoren  und  -Lelirer,  ingleiclien  die  Vorgesetzten  derselben,  prin- 
cipiell  ausgeschlossen,  hingegen  bezüglich  der  übrigen  Lebensstellungen, 
der  politischen  und  confessionellen  Parteistandpunkte  u.  s.  w.  keinerhu 
Schranken  gezogen  wurden,  wird  man  für  zweckmäßig  ansehen  müssen. 
Die  Hauptfrage  ist  aber  die:  Sind  denn  wirklich  gerade  die  Schrift- 
steller die  besteu,  d.  h.  die  einsichtsvollsten  und  gerechtesten  Kichter 


Digitized  by  Google 


—  644  — 


des  Lehrerstamles,  und  kommt  ibuen  als  iStimmfülirern  der  „öfFent- 
lichen  >rfMnuii2:"  wirklich  jene  jrroße  Autoiität  zu,  welche  ihnen  Herr 
Meyer  beilegt?  Gewiss  lial>en  eiue  Anzahl  seiner  Gewährsmänner  das 
in  sie  gesetzte  Vertrauen  durch  ihre  gediegenen  und  wolmeinenden 
Ausführungen  bestens  gerechtfertigt;  aber  daneben  finrlen  sich  auch 
nicht  wenige,  welche  mit  recht  schwacher  oder  zweifelhaft tr  Weisheit 
und  sehr  mangelhafter  Unbefangenheit  raisonniren.  Jedenfalls  sind 
in  solcher  Allgemeinheit,  wie  Herr  Meyer  glaubt,  die  „Schrift- 
steller" nicht  berufen,  das  Forum  des  Lehrerstandes  zu  bilden.  Unter 
den  Tausenden,  die  sich  heute  als  solche  aufspielen,  gibt  es  gar  viele 
problematische  Existenzen,  und  selbst  unter  den  gefeiertsten  ihrer 
Sippe  begegnet  man  recht  seichten,  verschrobenen  und  aufgeblähten 
Schwätzern;  wenn  sie  auch  mit  ihrer  Ihssenproduction  immer  reich- 
Uehe  Nachfrage  und  diieii  lohnenden  Markt  finden,  so  beweist  dies  in 
▼ielen  Fällen  nur,  dass  es  einen  großen  Haufen  leses&chtiger,  aber 
nrtheilswnfthiger  Menschen  gibt,  die  ohne  einen  bedeutenden  Gonsnm 
bedruckten  Papiers  ihre  Oden  Geister  nicht  yor  gänzlichem  ErKischen 
zu  bewahren  vermögen.  Und  anderseits  gibt  es  nicht  schriftstellemde 
Leute  genug»  gelehrte  und  nngelebrte,  deren  Urtheil  mehr  inneren 
Wert  hat,  als  das  vieler  Herren  und  Damen  von  der  Feder.  Selbst 
im  eigenen  Hause,  im  Bereiche  des  Lehrerstandes,  kann  man  fragen, 
ob  der  schriftsteltemde  Tbeü  gerade  der  bessere  seL  Es  gibt  viele 
schriftstellemde  Lehrer,  die  in  keiner  Weise  berufen  sind,  ihre  Col- 
legen  zu  erleuchten  und  zu  bessern,  und  viele  nicht. schriftstellemde, 
die  an  Geist,  Charakter,  Tüchtigkeit  und  Treue  im  Amte  ihren  Be- 
rufrgenossen  aJs  Muster  dienen  können.  Die  Schriftstellerei  hat  in 
Deutschland  so  ungeheuer,  man  kann  sagen  epidemisch  um  sich  ge- 
griffen, dass  sie  bald  aufhören  wird,  ein  ehrenwertes  Metier  zu  sein, 
zn  dessen  zeitweiligem  Betrieb  gerade  die  Besten  der  Nation  sich  nur 
noch  mit  Widerstreben  entschließen,  weil  sie  nicht  mit  dem  Heere 
aufdringlicher  Sudler  concurriren  wollen  und  zu  der  Meinung  kommen, 
dass  das  Sprichwort:  „Reden  ist  Silber,  Schweigen  Gold  — "  auch 
auf  «iem  Buchermarkte  eine  gewisse  Bereclitignng  habe. 

Was  sodann  die  eroße  Befriedigung  des  Herrn  Meyer  über  den 
Erfolg  seines  Anschreibens  betrifft,  so  steht  ilir  leider  die  Thatsache 
ircirenüber,  dass  (trotz  der  Wiederholung  desselben  nebst  ennuntern- 
tler  Beigabe)  von  1000  Angesprochenen  800  ihn  nicht  ciiiinal  „einer 
Antwort  gewürdigt"*  haben.  Nimmt  man  hinzu,  ilass  von  ilen  übrigen 
200  ein  Theil  nur  eine  Entscliuldigung  ihrer  Niclitbetheiligung  ein- 
schickte, ein  anderer  Theil  sich  auf  eine  kurze  und  in  der  Leumunds- 


Digitized  by  Google 


-   646  — 


frage  g:anz  neutrale  Sentenz  beschränkte,  ein  dritter  halb  j^ünsti^  halb 
ungünstig  urtheilte,  ein  vierter  endlich  oliene  Feindseligkeit  kundgab, 
so  bleiben  von  KXXi  höchstens  1(»  Stimmen  übrig,  welche  das  er- 
wähnte „Hohelied"  singen.  Die  vier  Fünftel  der  Angespi'ochenen, 
welclie  hartnäckig  schwiegen,  darf  man  jedenfalls  mit  mehr  Grund 
auf  die  feindliche  als  auf  die  freumlliche  Seite  stellen.  Denn  der 
Umstand,  dass  sie  trotz  der  ihnen  erwiesenen  Ehre  und  wiederholten 
warmen  Zuspräche  den  freiwilligen  Anwalt  des  Lebrerstandes  nicht 
einmal  ..einer  Antwort  würdigten",  macht  einen  üblen  Eindruck,  da 
man  sich  sagen  muss,  dass  wirkliche  Lehrerfreunde  eine  so  beiiueme 
Gelegenheit  zur  Kundgebung  ihrer  Gesinnung  nicht  abgewiesen  haben 
würden.  Was  wären  denn  das  für  Freunde,  die  nicht  einmal  ein 
gutes  Wort  von  sich  zu  geben  Lust  hätten? 

Doch  —  das  Buch  ist  nun  da,  und  die  LehrerschAft  kaxm  nichts 
besseres  thim,  «te  es  gehörig  auszonfttsen.  Der  Heransgeber  hat  un- 
streitig die  gute  Absicht  gehabt,  seinem  Stande  einen  erspriefilicben 
Dienst  zu  erweisen;  zu  diesem  Zwecke  hat  er  viel  Iftthe  und  Arbeit, 
flberdies  bedeutende  Kosten  anij^wendet  DaiOr  verdient  er  die  Sym- 
pathie und  thätige  ünterstfltznng  von  Seiten  seiner  Kollegen,  also  eine 
freundliche  Auftaahme  seines  Buches.  Hierzu  kommt  aber,  dass  das- 
selbe in  der  That  ein  sehr  lehrreiches  ist  und  mit  vollem  Rechte  der 
gesammten  Lehrerschaft  und  allen,  die  mit  der  Volksschule  in  Be- 
rfthrung  stehen,  zu  eingehendem  Studium  empfohlen  werden  kann. 

Wie  ein  Lied,  das  in  einheitlichem  und  leicht  ansprechendem 
Tone  von  Anfang  bis  Ende  dahin  iiiefit,  kann  es  freilich  nicht  ge- 
nossen werden.  Ich  habe  das  Buch  vollständig  und  anfinerksam  durch- 
gelesen, musste  mir  aber  dieses  Geschäft  auf  circa  20  Tage  vertheilen, 
da  ich  nicht  anders  allen  166  Stimmen  in  demselben  gerecht  werden 
zu  können  glaubte.  Herr  Meyer  hat  nämlich  die  Äußerungen  seiner 
Vertrauenspersonen  in  der  alphabetischen  Reihenfolge  ihrer  Namen 
vorgeführt,  damit  eine  jede  selbstständig  und  ohne  Unterbrechung 
gehört  werde.  Diese  Anordnung  hat  ihr  Gutes  und  war  in  Räcksicht 
auf  die  befragten  Personen  und  nach  dem  Plan  des  ganzen  Unternehmens 
die  allein  gebotene;  für  den  Leser  hat  sie  aber  den  Nachtheil,  dass 
nun  die  Discussion  über  die  aufgestellten  Fragepunkte  nicht  in  logi- 
scher P'olge,  nicht  nach  dem  Gesichtspunkte  innerer  Zusamniengehürig- 
keit,  sondern  in  stetiger  Zersplitterung  und  Abwechst  luiig  des  Stoft'es 
geführt  wird,  was  ihn  ermüdet  und,  wenn  er  nicht  Otters  eine  Ruhe- 
luiuse  macht,  außer  Stand  setzt,  den  letzten  Rednern  dieselbe  Auf- 
merksamkeit zu  widmen,  wie  den  ersten.    Ohnehin  bleibt  es  dem 

Pwdagogioiu.   14.  Jahrg.   Ueft  X. 


Digitized  by  Google 


—   646  — 


Leser  übel•la^^^en,  sich  die  einzelnen  Stiieke  des  Buches  nach  Maßgabe 
der  inneren  Verwandtschaft  zu  ordnen,  um  so  melir,  da  nur  wenige 
derselben  nach  den  aufs^estellten  Fiagepunklen  oder  sunst  einer  Dis- 
position angelegt  sind.  Ihre  Bedeutsamkeit  war  eben  mitbedingt  durch 
die  den  Autoren  gelassene  volle  Freilieit  bezüglich  der  Grenzen,  des 
Umfanges,  der  Anlage  und  des  Tones  ihrer  Meinungsäußerungen,  falls 
sie  nur  Überhaupt  zum  Thema,  zui*  Lehrer-  und  Schnlfrage  sprächen. 
Eine  Anzahl  derselben  hat  dies  nnn  in  so  sachgemäßer,  einsichtsyoller 
und  gründlicher  Weise  getban,  andere  haben  wenigstens  einzelne 
Punkte  durdi  so  interessante  Bemerknngen  beleuchtet^  dass  das  Buch, 
ganz  abgesehen  von  der  Personalfrage,  eben  durch  die  Discussion  der 
vom  Herausgeber  aufgestellten  Fragen,  einen  unverkennbaren  Wert 
erhalten  hat.  Und  gerade  hierin  liegt  für  mich  der  Hauptnutzen  des 
Buches  und  das  Motiv,  es  allgemeiner  Beachtung  zu  empfehlen. 

Doch  wir  mflssen  zur  Haupttendenz  desselben  zurftekkehren,  also 
zu  dem  Versuche,  durch  dasselbe  den  Leumund  des  Lehrerstandes 
festzustellen.  Diese  Intention  ist  sovol  durch  den  Titel  des  Buches, 
als  durch  den  oben  erwähnten  Vortrag  des  Herausgebers  unzweideutig 
bezeugt  Dass  nnn  in  dieser  Hinsicht,  wie  schon  nachgewiesen,  kein 
so  erfreuliches  Ergebnis  erreicht  ist,  wie  der  Heransgeber  annimmt, 
möge  noch  durch  einige  Beispiele  belegt  Averden.  Auf  Seite  41  thut 
ein  Herr  Doctor  die  ganze  Angelegenheit  mit  folgender  Auslassung  ab: 

„Meine  zahlreichen  Erfahrungen  mit  Dienstmädchen,  Handwerkern, 
kleinen  Händlern  und  Personen  ähnlicher  Berufe  haben  mir  die  feste 
Überzeugung  beigebracht^  dass  unsere  Volksschule  weder  im  Lesen 
noch  im  Schreiben  eine  dem  Aufwände  von  8  Unterriclitsjahren  an- 
nähernd entsprechende  Gewandtheit  erzeugt.  Eine  Schule,  die  diese 
wichtigsten  Künste  so  schlecht  lehrt,  steht  schwerlich  auf  der  Höhe, 
die  ihr  nacligei  ühmt  wird." 

Das  ht  alles,  was  der  Herr  Doctor  zu  sagen  hat:  in  der  That, 
ein  sehr  bescheidener  Aufwand  von  Geist  und  Schai'fblick  für  einen 
bei'ufenen  Stimmführer  der  öffentliclien  Meinung! 

Und  ein  schriftstellernder  Herr  Baron  lässt  sich  auf  iSeite  131 
folgendermaßen  verneliinen: 

„Die  Dorfsehulmeister,  mit  denen  ich  Gelegenheit  hatte,  wieder- 
holt in  intensiven  Verkehr  zu  treten,  zeichneten  sich  vorzugsweise 
durch  eine  stark  ausgeprägte  Ansicht  über  die  Wichtigkeit  ihrer 
Persönlichkeiten,  durch  eine  unangenehm  berührende  Blasirtheit  aus, 
welche  namentlich  nur  halbgebildeten  Menschen  eigen  ist  —  kein 
Wunder  meiner  Ansicht  nach,  denn  gerade  den  Vulksschuliehrein 


Digitized  by  Google 


—  647 


wird  vou  allen  Seiten"  viel  zu  viel  ,weißgemacht'!  und  lialb;,^el)ildete 
Menschen  vertragen  es  nun  einmal  nicht,  wenn  sie  allzuschuell  aas 
einer  bis  dahin  gedrückten  Sphäre  emporgehoben  werd^.** 

Wieder  die  ganze  Summe  der  Weisheit  eines  bemfenen  Richters 
aber  den  Lebrerstand!  Von  UnbefangenlieLt,  besonnener  Umsicht  und 
hochherzigem  Wolwollen  wird  man  da  schwerlich  eine  Spnr  entdecken 
können. 


Die  edelste  Perle  des  ganzen  Buches  hat  aber  ein  preufiischer 
Geheimer  Justizrath,  Namens  L.  Passarge,  geliefert  Aas  Lana 
4L  d.  Etsch,  wo  er  zur  Erholung  weflte,  hat  er  sie  Herrn  Heyer  in 
Duisburg  eingesendet 

„Sie  haben  sich  jedenfiills^,  so  beginnt  Herr  Passarge,  ,,an  eine 
ungeeignete  Adresse  gewandt,  wenn  Sie  von  mir  eine  warme,  oder 
auch  nur  sachliche  Beurtheilung  der  angeregten  Frage  erwarten.  Ich 
habe  wenig  Gelegenheit  geliabt,  mit  Yolksschullehrem  persönlich  in  Ver- 
hindung  zu  treten."  —  Man  sollte  nnn  meinen,  dass  hier  die  Rede  aussein 
m&sse,  oder  wenigstens  nicht  den  Leumund  des  Lehrei*standes  betreffen 
könne.  Denn  es  ist  doch  die  elementarste  Bogel  der  Gerechtigkeit, 
dass  man  nicht  über  Dinge  und  Personen  absprechen  soll,  die  man 
nicht  genügend  kennt,  oder,  wie  der  Jui-ist  sagt,  dass  man  kein  Ur- 
tli*  il  lallen  soll,  solange  man  mit  der  («»uaestio  facti,  mit  dem  That- 
bestand,  nicht  gehörig  vertraut  ist  Der  Hen-  Geheime  Justizrath 
Passarge  aber  fiilirt  fort:  „Wo  es  geschelien,  habe  ich  oft  sehr  eln-en- 
werte  Leute  kennen  gelernt,  aber  auch  sehr  zwcifellialte  Persönlich- 
keiten." Nun  könnte  num  erwarten,  dass  er,  wenn  er  weiter  ledeii 
will,  dorh  auch  dm  ..st-lir  elnvnwerten  Leuten",  die  er  ..oft  kennen 
gelei-iit  hat"*,  die  geliiueiide  Bei iu'ksiichtigung',  iiidit  aber  blos  ein  paar 
Phrasen  widmcu  wei\le.  .Allein  für  sein  l'rtheil  hal)en,  wie  sich 
zeigen  wird,  die  „sehr  ehrenwerleu  Leute*'  wenig  Gewicht,  und  die 
«clKinen  Redensarten  scheinen  nur  deu  Zweck  zu  haben,  bittere 
Pillen  zu  umiiüllen  und  zu  be.sehönigen. 

„Der  Stand",  so  lautet  Herrn  l'assarges  Votum.  ,.liat  mir  fa.st 
überall  Missbehagen  venusacht.  so  dass  ich  einem  ^^dksschullelll•er 
noch  oft  mit  Misstrauen  gegen  übertrete.  Der  Stand  als  solcher  leidet, 
ähnlich  wie  der  der  Apotheker,  Künstler.  Buchhändler  u.  a.  au  dem 
Fluche  der  Halbbildung,  ein  Fluch,  der  in  der  Sache  selbst  liegt  und 
daher  nicht  zu  vermeiden  ist.  Das  Volk  fühlt  das  iustinctiv  heraus 
und  stempelt  einen  Landscliullehrer  leicht  entweder  zu  einer  gehassten 
oder  lächerlichen  Person.  Nur  sehr  wenigen  gelingt  es,  sich  in  dieser 

46* 


Digitized  by  Google 


—   648  — 


prekären  Stellung  zu  behaupten.  Der  Schullehrer  hat  in  seiner  Classe 
eine  dominirende  Stellung;  indem  er  diese  auch  dem  ländlichen  Publi- 
cum gegenüber  geltend  machen  möchte,  wird  er  einfach  zum  Gespött. 
Aus  meiner  juristischen  Praxis,  die  sich  über  einen  Zeitraum  von 
vierzig  Jahren  erstreckt,  habe  ich  in  betreff  der  Lehi'er  meist  nur 
peinliche  Erinnerungen.  Ja,  in  Litauen  ging  68  so  weit,  dass  wir 
Richtei*  der  höheren  Instanz  bei  besonders,  schmatzigen  Processen  zu 
fragen  pflegten,  weldier  Lehrer  dahinter  stecka  Denn  dort  sind  sie 
oft  sehr  fragwürdige  Winkelconsaleiiteii  und  hetzen  die  Leute  an- 
einander. Gewöhnlich  entschuldigen  sich  solche  Lehrer  damit,  dass 
sie  zu  schlecht  gestellt  wären.  leh  gebe  darauf  nichts.  Es  geht 
ihnen  hierin,  wie  den  heutigen  Fabrikarbeitern:  je  mehr  sie  haben, 
um  so  mehr  verlangen  sie.  Meiner  Ansicht  nach  sind  die  Lehrer  in 
Preufien  bereits  so  gestellt»  dass  sie  nothwendig  flbermüthig  werden 
müssen.  Ihre  Gehftlter  erhöhen ,  hieße  den  Stand  noch  mehr  dis- 
creditiren." 

Hier  mflssen  wir  eine  Pause  machen,  um  uns  von  diesen  be- 
täubenden Schlägen  za  erholen.  Und  wenn  es  uns  gelingt,  unsem 
Blick  Yon  den  gebrandmarkten  Delinqnenten  abzuwenden,  nm  uns  zum 
Anschanen  menschlicher  Vollkommenheit  zu  erheben,  dann  mögen  wir 

ausrufen:  Selig  der  Mann,  welcher  so  erhaben  in  seiner  Bildung  und 
Stellung  ist,  dass  er  auf  alle  Halbgebildeten,  als  da  sind  Volksschul- 
lehrer, Apotheker,  Künstler,  Buchhändler  u.  s.  w.,  sowie  auf  alle  Prole- 
tarier, wie  Volksscliullehrer  und  Fabrikarbeiter,  mit  souveräner  Ver- 
achtung herabblicken  kann!  Gewiss  besitzt  er  nicht  blos  eine  ganze, 
sondern  mindestens  eine  Fünfviertelsbildung,  und  sicherlich  hat  er  in 
seiner  „juristischen  Praxis,  die  sich'  über  einen  Zeitraum  von  vierzig 
Jahren  erstreckt",  so  unermessliches  Heil  über  die  Menschheit  ver- 
breitet, dass  er  Volksschullehrer  (und  Fabrikarbeiter)  als  eine  veirufene 
Mensrhenclasse  behandeln  kann,  die  nicht  einmal  einen  kärglichen  'i'ag- 
lohn  wert  ist.  Heil  dem  Wackeren,  der  g-rau  wurde  oder  die  Haare 
verlor  in  Ehren  und  Wolstandl  Schmach  dem  armen  Schlucker,  den 
schon  im  ^lannesalter  die  NotU  und  böse  Menschen  zum  Staube 
niederbeugen!  — 

Doch  bevor  wir  uns  mit  Herrn  Passarge  genauer  auseinainler- 
setzen,  wollen  wir  ihn  erst  weiter  hören.  „Als  ich  noch  ein  Kind 
war  und  auf  dem  Lande  wohnte,  war  der  Stand  im  allgemeinen  ge- 
achteter als  jetzt,  und  zwar  darum,  weil  die  Lehrer  sich  nicht  dem 
Luxus  ergaben,  und  -weil  sie  ihre  Aufgabe  sehr  ernst  nahmen  und 
sich  nicht  überhoben."  —  Das  war  vor  ungefähr  60  Jahren;  die 


Digitized  by  Google 


—   649  — 


heutigen  Lehrer  mögen  sich  in  diesem  Spiegel  beschatten  und  flieh 
bessern,  zu  ▼eLchem  Behnfe  ihnen  Herr  Passarge  die  Anveisong  gibt: 
„IMe  Lehrer  mflssen  damit  an&Bgen,  wieder  bedOifhisIoser  za  werden, 
nicht  aber  höhere  Gehftlter  zu  verlangen.  Letzteres  ist  aber  der 
Kernpunkt  der  ganzen  Frage,  wie  sehr  man  dieselbe  auch 
sonst  aufbauschen  nnd  drapiren  mag."  (Diese  Stelle  ist  auch  im 
Buche  gesperrt  gedruckt) 

Welter  sagt  Herr  Passarge:  „Noch  Eines.  Ich  kenne  keine  mehr 
alberne  Redensart  als  die  vom  J8kg&r  von  Eöniggrätz*.  Das  Tüchtige 
steckt  entweder  schon  in  einem  Volke  oder  nicht.  Wissen  thut  gar 
nichts  hinzu.  Die  Tiroler,  in  deren  Mitte  ich  hier  lebe,  sind  im 
höchsten  Grade  bigott,  einiäUtig  und  unwissend,  aber  trotzdem  ein 
kräftiger,  tflchtiger  und  liebenswürdiger  Volksstamm,  der  an  Bildung 
des  Gemflthes  und  an  Charakter  viele  gebildete  Classen  in  Nord- 
deutschland  weit  übertrifif  —  Eine  prächtige  Theorie,  aus  welcher 
man  begreifen  kann,  warum  Herr  Passarge  so  schlecht  auf  die  Lehrer 
zu  sprechen  ist.  Wissen  tlmt  gar  nichts  hinzu  (zur  Tilchtigkeit). 
Der  höchste  Grad  von  Bigotterie,  EinMt  und  Unwissenheit  macht 
Herrn  Passarge  keinen  Kummer.  Drum  wünscht  er  auch,  dass  seine 
landsmännischen  (preußischen)  T^ehrer  etwa  so  gehalten  werden,  wie 
bisher  ihre  Collegen  in  Tirol,  denen  es  freilich  oft  recht  schwer  fallen 
musste,  gegen  Bigotterie,  Einfalt  und  Unwissenheit  anzukämpfen. 
Hätte  uns  nur  Herr  Passar<re  auch  gesagt,  welches  die  „vielen  gebil- 
deten riasseu  in  Xorddeutscliland"  sind,  die  von  den  biederen  Tirolern 
an  Bildung  des  Gemüthes  und  Charakters  übertrotlen  werden.  Zum 
Olück  sind  es  niclit  die  Volksschullehrer  nebst  Apothekern,  Künst- 
lern u.  s.  w.;  denn  die  sind  nur  ,,hall)"  gebildet,  während  Herr  Pas- 
sarge von  gebildeten  Classen  schlechthin  spricht.  Und  da  es  „viele" 
sind,  so  könnten  darunter  wol  auch  Geheime  Justizräthe  sein,  wie 
wir  da  einen  vor  uns  haben!  —  Noch  hält  dieser  Herr  den  deutschen 
Lehrern  ihie.  Collegeu  in  Norwegen  und  in  der  Schweiz  als  ^fuster 
vor,  an  denen  er  rühmliche  Sitten  mit  eigenen  Augen  beobachtet 
haben  will;  er  ist  ja  auch  Reisender.  Nur  schade,  dass  von  compe- 
tenten  Personen  in  Norwegen  und  der  Schweiz  die  Beobachtungen  des 
Henm  Passarge  als  sehr  oberflächlich  nnd  seine  Baisonnements  als 
voreilig  und  schief  nadigewiesen  werden!  (^he  das  Buch.) 

Nun  noch  das  Schlusswort  des  Herrn  Passarge:  „Sie  sehen  aus 
allem  diesem,  dass  ich  den  Volksschullehrem  eine  besondere  Bedeutung 
f&r  unser  deutsches  Leben  nicht  beilegen  kann.  Dass  es  in  diesem 
^Stande  viele  bedeutende,  ja  bewundernswerte  Ausnahmen  gibt,  versteht 


Digitized  by  Google 


—   6Ö0  — 


sich  von  selbst^*  (.Ansnahmen*,  welche  die  Regel  nicht  umstoßen 
und  sich  Überdies  »von  selbst  yerstehen",  also  fllr  das  ürtheil  fiber 
den  ganzen  Stand  nicht  ins  Gewicht  fStUent  so  meint  Herr  Passarge); 
„mein  Urtheil  betrifft  —  wie  schon  erwähnt)  —  den  Stand,  nicht  die 
Personen".  (Ich  denke,  wenn  es  den  Stand  betrifft,  so  betrifft  es 
auch  die  Personen,  die  diesen  Stand  bilden.  Dieser  Geheime  Jnstiz- 
rath  hat  eine  ganz  absonderliche  Logik!)  „Nicht  anf  den  Lehrer 
kommt  es  in  erster  Beihe  an,  sondern  auf  den  Schiller,  das  heiSt  anf 
das  Volk.  Freom  wir  nns,  dass  das  deutsche  Volk  ein  solches  ist» 
welches  einen  Vergleich  mit  seinen  Nachbarn  nicht  scheuen  äaxfi** 
Nun  ist  Herr  Passarge  fertig,  und  wir  freuen  uns,  selnier  Schluss- 
bemerknng  im  Hinblick  anf  den  letzten  preußischen  Schnlkrieg  bei- 
stimmen zu  k5nnen,  in  welchem  sich  das  deutsche  Volk  in  der  That 
yemttnftiger  zeigte,  als  jene  Sorte  der  sui>erfoin  Gebildeteo,  von  der 
Herr  Passarge  ein  gelungenes  Exemplar  ist.  Es  sind  last  durchaus 
Leute,  die  niemals  unter  der  Zucht  der  Volksschule  und  des  Volks- 
schullehrers gestanden  haben,  weil  es  ihnen  die  Mittel  ihrer  Eltern 
erlaubten,  sich  von  Kindesbeinen  an  vom  Pöbel  abzusondern. 

In  der  Tliat:  das  Zeitalter  des  Interessenkampfes  treibt  merk- 
würdige, leider  sehr  betrübende  und  besorgniserregende  Blüten,  so 
dass  die  Hoünunj?  auf  eine  triedlidie  und  heilsame  Lösung  der  socialen 
Fragen  mehr  und  mehr  schwinden,  und  die  Aussicht  auf  die  Zukunft 
iiiiuiei-  trüber  werden  muss.  Die  auf  den  Höhen  sitzenden  Stände 
Wüllen  niemanden  mehr  hinauflassen,  weil  ilinen  sonst  der  Platz  zu 
eng  und  der  Brotkorb  zu  klein  werden  könnte.  Daher  vertheidii^eU 
sie  ihre  privilegirte  Stellung  mit  allen  möigliclien  Watten,  nur  nicht 
mit  denen  der  Vernunft  und  ^foral.  Nackter  Kgoisn.us.  bodenloser 
Hochmutli,  rücksichtslose  Verachtung  und  Schmähung  der  Wehrlosen, 
das  sind  die  Tugenden,  die  leider  nur  allzuoft  von  den  „besseren 
Ständen"  geübt  werden.  Da  wirft  man  täglich  den  Socialdemokrateu 
vor,  dass  sie  den  Classenhass  schüren.  Arger  aber,  wie  dies  der 
Herr  Geheime  Justizrath  Passarge  thut,  lässt  es  sich  schwerlicli 
treiben.  Welchen  Anlass  hatte  er  denn,  in  seine  aufreizende  Kritik 
auch  die  Apotheker,  Kttnstler,  Buchhändler  u.  s.  w.  einzubezichen, 
Uber  die  ihn  ja  niemand  befragt  hatte?  Und  was  wollte  er  sagen, 
wenn  nun  di^  mit  dem  „Fluche  der  Halbbildung"  —  einem  Fluche, 
,4er  in  der  Sache  selbst  liegt  und  daher  nicht  zu  vermeiden  ist"  — 
beladenen  Glassen  sich  mit  gleicher  Brutalität  gegen  den  Stand  des 
Herrn  Geheimen  Justizrathes  wendeten?  Er  selbst  hat  ihnen  ja  Blößen 
genug  geboten.  Denn  wer  die  Welt  so  oberflächlich  beobachtet,  wer 


Digitized  by  Google 


-   651  — 


80  leichtfertig  ortheilt,  so  knabenhaft  generalisirt)  so  lieblos  richtet, 
die  einfachsten  Gesetze  des  gesunden  MenschenTerstandes  nnd  der 
Billigkeit  so  hart  verletzt,  wie  Herr  Passarge,  der  sollte  steh  doch 
hüten,  anderen  Leuten  die  Fenster  einzuwerfen.  Hätte  er  in  seiner 
juristischen  Praxis  denselben  Geist  bethätigt,  den  er  hier  als  Schrift- 
steller an  den  Tag  legt,  so  wttrde  er  viel  Unheil  angerichtet  haben. 
Gewiss  ist,  dass  mit  solchem  Geiste  niemand  ein  leidlicher  Apotheker, 
Künstler  oder  Yolksschullehrer  sein  kann,  geschweige  denn  ein  an- 
ständiger Geheimer  Schulrath  oder  etwas  tlMirriMi.hen.  Aber  Herr 
Passarge  war  offenbar  yon  einem  so  blinden  Lelirerhass  getrieben, 
dass  er  sich  nicht  nur  zu  Ausbrüchen  des  Classcnhasses  hinreißen 
ließ,  sondern  auch  sich  selbst  und  den  eigenen  Stand  compromittirte. 

Leider  machen  es  unsere  socialen  Verhältnisse  in  Verbindung  mit 
unseren  Schnleinnchtungen  möglich,  dass  gar  mancher,  der  an  Schätzen 
des  Geistes  und  Gemütlies  recht  leicht  zu  trufren  hat,  mit  der  Marke  der 
classischeu  und  akademischen  Bildung  eiiihei\stolziren  und  anderen  das 
Brandmal  der  HalMiihlniifr  aul'driicken  darf,  wenn  sie  ihm  aiicli  an  Ein- 
sicht, Besonnenheit.  Zartfrefühl,  (  'liarakter  und  Verdienst  weit  überlegen 
sind.  In  unserer  Zeit,  Itesonders  in  Deutschland,  qrilt  in  Sachen  der 
BiMunc-  der  innere  Gehalt  und  der  reale  Besitz  wenig,  die  amtliche 
Abstempehmg  und  der  papierne  Schein  alles.  Daher  kommt  es,  dass 
gar  oft  die  innere  Verfassung  und  die  Manieren  der  Menschen  nicht 
in  Einklang  stehen  mit  den  ?]tiketten.  die  ihnen  ex  olticio  aufgeklebt 
sind.  Mir  ist  unter  den  von  Herrn  Bassarge  so  verächtlich  be- 
handelten Apothekern ,  Künstlern.  Buchhändlern,  Schulmeistern  und 
sonstigen  Halbgebildeten"  bisher  niemand  begegnet,  welcher  ein  so 
unverständiges  'und  rolies  Urtheil  über  ganze  Stände  gefällt  hätte, 
wie  der  Herr  Geheime  Justizratli.  Dies  mag  avoI  daher  kommen,  dass 
die  „Halbgebildeten"  oft  mit  gutem  Erfolg  unablässig  nach  Vervoll- 
kommnung streben,  während  Lente,  die  schon  als  unreife  Buben  mit 
dem  Wahne  der  Auserwählten  erfüllt  werden,  lebenslang  ihren  Dünkel 
behalten,  wahre  Durchbildung  aber  niemals  erlangen.  Beides  zeigt 
sich  deutlich  in  dem  Schmähartikel  des  Herrn  Passarge.  Ihm  ist  es 
eine  ausgemachte  Sache,  dass  der  ganze  Stand  der  Volksschullehrer 
dem  Haas  und  Gespött  des  Volkes  anheimfklle;  er  stellt  dies  als 
natflrlich  und  unvermeidlich,  als  ein  Ergebnis  des  richtigen  Instincta 
der  öffentlichen  Meinung  dar  und  scheint  daran  sein  Vergnügen  zu 
finden,  wie  ihm  denn  die  ganze  Mission  des  Volksschullehrers  als  eine 
äußerst  geringfQgjge  erscheint,  die  daher  auch  keine  anständige  Ent- 
lohnung verdiene.  In  Preußen  hatten  nach  offlciellen  Angaben  Anno 


Digitized  by  Google 


—  652  — 


1886  mehr  als  3000  YolksscluiUehrer  weniger  als  600  Mark  Jahres- 
einkommen, mehr  als  30UO0  weniger  als  900  Mark,  und  seitdem  ist 
eine  gründliche  Verbesserung  dieser  Verhältnisse  nicht  erfolgt.  Und 
da  liat  Herr  Passarge  die  Stini,  zu  sajren:  ,,Es  geht  ihnen  hierin  wie 
den  heutif^^en  Fabrikarbeitern:  je  mehr  sie  haben,  um  so  melir  ver- 
langen sie.  Meiner  Ansieht  nueh  sind  die  Lehrer  in  Preußen  bereits 
so  gestellt,  dass  sie  iiotliwendig  übermiit hig  werden  müssen. 
Ihre  Gehälter  erhöhen  hieße  den  Stand  nocli  melir  discre- 
ditiren."  —  Man  würde  einen  so  lierzlosen  und  brutalen  Ausfall 
nimmermehr  einem  Geheimen  Justizratli  zutrauen,  wenn  man  ihn  niclit 
scliwarz  auf  weiß  vor  sich  hätte.  Die  Liebenswürdigkeiten,  welche  er 
noch  speciell  den  Lehrern  in  Litauen  ei  weist,  mögen  diese  selbst 
würdigen;  wahrscheinlich  beruhen  sie  auf  derselben  o1»jectiven  Auf- 
fassung des  Thatbestandes,  wie  die  oben  erwähnten  Kaisouuemenis 
über  die  Lehrer  in  der  vSchweiz  und  in  Norwegen. 

Wenn  man  nun  bedenkt,  dass  Herr  Passarge  jedenfalls  viele  ge- 
heime Gesinnungsgenossen  hat,  und  wenn  man  die  vielen  anderen 
hochmögenden  Herren  hinzurechnet,  welche  längst  als  geschworene 
Lehrerfeinde  bdcannt  »Dd,  weil  sie  ihrem  Hasse  bei  jeder  Gelegenheit 
Öffentlich  den  schärfsten  Ausdruck  geben:  so  begreift  man,  warum  es 
den  deutschen,  besonders  den  preußischen  Lehrern  so  schwer  wird, 
sich  eine  bessere  Stellung  in  der  OeseUschaft  zu  erringen.  Unter 
solchen  Verhältnissen  wird  man  es  aber  auch  billig  finden,  wenn  end- 
lich einmal  ein  Ezempel  statuirt  wird  an  den  Lästerern  des 
Lehrerstandes. 


Nun  noch  ein  Wort  an  die  deutschen  Lehrer  selbst.  Ich  bitte 
sie,  mir  einige  Bathschllge  zu  gestatten  und  dieselben  vorurtheilslos 
zu  prttfen. 

1.  Wenn  uns  hier  in  den  Auslassungen  des  Herrn  Fassarge  eme 
sehr  abschreckende  Probe  dassischer  und  akademischer  Bildung  ent- 
gegentritt, so  wolle  sich  doch  niemand  zu  jener  voreiligen  Generali- 
sirung  verleiten  lassen,  welche  ein  untrügliches  Merkmal  der  Halb- 
bildung ist,  und  eben  in  dem  Gerede  des  Herrn  Passarge  eine  hervoi'^ 
ragende  Rolle  spielt.  Man  darf  aus  diesem  Specimen  keineswegs 
schließen,  dass  die  classische  und  akademische  Bildung  an  sich  zu 
solcher  Missgestalt  tendii'e  und  in  der  Begel  so  kläglich  auf  der 
Obert1a<  he  sitze,  wie  bei  Herrn  Passarge  und  "vielen  andern.  Zum 
Glück  entliält  das  Buch  des  Herrn  Meyer  zahlreiche  Belege  gegen- 
theiliger  Art.  Man  lese  z.  B.  die  im  Buche  enthaltenen  Ausführungen 


Digitized  by  Google 


—   653  — 

von  anderen  Juristen,  femer  von  Hedicinern,  Pldlologen  (Mftnnem  ^ 
des  höheren  Scholamtes)  und  Theologen  (Geistlichen),  nnd  man  wird  • 
da  Ust  durchgängig  schOne  Frohen  wahrer  Bildung  finden. 

2.  Lasst  euch  nicht  verbittern  und  niederschlagen  von  bdsem  und 
falschem  Leumund!  Wenn  Herr  Passarge  darauf  aussngehen  scheint, 
den  liefarerbemf  verächtlich  zu  machen  nnd  den  Lehrerstand  anfe 
äußerste  zu  demaihigen,  so  lasst  euch  nicht  das  Bewusstsein  rauben, 
dass  ihr  eine  hohe  nnd  ehrenvolle  Mission  an  eurem  Volke  zu  er- 
füllen habt! 

3.  Gebt  aber  auch  den  Stimmen  von  gerade  entgegengesetzter 
Art  kein  Gehüi  l  P^inen  schroffen  Contrast  zu  Passarge's  Kapuzinade 
bildet  z.  B.  folgender  Aussprach  eines  andern  auf  S.  169  des  Mej-er- 
schen  Buches:  „Nur  eine  Untugend  besitzt  der  deutsche  Lehrer:  die 
Bescheidenheit.  Dalicr  kommt  es  auch,  dass  man  ihn  so  stiefmütter- 
lich behandelt.  Es  fehlt  ihm  die  Unverschämtheit  des  Juristen,  die 
Praxis  des  Bürsenniannes  und  die  Brutalität  des  feudalen  Grund- 
besitzers, im  allgfmeiiit'n  das  selbstbewusste  Auftreten,  durch  welches 
er  sich  Geltung  erzwingt.  Freilich,  Bescheideiiiieii  ist  der  Stempel 
tiefen  Wissens  und  edlen  Herzens;  aber  wer  sie  übt,  gilt  nichts  in 
der  Welt  und  wird  in  ihr  stets  und  überall  zurückgesetzt  werden. 
0  deutsche  Lehrer,  seid  etwas  weniger  bescheiden,  damit  ihr  etwas 
mehr  von  dem  erhaltet,  was  euch  gebürt!"  —  Da  haben  wir's.  Den 
einen  sind  die  Lehrer  zu  hochmUthig,  den  andern  zu  demütliig;  aut 
beiden  Seiten  aber  .spricht  sich  der  generalisireude  und  rücksichtslose 
Classenhass  und  Interesseukampf  aus,  welcher  gegenwärtig  die  deutsche 
Nation  zerrüttet.  Da  heißt  es  denn  für  den  Lehrerstand:  Vorsicht, 
Besouiienheit,  Ruhe!  Stimme  nicht  ein  in  dieses  wüste  Geschrei;  sei 
überzengt,  dass  das  jetzt  herrschende  Sittensystem  kläglich  scheitern 
nnd  wieder  den  Moralgesetzen  der  Väter  unserer  Cultur  weichen 
wird!  Inzwischen  aber  lass  dir  den  .Stempel  tiefen  Wissens  und 
edlen  Herzens"  besser  gefallen,  sJs  die  „Unverschämtheit"  nnd  „Bru- 
talität", womit  andere  ihr  Glftck  begrOnden! 

4.  Wenn  wir  Hännem,  welche  von  so  bomirten  Vomrtheilen  nnd 
von  so  blinder  Feindschaft  gegen  den  Lehrerstand  getrieben  werden, 
wie  Herr  Passarge,  jeden  Beruf  zur  Kritik  des  Lehrerstandes  schlecht- 
hin absprechen  mttssen,  selbst  wenn  dieser  an  tausend  Sünden  litte, 
so  darf  dies  niemanden  dazu  verleiten,  jeden  fttr  ehien  Feind  des 
Lehrerstandes  zn  halten,  der  Überhaupt  Ausstellungen  an  ihm  zu 
machen  unternimmt  Es  gibt  auch  Tadel,  welcher  eben  so  gerecht 
als  wolgemeint  ist.  Den  soll  man  sich  zu  Herzen  nehmen,  nnd  die 


Digitized  by  Google 


—    054  — 


ihn  aussprechen,  soll  man  als  gnte  Freunde  achten.  Meyers  Bach 
gibt  hierza  genllgende  Gelegenheit 

5.  Die  Lehrer  sollen  bezfiglich  ihrer  Bepntation  nicht  allzu  em- 
pfindlich sein  nnd  sich  ihrerwegen  nicht  allzusehr  erhitzen.  Sie 
mögen  bedenken,  dass  es  auch  noch  verständige  und  gerecht  denkende 
Leute  gibt»  welche  sich  nicht  von  bösen  Zangen  dictiren  lassen,  was 
sie  vom  Lefarerstande  zu  halten  haben.  Nur  in  den  dringendsten 
Fällen  soll  er  sich  zu  einer  besonderen  Action  ffir  seine  Ehre  be- 
stimmen lassen;  oft  wird  die  stille  Verachtung  der  Lästerer  und  die 
Gelassenheit  reclitschaffenen  Verhaltens  die  beste  Waflfe  sein,  und  oft 
auch  kann  der  Lehrerstand  die  Vertheidigung  getrost  seinen  Freunden 
überlassen«  Keinesfalls  darf  nochmals  eine  Enquete  unternommen 
werden,  wie  sie  Herr  Meyer  angestellt  hat.  Diese  eine  sei  ihm  ver- 
ziehen; denn  sie  war  gut  geroeint,  brachte  viel  Lehrreiches  mit  sich 
und  war  überdies  der  erste  Versuch  ihrer  Art,  bei  welchem  über  die 
Schattenseiten  des  Unternehmens  noch  keine  Erfahrun£»^en  vorlagen. 
Nun  aber  stehen  sie  fest,  und  daher  sei  es  genuf^  mit  dem  Gebotenen. 
Denn  einerseits  kami  der  Zweck,  den  „Leumund  der  Lelirer"  zuver- 
la-ssig  festzustellen,  auf  diesem  Wepfe  überhaiiiit  iiidit  erreicht  werden, 
weil  die  Schriftsteller  im  allgemt^inen  erstens  gar  nicht  berufen  sind,  die 
aufgeworfene  Frage  unter  sicli  zu  (:'iits<-heideii,  zweitens  abt-r  die  Mehr- 
zahl derselben  gar  kt'in  Vutum  ab<.'ibr:  aiulerseits  li^-gt  in  besagter 
Enquete  manches,  was  mit  der  Selbstachtung  des  Lehrerstandes  nicht 
vereinbar  ist.  Derselbe  wird  überhaui)t  gut  thun,  weniger  auf  die 
Meinung  der  Welt,  als  auf  die  Stimme  seines  Gewissens  zu  hören; 
nicht  sowol  darnach  zu  fragen,  was  dem  oder  jenem  Schriftsteller  be- 
liebt, als  darnacli,  was  ihm  Khre  und  Pllicht  gebietet. 

6.  Der  Lehrerstand  soll  sich  gerechten  Tadel  zu  Nutze  machen, 
soll  achtsam  auf  alle  Fehler  und  Gebrechen  sein,  die  in  seinem  Scholie 
vorkommen,  und  soll  sich  täglich  bemühen,  sie  abzustellen;  er  soll 
rastlos  an  seiner  SelbstvervoUkommnnng  arbeiten,  sowol  in  allgemein 
menschlicher  als  in  beruflicher  Beziehung;  böswilligen  Angriffen  auf 
seinen  Leumund  aber  soll  er  in  erater  Linie  die  stets  und  überall 
wirksamsten  Mittel  entgegensetzen:  ehrenhaften  Wandel  und  uner- 
schütterliche Treue  im  Dienst! 


Digitized  by  Google 


ndagogisehe  Biindseluiii. 


Der  IX.  I)rnts(  lir  Lehr»  rtag.  (Halle,  Pfingstwoche  1892.)  Alao 
einen  niöirliclist  knai'pen  Ht-richt  wünschen  Sie  diesmal,  hochgeschätzter  Herr 
Redacteur?  Gut,  hier  haben  Sie  ihn! 

Ans  den  Verhandlungen  der  VorTersammlnng  am  Abend  des  7.  Juni 
bebe  ich  hervor,  das«  anSer  FeststeUnng  der  Tagesordnung  für  die  Havpt- 
versainmlung  zum  Vorstande  bestimmt  wurden  die  Lelirer  Clausnitzer, 
Berlin,  Bakkes,  Dannstadt,  und  Dr.  Schnieil.  Halle.  Warm  eiii|it'niiden, 
inlialtlich  wol  aV>gerundet  war  eine  längere  Begrüßungsrtde,  die  der  llalhsche 
Lehrer  Dr.  Sc  hm  eil  mit  zündender  Begeisterung  vortrug,  und  worin  be- 
sonders der  Segen  der  Lehrervereinignngen  betoni  nnd  mit  Nadidmck  darauf 
verwiesen  wurde,  wie  der  IX,  Deutsche  Lehrertag  wiederum  unter  dem  Zeichen 
eines  großen  rildago^en.  d«.s  Conienius.  stehe,  gleich  wie  der  VIII.  in 
Diest«'rweg  seinen  bestimmenden  Ansdrnck  gefunden  habe.  Trotz  Be- 
fleiüigung  größtmöglicher  Kürze  kann  ich  nicht  umhin,  ein  Hoch  von  Lehrer 
Oallee  auf  den  Nestor  der  deutschen  Lehrerschaft,  den  „Großvater"  der 
hessischen  Lelirer.  Johann  Schnitt,  Dannstadt,  zu  verzeichnen.  Letzterer, 
der  seinen  78.  Geburtsta?  feierte,  warf  in  seiner  Erwiderung  einen  Rückblick 
auf  die  LehrerlM  wognng  in  den  letzteu  ÜO  Jaiireu,  an  deueu  er  stets  regen 
persönlichen  Antheil  genommen  hat. 

Die  L  Hauptversammlung  am  folgenden  Morgen  wurde  durch  einen 
CliorgesaugHallescher  Lehrer  (Httul:  „H5runs,  Gott,  Herr  der  Welt!")  eröffnet, 
worauf  der  1.  Vorsitzende  die  zahlreiche  Vei-sammlung  (es  waren  182G  Gäste 
in  die  Theilnehmerliste  eingetragen)  in  kurzer  Ansprache  begrüßte.  Ein  paar 
Sätze  daraus  zu  verzeichnen,  möge  gestattet  sein:  „Ein  eisiger  Reif  drohte 
die  EntWickelung  des  Volksschnlwesens  im  giüCten  deutschen  Bundesstaate,  in 
Preufieo,  zu  hemmen.  Allein  das  Volk  wollte  sich  sein  herrliehstee  Kleinod  nicht 
verkümmern  lassen.  Ein  Sturm  der  Entrüstung  brauste  durch  das  Land  und 
zerstreute  die  dr-r  A'olks^chulf  dnilionden  t Jefahren."  Nach  einem  Ilocii  auf 
den  Kaiser  des  l>i  iir-rhen  Kt  iclis  wurde  sudann  ein  IJcgrüßungstelegramm  an 
„den  obersten  Schiuuherru  des  Reichs  und  den  obersten  Schutzherrn  auch  der 
Schule**  beschlossen.  Kit  stfirmis^em  Beifall  wurde  die  BegrüBungsrede  des 
OLerbürgermelBters  von  Halle,  Staude,  entgegengenommen.  Auch  hier  wieder 
einen  die  Stimmung  in  Preußen  und  im  Reich  kennzeichnenden  Satz!  „Die 
stiültisclien  Uehiirden  in  Halle  seien  stets  bemüht  gewesen,  die  Volksschule  zu 
vermehren  und  zn  verbessern,  nnd  nachdem  es  gelungen  sei,  den  Zedlitz'.scheu 
Schul-Gesetzentwnrf  zu  beseitigen,  werde  es  in  Halle  hoffentlich  gelingen,  ein 


Digitized  by  Google 


—  656  — 


Schniwesen  zu  srliaftVn.  das  dtT  hentijfen  fortstrebenden  Entwitkelung'  in  jeder 
Beziehung  zur  Ehr.-  p:ereichen  werde."  Auch  Schulrath  Dr.  Xiälie  und  der 
Lehrer  veterau  Tang  er  mann  (letzterer  uaiueus  der  gastgebeuden  Lehrer- 
schaft) BpracheD  Worte  der  B^^rttßnng.  Die  Fettrede  rar  Comeninsfeier 
hatte  Pastor  primatiu  Seyffarth,  Liegnitz,  ttbemommen,  der  eben  so  grfind- 
lieh  wie  anziehend  die  ErzieliunjETSgrundsätze  des  großen  Schulmannes  anf  die 
Forderungen  der  modernen  Pädagogik  anzuwenden  verstand.  Comeniusreden 
sind  im  letzten  Jahre  viele  gehalten,  der  gedankeureichsteu  eine  dürfte  die 
SeyiKurlhache  gewesen  sein.  Wir  legen  den  Fipger  wiederam  anf  einen  Satz, 
n&mlich  auf  den  folgenden :  „Comenins  wire  selhttTerständlidi  nicht  fthig  gewesen, 
einen  Schnlgesctzentwnrf  aosznarbeiten  wie  den,  der  jilngst  glücklicherweise 
wieder  zu  Grabe  getragen  ist."  DasR  der  Redner  als  Theologe  sicli  gegen 
die  confessionelle  Schule  erklärte,  dass  er  für  die  Befreiung  der  Schule  von 
kirclilicher  Bevormundung,  für  Einführung  eines  Unterrichts*  statt  Cultus- 
Ministeriums,  für  die  allgemeine  Volksschule,  für  eine  sorgenfreie  Lebens- 
stellung der  Lehrer  U.  s.  w.  eintrat,  soll  ihm  von  uns  Lehrern  mit  Dank  in 
unseren  Herzen  „gut  gesclirieben"  werden.  Moehte  die  Kede  auch  zu  lang 
geiiitlien  sein,  sie  hatte  dt-n  s^tiiiinischen  Beifall,  namentlich  am  .Sclilusse,  wol 
verdient.  —  Den  folgenden  \  (Ji  trag  hielt  der  durch  seiue  liberale  Auffassung 
der  Sclinl*  und  Erziehnngsangelegenheiten  unter  Deutschlands  Lehrern  vor- 
theilliaft  bekannte  Wormser  Stadtschnlinspector  Scherer  über  „Die  all- 
gemeine Volksschule  in  Rücksicht  auf  die  .sociale  Frage."  Aus- 
gehend von  Comenius'  Fordening,  dass  die  Kinder  einer  Gemeinde  gemein- 
sam die  Mutterschule  vom  0.  bis  12.  Leben^ahre  besuchen  sollen,  damit  sie 
sich  gegenseitig  anregen  und  alle  zu  allen  Tagenden  —  Bescheidenheit,  Ein- 
tracht,  gegenseitiger  Dienstharkelt  —  enogm  werden,  bevor  sie  zum  Hand- 
werk oder  Stadium  fibergehen,  —  hinweisend  atif  Pestalozzi,  der  zu  denselben 
Forderungen  kam,  stellte  Redner  die  Forderung  auf,  dnss  der  Mensch  heute 
als  Glied  des  nationalen  Staates  aufzufassen  und  zu  ei  ziehen  sei,  da  sich  die 
Individaalerziehnng  zur  Socialerziehong  za  erweitem  habe.  In  einem  sich 
aascblieBenden  geschichtlichen  Bttckblicke  erinnerte  Scherer  daran,  dass  es  in 
dem  V.  Süvernschen  preußischen  Unterrichtsge.sotzentwurfe  von  1819  heiße: 
„Die  Schule  gliedert  sich  bis  dahin,  wo  die 'J'hätigkeit  der  rniversitilt  V»eginnt. 
in  die  allgemeine  Volksschule,  die  allgemeine  Stadt.scliule  und  das  Gymnasium; 
diese  drei  sind  als  eine  einzige  Anstalt  zur  Natioualschulerziehuug  zu  be- 
trachten." Auf  die  Entstehung  und  Entwickelang  der  Socialdemokratie  über- 
gehend, äuBert  Bedner  seine  Meinung  dahin,  dass  der  junge  Mensch,  der  ihr 
anheimfalle,  aus  seiner  kirchlich  dogmatischen  Schulbildung  keine  le.ste  .sittlich«' 
Weltanschauung,  die  sein  Gemiith  und  sein  Denken  befriedige,  mitltringe.  Das 
machen  sich  die  Fiihrer  der  Socialdemokratie  zu  nutze,  sie  bieten  ihm  die 
Weltansehaunng  des  atheistischen  Materialismus.  Der  junge  Mensch  werfe 
nun  seine  alte  UreUich-dogmatisdie  Weltanschauung,  welche  er  mit  dem  Ge- 
dächtnisse aufgenommen  habe,  beiseite,  damit  zugleich  aber  auch  die  ewig 
wahren,  religiösen  und  sittlichen  Wahrheiten,  die  man  ihm  nur  in  Verbindung 
mit  der  kii'chlich-dogmatischen  \N  eltanschauung  geboten  habe.  Die  atheistische 
Weltansehanung  kQnne  dem  Menschen  die  innere  Befriedigung  auch  nicht 
geben.  So  wachse  ein  Mensch  heran,  dem.  die  religite  sittlichen  Ideale  fehlen, 
der  nur  seine  Sinneslust  zu  befriedigen  sucht,  der  mit  Hass  und  Neid  gegen 


Digitized  by  Google 


—  657  — 


die  besitzenden  Classen  erfüllt  sei,  die  vviedcram  ängstlich  sich  von  ihm  zu- 
rückzögen, tür  seine  Lebeusbedingungeu  kein  Verständnis  hätten,  von  denen 
er  und  Beine  Kinder  schon  vom  ersten  Schnltage  an  getrennt  würden.  Damm 
sei  die  allgemeine  Volksschule  eines  der  Heilmittel  gegen  die  Ursachen  der 
Socialdemokratie.  Die  nationale  Einigung  des  deutschen  Volkes  müsse  zur 
wahren  Homogenität  desselben  ausgebildet  werden,  und  diese  bestehe  nicht  in 
Uulieren  Dingen,  sondern  in  der  (iemeinschaft  der  geistigen  und  sittlichen 
Qmndlagen.  Die  Trennung  der  Kinder  vom  ersten  Schuljahre  an  nach 
Stttnden  und  Ckmfessionen  sei  eine  kfinstliche,  denn  alle  Moiisehen  sind  in 
ihrem  Wesen  gleich  und  allgemeine  Emporbildung  zu  reinem  Menschenthum 
ist  Zweck  und  Aufgabt^  der  Erziehung  bei  allen  Menschen."  Durch  die  all- 
gemeine Volksscbule  werde  der  Mensch  za  einem  religiös-sittlichen  Charakter, 
der  sein  Eigenwol  dem  Wole  des  Ganzen  unterordnen  und  sich,  wenn  auch 
die  Bildungs-  und  Bemftwege  auseinandergehen,  doch  als  OUed  dee  nationalen 
Ganzen  fühle.  Durch  sie  werde  der  Classenhass  verbannt  nnd  edler  Gemein- 
sinn unter  den  Gliedern  der  Nation  erzeugt.  Es  werde  durch  sie  zwischen 
reich  und  arm  ein  Band  gegenseitiger  Liebe  und  Wertschätzung  geknüpft, 
das  Verständnis  der  Lebensverhältnisse  der  verschiedenen  Stände  unterein- 
ander, vor  allem  aber  der  vertrauliche  Verkehr  von  Person  zu  Person  ange- 
hahnt. Auch  die  besitzend«  n  ('lassen  würden  mehr  Literesse  an  der  Volks- 
schule gewinnen,  man  werde  kleinere  Klassen  bilden  u.  s.  w.  Auch  werde 
man  Volkskindergärten  einrichten.  Ebenso  werde  sich  mehr  Verständnis  für 
die  äußere  Lage  der  Lehrer  herausbildeu.  Keduer  geht  danu  zur  Organi- 
sationsfirage  der  deutschen  Nationalsehule  fiber,  deren  Unterbau  die  allge- 
meine Volksschule  zu  bilden  habe.  Des  Näheren  begründet  er  dann  noch  die 
folgenden  Leitsätze: 

I.  I>ie  Schule  kann  an  der  Lösung  der  socialen  Erage  dadurch  mitarbeiten, 
dass  sie,  soweit  es  die  ilir  zu  Gebote  stehenden  Mittel  gestatten,  alle  Glieder 
der  Nation  zu  mSgliehst  vollkommener  Entwiekelung  ihrer  körperlichen, 
geistigen  und  sittlichen  Kräfte  im  nationalen  Sinn  und  Geist  bringt  und  eine 
Jugend  erzieht,  die  frei  ist  von  Standesvorurtheilen  und  erfüllt  ist  v(m  edlem 
Gemeinsinn  und  echter  Vaterlandsliebe. 

IL  Die  pädagogischen  Vorbedingungen  einer  so  gearteten  Schulerziehung 
künnen  am  vollkommeniteo  crfUlt  werden  durch  eine  SchulorganisatiOBy  durch 
welche  die  AngehSrigen  aller  Stände  naehlfltglichkeit  zusammengeftthrt  werden 
und  für  den  Übertritt  aus  den  niederen  Stufen  in  die  hOheren  durch  den 
organischen  Zusammenhang  aller  Scliulanstalten  Sorge  getragen  wird. 

III.  Aus  diesen  Gründen  erhebt  der  IX.  Deutsche  Lehrertag  folgende 
Forderangen: 

1.  a)  Staat  und  Gemeinde  sollen  für  die  gemeinsamen  Bildungsbedürf- 
nisse auch  nur  gemeinsame,  allen  in  gleicher  Weise  zugäng^che  Bildungs- 

aostalten  errichten. 

b)  Insbesondtr»'  soll  für  den  allen  Kindern  uothwendigen  Elementar- 
unterricht nur  eine  Art  vou  öti'entlicheu  Schulen  vorhanden  sein  nnd  sollen 
daneben  auf  Kosten  des  Staates  oder  der  Gemeinde  besondre  Vorsdiul«! 
für  höhere  Lehranstalten,  Mittel-  und  höhere  Mädchenschulen  nicht  errichtet 
noch  organisch  damit  verbunden  werden.  Die  bestehenden  Vorschulen  sind 
au&uheben. 


Digitized  by  Google 


—   658  — 


2.  Auf  diesem  gemeinsamen  Unterbau,  der  „allgemeinen  yolksscbnle**^ 
bauen  sich  auf: 

a)  die  BUrgerscbnle  (niedere)  nnd  deren  fji>rt8etxnng»  die  ForkbUdang»* 

schale; 

b)  die  liühere  Biirgtischule  (^Mittel-,  lital-  uud  höhere  Mädcheiifchule); 

c)  die  bSheren  Lehranstalten  (Oben-ealschule,  Gymnasiom  n.  s.  w.). 

S.  Die  Torhandenen  EinriehtiiDgen,  welche  begabten  tamema  Kindern 

den  Besuch  der  höheren  Lehranstalten  ermöglichen  (Befreiung  von  Schul- 
geld, kostenfroio  Alumnate  u,  s.  w.)  bedürfen  einer  weiteren  Ausdehnung 
und  weiden  der  üÖenÜicUen  und  privaten  Fürsorge  empfohlen. 
Der  Vortrag  wurde  oft  von  stQrmisdiem  Beifall  unterbrochen  uud  zum 
Sdilosse  langanhaltend  damit  ansgeseichnet.   (Wir  bemerken,  daas  derselbe 
zum  Preise  von  40  Pfennig  in  der  Mejer-Markan sehen  .Sammlung  päda- 
gogischcr  \'orträge**  [  Hit  letVldJ  erschienen  ist.)   Den  von  Scherer  aufgestellten 
Leitsätzen  wurde  ohne  weitere  Besprecliung  zugestimmt. 

Auch  die  IL  Hauptversammlung  aia  Vormittag  des  8.  Juni  wurde 
mit  dem  Gesang  einer  Motette  („UnermeasUch  ewig  ist  Gott")  o^ffhet.  ^Die 
Vorbildun^r  der  Volksschullehrer"  liieß  der  erste  Verhandlungsgegen» 
stand,  Rektor  R.  Rissmann,  Berlin,  der  KNdntr.  In  bekannter  klarer  nnd 
wissenschaftlich  ruhiger  Vortragsweise  begründete  dei'selbe  die  folgenden 
Leitsätze: 

1.  Die  gegenwärtige  VorbUdnog  des  VolkssehuIIehren  kann  gegen- 
über dra  heutigen  Anfordemngen  an  den  Lehrerbemf  nldit  als  geniigend 
anerkannt  werden. 

2.  Behufs  einer  zweckmäßigen  Gestaltung  derselben  erscheint  in  erster 
Linie  eine  solche  Organisation  der  Lehi  erbildnngsanstalten  notbw  endig,  dass 
dieselben  im  wesentliche  nur  der  pUdagogischen  Fachbildung  zu  dienen 
haben. 

3.  Die  als  Grundlage  der  letzteren  unerlässliche  allgemeine  Bildung  ist 
am  zweckmäßigsten  durch  Absolvirung  einer  der  bestehenden  höheren 
Büdungsaufitalten,  vorzugsweise  der  Oberrealschule  zu  erwerben. 

4.  Es  ist  unerlässlich,  daas  die  an  Seminaren  wirkenden  Lehrer  neben 
der  erforderlichen  wissenschaftlichen  Bildung  andi  eine  durch  eigene  Er- 
li&hrung  gewonnene  genügende  Kenntnia  des  Volkaachulwesens  besitzen. 

5.  Kino  Sonderung  der  Seminare  nach  der  Confession  ihrer  Znsrlinge 
ist  aus  der  Eigenart  dieser  Schulgattung  nicht  zu  begründen.  \  iehnehr 
folgt  aus  der  Auffassung  des  Seuüuai's  als  einer  Fachschule  die  Einrichtung 
paritätischer  Anstalten. 

6.  Es  em])lielilt  sich,  die  Seminare  an  größeren  Orten  oder  doch  in 
deren  Nähe  anzulegen,  damit  die  an  solchen  vorliandenen  mannigfachen 
Bildungsmittel  den  Zöglingen  nutzbar  gemacht  wcrdi  ii  kimiien. 

7.  Das  Internat  ist  nicht  als  eine  für  die  Erziehung  der  künftigen 
Lehrer  nnentbehrliehe  Einrichtung,  sondern  lediglich  als  eine  Veranstaltung 
zur  Unterstützung  bedürftiger  Zöglinge  zu  betrachten.  In  keinem  Falle 
darf  die  Hausordnung  desselben  eine  solche  sein,  welche  die  Zöglinge  von 
der  Außen w^-lt  abschließen  und  die  Entwickelung  selbststäudiger  Charaktere 
hiudein  würde. 

8.  Dem  Volksschullehrer  ist  auf  Grund  seiner  SeminarUldong  unter 


Digitized  by  Google 


—    ÜÖ9  — 


Voraassetzuiig  liervorragender  praktischer  Leistungen  die  Befähigung  zur 
Bekleidnng  eines  Schnlaiifiichtsainte«  nuaerkennen. 

Der  Vortrag  wurde  äußerst  bt  ifullig  auf^eoommeD;  die  Besprechung  ge- 
staltete sich  ebenfalls  selir  li  bliaft.  Wir  kfinnen  nur  ein  paar  der  Redner 
herausg:reifen:  Hanptlelirer  (.iressler,  Hannen,  der  bekanntlich  mit  5<)  ilark 
Urduuugsstrafe  belegt  wurde,  weil  er  gegen  den  Zedlitz'scheu  Schulgesetz- 
entworf  mehrmale  Sffentlieh  aafgetreten  ist.  Dieser  Uraadie  entsprang  sonder 
Zweifel  auch  der  großartige  BegrttBangsstunn,  mit  dem  derBedner  empfangen 
wurde.  Landtag:sabß:eordneter  Lehrer  Kalb,  Gera,  verwahrt  die  Schule 
davor,  immer  und  immer  mit  der  Socialdemokratie  in  \'erbiii(hing  gebracht  zu 
werden.  Univemtätaprofeasor  Dr.  Rein,  Jena,  btimmt  den  Forderungen  des 
Vortragenden  nicht  nnr  ans  pädagogischeD,  sondern  aneb  ans  eocialpolitisolien 
Gründen  zn.  Schnlinspector  S  c  h  e  r e  r ,  Worms,  will  als  Vorbereitnngsaaatalt  fBr 
da«  Seminar  die  Oberrealschnlo  statt  der  von  Rissmann  ursprünglich  genatinten 
höheren  Bürgerschule  aneikannt  wissen.  Reg.-  und  Sriiulratli  Soliöjijja.  Map^de- 
borg,  hält  an  der  Vorbildung  der  Seminaristen  auf  Präparanden-Austalteu  test, 
deren  VerlwsBenuig  er  firdlieh  für  nOthig  eraehtet. — Aodi  beim  sweiten  Gegen- 
stande der  Tagesordnung,  „DieBehandlnng  der  verwahrlosten  nnd  sitt- 
lich gefährdeten  Jogend"  von  Lehrer  und  Redactenr  Helmcke,  Magde- 
burg, müssen  wir  uns  vorgeschriebener  Küree  halber  begnügen  mit  Wieder- 
gabe der  Leitsätze,  die  keine  Besprechung,  wol  aber  im  allgemeinen  Zu- 
stimmung erfuhren.    Sie  lauteten: 

1.  Nnr  eine  sorgsame  Erziehung,  nicht  aber  eine  einzdne  Strafe,  die 
bloa  ein  Glied  in  der  Kette  der  Eniehnngsmaßnahmen  sein  kann,  vermag 
einem  sittlich  verdorbenen  oder  peflUirdeten  Jui^tMKlli'hPu  diejenige  sittliche 
Reife  und  (  harukterstftrke  zu  verleihen,  welche  alleiu  auf  die  Dauer  von 
Strafthateu  abhält. 

2.  Ans  mehrfachen  erziehlichen  GrSnden  mnss  die  Straftmmfindigkeit 
mindestens  bis  zum  14.  Lebensjahre  ausgedehnt  werden. 

B.  Snwn]  ülier  bereits  sittlich  verwahrloste  Kinder  unter  14  Jahren, 
ganz  fjh'icli.  oh  iliie  Verwahrlosung  bereits  in  einer  Stratthat  Ausdruck  ge- 
funden hat  oder  nicht,  als  auch  über  solche  Kinder,  deren  sittliche  Ver- 
wahrlosnng  zu  befOrdliten  steht,  weil  bereits  AnflUige  derselben  deutlich 
erkennbar  sind  oder  die  Persönlichkeit  der  Poltern  oder  sonstige  VerlklUtnisse 
eine  solche  herbcifilhren  müssen,  ist  staatlich  ftberwachte  Erziehnog  zn  ver- 
hängen. 

4.  Die  Aufgabe  jeder,  also  auch  der  staatlich  überwachten  Krziehung 
ist  die  Heranbildnng  eines  sittlich  toten  Charakters.  £•  mnss  daher  mUg' 
lieh  sein,  diese  Erziehung,  felis  nicht  Mher  die  Gewtthr  einer  weitermi  guten 

Führung  voihanden  ist,  bis  zum  20.  oder  21.  Lebanyahre,  der  Heeres- 

pilichtigkeit  der  miliinlichen  Jufr<  nd,  auszudelnien. 

5.  Auch  für  jugendliche  \'<'i  \valulo8te  zwischen  14  und  18  Jahren  ist 
die  staatlich  uberwachte  Erziehung  als  erstes  Mittel  zu  ihi'er  Besserung  ins 
Auge  zn  fassen. 

6.  Eine  gerichtliche  Freiheitsstrafe  als  Zntatzstrafe  ist  bei  den  mit 

derselben  verknüpff-  n  lifibMikr-n  allein  dann  empfehlenswert ,  wenn  nur 
durch  eine  voranjjehende  bedeutende  Erschütterung  des  Gemüths  ein  Ein- 
gehen auf  eine  erziehliche  Einwirkung  ermöglicht  odei-  duich  die  Aussicht 


Digitized  by  Google 


—  660  — 


anf  einen  Ei  iaßs  der  nachfolgenden  Strafe  die  Wirksamkeit  der  erzielüichea 
Uaflnahmen  nntenttttst  wefta  kann. 

7.  Da  das  Beispiel  den  naeUialtigsteB  EinfliiM  antttbt»  so  mnss  die 
Strafhaft  auf  jeden  Fall  so  gestaltet  werden,  daaa  nachtheilige  Einwirknngen 
femgehalten  werden. 

8.  Die  staatlich  überwachte  Erziehung  mnss  im  allgemeinen  Anstalts- 
erziehong  und  kann  nnr  aasnahmsweise  In  bestimmten  leichteren  Fällen 
FamilienerEiehnng  sein,  weil  solche  nicht  in  aosreieheodeni  Kalle  beschafft 
werden,  weniger  Sicherheit  für  einen  Erfolg  bieten  nnd  schwerer  überwacht 
werden  kann. 

0.  Um  dem  ('bei  der  sittliclien  Verwilderung'  so  viel  als  möglich  auch 
die  ersten  Quellen  zu  verschließen,  ist  die  obligatorische  Einführung  von 
Krippen,  Kinderbewahraostalten  nnd  Einderhorten  erforderlich. 

10.  Die  Erziehung  der  Jugend,  welche  verwahrlost  ist  oder  sittlich 
geHlhrdet  t  rsdieint,  mnss  durch  ein  Reichsgeseta  in  den  oben  beseichneten 
Umrissen  geregelt  werden. 

Damit  war  die  l'agesordnuDg  erledigt  und  der  1.  Vorsitzende  schloss  die 
Verhandinngen  mit  dMi  fiblichen  Daokesworten. 

Soll  ich  diesem  kurzen  Berichte  ein  Urtheil  ttber  den  Verlauf  der  Ver- 
sammlnng  anhängen,  so  kann  ich  dasselbe  nur  daliin  znsammenfMsen,  dass  sich 
der  deutsche  Lehrertag  suwol  in  ßezng  auf  die  Verhandinngen,  wie  auch  im 
äußeren  Verlauf  durchaus  würdig  gestaltete. 

M Sge  er  reichen  S^en  fttr  Schnle  and  Lehrerstaad  Im  Oelblge  haben ! 

Wilhelm  Heyer,  Duisburg. 


Ans  Preußen.  "^Vir  blieben  nicht  in  Canossa!  Ein  Flüarelschlag  des 
Hoheuzollern-Aars  wehte  das  dunkelste  Blatt  unserer  Zeitgescliiclite  fort  und 
trug  uns  über  die  düsteren  Mauern  hinweg,  welche  das  deutsche  Volk  ein- 
schlieAen  soUtoi.  Der  Cultnsminister  von  Zedlits  verschwand  ssmml  sehiem 
Unterrichtsgesetz  wie  in  einer  Versenkung;  wir  aber  athmeten  erleichtert  anf. 
Wie  tröstlich  und  wie  traurig  zugleich!  Da?s  es  erst  eines  Wortes  aus  des 
Kaisers  Munde  bedurfte,  um  das  Machwerk  hiei  arclii.si  her  nnd  reactionürer 
Mächte  zu  beseitigen,  ist  nicht  so  schmerzlich,  als  dass  dieses  Machwerk  unter 
den  Augen  des  Kaisers  ttberhaupt  das  Licht  der  Welt  erblicken  konnte.  Trtetlich 
aber  war  es,  dass  das  Kaiserwort  gesprochen  wurde,  ehe  die  Sonne  diesen 
Gesetzentwurf,  den  die  Blitsstrahlen  der  Volksstimmnng  versengt  hatten, 
beschien. 

Dürfen  wir  nun  ruhig  sein  und  sorgloser  Beschaulichkeit  uns  hingeben? 
Nichts  wBre  thSiichter  nnd  verderblicher!  Der  traurigste  Oesetsentwnrf,  der 
je  aus  den  Bäumen  ^es  deutschen  ünterrichtsministeriums  hervorgegangen, 

ist  zwar  gefallen  und  hat  in  dieser  Form  auf  keine  Auferstehung  zu  hoffen. 
Aher  die  Kräfte,  denen  er  sein  kurzes  und  rnhmlopos  Dasein  verdankte,  sind 
geblieben  und  suchen  unaufhörlich  nach  den  Punkten,  wo  sie  mit  Aussicht  auf 
Erfolg  ihre  Hebel  ansetzen  können.  Freilich  werden  sie  entschlossenem  Wldtr^ 
Stande  begegnen  bei  einem  Bfirgerthum,  das,  aufgerüttelt  aus  triger  und  trO- 
gerischer  Ruhe,  mehr  als  sonst  seiner  Pflicht  und  Kraft  sich  bewusst  geworden 
ist,  bei  einem  Lehrerstande,  welcher  mit  Ausnahme  der  unter  hierarchisclier 
Vormundschaft  Stehenden  und  einiger  geistig  oder  sittlich  verlotterter  Creaturen 


Digitized  by  Google 


—  661  — 

nidits  wissen  will  von  einer  Knehelnng  ä  la  Windthorst-Stöcker;  aber  sie 
linden  andererseits  auch  treffliche  Stützen  in  einer  GesellBchaft,  die  vielfach 
von  moralischer  ITäaluis  benagt,  vom  Parteizwist  durchwühlt,  von  roher  Grenoss- 
•idit  mumrwt,  von  bUSder  Knnioiillgkeit  belluigai  itt.  D»  wird  m  tat 
dfHger  und  «diilltiidflr  Thfttigkelt  bedflrfeo,  w«zm 

unserer  Zustände  tewfrlct,  eine  Wiederkehr  Zedlitz'scher  Vorschläge  in  anderer 
Gestalt  und  Einkleidung-  verhindert  werden  soll.  Mf5g-e  daher  die  Lehrerschaft 
wachsam  und  besorgt  sein,  dass  die  Vertheidiger  der  freien  Schule  ihr  Ol  auf 
der  Lampe  haben! 

llu  hat  in  der  prenSlMhen  Lehrer preeso  den  Aueprodi  fethu,  es  lel 

nunmehr  auf  den  Erlass  eines  Dotationsgesetzes  mit  aUen  KfIfteB  hin- 
zuarbeiten. Wir  sind  damit  e^anz  einverstanden.  Die  VorhesseruDg  und  gesetz- 
liehe  Sicherung  des  Lehrer-Einkommens  ist  in  Preußen  eine  der  allerdring- 
lichsten  Angelegenheiten.  Und  dass  es  nicht  möglich  ist,  ein  vollständiges 
Unterrichtsgeeets  mit  einemmnl  teaitig  m  bringen,  wird  wd  «idlieh  all- 
gemein zugestanden  werden.  Diese  Ansicht  ist  so  verbreitet,  dass  sie  bereite 
in  der  Formel  Ausdruck  gefunden  hat:  „Jeder  prenßisclie  Cultusminister,  der 
sich  an  ein  Unterrichtsgesetz  heranwagt,  muss  seinen  Abschied  nehmen."  So 
sagt  der  trefiflicbe  L.  Clausnitzer  iu  der  „Preui}.  Lehrerztg.'',  und  er  nennt 
das  ein  Natnrgeaete,  gegen  welehee  niemand  ankämpfen  icftnne.  Ea  liegt  danm 
nahe  genug,  die  stäckweise  Ldsung  der  Aufgabe  za  verlangen  und  die  Erledi- 
gung der  Dotationsfrage  als  nächstes  Ziel  anzusehen.  Aber  was  kann  die 
preußische  Lehrerechafr  von  einem  Dotationsg-esetz  erwarten,  das  bei  der 
jetzigen  Zusammensetzung  des  Landtages  zu  stände  käme?  Sollten  die  Par- 
teien, welche  für  den  Zedliti'aefaen  Bntwnif  einsntreten  entaefaloaaen  waren, 
den  Lehrern  ihre  Haltung  gegenftber  jenem  Entwarf  veneihen?  W&rden  sie 
nicht  vielmehr  in  ein  Dotationsgeeets  ihre  Quittung  und  ihren  Dank  mit 
Lapidarziigen  einschreiben,  so  dass  den  Lehrern  die  Freude  verginge? 

Nach  unserem  Dafürhalten  müssen  die  preußischen  Lehrer  weiter  warten, 
wie  aie  bisher  warten  nraaaten.  Es  ist  eine  eiserne  Nothwendigkeit,  welehe 
nur  dnreh  groSe  Ereignisse  beseitigt  werden  kann  und  —  beseitigt  werden 
wird.  Durch  den  gegenwärtigen  Landtag  werden,  dank  der  clerlcal-conser- 
vativen  Mehrheit,  die  Wünsche  der  Lehrerschaft  niemals  Befriedigung  finden, 
üb  es  bei  einem  zukünftigen,  anders  zusammengesetzten,  Landtag  anders  sein 
wird,  wollen  wir  nicht  vorhersagen.  Dass  aber  dann,  wenn  anscheinend  unaos- 
Ueibliche,  heftige  Stflrme  nnser  Lend  nnd  Volk  ersdittttert  haben  —  Gett 
verhüte  es!  —  und  wenn  die  Nation  sich  daran  macht,  wied.  i  aufzubauen, 
was  des  Wetters  Wnth  zerknickt  —  dass  dann  unser  Xolk  des  Lehrers  Wert 
und  Lehrers  Arbeit  besser  als  heute  .schiltzen,  dass  es  dann  seine  alten  Schulden 
dem  Lehrerstaude  bezahlen  wird,  ist  unsere  felsenfeste  Überzeugung! 

Was  kann  also  die  Lehrersehaft  bot  Zeit  thnn?  Soll  sie  hoffen  nnd  harren? 
Nein,  sie  hat  keine  andere  Wahl,  sie  kann  nur  warten  nnd  arbeiten!  Arbeiten 
wie  bisher  in  pflichtgetrener  Weise,  ausdauernd,  selbstlos.  Jeden  Anliiss  be- 
nutzend, welcher  der  Schule  und  ihr  selbst  förderlich  sein  kann,  soll  sie 
lebendigen  Antheil  nehmen  an  allen  Bestrebungen,  die  den  idealen  Gütern 
unseres  Onltnr-  und  Tolkdebetts  dienen  wdlen.  Wir  denken  dabei  besonders 
an  die  lUtarbeit  in  den  Vereinigungen,  welehe  die  Veredelnnf  nnd  Bildung 
des  Volkes  snm  Zweck  haben«  ünanfhSrlich  soll  die  Lehrersehaft  aber  aueh 

FlidiiofluB.  14.  Jabif .  Heft  Z.  46 


Digitized  by  Google 


bestrebt  sein,  das  Volk  und  seine  Vertreter  iilur  das,  was  das  wahre  Wol 
der  Schule  erheischt,  aufzuklären.  Die  diei^älirige  Erinnemngsfeier  an  J.  A. 
Oomenint  bot  in  ^eaer  HiMidit  eines  treffUcfaen  Anlcnfipfangspunkt,  und  wenn 
die  Lehfer  ibenll  eine  eo  gvte  Gdegenbeit  za  benutzen  ventenden  haben, 
80  werden  sie  manches  Samenkorn  in  fruchtbares  Erdreicli  gestreut  haben. 
Ebenso  nützlich  kann  auch  durch  Veranstaltung  von  Versammlungen,  pädago- 
gischeu AussteUnng^n,  geeignete  Abhandlungen  über  pädagogische  Fragen  von 
allgemeinem  Interesse  gewirkt  weirdeo.  Unter  dieeem  Geaiiditqninkte  Atfeea 
wir  VerOffentUchnngen  wie  di^enigen  Aber  den  prenBieelien  UnterrieiitegeeetB- 
entwnrf  (Tews),  über  Beobachtungen  in  pädagogisch  fortgeschrittenen  Lindem 
(Ewald's  Bericht  über  eine  Studienreise  nach  der  Schweiz)  u,  a.  auf. 

Die  Stimmung  der  preußischen  Lehrer,  soweit  dieselben  am  öffentlichen 
Leben  Antheil  nehmen,  ist  augenblicklich  nicht  so  trfibe,  wie  tonst.  Hatte 
flinen  edion  der  Fall  der  „lex  Zedlits**  die  tieftte  TTnmntlislUte  von  der  Stirn 
gescheucht,  so  riefen  zwei  andere  VorkommniBie  auch  noch  ein  paar  freund- 
liche Linien  in  ilirem  Gesichte  liers'or.  Der  neue  Cnltusminister  Dr.  Bosse 
ist  ein  Freund  der  allgemeinen  Volksschule!  In  dem  Augenblicke,  in 
welchem  die  deutsche  Lehrerschaft  sich  anschickte,  in  größerer  Versammlaug 
sn  dieeer  Frage  Stellmig  zn  nehmen  (uf  dem  Leiirertage  in  Halle),  benntcte 
der  Minister  eine  Verhandlung  über  die  GehaltsTerhUtnlsse  der  Lelirer  an 
nichtstaatlichen  höheren  Lehranstalten,  um  sich  ganz  unzweideutig  gegen  die 
Vorschulen  und  für  die  allgemeine  Volksschule  auszuspreclieu.  Ganz  die- 
selben Gründe,  welche  die  Lehrerschaft  für  letztere  geltend  macht,  spricht 
der  MiniBtor  aaa.  Wae  aber  die  Lehreneliaft  nidit  TcmMdit  liat»  aneh  nieiit 
mit  ffilfe  eines  der  Iterverragendsten  Pariamentarier  der  G^nwart  —  nämlich 
des  Abgeordneten  Bickert,  der  in  der  Commission  zur  Vorberathung  des 
Zedlitz'schen  Entwurfes  einen  Antrag  auf  Einschränkung  des  Vorschulwesens 
stellte  — :  weitere  Kreise  zur  Besprechung  und  Klärung  des  Gegenstandes  zu 
▼eranlassen,  das  haben  wenige  Worte  des  Uinistera  Temedit  Eine  in  neuerer 
Zeit  ersehienene  Schrift  Uber  die  allgemeine  Velkaaehnle,  dnrdi  Kflcw  nnd 
über8iclitlic]ie  Zusammenstellung  des  einschlägigen  Materials  zur  Einführung 
in  die  Sache  namentlich  für  Niclitlehrer  geeignet,  war  sehr  vielen  TagfsblJtttem 
zugestellt  worden;  sie  wurde  im  großen  und  ganzen  todtgeschwiegen.  Die 
Worte  des  preußischen  Unterrichtsmiuisters  wird  man  nicht  todtschweigen! 
Allenthalben  erhebt  sieh  die  DlMoasion  über  die  allgemdne  Yolksschnle.  Die 
Beschlüsse  des  Halle'schen  Lehrertages  werden  hoffentlich  ein  lebhaltea  "BdlO 
finden.  Diese  Erwartung  nnd  der  Verlauf  der  ebenerwähnten  Versammlung 
können  wol  als  lichtv<dle  Augenblicke  in  dem  sorgenreichen  Dasein  der  Tit  hrer- 
schatc  angesehen  werden.  In  Halle  war  wiederum  der  Kern  des  deutschen 
Lehrentandes  vertreten,  nnd  wiederam  leigte  es  sieh,  dass  die  planmäBige, 
stetige  Arbeit  in  unseren  Lehrervereinen  das  vorzüglichste  Mittel  ist,  um  die 
Meinungen  und  Bestrebungen  der  Mehrheit  zu  einem  deutlichen  und  klaren 
Gesammtausdrnck  durchzubilden.  Map:  imuierhin  noch  manches  daran  zu  be- 
mängeln sein:  dem  aufmerksamen  Beobachter  wird  ein  sicherer,  wenn  auch 
langsamer  Fortschritt  nieht  entgehenl  Wie  fein  nnd  doch  wie  wiriisam  war 
die  Abwehr,  wdche  der  diei^fthrige  Lehrertag  den  aaf  Herabdrttcknng  der 
Lehrerbildung  gerichteten  Bestrebungen  zu  theil  werden  ließ!  Welch  klag- 
liche BoUe  spielen  gegenüber  der  lichtvollen,  überzeugenden  und  auf  die  H^en 


Digitized  by  Google 


—  6ÖS  — 


des  menschlichen  Denkens  hinaufführenden  Rede  über  die  Lehrerbildung  (R. 
Rissmann- Berlin)  jene  Männer,  die  in  kurzsichtiger  oder  boshafter  Ver- 
leundang  des  beutigen  Lehrerstandes  and  Verschiechterong  des  Lehrerbildangs- 
wetens  ihre  AdSptb»  «ffdiokenl  Und  mit  genehter  BeWedigung  konnte  et 
wol  Jeden  Thdinehmer  erflillen,  wenn  erZenge  wer,  in  welcber  dnidHäUngen- 
den  nnd  geradezu  vornehmen  Weise  einer  der  höchsten  und  einflnssreichsten 
Schnlbeamten  Preußens  durch  den  einfachen  Volksschullehrer  berichtigt  wurde. 
Denn  kein  Geringerer  als  der  Wirkliche  Geheime  Ober-Regierongsrath  Dr. 
Sehneider,  Mitarbeiter  Falk'«  und  Verftuser  der  „Allgemeinen  Bestimmungen* 
Ton  1872,  hatte  vor  wenigen  Wochen  im  Ahgeordnelenlianae  Änfierungen  lUUen 
lassen,  welche  die  Befürchtung  hervorriefen,  es  kOnne  in  hohen  Regionen  eine 
Verringerung  der  Lehrerbildiinpr  in  Preußen  geplant  werden.  Ein  reactionär- 
conservativer  Landrath  liatte  im  preußischen  Abgeordnetenhause  seiner  Auf- 
üusang  über  Lehrerbildung  in  einer  Weise  Aasdruck  gegeben,  dass  jedem 
Leiurer  die  BBthe  des  Zoniee  nnd  der  Entrllstang  ins  Angesicht  steigen  mnsste, 
und  —  der  anwesende  Vertreter  der  Königl.  Staatsregierun^,  der  Wirkliche 
Geheime  Ober-Regierungsrath  Dr.  Schneider,  von  dem  die  Lehrerschaft  eine 
ernste  Zurückweisung  derartiger  Äußerungen  erwarten  durfte,  trat  dem 
Redner  nicht  nur  nicht  entgegen,  sondern  bestätigte  bis  zu  einem  gewissen 
Umfange  dessen  Anschauungen.  Er  beceldmete  „das  Haß  des  poeitiyen  Wissens, 
was  auf  dem  Wege  znm  Lehramt  erreicht  werden  scdl" ,  als  „nicht  sehr  wesent- 
lich über  das  Maß  des  Wissens"  hinausgehend,  „was  in  einer  guten  mehr- 
classigen  Volksschule  schon  erworben  werden  kann.**  Mehr  konnten  die 
Treitschke,  Gerlich  und  Genossen  von  einem  Eegierungsvertreter  nicht  ver- 
langen! Die  Lehrerschaft  ahw  war  in  ihrem  tieftten  Innern  getroflim.  Olfick- 
liehmvelse  ftthlte  Herr  Dr.  Schneider  nachtrSglich,-  was  et  angerichtet  hntte, 
und  in  einer  ErkKlrnng  des  „ Reichsanzeigers "  wurde  den  ans  seiner  Auslassung 
hervorgegangenen  Befürclitungen,  freilich  etwa  2*/  ,  Monate  verspätet,  mit  der 
Versicherung  entgegengetreten,  „dass  an  eine  Änderung  der  allgemeinen  Be« 
•tinimangen  tou  15.  Octoher  1872,  sowie  ttheriumpt  an  eine  HemhdrSehong 
der  Lehierhüdnng  nicht  im  entAmteaten  gedacht  wird* .  Der  Halle'sehe  Lehrer^ 
tag  hat  hierauf  die  Antwort  gegeben.  Sie  geht  dahin,  dtiB  die  bisherige  Art 
der  Vorbildung  des  Volksschtillehrers  den  heutigen  Anforderungen  an  den 
Lehrerberuf  nicht  mehr  genügt  und  dass  eine  zweckmäßigei'e  Organisation 
des  Lehrerbildangswesens  nothwendig  ist. 

Wird  BIssmann's  wirkungsvoller  ICahnmf,  den  der  9.  deutsche  Lehrertag 
sich  za  eigen  machte,  ebenso  nachhaltig  und  erfolgroich  für  das  Lelirerbildun ge- 
wesen in  Preußen  sein,  wie  es  einst  ein  ähnlicher  Ruf  des  Herausgebers  dieser 
Blätter  f&r  das  Königreich  Sachsen  gewesen  ist?  -S« 


Ans  OstprenBen.   Am  9.  Hai  Merte  der  KOstpreoAische  Provinaial- 

lehrerverein  das  50jährige  Amt^'ubiläum  seines  liebenswürdigen  und  hoch- 
verdienten Vorsitzenden,  des  Herrn  Hanptlehrers  R.  Meier  in  Hufen  bei 
Königsberg.  Von  allen  Seiten,  nicht  nur  aus  der  nikhsten  Umgebnnyr,  sondern 
auch  aus  weiter  Ferne  erhielt  der  wackere  Jubilar  Uberaus  zahlreiche  Zeichen 
nnd  Knndgebangen  warmer  Anericennnng  nnd  aofriehtiger  Hodiachtnng,  nnd 
das  Fest  verlief  in  würdigster  nnd  erhebendster  Weise.  Um  nnn  dem  Eindruck 
nnd  geistigen  Qehalt  desselben  Dnner  nnd  weitere  Verbreitang  cn  verleiheD, 

46» 

Digitized  by  Google 


—  664  — 


hat  der  Vorstand  des  Ostpr.  Prov.-Lehrervereins  nnter  dem  Titel  „Meier- 
Albom'^  eine  Festschrift  beraasgegebeD,  welche  das  Bildiüs  des  Jabilars,  die 
Biographie  deanlbeDf  teuer  eioe  Wttrdignng  seiner  Verdienate  «m  den  Lelirer- 
■tend,  eine  Darvtellnng  seiner  Wirinamlieit  als  Bedactenr  nnd  pädagogliclier 
■Schriftsteller,  sowie  die  demselben  zum  Jnbilänm  gewidmeten  Huldi^nnpen 
enthSlt.  Dieser  wertvolle  und  schöne  Inhalt  der  Festschrift  einerseits,  der 
wolthätige  Zweck,  dem  der  Ertrag  desselben  gewidmet  ist,  anderseits  lassen 
hoffen  tmd  wünschen,  dass  sie  recht  viele  Frennde  und  Abnehmer  finden  mOge. 
ICtn  erhalt  dne  „Heier-Albnm*'  portoftel  gegen  Kark  1,20  ▼om  Oeaiirsr  den 
Ostpr.  LehrerverelnB,  Henn  Lehrer  Oimbotb  in  KiBnigiberg. 


Aas  Sachsen.  In  nnserm  letzten  Berichte  des  Juniheftes  ist  leider  ein 
Irrthnm  enthalten,  der  liiermit  richtiggesteUt  werden  mOge:  Das  Gesetz  über 
,,dle  OehaltsveriiUtniBae  der  Lehrer  an  den  Volkasehnlen'*,  datirt  vom  4.]lai  1892, 

ist  —  nebst  den  Pensionsgesetzen  —  vor  kurzem  im  „Verordnungsblatt  für 
das  Königreich  Sachsen"  veröffentlicht  worden,  und  wir  sehen  (mit  Er- 
staunen!),  dass  §.  4,  welcher  die  Alterszulagen  regelt,  zweierlei  Bestim- 
mungen über  dieselben  trifft.  Die  Normirong  der  Dienstalterszulagen,  wie 
sie  Seite  581 — 82  dieses  Jahrg.  daigeateUt  iat,  gilt  nimlich  nur  für  „sttadlge 
Ldirer  an  Volksschulen,  welche  mehr  als  40  Kinder  zAlden";  denn  §.  4 
enthält  sodann  folgondin  Passns:  „Der  Gehalt  ständig-er  Lehrer  an  Volksschulen 
von  40  nnd  weniger  Kindern  ist  in  jedem  der  angegebenen  sechs  Abschnitte 
ihrer  Dienstzeit  um  75  Mark  zu  erhöhen."  Dieser  Absatz  war,  wie  Seite  582 
-angegeben,  in  dMi  Lnndtagsverhandlangen  bek&mpft  wordra  anf  Grand  der 
-Tiiatsache,  dass  es  z.  Z.  nur  49  solclier  Schulen  im  Lande  gibt,  in  diesen  49 
Orten  aber  nur  30  ständige  Lehrer  angestellt  sind,  während  in  den  19  übrigen 
Hilfslehrer  den  Schnldienst  versehen,  die  nach  Avenigen  Jahren  in  andere 
Stellen  übergehen,  woraus  sich  ergibt,  dass  infolge  der  bisherigen  geringeren 
Ausstattung  dieser  49  Schnlstellen  ni^t  genug  geeignete  LehiMfte  für  sie 
En  find«!  gewesen  sind.  Dennoeh  Ist  nicht  der  Meliriieitsantrag  der  Finanz- 
deputation,  der  den  Passns  streichen  wollte,  sondern  der  Antrag  der  Minderheit 
angenommen  worden.  —  Es  ist  schade,  dass  diese  Berichtigung  nothwendig  war, 
nnd  dass  man  also  —  einen  Unterschied  mehr  hat  bestehen  lassen!  Doch 
mnss  ja  nnseren  Wttnschen  etwas  fihrig  bleiben  I  Noch  will  ich  bemerken,  dasa 
mir  der  Irrthnm  nicht  nnterlantei  wire,  wenn  mich  nicht  das  sonst  v5Uig  an- 
vwUssige  Amtsblatt  der  Residenz  ausnahmsweise  falsch  unterrichtet  hätte. 
Im  übrigen  war  unser  Bericht  vollstÄndig  wahrheitsgetreu,  und  es  bleibt  nnr  noch 
hinzuzufügen,  dass  sowol  das  I'ensions-  als  das  Gehaltsgesetz  (rückwirkend)  be- 
veitM  mit  1.  Januar  1892  in  Kraft  getreten  und  neuerdings  auch  von  einigen  pft- 
dagogischen  Blftttem  ihrem  vollen  WorUante  nach  abgedruckt  ist:  „Skdis.  Schul* 
seitung*  Nr.  21  und  22.  ^Pädag.  Revue"  (Wurzen-Leipzig,  Ad.  Thiele)  Nr.  86. 

Dem  Gesetz,  wie  es  nun  im  Verordnungsblatte  steht,  sieht  man  es  nicht 
an,  dass  es  viel  Kani]»f  gekostet  hat,  dessen  ich  keine  weitere  Erwähnung 
gethan  habe,  weil  die  geehrten  Leser  des  ^.Piedagogiums"  längst  wissen,  dass 
nichts,  wenigstens  nichts  Gutes  ohne  Kam])f  gewonnen  wird.  Da  ich  Jedoch 
einmal  am  Schreiben  bin,  will  ich  hierüber  noch  ein  Wort  nachtragen:  Ver- 
hältnismäßig nobel  ging  es  in  der  zweiten  Kammer  her  bei  den  Berathnngen 
über  die  nLehrervorlagen."^     Wir  haben  aber  auch  eine  erste  Kammer^ 


Digitized  by  Google 


—  665  — 

welche  dem  preußischen  Herrenhanse  mit  seinen  Junkern  gleicht,  und  in  dit^ser 
wurde  bei  der  Schlussberathung  am  31.  März  etwas  Erkleckliches  geleistet 
an  anmotivirbaren  Augriffen  auf  den  Lehrentand.  Es  traten  drei  Kammer- 
bemii  Mf,  d«nii  erster  doreh  eine  i^endeni  nnbtndige  nnd  banale  Bede  die 
Lelinr  zfthmen  wollte;  ee  wurde  diesen  Rednern  aber  wenigstens  von  einem 
sehr  vernünftig,  wenn  auch  zu  maßvoll  nnd  zartfühlend  entgegnet  —  vom 
Herrn  ünterrichtsminister.  Von  den  drei  Kammerherren  könnte  man,  Uhland 
varürend,  sagen:  So  standen  sie  da  „and  sprachen,  die  drei'',  doch  kam  nichts 
GeididtM  hemoB  dabeil  Damm  wäten  wir  uns  andi  nieht  weiter  damit  be- 
fiwsen,  sondern  blos  noch  bemerken,  daM  ilire  Namen,  die  jedenfalls  in  „kein 
Lied,  kein  Heldenbuch"  übergehen  werden,  sowie  ihre  Worte,  die  sich  von 
selbst  richten,  schon  durch  die  „Allgem.  Deutsche  Lehrerzeitung"  (92,  Nr.  18, 
Seite  175 — 76)  der  Öffentlichkeit  unterbreitet  worden  sind. 

