Paedagogium
Paedagogiüm.
Monatsschrifl;
ni
Erziehung und Unterricht
X>i". Friedi-ioli £>itteak
SV. Jahrgang, 1892.
Verlag tob Julias Klinkhardt.
1892.
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Mitarbeiter des vierzelmteE Jahrgangea
K. Albert S. 571.
O.B. 8.717.
August B6I1B in EOaigsbeig in'Oitpiealeii. S. 541.
Bndolf DieMdi in HbttingenrZllriolL Sielie „FtebpfeMe".
Dr. VmAmk Dittea in Wien. S. III, 118, 868, 640, 765. AvSerdflm Beitilg« rar
.FidMMMriBdiQn Rnndschni* M"'^ R^wamwimhi.
Dr. Dnnke, BMdgynnMrialdireetor in Trier. 8. 187.
Alfred von TBiniann in Baden bei Wien. & 096.
Seliiilinth Xlteridi in Oichate. 8. 875.
Dr. J. Frobiwhemmer, Fmü e. d. ünlvenim in Mimoben. S. 409.
A. Gfld, Beetor in CeaieL a 441, 687, 568.
A. GoerO, SebnMinetor in Ineterbug. 8. 873, 887.
P. H. a 686, 749.
O. Hints, BeefeOT in Berlin, a 77a
Job. Kavlidi in Hibr.-Sehftibeig. a 432. 709.
Jfinits Kleinert, ScbnUinetor in Dresden, a 786.
L. Kflfodi, Beetor des erang. Gymnasiiuns A. B. in Kronstadt (Uagain). a 1.
Dr. Gottbold Kieyenbeig, Director in Iserlohn. 8. 477.
Dr. Job. Kvacsala, Prof. am Lyceum in Preasbvrg. a 368.
Th. Landmana, Bector in Schwets. 8, 145.
Dr. Oakar Lebmann in Leipzig. S. 69.
Rudolf Lenk, Senunaroberlehrer in Dresden. S. 22.
Johauu Lipp, Oberlehrer in Matzendorf, N.-ö. S. 86.
Dr. U. Morf, a. Seminardirector n. Waisenvater in Wintertbur. 8.209,284,651,689.
H. Neugeboren, Prediger in Kronstadt (SiebenbttrgenX S. 837, 495.
23G902 ^ ,
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— IV —
Dr. Karl Pik in Leipzig. S. 98.
W. Babenkamp in Crefeld. S. 29.
A. Sehäffer in Berlin. S. 310.
Th. Schilt«, Director in Antwerpen. S. 12.
Otto Emst Schmidt in Hamburg. S. 158.
Geza Somogj'i, Seminaidizector in Zniöyftn^a. S. 61H.
B. St. S. 505.
F. A. StegUch in Dresden. S. 509. 613.
Alois Stolz in Pforzheim. S. 530.
Wilhelm Taschek in Vöslau. S. 771.
Franz Ticak, SchuUnspector in P. in Wien. S. 3%.
Theodor Vemaleken, Prof. und Seminardirector i. P. in Graz. S. 93, 232.
Theod. Ludw. Wolf in Leipzig. S. 420,
C. Zitier in Eichen. S. 123.
ffinm mehreie Antwen, die nidit genannt sein wollen, fener die Ooneepon-
denten der MBandadun* und die Fadmeensenten.
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Inhalt.
a. N»eh der ReihenfolKe Terz«lchaet.
Seile
F.ryiihlith.> \Viiks:iiiikeif dfiH LfthrerH. Komdi . ^ , , , , , . . . . 1
Wift wird man HiiniftniHt. Schütz . . . . . . . . . . 12
Jugendeiziehuntr unter ih-m Einfluasc groftatädtiflchcu Lebeiifl. Lenk .... 22
Die Bedeutung Schillers für die .Tugend. Rühenkanip 29
P&d^igogiHoho Rundtichau. . 38. III. 171. 245. :^15. 377. 446. fjW. Gö5. 726. 787
Aus der Fachprcaae. Dietrich .69. 129. 197. 322. 401. 466. 534. 597. 679. 738. 791
Rec<'usionen .... (^3. 182. 201. 2r)9. :V21. tOf). ÖHH. CM. HSl. 741. HOQ
Päditgogis<'bc Ausblicke vor hundtrt .lahren. f>fliiiii\iiu 69
Eine Aualogic. Lipp 86
Beiträge zur Rct'oriii des ReligionBunt«'rrichtea. Vcmaleken 98. 232
Dio Pest des Aherghiuln ns uml ihrf Ht^'iliiiii!: durch die Erziehung. Pilz . . 98
Otto Eruat aLi Lyriker und Essayist. Ziegler 123
Der intflnmvft TTntisrrifht. Dronke . . . . . . . m
Über Bcrufafreudigkeit. Landiuann 146
Die P&dagogik der Kunst. Si limidt 158
Johann Jakob \Velirli,.der erste tiiurgauische Seminar-Director. Morf . 209. 294
Adolf Diestcn^ eg ttber Eduard Bencko und denen Lehre vom Angeborenen.
Neugeboren 237
Die kir hlicbc und philoBc)phi.s( ho Sittenlehre. Qoerth 273. 387
Fremde« und HeiinisehcH im Unterrirlitc. Sch&ffer 310
AiuoH ('oiiienius. Kvaesala .<tfig
Die sociale i rage uiul die Schale. Frohschammer 409
Drei Monate Fabrikarbeiter. Ergehnisne und Forderungen fttrdieVolkswhule. Wolf 420
Muttersprache uud (fraiiiiiiatik. Kaiilieli 432
Volksbildung und V^olkithildungsmittel. Gild 441
Des ThiiriDger Reformatora Friedrich Myconiua Verdienste um daa Schulwesen.
Kreyenborg 477
Die Reform und die Stell» n/.; unserer Schulen. Neugeboren 495
Gedanken über da.s uuverineidliche Thcnia: „l)er Socialismus und di^ \ ulks-
■ehulft " R St
Sollen die Lehrerltildungsanstalten lutt rnate oder Eiternate seini* Steglich . 609
Die Frage der riiiliritlicheu Mittelschule in Ungarn und ihre Beziehung zur
Volktibüdung. rioaiogyi 618
Schulprogr imme. ftild 627
Bei den Kleinen. Erinnerung aus dem Lehreriebon. Stola 530
— VI —
Dm Qewiaaen und seine Pflege. Böhm 641
Ans der Geschichte der Taubst uunueDbildung. Morf 661. 629
Die Lehrer und die Pre.sae. Gild ryi^
LehrtTs F^rdenwallt'ahrt. Alh>'rt fwl
Belli* rk II ui::( u übtT die FrohBchaiiimcrsche Philosophie, inshcsonden; iibrr ihre
lU zi* him^eg zur l'iidagogik. Stt-glich 613
Der Lehrer Leumund und ein Geheiuitr .lusti/.rat. iUitcji 840
Jean Paula „Levana oder Erziehungslehre." P. H 686. 749
Bemerkungen zur F'rcmdwörterfrage. Khniiann 698
Macht und Arbeit in ihren lUiduntpäolcmenten. Kaulich 709
Die Wallen uii-d. r. (). « 717
Meister und Jünger des Lehrerberufe. Kleiner! 726
Über den GeburtsoTt des Comenius. HiU^ . . . . . . . . . . . . 2ßö
Die BezirkHS(hulinsi>ection. eine ungelöste Frage des ÖBterreichischen Volks-
SchulweHens. Timchek . . 221
Hygiem- und Kr/.uhung. Ihre Anwendung zur wirksamen Bekämpfung des
IdiutisMiu.s Ilintz 220
b. Logiseh geordnet.
I. Zur Grnndlegnni^.
Wie wird man Humanist? 12
Die Bedeutung Schillers für die Jugend 29
Adolf Diesterweg über Eduard Benckc und dessen Lehre vom Angeborenen 237
Die kirchliche und die philosophische Sittenlehre 278. 337
Bemerkungen Aber die Frohschammersche Philosophie 618
Macht und Arbeit in ihren Bildungselementen 709
n. Zar historischen Pädagogik.
Pädagogische Ausblicke vor hundert Jahren 69
Johann Jak. Wehrli, der erste thurgauische Seminardircetor 209. 294
Amn3 <'onienin'< 862
Des Thüringer Beformatora Friedrich Mycouius Verdienste um das Schulwesen 477
Aus der Geschichte der Taubstuuunenbildung 661. 629
Jean Pauls „Levana oder Erziehungslehre" 686. 749
Über den Geburtsort des Comenius 766
m. Über Schulerziehimg, Unterricht and Unterrichtsanstalten.
. Erziehliche Wirksamkeit des Lehrers 1
.rugendcrziehuug unter dem Eintiussc großstädtischen Lebens 22
Beiträge zur Reform des Beligionannterrichtes » ... 93. 232
Die Pest des Aberglaubens und ihre Heilung durch die Erziehung .... 98
Der intensive Unterricht 137
Über Benifsfreudigkeit 146
Die PäditgQgik der Kunst 168
Fremdes und Heimisches im Unterricht 310
Muttersprache und Grammatik 432
Google
— VII —
8«it«
Sollen die Lehrorbildiingsanstallen Internntc oder Externafo poin 509
Scbulprogramnic 527
Bei den Kleinen 530
Da* Gewissen und «eine PHege 541
Lohrers Erdenwallfahrt 571
Marht und Arbeit in ihren Bildung^clementen 709
Die Waffen nieder 717
Meister und Jünger des Lebrorberufk 725
Hygiene und Erziehung 778
IV. Znr Charakteristik des gegenwärtigen .Schul\vet>eüs. Zeitgeschichtliches.
Eine Analogie 86
Otto Ernst ab Lyriker und Es.'^a.Yi!>t 123
Die sociale Frage und die Schule 409
Drei Monate Fahrikarhr ifer 420
Volk.shildung und \ ulksliildungsmittel 441
Die Retoriu und die Stclluntr unserer Schulen 496
Gi-'iauken über das uuvcruu idliche Tlicnui: „Der Socialisiuus und die Volksst'liuh:" ö05
Die Frage der einheitlichen Mittelsfbule in Ungarn 518
Die Lehrer und die Press« . . . . 568
Der T.ehrer Leumund und ein (teheirnftr .riiHtiKrat . . . . . ^ . . . . glO
Bemerkungen zur Frenidwurt ertrage t)ij8
Die Waffen nieder . . . . . . . . . . . 717
■
Die Bezirksjjchulinspcction. Eine ungelöste Frage des österreichischen Volks»
Schulwesens 771
Aua der Fachpresse ... 69. 129. 197. 322. 401. 466. 634. 597. 679. 738. 791
Pädagogisehe Rundschau und Mittheilnngen :
Zcitstininien 38. 171. 245. 315
Deut.-^emand . . . . A'A AH. -iA) 44t;. .^H). hH^\. Hnn. 726. 7'j7. 7:V2. IM. 7i>0
Preußen . . . 4:^. ITH. 17«). 247. 249. 317. Ml. A;rO. :yHÖ. nHt\. KGO. 6H3. TM)
Bayern 591. 734. 788
Sachsen 18f). 187. 3ni. ßr>4
Wiirttemherg 2;')ö
Baden . . . . . . ■ - - . ^ .191. ;WR. Hl.ä
Oldenburg 40
Bremen 40
Hamburg .^89
Eh>a.s8-Lotbringen 789
Österreich- Ungarn 52. 400. 518. 593. 677. 787
Bosnien und Hercegowina 396. 737
England 55. 115
Belgien 4(i3
Italien 726
>Srhwciz 193. Mi^i. 671
Bulgarien 738
Nordamerika 68
— vm —
Reoenairte XSuolier«
AlphäbctiMliM Verzeichnia der Autoren vlx z. Titol) derjenigen Werke, welche im vorliegenden Jahr*
(HflMeniilt Bind. Die beigesetzte Ziffer bezeichnet die 8eitH( Mlf aer sich die Recension findet.