Naeh  den  Ergebniseen  der  Abgangsprüfungen  der  hSberen  Lehran- 
stalten Sachsens  ist  der  Besuch  der  (lateinlosen)  Realschalen  in  stetigem 
Wachsen  begriffen.  Es  zeigt  sich,  dass  der  Besuch  der  Gymnasien,  während 
die  Frequenz  der  Kealanstalten  ununterbrochen  zunimmt,  seit  1886  in  stetem 
Rückgang  begriffen  ist,  sowie  dass  die  Schülerzahl  beider  Arten  von  Real- 
amtalten  zosammengoiommen  die  SditUenahl  der  Gymnasien  aHflihrIloh  flbeiv 
flteigt  and  dieses  Übergewicht  der  Bealanstalten  in  finrtwUirendem  Waidisea 
ist.  Hitthf'ilungen  aus  Preußen  besagen,  dass  man  von  der  einseitigen  Forde- 
rung des  humanistischen  Unterrichts  jetzt  auch  dort  zurückkommt  und  bestrebt 
ist,  die  der  Vorbereitung  filr  den  praktischen  Lebenslauf  dienenden  iateiulosen 
BentaohvIeB  n  vermehren. 

AnflUlend  ist  die  Thatsaehe,  dass  in  keinem  Jahre  ein  so  anBerordent- 
licher  Zudrang  za  den  sächsischen  Lehrerseminaren  stattfand,  wie  Ostern 
1892.  (S.  „Pfedagogium"  Februarheft  1888  und  Jnniheft  1890,  Rundschau!) 
Die  Ursachen  dieses  Andranges  mögen  jedenfalls  folgende  sein:  Der  z.  Zt. 
«toekende  Geseh&ftsgang  in  Handel  und  Gewerbe;  die  von  der  Regierung  und 
den  Standen  besehlossene  materielle  BessersteUnng  der  Lehrer,  ihrer  Witwen 
and  Waisen;  ein  genaueres  Bekanntworden  dsrYortheile  und  Vergünstigungen, 
die  durch  die  Einrichtangen  der  Seminare  g-ewilhrt  sind;  der  Umstand,  dass 
die  Seminare  wenigstens  zu  den  höheren  Lehranstalten  gerechnet 
werden  (Gesetz  über  die  Gymnasien,  Realschulen  und  Seminaie  von  1876), 
■  obgleich  ihr  Abf  anirss^nsrnis  nicht  nun  Einj&hrig-FreiwUligendienst  berech- 
tigt nnd  also  dem  der  übrigen  höheren  Schalen  nicht  volkommen  gkidiwertig 
erachtet  wird;  endlich  die  Möglichkeit,  unter  gewissen  Bedingungen  (wenn  die 
1.  oder  die  „IL  Censur  mit  Empfehlung'^  erlangt  wird)  zam  Besoche  der 
Landesaniyersität  überzugehen  u.  a.  m. 


Aas  dem  GroBhernogthnm  Baden.  (Ende  KaL)  Ein  alter  Sata,  der 

sich  auf  Erfahrung  gründet,  besagt,  dass  man  die  Culturhöhe  der  Leiter  von 
Staats-  und  Gemeindewesen  an  dem  Interesse,  das  sie  dem  Schulwesen  ent- 
gegenbrächten, mit  fast  apodiktischer  Sicherheit  erkennen  könne.  Dieser  Satz, 
Mf  Beden  angewandt,  iteUt  ihm  das  gttnstigste  Zengnis  ans.  An  6.  Hai  nahm 
die  I.  badische  Kammer  den  tob  der  H.  Kammer  benthenen  nnd  einstimmig 
angenommenen  neuen  Schnlgesetzentworf  ebciifhlls  einstimmig  an,  ohne 
irgendwelche  Ändemngen  an  demselben  votgenommen  an  haben.  Die  Sanction 


Digitized  by  Google 


—   666  — 


dieses  Gesetzes  durch  den  schal-  und  lehrerfreundlichen  Landesherrn,  welcher 
vor  wenigen  Tagen  (am  29.  April)  auf  eine  reicljpesegnete  vierzigjährige 
HegieruQg  zurückblicken  konnte  und  dem  ohne  Unterschied  der  Parteien  alle 
Heraen  BehNrUoterfhaneii  in  dankbanr  liabe  «Bd  Venimiiig  entgegenachlagen, 
•teht  unmittelbar  bevor.  Der  Berichterstatter  der  Commission  der  I.  Kammer 
betonte  in  seinem  Schlnsswort,  dass  das  Gesetz,  welches  die  rechtliche  und 
finanzielle  Lage  der  Lehrer  regele,  eines  der  wichtigsten  der  ganzen  Tagung 
Bei;  wer  die  Schale  habe,  dem  gehöre  die  Zukunft.  Die  Wünsche  der  Lehrer 
würden  durch  das  Ocaete,  soweit  es  mOglleh  gewesen,  erflUlt.  —  Wir  stimmen 
dietoi  Worten  bei  und  bekennen  mit  Frende^  dass  die  badiaehe  Lehrerschaft 

—  angeachtet  einer  verschwindenden  Ausnahme  deijenlgen  Eateg:orie,  die  ihren 
Verstand  nicht  durch  Nachdenken  zu  beHlstigen  pflegt  —  mit  dem  neuen  Gesetz 
zufrieden  and  den  Factoren,  die  am  Zastaadekommen  desselben  mitwirkten, 
im  Daaka  *?ifpllidktet  lat  Waui  anoii  ludi  Bkht  «IIa  bsnchtigten  Wfinaehe 
der  Lehrer  in  dem  In  Bede  stehenden  Qesetse  erfUlt  sind,  ao  moas  doch  an- 
erkannt werden,  dass  dasselbe  einen  colossalen  Fortschritt  bedeutet,  insonder- 
heit in  Bezug  auf  die  „rechtliche  und  finanzielle  T/age"  der  Lehrer.  Uns  ist 
kein  deutscher  Staat  bekannt,  der  in  gleicher  Weise  seine  Schalgesetzgebung 
in  zeitgemäBer  Richtung  so  gestaltet  h&tte,  wie,  um  mit  Hem  yon  Zedlitz  zu 
reden,  der  wUberala  Hnatentaat  Baden*.  (Waa  indeaaen  diaaa  BcseiefanuBg 
betrifft,  so  wtm  eonstatirt  werden,  dass  sie  —  den  oitpreußischen  Kraut-  und 
Schlotjunkern  rnnservativer  und  muckerischer  Sippe  zum  Trotz  —  bezüglich 
des  neugeordneten  Volksschnlwesens  vollkommen  zutreffend  ist.)  Vor  allem 
müssen  wir  den  noblen  Ton,  die  würdige  und  wolwollende  Art  der  Abgeord- 
neten beidw  Kammern  wihiend  der  Bemthung  dea  OeaetMs  lobmd  erwUinen; 
stets  wurde  die  Arbeit  der  Lehrer,  das  Verhalten  derselben,  ihre  in  Petitionen 
niedergelegten  Wünsche  etc.  in  freundlicher,  ja  zustimmender  W^eise  be- 
sprochen; die  einzelnen  l'arteien  wetteiferten  geradezu,  einander  zuvorzu- 
kommen. Dies  war  früher  nicht  immer  zu  constatiren.  Wenn  auclt  einzelne 
Parteien  (namentUeh  die  ultnmontane)  dieamal  vielleieht  Nebenahaiditen  ge- 
habt haben  mOgen,  so  indert  dica  an  dior  Thatsache  nichts.  Dem  einmUthigen 
Wol wollen  der  Abgeordneten  ist  es  auch  wesentlich  zu  danken,  dass  die  Begie- 
rnner,  die  anfangs  aus  finanziellen  Rücksichten  hartnäckig  eine  von  der  II.  Kammer 
gestellte  bedeutende  Mehrforderang  nicht  bewilligen  zn  kdnnen  meinte,  doch 
endlieh  nachgab.  Wlenachtrilgliehbekannt  wird,  war  der  HanptgegnerFinanx<  ' 
■riniafeer  Dr.  EUatttter,  weldier  troti  Steuerfiberaohfttaen  «kein  ehrlatUdi  Hers 
im  Busen  fShlte"  ;  einem  on  dit  sufelge,  wurde  ihm  doch  zuletzt  „das  Herz 
bezwungen",  als  der  (Tinßhorzncr  seinen  lehrerfrenndlichen  Wunsch  und  Willen 
geäußert  und  sämmtliche  Abgeordneten  energisch  auf  ihrer  Forderung  beharrten. 

—  Die  definitiv  angestellten  Lehrer  erhalten  sonach  1100  Mark  Aufangsgehalt 
■nd  stdgen  Yon  drei  au  drei  weiteren  Diensljahren  um  Je  100 Hark  Ua  cum 
Höchstgehalt  von  2000  Mark.  (Der  Begiemngsentwurf  —  vergl.  „Paedagogium** 
VI.  Heft,  Seite  387  flf.  —  hatte  nur  1000  Mark  Anfangs-,  180()Mark  Höchst- 
geh.'ilt  und  ein  Vorrücken  von  vier  zu  vier  Jahren  um  je  100  Mark  gefordert.) 
Außer  diesem  Gehalt  hat  der  Lehrer  freie  Dienstwohnung  oder  einen  pensions* 
ikhigen  „Woiinnngageldsnsohun'',  welcher  —  Je  naeh  den  drei  Ortaelaieen  — 
860,  210  oder  155  Mark  betrftgt,  zu  beanspruchen.  Die  Vergütung  Ar  Ver» 
aekuag  dea  Organistendienstes,  daa  Honorar  filr  die  drei  FortUldungiachnl- 


Digitized  by  Google 


Btnnden  (ä  Stunde  p.  a.  50  Mark),  die  Bezüge  für  jede  über  die  g^esetzliche 
Höchstatahl  hinaoa  ertheilte  wöchentUdie  Unterrichtsstunde,  ausgenommen  Turn- 
imd  ArbeitMintenieht,  fllr  waldie  jfthrlieh  nur  26  Hark  —  Ar  SohideD,  in 
deaai  l«r  TBnimtarrlBht  nicht  auf  das  ganze  Jahr  sich  erstreckt,  nnr  15  Mark 
ffir  jede  Wochenstunde  —  vergütet  wird,  bilden  das  nichtpensionsfuhige  Neben- 
einkommen. Definitive  LfChrerinnen,  sowie  die  nicht  etatmälligen  Lehrer 
(Lehrerinnen)  erhalten  die  in  dem  Eegierungsentwurf  vorgesehene  „  Verg^tang". 
(Kein  „Gehalt" ;  „Gehalte"  beziehen  nur  die  etatmAttgw  Beunton;  „Beioldanff'* 
hekanmen  nnr  die  vom  Qftothmog  ernuinten  Beamten  [Minitter  ete.];  »Ah- 
wechselnng  ergOtzt")  Alle  tttvigen,  im  Schnigesetzentwnrf  auf  das  Einkomnen 
bezüglichen  Propositionen  erhielten  Gesetzeskraft,  ausgenommen  die  „t?l)er- 
gang^bestimmungen".  Letztere  wurden  auf  Antrag  der  Abgeordneten-CommiBsion 
so  geregelt,  dass  definitive  Lehrer  mit  15  Dienstjahren  sofort  1300,  mit  20 
Dlene^ahren  1400,  and  mit  je  weiteren  5  Dleae((iahrea  100  Mark  mehr  bis 
zu  2000  Hark  erhalten.  Die  nnatlndigen  Lehrer  treten  sofort  in  den  nenen 
Gehaltsbezng  ein.  —  Die  Pensinns-  nnd  Witwenbezüge  (cfr.  „Psedagogium" 
S.  388!) richten  sich  nach  den  Bestiniiiiungen  des  „ Beamtengesetzes",  welchem 
die  Lehrer  als  ordentliche  Staatsbeamten  unterstehen.  Zur  Ergänzung  sei  noch 
angefügt,  daai  die  deflnitiTe  Anetellong  eines  Lehrers  nnr  naoh  erfUgfeiclier 
Ablegung  der  „Dienstprüfnng  für  einfache  oder  erweiterte  Schulen"  mdgüeh 
ist;  diese  Prüfung  kann  nach  Verlauf  von  drei  Jahren  nach  der  Entlassnng 
aus  dem  Seminar  gemacht,  muss  aber  nach  Verfluss  von  sechs  Jahren  mit  Er- 
folg bestanden  werden,  wenn  nicht  die  Streichung  des  Candidaten  aus  der 
Candidatenliste  erfolgen  soll.  —  Die  definitive  AnstelUng  riehtet  lieh 
nach  dem  jeweiligen  Bedarf,  d.  h,  nach  den  ▼orhandenen  vacant  gewordenen 
oder  neu  errichteten  Stellen;  nach  bestandener  Dienstprnfnng  hat  jeder  Lehrer 
das  Recht,  sich  um  eine  —  zur  Bewerbung:  ausgeschriebene  —  etatmäßige 
Stelle  zu  bewerben;  „jedoch  kann  mit  Zustimmung  der  betreffenden  Ortsschnl- 
behSrde  aaeh  eine  fiesetning  ohne  Aossohrelbea  statlündan".  Vor  der  etat* 
mifligen  Beeetzong  jeder  dieser  Stellen  „ist  der  OrtsaohnlbehBrde  Gelegenheit 
zn  geben,  ihre  etwaigen  Bedenken  oder  besondere  Wünsche  zn  Anfiern.  Zn 
diesem  Zwecke  wird  der  Ortsschulbehörde  ein  nach  dem  Dienstalter  geordnetes 
Verzeichnis  der  als  Bewerber  aufgetretenen  oder  sonst  in  Betracht  kommenden 
Lehrer  (Lehrerinnen)  mitgetheilt".  (Das  Durchschnittsalter  der  Lehrer  bei  der 
definitiven  Anstelhmg  ist,  wie  das  der  übrigen  Staatsbeamten,  26  bis  28  Jahre.) 
In  Bezug  auf  Versetzung  der  Lehrer  bestimmt  das  Gesetz:  „Anßer  dem 
Falle  der  .Strafversetzung  kann  die  Versetzung  eines  etatmäßigen  Lehrers  ohne 
dessen  Zustimmung  (Beamtengesetz  §.  5)  nur  stattfinden,  nachdem  auch  die 
Ortsschulbehörde  der  Stelle,  von  welcher  der  Lehrer  entfernt  werden  soll, 
darüber  vemonunen  worden  ist.  Lehrer,  gegen  welche  wegen  unzAchtiger 
Handlangen  mit  Schnlkindern,  oder  nach  erlittener  gerichtlicher  Vernrthellnng 
wegen  eines  die  öffentliche  Achtung  entziehenden  Vergehens  Dienstentlassung 
aasgesprochen  worden,  dürfen  im  Schuldienste  nicht  wieder  verwendet  werden." 

Was  die  Benatzung  der  Schulgüter  seitens  der  Lehrer  betrifft,  so 
kann  dieser  sie  in  »Selbstbewirtsehaftong"  nelimen,  verliert  aber  dadoreh  die 
je  nadi  dreQihrigem  Verflnss  Allig  werdenden  Znlagen;  beim  Verzicht  auf  die 
Benntznng  der  Schalgfiter  steht  es  dem  Lehrer  zu,  dieselben  von  dei-  n<  meinde 
in  Pacht  zn  nehmen.  Hierdurch  tritt  das  nnzweideatige  nnd  darchaus  gerecht* 


Digitized  by  Google 


—  668  — 


fertigte  Bestreben  der  Behörde  zutage,  den  Lehrer  lediglich  auf  die  Thätig- 
keit  in  seinem  Berufe  zu  beschränken.  (Die  Pflege  etc.  des  Schulgartens  wird 
nldit  als  SehnlgiitelMiiiitiiuig  aii^i;elSutt) 

Die  neugesetzlichen  Bestimmungen  äber  die  Beaafsichtlgang  der 
Schulen  und  Lehrer  haben  in  der  badischen  Lehrerschaft  eine  sogenannte 
„gemischte  Aufnahrae"  gefunden.  Das  Gesetz  kennt  nur  die  „Fachaufsicht". 
Dieselbe  wurde  aber  bisher  fast  ausschließlich  von  Nichtfachmännern,  nament- 
Udi  yon  Theologen  (soger  von  jungen  CapUaen  oder  Vicaren),  ausgeübt  Wenn 
eneh  in  neuester  Zeit  eine  Änderung  zum  Beunein  dednrch  eingetreten  ist,  den 
man  „Reallehrer**  zu  Schulaufsichtsbeamten  ernannte,  so  ist  damit  noch  nicht 
die  Faclmufsicht  als  solche  durch-  und  eingeführt.  Wir  meinen,  dieselbe  würde 
nur  dann  thatsächlich  stattfinden,  wenn  tüchtige  und  erfahrene,  in  der  Volks- 
eehvlpraxis  etehende  Lehrer  so  Beetarai  und  Ereimlielilthiii  bemfui 
Wirdes.  Wir  hegrfiflee  daher  trotz  yielaeitiger  und  gegenthelUger  Ansieht  in 
Lehrerkreisen  die  Bestimmang  des  neaen  Gesetzes,  wonaeh  „fOr  Volksschulen 
mit  mehreren  definitiven  Lehrern  durch  die  OberschulbehSrde  in  stets  wider- 
mflicher  Weise  bestimmt  wird,  welcher  der  einzelnen  dieser  Lehrer  die  Stelle 
des  „ersten  Lehrers**  (Oberlehrers)  einiDDehmen  hat**.  Dieser  „erste  Lehrer* 
hat  reetoratUche  BeAigidaae  und  äte  nnd  Stimme  im  Örtlichen  Sehiüvorataad. 
(Der  Schulvorstand  besteht  ans  dem  Bürgermeister  —  als  Vorsitzendem  — , 
dem  „ersten  Lehrer",  aus  je  einem  Pfarrer  (Rabbiner  und  freireligiösen  Pre- 
diger; der  im  Orte  vertretenen  Confession  und  aus  2  oder  3  vom  Gemeinde- 
rath gewählten  Bürgern.)  Der  „erste  Lehrer"  erhält  eine  Vergütung  von  100, 
besw.  200  Mark  (vergl.  „Fmdagogivm«,  S.  3381).  Mit  dieser  Bestimmnog  ist 
wenigstens  —  unserer  Ansicht  nach  —  der  Anfang  der  Fachaufsiclit  de  facto 
gemacht;  aus  der  Zahl  der  „Oberlehrer"  dürfte  es  dem  Oberschulrathe  leicht 
werden,  tüchtige  Kreisschulrilthe  auszuwählen,  ohne  eine  Anleihe  bei  Fach- 
lehrern (Reallehrern),  die  der  Volksscbulpraxis  durch  Anstellung  an  Mittel« 
■eholea  entfremdet  worden,  oder  bei  Philologen  nnd  Theologen  m  machen. 
Hoffen  wir  für  die  Zukunft  von  dieoer  Einrichtung  das  Beste!  Becht  betrübend 
ist  es  jedoch,  dass  man  die  Lehrer  in  denjenigen  Städten,  welche  der  „Städte- 
ordnong**  unterstehen,  nicht  für  befähigt  erklärt,  eine  Rectoratsstelle  zu  be- 
kleiden; diese  Befähigung  wird  nur  akademisch  gebildeten  Leuten  (dazu  ge- 
hören andibekanntliieli  die  Theologen)  neikannt  (cfr.  „Pädagogium",  S.  3891)  — , 
mit  welchem  Becht  freilich,  —  das  Ist  eine  andere  Frage,  die  wir  Jedoch  dies- 
mal nicht  näher  erörtern  wollen.  Thatsache  ist,  dass  diese  Bestimmnag  den 
städtischen  Lehrern  ein  testimoninm  paupertatis  ausstellt  nnd  in  diesen  Kreisen, 
sowie  in  Bürgerkreisen  Verstimmung  bezw.  berechtigtes  Aufsehen  erregte. 

Anch  in  anderer  Beziehung  behandelt  das  neos  Gesets  die  Lehrer  in  den 
grMeren  Städten  stielhilltterlieh;  snmeist  ttberlMast  es  den  hetnffBuden  Stldten, 
die  nicht  alle  so  schul-  und  lehrerfreundlich  abid  Wie  Mwnhfil  Und  Carla- 
ruhe, die  Hesel dungrs Verhältnisse  ihrer  Lehrer  zu  regeln,  f:o  dass  mindestens 
das  Gehalt,  welches  das  (resetz  uormirt,  bezahlt  werden  muss;  —  es  setzt, 
wie  die  Petition  des  Lehrervereinsvorstandes  (leider  vergeblich)  erbat,  keinen 
Höchstgehalt  fest  Fenier  Ilsst  das  Oeeets  es  nicht  m,  daas  —  entgegen  dem 
Beamtengeseta  —  das  von  dem  Lehrer  bezogene  Oehalt  in  diesen  Städten  voll 
zur  Anrechnung  bei  der  Pensionimng  kommt.  Wenn  die  betreffenden  Städte, 
kraft  des  Gesetzes»  Iceine  Pensionszoschüsae  gewähren,  so  müssen  alte,  seit 


Digitized  by  Google 


—   669  — 


Decennien  in  diesen  Städten  lebende  ond  wirkende  Lehrer  an  ihren  Lebens- 
abenden die  liebgewordene  Stätte  ihres  jahrelaDgen  Wirkens  verlassen  und 
■leh  Mf  dflB  Lande  »mtedeln,  da  ea  mmlig'Ueh  ist,  dan  aie  mit  dam  geaats- 
lichen  PeatioiisbeiDg  ia  den  SUdtem  bei  den  aUerbaaelieidanaten  AnqRriUdiaa 
leben  können.  Wir  wollen  indessen  hoffen,  dass  die  betreffenden  St&dte,  welche 
80  rücksichtsvoll  für  ihre  ((xeineinde-)  Bediensteten  gesorg^t  haben,  ihre  verdienten 
Lehrer  nicht  wie  einen  Mohren,  der  „seine  Schuldigkeit  gethan",  behandeln 
werden.  Daa  einzige  Gate,  welehea  daa  nenaOeaeta  danliduim  in  den  grSBeren 
Sttdtoi  bringt,  iat  die  MUhnng  daa  Witwen-  nnd  WaiaengeldeB,  wogegen  ate 
aber  auch  erhöhte  Beitr&ge  znr  Witwencasse  leisten  mflssen.  In  dem  Bewnsst* 
sein  aber,  dass  das  ganze  Lehrertbum  durch  das  Gesetz  g'efördert  wurde,  werden 
die  Stadtlehrer  sich,  so  hoöen  wir,  nicht  verbittern  lassen,  znmal  die  Städte, 
besondera  Hannheim,  den  Impols  zu  der  Bezahlung  der  Lehrer  nach  dem  Dienst- 
alter gaben  nnd  aleheriieli  aaeh  die  etwihnte,  effsnbare  Hlite  dea  Oeaetaea 
anagleicben  werden. 

Über  die  Schulpflicht  der  Kinder  bestimmt  das  Gesetz  (§.  2):  „Das 
schulpflichtige  Alter  dauert  vom  ß.  bis  zum  14.  Jalire.  Es  begrinnt  und  endigt 
jeweils  an  Ostern  gleichzeitig  mit  dem  Anfang  bezw.  dem  Schluss  des  Schal- 
jabiea  für  Knaben  m>wo1  ala  Midehea,  wenn  aie  bia  avn  nidiallblgenden 
80.  Juni  (einschlieBlich)  ihr  6.  bezw.  14.  Leben^^jalir  zurücklegen. 

Für  Kinder,  die  schwäclilich  oder  in  der  Entwlckolnng  zurückgeblieben 
sind,  kann  hinsichtlich  des  Anfangstermins  ihrer  Schulpflicht  Nachsicht  ertheilt 
werden. 

mdehen  müaaen  asf  Verlangen  ibrer  EHern  oder  der  StdlTertreter  der^ 
aelben  am  SdUntte  dea  Schnlljahres  schon  dann  aus  der  Schule  entlassen  werden, 
wenn  sie  bis  zum  nächstfolgenden  81.  December  (einaehliefllich)  ihr  14^  Leiiena- 
jähr  vollenden  werden." 

Letztere  Bestimmung  ist  eine  Concession  an  die  Ultramontanen,  die  aogar 
beantragt  hatten,  daa  aehte  Scbaljahr  flr  mdehen  aliiiianliaftii,  wanun,  — 
weiß  jeder  Eindditige.  —  Kraft  des  vorstdienden  Geaetaea  nrilwen  aneh  die> 
jenigen  Kinder,  welche  zu  Anfang  des  Sommers  ans  Österreich  nnd  der  Schweiz 
in  das  südliche  Baden  kommen,  um  Hütedienste  großer  Hofbestände  während 
des  Sommers  nnd  Herbstes  zu  besorgen,  die  badische  Schule  besuchen,  was 
biaber  niebt  dar  Fall  war.  — 

„Znr  Anflnringnng  dea  naeh  der  ZaU  der  Scbnlkinder  ddi  richtenden 
Oemeindebeitrages  ist  als  „Schulgeld"  für  jedes  Kind,  wekhea  die  Yelto- 
schule  besucht,  ein  Vorausbeitrag  von  3  M.  20  Pf.  jährlich  von  dem  zur  Er- 
nährung des  Kindes  Verpflichteten  an  die  Gemeinde  zu  entrichten.  Besuchen 
mehrere  Kinder  einer  Familie  gleichzeitig  die  nämliche  Volksschule,  so  ist  nur 
für  daa  erste  der  Teile  Betrag,  für  daa  zweite,  dritte  und  vierte  dagegen  nur 
die  Hälfte  und  f&r  die  übrigen  Kinder  kein  Schulgeld  an  aablen"  . . .  ^.Dardi 
einen  mit  zwei  Drittheilen  der  Stimmen  gefaseten,  von  der  Staatsbehörde  ge- 
nehmigten Gemeindebeschlüss  kann  auf  die  Erhebung  des  der  Gemeinde 
zukommenden  Schulgeldes  verzichtet  werden. Von  dieser  Bestimmung 
werden  awellUloa  viele  Gemeinden  Gebraaofa  macben.  Wie  wir  bOmi,  bat 
Mannheim  auch  hierin  wiadear  den  beiapielgebenden,  rühmlichen  Anfang  geaMdit 

„Die  Befreiung  von  der  Schnlgeldzahlung  gilt  niclit  als  Armenunter- 
attttaung.'^  Diese  Bestimmung  wurde,  wenn  wir  nicht  irren,  vor  zwei  Jahren, 


Digitized  by  Google 


—  670  — 


als  die  Landta^j^sab^eordneten  Mannheims  den  Antrag  anf  Aufhebung  des 
Schalgeldes  im  Landtage  einbrachten,  aber  keinen  Erfolg  erzielten,  getro£fen. 
Die  betreffende  Bestimmnng  beseitigt  eine  große  Hftrte,  die  m  so  empflnd- 
licher  war»  als  der  Scholgeldbefreite  dadurch  aneh  sein  Wahlrecht  verlor. 

Zar  Bestreitang  der  Gehalte  nnd  ilderer  BezQge  der  Volkaschnl- 
lehrer  hat  jede  Schulgemeinde  in  die  Staatscasse  als  Paaschbetrag  einzozahlen : 

1.  Einen  Jahresbeitrag  für  jede  an  der  Volkssehale  der  Gemeinde  errich- 
tete ständige  Lehrerstelle,  und  zwar: 

a)  mr  definitive  Lehrentellen  in  Oeneinden  von  nidht  Aber  600  Ein- 
wohnern 780  M.,  von  501  bis  1000  Hnwohnem  840  M.,  von  1001 
bis  2500  Einwohnern  9(iO  IL,  von  mehr  als  2Ö0O  Einwohnan 
1080  Mark; 

b)  für  jede  nicht  etatmäßige  Lehrerstelle  in  Gemeinden  von  nicht 
Aber  2500  Elnwohttam  660  IL,  von  mehr  als  2600  Binwohnem 
700  Mark. 

Für  Lehrerstellen,  welche  über  die  gesetzlich  vorgeschriebene  Zahl  hinaoS' 
errichtet  sind,  ist  von  der  Gemeinde  jSllirlicli  zu  zahlen:  für  jede  solche  etat- 
mäßige Stelle  1450,  für  nicht  etatmäßige  Stellen  8öO  Mark." 

2.  Einen  weiteren  Jaliresbeitraf,  wehdier  —  nach  einer  DttNhsehnitts- 
berechnnng  von  emer  aehii^Uizigen  Periode  —  für  jedes  Sehnlkind  23  Marii 
in  Anrechnnng  bringt. 

In  jeder  Volksschnle  sind  so  viele  Lehrerstellen  zu  errichten,  dass  auf 
einen  Lehrer  dauernd  nicht  mehr  als  hnndert  Schalkinder  kommen.  Mit  provi- 
sorischen Lehrern  sind  an  Volkaschnlen  mit  2  bis  5  Lehrstellen  eine,  bei  6 
bis  10  Lehrentellen  swei,  bei  11  bis  16  drei  Stellen  n.  s.  f.  ni  besetnen; 
beträgt  jedoch  die  Zahl  der  Schulkinder  daaernd  mehr  als  180  oder  als  280» 
60  sind  zwei,  bezw,  drei  definitive  Lehrer  anzustellen.  An  Schalen  mit  einer 
größeren  gesetzlich  vorgeschriebenen  Zahl  von  Lehrern  darf  die  Zahl  der 
provisorischen  Lehrer  ^/^  der  Gesammtzahl  daaernd  nicht  übersteigen.  —  Die 
Sehlllenahl  einer  FortbUdnngBsehnle  darf,  auf  einen  Lehrer  befeehnet,  40 
nicht  fibenchrdten.  Die  Dordisehnittssahl  der  Schiller  in  den  grOteen  Stftdten 
beträg^t  pro  Classe  circa  50. 

Die  Handarbeitslehrerinnen  werden  nur  in  provisorisclier  Eigenschaft  von 
den  Gemeinden  angestellt,  jedoch  kann  eine  solche  in  etatmäßiger  Weise  an- 
gestellt werden,  wenn  die  Gemeinde  ihre  Znstimmnng  dasn  gibt  and  die  niheren, 
im  Gesetz  angegebenen  Bedingungen  erfUlt  werden.  Die  Indostrielehrerinnen 
erhalten  ihre  Ausbildung  in  der  „Schale  fBr  Arbeitslehrerinnen  in  Garlamhe* 
(fünfuionatlicher,  einclassig:er  Cursus). 

Die  Bestimmuugen  über  Lehrgegenstände,  Stundenzahl  etc.,  wie  dies  im 
VL  Heft  des  „Peedag.''  S.  388  ff.  als  Bxcerpt  des  Schulgesetnntwnrfr  mit- 
gethefit  wurde,  erhielten,  wie  wir  sehon  anfongs  bemerkten,  Gesetaeskraft 
Zn  erwfthnen  ist  noch  aas  der  Landtagsverhandlnng,  dass  ein  conservativ- 
adli^er  Herr  eine  vierte  fwnchentliche)  Reli^ionsstnnde  verlangte;  da  jedoch 
kein  Bedürfnis  dafür  erkannt  wurde,  so  blieb  sein  Verlangen  ein  „frommer 
Wonsch**.  Die  socialdemokratischen  Abgeordneten,  zwei  an  der  Zahl,  im  Verein 
mit  den  demolcratiseh-freisinnigen  Abgecnrdneten,  traten  für  die  aeitgenriUle 
Forderung  ein,  an  Stelle  des  confessionellen  Eeligionsanterrichtes  in 
den  Schalen  einen  confessionslosen,  allgemein  sittlich  -  religiösen 


Digitized  by  Google 


—  671  — 


Unterricht  einzuführen;  trotz  vorzüglicher  Begründung  blieben  die  betreffen- 
den Abgeordneten  in  der  Minderheit.  Da  sich  die  gesunden,  fortschrittlichen 
Ideen  nicht  aaf  die  Dauer  ignoriren  lassen,  so  darf  mit  Sicherheit  angenommen 
werden,  daat  aneh  die  in  Bede  itelMinde  Idee,  TieUeicht  in  nidit  n  ferner  Zeit« 
verwirklicht  wird. 

Schließlich  mtifssen  wir  bcdatiern,  dass  die  Bitte  in  <lor  Petition  des 
wacken  n  nnd  rührigen  Lehrervereins-Vorstandes  in  Bezug  anf  die  Lehrer- 
bilduugstrage  nnerörtert  nnd  alles  beim  alten  blieb,  wonach  znr  Ausbildung 
eines  Lehrers  eine  iwe^Unlge,  aaf  privatem  Wege  oder  in  einer  Prftparanden« 
selnile  erlangte  Vorbereitung  für  das  Seminar  und  ein  dreijähriger  Seminar» 
besnch  verlangt  wird.  Es  wird  die  Aufgabe  des  Lehrervereins  sein,  die  För* 
derung  der  Lehrerbildnngsfrage  nicht  ans  dem  Auge  zn  verlieren.  Hoffentlich 
wird  auch  hierin  Baden  es  sich  nicht  nehmen  lassen,  zuerst  die  initiative  zn 
ergreifen,  wie  es  —  wir  sagen  nidit  zn  viel!  —  ea  dnreh  edn  nenes  SdnA^ 
geseti  die  Frage  der  Stellung  und  Bezahlung  der  Lehrer  im  ganzen  und 
großen  glücklich  und  beispielgebend  für  andere  Staaten,  namentlich  für  den 
größten  deutschen  Staat,  gegeben  hat.  —  Endlich  sei  noch  darauf  hingewiesen, 
dass  der  erlangte  £Irfolg  durch  die  Einigkeit  und  Sammlung  der  Lehrer  im 
Lehrerrerein,  dnrdi  welche  die  Lehrerschaft  ein  bedentender  Factor  geworden, 
emngen  worde.  Auch  hierin  dfirfte  Baden  ala  »Kostentaat'*  nur  Nach- 
ahmung empfohlen  werden.  — 

Fassen  wir  unser  Urtheil  über  das  neue  badische  Schulgesetz  zusammen 
nnd  bedenken  wir,  dass  der  Staat  Baden  mit  seinen  1^/,  Millionen  Einwohnern 
1200000  Hark  fBr  YolkMohnlswecke  opfert,  daneben  14  Gymnasien,  4  Pro-, 

2  Bealgymnaiien,  1  Bealpiegyninasiam,  6  Bealsehnlen,  26  höhere  Bilrge^ 
nnd  9  höhere  Mädchenschulen,  1  Lelirerinnenseminar,  3  Lehrerseminare  mit 

3  Präparandenschnlen  und  3  Hochschulen  von  bewährtem  Rufe  unterhält,  ausser- 
dem eine  Kunstgewerbe-  und  eine  Baugewerkschule,  54  Gewerbeschulen,  2 
Taubstummen-  und  eine  Blindenanstalt  subventionirt,  so  zeugt  dies  wol  genug 
Hir  die  ,GoltiiriiOhe  der  Leiter  wueree  Staatewesens*.  Wir  wVnichen  den 
hadiiehen  SdiiilweMa  aneh  femeriiln  eine  glttcUidke  Ansgeetaltnngl  -r. 

Erinnert  man  sich  jetzt  in  Baden  auch  des  Mannes,  der  s.  Z.  (188ß— 18HH)  in 
seinem  Blatte  die  Fordemngen  stellte,  die,  bis  auf  die  Lehrerbildongs-  und  die 
SdralauiMehtsfrage,  durch  das  neue  Gesets  «rflUlt  wurden?  Bs  ist  Dr.  Adolf  Heuser 
in  ^liiiinhciin.  Da  wir  seinen  Namen  bis  jezt  in  dm  hey-ilgliohcn  Berichten  nicht 
gefunden  haben,  su  sei  er  an  dieser  Stelle  genannt.  Meuser  hat  für  die  nunmehr 
emeltcn  Eifidge  ledüeh  gestritten  und  gebtten,  weslialb  es  dne  Ehieufdieht  der 
badiseh«!  Lehxexsehaft  is^  ihn  in  gutem  Andenken  an  behalten.  D.  B. 


Ana  der  Schweiz.  (G.  S.)  Unseren  schweizerischen  Volksschulen 
ist  besonders  bei  Anläse  der  denteehen  Volksschnldebatte  die  seltene  Ehre  un- 
parteiischer und  sehr  gftnstiger  Benrtheflnng  im  Analand,  sogar  in  „oberen" 

Kreisen  zutheil  geworden,  indem  man  in  Wort  und  Schrift  auf  die  Vors^üge 
des  „Volksschulwesens  in  der  kleinen  Schweiz",  auf  ihre  «vortreflFlichen  Ein- 
richtungen nnd  Institutionen''  auf  allen  Gebieten  des  Jugendunterrichtes  — 
trots  „der  vcnchiedenen  Confessionen  und  Parteien"  — hinwies,  hanptsflehlidi 
▼ennliiMt  dnreh  eine  jnat  im  reebten  Momente  etaohleaeBe  Bvoechfire  dei 
BtSdtieehen  Lehrers  Ernst  Ewald,  der  im  Auftrage  der  Berliner  Diesttiweg- 
Stiftnng  eine  Studienrdse  nach  Berni  Zttrich  nnd  Basel  nntemonunea  nnd 


Digitized  by  Google 


—  672  — 


die  Er(?ebni8se  derselben  in  einem  sommaiischen  Berichte  niedergelejzrt  hat. 
Auch  die  Fresse  nahm  liiervon  Notiz.  So  schreibt  das  „Berliner  Tageblatt**: 
„Die  nlir  torgflltig  abgeikaste  DanteUung  der  Organiiation  des  SdudweMDS 
Todient  in  den  weitesten  &eisen  bekannt  zu  werden.  Wir  sind  ja  bei  nns 
in  Prenßen  jetzt  mitten  in  der  Arbeit,  unser  Volksschnlwesen  auf  neue,  gesetz- 
liche Grundlagen  zu  stellen;  da  ist  es  denn  nur  um  so  lehrreicher,  einmal 
seinen  Blick  auf  ein  kleines  bedeutsames  Colturgebiet  in  unserer  onmittel- 
baven  Naebbanobalt  adiweffen  sb  laesen.  Ein  nener  preußischer  Coltns- 
■iniiter  konnte  fiberdiee  manebe  sebfttabare  Anregung  Ar  die  Neogeetaltnng 
teinea  Beformwerkes  ans  dem  Schulwesen  jenes  Landes  gewinnen."  Die  fol- 
genden Schhisssätze  des  EwaMscht  ii  Berichtes  verdienen  als  objectivea  Urtheil 
eines  Fachmannes  wol  in  weitesten  Kreisen  volle  Beachtung: 

„1.  Trotzdem  das  Frincip  der  allgemeinen  Volksschale  (in  allen  drei 
Stidten)  ToltoMndig  dorc^peAbrt  ist,  so  kann  doch  von  einem  Überwn  ehern 
dea  PriTatschnlwesens  nicht  die  Rede  sein. 

2.  Die  Vereinigung  beider  Geschlechter  in  derselben  Classe 
hat  sich  in  Bern  so  bewährt,  dass  sie  in  allen  l'rimarschnlen  eingeführt  wer* 
den  soll,  obgleich  die  Schulpflicht  bis  zum  15.  Lebensjahre  dauert. 

8.  Einer  der  Hanptvorzllge  dea  VolkasehnlweeMui  in  den  fenannten  Stidten 
irt  die  m&ßige  Schülerzahl  in  den  einzelnen  Classen. 

4.  Die  Ausscheidung  der  sehr  schwach  begabten  Schüler  aus  der 
allgemeinen  Volksschule  i>.t  ein  anerkennenswerter  Versuch,  diesen  Kindern 
nnterrichtlich  ganz  besonders  zu  Hilfe  zu  kommen;  doch  ist  zugleich  auch  vor* 
geaoigt,  das»  luin  Miasbraneh  mit  dieser  Mafiregel  getriaben  werden  kann. 

5.  In  allen  drei  Stftdten  werden  den  Eindetn  der  Frimaneliale,  in  Basel 
auch  denjenigen  der  Secnndarschule  alle  obligatorischen  Lehrmittel, 
sowie  Schreib-  und  Zeichenmaterialien  unentgeltlich  geliefert." 

Die  Schweiz  scheint  mehr  nnd  mehr,  auch  von  anderen  Staaten  aas,  das 
Endiiel  pädagogischer  Exknrsionen  werden  zn  wollen.  So  beraehte  kfinlieh 
Mr.  Ifason  ans  Boaton  die  Sehulen  vieler  Sehweiaerstldte.  Es  wSre  nnr  sn 
wünschen,  dass  anch  schweizerische  Pidagogen  durcli  praktische  Bemfereisen 
mm  Vortheil  ihrer  und  anderer  Wirksamkeit  ähnliche  Studien  unternähmen. 

Der  Gesundheitspflege  schenkt  man  in  der  Schule  (praktisch  und 
theoretisch)  je  länger  je  mehr  Aufmerksamkeit,  indem  von  berafener  Seite  mit 
Becbt  betont  wird,  die  Sdinle  yerfehle  den  Zweek  des  Staates,  wenn  sie  dnreh 
einseitige  Entfaltung  der  geistigen  Anlagen  und  Fähigkeiten  das  Gleichmaft 
mit  den  korpf-rlichen  stc^irt.  Nicht  nur,  bemerkte  z.  B.  Dr.  Deuz  im  Jahres- 
bericht des  bündne  rischen  Lehrerveroins,  müssen  Schuliiiiuser  und  deren 
innere  Einrichtungen  den  sanitahscheu  Anforderungen  entsprechen,  sondern 
anch  der  Unterrieht  seibat  trttgt  sehr  viel  bei  znr  Ocanndbeit  der  Soknier,  ja 
anch  der  kommenden  Generationen,  so  dass  alle  Änte  and  Pftdagogen  Hand 
in  Hand  die  Schulhygiene  zu  fördern  haben. 

,.Wo  das  Blut  frisch  kreist,  die  Wangen  blühend  und  rund  sind,"  föhrt 
der  objective  Berichterstatter  fort,  „da  wohnt  auch  ein  reger,  lebendiger  Geist, 
welcher  leicht  das  Gegebene  anltaimmt  nnd  ▼erarbeitet  Geaunde  Kinder 
machen  dem  Lehrer  halbe  Arbeit,  waU  da  mit  Anflnerksamkeit  dem  Vor- 
tragenden folgen.  Schon  bei  der  Schnlpflichtigkeit  sollten  Lehrer  nnd  Arzt 
gemeinschaftlich  ihre  Ansicht  darfiber  änßem,  ob  das  Kind  geistig  and  körper- 


Digitized  by  Google 


—  673  — 


lieh  80  entwickelt  ist,  dass  es  zum  Schulbesuch  zugelassen  werden  kann.  Der 
endgültige  Beschloss  darüber  f&llt  dann  in  die  Competenz  des  Öcholratbes. 
Vkde  Xindor  lekeiiien  im  Mdiiiliifliohtigen  Alter  afihalfllhlg  imd  ichnlreif, 
wlhrand  lie  «  in  der  Tiwt  nidit  sind.'*  Soweit  der  Ant,  dessen  ürtheil  ynA 
dasjenige  yon  tausend  nnd  tauend  seiner  Collogcn  ist.  Die  Ärzte  nehmen 
je  länger  je  mehr  activen  Antheil  am  praktischen  Schulleben;  sie  werden  in 
weit  größerer  Zahl  als  früher  in  die  Comites  und  Behörden  gewählt  vom  Kinder- 
garten bis  hinauf  zum  Verwaltangsratli  einer  HodacitiilB.  Maa  dehi  AatoritMen 
unter  ihnen  bei  zu  den  wichtigsten  Bersthnngen  heim  Bau  neaer  Sdnlhäoaer, 
zum  Entwurf  von  Schnlorganisationen,  wie  z.  B.  in  Zürich,  wo  Dr.  G.Giuter 
schon  oft  um  sein  entscheidendes  Wort  ersucht  wurde.  So  ventilirt«  man  die 
Schularztfrage  im  Schulverein  und  nahm  folgende  Besolution  Dr.  Güsters  an: 

1.  Dar  Sch.-V.  erklärt  rieh  mit  der  in  dem  Entwarf  zur  neuen  Gemeinde- 
ovdnvng  TOigeBeheneaEnienniuig  eines  Stadtarctes  besonders  in  derVorans- 
setaang  einverstanden,  dass  letzterer  auch  als  Schularzt  nach  spedellen 
Anweisnnß:en  seines  Dienstreglementes  functioniren  werde. 

Der  Sch.-Verein  hält  es  für  wünschenswert,  dass  anch  der  Ccntralschul- 
pflege  im  neuen  (iemeindewesen  Zürich  der  Stadtarzt  als  berathendes  Mitglied 
für  Vertretung  und  Begutachtung  schulbygienischer  Fragen  beigegeben  werde. 

3.  In  jedem  der  fünf  Schulkreise  sollte  ein  Arzt  bezeichnet  werden,  der 
sich  nnter  der  Leitung  dt  s  .'^tadtarztes  mit  der  Controle  der  schulhygienischen 
Einrichtungen  (anch  in  iüeinkinderschuien,  Kindergärten  and  Privatschnlen) 
zu  befassen  hätte. 

Dem  Che werbesohnl Wesen  wird  vm  Jahr  sa  Jahr  meiir  Vertranen 
entgegengebracht,  wie  die  Ten  Prof.  Pnpikofer  (St.  Gallen)  redigirten 

„Blätter  für  den  Zeichen-  nnd  gewerblichen  Berufsnnterriclit"  dies  anschaulich, 
überzeugend  und  chronologisch-lückenlos  beweisen;  spendet  ja  doch  der  Bund 
Jahr  für  Jahr  höhere  Subventionen.  Mit  gutem  Beispiel  gehen  die  Städte, 
imltesondera  Basel  and  ZArleh*  yoran.  ^m^&xkk  niliert  sieh  aaf  diesem  Ge- 
biete dem  Ideal  der  alten  Stadt  seit  dem  Verdidgaiigsact  weit  mehr,  als  man 
erwarten  durfte.  Dies  zeigte  auch  eine  Ansstellnng  mannigfacher  Modelle  in 
Thon  und  Gips,  in  Zeichnungen  der  Mechaniker,  Schlosser,  Möbel-  und  Bau- 
Bchreiner,  der  Tapezierer,  Maler,  Spengler  und  Schuster,  sowie  in  1  reihaud- 
aeiclmnngen. 

Da  derBesudi  derOewerbeschalen  ein  freiwilliger  ist  (an  splten  Abenden 

oder  Sonntag-Morgen),  so  sind  die  Leistungen,  ob  sie  auch  da  und  dort  den 
Mangel  an  technischer  Fertigkeit,  die  scliwidige,  schwer«-  Hand  etc.  verrathen, 
doch  sehr  hoch  zu  taxirt  u;  sie  bilden  mit  der  steigenden  Frequenz  (85  Schüler 
im  Jahre  1873/74,  563  im  Jahre  1883;84  und  748  im  Vorjahre}  den  un- 
trOgliehsten  Bele?  für  das  waehsende  Bildongsbedtirfliis  der  Jungen  Leute. 
Voranssichtlich  leistet  die  nene  Stadt  als  ein  Ganzes  in  Zukunft  noch  mehr 
als  bisher  (schon  im  Jahre  1890  unterstützte  die  Stadt  die  Gewerbeschulen 
mit  h.  9'i50.  dor  Caiiton  und  Bund  zusammen  mit  fs.  19  000);  gehören  doch 
50^/0  der  Bevölkerung  dem  Handwerks-  und  Gewerbestand  an. 

Die  natnrgemlfle  Kleinkinderersiehvng  tritt,  dank  der  Energie 
nnd  Aasdauer  des  schweizerischen  KinderKarten-Yereins  (Prtaident:  HerrSchul- 
director  Küttel-Zürich)  in  ein  nenes  Stadium  der  scliönsten  Entwickelung. 
Das  Central-Comit6  hat  in  einer  seiner  letzten  Sitzungen  mehrere  Fragen  grnnd» 


Digitized  by  Google 


—  674  — 


aätzlich  in  entachiedeii  fortschrittlichem  Sinne  g-elöst  und  mehrere  Beschlüsse 
gefafist  (z.  B.  betreffend  Übersetznng  der  Vereiosstatateu  ins  Französische, 
Ytsfenitiiiig  dendben  mit  Elnladimgen  lom  Beitritt  andi  in  der  fruuOiifdten 
Sdiweiz),  die  eine  nnmerische  ErMkaag  det  jetit  KiiMi  lelir  TtrhraitateD, 
Mgensreich  wirkenden  Vereins  bedeuten. 

Obwol  die  Kinderj!:artenbe«trebungen  mit  Ausnahme  von  Genf  und  Neuen- 
borg  nur  Privatsache  sind,  dringen  doch  die  gesunden  Fröbelschen  Grundsätze 
MÜMt  in  der  FaniUeMnieliiuiff  and  in  „Kltinkindenoliiilai''  >WinlhH«ii  dweb, 
nnd  manchenorts  bedfirfte  m  nur  einiger  einflussreicber  und  energiaelier  Frtbel- 
fi^unde  in  den  obentan  Behörden,  um  die  Eindergirten  wenigsUni  indireet 
unter  staatliche  Aufsicht  und  Leitung  zu  stellen. 

Im  abgelaufenen  Schuljahre  wurde  in  St.  Gallen  (abwecbslnngsweise  mit 
Zflilflli)  ein  Kindergarten-CoTB  abgehalten,  nnd  ibamtlichett  Theilnefame- 
linnfin  konnten  Bchweizeriadie  Diplome  ertbeilt  werden.  Einige  lehr  tfichtige 
Schfilerinnen  werden,  da  sie  sich  beeooders  für  Familienerziehnng  eignen, 
mit  Vorliebe  Privatstellen  annehmen.  Pie  Nachfrage  nach  solch  allseitig 
tüchtig  vorgebildeten  Kindergärtnerinnen  ist  anch  in  der  Schweiz  im  Wachsen 
begriffen. 

Unter  den  nldreiehen  InstitationeB  mit  gcandnniltiif-pldagogiseher 
Tendmiz  nimmt  das  Pestalozziannm  in  Zürich  eine  der  onten  Stellen  ein. 
Schon  ist  dessen  17.  Jahresbericht  (ehemals  Schweiz,  permanente  Schulaus- 
stellnng)  erschienen.  Man  hofft,  in  nicht  allzufenier  Zukunft  für  das  Pesta- 
lozzianum  in  Verbindung  mit  einer  andern  Anstalt  ein  eigenes  Heim  zu  schafl'en. 
Zu  diesem  Zwecke  ist  die  Ldtnnff  mit  der  Gewerbeechile  in  VeAindnng  ge- 
treten und  das  gemeinsame  Projekt  zielt  ab  auf  die  ErOfflinog  eines  der  Stadt 
Zürich  wttrdig-rn  Pestalozzianums  mit  LeseriUen  im  Jahre  1896^  dem  150^ 
jährigen  Geburtsjahre  Pestalozzis. 

Als  Mittelpunkt  der  Pestalozziforscluing  und  -künde  (im  Pestalozzistübchen), 
aber  aaeh  als&Mtitat»  in  welchem  allseitige  pädagogische  Anregung  eine  Stitte 
haben  seil  im  Sinn  nnd  Gelite  PeetaleniB,  wird  ea  dnrek  seine  sehr  reiehhaltige 
Sammlung,  seine  Bibliothek  nnd  sein  Archiv  der  Erziehung  nnd  der  Schule 
große  Dienste  leisten  und  reiche  Geisteszinsen  abwerfen  vom  sicher  angelegten 
Capital  der  Mühe  und  Arbeit,  Umsicht  nnd  Sorge  seiner  Leiter,  sowie  auch 
aas  den  beträchtlichen  Subventionen  des  Bundes  (fe.  1900),  des  Gantons 
(ft.  3000)  nnd  der  Stadt  ZUricfa  (Ib.  1860).  Im  weiteren  floasen  Beitrilge 
Ton  40  Primär-  nnd  Secnndarschnlpflegen  dea  Outons  Zürich,  von  den  Ver- 
einsmit^liedern  und  anderen  Privaten.  Voraussichtlich  wird  das  Pesta- 
lozzianum  in  Zukunft  noch  allseitiger  unterstützt  nnd  noch  mehr  von  allen 
denen  benutzt,  welche  bloße  Anregung  oder  billige  Gelegenheit  zu  erfolgreichen 
Qaellenstndien  wflnadien. 

Für  zahlreiche  Culturzwecke  gibt  der  Bund  alljährlich  große  Summen 
aus.  Damit  nun  auch  auf  dem  litterarisch-iiUdago^isclien  Gebiete  nicht  vieler- 
lei Kräfte  veri  iii/.elt  nur  einen  halben  Effect  erzielen,  hat  das  Central-Comite 
füi'  schweizerische  Landeskunde  das  Project  des  genialen  Minister  Stapfer,  eine 
eidgenOesiaehe  Nationalbibliothek  an  grflnden,  wieder  aufi^nommea, 
und  die  Bealisimng  desselben  dürfte  nm  so  eher  gelingen,  als  die  Centrai- 
bibliothek in  Bern,  die  schon  längst  über  den  Rahmen  einer  eigentlichen  \'er- 
waitungsbibliothek  hinansgewachsen,  den  Grundstock  zu  einer  solchen  bilden 


Digitized  by  Google 


—  676  — 


könnte.  Auf  dem  Gebiete  der  Schweizergeschichte ,  der  Landeskunde  etc. 
häufte  sich  nämlich  recht  viel  Material  auf,  das  mit  anderem  schon  an  und 
fdr  sich  eine  reichhaltige  Sunmlong  ausmacht.  Und  obwol  man  auf  den  Er- 
werb oeoMler  oatloiutlAr  Werke  dnidi  Snnf  und  uf  Scbeiilrangen  angewlMen 
sein  wird,  dürfte  die  nOtUge  Summe  von  ca.  &.  10000  jährlich,  die  zum  Be- 
zug- sllmmtlicher  in  unserem  Lande  in  und  außer  (km  Buchhandel  enchei- 
senden  Druckschriften  erforderlich  ist,  aufgebracht  weiden  können. 

Dadurch  würden  viele  Schalbücher,  Zeitungen,  pädag.  ZeitschriftCD,  Flog- 
blltter,  BroMbflniii  Bfidicr  mit  einer  elnsfgen  Anflagei  als  getreoe  Spiegel 
einer  coltnrell  interessanten,  politischen  oder  pädagogischen  Bewegung  für  Ge- 
lehrte, Forscher  und  Pädagogen  Jlußerst  wichtig,  eine  reiclie  Fundgrube  des 
fruchtbarsten  Wissens  auf  einem  Spezialgebiete,  während  solche  und  ähnliche 
literarische  Producte  bisher  unbarmherzig  dem  Untergange  geweiht  waren. 

Das  BedllrAile  des  freien  Ideenanstansehes  gibt  siefa  anter  der 
schweizerischen  Lehrerschaft  melir  als  je  kund,  in  kleineren  Cirkeln,  KränzdiMi, 
Special-  und  Hanptmnferenzen  sowol,  als  auch  in  größeren  Versammlungen, 
und  tieißig  wird  besonders  aus  dem  Canton  Zürich,  aber  auch  aus  anderen 
Gegenden  hierüber  berichtet,  meistens  sammarisch  an  den  Heraasgeber  des 
JalolHidlis  lllr  das  üntenlcbtswesen  der  Schweiz,  C.  Gfn»b  in  Zfliicbr  der  aneh 
dieses  Frül^ahr  Lebier»  Sdinl-  and  andere  Jngendfreonde  mit  einein  redit  In- 
srnctiven  Bericht  hierüber,  wie  über  zahlreiche  andere  OegenstSnde  nnd 
brennende,  die  Schule  betreffende  Fragen  überrascht  bat. 

In  dem  geistig  regsamen  und  sehr  strebsamen  Basel  ist  seither  eine  frei- 
willige Sohnlsynode  gegründet  worden,  da  eine  obligatorische  Organi- 
satienr  wie  sie  in  Bern,  Zflrieh,  Thnxgan  ete.  besteht,  einen  besttglichen  Artikel 
des  Sidralgesetzes  nothwendig  grameht  hätte.  Sie  bezweckt  zunächst  die 
Einigung  der  LeJirerschaft  aller  unserer  «öffentlichen  Schulanstalten,  um  im 
ferneren  Schulfragen  in  den  Kreis  ihrer  Beratliungen  zu  ziehen,  welche  das 
ganze  baselstädtische  Schulwesen  gemeinsam  betreffen.  Um  die  Mitwirkung 
aller  Elemente  der  so  heterogenen  fAdagogischen  Welt  m  ermöglichen,  sind 
▼erlftoflg  politisdie  und  religiöse  T'arteifragen  von  den  Traktanden  ausge- 
schlossen. Wenn  man  bedenkt,  da.ss  jetzt  schon  jeder  der  drei  pädagogischen 
Vereine,  der  „Allgeni.  Lehrerverein'',  der  „Freisinnige  Schul  verein"  und  der 
„Evang.  Schulvereiü"  für  sich  allein  sehr  Schönes  geleistet,  in  nachhaltigster 
Weise  gearbeitet  nnd  bei  den  OberbehSrden  Blnflnss  erlsogt  hat,  Tersprieht 
man  sich  schon  nach  dieser  Richtung  hin  mit  Becht  maneb  eine  Errungen- 
schaft zum  Wole  der  Schule  und  des  Lehrkörpers,  naeb  der  sieh  die  CoUegen 
anderer  Stäidte  mul  Cantone  vergeblich  sehnen. 

Allein  auch  in  Bern,  Ölten  etc.  fanden  vor  und  nach  Schloss  des  Wintercurses 
freie  LehrerTersammlnngen  statt,  dort  anf  die  InitiatiTe  des  Herrn 
Seendariebrers  Ortbüng  hin,  der  die  Fnge  erörterte,  wie  der  sehweiz.  Volks- 
schale durch  Bandessabvention  (besonders  in  den  finanziell  ungünstig 
situirten  Bergkantonen)  beholfen  werden  könnte.  Ein  Initiativ-Coniite  lud  so- 
dann auf  den  1.  Mai  Delegirte  verschiedener  Lehrervereine  nach  Ölten  ein, 
wo  nnter  dem  Vorsitze  von  Secundarlehrer  Gass  (in  Basel),  der  schon  vor  fBnf 
Jsbren  das  gleiebe  llieaia  mit  sUseitiger  Znsttnumag  in  demselben  Sinne  be- 
handelt hatte,  eine  Versammlung  von  nahezu  200  Lehrern  ans  den  meisten 
•Cantonen  nach  dnrchseblagenden  Voten  der  Herren  Orttning-Ben,  der  Schal- 


Digitized  by  Google 


—   676  — 


inspectoren  Weingartner-Bein,  Dr.  Largiad^r-Basel,  Heer-Glarus, Scharf- 
Neuenbarg  and  Fritschi-Zürich  den  einstimmigen  Beschlnss  fasste,  der 
Gentral-AiiMchnM  des  Schweiz.  Lehrervenlns  sei  n  ersndieii,  die  Frage  der 
TTnterstfltzang  des  Volkitelmlweseiit  diireli  den  Bund  unter  Znsng 
von  geeigneten  Persönlichkeiten  «n  prUfen  mnd  in  dieaer  Sache 
das  weitere  zu  veranlassen." 

Auf  der  Bildtläche  der  freien  Discnssion  ist  schon  vor  mehrere  Jahren 
aach  die  Frage  der  liilitärpflicht  der  Lehrer  wieder  anfgetancht  and 
TOT  knrzem  richtete  der  Centralanasohass  des  Schweix.  LehiemteinB  eine  Ein» 
gäbe  an  das  eidgenössische  Militlidqpartement  um  Oleichstellang  der 
Lehrer  mit  den  anderen  B&rgern,  in  welcher  n.  a.  folgender  Passas 
vorkommt: 

„Es  erscheint  uns  als  weseutlicii,  dass  der  Lehrer  in  Hechten  und  Pflichten 
andezen  Bürgern  gleich  geetellt  werde.  In  den  G&nton«f  wo  dieser  Gmndp 
satz  zur  völligen  Geltuig  gekommen  ist^  befindet  man  sich  gut  dabei  und 

wünscht  keine  Änderung. 

Es  ist  wünschbar,  dass  die  Lehrer  nicht  in  besonderen  Recrutenschnlen, 
sondern  vermischt  mit  den  anderen  Jungen  Bürgern  zum  Militärdienst  einbe- 
rofbn  werdeni  immerhin  Toransgesetzt,  dass  Ar  sie,  wie  für  Angehörige  uderer 
•Stinde,  die  Lebensstellong  bei  Auswahl  der  Wa^e  and  bei  Festsetaong  der 
Binbernfong^stermine  in  billige  Berücksiclitig-nng  falle.  Die  Abschliefiang  der 
Lehrer  v«n  den  anderen  Ständen  ist  weder  für  den  Lehrer  noch  für  die  Schale 
von  Nutzen. 

Anch  dem  Avaacem^Bt  der  Lehrer  sollte  nadi  onieier  AmkAt  kein 
Hindernis  in  den  Weg  gelegt  werden.   Es  kann  die  Lost  an  der  ErfBllnng 

der  Militärpflicht  nicht  fördern,  wenn  der  Lehrer  sich  anderen  Rechtes  sieht 
als  andere  Bürger.  Andererseits  würde  die  Zulassung  der  Lehrer  znm 
Officiercorps  diesem  eine  gewiss  nur  wolthätige  Stärkung  bringen."  Man  er- 
wartet allgemein,  dass  das  IQlitftrdepartement  diesen  gewiss  berechtigten 
Wttnschen  entaprechen  werde. 

Einer  besonderen  Blüte  erfk-euen  sich  in  der  Schweiz  diePrivatanstalten, 
nicht  etwa  blns  die  Kindt  rf^rirten  und  Mädchen-,  sondern  vor  allem  anch  die 
Knabeninstitute  der  Üstschweiz.  Offenbar  liegt  die  innere  Ursache  hiervon 
in  der  gewissenhaften,  vorzüglichen  Führung  derselben,  aber  auch  in  der  ge- 
nauen GontroUmng  ihrer  Wirksamkeit  von  Seite  des  Staatea.  So  a.  B.  ist 
mit  der  Cantonschale  Trogen  (Canton  Appenaell)  ein  bewfthrtes  Internat 
verbunden,  das  Zöglinge,  ans  fremden  Cantonen  und  Ländern  aufnimmt  und 
dieselben  nach  einem  Vorbereitnngscurs  auf  die  Universität,  das  Polytechnicum 
und  die  commerzielle  Carh^re  ganz  individuell  vorbereitet  und  zwar  in  Classeu 
mit  mSfiiger  SehülersahL — Ebenso  genleBt  das  noch  jnnge  Institut  Dr.  Schmidt 
In  St.  Oallen  selbst  im  Auslande  den  besten  Raf,  da  darin,  wie  in  obge- 
nanntem  Convict  anf  Gesundheit  des  Leibes  und  der  Seele  ein  Hauptgewicht 
gelegt  und  alles  das  gewissenhaft  beobachtet  wird,  was  zur  lianunnischen  Aus- 
bildung des  Charakters  und  Gemüthea  wesentlich  mitheileu  kaun.  Bei  aller 
Pflege  des  religiOe>Bittlichen  Lebraa  finden  wir  aneh  da  jcM  VMheit  dea 
Geiatea,  verbunden  mit  einer  Arbeitafrendigkeit»  die  in  Zukunft  Tortnffliohe 
Beaaltate  erwarten  lässt. 

Geradezu  als  einUnicnm  unter  den  internationalen  Lehr^  undEcziehuDga- 


Digitized  by  Google 


—    t)77  - 


antUltea  endteiBt  dUgenife  ▼o«  Dr.  Bertsch  in  Neumtinater^Zdrieh, 
indem  daiellMt  dnrchschnittlich  Jalir  nm  Jahr  onter  25 — 30  Nationen  10  U« 

13  Sprachen  und  Classen  von  der  Stnfe  des  vorbereitenden  Unterrichts  für 
Zöglinge  ganz  verschiedener  Ifatterspracheu  bis  zur  Schwelle  der  akade- 
mischen Stadien  vertreten  sind. 

Audi  hier  wechaeln  nUreielie  oflIcieUe  Besuche  (fon  Seite  der  obereteD 

Erziehnngsbehörden)  mit  privaten  stets  ab  and  alljährUeh  wird  vom  Directi^r 
(zugleich  Besitzer  dieses  Institutes  mit  einer  ca.  lOOknpfigen  Familie)  zu 
Händen  der  Zürcherischen  Erziehnngsdirection  ein  ganz  einlässlicher  Bt  rlcht 
abgegeben  Uber  das  Personal,  die  Studiencommission,  den  Lehrkörper  und  die 
Zaglinge. 

Eigenartig  ist  schon  die  Entslehung  und  großartige,  ungeahnte  Ent- 
wickelung:  dieser  Anstalt,  und  wenn  auch  die  außergewöhnliche  Frequenz  in 
Verbindung  mit  der  Mannigfaltigkeit  der  Sprachidionie  das  Individualisiren 
bei  jedem  einzelnen  Zöglinge  —  nicht  Schüler  —  erschweren,  so  düi'fte  doch 
die  treffUehe  OigulBatioii,  die  anf  Jahnehote  laogen  «DnnterbrodieBeii  Kr- 
fiüinuigen  dee  Direeton  bmiht,  sowie  dessen  Oesehick  in  der  gMeklichen 
Übersetzung  gesunder  Krziehungsgrnndsiltze  in  die  Praxis  selbst  denjenigen 
beruhigen,  der,  der  Massenerziehung  zum  voraus  abhold,  unter  die  Berichte 
der  bestorganisirten  Erziehongsanstalten  en  gros  sonat  sein  Fragezeichen  setzt. 

Gharakteristiach  isfc  hier  iMMBden  aneh  die  Thstaaehe,  dasa  die  rOnisohe 
Clerlsei  schon  seit  mehr  als  swanzl;  Jahren  ihre  giftigen  Pfeile  gegen  dlesss 
nicht  nur  internationale,  sondern  auch  interconfessionelle  Institut, 
und  zwar  immer  vergeblich,  abgeschossen  hat,  wahrscheinlich  deshalb,  weil 
der  Direclor  religiöse  Gesinnung  als  Grundpfeiler  jeder  wahrhaften  iiruteii) 
Erziehung  betrachtet  und  offenbar  auch  dem  Grundsätze  huldigt:  „Eine 
Privatanstalt  mnss  mehr  leisten  als  eine  öffentliche  SohnlCi  wenn 
sie  mit  Erfolg  concnrriren  will.* 

Österreich.  Der  Vorstand  des  Allgemeinen  niederösterreichischen  Volks- 
bildnnpsvpreiiis,  Zwei^  „Wien  und  T'mtrebnng"  hat  auf  den  niederösterreichi- 
sclien  Volksl)il(luiiL;st;iirfii  zu  St,  l'iilttii  imd  Wiener-Neustadt  den  Auftiag 
erhalten  und  überuummen,  die  Gründung  eiiieti  Centraiverbandes  sämmtllcher 
dentseh-Ssterreichisehen  Volksbildangsvereine  (Vereine  fBr  Volksendehang,  fdr 
Verbreitung  gemeinnütziger  [landwirtschaftlicher]  Kenntnisse,  für  Volksbihlia- 
theken  etc.)  ins  Werk  zu  setzen.  Die  Aufgabe  dieses  Verbandes  hätte  zu  be- 
stehen in  der  Anbahnung  und  Pfieffe  regen  Verkehrs  aller  verwandten  Vereine, 
in  der  gegenseitigen  geistigen  Fördeiung  derselben  und  vurnehmlich  in  d^ 
Sffentlichen  Berathnng  aller  die  Hebung  des  Volksbildungswesens  hetreffen^^e^ 
Fingen  sammt  Beschlassfessang  hierSber.  Zu  diesem  Bel^afe  bedarf  es  einer 
vollstftndigen  Liste  aller  derarti^'en  Vereine,  ihrer  Satzungen  und  Berichte, 
sowie  der  Angabe  ihres  Mitf^liederstandes.  Es  wird  nun  ersucht,  die  bezüg- 
lichen Nachrichten  möglichst  bald  einzusenden  an  den  Obmann  stell  Vertreter  des 
Zweig  Vereins  „Wien  und  Umgebung"  Herrn  Dr.  Edaard  Leisching  inWien, 
I.  Tegetthoffiitrafle  4.  Im  Herbete  soll  dann  eine  allgemeine  Bdegirten-Ver' 
sammlang  in  Wliw  stattfinden. 


FadigORim.  14.  Jakis.  H«ll  X. 


47 


Digitized  by  Google 


678  - 


Die  Lelirmittelsammolstj'lle  Petorsdorf  bei  Trautenan  in 
Böhmen  bietet  Schulen  and  Lehrern  den  \'«rtheil,  das»  sie  einfache  L<'hr- 
behelfe,  besonders  Mineralien-,  i'etrefacteu-,  Küfer-,  Schmetterling-,  i'Üauzen- 
woA  OonchylieihSaouBliiiigen,  ferner  EntwicUiiBgattadieii  von  den  mdston  nUti- 
liehen  and  schädlichen  Insecten  and  Amphibien  zusammenstellt  and  diese  (Amt 
jeden  Verdienst,  daher  ilnßerst  oillip.  an  bedürftige  Schulen  aber  sogar  unent- 
geltlich abgibt  und  alle  \'orkoinnini8se  bestimmter  Gegenden  gegen  diese  Lehr- 
mittel auch  in  Tausch  nimmt,  weshalb  Lehrern,  welche  einigermaßen  Gegen- 
illiMle  Umr  Bemflatation  mnfliiBBBtragen,  die  Erwwbung  von  Kn^unUeB  der 
Tereehiedensten  Art  ebne  groBe  Analagen  mOgUeh  gemaeht  ist  Kleine  Hine- 
ralien-Sammlnngen,  enthaltend:  Bergkrystall,  Milchquarz,  Rosenquarz;  Amethyst, 
Cameol,  Achat,  Jaspis,  Chalcedon,  Feuerstein,  Probirstein,  Kiesel,  Holzstein, 
Kieselschiefer-,  Porcellanijaspis;  Speckstein,  Talk,  Granat,  Turmalin,  Opal,  Mond- 
stein, Katzenauge,  AnÜiracit,  Torf,  Pechstein,  Bernstein,  Braunkohle;  Kalkstein, 
Kalkapnt,  GMps»  Oolitb,  Flnsaspat»  IVopfttein,  Ealktnii;  Aragonit,  Dolomit» 
Sprudelstein,  Marmor;  Eotheisenerz,  Branneisenerz,  Miigneteisenerz,  Bleiglanz, 
Kupferkies,  Eisenspat,  Schwerspat.  Zinkblende,  Schwefelkie«;  Steinsalz;  Granit, 
Feldspat,  Glimmer,  Gneis,  Orthoklas,  Hornblende,  Diorit.  Augit,  Porphyr, 
Helaphyr,  Trachyt,  Phonollth,  Basalt,  Glimmerschiefer,  Eoth-  und  Weiss- 
liegendes, Qaader,  Gmnwadie,  Conglomerat,  Brecde,  Zechttdn  n.  a^  w.,  sn- 
sammen  80  St&ck  werden  am  blos  1  fl.  =  1  Mk.  80  Pfg.  geliefert,  and  bei 
Abnahme  von  10  Stüek  wird  noch  eine  Saimnlung  gratis  gegeben.  Samm- 
lungen zu  100  Stück  mit  größeren  Exemplaren  kosten  blos  1  H,  80  kr.  = 
3  Mk.,  noch  größere  Sammlungen  nach  diesem  Verhältnisse  im  Preise  höher. 
Aneh  Binielii-Xinenüieii  und  sogenannte  Gabinetstfteke  sind  billig  m  haben, 
vnd  bei  Bednif  braneht  nnr  der  Name  nnd  die  nngeffthre  CMMe  des  gewQnaebten 
Exemplares  angegeben  zu  werden,  worauf  die  denkbar  niedrigste  PreissteUang 
gemacht  wird.  Sammlungen  nachgeahmter  Edelsteine,  20  Stück  in  einem 
schönen  Etui  mit  Glasdeckel,  kosten  2  fl.  50  kr.  —  4  Mk.  20  Pfg.  Sodann 
gibt  die  SammelsteUe  auch  einzelne  Petrefacten  aus  den  verschiedensten  For- 
mationen, besonders  aber  Soloholbr  Vorkommnisse,  als:  FrOsche,  Krebse,  In- 
secten u.  dgl.  sehr  billig  ab.  Besonderen  Anklang  finden  die  l'ilzmodelle  aus 
Papiermache  (20  Stück,  täuschend  iUinlich)  für  blos  5  fl.  8  Mk.  75  I'fg. 
Die  Sammlung  von  Seetliieren.  20  Exi)l.,  blos  2  fl  50  kr.  =r  4  Mk.  20  Pfg. 
Das  Pr&parat  des  Borkeukiifers  75  kr.  ^  1  Mk.  30  Pfg.,  der  Biene  1  fl.  = 
1  Mk.  80  Pfir.,  der  Wespe  60  kr.  =  1  Mk.,  der  Motte  60  kr.  =  1  Mk., 
des  Seidenspinners  75  kr.  r-  1  Mk.  30  Pfg.,  des  chinesischen  nnd  Ailanthns- 
spinners  je  1  fl.  80  kr.  -  3  Mk.  Schmetterling-  und  Küfer-Sammlungen  von 
1  fl.  20  kr.  -~  2  Mk.  angefangen  u.  v.  a.  Man  verlange  gegen  Einsendung 
einer  gewöhnlichen  Briefmarke  des  Landes  das  jeweilige  ausführliche  Vorraths- 
Veneielinii  tod  Gnstav  Settmadiw,  Obttlehrer,  Vontand. 


Giebich enstein.  Den  geehrten  Herren,  welche  mir  von  dort  am  8.Jnni 
einen  freundlichen  Gruß  sandten,  sage  ich  meinen  herzlichen  Dank  mit  der 
Veraicherang,  dass  mich  Ihre  theilnehmende  Zuspräche  hocherfreut  hat,  and 
dasi  mir  Ihre  Namen  stets  in  angenehmer  Erinnerung  bleiben  werden. 

Dittea. 


Digitized  by  Google 


—   679  — 


AiB  d«r  Faohprease. 

558.  Comenius  und  seine  pädagogische  Bedentung  für  unsere 
Zeit  (C.  AndreiL  Neue  Bahnen  1892,  III*').  Vielleicht  die  nützlichste  unter 
allen  anUisslich  der  Comenius- Feier  g>liotenen  Leistungen  unserer  Fachpresse. 
—  Absicht:  „\oü  dem  Standort  der  Gegenwart  rückwärts  blickend,  diejenigen 
Seiten  (der  pädagogischen  PenSnlidikelt  dee  C.)  henronEokelirMi,  wddie  in 
sonderlichem  Maße  geeignet  erscheinen,  unsere  pädagogische  Lage  kritisch  zu 
beleuchten  und  damit  die  Pnnkte  und  Stellen  zu  bezeichnen,  :in  welchen  die 
Schal-  und  Lebensverhältnisse  unserer  Tage  das  Bild  einer  theihveise  krank- 
haften Entartung  bieten.^  Diese  Vergleichung  und  Kritik  wird  denn  in  allen 
Ahschnitten  kräftig  durchgefttlurl  —  L  Kenueidiniinff  miaerer  Zeit  (der  alU 
gemeinen  und  der  pädagogischen  GeeeUsehaft),  ihrer  Lebensanflfiissnng,  ihrer 
Schulen.  („Bei  unsem  Zeitgenossen  besteht  vielleicht  für  keine  Einwirkung'  so 
wenig  Entgregenkommen,  als  für  eine  pädagogische  in  großem  Stile.  Schon  die 
ersten  Bedingungen  datUr,  gemüthlicbe  Kuhe  und  contemplative  Stimmung,  sind 
fir  mite  KreiM  nnTentfindliehe  Zamathimgra."  Li  OBaenn  „imposanten  Bil- 
dangsitSrper"  feUt  „die  pSdagogiBche  Seele**.  Man  aneht  vengeblieh  ,,die 
pKdagogische  Tapferkeit  and  Begeisterung  im  Dienste  einer  Idee".  Die  ver- 
schiedenen Schularten  stehen  „vielfach  in  fast  feindlicher  Haltung  einander 
gegenüber,  und  man  hat  Mühe,  sich  gegenseitig  zu  verstehen.")  —  ü.  Des 
Comenius  Wesenheit.  —  UL  Comenins  als  Haßstab:  „Kein  Pädagoge  der. Ver- 
gangenheit ist  in  gleichem  MaSe  wttrdig,  an  einer  Prilfling  im  groBen  Stffle  die 
Maßstäbe  zu  liefern,  wie  Comenius."  —  TV.  Die  „fonchtenden  Seiten"  seiner 
praktischen  Pädagogik:  „ Vielseititrkeit  seines  Interes.«!e  —  seelsorgerlicher  Zug 
seiner  Arbeit  —  Kncyclopädi.'^um.s  seiner  didaktischen  Bestrebungen."  — 
V.  Einzelne  Hauptgrundsätze  des  C.  (unbedingte  Nothwendigkeit  sinnlicher 
Anaehannng  nnd  Übnng  —  „Die  Volkaspfachen  mttssen  den  gelehrten  Toranf 
geschickt  werden"  —  „Allgemeiner  Unterricht  aller,  die  als  Menschen  geboren 
sind,  zu  allem  Men.schlichcn"  —  „Die  Lehrer  sollen  Menschenbildner,  aber  nicht 
Bildschnitzer  sein"  )  und  die  entsprechende  (oder  vielmehr  nicht  entsprechende) 
Praxis  unserer  Tage.  —  (Treti  liehe  Eandbemerkungen:  „Jede  (iedenkfeier 
erhalt  nur  dadnreh  ihre  innere  Berechtigung  nnd  hShere  Bedentong,  daaa  aie 
Anlaaa  wird  zu  einer  PrOfling  im  groBen  Stile.**  „Thatsachen  lehren  nur,  indem 
sie  antreiben,  neue,  andere  zu  schaffen."  „Alle  pädagogische  Thatigkeit  entspringt 
ihrem  tiefsten  Grunde  nach  dem  Mitleid  und  Wol wollen."  ,,Wo  es  mit  rechten 
Dingen  zugeht,  da  verdichtet  sich  stets  pädagogisches  Thun  zu  einer  Art  von 
pädagogischer  Stimmung."  „Jene  pädagogische  Stimmung  ist  nnr  da,  wo  man 
«na  dem  Bewnaatsetai  unbegrenzter  Venatwoitnng  aneh  nnter  Versieht  nnd 
Opfern  bereit  ist,  den  geistig  und  sittlich  Bed&rftigen  beizustehen,  wo  das  Gle- 
fnhl  einer  die  Gesammtlieit  umfa-sgenden  solidiirischen  Verpflichtung  also  in  der 
Gesellschaft  lebendig  wird,  dass  man  gerade  diese  Art  des  WolwoUens  als  die 
höchste  Form  edler  Menschlichkeit  übt  und  ehrt.") 

559.  Comenins  nnd  Katke  (J.  Meyer,  Nene  Bahnen  1882,  m).  Be- 
antwortung ißr  Fhige:  „Worin  lieget  es  begründet,  dass  die  Bestrebungen  dee 
A.  C.  größeren  Einfluss  auf  Erziehung  und  I  nttTricht  ausgeübt  haben  und  noch 
ausüben  als  die  Batke's?"   Vergleichung  der  beiden  „nach  ihrer  Geistes*  und 

*)  „Oomeninifaelt'',  mit  dem  Bildnis  dm  Meisten,  Preis  75  F%. 

11* 

Digitized  by  Google 


680  — 


Charaktertüchtigkeit  —  ihrem  Wirken  in  Theorie  und  Praxis  —  den  äoBeren 
Umstunden,  die  ihr  Wirken  beeinflnssten." 

560.  beuerknngen  snm  badtschen  Volksschnlgesetis  (E.  ▼.  Sali* 
wflrk,  Rhein.  Bl.  1892,  III).  „Die  badischen  Volksschnllehrer  sind  Staatsdiener 
geworden."  Kano  man  einerseits  „befürchten,  dass  das  Interesse  der  Gemeinden 
für  ihre  Schnlen  sich  mindern  werde,  so  ist  andeistita  ganz  gewiss,  dass  das 
Interesse  des  »Staates  an  der  Schule  mit  der  neuen  Einrichtung  sich  erhöhen 
wird.  Es  ist  ja  eine  alte  Erftibrnng,  daas  man  die  Xenscben  oft  nicht  darum 
liöher  bezahlt,  weil  man  m-  liölier  schätst)  aondmi  dass  man  sie  für  wertvoller 
hJllt,  je  mehr  man  fiir  sie  aufwenden  mnss.  Das  wird  dem  badischen  Staate 
auch  nicht  anders  gehen.  Er  hat  sich  die  Volksschule  näher  gertickt,  als  je 
ein  Staat  es  bis  jetzt  gewagt  hat;  er  wird  die  Folgen  daraus  ziehen,  nnd  sie 
werden  Ar  die  Bildnng  des  Volkes  nur  heilsam  sein."  „Wir  sehen  in  der  Nen- 
gestaltang  der  badischen  Volksschale  viel  verheißende  Anfinge  zur  Besserung 
und  zum  Aufschwung  auf  dorn  wichtigsten  Gebiete  der  Bildung  und  Gesittung 
und  zwar,  wie  wir  lioffen,  nicht  blos  in  den  Grenzen  des  kleinen  badischen 
Landes."  „Die  wesentlichen  inneren  Eigenheiten  der  badischen  Volksschule  — 
der  simultane  Charakter  «nd  die  dnrchans  weltliche  Beanftichtigung  —  sind 
geblieben.  *  Die  Lehrer  wflnschen  nnr  aacb  eine  Erhöhung  (oder  Votleflmg) 
ihrer  beruflichen  Vorbildung,  um  die  Aufsichts-  und  Verwaltongsstellen,  die 
ihnen  offenstehen,  in  ei^prießliclier  Weise  ausfüllen  zu  können. 

561.  Der  Vormittags-  bezw.  Übermittagsunterricht  (B.  Ofenloch, 
Kepfiri.  d.P&d.  1891/92,  VII).  Gegen  das  iu  jüngsten  Tagen  an  verschiedeneu 
Orten  anfgetancbte,  als  „Zeitfrage"  beaehtensworte  Begehren,  den  gesammten 
Unterrieht  (besonders  an  höheren  Schulen)  auf  die  Zeit  von  7  oder  8  bis  1  Uhr 
zn  verlegen,  hegt  Verfasser  folgende  erheblicbe  Bedenken:  Auf  Seite  des 
Sdiiilei-s  wie  des  Lehrers  gesundheitliche  Nachtheile  (des  langen  Sitzens,  des 
Athiiicns  in  verdorbener  Luft),  körperliche  Übermüdung,  geistige  und  gemüth- 
liche  Abspannung,  Hänfling  der  Vorbereitnngsarbeiten;  Überladung  des  Schi- 
lers  mit  Wiasensnahrung  (,Jede  Lust  zum  Lernen  wird  ihm  f&r  die  ersten 
Stunden  nach  Schulschluss  vergangen  sein")  —  daher  der  „freie  Nachmittag" 
eine  Illusion.    Überdies:  Stornng  der  häuslichen  Tagesordnung. 


Digitized  by  Google 


Reeensionei. 

Dr.  Friedrich  Dittes,  Über  die  sittliche  Freiheit  mit  beßonderer  Be- 
rücksichtigang  der  Systeme  von  Spinoza,  Leibniz,  Kant.  6e- 
krtnte  PreiBSchrift.  Nebat  einer  Abhandlnng  llb«r  den  Endftnumismiu. 
Zweite^  nea  dnrchgeeeliene  Avflage.  Ldpclgrii.'\l^e&  1892,  JdL  EUnkhardt. 

146  Seiten.    2  H. 

Die  in  diesem  Bache  vereinigten  swei  Abhandlwigen  sind  den  swei  Qmnd- 
fragen  der  Ethik  gewidmet:  Wie  kann  der  Kensen  In  sittü^er  Beriehung, 

und  was  soll  t^r''  (»der:  wie  weit  reicht  sein  moralisches  Vermögen,  und 
was  ist  seine  moralische  Aufgabe?  Oder:  welches  ist  die  Fornu  nnd  was 
iet  der  Inhalt  des  sittliehen  Willens?  —  Seit  langen  Jahien  im  Bnchhandel 

TeMrifFen,  tritt  diese  Schrift  jotzt  nochmalt;  an  die  Öffentlichkeit,  da  sich  wieder 
mehr  Interesse  für  ethische  Untersuchungen  zeigt,  als  in  den  letzten  Jabr- 
iflhnteii.  In  weitnen  Kreisen  biidit  eieh  wieder  die  Übenengnng  Bahn,  dass 

die  bisher  vorwieg^end  gfcpflegtcn  Geistcssf rihmintron  zur  Begründung  der 
menschlichen  Wolfahrt  tbeilü  ungeeignet,  tbeiLs  ungenügend  sind,  durchaus 
aber  einer  festen  Richtschnur  bedürfen,  welche  nur  in  der  Ethik  gefunden 
werden  kann.  Ob  nun  das  vorliegende  Buch  hierzu  eine  hrauchbare  Weg- 
weisung biete,  dies  mögen  die  Leser  entscheiden;  Verfasser  kann  nur  sagen, 
dass  er  es  eüiat  mit  giMser  Liebe  geaohriehen  hat  nnd  nooh  hente  mit  Yei^ 
gnügen  liest.  D. 

K.  G.  Lntz.  Nene  Wandtafeln  zum  Unterricht  in  der  Naturgeschichte. 
30  Blätter,  Preis  24  M.  Im  Selbstverlag  von  K.  ü.  Lutz  in  Stattgart, 
Hohenheimerstr.  79. 

Endlich  liegt  dieses  vortreffliche  Lehrmittel,  ein  Werk  hervorragender 
Tüchti|dieit  und  auedauexnden  Fleißes,  vollendet  vor  nas.  In  seinem  Vater- 
kuide  Württemberg  ist  der  Antor  l&ngst  als  gewiegter  Kenner  nnd  Förderer 

der  Naturgeschichte  wol  bekannt,  insbesondere  auch  dimh  dir  (Jründung  des 
^liehiervereins  für  Naturkunde",  welcher  bereits  gegen  2öU0  Mitglieder  zählt. 
IMhmr  erkllrt  es  sieh,  dass  sein  neneeWerk,  welehee  aveh  die  sdralbehSrdlicbe 
Anerkennung  gefunden  bat,  bereits  von  nalu  zu  7(X)  württembergischcn  Schulen 
angeschafl't  worden  ist.  Die  Anlage  und  Ausführung  desselben  ist  jedoch  derart, 
dass  es  flidi  keiaeiwegi  hioe  flir  ein  einselnes  Land,  aondem  rar  alle  Yolks- 
acbnlen  im  deutschen  Sprachgebiete  vorzüglich  eignet. 

Unter  dem  Titel  „Präparat ioueu  zum  Unterricht  in  der  Naturg^hichte" 
hat  HenLutz  seinen  Wandtafeln  eine  Dnioksehrift  von  74  Seiten  beigegeben, 
welche  zugleich  als  »  rliiuternder  Text  zu  diesem  Lehrmittel  und  als  Leitfaden 
für  den  naturgeschichtlichen  Lehrgang  treffliche  Dienste  leistet.  Er  bemerkt 
da,  dass  er  bei  Herstellung  i^eines  Werkes  zunächst  einfache  Schulverhiiltnisse 
im  Auge  hatte,  was  jedoch  die  Verwendbarkeit  desselben  in  gehobenen  Schulen 
nicht  ausschließt,  und  sagt  weiter:  „Aus  dem  FHanzenrcich  sind  nur  einige 
charakteristische  Vertreti  r,  aus  dem  Mineralreich  nur  eine  Anzahl  fossiler 
Thiere  und  ein  idealer  Durchschnitt  durch  ein  Stttck  der  Erdrinde  geboten. 
Das  auf  den  Tattän  für  diese  beiden  Beiche  noch  Fehlende  gehört  in  die 
Sdinl'Naturalieaiammluig,  oder  der  Lehrer  holt  es  aaoh  Bedan  in  dcv  fteien 


Digitized  by  Google 


—   682  — 

Natni."  Denn  Naturköiper,  welche  ohne  bedeutende  MUhe  und  Kosten  ge- 
Bammelt  werden  kOnnen  und  auch  präparirt  nodi  ^te  Dienst«  leitten,  bnracht 

man  nicht  abzubildfn ;  das  Hauptgewicht  ist  sonach  auf  das  ThitTroich  gelegt, 
von  den  iiuiecten  sind  aber  nur  einige  ganze  Entwiokelungen  gegeben.  Be< 
sondere  BerQeludditigunff  ist  soldien  YffidHWiauBiMan  gewidmet,  weldw  ridi  in 
der  Natur  nur  selten  beobaohteii  leimen,  die  aber  im  Leben  der  Tbiere 

ebaiakteristiscb  sind. 

Nachdem  wir  das  Torliegende  Werk  genau  geprttft  haben,  mflnen  wir  es 

als  ein  höchst  gelungenes,  seinem  Zweck  bestens  entsprechendes  bezeichnen. 
Selbst  die  mäßige  Grüße  der  Tafeln  ist  eher  ein  Vorzug  als  ein  Fehler,  da  sie 
den  aebr  billigen  Prei»>  des  Werkes  ermöglichte  und,  geschickte  Handhabung 
TOnniagesetzt ,  den  Zweck  der  Abbildungen  keineswegs  beeinträchtigt.  Die 
ZuBnmmensteliung ,  sowie  die  zeichnerisclie  und  colorutive  Äusftthrung  der 
Bilder  ist  durchaus  aller  Anerkennung  wert,  und  wir  stimmen  gern  dem  be- 
reits von  anderer  Seite  geHUlten Urtheile  zu:  „In  Bezug:  auf  Zeichnung,  Colorit, 
künstlerische  und  natürliche  Anordnung  kommt  das  Werk  den  allerbesten  der 
bisher  vorhandenen  Schultal'eln  gleich;  es  übertrifft  aber  fast  alle  in  Bezug 
auf  naturwieaenachaftliche  Genauigkeit  und  sorgfältige  AusfiUinuig  auch  des 
Kleinsten  und  sdieinbar  KebensftcUüchNi.''  M.  M. 

SrIbDBer,  Dentscblands  Helden  in  der  deatscben  Dicbtnng.  Stutt- 
gart, Greiner  &  Pfeifer.    0  M. 

Eine  deutsche  Geschichte  in  Gedichten  i.st  das  obengenannte  Sammelwerk. 
Unter  den  ca.  750  Gedichten  sind  ca.  250  hier  zum  erstenmal  in  die  Dienste 
des  Unterrichtes  gestellt.  Nur  einem  Manne  wie  Brflmmer,  der  durch  seine 
biographischen  uud  bililiographischen  Werke  mit  der  neuesten  Literatur  Fühlung 
lint,  war  es  möglich,  ein  so  umladendes  Material  zusammenzubringen.  Wie 
viel  der  Voiaibett  mag  sich  dem  Sammler  bei  näherem  Zusdwn  üb  niobt 
brauchbar  erwiesen  haben  und  musste  beiseite  gelassen  worden.  Was  man 
wolgesichtet  zusammengetragen  sieht,  ist  vielleicht  nur  der  kleinere  Theil  des 
von  Brüminer  Gele.senen  und  Gesammelten.  Ist  somit  der  Fleiß  und  die  auf 
dies  Werk  verwandte  Mühe  aller  Anerkennung  wert,  so  auch  die  Art  der  Zu- 
sammenstennng.  Die  Gedichte  sind  mit  Rücksicht  auf  das  verherrlichte  Er- 
eignis chrnnrilogiseh  geordnet.  Dsis  erste  (iedicht  schildert  den  ( 'inilerneinfall, 
eines  der  letzton  iUoltke's  Tod.  Eine  recht  praktische  Zusammenstellung  gibt 
das  InhaltsyeTseiehnis,  das  snerst  die  Gedichte  in  der  genamotten  Ordnung  auf- 
zählt nud  dann  sie  nach  ihrem  Inhalt  ordnet  in  solche,  die  z.B.  die  Geschichte 
Brandenburgs  oder  der  österreichischen  Länder  oder  Badens  oder  der  anderen 
deutschen  Laadscbalten  ereShlen.  So  dient  das  Buch  auch  der  Localgesddehte. 
Naturgemäß  findet  sich  neben  Vollwichtici  in  am  h  mancher  Lückenbüfer;  ja 
manche  Perle  deutscher  Dichtung  (z.  B.  Joseis  II.  Denkmal  v.  Zedlits,  Lenau's 
Schlacht  bei  Aqpem)  wurde  gegenüber  mehr  erzählenden  Oediehten  minderen 
Wertes  zurückgesetzt.  Das  Buch  ist  ein  Werk  filr  die  reifere  Tugend,  und 
da  die  Ausstattung  wirklich  gediegen  ist,  eines,  das  sich  zu  einem  Ueschenke 
▼ortvefllieh  mgnet.  W. 

BQtticber  und  Kinzel,  Denkmäler  der  ftlteren  dentsehen  Literatur. 

(I.  1.  2.  Die  deutsche  Heldensage,  ni.  3.  llutiii  LutheTi  Venniachte  Sdirifteii 

weltlichen  Inhalts.)    Halle,  Waisenhang. 

Die  „Denkmäler"  stellen  sich  die  Aufgabe,  im  Sinne  des  preuß.  Ministerial- 
erlasses  vom  31.  Härs  1882,  in  eharakteristiM  in  n  möglichst  vollständigen 
Werken  gewisse  Oentren  zu  bieten  für  den  literaturgcschichtlichen  l'nter- 
richt.  Drei  solche  Centren:  die  deut.nche  Heldensage  in  der  vordassischen  Zeit 
(a.  Hildebrandslied,  b.  Waltharilied,  c.  die  Zaubersprüche,  d.  Huspilli  —  Heft  1. 1) 
nnd  in  der  classischen  Zeit  (Gudrun,  Heft  I,  2),  sowie  Luthers  weltliche 
Schriften  in  Auswahl  (Heft  HI.  3)  liegen  uns  zur  Begutaclitung  vor.  I.  1  und 
I.  2  bieten  den  Text  in  einer  Übertragung  ins  Neuhochdeutsche,  I.  1  mit 
ge^ttberstehendem  Originaltext  für  die  Gedichte  a,  c,  d,  mit  Proben  des 
Originaltextes  ftr  b  und  die  Ondmm  (12).  Lathers  Schriften  sind  in  der  ur> 
spfflnaJiehen  Fassung  abgedntokt.  Die  Übeaeteimg  seblieBt  sieh  eng  an  dw 


Digitized  by  Google 


683  — 


Tf-xt  an,  lici^t  siih  trotzdem  b'irlit  uml  ix'iht  dm  Charakter  des  Originals  crut 
wieder.  Sprachlich  oder  sachlich  dunkle  Sti  llen  sind  uuti  r  dem  Text  erläutert; 
Einleitungen  klären  zur  (icuüge  Uher  die  literarfjeschiehlliehe  Stellung  des 
Werkes  auf.  Die  Ctudrun  ist,  al8  Sehulau»gabe  gedacht,  in  gekürzter  Form 
aufgenommen  und  der  erste  Thcil,  Spiclmannspoesie,  nur  in  Form  einer  Nacb- 
cr/.äliliuig  tjeijeben.  Bei  der  Kürzung  waren  in  erster  Linie  ästhetische  Rüek- 
sichten  maligebend.  Dass  zahllose  Interpolationen  gerade  bei  diesem  Werke 
▼orgenommen  worden  sind,  ist  ja  keine  Frage,  freilieh  die  betreffenden  Strophen 
als  solehc  zu  i-rkcuiK  n  uns  noch  wcnifi^cr  niiifflidi  als  etwa  die  unechten 
Strophen  des  Nibelungenliedes.  Jcde&talls  gibt  die  Küisuug,  wie  sie  die 
.DenkmUer"  bieten,  dies  Gedicht  in  genieSharer  Form,  mag  sie  es  anch  immer' 
hin  nidlt  in  der  iirs[irüngliehen  Gestalt  hcrausffesrhält  haben.  ~  Die  Auswahl 
ans  Luthers  weltlichen  Schriften  —  darunter  Fabeln,  Sprüche,  Dichtungen, 
Briefe,  Aphorismen  —  befriedigt  aufieroidentlich.  Luther  taritt  da  sb  der 
Welt  weise  und  Weltkluge,  als  der  Berather  seines  Volkes  auf  allen  Gebieten 
des  Lebens  recht  schart  vor  unsere  Seele.  Und  wie  bündig,  klar  und  treffend 
ist  da  nicht  alles  erläutert!  Selbst  der  graniniutischc  Anhang,  eine  Überaidkt 
über  die  Sjiracbn  Luthers  (S.  217 — 252)  mit  seinem  Hinweis  auf  die  alten 
Furinen,  wie  sie  noi-h  heute  in  Gedichten  unserer  Moderneu  vereinzelt  fort- 
leben, ist,  80  knapp  er  auch  gehalten  ist,  ein  kleines  Meisterstück.  Wir  em- 
pfehlen das  ganze  Sanunelwerk.  insbesondere  aber  diesen  letstgenaanten  Band 
recht  eindringlich  der  Privatlee tiirc  unserer  Seminaristen.  W. 


Monatshefte  der  Comenins- Gesellschaft,  1.  Jahrgang,  1.  Heft.  135  S. 
Leipzig,  R.  Voigtländers  Verlag.  Jährlich  10  Alk.  Kinzelne  Hefte  2'  «  Mk. 

Prof.  Dr.  Esch  Weiler.  Haus  und  Schule.  Kin  Mahn-  und  Trostbüclilein  in 
Briefen  an  die  Eltern  unserer  stndirenden  Jagend.  Bielefeld,  Aug.  Uelmich. 