Andrec-fv-hillinann 471, Anspach 267. Ans unserer Väter Tagen 205. Bcrtlielt
804. Bertram ölMi. Bunhardt 334. Bornemann 8(M. Bötticher und Kinzel (582.
Brenner 742. Brockmaun 474. BrUmmer 682. Buecmauu 473. Cassian-Kuüter 470.
Deidimftiiii 803. Dietlein 288. Sitte« 681. Dittmar 8S2. Engelmaim 304. Bnist
206. Kmtt und Tews 869, 388. Fiaeher 67. Fooke und Qiass 406. Franael-
Wende W)5. Fuhrmann 475. Fuß 472. Gaebler 472. CJelhom 470. Gricsmann
267. (iüschcnsoht' Samiuliiue: U?9. 741. (locthe-Furikc 833. Gootlie-Hanper 469.
(iütz 2«i3. (iioth HUö. Grundig 801. Harms und Kallius 4()<>. Hasclmuycr 471.
Ueidricb 261. iieinze 263. Ueiuzc und Gocttc 332. Ucntächcl und Jänicke 206.
HentMliel und IClikel 134. Hooevu 688. HoAnegrer und Hering 264. JmoM 868,
611. Jahn 606. Jtfi 606. Junge 869. Kaiser 801. Kambly 406. Keü-BIecke 471.
Keller 604. Kluge 66. Knabe 407. Knilling 328. Kriebel 540. Kvacsala 800.
Lautar-Luras 207. Lehmann (507. Leinihach 133. Lübpen-Schurig 407. Lutz 681.
Lyon 469. Maier 809. Martin 334. Meyer 263, 267. Mittenzwey 809. Mühl-
berg 80Ö. MttUer 743, 807. MllIler.Dandliker 263. Hundeilok-Kiliger 888. Hutb-
MB 748. Nabertb 471. Ntdler 86L Nenntb 746. OeUer 806. Obler 606.
Ohlert 63. Ortlepp 330. Perle 266. I'etersen 745. Petiscus 334. Pilling 807.
Plattner 264. Püiij. r 2(56. Pütz 804. Räther 807. Rediker 804. Renn< b. rg 470.
Riehter 66, 473. Riedel 135. Kinne 333. Roese 269, 61(». Rossuianith 745.
Bothe 805. jRothfucbs 802. £uefli 134. Sarrazin 266. Sauer 328. 8(hadcr 207.
Sch&fei 67. Sebawc-Jagcr 610. Scberer 887. SoUdobevt eßß, Sebneitler 866.
Schottes 33a Schram-Scbflssler 606. SehiOer 132, 327. Seeger 606. Sertua 806.
Shakespeare 884. fijpitB 741. Splittegarb 67. Sprorkhoff 136 , 472. Steffen 473.
Stojskal 260. Stephan 132. Stiehler 66. Stö kel 133. Strien 265. Sutemieister
333. Thoma 607. TTlbricht-Kämmel 262. Valette 328. Velhagen und Klasing 204.
ViUicuB 743, 804. Volz 605. Vrbka 801. Weiß 603. Weleker 329. Wesendonck
868. WesNlbAftSTO. Wicberklevi&i 388. Wied«wb604. Wn>bel6a& Ziegler 201.
«
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:\:
ErzieUiche Wirksamkeit des Lehrers.
fiede «ur Erüffiaung der Prüfungen, gehalten von L. Korodif Bcctor des eraogeL
(ijmnasiums A. £. in Kronstadt (Ungarn).
Hocbgeebrte Versammlimg! Es gibt in tmseren Tagen wol
kaum einen andi nur halbwegs gebildeten Menschen, dem das so all-
gemein yerbreitete Schlagwort Tom „erziehenden Unterrichte^
ganz fremd wäre, — kaum einen, der nicht wQsste, dass sich in diese
zwti Worte eine bedeutsame Fordemng an unsere Lehranstalten sn-
sammenfust, — eine Forderung freilich, ttber deren ümfkng und
Gewicht gar mancher, der frischweg in dieselbe einstimmt, sich kaum
genfigende Bechenschaft gegeben hat
Darum habe ich geghiubt, es lohne sich wol der Mfihe, in einem
Kreise von Lehrern und EHwn, wie ihn auch diesmal Berufrpflicht
und warmes Interesse für nnsere Schulen zusammengeführt hat, uns
dar&ber zu yerständigen, in welchem Ausmaße und mit wieviel Be*
rechtignng die Forderung des erziehenden Unterrichts gegenflber der
Schule und den Lehrern erhoben werden könne.
Um diese wichtige Frage entscheiden zu können, müssen wir
uns vor allem klar machen, was wir unter „Erziehung** und „Unter-
richt" verstehen.
Das Wort erziehen ist gleichbedeutend mit heraufzieheD, in
die Höhe ziehen. Dieselbe Bedeutung hat die Silbe „er" in zahl-
reichen anderen Znsammensetzungen. So ist erwachsen = aufwachsen,
»bauen = aufbauen, emchten = in die Höhe richten.
Der zu erziehende Mensch .soll eben herauf<2:ezogen, seine noch
gar nicht oder unvollkommen ausgebildete Vei nunft zu der Höhe dar
gebildeten emporgehoben werden. Tn diesem Sinne kann jedei' Mensch,
so alt er auch sei, erzogen werden, beziehungsweise sich erziehen
las.sen dnrch Beispiel, Umgang, Studium u. s. w^ Da aber die .Tugend
des Hinaufzielifns am meisten bedarf, .^o bestinmien wir nach Beneke's
Vorgang den IJegriÜ' der Kiziehnnii: "vvol mit Recht als „absichtliche
Einwirkiuig von seiteu der Erwachsenen aul die Jugend, um diese zu
P«Kl«cogiaB. U. Jabrg. Heft I. ^
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dec^'bb^f'tea-djiife ätt jilutf&diiiig zu erheben, welche die Einwirkenden
Imteisn nnd flberi>lickai.*
Es nm&sst also die Erzielnmg den ganzen Menschen, seine leib-
lichen Er8fto ebenso wie seine seelischen, nnd in der Seele ebensowol
die Verstandeskiifte, als seine Qeffthle, Schätzungen, Begehmngen,
Willensacte.
Wird die Erziehung in diesem weiteren Sinne verstanden, so
miiss auch der Unterricht zur Endehnng gerechnet werden. Es
fiült nfimlich 'dem eigentlichen Unterrichte als tuSn Arbeitsgebiet
die intellectaelle oder VerstandesbiULung zo. Der Unteiricht be-
zweckt ja dieBiUnng von Anschammgen, Begriffen, Urtheilen, Schlflssen,
sowie die Aneignnng änflerer Fertigkeiten durch den Schfiter, wie
Lesen, Schreiben, Zeichnen, Singen u. s. w.
So oft wir aber Unterricfat nnd Erziehung nebeneinander nennen
oder sie einander gogenttberstellen, wird der Begriff der Erziehung
enger gefasst. Dann verstehen wir unter Erziehung diejenige Bildung,
welche nicht, wie der Unterricht, zu Vorstellungen und Fertigkeiten
führt, sondern die affectiven und praktischen Seelentzrebilde be-
gründet und entwickelt, also Gefülile, Schätzungen, Begehrungen,
Willensacte. In dieser engeren Bedeutung, an der wir im Folgen-
den festhalten, ist somit der Erziehung vorzugsweise die Gern (Iths-
und Charakterbildung zur Aufgabe gestellt.
So scharf, wie es in der eben festgestellten Definition geschehen
ist, lassen sich aber Erziehung und Unterricht im Leben nicht
trennen. Auch in der Seele des Menschen sind ja die Elemente, aus
denen der Verstand erwächst, nicht absolut geschieden von denjenigen,
welche der Gemüths- und Charakterbildung zugi'unde liegen. Im
Gegentheile kann ja bekanntlicli das nämliche Seeleagebüde nach
beiden Richtungen hin zur Anlage geworden sein.
Wenn ich jemandem ein schönes Bild zeige, und zwar mehreremal
zeige, so erhält er eine Vorstellung von diesem Bilde. Um diese Vor-
stellung ist sein Intellect gewachsen, somit habe ich ihn unter-
richtet. Sofern aber der Anblick des Bildes ihm Lust gewährt liat,
habe ich durch diese Luststimmung auf sein Gemüt h eingewirkt; in-
wiefern die Sehvermögen den allmählich entschwundenen Lustreiz
wieder begehren und von diesem Begehren aus der Wille entsteht,
das Bild wieder zu sehen oder zu kauten, habe ich sein Begehren,
Wullen, Handeln in Bewegung gesetzt. Geniüth aber und Begehren,
Wollen, Handeln fallen in das Gebiet der Erziehung.
Wie wir nun das Intellectuelle in der Seele nicht schaif trennen
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— 3 —
kKnneii yom AffectiTen imd FmktiBdieii, so greifen auch Erziehnng
und Untenicht gar oft ineinander and bedingen dch gegenseitig.
AUerdings haben die Elterni — die natttrlichen Lehrer der Ehider
— je mehr die Bildung fbrtgeechiitten ist, die Besorgong des ünter-
riehts, zn deaaen ErtheÜong ihnen die Zeit oder die erfordertidien
XenntniBne oder die Lehrgabe fahlte, an die Sehnlen flbertnMsen.
Doch wird auch des geschicktesten Lehrers Unterricht, selbst bei
gvt veranlagten Kindern, nicht den erwarteten Eifolg haben, irann
nicht die Erziehung des Mternhanses Ar den Unterricht Torgearbeitet
und das Kind einigermafien an Fleiß nnd Anfinerksamkeit gewohnt
hat Wenn aondt in diesem Falle das Interesse der Jagendbüdnng
es oft vwlangt, daas die Erziehung des Hauses dem Unterrichte
it^rdemd vorarbeite, so wird dagegen — und zwar mit vollem Bechte
— auf der anderen Seite immer lauter und dringender die Forderung
gesteilt, dass der Unterricht zur Förderung der Gesammterziehnng
der Jagend beitrage, dass also der Lehrer nidit nur unterrichte,
sondern durch den Unterricht und neben dem Unterrichte auch
erziehe.
Auf welche Weise nun von selten des Lehrers, dessen Haupt-
wa^ßbe unbedingt auf dem Gebi^ des Unterrichts liegt, auch
dieser Forderung Genüge geleistet werden könne, das ist die Frage,
für deren Beantwortung ich mir die geneigte Aufmerksamkeit erbitte.
Diese Beleuchtung der erziehlichen Wirksamkeit des Lehrers
möchte einerseitB dazu dienen, überspannte Forderungen an die £r^
erziehnngserfolge der Schule herabzustimmen, anderseits aber uns
Lehrern zu lebendigerem Bewusstsein zu bringen, wie manches ehi
gewissenhafter Lehrer in und neben dem Unterrichte im Auge zu
behalten habe, wenn er den Forderungen an seine Bemfitrene auch
als Erzieher möglichst vollständig genügen will.
Die erziehliche Wirksamkeit des Lehrei*s auf den Schüler kann
stattfinden 1. durch den Untemcht selbst und 2. neben dem Unter-
richte. Die erste Frage, die wir zu beantworten haben, lautet dem-
gemäß ^o: Was vermag der Lehrer durch den Unterricht selbst
zur Erziehung der Jugend beizutragen?