78  S.    1.25  Mk..  eleg.  geb.  2  Mk. 

G.  Uelmke,  Die  Behandlung  jugendlicber  Verwahrloster  und  solcher  Jugend- 
liehen,  welehe  in  GelMir  sind  za  verwahrloien.  Halle  a.  d.  S.,  Hermann 
SehiMeL   70  S.   1.25  Mk. 

Anpis't  Weiß,  Die  Fran  nach  ihrem  Wesen  and  ihrer  Beetimmnng.  Leipaigr 

Kdssbergsche  Buchhandlung.    85  S.    1.50  Mk. 

Otto  Suterraeister,  Dichten  und  Lügen.   Vortrae^.    Fraaenfeld,  Hnber.  38  S. 
Hans  Trank,  Der  Volksschullehrerstand  im  Siiie^fel  der  Mitwelt.  Gekrönte 
l'reissclirift.   Zweite  Auflage.   Graz,  Leuschuer  <!t,  Lubeusky.   66  S, 

Heyer-Markau,  Der  Lehrer  Leamond.  Urschriftliche  Worte  zeitbürtiger 
dentBcher  Sehriftateller,  Diehter  vnd  Getehrten  ftber  Lehrer  und  Sdiiile. 
DniBlmrff  a.  Bh.   Za  besielien  Tom  Verftaeer.  -209  S. 

J.  PAWlecki,  Dichterstimraen  ans  der  deutschen  Lehrerwelt.  Hamborg,  Ver- 
lagsanatalt  A.'&,  (J.  F.  fiichter).  382  S.  Geb.  4.50  Mk.,  hntOL  3  Mk. 

J.  W.  Dörpfeld,  Das  Fundamentstttek  einer  gei  eehten,  gesunden,  freien  und 
friedlichen  Schulverfassung.  1.  Lieferung.  HilcheJibach,  L.  Wiegand.  63  S. 

75  Pf.   Vollständig  in  4  Lieferungen. 

Hofmiller,  Kösch  uud  Königbauer,  Schemata  und  Leiir])iuben.  Nach  den 
sechs  psychologischen  Stufen  f&r  Volkeschulen  bearbeitet.  Bamberg,  C. 
Bnehner.   198  S. 

Hans  Sfnert,  Methodik  det  dentsohen  SpraehnnterriehtB.  2.  AniL  Wien, 
Fiehler.  224  S.  1,401 


Digitized  by  Google 


—  684  — 


Adalbert  Maxa,  Rede-,  Schreib-  und  SUlübnngeii.   2.  AbtheUang.  Wien, 

Pichler.   159  S.   1  fl. 

Uttttich  and  Yelter,  AlpUabetbehM  Nachsclilagebuch  für  deutsche  Recht- 
lehreibang.  Nach  der  für  Sekalen  in  Österreich  amtlich  festgesteliteD 
BeehtMlureibniicr.  2.  verbeaserte  Aull.  Wien  und  Fing,  F.  Tempaky. 
166  8.   80  kr. 

B.  Stecke! .  Allgemeine  Hetmatafcnnde  mit  Berficksichtigimg  der  Caltar- 
gesclüchte  als  Vorbereitung  ftir  den  weUkundlichen  Unterricht,  namentlidi 
als  Vorschule  der  Geographie.  Zwei  Ciiinge  (für  Mittel-  and  Oberstufe). 
Mit  17  Holzschnitten.  Halle  a.  d.  S.,  Hermann  Schrödel.    108  S.  1.35  Mk. 

Buley  und  Vogt,  Das  Tuiuea  in  der  Volks-  und  Biii-gerschule  tiir  Knaben 
und  Mädchen,  sowie  in  den  Unterclassen  der  MittelBohalen.  2.  Theil.  W^len, 
PleUer.  185  8.    1 H 

FrmBi  Schindler,  Natorlehre  für  Volkssehaleo.  IQt  112  Abbildongeo.  Wien 
ond  Pirag,  F.T^paky.  LeipdgfO.  Freytag.  118  S.  Geh.  40  kr.,  geb.  55  kr. 

Alton  Gindelys  Lehibncfa  der  Geschichte  für  Bfirgenchnlen.  Bearbeitet  von 

Kraft  und  Rothaug.  Ausgabe  für  Knaben-BHrgerschnlen.  1.  TheiL  37 
Abbildnng^en.  4  Karten.  11.  Aufl.  Wien  nnd  Prag,  F.  Tempsky.  Leipzig, 
G.  Frey  tag.  125  S.  Geh.  55  kr.,  geb.  70  kr.  —  2.  Theil.  25  Abbüdun- 
gen.  3  Karten.  Kennte  Anfl.  109  S.  Geh.  50  kr.,  geb.  65  kr. 
—  Danelbe,  Ausgabe  für  Uädehen-Bfirgenchnlen.  1.  Theil.  38  Abbildungen. 
4  Karten.  Zwmfte  Aufl.  119  S.  Geb.  55  kr.,  geb.  70  kr. 

Rudolf  Bautz,  Formeuf;tudien.  Musterzeichoungen  für  Sehnle  mid  Bbm».  500 

Muster.   Frankfurt  a.  M.,  August  Frey.   3.50  Mk. 
Emil  Franke.  Holz-schrift-Monogramme.    Zürich,  Oiell  Füssli.    2  Mk. 

nie,  Die  Erde  und  die  Ei-scheiuungen  ihrer  Oberfläche  nach  Reclus.  I.Liefe- 
rung.  Vollständig  in  15  Lieferungen  &  60  Pf . 

Knbach,  Einftthrnngin  den  geographischen  Unterricht.  Dfisseldorf,  Schwann.  18S. 

Uietlein-Schumann,  Deutsches  Lesebuch  für  sechs-  und  mehrclasäige  Schulen. 
Gera,  Hoflnann. 

GoldMhmitt»  Die  deutsche  Ballade.  Programm  der  Talmnd  Ton.  Hamborg. 

Tasehek,  YoraeUlge  nur  Yereinliuhmig  des  grammatischen  üntenichts  in  der 
Volkssehnle.  Wien,  N.-O.  Landedehnrrerein. 

Znrbonsen,  Literatnrfconde.  Berlin,  Nicolai. 

PrOlI,  Sind  die  Reichsdeutschen  beit  ( litigt  und  verpflichtet,  das  Dentadkthum 
im  Aaslande  an  stiitaen?  Kiel  und  Leipoig,  Tiacher. 


Vwantima.  BMlMltat  Dr.  Friadrieli  Dittet.  BuMtuktfai  Jallat  KlittkhArdt,  LeipiSir. 

Digitized  by  Google 


Jeam  Panl's  ,Jjeyaiia  odw  Enieblehre** 

BMh  Plan  und  Onndgedaakeii  daigosteUt  und  ▼<«  dem  Staadpiuikte  der  heut^jw 

PldagogOc  beleaehtet  toh  JP.  IT* 

I. 

Nicht  mit  Unrecht  hat  man  das  achtzehnte  Jahrhundert,  jenes 
Jahrhundert  der  Völker-  nnd  Geistesbewegung,  des  Eriegsgetflmmels 
und  der  emsigen  Cnltnrarbeit,  jenes  Jahrhnndert»  das  in  nnaofhalt- 
samem  Bingen  nach ,  Anfkiflmng,  Fortschritt  nnd  socialer  wie  reli- 
giöser Befreiung,  sowie  auch  im  Strehen  nach  Tollstandiger  Populaii- 
simng  der  Freiheitsideen  wol  you  keinem  Zeitalter  ühertroffen  wird, 
seiner  Vielseitigkeit  wegen  bewundert  Die  großen  Männer,  welche 
jenem  vielbewegten  Jahrhundert  den  Stempel  ihres  Gfeistes  aufdrftckten, 
waren  schaffend  und  wirkend  nach  allen  Bichtungen  hin  thfttig.  Keine 
Provinz  des  großen  G^tesgebietes  blieb  nnangebant  von  ihrer  be- 
freienden nnd  erlösenden  Arbeit.   Im  Sti*eben,  das  morsch  gewordene 
Alte  zu  stttrsen  und  der  aus  den  Fluten  einer  trüben  Vergangenheit 
emporsteigenden  neuen  Zeit  feste  Grundlagen  zu  sclmffen,  wandte  man 
sich  an  alle  Volksdassen.  Ja,  jedes  Geschlecht  und  jede  Altersstufe 
sollte  theilhaben  an  den  Errungenschaften  der  neu  aufblühenden 
Periode.    Daher  konnte  es  nicht  ausbleiben,  dass  man  auch  einer 
Wissenschaft  und  Kunst,  deren  Aufgabe  es  ist,  die  neu  gewonnenen 
Schätze  einer  tiefer  grabenden  und  forschenden  Gemeinde  von  geistes- 
großen Männern  dem  Gesammtvolke  nahe  zu  l)ringen  und  das  jung- 
aufwaclisende  Gesclilecht  seiner  Zeit  würdig  zu  machen,  rege  Be- 
achtung zollte.    Diese  Wissenschaft  mit   ihrer  Anwendung  als  so 
bedeutungsvolle  Kunst  ist  die  i'ädagogik.  Darum  darf  es  uns  nicht 
auffallen,  wenn  im  erwähnten  Jahrhunderte  auf  ihrem  (lebiete  eine 
iebliafte  Strömung  eintrat,  wenn  zur  Darstellung  pädagogisclier  Wissen- 
schaft und  pädagogischer  Kunst  Männer  hervortraten,  deren  eigent- 
liches Gel)iet  im  Reiche  mannigfaltiger  anderer  Künste  und  Wissen- 
schaften zu  suchen  ist.    Aus  nahe  liegenden  Gründen  nahmen  sich 
vur  allem  Philosophen  und  Dichter  der  pädagogischen  Sache  an, 

PnJagogiaa.  U.  Jabrg.  Heft  XL  48 


Digitized  by  Google 


—   686  — 


und  Tonflglieh  auch  durch  ihre  Bemfihmigeii  wnrde  eine  heOsame 
Umgestaltang  derselben  herbdgeftihrt  Selbstverständlich  ist,  dnss 
jeder  ins  Bereich  der  yon  ihm  behandelten  Wissenschaft  seine  eigene, 
längst  gewohnte  Sprache  ttbertmg,  nnd  so  kam  es,  dass  wir  ans  jener 
Zeit  philosophische  Bearbeitungen  der  PAdagogik  nnd  poetische 
Darstellungen  derselben  besitzen. 

Das  bedeutungsvollste  unter  den  Werken  letztgenannter  Art  ist 
nun  die  „Levana''  oder  ^.Erziehlehre''  von  Jean  Paul  Friedrich 
Richter.  Zwar  fUIlt  die  Heransgabe  derselben  nicht  mehr  ins 
achtzehnte  Jahrhundert,  da  ihre  erste  Auflage  erst  im  Jahre  1806 
erschien;  aber  die  Grundgedanken  des  Werkes,  sowie  die  empirische 
Unterlage  desselben  lagen  sidicrlich  schon  Jahrzehnte  vorher  im 
Geiste  ihres  Verfassers;  die  Antriebe,  welche  unseren  Dichter  zur 
Abfassung  seines  Buches  drängten,  sind  schon  in  jüngeren  Jahren 
Jean  Pauls  wirkend  gewesen.  Und  so  glauben  wir  durcliaus  keinen 
Anstoß  zu  erregen,  wenn  wir  die  „Levana"  zu  den  i)ädagogischen 
Erzeugnissen  des  aclit zelint en  Jalnhunderts  rechnen.  Hiermit  liaben 
wir  zugleicli  einem  sehr  wichtigen  Zuge  zur  Charakterisirung  des  ge- 
nannten Krzieliungsbuches  Ausdruck  verliehen.  Jean  Pauls  „Levana" 
ist  nämlicli  in  holiem  Grade  ein  Kind  ilires  Zeitalters,  sie  ist  das  in 
iliren  Vorzüiren  wie  in  iiireu  Fehlern,  im  Inlialte  wie  in  der  Form. 
Wenn  zudem  der  Verfasser  eines  Werkes  eine  so  scharf  ausgeprägte 
Individualität  und  eine  so  subjective  Natur  wie  Jean  Paul  ist,  so  er- 
scheint es  als  selbstverständlich,  dass  für  das  Buch  auch  hierin  eine 
Quelle  zahlreicher  Eigenthflmlichkeiten  liegt.  So  ist  es  denn  ge- 
kommen, dass  der  „Levana**  unseres  Dichters  ein  reiches  Ma0  von 
sehr  diarakteristischen  Merkmalen  anhaftet,  der^  Ursprung  theils  in 
dem  Standpunkte  der  damaligen  Wissenschaft,  namentlich  der  pftda- 
gogischen,  theüs  in  der  ganzen  Persönlichkeit  ihres  Verfhssers  und 
dem  Leserkreise,  für  den  er  sein  Buch  bestimmte,  zu  suchen  ist 
Jean  Paul  ist  im  eminenten  Süone  Humorist;  als  solchem  musste  ihm 
ein  feines  Gefühl  eigen  sein  für  alle  jene  Kleinheiten  und  Eleuiigw 
keiten  des  menschlichen  und  namentlich  auch  des  kindlichen  Lebens, 
die  er  als  Dichter  in  poetisch  durchhauditer  Form  zu  schildm  vusstSL 
Er  war  aber  nSherhin  vorzugsweise  ein  Lieblingsdichter  der  höheren, 
d.  h.  vornehmen  Stände,  nnd  dieser  Umstand  konnte  ebenfalls  nicht 
ohne  Einfluss  auf  die  Art  seiner  Darstellung  sein.  Die  letztere  ist 
allzu  charakteristisch,  als  dass  wir  nicht  hier  einige  Bemerkungen 
darüber  machen  möchten,  da  namentlich  auch  in  dieser  Hinsiclit  die 
nLevana"  eine  gänzlich  isolirte  Stellung  in  der  pädagogischen  Lite- 


Digitized  by  Google 


—   687  — 


ratiir  einnimmt.  Wie  .lean  Paul  als  Schriftsteller  überhaupt  das 
Wirkende  seiner  Geisteserzeu^isse  mehr  im  Sonderbaren,  Über- 
rasclienden,  darum  aber  auch  Einseitigen  und  Regellosen,  als  in  der 
makellusen  Reinheit  des  Schönen  gesucht  zu  haben  scheint,  wie  das 
Bestechende  seiner  Bilder  mehr  in  ihrer  überraschenden  Seltsamkeit 
und  Häufung,  als  in  ihrer  Anschaulichkeit  und  poetisch  feinen  Ge- 
staltung zu  suchen  ist,  so  schreibt  auch  Jean  Paul  der  Pädagog. 
Stellenweise  fesselnd  und  die  poetische  wie  die  pädagogische  Theil- 
nabme  aufs  höchste  steigernd,  ist  sein  Werk  anderseits  zuweilen  breit 
Ub  znr  LangweiligkeSt  und  sonderbar  bis  zur  Geschmacklosigkeit 

Dennoch  ist  die  „Levana"  ein  vielgenanntes,  wenn  auch  nicht  in 
gleichem  UmfiNige  bekanntes  GHied  der  pidagogischen  Literatar,  nnd 
ihr  anter  znweilen  so  wenig  ansprechender  HtUle  geborgener  Kern 
wertvoll  genng,  um  unsere  Beachtung  auf  sich  zu  ziehen  und  eine 
eingehendere  Beschäftigung  mit  dem  Werke  zu  rechtfertigen. 

Bei  unserer  Betrachtang  von  Jean  Paols  Eiziehlehre  wollen  wir 
znnAdist  in  den  Plan  und  die  ftuBere  Gliederung  derselben  eingehen, 
um  sodann  die  Grundgedanken  des  Werkes  in  flbersichtlicher  Weise 
zu  entwickeln  und  schießlich  eine  kritische  Beleuchtnng  derselben 
nach  Maßgabe  des  heutigen  Standpunktes  der  pädagogischen  Wissen- 
schaft zu  versudien. 

n. 

Es  ist  eine  bekannte,  oft  getadelte  fUgenthümlichkeit  Jean  Pauls, 
dass  er  in  seinen  Werken  nie  nach  einem  bestimmten  feststehenden 
Plane  arbeitete,  sondern  seine  Gedanken  in  bunter  Mannigfaltigkeit, 
wie  sie  ihm  der  Augenblick  eingab,  der  Leserwelt  darbietet.  Die 
anmutigsten  Bilder  malt  er  uns,  die  liebliclisten  Zaubertrme  weiß  er 
zum  Ausdruck  zu  biingen,  nnt  ^leisterscliaft  bringt  er  jede  Saite  des 
Gemütslebens  zum  Erklingen-,  al>»'r  iinnici-  sind  es  einzelne,  sich  von 
der  Umgebung  abhebende,  schimmernde  Krystalle  und  duftende,  auch 
von  Unkraut  nmwucherte  Blumen,  die  den  Genuss  bereiten,  und  dein 
Leser  bleibt  es  überlassen,  in  angenehmer  Erinnerung  der  reichlich 
gebotenen  Genüsse  die  kostbaren  Edelsteine  zu  einer  Schnur  zu 
sammeln  und  die  lieblichen  Pflanzen  zu  einem  duftenden  Blumen- 
strauße zu  winden.  Nach  einem  geschlossenen  Gedaiikengang,  eint  r 
auf  einheitlicher  Grundlage  sich  entwickelnden  Ideenfolge  wird  man 
jedoch  vergeblich  in  seinen  Werken  suchen:  es  ist  ihm  eben,  wie  er 
selbst  gesteht,  nie  ganz  gelungen,  den  „ungebundenen  Geist  in 
gebundene  Form  zu  bringen."  Auch  in  seinem  f&r  den  Päda- 
gogen wichtigsten  und  interessantesten  Werke,  der  „Levana",  tritt 

48* 


Digitized  by  Google 


—   688  — 


dieser  Mangel  zutage,  auch  hier  vermisst  man  bei  aller  Fülle  g:eist- 
reicher  und  origineller  Gedanken  eine  logische  Verknüpfung  der  ein- 
zelnen Theile  zu  einem  organischen  Ganzen.  Anfangs  scheint  Jean 
Paul  sich  allerdings  einen  bestimmten  Plan  vorgesetzt  zu  haben.  Nach 
Feststellung  des  Zweckes  der  Eraehung  finden  sich  in  genetischer 
Folge  die  Gattungs-  und  die  individuellen  Eigenschaften,  sowie  die 
Entwickelungsgeselze  des  P>ziehuogsobjektes  dargestellt,  und  es 
scheint  fast,  als  wolle  der  Verfasser,  von  der  ersten  Erziehung  aus- 
gehend, eine  Theorie  der  gesammten  Erziehungsthätigkeit  nach  ein- 
heitlichen Grundgedanken  aufbauen.  Bald  jedoch  verlflsst  er  ToIl- 
ständig  den  eingeschlagenen  Weg  und  behandelt  in  ziemlich  unge- 
regelter  Anfeinandarfolge  die  vichtigsten  Eniehungsfragen,  wodurch 
das  Werk  bei  aller  Qedankentiefe  und  Ideenf&lle  doch  den  Eindruck 
eines  wohlgegliederten,  widerspruchsfreien  Gamsen  nicht  aufkommen 
lässt  Dessen  war  sidi  jedoch  niemand  besser  als  der  Autor  selbst 
▼ollstftndig  bewnsst  Schon  die  Überschriften  der  einzelnen  Capitel 
wie  i^BrucfastQck'',  „Nachschrift",  ,,Traum",  „Ergfinzungsblatf*  lassen 
erkennen,  dass  er  kein  System  im  strengen  Sinne  des  Wortes  zu 
liefern  gedenkt  Verschiedene  in  den  Text  eingedruckte  Bekenntnisse 
beweisen  dies  noch  klarer.  .Dem  ersten  und  zweiten  (Theile)  hätte 
eine  frühere  Stelle  gebUrt  ....  wenn  es  Uberhaupt  in  diesem  £r- 
fiihmngswerkchen  darauf  ankäme,  die  Stellen  der  Materien  nach 
strenger  Bangordnung  zu  vergeben",  sagt  Jean  Paul  in  der  Ein- 
leitung zur  weiblichen  liirziehung.  und  ein  andermal  bittet  der  Dichter 
gar  den  Leser  um  Verzeihung  „ob  der  wilden  Anordnung  des  Stoffes!'' 
Wäre  es  auch  noch  so  sehr  zu  wQnschen  gewesen,  dass  Jean  Paul 
bei  seinem  psychologisch  so  interessanten  Lebensgang  und  seiner  der 
Pädagogik  nie  ganz  entfremdeten  Thätigkeit  einen  Ingisrli  durch- 
sichtigen Plan  eingehalten  und  die  wertvollen  Beobachtungen,  welche 
er  als  denkender  Familienvater  und  zeitweise  i)raktisclier  Lehrer  ge- 
macht hatte,  unter  einheitliche  Gesichtspunkte  gebracht  hätte,  so  ist 
nun  einmal  nicht  zu  leugnen,  dass  der  Plan  der  ,.Levana",  besonders 
wenn  wir  ihn  mit  dem  unserer  modernen  Erziehungslnicher  ver- 
gleichen, in  geradezu  vollständiger  Planlosigkeit  besteht,  und  dass 
in  der  ganzen  Anordnung  des  JStoÜes  ^der  Dichter  zu  sehr  hinter 
dem  Pädagogen  durchblickt".  Nicht  zu  übersehen  ist  allerdings,  dass 
diese  der  inneren  1  ogi>clien  Anordnung-  entbeiirende,  unvcrknüiifte 
Nebeneinanderstellung  der  einzelnen  Gedanken  in  dem  eigenartigen 
Naturell  des  Dichters  begründet  und  auf  vollständig  bewusster  Igno- 
rirung  eines  streng  geschloäseneu  Systems  zurükzufuhren  ist;  dies 


Digitized  by  Google 


—   689  — 


gebt  auch  ans  dem  Umstände  hervor,  dass  Jean  Paul  mit  damaligen 
systematischgearbeitetenlleisterdaratellaDgeii  der  pädagogischeiiWisBen- 
Schaft  doFchauB  nicht  anbekannt  war.  Der  Ver&sser  der  ,»LeTana'* 
mochte  die  vielseitigen  Schwächen  seiner  sonst  so  reichbagabten 
Dichtematnr  zor  Genfige  gekannt  haben,  am  die  Wahl  einer  Fenn 
bd  Seite  zn  lassen,  bei  deren  Anwendnng  er,  aller  Yoranasetzong 
nach,  jedenfiüls  ehien  hervorragend  hohen  Grad  der  Vollkommenheit 
nicht  erreicht  hfttte.  Das  sporadische  Ansammeln  seiner  oft  so  ttber- 
raschend  schönen  nnd  dnrch  Anwendung  lichtvoller  Bilder  im  höchsten 
Orade  wirkungsvoll  gemachten  Gedanken  war  ihm  aar  Gewohnheit 
geworden.  Man  vergleiche  damit,  um  diese  Behanptong  richtig  zu 
finden,  seine  beiden  anderen  Werke,  die  ihrer  ganzen  Materie  nach  be- 
stimmt zu  sein  scheinen,  in  ihrer  Darstellung  einen  wissenschaftlichen 
Charakter  zu  tra^^en,  die  „Yorschnle  der  Ästhetik"  und  die  „Seiina**! 
Nicht  minder  mochte  er  aber  auch  mit  dem  Geschmacke  seiner  so 
zahlreichen  Leserwelt,  die  jedes  neue  Buch  aus  seiner  Feder  mit  Jabel 
begrüßte  und  sich  an  die  vielfach  zerhackte  Darstellungsweise  ihres 
Lieblingsdichters  gewöhnt  hatte,  gewissermaßen  in  stillem  Einver- 
ständnisse gearbeitet  haben.  Fand  doch  seine  „Levana"  Aufnahme 
und  lebhafte  Benutzung  in  Kreisen,  denen  eine  emstwissenschiiftliche 
Sprache  fremd  war!  Aus  diesen  Gründen  ist  es  leicht  begi-eiflich, 
warum  Jean  Paul  einer  Sprache,  wie  sie  z.  B.  Herbart  ftthite,  aus 
dem  Wege  pfing. 

Die  „Allgemeine  Pädagogik"  des  letztgenannten  Philosophen  fiihrt 
der  Verfasser  in  der  Vorrede  zur  2.  Auflage  (1811)  an  und  kunimt 
bei  dieser  Gelegenheit  auch  auf  den  speciüative  Grundlage  und  streng 
wissenschaftliche  Methode  vereinigenden  Charakter  dieses  Werkes  zu 
sprechen.  Hier,  wie  bei  der  Erwähnung  von  Grasers  ^Divinität  der 
Menschenbildung"  nimmt  er  Gelegenheit,  unumwunden  seine  Abneigung 
gegen  Anwendung  eines  pädagogischen  Systems  auszudrücken.  Er 
meinte  „dass  Herhart  das  Titel-Vorrecht  „allgemeine**  nicht  möchte  so 
allgemein  benntzt  haben  and  durchgefühlt,**  and  mehrmals  erfthrt 
der  Leser,  dass  die  »Leyana"  nnr  dne  Blutenlese  von  pädagogischen 
Urtheilen  sei,  etwa  in  dem  Smne,  wie  ihr  Yerfiuser  z.  B.  hei  Er- 
wähnung Ton  Schwarz  „Erziehnngslehre  den  Aosdrack  Blnmen- 
kataloge  von  Kinderseekn"  gehrancht  hat  So  ist  es  denn  gekommen, 
dass  die  „Lerana",  den  Ansichten  ihres  Ver&ssers  entsprechend,  der 
inneren  Gliedernng,  wie  sie  eine  erschöpfende  DarsteUnng  des  Stoffes 
nöthig  gemacht  hätte,  fast  gänzlich  entbehrt  Betrachten  wir  die 
änlSere  Gliedernng  des  Werkes  nun  etwas  nähert 


Digitized  by  Google 


—  690  — 


m. 

Dasselbe  serfiUlt  in  drei  „Bändchen*',  in  'widchen  nenn  „Brneh- 
stUcke**  nntergebracht  sind,  von  denen  Jedes  wieder  ans  einzelnen 
„Capitetn"  besteht  Das  „erste  BrnGhstück"  behandelt  im  ersten 
GapiteL  die  Wichtiglrait  der  Erziehnng.  Schon  im  zweiten  nnd 
dritten  Capitel  wird  jedoch  der  Flnss  der  Ansemandersetzong  nnter- 
brochen  dnrch  zwei  in  höchst  sonderbarem  Oesehmack  gehaltene 
,,SchiUreden'',  von  denen  die  erste  in  allerdings  hnmoiistischer  Form» 
Gründe  gegen  die  Wirksamkeit  der  Erziehung  vorbringt,  während 
die  zweite  in  ernster  Weise  letztere  darzathan  sucht.  Das  zweite 
„Bmchstttck"  beschäftigt  sich  sodann  im  ersten  Capitel  mit  „Geist 
nnd  Grandsatz  der  Erziehung"  nnd  entwickelt  im  zweiten  Capitel, 
hiervon  aasgehend,  die  Individualität  des  Idealmenschen.  Man  sieht, 
bis  hierher  hat  Jean  Paul,  abgesehen  von  den  „zwei  Scliulreden", 
deren  Einfügung  wo!  nur  stattfand,  um  den  Charakter  eines  Lehr- 
Imches  zu  vemieiclen  und  der  „Levanji"  ein  mehr  dichterisches 
Gepräge  zu  geben,  seinen  Stoff  mit  ziemlicher  Folf^erichtigkeit  der 
sich  aneinander  schließenden  Ideen  behandelt.  Auch  das  dritte 
Capitel  „über  den  Geist  der  Zeit"  und  das  vierte  Capitel  von  der 
Bildung  zur  Religion  stehen  in  ihrem  Gedankeninhalt  nicht  allzu 
fremd  den  vorhergegangenen  Ausführungen  gegenüber.  Dagegen 
bringt  das  erste  Capitel  des  „dritten  Bruchstückes**  schon  eine  „Ab- 
schweifung über  den  Anfang  des  Menschen  und  der  Erziehung",  wel- 
cher jede  Verbindung  mit  den  Schlussbenierkungen  des  zweiten 
„Bruchstückes"  fehlt.  Hieran  schließen  sich  in  ungeordneter  Auf- 
einanderfolge Ausführungen  über  verschiedene  wichtige  Punkte  des 
Kindeslebens.  So  beschäftigen  sich  Capitel  2  und  3  mit  der  Freudig- 
keit dar  Kinder  nnd  mit  dem  Spiel  derselben.  In  Capitel  4,  5,  ü,  7 
nnd  8  finden  sich  Gedanken  Uber  das  Tanzen,  die  Hnsik,  Gebieten 
nnd  Verbieten,  das  Strafen  nnd  das  Schrei-Weinen  der  Kinder.  Von 
besonderer  Wichtigkeit  ist  noch  das  nennte  Capitel,  worin  sich  Jean 
Panl  „über  den  Kinderglanben'*  aasspricht.  Nun  folgen  wieder  zwei 
Unterbrechungen  des  vorherrschenden  Ganges  in  der  ftnSeren  Glie- 
demng.  Ein  „Anhang  zum  dritten  Bmchstück'*  handelt  Aber  die 
physische  Erziehnng,  während  ein  „komisi^er  Anhang  nnd  Epilog** 
ein  „getrftnmtes  Schreiben  an  den  sei.  ProH  Geliert,  worin  der  Ver- 
Jhsser  nm  einen  Hofineister  bittet**,  enthftlt 

Das  nnn  folgende  „vierte  Bmchstack**  schemt  den  abgebrochenen 
Faden  der  pädagogischen  AusfÜhmng  wieder  anknüpfen  zn  wollen; 
es  handelt  (in  ö  Capiteln)  „von  der  weiblichen  Erziehung**.  Aber 


Digitized  by  Google 


—  691  — 


wieder  ist  von  keiner  Ordnung  der  dargebotenen  Gedanken  die  Rede, 
und  Jean  Paul  muss  dies  wol  gefühlt  haben,  wenn  er  sagt,  dass 
man  in  seinem  Bruchstück  über  Mädchen  die  systematische  Ordnung 
vermissen  und  „nur  eine  für  Weiber  systematische  Anordnung"  an- 
treffen könne.  Das  erste  Capitel  des  neuen  Bruchstückes  bescliäftigt 
sich  mit  den  Fehlem  in  der  weiblichen  Erziehung,  denen  in  der  Form 
einer  „Beichte  Jaqueliuens  '  Ausdruck  gegeben  ist.  Die  drei  folgen- 
den Capitel  handeln  von  der  Bestimmung  des  weiblichen  Geschlechts, 
der  Natur  der  Mädchen,  der  Bildung  der  Mädchen  in  Hinsicht  der 
mannigfaltigsten  Angaben,  Gewohnheiten  und  Eigenschaften  des 
liehen  Qeaehleehtes.  Das  fiknfte  (Schliuscapitel)  wird  gebildet  durch 
eine  „geheüne  Instruction  eines  Ftkraten  an  die  Oherhofineisterin 
seiner  Tochter".  Das  JItadto  Bruchstfick'*  ist  der  FtIrstenerziehuDg  ge- 
widmet Neben  allgemeinen  AusfÜhruDgen  Aber  die  Bildung  eines 
Fürsten  enthfilt  es  emen  Brief  au  den  „Prinzen-Hoflneister,  Herrn 
Hofrath  Adelhard,  Uber  Flirsteaerziehung".  Außer  jeglichem  Zusam- 
menhang mit  dem  Inhalte  dieses  Bniehstackes  stehen  die  Ausführungen 
des  sechsten  Bruchst&ckes.  Dasselbe  trftgt  die  Überschrift  ^Sittliche 
Bildung  des  Knaben'*,  handelt  jedoch  in  seinem  ganzen  YerUnfe  von 
sittlicher  Bildung  überhaupt  und  ist  deshalb  namentlich  im  letzten 
Theile  seinem  Inhalte  nach  für  beide  Geschlechter  bestimmt.  Der 
sittlichen  Stärke  soll  nach  den  Ausführungen  des  ersten  Capitels  die 
körperliche  vorausgehen.  Darum  enthält  dieses  Gedanken  über  „Ver- 
wandspiel," „Schädlichkeit  der  Furcht  und  des  Schrecks",  „Lebenslust", 
„Unzolängiichkeit  der  Leidenschaftlichkeit",  „Nothwendigkeit  der 
Jugendideale".  Das  zweite  Capitel  handelt  von  der  Bildung  zur 
Wahrhaftigkeit,  das  dritte  von  der  Bildung  zur  Liebe,  die  nicht  nur 
alle  Menschen  umlassen,  sondern  sich  auch  auf  die  Thiere  erstrecken 
soll.  Das  vierte  Capitel  wird  gebildet  durcli  einen  „Ergäuzanhang 
zui*  sittüclien  Bildung",  welcher  „vermischte  tröstliche  Regeln'-  ent- 
hält, über  „Geschichte  der  Eltern  für  ihre  eigenen  Kinder,  über 
Kinderreisen",  über  die  „Misslichkeit  voreiliger  Schanilehre*'  und  „über 
die  Kinderkeuschheit"  handelt.  Das  siebente  Bruchstück  enthält  Aus- 
führungen „iiber  die  Entwickelung  des  geistigen  Bildungstriebes". 
Nach  einer  näheren  Bestimmung  desselben  im  ersten  Capitel  behnden 
sich  im  zweiten  Capitel  „Gedanken  über  Sprache  und  Schrift"',  im 
dritten  „über  Aufmerksamkeit  imd  Yorläldungskraft'-,  „Pestalozzi", 
„Unterschied  der  Mathematik  von  der  Philosophie";  das  vierte  Capitel 
behandelt  die  Bildung  zum  Witze,  das  fünfte  die  „Bildung  zu  Re- 
flexion, Abstraction,  Selbstbewusstsein"  und  enthält  einen  „Anhang* 


Digitized  by  Güügk 


—   692  — 


Paragraphen  über  That-  oder  Weltsinn".  Im  sechsten  Caidtel  spricht 
sich  Jean  Paul  aus  „Über  die  Ausbildung  der  Ennnenmg,  nicht  des 
Gedächtnisses".  Das  achte  Brachstück  enthält  Betrachtungen  über 
die  Ausbildung  des  Schönheitssinnes  und  handelt  im  ersten  Capitel 
über  die  „duich  den  äußeren  und  inneren  Sinn  bedingten  Schönheiten", 
das  zweite  Capitel  ist  Erwägungen  über  classische  Bildung  gewidmet. 
Den  folgenden  Abschnitt  der  „Levana"  bezeichnet  Jean  Paul  selbst 
als  „Neuntes  Bruclistückchen  oder  Schlussstein".  In  demselben  kommt 
der  Verfasser  u.  a.  auch  auf  das  Unterrichten  zu  sprechen,  „welches 
übcrluiupt  in  späteren  Jahren  immer  mehr  mit  dem  Erziehen  zu- 
saiimientallt".  Als  drei  Classen  der  Wissenschaft,  die  dem  „Drei- 
klang der  Bildung  entsprechen",  bezeichnet  er  die  lateinische  Sprache, 
die  Messkunst  und  die  Geschichte.  Außerdem  enthält  das  letzte 
Bruchstück  aphoristische  Gledanken  Uber  die  verschiedensten  Theile 
der  Erziehung.  Mit  einem  sehr  edeln  Schlussaccorde  klingt  die 
„Levana  '  aus.  Jean  Paul  schließt  mit  einer  „Dichtung  vom  jüngsten 
Tage  und  deu  zwei  letzten  Kindern":  „Sie  wurden  geboren,  als  eben 
die  Welt  yoU  Sünden  unterging  und  blieben  allein;  sie  griffen  mit 
spielenden  Hftnden  nach  den  Flammen  nnd  endlich  wurden  sie  auch 
davon  mit  Adam  mid  £ya  aasgetrieben,  nnd  mit  dem  lrifidH«hwi 
Paradiese  heschloss  die  Welt"  — 

Findet  sich  also,  wie  wir  zu  beweisen  gesacht  haben,  in  der 
„Levana**  kein  streng  eingehaltener  Plan,  noch  weniger  ein  festge- 
schlossenes System  der  gesammten  Erziehnngswissenschaft,  so  ist  das 
Werk  doch  fiberaas  reich  an  trefflichen  Gedanken  Aber  die  mannig- 
faltigsten Anijsaben  der  Erziehung,  nnd  die  in  ihm  niedergelegten 
Ideen  nnd  Yorschlftge  Ar  HerbeifBhrang  einer  besseren  Jagend-  nnd 
Henschenbüdong  werden  so  lange  der  Beachtung  gewiss  sein,  so  lange 
'  es  dne  Wissenschaft  von  der  Erzidmng  gibt  and  sich  Menschen  finden, 
welche  die  Bildnng  der  heranwachsenden  Jagend  als  die  yornehmste 
Aufgabe  der  Familie  und  des  Staates  betrachten.  „In  wenigen 
Bücliern"  sagt  Grube,  „ist  in  die  allgemeine  Menschennatur,  bis  za 
ihren  Elementen  herab,  so  klar  hineingeleuchtet,  die  Kinderseelc  so 
innig  und  allseitig  belauscht,  sind  so  viele  zai'te  Seiten  derselben  be- 
rührt worden,  so  viele  Hämmer  zn  ihrer  richtigen  Stimmung  gogeben." 

IV. 

^^'elclles  sind  nun  die  in  der  „Levana"  enthaltenen  Grundge- 
danken der  Jean  Panischen  Pädagogik?  Um  die  bedeutungsvollsten 
derselben  kennen  zu  lernen,  erscheint  es  in  erster  Linie  von  Wichtig- 


Digitized  by  Google 


—   693  — 


kdt,  sieh  Klariieit  darttber  m  Tenchaifeii,  irelehe  Anaicht  Jean  Paul 
von  dem  Geiste  und  der  Aufgabe  der  Erziehang  ftberhanpt  hatte; 
denn  je  nach  der  Idee,  die  der  EnieheBde  sich  Aber  daa  Wesen  und 
die  Ziele  der  von  ihm  vertretenen  Wissenschaft  gebildet  hat»  wird  er 
die  zur  VerwirklichnDg  dieser  Idee  nöthigen  YeranstaltuDgen  treffen. 

„Zum  Ziele  der  Erziehungskunst,  das  uns  vorher  klar  nnd 
groß  vorstehen  muss,  ehe  wir  die  bestimmten  Weg:e  dazu  messen,  ge- 
hört die  Erhebung  ftber  d&a.  Zeitgeist:  Nicht  für  die  Gegenwart  ist 
das  Kind  zu  erziehen,  sondern  für  die  Zukunft.''  Spriflit  schon  ans 
diesen  Worten  Jean  Pauls  ein  hohes  ideales  Ziel,  zu  dem  der  junge 
Mensch  der  „leidenschaftlichen  Begehrkraft"  eines  „schwankenden 
Zeitgeistes"  gegenüber  erzogen  weiden  soll,  so  erläutert  er  es  in  dem 
weiteren  Verlaufe  des  Werkes  an  verschiedenen  Stellen  iiodi  näher. 
.,Ge<jfeu  die  Zukunft,  ja  gegen  die  eindringende  Zeit  ist  das  Kind  mit 
einem  Gegengewicht  dreier  Kräfte  auszurüsten,  wider  die  drei  Ent- 
kräftungen  des  Willens,  der  Liebe,  der  Religion". 

Und  wenn  er  bei  der  Betrachtung  von  Geist  und  Grundsatz  der 
Erziehung  „den  gewöhnlichen  Eltern"  vorwirft,  dass  sie  statt  „eines 
Urbildes"  ein  „ganzes  Bildercabinet  von  Idealen  den  Kindern  vor- 
stellten", so  erkennt  man  daraus,  wie  ernst  es  Jean  Paul  mit  der 
Einheitlichkeit  aller  Erziehungszwecke  iiinunl  und  mit  welcher  Ent- 
schiedenheit er  auf  ihre  Verknüpfung  und  ihren  harmonischen  Zu- 
sammenschluss  zn  einer  einheitlichen  Lebensanifkssung  dringt.  „Einen 
festen  ind  reinen  Charakter",  mit  diesen  Worten  bezeichnet  er  das 
Ziel  der  Erziehnng,  wenn;,er  von  der  MBildnng  eines  Forsten"  spricht, 
nnd  den  durch  Qe3>nrt  nnd  Bestimmung  „anf  der  Menschheit  Höhen** 
stehenden  jungen  Menschen  irollte  der  Dichter  gewiss  die  reifsten 
Früchte  seiner  p&dagogischen  LebenseriUimng  angeddhen  lassen! 
Boch  nnterlässt  es  Jean  Panl  in  dem  weiteren  Verlaofe  des  Werkes, 
an  dieser  Ansicht  ^tznhalten  nnd  in  wissenschaftlicher  Strenge 
ihre  äußersten  Conseqnenaen  zn  ziehen.  Der  kritische  Blick  des  Ge- 
lehrten weicht  in  seiner  Ansicht  bald  dem  durch  ein  ftnßerst  lebhaftes 
Spiel  der  manniglSsltigsten  Empflndungm  gelenkten  ürtheile  des 
Dichters.  Überhaupt  tritt  in  der  „Levana**,  wie  in  den  meisten  ande- 
ren Werken  Jean  Pauls,  wieder  h(ksbst  charakteristisch  für  die  Poeten- 
nator  ihres  Verfassers,  der  Gedanke  von  der  großen  Erziehungsmacht 
der  uns  umgebenden  Natur,  und  dem  das  Individuum  treffenden  Lebens- 
schicksale stark  hervor,  und  Jean  Paul  ist  sehr  geneigt,  diesen  beiden 
Erziehern  des  Menschen  eine  allzugroße  Macht  einzurftumen,  was  ja 
sdion  an  und  ftU*  sich  einem  einheitlichen  Erziehnngsprincipe,  dessen 


Digitized  by  Google 


—   694  — 


Verwirklichong  nur  durch  die  Hand  eines  denkfinden  Erziehers,  eines 
Menschen,  erreicht  werden  kann,  entgegen  sein  würde.  Aber  der 
Verfasser  der  „Levana"  erinnert  anderseits  fortwährend  an  die  Wkli- 
tigkeit  eines  Ideals,  das  dem  Erzieher  bei  seinem  Geseb&fle  voran- 
leuchten  soll,  bei  näherer  Bestimmung  desselben  bleibt  er  sieb  jedoch 
durchaus  nicht  gleich-,  darum  darf  es  uns  nicht  wundern,  wenn  Jean 
Paul  seine  anfangs  innegehaltene  Stelhmf?  verlässt  und  bei  der  Wahl 
eines  Erzieluinf^sideals  seinen  Blick  nicht  nach  der  fernen  Zukunft  üet 
zur  Erreichung:  fref;:ebeneu  Erziehungsaufgabe  leukt,  sondern  die  Natur 
und  BeschaÖ'enheit  des  Objectes,  das  die  Erziehung  bei  Beginn  ihres 
Geschäftes  vorfindet,  in  den  Brennpunkt  seiner  pädagogischen  Auf- 
fassung rückt.  Durch  die  P^rforscluing  der  Natur  des  Erziehungs- 
objectes,  das  die  Erziehung  bei  Beginn  ihres  Geschältes  vortiudet,  die 
bei  der  Geburt  des  Ivindcs  bereits  vollständig  ausgeprägt  sei,  glaubt 
Jean  Paul  schon  die  ganz  bestimmten  Zwecke  der  Erziehung  ge- 
geben, wahrend  ihm  diese  Erkenntnis  doch  eigentlich  nur  dazu  dienen 
sollte,  eine  klare  Einsicht  über  Art,  Anwendbarkeit  und  Wirk- 
samkeit der  Erziehungsmittel  zu  erlangen.  Betrachten  wir  nun 
die  Ansichten  der  „Levana"  über  die  Natur  des  Kindes  etwas  näher! 
„Der  innere  Henseli  irirät  wie  der  Neger,  weiß  geboren  und  TOm 
Leben  snm  schvaizen  gefiirbt**  Spricht  schon  ans  diesen  Worten  die 
Übensengung  von  einer  angeborenen  Gflte  der  Menschennator,  so  er^ 
scheint  sie  bei  Jean  Paul  in  Toller  Gewissheit,  wenn  er  weiter  sagt: 
»Ein  erstes  Kind  auf  der  Erde  wQrde  vns  als  ein  wunderbarer  aus- 
ländischer Engel  erscheinen,  der  nngewChnt  nnserar  fremden  Sprache, 
Miene  nnd  Lnft,  ans  sprachlos  nnd  scharf,  aber  himmlisch  rein  an- 
blickte, wie  ein  Baphaeliaches  Jesuskind  ^  werden  täglich 

ms  der  stummen,  unbekannten  Weit  diese  reinen  Wesen  auf  die  wilde 
Erde  geschidLt'*  An  gleichem  Orte  heißt  es:  „Nur  die  Angewöh- 
nungen an  sie  (die  Kinder)  und  ihre  uns  oft  bedrängenden  BedOrfiiisse 
verhüllen  den  Beiz  dieser  Seelengestalten,  welche  man  nicht  weiß 
schön  genug  zu  benennen,  BlQten,  Thautropfen,  Sternchen,  Schmetter- 
linge  "    In  den  Grundsätzen,  auf  welchen  diese  Äußerungen 

ruhen,  finden  wir  den  Vei-fiisser  der  „Levana"  in  Übereinstimmung 
mit  J.  J.  Rousseau,  einem  Manne,  der  durch  seine  originellen,  von 
den  früheren  Ansichten  über  Erziehung  abweichenden  Gedanken  über- 
haupt eine  mächtige  Anregung  gegeben  hatte,  und  der  durch  die 
Macht  seiner  Ideen  —  um  mit  Jean  Paul  zu  reden  —  „in  Europa 
die  Schulgebäude  bis  zu  den  Kinderstul)cn  herab  erschütterte  und 
reinigte''.  Gleich  ihm  liäit  unser  Dichter  den  Menschen  von  Natur 


Digitized  by  Google 


—   695  — 


ans  für  gut,  wie  Bonssean,  so  schreibt  Jean  Paul  die  spfttere  Ehit- 
artoog  des  IndiTidwuns  .einer  falschen  Einwirkung  Ton  außen  m. 
Doch  unterscheidet  sich  wieder  der  dentsche  Dichter  von  dem  fran- 
sOsischen  Pliilosophen  dnrch  den  geringeren  Grad  der  Schflife^  mit 
der  er  seine  Ansicht  vertheidigt,  wie  anch  dnrch  die  Art  nnd  Weise, 
wie  ihm  die  angeborene  Ottte  des  jongen  Menschen  erscheint.  Ist 
nach  Bonssean  der  neu  geborene  Mensch  ehiem  weilten  Blatte  ^eich, 
das  der  Erzieher  mit  Schriftzflgen  bedecken  kann,  so  dass  letzterer 
„eine  schöpferische  Personbfldniig  aus  dem  Nichts"  als  seine  Aufgabe 
betraditen  muss,  so  bringt  nach  Jean  Paul  jeder  Mensch  schon  eine 
ganze  Anzahl  angeborener  Geiatesscli&tae  nnd  Eigen thümlichkeiten  mit^ 
die  anf  sein  späteres  Leben  von  ganz  entschiedenem  Einflüsse  sind. 
Diesen  „inneren  Menschen",  der  in  jedem  Kinde  noch  umhüllt  liegt, 
nennt  er  „Idealmensch".  Bei  dem  großen  Einflüsse,  welchen  die  An- 
sicht eines  Pädagof^en  von  der  angeborenen  Natur  des  Erziebuiif^s- 
objectes  auf  den  weiteren  Auf-  und  Ausbau  seiner  Wissenschaft  aus- 
übt, lialten  wir  es  für  nüthig,  diesen  „Idealinenschen,"  wie  er  Jean 
Paul  vorscliwebte,  auf  Grund  der  in  der  „Levana"  über  ihn  ent- 
halteneu Bemerkungen  nälier  zu  bestimmen,  ...Jeder  von  uns  hat 
seinen  idealen  Preismenschen  in  sicli,  den  er  heimlich  von  Jugend  auf 
frei  und  ruhig  zu  machen  strebt.  .\m  hellsten  schauet  jeder  diesen 
heiligen  Seelen-Geist  an  in  der  Blütezeit  aller  Kräfte,  im  Jünglings- 
alter; später  verwelkt  bei  der  Menge  der  Idealmensch  von  Tag  zu 
Tage  —  und  der  Mensch  wird,  fallend  und  überwältigt,  lauter  Gegen- 
wart, Geburt  der  Noth  und  Nachbai'schaft.  Aber  die  Klage  eines 
Jeden:  was  hätt'  ich  nicht  werden  können,  bekennt  das  Dasein  oder 
Dagewesensein  eines  ältesten  paradiesischen  Adams  neben  und  vor 
dem  alten  Adam"  „Sollte  man  übrigens  den  Preis-  nnd  Ideal- 
menschen in  Worten  ftbersetaen,  so  konnte  man  etwa  sagen,  er  sei 
das  harmonische  Maximum  aller  individnellen  Anlagen  znsammenge- 
nommen.^  Doch  nicht  „das  Maximum"  dieser  ,,indiTidnellen  Anlagen" 
allein  ist  ihm  der  „Idealmensch**,  er  ist  anch  Ideal  des  an  erziehenden 
Kindes,  Yoranssetznng  nnd  Ziel  der  Erziehnng  zugleich:  „Das  Snbject 
trügt  sein  Ideal  in  sichi  bringt  es  mit  anf  die  Welt,  das  Ideal  ist  die 
innerste  Persönlichkeit  des  Menschen  8elbet*<  Also  das,  was  die  Er- 
ziehnng einestheils  als  gegeben  voranssetzen  dari;  was  ihr  aber  wieder 
als  zn  erreichendes  Ziel  yorschweben  kann,  Jier  innere  Mensch^  der 
.yon  dem  Ton  seiner  Zeit  nnd  seinem  Jahrhundert  verschliflfenen 
Sftcular-Menschen  so  rein  und  gleichförmig  abliegt,  wie  der  Roussean'- 
sche  Natur-Mensch«,  das  ist  nach  Jean  Paul  der  »Jdeahnensch**,  den 


Digitized  by  Google 


—   696  — 


das  Kind  „ate  Morgengabe  setnem  Erzieher  darbietet".  Sehr  ent- 
schieden verwahrt  sich  unser  Antor  gegen  den  Glauben,  als  nehme 
er  den  Preis-  oder  Idealmenschen,  der  ,4n  jedem  Eünselwesen  wohnen 

und  athmen  muss",  als  bei  sämmtlichen  Tndividnen  nur  in  einer  be* 
Stimmten  Form  auftretend  an;  er  ist  vielmehr  nach  seiner  Auffassung 
so  sehr  von  dem  eines  jeden  audeien  Mensdien  verschieden,  dass 
selbst  die  scheinbarste  Ähnlichkeit,  die  man  entdecken  möchte,  im 
Grunde  nur  eine  Täuschung  wäre:  „Der  Idealmensch  Fenelons  — 
so  voll  Liebe  und  voll  Stärke  —  der  Idealmensch  Cato's  —  so  voll 
Stärke  und  voll  Liebe  —  könnten  gleichwohl  sich  nie  j^e^^on einander 
ohne  Geisterselbstmord  auswechseln  oder  seelenwandern".  Steht  also 
Jean  Paul  in  seiner  Ansicht  von  der  angeborenen  Güte  der  mensch- 
lichen Natur  auf  Seite  Rousseau's.  so  erinnert  er  in  der  Auffassung 
und  Erklärung  von  seinem  ..Tdealmenschen"  lebhaft  an  Plato  und 
seine  Lehre  „von  den  angeborenen  Ideen".  „Nach  der  Ansicht  des  ge- 
nannten griechischen  W  eltweisen  liegen  nämlich  übersinnliche  \\'ahr- 
heiten  (Ideen)  ursprünglich  im  Menschen,  bereits  vor  Vereinigung 
mit  dem  Leibe  hat  die  Seele  diese  Ideen  besessen,  durch  Verbindung 
mit  dem  (unvollkommenen j  Leibe  verliüllt,  müssen  sie  (huch  richtige 
Erziehung  frei  gemacht  und  von  der  Seele  reproducirt  werden. 
Ist  es  also  nach  Jean  Pauls  wiederholt  angeführten  Worten  seine 
Überzeugung,  dass  der  Idealmensch  dem  Kinde  angeboren,  außerdem 
sein  Ideal,  ja  seine  innerste  Persönlichkeit  selbst  ist,  so  mnss  in  Hin- 
blick anf  den  hohen  Wert  der  Individnalitftt  ee  Hauptaufgabe  des 
Erziehers  sein,  Soiige  zn  tragen,  dass  dieser  Idealmensch  ungehindert 
znr  Entwickelnng  gelangen  kann;  ja  das  nichste  Ziel  aller  endeh- 
Hehen  Veranstaltungen  mnss  darauf  gerichtet  sein,  „den  Idealmenschen, 
der  in  jedem  Kinde  unhOUt  liegt,  frei  zu  machen  durch  einen  Frei- 
gewordenen*'.  Dasselbe  meint  Jean  Panl,  wenn  er  an  einem  anderen 
Orte  sagt:  „In  einem  Anthropolithen  (yersteinerten  Kenschen)  kommt 
der  Idealmensch  anf  der  Erde  an;  ihm  nnn  von  so  vielen  Oliedem 
die  Steinrinde  wegznbrechen,  dass  sich  die  flbrigen  selber  befreien 
können,  dies  ist  oder  sei  Erziehung.**  Schonende  Beachtung  des 
Ideals,  „ohne  welches  der  llensch  auf  vier  Thierklauen  niedersinke'V 
erscheint  nmsomehr  geboten,  „als  jetzo  die  meisten  Cnltnrmenschen 
ein  Feuerwerk  sind,  das  untei'  einem  Regen  abbrennt,  nnverbunden 
mit  zerrissenen  Gestalten  glänzend  halbe  Namenz&ge  malend**.  Mit 
Becht  wendet  sich  deshalb  auch  die  „Lewa**  gegen  jene  Erzieher, 
welche  diese  Individualität  nicht  zu  schonen  wissen,  sondern  „stark 
darauf  hinarbeiten,  „dass  das  Kind  nichts  werde,  als  ,4hr  Stief-  und 


Digitized  by  Google 


—   697  — 


Kel)s-Ich".  Düch  wäre  es  irrifi^,  anzunehmen,  der  „Levana"  schwebe 
der  rein  abwehrende  Modus  der  Erziehung  als  Ideal  vor  und  ihr  Ver- 
fasser rede  der  negativen  Erziehung,  wie  sie  Rousseau  in  seinem  „Emil" 
predigt,  das  Wort.  Gestützt  auf  längere  Beobachtungen,  die  er  als  prak- 
tischer Erzieher  machte,  wusste  Jean  Paul  allzuwol,  dass  es  eben  nur 
das  erste  Kind  wäre,  das  als  „wunderbarer,  ausländischer  Engel"  er- 
scheinen würde;  die  nicht  zu  ignorirende  Wirklichkeit  belehrte  ihn, 
m  welch  nnendlicher  Mannigfaltigkeit,  auch  nach  der  seblimiiieii  Seite 
hin,  die  in  dem  Kinde  wohnenden  Keime  sich  entwickeln  kOnnen,  und 
so  war  es  ein  Tribut^  den  er  der  auf  jeden  Erzieher  eindringenden 
Tbatsächlichkeit  brachte,  wenn  er  sagt:  „ein  jedor  liegt,  so  leicht 
blähend  er  sich  nach  oben  anschane,  noch  belastet  mit  einer  Wurzel 
in  der  finsteren  Erde."  Deshalb  hat  der  Erzieher,  von  der  Indi- 
Tidnalitat,  die  er  wachsen  Itest»  eine  andere  zn  trennen,  die  er  beu- 
gen oder  lenken  mnss.  Die  Antwort  auf  die  Frage,  welche  Indi- 
vidnalitftt  der  Erzieher  wachsen  lassen  und  welche  andere  er  beogen 
oder  lenken  muss,  gibt  Jean  Paul  nun  allerdings  in  eigenthftmlicher 
Weise,  wenn  er  hinzusetzt:  „jene  ist  die  des  Kopfos,  diese  ist  die  des 
Herzens".  Einer  intdlectuellen  Veranlagung,  die  zum  Beispiel  einer 
kttnstlerisclien  Individualität  anhaften  könnte,  darf  der  Ei-zieher  „nicht 
den  Schlaftrunk  schon  am  Morgen  des  Lebens  geben  — „Aber  ganz 
anders  ist  die  sittliche  zn  behandeln;  denn  ist  jene  Melodie,  so  ist 
diese  Harmonie.  Einen  Euler  darfst  du  nicht  durch  einen  einge^ 
impften  Petrarca  entkräften  oder  diesen  durch  jenen,  denn  keine 
intellectuelle  Kraft  kann  zu  gi(ȧ  werden  und  kein  Maler  ein  zu 
großer  Maler;  aber  jede  sittliche  Ei^'^entliihiilichkeit  bedai  f  ihrer  Oreiiz- 
berichtigung  durch  Ausbilduii^^  des  entgegengesetzten  Kniftpols.  und 
Friedrich  der  Einzige  soll  die  Flöte  nehmen  und  Napoleon  den  Ossian. 
Hier  darf  die  Erziehung  z.  B.  an  dem  Heldencharakter  Friedens- 
predigten halten,  sowie  <len  Siegwarts-Ciiarakter  mit  ein  i)aar  elek- 
trischen Donnerwettern  laden,  .  .  ,  ,,l übrigens  bleib'  es  Gesetz,  da 
jede  Kraft  heilig  ist,  keine  an  sich  zu  schwächen,  sondern  nur  ilir 
gegenüber  die  andere  zu  erwecken,  durch  welche  sie  sich  harmonisch 
dem  Ganzen  zufügt." 

Heute  würde  ein  Pädagoge  diese  Frage  natürlich  anders  beant- 
worten; denn  die  Psychologie  lehrt  uns  so  viele  Berührungspunkte 
zwischen  dem  intellectaellen  und  ethischen  Elemente  der  Menschen- 
natur,  dass  der  Grundsatz  einer  durchaus  harmonischen  Aus- 
bildung beider  bei  aller  EMehnng  leitend  sein  muss. 

(Schlus  folgt) 


Digitized  by  Google 


ReBerkuDgen  zur  Fraidwörterfrage. 

Von  Alfred  von  ESkrmann-'Baäm  h.  Wim. 

TT 

n  ^->^nfi<ne  toutsche  Sprach  ist  nicht  dergestalt  arm  und  bawtällig, 
wie  sie  etliche  naßweise  nunmehr  machen,  die  sie  mit  frantzösischen 
und  italiftniBehen  Plttsen  abo  flidran,  dasB  aie  auch  nicht  eyn  kleines 
Brioflein  fürtäcliickcn,  es  eeye  denn  mit  anderen  Sprachen  dermaßen 
durchspiokt,  doss  einer,  der  es  will  vcr^t'  hn,  fast  in  iiUou  Sprachen  der 
Christonlioit  bediirflft  Erkiuiutnus.s  iialten,  zu  großer  .S<'liande  und  Xarh- 
theil  unserer  teutschcn  Sprach,  die  in  jbr  solch  voUkomnicuheit  hat, 
daas  eie  aneh  alles,  was  da  könnte  fVifallen,  |^  wol  kaaa  andeuten 
und  verBtftndlieh  gang  ohne  snthnn  anderer  Sprachen  an  venteben 
geben." 

(Fabricius  von  Hilden  um  1600.) 

Vorstehendes  Citat  aus  einem  tdAi  verschollenen  Schiiftsteller  de« 
XVII.  Jahrliunderts  vui  e  wol  ganz  geeignet,  das  Alter  jener  phflo- 
logischen  Streitfrapfe,  welche  neuerdings  wieder  zu  einer  brennenden 
geworden  ist,  aufs  deutlichste  zu  beweisen.   Aber  niclit  aus  diesem 

Grunde  habe  ich  es  nicinen  Ausfiilirunijen  voranf^esetzt.  Dass  die 
Fremdwörterfra2:e  nicht  von  diesem  Jahrzehnt  herrührt,  ja,  dass  nicht 
einmal  unser  .lahrlmndert  den  Vorzug  in  Anspruch  nehmen  darf,  sie 
zuerst  aufgeworfen  zu  liaben,  ist  wol  zur  Genüge  bekannt.  Wenn 
noch  Beweise  angeführt  werden  müssten,  so  gäbe  es  viel  ältere  als 
es  der  (»Vien  citirte  ist. 

Was  mir  aber  in  dem  wolgemeinten,  wenngleich  unglaublich 
schwerfälligen  Satze  des  Herrn  von  Hilden  ganz  besonders  beachtens- 
wert scheint,  ist  die  schlagende  Ähnlichkeit  seiner  Ausdrncksweise 
mit  derjenigen  unserer  Sprachreiniger  von  heute.  Die  Malinworte 
und  Aufrufe  dieser  letzteren  .sind  genau  auf  den  Ton  gestimmt,  wel- 
chen jener  Zeitgenosse  des  üppigsten  Jb'rauzosenthums  iu  Deutschland 


Digitized  by  Google 


-   699  — 


amebUgt  Dieisr  Umstand  gibt  za  denkea.  DasB  die  Klagen  Hfldena 
ToUbereebtigt  waren,  darOber  kann  kein  Zweifel  bestellen.  In  jenen 
nnglftckseligen  Zeiten,  ans  denen  sein  Ruf  zn  nns  dringt,  ging  Sprach- 
yerwildenmg  mit  wirtsehaftlicher  nnd  sittlicher  Verwildemng  Hand 
in  Hand.  Soldtnippen  der  versdiiedensten  Nationen  hatten  im  heiL 
römischen  Bdcha  gewirtschaftet  und  in  manchem  Gau  die  Pest  za- 
rflckgelassen;  die  Sprache  war  dnrch  sie  nicht  minder  verseucht 
worden.  Hildens  Rügemf  klingt  noch  maßvoll  gegenüber  der  trost- 
losen Entartung,  welche  er  thatsächlich  voriüuid.  Unsere  berufenen 
Spi-achwächter  (kr  jüngsten  Zeit  führen  dagegen  manchmal  eine  weit 
schftrfere  Sprache.  Daraus  mttsste  nun  füglich  geschlossen  werden, 
dass  der  Übelstand  noch  in  demselben  Maße  fortbestehe,  wie  vor 
300  Jahren,  da  er  heute  eben  so  heftig  gerügt  wird  wie  damals. 
Dies  scheint  uns  aber  kaum  denkbar.  Sollte  es  wiiklich  nach  all  den 
siegreich  beendeten  Kämpfen  auf  nationalem  und  literarischem  Gebiete 
noch  immer  nicht  besser  stehen  um  die  Reinheit  und  Selbstständigkeit 
unserer  Sprache?  Luthers  große  That  hätte  ihre  Fruchte  getia(,'en, 
die  Nacliwelien  des  dreißigjährigen  Krieges  wären  überwunden,  eine 
blühende  Literatur  wäre  erstanden,  auf  die  wir  jetzt  schon  wieder  als 
auf  eine  khissische  Ki)Oche  zurückblicken,  und  unsere  Sprache  hätte 
sich  noch  immer  nicht  von  Irt  uuler  l^evormundung  befreien  können? 
Deutschland  wäre  einig  geworden  und  das  Deutsche  stünde  noch  nicht 
auf  eigenen  Füßen?  — 

Wer  die  Texte  aus  jenen  unruhigen  Zeiten  nur  einigermaßen 
kennt  und  sie  mit  einer  Probe  aus  unserem  Schriftthum  vergleicht, 
wird  Uber  diesen  Punkt  beruhigt  sein.*)  Wenn  man  die  Biesenarbeit 
ftberblickt,  die  seither  sowol  von  den  wenigen  großen  Banmeistem 
der  Sprache,  als  anch  von  den  Tausenden  literarischer  Handlanger 
in  unverdrossenem  Znsammentragen  geleistet  worden  ist,  so  wird  man 
sich  sagen  mttssen,  dass  nns  kaum  der  zehnte  Theil  dieser  Arbeit 
noch  zu  leisten  fibtig  bleiben  kann.  Dass  die  Sprache  sich  aus  der 
damaligen  Verwälschnng  nnd  Entnationalisimng  nur  langsam  und  mit 


*)  Der  Meikwflfdiglieit  halber  leim  hier  die  —  wie  ich  §^be  —  eehr  wenig 
bekannten  Verse  wiedergegeben,  in  denen  damals  ein  «dentsdier'*  Dichter  die  Dame 
Beines  Uenens  besang:      Rovcrierto  Dame 

Phönix  meiner  dme 

Gebt  mir  Audienz 

Emer  Gunst  meriten 

Machen  zum  CdUteii 

Heine  Patiens. 


Digitized  by  Google 


—   700  — 


Mühe  befi-eien  konnte,  ist  selbstverständlich;  wie  sie  geschul  meistert 
und  oft  pedantisch  genug  zur  Eeinlichkeit  erzogen  wurde,  wissen  wir 
ja  aas  der  Geschichte  der  Binmen-,  Palmen-,  Schwanenorden  und  ähn- 
Uehflii  S^acbmnigungsgeselladiaflteii  mit  botanischen  und  zoologischen 
Namen!  Es  mur  ein  langer  nnd  beschwerlidier  Weg,  den  unsere 
Sprache  yon  da  bis  Klopstock  und  Lessing  znrHekzDlegen  hatte!  Eäii 
nicht  mi  untersehätsendes  Hindenus  erstand  ihr  dabei  noch  aoBerdem 
in  dem  flbermichtigen  Einflösse,  den  gerade  zu  jener  Zeit  Frankreich 
mid  seine  unter  Ludwig  XIV.  blühende  Literatur  auf  das  ganze  da- 
malige Europa,  in  erster  Linie  natürlich  wieder  auf  Deutsehland  aus- 
zuftben  begann.  Von  den  größeren  und  kleineren  deutschen  FQrateo, 
Ton  denen  die  meisten,  geblendet  durch  die  Herrlichkeit  des  Pariser 
Ho£bs,  in  eine  sklavische  Nachahmung  desselben  Terfidlen  waren» 
konnte  natHrlieh  eine  Forderung  deutscher  Art  und  Poesie  auch  nicht 
erwartet  weitlen.  Manche  unter  diesen  Miniaturdespoten  und  Nach- 
äffem  des  Sonnenkönigs  warfen  sich  in  ihren  Residenzen,  die  sie  zu 
einem  Klein-Paris  umgestaltet  hatten,  und  auf  ihren  Landhäusern, 
welche  als  After- Versailles  mit  dem  Schweiß  und  Blut  ihres  Volkes 
oder  gar  mit  den  Ertra^rgeldem  des  schändlichsten  Untertbanei^ 
Schachers  erbaut  waren,  viel  eher  zu  Mäcenen  wälscher  Tanzmeister 
und  Komödianten,  als  zu  Beschützern  heimischer  Poeten  auf.  Kann 
ja  doch  sogai*  dem  gi'oßen  Friedrich  der  Vorwurf  nicht  erspart  wer- 
den, dass  er  die  Bedeutung  des  Deutschen  als  Staats-  und  Literatur- 
sprache vollkommen  verkannt  hat!  — 

Ihr  Ent wickelungsgang  konnte  jedoch  durch  all  diese  Heiiimnisse 
nur  auf  kurze  Zeit  aufgehalten  werden.  J)Lun  derselbe  isi  auch  in 
der  Messiade  und  in  der  bahnbrechenden  Prosa  Lessings  kein  abge- 
schlossener. Über  Goetlie  und  seine  Epigonen  hinaus  setzte,  wenigstens 
im  Schritfthuni,  die  Sprache  ilire  Bestrebungen  fort,  sich  zu  bereichern, 
zu  klären,  zu  liiutern.  Französische  Wörter  kehren  von  da  an  seltener 
wieder,  und  auch  in  der  Anwendung  jener  gelehrt  scheinensollenden 
Zwitterbildungen  aus  griechischen  und  lateinischen  Stämmen  mit 
deutscher  Ableitungssilbe  ist  man  sparsamer  geworden.  Für  alle  diese 
verlassenen  Wörter  lag  nun  aber  der  entsprechende  deutsche  Aus- 
druck nicht  immer  bequem  bei  der  Hand.  Manchmal  hieß  es  ein 
wenig  suchen,  aus  der  Bedeweise  der  Väter  Einiges  herflbemehmen, 
einen  Griff  in  die  Yolksmundart  thun,  vielleicht  sogar  bilden  oder 
wenigstens  umbilden.  Daraus  eben  erwuchs  der  Sprache  ein  neuer 
Segen:  Sie  bereicherte  sich,  lernte  die  eigenen  HiÜ^uellen  kennen 
und  aus  ihnen  schöpfen.  Nicht  alles,  was  auf  diese  Weise  gewonnen 


Digitized  by  Google 


—   701  - 


wurde,  fand  von  den  Bttchera  ms  den  Weg  in  die  lebendige  Umgaags- 
aprache;  und  nicht  alles,  was  sich  ÜBSteasetEen  wnsste,  ist  anch  ein 
xmbedingter  Gewinn  für  die  letztere  gewesen.  Aber  selbet  minder  ^re- 
schickte  Übertragungen  oder  NeubUdnngen  sollten  da  nicht  allzu 
streng  beurtheilt  werden:  das  Verdienst,  einen  fremden  Eindringling, 
der  laiif^e  geherrscht  hatte  und  vielleicht  für  unabsetzbar  ^alt,  ent- 
thront zu  haben,  darf  es  uns  allenfalls  übersehen  lassen,  wenn  der 
Verdränger  selbst  von  etwas  fraglicher  Herkunft  oder  nicht  ganz 
regelrechter  Bildung  wäre  —  abgesehen  davon,  dass  es  der  Theorie 
(locli  niemals  etwas  nützen  würde,  einer  sprachlichen  Einführung,  die 
bereits  in  die  Praxis  übergegangen  ist,  böse  Augen  zu  machen.  Dem 
Götzen  des  Erfolges  muss  widerwillig  auch  die  Sprachwissenschaft 
opfern.  — 

Dass  hinwiederum  gerade  die  wissenschaftliche  Forschung  die 
Entwickelnng  imd  Reinigung  unserer  Sprache  ungemein  gefordert  hat, 
ist  nicht  zu  leugnen.  Ihr  Eintiuss  war  allerdings  kein  direkter.  Der 
Gelehrte  steht  der  großen  Masse  des  Volkes  denn  docli  zu  fern,  um 
von  selbst  und  ohne  vermittelnde  Factoreu  auf  dasselbe  einwirken  zu 
können.  Auf  die  Hunderte,  die  an  seinen  Arbeiten  Antheil  nehmen 
können,  kommen  Hunderttausende,  denen  es  entweder  mangelnde  oder 
in  gftnzlieli  yencUedeiie  Richtung  geleitete  Bildung  unmöglich  macht, 
auch  mir  die  -wichtigsten  Beenltate  dieser  Forsdraagen  keanea  sa 
lernen.  Zorn  Glück  besteht  aber  in  der  Dichtaag  and  im  SehriA* 
thom  eine  Vennittlungsstene  swischea  dem  Gkdefartea  and  dem 
Pahlicnm.  Und  gerade  die  dentsehea  Dichter  —  aater  weldiei  ja 
80  yiele  selbst  sattelfeste  Phflologea  siad  —  haben  sich  vm  jeher  dea 
Vortheil  nicht  eatgehen  lassea,  die  Eigebaisse  der  Aibeitsik  aaf  philo- 
logischem Gebiete  Ar  sich  anssaafttaen.  Genaue  Kenntnis  des  Stoffes, 
in  welchem  sie  bilden,  mnsste  ihnen  Ja  immer  ein  Haaptltirdemags- 
mitCel  in  ihrer  Eaast  seia.  Die  Sprache  ist  aan  aber  ia  dem  ang»> 
hearen  AnAchwange^  den  die  vergleichende  Sprachwissenschaft  im 
Verlanfe  des  XTX.  Jahrimaderts  genoauaea,  nidht  nur  genauer  er- 
kannt und  bis  auf  die  Quellen  erforscht,  sie  ist  aaf  demselben  sieg^ 
reichen  Entdeckungsznge  auch  bereichert  worden.  Bereichert  in- 
sofern, als  mancher  wertvolle  Ausdruck  gehoben  wurde  aus  dem 
uralten  Sprachschatze,  nach  welchem  ein  Grimm,  ein  Uhland  und  ihre 
Mit-  und  Nacharbeiter  in  alten  Handschriften  und  Sagenbüchern  eifHgst 
schärften.  Solche  Ausdrücke  setzten  sich  oft  mit  merkwürdiger 
Schnelligkeit  im  schriftlichen  und  wol  auch  im  mündlichen  Gebrauche 
fest   Es  waren  aber  nicht  künstliche,  gezwungene  Neubildungen, 

Padigof  iam.  14.  Jahtg.  Heft  XI.  49 


Digitized  by  Google 


—   702  — 


sondern  eigentlich  nur  Wiedererweckungen  längst  verschollener  Aus- 
dmcksweisen,  gleiclisain  alte  Münzen,  die  lange  außer  Kurs  gewesen, 
an  deren  Form  und  Wert  sich  aber  eine  dunkle,  ahnungsvolle  Er- 
innerung im  Gedächtnis  des  Volkes  erhalten  hat.  War  doch  unter  die- 
sen neu  in  Umlauf  gesetzten  Goldstücken  urdeutscher  Ausdrucksweise 
so  manches,  das  eigentlich  nur  in  den  Büchern  und  im  Verkehr  der 
Vornehmen  seine  Giltigkeit  eingebüßt,  unter  dem  Volke  aber  unver- 
ändert weiter  gegolten  hatte  und  auf  dem  tlachen  Lande  noch  jetzt 
—  wenngleich  vielfach  entstellt,  sozusagen  mit  verwischter  Prägung  — 
als  unscheinbare  Scheidemünze  von  Hand  zu  Hand  geht!  — 

Bei  der  vergleichenden  Methode  der  heutigen  Sprachwissi^nschaft 
wurde  auch  der  Dialekt  in  das  erweiterte  Forschungsgebiet  einbe- 
zogen. Nieraals  früher  war  ihm  so  viel  Aufmerksamkeit  geschenkt 
worden,  als  gerade  jetzt  geschieht.  Und  auch  hierüber  hat  sich  das 
Hochdeutsche  nicht  ziv  beklagen.  Ein  besond«re8  Merkmal  unserer 
neneren  nnd  neuesten  schöngeistigen  Literatur  ist,  wie  schon  gesagt 
wurde,  ihr  Bestreben,  sich  die  Ergebnisse  der  wissenschaftlicben 
Forschung  zunutze  zu  machen.  Die  Sprache  soll  fortwfthrend  be- 
reichertk  sie  soll  immer  aasdmcksffthiger  gemacht  werden:  Ansbeutong 
der  lebenden  Himdarten  gewährt  hierzu  ein  ebenso  unentbehrliches 
Mittd,  wie  die  fleißige  Benfltzung  der  alten  Quellen. 

Hierin,  besonders  in  Bezng  auf  den  Dialekt^  haben  die  Öster- 
reicher unter  den  Lebenden  z.  B.  Bosegger,  manches  Erwähnenswerte 
geleistet  Berliner  Schriftsteller,  meist  der  modern-realistischen  Lite- 
raturstrOmong  angehörend,  schöpfen  nicht  ohne  Geschick  ans  der 
eigenen  QneUe,  dem  Plattdeutschen,  welches  ihnen  nur  leider  nicht 
immer  aus  erster  Hand,  sondern  oft  schon  getrübt  durch  den  Strom 
des  großstädtischen  Lebens,  als  Berlinerisch,  zu  Gebote  steht  Auch 
die  Schweizer  Keller  und  Mayer,  haben  manchen  kernigen  Ausdruck 
ans  dem  allemannischen  Sprachgebiete  in  ihr  im  ganzen  etwas  alter- 
thfimlich  und  dialektisch  gefärbtes  Hochdeutsch  aufgenommen.  Man 
betrachte  aufmerksam  einen  solchen  Text,  etwa  eine  Stelle  aus  den 
„Sieben  Legenden"  oder  aus  den  „Züricher  Novellen"  Kellers,  und 
es  wird  jedermann  auffallen,  wie  spärlich  darin  das  Fremdwort  wird. 
Ks  ist  —  um  ein  kühnes  Bild  zu  wagen  —  als  ob  der  fremde  Ein- 
di'ingling  sich  in  seiner  welschen  Tracht  inmitten  all  dieser  urdeutschen 
Umgebung  unbehaglich  fühle  und  sich  gleichsam  von  selbst  zuriickzieli«'. 

Nach  alledem  erschiene  es  also,  als  stünde  es  um  die  Reinheit 
unseier  geliebten  Muttersprache  in  diesen  gegen wärtiL'-en  Tagen  denn 
doch  nicht  allzu  schlimm.   Will  man  nun  die  Eichtigkeit  der  Thal- 


Digitized  by  Google 


—   708  — 


Bachen,  welche  im  Voi>Telieuden  in  Erinneriinf>-  prebraclit  wurden,  zu- 
geben, 80  entsteht  die  Frage:  wie  stimmen  liier/u  die  steten  Klagen 
über  diesen  Pnnkt  ?  Sind  sie  nicht  einsth&ft  zu  nehmen?  iCi-scbeinen 
sie  übertrieben?  oder  verspätet? 

Um  darauf  antworten  zu  können,  werden  wir  allerding.s  die  ganze 
Fremdwörterangelegenheit  von  einer  anderen  Seite  betrachten  müssen, 
als  dies  bisher  geschehen.  In  den  vorstehenden  Andeutungen  über 
den  Entwickelungsgang  des  Deutschen  war  eben  einseitig  nur  die 
Literatursprache  ins  Auge  gefasst.  Aber  das  Organ  von  einigen 
Hunderten  Auserwählter  darf  fi'eilich  niclit  als  Malistab  für  jenen  aus- 
gedehnten Begriff  genommen  werden:  die  Sprache  eines  Millionen- 
volkes. Die  Masse  spricht  eben  durchaus  nicht  „wie  ein  Buch**  — 
in  gewisser  Hinsicht  ist  dies  nicht  eininal  zu  bedsaem  —  and  es  gibt 
gewisse  breite  Schichten  der  Berölkening,  aal  welche  das  Bodi  Uber- 
haupt  noch  keinerlei  Einfluss  aosgeftbt  bat  Die  Zeitung  debnt  ihre 
Herrschaft  schon  eher  bis  zu  jenen  Begionen  ans;  ob  aber  ihr  Ein- 
floss  anf  das  sprachliche  Oeittbl  ihrer.  Leser  immer  ein  gflnstiger  ist, 
wAre  wol  erst  genauer  sn  untersuchen. 

Im  ganzen  genommen,  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die  Sprache 
des  gewöhnlichen  Lebens  arg  mit  fremden  Elementen  durchseist  ist  Sie 
bat  erstlich  Vieles,  was  ihr  von  früher  anhing,  noch  immer  nicht  ab- 
schfttteln  können;  und  anderseits  wird  sie  in  unserem  Zeitalter,  dem 
Zeitalter  der  großen  Industriebetriebe  und  des  erhöhten  Verkehres 
mit  dem  Aushmde  noch  fortwährend  gezwungen,  neu  aufzunehmen« 
Dass  die  Reinheit  der  Sprache  im  modernen  Lebensgetriebe  gefährdet 
ist,  bleibt  eine  Thatsache,  der  man  sicli  nicht  verschließen  darf.  Der 
Zusammenstoß  der  verschiedensten  Nationen  in  den  Welthandels- 
plätzen, welche  oft  zugleich  geistige  Mittelpunkte  für  große  Bezirke 
bilden,  der  Jb'ortschritt  der  Wissenschaft,  der  Technik,  welche  für  neu 
gewonnene  Begriffe  neue  Ausdrücke  braucht,  das  in  Deutschland  be- 
sonders eifrig  betriebene  Studium  fremder  Sprachen  und  Literaturen, 
ausliindisclie  Moden,  Zeitungslectüre  —  alle  diese  und  einige  andere 
Ursachen  wirken  zusammen,  um  schließlich  in  der  Spraclie  des  täg- 
lichen Verkehrs  zwischen  (rebildeten  und  Ungebildeten  eine  gewisse 
Duldsamkeit  gegen  das  Fremdwort  zu  erzeu«:en. 

Dieser  Duldsamkeit  setzt  nun  seit  einij^er  Zeit  eine  trt  wisse 
Partei  von  Fachniännern  wie  Laien  die  äußerste  I  nduldsjimkeit  ent- 
gegen. In  Autsätzen  und  Broschüren  wird  da  jedes  Wort,  weldies 
niclit  auf  den  ersten  Blick  die  germanisclie  Abstammung  vcrräth» 
einzeln  bekämpft,  in  Vcrdeutscüungs- Wörterbüchern  und  -büchelchen 

49* 


Digitized  by  Google 


—  70i  — 

werden  Vorschläge  zur  geeigneten  Abhilfe  gegeben.  Der  Standpunkt, 
welcher  hierbei  angenommen  wird,  ist  nicht  so  sehr  der  sprachwissen- 
schaftliche, als  vielmehr  der  nationale.  Gehobenes  Nationalgeffthl 
ist  ja  überhaupt  eine  der  wirksamsten  Triebfedern  der  jüngeren 
SprachreiniguDgsbewegiing',  Seit  dem  ruhmvollen  Ausgange  des 
deutsch-französischen  Krieges  ist  in  Deutschland  zugleich  mit  dem 
BeMTusstsein  von  der  politischen  Bedeutung  des  neuen,  proßen,  einigen 
Vaterlandes  wol  auch  das  Gefühl  für  die  Grüße  und  Sclir»nheit  der 
deutschen  Sprache  in  größerer  Deutlichkeit  erwacht.  Dieselbe  rein 
zu  erhalten  oder,  war  sie  es  nicht  mehr,  sie  vom  Fremden  zu  säubern, 
mnsste  von  diesem  Standpunkte  aus  ein  verdienstliches  Streben  sein. 
Leider  wird  die  Sache  vielfach  übertrieben.  So  gewiss  man  seit 
den  70er  Jahren  von  einem  deutschen  Chauvinismus  sprechen 
kann,  so  gewi.ss  hat  diej!»er  Chauvinismus  aucli  einen  großen  Antheil  an 
dem  erstaunlichen  Eifer,  mit  welchem  die  Fremdwörterhetze  von  Sprach- 
vereinen und  einzelnen  Deutschthümlern  hie  und  da  betrieben  wird. 

So  scbÖD  aber  auch  die  Sache  wftre,  um  die  sieh  jene  bemüben, 
sie  wird  nicht  eireicht  irarden.  Die  Sprache  des  tägliehen  Yerkelin 
irird  sich  nioBals  ganz  des  fremden  Beiwerks  entledigen  kOnnen,  ob 
dasselbe  s»di  noch  so  msehOn,  und  scheinbar  noch  so  leicht  ducfa 
Besseres  ans  dem  Eigenen  za  ersetzen  wftre.  Und  ich  halte  es  flir 
gewiss,  dass  die  Ueranf  ferwendeten  Erttfte  warn  grOfiten  TheO  mtts- 
los  Tersplittert  werden  —  d.  h.  wenn  ich  lediglich  die  Ümgaogs«, 
Geschfilks-  vnd  Verkehrssprache  ins  Auge  fiBMse,  also  diejenige,  welche 
rein  prakttschen  Zwecken  za  dienen  hat.  Das  NfltzUchkeitsprincip 
ist  hier  maigebender  als  das  fethetische.  Hier  kann  die  Sprache  sich 
nicht  Selbstzweck  sein,  wie  sie  es  in  der  Dichtung  allen&lls  werden 
darf.  Und  darum  ghmbe  ich ,  dass  der  Versuch  ein  vergeblieher  wire» 
den  Millionen,  welche  in  der  Sprache  nichts  als  ein  VerstSndigangs- 
mittel  sehen,  ästhetische  Grundsätze  für  den  Gebrauch  derselben  auf- 
zwingen zu  wollen.  Was  nicht  das  natlkriiche,  in  der  Volksseele 
mhende  Sprachgefühl  zu  reguliren  yermag,  wird  durcli  alles  Drängen 
von  außen  nidit  gebessert  werden.  An  das  Bleibende,  das  ewig 
Wertvolle,  an  unsere  Literatursprache  mag  die  Kritik  ihre  ästhetischen 
Forderungen  stellen;  hier  wird  sie  manches  durchsetzen  können,  weil 
das  Feld  noch  übersehbar  ist.  Aber  der  stetige  Verftuderungsprocess, 
dem  eine  lebende  Sprache  unterworfen  ist,  wird  nie  und  nimmer 
durch  Einzelne  beeinflusst  werden.  Das  Organ  eines  ganzen  lebenden 
und  strebenden,  um  die  gewöhnlichsten  Bedürfnisse  des  Daseins,  um 
die  gemeine  leibliche  Nothdurft  kämpfenden  Volkes  wird  sich  auf 


Digitized  by  Google 


—   706  — 


seinem  Entwickelungsgaiige  nicht  durch  schöngeistige  Bedenken  auf- 
halten lassen.  Es  wird  den  Zwecken,  denen  es  dien^  soll,  zu  ent- 
spreclien  suchen.  Dabei  können  Auswüchse  entstehen,  Bildungsfehler, 
Verletzungen  der  grammatischen  Grundgesetze.  Auch  massenhafte 
und  unnöthige  Neueinführungen  von  jenseits  der  Grenze  können  hier- 
bei einreißen.  Aber  gleichwie  die  Hand  des  Arbeiters  Schwielen  auf- 
weist, und  man  schlanke  Finger  und  wohlgepflegte  Nägel  nur  in  den 
Salons  iindt  n  wird,  so  darf  man  in  den  Werkstätten  und  im  Gewühl 
des  Marktes  ebensowenig  eine  gewählte  und  mit  Bewusstseiu  correcte 
Hedeweise  fordeiii. 

Übiigeos  haben  wir  Deutsche  den  modernen  Entartungen  unserei* 
Volkssprache  gegenüber  wenigstens  den  einen  Trost,  dass  wir  dieBmal 
nicht  die  allein  Betroffenen  sind.  Ein  Blick  anf .  daa  AnalaBd,  eine 
Vergleichung  nnserer  sprachliclien  IfiaBStfinde  mit  JUmlidien  Vorgängen 
in  Sprache  und  liteialiiir  der  GhreDsnacfabaxn  kann  nna  den  Beweis  er- 
bringen, da»  ivir  nm  nicht  aUza  vieles  ftbler  daran  sind  als  sie.*) 

B^x«chten  wir  einmal  kors  den  St«nd  des  Franztaiaehen,  nnd 
zwar  des  FhmzOsischen  von  hente.**)  Da  kannten  nun  wir  Deutsche, 
wenn  wir  schadenfroh  wären,  es  mit  einer  gewissen  Befriedigung  he- 
aeikeo,  wie  die  fianaOsische  Sprache,  die  seit  Isnger  Zeit  für  fertig 
nnd  feststehend  galt  nnd  sich  unter  den  Fittigen  der  Aoademie  vor 
jeder  Obemunpelnng  sicher  wihnte,  nnn  aoeh  dem  Zeitgeist  ihren 
Tribut  entrichten  nmas  nnd  wie  sie  im  Verkehr  mit  sller  Welt  neoer- 
dings  Aller  weit  smanieren  anzunehmen  droht.  Man  nehme  nur  eine 
französische  Tageszeitung  zur  Hand  and  man  wird  erstannt  sein  zn 
sehen,  wie  da  manche  Artikel  mit  Wörtern,  die  sich  einer  franzö- 
sischen Aussprache  durchaus  nicht  anbequemen  wollen,  förmlich  ge- 
spickt sind.  Das  Englische  scheint  hierin  den  Haupta&theü  zu  haben. 
Ausdrücke  ihr  Jagd-  und  Bennsport,  &t  Maschinenwesen,  für  Henenr 

*)  fline  gründliche  Arbeit  über  diesen  Gegenstand  könnte  überhaupt  der 
gaasen  Fitmdwttrterangclcgcnheit  sehr  zu  statten  kommen.  Jetst,  da  sdiön  bei- 
nahe alle  Wissenaduift  Mvergleiehend"  sein  mnss,  fUIt  es  ordentlich  au^  dass  nicht 

auch  die  Frenidwörtcrfrage  eine  umfas-sendere  Behanfflnng  von  diesem  Standpunkte 
aus  frtahreri  hat;  ich  wcnig;8tcns  forschte  vergebens  nach  einer  solchen.  Was  im 
Kachi'olgeiukii  an  Beispielen  in  ütu  Text  aufgenommeu  wurde,  ist  natürlich  nur 
eine  Kostprobe,  eine  kaige  AuswaU  ans  dem  AHernlehsten  nnd  AngenfUligsten. 

**)  Ein  BlleUiek  anf  die  nicht  nnbedeutende  Krisle,  wdehe  die  Sprache  sdion 
früher  einmal,  un  16.  Jahrhundert,  zur  Zeit  der  Katharina  von  Medici  durch  mausen- 
hafte  Einschleppung  italienis^cher  Wiirter  zu  «  rleideu  hatte,  wiire  zwar  bei  dieser 
Gel)  <7cnbeit  auch  sehr  lehrreich  gewesen.  Interessanteres  bieten  aber  jedenfalls  die 
gegenwärtigen  Zustände. 


Digitized  by  Google 


—  706  — 


moden  und  ähnliche  Dinge,  in  denen  Albion  tonangebend  ist,  kommen 
meist  von  jenseits  des  Kanals.  Sport,  turf,  jockey,  clown,  grooni, 
steeple-cliase,  cottage,  Smoking,  dann  wagon,  sleeping  car,  tender, 
tunnel  sind  in  Frankreich  ebensogut  heimisch  wie  bei  uns.  Daneben 
kommen  aber  bemerkenswerter  Weise  noch  eine  ganze  Menge  anderer 
Benennungen,  für  welche  wir  den  guten  deutsclien  Ausdruck  noch 
immer  beibelialten  liaben,  in  den  französischen  Texten  vor.  Manchmal 
■wird  durch  solche  Anglicismen  sogar  ein  gut  franzcisisches  Wort  ver- 
drängt oder  am  Aufkommen  gehindert.  Das  englische  ,,rail"  ist  z.  B. 
das  in  Frankreich  allein  giltige  Wort  für  (Eisenbahn-)  Schiene;  und 
MFabrkai'te'*  wird  ganz  allgemein  mit  „ticket"  bezeichnet  — -  viel- 
leicht eine  Vergeltung  für  das  „billet**  welches  wir  von  den  FhasoMn 
anaehmen  nnssten. 

ElgenthfimKeh  steht  es  mit  einigen  FaehausdrQcken  wie  budget, 
jiiry,  drainage,  wagon,  tannel,  tonriste,  die  wir  dem  FransOeischen 
entlehnt  haben  nnd  auch  mit  französischer  Aosspraehe  gebrauchen, 
obwol  de  in  dieser  Sprache  ebensowol  fremd  als  in  nnserer  nnd  ein- 
fiwh  rein  englisch  sind. 

Aber  anch  deutsche  Brocken  entdeckt  man  in  den  fraasSsischeii 
Texten  immer  hftuflger  und  es  scheint,  als  ob  das  Studium  unserer 
Sprache  in  Frankreich  ein  allgemeineres  würde,  denn  die  WOrter  wer- 
den jetzt  weniger  Terballhonit  als  filther.  Ich  will  hier  nur  zwei 
oder  drei  Beispiele,  welche  durch  Heiicw&rdigkeit  herrorstechen,  an- 
führen. „L' Alpenstock''  findet  sich  bei  Daudet  und  Theuriet,  vielleicht 
anch  bei  Andern.  Ebenso  bat  der  Verfasser  des  »Tartarin**  mit  köst- 
licher Unbefangenheit  das  Zeitwort  «yodler"  aus  unserem  ^jodeln" 
gebildet.  Chope,  bock  (nicht  mehr  „un  verre  de  bidre",  sondern 
kurzweg  un  bock),  Kui-saal  mögen  als  Muster  für  eine  ganze  Reihe 
ähnlicher  Ausdrücke  deutschen  Ursprungs  dienen,  deren  Einführung 
es  bestätigt,  dass  man  jetzt  auch  in  Frankreich  hie  und  da  für  fremde 
Dinge  und  Verhältnisse  den  eigenthümlichen  Ausdruck  der  betreÖ'en- 
den  S])rache  unverändert  einsetzt,  statt  matte  Übertragungen  zu  geben. 
In  diesem  Sinne  liaben  auch  die  Kugländer  die  Bezeiclmimg  „Kinder- 
garten-Scliools"  tiir  die  trefiliclie  Fröbelsche  Kiurichtung  angenommen. 
Weniger  sclniieichelliaft  ist  jedoch  für  uns  die  Einführung  des  Wortes 
Krach  (,.le  Krach")  ins  Franzosisclie:  als  ob  dipse  nnany-encliniste  Er- 
rungenscliaft  des  XIX.  ■laliihundeits  eine  deutsche  Kitindung  wäre! 

Als  ganz  iuteiuational  imiss  aber  die  Art  bezeichnet  werden, 
mit  welcher  das  Publicum  der  drei  Hauptnationen  Europas  im 
Cüucertsaale  und  Theater  seineu  lieilail  und  den  Wunsch  nach  Wieder- 


Digitized  by  Google 


—   707  — 


holung  kuiulgibt.  ^\'ir  Deutsclie  rufen  italienisch  da  capo,  der  Fran- 
zose gebrauciit  das  lateinische  bis  und  bildet  davon  bisser  „zur 
Wiederholung  verlangen",  der  Engländer  das  französische  encore, 
■woraus  das  Zeitwort  to  encore.  —  Man  sieht,  hier  bat  Keiner  dem 
Andern  etwas  vorzuwerfen.  — 

Was  an  den  obenstehenden  Beispielen  gezeigt  werden  soll,  das 
ist  die  Ei*schcinung,  dass  für  eine  von  auswärts  eingeführte  Erfindung, 
für  einen  Gebrauchsgegenstand  u.  dergl.  nur  allzuleicht  auch  die  Be- 
nennung aus  der  betrefi'enden  fremden  Sprache  sich  festzusetzen  weiß. 
Im  Deutschen  ebenso  wie  anderswo.  Beispielsweise  hat  für  das  aus 
England  eingeführte  Bicycle  die  gunz  vortretlliche  Übertragung 
„Zweirad,  Reitrad  oder  Fahiiad"  noch  immer  nicht  rasch  genug  zur 
Stelle  sein  kOnnen,  um  die  englische  Bezeichnung  ganz  aus  dem  Felde 
zu  schlagen.  Wie  viel  ist  nicht  an  dem  armen  „Gensdannes"  hmm- 
ftbwsetzt  worden,  ohne  dass  irgend  eine  der  Torgeschlagenen  Über- 
setzungen yermocht  hätte  das,  noch  dazu  unsinnige,  Fremdwort  su 
verdrängen.  Und  wie  sollte  man  wol  jenes  in  kehiem  dentschen  Hanse 
fehlende  Polstermöbel,  die  „Chaiselongue^  yerdentsehen?  Etwa  mit 
„DiYan*',  oder  mit  .Sopha",  oder  nCanapö"  oder  „Ottomane*^?  — 

Wenn  weiter  oben  die  Vergleichung  uns^wr  Sprache  mit  dem 
Französischen  und  Englischen  in  Hinsicht  auf  die  Fremdwörter  em- 
pfohlen wurde,  so  ist  noch  hinzuzofllgen,  dass  wir  ja  nicht  einmal  so 
weit  zu  gehen  brauchen,  sondern  schon  in  unseren  Mundarten  reiches 
Material  fttr  solche  Vergleiche  aufbringen  konnten.  Denn  auch  diese 
enthalten  fremdsprachliche  Einsprengungen,  und  zwar  kaum  dnen  ge- 
ringeren Procentsatz  davon,  als  das  Hochdeutsche  —  abgesehen  natflr- 
licb  von  den  zahllosen  Fremdwörtern  aus  der  maschinen-technischen 
Sprache,  welche  bis  jetzt  noch  immer  auf  die  großen  Industriemittel- 
punkte beschränkt  blieben.  Im  oberbayerischen  Dialekt  und  speciell 
im  obderennsischen  kann  man  gar  manches  Fremdwort  entdecken, 
weiches  im  Schriftdeutschen  entweder  nie  existirt  hat  oder  längst 
daraus  entfenit  worden  ist.  Akkrat,  extra,  kamot,  Profit,  Kegaixl 
(Beachtung,  Ansehen),  Plarament  geluTen  hierher;  für  sie  und  eine 
Menge  ähnlicher  wird  der  entsprechende  deutsche  Ausdruck  nie  oder 
fast  nie  gebraucht.  An  einigen  solcher  Eindringlinge  hat  sich  der 
volksthümliche  Sprachgeist  wenigstens  insofern  wirksam  erwiesen,  als 
er  sie  umgemodelt,  dem  idiomatischen  Lautbestande  angepasst  uud  da- 
dui'ch  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  verändert  hat*).   Das  Obderenn- 

*)  Solche  Veründtrunpcn  werden  häufig  in  tadelndem  Sinne  „Entstellungen" 
gcnaimt.  Aber  gerade  sie  sind  eine  Eischeinung,  ttber  welche  wir  uns  eigentlich 


Digitized  by  Google 


—   708  — 


sische  bietet  besondere  schlagende  i^'i^piele  hierfür.  Progrjldä  (ans 
Procurator)  Hochzeitsbitter,  und  Päschän,  Person,  klingen  gewiss  eben 
SO  unverfälscht  breit  bayerisch,  als  nur  irgend  ein  mittelhochdeutsches 
Praehtwort,  wie  sich  deren  so  viele  im  Obdei  eunsischen  erhalten 
haben.  —  Bei  manclieni  BVcmdworl  ist  ein  Waadel  der  Bedeutung 
10  beobachteii,  welehen  es  bei  seiner  Hüiflbemabme  in  d«i  Dialekt 
dmebranadien  hatte.  „SoM**  beaidchnst  aof  dem  flachen  Lande 
llngst  nicht  MSbr  ateffliche  Festigkeit,  sondern  Bestindi^i^  des 
Charakters;  „rar"  ist  nicht  ^aelten**,  sondeam  Tielmahr  »gnt",  vielkicht 
in  lichtiger  WQrdlgaag  des  ümstaades,  daas  alles  Gute  selten  an  sein 
pflegt  —  „Koraschi*  ist  der  im  QsterreiohiBchen  Dentsch  einsig  und 
allein  ilbtidie  Ausdruck  ftr  den  Begriff  »persönlicher  Ifolfa*'.  Es  gibt 
awar  im  Obdersnnsischen  ebi  Wort  .Moath",  dieses  aber  hat  beaeich- 
nender  Weise  genan  dieselbe  Bedentang;  irie  das  mittelhochdeatsohe 
Worzelwort»  also  nicht  ^Tapferkeit",  sondern  „Sinn*',  »Oemttth".  — 
Interessant  an  betraditea  ist  auch  jene  imganaenoberdeatschenSprsch- 
gebiet  Terbrdtete  Beaeichnnng  für  ein  zom  Formen  seiner  Mehlspeisen 
oder  zum  Butterformen  bentttates  Efichengeräth,  die  „Model";  hoch- 
deutsch sprechende  Hausfrauen  werden  sich  versucht  fühlen,  sie  für 
eine  Verdrehung  aus  „Modell"  zu  halten  nnd  yieUsicht  der  £<tohin 
das  Fremdwort  statt  des  Dialectausdrockes  angewöhnen  wollen.  In 
diesem  Falle  aber  h&tte  die  Hausfrau  unrecht,  denn  „Model ^  ist  eine 
gut  deutsche,  ganz  regelrecht  gebildete  Form,  dem  das  lateinische 
„modulus"  entspricht,  während  „Modell''  höchstens  aus  einer  Zwischen- 
form von  „modus"  hergeleitet  werden  könnte.  Bezeichnender  Weise 
haben  die  Italiener  und  Franzosen  neben  den  gelehrten  Bildungen 
„modells"  und  „modele"  auch  die  volksthünilichen  „modulo"  nnd 
„moüle",  genau  in  derselben  Bedeutung  wie  unser  „Model".  —  Be- 
säße nur  unser  Wortschatz  recht  viele  solcher  umgebildeter  Fremd- 
wörter, so  wären  es  eben  keine  Frem(hvr»rter  mehr,  sondern  Lelin- 
wörter  und  die  Frenidwörlerfrage  wäre  dann  bei  uns  ebensuwenig 
—  oder  ebensoviel  —  berechtigt,  als  sie  es  in  den  anderen  Cultui- 
sprachen  ist  — 

TO  Itoueii  baben,  deu  es  erweist  sieh  in  ihnen  die  treibende  nnd  bildende  Eiaft 
der  Mienden  Spradie^  welche  sich  das  Fremde,  wenn  es  dasselbe  schon  nirbt  absu- 
stoleu  vcnnac.  wenigstens  assimilirt.  Das  EnirHschc  verdankt  Bolchen  „EntstelluniJ^n" 
ms  (dem  Normannisdi-FnuutöBischen)  eine  starke  Hälfte  seines  riesigen  Wortschatses! 