Wenn wir den Begriff' der Erziehung im weiteren Sinne fassen,
darunter also auch die Ausbildung des Verstandes und Aneignung
äußerer Fertigkeiten verstellen, so stellt sich die Sache für die Beant-
wortung dieser Frage sehr günstig. Die Ausbildung des Intellectuellen
ist ja geradezu die Hauptaufgabe des Unterrichts, und es hat noch
niemand dai*an gezweileit, dass in der Schule die Wahmehmungs-
1*
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— 4 —
und BeobaehtnngBYermOgen, die ErSfte des Qedftchtniases und Ver-
staodes, das UrtheilsyermOgen von tttchtigen Lehrern gründlich und
vielsfiLtig entwickelt werden, dass die Schule nicht nur berufeUf sondern
auch hefiUiigt sei, wertrolle Kenntnisse und Fertigkeiten aller Art neu
zu hegrttnden und bis zu einer ansehnlichen Bildungshohe zu steigern.
Ja noch mehr: der gute Lehrer kann durdi den Unterricht auch
auf die Gemttths- und Gharakerbildung der Schüler einen iS^rderr
liehen Eininss ausüben, wenn auch nur — was wir sehr betonen
müssen — einen mittelbaren Einflnss. Wir woDen diesen Punkt
Bch&rfer ins Auge fassen.
Wenn der Lehrer (sei es in welchem Fache immer) das noth-
wendige klare und wolgeordnete Wissen odor die erforderlichen Fer«
tigkeiten selber besitzt, und wenn er die Gabe hat, ebenso klares
geordnetes Wissen und Können den Schülern für ihren Standpunkt
beiziibrinp:en, so überliefert er den Schülern durch den Unterricht
musterhafte Combinationen (Begriffe, Sätze, Ideale). Diese aber werden
in der Seele der Schüler zu „regelnden Normen", welche dann weit
aber dasjenige hinauswirken, woraus sie zuerst entstanden sind. So
wird z. B. der Schüler, wenn ihm der Lehrer gewisse mathematische
Verhältnisse zu vollem klaren Verständnis gebracht hat, das Bewusst-
sein der so erworbenen Klarheit „nicht nur zu anderen mathe-
matischen, sondern auch zu Sprach- und Lebensverhältnissen hin-
zubringen, so dass ihm fortan nichts genügt, was hinter diesem Ideale
zurückbleibt, und dass er deshalb mit Anspannung aller Kräfte dessen
Verwirklichung auch für diese Gebiete erstrebt". (Beneke.)
So wird auf allen Wissensgebieten sowie auch auf dem Gebiete
der äußeren Fertigkeiten das Vollkoramenert», das im Schiiier durch
den Unterricht angelegt worden ist, zu einem lebendigen Triebe
ausgebildet, zu einem Streben, das ihn nicht ruhen lässt, bis auch
die späteren Entwicklungen sich in derselben vollkommneren Form
ausgeprärrt haben. Je häutiger nun auf solche Weise das Interesse,
die Freude am Wissen und Können im Schüler erregt wird, je mehr
in ilim durdi das lust{>'esteiuerte Kiat'tgefühl auf diesen <Tebieten die
Wertschätzung der intellectuellen (jüter und infol^^edessen auch das
Streben nach denselben wächst: desto mehr werden dadurch die
niedrigen Lüste, die sinnlichen Begierden in seiner Seele beschränkt
und aus dem Bewusstsein zurückgedrängt. Somit kann der rechte
Lehrer, und zwar durch den Unterricht selbst, mittelbar auch die
sittliche Erziehung, d. h. die Gemüths- und Charakterbildung des
Schülers nicht unwesentlich fördern.
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— 6 —
Eine andere Frage ist es, ob der Unterricht auch unmittelbar
erziehen, ob er also (wie manclie meinen) das Sittliche und Religiöse
dem Schüler mittheüeD, es direet in deä:>eu Seele begründen, neu-
büden könne?
Viele Eltern sind allzu geneigt, von dem Schulunterrichte auch
für die sittlich-religiöse Bildung fast alles zu erwarten; sie entbinden
sich dadurch in recht bequemer aV>er dui chaus unltegründeter Weise von
der Last und Verantwortung eines Berufes, den die Natur vor allen
ihnen zugewiesen hat. iJiesen Irrtiium verschulden diejenigen Lehrer
mit, welche — obgleich die P^rfalirung ihnen täglich das Gegentheil
predigt — sich fiir die Retter der Menschheit halten, indem sie sich,
aus Mangel an psychologischer Erkenntnis, in dem gefährlichen Wahne
wiegen , dass der Lehrer direet dui'ch den Untemcht erziehliche
Wunder wirken könne, wenn nur der Unterricht der rechte sei,
nämlich der sogenannte „Gesinnnngsnnterricht".
Wenn es überhaupt möglich yräxe^ durch Unterricht Oesinnungen
zu erzeugen, dann h&tte der Lebrer die aittlidhreUgiöse Erziehung
Toilkommen in seiner Gewalt, und die Eltern konnten nüiig die ganie
Erziehung — welclie IIa heate hai^tsftdiUeh dvrdi die Einwirkungen
des Lebens, des häuslichen und öffentlichen, yennittelt worden ist —
der Schule Überlassen.
Leider ist das aber nicht mOglich. Dies ergibt sich aus sein
Wesen und der Entstehungsweise der „Gesinnangen'f.
Ein weiser Staatsmann hat, wie seinem edlen Gemüthe, so anoh
seinem psychologischen Schartblicke ein ehrendes Denkmal gesetzt, als
er den Ausspruch that: Wenn man wolle, dass die Bfii^ eines
Staates ihr Yaterland lieben, dass sie bereit seien, für dasselbe Jeder-
zeit Gut und Bhit einzusetzen, so mOsse man ihnen im Yaterlande
«die Verhältnisse lieb machen**.
Das ist in der That die eben so einige wie natürliche Methode,
die Tugend des Patriotismus in die Heneen der Landesbftrger zu
pflanzen. Es ist aber auch das einzige Mittel, gute Gesinnnngen
überhaupt in den Menschenseelen zu begrttnden und zu stäricen,
demnach der einzig sichere Weg zur sittlich -religiösen Mensehen*
fafldnng.