Digitized  by  Google 


Miclit  ud  Arbeit  in  Aren  BildnngsekmnteB.*) 

D  ie  Macht  ist  nur  eine  kalte  Grfiße. 

Sie  wirkt  nicht  dnrch  die  Qualität  ihres  Inhaltes:  sie  zwingt  sich 
auf  durch  die  bloße  Thatsache  ihrer  Existenz.  Man  achtet  sie,  weil 
sie  da  ist;  aber  man  schätzt  sie  nicht  wie  das  wirklich  Edle. 

Der  Mächtige  hat  viele  Sclaven  und  wenig  Freunde;  denn  die 
Macht  blendet  ohne  zu  wärmen;  man  unterwirft  sich  ihr  ohne  die 
bessere  Einsicht,  die  der  zweckmäßigen  und  würdigen  Unterordnung 
vorausgehen  soll;  sie  kann  für  den  Augenblick  selbst  zur  Bewunde- 
rung hinreißen,  aber  nur  schwer  in  der  Prüfung  bestehen,  die  der 
eherne  Griffel  der  Geschichte  über  sie  verhängt.  Die  Gescliichte, 
welche  die  Daseinsformen  der  Macht  auf  ihre  Berechtigung  und  ihren 
Wert  für  die  Entwickelung  der  Menschheit  hin  untei*sucht,  pflegt  sehr 
kühl  dabei  zu  verfahren;  das  zornige  Dichterwort:  „Wenn  sich  die 
Großen  nicht  scheuen  zu  liandeln,  was  sollte  den  gemeinen  Mann  ab- 
halten, diese  Handlangen  zu  beortheilen?*'  ist  ihr  längst  zum  wissen- 
schafUichen  Gnmdsatz  geworden.  Was  ist  ans  der  von  einer  Welt 
liewnnderteii,  toh  Dichtern  gepriesenen  OMtergestalt  Ludwigs  des 
Yienelniten  geworden?  Wie  viel  kleiner  erscheint  der  „groSe  Corse**, 
wenn  ihn  die  kritische  Hand  ans  dem  Schimmer  der  Bijonnette  nnd 
der  blutigen  Bomantik  seiner  Schlachtfelder  heranssehAlt!  Wo  ist  sein 
Eriegsrahm  hingerathen,  sdt  die  unerbittliche  Forschmig  die  gewal- 
tige Kraft  des  französischen,  anf  dem  Beomsitionssystem  bemhenden 
Yolksheeres»  dessen  Keime  wiederom  Im  BYeiheitskampfiB  der  Ameri- 
kaner liegen,  der  lahmen  Taktik  der  gegnerischen,  an  die  Magazin- 
Terpflegnng  halb  geketteten  Armeen  gegenübergestellt  hat? 

Gleichwol  hat  die  Macht  ihre  geschichtliche  Berechtigong. 

Sie  kann  die  Hasse  flbr  einen  gegebenen  Zweck  organisiren,  in- 
dem sie  Torgeftindene,  dem  Einzelnen  kamn  merkliche  Bedingungen 

**)  Ein  tre£flicher  Beitrag  zur  Eefurm  des  Uuterrichtcii  in  der  Wcltgcscliichte.  D. 


Digitized  by  Google 


—  710  — 

geschickt  zusammenfasst:  in  dieser  Th&tigkeit  ruht  die  geschichtliche 
Größe  Friedrichs  des  Zweiten  und  seine  Bedentung  iur  den  preußi- 
schen Staat. 

Sie  kann,  obgleich  seltener  und  nicht  immer  ersprießlicli,  Land 
und  Volk  aus  barbarischer  Verf^anf!:enlieit  in  die  plützliclie  Helle  einer 
fortgesrhritteuen  Cultur  schleudern  und  damit  einen  Zustand  er- 
zwingen, der  —  ohne  ein  wirklicher  Fortschritt  zu  sein  —  doch 
künftige  Bewegungen  ei zeugen  wird:  unter  diesem  Gesichtspunkte 
wird  Peter  der  Große  fast  ein  nationaler  Held. 

Sie  kann  endlich  die  heri sehenden  geistigen,  sittliclien  und  wirt- 
schaftlicben  Strüimingen  eines  Zeitalters  in  ilnem  (iebote  verdichten 
und  damit  in  wahjhaft  staatsmännischer  Weisheit  einem  thatsäch- 
lichera  Bedürfnisse  gerecht  werden:  Dies  ist  die  hinreißendste  Form 
der  Maclit,  denn  ihre  Träger  erscheinen  als  die  Verkörperung  des 
Nützlichen  und  Guten,  und  die  Geschichte  segnet  ihre  Thaten;  —  in 
diesem  Rahmen  leuchten  die  hehren  Gestalten  Josefs  U.  und  seiner 
großen  Mutter. 

Die  Betrachtung  der  Macht  nach  ihrer  besonderen  Form,  ihrem 
Einflösse,  ihrem  Werden  und  Veigehen  ist  in  hohem  Grade  betehre&d; 
man  kann  in  gewissem  Sinne  sogar  yon  einer  „Philosophie  der  Macht' 
sprechen.  Das  Lehrbuch  dieser  Philosophie  erschien  1&82  im  Drucke: 
es  ist  der  nFärst"  von  MaochiaveUi.  In  diesem  merkwürdigen  Buche 
sind  die  Grundlagen  und  Grundsätze  der  Macht  mit  mathematischer 
Schftrfe  auf  eine  nackte  Formel  abgezogen:  es  ist  eine  Grammatik 
der  Macht»  zu  der  die  Geschidite  aller  Zeiten  die  erkUienden  und 
beweisenden  Beispiele  liefern  muss.  Der  Yerfittser  sagt  dies  ana- 
drficklich  in  der  Widmung  an  Lorenzo  von  Medici:  «...  ich  finde 
nidits  in  meinem  Vorrathe,  was  mir  werter  wäre  oder  ich  höher 
sch&tzte,  als  die  Kenntnis  und  das  Verständnis  der  Handlungen  großer 
Männer,  die  ich  durch  lange  Erfahining  der  neuern  Zeit  und  unab- 
lässiges Lesen  der  alten  erworben.  Diese  habe  ich  mit  großem  Fleiße 
lange  durchdacht  und  geprüft  und  jetzt  in  ein  kleines  Buch  zusammen- 
gefasst,  welches  ich  Euch  überreiche,  großmächtiger  Herr!"  Das 
klingt  fast  wie  ein  Satz  ans  der  Vorrede  zu  einem  Lchrbuche  der 
Methodik,  das  ein  im  Dienste  ergrauter  Scliuhnann,  der  seine  reiche 
Erfahrung  der  ^Velt  erhalten  will,  seinen  jüngeren  Collegen  zueignet. 
Was  Macchiavelli  unter  ,.großcn"  Männern  versteht,  darüber  lassen 
die  angezogenen  Beispiele  nicht  den  kleinsten  Zweifel  aufkommen.  Es 
hat  nidit  viel  zu  bedeuten,  dass  das  Buch  zahlreiclie  Feinde  fand; 
es  verliei  sogar  dem  veidammenden  Urtbeile  des  Papstes.  Der  Wider- 


Digitized  by  Google 


—   711  — 


sprach  erschien  mehr  in  der  Form  eines  Ärgers  über  den  Frelmntli 

des  Verfassers:  Macchiavelli  sprach  wahr,  aber  unvorsichtig.  Mit 
Recht  bemerkt  ein  Übersetxer,  das»  das  Buch  am  laatesten  yon  denen 
angeklagt  sei,  die  am  meisten  daraus  gelernt  hatten. 

Der  „Principe*'  von  Macchiavelli  ist  noch  ans  einem  anderen 
Grunde  der  genauesten  Beachtung  wert:  er  zeigt  die  Verwendbarkeit 
einer  gewissen  Gruppe  historischer  Stoffe  in  Hinsicht  der  darin  ent- 
haltenen Bildungselemente. 

Eine  planvolle  Betrachtung  der  Formen,  in  die  sich  die  Macht 
kleidet;  der  Handlungen,  welche  ilire  'Iniger  begehen;  der  Motive,  die 
jene  Handlungen  hervorrufen;  der  persönlichen  Eigenart,  welcher  diese 
Motive  entspringen;  —  wirkt  aufklärend  und  belehi*end;  wendet  sich 
als  reine  Verstandesthätigkeit  zunächst  an  den  Verstand;  schärft  das 
geschichtliche  Urtheil;  wird  unter  Umständen  zu  einer  für  den  spe- 
ciellen  Fall  höchst  ersprießlichen  Dressur. 

Kann  eine  ausschließliche  Betrachtung  der  Macht  und  ihrev 
Formen,  der  Handlungen  ihrer  Träger  in  dem  Sinne,  wie  sie  uns  die 
landläutige  Geschichtsschreibung  überliefert,  auch  erziehend  wirken? 

Denn  das,  was  die  Lehrbücher  der  Geschichte  bis  auf  diese  Stunde 
der  Jugend  feilbieten,  siud  die  Lebensäußerungen  der  Macht;  die  per- 
sönlichen Vorbilder,  die  sie  dem  jugendlich  erregbaren  Gemüthe  der 
Leser  vorstellen,  sind  ISut  anssehlielHidi  die  MSnner  der  Madit»  nidit 
selten  die  Trflger  der  rohesten  Gewalt  Nidit  selten  auch  steigert 
sieh  diese  Auswahl  zur  planmftfiig^  Einseitigkeit  ;  es  ist  hundert 
gegen  eins  zu  wetten,  dass  die  grelle  Schilderung,  die  in  den  meisten 
F&llen  dem  rauhen  Vorgehen  eines  Cortez  und  Pizarro  zutheil  wird, 
ein  Interesse  an  der  müderen  Entdeckergestalt  eines  Vasco  da  Guma 
gar  nicht  aufkommen  lässt  Schon  Heine  spricht  tou  Gorte^  der  den 
frechen  Namen  einschreibt  ins  Buch  der  Weltgeschichte,  einschreibt 
neben  dem  Namen  Golumbus,  —  und 

Der  Sohttlbub'  auf  der  Scbalbaak 
Lernt  auswendig  beide  Namen. 

Die  Geschichte  des  Alterthums,  des  Mittelalter  und  der  meisten 
Vorgftnge  der  neueren  Zeiten  ist  die  Geschichte  der  Macht.  Die  Tliat- 
sache,  dass  ein  löbliches  Streben  die  Darstellung  einer  Epoche  zu- 
weil^  mit  der  summarischen  Betrachtung  einiger  ( 'ulturfornien  be- 
schließt, fällt  nicht  sonderlich  ins  Gewicht.  Dass  diese  Darbietung 
des  historischen  Stoffes  auf  den  ältesten  Vorbildern  ruht,  ist  angen- 
scheinlich,  aber  ohne  Belang;  dass  diese  ^lethdde  für  bestimmte  Zeiten 
und  gegebene  Verhältnisse  von  Wert  sein  konnte,  wird  sich  wahr- 


Digitized  by  Google 


—  712  — 


scheinlich  bewei^^en  lassen,  —  hebt  aber  die  Frage  nicht  auf,  ob  sie 
noch  der  (it'ofeuwart  mit  ilirem  durchaus  veränderten  Inhalte  frommt. 

Nacli  einem  bekannten  Dichterworte,  dessen  tliatsächliche  Be- 
deutung sich  mit  dem  Umfiiiif^c  seines  Gebrauches  keineswegs  deckt, 
ist  das  Beste  an  der  üeschichte  der  Enthusiasmus,  den  sie  erregt. 
Allein  der  Enthusiasnms  ist  -  wie  das  Mitleid  —  eine  sehr  gewöhn- 
liche Äußerung  der  Seele;  die  Mittel,  ihn  zu  eriegen,  sind  die  denk- 
bar wolfeiJsteu.  Weit  mehr  Aiigenblicksrausch,  denn  werkthätige  Folge 
eines  seelischen  Piocesses,  ist  er  —  wie  das  Mitleid  —  rasch  zur 
Haud,  steigert  sich  leicht  zu  hoher  Intensität  und  zeigt  dabei  alle 
Schattenseiten  des  Affects:  ein  wahres  Strobfeuei*  der  Seele.  Das 
Beste,  was  die  Geschichte  erregen  sollte,  mfiflste  eine  gesunde,  ruhige, 
nachdenkliche  Bewunderung  sein.  Die  Geschielite  sollte  neigen,  was 
sich  durch  geduldigen  Fleiß,  dardi  eiserne  Ansdaner,  dnrcli  MftAigkeit 
nnd  Sparsamkeit,  durch  Unterordnung  unter  ein  Gemeinnfttziges  — 
die  geschichtlich  so  flberaas  nothwendige  Fonn  der  Selbstwleognung 
erreiefaen  Iftsst  Es  ^hlt  den  Lebensftnfiemngen  der  Macht  nicht 
an  Erscheinungen,  die  lum  jOnthnsiasmus  hinreifien:  Jene  mallTolle  und 
nachhaltige  Bewunderung  erzeugt  nur  die  Betrachtung  einer  schlichten 
Große. 

Die  Macht  —  rein  ftnfierlich  genonunen  —  vermag  das  Indi- 
Tidunm  nicht  in  eraiehen,  denn  sie  knebelt  es;  ihr  gewOhnliehster 
Lohn  ist  der  scheue  Seitenblick  der  Erbitterung. 

.    .   .    .   der  Mann 
Ist  nun  zum  Gott  erhöht,  und  Cassiiis  int 
Ein  arm  Gcschiiiit'  iinil  muss  den  EUckc-a  beugen. 
Nickt  Cäsar  nur  iim  hlässig  p^f^gcn  ihn. 

Aber  auch  der  Träger  der  Macht,  insofern  er  als  ein  Vorbild 
angesehen  werden  kann,  muss  es  sich  gefallen  lassen,  dass  man  ihn 
der  Hülle  seiner  Gewalt  entkleidet;  denn,  wie  beim  jüngsten  Gerichte, 
so  wird  ihm  auch  beim  Unterrichte  nur  das  angerechnet,  was  von 
ihm  als  Mensch  übrig  geblieben  ist. 

Die  schlichte  Größe,  die  darum  vorzugsweise  die  vorbildliche 
Größe  ist,  ruht  nur  in  der  Arbeit,  und  auch  die  Männer  der  Macht 
sind  blos  insoweit  geschichtlich  groß,  als  sie  zugleich  Männer  der 
Arbeit  waren.  Ludwig  der  Vierzehnte  geg-en  Joseph  den  Zweiten. 
Damit  aber  erglänzt  neben  der  Gr>ttiu  in  Purpur  und  Krone  das 
irdische  Weib  im  härenen  Gewände  in  ganz  eigener  Beleuchtung,  und 
das  Auge  des  Zuschauers  schweift  mit  Wolgefallen  von  der  dämo- 
nischen Figur  des  corsischen  Eroberers  nach  der  stillen  Gestalt  Georg 


Digitized  by  Google 


—  713  — 


Stepbensons.    Zwei  ZeitgwiOMi:  der  ScUacliteiikaifler  gogen  den 

Eieenbahnkönig. 

Die  Geschichte  schafft  znweilen  sonderbare  Analog-ien. 

Es  war  im  Spätherbst  1796,  als  die  Welt  durch  die  ersten  Nach- 
richten über  die  beispiellose  Siegeslaulbahn  Bonaparte's  in  Italien  aus 
einer  Bewunderung  in  die  andere  fiel;  damals  saß  der  fünfzehnjährige 
Stephenson  im  Werkbause  zu  Water  Kow  auf  einem  Kohlenhaufen 
und  suchte  beim  Scheine  des  Maschinenfeuers  die  einfachen  arith- 
metischen Beispiele  zu  lösen,  die  ihm  Rohin  Oowens,  sein  erster 
Lehrer,  der  im  Dorfe  für  die  Griibeiileute  eine  Abendschule  hielt, 
gegen  eine  Entschädigung  von  drei  Pence  auf  eine  Schiefertafel  zu 
schreiben  pflegte.  Und  als  Napoleon,  der  es  vortreflflich  verstanden 
hatte,  sich  die  geschicktesten  administrativen  Talente  Frankreichs 
botmäßig  zu  machen,  von  dem  gebildeten  Europa  als  Gesetzgeber  und 
Organisator  gepriesen  wurde,  da  erwarb  sich  der  junge  Bremser  zu 
Black  Callcrton  durch  seine  Verbcsserangen  an  den  Pumpmascbinen 
der  ganzen  Grafechalt  die  begeisterte  Dankbarkeit  seiner  schwer- 
arbeitenden  Kameraden. 

Wer  kennt  ntckt  dne  kObne  Wagstttck  des  Conen  bei  Areole? 
Wie  er,  vom  Pferde  springend,  die  Felnie  ergreift;  an  der  Spitze  der 
proTenQaliMhen  Grenadiere  nach  der  Brfteke  Btttrmt;  beim  Getftnunel 
ins  Wasser  ftUt;  nieder  anf  dem  Platze  eraefaeint;  endUcb  den  Sieg 
gewinnt? 

Aber  es  gibt  noch  einen  anderen  Heldenmntk.  Die  That  Stepben- 
sons, der  in  KilUngworth  in  den  im  Feuer  stehenden  Schacht  einüBhrt, 
durch  seine  nmsiehtigen  Anordnongen  einige  hundert  Gmbenleate 
rettet,  indes  die  Menge  der  Frauen  nnd  Kinder,  die  den  kUmen  Hann 
in  maftlosem  Erstannen  in  den  Flammen  Tersebwinden  sieht,  angst» 
Uch  der  Dinge  wartet;  —  diese  That  ist  auch  der  Erwihnnng  wert 

Man  pflegt  mit  einem  gewissen  Behagen  za  berichten,  wie  es 
Bonaparte  verstanden  habe,  durch  seine  nnerschrockene  Haltung  gegen- 
ftber  den  Pestkranken  den  Muth  seiner  Soldaten  aufrecht  zu  erlialten; 
dm  Mmster  der  älteren  französisclien  Malemhule  nahm  sogar  Veran- 
lassung, dies  wenig  kiastlerische  Motiv  zu  einem  historischen  Ge* 
milde  zu  yenrenden. 

Aber  das  Leben  Stepbensons  enthält  noch  einen  weit  größeren 
Zng.  An  der  (rrube  zu  KilUngworth  erfand  er  —  lange  vor  Sir 
Ilnmphry  Davy  -  seine  Sicherheitslampe.  Nächtlicherweile  steigt  er, 
die  Erfindung  zu  erproben,  mit  zwei  beherzten  Männern  in  die  Tiefe, 
indes  seine  Frau  und  sein  Knabe  in  Todesangst  seiner  Heimkehr 


Digitized  by  Google 


—  714  — 


harren,  entzündet  den  Doclit  und  nähert  sicli  furchtlos  der  Stelle,  wo 
das  gefährliche  Gas  zischend  ausströmt.  Seine  beiden  Begleiter  er- 
greifen angstvoll  die  Flucht,  während  sie  ihn  mit  brennendem  Lichte 
verschwinden  sehen.  Da  flanomt  das  Licht  plötzlich  auf,  dann  erlischt 
es;  das  kühne  Experiment  war  gelungen.  Einer  der  Biographen,  des 
Ebenbafankünigs,  der  diesen  YorfoU  eizlUt,  maeht  dam  die  dnreh- 
aos  treffende  Bemerkung:  „Indem  Stephenaon  mit  größter  Robe  sein 
eigenes  Leben  anüs  Spiel  setate,  am  ein  Veiikbren  zu  entdecken,  wo- 
dnreh  das  Leben  Vieler  gerettet  nnd  in  diesen  verbingnisrollen  Höblen 
der  Tod  entwaffnet  werden  mOditei  bot  er  dn  Beispiel  mftmdichen 
Hathes  dar,  der  noch  edler  und  glorreicher  war  als  der,  welcher  in 
der  Anfregnng  der  Sehlacht  nnd  im  Storme  eines  Angrifb  einen  Sol- 
daten dem  fenerspeienden  Schlonde  einer  Kanone  entgegenfOhrt.*' 

Es  bedarf  femer  kanm  der  FragOv  wer  nnserem  Herzen  näher 
stehen  sollte  —  der  unersättliche  Schlachtenlenker,  der  die  jnnge 
Kraft  seines  Volkes  erbarmnngalos  dem  eisigen  Hanche  der  russischen 
Schneestürme  aussetzt;  oder  der  menschenfreundliche  Ingenieur,  der 
die  Arbeit  seines  Lebens  auf  die  Erfindung  einer  Maschine  richtet, 
die  mehr  als  irgend  ein  anderes  dazu  berufen  ist,  die  allgemeine 
Verbrüderung  der  Nationen  anzubalinen. 

Man  schwelgt  gern  in  der  Komantik  eines  von  Bonaparte  ge- 
leiteten Alpenübetganges  oder  dem  Zauber  der  Überlegenheit,  die  der 
Franzosenkaiser  den  diplomatischen  Taschenspielereien  seiner  Wider- 
sacher entgegensetzt.  Aber  der  ebenso  sinnreich  erdachte  als  kühn 
ansgeführte  Damm,  der  das  schnaubende  Maschinenross  des  En<;län- 
ders  über  das  tückische  Chat-^fitor  trä^4;  die  classisch  rulii2:e  Haltung 
Stephensuus  vor  dem  superklugen  Comite  des  Hauses  der  Gemeinen,  — 
das  alles  ist  so  überaus  groß,  so  menschlich  wahr,  dass  jenes  andere, 
in  diesem  Lichte  besehen,  nur  etwa  wie  die  stilvoll-romantische  Deco- 
ration zu  einem  Drama  oder  wie  der  gefällige  Dialog  eines  Scribe- 
schen  itolitisclien  Lustspieles  zu  wirken  vermag. 

Wahrscheinlich  hat  die  Gestalt  Bonaparte's  für  die  Jugend  der 
Gegenwart  so  viel  —  oder  so  wenig  Bildungswert  als  die  Gestalten 
der  Römer;  es  ist  die  Gefühlskälte,  die  den  Corsen  zum  Römer  stem- 
pelt und  darum  in  einen  Gegensatz  stellt  zu  dem,  was  den  luhalt  der 
modernen  Persönlichkeit  ausuiadit ;  es  ist  die  Verkennung  der  Größe 
dei'  büi'gerlichen  Arbeit,  die  den  gewöhnlichsten  Menschen  adelt,  zu 
Gunsten  der  auf  die  Spitze  getriebenen  Idee  der  Macht,  was  G^talten 
dieser  Art  zu  vorbildlicher  Wirkung  ungeeignet  erscheinen  Iftsst  Die 
Sehnsucht  der  Gegenwart  ist  der  Staat,  in  dem  dar  Einzelne  nach 


Digitizcd  by  Google 


—   715  — 


Maßjjabe  seiner  Fähigkeiten  Geltung  hat.  Darum  hatte  die  Begeiste- 
rung für  Napoleon  nur  den  Wert  eines  Augenblicksi-ausches.  Einer 
seiner  Hauptanbeter  heißt  Heinrich  Heine;  aber  das  Buch  „le  Grand'' 
entstammt  einer  Feder,  die  ebenso  leicht  für  den  Spott  als  für  das 
Lob  zu  haben  war.  Immerhin  bleibt  die  Erscheinung  lehrreich,  dass 
unter  denjenigen,  welche  die  historische  Grüße  Napoleons  leugneten, 
der  vornehme  Walter  Scott  und  der  ehrlich-hai'te  Grillparzer  anzu- 
trefien  sind. 

Um  so  höher  kann  der  Typus,  den  Stephenson  vertritt,  im  Preise 
steigen.  Nicht  nur  verkörpert  er  die  Regungen  der  Gegenwart  nach 
der  rein  menschlichen  Seite^  —  er  ist  vor  allem  auch  das  klassische 
Beispiel  für  den  Weit  and  die  schlichte  GrOBe,  die  in  der  Arbeit  liegt. 
Auch  anter  den  Trftgern  der  Maeht  sind  die  MAnner  der  AxMt  zu 
Ibiden;  aber  die  Jugend  soll  erfohren,  dass  sie  dort  nicht  ansschliefi- 
lich  gefimden  werden.  Uan  begegnet  hier  leicht  den  Ideen,  die  der 
nnermOdliche  Bichl  verkttndet 

„Wert  nnd  Wfirde  der  Arbeit  ist  nicht  nach  der  zufilUigen  socialen 
Stellang  der  Arbeitenden  za  messen,  sondern  nach  dem  in  der  Arbeit 
seihst  mhenden  Gehalte  der  Thatkraft  nnd  des  Erfolges.  Dieser  Ge- 
danke hat  die  Arbeit  ttberhanpt  frei  gemacht  nnd  die  mittelalteriichen 
Stände  als  sodale  Bechtskreise  gebrochen.**  (Bichl  „Die  deutsche 
Arbeit**.) 

Dies  zeigt  nns  den  Weg,  auf  dem  die  krftitigsten  Bildnngs- 
elemente  gefunden  werden  könnten.   Die  Geschichte,  in  der  Art  wie 

sie  zur  Zeit  fUr  die  Jugend  extrahirt  wird,  gibt  keineswegs  die  Ent- 
wickelung  der  Menschheit,  sondern  eine  Darstellung  der  Thätigkeiten 
einer  bestimmten  Mensch enclasse.  Man  kann  beinahe  den  Eindruck 

gewinnen,  als  ob  einem  Fürstensohne  die  Geschichte  seines  Hauses  vor- 
gestellt werden  solle.  Eine  solche  Einseitigkeit  birgt  die  Gefahr  der 
Hdnnng  in  sich,  dass  nur  die  Arbeit  der  Mächtigen  den  Fortschritt 
der  Menschen  gefördert  hätte;  die  Wahrheit  aber  ist,  dass  die  hohe 
Thätigkeit  des  Zimmermannssohnes  von  Nazareth  den  stolzen  Bau  des 
römischen  Weltreiches  überdauert  hat. 

Es  kann  kein  Zweifel  darüber  sein,  dass  die  Männer  der  Arbeit 
in  der  Reihe  der  Fürstenbilder,  welche  der  Jn^rend  ti:ewr,!inlich  y:e- 
boten  wird,  in  weit  größerer  Zahl  vorkommen  niiissten,  als  die.s  gegen- 
wärtig der  Fall  ist,  und  dass  der  Jugend  gerade  beim  Geschichts- 
unterrichte gezeigt  werden  sollte,  wie  der  ^lann  mit  Schürze  und 
Hammer  dem  Helden  mit  Schwert  und  Marschallsstab  unter  Um- 
ständen vollkommen  ebenbürtig  ist. 


Digitized  by  Google 


—  7ie  - 


Die  Geschichte  erschiene  dann  als  eine  Gallene  wirklich  er- 
ziehender Vorbilder;  manch  edle  Fürstengestalt  würde  neben  dem 
Helden  der  Arbeit  und  des  Gedankens  um  so  heniicher  erglänzen: 
der  Schüler  stünde  vor  einer  wahren  Rubmeshalle.  Vor  allem  könnte 
dann  das  Hauptgewicht  gelegt  werden  auf  jene  Thatsachen,  denen  die 
Gt^genwart  ihre  Existenz  und  ihren  Inhalt  verdankt. 

Der  Blick  der  Jugend  würde  sich  —  nicht  zum  Schaden  der 
Zukunft  —  abwenden  von  den  marmorkalten  Gestalten  unt^rge- 
gangener  Culturformen  und  sich  an  dem  Feuer  des  Vorhandenen  ent- 
zünden. Ein  Wort  Pestalozzi'»,  des  größten  Schulmeisters  der  moder- 
nen Welt  —  ein  wahrer  Stephenson  der  Pädagogik  —  verwirklichte 
sich,  —  das  Wort:  „Suchet  euren  Lehrstoli  nicht  tausend  Jahre  rück- 
wärts, ihr  habt  ihn  um  euch!" 

Freilich  gäbe  es  wieder  einen  Kampf  gegen  das  Imperium  roma- 
num;  der  deutsche  Geist  schweift  gerne  Über  die  Alpen  und  wOhlt  in 
den  dassischen  Trümmern  nach  Vorbildern  für  die  yaterlindiacktt 
Jugend. 

Aber  die  ronumtische  Zeit  der  HoheuBtaiifeii  fimd  dnrdi  einen 
Scbweteer  Grafen  ein  Tolluthttmliehes  Ende,  und  es  konnte  sein,  daei 
die  Hahnnng  des  Schweizer  Schnlmeisten  endlich  anch  hier  einen 
kräftigen  Willen  entsQndete. 

Wo  aber  ein  Wille  ist,  da  findet  eich  leicht  ein  Weg. 


Digitized  by  Google 


])ie  Waffen  nieder l 

Von  O,  B,-Str. 

68  ErdgDiBse  gibt,  die  sich  luiaaBtilgbar  fest  dem  Gedichfe- 
nisse  emprägen,  so  gibt  es  auch  Bttcher,  die  dem,  der  sie  einmal  ge- 
lesen, ewig  nnvergeealich  sind. 

Anf  ein  solcfaes  Bnch  mochten  wir  die  AnfinolaMmkeit  der  Lelnw 
—  gleichviel,  welcher  Confession  nnd  IfationaMtfit  —  hinlenken;  es 
heiSt:  «Die  Waffen  nieder!"  Eine  Lehensgesehichte  von  Bertha  von 
Snttner  (E.  Pierson,  Dresden  nnd  Leipzig.  2.  AniL  1890).  Ein 
Buch,  das  eine  dentsehe  Zeitnng  „ein  Ereignis**  nannte;  von  dem  ein 
Berliner  Schriftsteller  (Hans  Land)  sagte:  „Von  Hand  zn  Hand  will 
ich  es  reichen!  Wie  ein  Evangelinm  soll  es  Jünger  finden,  die  es 
in  die  Welt  tragenl"  —  ein  Buch,  auf  das  der  österreichische  Finanz- 
minister  V.  Dunajewski  im  Abgeordnetenbause  (18.  April  1890)  hin- 
wies mit  den  Worten:  „Ich  bitte  8ie,  einige  Stunden  diesem  er- 
schütternden Werke  zu  widmen,  und  wer  dann  noch  Passion  für  den 
Krieg  hat,  den  bedauere  ich  wirklich." 

Die  in  Xiederösterrcich  wohnende  Verfasserin,  von  Geburt  eine 
Gräfin  Kinsky,  ist  in  Prag  184H  geboren  und  erzählt  diese  „Lebens- 
geschiehte*',  deren  Tendenz  schon  der  Titel  freimüthig  ausspricht, 
augenseheiulicli  auf  Grund  eigenster  Lebenserfahrung  und  tiefster 
Kenntnis  dessen,  was  sie  schildert.  Vielleicht  ist  sie  nicht  nur  inner- 
lich verwandt,  sondern  sogar  identisch  der  jungen  (iriitin  Dotzky,  der 
Heldin  des  Buches,  der  durcli  den  Krieg  zwei  geliebte  Gatten,  der 
\erehite  Vater,  die  blühenden  Geschwister  geraubt  werden.  Durch 
diese  Scliiksalsschhiire  aus  ihrer  vornehmen  Kuhe,  aus  dem  gedanken- 
losen Dahinleben  der  Haute-volee  autgerüttelt,  beginnt  die  unglück- 
liche Frau,  die  Lebensanschauungen  und  Standesvorurtheile  jener 
höchsten  Adelskieise,  denen  sie  durch  ihre  Geburt  angehört,  auf  ihren 
wahren  W  ert  zu  prüfen.  Vorzüglicli  ist  es  die  Frage  des  Krieges 
und  der  in  Militärkreisen  üblichen  Kriegsvergütterung,  die  ihre  Seele 
mächtig  bewegt.   Im  Verein  mit  ihrem  zweiten  Gatten,  der  1870  in 

IMhfogiaB*  U.  Jahrg.  Hell  XL  60 

Digitized  by  Google 


—   718  — 


Paris  der  Spionage  verdächtigt  und  standrechtlich  erschossen  wird, 
ist  sie  fortan  bestrebt,  dem  wahren  "Wesen  des  Krieges  nadizuspüren, 
seine  geheimsten  Ursachen  zu  entdecken,  und  den  Völkerhass,  dessen 
Ausfluss  er  ist,  zu  bekämpfen.  Die  Briefe  ilires  Gemahls  vom  Kriegs- 
schanplatze  bestätigen  iinnier  wieder,  dass  der  „Schlachteneifer  nichts 
Übennenschliches,  sondern  —  Untermenschliches  ist,  eine  Reminiscenz 
aus  dem  Reiche  der  Thierheit  —  ein  Wiedererwachen  der  Bestialität** 
....  „Merkwürdig",  schreibt  er  aus  den  böhmischeiL  SchlachtfelderD, 
„wie  blind  die  Menschen  sind!  Anlässlich  der  einst  „zur  größeren 
Ehre  Gottes"  entflammten  Scheiterhanfen  hredien  sie  in  Verwün- 
schungen Aber  blinden  und  grmsamen,  sinnlosen  FaBatiamas  ans,  und 
ftr  die  Iddienbesfielen  Sdiladitfelder  der  Gegenwart  sind  toU 
Bewunderung.   Die  Folterkammern  des  finsteren  Mittelalters  flöfien 

ihnen  Abscheu  ein  —  auf  ihre  Arsenale  aber  sind  sie  stolz**  Sie 

durchschauen  die  Hohlheit  und  Hinfälligkeit  der  Motive,  welche  das  uner- 
meesliche  Tausende  und  abermals  Tanseade  von  Ezistenaen  vernichtende 
Unglück  immer  und  immer  wieder  heraufbeschwören ;  die  poUtisehe 
Phrase,  die  verherrlicht,  was  das  ungeheuerlichste  Verbrechen  unter 
der  Sonne  ist;  die  religiöse  Phrase,  die  dieses  Verbrechoi  als  den 
Wülen  des  „Herrn  der  Heerscharen**  darstellt;  sie  erkennen,  dass 
„die  Potentaten  und  Diplomaten  den  Krieg  wollen.  Aber  das  Volk? 
Man  frage  es  nur,  bei  ihm  ist  der  Friedeaswonsch  glühend  und  wahr" . . . 
Und  sie  kommen  zu  dem  Besultat:  „Es  kann  keine  Logik  und  Ge- 
rechtigkeit geben  in  jenem  Nationalgefühl,  dessen  oberster  Grundsatz 
der  ist:  Wir  sind  wir  —  das  heißt  die  Ersten,  die  Andern  sind  Bar- 
baren ....  Der  Kriegsgeist  und  der  patriotische  Egoismus  ist  die 
Verneinung  aller  Gerechtigkeit."  — 

Doch  dies  genüge,  um  die  Tendenz  und  den  tiefen  ethischen  Kern 
des  Werkes  anzudeuten.  Für  den  Lehrer  gewinnt  es  noch  einen,  be- 
sonderen Wert  durch  seinen  pädagogischen  Gehalt. 

Selbstverständlich  denkt  die  Gräfin  Dotzky  auch  darüber  nach, 
woher  die  Begeisterung  fiir  den  Militarismus  und  die  Kriegsvergötte- 
rung  stammen.  Sie  selbst  hat  als  Siebzehnjährij^^e  für  kriecrerische 
Heldenthaten  geschwärmt  und  oft  bedauert,  nicht  als  Knabe  geboren 
zu  sein.  Für  Gelelirte,  Dichter,  Länderentdecker  konnte  sie  wol 
einige  Hochachtung  empfinden;  aber  eigentliche  Bewundenuiir  iir>ßten 
ihr  nur  die  Schlachtengewinner  ein.  Das  waren  ihrem  kindlichen 
Verstände  „die  vorzüglichen  Traijer  der  Gesciiichte,  die  Lenker  der 
Länderschicksale;  die  waren  doch  an  Wichtigkeit,  an  Erhabenheit  — 
an  Göttlichkeit  beinahe  —  über  alles  andere  Volk  so  erhaben,  wie 


Digitized  by  Google 


—   719  — 


Alpen-  und  Hiiiuüayagipfel  über  Gräser  und  Blümlein  des  Thals.* 
Sie  erblickt  in  dieser  falschen  Schwärmerei  die  Folge  einer  ver- 
kehrten Erziehung.  Was  sie  über  diesen  Punkt  sagt,  erscheint  uns 
80  treffend  und  überzeugend,  dass  wir  es  auszugsweise  wiedergeben: 

„Die  Geschichte  ist,  so  wie  sie  der  Jugend  gelehrt  wird,  die 
Hauptqofille  der  KriegBbewimderuDg.  Da  prägt  sich  schon  dem  Kin- 
dersimie  ein,  dass  der  Herr  der  Heerscharen  nnaafhOilicli  Scfalaehten 
anordnet;  dass  diese  sozosagen  das  Vehikel  sind;  auf  welchem  die 
VOUcergeachicke  durch  die  Zeiten  fortrollen;  dass  sie  die  EMUnng 
eines  nnansweichliehen  Naturgesetiea  sind  and  von  Zeit  za  Zeit  immer 
kommen  mfkssen,  yrie  IfeeresstOime  nnd  Erdbeben;  dass  wol  Schrecken 
nnd  Greuel  damit  verbunden  sind,  letztere  aber  voll  aufgewogen  wer^ 
4en:  fOr  die  Gesammtheit  dnrdi  die  Wichtigkeit  der  Besultate,  für 
den  Einzehien  durch  den  dabei  zu  erreichenden  Bnhmesglanz,  oder 
doch  durdi  das  Bewusstsein  der  erhabensten  FfiiehterfUIung.  Gibt 
es  denn  eben  schöneren  Tod,  als  den  auf  dem  Felde  der  Ehre  —  eine 
edlere  Unsterblichkeit,  als  die  des  Helden?  Das  alles  geht  klar  und 
einhellig  aus  allen  Lehr-  und  Lesebüchern  „für  den  Schulgebraudi*' 
heryor,  wo  nebst  der  eigentlichen  Geschichte,  die  nur  als  eine 
lange  Kette  von  Kriegsereignissen  dargestellt  wird,  auch  die 
Terschiedenen  Erzählungen  un  l  Gedichte  immer  nur  von  helden- 
müthigen  Waffenthaten  zu  berichten  wissen.  Das  gehört  so  znm 
patriotischen  Erziehungssystem.  Da  aus  jedem  Schüler  ein  Vater- 
landsvertheidiger  herangebildet  werden  soll,  so  muss  doch  schon  des 
Kindes  Begeisterong  für  diese  seine  erste  Bürgerpflicht  «geweiht  wer- 
den. Man  muss  seinen  Geist  abhärten  gegen  den  natürlichen  Abscheu, 
den  die  Schrecken  des  Krieges  hervorrufen  könnten,  indem  man  von 
den  furchtbarsten  Blutbädern  und  Metzeleien,  wie  von  etwas 
Gewöhnlichem,  Nothweiidigem  so  unbefangen  als  möglich 
erzählt,  dabei  nur  allen  Xai  hilruck  auf  die  ideale  Seite  dieses  alten 
Völkerbrauches  legend  —  und  auf  diese  Art  gelingt  es,  ein  kampfes- 
mathiges  und  kriegslustiges  Geschlecht  zu  bilden." 

„Die  Mädchen  —  welche  zwar  nicht  ins  Feld  ziehen  sollen  — 
werden  aus  denselben  Büchern  unterrichtet,  die  auf  die  Soldaten- 
züchtung der  Knaben  angelegt  sind,  und  .so  entsteht  bei  der  weib- 
lichen Jugend  dieselbe  Auffassung,  die  sich  in  Neid,  nicht  mitthun 
zu  dürfen,  und  in  Bewunderung  für  den  Militärstand  auflöst. 
Was  uns  zarten  Jungfräulein,  die  wir  doch  in  allem  Übrigen  zu  Sanft- 
muth  und  Milde  ermahnt  werden,  füi-  Schauderbilder  aus  allen 
Schlachtoi  der  Erde,  von  den  biblischen,  macedonischen  und  pnnischen 


Digitized  by  Google 


—   720  — 


talB  zu  deu  dreißigjährigen  und  napoleunisclien  Kriegen  vorgeführt 
werden,  wie  wir  da  die  Städte  brennen  und  die  P^inwohner  „über  die 
Klinge  springen^  und  die  Besiegten  scliinden  sehen  —  das  ist  ein 
wahres  Vergnügen  ....  Natürlich  wird  durch  diese  Aufhäufung 
und  Wiederholung  der  Greuel  das  Verständnis,  dass  es 
•Greuel  sind,  abgestumpft.  Alles,  was  in  die  Rubrik  Krieg 
gehört,  wird  nicht  mehr  yom  Standpunkte  der  Henaehlich- 
keit  betrachtet  —  und  erbAlt  dne  ganz  besondere,  mystisdi-Usto» 
risch-politisehe  Weihe.  Es  mnss  sein  —  es  ist  die  Quelle  der  höchsten 
Würden  und  Ehren  —  das  sehen  die  Ifädchen  ganz  gut  ein:  haben 
sie  doch  die  kri^Yerherrlichenden  Gedichte  und  Tiraden  auch  aas» 
waldig  leinen  mflssen.  ünd  so  entstehen  die  spartanischen  Mlltter 
und  die  —  Fahnenmtttter  und  die  zahbeichen,  dem  Offldercorps  ge- 

.  spendeten  Cotülonorden  wfthrend  der  Damenwahl."  

Es  liegt  ohne  Frage  eine  tiefe  psychologische  Wahrheit  in  diesen 
Ansf&hnmgen.  Die  Vorwürfe,  welche  hier  erhoben  werden,  treffen 
nicht  etwa  allein  das  Gymnasium  und  die  höhere  Töchterschule,  son- 
dern, wennschon  vielleicht  nicht  in  demselben  ümfSuige  —  auch  die 
Volksschule.  Zwar  hat  die  pädagogische  Theorie  schon  seit  Jahren  die 
Forderang  erhoben:  der  Geschichtsunterricht  berücksichtige  die  Cultur- 
geschichte  in  weitestem  Umfange;  und  wenn  in  Preußen  die  Aller- 
höchste Ordre  vom  1.  Mai  1890  und  die  dieselbe  auslegenden  Mini- 
sterialerlasse  mit  Genugthuung  und  Freude  begrüßt  wurden,  so  war 
es  nicht  darum,  weil  in  ihnen  bahnbrechende  Elemente  vorhanden 
waren,  sondeiTi  weil  man  hoffen  durfte,  dass  durch  diese  amtlichen 
Kundgebungen  die  Aufmerksamkeit  der  Aufsichtsorgane,  der  Schnl- 
rätlie  und  Inspectoren,  die  ja  leider  der  frei  schaffenden  und  vor- 
wärtsstrel)enden  Pädagogik  zu  selten  Gehör  sclienken,  auf  die  in  Rode 
Ftelicnde  wiclitige  Reformfrage  <:,^elenkt  werden  würde.  Ob  sicli  diese 
llotViiung  erfüllen  wird,  muss  die  Zeit  lehren.  Vorläulig  wird  in  der 
Praxis  noch  immer  kaum  etwas  anderes  als  Kriegs-  und  Fürsten- 
geschiclite  gelehrt.  Das  ist  die  Regel  —  lobenswerte  Ausnalimen 
mögen  ja  immerhin  vorkommen  — ,  und  es  wäre  l'horheit,  diese  That- 
sache  zu  verhehlen  oder  den  Blick  von  ihr  wegzuwenden.  Die  Ver- 
antwortung dafür  tragen  die  Lehrer  durcliaus  nicht  allein.  Nicht  nur, 
dass  ihre  eigene  .lugeuderzieliung  sich  in  diesen  liahnen  bewegt  und 
ihnen  die  traditionelle  Auffassung  der  Geschichte  eingeimpft  liat:  auch 
in  den  Seminaren  mag —  bisher  weuiu^stens  —  selten  eine  Allt^.i^sung 
der  Geschichte  von  einem  höheren  Standpunkte  den  jungen  Leuten 
beigebracht  worden  sein;  auch  hier  wird  uicht:^  wesentlich  anderes 


Digitized  by  Google 


—    721  — 


getrieben,  als  Krieg»-  und  FOrstengesohichte,  und  wo  der  Seminar* 
Unterricht  den.Bahmen  des  in  den  Yorbereitangsaiistiilten  —  mOgen 
sie  nnn  Yolksechnle  und  Mparande  oder  Bealscbnle  oder  wie  sonst 
noch  heißen  —  beigebrachten  Geschichtswissens  ftbenchreitety  da 
handelt  es  sich  im  großen  und  ganzen  nm  eine  qnantitatiTe  Erwei* 
terong  des  Stoffes;  das  Princip  des  Unterrichts  bleibt  dasselbe.  Hat 
es  sich  doch  jüngst  ereignet,  dass  bei  einer  Lehrerinnenpi'Qfung  in 
Stettin  eine  Unmenge  Fragen  rdn  militärischer  und  strategischer 
Nator  (z.  B.  Wie  standen  die  lYuppen  bei  Mollwitz?  —  Nach  welcher 
Hinmielsrichtung  sahen  die  Preußen?  —  welche  Tmppentheile  siegten  bei 
Zorndorf?  u.  s.  w.)  an  die  jungen  Mädchen  gerichtet  wurden  —  Fragen, 
über  die  der  Kaiser  geurtheilt  hat,  sie  möchten  vielleicht  in  ein 
Officiersexamen  gehören,  nimmer  aber  in  eine  Lehrerinnen  prüf iing. 
Höchst  charakteristisch  ist  der  Umstand,  dass  gerade  diuch  den  er- 
wähnten kaiserlichen  Erlass,  der  ii.  a.  die  Wichtigkeit  der  vater- 
ländischen Gescliichte  (im  engeren  Sinne)  betont,  diese  Übertreibung 
veranlasst  wurden  ist!  — 

Die  üblichen  Leitfäden  und  Lehrbücher,  die  mit  verschwindenden 
Ausnahmen  in  der  von  B.  von  iSuttner  charaktcrisirten  Weise  ange- 
legt und  ausgearbeitet  sind,  sorgen  dafür,  dass  der  Lehrer,  besonders 
derjenige,  dem  die  umtasseuden  Werke  unserer  classischen  Geschichts- 
schreiber nicht  zu  Gebote  stehen,  sich  beim  besten  Willen  nicht  von 
den  Fesseln  der  Tradition  befreien  kann.  Was  soll  man  dazu  sagen, 
wenn  in  den  für  die  Mittelstufe  bestimmten,  im  übrigen  ausgezeich- 
neten „Geschichtsbildern''  von  Albert  Richter  (Leipzig,  Ricli.  Richter, 
1890),  ein  Werkchen,  in  dem  die  Culturgeschichte  in  einer  ganz 
eigenartigen,  anziehenden  Weise  dargestellt  ist,  der  neuesten 
schichte  (seit  1815)  nnr  4Vt  von  114  Sdten  eingeariomt  werden,  nnd 
dass  der  anf  diesen  Seiten  behanddte  Abschnitt  sich  —  abgesehen 
yon  ein  paar  anf  den  Kaiser  Friedrich  hinweisenden  Zeilen  —  ledig- 
lich mit  dem  Kriege  Ton  1870  nnd  1871  beschäftigt?  —  Wenn  einem 
so  tflchtigen  P&dagogen,  wie  dem  Verfesser  des  Qnellenbnches  für  den 
Oeschichtsnnterricht,  so  ein  FehlgrUf  begegnen  konnte,  was  darf  man 
dann  von  den  nach  alten,  abgegriffenen  Becepten  gemachten  Lehr- 
und  Hüföbttchem  erwarten?  —  Wie  sehr  das  flUiche  Anfnchtssjstem, 
die  sahlreiehen  Revisionen  nnd  SchnlprOfiingen  das  Itppige  Indmtnt- 
schießen  des  Notizenkrams  der  Kriegsgeschichte  begOnstigen,  darauf 
ist  so  oft  hingewiesen  worden,  dass  dn  Verweilen  bei  diesem  Gegen- 
stande überflüssig  erscheint. 

Man  konnte  sich  vorstellen,  dass  es  mOglich  wäre,  alle  Binder- 


Digitized  by  Google 


—   722  — 


nisse,  die  dem  yanflnfltigai  und  gedeililirhen  Betriebe  des  Geschicbts- 
nnterrichts  entgegenstehen,  mit  einem  Schlage  zn  beseitigen:  der  Stoff 
konnte  nach  neuen  Gesichtspunkten  ausgewählt,  die  Lehrbücher  könnten 
verbessert,  der  Schulaufsichtsapparat  könnte  vereinfacht  werden  u.  s.  w. 
Ob  durch  diese  Maßnahmen  eine  Neugestaltung  des  Unterrichtes  in 
unserem  Sinne  herbeigeführt  werden  würde?  —  Schwerlich!  —  Den 
stärksten  Druck  übt  hier  wie  überall  der  Geist  der  Zeit  aus.  Wir 
stehen  eben  in  einer  Periode  grenzenloser  Überschätzung  des 
Militarismus.  Dafür  zeugen  die  unerhörten  Lasten,  die  der  Unter- 
halt der  stehenden  Heere  den  V(ilkein  auferlegt,  Toasten,  die  kaum 
noch  zu  ertragen  sind;  zeugt  die  einseitige  Überschätzung  derer,  welche 
die  Officiersuniform  tragen,  resp.  getragen  haben  —  gilt  doch  der 
Titel  „Reserveofficier"  auch  im  bürgerlichen  Leben  iür  eine  ganz  be- 
sondere Ehre  und  Auszeichnung!  ^^'er  noch  weiterer  Bestätigung  be- 
darf, der  durchwandere  die  Hauptstadt  des  deutschen  Reiches  und 
lenke  seinen  Blick  auf  die  Kunst,  die  ja  immer  den  Geist  einer  Zeit 
am  treuesten  zurückstrahlt:  überall  wird  er  den  Standbildern  von 
Fürsten  und  Kriegern  begegnen,  selten,  sehr  selten  aber  der  Statue 
eines  Geisteshelden,  eines  Künstlers.  Auch  in  der  häuslichen  Er- 
ziehung treibt  der  Militarismns  seine  schönsten  Blüten.  Gibt  es  ein 
beliebteres  S^idseDg  für  Knaltenf  als  Bleisoldaten,  als  SSbel  und  Ge- 
wehr? Und  wtm  dann  der  kldiie  mit  aller  Gewalt  zum  MiUtftr  ge- 
stempelte Mann  seinen  kriegerischen  Math  zunächst  an  harmlosen 
FrOschen,  Kaninehen  und  Katzen  aoslässt»  indem  er  sie  misshandelt» 
bis  sie  unter  seinen  nnbarmherzigen  Streichen  erliegen,  darf  man  ihm 
deshalb  zSmen?  —  Er  hielt  sie  in  seiner  Phantasie  fOr  Fehide,  ftr 
Franzosen!  Er  folgte  nnr  den  gransamen  Instincten  seiner  Zeit;  un- 
möglich dflift  ihr  ihn  allein  f&r  seine  Hoheit  verantworflich  machen!*) 


*)  Die  Hilit&rraigOttcruniB:  hat  besonders  in  Pfeil6en  die  sonderbarste-a  Blüten 
fifetriebcn.  Hält  man  es  doch  in  Preußen  für  eine  cranz  be.^omli  rc  Khre,  Kcserve- 
nfrttitr  zu  sein.  Der  Titel  „Lieutenant  <ler  Reserve"  jiran(,M  ja  mit  besonderem 
tilanze  auf  Visitenkarten  und  in  der  Rubrik  „Familien-Nachrichten"  der  Zeitungen. 
Besonden  schneidige  Gvttbesitsei,  die  einmal  OfAdemmiforai  gingen  haboi,  laMm 
eich  mit  Yoriiebe  von  ihrai  üntefgebenen  „Herr  Lieutenant"  betiteln.  Der  lUrufn- 
officier  nun  ga,T  nimmt  eine  c^anz  exccptionelle  Stellunjr  in  der  Ge^-ellschaft  ein. 
Der  jilng^ste  S'rondelieutenaut  dünkt  sich  durrb  sein  rorte<|)ce  unendlich  erhaben 
über  alles  übrige  Volk.  Diese  grenzenlose  L  bcrhebung  führt  zu  Ausschreitungen, 
die  an  das  Faustiecht  der  ehemaligen  Stranclnritter  eiinnetn.  Geschah  es  doch  — 
um  nnr  ein  Beispiel  anxaftthren  —  im  Frfihling  dieses  Jahres,  daas  ein  Seconde- 
Uentenant  der  Husaren  in  Main?.,  der  Sohn  des  eheniali$;en  preuBischcn  Landwirt- 
sfthafteminiaters  t.  Lucius,  einem  stttdUachen  Foliieibeamtea,  der  eine  Strafanaeige 


Digitized  by  Google 


—  728  — 


Der  Lehrer  befreie  zunächst  sich  selbst  von  der  Heri-schaft  der 
üblichen  Militär-  und  Kriegsverherrlichung-,  vom  politischen  Phi*asen- 
thum;  er  breche  mit  der  traditionellen  Auffassung  der  Geschichte!  — 
Das  Werk  einer  echten  Dichterin,  einer  yon  glühender  Meusciieuliebe 
beseelten  Frau  helfe  uns,  diese  That  zu  vollbringen.  Lernen  wir  von 
ihr  das  weltumfassende  Mitleid,  das  nach  Abschaffung  alles  Elends 
begehrt;  lernen  wir  den  VOlkerhass;  der  in  der  That  noch  beute  einen 
Theil  der  bilrgerliehen  Endehong  bildet«  in  der  eigeueoTBriist  beelegent 
Prägen  yfir  unserem  Qeiste  die  erscbftttemden  Bflder  graosigenKriegs- 
elends  ein,  die  B.  t.  Snttner  mit  genialen  Zügen  oitwiift,  Bilder,  die 
in  ibrer  packenden  Katnrwabrbeit  entBetsUcfaer  sind,  ala  die  aiia- 
eehweifendsto  Pbantasie  sie  zn  malen  TermOchta  Wer  wire  imstande, 
folgende  Scene  —  die  Verftsseiin  bat  dem  Vorgänge  selbst  beige- 
wobnt  —  je  zu  yergesaen:  Am  Aüei-aeelentage  des  Jahres  1866,  als 
Hunderte  and  abennals  Hnnderte  nach  den  böhmischen  Schlacht- 
feldern walUhhren,  nm  den  geliebten  Toten  nahe  an  sein,  enohehit 
ohne  jede  Begleitung  aof  dem  Schlachtfelde  von  Sadowa  Kaiser  Franz 
Josef.  Aach  er  fühlt  das  BedOrfbis,  fBr  die  Oebllenen  zn  beton. 
Lange  steht  er,  „anbedeckten,  gebeugten  .Hauptes,  in  schmerzerfüllter 
Ehrerbietung  vor  der  Mi^estftt  des  Todes"  ....  Welche  Gedanken, 
welche  Empfindungen  mögen  durch  seine  Seele  gehen!  —  Endlich 
bedeckt  er  sein  Gesicht  mit  beiden  Händen,  und,  nicht  mehr  Herr 
seines  Schmerzes,  bricht  er  in  lautes,  heftiges  Weinen  aus  ....  Was 
können  seine  Thränen  bedeuten,  als  ein:  Flach  dem  Kriege! 

„Schon  stehen  wir  an  der  Pforte  einer  nenen  Zeit",  schreibt 
B.  von  Suttner,  „die  Blicke  sind  nach  vorwärts  gerichtet,  alles  drängt 
mächtig  zn  anderer,  zu  höherer  Gestaltung.  Die  Wildheit  mit  ihren 
Götzen  und  ihren  ^\';lffen  —  schon  schleudern  .sie  Viele  von  sich. 
\\'enn  wir  der  Barbarei  mich  noch  näher  sind,  als  die  meisten  glauben, 
so  sind  vir  vielleicht  auch  der  Veredlun«;  nälier,  als  Viele  hoffen. 
Schon  leltt  violleiclit  der  Fürst  oder  der  Staatsmann,  der  die  in  aller 
künftigen  Oeüchichte  als  die  ruhiiireichste,  leuchtendste  der  Thaten 
geltende  That  vollbringen  wird,  der  die  allgemeine  Abrüstung  durch- 
setzt ....  Schon  haben  wir  die  «Schwelle  eines  Zeitalters  betreten, 


gegen  fim  genuMbt,  den  Sftbd  auf  die  Brost  setzte  mit  der  Drolraiig,  Om  „msammen- 

MStechrn",  wenn  er  rtie  Anzeigte  nicht  sofort  als  unrichtig  snrttckneluDeii  würde!  — 
Dieser  Fall  \<t  typisch.  Die  Gesellschaft  hat  kaum  das  Recht,  sich  Uber  dergleichen 
Hobeiteu  besonders  zu  entrüsten;  denn  sie  trägt  durch  ihre  blinde,  kritiklose  Vei- 
gOttening  des  HUitaiismiis  die  Eauptsdnild  an  solchen  Yinftllen.  D.  V. 


Digitized  by  Google 


—   724  — 


wo  die  Monscheit  sich  zur  Menschlichkeit  erhebt»  zur  Edel- 

menschlichkeit"  .... 

Wer  aber  wäre  mehr  berufen,  dieses  Zeitalter  heraufführen  zu 
helfen,  an  dem  Werke  echter  Uumanität  mitzuarbeiten,  als  der 
Lehrer?  — 


Zusatz  TOB  Seiten  der  Bedaetion.  Da  man  ücSi  Uber  die  Lasten 

und  moralischen  Scbftden  des  Hilitarismus  in  der  Regel  damit  tröstet,  dass  er 
wenigstens  ein  fester  Schutz  des  Vaterlandes  sei,  so  gestatten  wir  uns  hier 
ein  Wort  von  John  Locke,  den  hoffentlich  auch  unser  hochweises  Zeitalter 
noch  ein  wenig  respectiren  wird,  den  obigeu  Ausführungen  anzofügen: 

„Wenn  ein  zftgelloses  Leben  erst  das  Gelfihl  fOr  wahre  Ehre  vor- 
scheucht hat,  80  pilegt  die  Tapferkeit  selten  noch  lange  zu  verweilen.  leh 
glanbe  gewiss,  man  wird  koin  Beispiel  einer  Nation  aufweison  können,  so 
berühmt  sie  ihrer  Tapferkeit  wegen  sein  mag,  welche  ihren  kriegerischen 
(h«dit  erhalten  and  sich  ihren  Nachbaiu  furchtbar  gemacht  hätte,  nach- 
dein  daa  Verderben  der  Sitten  nntor  ihnen  efaigeriMen  and  den  Dainm  der 
Ordnnng  und  der  Gesetze  durchbrochen,  nnd  naehdem  das  Laster  dergestalt 
sdn  Haupt  erhoben,  dass  es  ohne  Scheu  sein  Angeateht  unverhfillt  nmher- 
tragen  durfte." 

Und  bezüglich  der  kriegerisciien  Verrohung,  welche  so  häufig  im  welt- 
gesohiehtlichen  Unterrichte  gepflegt  wird,  sagt  derselbe  Welse: 

„Lloft  doch  das  ganze  Gesehwtta,  womit  die  Gesdilchte  uns  bewirtet, 
ftot  auf  nichts  anderes,  als  auf  Fechten  und  Totschlagen  hinaus.  Und 
muRB  nicht  die  Ehre,  die  wir  den  Erriberern  (die  doch  meist  nichts  anderes, 
ails  die  großen  Schlächter  des  Menschengeschlechts  sind)  so  freigebig  aus- 
q>enden,  den  heranwachsenden  Jüngling  auf  dem  falschen  Wege  weiter  fort- 
leiten? Huss  er  nicht  dahin  kommen,  dass  er  Mord  IBr  ein  loboiswfirdiges 
Geschäft  des  Menschen  und  für  die  erste  der  hsioischen  Tugenden  hält? 
Dadurch  wird  unnatürliche  Grausamkeit  m  unsere  Seele  gepflanzt;  und 
was  die  Menschlichkeit  verabscheut,  da.'^s  macht  uns  die  Gewohnheit  niolit 
nur  erträglich,  sondern  sie  empfiehlt  es  uns  dadurch,  da»s  sie  es  uns  auf 
den  Weg  der  Ehie  stelltl" 

Ww  Ohren  hat,  zu  bSrea,  der  hSrel  D. 


1 


Digitized  by  Google 


Meister  und  Jünger  des  Lehrerbemfs. 

Un,  ilngst  feierte  das  Lolirerseminar  zu  Annaberg"  in  Sachsen  das  fünfzig- 
jährige Jubiläum  seines  Bestehens.  Unter  den  bei  dieser  Gelegenheit  gehalte- 
nen Ansprachen  fand  besonders  ein  im  Namen  der  Mberai  Zöglinge  verfimtee 
Begrtttimgflgedicht  von  Herrn  Schiildireefcor  Horits  Eleinert  in  Dreedelk  (m- 
gleich  Bedactenr  der  «Angern,  deutsch.  Lehrerzeitnng")  groBen  Beifall.  Wir 
tlieilen  nns  demselben  naphstehcnd  einige  Strophen  mit,  von  denen  die  drei 
ersten  die  Aufgabe  der  Seminarlehrer  skizziren,  die  übrigen  den  Seminaristen 
dne  Wegleitnng  bieten. 

Und  euch,  wttrd'ge  Männer  alle,  die  ilir  schaflft  am  edlen  Werke, 
Räste  Gott  stets  aus  mit  Weisheit  und  mit  seines  Geistes  Stärke! 
Welch  ein  Amt  und  welche  Schätze  sind  in  eure  Hand  gegeben! 
SoUt  dem  JOngling  Leben  spenden,  dass  er  wieder  wec^e  Leben; 

Sollt  ihn,  wie  ikr  »Icist  der  Pfingsten,  zu  der  Wahrheit  Quelle  leiten, 
Ihm  voran  die  schmalen  Gleise  strenger  äelbstverleugaung  schxeitenf 
Oin  dttteii  emnr  Yeibild  spornen,  lidi  tarn  Sonnenlicht  so  redten, 
Dass  dereinit  aueh  »eine  Schttler  sidi  mit  Kraft  naoh  eben  streisen. 

Wen  ward  gleieher  Sendung  Würde,  wer  soll  hOh'res  Ziel  erreichen? 

Wahrlich,  eures  Amts  Bedeutung  hat  im  Staat  kaum  ihresgleichen! 
Wenn  nicht  der  Begeistrung  Feuer  euch  in  üerz  und  Seele  lohte  — 
Eure  Arbeit  wSr^  Tergeblidi,  wir'  nun  Leben  nicht,  —  sam  Tode. 

Kuu  an  euch,  ihr  jungen  Freunde,  sei  mein  Wort  zuletzt  gerichtet. 
Glaubt  es,  alte  Heizen  fühlen,  was  ein  junges  Herze  dichtet, 
I'nd  wie's  auf  der  Zukunfr  Wfifjpn  wt  (]rr  Stein  noch  Domen  ahnet, 
Wie  s  im  Kausche  jungen  i'riüiliügs  himmelwärts  den  Weg  sich  bahnet. 

Glück  zum  Traume,  (>lück  zum  Leben,  Glück  zum  Streben,  junger  Schwftimer! 
An  Erfahrung  wirst  du  reicher,  doch  an  Hoffnung  wirst  du  Ixmer. 

Nur,  diiss  dir  ein  Lenz  tieflnnen  ewig  grüne,  knosii«',  blühe! 
Nur,  dass  dir  das  heii'ge  Feuer  nie  im  Busen  je  verglühe! 

r';izu  läse'  dich  hier  am  Herde  unscrs  Seminars  entzünden, 
Dazu  magst  du  mit  den  edelsten  der  Freuode  dich  verbünden: 
Daes  die  Sdrakeit  deiner  Jugend  durch  dein  gamses  Leben  lendite, 
Dass  im  Alter  die  Erinnmag  oft  dir  nodi  des  Ange  fencfate. 

Wenn  zv  nnster  einia  mater  du  nach  aber  fUnfsig  Jahren, 

Wo  wir  hingst  im  Grabe  ruhen,  froh  des  Weges  komni-;t  geÜEkhren, 
Um  zu  zollen  dieser  Stätte  deines  Dankes  goidne  Khluze:  — 
Dass  ein  Sdiein  von  ew'ger  Jugend  dir  nodi  von  dem  Ange  gllnsel 


Digitized  by  Google 


Pftdagogisohe  Kimdiseliaa. 

Oniversitäten.  Im  VU.  Jahrgänge  (Märzheft  1885,  S.  394—423) 
brühte  das  „Psedagoginm*  eine  lehr  Intennante  Abhandlnogr  tob  Pratoor 

J.  Schuhmaiin-Rom  über  das  Öffentliche  ünterrichtswesen  in  Italien,  deren 
vierter  Abschnitt  sich  mit  den  Universitäten  der  Apcnninon-Halbinsel  be- 
fasste.  In  der  letzten  Zeit  ist  nun  vielfach  die  Kede  davon  gewesen,  dass 
Italien  zu  viel  Universitäten  habe  und  im  Interesse  einer  sparsameren  Ver- 
waltmig  mehrere  abeehaffen  mfiBse.*)  Etnen  EinbUek  in  die  Gnmdlagen  dieaee 
Verlangens  gewährt  uns  die  von  Dr.  Richard  Kuknla  in  der  Zeitschrift 
„Akademische  Tagesfragen"  veröffentlichte  Weltstatistik  der  Univer- 
sitäten. Sie  stützt  sich  auf  das  Wintersemester  1890/91  und  berück- 
sichtigt uui*  die  matrikulirten  Stadenten.  Wir  entnehmen  ihr  die  auf  Italien 
beafiglidien  Angaben,  indem  wir  zngleleh  die  übrigen  Lftnder,  inbcflendere 
Dentschland,  znm  Vergleiche  bnanzlehen.  Mit  diesen  Angaben  woUe  der  ge- 
ehrte Leser  auch  die  Mittheilungen  vergleichen,  welche  sich  im  Aprilhefte 
(S.  446 — 47)  und  im  Junihefte  (S.  580)  dieses  Jahrganges  vorfinden,  aber 
auf  das  Winterhaltgahr  91/92  sich  beziehen.  — 

ItaUen  hat  von  alten  Undem  die  meiaten  üniTCuittteBy  nlmlieh  21, 
«ihrend  daa  Dentaohe  Bdch,  daa  20  IfüUonen  mehr  Einwdiner  hat,  nur 
20  Universitäten  besitzt  (Außerhalb  dea  Deutschen  Reiche«  gibt  es  noch  8 
[H.  D.  R.]  Universitäten,  auf  denen  in  deutscher  Sprache  gelehrt  wird, 
nämlich:  Wien,  Prag,  Graz,  Innsbruck,  Czernowitz,  Basel,  Zürich**)  nnd 
Dorpat.)  In  Italien  gab  es  in  dem  gedachten  Semester  17  558,  in  Deutsch- 
land 29569  Studenten;  in  Italien  lehrten  1522,  in  Deutschland  2406  Pro- 
fessoren. Das  Verhältnis  der  Lehrer  zu  den  Studenten  war  in  Italien  1  an 
11,5,  in  Deutschland  1  zu  12,3;  das  Verhältnis  d»  r  Studenten  zu  der  ganzen 
Bevölkerung  in  Italien  1  zu  1705,  in  Deutschland  1  zn  1584.  Pas  würen 
keine  allzn  groUen  \'erschiedeuheiten.  Auffalleuder  ist,  dass  in  Deutschland 
auf  einer  Univeraitlt  durehsehnittlieh  1478i  in  Italien  nur  836  Studenten  Bind. 
Daa  ist  die  niedrigste  Ziffer  von  allen  Lündem,  Holland  nnd  die  Schweis  ana- 
genonimen.  wo  nicht  alle  Universitäten  sJlnnnt liehe  Facultäten  be.sitzen.  Im 
einzelnen  wird  der  Unterschied  noch  drastischer.  Die  kleinste  deutsche  Uni- 
versität, Rostock,  zählt  371  Studenten,  dann  kommen  Kiel  mit  489,  QieAen 
mit  549,  Jena  mit  675,  EOnigaberg  mit  682  u.  a.  w.;  DentaeUand  hat  über- 
hnnpt  nur  9  üniTenitftten  mit  weniger  ala  1000  Studenten.  Italien  aber  hat 
solcher  12,  darunter  fSolgende  10  mit  weniger  ala  400 Studenten:  ][odena819, 


•)  ,,Italirn  In  darf  der  ;>tärkung  seiner  wissenschaftlichen  Mittelpunkte,  nicht 
einer  Vemjchrung  dcrsi  lben.'*  Paadagogium  VII,  S.  413. 

**}  Hier  hätte  noch  Bern,  genannt  werden  soUen.  D.  £. 


Digitized  by  Google 


—  727  — 


Messina  310,  Ferraral<n,  Siena  183.  Perugia  178,  Cagliaril57.  Lassari  132, 
Macerata  115,  Caniprino  96  nnd  Urbino  93  Studenten.  Acht  Universitäten, 
also  mehr  als  der  dritte  Theil,  haben  überhaupt  weniger  als  200  Studenten. 
Da  ist  natflrlieb  ueh  te  YwUltalt  der  Stadenten  n  den  Lehrern  ein  un- 
richtiges. Unter  den  deutschen  Universitäten  hat  verhältnismäBIg;  am  metaten 
Lehrer  Kiel,  nämlich  89,  so  dass  dort  5  Studenten  auf  eitifii  T-clirer  kommen. 
In  Knnigsberg-  nnd  Jena  kommen  7,  in  Göttinpon  8,  in  Straüburg  und  in 
Rostock  9,  in  Heidelberg,  Marburg,  üieflen  und  Breslau  10  Studenten  auf 
einen  Lehrer  n.  t.  w.  IMe  gifßte  VcriiiltnjHÜfor  haben  lOnchen  nndWüi» 
barg:  22  zu  1;  dann  koanen  Erlangen  (19:1),  Leipzig  (18:  IX  TftUngea 
(17  :  1  K  Berlin  (U\ :  1)  u.  s.  w.  So  hohe  Ziffern  bat  Italien  äbexbanpt  nicht; 
die  höcliste  hat  Turin  (Ui).  dann  kommen  (lenua  und  Favia  fl3\  Talermo 
und  Neapel  (11),  Padaa  und  Horn  (10),  Ferrara  Pisa  (i),  l'erugia  (6), 
Urbino  (5),  «ndlkli  haben  tat  XaMina,  Cagliari,  Modna,  Laüttl  «nd  Siena  je 
4  Stndenten  die  Ehra,  einen  Prafenor  m  haben,  nnd  in  Camerino  haben  aogar 
schon  3  Studenten  diese  Ehre.  Hier  ist  offenbar  der  wnnde  Punkt,  wo  die 
italienische  IJniversitiitsrelorm,  wenn  es  zu  einer  solchen  kommen  soll,  ansetzen 
moae.  —  Der  erwähnten  Statistik  entnehmen  wir  noch  folgende  Angaben: 
Oetarnkh-Ungam  dLhlt  11  Universitäten  mit  19  669  Studenten  nnd  994 
Lehrern,  England  10  Univenittten  mit  19  264  Studenten  nnd  696  Lehffwn, 
Russland  0  Universitäten  mit  13809  Studenten  und  739  Lehrern^  Spanien 
hat  11,  die  Schweiz  6,  Belgien  und  Holland  je  4  Universitäten.  Die  besuch- 
teste Universität  ist  Paris  mit  9215  Studenten;  sie  ist  dafür  auch  die  einzige 
vollständige  Universität  in  Frankreich.  Dann  kommt  Wien  mit  6220.  Berlin 
mit  6527,  Neapd  4328,  Hflnehen  3661,  Bndapest  3633,  Athen  3600,  Edin- 
borg  3488,  Moekan  3473,  Leipzig  3458,  Madrid  3182  n.  s.  w.  Eine  eigen- 
thümliche  Stellung  nimmt  Prag  ein,  das  zwei  Universitäten  hat,  eine  deutsche 
und  eine  tschechische:  erstere  ist  von  1580,  letztere  von  2361  Studenten  be- 
sucht; die  (iesammtzalii  beträgt  also  3941.  —  Im  allgemeinen  muss  man  mit 
SchltiflMn  ana  der  vergleiehenden  ünivenltftttitatietJk  ▼ortiehtig  da  die 
Organisation  nnd  der  XJmbag  der  ünivereitMen  nicht  ftbanll  gleich  dnd. 


Barlin.  Vom  Dentaehen  Lehr  er*  Verain.  Bechtesebats. ,  Aas 
einem  Bericbte  des  geschiftsfBhrenden  Aasedinseea  dea  Deatscban  Lehrer>Var^ 

eins  über  das  Geschäftsjahr  1891  theilen  wir  Folgendea  mit.  Die  in  dem 
Diesterwegjahre  1890  in  allen  größeren  und  kleineren  Lehrer- Vereinen  ver- 
anstalteten Gedächtnisfeiern  zum  Andenken  des  Vaters  und  Schätzers  der  freien 
Vereine  sind  nicht  ohne  Wirkung  geblieben,  nnd  die  in  allen  Festreden,  Fest- 
artikeln nnd  Festschriften  idederkehrenden,  ehidringlichen  Hahnworte  des  ge- 
feierlMi  Meisters:  „Lebe  im  Ganzen^',  „Schließ  an  ein  Ganzes  Dich  an",  sind 
nicht  erfolglos  verhallt,  denn  die  Erliölmn^  der  Mitf!:liederzahl,  welche  der 
Deutsche  Lehrer-Verein  sowol  durch  das  erfreuliche  W.u  hsthum  der  älteren 
Zweigverbäude  als  auch  durch  Uiuzatritt  einer  ganzen  Aazuiil  neuer  Vereine 
erfahren  liat,  mnss  als  eine  gans  bedentende  beieiehnet  wo^n.  Wihrend 
nach  unserem  Jetaten  Geschäftsberichte  44449  Mitglieder  in  1257  Verbunden 
dem  Vereine  angehörten,  ist  der  gegenwSrtige  Bestand  aof  49  636  Mitglieder 


Digitized  by  Google 


—   728  — 


gestiegen,  so  dass  eine  Zanahme  von  5187  Mitgliedern  stattgefunden  liat*) 
Dieses  Wachstham  ist  am  so  erfrenlicber,  als  man  von  verschiedeneD  Seiten 
gerade  im  Antehlnn  an  die  hervorragendste^  beim  VIEL  Deatsdien  Lehrertage 

veranstaltete,  Dieaterweg-Fslar  bemüht  war,  Zwietracht  in  die  Reihen  der 
Lchrei-schaft  hineinzntragen  nnd  durch  planmäßiges  \'orpehen  die  Zersetznng 
des  Deutschen  T,ehrer-\' ereins  anzustreben.  Wurden  doch  selbst  von  der 
l'ribäne  der  Laudesvertretung  des  grüßten  deutschen  Staates  in  Anknüpfung 
w  die  Dieiterweg  geltende  Festrede  auf  den  Lelirertage  die  inerhSrteiten 
Angriffe  gegen  die  Tendenz  des  Deatschen  Lehrer- Vereins  nnd  gegen  die 
„radicalen  Führer"  desselben  geschleudert,  nnd  schreckte  man  in  einer  ge- 
wissen Presse  doch  selbst  vor  Verdrehungen,  Entstellungen  und  wissentlich 
falschen  Anschuldigungen  nicht  zurück,  um  den  Verein  zu  discreditiren,  wie 
das  in  der  von  einigen  Mitgliedern  des  gesehftftnfllhrenden  Anasehvsses  ver- 
fimten  Sdintuchrift:  „Der  Vm.  Deutsche  Lehrertng  nnd  seine  Gegner"  «ir 
Genüge  gekennzeichnet  worden  ist.  Aber  wie  diese  maßlosen  Ang^riffe  die 
deutsche  Lehrerschaft  nur  noch  mehr  in  dem  GefBhl  ihivr  ensren  Zusammen- 
gehörigkeit bestärken  konnten,  so  vermochten  auch  jene  ungeheueren  Anstren- 
gungen, die  Lehrerschaft  durch  Grfindung  eines  katholischen  Yerbnndes  anoli 
OonÜBSsionen  in  spalten,  dem  Dentsehen  Ldmrvereine  keinen  neanenswerlu 
Abbruch  zu  thun,  denn  gerade  in  den  vorwiegend  katholischen  Landestheilen, 
wie  Westpreußen,  Rheinland,  Westfalen  etc.  ist  seine  Mitgliederzalil  bedeutend 
gewachsen.  Die  Mitglieder  des  Deutschen  l^ehrer- Vereins  jedoch,  welche  sich 
der  im  Dienste  politischer  und  kirchlicher  Parteien  stehenden  Gründung  an- 
schlössen, geb9rten  innerlidi  Itngst  nicht  mehr  nn  denndben  nnd  beflpeiten  den 
Verein  durch  ihren  Anstritt  nnr  vom  einem  unnützen,  die  zielbewusste  Thfttigw 
keit  lähmenden  Ballast.  —  Dass  nun  auch  das  innere  Leben  in  den  Vereinen 
ein  pesnndes,  dass  für  die  Thäti^keit  derselben  nur  treues  und  ernstes  Streben 
nach  den  vorgesteckten  Zielen  maßgebend  wai*,  kann  der  geschäftsfülirende 
Ansschnss  infolge  der  ihm  m  Gebote  stehenden  Infbrmationen  nnd  inlUge 
seines  Verkehrs  mit  den  Vereinen  mit  Genngthnnng  hervorheben.  Der  Ans- 
schnss wurde  von  dem  Herliner  Lehrer- Vereine,  welcher  durch  die  Vertreter- 
Versammlung:  wiederum  zum  Vornrt  bestimmt  war.  p:ew;ihlt,  verstärkte  sich 
durch  Zu  wähl  auf  17  Mitglieder  und  nahm  bald  nach  dem  Lehrertage  seine 
regelmiflige  Thttlgfceit  anf.  Leider  war  der  langjährige,  nm  den  Dentsdien 
Lehrer-Verein  so  hochverdiente  Vmiitiende  Tierich  dnrdi  seinen  Oesnndlieits- 
zustand  gezwungen,  eine  Wiederwahl  zu  diesem  Amte  ablehnen  zu  müssen. 
.\n  seiner  Stelle  wurde  Clausnitzer  srewilhlt.  —  In  Erledis-nng  der  ihm  von 
der  13.  Vertreterversammlung  ji^ewordenen  Aufträge  traf  der  Ausachuss  zu- 
nächst die  nöthigen  Vorbereitungen  zur  Auswahl  der  Verbandethemen  durch 


*)  Neu  haben  sieh  angeschlossen  der  Verein  Cftemnits  mit  .S57  Mitgliedern 

und  einige  Verbände  in  den  Kle.instiUitcn  Deutschlands.  Erheblicher  jedoch  ist  die 
Zunahme  durch  das  Waclisthum  der  Provinzial-Vereine  in  l'reußcn.  Sie  beträfirt 
3898  Mitglieder.  Es  stieg  die  Mitgliederzahl  dieser  Verbände  in  Sachsen  um  W.\ 
auf  :J876,  in  Ostpreußen  um  ö2l>  auf  3020,  in  Pommern  um  450  auf  '21bO,  in  «ier 
Rheinprovinz  um  43H  auf  2816,  in  Schlesien  um  4()U  auf  H0<>0,  in  Brandenliurir  um 
»Ki»  auf  4007,  in  Schleswig-Holstein  und  Haanover  um  je  2(X)  anf  'Ji'ub  resp.  :i26ö, 
in  Westpreußen  um  170  üuf  19,50,  in  Posen  um  1(51  auf  17 IK  und  in  Westfalen 
und  Heüseu  um  Je  lOU  auf  1400  resp.  2000.  —  Anm.  des  Kefcreutta. 


Digitized  by  Google 


—  729  — 


den  Gesainnitvorstand.  Auf  Vorschlag'  des  Aussclmsses  wurden  aus  don  zalil- 
reich  uauiliaft  geuiachteu  Themen  nur  zwei  für  die  Berathongen  in  den  Lehrer- 
Vereinen  ausgewählt,  und  zwar  erklärte  sich  die  Mehrheit  der  G«8ammtvor- 
staadsmitgUeder  1.  iffir  „Die  allgemeioe  Volkatehide  in  Bflekaicht  anf  die 
sociale  Frage"  und  2.  für  die  „Lehrerbildnog".  Wie  in  den  früheren  Jahren, 
so  veröffentlichte  der  Ausschuss  auch  diesmal,  nachdem  er  sich  mit  vorstellen- 
den Fragen  selbst  eing'ehend  bescliilfligt,  die  bekannte  einschlägige  Literatur, 
anch  brachten  die  lieterenten  dt&  Ausschusses  im  Vereinsorgan  längere  orien> 
tirende  Artikel.  Hit  Genngthnong  kSnnen  wir  die  erftenliobe  Thatsaehe  her- 
vorheboit  dass  diese  Themen  in  der  grSfitea  Mehrzahl  der  Vereine  und  \'er- 
bJlnde  zur  gründliclieii  Dnrchberathung  gelangt  sind,  —  Ferner  trat  der  Aus- 
schuss  seint-m  Auftrage  gemäß  mit  der  Versicherungsgesellschatt  I'rovidentia 
in  Verhandlungen  wegen  Verlängerung  des  Feuerversicherungsvertrages  und 
nnterbreitete  den  von  ihm  mit  der  Providentia  vereinbarten  nenen  Vertrag 
den  Gesammtvorstandsmitgliedem,  welche  denselben  einstimmig  genehmigtwi. 
—  Bezüglich  der  auf  der  Vt-rtreterversammlnng  nicht  zur  Erledigung  ge- 
langten Militärfrage  rof^te  der  Ausschuss  die  einzelnen  Landesvercine  zur  Ab- 
sendung  von  Petitionen  an  die  betr.  Minister  um  üewährung  der  Berechtigung 
mm  Einjährig-FreiwUligendieiiete  aa. —  Die  aitf  dem  VIIL  Dentseken  Ldirer- 
tage  veikandelte  Frage  über  die  „Befreiung  deeLdirerB  vom  niederen  Efiater^ 
dlmste'*  gab  dem  Ansschnsse  Veranlassnng,  sich  in  einem  beeonderai  Schreiben 
an  die  Vorstände  der  Zweigverbiinde  des  Deutschen  Lehrervereins  zu  wenden 
nnd  sie  zu  einem  zielbewussten  \  orgehen  in  dieser  Frage  aufzufordern.  —  Die 
Kasse  des  Deutschen  Lehrer» Vereins  hatte  pro  1890  im  ganzen  6091,80  Mk. 
Einnahme.  Davon  wurden  verausgabt:  für  Dmckaachen  296,  55  Mk.,  Fahr- 
kosten für  Delegirte  nach  Berlin  3528,30  Mk.,  Reisekosten  für  Ansschussmit-  • 
g-lieder  ^Ofi.öO  Mk..  Diäten  für  Ausschussmitglieder  beim  Lehrertatre  H78  Mk., 
für  113  Exemplare  der  Pädagogischen  Zeitung  452  Mk.  n.  a.  Im  ganzen  be- 
trug  die  Au^-gabe  5114,01  Mk. 

Die  Inanspmchnahme  des  Reehtsschntaes  steigert  sich  von  Jahr  m  Jahr. 
Während  sich  bis  znm  Jahre  IMS«)  die  Bewilligungen,  wenn  auch  allmfthlidl 
steigend,  doch  immer  mir  in  solcher  Höhe  hielten,  dass  es  möglich  war,  einen 
nothwendigen  IfesiTvetunds  von  älter  3000  Mk.  zu  bilden,  so  .stiegen  dieselben 
18110  auf  ca.  ITuOMk.,  also  fast  zu  der  Höhe  der  Einnahmen,  und  haben  in  den 
ersten  9  Monaten  des  Jahres  1891  bertits  die  Summe  von  2100  Mk.  erreicht 
Die  Ursache  dieser  Steigerang  liegt  darin,  dass  der  Deutsche  Lehrer- Verein 
in  den  letzten  2  Jahren  um  fast  25  Procent  seiner  Mitglieder  gewachsen  ist, 
und  dass  die  Einrichtung-  dfs  Rechtsschutzes  erst  jetzt  vielen  Vereinsmit- 
gliedem  zur  Kenntnis  bezw.  zum  Verstünduis  kommt.  Die  Einrichtung  dos 
Bechtssehntses  hat  steh  in  der  Lehrerschaft  eine  solche  Anerkennung  er- 
worben, dass  anch  andere  Vereine,  wie  der  Badische  Lehrerverein,  nnter  enger 
Anlehnung  an  das  Statut  des  Deutschen  Lehrer-Vereins  eine  derartige  Ein- 
richtung ins  Leben  gerufen  haben.  Es  ist  aber  zu  er\väs:en,  dass  leisten, 
welche  ein  großer  Verein  leicht  trägt,  von  kleinereu  Gemeinschaften  nur  schwer 
getragen  werden  kennen.  So  haben  verschiedene  Zweigverebie  des  Dentschen 
Lehiw-VereinB  grSflere  Summen  ans  der  Bechtsschntakasse  erhalten,  als  sie 
an  BeitiSgen  an  derMlben  geaahlt  haben.  —  Von  den  Fftllen,  in  welchen  der 


Digitized  by  Google 


—   730  — 


Bechtsschutz  des  Deutscbea  Lebrer-VereiAS  iA  letzter  Zeit  eingetretea  ist,  er- 
wähnen wir  fulgende: 

1.  Dm  Landgvrieht  sa  L.  io  Oitpraaflai  Temiliflilte  ciii«i  27  Jaiire 
alten  Lebnr  wegen  Obenehraitimff  des  ZIditigwigireelitet  m  teehs  KonatM 
Gteftognb  nnd  Unfthigkeit  znr  Bekleidung  öffentlicher  Amter  auf  die  Daner 
von  einem  Jahre.  Das  Eeichsgericht  hob  auf  eingeleprte  Revision  das  UrtlieU 
anf  und  verwies  es  an  die  erste  Instanz  zorück  Hier  erfolgte  nun  eine  Ver- 
urtheilnng  zu  60  lüurk  Geldstrafe.  Die  Kosten  mit  402,37  Hark  trag  der 
Beohtsschnts. 

2.  Ein  Lehrer  aus  Schierfan  war  des  Verbrechens  gegen  die  Sittlichkeit, 
begangen  an  Schulmädchen,  angeklagt,  jedoch  freigesprochen  worden.  Die 
Kosten  fielen  der  Staatskasse  zur  Last;  die  iiersönlichen  Auslagen  im  Betrage 
von  74,10  Mark  musste  der  Lehrer  ti-ageu.  Dieselben  wurden  ihm  von  dor 
Bechtssehotskaase  «netat 

3.  Eine  Arbeiterfran  wurde  von  einem  Lehrer  in  Pommern  wag«n  Be» 
leidignng  im  Amte  verklag-t  und  zu  20  Mark  nobst  den  dem  Kläger  erwach- 
senen Kosten  verurtheilt.  Die  \'erurtheilte  war  aber  besitzlos  und  die  Exe- 
cution  laut  Attest  des  Gerichtsvollziehers  fruchtlos.  Diese  Kosten  im  Betiage 
von  12,95  Kark  worden  dem  Lefarar  aas  der  Beditsselitttakassa  «netsL 

4.  Wegen  Beschimpftiog  eines  Erwaehsenen  anf  der  Strafle  nnd  wegen 
fteeher  Beden  sfichtigte  ein  Lehrer  in  Schlesien  einen  Knaben  mit  einer  Ohr- 
feige und  einigen  Stockhieben,  Die  Eltern  des  Knaben  behaupteten  nun,  der 
Knahe  sei  von  der  Ohrfeige  schwerhörig  geworden,  und  es  fand  sich  in  der 
That  ein  Arzt,  der  dies  bescheinigte.  Da  aber  die  Annahme  begründet  er- 
schien, dass  der  Knabe  nnr  simnlire,  nnd  der  Ant  das  Attest  nadi  gaas  ober- 

'  flftcblicher  Untersuchung  ausgestellt  habe,  begab  sich  der  Lehrer  nnter  fremdem 
Namen  zu  demselben  Arzt,  gab  vor,  dass  er  infol^^e  einer  am  Tag-e  vorher  er- 
haltenen Ohrfeige  scliwerlKirifr  f^eworden  sei  und  bat  um  ein  entsiuet  lieiides 
Attest.  Dies  wurde  ihm  nach  ganz  oberfläclüicher  Untersuchung  sofurt  aus- 
gestellt; anAerdem  eiliielt  er  noch  awei  Medikamente,  eins  snm  Einspritaen 
in  das  vumeintüch  kranke  Olir,  dnes  snr  j^BemhigUDg*'.  Als  der  Lehrer,  nm 
zu  beweisen,  welchen  Wert  ein  Attest  von  diesem  Arzte  habe,  dasselbe  dem 
Gerichtshofe  vorlegte,  beantragte  selbst  der  Staatsanwalt,  der  die  Anklage 
wegen  Körperverletzung  erhoben  hatte,  die  Freisprechung,  die  aucli  erfolgte. 
Dieser  Fall  lehrt»  welcher  Wert  nnter  Umständen  dnem  Sntliclien  Atteste 
beianlegen  ist. 

5.  Ein  Lehrer  in  Schleswig-Holstein  wurde  von  einem  Vater  wegen  aa- 
geblicher  Misshandlung  seines  Kindrs  verkhiirt,  I>ie  Kegierung  lehnte  den 
Compotenzcontlict  vorläufig  ab,  um  zunäciist  das  Ergebnis  der  Verhandlung 
in  der  ersten  Listanz  abzuwarten.  Der  Veiklagte  wurde  freigesprochen.  Da 
der  Ellger  aber  mit  Armntsattest  geklagt  hatte,  konnte  der  Lehrer  von  ilim 
Eraata  seiner  Ansingen  nioht  erlangen.  Diese  ersetate  ihm  die  Bechts- 
sehntakasse. 


Von  der  Weichsel.  Andrang  zum  Lelirerbemfe.  Kesultatc  der 
zweiten  Prüfungen.  Petition  zur  Einführung  des  Litauischen  als 
Sehnlspraehe. 

Der  Andrang  mm  Lehrerberafe  in  der  Provinz  WestprenBen  ist  jetzt 


Digitized  by  Google 


—   731  — 


«rlMiUteli  idiwldier  als  aaüuigs  der  acbtslger  Jahre.  So  eneliifliMii  ni  den 
Anfiiahinepriifaiigen  an  den  sechs  Seminaren  1881:  358  and  1882:  324  jonge 

Leute.  Damals  war  die  Zahl  der  zum  Eintritt  ins  Seminar  reif  befniidenen 
Präparanden  so  groß,  dass  nicht  alle  Bestandenen  Anfnalimc  finden  konnten; 
1881  worden  10  Procent  und  1882  sogar  18  Proceut  derselben  zurück- 
gewiesen. In  den  ünlgenden  Jahren  Teningerte  sich  die  Zahl  der  Prttpa- 
raaden  stetig,  so  dass  hald  nur  der  jedesnalige  Bedarf  gedeckt  worde.  Im 
Jahre  1888  dagegen  reichte  die  Zahl  der  Lebraratsaspiranten  nicht  mehr  aus; 
etwa  80  mnssten  den  Seminaren  aus  anderen  Provinzen  zugewiesen  werden. 
Durch  diese  Abnahme  des  Andranges  zum  Lehrerberufe  sah  sich  die  Schul- 
hehSrde  Teranlaast,  swei  neue  königliche  Präparanden- Anstalten,  zu  Schwetz  and 
sn  Dent8ch-&one^  an  den  bereits  Torhandenoi  awei  dnmrlditen.  Dadurch  ei^ 
scheint  der  Bedarf  an  Schnlamtspräparanden  für  die  Seminare  zurZeit  gedAert. 
Im  Jahre  1891  haben  die  vier  staatlichen  Präparanden-Anstalten  dnnsi  Ihm  zusam- 
men 97  jnnge  Leute  zugeführt.  Zu  den  Aufnahmeprüfungen  bei  den  Semi- 
naren fanden  sich  232  privatim  vorgebildete  Präparanden  ein  und  von  diesen 
worden  127  anfjsenommen.  Es  sind  also  im  ganien  224  jange  Lente  im 
Jahre  1891  nen  in  die  Seminare  getreten,  welche  sich  auf  sechs  Hauptcnrse  and 
einen  Nebencursus  (zn  Marienbnrg)  vertheilen.  Dass  di  ' Vorbildung  derjenigen 
Aspiranten,  welche  keine  Präparanden  -  Anstalt  besucht  haben,  gegenwärtig  zu 
wünschen  übrig  lässt,  ersieht  man  daraas,  dass  von  den  232  Präparanden  nur 
127  oder  55  Proeent  «iftiahmiMiig  waren  nnd  in  Grandau  von  25  nur  0, 
in  Berent  von  17  nnr  6,  in  Kariebnrg  von  27  nur  12  nnd  in  LSban  von 
30  nur  14  bestanden.  —  Bei  den  .Xufnahmeprüfungen  an  den  4  kSnigUchen 
Präparanden-Anstalten  trat  im  Jahre  1890  ein  Mangel  an  genügend  vor- 
gebildeten Präparanden  zutage.  Im  Jahre  1891  konnte  der  Bedarf  gerade 
gedeckt  werden.  Im  ganzen  stellten  sich  zur  Aufnahme  159  junge  Leute  und 
von  diesen  liatten  101  die  erforderlichen  Kenntnisse. 

Die  zweite  Lehrerprüfung  machten  in  Westpreußen  1891  im  i^anzoi 
194  Lehrer  gegen  219  im  Jahre  zuvor.  Von  ihnen  bestanden  144  und  er- 
langten das  Recht  zur  definitiven  Anstellung,  außerdem  wurden  sieben  Lehrern  die 
Lehrbefähigang  für  Uuterclassen  von  Mittel-  und  höheren  Töchterschulen  zu- 
erkannt. 1890  Helen  bei  der  sweiten  Lehrerprilfling  26  Proeent  der  geprüften 
Lehrer  dnrch,  1891  dagegen  25  Frocent.  Demnach  Irnben  sich  die  Ergeb- 
nisse der  zweiten  Prüfung  etwas  gebessert,  stehen  aber  noch  immer  znrttck 
hinter  denen  der  letzten  Jahre ;  denn  es  bestanden  1890=  73,97  Procent,  1889 
=  75,74  Procent,  1888  =  82,63  Procent,  1887  =  77,77  Procent,  1886 
=5  79,09  Frocent  nnd  1885  =  80,9  Procent  —  Die  Besnltate  der  zweiten 
Prttftangm  an  den  Icatholiscben  Seminaren  sind  erheblich  nngllnstiger  als  an 
den  evangelischen;  denn  bei  den  3  evangelisrlim  Seminaren  bestanden  von  98 
Lehrern  81  oder  82,6  Procent  und  bei  den  3  katholischen  von  96  Lehrern 
nur  63  oder  65,6  Procent.  Der  Unterschied  beträgt  also  17  Procent.  Diese 
Erscheinung  tritt  übrigens  schon  länger,  seit  1885  zutage,  wie  folgende  Über- 
sicht neigt.   Es  bestanden: 

A.  An  tlcu  evangelischen  .Seminaren:      B.  .\n  den  katholischen  Seminaren: 

1885  von  115  Lehrern  95  =  82,70  «     von  105  Lehrern  83=  79,10  »»/o. 

1886  „   117       ^    103  =  88,03  „;  „   103      „     71  =  68,90  « 


Digitized  by  Google 


—   732  — 


1887 

von 

107 

Lebrem  94 

— 

87,85  7o; 

von 

100  Lehiern 

67  = 

67,00  % 

1888 

R 

110 

n  96 

87,27  „  ; 
82,85  ,  ; 

n 

108  „ 

80= 

1889 

t) 

105 

n  87 

II 

97  „ 

66  = 

67,83  , 

1890 

n 

137 

n  110 

80,29  „  ; 

1) 

82  ^ 

52  = 

63,41  , 

1891 

» 

98 

n  81 

82,60  „  ; 

1* 

96  , 

63  = 

65,60  . 

Eanm  waren  die  den  Polen  seitens  des  frfiheren  Cnltusministers  gemachten 
Zugeständnisse  bf'ziiglich  Anwendung  der  polnischen  Pjjrache  im  Unterricht 
bekannt  geworden,  als  auch  von  heißspornischen  Litauern  recht  eifrig  die  Werbe- 
trommel gerührt  wurde  zor  Sammlung  von  Unterschriiten  für  eine  Petition,  die 
ffir  die  Litauer  nicht  nur  dM  den  Polen  Zogestandene,  aonden  noch  bedeutend 
mehr  Tcrlnngt.  Dfe  Petition  ist  snstande  gekommen  nnd  hat  gegen  20000 
Untersdiriften  gefunden.  Sollte  es  nach  den  Wünschen  der  Petition  gehen, 
80  würde  in  Ostpreußen  nicht  nur  das  mit  Mühe  Wurzel  fassende  Dentsch- 
thum  aus  den  ganz  litauischen,  sondern  auch  das  Deutsche  aus  den  gemischt- 
sprachigen Gegenden  verschwinden.  Freilich  ist  zwischen  Wnnsoh  nnd  Er^ 
fUllnng  eine  weite  Klnlt,  nnd  es  ist  wol  Innm  zn  erwarten,  dass  irgend  eine 
prenBilche  ünterrichtsverwaltung  sich  dazu  hov^ben  wird,  das  Litauische  in 
dem  gewünschten  Umfanp:  in  den  Volksschulen  zu  gestatten  und  so  die  in  allen 
Kreisen  erfreulicli  fortschreitende  Verdeutschung  anfznheben.  Die  Litauer  ver- 
langen nicht  nur  den  bereits  geätatteten  Eeligiousuutcrricht  in  der  Mutter- 
sprache, sondern  anch  Utanisohen  Unterricht  in  sftnuntlidien  Fächern,  nnd  rar 
Bemäntelung  ihrer  kaum  zu  begrttndaiden  Forderung  swar  auch  deutschen 
Unterricht,  doch  so,  dass  beispielsweise  die  deutschen  Lesestücke  in  litauischer 
Sprache  erklärt  werden,  d.  h.  mit  anderen  Worten:  Auch  die  in  der  Schule 
befindlichen  deutschen  Kinder  soUen  litauisch  lernen  und  litauisch  werden. 
Wer  sind  denn  nun  die  Leute,  die  so  die  Wiedereinffihrung  des  Litauischen 
erstreben?  Eltern,  die  ihre  Ehider  cur  Schule  schicken?  Nur  zum  Ideinen 
Theil.  In  der  Regel  sind  es  solche  Leute,  die  keine  Kinder  haben  oder  deren 
Kinder  bereits  der  Schule  entwachsen  sind.  Die  Litauer  wissen  sehr  wol  den 
^Vert  der  deutsclien  Bildung  für  ihre  Kinder  zn  würdigen.  Wolhalieudo  Li- 
tauer in  großer  Zahl  schicken  Sühne  und  Töchter  auf  höhere  städtische  Schulen 
und  dann  die  ersteren  auf  Universitäten,  wo  das  Litauische  Ton  Amts  wegen 
nirgends  gelehrt  wird.  Dass  solche  Leute  ihre  Uuttei-sprache  nicht  liebeUi 
soll  damit  nicht  gesagt  werden.  Im  Gegentheil,  gerade  diese  einflussrcichen 
Litauer  sind,  wenn  ihre  Kinder  erst  der  Schule  entwachsen  sind,  die  eifrigsten 
Verfechter  des  Litauerthums.  Und  so  begegnet  man  auch  unter  den  Unter- 
schriften der  Petition  nicht  wenigen  Namen ,  deren  Trflger  erst  eifrige  Ver- 
fechte des  Litauischen  als  Schulsprache  geworden  sind,  nachdem  Ihre  Kinder 
bereits  der  Schule  entwachsen  waren.  Andere  der  Petenten  würden,  wenn 
sie  den  wirklichen  Zweck  der  l'etition  in  seiner  ganzen  Tragweite  kennen 
mSchten,  sich  wol  hüicn,  unter  ein  solches  Schriftstück,  das  aufs  neue  von 
der  Großmauussucht  der  Litauer  Zeugnis  ablegt,  iliren  Namen  zu  setzen. 


XI.  Congress  für  erziehliche  Knabt  nhandarbeit  zu  Frank- 
furt a.  i[.  Nach  einer  Bf  pri  üßungssitznng  am  Abt  ud  des  10.  Juni  fand  am 
11.  Juni  zunächst  eine  Versammlung  der  Werkstiittlehrer  und  -Leiter  und  eine 
Sitzung  des  Gesammtausschusses  statt,  worauf  Herr  v.  Schenkendorff-Görlitz, 


Digitized  by  Google 


—  788  — 


da  der  1.  Vorsitzende  A.  Laramers-Bremen  erkrankt  ist,  die  6.  Hanptver- 
Bammlang  des  Dentschen  Vereins  für  erzieliliclH'  Knabenhandarbeit  eröffnete. 
Das  Wort  nimmt  alsdsuin  Herr  Dr.  Götze -Leipzig,  der  Direktor  der  Lehrer- 
liildiiiigflaiMtaH  dM  Vereins,  ni  seinem  Vortrag^e:  „Soll  die  Ensbenhudarbeit 
vornehmlich  in  den  Dienst  der  Erziehung,  oder  des  Sehnhmttrriehtes  gestellt 
werden?"  Die  Freunde  der  Handarbeit,  so  führt  Dr.  Götze  ans,  spalten  sich 
in  zwei  Richtungen.  Die  einen  verlangen  einen  Unterricht,  der  einen  selbsttsän- 
digen,  dorch  die  technischen  Schwierigkeiten  bestimmten  methodischen  Gang 
sialiitt;  der  Emptvertnür  dlsMr  Igt  Lslmr  Oroppler-Bolin.  Dte  andetoi 
wcillai  einen  Ünterrielkt,  der  Im  engsten  Zosammenheng  mit  den  übrigen  Fldiem, 
besonders  mit  Banmlehre  nnd  Zeichnen  ertheilt  wird.  Dieser  Standpunkt  wird 
nenerdings  mit  besonderem  Geschick  von  Schul inspector  Sehe rer- Worms  ver- 
treten. Redner  hat  auf  Grund  seiner  praktischen  Erfahrung  die  Überzeugung 
gewonnen,  daas  sich  beide  Anschannngen  gegenseitig  ergänzen  und  korrigiren 
nnd  danim  sn  ▼erblnden  sind.  Kein  theotetiseh  betnditet  liat  der  SchnlliMid- 
arbeitwmterricht  vieles  für  sich,  er  entspricht  vOllig  den  psychologischen  Ge- 
setzen und  will  thatsächlich  das  Wissen  in  Können  fiberftthren,  die  Begriffe 
verkörpern.  Allein,  solange  der  Schüler  nicht  die  Elemente  der  Technik  be- 
herrscht, ist  er  undurchführbar.  Deshalb  mnss  der  Gang  der  Handarbeit  durch 
die  Tecbnik  nnd  nidit  dnreh  den  üntenrieiit  bestimmt  werden,  die  Gegenstlnde 
aber  mOgen  dem  Unterricht  entnommen  werden.  Doch  ist  andi  hierbei  nicht 
zu  vei^essen,  dass  das  Wertvolle  nicht  das  Produkt  der  Arbeit,  sondern  die 
daranf  verwandte  Thätigkeit  ist.  So  wird  die  Durchführung  des  Schulhand- 
arbeitsunterrichts erst  durch  den  reinen  Arbeitsunterricht  ermöglicht  und  wir 
entgehen  der  bd  der  S<dittlerwerkstatt  naheliegenden  Gefahr,  in  technisdie 
Einseitigkeiten  nnd  handwerksm&Uges  Thun  zu  verfkllen.  —  An  den  Vortrag 
kntlpfte  sich  eine  ziemlich  lange  Debatte,  die  an  dem  großen  Fehler  litt,  dass 
sie  sieh  in  Sachen  verlor,  die  mit  dem  Vortrag  gar  nichts  zn  thnn  liab^n  Ich 
hebe  daraus  nur  hervor,  dass  Groppler  seine  volle  tlbereinstiinimm^^  mit  dem 
Bedner  feststellte  und  Scherer  ausführlichere  Mittheilungen  über  seine  Versuche 
in  den  Wormser  Sdralen  machte,  die  anf  den  theoretlsehen  Darlegnngen  des 
Prof.  Humpa- Darmstadt  bemhen  nnd  keine  besonderen  VITerkstätten  erfordern. 
Nach  Scherers  Überzeugung  lassen  sie  schon  jetzt  auf  gute  Erfolge  lioffen. 
Scherer  versteht  auch  nicht,  dass  der  Verein  sich  mit  der  Forderung  eines  wahl- 
freien UnterrichtB  begnügt,  da  er  dem  Unterrichte  eine  so  groAe  Bedeutung 
beilegt,  und  meint,  der  Sdiwerpnnkt  der  Bewegung  mOsse  sieh  auf  die  Gestal- 
tong  des  Lehrlingswesens  riditen.  Fdgendw  Sats,  Tom  Stadtschnlrath 
Pfundtner-Breslau  beantrag^,  wird  mit  einem  Znsatz  von  Groppler  ange- 
nommen: „Die  Knabenhandarbeit  soll  in  erster  Linie  in  den  Dienst  der  allge- 
meinen Erziehung,  aber  auch  in  den  Dienst  der  Schule  gestellt  werden.  Für 
die  gegenwärtige  Entwickelnng  der  Sache  ist  die  Thfttigkeit  der  Schülerwerk- 
stitten  neben  der  Sehnte  nothwendig;  jeder  Versach  aber,  den  Arbeitsontenrlcht 
bereits  jetzt  mit  der  Schule  zu  verbinden,  ist  mit  Freude  zu  begrüßen."  — 
Den  zweiten  Vortras^  hielt  vStadtschulrath  Dr.  Rohmeder-München:  „Wer 
soll  den  erziehlichen  Handarbeitsunterricht  leiten,  der  Handwerksmeister  oder 
der  Lehrer?  Bedner  fasste  seine  Ausführungen  in  folgenden  Sätzen  zusammen: 
„Der  Untenleht  in  der  Enabeohandarbeit  verfolgt  vor  allem  erziehliche  Zwecke, 
obgleich  die  Ergebnisse  desselben  mittelbar  dem  praktischen  Leben  zugute 

FMaacosiaa.  u.  Mtos»  HUI  ZI.  51 


Digitized  by  Google 


—   734  — 


kommen.  System  und  Methode  diewfl  TTnten-ichts  müssen  deslialb  nach  päda- 
gogischen Oceichtepiuikteii  anegebildet  werden.  Dum  wird  die  Handarbeit  sa 

eioem  wertvollen,  zeitgemäßen  Erziehaogsmittel  der  Schale  werden.  Hierana 
ergiVit  si(']i,  dass  die  unmittelbare  lieituiig-  deH  Handarbeitsunterrichts  dem 
berufsmäßigen  Erzieher,  d,  i.  dtm  Lehrer,  zukommt.  Die  unterstützende  und 
berathende  Mitwirkang  der  Vertreter  des  Gewerbes  —  je  nach  den  besonderen 
aitUdun  Verhftltainen  und  BedHrfiiiiBBen  —  wird  seitena  der  Schule  dankbar 
begrftBt"  Dieee  Sttae  wurden  en  bloc  angenommen.  —  Aas  dem  Eaasenbericht 
des  Schatzmeisters  Dir.  Nögg  erat  Ii -Hirschberg  ergab  sich  die  Nothwenidgkeit, 
die  ^litf^liederbeitrU^e  etwas  zu  erhöhen,  da  ein  kleiner  Fehlbetrag  entetanden 
ist.   Gegen  2  ühr  wurde  der  \'erein8tag  geschlossen. 

Deröffentliche  Congress,  derdieweiterenKreisefdrdie  Vereüubesü-ebungen 
erwärmen  eoll,  wnrde  am  12.  Joni  nm  11  Uhr  dorch  einen  HSnnerehor  eingdeitet 
nnd  dnrch  v.  Schenkendorff  mit  einem  Berichte  über  die  Fffirtschritte  der 
Bewe^un?  in  den  beiden  letzten  Jaliren  eröffnet.  Nach  einer  wahrscheinlich 
unvollkouinienen  Statistik  bestehen  im  deutschen  Reiche  208  Srhülerwerkstätten; 
davon  entfallen  aaf  Preußen  143,  auf  Sachsen  53,  auf  Bayern  15,  aut  Sachsen- 
Weimar  9,  anf  Württemberg,  Bremen  nnd  Elsan-Lothringen  je  6. .  Im  Namen 
flirer  Schidbehörden  begrüßen  den  Congress:  Geh.  Reg.  Rath  Brandi-Berlin, 
Oberschulrath  Wallraff-Karlsrube,  Geh.  Oberschulrath  Greim -Darmstadt 
(„Wo  die  Fahne  des  Fortschritts  entrollt  wird,  da  werden  wir  Hessen  nicht 
zurückbleiben"),  Reg.  u.  Schulrath  Dr.  Schlemmer -Straßburg.  Vom  Auslände 
waren  officiell  vertreten  die  Erziehuugsdirektion  Basel-Stadt,  das  Luxemburgische 
nnd  das  Belgische  Ministerium.  Herr  Schenkendorff  legte  dann  in  einem 
mit  großem  Beifalle  aufgenommenen  Vortrat:  „i'her  die  sociale  Frage  und  die 
Erziehung  zur  Arbeit  in  .Tus:end  und  Volk"  die  idin  llcn  Ziel»'  der  Handfertig- 
keitsbewegung und  ihre  Berechtigung  dar.  Die  Gediieiitnisrede  auf  Comenius 
musste  ausfallen,  da  der  Redner  R.  Riss  mann  leider  durch  Krankheit  zu 
erseheinen  verhindert  war.  Der  Name  des  Redners  hatte  gerade  aahlreiche 
Lehrer  herbeigeaogen.  Schlnss  gegen  1  Uhr. 

Mit  dem  Congress  war  eine  sehr  umfangreiche  Ausstellung  von  Schüler- 
arbeiten verbunden.  Sind  auch  die  einzelnen  Arbeiten  von  ungleichem  Werte, 
weil  das  Alter  der  Schüler  zwischen  10  und  17  Jahren  und  ihre  Betheiliguug 
an  der  Arbeit  swftKhen  1  und  5  Jahren  schwankt,  so  sind  es  doch  ohne  Aus- 
nahme durchaus  anerkennenswerte  Leistungen,  einzelne  Anstalten  haben 
geradecu  hervoiragende  Arbeiten  autgestellt. 

Aus  Bayern.  Das  IX.  Heft  des  „B.edagogium'*  ist  mir  sehr  verspätet,  erst 
vor  einigen  Tagen  zugekommen,  ich  mosste  dasselbe  reclamiren.  Dort  findet 
sich  auf  Seite  591 — 693  eine  Correspondenn  „Aus  Bayern'*,  die  zu  einer  ein- 
gehenden Erwiderung  nnd  Richtigstellung  verschiedener  Mittheilnnffen  nnd  Be- 
flexionen  geradezu  herausfordert.  Wollte  ich  die  eingreifenden  Fragen  zusammen- 
fassen und  sie  etwa  unter  dem  gemeinsamen  Thema  „Schule,  Lehrerstand  und 
Lehrerauf  besser  ung  in  der  bayrischen  Abgeordnetenkammer"  so  behandeln,  dass 
auch  Niöhtbajem  eine  lilare  Binslcht  erschlossen  werde,  so  wBrde  hieraus  ein 
ftofldieher  Anftots  werden,  wozu  mir  augenblicklich  die  nBthige  Zeit  nicht  snr 
YerfVgung  steht,  weshalb  ich  mich  auf  einige  Bemerkinigren  beschränke. 

Die  pttdagogische  Jonmalistik  Itat  bislang  das  Trincip,  ohne  es  förmlich 


Digitized  by  Google 


—   736  — 


verkündet  und  iliren  Vertretern  zur  Pfliclit  gemacht  zu  haben,  sogenannte 
Stimmungs-  und  Umschauberichte  aus  dem  Gesichtspunkte  allseitiger  Würdigung 
«Uer  eiiitehlägigen  VeriiiltiiiHe  henuu  entstdien  m.  lanm,  hocligtlialtai  und 
«ich  hierdarch  you  der  oft  tendenziösen  Mache  der  politiiehSD  Prase  whr 
vortheilhaft  ausgezeichnet  Wenn  bayrisclie  Lehrer  den  angezogenen  Coir^ 
spondenzartikel  im  „Pa-dagogium  *  vururtheilslos  lesen  —  und  das  thua  sie  — , 
80  wird  jeder  sagen,  dass  die  Mittheilongea  auf  S.  592  Abs.  3  nicht  mehr 
aacUieh  gegeben  «Isd.  Warm  dem  BaichtentaUer  des  «Pädagogium*'  die 
VerhUtaiaae  dee  Bayriadieii  VoDnaehnUehrenrereina  and  die  Veigaoge  in  der 
bayrischen  Abgeordnetenkammer  bekannt,  dann  konnte  er  nicht  so  schreiben, 
wie  hier  zu  lesen  ist;  waren  ihm  die  Dinge  unbekannt,  dann  sollte  er  über- 
haupt über  die  fragliclie  Sache  nicht  schreiben,  und  die  Leser  des  „Paedagogium" 
wären  nicht  zu  kurz  gekommen,  wenn  er  die  Feder  nicht  eingetaucht  hätte. 
Nachdem  letiterea  aber  gaadiehen  and  der  Fadaraehiiabel  bia  anf  den  Onmd 
.des  Tintenfasses  gestossen  worden  ist,  so  gebietet  schon  die  Rücksichtnahme 
auf  den  Bayrischen  Lehrerverein,  dessen  Vorstand  zu  sein  ich  die  Ehre  habe, 
dann  aber  auch  diejenige  auf  meine  Freunde  in  deutschen  Landen,  des  Corre- 
spondenten  Artikel  an  jeuer  Stelle,  die  sicli  mit  dem  genannten  Vereine,  der 
„Bayriaehen  Xjehreneitiuiflr''  und  meiiier  Peraon  befiust,  zn  berichtigeii. 

Das  „Pssdagogiam**  iat  nicht  der  Ort,  wo  über  innere  VerhSltniase  des 
Ba3rri8chen  Volksschullehrervereins  von  mir,  dem  Vorstande  dieses  Vereins, 
gesprochen  werden  könnte,  Nnr  so  viel  sei  bemerkt,  dass  unser  Verein,  wie 
wol  alle  Lelirerverciue,  sich  mit  Politik  nicht  befasst;  sein  2Siel  ist:  Förderung 
des  Volkschnlwesena  und  Kräftigung  des  Lehrerstandee.  Unter  dieser  Fahne 
konnten  und  haben  sich  nahezn  alle  Lehrer  Bayerns  zusammengesohart.  Wie 
wir  keines  unserer  Mitglieder  nach  seiner  Confession  fragen,  so  auch  nicht  nadl 
seinem  politischen  Cilaubensbekenntnissc.  Die  Folge  ist  die,  dass  in  anserm 
Vereine  Männer  der  verschiedenen  Confessiouen  und  der  verschiedensten  poli- 
tischen Bichtungen  anzutreffen  sind.  Es  ist  wol  eine  ausgemachte  Sache,  dass 
■der  Vorstand  eines  solchen  Vereins  in  allen  jenen  Handlungen,  wo  er  als 
aolebar  auftritt  und  betrachtet  wird,  auf  dieee  Verhältnisse  Rücksicht  zn 
nehmen  und  sich  hilnfig  da  Reserve  aufzuerlegen  hat,  wo  jedes  andere  Vereina> 
.mitglied  seiner  Meimni^^  gemäss  „frisch  von  der  Leber"  sprechen  kann. 

Den  „Vorstand  des  Bayrischen  Lehrervereins"  konnte  ich  auch  als  Ab- 
geordneter des  bayrischen  Landtags  nicht  zn  Hanse  lassen,  sorgten  doch  die 
poUtiaohen  Gagnar  dafür,  dass  mehr  der  erstere  als  letsterer  in  den  nm* 
fangrdchen  Schuldebatten  des  jüngsten  bayrischen  Landtages  aufgerufen  wurde. 
Mit  mir  werden,  was  ohne  Übertreibung  gesagt  werden  darf,  viele  tausende 
von  bayrischen  Amtsbrüdern  und  viele  politische  Freunde  und  Feiude  gefühlt 
haben,  wie  schwierig  meine  Stellung  in  der  bayrischen  Abgeordnetenkammer 
war.  Davon  und  daaa  die  ülbtunontaaMi  im  bayriachen  Landtage  die  If^Jo- 
rität  bilden,  scheint  der  Conespondent  des  „Psedagogiam"  kein  VorsteUnn|r 
und  keine  Kenntnis  gehabt  zu  haben,  als  er  Folgendes  schiieb:  „Der  Abgeord- 
nete Schubert  aber  hat  nach  meinem  Glauben  nicht  die  glänzendste  Rolle 
gespielt;  er  Iiielt  ein  paar  schönstilisirte  Reden  und  befolgte  im  Übrigen 
die  Taktik  onierer  Kammerliberalen:  Das  Centmm  durch  keine  Prindpienfrage 
na  reisen  — 'so  trefflich,  daiM  er  scUleaalich  aelbat  mit  In  die  Venirliheilttng 
der  Lehreneitong,  dea  Vereinaorgaaa,  einstimmte,  indem  er  sich  so  oft.  nnd 

61» 

Digitized  by  Google 


—   786  — 


nicht  stets  erforderlicherweise  zum  Worte  meldete.**  Den  letzen  Theil  dieses 
Satzes  verstehe  ich  nicht;  im  übrigen  hndet  die  Erwartung  Aoadmck,  dass  ich  das 
„Centnun*  Uttto  „zetaBn"  MiUflB.  FBr  Hiehi  der  Mi  dag  «il«Bal  einer  p«r- 
lameiitarlaeheii  HStpmtdtait  angthnrte,  lag  keine  NdtUgnng  vor,  den  politi- 
schen Gegner  zn  «refnen".  Als  dieser  aber  aaf  dem  Plane  erschien  nnd  das 
Gefecht  eröffnete,  war  ich  anch  da  nnd  vertheidigt«  Schale,  Lehrerstand  nnd 
den  Bayerischen  Schnllelirer verein.  Nicht  um  zu  „reizen",  ergriflF  ich  „so  oft" 
das  Wort,  sondern  Angriffe  abzuweisen  und  AnfklAnmg  zu  verbreiten.  Die 
Art  nnd  Weite,  wie  das  gesoiiali,  war  swar  nieht  nacb  dem  Geedmaoke  den 
Correspondenten  des  „Psedagogintn",  wird  aber  von  dem  vomrtheilsloe  Prü- 
fenden als  der  Ansflnss  der  Erwägung  unserer  Vereins-  nnd  anderer  Verhält- 
nisse erkannt  und  gewürdigt.  Die  Behauptung,  dass  ich  „schließlich  mit  in  die 
Verortheilong  der  Lebrerzeitnng,  des  Vereinsoigans,  eingestimmt"  habe,  ist 
eine  starke  Unverfrorenbett  In  efaien  nieittbajriaol»en  pädagogischen  Blatte 
Wflfde  Idi  nienals  Vereinaangelegenheiten,  am  allerwenigsten  tieflw  liegende» 
analysiren.  Der  Correspondent  würde  von  seinem  „Glanben"  nicht  bekehrt, 
auch  wenn  der  Kedakteur  unseres  Vereinsoigans  hier  Zeugnis  ablegen  würde. 
Die  mit  der  nächstjährigen  Hauptversanmünng  verbundene  Delegirten Ver- 
sammlung des  bayrischen  Lehrervereins  ist  der  Ort,  wo  ttber  alle  Vereins- 
angelegenheiten  melir  gesproeheo,  als  hier  geadurieben  werden  kann.  Dort 
•m  erscheinen  zur  Rede  nnd  Gegenrede,  möchte  ich  heute  schon  den  Gorre- 
spondenten  des  „Psedagogium"  einladen.  Dann  wird  er  möglicherweise  auch 
einsehen  lernen,  dass  der  ,,.\bgeordnete  Schubert"  weder  ,,de-  noch  wehmüthig" 
war,  wenn  er  nicht  alle  Presserzengnisse  in  Sache  der  Lehreraufbessemng 
In  Sehvta  nahm.  Ein  Vereinavorstand  wird  aber,  wenn  jeder,  «neli  der 
albernste  Zeitnagaartikel  dem  ganzen  Vereine  anfgemntzt  werden  will,  berechtigt 
sein,  den  Verein  gegen  solches  Unterfangen  frei  zu  halten.  Würde  der  „Glaube" 
des  Correspondenten  sicli  mit  der  Ansicht  des  ganzen  bayrischen  Lehrer- 
vereius  decken,  dann  wäre  dem  Vorstände  die  nächste  Aufgabe  gezeigt;  da 
Jedoeh  In  genuintem  Vereine  die  Aniidift  die  berrsidiende  ist,  daaa  die  Prin- 
eipien  deiaelben  dnreh  die  AbgeordnetentfaBUgkait  deaVontandee  lieht  Terletnt 
worden  sind,  wird  letzterer  auf  dem  Wege  beharren,  den  er  fftr  Schale  vnd 
Lehrer  als  gut  befunden  hat.  Sollte  der  mehrfach  angezogene  Artikel  zu  dem 
Zwecke  veröffentlicht  worden  sein,  micli  dem  deutschen  Lehrerstande  als  finste- 
ren Eeactionär  anzuzeigen,  so  muss  ich  meine  Zufriedenheit  in  meiner  anver^ 
Inderten  Überzengnng  soeben  nnd  finden  nnd  mieh  damit  triteten,  daaa  ea  m- 
mOglich  ist,  ee  allen  Leuten  recht  zu  machen.  Für  meinen  Gegner  Im  „Faeda- 
gogium"  empfinde  ich  den  aufrichtigen  W'nnsch,  dass  er  znr  Zeit  der  Schul- 
debatten nur  einen  Tag  meine  Stellung  in  der  bayrischen  Abgeordneten- 
kammer  eingenommen  haben  möchte. 

SehUeSHdi  mSgoi  die  Leaer  des  „Paedagogiom*  mir  traandlieb  TenellMB, 
daaa  die  Erwiderung  langer  geworden  lit,  als  beabaiditigt  war,  nnd  daaa  ick 
zn  Tlel  in  der  ersten  Person  gesprochen  habe.  Das  klingt  freilich  nicht  schön, 
allein  es  g-ibt  Fülle,  wo  beides,  die  Länge  und  das  „Ich",  nicht  vermieden 
werden  kann;  ein  sulcher  Fall  liegt  in  dem  IX.  Heft  des  „Peedagoginm"  vor. 
Angsburg,  4.  Juli  1892.  J.  B.  Schubert 

P.  8.  Daaa  .elBa  Ansah!  baTfiadiflr  SOIdte  beaehkaa,  dem  Lebrer  in 
darSehnlcommiaaifla  nickt  nnr  eine  betnthende,  aondem  anck  «ine  beaehUeSende 


Digitized  by  Google 


—    737  — 


Stimme  ztumg^estehen",  ist  auf  VeranlasBimg  des  baiyriflchaii  Staatmioistarinms 
des  Innern  für  Kirclien-  und  Schulanpelegenheiten  geschehen  nnd  kann  als 
Erfolg  de«  fiaaptoaäftdiasäes  des  bayrischen  Lehrervoraiiia  bezeichnet  werdea. 


Aafrnf.  Anfang  SeptealMr  «.  e.  tagt  in  BarÜB  die  Vit  Konfareas 
fttr  das  liiotanwataB.  —  loh  MMichtige,  Ua  dahin  aioe  Statirtüc  «hör 

die  in  DartMhland,  der  Schweiz  nnd  Österreich  bestehenden  Schnlen  fSr 
ach  wachsinnige,  schwachbeßlhigte  Elinder  (Hilfsschnlen,  Hilfisklassen,  Nach- 
hilfsklassen) aufzostellen.  Die  werten  Collegen,  welche  an  solchen  Schnlen 
arbeiten,  bitte  ich,  mir  das  Material  fttr  diese  Statistik  gütigst  zokommen  za 
laaMB.  —  NaaenÜldi  koamt  aa  aof  Baantwortnof  Mgwdar  Fragw  an:  SMt 
wann  besteht  die  betr.  Einrichtung  nnd  nnter  welchem  Naman?  Wie  viel 
Klassen?  Wie  viel  Lehrer?  Oberleitung?  Erhalten  die  betr.  Lehrer  persönliche 
Zulage  und  in  welcher  Höhe?  ünterrichtslocal  (ob  in  eigenem  Gebilude)? 
UnterrichtsfSU^er  und  wöchentliche  Standenzahl  derselben?  Anzahl  der  Schüler? 
Aaah  BlMibuiige,  EpUeptische,  VerwabrUato?  Ist  eine  Anstalt  in  der  NUia 
der  Stadt?  Wohin  kommen  die  ganz  BISdainnigen,  die  epileptischen  Kinder 
der  Stadt,  des  Bezirkes?  In  welchan  Stftdten  wird  die  Erriohtang  einer  Büb- 
schale  geplant?  u.  s.  w.  u.  s.  w. 

Je  ansföhrlicher  die  Mittheilnngen,  welche  ich  mir  bis  zum  20.  Angost 
erbitte^  sind,  bb  io  aweckentsprechender  können  sie  varwertet  werden.  Die 
Statistik  wird  yoo  mir  in  dar  „Zeitschrift  für  dieBehaadlnng  Schwaehstnaigear 
and  Epileptischer"  (Dresden)  veröffentlicht  werden. 

Die  pädagogische  Presse  wird  im  Interesse  der  Sache  am  Abdrnek  diesea 
Aofrufes  höflichst  gebeten. 

Gera,  Renß  j.  L.,  den  30./6.  1892.  M.  Weniger, 

Afnea^.  46.  Lehrer  fttr  adhwaehsliiBiga  Kinder. 


Fortschritte  in  Bosnien  und  der  Herzegowina.  Kaiser  Franz 
Josef  hat  an  Herrn  von  Kailay  zur  zehnten  Jahreswende  seiner  Betrauung  mit 
der  obersten  Leitung  der  bosnisch^herzegowinischen  Angele^nheiten  am  4.  Juni 
«inTeiesfaflni  ahgesendet,  in  wdehaaft  die  AMriunniiog  Ulr  dsMSD  isluyährigea 
Wirken  ansgaspraclien  wird.  Es  dfirftcn  —  iai  drninhliss  ktataa  —  für  die 
Entwickelang  von  Bosnien  nnd  der  Herzegowina  in  dieser  Epoche  folgende 
aiffermäßige  Angaben  sprechen:  Die  Bevölkerung  der  occupirten  Provinzen 
liat  sich  seit  dem  Jahre  1S8Ö  durchschnittlich  um  1,09%  im  Jahre  und  im 
ganzen  am  102  OSö  Personen  vermehrt  Diese  Thätsache  zeigt,  wie  wenig 
iva  den  aeitweise  anftaaehendan  Mddaagen  Über  eine  llasssDasswaadeniBir 
ans  Bosnien  und  der  Herzegowina  zu  halten  ist.  Im  Jahre  1882  bestanden 
42  Schulen  mit  3844  Schülern,  im  Jahre  1892  137  Schulen  mit  11273 
Schülern,  zu  we  lchen  noch  87  confessionelle  Schulen  mit  6100  Schülern  und 
4  Privatschaieu  mit  187  Schülern  hinzukommen.  Überdies  worden  in  diesem 
Zeitraana  erriehtet;  ein  Ohargynrnsalam  ait  251  Sditlem,  9  Handelssohnlen 
mit  436  Schülern  nnd  eine  teohaische  Mittelsebnle  mit  56  Schfllem.  Mit  diesen 
halbamtlichen  Mittheilaosen  vetglslehe  man  den  OrigtaaUMriebt  io^  „Pwdag.'* 
(Mi&rzheft  d.  J.). 


Digitized  by  Google 


—   788  — 


Aus  Bulgarien.  In  dem  vidaagefochtenen  Bnlcrarien  macht  lieh  ein 
erfrenlicher  Aufschwung  im  Schulwesen  bemerkbar,  wie  dies  ans  einer  vor 
kurzer  Zeit  veröffentlichten  Statistik  des  Untcrriclitsministerinms  ersichtlich  ist. 
Im  letzten  Scbo^ahre  1890/91  zählte  Bulgai  ieu  im  ganzen  4193  Scholen  gegen 
8844  in  dem  Jahn  1888/89.  Untdr  diesen  Sehnlen  aind  2747  Indgatiaehe, 
1327  türfciaehe»  46  grieohiBohe,  89  iaraditiMdie,  11  armenische,  11  kaihoUadie, 
11  protestantische  und  1  rumänische.  Diese  Anstalten  wurden  besacht  von 
269  314  Schülern  gegen  172183  im  Jahre  1888/89;  davon  fallen  196  779 
Schüler  auf  die  bulgarischen,  61  510  auf  die  türkischen,  4681  auf  die  griechi- 
schen, 2924  auf  die  jüdischen,  1378  auf  die  kAthollaehen,  628  die  amenischenr 
266  anf  die  proteetantiaehai  nnd  86  anf  die  nnnftniaehe&  Sehnlen. 


Ans  der  Fnehprease. 

562.  Der  Begriff  des  Gemüthes  (zur  Prcisbewerbung,  Deutsche 
Schnlpr.  1892,  15).  „Keine  andere  Sprache  der  Welt  hat  ein  Wort,  mit  dem 
sie  allea  das  aamdrücken  vennag,  was  die  deutsche  Sprache  unter  Oemfith 
versteht  oder  verstanden  hat."  —  Das  Wesentliche  aus  der  Geschiqhte  des 
Wortes.  „Wir  verstehen  jetzt  unter  Gemüth  vorzugsweise  die  Gesammtheit 
der  einzelnen  Seelenatimmungen."  —  Der  BegrilT  bei  Phil(»ophen  und  Psycho- 
logen. (Kant:  Glelehietzung  desOemflliiM  mit  der  Seele;  ähnlich  Hegel,  FiBhte. 
Bei  ScheUing  nnd  den  Katnrphiloeephen:  Gemflith  =  Quelle  nnd  Wnnel  alle» 
Geisteslebens,  das  eigentlich  Menschliche  im  Menschen.  In  der  Herbart'schen 
Schule  untergeordnete  Rolle  [Hauptrolle  dem  Vorstellen  zugetheilt]:  „die  Seele 
ist  Gemüth,  sofern  sie  fühlt  und  begehrt."  Ed.  v.  Hartmann:  Gemüth  —  der 
unbewuBSte  Grund  des  Gefühls,  der  ihm  die  Stetigkeit  verbürgt.)  —  Nach  dem 
Pqrchiatriker  L.  Wille  (Basel)  aind  die  Bedin8;nng;en  fflr  die  Entwiddnng  de* 
Gemfitbs:  ein  empfindungafthiger  Organirau»  —  Art  nnd  Weise  seiner  Reao- 
tionen  und  Reize  (angeborene,  wnl  auch  anererbte  Elemente  des  Gemiiths)  — 
PIntstehung  von  Gefühlen  und  Vorstellungen  —  deren  Haften  innerhalb  des 
Bewusstseins  und  fortwährende  Bewegung  infolge  äui^erer  und  innerer  Reize 
—  Erregung  zahlreicher  nnd  mannigfiiltigerNervencentren  anf  Grand  der  leh- 
haften  GeAhlsTorgftnge.  Wesen:  G.  nnr  eine  weitne  Itetwicklnngsfiinn  p^- 
chischer,  von  organischen  Vorgängen  abhängiger  Elementarerscheinungen 
(vSpencer)  —  G.  die  Art  und  Weise,  in  der  unser  Bewnsstsein  in  Bezog  auf 
Beinen  Inhalt  an  Gefühlen  und  Vorstellungen  auf  Reize  zurückwirkt.  „Dieses 
Gemfith  ist  es,  das  als  Grundlage  des  individuellen  Seelenlebens,  wie  der  Volks» 
Seele  —  sei's  im  engen  Rahmen  des  hilnsUchen  nnd  FamilienlebenB,  sei'b  im 
öffentlichen  und  staatlichen  Leben  —  in  Konat  nnd  Poesie  wie  in  Religion 
und  Politik  die  edelsten  Früchte  treibt,  aber  aneh  za  den  erschüttemdstMi 
Ereignissen  drängt." 

563.  Kranke  Kinder  (Ed.  S.,  Schule  und  Haus*;  1892,  V).  Ein  „zeit- 
gemftßee**,  nnd  von  der  Echtheit  des  «Sehnlniannea^,  der  es  ansspricht,  sen- 
gendes Wort:  ,,Eb  kann  nicht  oft  nnd  eindringlich  genng  gepredigt  werden, 
dass  die  körperliche  Erziehung  der  Kinder  die  Sorge  der  Eltern  in  erster  Reihe 
in  Anspruch  nehmen  moss,  and  dass  die  BüclLsicht  auf  das  körperliche  Wol 


♦)  Einzelheft  40  Pfg. 


Digitized  by  Google 


—   730  — 


der  Kinder  hüher  steht  als  die  KückBicht  aaf  deren  geistige  Entwicklung. 
Denn  was  in  Hinsicht  auf  die  gedeihliche  leibllehe  Horanliildiiiig  des  Kindes 
«nterlaiaeii  wird,  ist  spftter  «neiiiliriBgUch,  rad  ein  kranker  Hensdi  ist  ein 

unglücklicher  Mensch,  er  mag  anWissen  nnd  Gelehrsamkeit  alle  in  den  Schatten 
stellen.  Etwaige  Mängel  in  der  geistigen  Ansbüdong  der  Kinder  aber  lassen 
sich  später  fast  immer  ausgleichen." 

5Ü4.  BeurtheiluDg  und  Behandlung  symptomatischer  Fehler 
oder  Unarten  (0.  A.  Kretachmar,  Cornelia*)  1892,  II).  ErUSrnng:  Fehler 
oder  Unarten,  die  sehr  verschiedene  moralische  Ursachen  hahen  kSnnen,  daher 
jeder  einzelne  Fall  auf  seine  Ursache  hin  untersucht  und  nur  mit  besonderer 
Vorsicht  bestraft  werden  muss.  —  Erörtert  werden  Diebstahl.  Unaufmerksam- 
keit, Neignng  zu  Neckereien,  Streitsucht,  Unbändigkeit,  Widersetzlichkeit. 
Falaehe  Bevrtbeilung  nnd  Behiuidliing  hanptsäcfalieh  deshalb,  wen  man  beim 
Kinde  dieselbe  «gleichsdUHfo  noralisehe*  Einsteht  Tonnittetst,  wie  sie  der 
sittlich  gebildete  Erwachsene  hat.  —  Gute  Winke  fSr  das  erzieherische  Ein- 
schreiten in  Diebstahlsfilllen  und  bei  Neck-,  Streit-,  Lärmlust. 

565.  Begründung  der  sechs  psychologischen  Stufen  des  Unter- 
richts (AUg.  deutsche  Lehrerz.  1892,  4**).  Die  sechs  (von  den  beliannten 
Znier'sehen  nieht  nnwesenflieh  abweiehcnden)  Stnfen:  L  Betbitigvng  der  Sinne 
a)  ohne,  b)  mit  Hilfe  des  Lehrers  f. selbstständiges  Sehen,  HOren,  8|irechen, 
Hantiren  der  Kinder" ;  erst  wenn  sie  nichts  mehr  vorzubringen  wissen,  „macht 
der  Lehrer  nach  einem  gewissen  Plane  noch  auf  das  aufmerksam,  was  den 
ungeübten  Sinnen  entging").  IL  Ordnen  des  Stoffes  zur  Vorstellung  i,„der 
Lelirer  ttbemimmt  die  FUhmng  nnd  stellt  eine  Reihe  Kernfragen  naeh  he- 
stinunten  Gesichtspunkten").  III.  Sicherung  des  gewonnenen  Stoffes  dnrch 
zusammenhängende  Wiedergabe  und  Begründung  desselben.  IV.  Verknüpfung 
mit  Ahnlichem  f.,das  Kind  hat  nun  eine  klare  Vorstellung  des  neuen  Gegen- 
standes''). V.  Ableitung  des  Begriffes,  des  Gesetzes  oder  Grundgedankens. 
VL  Yerwertnog  des  Gegenstandes  im  mensehUehen  Leben,-  nnd  iwar  in  Bezug 
anf  Nntaen  oder  Schaden,  anf  Poesie,  Sittlichkeit,  Beligion.  —  Begrttndnnir 
einfach  und  sicher. 

566,  Über  Stil  im  Unterricht  und  Leben  (K.  Wehrmann,  Zeitschr. 
f.  d.  deutsch.  Unt.  1892,  I).  Man  soll  fremden  Stil  nicht  nachahmen.  Immer 
erwerbe  man  sich  guten  Ausdruck  in  der  Muttersprache,  am  besten  durch 
«Übung  im  freien  Oebraneh  derselbeD,  ohne  Nachstreben  naeh  irgend  einem 
Vorbild  bei  innigster  Vertiefung  in  den  Stoff  mit  ernstestem  Streben  nach 
Klarheit  und  Ordnung  der  Gedanken."  Den  Lehrern  wird  empfohlen:  ,,öfters 
Prosa  auswendig  lernen  zu  laR.«!en,  oft  freie  Sprechübungen  vorzunehmen,  bild- 
lichen Redensarten  und  Kede Wendungen  nachzugehen."  —  Wesentliche  sprach- 
liehe  FSrdemiig  durch  das  Interesse  fürs  SifentUche  Leben:  es  erregt  den 
Wnnsdiy  sich  mündlich  nnd  schriftlich  gewandt  anadrücken  m  künnen,  nnd 
damit  ein  allgemeineres  nnd  stärkeres  Interesse  an  der  Hnttersprache.  So  bei 


*)  Einzelheft  60  Pig.  —  Wir  empfehlen  tücr  noch  aus  lieft  1  und  U  der 
Oondia:  Zwei  Briefe  an  Uhland  Ton  winer  Mutter  —  Eraestiae  Voss  —  Ein  Tage- 

bnch  ttber  das  Kind  —  Kindt-rfracrcn. 

**)  Einer  Arbeit  des  iSeminariaäpectors  Küuigbauer  im  Jahresbericht  der  bair. 
LehreibildungsaBstalt  an  Laaingen  (für  1890/1)  mtnommea.  Audi  im  Bep.  d.  Pid. 
1809,  Vit  abgedroefct 


Digilized  by  Google 


—   740  — 


den  Franzosen  und  naoientlich  bei  den  Engländern,  in  deren  politischen  Ver- 
sammlongen  „ganz  einfache  Männer  ohne  Vorbereitung  im  ZoBammenhang  Über 
Tagdfragen  mit  der  grMten  Rabe  und  ßkMM^k  ipnahflii,  taSeiit  gewandt 
and  klag  fai  Debattiren  elad  and  jede  SchwSche  des  Oegnen  aofnt  entdecken". 

Anch  in  Dentschland  werde  „die  Sicherheit  nnd  Fertigkeit  des  mündlichen  and 
schriftlichen  Änsdrnckes  mit  d»  m  Rosteigeiten  Intereüe  am  öffentlichen  Leben 
(das  hier  noch  za  jung  ist)  zuneltnien.'' 

567.  Der  Altmeister  Diesterweg  im  Liebte  der  Beformbe- 
strebangen  aaf  dem  Gebiete  dee  Unteiriehte  und  der  Grdehang  ia  dar 
Gegenwart  (F.  Bartels,  Rhein.  Blätter  1892,  I— III).  Verf.  sucht  mittelst 
Citaten  nachzuweisen,  dass  der  deutsche  Kaiser  Wilhelm  II.  als  „Schul- 
reformator'*  („unser  thatkrilfti^er  Kaiser,  der  in  Wahrheit  ein  Pädagoge 
unter  den  Fürsten  and  ein  Fürst  unter  den  Pädagogen  der  Gegenwart 
lat")  nnd  Adolf  Diesterweg  gans  dasselbe  wollen!  Aas  Dlesterwef 
»webt  derselbe  Geist»  der  liente  vom  erhabenen  Throne  des  Ealsus  in  die 
stillen  Bäume  der  Volksschule  und  der  höheren  Schale  hineingetragen  wird.'' 
Mit  den  Worten:  „Ich  bin  entschlossen,  neue  Bahnen  zu  betreten"  will  Wil- 
helm II.  nichts  anderes  sagen,  als  dass  er  „die  Bahnen  wieder  wandeln  will, 
die  unser  Altmeister  Diesterweg  der  deutschen  Schule  als  Prophet  nnd  Seher 
gewiesen  hat"  Der  Erlass  des  Kaisers  tob  1.  Ifai  1891  ist  ^gaas  im  Siane 
Diesterwegs"  verfasst.  Beide  „Pädagogen'*  raHm  die  Sdinle  „zum  Kampfe 
gegen  die  socialistist hon  Utoii"  auf.  Kurz:  Diesterweg  und  Wilhelm  II. 
sind  infolge  innigster  Seelenverwandtschaft  Gesinnnngs-  und 
Bundesgenossen  —  und  durum:  „Heute  am  Ende  des  Jahrhunderts 
ist  die  Zeit  der  Beactioa  ▼orttber*  — ! 

568.  „Der  rechte  Lehrer  (A.  Dodel,  Schweis,  pid.  Zeitschr.  1892,  II: 
„Die  Volks.schule  und  die  Pflanzenwelt")  ist  vor  allem  ein  rechter  Mensch; 
er  ist  t  ili  wissender,  ein  ästhetisch  betrachtender  Weltbürger;  er  ist  ein  Freund 
der  Natur,  ein  hirkenneuder  ihrer  Gesetze  und  Erscheinungen;  er  weiß  die 
Baaptresaltate  aller  Diadplinen  in  einen  natürlichen  Zuaammenhang  an  setzen 
nnd  steht  dem  Wdtganaen  nicht  mehr  wie  ein  Unwissend«  oder  wie  ein  Kind 
als  einem  absoluten  Geheimnis  gegenüber.  Aus  dem  Schatze  seines  Wissens 
fließt  die  Erkenntnis  in  hundert  Kinderseelen,  und  seine  Art  des  Betrachtens 
der  äußeren  Welt  pflanzt  sich  in  die  Herzen  seiner  Schüler  unvermerkt  uud 
uncontrolirbar,  aber  glücklich  machend  uud  befähigend,  im  Genuss  der  W'abr- 
heit  nnd  Schönheit  an  wachsen,  nach  wean  der  SohlUer  die  vier  Wftnde  der 
Scbalstabe  für  inuner  veilassen  hat^ 


Digitized  by  Google 


Recensionen. 


SftMmllUlg  (löschen,  Heft  16:  Griechische  Alterthamskunde  von  Dr. 
Maisch.     Heft  17:   Anfsatzentwürfe  von  Dr.  Straub.  Stattgart, 

.  Göschen.  Preis  des  Bündchens  in  elegantem  Leinwandband  80  Pf. 

Die  beiden  Bändchen  verdienen  es,  dass  wir  die  Aufmerksamkeit  mnertr 
Leser  auf  sie  hinlenken.  Nur  wer  den  Stoff  vollständig  bchcrr'rht,  vermncr  so 
zu  schreiben,  wie  die  beiden  Autoren.  Maisch  behandelt  seinen  geschickt  aus- 
gewählten Moff  so  klar»  dui  «•  ein  Vergnügen  ist  ihn  zu  leiwi,  selbst  fttr 
den,  dem  er  nichts  Neues  zu  sai^en  hat.  Als  Einfiihruno;  in  die  fTriechiscbe 
Alterthumskunde  mochte  cswol  der  beste  Leitladen  sein,  den  wir  derzeit  haben, 
ja  es  ist  auch  das  ente  Bächlein,  das  die  neuesten  Ausgrabungen  in  Tiryna 
und  die  erst  vor  kurzem  entdeckte  Schrift  des  Aristoteles  „ttber  das  Staats- 
w^n  der  Athener",  die  eine  von  der  bisher  üblichen  so  verschiedene  Auf« 
fassung  der  Athenischen  Verfassungspe^ihichte  gibt,  für  den  Unterricht  ver- 
wertet.— Scbttlertubliotlieken  sei  aaoh  das  andern  Heftchen  bestens  empfohlen. 
Bin  80  Mnflflilendler  SdiriflitdleT  wie  Stnrab  entwickelt  in  eigenartiger  Weise 
die  ausgewählten  Themen,  die  ?irh  etwa  für  eine  Sccunda  oder  Prima  als 
AafsatsUbungen  eignen.  Das  sind  nicht  Themen,  deren  Titel  schon  sasl,  wie 
sie  in  beaibeiten  aind,  toidflni  Fingen,  die  snm  Kaehdeakti,  mm  Ufthdl 
innigen.  — r. 

Dr.  Gurl  Spitz,  Lehrbach  der  Stereometrie  mit  350  Übungsaufgaben  für 
höhere  Lehranstalten  und  zum  Selbststudium.  201  S.  114  Fig^.  im  Text. 
6.  verb.  Auflage.  Hierzu  ein  Anhang  der  Resultate  der  Aufgaben  and  An- 
deutungen zu  deren  Lösung.    Leipzig,  Winter.    3  M.  80  Pf. 

Die  erste  Auflage  dieses  Buches  Ist  schon  vor  mehr  als  30  Jahien  erschienen, 
und  srither  war  der  Verfasser  fortwährend  bemüht  durch  Verbesserungen  desselben 
dem  Fortschritte  der  Wissenschaft  Eechnung  zu  trafen.  Es  wurde  das  Prism&toid 
Ton  Wittitein  und  die  Definition  der  Ähnlichkeit  nadi  Oergonni  nea  inf- 
genommen ;  dann  wurden  gewssc  ParaQfraphe,  welche  ohne  den  Zusammenhang 
des  (tanzen  zu  stüren  auch  wegbleiben  können,  mit  Kennzeichen  veisehen,  end- 
lich die  Aufgaben  in  der  Richtung  verbessert,  dus  DraekMüiv  Tenmieden  und 
die  Ergebnisse  möglichst  abgerundet  wurden. 

Der  grössere  Theil  des  Buches  wird  eingenommen  von  den  Erörterungen 
über  die  Lage  gerader  Linien  und  Ebenen  im  Räume,  von  den  Lehrsätzen  über 
•  die  körpexücfae  Bcke  und  von  der  Beschreibung  der  geometrischen  Köiperi  der 
Ueinere  Theil,  etwa  swd  Fünftel  desselben,  entmilt  sodann  «nf  die  Berech- 
nungen von  Oberflächen  und  Rauminhalt.  Wol  mit  Rücksicht  auf  die 
Bestimmung  des  Baches  fttr  das  Seibetstudium  ist  besonders  der  erste  Theil  etwas 
weitlinfig  gehalten.  LefffsitBe  wie:  „Zwei  Kdle  Teriudten  sieh  wie  ihn 
Neigungswinkel";  oder  jene  von  der  Gn'iße  der  Sehnenkreise  der  Potenzliaien 
der  Kugeln  mit  ihren  sehr  ausftlhrlichen  Beweisen  erscheinen  beinahe  als  nn- 
nltthig.  Dagegen  hilMtt  wir  den  Sati  Aber  die  Batfemang  und  den  Winkel 


Digitized  by  Google 


—   742  — 


sich  kxeuzendex  Geradeo  im  Lebitexte  vorgeblicli  gesucht,  und  eist  unter  den 
Aufgaben  eine  etwas  sehwerlUligeLOsiuig  gefiinden;  wünead  doch  diese  Dinge, 

welche  zu  den  Grundvorstellungen  über  räumliche  Gebilde  gehören,  in  neueren 
Lehrbüchern  sonst  eine  «ehr  einfache  und  fassliche  Lösung  erfahren.  Auch  der 
Lehrsatz  des  Cavalieri  Teidiente  eine  allgemdnere  Fassang  und  Anwendung. 
Dan  die  Übun£rsaiifp:al>rn  in  hinreichender  Menge  vorhanden  sind,  ergibt  sich 
schon  aus  deren  oben  angeführter  Anzahl;  es  ist  aber  außerdem  noch  zu  sagen, 
dass  ifie  mit  Sorgfalt  aufgestellt  nnd  geordnet  lind.  Besonders  hat  uns  gefallen 
die  Übertracrung  der  BerUhrung^problcmp  auf  räumlirhe  Gebilde  and  die  Be- 
rechnung des  lubaltes  von  Tetraedern  aus  deren  Kanten. 

Um  das  Buch  völlig  zu  kennaeiehnen,  fügen  wir  hinzu^  dass  es  allen  An- 
forderungen fpfsjuicht ,  welche  man  an  einen  Lehrbchelt  zum  Zwecke  des 
Öclbstätudiums  stellen  kanu,  da&s  es  uns  dagegen  scheint,  es  werde  beim  Schul- 
gebrauche der  Lehrer  häufig  in  die  Lage  kommen,  auf  verschiedene  umfang- 
reiche und  nebensächliche  Taragraphe  zu  yerzichten.  Da  dies  Lehrmittel  aber 
zu  den  vcrbrcitctsten  an  den  höheren  Schulen  Deutschlands  gehört,  so  scheint 
es,  dass  die  Lehrer  weniger  Wort  darauf  legen,  ihren  Schillern  ein  kurzes, 
fibersichtlicb  zusammenfassendes  Buch,  gleichsam  eine  Gedächtnisbrtkcke  in  die 
Hand  zu  geben,  als  Tielmebr  ein  Lelmnittel,  ans  welchem  die  Sohfller  den 
t  nililangencn  Unterricht  in  voller  Weitläufigkeit  zu  wiederholen  vernMiren, 
und  Ton  diesem  Gesichtspunkte  aus  verdient  das  vorliegende  allerdings  beste 
Empfehlung.  H.  B. 

Allton  Brenner,  Prftparandenlehrer,  300  algebraische  Aufgaben  zur 
LOeoDg  mittelat  einfacher  Schlfisee.  4.  Aull.  48  8.  Frelslsg,  Datterer. 
60  Pf. 

Oberlehrer  T.  Müller  in  München  bestätigte  dem  Verfasser  schon  im  Vor- 
worte der  ersten  Auflage,  dass  er  eine  dankenswerte  Arbeit  geschaffen  habe. 
El  gibt  nun  liente  wol  keinen  Mangel  an  verschiedenartigen  Aufgabensamm- 
lungen, aber  es  ist  auch  kein  Zweifel,  dass  ein  Seminarlehrer  zunä<lipt  in  der 
Lage  ist,  den  Bedürfnissen  angehender  Lehrer  entsprechend  die  SanimiuDg  zu- 
sammenzustellen. Wir  zweifeln  auch  nicht,  dass  der  Verfasser  dieses  Bedttifiiifl 
richtig  beurtheilt  hat,  da  seine  Arbeit  schon  die  dritte  Auflage  erlebte;  nur 
gegen  die  Bemerkung  im  Titel,  .,zur  Lösung  mittelst  einfacher  Schlüsse", 
müssen  wir  uns  insofern  wenden,  als  es  scheinen  könnte,  diese  Aufgaben 
wären  durchgehends  mittelst  Kopfirecbnen  zu  lOsen.  Im  Gegentheile  müssen 
wir  sie  fthr  die  Stufe  von  Seminaristen  als  verwickelte  Textgleichungcn  be- 
zeichnen; die  Schlüsse  allein  in  ihrer  .\ufeinandcrfolge  im  Kopfe  zu  behalten, 
würde  schon  Bechenkllnstler  eriordem,  umsomehr  erst  deren  Durchführung  mit 
drei-  bii  ftnlkifferigen  2SaUen.  Im  Hbrigen  aber  eehdnt  uns  das  Heftehen  för 
Seminare,  Bürgerschulen,  Gewcrbesiin)Ien  uml  verwandte  Lehranstalten  sehr 
brauchbar  zu  sein  und  auch  wegen  seines  geringen  Preises  Beachtuiig  zu  ver- 
dloien«  H.  B. 

SnU  HmfliUUü,  BtrgencbnlMlirar,  BeitrUge  zur  BavmgrOflenrechnang 
für  die  VolknclMile.  77  Fig.  Im  Teart.  48  S.  Btldienberg,  Zuinaaeb. 
70  Pf. 

Der  Verfasser  hat  sich  mit  dieser  Aufgabensammlung  dem  in  den  öster- 
reichischen Bürgerschulen  gebräuchlichen  Lehrbuche  von  Moöuik  angeschlossen; 
zunächst  hat  er  für  sich  und  seine  nächsten  Collegen  die  übungsbeispicle 
Mo&iuks  ausgerechnet,  sodann  aber  weitere  Aufgaben  gesammelt  und  beigefügt 
und  ist  schliefilicb  der  Aufforderung  der  Collegen  gefolgt,  seine  Arbeit  durch 
den  Druck  zu  veröffeut liehen,  um  sie  —  natürlich  nur  ..für  die  Hand  des 
Lehrers*"  —  allen  Standesgenossen  zugänglich  zu  machen.  Die  Aufgaben, 
welche  sich  lowol  auf  Flfteben-,  als  andi  auf  Baumberechnung  beziehen,  sind 
in  der  That  zum  großen  Theilc  den  Verkchrsl>e/.irhungen  entnommen,  und 
daher  wolgeeignet,  auf  den  Unterricht  belebend  und  anregend  einzuwirken; 
«brigens  kann  es  jüngeren  Lehrern  gewiia  nor  erwttnieht  iän,  eine  BeOie  vmi 
Multen  IBr  knne  und  bflndige  LOenngen  in  erhalten.  H.  B. 


Digitized  by  Google 


—  743  — 


Franz  Villicus,  Professor  in  Wien,  Lehr-  und  Übungsbuch  der  Arithmetik 
für  Unterrealschulen.  III.  Theil  mit  623  Aufgaben  Ar  die  lU.  Claase* 
6.  Anfl.    143  S.    Wien,  Pichler.    1  M.  30  Pf. 

In  der  dritten  Olasse  der  Realschulen  sind  die  Schiller  in  das  Reebnen  mit 
allgemeinen  Zahlen  einzuführen;  dementsprechend  enthält  das  Bu<h  die  vier 
Orundzechnangsarten  mit  aUgemeinen  Zahlen.  Der  Schüler  begegnet  beim 
Eintritte  in  m  aUgemefne  Zuilenlelun  nicht  Mm  den  Bndietaben,  als  Zahlen 


nrdcher  leieht  nr  den  Sehlller  inr  Klippe  werden  kann,  wenn  der  Lehrer  nfeht 

der  Leitung  vollkommen  gewachsen  ist.  Das  vorliegende  Lehrbuch  verdient 
aber  die  größte  Beachtung,  weil  es  die  Schwierigkeiten  der  Einführung  in  die 
allgemeine  Zahlenldure  Ton  den  uns  bekannten  Lehnnittehi  am  besten  llbei^ 
winden  hilft.  Wir  waren  und  sind  noch  in  der  Lage,  nach  verschiedenen 
Lehrbttcbcrn  unterrichten  zu  müssen,  haben  jedoch  bei  keinem  anderen  Lehr- 
bnehe  gefunden,  dass  der  Lehrer  so  leicht  mit  dem  Buche  im  Einklänge  bleiben 
kßnnc  und  diibt  i  so  gut  von  dem  Schüler  ver>*tan<len  werde,  wie  bei  diesem. 
Denn  der  Vorfas&er  versteht  einerseits  die  wisi>ent»chaftlichen  Grundsätze  fest- 
zuhalten, während  er  es  andcrseiti  nieht  verabsäumt,  durch  Vorführung  ntdie- 
liegender  Bei?«iiielo  die  Beprriffe  zu  popularisiren  und  dem  Verständniss*«  des 
Schülers  nahe  zu  bringen.  Es  sind  schon  Bücher  durch  unsere  Häudc  ge- 
gangen, wo  die  Erklärung  d(  r  Cirundbcgriffe  geradezu  wie  ein  Selbstverständ- 
lich^ übergangen  wurde,  während  ihre  Anwendung  sofort  vom  Anbeginn  eine 
vielseitige  war.  Dagegen  finden  wir  im  vorliegenden  18  Seiten  der  Erklärung 
und  Einübung  der  neuen  mit  der  Buchstabenrechnung  verbundenen  Formen 
gewidmet;  dann  erst  folgen  die  vier  Grundrechnungsarten  in  allgemeinen 
Zahlen,  das  Quadriren  und  Cubiren  und  Ausziehen  der  Quadrat»  und  Cubik- 
wnnel.  Den  »Scbluss  marben  die  Anwcisune:  zum  Gtbraueh  der  Tabellen  zur 
Sänaeanns-Berecbnung,  Beispiele  darüber  und  Übungsaufgaben  aus  dem  Gebiete 
der  bttrgeilichen  Reennnngsarten. 

Es  kann  wol  nicht  erwartet  werden,  dass  rin  derartiges  Schulbuch  über 
die  Grenzen  iencs  Gebietes,  für  welches  es  geschrieben  wurde,  hinaus  große 
Verbrritung  finde;  aber  wir  ftthlen  uns  gedrungen,  aUen  geehrten  Pnehgenossen, 
welche  sich  selbst  an  die  Verfassung  von  Lehrbtichem  wagen,  dieses  in  Bezug 
aui  die  Einführung  in  die  allgemeine  Arithmetik  gewiss  musterhafte  Buch, 
borteas  nur  Beachtung  m  empfehlen.  H.  S. 

Hemann  Mflller,  Leitfiiden  der  etementaren  V Atkematik  mit  Sanmiiing' 

von  Aufgaben.  6  Aufl.  Bearbeitet  von  Dr.  Max  Zwerg  er,  Studienlehrer, 
1.  Abth.  Arithmetik.  171  S.  2  M.  40  Pf.  2.  und  3.  Abth.  Geometrie 
und  Trigonometrie.  171  Fig.  im  Text.  215  S.  3  M.  Mönchen,  Lindaner. 
Diefler  Leitfaden  gehört  sn  den  beliehten  Lehrbflchem  Bayerns,  und  e» 
ist  durchaus  nicht  zu  verkennen,  dass  sownl  der  er^tc  Verfasser  als  auch  der 
nätere  Bearbeiter  fortgesetzt  bemüht  waren,  das  Werk  nach  moderner  Auf- 
rasenng  zu  Terbeesem.  Der  erste  Theil  nmÜMSt  anAer  den  sieben  Reehnnnge» 
arten  noch  die  Lehre  von  den  Gleichungen  bis  zu  jenen  zweiton  (Jrades  mit 
mehreren  Unbekannten,  sodann  Progressionen,  Zinscszins-Rechnung,  (Jombinations- 
lebre,  den  binomischen  Lehrsatz  und  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  nebst 
mehr  als  900  zweckmäßig  ausgewählten,  den  einzelueu  Abschnitten  zugcordnc-  , 
ten  Au&aben  —  sammt  deren  Lösungen.  Obwol  daü  Vorgctrugcne  richtig 
und  fasuich  geg^en  wird,  so  können  wir  doeh  mit  verschiedenem  bei  den 
RechnungrJartcn  vorkommenden  nicht  ganz  einverstanden  sein.  \'on  Paragraph 
sieben  bis  fünfzehn,  d.  i.  auf  fünf  Seiten  hudcn  sich  eine  Menge  da.s  Gedächt- 
nis UbeiiaBtender  und  an  sieh  nutsloser  Lehrsätze,  welche  alle  durch  zwei  sn 
ersetaen  wären.  Eine  Summe  sowol  als  eine  Differenz  ist  an  sich  wieder  eine' 
Zahl;  es  ist  daher  ganz  unniUhig,  Lehrsätze  über  das  Rechnen  mit  Summen  und 
Differenzen  auficustell<  n.  insofern  dies  bei  den  Rechnungsarten  ersten  Range» 
leicht  vermieden  werden  kann ;  es  genügt  vollständig  ein  Lehrsatz  für  die  Aus- 
führung einer  Addition  mit  allgemeinen  Zahlen,  und  ebenso  ein  Ldusats  für 


Digitized  by  Google 


—   744  — 


<lie  Subtraction;  alle  mß^lichen  Variationen,  welche  hierbei  vorkommen 
können,  kann  der  »Schüler  unter  Anwendung;  dieses  einen  Lehrsatzes  zu  be- 
handeln leidit  angeleitet  werden.  —  Filr  die  Multiplication  empfiehlt  sich 
au0er  der  im  Paragraph  achtzehn  vorfindlichen  Tafel  positiver  Einheiten  aoch 
noch  eine  solche  negativer  Einheiten;  endlich  auch  zum  Satze  über  die  Multi- 
plication eines  angezeigten  Productes  eine  solche  Tafel  mit  einer  aUvemeinen 
Zahl  an  Stelle  der  Einheit.  Gans  Teraltel  und  Terunglftckt  ist  die  Begriliidttiig 
der  Zeichenregel  mit  Hilfe  der  Null,  welche  nichts  zu  beweisen  wmtg,  da 
sie  ja  die  Vemeiniin?  drr  Zahl  ist.  —  Auch  die  Sätze  Ober  Verbindung  von 

SuoUenten  und  Producteu  wären  der  Vereinfachung  fähig  nnd  bedürftig;  end- 
bIi  man  nuni  dl«  Dsntellniig  4m  WmieiMMAdMiii  unbeholfHi  mmmu,  da 
•doch  der  Piviflor  iiloht  iwisdwB  die  atandelnndeii  Pötten  UiMiBgeiohobeii 
'worden  kann. 

Dagegen  dürfen  wir  mit  vatumm  Lohe  nicht  surSekhalten,  iosoftni  in  to 

.^toffvcrticfung  hinroichnnd  wdt  ceglOgen  wird,  wie  sich  dies  zum  Beispiel 
aus  der  eing^enden  Behandlong  dei  Factorenserlegens  ergibt,  welches  andere 
IiOiiiMdier  wenigstenv  ia  Besag  anf  PolyBome  nit  Stillschweigen  ttbereehen. 
—  Sehr  gefallen  h:it  es  uns  auch,  dass  das  Rechnen  mit  BrU<'tn.'Ti  irolehrt  wird 
bdnahe  ohne  den  Namen  „Bruch",  der  eben  als  angezeigter  (Quotient  benannt 
und  behandelt  wird.  Ebenso  einfach  als  anschaulich  ist  ferner  die  Binfllhiuiig 
in  das  Rechnen  mit  Wurzeln,  nnd  nicht  minder  verdient  es  Anerkennnng,  dass 
•die  Au%aben  in  hinreichender  Menge  und  mit  entsprechender  Schwierigkeit 
be^poordBet  sind. 

Der  zweite  Theil  enthalt  Planimetrie,  Stereometrie,  ebene  und  sphärische 
Trigonometrie.  Am  Schlüsse  jedes  Capitels  fol^  eine  große  Zahl  von  Con- 
structiouoid^bcn  in  systeiittäieher  Beibenf«ls:e.  Ks  wurde  den  neueren  Aa- 
sebauungen  insofern  Bechnung  getragen,  als  durch  Stelluus:  von  Constructions- 
aufgaben  und  Anleitung  zu  deren  Lösung  nicht  bloa  das  Erlernen  vuu  Lehr- 
sätzen, sondern  auch  deren  Anwendung  als  Beweis  des  Könnens  von  Seite  des 
Schillers  als  Noth wendigkeit  hingestellt  wird.  Es  hätte  aber  nicht  geschadet, 
wenn  diesen  neueren  Anschauungen  noch  mehr  Rechnung  getragen  worden 
wäre;  ganz  besonders  eine  frühzeitige  Einführung-  des  Begriffes  der  Symmetrie- 
achse erleichtert  etheblioh  das  Erfassen  der  Lehis&Ue  Über  die  wesentlichen 
E^nsehaften  tob  Dreiecken.  Im  Dbrigen  ist  ja  nfc^t  so  Tericennen,  dass 
dieses  Buch  ein  sehr  reichhaltiges  Lehrmittel  ist,  in  welchem  man  viele  recht 
interessante  und  dem  Buche  eigenartige  Lehrsätze  findet,  so  die  Darlegung 
Uber  das  TbeilTerfaältais  der  Schweiliniett,  Aber  die  Lage  der  meikwflrmgen 
Punkte  in  einer  Geraden  und  nhvr  den  Neun-Punkte-Kreis.  Manches  allerdings 
scheint  uns  in  einer  schwierigeren  Fassung  gegeben,  als  es  nothwendig  und 
wünschenswert  ist,  s.  B.  die  Theilnng  naeh  dem  „goldenen  Schnitt*.  —  Eigen- 
artig, aber  wenig  berechtigt  ist  die  Benennung  der  Winkel  an  T'arallelen:  was 
ivir  Gegenwinkel,  nennt  der  Verfasser  Correspondirende,  und  seine  Gegenwinkel 
nennen  wir  Anwinkel;  am  meisten  zu  bedauern  ist  aber  die  mangelhafte  Ans- 
führung  der  Figuren.  In  der  27.  Figur  sollten  fünf  gleiche  Strecken  vor- 
kommen, leider  ist  aber  keine  mit  der  anderen  gleich  laug;  ebenso  wird  an 
4er  Figur  29  ein  einigermaßen  geübtes  Auge  sofort  erkennen,  das  die  Drei- 
ecke welche  congrucnt  sein  sollen,  es  nicht  sind.  Dieser  Übelstand  setzt  sich 
auch  lu  der  Stereometrie  fort  Die  descriptive  Geometrie  lehrt,  dass  seitlich 
angeseht  ue  Kreise  als  Ellipsen  erscheinen;  anstatt  dessen  zeigen  die  Figuren 
des  Buchen  durchaus  ZweieckOt  ▼on  doion  noch  die  169.  Vigai  an  einer  be- 
sonderen Missgestalt  leidet. 

In  der  Trigonometrie  geht  sachgemäB  die  Oonionietrie  der  Dreiecks- 
auflösung voraus,  auch  hier  fanden  wir  manches  eigenartige  und  interessante. 
Das  rechtwinklige  sphärische  Dreieck  wird  als  ein  besonderer  Fall  des  schief- 
winkligen behandelt:  dadurch  w^erden  allerdings  die  Ableitungen  weitläufiger 
und  wenig  ttbexsichtüch.  Unrichtig  ist  es,  die  Formeln  von  Oauß  und  Moll- 
weidena  Terwechseln;  letztere  beziehen  sich  ausschließlich  auf  das  ebene  Dreieck. 

Im  ganzen  iiius8  man  sagen,  das«  das  vorliegende  Buch  naeh  seiner  Reich- 
haltigkeit und  Stoffvertiefung  gewiss  ein  höchst  brauchbares  Lehrbuch  bildet, 
«doheo  wolgeeignet  ist,  dem  SeUUsr  «ine  grUndlielio  BOdung  zu  ttemittdn; 


Digitized  by  Google 


745 


da«  es  Jedoch  wttisdMuimt  irtre,  bei  Men-AiUhigen  VexbeaeeruDgeii  eiuta' 

bringen.  U.  E. 

Constatin  Rossmanithf  weil.  Prof.  in  Bielitz.  Die  Elemente  der  Geometrie 
in  Verbindung  mit  dem  geometrischen  Zeichnen.    2.  vermehrte  und  ver- 


benorte  Anllafe.  Bearbeitet  Ton  Karl  Sehober:  Prof.  in  Imiabnick» 
204      157  Flg.  im  Text.  PicUler  in  Wien.    2  M.  20  Pf. 


Das  vorliegcude  Lehrmittel  ist  für  die  2.,  3.  u.  4.  Hasse  der  österreichi- 
schen Realschulen  bestimmt  und  für  diesen  Zweck  vom  Unterrichtbmiuisterium 

fenehmigt.  Den  Instructionen  dieser  Behörde  gemäß  wird  auf  die  „innige- 
erbindunt:  der  Geometrie  und  des  econietrischcn  Zeichnens"  der  größte  Wert 
gelegt  und  zur  Ausbildung  der  Auäciiuuung  bei  Herleitung  der  geometrischen 
Wahrheiten  Uber  Bewegung,  Drehung,  Yerachieben  und  Umklappen  vieMli^ 
Gebrauch  gemacht.  Nicht  minder  wurden  nach  Möglichkeit  die  Lehren  von 
der  ccntrischen  und  achsialcn  Symmetrie  in  Anwendung  gebracht.  —  Die  Ver- 
besserungen, welche  der  Bearbeiter  der  zweiten  Auflage  an  dem  Werke  des 
urgprUnglichea  VerfaBseis  angebracht  hat,  beziehen  sich  hanptsädilich  ant  ein» 
gröfiere  Genauigkeit  des  Aosdruckes  vnd  anf  Termehrte  Kfnbelt  der  Defina* 
UOBCn.  Die  Vermehrung  der  Auflage  besteht  in  Veriiielirung  des  übungsmateriales. 

In  der  Planimetrie  werden  nach  den  einleitenden  Erklärungen  die  Con- 
gmemdehre,  Flidtenverwandliingnnd  Ansmessung,  ÄhnHchkeitslehre,  Anwendttnir 
der  Algebra  auf  die  Geometrie  und  die  Kegelschnittslinien  abgehandelt.  Die 
Stereometrie  erörtert  zuerst  die  möglichen  Lagen  von  Ebenen  und  Oeraden  im 
Baume;  dann  Iblfft  ein  Mdnreres  Iber  orthogonale  Pnrfeetion  der  einfbchen 
Grundgebilde;  en^ich  die  Besehreibung,  DarsteÜunß:  und  Messung  der  einfachsten 
geometrischen  Körper.  Sowol  nach  dem  Titel  als  nach  der  Vorrede  ist  zu  er- 
warten, dass  anf  die  AnsfUirong  der  Figuren  groSer  Wert  gelegt  werde. 
Und  in  der  That  muss  man  sagen,  dass  dieselben  mit  Sorgfalt  entworfen  und 
ausgearbeitet  sind,  so  dass  sie  wol  den  Sehiilern  als  Muster  zu  dienen  ver- 
mögen. Ganz  besonders  schön  erdacht  sind  die  Figuren,  welche  die  ccntrische 
und  achsiale  Symmetrie  zur  Darstellung  bringen;  nicht  minder  zweckmäßig  ist 
Ton  Schraäiruug  zur  Darlegung  der  Fläcbcugieichheic  und  bei  Schnittflächen 
itvmlieher  Gebilde  Gebrauch  gemacht.  —  Die  Sfttze  Uber  Sehnen  und  Tan- 
gentenvierecke sind  zur  Hervorhebung  der  Gegenseitigkeit  zweispaltig  angeord- 
net. —  Selbst  solche  Figuren,  welche,  wie  bei  den  Kegelschnittslinien,  der 
Natur  der  Sache  nach  überladen  sein  müssen,  erscheinen  der  sehr  sorgfaltigen 
Ausführung  zufolge  noch  immer  verständlich.  Kurz,  es  wurde  von  Seite  des 
Verfassers  sowol  als  des  Verlegers  alles  aufgeboten,  um  diesem  Lchrbehelfe 
eine  möglichst  schime  Atisstattung  zu  geben.  Wenn  wir  also  nach  dieser  Rich- 
tung hin  nur  das  Beste  zu  sagen  haben,  so  scheinen  uns  doch  noch  einige  Be- 
merkungen nöthig  in  Beiog  anf  ^e  StoffVettiefung.  An  den  Bsterreidm^ien 

Realschulen  wird  der  Unterricht  in  der  Geometrie  zweistufig  ertheilt;  auf  der 
Unterstufe  ist  er  in  nahe  Verbindung  mit  dem  Zeichenunterrichte  gesetzt  und 
•oll  in  der  BeweisAhrnng  mehr  anscEanlich  als  abetract  Terfkhren,  erst  in  der 
Oberstufe  witd.  ein  streng  wissen.sehaftl icher  Unterricht  der  Geometrie  ertheilt. 
DemgemAss  Utet  sich  das  Vorliegende  allerdings  nicht  mit  Lehrbüchern  ver- 
l^eicuen,  wie  Jene  von  Wiegand,  Wittstein,  Henrici  und  Treutlein, 
doch  haben  wir  schon  manche  Lehrbücher  ftir  höhere  Schulen  Deutschkinds  in 


Schönheit  der  Fignren  dem  TozUegenden  nachstehen,  ao  dass  wir  es  als  ein  gau 


Qtvrg  Paysen  Petersen,  Reinhart  Rothfnchs,  Die  deutsche  Thiersage  fSr 
jung  nnd  alt  erzählt.  Mit  6  Vollbildern  von  An^t  Dreasel.  Leipzig  1892» 
Spamer.  289  S.  3  M.,  geb.  4  IL 

In  62  CSapiteln  ensfthlt  dies  Bneh  die  bekannte  uralte  Thiersage  und  «war 
in  der  ungebundenen  Sprache  des  taglichen  Leben.s;  nur  die  Inhaltmingaben  der 
einzelnen  Abschnitte,  hie  und  da  auch  lehrhafte  äeuteuzcn,  sind  in  Verse  ge- 
kleidet, was  den  Vortrag  hebt  nnd  belebt.  Das  Oanae  hat  eineneita  «ue 


Digitized  by  Google 


—   746  — 


Erweiterung  erfahren,  indem  verschiedene  Züt;*'  der  deutschen  Thierdichtung, 
welche  seit  langer  Zeit  in  Vergessenheit  gerathen  waren,  geschickt  in  den 
B«ineke  verflochten  worden  sind,  anderseits  eine  Kürzung,  indem  alles,  was 
gegen  Anstand  und  gute  Sitte  verstösst,  entfernt  worden  ist.  Der  Verfasser 
sah  sich  hierzu  yeranlasst,  weil  er  die  alte  Dichtung  in  tadelloser  Reinheit 
Als  Volks-  und  Jugcndscbrit't  neu  beleben  wollte. 

Diese  Absicht  hat  ihn  auch  zu  einer  noch  bedeutenderen  Abänderung  ge- 
ftthrt.  Da  nimlieh  in  aUen  Wsherifpen  Bearbdtniigen  Rehieke,  dieser  Ansbrnid 
Titii  Hinterlist  und  Bosheit,  obwol  er  sii  h  mit  allen  nur  denkbaren  Schandthaten 
bedeckt  und  bis  ans  Ende  ohne  jede  Besserung  in  seiner  Niedertracht  verhant, 
dennoch  allen  selbatTenehnldeten  BedrSnffnfMen  gllleklich  entlnmiint  und  fchliet« 
lieh  auch  aus  dem  Kampfe  mit  dem  Wolf  triumphirend  hcrvorgoht:  so  cri-cheint 
die  ganze  Dichtung  zweifellos  als  eine  Verherrlicbnug  der  Schlauheit  im  Bunde 
mit  monJiflcher  VerwoinfeBlMit  Und  es  ist  daher  der  Ärgste  Widenpnidi  und 
Faustscbliig  cccren  die  Wahrheit,  den  eine  Dichtung  leisten  kann,  wenn  es 
z.  B.  bei  Goethe  am  Ende  seiner  Bearbeitung  heißt:  „Hochgeehrt  ist  Reineke 
Bvn.  Zur  WeliÄeit  bekehre  bald  sich  jeder  und  meide  das  Böse,  verehre  die 
Tugend!  Dieses  ist  der  Sinn  des  Gesangs."  Nein,  das  ist  er  nicht;  vielmehr 
ist  sein  Sinn  der:  Sei  möglichst  schlau,  verachte  rücksichtslos  alle  Tugend  und 
ergib  dich  gans  und  gar  dem  Bösen,  denn  dies  allein  bringt  Glttck  und  Ehre. 
—  Um  nun  diesem  triumphirenden  Umsturz  der  ganzen  sittlichen  Staat«-  und 
Weltorduung  einen  Riegel  vorzuschieben,  hat  Herr  Petersen  den  Nimbus  des 
Beineke  ein  wenig  abgedunkelt.  Im  Kampfe  mit  dem  Wolfe  bleibt  er  keines« 
wcgs  Sieger,  wird  er  vielmehr  übel  zugerichtet  und  vom  Tode  nur  durch  einen 
uufregendcu  Zwisebenlall  gerettet.  Schließlich  muss  Keiiieke  selbst  durch  Hei- 
lung des  kranken  K'üiii:.'^  die  Wiederherstellung  von  Ge.ietz  und  Ordnung  an- 
bahnen, damit  die  wüde  Anarchie  mit  ihrem  Rauben  und  Morden,  dem  eigent- 
lichen Metier  des  Faches,  ein  Ende  nehme.  Freilich  war  dies  alles  keine 
freiwillige  und  innere  Besserung  des  Frevlers,  .sondern  ein  Werk  der  Not  zur 
eigenen  Bettung.  Aber  eben  damit  wird  gezeigt,  das«  mit  der  Moral  de« 
Fuchses  kein  Reieh  bestehen  und  gedeihen  kann,  und  selbst  der  Einselne  nicht 
für  immer  geborgen  ist.  Und  nun  gelangt  nniu  zu  dem  vers ländlichen  und 
versöhnlichen  Schluss:  „Seine  Bosheit  schuf  ihm  nur  Leid^  aber  sein  Verstand 
half  ihm  aus  aller  Not.  HSget  auch  ihr  die  Klagbeit  des  Fnehses  bewundern 
und  ihr  naiheifern.  doch  seine  Tiieke  und  Arglist  hassen,  möget  ihr  mch  frei- 
willig und  freudig  des  Guten  befleißen,  das  Beinhart  nur  gezwungen  und 
wUeratrebend  that.  Hahnen  will  euch  dies  Buch,  dass  ihr  euch  sar  Wds- 
heit  bekehrt,  das  Laster  meidet  uml  die  Tiitrend  llht." 

Sprache  und  6ül  des  Buches  zeichnen  sich  aus  durch  Reinheit,  Correctheit 
und  WoUaut,  was  wir  um  so  lieber  hervorheben,  als  in  der  modernen  Literatur 
diese  Merkmale  immer  seltener,  bin<rt!rin  Liederlichkeit  und  Unarten  immer  häufiger 
werden.  IMe  dem  Buche  beigegebenen  Bilder  sind  von  feiustem  Geschmack 
und  machen  einen  herzerfreuenden  Eindruck;  audi  die  sonstige  Ausstattung 
in  Papier,  Dmok  und  Einband  verdient  alles  Lob.  B. 

Dr.  W.  Neurath,  Prof.  an  der  k.  k.  Hochschule  für  Bodencultnr  in  Wien, 
Elemente  der  Volkswirtschaftslehre.  Zweite  Auflage  (großenteils  neu 
bearbeitet  und  vermehrt).  Wien  bei  Manz  nud  Leipzig  bei  Jol.  Klinkhardt, 
1Ö92.  487  Seiten.  2  M.  50  Pf. 

Heutzutage  sind  die  Grundhegriffe  der  Volkswirtschaftslehre  für  jeden  Ge- 
'  bildeten,  besonders  auch  für  den  Pädagogen  ein  Bedürfnis,  und  mit  Ke<;lit  sagt 
Prof.  Neurath:  „Immer  weitere  Kreise  des  Volkes  treten  heran  oder  werden 
herangezogen  zur  Besprechung,  Beratung  und  Beurtheilung  volkswirtschaft- 
licher Fragen;  eine  rein  negirende  Kritik  der  bestehenden  (irundlageu  unseres 
socialen  Aufbaues  dringt  in  alle  Schichten  der  Bevölkerung  und  selbst  in  die 
EApfe  und  Henen  der  Jitgend  ein.  Alles  Mit  sidi  ttr  bef&hlgt  und  berech- 
tigt, über  den  Aufl)au  nnscres  Social-  und  Wirtschaftsleben-!  alizinirtlieilen. 
Unter  solchen  VerhiUtnissen  muss,  wenn  wir  vor  den  schümmsteu  Gefahren 
bewahrt  weiden  sollen,  Volk  und  Jugend  mit  den  hSoiistMi  Wahrhtit»  der 


Digitized  by  Google 


—    747  — 


Volkswirtschaft  und  der  sorialen  Ethik  hekaunt  creiiiacht  und  mit  social-ethi- 
Bchem  Idealismus  beseelt  weideu."  —  Diese  Unidtäudc  vcr!iiihis«iten  uns  schon 
beim  erstmaligen  Bnehetnen  des  hier  angezeidrten  Buchen,  dciäsclbc  der  Auf- 
merksanikeit  unserer  Leser  zu  empfehlen  und  seine  Vorzüge  hervorzuheben. 
Iq  dieser  neuen,  sorgfältig  überarbeiteten  und  bedeutend  vermehrten  Auflage 
verdient  es  in  noch  weit  höhcrem  Maße  die  Beachtung  aller  derer,  welche  sich 
mit  den  Hauptpunkten  der  Nationalökonomie  vertraut  machen  wollen,  besonders 
auch  derer,  welche  diese  Wissenschaft  nicht  gerade  als  Specialfach  betreiben, 
sondern  in  ihr  nur  eine  ( iriciitieruni;  über  die  bcuti^r-  s x  iiile  Lage  suchen. 
Denn  bei  aller  Wisaenachattüchkei t  des  Inhaltes  und  der  Anlage  zeichnet  sich 
dtt  Nennitbsehe  Weilt  dmeb  tnfebanliche,  leichtfanliche,  bflndige  vnd  Uaie 
Darstellung  derart  aus,  dass  es  auch  für  doii  Selbstunterricht  höchst  geeignet 
ist.  Ohne  weitläufiges  Baisonniren  führt  Verfasser  den  Leser  stets  direct  und 
etnlenehtend  in  die  Sache  selbst,  in  das  wiiklidie  Leben  ein,  und  wer  ihm 
achtsam  folgt,  wird  sich  an  seinen  lehrreichen  Ausführungen  ein  selbstständigea 
Urtheil  über  die  Fragen  des  wirtschaftUchen  Lebens  zu  bilden  vermögen. 

Ken  erschienene  Bfteher. 

Dr.  0*  Deeebmann,  Führer  dnrch  ötterreiehs  Scholen.   Eine  systematische 

DarstelluDg  der  Unterrichts-  und  Erziehungsanstalten  der  Unter-  nnd  Mittel- 
stufe für  die  männliche  Jngetid.   Pilsen,  Steinhanser.    180  S.    1  fl. 

Prof.  Dr.  W.  Clasen,  Führer  durch  die  Lehr- und  Erziehungsanstalten  Dentsch- 
lands  für  Angehürige  der  besseren  (resellschaftskreise.  Berlin,  Adolf  Hein. 
116  S.  Gratis  nnd  franco. 

Sehnlrath  Dr.  Jnl.  Rothinchs,  BelmiBtnlne  ans  d«r  Arbelt  des  ersiehenden 
Unterrichtes.  Das  Übenetsen  In  das  Deutsche  nnd  manches  Andere.  Mar- 
burg, Elwert.   173  S. 

F.  W.  DörpfeUl,  D«is  Fnndamenti?tnck  einer  gerechten,  gesanden,  freien  nnd 
iriedlichen  Schulverfassung.  2.  Lieferung.  Hilchenbach,  Wiegand.  65.  bis 
157.  8.  Das  ganze  Werk  erscheint  in  4  Lieferungen  und  kostet  8  M.  50  Pf. 

Otto  Znci^  Die  Evangelien  des  christlichen  Kirchenjahres.  Eine  Handreicliung 
rar  Oewinnang  eifaiseb-relifiSser  Oedanken  ans  den  Evangelien.  Zweiter 
Theil:  Von  Ostern  bis  Advent  Dresden,  Eflhünann.  146  S.  3  M. 

• — f  Die  biblischen  Oeschiehten  des  alten  nnd  nenen  Testamentes.  Fllr  eyaa- 

gelische  Schnlen  züsammengestellt.  3.  Anfl.  173  S.  Mit  einer  Karte  yon 

Palästina.   Dresden,  Ktthtmann. 

Director  0.  Schaarschmidt,  Biblische  Geschichten  im  Zu.sammenhange  mit 
dem  Bibel  lesen  zu  Lebens-  und  Geschichtsbildern  zusammengestellt.  0.  Aufl. 
Braunschweig,  Appelhans  &  Pfenningstorff.  156  S.  1  M. 

Herrn.  Radeker  nnd  Wilhelm  P&tz,  Der  Oesinnnngsnnterricht  im  ersten  und 
sweiten  Schn^jahre  oder:  Vorbereitnngsknrsns  für  den  BeUgionsonterrieht. 
MOlheim  a.  d.  Ruhr,  Baedeker.  168  S. 

'Prof*  Dr.  J.  W.  Otto  Richter,  Die  Ahnen  der  [preußischen  Könige.  Volks- 
thümliche  Lehensbilder  der  hohenznllernschen  Bnr^'<rrafen  von  Nürnberg  nnd 
Kurfiirsteu  von  Brandenburg.  Hannover  und  Leipzig,  Leopold  Ost.  350  S. 
4  Mark. 

G.  Krause  nnd  F.  Wöllinaill,  Oeschichtsbilder  aus  der  allgemeinen,  der 
dentschen  nnd  ln«ndenbnrgisch-prenßischen  Oeschichte  für  Volks-  nnd  Bttrger> 
schalen.  Mit  zahlreichen  Abb.  nnd  Karten.  3.  Anfl.  Leipzig,  Bmdt  120  S. 


Digilized  by  Google 


—   748  — 


Hfinrich  Ijewin,  Unsere  Kaiser  und  ihr  Haus,  nebst  dem  Wichtigsten  aus  dem 
Leben  unserer  YorfahreD.  Gescliiclitsbilder  für  die  Schüler  der  Mittel-  und 
Oberstufe.  2.  Aull.  Hilchenbach,  Wiegand.  160  S.  60  PI 

Dr.  W.  Sommer,  Zar  Methodik  im  HtanMcDidUdMii  Untenichto  an  Volks-, 
lEitld-  vnd  hSkeren  Ittdehettiehiileii.  BtSüttng  mir  TMiienag  einer  iitttio* 
salen  Jagendentdnuig.  Frenzlan,  BlUer.  94  S.  1  K.  20  Pfl 

Dr.  W.  Jütting,  Die  deutsche  Sprache.   Methodisch  behandelt  fOr  Bürger-, 

höhere  Mädchen-,  Mittelschulen  und  Präparandenanstalten.  3.  Anfl.  bearb. 
von  Dr.  H.  Zimmermann.    Hannover,  Karl  Meyer.    141  S.    80  Tf. 

R.  (jottesleben,  Der  Unterricht  im  Deutschen  auf  der  Mittelstufe.  Eine  An- 
leitung ZOT  Behandlang  des  Lesebaches  in  Mittelklaaseo.  3.  Aafl.  Straß- 
borg,  Fdedrich  Boll.  264  S. 

J.  F.  HithBann,  Dentsehea  Sprachbneb.    Methodisch  geordnete  Beispiele^ 

Lehrsätze  und  Aufgaben  für  den  Sprachunterricht  in  Elementar-  und  Fort- 
bildungsschulen. Erster  Theil.  20.  Aufl.  Stade,  Schaamburg.  80  S.  50  Ff. 
Karl  Martens,  Deutsche  Sprachübungen.  Methodisch  geordnete  Übungen  Im 
richtigen  Sprechen  und  Schreiben.  Für  Volks-  und  Bürgerschulen.  2.  Heft 
(Mittelstufe).  Honnover-Linden,  Manz&  Lange.  5(3  S.  40  Pf. 

Enianael  Keinelt,  Sprachbnch  für  österreichische  allgemeine  Volksschalen. 

4  Hefte  &  23^  32,  88  o.  80  Sotten,  Preis  10,  15,  26  n.  25  Ereiisv.  Wton 
nnd  Prag,  Tempsky. 

£.  RSmermann,  Ausführliche  und  vollständige  Sprachlehre  zum  Gebrauch  in 
Volksschnlen    2  Hefte,  30  v.  48  Seiten.  2.  AniL  Büchenbach,  Wiagand. 

Gesammtpreis  40  Pf. 

Friedr.  Franke,  .Schulwörterbuch.  Als  Hilfsbuch  für  den  deutschen  Unterricht 
nach  Keihen  und  Familien  geordnet  und  mit  einem  Begelbache  versehen. 
Ldpaig,  Emst  Hoppe.  104  S. 

Br.  Panl  Htm,  HMftngeln  der  lalalniachmi  Fcnnenldin.  54  S.  50  Ff. 
Berlin,  Weidmanmebe  Boohhandlmg. 

Hermann  Perthes,  Lateinische  Formenlehre  zum  wörtlichen  Answendigtamen. 

5  Aufl.  besorgt  von  Prof.  W.  Gillhansen    75  S.   80  Pf.  Ebenda. 

Max  Engelhardt,  Die  Stammzeiten  der  lateinischen  Conjugation  wissenschaft- 
lich und  pädagogisch  geordnet.  Handbach  für  Lateinlehrer.  47  S.  1  IL 

20  Pf.  Ebenda. 

Hermann  Perthes,  Grammatisch-etymologisches  Vocabnlariom  im  Anschluss 
an  Perthes  lateinisches  Leseboeh  IBr  Sexta.  Mit  Beseichnonff  ilmnitliehw 
langer  Vokale  von  Dr.  Gustav  Löwe.  5.  Aufl.  heransgeg.  von  Prof.  W.  GUI- 

haosen.  96  S.  Ebenda. 

— ,  Lateinisches  Lesebuch  für  die  Sexta  der  Gymnasien  und  RealgynuiaaiMl. 

5.  Aufl.  herausgegeben  von  Prof.  W.  Gillhansen.   55  S.  Ebenda. 

Ph.  i*lattner,  Elementarbuch  der  französischen  Sprache.  3.  Aafl.  Karlsrahe^ 
J.  Bielefeld.  264  S.  1  M.  80  Pf. 


V«iutwertL  BedMtew  Dr.  Fri»dtiek  DitUs.  Bwhinukenl  Jiliat  Kltakhardt,  Laipdf. 


Digitized  by  Google 


Jean  Paars  f^rana  oder  Erzieblehre** 

nach  Plan  und  Gnudgedanlcen  dargestellt  und  von  dem  Standpunkte  der  hentigm 

Pidago|^  beleuchtet  von  P.  H* 

V. 