Was thnt denn der weise Erzieher, was thun namentlieh ver-
nftnflige Eltem flberall, wo sie im Kinde fOr einen gewissen Gegen-
stand Neigung erwecken, wo sie den ZOgling nach einer bestimmten
Eichtung hin zum Streben, Wollen, Handeln in Bewegung setzen
woUra? Machen wir nicht ganz naturgemäß dem Kinde die erstrebens-
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werte Sache, um die es sich handelt, lieb? Nicht mit Worten
preisen wir dieselbe, sondern wir versetcen das Kind möglichst oft
in Verbfiltnisse, wo jene Dinge (Personen oder Sachen) steigernd,
ftrdemd, Frende nnd Lnst erregend anf es einwirken. Was nftmlich
im Menschen oft Freude nnd Lnst einengt, das schitst er bald als
ein Ont; was dagegen Unbehagen, ünlnst, Schmers in ihm wirkt, das
schätast er als ein ÜbeL Je hftnfiger wir aber etwas infblge seiner
nnmittelbaren Einwirkong anf nns als ^ Gnt empfinden, desto
starker, weil Tielspnriger wird die poslti?e Wertschfttsnng, die wir
Ton diesem Gegenstande in nns bilden, nnd desto sicherer wird sich
an diese Wertschfttsnng ein Begehren, ein Streben anschließen,
desto eher nnd sicherer wird also auch nnäer Handeln nach dieser
Bichtnng hin erfblgen.
Gesinnnngen sind nichts anderes, als vielspnrige Wert-
schätzungen, W£lche durch die Eindrü^e der Dinge selbst in
uns entstehen nnd in denen wir diese Dinge als Gitter oder als Übel
empfinden, um sie demgemftfi zu begehren oder zu verabscheuen, ihnen
zu- oder entgegenzustreben. Die Gesinnungen bilden somit die
Grundlage aller praktischen Entwiddnng, die Basis der Charakter-
bildung.
Nach dem Vorausgeschickten dürfte sich die Frage des .Geain-
nungsunterrichtes'* filr uns nunmehr mit Sicherheit beantworten lassen.
Die Antwort kann nur so lauten: Der Unterricht an sich ist un»
vermögend, Gesinnungen zu schaffen, weil die Worte des Unterrichtes
blos hörbare Zeichen für Begriffe sind. Die Worte vermögen also
auch nur Begriffe unmittelbar zum Bewusstsein zu erregen, zu com-
triniren, klarer auszubilden. Die belehrenden Worte des Lehrers
können folglich in religiösen und sittlichen Dingen Aufklärungen geben;
sein Unterricht kann ferner wesentlich dazu beitragen, die Seelen der
Schüler von unsittlichen, um*eligiösen, abergläubischen Vorstellungen
zu befreien und kann somit in diesen Bezieliungen sehr wichtige und
dankenswerte Erfolge erzielen; doch niemals kann er ein religiöses
G^emütll oder sittliche Gesinnungen schaffen, so sehr auch TTiAnfthp^iLl
der äußere Anscliein zu solchem Wahne verleiten mag.
Wenn z, B. beim Unterrichte in Geschiclite, Relif^ion, Moral
manche Schüler sich erwärmt und begeistert, zu jedem edlen Streben
und Handeln angeeifert fühlen: so hat nicht der Unterricht diese
so erfreulich zutage tretenden Stimmungs- und Strebungsgebilde im
Kinde soeben erzeugt, sondern das Kind hat die entsprechenden
lebendigen Gesinnungen (Wertschätzungen) und Triebe aus der häus-
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ISeheB SnBidnmg, ttberhaupt ans dem Leben zum Unterrichte mlt-
gebraeht Dem Ünterricbte yerdanken sie nur die gegenwärtige
Erregtheit
Wo aber solche dttUch-reUgiOee Angelegtheiten in der Eindee-
eeele nicht vorhanden sind, da können sie natürlich dnrch keinen
Unterricht mm Bewnsstseln erregt werden, ftr soldie Seelen bleibt
das Wort der Bdehnmg ein leerer Schall Damm sitsen eben manche
Kinder anch beim besten „ethischen" oder „Qerininiwgs'-Ünterrichte
so kalt nnd theOnahmlos da, und wemi der Lehrer „mit Menschen»
nnd mit Engelsznngen redete". An solchen unglflckUchen Kindern
hat eben das Hans, haben besonders die Eltern nicht gethan, was
sie sollten. Diesen Mangel zn ergänzen ist aber die Schule mit allen
ihren Mitteln nur zmn kleinsten TheQ imstande, der Unterricht
flberhanpt meht
Für unsere Ansicht über den sogenannten „Gesfnnnngsnnterricht**
^redien unter anderen anch folgende hochbedeutsame Thatsachen.
Es ist unbestreitbar, dass oft ein gewöhnlicher Bauersmann oder
Handwerker eine reinere und tiefere sittliche Gesinnung hegt, als ein
Stndirter, welcher von den tfichtigsten Lehrern mit dem denkbar
besten Erfolge Unterricht in der Sittenlehre empfangen hat Und
wieder dürfte in mancher einfachen Tagelöhnerin oft ein frömmerer,
religiöserer Sinn zu finden sein, als in ihrem Pfarrer, der vielleicht
dabei ein grundgelehrter Kenner der Religionswissenschaft ist*). Diese
Rrfahnmgen, die jeder unbefangene Beobachter machen kann, bezeugen
80 ledit angenftUig, was wir dnrch obige Ausführung wissenschaftlich
zu erweisen TOrsuchten: dass nämlich die Theorie, der Unterricht
für die Erzeagung eines sittlichen Charakters» eines religiösen QemOthes
etwas Nebensächliches ist.
Beide, Sittlichkeit und Religion, entfalten sich aas Keimen, welche
*) Dieec unwidereprechliLbe Thatsache berühre ich aus sachlichen Oründen
und nicht etwa aus „Feiudschatt gegen die Kirehu Der Verfasser ist ja selber,
wie wii tidbeab. iftoha. IDttdaehnlleliiar alle, zugleieh Tbeolog wid hat. Ins es ihm
die Amtsgeachftfte eines Directota dreier Schulen (Qymnaa^ Bealadmle und Seminar)
zu sehr eiBchwerten, 32 Jahre lang jährlich die Kanzel bestiegen. Bei uns auf dem
einstigfin „Königsboden " nind überhaupt geistliches und Schulatut bis heute sehr
iumg verbunden, iiekanntlich ist jeder unsrer „akademischen" Pfarrer zuerst an
«ner IDUelnlnlo «ine oft Biendiidi lange Beihe tob JaIuoi angestdlt gewesen.