Na 


(acli  Betrachtung  der  allgemeinen  Ansichten  Jean  E'aiils  über 
(Ttist  und  Grundsatz  der  Erziehung,  Natur  des  Kindes  und  Indivi- 
dualität des  Idealmenschen,  in  denen  offenbar  der  Schwerpunkt  der 
^Levana''  liegt,  wollen  wir  zunächst  untersuchen,  welche  <7rundsätze 
in  dem  weiteren  Verlauf  der  Darstellung  sich  über  das  Einzelne  der 
Erziehung  vorfinden.  Mit  besonderer  Wäime  wird  die  Wichtigkeit 
der  Erziehung  in  den  drei  ersten  Lebensjahren,  dieser  ,,l)änimer- 
periode  der  aufkeimenden  Menschheit",  betont.  „Wie  die  Eier  der 
Sing-  und  der  liaubvögel  und  wie  das  neugeborene  Küchlein  der 

Taube  und  des  Taubengeiers,  so  verlangen  anfangs  alle  nur  Wärme  

und  was  ist  Wärme  für  das  Menschenküchleiu?  —  Freudigkeit!" 
Sie  l&88t  die  jungen  KrSlte  wie  Morgenstralileii  aufgehen,  sie  ist  der 
Himmel  unter  dem  alles  gedeiht,  Gift  ausgenommen/  Die  Wichtig- 
keit der  ersten  Eindrücke  hetont  Jean  Paul  mit  besonderem  Nach- 
dm<^.  Er  sagt:  „Alles  Erste  bleibt  ewig  im  Kinde,  die  erste  Farbe, 
die  erste  Musik,  die  erste  Blnme  malen  den  Vorgnmd  des  Lebens 
ans;  noch  aber  kennen  wir  dabei  kein  Gesetz  als  dieses:  ^beschirmt 
das  Kind  vor  allen  heftigen  nnd  starken ,  sogar  vor  sttfien  Empfin- 
dnngenP  Nicht  sie  machen  den  Menschen  nnd  das  Kind  «heiter  nnd 
selig,"  sondern  die  Tfa&tigkeit.  „Die  gewöhnlichen  Spiele  der  Kinder 
sind  nnn  nichts  als  die  Änfierangen  emster  Thatigkelt,  aber  in  leich- 
testen Flllgelkleideni,''  zugleich  aber  auch  „die  erste  Poesie  des 
Menschen."  Als  Spielsachen  sind  jedoch  nicht  herausgeputzte  Puppen 
nnd  andere  zierliche  Gegenstande  am  Platze,  denn  „an  reichet  Wirk- 
lichkeit yerwelkt  und  verarmt  die  Phantasie."  Jede  Spiel- 
puppe und  Spielwelt  sei  „nur  ein  Flachsrocken,  an  welchem  die  Seele 
ein  buntes  Gewand  abspinnt."  Als  bestes  Spielni Ittel  wird  in  der 
„Levana**  der  Sand  empfohlen;  ihn  vermag  das  Kind  auf  das  Mannig- 
fiichste  zu  verwenden.    „Philosophen  1  streuet  Sand  weniger  in  als 

F«di««Sfam.  14.Jakqr.  H«ftZn.  62 

uiyiiizied  by  Google 


—   750  — 


vor  die  Augen  in  den  Vogelbauer  eurer  Kiuder."  Diejenige  Eigen- 
schaft, welche  den  Charakter  des  Kindes  ganz  besonders  liebenswert 
macht,  die  unbefangene,  rückhaltlose  Hingabe  an  unsere  Führung, 
mit  einem  Wort,  den  Kind ergla üben,  oline  den  es  gar  keine 
Erziehung  gäbe",  betniclitet  Jean  Paul  als  Haui)thebel  der  Erzie- 
hung. Eine  nothwendige  C'onseciuenz  aus  den  humanen  Grundsätzen 
unseres  Dichters  ist  es,  dass  derselbe  sich  über  Belohnung  und 
Bestrafung  in  der  mildesten  Weise  äußert.  ..Habt  keine  Freude'', 
sairt  er,  ..am  Gebieten  und  Verbieten,  sondern  am  kindliclien  Frei- 
liandeln^;  ist  aber  einmal  ein  Gebot  oder  Verbot  als  unumgänglich 
nothwendig  erachtet  worden,  dann  sei  es  „unabänderlich"  und  ,,ein- 
silbig".  .le  jünger  das  Kind,  desto  mehr  ist  Einsilbigkeit  nothwendig. 
„Erst  später  sagt  mit  sanfter  JStimme  Gründe,  blos  um  durch  die 
schönen  Zeichen  der  Liebe  den  Gehorsam  sanfter  herbeizuführen  u.  s.  w." 
Mit  Achtung  und  liiebe  betrachte  das  Kind  .'^eine  Eltern,  mit  Pünkt- 
lichkeit gewöhne  es  sich  daran,  ihr  Wort  zu  erfüllen,  aber  sein  Wille 
werde  nicht  durch  zu  vieles  Gebieten  und  Verbieten  geknickt,  die 
ganze  frei  empoi-strebende  Persönlichkeit  nicht  zn  einer  willigen  Ma- 
schine in  der  Hand  des  Erziehers  erniedrigt;  nie  erfolge  ein  Gtobot 
oder  Terbot,  wenn  nicht  du  höherar  Beweggrund  dazu  antreibt! 
Also  auch  in  diesem  Punkte  findet  der  Gnmdgedanke  der  »freien 
Entwickelung  des  Individiiams",  Überhaupt  „das  Princip  der  Libera- 
li tftt  in  Erziehnngssachen"  seine  Betonung  und  Vertheidigung,  auch 
hier  f,krftftigen  und  Kraft  lassen"  das  „erste  und  letzte  Erziehungs- 
vort"  Überzeugt  von  der  angeborenen  Gftte  der  Eindesnatnr  konnte 
unser  Autor  es  nicht  gestatten,  dass  mit  rauher  Hand  „der  blinkende 
tforgentanschimmer*'  von  der  „Mensehen-Blume"  abgestreift  und  durch 
eine  verkehrte  Behandlungswdse  das  »helldunkele  Einderaein  durch 
voreiliges  Hineinleuchten  mit  der  nackten  Wirklichkeit  verkQizt  werde." 
So  hat  Jean  Paul, —  um  mit  Grube  zn  [reden  —  „in  sdner  tLevana* 
das  christliche  Jjtaeet  die  Kindlein  zn  mir  kommen*  mit  wahrhaft 
p^chologischer  Meisterschaft  commentirt"  Auch  die  speciell  weib- 
liche Einziehung  findet  in  Jean  Paul  einen  geistreichen  Benrtheiler 
und  erfahrungsreichen  Fi*ennd.  Ja,  man  kann  mit  allem  Recht  behaup- 
ten, dass  kein  Schriftsteller  aber  diesen  Punkt  schönere  und  richtigere 
Regeln  aufgestellt  hat,  wie  unser  Autor.  Von  besonderer  Wichtig- 
keit erscheint  ihm  dieselbe,  „denn  in  weiblicher,  in  Mutterhand  ruht 

die  Erziehung  der  ersten  Hälfte  des  ersten  Ijebens-Jahrzehnts"  

„Vergesset  dainim,  Mütter,  die  heiligste  Aufgabe  nicht,  deren  Lösung 
zugleich  den  schönsten  Lohn  bringt."  „Verächtlich  ist  eine 


Digitized  by  Google 


-   751  — 


Frau,  die  Langeweile  liaben  kann,  wenn  sie  Kinder  hat."  Zwar  ist 
nach  Jean  Paul  das  Weib,  wie  aucli  Rousseau  annimmt,  von  der 
Nator  snr  Gattin  und  Matter  bestimmt;  doch  wäre  es  nach  der 
,,Levana"  yerkehrt,  wollte  man  das  Mädchen  nnr  för  ihre  Bestimmung 
als  Mutter  erziehen;  „die  mtitterliche  Bestimmung  kann  nicht  die 
•menschliche  überwiegen  oder  ersetzen,  sondern  sie  ranss  das  Mittel, 
nicht  der  Zweck  derselben  sein.  Sowie  über  dem  Künstler,  über 
dem  Dichter,  über  dem  Helden,  so  steht  über  der  Mutter  der  Mensch." 
Und  wenn  die  Natur  in  scheinbarem  Gegensatz  zu  dieser  Ansicht  die 
„Weiblichkeit"  einseitig:  zur  „Mütterlichkeit"  hinzuarbeiten  scheint,  so 
ninss  der  Erzieher  nacii  dem  Princip  der  lieilighaltuno:  jedei-  Kraft, 
diesen  Zweck  wenn  nicht  bestreiten,  so  doch  erf^änzen,  indem  er  „die 
unterdrückende  Kraft  durch  die  waf^ehaltenden  Kräfte  müdert.  reinigt 
und  einstimmt."  Sehr  entschieden  wendet  sich  die  „Levana"  gegen 
<lie  früiie  Entwickelung  der  (refühle  bei  der  Mädchenerziehung; 
die  Mutter  „schone  und  erwarte  jedes  zarte  und  warme  Gefühl,  das 
die  Jahre  von  selber  bringen  und  bilden"  und  „schwelge  nicht  etwa 
an  der  Empfindsamkeit  ilirer  Tochter."  Versündigt  euch  nicht,"  — 
ruft  unser  Dichter  den  Müttern  zu  —  „dass  ihr  den  Töchtern  das 
Heilige  des  Herzens  auch  nur  von  weitem  als  Männer-Köder,  als 
Jagdzeug  zum  Gattenfange  geist-  und  gottlästernd  zeigt  und  anem- 
pfehlt  Der  Sittlichkeit  beste  Stütze  ist  das  gute  Bei- 
spiel. Da  aber  Mädchen  mit  gleichjährigen  Mädchen  verbanden  in 
einem  „Tansehhandel  weniger  ilirar  Vonttge  als  SehwAehen**  steben, 
sollen  sich  dieselben  „mehr  in  GeseUschaft  von  Männern ,  ja  selbst 
von  Jünglingen  bewegen."  So  kann  es  ans  nicht  wandern,  wenn  in 
der  nLevana"  Uber  die  Hädchen-Pengionsanstalten  ein  sebr  hartes 
Urtheil  gefiült  wird:  „Das  höchste,  was  ein  AUdchen  in  einer  Pension 
wiederfinden  konnte,  wäre  eine  Matter,  aber  doch  würde  der  Vater 
mangeln.**  Aehtang  nnd  Liebe  gegen  das  eigene  Geschlecht, 
ünterdrftcknng  der  Heftigkeit  nnd  Leidenschaftlichkeit, 
Lebens-  nnd  Arbbitsgymnastlk  sind  die  drei  wichtigsten  Gebote, 
die  nach  Jean  Panl  eine  Mutter  ihrer  Tochter  mit  anf  den  Lebens- 
weg geben  kann.  Besttglich  des  letaten  Punktes  warnt  die  „Levajia*' 
besonders  vor  der  sog.  JPraaensimmerarbeit'*,  dorch  welche  „der  mflSig 
gelassene  Gdst  verroste  nnd  den  Wogen  der  Phantasie  übergeben 
sei."  Die  Elemente  der  BeaUfteher  nnd  Mathematik,  sollten  nnsem 
Mädchen  nicht  fremd  bleiben;  das  Hanptangenmerk  aber  ist  su 
richten  auf  die  nöthige  Kenntnis  nnd  Geschicklichkeit  zar 
f  abrang  der  vielseitigen  Geschäfte  des  Haaswesens. 

62* 


uiyiii^ed  by  Google 


—   762  — 


VI. 

An  diese  kui'ze  Dai'stellung  der  allgemeinsten  Grundsätze  Ton 
Jean  Pauls  Pädagogik,  die  in  ihrer  AUgemeinlieit  auch  eine  gene- 
relle Bedeutung  in  der  praktischen  £rziehung  haben,  wollen  wir  die 
Betrachtung  der  specielleren  Momente  der  Erzielmng,  welche  ihrer- 
seits den  verschiedenen  Seiten  der  Persönlichkeit  des  Erziehungs- 
objectes  entsprechen,  anschließen.    Es  handelt  sich  also  hier  um  die 
Darstellung  der  Grundsätze,  welche  für  Jean  Paul  bei  Anwendung  der 
Erziehungsthätigkeit  auf  die  verschiedenen  Theile  der  Menschennatur 
maßgebend  sind.    Schon  oben  wurde  erwähnt,  dass  Jean  Paul  in  der 
Individualität  des  Zöglings  zwei  Seiten  streng  in  der  erziehlichen 
Behandlung  unterschieden  wissen  will,  die  intellectuellc  und  die  mora- 
lische.   Für  erstere  gilt  ihm  das  Princip  ungestörter  Selbstent- 
faltung.    Der  geistige  Bildungstrieb,  der  in  jedem  Menschen  schlum- 
mert und  durch  die  Mittel  der  Erziehung  zu  nachhaltiger  Kraftent- 
faltung  sich  entwickeln  soll,  werde  —  so  verlangt  es  Jean  Paul  — 
schon  im  frühesten  Kindesalter  auf  die  denkbar  vielfachste  Weise 
augeregt,  dem  jungen  Menschen,  der  mit  ungetrübtem  Auge  die  lebens- 
und  gestaltenreiche  Welt  betritt,  soll  vor  allem  ein  freiwaltendes 
Interesse  für  die  der  Gesammtheit  seiner  Sinne  zunächst  liegenden 
Erscheinungen   angebildet   werden.    Mit   schrankenloser  Thätigkeit 
wende  er  sich  deshalb  den  bunten  Gestalten  der  Außenwelt  zu,  ihren 
Bildern  verschaffe  er  eine  sichere  Stätte  im  Baume  seines  Bewusstseins. 
Damm  mnss  denn  anch  vor  allem  darauf  gedrungen  werden,  dass  dem 
Indiyidaum  die  nOthige  Freiheit  der  Geistesentfaltnng  gewahrt 
IMht»  wodurch  der  sich  entwickehide  Mmseh  in  die  Lage  kommt^ 
als  nniunschrftnkter  Qebieter  ttber  die  seinem  Geiste  eingepflanzt^i 
Vorstellangen  zu  schalten,  sie  mit  einander  zn  yerg^eichen,  sa  Ter- 
knüpfen,  nnd  er  anf  diese  Weise  znm  Ansban  einer  reichen  Gedanken- 
welt die  BeflUiigang  erlangt  Die  Erringong  dieser  gefistigen  Kraft 
nnd  ArbeitsfiUiigkeit  glanbt  nnn  Jean  Panl  am  wirksamsten  .durch 
Übungen  des  Witzes  erreichen  zu  können.  Und  in  der  Tbat  ist 
der  Witz  diejenige  Geisteskrafl;^  deren  Änfienmg  darin  besteht,  die 
verschiedensten  GegenstSnde  nnd  Erscheinungen  unter  Bezugnahme 
auf  die  Gleichartigkeit  gewisser  Merkmale  mit  einander  zu  vergleichen 
und  zu  verknöpfen.  Schon  dem  Kinde  ftUen  bei  Betrachtung  der 
Außenwelt  an  den  Gliedern  derselben,  die  ihm  entgegentreten,  Über- 
einstimmung und  Verschiedenheit  ihrer  Merkmale  auf,  wenn  auch  an- 
fangs nur  in  gröbster  Form.   Je  mehr  es  nun  durch  Ausbildung  der 
genannten  Geisteskraft  befähigt  ist,  die  ÜBineren  und  tiefer  liegenden 

« 

Digitized  by  Google 


—   758  — 


Beziehungen  der  Anschaunngsobjecte  erkennen  zn  lernen,  desto  mehr 
werden  die  hervorgerufenen  Denkgehüde  den  Charakter  wirklicher 
Geistesarbeit  an  sich  tragen;  ja  gerade  auf  diese  Weise  gelangt  das 
Kind  zur  Bildung  der  ersten  Begriffe,  deren  Entstehung  ausschließ- 
lich durch  Vergleichung  mehrerer  Anschauungen  und  durch  Vereini- 
gung derselben  unter  die  Einheit  eines  höheren  Vorstellungsgebildes 
beding-t  wird.  Freilich  wird  der  jugendliche  Geist  in  seinen  Ver- 
suchen mit  den  f^ewonnenen  Bildern  der  Erscheinungen  zu  arbeiten, 
durchaus  nicht  den  Weg  strenger  Denkprocesse  einlialten.  Die  Sonder- 
barkeit und  Ungeregeltheit  der  entstandenen  I)enk<j:ebil(le  wird  uns 
vielmehr  berechtigen,  der  im  jugendlichen  Alter  besonders  unumschränkt 
waltenden  Einbildungskraft  einen  hervorragenden  Antheil  an  ilirer 
Bildung  zuzuschreiben.  Allein  Jean  Paul  hielt  die  oben  angt^dtniteten 
Thätigkeiten  des  Witzes  und  der  Einbildungskraft  für  so  wichtig  zur 
Grundlage  der  intellectuellen  Bildung,  dass  er  ihnen  einen  sehr 
weiten  Spielraum  gewährte.  Er  suchte,  durch  eigene  Beispiele 
anregend,  seinen  Schülern  witzige  Einfälle  zu  entlocken  und  schiieb 
dieselben  sorgfältig  auf,  da  er  sie  als  wichtiges  Moment  in  der 
geistigen  Bildungsgeschichte  des  Individuiims  ansah.  An  die  Bildung 
YAim  Witze  anschließend,  behandelt  Jean  Paul  die  Bildung  zur  Reflexion, 
Abstraction  und  zum  Selbstbewusstsein.  Sie  ist  ihm  zu  orreichen 
dorch  Lenkung  der  Aotmerksamkeit  auf  die  Innenwelt,  was  ein  gleich- 
wertiger Gegensats  zmr  Sinnestlifttigkfiit  nach  anften  sein  nnd  die 
Harmonie  der  Braiehnng  aufrecht  erlialtea  soll.  Was  die  Bfldung 
der  Erinnerung  und  des  Ged&chtnisses  anbelangt,  so  weist  unser 
.Autor  auf  die  Wichtigkeit  derselben  nachdrücklich  hin.  Ihm  ist  die 
Lebendigkeit,  die  Jene  GeisteskrSfte  erreichen  sollen,  bedingt  durch 
den  Beiz  des  Oegnisatses.  Das  Interesse  ist  ihm  tonangebend  fllr  die 
Festigkeit  des  Auijsenommenen  —  „daher  hat  kein  Mensch  fOr  alles 
ein  Qedfichtnis,  weil  kehier  für  alles  ein  Interesse  hat"  —  Zur  Aus- 
bildung der  intellectuellen  Seite  des  Menschenwesens,  welche  ja  die 
Kräfte  der  Erkenntnis,  der  Embiidungskraft  und  der  Erinnerung  in 
sich  fi&sst,  weist  nun  Jean  Paul  auch  auf  Beschäftigung  mit  den  ver- 
schiedenen Wissenschaften  hin.  Da  es  ihm  aber  nicht  darum  zu 
thun  ist,  ebie  ünterrichtslehre  zn  geben,  sondern  seine  „Levana" 
auf  das  Gebiet  der  Erziehung  ausschliefilich  beschränkt  bleiben  soll, 
80  dürfen  wir  keine  genaueren  Darlegungen  in  dieser  Beziehung  er- 
warten. Ebenso  ist  es  begreiflich,  dass  der  Dichter  bei  dem  dama- 
ligen Stande  der  Methodik  die  formal  bildende  Kraft  der  Realien 
gänzlich  verkannte.  Die  Naturgeschichte  ist  ihm  beispielsweise  „das 


Digitized  by  Google 


—   764  — 


Zauberbrot",  welclies  der  Lehrer  den  Kindern  vor  der  Lehrstunde 
gibt,  um  ihre  Aufmerksamkeit  für  seinen  fnl<reiiden  Unterricht  zu 
gewinnen.  Sie  ist  ihm  also  nur  wirksam  durcli  die  Neuheit  und  lia* 
Fesselnde  ihrer  Thatsachen,  nicht  aber  durcli  das  Bildende,  welclies 
die  in  ihr  gegebenen  Beziehungen  der  Naturwesen  und  Naturkräfte 
darbieten.  Von  der  Geographie  kennt  er  nur  einen  praktischen 
Nutzen.  Von  besonderer  Schönheit  sind  jedoch  die  Austiihrun};en» 
welche  die  „Levana"  über  Bildung  zur  Sprache  enthält.  Ihrem  Ver- 
fasser war  die  große  Wirkung,  welche  namentlich  das  gesprochene 
Wort  auf  den  (ieist  des  Menschen  ausübt,  vollständig  klar,  außerdem 
ist  ihm  die  Sprache  in  ihrem  Gesammtorganisnius  ein  formales  Bil- 
dungsmittel von  unvergleichlicher  Wichtigkeit.  „Sprachenlernen  ist 
etwas  Höheres  als  Sprechenleinen,  und  alles  Lob,  das  man  den  altea 
Sprachen  als  Bildungsmittel  ertheilt,  fällt  doppelt  der  Muttersprache 

anheim,  welche  noch  richtiger  die  Sprachmutter  hieße  ** 

„Die  Muttersprache  ist  die  unschuldigste  Philosophie  und  Besomieii- 
heitsflbimg  fUr  Kinder,"   „Sprecht  recht  viel  und  recht  bestimmt  und 

haltet  sie  selber  im  gemeinen  Leben  zur  Bestimmtheit  an  

„Sogar  kleine  Kinder  strengt  znweilen  durch  Widerspmchsräthsel  der 
Bede  an."  Die  Sprachlehre  ist  ihm  „als  Logik  der  Zunge"  die  erste 
Philosophie  der  Beflezion,  und  der  Umgang  mit  ihr  »nnter  den  früheren 
Übungen  der  Denkkraft  die  gesündeste.**  Mit  Becht  gilt  ihm  die 
Sprache  als  Mittel,  dem  Geiste  einen  Schatz  von  Vorstellungen  zuzu- 
führen; denn  „durch  Benennung  wird  das  Äufiere  wie  eine  Insel 
erobert."  Dem  Aufnehmen  des  sprachlichen  Materials  mit  seinem  Un- 
tei'grunde  von  klaren  VorsteUnngen  soll  jedoch  stets  producirende 
Thätigkeit  Ton  Seiten  des  Zöglings  parallel  gehen.  Ihm  dflnkt 
das  geklärte  und  geordnete  Darstellen  der  eigenen  Oedanken  durch 
die  Sprache  und  namentlich  durch  die  Schrift  als  Bildungsmittel  so 
wichtig,  dass  er  sagt:  „Ein  Blatt  schreiben-  regt  den  Bildungstrieb 
mfichtiger  an  als  ein  Buch  lesen."  —  Als  zu  verwirklichendes  Ideal 
der  sittlichen  Bildung  des  Knaben  nennt  unser  Autor  „sittliche 
Stärke  und  sittliche  Schönheit'',  und  die  Art  und  W'eise,  wie  er 
diese  Ansicht  darlegt,  geschieht  in  einer  Fülle  der  zutreflfendsteu  Aus- 
sprüche.  Die  sittliche  Stärke  wird  nach  ihm  am  besten  durch  das 
Beispiel  erzielt;  deshalb  gebe  man  dem  aufstrehenden  Kind  eine  da» 
Herz  durchwurzelndc  Idee,  etwa  die  dei*  Ehre.  Auch  der  „Erweckung 
der  Vaterlandsliebe"  und  dem  -Aufwecken  des  Eintriebst  wird  in 
der  „Levana**  in  ausführlicher  Begründung  das  Wort  geredet.  Soll 
der  Knabe  zu  einem  brauchbaren  Manne  erstarken,  so  „erfülle  mau 


Digitized  by  Google 


—  755 


ihn  mit  der  verklärten  Helden  weit,  mit  lieblich  ausgemalten  Groß- 
mensclien  der  verschiedensten  Art  und  mit  einem  i)oetis(.hen  Ideale." 
Auch  Hi<>fre  der  Knabe  so  viel  als  möglich  in  die  stoische  Schule  hin- 
ein hürtiil  ..Lasset  ihn  sehen,  dass  das  Kenileuer  der  Brust  gerade 
in  jenen  Männern  glühe,  welche  ein  durch  das  ganze  Leben  reichen- 
des Wollen,  nicht  aber,  wie  der  LeidfUschaftliche,  einzelne  Wollungen 
und  W  allungen  haben. Und  da  Jean  Paul  als  genauer  Menschen- 
kenner nur  allzu  wol  weiß,  wie  gewaltig  die  Hindeniisse  oft  sind,  die 
sich  der  im  Erstarken  begriffenen  Männlichkeit  entgegenstellen,  ver- 
langt er  mit  dem  ganzen  Feuer  seiner  Begeisterung  Belebung  der 
Idealität;  nicht  stark  genug  kann  er  seinen  Gegensatz  za  denen 
helonen,  die  in  unbegreiflkher  Unkenntnis  von  der  wahren  Bestimmung 
des  llensehen  das  IdeaJisiren  der  Tugend  verdammen  nnd  bei  all 
ihrem  Thon  nnd  Lassen  das  reine  Ntttzliehkeitsprincip  in  den  Vorder- 
grund treten  lassen.  Zn  diesen  Bildungsmitteln  der  sittlichen  Stärkung 
trete  dann  noch  die  Wahrhaftigkeit,  eine  Zierde  der  Jugend  und 
auch  in  späteren  Jahren  noch  die  Blttte  der  sittlichen  Mannesstärka 
Das  Ideal  der  sittlichen  Schönheit  findet  er  im  Reiche  der  Liebe,  der 
Müde  und  der  Wolthätigkeit  Seiner  Grundanschaunng  von  der  mensch- 
lichen Natur  entsprechend,  findet  sich  die  Liebe,  die  „eigentliche  posi- 
tive Sittenlehre**,  schon  bei  der  Geburt  in  Kinderherzen,  und  deshalb 
ist  es  nicht  nOthig,  „die  Blutenknospe  der  Liebe  einzuimpfen,**  sondern 
nur,  „das  Moos  nnd  Gestrüpp  des  Ich  wegzunehmen,  welches  der  Liebe 
die  Simne  verdeekt.*'  ,3ringet  dem  Kinde'*  —  so  ruft  er  aus  —  „das 
fremde  Leben  und  das  fremde  Ich  lebendig  und  genug  vor  das  seinige, 
so  wird  es  lieben."  Auch  das  thierische  Leben  halte  es  heilig; 
darum  „gebet  ihm  das  Herz  eines  Hindu,  statt  des  Herzens  eines  car- 
tesischcn  Philosophen/'  Endlich  lasse  der  lM/i<  her  durch  eigenes 
Thun  das  Kind  die  Liebe  kennen  lernen.  —  „Lehrt  lieben,  sag*  ich, 
das  heißt  liebt  Mit  diesen  Worten  schließt  Jean  Panl  seine  von 
feiner  psychologischer  iieobachtnngsgabe  und  einem  warmfuhlenden 
Herzen  zeugenden  Ausführungen  über  diesen  in  der  Erziehung  so 
wichtigen  Punkt.  Auch  in  Bezug  auf  die  Ausbildung  des  Schönheits- 
sinnes entwickelt  die  .Levana"  eine  Fülle  h<»clist  beachtenswerter 
Ansichten.  Eines  der  wirksamsten  Mittel  zur  liildunc-  des  Schönheits- 
sinnes ist  allerdings  die  Betrachtung  der  Natur  in  ihren  ewit^^cii.  un- 
verfänglichen Reizen.  Weil  jedoch  diese  neigen  dein  Vollküunueiieii 
auch  das  Unvollkommene,  neben  dem  Vullt-ndeten  vieles  Unferii^re 
und  Verküinnierte  bieten,  so  fordert  unser  Dichter  die  Betraclitiing 
der  verschiedeuäten  Kunbtweike,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  das 


Digitized  by  Google 


—   756  — 


Kind  früher  in  das  Kunstreich  der  durcli  äußore  Sinne  bedingten 
Schönheiten,  der  Malerei,  Musik,  Baukunst  eiiizutiihren  sei,  als  ,.in  das 
Reich  der  durch  den  inneren  Sinn  bedingten,  das  der  Dichtkunst.'- 
„Fangt  an  mit  Raphael  und  mit  Gluck,  allein  nicht  mit  Sophokles." 
Erst  dann,  wenn  die  „Mann-  und  Weibbaikeit  sich  ent- 
zündet haben"  and  „alle  Kräfte  Einheit  oDd  Zukunft  suchen",  trete 
der  Dichter  auf  und  „sei  dei*  Orplieus",  „der  tote  Körper  so  gat  belebt, 
als  wttde  Tbiere  beafthmt.*'  Unter  den  poetischen  HeisterwerkeD, 
deren  Stadium  anf  den  jugendlichen  Geist  Yeredelnd  einwirken  soll, 
soll  jedoch  nach  Jean  Paul  in  der  Weise  eine  Aaswahl  getroffen 
werden,  dass  vornehmlich  die  Erzeugnisse  der  Nationalliter  ata  r 
berttcksichtigt  werden.  Was  die  eigene  Nation  schnf,  das  steht  dem 
Einaehien,  dessen  Denken,  Fflhlen  nnd  Wollen  ja  so  viel^Mh  im  Bann- 
kreise der  nationalen  Bildongsverh&ltnisse  liegen,  jedenfalls  näher  als 
Fremdes.  Aus  diesem  Gronde  mnss  es  aber  auch  einen  viel  nachhal- 
tigeren Einflass  auf  die  ftsthetische-  und  Charaktert>ildQng  dmr  heran- 
wachsenden Jagend  bewirken;  denn  wenn  Bekannte,  deren  Stimme 
wir  kennen,  deren  innerliches  FOhlen  nnd  Denken  ans  so  nahe  liegt 
nnd  Tielfkch  selbst  bewegt^  an  nns  reden,  so  verstehen  wir  ihre  Worte 
nnd  sie  werden  ans  viel  fester  im  Geiste  haften*  Diesen  großen  Ge- 
danken von  der  Gemüths-  und  Herzensbfldnng  dorch  nationale  Kunst 
fasste  Jean  Paul  in  seiner  ganzen  Tragweite  auf  und  gibt  ihm  viel- 
fach Aasdruck.  In  mehreren  Capiteln  verbreitet  sich  sodann  die 
„Levana"  ausführlich  über  die  religiöse  Bildung  des  Zollings,  ihre 
Nothwendigkeit  und  den  Zeitpunkt  ihres  Beginnens.  Dem  jeder  kalten 
Verständigkeit  tief  abholden  Naturell  unseres  Dichters,  der  die  großen 
Angelegenheiten  des  Menschengeschlechts  und  die  Unzahl  ihrer  ver- 
worrenen Fragen  viel  mehr  in  beschaulicher  Innerlichkeit  des  Ge- 
fühls erwägte,  als  mit  der  Schärfe  des  Verstandes  prüfte,  war  es 
jedenfalls  sehr  entsprechend,  dass  er  den  Antheil  des  Geraüthes  und 
der  Gefühle  an  der  Religiosität  des  Menschen  besonders  stark  betont 
und  auch  in  der  P>ziehui);2:  besonders  hervorgehoben  wissen  wollte. 
Sciiarf  wendet  er  sich  gegen  den  Glauben,  als  hänge  die  religiöse 
Bildung  des  Z(>glings  von  der  Anzahl  der  Keligionsstunden  und  der 
Menge  des  dargebotenen  Stoffes  ab.  Solche  Ansichten  kann  sein 
klarer  Geist  l'ur  das  Zeitalter  der  Humanität  nicht  mehr  als  praktisch 
verwendbar  ansehen.  Für  unser  .Tahriiuudert.  in  dem  ,.die  geborstenen 
Kirchenglocken  nur  noch  dumpf  den  Volksmarkt  zu  Kirchenstille 
rul'en."  verlangt  er  eine  mehr  auf  das  sittlich  religiöse  Leben  des 
Menschen  abzielende  Thätigkeit  des  Erziehers.    Unpassend  erscheint 


Digitized  by  Google 


—   757  — 


es  ihm  weiter,  „das  Kind  durch  Beweise  in  die  Welt  der  Beligion 
einführen  zu  wollen."  ,^Jede  Sprosse  der  endlichen  Erkenntnis",  —  so 
führt  er  aus  —  „wird  durch  Allmähliclikeit  erstiegen;  aber  das  Un- 
endliche kann  nur  auf  einmal  angeschaut  werden,  nur  auf  Flügeln, 
nicht  auf  Stufen  kommt  man  dahin."  Steht  in  dieser  Auffassung  die 
„Levana"  im  Gep:enj;atz  zu  den  Ansichten  Rousseau's  und  der  Philan- 
thropist en,  die  bekanntlich  bei  der  religiösen  Unterweisung  Vernunft- 
gründe als  ausschlaggebend  betrachteten,  so  glaubt  Jean  Paul  auch 
hinsichtlich  des  Zeitpunktes,  zu  welchem  der  Unterricht  in  der  Keli- 
gion  beginnen  soll,  nicht  den  f>enannten  Pädagojren  beistimmen  zu 
können.  Denn  will  Rousseau  die  Eulwickelung  dei-  relif2:ir)sen  Welt- 
anschauung bei  seinem  Zögling  erst  mit  dem  Alter  der  Verminft  be- 
ginnen, so  kann  Jean  Paul  mit  ihr  nicht  frühe  genug  anfangen.  Die 
Religion  ist  ihm  ein  Lebenselement,  dessen  Noth wendigkeit  für  alle 
Altersstufen  gleichmäßig  ist.  Ihrer  bedarf  auch  das  Herz  des  Kindes, 
und  die  schönste  Aufgabe  des  Erziehers  bleibt  es,  ihm  die  tröstlichen 
und  das  denkende  Sein  des  Menschen  in  sich  beruhigenden  Wahr- 
heiten dersell)en  einzuflößen. 

Noch  bleibt  uns  übrig,  die  Ansichten  .Tean  Pauls  über  die  phy- 
sische Erziehung  zu  betrachten.  Außer  der  Bedeutung,  welche  die- 
selbe ais  Bildung  und  Entwickdung  der  leiblichen  Seite  des  Menschen- 
wesens schon  in  skk  selbst  hat,  Bchfttst  er  diesslbe  als  Hebd  der 
geistigen,  namentlich  moralischen  Erziehung.  Der  Körper  ist  ihm  der 
„Panier  nnd  Kttrass  der  Seele**  und  „körperliehe  Abhfirtong  ist,  da 
der  Körper  der  Ankerplatz  des  Mathes  ist,  schon  geistig  nOthig.*'  „Oir 
Zweck  und  Erfolg  ist  nicht  sowolGesnndheitsanstalt  nnd  Veilingenmg 
des  Lebens,  als  Ans-  nnd  Znritotnng  desselben  wider  das  Ungemach 
nnd  für  Heiterkeit  nnd  Thfttigkeit''  DnrchdnmgBn  also  wie  Bonsseau 
nnd  die  Phüanthropisten  von  der  Wichtigkeit  dieses  Theiles  der  Er- 
ziehung, widmet  er  ihm  ehie  TerhAltnism&ßig  genane,  in  die  Oestalt 
eines  Briefes  „an  einen  Neayermfthlten"  gekleidete  Darstellnng,  wobei 
er  auf  Kleidung,  Wohnnng  nnd  andere  Angelegenheiten  der  leiblichen 
Endehnng  zn  sprechen  kommt,  nnd  in  diesen  Dingen  sich  mit  seinen 
Ansfllhnuigen  ganz  den  Omndsätzen  der  oben  genannten  M&nner  an- 
schließt Abhftrtnng  des  Körpers  gegen  Kälte  und  Hitze,  die  Fähig- 
keit desselben  zum  Ertragen  von  Anstrengungen  und  Schmerzen,  Stär- 
kung der  Glieder  und  Übung  des  Leibes,  das  sind  ihm  die  Ziele  der 
physischen  Erziehnng.  „Jeder  Vater  baue  um  sein  Haus  ein  kleines 
gj'mnastisches  Schnepfenthal  I "  mit  dieser  Forderung  dringt  er  darauf,  dass 
alle  Eltern  die  erw&hnte  Seite  der  Erziehung  aufs  möglichste  nnterstütien. 


Digitized  by  Google 


—   768  — 


VII. 

Nachdem  wir  nunmehr  den  Plan  der  „Levana"  und  die  wiclitig- 
sten  der  in  ihr  niedergelegten  pädagogischen  Grundgedanken  kurz  zu 
entwickeln  versucht  haben,  bleibt  uns  noch  übrig,  die  Hauptsätze  der 
Jean  Panischen  Pädagogik  von  dein  Standpunkt  der  heutigen  Kr- 
ziehungswissenschaft  aus  zu  beleuchten  und  dieselben  auf  ihren  Wert 
oder  Unwert  zu  prüfen.  Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  be- 
reits bei  der  p]ntvvickelung  des  Planes  der  „Levana"  unrl  ihrer  Grund- 
gedanken öfters,  wenn  auch  nur  kurz,  auf  die  Ansichten  älterer  Päda- 
gogen und  auch  mitunter  auf  die  Gegenwart  hingewiesen  wurde,  und 
schon  in  der  P^inleitung  erwähnten  wir  die  Einflüsse,  welche  das 
Naturell  des  Dichtei-s,  die  damaligen  Zeitverhältnisse  und  der  Stand 
der  Pädagogik  überliaupt  auf  den  Geist  der  „Levana"  hatten.  Aus 
diesen  Gründen  düifeii  wir  wol  auf  eine  ins  Einzelne  geiu  ii  lt-  Beiir- 
theiliing  verzichten  und  wollen  nur  die  wichtigsten  der  in  bestimmter 
Form  auftretenden  und  die  Kritik  besonders  herausfordernden  päda- 
gogischeu Leitgedanken  in  gediängter  Kürze  einer  Beleuchtung  unter- 
ziehen. 

SdiOQ  als  wii'  den  Jean  Paiüsclieii  Grundsatz  von  der  Gttte  der 
Kindesnatnr  dancnateUen  yersneliten,  Viesen  wir  darauf  hin,  dass  er 
diese  Ansicht  mit  Rousseau  theile.  Durch  die  pAdagogischen  Schriften 
des  letzteren  wurde  sie  in  die  Eraehnngswisseaschaft  eingeführt  und 
namentlich  von  den  Philanthropisten  aufgenommen  und  aufis  nachdrttck- 
iichste  vertreten.  Die  meisten  pädagogischen  Schriftsteller  zu  Jean 
Pauls  .Zeit  huldigten  ihr  und  bis  in  unsece  Tage  £uid  sie  begeisterte 
Vertreter.  Dem  gegenüber  hielt  die  traditionelle  Pädagogik  nach  wie 
vor,  gestützt  auf  die  Lehre  von  der  nErbsünde»**  an  einer  angeborenen 
Verderbtheit  der  menschlichen  Natur  fest  Selbstverständlich  ist  das 
Überwiegen  der  einen  oder  der  anderen  Anschauung  stets  von  weit- 
gehendem Einflnss  auf  die  pftdagogische  Pknzis  gewesen.  Nach  der 
auch  von  Jean  Paul  vertretenen  Anschauung  hat  die  Erziehung  den 
neugeborenen  Menschen  nicht  nur  als  ein  von  allen  sittlichen  Mängeln 
reines,  sondern  auch  mit  den  höchsten  Vorzügen  ausgestattetes  Wesen 
zu  betrachten.  Demgemäß  wird  ihre  ßehandlungsweise  in  einer  sorg- 
fältigen Abhaltung  der  ihm  etwa  v<»n  außen  zustrOmenden  üblen  Ein- 
flüsse bestehen,  da  nur  hierdurch  der  Meusch  die  unbefleckte  Reinheit 
seines  Wesens,  wie  sie  die  Natur  in  ihn  legte,  beibehalten  und  zui* 
höchsten  Ausbildung  bringen  kann.  Die  gegentheilige  Ansicht  dagegen 
wird  den  Menschen  als  unter  dem  Einflüsse  nrsjn  tiiiLrlicher  Verderbnis 
stehend  betrachten,  die  ihm  hauptsächlich  durch  das  Gebundensein 


Digitized  by  Google 


—   759  — 


an  seine  sinnliche  Natur  anhatte.  Diese  verwerflichen  Eigenthümlich- 
keiten  der  Menschennatur  wird  demnach  die  Erziehung  nach  Möglich- 
keit zu  unterdrücken  haben,  um  einem  von  außen  her  dem  Menschen 
gesetzten  Ideal  Raum  zu  verscluift'en  und  demselben  die  Herrschaft 
über  die  natürliche  Verderbtheit  zu  erringen.  Dass  die  Befolgung  dieser 
beiden  einander  gegenüber  stehenden  Ansichten  in  der  pädagogischen 
Praxis  zu  Unzuträglirhkeilen  führen  müsse,  ersclieint  bei  näherer 
Betraditung  als  selbst verständlicli;  denn  die  erstere  besteht  in  einer 
Überscliätzung  der  mensclilicheu  Veranlagungen,  während  die  letztere 
eine  Unterschätzung  derselben  in  sich  schließt.  Auf  Grundlage  der 
Erruugeuscliaften  unserer  modernen  Psychologie  ist  die  neuere  päda- 
gogische Wissenschaft  in  dieser  Frage  zu  einer  selbstständigen  Stellung 
gelangt,  wodurch  die  Übertreibungen  der  beiden  angeführten  Anschau- 
ungen glücklich  vermieden  werden.  Lassen  wir  einen  berufenen  Ver- 
treter derselben  hierüber  sprechenl  Diesterweg  gibt,  wenn  er  die 
Hauptgegensätze  der  traditionellen  und  der  modernen  Pädagogik  ein- 
ander gegenüber  stellt,  den  Standpunkt  der  letzteren  in  den  WorteQ 
an:  „Die  menschliche  Natur  ist  zu  Anfang  ungebildet  (roh),  sie  trägt 
die  Emaa  zu  einer  unendlichen  Mannigfaltigkeit  in  sich,  durch  Er- 
zfehoDg  vird  sie  gebildet  und  yeredeit"  Das  natürliehe  Waebsthum 
der  im  Menschen  liegenden  Keime  f&hrt  demnach  weder  ausschliefiUch 
zum  Gnten  noch  ansschließlich  zum  Schlimmen.  Nach  beiden  Seiten 
hin  kann  vielmefar  je  nach  den  Bedingungen,  anter  welchen  die  Er- 
ziehung steht,  eine  Entfiiltnng  stattfinden.  Au^be  einer  gut^  Er- 
ziehung wird  es  natflrlich  sein,  die  dem  Menschen  yon  der  Natur  ver- 
liehenen Kräfte  und  Fähigkeiten  harmonisch  zn  entwickeln  und  sie  so 
in  den  Dienst  des  Wahren,  Guten  und  SchOnen  zu  stellen. 

Was  die  Ansichten  der  „Leyana"  Uber  den  »Idealmenschen"  und 
dessen  Natur  betrifft,  so  wurde  schon  oben  angegeben,  dass  dieselben 
mit  den  idealistischen  Lehren  Plato's  Aber  die  angeborenen  Ideen  im 
Zusammenhange  stehen.  Der  wissenschaftliche  Realismus,  gestützt  auf 
die  Ergebnisse  einer  möglichst  exacten  Psychologie,  hat  sich  gegen 
eine  derartige  Auffassung  der  Menschennatur  jederzeit  ablehnend  yer- 
haiten  müssen,  da  sie  nicht  nur  jeder  unbefangenen  Ei-wägung,  sondern 
auch  namentlich  der  Erfahrung  gänzlich  widerspriclit.  Nach  der  er- 
wähnten Ansicht  sind  nämlich  alle  wesentlichen  Verhältnisse  der  aus- 
gebildeten Menschennatur  schon  in  der  unausgebildeten  derart  gegeben, 
dass  die  Erziehung  nichts  weiter  thun  kann,  als  das  auf  dem  Grunde 
der  Seele  schlummernde  zu  wecken  und  ihm  etwa  nur  in  unwesent- 
lichen Einzelheiten  eine  besondere  fiichtung  zu  geben.  Zur  näheren 


Digitized  by  Google 


—  760  — 


Ausfülirun;^  dieser  Gedanken  und  zur  Wideilegung  derselben  wollen 
wir  ebenfalls  einen  berufenen  Vertreter.  F.  E.  Beneke,  sich  aus- 
sprechen lassen.  ,.'Wie  es  eine  durchaus  unhaltbare  Erdichtung  ist," 
sagt  er.  ,.dass  der  Marmor  schon  die  Züge  der  IMldsäule  irgendwie 
in  sich  tragen  soll,  so  aucli  die  Anwendung  auf  die  Erziehung.  Die 
menschliche  Seele  besitzt  keiueilei  ursprüngliche  Aulagen  von  solcher 
Bestimmtheit  und  Ausliilduug,  und  der  Erzieher  hat  also  keineswegs 
nur  auseinander  zu  wickeln,  oder  das  Schlummernde  zu  wecken,  sondern 
was  er  einst  in  Zukunft  finden  will,  muss  er  erst  in  sich,  und  dann 
in  der  Seele  des  Kindes  mit  Liebe  und  Sorgfalt  und  nicht  selten  mit 
selbstverleugnender  Anstrengung  begründen," 

Jean  Paul  selbst  widerspricht  denn  auch  der  im  Anfang  von  ihm 
festgestellten  Theorie,  wenn  er  sagt,  ,.dass  der  Erzieher  von  einer 
Individualität,  die  er  wachsen  lassen  muss,  eine  andere  zu  trennen 
hat,  die  er  beugen  oder  lenken  soll.*'  Erstere  ist  ihm  die  intellec- 
taelle,  letztere  die  sittliche.  Mit  ganz  richtigem  Geffthle  tritt  er  also 
zunächst  in  der  sittlichen  Erziehung  seinem  anfangs  gelehrten  Qrand- 
satze  entgegen,  dass  der  im  Idealmenschen  enthaltenen  Individnalität 
angehindertes  Wachsthnm  zn  gewfthren  sei  Aber  aneh  in  Betreff  der 
intellectuellen  Büdnng  hätte  er  seine  Onmdansicht  in  ihrer  Aniren. 
dang  als  verfehlt  betra<diten  mflssen.  Das  folgt  schon  ans  dem  engen 
Zusammenhang,  in  welchem  die  intelleetuelle  and  die  moralische  Seite 
des  Menschen  Wesens  stehen;  aber  schon  der  Grandsatz  einer  harmo- 
nischen Aosblldang  aller  Kräfte  verlangt  es,  dass  sich  das  beogende 
and  lenkende  Element  der  Erziehung  auf  sämtliche  Leibes-  und 
Seelenkräfte  zu  erstrecken  hat 

Zu  den  Eigenthflmlichkeiten  der  Jean  Paul'schen  Pädagogik, 
welche  von  jeher  den  laatesten  Widersprach  erfehren  haben,  g^ören 
namentlich  auch  die  Ansichten,  welche  er  Über  die  Büdang  znm 
Witze  entwickelt.  Wenn  der  Verfasser  der  „Levana"  der  Übung 
jener  Geisteskraft  eine  große  Bedeutung,  namentlich  für  die  erste 
Entwickelang  des  kindlichen  Geistes  zaerkennt,  so  wird  ihm  dies 
nicht  geradezu  abgestritten  werden  können.  Wenn  er  aber  den 
Übungen  in  witzigen  Einfällen  und  Gedanken  allzu  großen  Spielraum 
gewährt;  wenn  er  einen  besonderen  Theil  der  Unterrichtszeit  darauf 
verwendet  wissen  will;  wenn  er  diesen  ersten  kindlichen  Versuchen 
im  Witzspiele  alle  Gegenstände  fast  ohne  Auswahl  überlässt  und  so- 
gar die  Person  des  Lehrei*s  denselben  aussetzt:  so  dürfte  dies  doch 
weit  über  die  Grenze  des  pädagogisch  Erlaubten  hinausgehen.  Ver- 
mehrt werden  diese  Bedenken  noch,  wenn  man  überlegt,  dass  Jean 


Digitized  by  Google 


—   761  — 


Paul  diese  um-eifen  Erzeugnisse  des  kindlichen  Geistes  sogar  aufzu- 
schreiben empfielilt.  Hierin  liegt  ganz  gewiss  eine  Überschätzung 
dieser  regellosen  Einfalle,  welche  aiit  .Seiten  des  Kindes  gar  leiclit  zu 
Eitelkeit,  Einbildung  und  Dünkel  führen  kann.  Vielleicht  ist  die 
Maßlosigkeit  der  Jean  Paulschen  Ansiciiten  in  diesem  Punkte  zurück- 
zuführen auf  seine  Hinneigung  zu  Ideen  der  Philantliropisten,  die  sich 
bekanntlich  angelegen  sein  ließen,  „das  Lernen  nur  in  lauter  Sonnen- 
schein zu  betreiben"  und  dasselbe  dem  Kinde  nicht  zu  einer  Kraft 
heischenden  Arbeit,  sondern  zu  einem  angenehmen  Spiele  des  Gciätes 
zu  gestalten. 

Obschon  es  nicht  möglich  ist,  in  einem  kritischen  Überblick  über 
die  hauptsächlichsten  pädagogischen  Gruudan^i^•llte^  der  „Levana" 
auf  alle  Einzelheiten  einzugehen,  so  ist  es  deiiiKich  von  Interesse, 
eine  besonders  auffallende  Erscheinung  hervorzuheben,  nämlich  die 
Rangordnung,  welche  Jean  Paul  den  einzelnen  Unteirichtsfächern 
nach  Maligabe  ihrer  erziehlichen  Kräfte  zutheilt.  Besonders  merk- 
würdig ist  in  dieser  Hinsicht,  dass  Jean  Paul  die  Kealfächer  ganz  in 
den  Hintergnmd  treten  lässt  und  von  ihrem  formalbildenden  Einflüsse 
eine  so  sehr  geringe  Meinimg  hegt.  Dr.  E.  Lange,  der  eine  neae 
Ausgabe  der  „LeTana"  besorgt  hat,  spricht  sich  hierüber  Uk  folgenden 
Worten  ans:  „Wenn  heutzutage  schwerlich  jemand  diese  befremdliche 
Ansicht  theilen  und  den  sogenannten  KRealien**  mit  Jean  Paul  einen 
so  geringen  Bildungsgrad  beflegen  wird,  so  ist  das  ein  erfreuliches 
Zeichen  dafür,  dass  seit  dem  AnfEuig  dieses  Jahrhunderts  Theorie 
und  Praxis  des  Unterrichts  wesentliche  Fortschritte  gemacht 
haben.  Zur  Zeit,  da  der  Yerfiisser  der  «Levana**  unterrichtete,  be- 
stand der  Sachunterricht  allerdings  zum  guten  Theil  aus  einem  „an- 
hftufenden  Vorlehren**  von  Baiitäten  und  bunt  zusammengewttrliBlten 
nützlichen  Kenntnissen;  von  geistiger  Durchdringung  und  Belebung 
des  heterogenen  StoffeSi  von  einer  Auffassung  des  Natur-  und  Menschen- 
lebens als  eines  organischen  Ganzen  konnte  damals  bei  der  UnyoU- 
kommenheit  der  betreffenden  Fachwissenschaften  nicht  die  Bede  sein. 
Und  so  darf  uns  nicht  wundem,  dass  Richter  die  Bedeutung  der 
Realien  für  die  Bildung  der  Intelligenz,  ja  für  das  gesammte  geistige 
Leben  übersieht  und  ihnen  die  Fähigkeit,  den  Büdnngstrieb  zu  wecken 
und  zu  fördern,  abspricht." 

VIII. 

Wir  sind  am  Schlüsse  unserer  Betrachtungen  über  Jean  Pauls 
„Levana"  angelangt.   Bei  der  Kürze  unserer  Arbeit  konnte  es  uns 


Digitized  by  Google 


—   762  — 


unmöglich  gelingen,  dieselben  erschöpfend  zu  gestalten.  Aber  selbst 
bei  Anhäufung  von  viel  unitassenderem  Material  würde  es  schwer 
fallen,  dem  eigenartigen  und  interessanten  Buche  gerecht  zu  werden. 
Die  Fülle  des  Geistes  und  der  sinnigen  Beobachtungen,  welche  die 
„Levana"  in  ihrem  weiten  Rahmen  birgt,  lässt  sich  nur  durch  lange 
Beschäftigung  und  inniges  Vertrautsein  mit  diesem  AVerke  völlig  er- 
gründen und  dem  eigenen  Gedanki  nkreise  nutzbar  machen.  Ein  Buch, 
an  dem  einer  nnserer  fruchtbarsten  und  schreibgewandtesten  Dichter 
nach  eigenem  Oeständnisse  10000  Stunden  arbeitete,  muss  der  Rätlisel 
Tide  bieten  und  dem  Oeiste  Stoff  za  langdaneradtf  Aibeit  gebm. 
Tiefgrflndig,  wie  Jean  Pauls  Erziehlebre  ist,  wird  sie  stets  dem  tiefer 
Denkenden  und  Grabenden  eine  Quelle  zaUreicher  Oedankenkeime 
sein,  die  sich  im  Oemttthe  des  emsig  weiter  Forsdienden  nnd  die 
Aufgaben  seiner  Wissenschaft  vertiefenden  Erziehers  zn  einer  FAlle 
der  herrlichsten  Oedankenblftten  entfiUten.  Und  doch  sehen  wir,  wie 
das  schfttzbare  Werk  des  poesiereichsten  nnserer  Pftdagogen  immer 
mehr  vereinsamt  und  der  großen  Mehrheit  nnserer  Zeitgenossen  zum 
bloBen  Namen  herabzusinken  droht  Wie  audkUend  ist  diese  That- 
Sache,  wenn  wir  bei  ihrer  Benrtheflung  an  die  Zustände  in  den  Tagen 
Jean  Panls  denken! 

Damals  war  seine  „LeTana"  eines  der  meist  gelesenen  Werke 
nnserer  Literatur,  und  in  höheren  Ständen,  wo  man  die  Oberzahl  der 
übrigen  Erziehungsbttcher  als  langweQige  Leetttre  aus  der  Familien- 
bibliothek ausschloss,  galt  es  als  nothwendige  Bedingung  fflr  jede  ge- 
liildote  Mutter,  die  „Levana"  gelesen  zu  haben.  So  verpflanzte  dieses 
Buch  einen  reichen  Schatz  pädagogischer  Gedanken  und  Erfahrungen 
in  die  Angehörigen  jener  Stände,  an  welchen  bis  dabin  die  Uochtlut 
pädagogischer  Beformbestrebungen  spurlos  vorübergeranscht  war.  Aui 
diese  Weise  wurde  unser  Dichter  mit  seinem  gehalt-  und  erfolgreichen 
Buche  ein  wirksamer  Seitenkämpfer  und  eine  sehr  bedeutungsvolle 
Ergänzung  Pestalozzi's,  der  zu  jener  Zeit  im  Sohweizerlande  mit 
begeisterter  und  aufopfernder  Thätigkeit  für  Mensclienheil  durch  .lup-end- 
bildiing  wirkte.  Das  ist,  wie  gesagt,  im  Laufe  der  letzten  .lahrzehnte 
anders  geworden.  Als  Familienl)uch  wird  die  ..Levana"  nur  höchst 
selten  noch  gefunden,  und  selbst  in  pädagogisclien  Kreisen  ist  man 
groL)t'ntheils  mit  Jean  Pauls  Erziehlehre  ni^'ht  sehr  bekannt.  Ja, 
die  Tlieilnahme  für  unser  Buch  ist  nachgerade  fast  zum  bhts  histo- 
rischen Interesse  herabgesunken!  Citirt  werden  die  goldenen  Worte 
des  Werkes  zwar  allenthalben,  und  einzelne  seiner  gehaltreichsten 
Sätze  wandern  von  Mund  zu  Mund.   An  rückhaltloser  Bewunderung 


Digitized  by  Google 


—   783  — 


für  Jean  Pauls  pädagogische  Schi-ift  hat  man  niemals  gespart,  aber 
mit  dem  T.esen  derselben  ist  es  in  unseren  'J'ügen  schleclit  bestellt. 
Es  kann  uns  nicht  scll^ver  fallen,  für  diesen  anscheinend  auftalligen 
Umstand  eine  ausreichende  Erklärung  zu  finden.  Den  Zeitgenossen 
Jean  Pauls  war  die  ..LHYanii"*  wie  die  übrigen  Schritten  dieses 
Dichters  eine  LieblingslectUre;  denn  sie  fanden  in  diesen  Werken 
Spiegelbilder  ihres  eigenen  Denkens  und  Fuhlens.  Ganz  wie  jenes 
Zeitalter,  in  welchem  unsere  ,,Levana"  das  Licht  der  Welt  erblickte, 
dachte  und  fülilte  ihr  Autor.  Sein  Werk  ist  ein  Austluss  all  jener 
Ideen,  welche  .seine  Zeit  bewegten,  abgespiegelt  und  moditicirt  durch 
die  Persönlichkeit  eines  Dichters,  der  sich  getragen  fühlte  von  dem 
Gedankt!!,  den  besten  seiner  Mitlebenden  genug  gethan  zu  haben. 
Die  Humanität,  jener  wunderthätige  „(Tral  unserer  classischen  Tafel- 
runde" (Gottschall),  der  Philanthropismus  mit  seinem  eifrigen  und 
nicht  selten  fibereilten  Streben  nach  einer  möglichst  rationellen  Jugend- 
hildang,  diese  Kichtungcn  gaben  unserem  Dichter  die  Leitgedanken 
ZOT  »Levana".  Dass  kam  noch  ein  atarfc  ausgeprägter  Zag  von 
Sentimentalität  als  peraöalidie  Zugabe  ihres  VeifSusm  Damm  kann 
es  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  Jean  Panls  Werk  eine  so  weitgehende 
Verbreitnng  nnd  begeisterte  Anftaahme  fand.  Da  aber  nnser  Jahr- 
hundert gerade  mit  den  hervorragendsten  der  damaligen  Streit-  nnd 
Zeitgedanken  ziemlich  zum  Abschlnss  gekommen  ist,  oder  dieselben 
doch  wenigstens  in  veränderter  Form  vertritt,  so  mosste  auch  die 
Theilnahme  fftr  ein  Werk,  das  in  der  Art  der  «Levana*  durch  die- 
selbe beeinflusst  ist,  allmählich  erkalten.  Außerdem  ist  nicht  zu  ver- 
kennen, dass  ffir  unser  Buch  in  jetziger  Zeit  Ersatz  gegeben  ist 
durch  pädagogische  Werke,  welche  in  ihrer  Darstellung  den  Fortp 
schritten  und  Interessen  der  Gegenwart  in  höherem  Malle  Rechnung 
tragen.  Was  aber  die  „Levana"  wirkte  und  pflegte  zur 
Blfitezeit  ihres  Bestandes,  was  sie  an  Theilnahme  und  Be- 
geisterung zum  Nutzen  der  pädagogischen  Kunst  und  Wissen- 
schaft erweckte,  das  kann  nie  entschieden  genug  betont 
werden,  und  das  in  dieser  Bichtung  Erzielte  bildet  ein 
schönes  Blatt  im  Lorberkranze  ihres  Dichters.  Auch  heute 
noch  liest  sein  Werk,  wer  die  mitunter  schwer  zu  durchbrechende 
HiUle  nicht  scheut,  um  ins  Heiligthum  einer  reichen  Fülle  i>ädago- 
gischer  Gedanke  n  zu  gelangen,  mit  hohem  G^USS,  und  die  Ernte  an 
wirksamen  Antiieben  und  begeisternden  Hinweisen  auf  die  edlen  Ziele 
unserer  Wissenschaft  ist  nicht  gering.  Namentlich  die  große  Zahl 
der  Pädagogen  im  engeren  Sinne  sollte  an  dem  gehaltreichen  Erzeug- 


Digitized  by  Google 


—   764  — 


nisse  ihres  gioßen  Mitstrebenden  nicht  theilnahmslos  vorübergehen; 
denn  wie  ein  Feuer  auf  dem  Berge  den  Wanderern  im  Thale  die 
-  Pfade  erhellt  mä  dm  Weg  za  liOhereii  Begionen  ihrai  Blicken  ent- 
hfUlt,  80  lenditea  die  edlea  Gtedanken  der  «Levana''  als  taghelle 
G^eistesbütse  in  jedes  Erziehers  Gemfltb,  es  erwSrmend  nnd  b^eistemd 
fttr  das  Heilige  seiner  Aufgabe,  nnd  ihm  in  fernem  goldenen  Schim- 
mer zeigend  das  höchste  Frindp  seines  Denkens,  das  Ideal  seines 
Berufes. 


Digitized  by  Google 


Uber  den  (lebnrtsort  des  Comenios. 

Vom  Herawgeber. 

ßekAnntlich  hat  der  dreihimdertste  Geburtstag  des  Comemus 
eine  grofie  BereieheroDg  der  diesen  berühmten  Schulmann  betreffenden 
Literator  mit  sich  gebracht.  Doch  sind  noch  keineswegs  alle  Einzel- 
heiten seines  Lebens  und  Wirkens  vOUig  gekUlrt«  So  wird  z.  B.  noch 
eiftig  gestritten  nm  seinen  Geburtsort..  Wenn  dieser  nun  auch  an 
dem  geistigen  Bilde  und  der  inneren  Bedeutung  des  grollen  Mannes 
nichts  ändern  kann,  so  ist  es  doch  stOrend  und  zeitraubend,  in  Bttchem, 
Beden  und  Lehrvorträgen  immer  und  immer  wieder  langen  Untere 
Buchungen  und  Controyersen  über  diesen  Gegenstand  zu  begegnen; 
noch  weniger  aber  kann  es  befriedigen,  liierüber  nnr  mit  unzuver- 
lässigen Notizen  abgespeist  zu  werden.  Gewiss  wäre  es  also  von  Vor- 
theil, warn  endlich  die  so  viel  umstrittene  Frage  durch  ein  sicheres 
Ergebnis  zum  Abschluss  gebracht  werden  könnte.  Und  in  der  That 
glaube  ich,  dass  Uber  den  Geburtsort  des  Comenius  heute  kein 
Zweifel  mehr  bestehen  kann.  • 

Bekanntlich  sind  im  Laufe  der  Zeit  von  verschiedenen  Schrift- 
stellern drei  Orte  als  Geburtsstätten  des  Comenius  bezeichnet  worden, 
die  sämtlich  im  südöstlichen  Mähren  und  nicht  weit  von  einander  ent- 
fernt liegen:  nämlich  Komna  (oder  Komnia),  Niwnitz  und  Ungarisch- 
Brod.  Für  die  mit  den  Ürtlichkeiten  nicht  Vertrauten  sei  kurz  folf,'en- 
des  bemerkt.  Die  Stadt  Ungarisch-Brod  findet  sich  in  jedem  nicht 
allzudiü'ftigen  Atlas.  P]twa  5  Kilometer  südlich  davon  liegt  der  Markt- 
flecken Niwnitz;  ungefähr  doppelt  so  weit  von  rnj,^arisch-Brod  entfernt 
liegt  in  der  Mitte  zwisclien  dieser  Stadt  und  Trciitschin  an  der  Waag 
das  Dorf  Komna  (Kouinia),  hart  an  der  nngarischeii  (kreuze.  Dasselbe 
wird  in  folgendem  nicht  weiter  in  Betracht  koumieu,  da  gegenwärtig 

Pniiagogium.    U.  Jahrg.    Heft  XII.  Ö3 


Digitized  by  Google 


—   766  — 

feststehtt  dass  es  nickt  Hat  Geburtsort  des  CknneniiiB,  sondern  nnr 
der  Stammort  seiner  Familie  ist,  indem  entweder  die  Eltern  des  Pä- 
dagogen oder  schon  frAhere  Vorfahren  desselben  ans  Eomnia  ans* 
wanderten,  nm  sich  in  Üngarisch-Brod  (nicht  in  Niwnitz)  niederzulassen. 
Der  Streit  dreht  sich  also  derzeit  nur  noch  um  Un^.-Brod  und  Niwnitz. 

Da  ich  schon  längst  gewünscht  hatte,  die  Heimat  des  Comenios 
zu  sehen,  so  begab  ich  mich  im  September  vorigen  Jahres  dorthin, 
begleitet  von  dem  verdienten  Vorsitzenden  der  Wiener  Pädagogisehen 
Gesellschaft,  Herrn  M.  Zens;  als  freundlicher  und  kundiger  Führer 
schloss  sich  uns  Herr  Bürgerschullehrer  Fr.  Lang  in  Ung.-Brod  an. 
Besondere  Aufmerksamkeit  widmeten  wir  natürlich  u.  a.  den  zwei 
Mühlen,  deren  geg:enwärtif^e  Besitzer  nebst  vielen  anderen  Personen 
mit  Entschiedenheit,  man  kann  sagen  mit  Stolz  und  Begeisterung  be- 
haupten, dass  daselbst  Arnos  Comenius  das  Licht  der  Welt  erblickt 
habe.  Die  eine  dieser  Mühlen  liegt  in  Niwnitz.  die  andere  gehört  zu 
Brod,  liegt  aber  außerlialb  der  nocli  mit  l"estunj,'sin;iuein  umgebenen 
Stadt,  in  der  Kichtuug  nach  Niwnitz.  Natürlich  kunnten  die  Argu- 
mente, welche  wir  in  diesen  Mühlen  hörten,  uns  weder  für  die  eine 
noch  für  die  andere  Tradition  gewinnen,  da  ihnen  keine  urkundliche 
Beweiskraft  zur  Seite  stand.  Es  ist  nicht  einmal  sicher  bezeugt,  dass 
Comenius  der  Sohn  eines  Müllers  war,  wenn  audi  diese  Überlieferung 
—  trotz  der  neuerlich  gegen  sie  vorgebrachten  Zweifel  —  wegen  ihres 
huhen  Alters  und  ihrer  Beständigkeit  im  Volksmunde  die  W^ahrschein- 
lichkeit  für  sich  hat. 

Die  bisherige  Unsiclierheit  über  den  Geburtsort  des  Comenius 
beruhte  in  erster  Liuie  darauf,  dass  die  älteste  und  wichtigste  Urkunde 
hierüber  verloren  gegangen  ist,  wie  es  scheint  für  immer:  es  sind 
nämlich  weder  in  Ung.-Brod  noch  in  Niwnitz  Geburtsregister  aus 
der  hier  in  Betracht  kommendoi  2eit  erhalten;  wahrscheinlich  hat  da, 
wie  in  yielen  anderen  FftUen,  der  30jährige  Krieg  vernichtend  gewirkt 
In  zweiter  Linie  ist  die  Unsicherheit  dalier  gekommen,  dass  die  etwas 
späteren  und  erhaltenen  Nachrichten  tther  die  vorliegende  Frage  . 
sich  widersprechen,  indem  sie  teils  anf  Niwnitz,  teils  auf  Ung.-Brod 
laaten.  Daher  erklärt  es  sich  anch,  weshalb  noch  unter  den  neuesten 
Biographen  des  Ck>menius  gerade  diejenigen  zwei,  welche  am  gründ- 
lichsten auf  die  Quellen  eingehen,  nämlich  Kvacsala  und  Vrbka,  be- 
züglich des  fraglichen  Geburtsortes  entgegengesetzter  Ifeinung  sind, 
indem  jener  für  Niwnitz,  dieser  für  Ung.-Brod  eintritt,  obwol  jeder 
von  beiden  noch  einen  schwachen  Zweifel  gegen  seine  Annahme  zn- 
lässt.  Wer  hat  nun  Becht? 


Digitized  by  Google 


—   767  — 


Die  Nachrichten,  auf  welche  Kvacsala  und  Vrbka  sich  stützen, 
lind  auf  welche  wir  derzeit  ausschiießlich  angewiesen  sind,  rühren 
theils  dii*ect  von  Arnos  Comenius  selbst  her,  theils  von  solchen  Pei*sonen, 
die  aller  \\'ahr.scheinlichkeit  nach  ihre  Informationen  eben  auch  von 
Arnos  Comeiiius  —  mittelbar  oder  unmittelbar  —  erhalten  hatten. 
Weil  nun  diese  Nachrichten  von  unanfechtbarer  Echtheit,  keineswegs 
aber  so  unvereinbar  sind,  wie  es  nach  ihrem  Wortlaute  scheinen 
konnte,  so  sind  sie  meines  Erachtens  in  der  vorliegenden  Frage 
völlig  entscheidend,  da  man  nicht  bezweifeln  kann,  dass 
Arnos  Comenius  selbst  gewusst  habe,  wo  er  geboren  war. 

Die  in  Betracht  kommenden  Nachrichten  nun  ergeben,  dass  Co- 
menius in  seinen  jüngeren  Jahren  immer  Niwnitz  als  seinen  Geburts- 
ort bezeiclinet  hat,  dass  jedoch  später  von  anderen  Personen  und  auch 
einmal  von  ihm  selbst  Ung.-Brod  als  seine  Heimat  bezeichnet  worden 
ist.  Bevor  wir  auf  die  Lösung  dieses  Widerspruches  eingehen,  wollen 
wir  ihn  erst  deutlicher  darstellen. 

I.  Comenius  nennt  sich:  Niwnioensis,  Niwnicenns,  Arnos  Nivanus 
Joh.  Arnos  e  Marcomannis  NiyvniceniiB,  also  immer  so,  dass  er  zweifel- 
los Niwnitz  als  seinen  Gebortsort  beseiclmet  und  zwar  namentlich 
bet  folgenden  Anlässen:  1.  bei  seiner  Inseription  an  der  Hochadrale 
in  Herbom  (1611),  3.  bei  ünterzeichnmig  seiner  ersten  (erhaltenen) 
literarischen  Arbeit,  eines  lateinischen  Gedichtes  (1612),  3.  bei  seiner 
Inseription  an  der  ünirersitit  Heidelberg  (1613),  4.  beim  Anfcanf  einer 
Handschrift  von  Copemiciis,  indem  er  anf  dieselbe  seinen  Namen 
setzte  (1614). 

IL  Zn  Elbing,  wo  sieh  Comenins  bekanntUcfa  1642—1648  aofhielt, 
wurde  er  in  den  BathsprotokoUen  »Johannes  Amos  Comenins  Hnnno- 
brodensis^  genannt*),  ebenso  nannte  er  sich  selbet  in  einer  in  der 
Schule  za  Saros-Fatak  yon  ihm  gehaltenen  Bede  (1660),  endlich  be- 
findet sich  im  British  Mnsenm  za  London  ein  Mannscript,  welches  den 
Text  zn  einer  Grabschrift  fttr  Comenins  enthält»  in  der  n.  a.  folgende 
Stelle  vorkommt:  Natns  die  28  Ifartii  MDXCH  Hnnnobrodae. 

Nnn  halte  ich  die  erste  Gruppe  von  Zeugnissen  ttber  den  Ge- 
burtsort des  Comenius  für  unbedingt  entscheidend  und  alle  an  ihnen 
yersuchten  Deutungen  für  ganz  willkürlich  und  belanglos.  Was  die 
zweite  Gruppe  derselben  betrifft,  so  können  sie  nur  daraus  erklärt 
werden,  dass  Comenius  die  seinem  Geburtsort  benachbarte  Stadt 
deshalb  als  seine  Heimat  bezeichnete,  weil  in  der  Feme  vOn  dem 


*)  Siehe  Monatshefte  der  Comeiiiii»^(e8eU8chaffc  1.  Jhig.  S.  66. 

58»  ^ 


Digitized  by  Google 


—   768  — 


kleinen  Niwnitz  niemand  etwas  wusste,  während  Un^.-Brod  immerhin 
eine  nicht  unbedeutende  Stadt  war  und  in  jener  Zeit,  sowie  schon 
früher,  als  Festung  eine  Rolle  in  der  Kriegsgeschichte  spielte  und  oft 
genannt  wurde.  Auch  war  ja  diese  Stadt  der  Wohnort  seiner  Eltern 
und  sein  eigener  in  seinen  12  ersten  Lebensjahren,  nur  eben  nicht 
sein  (Teburtsort.  In  Herborn  und  Heidelberg  durfte  sich  Comenius 
mit  dieser  ungefähren,  weniger  genauen  Bezeichnung  seines  Ge- 
burtsortes nicht  begnügen,  weil  dies  in  allen  officiellen  Verhältnissen, 
besonders  auch  bei  Aufnahme  in  Schulen,  nicht  statthaft  ist;  denn 
in  solchen  Fällen  ist  volle  Genauigkeit  Voi*schrift  und  allgemeiner 
Usus.  Auch  kann  man  sich  gar  keinen  Grund  denken,  weshalb  Co- 
menius einen  unbedeutenden  Flecken  als  seinen  Geburtsort  bezeichnet 
haben  sollte ,  wenn  er  in  dt  r  benachbai'ten  ansehnlichen  Stadt  zui* 
Welt  gekommen  wäre.  Gerade  das  Rangverhältnis  zwischen  Niwnitz 
und  Ung.-ßrod  ist  insofern  von  erheblichem  Belang,  als  man  dem 
Comeoins  ein  widersinniges  Vorgehen  zuscbrefben  müsstei  wenn  er  statt 
Honnobrodengis  „Niwnicenns**  geschrieben  hfttte,  wilirend  es  nicht 
yerwondem  kann,  wenn  er  gelegentlich  statt  Niwnieeiiais  „Hnnno- 
brodeosis''  sagte,  was  dann  auch  von  sefaien  Zeitgenossen  (in  England, 
Schweden,  Elbing,  Amsterdam  o«  s.  w.)  angenommen  wnrde.  Nun  stoßt 
man  sich  aber  besonders  an  der  erwähnten  Grabschrifit*)  nnd  swar 
hauptsächlich  deshalb,  weQ  man  als  ihren  VerfSuser  des  Comeoins  leib* 
liehen  Sohn  Daniel  ansieht,  der  doch  wol  das  Bichtlg«  gewosst  haben 
mOsse.  Diese  Antorschaft  ist  nun  zwar  nicht  sicher  erwiesen,  wie 
man  anch  nicht  weiß,  ob  die  besagte  Inschrift  wirklich  auf  des  Co- 
menius Grab  gesetzt  worden  ist  Geben  wir  aber  beide  UmstSnde 
bereitwillig  zn,  was  folgt  dann?  Etwa,  dass  Comenius  wirklich  in 
l7ng.-Biod  geboren  wftre?  Mit  nickten,  sondern  höchstens,  dass  dies 
der  Yerfasser  der  Grabscfarift  geglaubt  hat.  War  dieser  YeriSuser 
des  Comenius  Sohn  Daniel,  der  seüien  Vater  in  der  That  Überlebte» 
so  stand  er  eben  unter  der  nfimlichen  Überlieferung,  wie  andere  Leute, 
da  Comenius  in  seinen  sp&teren  Jahren  und  in  der  Fremde  jedenfiiUs 
die  Gewohnlieit  angenommen  hatte,  als  seine  Heimat  kurzweg  Ung.- 
Brod  zu  bezeichnen,  um  weitläufigen  Angaben  überhoben  zn  sein. 
Dass  aber  auch  sein  Sohn  Daniel  das  Genauere  nicht  wusste,  kann 
«leshalb  nicht  sehr  auffallen,  weil  dieser  fem  von  Comenius'  Heimat 
(n&mlich  in  Elbing)  geboren  war  und  diese  nie  gesehen  hat 

Nun  legt  Vrbka  (auf  Grund  archivalischer  Forschungen  von  Kuöera) 


*)  Sellwt  Kvacsala  ist  lon  ihr  in  Verlegenheit  geietat. 


Digitized  by  Google 


—  769  — 


besonderes  Gewicht  darauf,  dass  die  Eltern  des  Cbmenius  bis  zu  ihrem 
Tode  (1604)  wirklich  in  Ung.-Brod  ansässig  waren  und  nirgends  er- 
sichtlich ist,  dass  sie  diesen  Wohnort  einmal  mit  einem  anderen,  etwa 
mit  Niwnitz  vertauscht  hätten.  Aber  können  sie  uicht  vorüber- 
gehend, auf  kurze  Zeit  im  nahen  Niwnitz  gewesen  sein?  Jedenfalls 
hat  sich  wenigstens  die  Mutter  des  Comenius  am  28.  März  1592 
daselbst  befunden,  sei  es  in  der  von  der  Volkssage  bezeichneten  Mühle 
oder  in  einem  anderen  Hanse,  sei  es  zum  Besuche  bei  Vei  wandten 
oder  aus  einem  andeni,  vielleicht  dringlichen  Anlass.  Denn  dass  Arnos 
€omenius  an  jenem  Tage  in  Niwnitz  geboren  wurde,  rauss  als  der 
einzige  Grund  angesehen  werden,  weshalb  dieser  Ort  überhaupt  in 
der  Lebensgeschiclite  des  großen  Pädagogen  Erwähnung  und  Bedeutung 
erlangt  hat,  weil  ein  anderer  (-irund  liierfür  nicht  besteht.  Gönnen 
wir  dem  Orte  also  ohne  weitere  Anfechtung  seinen  in  der  That  wol- 
begründeten  Ruhm,  zumal  der  unansehnliche  Markt  sonst  nichts  auf- 
zuweisen hat,  was  seinem  Namen  eine  historische  Bedeutung  sichern 
könnte.  Ung.-Brod  aber  möge  sich  damit  begnügen,  dass  es  die  Eltern 
des  Comenius  und  auch  diesen  selbst  zwölf  Jahre  lang  Ijeherbergt,  ihm 
auch  den  ersten  Sehulunterricht  geboten  hat.  Bei  alledem  ist  übrigens 
nicht  ansgeeddoflsen,  dass  der  Täter  des  Gomenins,  obwol  er  in  der 
Stadt  selbst  ein  Hans  besaß,  auch  Eigenthttmer  der  oben  erwShnten 
Mflhie  außerhalb  der  Stadtmauern  gewesen  sein  kann. 

Und  liegt  denn  in  der  Thatsache,  dass  Ckimenins  nicht  im  Wohn- 
ort seiner  Eltern,  sondern  eben  in  Niwnits  geboren  wnrde,  etwas 
80  gar  Seltsames,  das  man  schwer  glauben  konnte?  Keineswegs;  ähn- 
liche Fälle  kommen  Öfters  vor,  nnd  es  smd  deren  auch  allgemein  be- 
kannt. Ich  erwfthne  namentlich  zwei,  an  die  man  gerade  bei  Comeniu 
sich  leicht  erinnert  Die  Eltern  Jesn  wohnten  in  Nazareth  nnd  doch 
Wörde  er  selbst  in  Bethlehem  geboren;  nnd  obwol  Bethlehem  sein 
Geimrtsort  war,  hieß  er  dennoch  Jesus  „yon  Nazareth**  („Nazarenns"). 
Wamm  konnte  also  Comenios,  obwol  Niwnitz  sein  Geburtsort  ist»  nicht 
Hunnobrodensis  heißen?  —  Martin  Lnther  ferner,  obwol  seine  Eltern 
in  Mansfeld  wohnten,  wurde  doch  in  Eisleben  geboren.  Und  wenn 
er  auswärts,  etwa  in  Magdeburg,  Ei^ftirt  oder  sonstwo  yon  anderen 
oder  von  sich  selbst  ein  ^^Mansfelder**  genannt  worden  wäre  —  was 
ich  weder  behaupten  noch  bestreiten  kann  —  so  wttrde  trotzdem  sein 
Geburtsort  Eisleben  bleiben.  —  Der  oben  erwähnten  Grabschrift 
zuliebe  möge  nnn  noch  ein  interessantes  Analogen  angefilhrt  sein.  1  )er 
berühmte  Dichter  Yergilius  war,  als  Sohn  eines  Bauern,  zu  Andes 
in  der  Gegend  von  Mantua  geboren.  Im  Alter  Ton  12  Jahren  ver- 


Digitized  by  Google 


—   770  — 


ließ  er  die  Heimat,  um  die  Schule  von  Cremona  zu  besuchen;  von  da 
ging  er,  um  sich  weiter  auszubilden,  nach  Mailand,  dann  nach  Rom. 
Als  er  ein  berühmter  Mann  geworden  wai-,  nannte  man  ihn  den  ,.Man- 
tuaner",  und  wahrscheinlich  nannte  er  sich  selbst  so;  denn  seine  Grab- 
schrift,  die  von  ihm  selbst  dictirt  sein  soll,  jedenfalls  von  sicherer 
Hand  stammt,  beginnt  mit  den  Worten:  ,.Mantua  me  genuit".  Warum 
stiißt  man  sich  also  an  dem  „Natus  Hunnobrodae"?  —  So  gewiss  Jesus 
in  Bethlehem,  Luther  in  Eisleben,  Vergil  in  Andes  geboren  war:  eben 
so  gewiss  war  meines  Erachtens  der  berühmte  Pädagog,  welcher  in 
seinem  späteren  Leben  den  Zunamen  Hunnobrodensis  führte,  in 
Niwnitz  geboren. 


Digitized  by  Google 


Die  Bezirkssehnlinspection. 

Eine  ungelöste  Frage  des  österreichischen  Volks^rbulweieBt. 
Buprochen  von  Wilh,  XUäcliek-Vöäau. 

ßakanntlich  sind  die  BezirksBcbnlinspectorak  in  Östendcli  seit 
dem  Bestände  des  BeicbsTolksschnlgesetzes  proTisoiische  Schnllieamte 
gewesen.  Sie  wurden  ans  dem  Stande  der  Volks-  und  BOrgersehnl- 
lebier  oder  jenem  der  Mittelschnlprofessoren  anf  Y orschlsg  des  BezirloB- 
sdudrathes  vom  Unterriehtsmimster  für  die  Dauer  einiger  Jabre  er- 
nannt, nach  deren  Ablauf  ein  nenerlieher  Vorschlag  erstattet  werden 
mnsste. 

Dieser  Znstand  danerto  bis  1892,  wo  insofern  eine  Änderung  des- 
selben eintrat,  sls  mittelst  Beichsratfasbeschlnss  das  DefinitiYum  der 
Beziriuschnlinspectoren  tta  Galizien  zum  Gesetz  erhoben  wnrde,  wSh- 
rend  fttr  die  flbrigen  cisleithanischen  Länder  das  Proyisorinm  YerbUeK 

Dieses  Provisonum  nun  bHdet  seit  vielen  Jahren  den  Gegenstand 
der  ErOrtemng  in  der  Fachpresse.  Es  stehen  sich  nämlich  zwei  An- 
sichten gegenüber;  die  eine  hält  das  Provisorium,  die  andere  das  De- 
finitivum der  Inspectoren  für  das  bessere. 

Als  im  Jahre  188ii  der  Herr  Unterrichtsminister  dem  Hermhause 
einen  Gesetzentwarf  vorlegte,  in  den  auch  die  fixe  Anstellung  der 
Bezirksschulinspectoren  mit  einbezogen  war,  bat  dieser  Antrag  der 
obersten  Schulverwaltung  die  Zustimmung  der  gi-oßen  Mehrheit  der 
Lehrerschaft  erfahren;  denn  die  Gründe  für  die  Stabilität  der  Bezirks- 
schulinspectoren gegenüber  ihrem  Provisorium  sind  so  in  die  Augen 
springend,  dass  es  nur  wunder  nehmen  miiss,  wie  die  Lehrerschaft 
nicht  schon  eindringlicher  und  in  Form  größerer  Kundgebungen  für 
das  Definitivum  der  Inspectoren  eingetreten  ist.  Wie  die  Sachen 
liegen,  bedeutet  der  Schritt  vom  Provisorium  zum  Definitivum  dieser 
Schulaufsichtsorgane  durchaus  keine  einsdineidende  Umwälzung  be- 
stehender Verhältnisse;  denn  gewählt  wurde  bis  jetzt  noch  kein 
Inspector;  es  gibt  keine  Schulbehörde  in  Osterreich,  die  das  Recht 
hätte,  den  Inspector  zu  wählen.  Der  Bezirksschulrath  schlägt  ihn 
blos  vor  (aber  nicht  in  jedem  Falle);  eiiiannt  wird  dei'  geuauute 


Digitized  by  Google 


~  772  — 


Functionär  immer  vom  Minister,  der  an  den  Vorschlag  des  Bezirks- 
schiiliatlies  selbstverständlich  .nicht  gebunden  ist.  Also  von  einer 
Wahl  des  Inspectors  kann  keine  Rede  sein;  bleibt  nur  das  Proviso- 
rium desselben,  das  etwa  vertheidigt  werden  könnte,  übrig.  Mit  wel- 
chen Gründen  will  man  dies  aber  vertheidigen?  Dass  er  nach  drei 
Jahren,  sulern  ihm  das  Amt  nicht  zusagt,  wieder  in  seine  frühere 
Stellung  zurückkehi-en  kann,  ist  richtig,  aber  als  Grund  für  das 
Provisorium  gewiss  nicht  ausschlaggebend;  denn,  Hand  aufs  Herz  — 
wie  viel  tausend  Mensehen  gibt  es,  die  neben  den  Freuden  des  Be- 
rufes nicht  auch  seine  Leiden  tiefer  empfänden,  als  sie  es  voraus- 
gesehen? Und  wer  sagt  uns,  ob  nicht  in  vielen  Fällen  gerade  das 
Provisorium  daran  schuld  ist,  wenn  hie  und  da  ein  Inspector  sein 
Amt  zurücklegt?  Hat  die  Übernahme  eines  Amtes  ^auf  Zeit"  denn 
gar  so  ^"iel  Verlockendes  au  sich?  Übrigens  beweisen  ja  die  That- 
sachen,  dass  es  bei  der  Anstellung  der  luspectoren  irgend  ein  Häk- 
chen geben  muss!  Dafür  spricht  der  stai'ke  Wechsel  dieser  Beamten. 
Es  gibt  Schulbezirke,  die  seit  dem  Inslebentreten  des  neuen  Sebnl- 
gesetases  fünf  und  noch  mehr  Inspectoren  absorbirten.  Ditter  immer- 
währende Wechsel  ist  aber  weder  ein  Yorthdl  ftlr  die  Schalen,  noch 
einQ  Annehmlichkeit  fttr  die  Lehrerschaft  Nebst  der  fochmännischen 
Befähigung,  die  der  Inspector  mit  ins  Amt  bringen  mnss,  ist  es  die 
genaue  Bekanntschaft  mit  den  Scholen  des  Bezirkes  nnd  die  nach- 
haltige, gute  Einwirkong  auf  sdiwächere  Lehrkräfte,  wovon  sich 
dne  ersprieBliche  Wirksamkeit  des  Inspectors  erwarten  lässt  Nun 
liegt  es  doch  klar  auf  der  Hand,  dass  sich  eine  genaue  Kenntnis  der 
Schnlzustände  und  der  Lehreradiaft  eines  Schulbeziikes,  sowie  eine 
gewisse,  Ton  jedem  Amte  geforderte  Boutine  nur  erwarten  lässt,  wenn 
man  sich  in  seinen  Wirknngflkreis  eingelebt  hat,  d.  h.  wenn  man 
immer  dabei  ist  Sobald  aber  ein  Inspector  dem  anderen  rasch  im 
Amte  folgt,  so  mnss  selbstrerständlich  jeder  die  ganze  Scak  der  Er- 
fahi-ungen  immer  wieder  ron  vom  an&ngen.  Das  schafft  nun  fttr  die 
Lehrer  keine  begelu  enswerte  Lage;  denn  jeder  neue  Bispector  bnngt 
auch  seine  eigenthümlichen  Ansichten  und  Ansprüche  mit  ins  Amt; 
dieselben  müssen  nicht  unrichtig,  bezw.  überspannt  sein;  es  genügt, 
dass  sie  in  vielfacher  Beziehung  andere  sind  als  jene  seines  Vor* 
gängers.  Die  Lehrer  müssen  Mher  geltende  Gesichtspunkte  teilen 
lassen  und  sich  den  neueren  anbequemen  —  nnd  dies  kann  unter, 
Umständen  so  oft  c^pschehen,  dass  die  Lehrerschaft  dieser  Unbeständig- 
keit gegenüber  fürnilich  in  Gleichgiltigkeit  verfällt,  nicht  im  Berufs- 
eifer, sondern  in  Berücksichtigung  des  obigen  Umstandes. 


Digitized  by  Google 


—   77S  — 


Dies  tritt  am  auffälligsten  zu  Beginn  der  Amtswirksamkeit  eines 
neuen  Inspectors  zutage,  indem  er,  von  lobonswertem  Eifer  getrieben, 
etwas  Tüchtiges  zu  leisten,  sich  zu  der  regsten  Thätigkeit  angesjxirnt 
füldt.  Erst  nach  und  nacli,  sowie  er  sich  in  sein  Amt  melir  einlebt, 
einen  t'berblick  von  größerer  Sicherheit  und  damit  einen  Regulator 
seiner  Anforderungen  gewinnt,  schlägt  er  ein  ruhigeres  Tempo  ein, 
die  Hauptsache  fest  im  Auge  behaltend,  ohne  der  Nebenumstände  zu 
vergessen.  Das  ist  durchaus  keine  tadelnswerte,  vielmehr  eine  gute 
Seite  der  menschlichen  Natur,  beziehungsweise  eines  pflichttreuen,  iu 
seinem  Berufe  aufgehenden  Charakters. 

Daher  empfehlen  wir  definitiv  angestellte  Bezirksschulinspectoren; 
Männer,  die  nicht  nach  Verlauf  einiger  Jahre  vom  Schauplatze  ihrer 
Wirksamkeit  abtreten  müssen.  Allein  auch  der  freiwillige  Rücktritt 
in  den  Kreis  der  Lehrerschaft,  der  man  einmal  vorgesetzt  war,  dürfte 
eher  unangenehme  Gefühle  als  andere  zu  erwecken  geeignet  sein  — 
denn  jedem  recht  thun,  d.  h.  allen  Wünschen  entsprechen,  ist  un- 
möglich! 

Die  Verfechter  des  Provisoriums  beförchten  von  definitiven  Be- 
zirksschulinspectoren als  Regierungsbeamten  eine  Änderung  des 

Verhältnisses  zur  Lehrerschaft;  ja  sie  verlangen  sogar,  der  Inspector 
möge  im  praktischen  Schuldienste  verbleiben,  um  die  Fühlung 
mit  der  Schule  nicht  zu  verlieren.  Wir  fragen  dagegen:  Ist  der  In- 
spector gegenwärtig  nicht  schon  ein  provisorischer  Kegierungsbeamter? 
Was  ist  er  denn  sonst? 

Noch  weniger  kGonen  wir  einsehen,  warum  sich  Min  Verhältnis 
zur  Lehrerschaft  dann,  wenn  er  aJs  Begierungsbeamter  eine  definitive 
Stellung  erlangt,  im  schlimmen  Sinne  ändern  sollte.  Ein  Mann,  der 
seiner  Lehrerschaft  anders  als  mit  Gerechtigkeit  und  Wolwollen  ent- 
gegenzukommen imstande  ist,  wäre  wol  —  ob  definitiv  oder  provi- 
sorisch —  nicht  auf  seinem  Platze.  Übrigens  geht  die  S:\ge,  dass  es 
auch  schon  provisorische  Inspectoren  gegeben  haben  soll,  tue  des  con- 
cilianten  Tones  im  Verkehre  mit  den  Tjehiern  vergaßen  und  das  har- 
monische Zusammenwirken  mit  denselben  unterließen. 

Und  im  praktischen  Schuldienst  verbleiben!  Ein  idealer  Stand- 
punkt, aber  nicht  durchführbar!  „Woher  nähme  der  vielbeschAftigte, 
vielschreibende  Inspector  die  Zeit,  eine  Schülerabtheilung  zu  unter- 
richten? Er  findet  kaum  Zeit  genug,  sich  seinem  eigentlichen  Amte, 
der  Inspection,  in  dem  Maße  sn  widmen,  um  im  Laufe  eines  Jahres 
sämmtliche  Schulen  seines  Beziilces  zn  besochen."  Die  Schalbezirke 


Digitized  by  Google 


—  774  — 


sind  viel  zu  groß,  als  daß  sie  nickt  die  ganze  Kraft  eines  Mannes 
in  Anspruch  nehmen  sollten.  — 

Haben  wir  im  Voranstehenden  unsern  Standpunkt  zur  Inspectoren- 
frage  in  der  Hauptsache  präcisii't,  so  wollen  wir  nun  zwei  gfewichtigen 
Stimmen  das  Wort  ertheilen,  die  bei  Gelegenheit  des  diesjährigen 
deutsch-österreichischen  Lehrertages  in  Liuz  ihre  Ansichten  einander 
entgegenstellten ;  es  sind  dies:  der  Ausschuss  des  deutsch-österreichi- 
schen Lehrerbundes,  und  der  deutsche  Landeslehrerverein  in  Böhmen. 

Der  erstere  stellte  folgende  Leitsätze  auf: 

1.  Durch  definitive  Anstellang  und  Einreihung  in  die  Kategorie 
dar  Staatsbeamten  steigt  das  Ansehen  des  Inspectors  bei  der  Beyölke- 
mng  and  eriiläit  sidi  damit  sein  EinioflS. 

2.  Eine  deflnitire  Anstellong  enfhebt  den  Inspector  der.  Besorgnis, 
sein  Amt  zu  Terlieren  nnd  gibt  ibm  daher  eine  gewisse  Bewegungs- 
freiheit; 

aber  auf  das  Inspectoramt  allein  angewiesen  nnd  der  Bttckzngs- 
linie  zum  Lehramte  yerlnstig,  TerfiUlt  er  in  bedeokliehem  Grade  der 
Beamtendisdplin. 

3.  Die  definitive  Anstellung  macht  das  Inspectoramt  zum  Lebens- 
bemf  nnd  ermöglicht  die  Sammlung  der  ganzen  Kraft  für  dasselbe; 

aber  das  Bewnsstsein,  im  Ihspectoramte  den  Lebensbemf  gefimden 
zu  haben,  birgt  die  Ge&hr  einer  Abkehr  von  der  lebendigen  Gemein- 
schaft mit  den  Lehrern  in  sich  und  fllhrt  leicht  zu  ehier  Yerkennung 
nnd  Missachtnng  der  Interessengemeinschaft  beider  Theüe. 

4.  Das  DefinitiTum  mehrt  die  zu  einer  ersprießlichen  Amtsführung 
nOthige  ErlUimng,  Personenkenntnis  nnd  Kenntnis  specieller  Ver- 
h&ltnisse; 

aber  der  provisorische  Inspector,  der  bei  tüchtiger  Amtsffihnmg 
in  der  Regel  wieder  ernannt  wird,  ist  gleicherweise  in  der  Lage,  sich 
die  erwähnten  Erfahningen  nnd  Kenntnisse  zu  sammeln. 

5.  Da^  Definitivum  scliließt  die  Gefahr  geistiger  Erst&rrang,  des 
Verfalles  an  das  Schablonenthum,  der  Verbureaukratisirung  in  sich. 

6.  Eine  definitive  Anstellung  stabilisirt  ungeeignete  Kräfte. 

7.  Der  definitive  Inspector,  der  nicht  mehr  als  College  in  den 
Kreis  der  Lehi'er  zurückkehren  wird,  stellt  in  Gefahr,  den  concilianten 
Ton  im  Verkelire  mit  den  Lehrern  zu  verlieren  und  das  harmonische 
Zusammenwirken  mit  ihnen  zum  Schaden  der  Schule  zu  unterlassen. 

8.  ]m  Provisorium  liegt,  eine  gerechte  Beurtheilung  des  Wirkens 
vorausgesetzt,  ein  Ansporn  zur  treuesten  Amtsführung,  da  nur  so  eine 
Wiedereinennung  zu  erreichen  ist. 


Digitized  by  Google 


—   775  — 


Der  Aiisschuss  des  deutsch-böhraischen  Lehrerveieins,  der  sohon 
vor  zwei  Jahren  eine  Petition  an  das  Unterrichtsministerium  für  das 
Definitivum  der  Inspectoreu  gerichtet  hatte,  vertrat  seine  Ansichten 
in  folgenden  Leitsätzen: 

1.  Durch  definitive  Anstellung  und  Einreihung  in  die  Kategorie 
der  Staatsbeamten  steigt  das  Ansehen  des  Inspectors  bei  der  Bevöl- 
kerung, und  es  erhöht  sich  damit  sein  Einfluss. 

Es  ist  der  Würde  und  dem  Ansehen  der  staatlichen  Schulinspecto- 
ren  in  hohem  Grade  abträglich,  dass  der  provisorische  Bezirks- 
schulinspector  aus  den  Kreisen  der  Volks-  und  Bürgerschullehrer  nicht 
vom  Staate  besoldet  wird,  sondern  nach  wie  vor  seine  Bezüge  als 
Lehrer  aus  den  Mitteln  der  Gemeinde,  des  Scliulbezirkes  und  des 
Landes  erhalten  muss,  sowie  auch  der  labile  Zustand  seiner  Stellung 
nicht  geeignet  ist,  zur  Erhöhung  seines  Ansehens  beizutragen. 

2.  Eine  definitive  Anstellung  enthebt  den  Inspector  der  Besorg- 
nis, sein  Amt  zu  verlieren,  verleiht  ihm  daher  eine  gewisse  Bewegungs- 
fineiheit,  erhöht  sehie  BeroMreodigkeit,  nnd  das  Bewusstsein  von  der 
Sidierheit  seiner  Stellung  wirkt  ISrderiid  auf  seine  Chanktetfestig- 
keh  ein. 

Der  proTisorische  Inspeetor  hat  bestlndig  mit  der  Enthebung 
za  rechnen,  die  anch  ans  Gründen  erfolgen  kann,  die  mit  seiner  Amts- 
fthmng  nicht  in  Yerbindong  an  bringen  aind,  ja  sogar  schon  dann  in 
drohende  Erscheinmig  tritt,  wenn  die  Mittel  dee  Normalschnlfonds  f&r 
die  Dotinmg  der  Personalnnterldirer^teUe  nicht  mehr  ansreicfaen. 

8.  Die  definitiTe  Anstellnng  macht  das  Inspectoramt  snm  Lebena- 
bemf  nnd  ermöglicht  die  ftunmlmg  der  ganzen  Kraft  für  dasselbe. 

Das  ProTisorinm  Tsrldht  dem  SchnUnapectorate  den  Charakter 
einee  Nebenbemfes,  denn  nnr  der  eigentliche  Beruf  als  Lehrer  bleibt 
dem  Beairksschnlinspector  gesichert  Überdies  wird  der  Lehrer  an 
Volks-  nnd  Bflrgen^nlen  durch  die  Annahme  eines  provisorischen 
Inspectorpostens  in  seinem  berechtigten  Streben  nach  EIrreichnng  einer 
leitenden  Stellung  gehemmt,  nnd  endlich  wirft  jede  ans  was  immer 
fttr  einem  Grunde  erfolgte  Enthebung  einen  düstem  Schatten  auf  sein 
ferneres  Wirken,  da  die  große  Menge  eine  Einsicht  in  den  eigent- 
lichen Sachverhalt  nicht  haben  kann. 

4.  Das  Definitivum  mehrt  infolge  der  Stabilität  der  Stellung 
die  zu  einer  ei-sprießlichen  Amtsführung  nüthigc  Erfahrung,  Personen* 
kenntnis  und  Kenntnis  besonderer  localer  Verhältnisse. 

Das  Provisorium  schafit  nicht  nur  exemte  Schulen  als  Hinder- 
nis fttr  die  gleichförmige  pädsgogische  rühmng  innerhalb  desselben 


Digitized  by  Google 


—   776  — 


Schulbezirkes,  sondern  die  nur  auf  eine  beschi-änkte  Anzahl  von  Jahren 
in  Aussicht  genommene  Verwendung  von  provisonschen  Bezirkss(  liul- 
inspectoren  bringt  die  Schule  und  die  Lehrer  beständig  in  die  Gefalir 
des  verderblichen  Wechsels  in  den  leitenden  Grundsätzen  hinsichtlich 
der  pädagogischeu  und  administrativen  Führung. 

5.  Das  Definitivum  bewahrt  den  Bezirksschulinspector  infolge 
seiner  gesicherten  Stellung  vor  einem  allzu  großen  Nachgeben  in 
Sachen  der  bureaukratischen  Verwaltung  und  des  Schablonenthums. 

6.  Das  Definitivum  des  Schulinspectorats  sichert  infolge  der 
freien  Concurrenz  die  Auswahl  der  geeignetsten  Bewerber. 

Das  Provisorium  bietet  nicht  den  Weg  der  freien  Concurrenz, 
sondern  ist  derzeit  nur  auf  dem  Wege  der  Bernfung  erreichbar,  sodass 
Mifisgriffe  viel  leichter  ermöglicht  sind. 

7.  Das  DefinitiTum  wird  im  Gefolge  haben,  dass  das  Straboi 
der  Lebreraehaft  nach  der  Eiiuetzung  von  Bezirkaaehiiliiiapectoreii 
ans  den  Kreisen  der  Volke*  und  Bilrgensehnllehrer  yerwirklicht  wird. 

Solange  das  Proyisorinm  besteht,  ist  an  eine  Erftillnng  dieser 
berechtigten  Fcnrdening  nicht  zn  denken. 

8.  Durch  das  Deftnitivnm  werden  viele  Stellen  an  Volks-  nnd 
Bfirgerschnlen  für  Torwflrts  strebende  Berofi^genossen  frei,  zadem  stellt 
das  DefimtiTom  auch  die  Eneichimg  einer  weiteren  Stnfe  auf  der  be- 
ruflichen  Laufbahn  des  Lebrers  in  Aussicht 

Das  Provisorium  bietet  dem  betreffenden  Inspector  aus  dem 
Kreise  der  Volks-  und  Bflrgerschullehrer  bei  der  kaigen  Bemessung 
des  Beisekosten-  und  Diätenpansefaales  und  bei  dem  Wogüidl  des 
Natuialinartiiffes»  besiehungsweise  der  Quartiergeldentschlldigung  nicht 
nur  keine  Vermdirung  des  Einkommens,  sondem  hat  eine  solch  un- 
gleiche materielle  Stellung  der  Inspectoren  hinsichtlich  der  Oebalte- 
bezttge  im  Oefolge,  wie  sie  in  kemer  anderen  Beamtenkategorie  vor- 
kommt 

9.  Durch  das  Definitiv  um  entfallen  die  Supplirungen  des  In- 
speetors  an  der  Schule,  der  er  als  Lehrperson  angehört 

Durch  die  für  die  Dauer  der  Function  als  provisorischer 
Bezirksschulinspector  bedingte  Beurlaubung  einer  tüchtigen  Lehr- 
person vom  Lehramte  werden  sowol  der  Unterricht,  als  auch  die 
Disciplin  an  der  betreffenden  Schule  geschädigt,  da  die  Supplirung 
insbesondere  an  Volks-  und  Bürgerschulen  von  jungen,  unerfahrenen, 
oft  vorläufig  nicht  entsprechend  lehrbefähigten  Personalunterlehrern 
besorgt  wird. 

Dies  die  gegneiischen  Ansichten.  Welcher  von  den  beiden  Theilen 


Digitized  by  Google 


—   777  — 


hat  um  Recht?  Da  sie  in  einigen  Punkten  vollkommen  übereinstimmen, 
während  sie  in  anderen  gänzlich  auseinandergehen  wie  Nacht  und  Tag: 
80  empfiingt  man  den  Eindruck,  dass  die  Inspectoreiifrage  entweder 
an  und  tür  sich  noch  nicht  spruchreif  ist,  oder  aber  dass  beide  Theile 
ihre  Thesen  auf  Grund  ganz  entgegengesetzter  Erfahrungen  aufgestellt 
haben. 

Wir  stehen  ganz  entschieden  auf  Seite  des  Deutschen  Lehrer- 
vereins in  Böhmen.  Wir  haben  dessen  .Standi)unkt  schon  früher  ein- 
genommen und  sind  durch  seine  Thesen  darin  nur  bestärkt  worden. 
Dieselben  erscheinen  uns  in  allen  Theilen  beweiskräftiger  und  über- 
zeugender als  jene  des  Bundesausschusses.  Denn  wenn  die  definitive 
Anstellung  das  Ansehen  des  Inspectors  hebt  und  ihm  eine  gi'ößere 
Bewegungsfreiheit  gibt;  wenn  sie  ihm  die  Sammlung  der  ganzen 
Kraft  für  sein  Amt  ermügliclit  und  seine  Erfahrung,  Personenkenntnis 
und  Kenntnis  specieller  Verhältnisse  mehrt,  was  doch  von  beiden 
Theilen  zugegeben  wird:  so  dürften  schon  diese  Umstände  schwer- 
wiegend genug  sein,  um  die  Wagschale  fttr  das  Definitivum  zam  SinkeD 
zu  bringen.  Aber  aach  die  vom  Band^aosschnss  gänzlich  bestrittenen  • 
oder  gar  nicht  erwähnten  Thesen  des  deutschen  Lehrervereins  in 
Bjflunai  enthalten  ganz  jmtreflfende  Argumente;  denn  es  ist  nnbestreit* 
bar,  dass  der  definitive  Inspector  mehr  Aussieht  hätte,  durch  Bei- 
stellung ehies  Hilfebeamten  vom  Bnreaudienst  entiastet  zu  werden; 
dass  bei  freier  Concurrenz  die  Auswahl  der  geeignetsten  Bewerber 
viel  leichter  wäre,  und  dass  endlich  der  Stand  der  Volks-  und  Bfirger- 
schnllehrer  eher  ein.  Inspectorat  erreichen  kdnnte  als  dermalen. 

AUes  in  allem  betrachtet,  stehen  die  VortheUe  auf  Seite  des  De- 
finitivums der  Ihspectoren  und  wird  trotz  des  Beschlusses  des  dies- 
jährigen Lehrertages,  demzufolge  sich  derselbe  nach  einem  von  Jessen 
erstatteten  Beferate  für  das  Provisorium  entschied,  dennoch  Ton  einer 
Mehrheit  der  Lehrerschaft  angestrebt  werden,  bis  das  Ziel  erreicht 
sein  wird.  Es  hängt  ttbrigens  diese  Frage  ziemlich  eng  mit  der  Idee 
der  Staatsschnle  zusammen.  Sollte  daher  die  Stfindigkeit  der  Bezii'ks- 
schulinspectoren  zum  Gesetze  erhoben  werden,  so  würde  dies  einen 
weiteren  Schritt  zur  Verstaatlichung  der  Volksschule  bedeuten. 


Digitized  by  Google 


Hygiene  nnd  Erziehung. 

Ihre  Anwendung  zur  wirksamen  Bekämpfnng  des  Idiotismas. 

Von  Eector  O.  Hintz-Berlin. 

er  Idiotismus  ist  eine  Abnonnitftt  des  menschliclien  Geistes,  die  ent- 
weder Ton  Gebiirl  an  besteht  oder  als  Folge  eines  abgelaufenen  Krankheits- 

processes  angesolioji  wordon  mnss.  Er  ist  eine  GeistessoliNvIicho  und  nicht  zu 
verwechseln  mit  Geisteskiankheit.  dem  Irrsinn.  Dieser  ist  unter  Umständen 
heilbar,  während  Geistesschwäche  niemals  vollständig  beseitigt,  sondern  nur 
durch  ein  heilpftdagogisefaes  VeilUireB  gemildert  werden  kann;  denn  nnr  die 
vorhandenen  geringen  Geisteskräfte  kihinen  bis  zu  einem  w  issen  Grade  ent- 
wickelt und  auserebildet  werden.  Diese  Entwickelung  wird  weder  normal  sein, 
noch  kann  sie  ganz  zur  Nurnialitüt  führen.  Oft  ist  eine  gei.stie:e  Ausbildung 
auch  ganz  unmöglich,  wie  ja  auch  manche  Geisteskrankheit  unheilbar  ist. 
Die  diesen  Estegorieen  angehSrenden  Unglttekliehen  stehen  demnach  auf 
gleicher  Stufe»  wenn  aneh  die  Ursachen  der  abnormen  GeisteszostKade  ver- 
schiedener  Art  sind. 

Während  der  Irrsinnige  bisweilen  dem  Geistesschwachen  proironüber  inso- 
fern im  Vortheil  ist,  als  tlir  ihn  die  HoiVnung  einer  vollständigen  Genesung 
besteht,  ist  man  betreflii  der  Bekftmpfong  des  Lminns  in  seiner  Entstehnng 
gann  nnd  gar  machtlos.  Wer  kennt  nnd  erkennt  im  voraus  alle  Übelsthide 
im  Leben  des  Einzelnen,  welche  die  Zerrüttung  des  menschlichen  Geistes  ver- 
anlassen, und  wie  sollte  man  sie  alle  beseitigen?  Unsere  Lebensgewohnheiten 
sind  derartige,  dass  sie  sehr  hiliiHg  den  geistigen  Ruin  herbeizuführen  ver- 
mögen, wenn  der  einzelne  Mensch  nicht  selbst  mit  seiner  ganzen  sittlichen 
Kraft  dagegen  snkftmpft.  Die  Gesellschaft  kann  in  solchem  Falle  nicht  hel- 
fend eintreten;  sie  wird  nnr  dra  für  sie  unbrauchbar,  vielleicht  s  i^^ar  gefähr- 
lich gewordenen  Unglücklichen  ans  ihrer  Mitte  entfernen  und  einer  Anstalt 
zu  etwaiger  Heilung  übergeben.  Damit  glaubt  sie  ihre  Aufgabe  erfüllt  zu 
haben.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Idiotismus.  Dieser  lässt  sich  erfolg- 
reich bekämpfen  nnd  wird  aneh  vielfech  mit  Erfolg  bekämpft.  NatnrgemSt 
mnss  sich  die  Zahl  der  Idioten  verringern,  während  —  seltsame  Einrichtung 
menschlichen  Geschickes!  —  die  Zahl  der  Irrsinnigen  sich  stetig  vermehrt. 
So  bedaur-rlich  die  letztere  Thatsache  ist,  so  erfn  ulieh  ist  die  erstere.  Jene 
lässt  sich  leider  —  wenigstens  unter  den  bestehenden  Verhältnissen  —  nicht 
aas  der  Welt  schaffen;  nmsomehr  sollten  wir  Soige  tragen,  den  Idfiottsmus 
mit  allen  uns  zur  VerfBgung  stehenden  Mitteln  ansngreifen  und  zu  beseitigen. 
Dass  das  mSglioh  ist,  hat  die  Erfehrung  gelehrt  und  ist  sogar  statistisch  fest- 


Digitized  by  Google 


—   779  — 


gestellt  worden,  und  die  Erfolge  würden  noch  weit  größer  sein,  wenn  man  der 
Hygiene  im  socialen  Leben  einen  größeren  Einfloss  als  bisher  auszuüben  ge- 
statten  wollte. 

Noeh  ist  das,  was  für  die  Bdtimpfting  des  Idiotismus  gescfadiesi  ist, 
taterst  gering,  daher  die  Zslil  der  Idioten  nnd  Kretinen  ungemein  groß.  Für 
Deutschland  lässt  sich  diese  nnr  ntiffenau  feststellen,  weil  bisher  keine  specielle 
Statistik  darüber  geführt  worden  ist.    Wol  haben  die  allgemeinen  Volks- 
zählungen annäherungsweise  eine  Schätzung  ermöglicht,  Aach  lässt  sich  nach 
der  antlieiieD  Statistik  über  „das  gesanunte  VoUcsseliiilweseii  im  prenJUseheik 
Staate  im  Jalire  1866**  nngeftiir  die  ZaU  der  in  preußischen  EndeliuigB- 
anstalten  untergebrachten  Schwachsinnigen  bestimmen;  doch  kann  uns  das  nur 
einen  geringen  Anhalt  für  die  richtige  Feststellung  der  Zahl  geben.  !M.  .Taoger, 
Pfarrer  und  Districtsschulinspector  in  Kirchmohr  (Rheinpfalz)  ist  der  Ansicht, 
dasa  in  Deutschland  nach  ungefährer  Schätzung  etwa  40000  Idioten  und 
Sdiwaelisinnige  Torhaaden  seien*).  Madi  Dr.  6.  May?**)  kommen  auf  10000 
Einwohner  in  Preußen  ungefähr  14,  in  Bayern  \b,  in  Württemberg  15,  in 
Sachsen  14,  in  Hessen  10,  in  Sachsen-Weimar  23,  in  Braunschweig  12,  in 
Sachsen-Meiningen  22,  in  Sachsen- Altenburg  25  u.  s.  w.  Blöd-  und  Schwach- 
sinnige. Im  ganzen  ergibt  die  ZusammensteUung  54519  Idioten,  wobei  jedoch 
MeekIenbarg''Seliwwin,  Mecklenbnrg>^treHtB,  Sehanm1nirg«-Lippe  nnd  B^mbni^ 
nidlt  in  Betracht  gezogen  worden  sind.  Nehmen  wir  als  Durchschnittszahl  15 
an,  so  dürften  in  Deutschland  auf  Grund  jener  Erhebungen  cirka  (»OOOO  Idi- 
oten leben.  Diese  Sanitäts-Statistik  mag  keinen  Aiispnich  auf  K*'nuue  l\ichtig- 
keit  haben,  moss  aber  wol  der  Wirklichkeit  nahe  kummeu,  weil  die  statistischen 
Beriehte  aus  anderen  Staaten  zn  ähnlichen  Ergebnissen  gefBhrt  haben.  Beeh- 
net  man  alle  Geistesschwachen  leichteren  Grades  hinzu ,  dann  stellt  sieh  neeh 
ein  weit  ungünstigeres  Resultat  heraus.  Nach  G.  Kielhoni***)  kommt  auf  je 
1000  Einwohner  ein  schwachbefähigtes  Kind,  m  dass  Deutschland  hiernach 
ungefiihr  450U0  geistesschwache  Kinder  besitzen  muss;  die  Zahl  aller  Geistes» 
schwachen  dflrfte  sldi  hiemadh  anf  nngeffthr  100000  besilfem.  Nach 
Dr.  0.  Mayr  reehnet  msii  ftr  die  Sehweis  anf  10000  Ehiwohner  29  Idioten 
und  Irrsitinige.    Sie  hat  nämlich  nach  der  in  seinem  vorhin  angeführten 
Werke  enthaltenen  Zusainmenstellung  7764  Idioten  und  Irrsinnige.  Wenn 
man  die  letzteren  in  Abzug  bringt,  so  dürfte  das  Ergebnis  den  Mittheilnngen 
entsprechen,  die  der  Präsident  der  ersten  Schweizerischen  Conferenz  fiir  das 
Idiotenwesen,  A.  Bitter,  Pfturer  in  Nenmttnster,  bei  der  Er5i&inng  der  Ver» 
sammlunir  am  3.  Juni  1889  in  Zürich  machtet).    Hiernach  beläuft  sich  die 
Zahl  dei'  Idioten  in  der  Schweiz  auf  .5150;  dabei  sind  die  Schwachbefähigten 
nicht  mitgerechnet  werden.    Neuere  Zählungen  haben,  wie  er  erwiihnt,  sogai* 
ergeben,  dass  auf  2UU  normal  veranlagte  Kinder  ein  blöd -oder  schwachäinniges 


*)  Idioti.^iniis  uud  Schwaclisiiiu.  Ein  Wort  au  f  n  iatliche,  Lehrer  und  Eltern 
von  31.  .Jaegcr,  s.  Zeitschrüt  iür  die  Behandlung  ^Schwachsinniger  und  Epileptiicher, 
Vn.  (XI.)  Jahrg.  Nr.  1  «.  2,  8.  11  ff. 

**)  Dr.  (t.  Mayi',  I^ii-  Vrrltri'it iiiic:  dor  Blindheit,  der  Taub>(iinmihcit.  dos  Blöd- 
sinns, des  Irrsiniiä,  herausgegeben  vom  Küoigl.  Bavr.  statistiächeu  Bureau,  XXXV.  Heft, 
Httnchen  1877. 

***)  Predagogiuni,  8.  .Tahi!:?..  0.  Heft, 
t)  Zeitschrift  für  die  Bchandiuns  Schwachsinniger  und  Epileptischer,  Y.  (IX.) 
Jahigaag,  Nr.  2.  In  Gommission  bei  waniats  &  Lcutmianu  au  Dresden. 


Digitized  by  Google 


—   780  — 


oder  2 —  4  schwachbefkbigte  Kinder  kommen,  so  dass  die  Berechnungen  Dr.  Birchers, 
welcher  auf  Grund  der  Becrntenprüfungen  za  dem  Besoltat  gelangte,  daiis  in 
der  Sdiweis  nngefthr  30000  Idioten  im  weiterai  Sinne  des  Wortes  leben,  an 
Wahrscheinlichkeit  gewinnen.  Betreffs  der  Begabung  Londoner  SchoHunder 
haben,  wie  die  Zeitschrift  für  Schulgesundheitspflege  angibt,  genaue  Unter- 
suchungen zu  dem  Ergebnis  geführt,  dass  etwa  1"  „  der  8cbnlbevülkernnjtj.  d.h. 
circa  6500  Kinder  der  ütientlichen  Schulen  Londons  zu  den  geistig  schwach 
Teranlagten  Schfllem  gezahlt  werden  mÜMen*). 

Diese  nackten  Zahlen  haben  nns  einen  Blick  in  die  Tiefen  des  menseh- 
lichen  Elends  thun  lassen  nnd  veranlassen  uns  zu  der  Frage,  welche  hygie- 
nischen Maßregeln  zur  Bekämpfung  der  Idiotie  getroften  werden  könnten.  Ob- 
wol  hier  ausschließlich  die  Verhältnisse  einer  Großstadt  ins  Auge  gefasst 
weiden  sollen,  lassen  sich  daraos  doch  leleht  etwaige  aadera  Malnahmen  fdr 
jeden  beliebigen  Ort  herleiten. 

Betreffs  der  Wohnnngs Verhältnis se  ist  in  den  letzten  zwanzig  Jaliren 
viel  Gutes  geschaffen  worden;  trotzdem  bleibt  noch  viel  zu  leisten  übrig-.  Ob- 
wol  in  jeder  Großstadt  alljiihrlich  herrliche  Trachtbauten  erstehen,  gibt  i  s  in 
den  sogenannten  „Miethskasernen^  doch  noch  viele  Wohnungen,  deren  Be- 
wohner an  Baun,  Lieht  nnd  Lnft  groflen  ICangel  leiden.  Ein  einsiges  Wohn- 
zimmer, durch  Ereidestriche  auf  dem  Fußboden  in  verschiedene  Abtheilungen 
getheilt,  behcrbcitrt  oft  mehrere  Familien  mit  großer  Kinderachar.  Die  Mög- 
lichkeit freier  Bewegung  iu  einem  solchen  Räume  ist  den  armen  Kindern  vtill- 
ständig  genommen.  Auf  dem  Hofe  dürfen  sie  auch  selten  verweilea.  Das  ver- 
bieten  in  der  Regel  die  HansbeoitKer,  und  nraerdings  sind  sogar  Stiauneii  in 
der  Presse  laut  geworden,  der  Jngend  aneh  aof  den  Trottoin  das  Spielen  nnd 
Umhertummeln  nidit  m  gestatten,  weil  die  Erwaehsenen  dadurch  bellstigt 
werden. 

Was  helfen  da  wol  Vei-fügungen  einsichtsvoller  Behörden,  der  Jugend 
recht  viel  freie  Körperbewegung  zu  verschafien  nnd  zu  gewäliren,  wenn 
diesen  Mahnungen  in  solcher  Weise  seitens  Erwachsener  entgegengetreten 
wird!    ^[aneher  Vater,  manche  Matter  möchte  zwar  dem  eigenen  Elnde  jede 

freie  Bewegung  gönnen,  aber  sie  allen  anderen  Kindern  untersagen.  Den  hu- 
manen, so  natürlichen  Gedanken,  dass  diesen  doch  dieselben  Rechte  gewährt 
werden  müssen  wie  dem  eigenen  Kinde,  können  solche  Eltern  iu  ihrem  Egois- 
mns  gar  nicht  fitssen.  Viele  verbieten  sogar  ihren  eigenen  Kindern  das  freie 
Bewegen  und  Umhertnmmeln  anf  den  Straßen  und  Spielplätzen,  um  sie  vor 
Versuchungen  zum  Bösen  zu  bewahren.  AVrli  hes  Re.sultat  erzielt  aber  solche 
Elteniliebe?  Mag  dadurch  auch  ein  Kind  wirklich  vor  dem  Kennenlernen 
gewisser  Untugenden  bewahrt  bleiben,  was  noch  immer  zweifelhaft  sein  dürfte, 
da  es  ja  doeh  nicht  hermetisch  von  Jedem  Verkehr  mit  andern  Kinden  ab- 
geaddossen  w^en  kann,  so  lernt  es  andererseits  auch  viele  gnte  Charakterrilge 
nicht  kennen,  die  im  Kindesleben  hervortreten.  Seine CMstesbildnng  wird  ein- 
seitig werden,  ganz  abersehen  davon,  das.s  eine  solche  Abgeschlossenheit  auch 
in  moruli-rli.  r  Beziehung  nachtheilig  wirken  muss.  Auch  werden  das  Gemüth 
und  die  Gesundheit  des  Kindes  darunter  zu  leiden  liaben,  was  wol  erklärlich 


*)  Zeitschrift  für  die  Behsadlnng  Schwachsinniger  und  Epileptischer,  VIII. 
(XIL)  Jshig.,  Nr.  1. 


Digitized  by  Google 


—   781  — 


ist,  da  eine  solche  Erziehung  den  Nttnrgesetzen  widerspricht.  Einen  Aus- 
gleich zwischen  geistiger  und  körperlichor  Anstrengung  zu  schaffen,  ist  zu 
keiner  Zeit  so  wichtig  als  im  Kindesalter.  Wenn  Haus,  Schule,  Gemeinde  und 
Staat  nicht  mit  ganzer  Energie  für  diesen  Ausgleich  Sorge  tragen,  kann  nur 
ein  migctimdM  Gtaacbleeht  Iwranwaobsen,  das  den  Eelm  der  Idiotie  auf  die 
naehfolgendeD  Geeohleebter  vererbt 

Sind  die  Kinder  noch  aehr  jnng,  vielldeht  noch  im  ersten  oder  zweiten 

Lehensjahre,  dann  wird  aich  der  Einfluss  nngesnnder  Woiinräume  sogar  durch 
allerlei  Krankheitserscheinungen  geltend  raachen,  zu  denen  häufig'  auch  Er- 
krankungen (h'B  Gehirns  oder  gewisser  Hirnpartien  gehören.  Sonne  und  gute 
Luft  braucht  der  werdende  Mensch  ebenso  sehr  wie  die  Pflanze,  wenn  er  sich 
entwickeln  nnd  gedeihen  aoO.  Anch  darf  nicht  Tergeaaen  werden,'  daaa  daa 
enge  Zusammenwohnen  der  armen  Bevölkerang  moralische  Folgen  nach  sich 
zieht,  die  zur  Vermehrung  des  Idiotismus  führen  können.  Wenn  viele  Kinder 
mit  Eltern  und  Schlafburschen  in  einem  engen  Räume  wohnen,  kann  die  Sitt- 
lichkeit nicht  gedeihen;  denn  die  Wolanstäudigkeit,  welche  den  sinnlichen 
Leidenaohaften  elnea  gebildeten  Kenaehen  Zttgel  anlegt,  kennen  aolche  Eltern 
oft  nicht  nnd  tragen  daan  bei,  daaa  ihre  Kinder  Sittlichkeitarerbreoher  werden, 
die  das  Wachsthum  des  Idiotismus  fördern.  So  kVnnen  Amnt  nnd  Sitten- 
losigkeit.  ja  jedes  sociale  l!lend  eine  Quelle  seiner  Vermehrung  nnd  Ausbrei- 
tung werden.  Gesundheitsschädlich  sind  jedoch  nicht  allein  die  engen,  finsteren 
Hofwohniingen  mancher  Häuser,  sondern  auch  viele  Kellerwohnungen.  In 
Berlin  s.  B.  iat  die  Sitte  demlich  allgemein  verbreitet,  die  Keller  an  menaefa- 
lichen  Wohmlnmen  einzuricliton .  uml  sie  werden  sogar  sehr  geancht,  na- 
mentlich von  armen,  den  Kleinhandel  treibenden  Leuten.  In  neu  erbauten 
Häusern  sind  die  Kellerwohnungen  sogar  in  der  Regel  zuerst  bezogen,  und 
häufig  sind  diese  so  feucht  und  dumpfig,  dass  sie  sehr  bald  furchterregende 
Krankheitdierde  fllr  Kinder  nnd  Erwachsene  werden.  Erflrenlicher  Weise  entp 
halt  die  in  Berlin  seit  dem  1.  Januar  1888  in  Kraft  getretene  nene  Bauord- 
nung einige  wichtige  sanitäre  Vorschriften,  die  früher  nicht  immer  zur  An- 
wendung kamen,  z.  B.  betreflfs  der  Anlage  von  Closetts,  von  Badeeinrichtungen, 
Hädchengelassen  u.  dgl.  m.  Leider  bringen  solche  Maßnahmen  den  ärmeren 
Volkadasaen  nnr  wenig  Gewinn;  denn  ea  ist  natlrUeh,  daaa  die  Mi«thspieli6 
der  so  ywschriftsaiKAig  eingerichteten  nenen  Wolinnngen  nnd  mit  flmoi  anch 
vielfach  die  der  alten  sich  erheblich  steigern,  dass  daher  der  arme  Hann  sich 
desto  größere  Beschränkungen  in  Betreff  der  Größe  seiner  Wohnung  auferlegen 
muss.  Daher  thnt  es  dringend  noth,  mehr  als  bisher  für  gesunde  Arbeiter- 
Wohnungen  zu  sorgen.  Es  ist  ein  erfreuliches  Zeichen  der  Zeit,  dass  man 
nenerdinga  diesen  Bestrebongen  grtMierea  Interesse  an  schenken  beginnt. 

üm  die  ErnihrnngsTerhftltnisae  einer  GvoAstadt  hjilenkeh  sb 
beaaem,  mflaste  die  Axmenvetwaltnng  vieneicht  weniger  ünterstfttanngen  an' 

Geld  als  an  Naturalien  gewähren,  da  es  nicht  selten  vorkommt,  dass  das  von 
ihr  gespendete  Geld  in  die  Branntweinschänken  getragen  wird,  während  die 
Familie  des  Unterstützten  Noth  leidet.  Untersuchungen,  die  in  London  an 
ÖOOOO  Kindern  angestellt  worden  sind,  haben  gelehrt,  dass  gerade  die  Armut 
nnd  dw  damit  im  Zaaammenhang  stehende  Mangel  an  Licht,  Luft  nnd  ana- 
reichender EmBhmng  nicht  nnr  nngenilgende  körperliche  Entwickelnng»  sondern 

PMtCoc^an.  14.  Jtbrf  .  Heft  ZU.  54 

uiyiii^ed  by  Google 


—   782  — 


auch  als  eine  Folge  deraelben  Unfftbigkeit  m  angeepaimter  gebtiger  Boachäf- 

tigoüg:  veranlassen*). 

Damit  es  der  Jugend  nicht  an  genügender  Körperbewegung  in 
MMiher,  gesunder  Lnft  mangelt,  empfiehlt  M  itdi  sthTf  die  Zahl  SÜBStUdier 
Anlagen,  namentlich  der  Spielpl&tze,  an^remeaten  an  vennehren.  Der  Erlass 

Sr.  Excellenz  des  früheren  Cultusmioisters  von  Gossler  vom  27.  October  1882, 
welcher  auf  die  Nothwendigkeit  einer  größeren  Körperpflege  hinweist,  hat 
vielen  Städten  eine  dankenswerte  Anregung  gegeben,  nicht  nur  für  Spielplätze, 
sondern  auch  für  eine  methodische  Leitung  des  Jugendspiels  za  sorgen.  Auch 
in  Berlin  hat  man  seit  Jahren  die  Einrichtang  getroffra,  im  Sommor  yeisehie- 
dene  Öffentliche  Plätze  für  gewisse  Tagesstunden  der  Jugend  zum  Stielen 
zu  überlassen;  doch  die  Anzahl  derselben,  wie  auch  die  Zahl  der  aneresetzten 
Spielst  nndcn  kann  im  Vergleich  zu  der  jngendlichen  Bevölkerung  Berlins  noch 
keineswegs  als  ausreichend  bezeichnet  werden. 

Welt  mehr  ala  für  gerftnmige  Arbeiterwohnnngen  nnd  geeignete  Spiel« 
plfttse  Borgt  man  verhBltnismäßig  neuerdings  für  die  Einrichtang  von  Kinder- 
gftrten  nnd  Kinderhorten.  Die  Zweckmäßigkeit  Fröbelscher  Kindergärten 
ist  ja  von  plldagogischer  Seite  anerkannt  worden;  doch  alle  Theorie  ist  „grau". 
Wie  steht's  denn  heutzutage  mit  der  praktis<;hen  Durchführung  der  Fröbel- 
schen  Ideen?  Mir  encheint  der  kleine  Artikel  in  SchoierB  FamilienbJatt**), 
betitelt:  „l^d  Kindergirtoii  ein  Segen?"  aefar  bMditeiiawert  Ea  kommt 
weniger  auf  die  große  Zahl  der  Kindergärten  als  vielmehr  darauf  an,  dass 
ihre  Organisation  und  der  in  ihnen  liorrschende  Geist  der  lieben  Kinderwelt 
zum  Segen  gereichen.  Dass  dies  heutzutage  immer  geschieht,  möchte  ich  be- 
sweifdn.  So  kann  ich  beispielsweise  ans  eigener  Ei-fahrung  anfüliren,  dass 
die  Schfiler,  welche  mir  ana  Eindergttrten  rageftthrt  worden,  einen  Ballaat 
von  "Wlaaeiiskram  in  ihren  jungen  Köpfen  aufgespeichert  hatten,  der  mir  er- 
staunlich groß  schien.  Sie  konnten  u.  a.  zahllose  Bibelsprüche,  zahllose  Gedichte 
hersagen,  sogar  nothdiirftig  lesen  und  schreiben.  Das  Lesen  war  in  der  Regel 
ein  unklares  Gemisch  von  Lautireu  und  Buchstabiren.  Das  Denkvermögen 
war  nicht  entwickelter  als  bei  anderen  Kindern  gleichen  Altera  ohne  beaondere 
Vorbereitong.  Auf  die  Ausbildung  des  Zahlensinnea  achien  gar  keine  Bflckaicht 
genommen  worden  zu  sein  .  kurz,  die  Kinder  kamen  viel  ungleichmäßiger  vor- 
gebildet zur  Schule  als  diejenigen,  mit  denen  sich  ausschließlich  das  elterliche 
Haus  beschäftigt  hatte.  Sie  machten  daher  auch  in  der  Regel  geringere  lort- 
schritte  ala  die  letzteren.  Die  Ursachen  dieser  Eracheinnng  sind  nnachwer  za 
eirathen.  Die  Kindergftrten,  denen  jene  SchtUer  «itatammten,  hattra  keinen 
Wert  darauf  gelegt,  die  Phantasie  der  Kleinen  annvegen,  ihren  jugendlichen 
Qtiat  zu  beleben,  ihren  zarten  Körper  m  kriit'ti^en.  sondern  nur  darauf,  ihr 
mechanisches  Gedächtnis  übermäßig  anzustn^iiiren  und  zu  überladen.  Sollen 
Kindergärten  wirklich  segensreich  wirken,  dann  dürfen  sie  meiner  Ansicht 
nach  dem  Eltemhanae  nnr  einen  Th^  der  Bndehnng  abnehmen,  nnd  der 
Mittelpunkt  ihrer  erzieherischen  Thätigkdt  mnaa  daa  Spiel  der  Kleinen  sein. 
Jeder  I  ntorricht  ist  aus  ihren  Räumen  zu  verbannen.  Welche  Gefahren 
ein  eigentlicher  Unterricht  in  Kindergärten  in  sich  schließt,  ersehen  wir  bei- 

*)  Zeitschrift  für  die  Behandlung  Schwaehsinniger  etc.,  VnL(XIL)  Jahxgang, 
Nr.  1,  Februar  1892. 

**)  Sohorsn  FamiUenblatt,  Jahrgang  1887,  Nr.  10. 


Digitized  by  Google 


—   783  — 


spiele  weise  aus  einem  Bericht  über  „Schweizeriiche  Volksschulen  und  Kinder- 
gärten," worin  der  Verfasser  u.  a.  antührt:    „Die  Sprechübungen  halte  ich 
für  den  weitaus  schwierigsten  Unterricht  in  Eöndergärten ,  schon  hinsichtlich 
4er  Wahl  des  Stoffes.   Es  dürften  ferade  die  leblagfertigeii  Antworten  der 
besonders  regsamen  Kinder  sein,  welche  die  LeJirerinnen  bei  der  Wahl  den 
Gegenstandes  in  Gefahr  brino:en,  das  Gebiet  des  wirklich  für  die  Kinder  An- 
schanbaren  zu  verlassen  und  dennoch  im  Unterricht  so  zu  verfahren,  freilich 
unbewosst,  als  ob  die  Kinder  wirkliche  Anschauungen  gewonnen  hätten.  Der 
Sehaden  nniss  lange,  vielleicht  für  die  ganse  Sehnlaeit  nadiwirken*  ^.  Es 
darf  nidit  die  Aal||abe  der  Kindergärten  sein,  recht  viele  ftnflerlich  sichtbare 
Besnltate  zu  erzielen,  weil  es  nur  auf  Kraftblldnng  ankommt,  auf  Stärkung 
4er  schwachen  Körper  und  Wecknng  der  schlummernden  Geisteskräfte.  Diese 
Gymnastik  des  Körpers  und  Geistes  soll  erst  in  der  Schule  ihre  segeubringenden 
Wirkungen  offoibuea.   Daas  fiele  Kindergärten  ihre  eigentliche  Anfgabe 
ganz  verkennen,  liegt  o.  a.  an  der  nnibrtigen  pädagogischen  Blldong  vieler 
Kindei^rtnerinnen,  die  in  einem  Alter  von  16 — 17  Jahren,  in  welchem  sie 
aelbst  oft  noch  nicht  die  völlige  Reife  der  Erziehung  erlangt  haben,  schon 
Heister  in  der  Erziehung  vorstellen  wollen.   Es  erscheint  mir  wichtig,  meinen 
Standpunkt  iu  dieser  Frage  scharf  zu  kennzeichnen  und  die  Aufmerksamkeit 
«of  die  problematiaehen  Leistongen  aaUielcher  Kindergärten  m  licbteii,  da 
man  fBr  eine  allgemeinere  Einführung  derselben  Propaganda  zu  machen  sucht. 
In  einem  Aufsatz,  betitelt:   „Kindergärten  und  Fortbildnngsschulwesen"**), 
bricht  'l'li.  Landmann,  Reotor  zu  Schwetz  a.  W.,  eine  Lanze  für  die  Einführung 
obligatorischer  Kindergärten.    £r  ist  der  Ansicht,  dass  durch  sie  die  Kinder 
für  den  Besuch  der  Volksschnle  so  voibereitet  werden  kannten,  dass  die  be- 
«tehend«!  Fortbildnngaschnlen  ganz  zu  entbehren  iribrea.    Diese  sollen  seiner 
Meinung  nach  nur  die  Ergänzung  nnd  Erweiterung  der  mangelnden  Schulbil- 
dung bewirken,  damit  der  normale  Grad  der  Bildung  erzielt  werde;  sie  sind 
hiernach  nur  für  diejenigen  bestimmt,  weiche  das  Ziel  der  Volksschule  nicht 
erreichen.  Er  glanbt  nun,  dnreh  obligatMlsdie  Kindergärten  kOnne  die  Jagend 
im  vorscholplUchtigen  Alter  so  weit  gefördert  werden,  dass  „sie  im  aUgemeiaen 
das  der  Volksschale  gesteckte  Ziel  zu  erreichen  imstande  »än  dürfte."  Es  be* 
darf  aber  wol  keines  Beweises,  dass  der  Verfasser  sich  einer  Täuschung  hin- 
gibt; denn  man  darf  nicht  vergessen ,  dass  die  Erfolge  nicht  nur  von  Unter- 
richt und  Erziehung,  sondern  auch  von  der  individuellen  Begabung  des  Kindes 
abhängig  sind.  Den  Anfang  der  rationellen  geistigen  Entwiekeinng  in  dieser 
obligatorischen  Form  in  dfe  früheste  Blindheit  m  verlegen,  halte  ich  psycho- 
logisch nicht  nur  für  nn gerechtfertigt,  sondern  geradezu  für  schädlich.  Solche 
frühe  Treibhauscultiu  des  kindlichen  Geistes  kann  eine  g^oße  Gefahr  für  das 
ganze  Leben  des  Kindes  heraufbeschwören;  denn  die  praktische  Erfahrung  hat 
vidfikch  gelehrt,  dass  eine  sehr  Mhe  nnd  schnelle  Entwiekilviig  eine  vonet- 
tige  geistige  Erschlaffimg  aar  Folge  gehabt  hat,  nnd  schon  manche  sogenann- 
ten Wunderkinder  sind  in  wenigen  Jahren  fast  Idioten  geworden.    Eher  ließe 
es  sich  rechtfertigen,  für  den  Abschluss  der  elementaren  Ausbildung  eine 

•)  Schweizerische  Volksschulen  und  Kindere^iirten.   Bericht  über  eine  Studien- 
TPiso  nach  den  Städten  Bern,  Zürich  und  BaseL  im  Auftrage  der  Diesterwog-Stif- 
tuug  zu  Berlin  ausgeführt  von  Ernst  Ewald.  (Als  Mauu^icript  gedruckt.  Berlin  1892.) 
**)  PaBdagoginm,  XL  Jahig,  12,  Heft. 

64* 


Digitized  by  Google 


—   784  — 


höhere  Altersgrenze,  vielleicht  das  fünfzehnte  oder  sechzehnte  Lebensjahrr 
festzusetzen.  Ob  das  aber  aasfüUrbar  und  überhaupt  noth wendig  ist,  will  ich 
dahingestellt  sein  lassen.  ThatsSchlieh  beschftfUgt  man  sich  scImmi  seit  Jabren 
Teeht  dngdieiid  mit  Frojecteiit  welche  dne  Erwelterang  der  Ziele  der  VoUcs* 
schule  im  Auge  haben.  Man  will  u.  a.  der  Yolksscinile  eine  zweicnrsige 
hobene  Bürg^erschule  als  Kopf  aufsetzen,  die  den  Lehrstoff  befestig-t  und  er- 
weitert und  dabei  die  Bedürfnisse  des  geschäftlichen  und  gewerblichen  Lebens 
besonders  heräcksichtigt.  Dieser  Gedanke,  dem  ich  schon  vor  12  Jahren  in 
«ioer  pftdagoginlieii  ZeitMhvIft  Aosdniek  gegeben*),  ist  anch  anf  der  XXVIIL 
Allgemeinen  deutschen  Lehrerversammlung  zu  Augsburg  im  Jahre  1889  dnrch 
einen  von  A.  Weichsel  ans  "Würzburg^  gehaltenen  Vortrag**)  angeregt  worden***). 

Unsere  heutigen  Kindergarten  wollen  mir  gar  nicht  so  nothwendig 
scheinen,  da  sie  ihre  Wirksamkeit  selten  auf  diejenigen  Kinder  ausdehnen, 
deren  IHttar  des  Broterwerbes  wegen  aii6erftande  sind,  der  Kindfireniehnnff 
die  n5thige  Zeit  and  SorgfUt  ro  widmen,  sondern  grSfltenUieils  von  Kindeni 
wolhabender  Eltern  besucht  werden,  für  deren  Erziehung  diese  auch  in  anderer 
Weise  zu  sorgen  vermögen;  dagegen  kannten  Volks-KindergÄrten  großen 
Segen  stiften,  wenn  sie  in  der  von  mir  vorhin  angedeuteten,  dem  Fröbelschen 
Geiste  entsprechenden  Weise  geleitet  würden. 

Für  die  obligatorisehe  EinflUuong  Ton  Eindergirten  aber  kann  ich 
mich  nicht  begeistern,  und  ich  halte  sie  schon  deshalb  f&r  bedenkliel^  Jl^ 
geradezu  für  unmöglich,  weil  die  körperliche  Constitution  der  Kleinen  vom 
3. — 6.  Lebensjahre  sehr  oft  so  beschaffen  ist,  dass  es  unbillig  wäre,  von  ihnen 
zu  verlangen,  vielleicht  weit  entfernt  liegende  Kindergärten  aufzusuchen  und 
darin  sich  tiglich  3 — 4  Standen  anftahalten.  IMe  Veriilltnisse  anf  dem 
Lande  sind  heataatage  oft  noch  so  ungünstig,  dass  selbst  die  schulpflichtigen 
Kinder  sehr  weite  Wege  zurückznlogon  haben.  Nach  der  amtlichen  Statistik 
über  „das  gesammte  Volksschulwesen  im  preußischen  Staate  im  Jahre  1886" 
haben  noch  131000  Kinder  einen  über  3  Kilometer  langen  Schulweg;  für 
einige  beträgt  er  aogar  Uber  7  Kilometer.  Wie  kannte  man  da  wol  den 
armen  Kleinen  im  Torscholpfliefatigen  Alter  aolcfae  Tagesmärsche  soniathen. 
Außerdem  dürfte  dieses  Project  schon  an  der  Kostenfrage  scheitern.  In  einer 
Zeit,  wö  noch  in  Preußen  mehr  als  eine  Million  Kinder  sich  mit  halbem  An- 
recht auf  einen  Unterrichtsraum  begnügen  muss,  kann  wol  von  einer  Ein- 
ftthrnng  obligatorischer  Kindergärten  keine  Bede  sein.  Man  wird  Bich  daher 
mit  ÜscnltatiTen  VolkaUndei^^ürten  begnflgen  müssen,  and  es  wäre  wlhmdiens- 
wert,  dass  in  ihnen  vorzugsweise  die  ärmsten  Kinder  Aufnahme  fänden, 
deren  Eltern  genöthigt  sind,  tagüber  ihrem  Broterwerb  naohzu gehen,  und  die 
doshalb  zu  Hanse  unbeaufsichtigt  und  unheKch.'lftigt  verweilen,  weil  gerade  sie 
das  größte  Contingent  der  schwachbefähigten  Schüler  stellen. 

Aach  die  neaerdings  ins  Leben  gerafenen  Kinderhorte  leisten  noch 


*;  „Die  Mittelschulen";  siehe  Lehrerzeitung  für  dieProrinaOstprsiiBenf  Organ 
des  Fcstnlozzivercins,  1880,  11.  Jahrgang,  Nr.  9,  10,  11. 

**)  ,.l>er  Au.sbau  der  deutschen  Volksschule":  siehe  Piedaeogium,  XI.  Jahrgang 
unter  dem  Titel:  „Die  XXVHI.  AUgemdne  Dentsehe  Lenrerrenammlong  von 
Wilhelm  Meyer-Duisburg. 

***)  In  der  Schweiz  ist  dieser  Gedanke  zur  That  geworden;  ioh  verweise  aof  die 
doTtlgtti  SeovndaiBcbulen. 


Digitized  by  Google 


—    785  — 


lang«  Bidit  daa,  was  ti»  eigentUdi  entreben.  In  ihnea  werden  Kinder  während 

ihrer  schulfreien  Zeit  täglich  mehrere  Stunden  beaufsichtigt  und  mit  Anfer- 
tigun{?  von  Handarbeiten  oder  häuslichen  Schulaufgaben  beschäftigt.  Gewisse 
Stunden  werden  durch  Wanderungen  ins  Freie  ausgetollt  oder  dienen  dem 
Oesang  und  Jogendspiel.  Die  Kinder  gehören  grOBtenthflflg  Witwen  oder 
EheYerlaaaemen  an  oder  aoldien  armen  Elteni,  die  den  Tag  Über  aoiler  dem 
Hause  thätig  sind,  und  sollen  in  der  schalfreien  Zeit  YOn  aacliyerständigen 
Pflegern  überwacht,  gepfloe^t  und  vor  sehiidlicheii  Einflüssen  geschützt  werden, 
damit  sie  nicht  der  VerwiMi  iun^  und  Verwahrlosung  und  somit  dem  jugend- 
lichen Verbrecherthnm  anheimtaiien.  lu  Berliu  sind  die  Kinderhorte  von  dem 
Stad^SehoUnspeetor  Dr.  Zwiek  ins  Leben  g«mfen  worden,  der  sieh  anch  un 
ihren  bisherigen  Anaban  sehr  verdient  gemacht  hat.  Da  sie  fast  anaichliefllicli, 
dem  Wohlthätigkeitssinn  der  städtischen  Bevölkerung?  ilir  Bestehen  zu  verdanken 
haben,  sind  sie  leider  noch  nicht  so  gut  fundirt,  dass  jedem  Kinderhorte  ein 
großer  Saal  und  ein  Garten  zui-  Verfügung  steht,  wie  es  eigeutlich  der  Fall 
sein  mttsste,  wenn  sie  ihrem  Zweck  Toükommen  entsprechen  sollten. 

Der  so  nothwendige  Aufenthalt  der  Kinder  im  Freien  kann  nur  ein  be- 
schränkter sein,  und  auch  die  heutzutage  so  sehr  empfohlenen  Jagendspiele 
können  in  den  Kinderborten  noch  nicht  ganz  zu  ihrem  Rechte  kommen.  Dass 
man  den  Handfertigkeitsonterricht  in  diesen  Anstalten  eingefUlirt  iiat,  ist  sehr 
erfrenlich;  doch  so  sehr  ich  anch  den  Segen  der  Arbeit  sohltxe  and  ihren  Ein- 
flnsa  auf  die  Willensbüdiing  der  Kinder,  nnd  so  sehr  ich  flbeneogt  bin,  daaa 
in  der  manuellen  Beschäftigung  starke  Wnrzeln  ihrer  einstigen  sittlichen 
Kraft  liegen,  halte  ich  doch  eine  weise  Beschr&nkong,  ein  rechtes  Maßhalten 
für  angebracht. 

Wfthrend  ich  sonach  den  Kindergärten  und  Kinderhorten  vom  pädago* 
gisohen  nnd  hygienischen  Standpunkte  nur  bedingungswebe  ihre  Ebdatens  und 

ihren  weiteren  Ausbau  im  Dienste  der  Jngendbildung  gestatten  mSdite,  halte 
ich  die  Krii>pen  und  Kiuderbe wahranstalten  fiir  ganz  unschätzbare  In- 
stitutionen zur  Bekämpfung  des  Idiotismus.  Für  den  Säugling,  für  das  Kind 
in  den  ersten  Leben^ahren  kann  die  arme  Mutter  oft  wenig  thun,  da  sie  gleich 
dem  Vater  dem  Broterwerb  nachgehen  mnss,  obwol  das  Ebd  gerade  in  der 
ersten  Zeit  vorzugsweise  der  Pflege  und  Wartung  bedarf,  wenn  es  gesund 
bleiben  und  gedeihen  soll.  Weit  mehr  als  in  anderen  größeren  Städten  sind 
die  Frauen  der  Arbeiterbevölkerung  Berlins  darauf  angewiesen,  den  Mann  in 
der  Sorge  tur  die  Existenz  der  Familie  thatkräl'tig  zu  unterstützen.  Bisweilen 
releht  der  Verdienst  des  Mannes  nicht  bin,  seine  zahlreiche  Familie  an  er- 
nähren; bisweilen  —  nnd  daa  ist  leider  keine  seltene  Erseheinnng  «  yer- 
braneht  er  den  Verdienst  ausschließlich  für  seine  eigene  Perton  nnd  überlässt 
es  der  armen  Frau,  sicli  die  Mittel  fiir  den  Unterhalt  allein  zu  erwerben.  Oft 
wird  diese  noch  durch  Scheit worte  und  Schläge  gezwungen,  einen  Theil  ihrer 
sauer  verdienten  Pfennige,  für  die  sie  den  Kindern  Brot  kaufen  wollte,  dem 
ICanne  zn  gebent  damit  er  dem  Latter  des  lYonket  frOhnen  kfone,  oder  er 
verlässt  die  Familie  in  der  Erwartung,  dass  die  AnnenTerwaltung  für  seine 
Kinder  sorgen  werde.  Soll  man  sich  da  wumlerii,  wenn  die  Sünden  der  Väter 
sich  an  den  Kindern  rächen? —  Wo  das  Haus  in  so  unverantwortlicher  Weise 
seine  Pflicht  vernachlässigt,  da  müssen  Gemeinde  und  Staat  mit  alier  islnergie 
heUirad  einschreiten,  damit  das  Übel  nicht  ein  schlimmeret  aeitigt   Hin  iiat 


Digitized  by  Google 


—    786  — 


neuerdings  grofie  Einderhospitttler  eniditei  ^  und  jeder  gute  Mensch  und 

Kinderfrennd  wird  sich  darüber  frenen  — ;  man  Borgt  für  GefUngnisse,  die 
in  liygieniscbpr  Hinsicht  oft  geradezu  musterhaft  ausgestattet  sind;  docli  noch 
weit  wichtiger  erscheint  mir  die  Sorge  für  Institationeiii  welche  zur  Ver- 
mindenuig  tob  EinderiLrankbeiten  und  zor  Anarottnng  des  Vagabonden-  und 
Yerbreehertlmiiis  TreieDtUch  lMitng«n.  Dasa  g<eli0r«ii  wdorgaaiairte  Siippcn 
und  Kinderbewabranstalten.  Die  Mittel  für  solche  Institute  werden  aicherlich 
productiv  angelegt  ;  denn  was  man  für  dieselben  veransgabt,  wird  reichlich  er- 
setzt und  aufgewogen  durch  Verringerung  der  Ausgaben  für  Krankenhäuser 
nnd  Ge^gnisse.  Jene  Institute  sind  mir  auch  darum  viel  wichtiger  al» 
Eind«ri^UtHi  nnd  Kinderiioite,  weil  aie  unmittelbar,  die  letEfteren  jedoeh  im 
gttmtigBten  Falle  nur  mittelbar  zur  Bekämpfung  des  Idiotismus  beizutragen  ver- 
mf^gen.  Leider  lia>)f'n  sie  ihr  Bestehen  bisher  fast  ausscliließlich  der  Privat- 
wolthätigkeit  zu  verdanken;  auch  tragen  sie  fast  durcligehends  ein  kirchliche» 
Gepräge.  Sie  werden  erst  als  Gemeinde-  oder  Staatsanstalten,  im  Sinne  der 
modemoi  ErEtebnngawiMenaclialt  geleitet»  ihre  segenareiehe  Wiiksamkeit  enut- 
lieh  bethfttigen  k&nnen. 

Da  die  Pflege  eines  Kindes  reicher  Eltern  häufig  einer  Amme  obliegt  und 
bisweilen  noch  von  einem  Arzte  controlirt  wird,  so  hftngt  oft  von  der  Wahl 
dieser  Personen  die  ganze  Zukunft  des  jungen  Weltbürgers  ab.  Wie  selbst 
durch  falsche  ttrstUche  Behandlung  ans  einem  normal  geborenen  Kinde  ein 
idiotiBcfaea  werden  kann,  daIHr  liefert  folgendes  Beispiel  dnen  Beleg.  Dan 
Sind  einer  mir  bekannten  Faniilie  war  circa  sechs  Wochen  alt.  Der  Amme 
desselben  waren  zu  ihrer  Pflege  täglich  verschiedene  Weinsorten  zur  Verfügung 
gestellt  worden.  Eines  Tages  hatte  sie  nicht  nur  sich,  sondern  auch  ihren 
kleinen  Schützling  durch  Wein  in  einen  aufgeregten  Zustand  versetzt.  Das 
Sind  schien  iebeilcrank  an  sein.  Man  holte  den  Arst  Auf  seine  Anordnnnflr 
erhielt  das  Sind  EisumschlSge,  die  in  kurzen  Zwisehenrftomen  wiederholt 
werden  raussten,  und  die  der  Amme  weit  dienlicher  gewesen  wftren.  Dadurch 
wurde  binnen  kurzer  Zeit  nicht  nur  eine  Liihinung  der  Anne  und  Beine, 
sondern  auch  des  Gehirns  hervorgerufen,  und  das  arme  Kind  ist  ein  blödsin- 
niger Kretin  geworden. 

Wie  Behörden  durch  sanitäre  Einrichtungen,  so  kSnnen  Ante,  Lehrer 
nnd  sonstige  Menschenfreunde  durch  Belehrungen,  gute  Bathschläge,  durch 
Vorträge  in  Vereinen,  durch  Petitionen  betreffs  Beseitigung  gesundheitsschäd- 
licher Übelstände  viel  Gutes  schaffen  und  zur  Bekämpfung  des  Idiotismus 
wesentlicli  beitragen.  Namentlich  bietet  sich  dem  Arzt  ein  großes  Feld  erfolg- 
reicher, dankenswerter  Thttigfceit.  Bedaneiiieher  Weise  richtet  sich  diese 
heutzutage  noch  vielfach  nur  darauf,  entstandene  Übel  zu  heilen,  statt  die  Ur» 
Sachen  der  Krankheiten  zu  bekämpfen.  Jeder  Arzt  niüsste  zugleich  Pädagoge 
und  Volksredner  sein  nnd  durch  Lehre  und  Ermahnung  auf  eine  geregelte 
Lebensweise,  die  dem  hygienischen  Standpunkt  entspricht,  hinzuwirken  bestrebt 
setai.  WSbraid  man  jetat  fai  der  Bogel  den  Ant  nnr  aufimchtt  wenn  die 
grOBte  Gefahr  im  \'crzuge  ist  nnd  h&ufig  auch  dann  noch  erst  Eur  Medicin- 
l)fuscherei  seine  Zuflucht  nimmt,  würde  man,  auf  die  unscheinbarsten  Krankheits- 
Symptome  aufmerksam  gemacht,  sich  so  frülizeitig  wie  möglich  an  den  iirztlichea 
Hatligeber  wenden.  (Wird  lortgcscUt.) 


Digitized  by  Google 


Pädagogische  Kuiulseliau. 

Österreich.  Am  18.  nnd  19.  Juli  wurde  in  Linz  die  vierte  Voll- 
versamralunfT  des  Deutsch-östt  rreicliischen  Lehrerbundes  abgelialten.  Wer  der- 
selben als  objectiver  Beobachter  beiwohnte,  um  sie  als  einen  Spiegel  des  Zeit- 
geistM  und  der  heutigen  SchnlsiistlDde  anfenfusen,  der  konnte  ans  manchen 
Anzeichen  einereeita  erkennen,  daas  gegenwärtig  keineswegs  eine  allgemeine 
Frische,  Freudigkeit,  Zuversichtlichkeit  und  Harmonie  in  der  deutsch -öster- 
reichischen Lehrerschaft  herrscht,  dass  aber  anderseits  der  Kern  derselben 
sich  gesund  und  tbatkräftig  erhalten  hat,  daher  mit  unentwegter  Treue  und 
Entadiiedenbeit  die  Fahne  des  Beichsvolksschnlgesetses  lieitUdt. 

Die  Tagesordnung  war,  wie  bei  solehen  Versanunlongen  gewShnUdi,  eine 
fiberreiche,  nämlich  1.  eine  Gedenkrede  auf  den  ersten  allgemeinen  öster- 
reichischen Lehrertag  im  Jaliro  LSfiT;  2.  das  Thema:  ,.Wa8  wir  wollen"; 
8.  Verhandlang  über  die  Frage:  „Ist  die  definitive  Anstellung  der  Bezirks- 
bcLulinspectoren  ihrer  provisorischen  Berufung  vurzuzieben?"  —  Hierzu  Icam 
noeh  die  Besfireehnng  des  Planes,  dnrch  Enrichtong  einer  Hasner^Stiftnng  dw 
Schöpfer  des  österr.  Schulgesetzes  in  bleibender  Erinnerung  zu  erhalten,  wor- 
über sogleich  bemerkt  sei.  dass  die  Versammlung  dem  bfziiq-liclien  Antrag 
des  Eeferenten,  Oberlehrers  Höh  za)»ek-\Vien,  mit  Begeisterung  zustimmte. 

Die  Berichterstattung  über  die  Punkte  2  und  3  der  Tagesordnung  war 
den  Herren  Karl  Hiller-Tralskirclien  und  Christian  Jessen-Wien  übertragen. 
Beide  erledigten  sich  ihrer  Änlisabe  in  klaren,  saehgemlBen  nnd  alle  ein- 
schlagenden Verhältnisse  berücksichtigenden  Auseinandersetzungen,  welche 
freilich  nicht  auf  Originalitlit  und  zündende  Kraft  Anspruch  machen  konnten, 
sondern  einen  mehr  geschäftsmäßigen,  ruhig  abwägenden  Charakter  annehmen 
mnasten,  da  die  Themata  bereite  lange  vorher  vom  Bundesausscbuss,  von 
DelegirtMiversammlnngen ,  BesIrksconliBrenzen  n.  s.  w.,  ebenso  von  den  pftda- 
gogischen  Blättern  vielfach  nnd  eingehend  erörtert  worden  waren;  auch  sind 
diese  Themata,  namentlich  dns  unter  Nr,  2,  so  viel  umfassend,  dass  sie  in 
einer  Sitzung  nicht  wol  genügend  durchgeführt  werden  können,  wi«-  denn 
auch  eine  eigentliche  Debatte  über  dieselben  nicht  stattfand.  Es  möge  daher 
hier  nur  erwfthnt  werden:  1.  dass  die  von  Herrn Hflber  formnllrten,  sehr  zahl- 
reichen Resolutionen  hauptsächlich  daa  nnverbrüchliche  Festhalten  an  den 
Grundsätzen  des  österr.  Schulgesetzes  vom  14.  Mai  1869,  demgemäß  die 
stetige  Verbesserung  der  Volksschuleinrichtungen,  sowie  die  Hebung  der  Bil- 
dung, der  amtlichen,  rechtlichen  und  socialen  Stellung  des  Lehrerstaudes  be- 
tonten nnd  die  Wiederherstellang  der  ursprünglichen  Intentionen  der  Schnl- 
reform  in  Anssidit  nahmcii,  weldben  Fordwongen  die  Versammlnng  za- 
stimmte;  2.  dass  bezüglich  der  Schuünspectoren  die  Versammlung  im  Sinne 
Jessens  sich  mit  groBer  Majorität  für  die  provisorisehe  Berufung  ansspraeb, 


Digitized  by  Google 


—   788  — 


indem  nur  20  Stimnien  für  die  Ständigkeit  abgegeben  wurden  (womit  aber  der 
Streit  kaum  beigelegt  sein  d&rfte,  vgl  den  obigen  Aufsatz  von  Taschek). 

Den  grSßten  Erfolg  auf  dem  dieijUirigen  Lehrertag  ersielte  Herr  Eduard 

Jordan- Wien  mit  seiner  Gedenkrede  auf  den  ersten  allgem.  österr.  Lehrertag, 
welcher  vor  25  Jahren  n8ß7)  zu  Wien  in  der  kaiserlichen  Burg  abgehalten 
wurde.  Der  dankbare  Stoff  wurde  vom  Redner  in  so  plastisclier ,  schwung- 
voller und  herzergreifender  Weise  behandelt,  dass  die  Versammlung  von  all- 
gemeiner Begefsternng  bewegt,  «iederbolt  ond  beaonden  am  Schlnsse  in 
stürmischen  und  lang  anhaltenden  Beifall  aosbrach.  Jedenfalls  wird  die  Kede 
aiuli  in  dem  bald  zw  erwartenden  stenograplilschen  Versammlungsbericht 
recht  viele  zustimmende  Leser  finden.  Wir  bemerken  hier  nur,  dass  Jordan 
vor  allem  ein  lebendiges  Bild  der  Zeit  vor  25  Jahren  und  der  damaligen 
LehrerTenammloBg  entwarf^  dann  beaonders  hervorhob  elneneita,  was  aeitdem 
eneidit,  aadetaeits,  was  nieht  errdeht,  becBgUeh  wieder  Terloren  werden  ist 
Und  leider  ist  auch  des  letzteren  nicht  wenig.  Das  Gesetz  vom  14.  Mai 
18Ü9  ist  nicht  nn-hr  in  voller  Kraft.  Die  gegenwärtige  Situation  lässt  sich 
kurz  so  bezeichnen:  Die  Neuschule,  geschaffen  durch  die  Gesetze  von  18li8 
und  1869,  und  die  alte  Schule,  d.  i.  die  clericale,  wie  sie  auf  dem  Concordat 
von  1855  bemhte,  bestehen  derzeit  nebeneinander,  jene  von  Rechts  wegen, 
diese  thatsllchlich ,  anf  Gmnd  besonderer  Errungenschaften,  Abmachungeni 
corporativer  Agitationen  und  administrativer  Maßregehi.  Über  dem  Ganzen 
schwebt  das  Motto:  „Lasset  beide  miteinander  wachsen,"  welches  frei- 
lich recht  unparteiisch  klingt,  in  diesem  Falle  aber  sehr  bedenklich  und  an- 
feehtbar  ist.  Wir  haben  kein  DeAnitivnm  mehr,  sondern  einen  Zwischen- 
instand,  der  ohne  Zweifel  in  einigen  Jahren  wieder  zn  einem  Entscheidungs- 
kämpfe  führen  wird.  Vorläufig  wächst  die  alte  (clericale)  Schule,  während 
die  neue  (liberale)  abnimmt;  es  ist  ein  Waffenstillstand,  der  zur  Rüstung  be- 
nutzt wird:  aber  dieses  Geschäft,  die  Büstuug,  wird  nur  auf  einer  Seite,  uäm- 
lieh  bei  den  Ciericalen,  mit  Eifer,  klarem  Blick  und  großem  Erfolg  betrieben, 
indem  sie  fortwährend  neue  HeerlianliBn  sammeln,  nene  Bollwerke  anlegen  und 
neue  Waffen  schmieden.  Dem  gegenttber  versinken  die  Liberalen  mehr  und 
mehr  in  Opportunismus  und  Schlummer,  indem  sie  sich  stellen,  als  gebe  es 
keine  Gefahr.  Nim.  snbald  die  Gegenpartei  sich  stark  genug  fühlen  wird, 
wird  sie  einen  ^auüeu  Feldzug  eröffnen  und  auch  die  förmliche  Aufhebung 
der  ihr  verhassten  Gesetze  fordern,  nnd  das  dürften  wir  qAtestais  in  5  Jahren 
erleben.  H. 


Ans  Bayern.  In  Erlangen  erfolgte  am  17.  Juli  im  \'orgarten  des 
Knabeuhort  „Sonnenblume"*  die  feierliche  Enthüllung  der  Frzbüste  Schmid- 
Schwarzenbergs,  des  Begründers  der  Enabenhorte.  Außer  dem  Gesammtvor- 
stande  des  Vereins  fttr  Volkserziehnng  nnd  den  Knaben  der  Sonnenblume 
waren  viele  enges*  hene  Ilenen  und  Corporationen  der  Stadt  sowie  Männer 
und  Frauen  aus  alh n  S(  hichten  der  Bevölkerung  ei"schienen.  Herr  Commerzien- 
rath  Drossbach  liielt  .iir  Festrede.  Nach  herzlicher  Begrüßung  der  Festver- 
Bammlung  entrollte  er  ein  Bild  des  Lebens  und  Wirkens  Schmid'Schwarzen- 
bergs,  dem  wir  Nachstehendes  entnehmen.  Dr.  F.  Schmid-Schwarsenberg 
wurde  am  22.  October  1819  zu  Schwanenberg  am  Drelsesselberg  geboren. 
Seine  Kindheit  war  reich  an  Entbehrongen  nnd  Anstrengongeo.  Im  Benedic- 


Digitized  by  Google 


-   789  — 


tinerkloster  Kremsmünster  herangebildet,  beendete  er  seine  Oymnasialstndien 
zu  Salzburg.  Hierauf  widmete  er  sich  dem  Studium  der  Theologie  und  später 
dem  der  Philosophie.  1850  habilltirte  er  sich  an  der  £rlanger  Universität  für 
Philoeophie.  1862.  wurde  er  zim  Frotoor  emaimt,  in  welcher  Stellung  er 
bis  ra  aemem  Lebenaende  Terblieb.  Von  seinen  Volkssebriften  lind  za  er- 
wähnen „Quellwasser  fOr  das  dentsehe  Tolk",  nBeataiibte  Blfttter",  „HimmeLs- 
ling",  ..Freie  deutsche  Herzen"  n.  p.  w. 

Von  den  sechziger  Jahren  an  wendete  er  sich  vornehmlich  der  Pädagojs^ik 
m.  Die  Armut  und  die  Notii  der  uiedereu  \  ulksclassea  kannte  er  aus 
eigener  Erfahmng.  Insbesondere  gelangte  er  sni  der  Überaengnng,  dass  vor 
allem  eine  bessere  Erziehung  der  Kinder  der  Arbeiter  ein  Mittel  sei,  die  sociale 
Noth  zu  heben.  Dnrch  Vorlesungen  über  Plidagogik  niul  durch  pädagogische 
.Schriften  —  „Briefe  über  vernünftige  Erziehung",  ..Iber  Volkserziehung 
„Klytia''  —  sachte  er  verwandte  Geister  für  sich  zu  gewinnen,  im  Verein 
mit  solchen  grttndete  er  am  3L  Mfln  1871  den  Verein  fttr  VoIkseRielinnflr 
und  die  „SonnenUiuw*.  In  knner  Zeit  traten  ihnliche  Vereine  nnd  Anstalten 
in  Bänmenheim,  Augsburg,  München,  Bamberg,  Fürth,  Nürnberg,  Wftrzburg, 
Kempten,  Lauf  u.  s.  w.  ins  Leben.  Aufgabe  dieser  Knabenhorte  ist  es,  den 
schulptlichtigen  Kindern  derjenigen  armen  Eltern  oder  i'degeeltem ,  welche 
dsrch  täglichen  Broterwerb  gezwungen  sind,  den  ganzen  Tag  über  in  oder 
anSer  dem  Hanse  an  arbeiten,  nnd  deshalb  ihre  Kinder  nieht  selbet  beaniUch* 
tigen  und  erziehen  kOnnen,  während  der  schulfreien  Stunden  eine  Heimstätte 
zu  bieten,  in  welcher  dieselben  im  Anschluss  an  Familie  nnd  Schule  erzogen 
werden.  Leider  sollte  Sclimid-Schwarzenberg  die  Fruclite  j;einer  pädagogischen 
Thätigkeit  nicht  lange  schauen.  Im  November  1883  erkrankte  er  und  starb 
am  28.  d.  M. 

Auf  dem  Syenitsookel  des  ihm  nun  gesetzten  Denkmals  befindet  sich  die 
Inschrift:  „ Schmid-Schwanenberg,  Begrftnder  des  1.  deutschen  KnabenhorteSy 
1Ö19.  1883.« 


Elsass-Lothringen.  Es  ist  ja  wo!  iOr  Altdeatachland  von  einem  ge- 
wissen biteresse,  gelegentlich  aneh  etwas  ans  dem  Schul-  nnd  Lehrerleben 

Elsass-Lothringens  zu  hören.  Im  großen  ganzen  freilich  herrscht  hier  zu 
Lande  viel  Ruhe,  sowol  im  höheren  als  im  niederen  Unterrichtsbereiche.  Im 
Elementarlehrerstand,  der  nicht  besonders  hervortritt  und  last  nur  in  amtlichen 
Conferenzen  znaammenkommt,  bat  in  deu  letzten  Jahren  die  Zahl  der  jungen 
Lehrer,  die  sich  dem  Hittelsehnlp  nnd  dem  Reetoratsexamen  nnteraiehen,  in 
erfreulicherweise  zugenommen.  Diese  Examina  sind  nach  preußischem  Muster 
eingerichtet  nnd  ursprünglich  dazu  bestimmt,  Seminarlehrer  und  Kreisschul- 
inspectoren  lienuizuinlden.  Es  erwachst  aber  den  so  vorgebildeten  Leuten 
neuerdings  eine  bedeutende  Concurrenz  durch  katholische  Priester  und  junge 
Philologen,  abgesehen  davon,  dass  die  evangelischen  Lehrer  ttberhaupt  kaum 
Aussicht  haben  anzukommen.  Denn  seit  des  seligen  Herrn  v.  Manteuffehs  Zeit 
sind  die  Seminare  confessionell  getrennt,  und  von  den  0  vorhandenen  sind  nur 
zwei  evangelisch,  wovon  eines,  das  Lehrerinneuseminar,  nur  eine  männliche 
Lehrkraft  besitzt.  Unter  den  24  Ki'eisschuliuspectionen  aber  sind  nur  etwa 
ein  halbes  Dutzend  mit  Protestanten  besetzt.  So  bleiben  mir  die  in  einnlnen 
Stidten  bestehenden  Hittelschnlen,  eine  Art  gehobener  Elementarschulen  mit 


Digitized  by  Google 


—   790  — 

französischem  Unterricht.  —  Das  Elementarschulwesen  wird  noch  von  den 
drei  Bezirken  selbststämlig^  verwaltet,  da  die  alten  französischen  Departementa 
Haut-Khiu  als  Oberelsass,  Bas-Iihin  als  Unterelsass  und  Loiraine  als  Lotliringen 
aneh  in  dieaeni  Verwaltiiignweig'  lidbehalten  worte  Bind  und  Jedem  Be- 
zirkspräsidenten  ein  odtf  zwei  Schnlrftthe,  welche  simtlich  katholisch  sind, 
zur  Seite  stehen.  So  nimmt  es  sich  gelegentlich  seltsam  ans,  wenn  man  liest, 
dass  ein  Lehrer  aus  dem  Schuldienst  des  Unterelsasscs  entlassen  worden  sei, 
um  in  den  des  Oberelsasses  oder  in  den  höheren  Schuldienst,  der  dem  Uber- 
sehnlmth  fir  ElsaBS-Lotiiiingpen  nntenteht,  Anzutreten.  Es  werden  daher 
jfthrlich  aneh  drei  Tenchiedeiie  Lehrvrtage  abgehalten,  nnd  ea  bestellen  drei 
Unterstfitzongscassen  fUr  die  3000  Lehrer  der  Elementarschulen  den  fieichs- 
landes.  Ein  gemeinsames  Band  bildet  das  vor  einig-en  Jahren  gegründete 
elsass-lothringisclie  Lehrerwaisenstift,  dessen  Vermögen  bereits  die  stattliche 
Summe  von  85000  Mark  aufweist,  und  an  dessen  Spitze  ein  Oberschulrath 
alt  PiStident  steht,  iilUirend  AmmtUehe  &eiMehnlin8peob»eii  des  Landes 
ihm  als  Ehrenmitglieder  angehören.  —  Der  Schnlzwang  ist,  wie  bekannt,  erst 
durch  die  deutsche  Verwaltung,  im  Jahre  1872,  eingeführt  worden  und  hat 
bis  jetzt  den  erfreulichen  Erfolg  gehabt,  dass  bei  der  letzten  Recrutonaus- 
hebung  nur  0,37  Procent  ohne  Scholbildong  wai'en  and  nur  d'/s  Procent 
franzSsisehe  Schnlbildong  besaSen.  —  Sehr  nngttnstig  stdit  ▼eriiäUiilHmmg 
bezflglieh  des  Elementanuiterrichts  die  Hauptstadt  des  Landes,  da  sieh  die 
Schulbeviilkerung  so  vermehrt,  dass  seit  der  übernähme  dnrch  die  dentsche 
Verwaltung  die  Zahl  der  Classen  sich  mehr  als  verdoppelt  hat,  und  in  einer 
Classe  immer  noch  mindestens  sechzig  Schüler  sitzen.  Da  sich  die  Stadt  anch 
sonst  hedentend  entwickelt  und  filr  Bauten  aller  Art,  Straßen,  Brücken,  Hftfen 
▼iel  Geld  n9th!g  Ist,  so  sind  die  Volkssdinlldiiiser  mm  TheÜ  in  efanem  nichto 
weniger  als  zeitgemäßen  Zustand.  In  letzter  Zeit  wird  besonders  dem  Zeichnen 
viel  Aufmerksamkeit  zugewandt  und  aach  der  Ilandfertigkeitsunterricht,  über 
dessen  Nutzen  und  Berechtigung  allerdings  auch  hier  die  Ansichten  noch  ge- 
theilt  sind,  ist  in  einigen  Orten  facultativ  eingeführt  worden.  Die  katholischen 
Schüler  sind  seit  einigen  Jahren  nicht  mehr,  wie  anfänglich,  nach  den  Schnl- 
bezirken  der  Stadt  den  Schnlen  zngetheilt,  sondern  es  sind  sog.  Pfarrscholen 
errichtet  worden,  in  welche  die  Schüler  nach  der  jeweiligen  Zugehörigkeit  zn 
einer  Pfarrei  eingereiht  sind.  Diese  Einrichtung  ist  auf  Wunsch  der  katho- 
lischen Geistlichkeit  getroffen  worden;  wie  sie  sich  vom  Uuterrichtsstandpunkt 
bewihrt,  wird  die  Znknnft  noch  lehren  mflsseo. —  So  ist  denn  der  Znknnft  der 
Stadt  StnSkmtg  hinsichtlich  des  gesanunten  Volksschnlwesens  nodi  eine  sehlfne 
Angabe  vorbehalten.  Hoffen  wir,  dass  sie  znm  Segen  des  Landes,  des  Deutsch- 
thums  und  des  gegenw.'irtigen  wie  des  zukünf  tigen  Geschlechtes  gelöst  werde.* — 
Das  nächste  Mal  etwas  übei'  das  höhere  und  höchste  Unterrichtswesens. 

E.  W. 


Comenius-Gesellschaft.  Der  aus  Anlass  der  Jahrhundertfeier  be- 
gründeten Comenius  -  Gesellschaft  hat  der  K.  Preuß.  Cultusminister,  Herr 
Dr.  Bosse,  einen  Beitrag  von  ÖOO  XI.  ülterwiesen  und  die  Städte  Prag, 
Amsterdam  und  Dauzig  haben  ihr  je  öOO,  lö5  uud  100  M.  bewilligt;  es  ist 
Anasicht  yorhanden,  dass  die  Qbrigen  Linder  nnd  Stftdto,  deren  Geschichte 
mit  der  bahnbrechenden  Thätigkeit  des  Comenios  yerknllpft  ist,  vor  allem 


Digitized  by  Google 


—   791  — 

ÖBtemich>üiigarn,  OroBtnitaniiieii,  die  Iffitedwlande,  Schweden  a. 
gegebenen  Beispiel  folgen  werden.  Die  soeben  zarAnsgabe  gelangte  Lieferung 
der  „Monatshefte  der  ComeninB-Gresellschaft'*  (R.  Voig^tländers  Verlag,  Leipzig- 
Gohlis)  enthält  einen  Aufsatz  von  K.  Mämpel-Eisenach  Uber  die  interconfessio« 
MUenFiriedeiiaideale  dee  Comenios,  worin  die  philosophlidk-reUgiOM  Seite  seines 
Wiriuos  in  BfiekiiGlit  nnf  ▼eBgaagene  nnd  gegenwirfcige  Zdteo  nnter  neuen 
Gesichtspunkten  betrachtet  wird.  Die  QeieUfclinft,  die  sich  die  Aufgabe  ge- 
stellt hat,  dem  Geist  des  Comenias  unter  uns  von  neuem  lebendige  Verbreitung 
zu  verschaffen,  hat  rasch  viele  Freunde  gefunden  und  zählt  schon  jetzt  in 
Belgien,  Dänemark,  Deutschland,  EIngland,  Frankreich,  Italien,  den  Nieder- 
landen, Norwegen,  Otteireieli'Ungaiii,  Rnmftnient  Bnidand,  Sdiweden,  der 
Schwei/,  Serbien  und  den  Vereinigten  Staaten  hohe  Beamte,  bekannte  Gelehrte 
und  freigebige  Gönner  —  im  ganzen  845  Personen  —  zu  Mitgliedern.  An- 
meldungen nehmen  für  i ).utschland  das  Piankliaus  Molenaar  u.  Co.,  Berlin  C, 
Burgstraße,  für  Österreich-Ungarn  A.  Picblers  Witwe  und  »Sohn,  Wien  V,  Marga- 
rethenpl.  2,  llbr  Frankreich  die  Bnehhandlnng  Fiicfabacber,  Parier  Bne  de 
Seine  33,  Ar  Schweden  C.  E.  Fritie's  Hoflmchhandlnng,  Stoddiolm,  entgegen. 


Ans  der  Fachpresse. 

569.  Das  Gesicht  des  Lehrers  (Schles.  Scholz.*)  1892, 17).  Eine 
anmnthige  humoristisch-satirische  Leistung.  Nachdem  Verf.  die  bekannten 
Phrasen,  welche  fordern,  das  Auge,  der  Blick  u.  s.  w.  des  Lehrers  solle  den 
Einzelnen  wie  die  Classe  bezähmen  und  bezanbern,  gebärend  gewürdigt,  fährt 
er  fort:  »Wer  wett,  wie  knne  Zeit  ein  Blieit  eine  daase  ongesogener  md 
nneraogener  Kinder  bannt,  wie  ungefährlich  denselben  das  Gewitter  erscheint, 
das  nur  um  die  umwcilkte  Stirne  droht,  wie  leicht  sie  sich  an  die  zornig  in  die 
Höhe  gezogenen  Brauen,  den  streng  zusammengekniffenen  Mund  gewöhnen  — 
ja  dass  sie  in  kindlicher  Freude  über  all  diese  symbolischen  Strafen  zu  fragen 
gesonnsD  wiren:  Heir  Lehrer,  kSnnen  Sie  anch  mit  den  Ohren  wackeln?  ^ 
der  wird  jene  salhnngaroHen  Worte  ffir  recht  schOn  (?),  aber  flb>  herzlich  un- 
praktisch halten.  Und  wenn  die  Angen  des  Lehrers  ein  ganzes  Arsenal  von 
Dolchblitzen  wären  nnd  der  Mund  ein  Himmel  voll  Hagelwettern:  das  Gesicht 
des  Lehrers  reicht  zur  Aufrechterhaltung  einer  strammen  Schul zucht  nicht  ans.** 

570.  Arbeitsslele  (J.  Meyer,  Nene  Bahnen  1892,  I:  „Zur  Einfüh- 
mng*):  „Erwcitemng  mserer  Individnaleniehvng  snr  Sooialerdehang  — 
Ansseheidnng  aller  althergebrachten  Stoffe,  die  für  das  Leben  der  Gegenwart 
wertlos  sind  —  Rorgsame  Pflege  der  religiösen  und  der  patriotischen  Erziehung 

—  «elbstständige  Stellung  der  Schule  gegenüber  Staat  und  KIk  lie  —  eine 
Organisation  der  Schule,  welche  die  Charakterbildung  der  Jugend  ermöglicht 

—  eine  der  eoltnrellen  Bedeutung  der  Schale  Mitsprechende  Stellnng,  Be- 
soldung und  Bildung  der  Lehrer.  „Nichts  coli  uns  fremd  bleiben,  was  auf  die 
Entwickelnng  der  Scholerziehong  Einflnss haben  kann  (Hans- nnd  Qesellschafta- 
erziehung)." 

Pnis  der  eiaielnen  Nmmner  16  Pl!g. 


Digitized  by  Google 


—   792  — 


571.  Zur  Frage  der  allgempint^ii  Volksschule  (Deutsche  Schul- 
praxis 1892,  18\  Verf.  erinnert  an  einen  Aufsatz  vom  Jahre  1806  in  der 
, Zeitschrift  für  Pädagogik''  (Herausgeber:  Guts  Mutiisj,  wo  sich  ein  Super- 
iDtentleiit  und  CoutotorialnilliZiegrenbeiii  folgendermaflea  ioBert:  |,Wlr  woUeii 
hier  nicht  unbemerkt  laasen,  dass  gende  die  VenniMiiang  der  Kinder  von 
allen  Klassen  und  Ständen  wolthätjg  auf  die  änBere  Bildung  der  Kinder  aas 
den  niederen  Stünden  zurückwirkt,  ohne  den  Kindern  der  Honomtioren  nach- 
tbeilig  zu  werden;  die  ersten  werdeu  nielu*  hnmanisirt  und  civilisirt,  indes  man 
gewiss  überall  finden  wird,  dass  die  letzteren  —  wenn  sie  sich  anders  nicht 
in  den  Bedienten-  nnd  Kinderstoben  sn  viel  mnhergetrieben  nnd  daaelbst 
schlechte  Sitten  angenommen  li  il  f  n  —  durch  diese  Vermifldrang  an  Humani- 
tät und  Civilisation  nicht  vi  i  lit  i eii.  Möchte  man  doch  immer  mehr  einsehen 
nnd  bthtTzij^en.  dass  die  Kiiiiier  der  niederen  wie  der  vornehmen  Stände 
bis  zum  vierzehnten  Jahre  nur  einerlei  Bildungsbedürfnis  haben,  und  dass 
alle  woleingerichteten  StaataverfiuHongen  künftig  mehr  als  Msher  dafftr  Sorge 
tragen  müssen,  dass  sich  fiberall  gemeinsame  gute  ElementarMhnlen  finden." 
Als  Gleichgesinnte  werden  zwei  andere  Consistorialräthe  citirt. 

572.  Cretrübter  Kinderhimme]  (C.  Pilz,  Cornelia  1892,  III*).  Von 
den  (Jedem  Erzieher  lekauuteuj  verschiedenen  Arten  „Wolken".  Hr.  P.  em- 
pfiehlt den  BItein,  welche  ihren  Kindern  einen  „ungetrfibten  Lebenshtanmel'' 
aiehem  wollen,  die  Befolgnng  der  wol  nicht  a]lg«mein  bekannten  fünf  Begeln 
Lavaters  (in  dem  Briefe  an  eine  Freundin):  „die  Kinder  stets  in  guter  Laune 
erhalten;  sie  an  Ordnung  gewöhnen:  unerlaubte  Dinge  bestimmt  abschlae:<'n ; 
soviel  wie  irgend  zulässig  gestatten  und  nicht  am  Verbieten  Freude  haben; 
sie  immer  in  Beschäftigung  erhalten". 

573.  Das  Qemttth  nnd  dessen  Ersiehnng  (QiMhey,  Bayr.  Lehrer« 
zeitnn^**)  1892,  7),  Das  Gemüth  hängt  ab  von  den Bmährungs Verhältnissen 
des  Gehirns.  Voraussetzung  der  Gemüthserziehung:  normal  ernährtes  Gehirn. 
Aufg-abe  der  (ieniüthserziehung:  „zwischen  die  beiden  Extreme  des  Gefühls 
(Afiecte  des  Schmerzes  und  der  Freude)  die  übrigen  Afi'ecte,  alle  die  feinen 
Nuancen  der  Oemflthsempflndangen  einsnsohalten  —  die  Affecte,  welche  an 
nnd  ffir  sich  etwas  Rohes  sind,  nach  nnd  nach  sa  veredehL*  „Denn  nnr  der 
kann  tugendhaft  handeln,  welcher  grelernt  hat,  tugendhaft  zu  fühlen :  erst  das 
Gefühl  gibt  uns  die  Kraft  zum  Handeln."  („Winke  von  iiit  dioiiii.scher  Seite,  die 
nicht  am  Schreibtische  gemacht,  sondern  ans  der  Prax.is  geschöpft  sind'*). 

674.  Vom  Verknüpfen  nnd  Verweben  der  Unterriehtuioffe 
(H.  Weber,  AUg.  dentsche  Lehrers.  1892,  14 — 16).  Oegensata  anr  Herbart- 
Zillerschen  Theorie:  „Sie  sucht  in  Märchen,  auf  wüsten  Inseln,  bei  den  Rich- 
tern Israels  n.  s.  w.  Mittelpunkte  für  die  Gedankenkreise,  während  wir  uns 
unmittelbar  an  das  uns  umflutende  Leben  haltt  n."  Darum  hat  „das  Gedeihen 
eines  auf  VcrknüpfuDg  und  ^'erwebung  ausgehenden  Unterrichtes  zur  Yoraas- 
setanng":  ,fdas8  im  ersten  nnd  zweiten  Schnyahre  der  Ansehanonginntenicht 
wieder  mehr  auf  seine  ursprüngliche  Bestioimung,  die  Schärfung  der  Sinne, 
die  Übnng  im  Anf&ssen  nnd  die  Bereicherang  der  Sprache  anriickkonune  — 


*)  Anßcrdi  ni  l^^i^enswert :  Über  Lntbeis  bftnsliche  Sniehung»  —  Ans  den  Auf« 
zcichDuugcQ  eines  Uumündigen. 

**)  Preis  der  einielnen  Aummer  15  P%. 


Digitized  by  Google 


—   793  — 


dass  im  dritten  und  vierten  Scliuljahre  die  Heiraatskunde  als  der  gemeiBsame 
Wurzelstock  aller  realen  Lehrfächer  betrachtet  werde  —  dass  im  fünften  bis 
aehten  Schuljahre  (Sachsen)  die  eimelneii  Lehrftcher  wdl  ihm  eigenen  Weg 
gehen,  aber  alle  die  Knude  der  Heimat»  von  welcher  oft  aumgehen  nnd  n 
welcher  oft  znrQckznkehren  ist,  noch  mit  enthalten."  (Daran  achlieften  sich 
etliche  selbstverstAndliclie  Fordemnpen  an  den  einzelnen  Lehrer,  an  das  Col- 
leffiom  und  an  den  ^'erein  an).  —  Beispiele  hauptsächlich  fiir  den  „Religions- 
unterricht" des  letzten  Schuljahres,  für  „Verwertung  literarischer  Unterrichts» 
ttollh*  (im  bewmderen  dea  Liedes  Ton  dmr  Glocke). 

575.  Der  deutsche  Unterricht  und  die  Reform  der  höheren 
Schulen  in  Preußen  (R.  Lehmann,  Zeitschr.  f.  d.  deutsdien  Unterr.  1892,11.) 
Das  Charakteristisclie  der  „Lelirpliine  und  Lehrant'gaben"  "*)  eine  Anzahl 
Widersprüche:  Streben  nach  weitgehender  Erleichterung  und  ohne  Noth  ver- 
mehrte Belastong  ^ansanljgraben);  grundsataHdw  Goneentration  nnd  thatslch- 
liche  Zersplitterung;  einerseits  Venioht  anf  systonatiiehe  Grundsätze,  ander- 
seits Versncb,  die  Einzelheiten  des  Unterrichts  reglementmäßig:  festzulegen; 
Gegensatz  zwiscJien  der  Bedeutung,  die  dem  Fache  beigelegt,  und  dem  Räume, 
der  ihm  gewährt  wird  (füi*  das  gesammte  Gymnasium  eine  Yenuehrang  von 
drei  Stmidai  wOefaentUdi:  »ebi  Abalaiid  iwiieheii  Worten  nad  That,  zwiseheii 
Zweck  nnd  Mittel,  wie  er  stirker  nicht  gedacht  werden  kann*!)  „Von  den 
neuen  Lehrplänen  Ist  ein  neuer  AnfiHshwung  des  deutschen  Unterrichts  nicht 
zn  erwarten."  Sie  sind  —  kurz  gesagt,  ein  phrasenvolles  Pfu8cherw»'rk.  und 
können  nichts  anderes  sein.  (Man  weiß  ja,  wes  Geistes  Kind  ihr  „geistiger 
Vater"  ist!) 

576.  Bedenken  gegen  den  nenen  Lehrplan  für  den  erdknnd- 

liehen  Unterricht  an  den  preußischen  höheren  Lehranstalten  (Zeit- 
schrift für  Schulgeogr.  IV.  Wl).  Resultate  der  „Reform":  Beseitigung 
der  Erdkunde  aus  den  Oberflassen  nnd  aus  der  Abiturientenprüfung  —  in 
den  Abschlussprülungen  der  Untersecunda  können  ungenügende  geographisclie 
Leftstangen  dnrch  jedes  andere  Fach  ausgeglichen  werden  —  Ertheilnng  der 
praktischen  facultas  docendi  dnreh  die  Directoren  (denen  die  Einsicht  in  die 
einschlägigen  Verhltltnippo  fpblt!i,  nnd  zwar  voraussichtlich  an  die  „Altphilo- 
logen'* (!  weil  sie  an  Stunden  und  damit  an  Besoldung  eingebüßt  haben),  unter 
denen  nur  eine  ganz  geringe  Zahl  geographische  Studien  gemacht  hat. 

577.  Die  Phantasie  vnd  ihre  Bildung  dnrch  den  Zeichenunter- 
richt (D.  IStschen,  Zeltsidir.  d.  Vereinvdentscher  Zeichenlehrer  1892,  11^14). 
„Regeln"  fiir  die  „Bildung  der  Phantasie  durch  den  Zeichenunterricht": 
1.  Sorge  dafür,  dass  das  Kind  vor  dem  Zeichnen  eine  klare  Vorstellung  des 
zu  zeichnenden  Ubjects  bekommt".  („Erst  wenn  die  Kinder  imstande  sind, 
sich  klar  und  deutlich  über  die  Aufgabe  auszusprechen,  kann  man  mit  dem 
Zdchnen  beginnen.*^  2.  ,,Gib  dnrch  passende  Ani^ben  den  Kindern  Gelegeii> 
heit,  dasGklemite  in  freier  Weise  zn  üben  nnd  anzuwenden."  (An^FB'^^nf  „deren 
Form  zn  erfinden  innerhalb  gewisser  (Jrfnzen  dfm  Kinde  ganz  allein  über- 
lassen wird",  z.  B.  ,,au8  einer  Figur  durcli  Hineinlegen  einiger  Linien  eine 
neue  zu  bilden";  schwieriger:  Einzeichnen  von  Blättern  in  bestimmte  geo- 
netilsche  Figuren;  fttr  Mftdchen:  Verwendung  von  „Kanten".)  3.  „Sorge  für 


*)  LefaipUne  und  LehianiiBiBben  für  die  hfiheren  Schulen.  Berlin  1881.  Wilh.  Berts. 


Digitized  by  Google 


—   794  — 


äußere  uud  sittliche  Reinheit  iu  allem,  was  du  dem  Kinde  im  Unterrichte  dar- 
bietest; nnr  solche  Anschaaungen  und  Vorstellimgen  sollen  dem  Kinde  geboten 
werden,  am  denen  dttUdi  reine,  edle  PhantMlebüder  entstehen  klhmen**.  (linn 
ist  VOl  ein  wenig  eretannt,  diese  „Regel"  ^ei  ade  hier  zu  finden.) 

578.  Charakter  und  Cliaraktorl.ildung  (Päd.  Ref.  1892,  29.) 
Die  Schule  sorgt  für  Charakterbildung,  indem  sie  in  deu  Zöglingen  die  Fähig- 
keit entwickelt,  „stets  logisch  zu  denken  uud  nach  sittlichen  Grundsätzen  zu 
hudeln."  („h^flaeli  denk«i  heUt  vor  sllen  Dingen,  die  Oedanken  von 
SchdnheitspflSstercheu  und  Anstandseduninke  rein  lialten  nnd  jeden  Gedanken 
ordentlich  ausdenken  bis  zu  den  letzten  Consequenzen,  und  sittlich  handeln 
heißt,  sich  zur  größtmöglichen  Vollkommenheit  emporschwingen,  dabei  aber 
niemals  die  berechtigten  Interessen  seiner  Mitmenschen  schmiUern,  auch  stets 
Min  eigenes  Wol  dem  Wole  des  Oansen  onterordnen").  Unter  der  dsntiohen 
Lehrenehnft  henrseht  viel  Hangel  aaOiarakter,  was  sieh  aneh  wieder  aaf  dem  tots- 
ten Deniachen  Lehrertag  in  verschiedenen,  vom  Verfasser  theil weise  angefahrten 
Äußerungen  gezeigt.  („In  der  Lehrerschaft  tritt  reichlich  stark  hervor  die 
Missachtnng  der  eigenen  Menschenwürde,  die  Speculation  auf  die  Eitelkeit  der 
Höherstehenden,  das  Bestreben,  stets  einen  guten  Schein  zu  wahren,  besonders 
auf  groBen  LdtreryerBammlangen. "  —  Diese  berechtigten  Vorwürfe  sind  noeh 
lange  nicht  oft  genng  erhoben  worden.) 

579.  Schäden  auf  dem  Gebiete  des  modernen  Jngendunter- 
richts  'K.  A.  Geil,  Rejiert,  d.  I'iid.  lHi>2,  VIII.)  Grundiibel  im  heutigen 
Schulwesen:  „Große  Forderungen  an  das  Wissen,  geringe  Ausbildung  der 
selhetthitigen  freien  Arbeitskraft.*  (Folgen:  „Unklarheit  über  das  Wesen 
der  Arbeit,  geringer  Bespeet  vor  geistiger  Thätigkeit,  Unlnst  zor  Arbeit." 
Nothwendiges  Gegengewicht  als  Mittel,  Lost  sir  Arbeit  na  erwecken  nnd  an 
steigern:  Handarbeit.) 

580.  Über  Individualitätsbilder  (K  Brinkmann,  Neue  Bahnen  1892, 
IV.  V).  Eine  grflndllehe^  nmHusende  Arbeit,  47  Seiten  8^  — BegrilT  —  Ge- 
schichte) Pestaloasi:  Nenbof,  Iftrten;  Herbart:  Handebrerthfttigkelt,  Umiiss 
p&dagogischer  Vorlesnngen;  Baabes  Haus  in  Hamburg;  akademisch-pOdago- 
gische  Seminarien  in  Leipzig  und  .Jena)  —  Wert  (Nachweis  überflüssig; 
Verfasser  bringt  ihn  aber  doch,  da  bisher  ^nur  kleinere  Kreise  die  theore- 
tischen Forderungen  in  die  Praxis  übertragen  haben  ")  —  Inhalt  (Vermögens' 
yeririUtnlsse  der  Eltern,  Ansahl  der  Familioiglieder,  WohnnngsTerlilltnlsse, 
Beruf  des  Vaters.  Bildung  und  Interesse  der  Eltern  an  der  Schule,  Charakter- 
eigenschaften und  ..Moral'*  der  Eltern.  Körperliche,  ^speciell  gesundheitliche'" 
Verhältnisse  des  Kindes;  Gaben  und  Fähigkeiten",  geistiger  Entwickelungs- 
gang;  Leistungen  in  den  einzelnen  ünterrichtsfächern;  Temperament;  „Tugen- 
den nnd  Fehler  in  nnterrichtUcher  Besiehong'';  Verhalten  gegen  Eltern  nnd 
Lehrer,  Hitschttler  und  Fremde;  „bescmdere  Yetkommnisse"  im  Leben  des 
Kindes)  —  Quellen  oder  Mittel  für  die  Beobachtnngen  (allgemein  bekannt).  — 
F'in  Schlusswort  spricht  von  den  Schwierigkeiten  der  Arbeit,  besonders  in 
schülerreichen  Classen.  Erleichterung:  „Das  Individualitätenbuch,  das  die  ge- 
sammelten Beobachtungen  enthält,  begleitet  eJnfikoh  die  Schüler  voä  CSlasse  an 
dasse;  Ar  die  Zorllckbleibenden*)  werden  die  betreffonden  BlEtter  herans- 


*)  Veil  spricht  ron  «^rOdcUeibeiiden  Bemanenten**!! 


Digitized  by  Google 


—  795 


■geUtot  (llmlfaii  Mm  Übergang  eines  Kindee  in  eine  andere  Schule).  Noch  ein- 
fiMsher:  itatt  des  IndtTidnalitjtenlweha  eine  Mappe  mit  losen  Blittam.  Für 
jeden  Schttkr  wIrde  ein  Blatt  bestimmt  sdn,  welches  ihm  mitgegeben  wird, 

wenn  er  in  eine  andere  Classe  oder  Schule  tibere:eht.  Ein  eigentliches,  ans- 
lührlicheres  Individualitätsbild  würde  dann  nur  von  einigen  psychologisch  be- 
sonders interessanten  oder  schwer  zu  behandelnden  Kindern  anzufertigen  sein, 
wihraid  sieh  der  neue  Lehrer  betreffii  der  flbrigen  SehtDer  mit  den  elnselnen 
Notizen  des  Individualitätenbaches  begnügen  müsste." 