Wir kennen den qnan-EiütiirkMiipf der Sdinle gegen die Xixohe, — wie er ander*
wftrts mit erheblicher Hitze und Erbitterung geführt wird, — nur dem Namen
nach. Hätten wir nur keine andern Feinde; die „Kirche" bereitet uns wenig
Xnnuner, so wenig, wie wir Lehrer ihr, unsrer Bundesgenossin. L. £.
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jd&B Leben, das häusliche und öffentliche, in die Kindesseele gepiUnit
hat , und welche durch die Lust nnd den Schmei-z, die Freude und
das Leid des Lebens veiter entwickelt worden sind. Dies ist's, was
Mick der DichterkOnig nns bezeugt mit den classischen Worten:
,,Es bildet ein Talent sich in der Stille,
Sich ein Charakter in dem Strom der Welt"
Die Schule kann nnr insoweit unmittelbar auch GemUth und
Charakter bilden, als sie — ein Bild der Welt im kleinen — • den
Schüler gleichfalls in praktische Lebensverhältnisse versetzt,
nämlich durch den Verkehr . mit den Mitschülern nnd durch die
Persönlichkeit des Lehrers.
Hiemit wenden wir uns zur Betrachtung dessen, wie weit der
Lehrer neben dem Unterrichte erziehlich zu wirken imstande ist,
nämlich durch seine Persönlichkeit.
Es sind sehr wertvolle sittliche Eigenscliatten, welche durch die
Persönlichkeit des Lehres, durch die unmittelbai-e Otfenbarung seines
Gemüths und Charakters auf deu Scliiilei- übergehen können.
Im engsten Anschluss an den Unterricht Averden die lebendige
Erregtheit, die stetige Ausdauer, der Eifer und die Liebe zum Er-
kennen und Forschen, die der Lehrer beim Unterrichte zeigt, unver-
merkt saiiuut den su übermittelten Kenntnissen und Fertigkeiten in
die Seele des Schülers aufgenommen und begründen liier allmählich,
wenn das Beispiel des Lehrers fortwährend in gleicher Weise einwirkt,
die entsprechenden sittlichen Eigenschaften.
Aber nicht nur die Lust und den Trieb, die Wahrheit zu er-
kennen, kann der rechte Lehrer unmerklich von sich auf die Schüler
übertragen, sondern auch — was noch mehr wiegt — den hohen sitt-
lichen Muth, die Wahrheit zu bekennen, selbst wenn dieses unserer
Selbstsucht wehe thut. „Weißt du, — erzählt uns Osk. Jäger in
seinem herrlichen Buch ,.Aus der Praxis", — weißt du, wann ich zum
erstenmal die Majestät der Wissenschaft emi)funden habe? Als unser
verewigter Lehrer N. — ein Mann, vor dem selbst der trotzigste
von uns Vierzigen in ein Mauseloch kroch, obgleich er nienmls anders
als mit Worten strafte — vor uns armen Jungen erklärte, der und
der von uns hätte gestern mit der Übersetzung der Stelle so und so
recht gehabt, und er — es war der beste Philologe des Landes —
jiätte unrichtig übersetzt Er war ein Sechziger und wir waren
dumme Jungen yon 15 Jabren; da fühlten wir, dass etwas über ihm
und uns stand — die Wahrheit**
Sowie hier nicht das Wort des Unterrichts, sondern die vorbild-
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Kehe MllMrtverleiigiiende That dm Lehrers clas Gemflth der Schüler
unmittelbar ergriff, ihre Gesummig stärkte: so mkst Überhaupt tot
allem das lebendige Beispiel des Lehre» ^wieder sittliches Leben im
SehiQer.
Wir -vfinschen, dass der Zögling seine Schfilerpilichten getrönlich
«ifllle. Das erreichen irir aber nicht dnreh noch so eindringliche
Beldunngen, noch weniger dnrcli die mnsterhafiestai „Scbolgesetae*',
wol aber — doch ich darf hier gleich wieder Jftger das Wort
geben: »Wenn der Lehrer, jnng oder alt, seine Lehreipflicbt ernst
•nitaimt, sich ehrlich vorbereitet, gewissenhafit corrigirt nnd die so
eorrigirteii Hefte pünktlich auf den Tag znrttdcgibt, pHnktUch mit
dem Glockenzeichen sicli anscliickt, seines Amtes zn walten und in
.seinem Thun und sein« i Haltung ohne Ostentation den Beweis liefert,
.dass ihm sein Amt die Hauptsache ist: so weiß ich nichts, was er
aoviel Extra-Erziehliches thuu soll"
Und wie zu der gewöhnlichen täglichen Pflichttreue, so können
die Schüler selbst zum krilftigen £rtragen von körperlichen Verstini-
jnnngen und Schmerzen um der Pflicht willen erzogen werden
durch das Beispiel eines Lehrers, der sich stets das kräftige Mahn-
wort des wackeren Nägelsbach vor Augen hält: „Zu warnen ist vor
übertriebener Zärtlichkeit gegen sich selbst im Lehramt; mit Recht
wird ein solcher Lehrer verachtet, der gegen den „Madensack" SO
fiberaus zärtlich ist und solchen Egoismus verräth."
Der erziehliche Einfluss des Lehrers wird ferner um so mehr
gesteigert werden, je melir er betahigt und in der Lage ist, auf die
moralische Individualität seiner Schüler Rücksicht zu nehmen.