581.  Die  Logik  des  Sprachgeistes  (R.  Hildebrand,  Zeitschr.  f.  d. 
deutsch.  Unt.  1892,  III.)  ^Logik  des  Sprachgeistes"  kein  ,.formales  Arbeiten/" 
sondern  „Walten  der  Sache,  des  Inlialis,  des  Lebens  selber ~  (die  uns  von 
aoBen  kimmeii  vnd  sich  in  nns  sosnsagen  selber  weiter  verarbeiten'*).  Der 
Sprachgeist  „ist  wie  der  Sachgeist  selber".  Das  ^Schnldenken"  gebt  der 
(Rußeren)  Wirklichkeit,  der  Sprachgeist  der  'inneren)  Wahrheit  nach.  — 
Zu  der  Thatsache,  dass  Auge  und  Uhr  in  gewissen  Fällen  nur  in  der  Einzahl, 
in  anderen  nur  in  der  Mehrzahl  gebraucht  werden,  bemerkt  Meister  Hildebrand: 
,,Pa  liegt  eüie  doppdte  Art  sa  denken  vor;  die  eine,  kann  man  sagen,  erHust 
die  Wirkliehkeit  (denn  wir  haben  ja  in  WirkUehkfft  swei  Angm  und  Ohren), 
die  andere  aber  die  Wahrheit;  denn  die  zwei  Augen  sind  in  Wahrhdt  dodi 
wie  eins.  Die  eine  Art  zu  denken  fasst  das  Ding  in  seinem  Außen,  die  andere 
in  seinem  Innen,  die  eine  von  der  den  Sinnen  vorliegenden  Oberfläche,  die 
andere  in  seiner  den  Gedanken  sich  erschließenden  Tiefe.  Dieser  Untersehied 
des  Av8en  vnd  Innen  in  ihrer  Venehiedenheit  fBr  das  Erfusen  md  Denken 
ist  aber  überhaupt  von  der  höchsten  Wichtigkeit  für  die  letaiten  SSIele 
unseres  Daseins,  und  dem  jugendlichen  Geisto  schon  kann  an  den 
gegebenen  Beispielen  der  Zugang  zu  dieser  Erkenntnis  leicht  geöffnet  werden. 
Das  ist  um  so  brauchbarer  oder  nöthiger,  als  der  Zeitgeist  von  heute,  in  dessen 
Lnft  sie  (die  Schiller)  doch  nnn  einmal  anfvraehaen,  einseitig  dem  AnSen  sa* 
gekehrt  ist  nnd  dem  Innen,  in  dem  doch  alles  walure  Leben  wohnt  and  wnr^ 
zeit,  gern  den  Rücken  kehrt  oder  es  gar  2D  lengnen  bestimmt  ist,  nnd  zwar 
alles  das  in  dem  Wahne,  endlich  den  rechten  Weg  der  Wahrheit  gefanden  za 
haben." 

682.  Das  Studium  spraohlicher  Entwiekelungen  (B.  Dietrich, 
Zeitschr.  t  d.  deutsch,  ünt  1892|  IV.)   „Von  Beruft  wegen  m  Wanderungen 

in  die  Sprachgeschichte  genöthigt" :  Fsychologen,  Philosophen,  Erzieher  (letztere 
am  meisten).  „Weil  aber  die  Wörter  Schöpfungen  der  Volksseele  sind,  nnd 
weil  es  eine  Pflicht  der  \'aterland8treue  ist,  die  Volksseele  zu  kennen  nnd  zu 
▼erstehen,  so  hat  jeder  Bürger  die  Aulgabe,  sich  wenigstens  mit  den  Aus- 
drücken inhaltsToIler  Haipibegriffe,  welche  die  Begdn  der  elnfhehen  Lebens- 
flUirang  bestimmen,  vertraut  zu  machen."  (Darstellungen  solcher  Entwicke- 
lungsgeschichten  für  „Volksblätter-'  sind  stilistischo  Jieisterstücke.)  —  Wie 
das  Studium  zu  betreiben  ist:  an  den  Hochschulen  (Lehrbuch:  Grimms  Wörter- 
buch —  „sprachgeschichtUche  Übungen"  am  „deutschen  Seminar"),  Mittel- 
sehalen  (im  GesehiehtsunteRicht  mindeatens  ein  Jahr  langEntwickelangsgänge 
namentlich  solcher  Begriffe,  die  sich  auf  die  staatUdien,  gesellschaltliehen 
und  Verkehrsverhilltnisse  beziehen:  die  Schüler  legen  sich  für  gewisse  Haupt- 
Worte  des  Volkslebens  Sammelhefte  an),  Volksschulen  (zunäohst  gilt  es  nur  — 
nach  der  in  Hildebrands  Sprachunterricht  gebotenen  Anleitung  —  W  ortsippen, 


Digitized  by  Google 


—   796  — 


Einzelzüge  aas  dem  EntwickeluDgsgang  eines  bestimmten  AUtagewortee,  Spraeh- 
bilder  m  gewinnen  und  eo  „den  Boden  m  bereiten. ")  Im  gnnsen  luuin  die 

Yolksschnle  „nur  eine  geringe  Anzahl  LebeDSgeschiditen  deutscher  WOiter 
bieten.  Da  wäre  es  denn  ein  hohes  Vei dienst  der  Jagendzeitschriften,  wenn 
sie  hier  reichlich  erpänzend  einspringen  wollten.-*  Wie  dies  geschehen  kann, 
wird  au  drei  Beispielen  (Kaafmaon,  Krämer,  Kuappsack)  gezeigt,  von  denen 
die  beiden  ersten  bereits  in  der  „Denteehen  Jugend"  (Oct./Nov.  1888)  Anf* 
nabme  gefunden  haben.  —  Anhangsweise  ist  der  Arbeit  beigefGgt  ^eine 
siirachgeschichtlich-pädagogisclie  Studie"  des  Beirriflfe«  Kunst,  zngleidi  als 
Cluster  für  die  im  deatadien  Seminar  der  Hociuchule  anzufertigenden  „ Lebens- 
bilder." 

58a  Geld  („Zar  Prdibeweibvig",  Deotsdie  Sduilprazis  1892,  29). 
„Bas  Geld  ist  ein  so  nngemein  wichtiges  Bing  „da  draoAen  in  der  Welt", 
dass  es  ohne  Zweifel  einmal  in  der  Schnle  (die  ja  „förs  Leben"  bilden  tmXL 

nnd  will)  einer  näheren  Betrachtung  unterzogen  werden  mnss.  Das  könnte  auf 
der  Oberstufe  der  N'olksschule,  etwa  während  des  letzten  Jahres,  in  zwei,  drei 
Bedienstnnden  oder  im  Deutschen  (Aufsatz)  oder  erst  in  der  Fortbildungs- 
schule (VoUEswirtschaftslehre)  geschehen.  Mvn  Ist  es  aber  klar,  dass  das 
Interesse  ein  lebhafteres  und  die  Einsicht  eine  tiefere  sein  wird,  wenn  wir  die 
Schüler  in  die  Entwickelnngsgeschichte  des  Begriffs  einführen/  Zeit  nnd 
Fassungskraft  der  Schüler  erlauben  es,  wenigstens  das  Wesentliche  aus  dieser 
Geschichte  lebendig  vorzuführen.  —  (Der  Aufsatz  ist  durch  Nachlässigkeit 
des  Correctors  ftnUerilch  benaehtheiligt  worden.  Er  aeriSUt  eifonbar  in  drei 
Theile.  Die  „m"  springt  sofort  ins  Auge,  die  „I"  übersieht  man  leicht 
nnd  die  ^11"  sieht  man  gar  nicht.   Dazu  eine  Menge  Dmclcfeliler!) 

584.  Über  Zeichnen  nnd  Anschauungsunterricht  (C.  Gurlltt, 
ZSeitschr.  f.  d.  gewerbl.  Unten.'";  1892/93,  I).  Im  wesentlichen  ein  Referat 
ftber  die  „Aufgaben  der  Kanstpsychologie*  von  G.  Birth  (2  TheUe  Mltaiohen 
1891),  der  in  diesem  seinem  Bnche  ^nUt  Heisterhand  die  GrondÜBhler  unseres 
Unterrichts  unischrieben."  —  Aus  den  Einleitungs-  nnd  Schlussworten  Gnrlitts: 
„Was  soll  dem  Kinde  das  Bild  der  Kuh,  des  Schafes,  des  Hahnes,  wenn  es 
nicht  im  Gedächtnis  die  Vorstellung  des  lebenden  Thieres  findet;  was  hilft  die 
vollendetste  Kunst  des  Zeichners  und  Erklärers,  wenn  sie  doch  nur  in  der  Ab- 
straetion  gegeben  wird,  d.  h.  ohne  lebendige  Ansehanong.  Es  ist  ein  Zng  von 
Unwahrheit,  von  Phrasenthum  in  dieser  Form  der  Belehrung.  Das  Kind  be- 
kommt ein  vorbereitetes  Bild  der  Natur,  schafft  sich  nicht  selbst  ein  solches. 
Es  lernt  erst  die  Darstellung  und  dann  die  Wahrheit  kennen:  es  misst  die 
Darstellung  nicht  an  der  \Vahrheit,  sondern  die  Wahrheit  an  dt- r  Darstellung. 
Ein  Monat  anf  einem  Gntshofe  scheint  mir  Idirreicher  als  die  ganze  Brehm' 
sehe  Naturgeschichte  mit  ihren  lahUosen  Bildem;  denn  nicht  das  Viel  erhSht 
die  Anschauung,  sondern  die  intensive  Art  des  Sehens,  das  vollkommene  Ein- 
dringen in  die  einzelnen  wechselnden  Formen,  nnd  dies  ist  zunächst  nur  an 
wenigen  oft  gesehenen  belebten  Gegenständen  möglich."  —  „Unser  Zeichen- 
unterricht ist  vor  lanter  i^Btematischem  Geist  der  Lehrer  der  geistloseste  ge- 
worden. Er  will  den  Eindem  nach  nnlUilbarem  Stystem  Handfertigkeit  im 
Zeichnen  geben  nnd  entwShnt  sie  vom  Zweck,  nftmlich  von  der  bildli<dienBar- 

*)  Einzelheit  üO  l'lg. 


Digitized  by  Google 


—   797  — 


Stellung'  ciiU'S  in  Jas  Gedächtnis  au^enommenen  Gegenstandes.  Was  würde 
man  von  t  in*  m  Lelin  r  des  Schreibens  sag-en,  der  die  Boebstaben  zu  schönen 
Keihaugeii  zusammenfügte,  aber  die  Kinder  nicht  Worte,  Sätze  schreiben 
lleBe;  dar  de  die  Schrift  lehrat  wollte,  ohne  doi  Zweck  der  Sehrifti  den  Ant- 
drnck  von  Gedanken  I** 

585.  Malendes  Zeichnen  (A.  Küppers,  Monatsbl.  f.  d.  Zeichenunterr. 
i.  d.  Volkssch,*)  1892,  VII.)  -Trotz  der  anerkennenswerten  Fortschritte,  die 
der  Zeichenunterricht  in  den  letzten  Jahren  sowol  in  Bezug  auf  Methode  als 
anf  Lehrmittel  nndLiterator  gemacht,  ist  sein  Abschlnas  noch  Immer  nicht  be- 
friedigend.** Er  wird  es  naeh  der  Ansicht  des  Verf.,  weuD.  neben  dem  „eneteo 
Zeichnen"  (Üben  der  Elemente,  geistiges  Erfassen  der  FormeD)  ein  „angewandtes, 
malendes  Zeichnen  oder  Skizziren"  hergeht,  beide  sich  gegenseitig  unter- 
stützen. Malendes  Zeichnen  von  Anfang,  d.  h.  vom  ersten  Schuljahre  an  ein 
Zeichnen  nach  der  Natur.  „Die  zeichnerischen  Formen  werden  ähnlich  wie  die 
Sehriltformen  bis  nr  grifßten  Fertigkeit  geübt.**  Das  Üb«i  der  Blattformen, 
Schnabel-,  Zehen-  n.  ä.  Linien  eifolgt  wie  Veini  Schreiben  im  Takte  („das 
gibt  der  s:anz(^n  Thätigkeit  Schneid,  Lebendigkeit  und  Interesse;  und  bei 
richtig«  r  Consequenz  und  Energie  sind  die  Erfolge  überraschend"  ).  Lelirplan, 
Stoß  Verlheilung,  Unterrichtsbeispiele.  —  „Ein  Schüler,  welcher  regelmäilig 
(8  Jahre  lang)  die  Volksschnle  besncht  hat,  mnss  bei  seinem  Abgange  befähigt 
sein,  die  Bilder  von  Dingoi,  wdcbe  in  seinem  Anschannngskreise  liegen,  mit 
einer  gewissen  Fertigkeit  entwerfen  (skissiren)  m  kttanen." 


Unter  den  neuen  Broschüren  möge  besonders  und  mit  warmen  Em- 
pfehlungen herrorgehobm  werden:  „Zum  religiösen  Frieden  von  J.  Froh- 
sehaBuner^  (26  Seit«!,  Breelan  bei  Bdnard  'Drewendt).  Als  Probe  ans 
dieser  bedentraden  Abhandlung  sei  folgende  Stelle  mitgetheilt: 

„Der  moderne  Staat  lässt  verschiedene  Confessionen  zu,  gewährt  Beken- 
nem  verschiedener  Eeligionen  staatsbürgerliche  Kechto,  —  während  die 
Kirche  deren  Vertreibung  oder  Ausschließung  fordert.  £r  duldet  und  übt 
nicht  mehr  Anwendung  plijslscher  Gewalt  gegen  Ezeommnnizirte  nnd  Ketzer— 
was  die  päpstliche  Kirche  noch  im  sogenannten  Sfyllabns  ausdrücklich  fordert; 
CT  schützt  die  freie  wissenschaftliche  Forschnng,  während  diese  Kirche  und  auch 
andere  Orthodoxien  dieselbe  unterdrücken,  in  Unterwerfung  halten  wollen;  er 
hebt  die  Immunität  des  Clerus  auf  und  unterwirft  denselben  seineu  Gerichten 
in  Widerspraeh  mit  dem  eaaoiiiseheB  Bedite  n.  s.  w.  Wollte  der  Staat  sieh 
in  allem  den  Fordenmgen  der  Kirche  fügen,  nm  nicht  in  ihr  Gebiet  einmi- 
greifen,  dessen  Gremun  die  kirchliche  Autorität  selbst  bestimmt,  so  müsste  er 
sich  selbst  und  die  ganze  Wissensc  liaft  und  Civilisation  der  modernen  Gesell- 
schaft aufgeben  und  auf  Ktalisirung  der  Humanitätsidee  verzichten.  Allein 
der  Staat  hat  ein  Recht,  auch  bezüglich  der  Religion  aligemeine  Bestimmungen 
im  Interesse  der  Sittlichkeit  (des  sittlichen  Gewissens  —  oft  im  Gegensats 
gegen  das  religiüse  resp.  kirchliche  Gewissen)  und  der  wirklich  christlichen 
Gottesverehrnng  zu  geben.  Das  Cliristenthum  ist  nicht  Eigenthuni  eines 
Standes,  des  l'lerus,  das  derselbe  nwv  unter  seinen  Bedingungen  niittheilen 
oder  versagen  könnte,  sondern  ist  Aligemeingut  der  Menschheit  und  insofern 

*)  Binselnammer  40  Pfg. 
PndaffosiuB*  M.  Ahig.  H«fl  ZU.  55 


Digitized  by  Google 


—   7Ö8  — 


auch  des  (christlichen)  Staates  das  dieser  der  Jiiß:pnd  und  dem  Volke  kann 
mittheiien  lassen,  ohne  erst  vom  Clerus  oder  einer  Kirche  um  Erlaubnis  dazu 
betteln  zu  müssen,  die  ihm  etwa  nur  gegeben  werden  soll  unter  der  Bedingung, 
dMs  er  aof  Mine  widitigtten  Rechte  yersicfate  nnd  es  «ieli  nnmOgUck  madie, 
seine  Rechts-  und  Caltnraufgaben  za  erfüllen. 

Wir  verhehlen  uns  nicht,  daas  es  wol  noch  geraume  Zeit  dauern  mag",  ehe 
dieses  I'ro^ramm  zur  Herstellung  des  religiösen  Friedens  zur  Ausführung 
kommen  wird.  Ja  gegenwärtig  erschienen  die  Verhältnisse  so  geartet,  als  ob 
Tielmehr  dit  Qegentbeil  d»Toh  nir  Ansfllbning  kommen  sollte.  Der  Staat 
wdeht  Üut  allenthalben,  besondere  in  Deutschland,  vor  den  AngriÜBn  nnd 
Forderungen  der  Orthodoxien  und  besonders  der  päpstlichen  Kirche  zurück  nnd 
sucht  durch  Concessionen  nnd  Compromisse  zu  beschwichtigen  oder  zu  befrie- 
digen, und  kaum  irgend  ein  Vertreter  der  Staatsregternngen  wagt  es  mehr, 
entschieden  den  kirchlichen  Prätensionen  entgegen  za  treten,  sondern  allent> 
.  halben  verhSlt  man  sieh  nnr  Tertheidlgangswelse  nm  des  Heben  Friedens  willen,  ~ 
den  erregten  Fanatismus  des  ungebildeten  Volkes  nnd  seiner  zelotischen  Führer 
fürchtend.  So  gewinnt  der  Clericalisraus  immer  mehr  Boden  nnd  Macht,  und 
wenn  die  Staatsmänner  noch  so  sehr  Friede!  Friede!  ruftrn,  wird  doch  kein 
Friede  sein,  ehe  nicht  volle  Unterwerfung  des  Staates  unter  die  iürche  er- 
reicht  Ist.  Wraigstens  bezBgUch  der  päpstlichen  Kirche  gilt  dies,  da  diese 
absolute  Herrschaft  und  directe  Göttlichkeit  oder  Stellvertretung  Oottes  aof 
Erden  beansprucht  und  daher  von  Völkern  und  Fürsten  unbedinp^te  Unterwer- 
fung fordert  in  allem,  was  sie  fdr  kirchliche  Angelegenheit  erklärt.  Diese 
Forderung  wird  seit  Jahrhunderten  gestellt  und  durchzuführen  gesucht  £s 
gelang  dies  aneh  in  firttherer  Zeit  vlelfiufa  in  hohem  Orade  bei  der  Olinbigkeit 
des  Volkes  nnd  bd  der  sIlgemeineB  Unwiswidielt  nnd  ünkenntnis  in  kirehUdien, 
insbesondere  in  kirchengeschichtlichen  Dingen.  Nun  aber,  nach  so  vieler 
wissenschafdicher  Forschung  im  Gebiete  der  Natur  nnd  (Tescliichte,  sind  der- 
gleichen Ansprüche  nicht  mehr  aufrecht  zu  erhalten  und  anzuerkennen.  Man 
hat  die  Entstehung  der  sich  als  absolut  gebenden  kirchlichen  Antoiit&t  erkannt 
nnd  die  sllmfthUdie  Entstehnng  der  01anbenstatznng«n  nSher  erfiirsoht  nnd 
deren  mensehlidien  Ursprung  Bl^  Charakter  genugsam  erkannt ,  so  dass  man 
die  Forderungen  ihrtT  'lYiij^er  und  .*^achwalter  nicht  mehr  für  absoint  gültig 
halten  kann,  als  kämen  sie  von  Göttern  gf^enüber  den  bloßen  Menschen  —  wie 
man  dies  bisher  geltend  gemacht  hat.  Wozu  wäre  z.  B.  insbesondere  die  Ge- 
sdiiehtsforschnng,  wom  historische  Oommissioiien,  Vereine  und  wissenschaftliche 
Institute  aller  Art,  wenn  man  zuletzt  doch  die  erforechte  historische  Wahrheit 
nicht  kundgeben  und  im  Interesse  der  Wahrheit  und  des  Rechtes  geltend 
machen  dürfte V  Das  wirkliche  Christenthum  selbst  wird  dadurcii  keineswegs 
zerstört  oder  irgendwie  beeinträchtigt;  es  ist  ein  Kampf  zwischen  dem  theolo- 
gischen nnd  hierarchischen  oder  theokraüschen  (Aitatenthim  nnd  dem  Christen- 
thnm  Christi;  die  Wissensehafk,  die  Oesehichte  nnd  I^ilosophie  insbesondere, 
stehen  dabei  auf  selten  des  letzteren  in  seiner  einfachen,  reUgUMttUehen 
Form.  —  Es  ist  freilich  ein  undankbares  Beginnen,  dergleichen  auszusprechen 
und  der  Wahrheit  Zeugnis  zu  geben  gegenüber  der  [lußerlichen,  auch  weltlichen 
Macht  der  Kirchen  und  Confessionen,  und  es  ist  wenigstens  vorläufig  noch  ein 
vei^ebliches  Bemtthen,  dies  ins  Bewnsstsein  der  VBlker  einznfllhreii  nnd  anr 
Überzeugung  derselben  zn  machen;  aber  der  Verlauf  der  geschichtlichen  Ent- 


Digitized  by  Google 


—   799  — 


■Wickelung-  wird  schließlich  doch  zur  Ausfuhrang',  zur  Realisirnng:  des  skiz- 
zirten  Programms  führen,  wie  schon  so  manches  besonders  in  der  neaeren 
Zeit  zur  AoBführuDg  kam,  was  man  für  unstatthaft  oder  anmöglicli  hielt." 


Nürnberger  Rechenbrett.  Diesen  Nameii  fährt  ein  Apparat,  welchen 
Herr  Ernst  Tnilltscli,  Lehrer  in  Nürnberg:,  vor  einiget  Jahren  erfunden 
hat,  und  der  dazu  dient,  sämmtliche  Rechenoperationen  im  Z  ihlenraum  von 
1 — 20  zu  veranschaulichen.  Da  derselbe  nach  und  nach  in  einer  Reihe  von 
-  4eatscli«ii  Staaten  amtlich  genehmigt  nnd  empfohlen  nnd  von  einer  greSenAa- 
■lahl  von  Schulmännern  hdchst  lobend  beartheilt  worden  ist»  bo  iknden  wir  ans 
Teranlaset)  denselben  einer  praktischen  Prüfung  zu  unterziehen,  welche  zu 
dem  Ergebnis  führte,  dass  der  erwähnte  Apparat  in  der  That  den  ihm  gespen* 
deten  Beifall  und  daher  weitere  Verbreitung  iu  vollem  Maße  verdient. 


«6* 

Digitized  by  Google 


Reeensionen. 


Comenins-Literatur. 

Bevor  wir  diesen  Jahi^^uig  des  nPaedaffogiums"  schließen,  müssen  wir  noch 
einen  Blick  auf  etliche  Schriften  werfen,  welche  sich  mit  dem  ^oßen  Schulmann 
befassen,  der  in  dem  jüngsten  Zeitabschnitt  mit  Recht  so  viel  gefeiert  worden  ist 
und  gewissermaßen  der  pädagogiscJie  Begent  des  Jahres  1892  genannt  weiden  kann. 
Sdion  im  Mänshefte  hemerkten  wir  tther  eines  der  hierher  gehiirigen  Werke,  das 
damals  zu  erscheinen  begann,  da.«.«  cs  „\vol  die  umfassendste  und  gründlichste  aller 
lushengen  Arbeiten  über  Comenius  werden  dürfte."  Seit  einigen  ILonaten  liegt  ea 
nnn  unter  folgendem  Titel  YoUeadet  vor: 

Johann  Arnos  Comenins.  Sein  Lflliea  und  seine  Schriften  von  Dr.  Jo- 
hann Kvucsala,  Prof.  am  ev.  Lyceura  in  Pressburg.  Berlin,  Leipzig  und 
Wien  bei  Julius  Klinkhardt.  480  und  89  Seiten.  Preis  4  Mark  80  Pf. 
Unsere  Voraussagung  hat  bereits  eine  gewichtige  BestÄtigung  erhalten. 
Anton  Giudely,  der  hier  gewiss  i-onipetent  ist,  sagt  näniluh:  „T'on  ganzen 
Iiebenslauf  und  die  gesammte  liteiahfidie  Thätigkeit  des  Comenius  hat  Kvacsala 
nm  Gegenstmid  der  eingehendtten  IJnteimiehnngen  gemaeht  und  anf  deren 
Grandlago  eben  ein  Werk  veröffentlicht,  divs  den  ersten  IMatz  unter  den  bis- 
beiigen  Biographien  des  Comenius  und  den  ikurtheilungen  seiner  literarischen 
ThStigkeit  einnimmt.*  ^iehe  „Pädagogiseher  Literatnrbericht''  Jahrgang  II, 
Nr.  10,  Znaini  hei  Foumier  «S:  Haberlf^r.»  Erst  aus  dem  Werke  Kvacsala's 
tritt  uns  der  ganse  Comenius,  wie  er  mit  allen  Bewegungen  seiner  Zeit  em- 
pftmgend  und  wiilund  Terwacbsen  war  und  fast  alle  Lftndor  unseres  Erdteil» 
umspannte  und  beeinflnnte,  lebenstreu  und  hol!  bolenrhtet  entgegen.  Das  vor- 
liegende Buch  fai^t  nicht  nur  die  Krgebnissc  der  bisherigen  Comeniusforscbungen 
msammen,  sondern  bereichert  sie  auch  betrSchtlich  durch  Ausbeutung  bisher 
unbenutzter  Quellen.  So  erscheint  nun  t'omenius,  indem  besonders  auch  seine 
kirchliche  und  politische  Wirksamkeit  eingehend  dargelegt  wird,  als  eine  weit 
nicheve,  vielseitigere  und  ai  tiv«  re  Persönlichkeit,  als  bisher,  zum  Theil  in 
anderer  Gestillt  als  bei  frühtTcn  Biojjraj'hen.  Natur! ii  h  mugstcn  da  auch  seine 
Verirrungcn  und  Misa^rift'c  dcutlicii  hervortreten,  zui;leich  aber  ihre  genetische 
ErUftmng  finden.  Seme  Vorläufer  und  Zeitgenossen  sind  weit  voltstAudiger 
und  ||[enauer  dargestellt,  als  in  anderen  Schnfteu,  und  selbst  über  die  weit- 
geschichtlichen  Ereignisse  seiner  Zeit  enthSIt  Kvae«ala's  Werk  neue  Auf- 
8ch]Us.«c.  -  I'ios  alles  konnte  nur  erzielt  werden  durch  «  ingeliendt  s  Studium 
eins  höchst  umläoglichen  Quellcnmaterials,  wie  es  in  großen  Bibliotheken, 
Archiven,  Muteen  nnd  sonstigen  Sammlungen  —  sn  Prag,  Budapest,  Wien, 
Dresden,  Hannover,  ll  rrntiut.  Li.ssa,  London  u.  >.  w.  —  sich  findet  und  de.s.scn 
erfolgreiche  Verwertung  nur  bei  so  ausgebreiteten  äprachkentnisseo,  wie  sio 
Herrn  Kvacsala  zu  Gem>te  stehen,  gelingen  konnte. 

(iern  wird  man  in  Erwägung  alle.s  dessen  einicrc  Miingel  entschuldigen, 
welche  dem  Werke  anhaften.  Dass  es  hie  und  da  „sprachliche  Unebenheiten** 
avfweisnn  wttide»  sali  du  Hen  YeifMMev  MllMt  Tnaos,  da  dM  Deatselie  nicht 
aeine  Hntterq^mdie  ist}  indessen  sind  dieselben  geiinger,  als  man  wol  hfttt« 


Digitized  by  Google 


—   801  ~ 


erwarten  können,  und  kaum  irgendwo  stören  sie  den  Sinn.  Die  Darstellung* 
möchte  man  im  ganzen  frischer,  plastischer  und  übersichtlicher  wünschen;  die 
eigentlichen  biographischen  Data  treten  oft  nicht  genügend  scharf  aus  den 
überwuchernden  theologischen,  kirchlichen  und  politiscnen  Händeln  hervor. 
Ungern  vermisst  man  ein  Inhaltsverzeichnis,  und  auch  ein  Index  wäre  sehr 
erwünscht,  da  das  umfang-  und  stoffreiche  Buch  durch  solche  Behelfe  leichter 
genießbar  werden  würde.  Indessen  werden  sich  diese  Mängel  in  einer  neuen 
Auflage  des  Werkes,  die  wir  ihm  recht  bald  wünschen,  abstellen  lassen;  schon 
jetzt  aber  ist  es,  wie  gesagt,  die  bedeutendste  und  wertvollste  Arbeit  ihrer 
Art,  die  zwar  keinen  Massenabsatz  zu  erwarten  hat,  wol  aber  Aufnahme  in 
jede  cinigermassen  ansehnliche  Bibliothek  beanspruchen  darf. 
Hieran  reihen  wir  ein  mehr  populäres  Buch,  nämlich: 

Leben  and  Schicksale  des  Johann  Amos  Comenins.  Mit  Benutzung 
der  besten  Quellen  dargestellt  von  Anton  Vrbka.  Mit  einem  Verzeichnis 
der  neueren  Coraenius-Literatur  und  II  Abbildungen.  Znaim,  Fournier  & 
Haberler.    16Q  und  ]A  Seiten.    2  Mark. 

Eine  schöne,  t^elbstständige,  sorgfältig  und  mit  edler  Begeisterung  ver> 
fasste  Schrift,  die  unter  den  Werken  ähnlicher  Bestimmung  mit  Ehren  be- 
stehen kann.  Zwar  können  wir  dem  Verfasser  bezüglich  des  Geburtsortes  des 
C!ouicnius  nicht  zustimmen  (s.  oben),  auch  lässt  er  hie  und  da  eine  merkliche 
Lücke,  wie  er  z.  B.  den  wichtigen  Schulbesuch  in  Prerau  gar  nicht  erwähnt; 
dagegen  bringt  er  auch  wertvolle  Ergänzungen  zu  dem  bisher  Bekannten  und 
selbst  Berichtigungen  alter  Irrtümer.  So  wird  man  ihm  z.  B,  Recht  geben 
müssen,  wenn  er  den  Tod  der  Eltern  des  Comenius  in  das  Jahr  1604  verlegt, 
obgleich  noch  Kvacsala  an  der  älteren  Tradition,  die  auf  1602  lautet,  festhält, 
allerdings  in  Übereinstimmung  mit  Comenius  selbst,  dem  aber  hier  jedenfalls 
ein  Gedächtnisfehler  unterlaufen  ist.  Hervorheben  wollen  wir  auch,  dass  Vrbka 
den  bchOncn  Ausspruch  von  Comenius  bringt:  „Gewissen  und  Freiheit,  die  kost- 
barsten Güter,  verkauft  man  um  kein  (feld."  —  Auch  die  dem  Buche  einver- 
leibten Bilder  sind  sehr  schätzenswert,  und  überhaupt  gehört  dasselbe  zu  den- 
jenigen Schriftwerken,  denen  man  mit  Nutzen  und  Vergnügen  vollen  Antbeil 
widmet.  —  Hieran  reiht  sich  ehrenvoll  an: 

Comenius  als  Kartograph  seines  Vaterlandes.  Nach  der  böhmischen 
Abhandlung  von  Josef  ^rnaha,  mit  einem  Neudruck  der  Karte  des  Comenins 
deutsch  herausgegeben  von  Karl  Bornemann.  Znaim,  Fournier  &  Haberler. 

4S  Seiten  Text.    1  fl. 

Eine  nicht  voluminöse,  aber  höchst  dankenswerte  Gabe.  Denn  gewiss 
werden  aus  diesem  Beitrag  zur  Comenius-Literatur  viele,  selbst  sehr  belesene 
Schulmänner  den  jjroßen  Pädagogen  von  einer  neuen  Seite  kennen  und  schätzen 
lernen.  Als  er  niiuilich,  aus  Amt  und  Heimat  vertrieben,  sich  im  Exil  ver- 
bergen musste,  beschäftigte  er  sich  u.  a.  damit,  sein  Vaterland  Mähren  karto- 
graphisch darzustellen,  und  Anno  1627  war  die  Zeichnung  vollendet.  Mit 
vielem  Vergnügen  sehen  wir  dieses  für  jene  Zeit  vorzügliche  Werk  —  Moraviae 
nova  et  post  omnes  priores  accuratissima  delineatio,  auctore  J.  A.  Comenio  — 
der  verbesserten  Originalausgabe  von  1645  vollständig  getreu  nachgedruckt  vor 
uns  liegen.  Die  Textbeigaben  enthalten  alles,  was  man  nur  immer  zur  Be- 
leuchtung des  kartographischen  Werkes  wünschen  kann. 

Nun  seien  noch  zwei  Bücher  angeführt,  welche  zwar  nichts  Neues  bringen^ 
immerhin  aber  wegen  ihrer  im  ganzen  guten  Darstellung  des  Bekannten  ge- 
nannt zu  werden  verdienen: 

Johann  Amos  Comenius.  Sein  Leben  und  seine  Werke.  Von  W.  Kaiser. 
Mit  Brustbild.    Hannover-Linden,  Manz  &  Lange.    148  Seiten.    2  M. 

Johann  Amos  Comenius  nach  seinem  Leben  und  Wirken.  Eine  Jubilänms- 
gabe  zu  seiner  300 jährigen  Geburtstagsfeier  von  F.  Gr  und  ig.  Gotha, 
Thienemann.    92  Seiten.    1  M. 


—   802  — 

In  biographischer  Hinsicht  lassen  beide  Schriften  zu  wUoscben  übrig,  ent- 
halten sie  auch  manche  Fehler:  so  sagt  Kaiserz.  B.:  Comeniussei  ^zufällig^ 
nun  Stadium  der  lateinischen  Spradie  gelangt,  während  er  ne  doch  ab- 
ordentlicher  Zögling  einer  liiteiuischen  Schule  repclrecht  erlernte;  femer  spricht 
er  von  den  „müßig"  verlebten  Jahren  der  Kindheit  des  Comenius,  wa»  doch 
unrichtig  ist;  die  Angabe,  dass  Conieniui  bis  1667inSaros-Patak  geblieben  sei, 
ist  wol  ein  Druckfehler.  Grundig  sjiricht  von  dem  ..fine  Stunde  von  Niwnitz 
gelegenen  Dorfe  Ungarisch  Brod"  und  sagt,  Comenius'  Vater  sei  von  Kiuiuia 
nach  Niwnits  gengen  u.  dgl.  IndeKea  sind  beide  Schriften,  beionders  für 
Volksschullehrer,  aus  dem  Hninde  zu  empfehlen,  weil  sie  genauer  und  im 
ganzen  richtig  in  die  Püdu^ugik,  besonders  in  die  Untcrrichtslehre  des  Come> 
niiM,  einfuhren  (Kaiser  hnngt  tthiigens  Mandies,  ww  ttber  sdne  Avfgab» 
hlmiisgeht). 

Doch  wir  mtlsscn  abbrechen,  da  es  vmnQglich  ist,  in  einer  allgemeinen 
pädagog.  Zeitschrift  die  buchst  umfängliche  C'omenius-Literatur,  die  ia  selbst 
poetische  Erzeugnisse  —  und  darunter  recht  gute  —  aufzuweisen  hat,  nur 
annähernd  vollständig  anzufahren.  Wir  yerweisen  daher  nur  noch  auf  di» 
j^iedalschrift 

.]f onatsbefte   der  Comenins-Getell-echaft  (Jahrgang  10  Mark|  ein 
Monatsheft  2  M.  50  Vf.),  Leipzig  bei  R.  Voigtländer, 

welche  sehr  wertvolle  und  zuverlässsige  Beiträge  und  auch  eine  voll- 
■tiadigo  Bibliogiaphie  der  Gooienins-Literatnr  darbietet. 


Dr.  Julius  Roihfuchs,  Provinzialschulrat  zu  Münster  in  Westfalen,  Be- 
kenntnisse aus  der  Arbeit  des  erziehenden  Unterrichtes.  Da& 
Ubenetsen  in  das  Dentsehe  und  manches  andere.  Harburg  1892,  ElwarL 
178  S.  8K. 

Ein  schönes  Stück  Gymnasialpädagogik.  Ausgehend  von  den  vielfach  er- 
hobenen und,  von  Cbcrtreibungen  abgesehen,  nicht  unberechti|>ten  Klagen 
fiber  die  Schädigung  des  deutsäien  Stils  durch  das  Übersetzen  aus  den  alt- 
claiascben  Sp''»'^!'*'"»  besonders  aus  dem  Lateini8<-hcn,  eine  Schädigung,  welche 
sidk  nameDtluh  iu  Latinismen  und  sogenannten  „StilblQten"  kund  gibt,  macht 
YerfMscr  dieses  übersetzen,  eine  Hauptbeschäftigung  in  den  Gymnasien,  zum 
Gegenstande  eingehender  Untersuchung,  Prüfung  und  pädagogischer  Berathung. 
Wenn  dabei  sein  Hauptzweck  war,  zu  zeigen,  wie  einerseits  der  Gefahr,  durch 
das  Obersetzen  das  GeflSbl  für  die  Eigenart  der  Mattenpracbe  zu  trüben,  vor- 
subeugen  sei,  anderseits  eben  dieses  Mittel  gerade  im  Gegentheil  dazu  dienen 
hOnne,  den  deutschen  GedankenrasdradE  zu  b^chem  und  su  verfeinem: 
so  bat  doch  Dr.  Edtlifuehs,  un»  sein  Thema  allseitig  zu  beleuchten,  auch  die 
demselben  verwandten  Uaterien  in  Betiacht  gesogen.  liamentlich  gilt  diea 
Ton  der  Leetftre  ebuNdseher  Sdiriftweilce  in  Ihrer  Ausdehnung,  Anlage  und 
Einrichtung,  sanimt  den  hierzu  gebrtrigen  Präparationen,  ihren  Beziehungen  tn 
Lexikon  und  Grammatik,  ihrer  Bedeutung  für  Nährung  und  Veredelung  dea 
Geistee,  ihrer  disciplinarischen  Kraft  v.  s.  w.  Dabei  konnte  natflrlieh  aadi  die 
Besprechung  allgemeiner  Scbulfrngen,  wie  die  über  Methode  und  Methodik, 
Uber  Persönlichkeit  und  Stellung  di  s  Lebrers,  Uber  Überbilrdung  der  Schiller,. 
Aber  Ghafakter  und  Wert  der  griechisc  h  -  römischen  Literatur  a.  s.  w.  nicht 
umgangen  werden,  und  auch  in  dieser  Hin-icht  bringt  das  Buch  höchst 
schätzenswerte  Ausführungen,  wie  z,  B.  die  kurze  aber  tretYtnde  Parallele 
zwischen  Demosthcnes  und  Cicero  auf  Seite  101  f.,  oder  die  kernige  Skizze  ttber 
..Methode  und  Persönlichkeit"  iu)f  Seite  15ßf.  —  Hei  iilledeni  bleibt  aber  „das- 
Uebersetzen  in  das  Deutsche"  das  liauptthemu  des  Buches,  und  ist  dieses  mit 
^er  solcben  monographischen  Gründlichkeit  und  AUseitigkeit  bebanddt,  wie- 
unseres  Wissens  bisner  nirgends.  Fügen  wir  hinzu,  dass  sich  in  dem  ganzen 
Buche  eine  reiche  fachmännische  Erfahrung,  ein  feiner,  freier,  allem  schablonen- 
haften, eigensinnigen  und  rechthaberischen  Pedantismus  abgeneigter  Geist,, 
endlich  warme  Liebe  zur  Jugend  und  mm  Erziehnngsberuf  ausspridit^  so  babea 
wir  gesagt,  welchen  Eiadmek  des  Baeh  auf  uns  gemacht  bat. 


Digitized  by  Google 


—   803  — 


Dr*  Ralnmnd  OeU«r,  ClatsiBches  Bilderbuch  mit  weit  Uber  100  Tafeln, 

enthaltend  8ber  200  Abbildungen  nebst  6  Plänen  nnd  1  bnntfarbigen  Tatel. 
Leipzig,  Schmidt  und  Günther.    Preis  1  M.  80  Pf.,  greb.  2  M.  50  Pi. 

£m  sehr  sch&tsenswertea  Lehr-  und  Lernmittel  für  den  Gyuinaäialuütcr- 
rieht  zu  Händen  der  Sehflier.  Abg|ebildet  rind  GOtter,  historische  PersoneD,  Bau* 

nnd  Kunstwerke,  Waffen.  Kriegs-  und  TTausgeräthe,  Schmucksachen.  Städte, 
LandBcbat'tcn  a.  s.  w.,  wie  sie  in  der  classi.scbcn  Lecttiro  und  im  hiHtorischen 
Unterricht  des  Gymnasiums  vorkommen.  Den  einzelnen  Bildern  ist  ein  er- 
lüiifornder  Text  bi  iiri  ^cben.  Es  war  ein  sehr  glücklicher  Gedanke,  ein  solches 
Werk  zu  entwerten,  und  die  Ausführung  kann  als  gelungen  bezeichnet  werden. 
Hier  ist  in  der  Tbat,  wie  man  bisweilen  ohne  Berechtigung  sagt,  einem 
wirklichen  nnd  längst  gefUüten  fiedfkzfnifiae  abgeholfen,  und  das  Werk  wird 
seinen  Weg  machen. 

Hermann  Masins.  Bnnte  Blätter.  Altes  und  Neues.  Halle  a/S.,  1892, 
Buchhandlung  des  Waisenhauses.    384  S. 

Bine  reichhaltige  Sammlung  kleiner  Heisterstflcke  des  geistigen  Sdialliena 

und  der  stilistischen  Darstellung,  peunlntt  in  die  drei  Abthcilunfren :  Reden, 
Biographische  Charakteristiken  und  Naturskizzen.  Von  cr^teren  erwähnen  wir 
die  Festreden  auf  Schiller,  Fichte,  Francke  und  die  Lehrvortrftge  über  den 
Humanismus  in  seinen  Einwirkunjyon  auf  die  deutschen  Gelehrtenschulen  und 
und  über  den  Erzbischof  Bruno  vou  Köln;  von  den  .\rbeiten  der  zweiten  Kate- 
gorie: Gennaniciis,  ein  Bruchstück  römischer  Geschichte.  Ulrich  Zwingli,  be- 
sonders als  Humanist  und  Pädaffog.  Fiiedrich  August  Eckstein,  die  Natur- 
anschauung Luthers,  Erasmus  als  .Sittenmaler.  Wenn  alle  diese  Essays  ver- 
möge ihrer  eleganten  und  fas«lichen  Darstellungsform  den  Leser  leicht  an- 
sprechen nnd  gewinnen,  so  muthen  sie  ihm  doch  auch  zur  Bew&itigung  des 
in  ihnen  aufgespeicherten  Schatzes  vielseitiger  Gelehrsamkeit  und  anregender 
Gedanken  eine  stete  I^pannung  der  Aufmerksamkeit  zu,  wofllr  ihm  daim  die 
dritte  Abtheüung  des  Boches  mit  ihren  aNaturskisien"  wie  zur  Erholung  eine 
leiebtere,  snmn&fge  nnd  dennoch  immer  lehrreiche  ünteihsltung  gewilirt. 
Wem  die  sinnige  Art  der  Naturbctraclitung,  die  fi  inc  l^ezichUDg  des  nicnsdi- 
lichen  Daseins  auf  seine  physischen  Umgebungen,  oder  die  geistreiche  Behandlung 
des  scheinbar  ünbedentenden  nnd  andere  Zflge  dieses  gewicq^en  Beobachters 
und  Darstellers  nicht  bekannt  sind,  der  lese  in  diestm  dritten  Theile  z.  B. 
„Marder  und  Sperling'',  „Aus  dem  Leben  der  Katze'',  „Das Haar',  „Der Mond 
in  Sage  und  Diditnng". 

Dr.  G.  DeschmauD,  Führer  durch  Österreichs  Schulen.  Eine  sjstema- 
tiiehe  DuBtdlmig  der  ünterrlehte-  und  ErdehnngBanatalteD  der  Vüttt*  nod 
Hittelstufe  für  die  mSonliche  Jngend  in  den  im  Beichsrathe  vertretenen 
Königreichen  nnd  Ländern.  Pilsen  1892,  Steinhauser.   180  8.    1  Fl. 

Das  Buch  bringt  zur  Darstellung:  die  iünderg&rten  und  verwandte  An- 
stalten, die  Tolks-  nnd  Bfirgerschnlen,  die  Leluerbudungsanstalten,  BeschRfti- 
gung.-anstalten,  Internate  für  Volks-  und  Bürgerschükr,  Waisen-  und  Rettur.ffs- 
häuser,  Anstalten  für  nicht  normal  beanlagte  lunder;  femer  die  Mittelschulen 
(Gymnasiea,  Bealsehnlen  etc.),  die  geisUiehen  Seminare  und  IhnÜdie  Anstalten, 
die  militärischen,  commercicllcn,  gcwer!>lif  h(  n,  land-  und  forstwirtschaftlichen 
Bildungsanstalten,  diu  Anstalten  für  bildende,  musikalische  und  dramatische 
Kunst,  sowie  die  Fachschulen  für  Thierheilkunde,  Schifbüurt,  Bergwesen,  Phar- 
macie.  Überall  sind  die  pcset/Iichen  Grundlagen,  die  Zwecke,  Einri«  htnntjen 
und  der  tbatsächliche  Bestund  der  Bildungsanstalten  klar  und  übersichtlich 
vorgeführt,  so  da.ss  das  Buch  Eltern  als  Rathgeher  bei  der  Unterbringung 
ihrer  .'^iihne  in  geeignete  Schulen  oder  Internate  gute  Dienste  leisten  kann 
und  auch  den  Pädagogen  von  Fach  zur  Orientirung  über  die  weiten  Gebiete 
seines  Berufs  willkommen  sein  wird.  Die  Tom  Herausgeber  aufgewendete 
Mühe  und  Sorgfalt  verdient  alle  Anerkennunc  die  wir  ihm  um  so  mehr 
wünschen,  als  von  der  Autuahme  dieses  Buches  die  Fortsetzung  desselben, 


Digitized  by  Google 


—  804  — 


nSralirb  eine  annloge  DaratcIIuiiG:  der  Bildungsanstalten  für  das  weibliche 

Geschlecht,  endlich  der  verschiedenen  Hochschulen,  abhängig  ist. 

Franz  Villicas,  die  Geschichte  der  Kechenknnst  vom  Alterthunie  bis  zani 
XVIII.  Jahrhundert  mit  besonderer  Kiicksicht  auf  Deutschland  und  Öster- 
reich. Kit  Illustrationen  u.  s.  w.  Wien,  Karl  Gerolds  Sohn.  2.  verb.  und 
▼erm.  Aufl.  110  8.  8^. 

Ein  mit  iiii?u:(hrcitftrr  Fiiichkonntnis  und  großer  Sorgftit  bearbeitete« 
Werk,  mit  welchem  sich  der  Vcrlasser,  als  Mathematiker  wie  all  Methodilter 
längst  ehreBTOlI  bekaimt,  ein  nevee  Veidienst  um  die  'l^niMBachaft  und  war 
gleich  um  die  Untcrricht>praxis  erworben  hat;  denn  die  Geschichte  der  Rechen- 
kunst gehört  nicht  nur  zu  den  interessantesten  Phänomenen  der  menscbheit- 
lichen  Culturcntwickelung ,  sondern  gewährt  auch  der  Lehrkunst  widitige 
Gesichtspunkte  und  Wiiäe.  Du  Toniegende  Werk  sei  daher  bestens  em- 
pfohlen. J.  S. 

Hertn.  Redeker  und  Wilh.  Pütz,  Der  GesinnunKsunterricht  im  ersteiv 
und  zweiten  Schuljahre  oder:  Vorbereitungscursus  für  den  Religionsiinter* 
rieht  Mfihlheim  a.  d.  Rahr,  Hogo  Baedeker.  165  8. 

Die  Verfn*ser  dieses  Buches  sind  der  Ansicht,  da.'^s  die  l)ibli»chen  Geschich- 
ten weder  in  Bezug  auf  den  Inhalt  noch  in  Bezug  auf  die  t  onn  dem  Stand- 
pnnkt  sech^ihiiger  Kinder  entsprechen,  daher,  mit  Ausnahme  der  Jugend- 
geaehichte  Jesu,  nicht  in  die  Anfangpchiüsc  gehören  und  ihnen  ein  vorbereitender 
CuTsus  vorangehen  müsse.  Der  letztere  könne  aber  weder  im  Anschauungs- 
unterrichte oder  der  Heimatkunde,  wie  manclie  Pädagogen  wt^ea,  nedi  in 
Märchen,  wie  Xiller  vorschlug,  mit  geboten  werden,  sondern  es  würden  sich 
hierzu  besonders  Kinder-  und  Thiergeschichten  eignen.  Ihr  Lehrstoft  für  den 
elementaren  Religionsunterricht  ist  nun  folgender:  Erstes  Schuljahr:  Ue.v'sche 
Fabeln.  Krummachersclie  rarii))eln,  .Tugendgeschichte  Je."3U:  zweites  Schuljahr: 
Geschichte  von  der  fronuueu  iiuth,  Geschichte  Josephs,  .fesus  als  Kinder-  und 
Menschenfreund.  Das  Bnch  ftihrt  den  hier  bezeichneten  Lehrstoff  vollständig 
vor  und  zeigt  dann  in  einer  Reihe  von  Lehrbeispielen  die  methodische  Be- 
handlung desselben.  Die  Sache  bedarf  der  Prüfung.  Jedenfalls  aber  zeigen 
die  Verfasser  eifrige  Hingebung  an  die  vorliegende  Aufgabe  und  didaktis(he 
Gewandtheit,  weshalb  ihr  Versuch  der  Beachtung  wert  ist  und  jedem  Elementar- 
lehrer  nQtdiche  Anregungen  bieten  wird. 

Berthelt,  Geographie  in  Bildern.  5.  Aull.,  neu  bearbeitet  von  Schill- 
mann.  Leipzig,  JnL  Klhikhardt.  (Fr.  6  IL) 

Berthelts  Charakterbilder  liegen  in  dieser  fünften  Aufhige  vollständig  neu 
bearbeitet  vor.  Insbesondere  die  „ätädtebilder"  sind  den  Umgestaltungen 
unserer  Großstädte  in  der  jüngsten  Vergangenheit  gemäß  in  dieser  neuen  Anf- 
I.igc  um£roarbcitet :  cinicre  weniger  anschauliche  Schilderungen  sind  durch  ge- 
lungenere ersetzt,  die  seit  der  4.  Aufl.  erschienen  sind.  Der  Herausgeber 
begnügte  Heb  zumeist  nicht  mit  dem  UoBea  Abdmek,  sondern  gestaltete  die 
Schilderungen  mit  Rüeknirlit  auf  seinen  iiiidaijogisrhen  Zweck  um,  kürzte  sie 
oder  vereinigte  auih  zwei  oder  mehrere  .Schilderungen  zu  einem  (ianzen,  aus 
der  einen  das,  aus  der  anderen  jenes  auswählend,  wie  es  eben  sein  Ziel  ver- 
langte. Hie  und  da  griflF  er  selbst  zur  Feder,  um  ein  Stück  Land  oder  eine 
Stadt,  für  die  keine  geeignete  Schilderung  vorlag,  dem  jugendlichen  Leser  vor 
Augen  nt  führen*).  Eamn  eine  Gegend,  besonden  nniem  Vateilaadet,  die 


*)  Die  Artikel  ..T'ulofaricn"  und  ..Montenegro"  verdienten  eine  Umarbeitung 
denn  hier  finden  sich  manche  ungehörige  Hyperbeln  und  auch  sachlich  Unrichtiges, 
a.  B.  Man  konnte  Balgurien  eine  natflriiehe  Feitnng  aeanea,  weil  ee  ton  hohen  Ge- 
birLTcn  luiistarrt  i^t ,  (leren  Engpässe  unUbersteiglich  sind.  I>ie  höchsten  et» 
hebcu  .sich  steiler  gegen  den  Himmel  als  selbst  die  schroffsten  Gipfel  der  Alpen  ... 
Anf  diesen  OeUrgikettea  befladea  sich  ungeheure  Wieien,  die  lieh  ia  den 


Digitized  by  Google 


—  805  — 


nicht  hcsrhrieben  wäre.  Es  sind  im  ß:anzen  216  Bilder,  darunter  125  Bilder 
ins  Eurupa;  IIU  Holzschnitte,  sauber  ausgeführt  und  gut  ausgewählt,  iUn- 
■triefen  den  Text.  Oegenüber  anderen  Charakterbildern  tragen  sie  in  der 
Darstelluuc:  das  EigenthQmliclie  an  eioli,  daai  de  ftz  die  Volks-  und  Bürger* 

schuUtule  berechnet  sind.  W. 

Karte  der  Yerbreitang  der  Deatschen  in  Europa,  III.  und  IV.  Sectioo. 
Verlag  Flemming'  in  Glogan.  Preis  der  Sectlon  3  M . 

^  Die  dritte  und  vierte  Sei  ti  üi  veranschaulichen  die  Verbreitung  der  Deutschen 
in  Österreich-Ungarn  ^bis  zur  Theißiiuie)  und  in  Sudwestdeutschland,  der  Schweis 
und  Oberitalien.  Da  diese  beiden  Sectionen  auch  die  Verthellung  der  nieiht- 
deutschen  Tülkcr  anheben,  so  sind  sie  zugleich  ethnoc^raphische  Karten  der 
oben  genauuten  Gebiete  überhaupt  und,  was  Ausfuhrung  und  Genauigkeit  im 
Detail  anlangt,  wahre  Prachtblätter.  Wir  wenigstens  erinnern  niu  nicht, 
etwas  80  Übersichtliches  und  trotz  des  vielen  Details  so  Klares  rniter  den 
ethnographischen  Karten  Österreich-Ungarns  gesehen  zu  haben,  und  auf  dciu 
jüngsten  Geograpbentage  zu  Wien  war  doch  manches  Outo  ausgestellt.  Fflr 
die  neutschen  in  der  Diasp<na  ist  die  Karte  ein  Augentrost  und  eine  Hers- 
btärke.  W. 

Metlxüdik  des  naturgescbichtlicUen  Unterrichtes  von  Prof.  Dr.  Carl 
Rothe,  Zweite  verbesserte  Auflage.  Wien  1891,  Verlag  von  Fiehlers 
Witwe  und  Sobn.  124  Seiten.  Preis  1  M.  60  Pf 

Der  Verf.  dieser  Methodik  ist  als  Verf.  vieler  methodischer  Lehrbücher  fttr 
Naturgeschichte  bekannt,  die  große  Verbreitung  besitzen.  £s  lässt  sich  daher 
▼on  Tomberein  erwarten,  dass  er  avdi  in  diesem  Werke  das  Riclitio;e  treffen 
und  den  Lohrern  mnnrhen  nutzbringenden  Wink  geben  wird.  Lud  so  i-d,  es 
auch.  In  den  Abschnitten  Ziel  und  Zweck,  Lehrtorm,  LehrstoÖ,  Lehrmittel. 
Geschichtliche  Kntwickelunc:  der  Naturgeschichte  und  eines  methodischen  Unter- 
richtes in  derselben  und  endlich  Vertheilung  des  Lehrstoffes  auf  einzelne 
Stufen  folgt  er  zum  Theile  den  behonllichen  Anordnungen,  zum  Theile  gibt 
er  eigene  beherzigenswerte  Anschauungen  kund.  Besonders  den  Artikel:  Lehr- 
mittel möchten  wir  der  größten  Beachtung  empfehlen,  da  unsere  eigene  Er- 
fahrung uns  Überzeugt  hat,  dass  in  dieser  Hinsicht  am  meisten  gesttndigt  wird. 
Den  Lehrem  jeder  £itegorie  sei  du  Bflelüein  anb  Wirmste  empfohlen. 

C.  R.  K. 

Der  Zweck  und  Umfang  des  rnterrichtes  in  der  Naturgeschichte 
am  Gymuasiam.  Vortrag  gehalten  in  der  Versammlung  des  Vereins 
Sdiweis.  GymnaiiBllehrer  in  Baden  von  ]>r.  F.  HttUlierg.  Asran,  Draek 
nnd  Verlag  von  H,  R.  Saaerländer. 

In  sehr  gelungener  Weise  setzt  der  Verfasser  die  Verbältnisse  des  natur- 
wissenschaftlichen Unterrichtes  auseinander,  Deutschland  und  die  Schweis,  das 
Einst  und  Jetzt  mit  einander  vergleichend  und  gibt  methodische  Winke,  wie 
der  natnrfaistorische  Untenicht  nicbt  nur  die  Wissensmenge  fördernd  beein- 
flnsst  ,  sondern  wie  derselbe  Hen  nnd  Verstand  in  einer  Weise  bilden  kann, 
wie  kaum  eine  andere  Disciplin.  Der  Verf.  spricht  viele  Wahrheiten  aus, 
wofür  man  ihm  nur  dankbar  sein  kann.  Das  Wcrkchen  Icann  allerseits,  auch 
den  Gegnern  der  natvrwissensdiaftiidien  Disdplin,  bestens  mm  Stndiwa  em- 
pfohlen werden.  G.  B.  B. 

Ans  meinem  naturgeschichtlichen  Tagebuche.   Beobachtungen  and 

Aufzeii  Imnngen  für  einen  fruchtbaren  natargeschichtlichen  Unterriclit  von 
II.  Ii.  (irotb,  Lehrer  in  Kiel.  Langensalza,  Druck  und  Verlag  von  Hermann 
Beyer  &  Söhne.  1891.  IV  und  158  S.  Preis  1  M.  60  Pf.,  geb.  2  M.  40  Pf. 

Wolken  verlieren  .  .  .  Bulgarien  stößt  an  zwei  Meere  etc.  etc.  I>ie  Montene- 
griner sprechen  noch  die  alte  Sprache,  die  vom  Ararat  stammt.  Die  West- 
seite der  Beige  Montenegiw  ist  sebwirn •?  als  Kolila  ete.  ete. 


Digitized  by  Google 


—   806  — 


An  den  verBchiedcnstcn  Orten  werden  Studien  darüber  gemacht,  nach 
welcher  Methode  man  am  nutzbringendsten  de«  naturgeachichtlichen  Unter« 
rieht  gestalten  soll  und  natürlich  diese  Stadien  —  veröffentlicht.  Ontee  und 
8chlechtCB  liiuft  in  diesem  Genre  auf  dem  Büchermärkte  herum,  jeder,  auch 
mancher  dazu  ^ilnzlich  unberufene  Lehrer,  der  einige  i^üanzen  gesammelt  und 
bettimmt,  einige  Sc-liinetteilinge  oder  Käfer  gefangt^n  und  angespießt  hat  und 
deien  letzte  Todrszuckungen  ?ah.  kramt  seine  Weisheit  aus.  Eine  ehrenvolle 
Autnahme  macht  unter  diesen  Methodikern  (? !)  der  Verf.  dieses  Werkes,  dem 
man  es  in  jeder  Zeile  ansieht,  dosd  jahrelanges  Beobachten  und  Studium  der 
NaturkRrper  j!u  den  Ideen  geführt  hat,  welche  hier  niedergelegt  sind.  Den 
Grund.satz,  auf  welchem  seine  Methode  beruht,  bespricht  er  in  dem  ersten 
Artikel:  der  Lehrer  lege  kein  Herbarium  an,  sor.dem  er  führe  ein  natur- 
geschichtliches Tagebuch.  Möchten  wir  auch  nicht  jede  seiner  Sentenzen 
unterschreiben  oder  yertheidigen,  so  liegt  doch  dem  Ganzen  ein  beherzigens- 
werter Gedanke  zngruntlo.  der  sich  insbesondere  in  den  zwei  Thosi  n  ausspricht: 
In  dem  Tacebncb  sind  ToizuASweiae  die  Besoltate  Ton  Beobachtungen  des 
Lebens  der  Pfltnsen  und  der  Thiere  sn  notiren,  nnd  sweftens:  Ein  solches 
Tsgebuch  ist  dem  Lehrer  eine  Stütze  sowol  bei  der  Vertheilung  des  natur- 
geschichtlichen  Stoffes  als  auch  bei  der  naturge8chichtli(  hcn  Behandlnng;  jene 
vird  dann  dieThierwelt  im  Sommer  nicht  vemachUbisigen,  and  diese  wird  die 
Bntwickelungsstufcn  der  Pflanzen  und  Thicro  mclir  als  bisher  geschieht  berück- 
di^tigen.  Die  verschiedenen  Beobachtungsnotizen  Uber  Pflanzen  und  Thiere 
wtAgen,  wie  der  Lehrer  Torgehen  soll,  um,  freilich  mandunal  eist  nach  ttnge- 
rer  Zeit,  alle  Daten,  welche  notwendig  sind,  zusammenzubringen.  Wir  wollen 
hier  nicht  das  Verzeichnis  der  18  Aufsätze,  welche  auf  Grund  solcher  Notizen 
▼evfust  und  für  den  Vortrag  bestimmt  sind,  wiedCffehen,  sondern  bemerken 
nur,  da^s  die  Mehrzahl  derselben  f»chr  interessant  und  für  die  Schüler  auf- 
munternd sind.  Manchmal  ist  wul  Unbedeutendes  zu  sehr  in  die  Breite  ge- 
sogen, und  was  wir  seiaenceit  über  Junge's  „Dorfteich"  bemerltten,  müssen 
wir  hier  wiederholen:  es  scheint  uns  eine  solche  Methode  —  mit  dem  Endziel 
einer  richtigen  Zusammenfassung  der  Gemeinschaft  der  unter  ähnlichen  Be- 
dilgnngen  existirenden  Lebewesen  —  für  den  Lehrer  in  der  Stadt  kaum  oder 
«ST  nicht  durchführbar,  da  er  wegen  Zeitmangeln  uud  wegen  zu  großer  Ent- 
nninng  vom  Naturlebeu  kaum  dazu  konimen  kann,  im  Freien  regelmäßige 
Beohachtungen  zu  machen,  um  sie  in  der  Schule  xu  verwerten.  Er  wird  Ein- 
seines,  was  im  Buche  vorgeschlagen  ist,  befolgen  können:  er  soll  das  Keimen 
der  Pflanze  demonstriren ,  einen  Schmetterling  durch  Zucht  heranbilden,  die 
Entwickelung  der  Spinne  den  Kindern  zeigen;  aber  den  Reiz  der  Wiese,  die 
Schönheit  des  Lebens  im  Walde,  das  Thun  und  Treiben  im  Wasser  wird  er 
seihet  nicht  zu  jeder  Zeit  des  Jahres  ausgiebig  beohaditen  vad  so  den  Schalem 
lebhaft  vortragen  können,  weil  ihm  Zeit  und  —  Geld  dazu  mangelt.  Dessen- 
ungeachtet muss  man  immer  solchen  Aaregangen  dankbar  gegenüberstehen 
nnd  ans  denseiben,  was  ansfllhibar  ist,  au^  ixmldieh  eotnehmen.  Wahrhirft 
erhebend  und  nutzbring<  nd  kann  der  naturgeschichtliche  rnterricht  nur  duri^h 
lebendige  Demonstrationen  werden,  welche  uns  das  In-  und  Durcheinanderlebeu 
und  die  Wechsetbesiebnngen  der  Lebewesen  seigm  —  gegenflber  dem  starren 
Doctrinarismus  einer  systematischen  Naturgeschichte — ,  und  de.«halb  empfehlen 
wir  nicht  nur  Volksschullehrern,  sondern  auch  Lehrern  der  Naturgeschichte 
an  böherm  Anstalten  Grotbs  Bach  anf  daa  aagelegantliehste.  MOgen  sie 
soviel  Vergnügen  und  offen  gesagt  —  Belehmng  aas  demselben  schöpfen,  als 
wir  in  ihm  gefunden  lialicn.  C.  R.  R, 

Seholbotanik.  Tabellen  zum  leichten  Bestimmen  der  in  Norddeatechland 
hftnflg  wüdwacbacndeii  nnd  aogebanten  Pflanz«i  mit  besonderer  Bwftck- 
aichtigruig  der  Ziergewftcbse  und  der  wichtigsten  ansländischen  Cnltnr» 

pflanzen  nelst  den  Ginndzügen  der  allgemeinen  Botanik  bearbeitet  von 
W.  Bertrclin,  Pastor  zu  St.  Catharinen  in  Braunschweig.  Dritte  Auflage. 
Mit  200  in  den  Text  eingedruckten  AbbUdongen.  Braimschweig,  Bruhns 
Verlag.  VH  n.  180  Seiten.  Fxda  1  H.  20  Ff. 


Digitized  by  Google 


—   807  — 


Wir  haben  die  frilbore  Aufla^o  eingebend  besprochen  und  mftssen  hier 
nur  unser  Urtheil  wiederholen,  dasa  in  Bertrams  Büchlein  ein  rerht  praktisches 
Bestimmungsbuch  geboten  wini,  zuiiiiil  das.xclhe  auoh  ttber  den  Rahmen  hinaus- 
geht, der  sonst  Bestimmunpsbücher  finenct,  ind»  in  es  auch  ZiergewSchse  und 
in-  und  ausländische  C'ulturptiHnzcn  in  bciuen  Bereich  zieht.  Dass  bei  der  ge- 
lingen Ausdehnung  des  Werkchens  nicht  alle  Speeles  oder  Varietäten  anfg«- 
ittlvt  Bind,  luüten  wir  itti  keinen  2<aohtheU  im  prakÜBcbea  Qebxaucbe. 

C.  R.  R. 

MflUer-Pilliug,  Deatache  Schalflora,  zaiu  Gebrauch  für  die  Schule  und 
ta  Siltotimtwtklit  Bitter  Th«il,  Verlag  von  Tb.  HoHnann  in  Gen. 
48  T$ma,  Preis  4  M.  20  PH 

Fait  alUahrlich  ersoheinen  auf  dem  BUdiemiarkte  Pflanzenabbildungen, 
welche  denUDtenrirht  in  der  Botanik  unterttfltsen  und  tördem  sollen.  Die- 
selben sind  meistens  systematisch  geordnet  und  enthalten  schon  ans  diesem 

Grunde,  wenn  sie  nicht  sehr  reichhaltig  sind,  manche  der  gewiihnlichsten 
Pflanzen  nicht,  dafür  aber  Überflüssige  Daistelluogen.  Die  vorliegende  Schul- 
flora geht  anf  einem  anderen  Wege  Torwlrts.  Im  ersten  TheTle  sind  nur 
solche  Pflanzen  abgebildet,  welche  zu  den  gewöhnlichsten  pdiörcn  und  die 
Möglichkeit  bieten,  die  Hauptformen  der  Wurzel-,  Stengel-,  filätter-  und  BlUten- 
«bilde  zu  erlftntem  und  den  Be^n'iff  ^on  Gattung  und  Art  zu  festigen. 
Nebenbei  soll  damit  die  Anlegung  eines  Herbariums,  welches  ja  doch  stets  das 
Endziel  sein  soll,  erleichtert  werden.  Im  nachfolgenden  zweiten  und  dritten 
Theile  soll  fieoe  Kenntnis  erweitert  nnd  auf  die  Hauptfamilien  der  Blatt*  und 
Spitzkeimer  ausgedehnt  und  der  Übergang  za  den  Ordnungen  gcschafl'cn  wer- 
den; der  vierte  Theil  soll  endlich  einen  ergänzenden  Abschluss  bilden.  In 
einem  Anhange  wird,  wenn  sich  das  Bedfirfhis  dslllr  zeigt,  Uber  die  Krypto- 
gamen  und  ausländische  Zier-  und  Kulturiiflanzen  gehandelt  werden.  —  Die 
Abbildungen  sind,  wenn  auch  mitunter  etwas  .steif  und  in  den  Farben  zu 
wenig  frisch,  als  naturgetreu  und  gelungen  /u  bezeichnen,  besonders  sind  die 
Durchschnitte  und  DetaiteergliederuDgcn  höchst  anerkennenswerte  Beigaben, 
wodurch  die  Charakteristik  der  Pflanzen  ungemein  gut  iUustrirt  erscheint. 
Für  die  Schule  und  den  Selbstunterricht,  besonders  für  die  Hand  des  Lehrers, 
wird  daa  Werk  vorzügliche  Dienste  leisten,  da  dem  letzteren  dadurch  leicht 
die  Möglichkeit  geboten  wird,  Einxdheiten,  die  er  sonst  nnr  mtthsam  den 
Scblllem  in  natura  zeigen  kennte,  in  vcrgrOfiertor  Fum  auf  der  Tafel  vo|w 
zuzeigen.    I>er  Preis  ist  ein  relativ  hilliger,  C.  R.  R. 

Bäiher,  Heinrich,  Theorie  and  Praxis  des  Rechennnterrichtes.  I.  Theil. 
Die  Zahlreihe  bis  100.  108  S.  1  M.  20  Pf.  —  II.  Theil.  Die  Zahlreihe 
bis  1.000.000.  310  S.  Breslaii  1891,  Morgenstern.  2  H. 

Der  Yeffiuser  hat  unser  Interesse  gleich  zu  Anfang  des  Bnehes  in  hohem 

Grade  gewonnen,  da  er  die  sittliche  Bedeutung  des  Rechenunterrichtes  hervor- 
hebt. Die  Ausnuhmslosigkeit  der  Gesetze  der  Mathematik,  gleich  wie  die 
BeAhigung  deqenigen,  der  sie  beherrscht,  an  die  Lösung  schwieriger  Fragen 
heranzutreten,  heben  einerseits  das  Selbstbewusstsein,  während  sie  andererseits 
die  Grundlage  einer  Weltanschauung  bilden,  die  wir  ausschließlich  als  modern 
zu  bezeichnen  vermögen.  Der  Verfasser  geht  sodann  Uber  zur  Feststellung  des 
Zahlenbegriffes,  welchen  er  als  Ergebnis  einer  recht  ausfuhrlichen  und  klaren 
Darlegung  ein  Abstractum  nennt.  Ganz  einverstanden  sind  wir  auch  mit 
seiner  Empfehlung  der  Methode  Grube 's  fUr  den  Zablenraum  bis  zehn,  sowie 
mit  der  Hervorhebung  der  groBen  Wichtigkeit,  welche  der  Zahlreihe  10—20 
zukommt;  dagegen  sind  wir  nicht  einverstanden  mit  der  Empfehlung  de« 
Tillichschen  Rechenka.Hten3,  weil  die  russische  Rechenmaschine  ein  weit 
▼orzüglicheres  Anschauungsmittel  bildet;  auch  sind  wir  nicht  damit  einver- 
standen, schon  im  Zahlenraume  100  den  Unterricht  nach  Rechnungsarten  zu 
gliedern.  Es  tritt  in  diesem  Zahlenraume  als  wichtigste  und  schwierigste 
Aufgabe  die  Erlernung  des  Einmaleins  an  den  Schüler  heran;  soll  nun  das 
Qedlebtnis  niebt  Ubeusden,  nnd  dsdnieb  Yenvirrung  herrorgeniite  weiden, 


Digitized  by  Google 


—  808  — 


so  empfiehlt  sich  der  allm&hliche  Vorgang  nach  Docaden,  welcher  eine  w«it 
•ioherere  Bttrgsehaft  des  Erftmens  und  Bwalteiu  p;ewftlirt. 

Zu  Bee;^inn  des  zwoiton  Tlioilc^  faiul^^n  wir  eine  recht  gute  Auseinander« 
setsUDg  über  die  sogeuauutun  algebraischen  Autgaben.  Sie  sind  in  der  Vulks- 
echnle  Ai^j^Aen  dei  Kopfreoinmie  «nd  von  sehr  erbeblicbem  formellen  Bil- 
dungswerte, setzen  jedoch  voraus,  dass  die  Seminarbildung  des  Lehrers  in 
diesem  Zweige  eine  hinreichend  weitgehende  war;  denn  ungleich  der  schrift- 
lichen Lftsung  von  Gleichungsaufgabcn ,  bei  welcher  immer  derselbe  Vorgang 
bcfolETt  wird,  erfordert  deren  mündliche  Lösunp:  fast  für  jedes  Beispiel  eine 
andere  liehandlung.  —  Im  folgenden  Paragraph  werden  die  im  Eechenunter- 
ricbte  Torkonuenden  Fremdwörter  verdeutscht;  dabei  führt  der  Verfasser 
selbst  an,  aus  welcher  Ursache  die  Verdeutschung  von  „plus"  durch  „und" 
unzulässig  ist,  doch  will  er  sich  unter  Berufung  auf  ein  österreichisches  Lehr- 
buch von  dem  geliebten  „T^nd"  nicht  treuneu.  Kr  hat  Unrecht  mit  der  Be- 
rufung auf  jenen  Österreicher,  denn  hier  wie  dort  wird  durch  die,  nicht 
akademisch  gebildeten  Seminarlehrer  Verwirrung  in  den  Recbenuntenieht 
hineingetrageu,  und  es  sind  hier  wie  dort  nur  die  akademisch  gebildeten 
Lehrer,  welche  gegen  derlei  Mifisbrauch  Stellung  nehmen.  —  Der  Yerfasfler 
empfiehlt  tu  unserer  großen  Freude  die  Einftthmng  des  Österreichischen  Divf- 
sions-Verfahreus;  natürlich  setzt  dasselbe  voraus,  dass  die  Subtraction  mittelst 
Ergänzung  gelehrt  werde,  und  dass  man,  um  das  leidige  Umlernen  zu  er- 
«Mven,  «eich  von  Beginn  der  sdiriftliehen  Divisicn  dat  Anftchreiben  der 


Verfahrens  unkundig  waren;  der  Heiterlceitserfolg  bei  ihren  IfitschAlem  ge- 

nflgte,  um  ünu  n  dasselbe  iu  a<'ht  Tagen  vollkommen  (jcliiufig  zn  machen. 

Dqt  Verliisäcr  bemerkt  des  Fernern  selbst,  dass  ein  wesentlicher  Unter- 
schied zwischen  „Theilen"  und  ,^nthaltensein'*  nicht  besteht,  wenn  aber 
dennoch  dieser  Unterschied  fortgesetzt  aufrecht  erlialteu  wird,  so  können  wir 
dies  nur  als  ein  unnöthiges  Erschwernis  einer  thatsuchlich  eiufachcu  Sache 
beieichnen.  Wenn  die  Regel  aufgestellt  wird:  Beim  Enthaltensein  mOseen  die 
gegebenen  Zahli n  zun^t  >,'lrii  huami<?  cremacht  werden,  so  kommt  uns  uhwill- 
Ettrlieh  der  Fall  m  Enun  run^,  dass  Quadratmeter  durch  Längenmeter  zu 
dividirm  seien,  und  wir  müssen  fragen,  ist  dieses  ein  Theilen  oder  Messen? 
Darauf  antwortet  die  Geometrie,  dass  es  keines  von  beiden  sei,  sondern,  dass 
der  Schiuss  auf  die  Benennung  des  Quotienten,  ein  vom  rechnungsmäßigen 
Vurgange  ganz  unabhängiges  Urtheil  erfordere,  so  wie  auch  in  allen  anderen 
Fällen.  Wenn  man  z.  B.  drei  Äpfel  mit  drei  Pfennigen  multiplicirt,  so  kann 
das  Prednct  neun  ÄpM  oder  nenn  Pfennige  heißen,  je  naehdem  Torausgcsetst 
wurde,  dass  ein  Apfel  drei  Pfenni)j:e  kostet,  oder  da.s.s  man  um  einen  Pfennig 
drei  Äpfel  erhält.  —  Bei  der  Addition  empfiehlt  der  Verfasser  zur  Probe  die 
Addenden  in  nmgekehrter  Beihenfbige  snsamnennnllileii,  dabei  entgeht  es 

ihm  aber,  dass  bri  der  Mnltiplieation  eine  ganz  übcreinstunmende  Fxobe  mOg» 
lieh  ist,  nämlich  durch  Vertauschnng  der  Factoren. 

Wir  stimmen  mit  Bedanem  m,  dass  dnreh  das  Gesetz  nur  bei  einem 

Theile  der  Maße  und  (Jcwichte  das  metrische  System  volIstAndig  durchgeführt 
erscheint,  milsseu  es  jedoch  der  Schule  zur  Last  legen,  nicht  mit  größerem 
Naohdruene  auf  die  tbatsftchliche  Dniehibhrung  des  metrischen  Systems  hin- 
eearbeitet  zu  haben.  —  Auf  die  Frage,  was  ein  Decimalbruch  sei,  und  ob  das 
Kechnen  mit  denselben  vur  oder  nach  dem  Rechnen  mit  gemeinen  liriieheu  zu 
Idiren  sei,  haben  wir  die  Antwort:  Ein  Decimalbruch  ist  ein  Systembruch, 
welcher  an  Pfennigen  und  Millimetern  ein  sehr  vortheilhaftes  Anschauungn- 
mittel  findet.  Wogegen  ein  Anschauungsmittel  für  Drittel,  Sechstel,  Siebentel, 
sich  thatsächlich  nicht  findet.  —  Recht  interessant  fiuiden  wir  auch  die  ge- 
schichtlichen Nachrichten,  besonders  die  Erörterung:  vom  Übergänge  des  Rech- 
nens am  römischen  Abacus  zum  I  inienabacus  mit  der  nachfolgenden  Ein- 
führung der  Null.  Dagegen  erscheint  es  als  überflüssig,  Bilder  ursprünglicher 
Ziffern  SU  entwerfen,  welche  in  Wirklichkeit  niemals  vorgekommen  sind. 

Wenn  wir  uns  mit  dem  Torliegenden  Werice  etwas  ausfUhriicker  beschäf- 
tigt haben,  so  geschah  diea  deshalb,  weil  wur  im  ganien  mit  demselben  wol 


Digitized  by  Google 


—   809  — 


einverstaoden  sind  und  nur  wünschen,  es  mOge  der  VtrÜMei  bei  einer  zweiten 
Auflage  die  beregten  MäoKol  der  Verbeuerung  fUr  Wert  halten;  im  übrigen 
Tifdieit  dM  Boca  mnexe  beste  BmpMüimg.  H.  £. 

IfitteBlwey,  L.,  Dir.  in  Leipzig:  Die  Darstellnngiformen  im  Bechnen 

nebet  methodischen  Andeutungen.  103  S.  Gotha  1891,  Behrend.  1  M.  60  Pf. 

Im  Vonvi>rto  beklagt  der  Verfassfr  den  Schaden,  welchen  gewisse  Sehlag- 
worte  im  liechouuutcrrichte  angerichtet  haben.  Kr  führt  aus,  datss  djis  Rech- 
nen nicht  nur  ein  Wissen,  sondern  auch  ein  Können  von  Seite  des  Schülers 
erfordere,  und  letzteres  kann  einer  Anzahl  verschieden  begabter  Scbttler  nicht 
rascher  und  verständlicher  beigebracht  werden  als  durch  ein  Normalverfahren. 
Es  gibt  jedoch  Schulmänner,  wrUlio  immerfort  gegen  dt  n  Mechani.^mus  don- 
nem,(dabei  aber  gans  abeisehen,  wie  sehr  ein  verleitender  Ansäte  geeignet 
ist,  uberBiehtlichkeft  und  Klaiteit  In  efne  Sache  in  hringen.  WTr  fHiiTen  zn 
Gunsten  dieser  AiiMiht  des  Verfassers  an,  dnss  Dr.  Theodor  "Walter  dio 
Lösung  der  schwierigsten  algebraischen  Aufgaben  lediglich  durch  einen  mit 
Gesoludc  auBgefBhrten,  Torbereitenden  Ansats  den  Sdittlem  flbermittdt.  Anclt 
darin  stiriinien  wir  dem  Verfasser  bei,  dass  er  die  Ursache  des  mangelhaften 
Erfolges  im  Kechenunterrichte  in  der  ungenügenden  mathematischen  Aus- 
bildung der  Ldtrer  auf  dem  Seminare  findet. 

Überhaujit  sind  wir  den  Atisführungen  des  Verfassers  mit  großem  Intr  ri  ssc 
gefolgt  und  haben  uns  an  denselben  erfreut,  ebensowol,  weil  sie  mit  verstän- 
diger Klarheit  vorgetragen  aind,  ab  weil  sie  mit  miwren  eigenen  Erfahmngen 
und  t'berlogiincfcn  zusammentreffen.  So  hat  es  uns  ganz  besonders  angenehm 
berührt,  die  zwecklose  Unterscheidung  von  Messen  und  Theilen  vcrurtheilt  zu 
linden;  ebenso  löblich  ist  es,  thunlichsten  Anschluss  des  fiedienunterrichtes  an 
die  wissenschaftliche  Behandlung  der  Mathematik  zu  suchen.  Nur  an  riuigen 
Stellen  hubtn  wir  die  Angaben  des  Verfassers  von  unserer  Ertahrung  ab- 
weichend gefunden.  Der  Verfuser  will  die  Subtnetion  mittelst  ErgliniBg 
nicht  im  dritten  ächu^uhre  vornehmen,  sondern  einer  späteren  Klasse  Tor- 
behalten;  wir  machen  es  umgekehrt,  wir  lehren  zuerst  die  Subtraction  mittelst 
Ergänzung  und  das  Borgen  kommt  nur  vor  In  im  Rechnen  mit  Sorten  oder 

ß Bmiachten  Zahlen.  Darum  erscheint  dem  Vertasäcr  auch  das  österreichiacbe 
iyisioosrerfSahren  fttr  die  Volksschnle  nicht  geeignet,  während  wir  von  An- 
beginn des  schriftlichen  Rechnens  kein  anderes  Vcrtahren  kenm  n  und  üben, 
und  damit  eine  sehr  beträchtliche  Zeitersparnis  erzielen.  —  Zur  Vermeidung 
dee  Umlemens  empflehlt  es  lieh,  nndi  in  der  Volknefanle  das  AdditiomBelchen 
mit  „mehr"  und  das  Qlefclüieitszoichen  mit  ^ist  gleich*  in  lesen. 

Wir  stimmen  dem  Veriksser  bei,  dass  jene  Art  von  Brächen  zuerst  zu 
lehren  sei,  welche  dem  YerständnisBe  des  Srattlers  näher  liei^n;  wir  meinen 
aber,  dass  dies  die  Decimalbrncho  seien,  und  zwar  in  der  Form  der  hundert 
Pfennige  einer  Mark,  denen  aUbald  die  tausend  Millimeter  eines  Meters  folgen. 
Ausserdem  spricht  zu  Gunsten  der  Decinialbriiche,  dass  sich  das  Rechnen  mit 
denselben  fast  ohne  ninzuthnn  neuer  Köcheln  au  das  Rechnen  mit  den  ganzen 
Zahlen  anschließt;  während  doch  dem  Rechnen  mit  gemeinen  Brüchen,  wenn 
es  belehrenden  Inhalt  gewianen  soll,  die  TheilbarkeitsregeUi  und  dssAnfftnden 
TOm  Maß  und  Vielfachen  vorausgehen  müssen. 

Wie  schwer  Verbesserungen  durchdringen,  und  wie  sehr  wir  vom  alt- 
gewohnten beherrscht  werden,  dafür  hat  uns  der  Verftmier  selbst  ein  Beispiel 
gec^eben:  obwol  er  vorher  ausdrücklich  betont,  dass  man  > durch"  oder  „in" 
dividirt,  so  finden  wir  doch  auf  Seite  42  in  tünf  Zeilen  nacheinander  dreimal, 
dass  „mit"  einem  Divisor  dividirt  wird.  Doch  das  Beste  ist  der  Feind  des 
Guten,  nnd  so  können  wir  nur  wünschen,  dass  dieses  gute  Bach  recht  viel 
Boden  gewinne.  H.  E. 

Maier,  J.  G.,  Oberl.  za  Künzelsau,  Lehrbuch  der  Elementar- Arithmetik 
für  LehrerbildangMastalten  ete.  I.  Tlieil.  Das  Beebnen  mit  absolnten 
ZaUengrijssen.  2.  Teim  nnd  reib.  ÄnfL  264  S.  Stuttgart  1892,  D.  Qnn- 
dert.  4M. 


Digitized  by  Google 


—  810  — 


Der  VerlBmer  gebt  von  der  Notbwendigkeit  au«,  dass  der  Lehrer  mehr 
können  niiRe,  als  der  SdilUer;  er  bietet  eonaeh  den  Scirainaristen  mit  Vev- 

liegendem  ein  sehr  ausführlii  lies  Lebrbiioh  dor  Arithmetik  besonderer  7MMmm. 
Wir  loben  daran  besonder»  die  richtige  Stoffrertheilunff,  welche  an  die  vier 
Orundreobnangsarten  die  Tkeflbaric^kennieklMn  anw»lie6t,  an  traMie  sieh 

das  Aufsuchen  von  Maß  und  Vielfachen  und  da-s  Rechncu  mit  den  Brüchen 
folgerichtig  anreiht.  Die  bllrgorlicben  Kechnungtsarten  werden  nach  verschie- 
denen Seiten  betrachtet  und  mehrfadie  LOsungavorgioge  dafttr  angegeben,  um 
dem  Lehrer  möglichste  Einsicht  und  gründliches  Erfassen  des  Wesens  dieser 
Aufgaben  zu  vermitteln.  Nach  der  ausführlichen  formellen  Erörterung  fol{?t 
eine  gleich  eingehende  sachliehe  Auaeinandersetmng  Uber  alles,  was  zum  Ge- 
biete der  bürgerlichen  Rechnungsarten  und  der  sogenannten  altrcbrai sehen  Auf- 

Saben  für  diese  Stufe  erforderlich  ist.  An  sehr  zahlreieheu  Beispielen  werden 
i6  AvseinanderMtmingen  erlüutert  und  sind  nocii  mehr  derselben  zur  Übung 
beigegeben,  so  dass  die  Anführung  der  Resultate  eiueu  cu^;  bedruckten  Druck- 
bogen in  Anspruch  nimmt.  —  Wir  bedauern  nur,  tla^b  der  Verfasser  sich  noch 
nicht  entschließen  honntc,  nach  dem  üsterreichischen  Verfahren  anf  dM  An« 
schreiben  der  Thcilproducte  bei  der  Multiplication  zu  verzichten. 

Die  erste  Auflage  dieses  Buches  ist  schon  vor  nahezu  zehn  Jahren  er- 
schienen, und  wir  haben  schon  damals  dessen  Vorzüge  mit  Anerkennung  her- 
vorgehoben; seither  bat  es  der  Verfasser  nicht  unterlassen,  sein  Werk  in  den 
inederliolten  Auflagen  zu  Terbeflsem  imd  ni  ▼errollkommnen.  Wir  mftssen  ea 
daher  als  ein  ausgezeichnetes  Lehrmittel  fBr  Seninariflten  beseieluien  und  ei 
denselben  auf  das  wärmste  empfehlen.  U.  £. 

Neu  erschienene  Bllcher. 

Chr.  Hamum,  Friedrich  SchOier  als  Menech  nnd  Dichter.  Ein  ToUuthHolich 
dargestelltee  LebeniUld.  Hamborg,  fiefold.  178  S.  Geb.  1  H.  26  P£ 

Fritz  Jonas,  Schillers  Briefe.  Kritische  Gesammtaasgabe  in  der  Sehrdbweise 

der  Originale  und  mit  Anmerkungen.  Stuttgart,  Leipzig,  Berlin  nnd  Wien, 
Deutsche  Verlagsanstalt.  1.  Lieferung,  Bogen  1 — 3.  2ö  Pf.  ^Soll  in  circa 
95  Lieferungen  ä  25  Pf.  erscheinen.) 

£.  Kueneu  und  M.  Evei*»,  Die  deutschen  Classiker,  erläutert  und  gewürdigt 
für  hShere  Lehranstalten,  sowie  mm  Sdbststndiam.  8.  Bündchen,  Schülers 
Wallenstein,  2.  Teil  Leipelg,  Heinrich  Bredt  124  S.  1  H. 

Jnlins  Hensel,  Makrobiotik  oder  unsere  Krankheiten  und  unsere  Heilmittd. 
Fttr  ])rakti«elie  Är/te  und  gebildete  Lente.  2.  Aufl.  Pliiladelphia  nnd  Leipog. 

Anslieferung  bei  K.  F.  Köliler  in  Leipzig.  208  S.  5  M. 

Anglist  W'eiiS,  Die  Frau  nach  ilirem  Wesen  und  ilirer  Bestimmung.  Leipzig, 
Rossberg.  85  S.  1  M.  50  Pf. 

A.8prockhoff,  Gmndzfige  der  Anthropologie  für  höhere  Lehranstalten,  Lehrer- 
seminare nnd  Lehrer.  2.  AnfL  290  S.  mit  158  Abhildongen.  3  H. 

Br.  Franz  Kiessliig  nnd  Egnont  Pfals,  Methodisehes  Handbuch  fDr  den  ge- 
samten natorwissenschaftlichen  Unterricht  in  Volks-  nnd  höheren  Mädchen- 
schulen. In  sechs  Cursen  bearbeitet.  Cnrsns  V,  zwoito  Abteilung.  Der 
Menscli  in  Beziehung  zur  orgauiäciien  und  unorganischen  Matur.  Metho- 
disches Handbuch  für  den  Unterricht  in  der  Anthropologie,  Physik,  Chemie 
and  Technologie.  Brannschweig,  Appelhans  &  Pfenningstorff.  XXX  nnd 
262  Seiten  mit  zahlreichen  Holzschnitten.  Preis  für  Cnrsns  V/TI  7  Hk. 
(Einzeln  wird  Kursus  V  nicht  abgegeben.) 

Heinrich  Walther,  Schnl-Natorlehre.  Lehrstoffe  zn  einer  schnlgemilßen  Be- 


Digitized  by  Google 


—  811  — 


handlang  des  Wiihtigrstf-n  ans  Naturlehre  und  Chemie.    Für  LebrUT  an 

Volkssohnlen.  Hilchenbach,  ^Vie^?aad.   119  S.   1  M.  20  Vf. 

Prof,  Dr.  Otto  Wünsche,  Schultloia  von  Dentsohland.  II.  Theil.  Die  höherea 
Pflanzen.  0.  Aufl.  Leipzig:,  Tenbner.  472  S.  Geb.  4  M.  60  Pf. 

Dr.  Woldemar  Götze,  Katecliismas  des  Kuabenhandarbeits-Unterrichts.  Leipzig*, 
J.J.Weber.  245  S.  alt  69  Abbadnngen.  Geb.  3  M. 

JiliiiB  S]>eilgel»  Hebntimiiiige  Lieder  and  Gesänge  flbr  Torgeaehrtttene  Chor- 
classen  an  Länerisneo-Seminaren  und  MftdehenieliQlen.  Hamborg,  Boyien. 

204  S. 

Alfred  Böttcher,  Lehrgang  für  da.s  Knahenturnea  in  Volksschulen.  Aas- 
führungtm  zum  Lehrplane  für  den  Turnunterricht  an  den  Bürgerschulen  in 
HannoYer.  143  Seiten  mit  III  Abbildungen.  Haanoveri  Karl  M^er. 

Karl  Richter,  Über  die  Verbindung  der  Koch-  nnd  HanshaltoBgaschalen  mit 
der  UädchenvolkBschnle.  Gekrttnte  Preiaecbrift.  Leipzig,  Vax  Hesie.  76  S. 

1  M.  20  Pf. 

Franz  Frisch.  Schnl»^  der  Rundschrift.  Für  dm  Schul-  und  Selbstuntf rriclit 
bearbeitet.  In  drei  Heften.  Prag,  Wien  oud  Leipzig,  Tempsky  nnd  Freitag. 
18,  18  u.  25  Pf. 

Fr.  Koch,  Die  Steilschrift  nnd  deren  Anwendung  in  der  Kanzlei,  der  Schule 
nnd  im  Sffentlieben  Leben.  Ein  LeitAiden  lUr  jedermann  cum  SdbstBtodlnm. 
13  Seiten  nnd  8  lithogr.  Tafeln.  Kaiseralautem,  Ootthold.  1  M. 

E.  Merkel,  Methodische  und  praktische  Anleitung  zum  D« nkreclinen.  l.  Ab- 
theilung: das  Normalrechnen.  Selbstverlag:  Mttnohen,  Isarthorplats  la. 

26  S.   50  Pf. 

E.  R.  Älüller,  Vierstellige  logarithmiscbe  Tafeln  der  natürlichen  und  trigono- 
metrischen Zahlen  nebst  den  erforderlichen  Hilfstabellen.  Stuttgart,  Jol. 
Haier.  32  S.  60  Ft 

R.  tirftiits,  Bilder  aus  der  Ctaeehichte  des  KSnigieidu  Sachsen  für  sKchs. 
Voll»-  und  Bfiigetsdiulen.  Leipzig,  Heinrich  Bredt.  24  S.  20  Pf. 

Prof.  R.  Heidrfch,  Lehrplan  für  den  evangelischen  Religionsunterricht  in  den 

höheren  Schulen.  Nach  des  Verfassers  .Jlandbucli  für  den  Religionsunter- 
richt" auf  Grund  des  Lehrplanes  vom  6.  Jan.  1892  bearbeitet.  Berlin, 
J.  J.  Heine.  16  S.  60  Pf. 

Dr.  J.  £u|;elmauu,  Leitfaden  bei  dem  Unterricht  in  der  Handelsgeographie 
für  Handelslehranstalten  und  kauftnännische  Fortbildungsschulen.  Erlangen, 
Palm  dt  Enke.  205  S.  3  U. 

Dr.  R.  PetersdoriT,  Die  socialen  Gegensätze  und  ihre  Ziele  fllr  die  Schule 

und  Familie  beleuchtet.  Strehlen,  E.  Asser.  50  S.  1  If. 

Georj^  Volk.  .\uf  der  Of.nbank.   Erzählungen  in  Odenwälder  Mundart.  Mit 

einem  Würterver/.eiclmi«.  Offenbach  a.  M.,  Steinmetz.  6  t  S.    1  Jl. 

Anton  Kultscher,  Hoch  Österreich!  Declamatorium  für  die  vaterländische 
Jagend,  zugleich  Handbuch  für  alle  SchulfestUchkeiteu  und  Hausschatz  für 
das  deutseh-Osterr.  Volk.  Prag,  JuL  Huth.  168  8.  1  FL 

AI.  KnSppel,  Sprach*  und  Beehtschreiblehre.  Ein  Versuch  cur  VerUnduBg 
dieser  UnterriditsAcher  nebst  Anleitung  eu  deren  ErteUung  und  ansgewlhl- 


Digitized  by  Google 


—   812  — 


tem  i'bnnerfistoff.  AusgralM  A.  V'nr  die  Hand  d*>r-  L»  hrer  an  doutschen 
Volks-,  Mitt(4-  und  Fortbiliiungsschulen  und  an  drn  unttTen  KhuiSen  hölierer 
Lehranstalten.  lUö  Seiten.  2.  M.  Ausgabe  B.  Fiir  Schüler  preuß.  Volks-, 
Mittel-  nnd  FortbUdtugsscbnlen  etc.  Iffiiuter,  Asehendorff.  104  S.  50  Pf. 

Geyer,  Deotache  Anftatistoffe.  Eine  Sammlnng  von  820  Entwürfen  nnd  Ani- 
fftbrnngen  für  Seminarien  etc.  Hannover,  Meyer.  2  M. 

Knlllilgt  EinAbmng  in  die  stiligtisehe  Entwicklungslehre.  München,  KeUei«r. 

Krimer,  Praktisch  erprobte  Musteranftätne  nnd  Übnngsttoffe.  n.TheiL  Mittel- 
stufe. Weinheim  (Baden),  Ackermann. 

Mohr,  Unsere  ^Methode  der  Kechtschreibnng.  Flensburg,  WestphaJen.  2  M. 

— ,  Dictatstoffe.  Ebenda.    1  II. 

Matthias,  Hiltsbudi  für  drn  dcntschen  Sprarliunterricht  anf  den  drei  unteren 
.^^tufen  höherer  Lehranstalten.  Düsseldorf,  Sclanitz  &  <  »Ibertz.  1  M.  50  Pf. 
.Maxa.  Stiliibunff.  n.   I.  Tb.-il.    Wien,  Picliler.    1  M.  00  Pf. 

Peuuewiß  und  Pülisegram,  Leitfaden  für  den  Kecht£chreib-  and  Sprachanter> 
rieht  in  prenBw  Schiden.  I.  Heft.  Halle,  Schroedd. 

Sebnster-fltflkiaiii)  Rhetorik  für  höhere  Schulen.  Halle,  Grosse.  2M.  10  Pf. 

Stelllich»  Die  Sprache  ia  ihrem  VerhUtnit  zur  Geschichte.  Leipzig,  Benger. 

Waldeck,  PraktiaeheAnleitong  snm  Unterricht  in  der  lateinlaehen  Grammatik. 
Halle,  Waisenhans.  2  M.  40  Pf. 

Kennav,  Zeltleben  in  Sibirien  nnd  Abenteuer  unter  den  KoijlUcen  nnd  anderen 
Stämmen  in  Kanitscliatka  und  Xurdasien.  3.  Aufl.  Berlin,  Cronbaeli. 

€oor<I<'s.  Kleines  Lehrbuch  der  Landkartenprojection.  2.  Aufl.  Kassel,  Kessler. 

Roge,  Kleine  Geographie.  4.  Aufl.  Dresden,  Scliönfeld.  2  M. 

— .  Geof^raphie,  insbesondere  für  Handelsschalen  nnd  Bealschttlen.  11.  Aufl. 

Dresden.  Sdii-.nfeld.  3  Af.  «0  Pf. 

Trouiuau,  Schulgeograpliie  für  Mittelschulen  und  höhere  AlUdchenschnlen. 
L  Theil.  Halle,  Schrödel.  80  Pf. 

ile.  Die  Erde.  (Vollständig  in  15  Lieferungen  k  60  Pfl)  Brannschweig,  Salle. 

Bougräfz,  Znr  Feier  den  Gebnrtatages  Kaiser  Wilhelme  IL  6.  Anil.  Dfiaael- 
dorf,  Schwann. 

— ,  Die  Fttrsorge  der  HohenzoUem  fBr  ihr  Land  nnd  Volk.  28  Sw  Düsseldorf, 
Schwann. 

Hesse,  Bilder  aus  der  brandenburgisch-preußischen  und  deutschen  Geschichte 
(für  die  Mittelstufe  der  Volksschule).  Hannover,  Meyer.  .ÖO  Pf. 

Krause,  Deutschlands  Kaisi  r  von  Karl  dem  Großen  bis  Wilhelm  IX.  (Synchro- 
nistische Zusammenstellung  I.   Berlin,  Cronbacli. 

Schumann  und  Heinze,  Leitfaden  der  preußischen  Geschichte.  2.  Aufl.  ^Mit 

Abbildungen).  Hannover,  Meyer.  1  M.  SO  Pf. 
NitKcr,  Übersichten  snr  prenfiisch-dentsehen  Gesehichte.   FIr  die  oberste 

Stufe  des  Geschichtsunterrichtes.  Hannover,  Hahn. 


Vmatmitl.  ttadaetiu  Dr.  PrUdrleh  Dittta.  BwoUnnikmi  Jallvi  Kllnkkardt^  I>«>f«is* 


Digitized  by  Google