Dies zeigt sich namentlich bei der Ertlieiluug von Lob und Tadel,
Strafe und Belohnung. Sollen diese Mittel nicht verderblich wirken,
so dürfen nicht starre Gesetzespai-agraplien in abstracter Weise ge-
handhabt werden , sondern Lohn und Strafe müssen möglichst der
Persönlichkeit des Schülers angepasst werden. Denn das nämliche
Lob, welches den einen zu angestrengter Arbeit und sittlichem Wol-
verhalteu anfeuert, macht einen andern eingebildet und lässig; und
die nämliche Strafe wirkt bei dem einen Besserung, bei dem andern
das Gegentheil.
Leider aber unterliegt dieise Kücksichtnahme auf die Schüler-
individnalitiiten, für so wünschenswert wir sie auch ansehen, in der
Schule gewissen nicht unerlieblichen Beschränkungen und Hemmungen.
Durch die größere Anzahl der Zöglinge, auf Nvelclie sich die Erzieher-
ai'beit des Lehrers vertheilt, wiid nämlich seine Wiiksauikeit weit
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mehr geschwächt, als die der filtern in der Familie. Derselbe Um-
stand macht es aber auch nahezu unmöglich, dass der Lehrer die
Geistesgaben, Gemüths- nnd Charakteranlagen seiner Schüler so genau
kenne, als es für eine individuelle Behandlang der einzelnen noth-
wendig wäre. Wer da erfahren hat, wie wenige Eltern ihre eigenen
Kinder, so^^el sie diese um sich haben, — oft ist's nur Eines! —
genügend kennen, um sie ihrer Eigenart angemessen erziehen zu
können, der wird vom geschicktesten Lehrer nicht erwarten dürfen,
dass er in den wenigen Stunden des Unterrichts neben der umfang-
reichen und schwierigen Aufgabe, die intellectuelle Bildung der Schüler
innerhalb einer bestimmten Zeirfrist zu einem bestimmten Ziele zu
führen, auch noch die höchst verschiedenen Individualitäten von 20
bis 50 Schülern genau erkenne und dieser Erkenntnis gemäß sie auch
erziehe. Und dennoch gibt es sogar Lehrer, die eine solche Un-
möglichkeit nicht nur andern ziimuthen, sondern sogar selber leisten
zu können vorgeben. Diesen guten Leuten, welche Lessing „betrogene
Betrüger" nennen würde, antwortet Jäger aus ruhmvoll erprobter
Praxis heraus wie folgt: „In Wahrheit, ihr bindet schwere und un-
erträgliche Lasten! Denn es lieißt wirklich viel verlangen, wenn der
notorisch selbst noch selir unerzogene Candidat und jüngste Lehrer in
diesem Sinn und Umtang schon andere erziehen soll. Und indem ihr
ihm theoretisch in euern Reden, die so blinkend sind, alles mögliche
auferlegt, verleitet ihr ihn, dass er es auch macht wie ihr, — nämlich
Worte für Handlungen hält — oder ausgibt."
Wenn wir aber auch annelimen wollten, was wir nicht zufreben
können, dass der Lehrer in jeder einzelnen der zahlreichen Schüler-
seelen wie in einem offenen Buche lesen konnte: so müsste er doch
das Individuelle zum Theil fallen lassen und nach gewissen allge-
meinen Normen verfahren. Denn auch dann wäre es ihm unmöglich,
sie in jedem Augenblicke ihrer vollen Eigenthümlichkeit gemäß zu
behandeln. Er mOsste denn, wie es Beneke ansdrackt, „ein geistiger
Pretens sein: nnendfich yküß Teraehjedene F<ninen der Bdiaadlnng,
nnd in schwindelerTegender Schnelle damit wechsefaid, annehmen
kSDnen."
Und brächte er selbst dieses zweite Wunder einer blitsschnell
wechselnden Verschiedenheit der Behandlung zuwege, so wfixde er
gerade dadurch, dass er jeder IhdiTidnalität gerecht zu werden
suchte, den SchfUem ungerecht und parteiisch erBcheinen und infolge-
dessen ihr Vertrauen und damit ihre Liebe Terschemn.
Gerade das Zutrauen und die Liebe der SchfUer muss sich aber
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der Lelizer vor allem erwerben und erhalten. Dies gesebielit besondera
dadurch, dasa er ihnen selber liebe entgegenbringt Dann hat er
den mfichtigsten Hebel ftr seine ersiehende Wirksamkeit in seiner
Gewalt Ist diese Gotteskraft in ihm wirksam, dann braucht er nie
daron an reden. Die Schüler fühlen sie schon herans, sogar ans dem
Schmers der Strafe, wodurch der Lehrer ihr Wol besweckt Sie em-
pfinden die liebe in dem gehaltenen, freundlichen Ernste, der von
pedantischem mfirrischen Wesen gleich weit enHbrnt ist, wie von gni-
mlithlger Schwflefae. Die Liebe zur Jagend bewalirt dem Iiehrer, so
sdiwer ihn auch draofien oftmals Kummer und Soige drttckt, die
heitere ruhige Stimmung in den geweihtoi Bäumen der Schule; und
diese Stimmung ttbertrftgt sich unbewusst auch in die Seelen der
Schfiler und macht sie willig', seinen Lehren achtsam zu horchen,
seinen Geboten sich freudig zu fügen. Die Liebe erweist sich besondei-s
in der rechten Geduld und besonderen Sorgfalt, womit sich der Lehrer
der Schwachen, der im Hause Verwahrlosten annimmt, damit doch
der g^mende Docht nicht vollends erlösche. Hat man es doch
geradezu als die Signatur einer guten, wahrhaft christlichen Schule
bezeichnet, was sie an den Schwachen thue!
Gleichwie der Erlöser nicht durch Worte, nicht durch Waffen-
macht, sondern durch die Kraft der Liebe, die er im Leben und
Streben bethätigte, die große Welt überwunden: so wird der Lehrer
durch die nämliche Zauberkraft siegreicher Herrscher in der kleinen
Welt, die seinem Wirken anvertraut ist. Am Bande der Liebe, das
ihn mit den jungen Seelen verknüpft, zieht er sie unbewusst empor,
fernab vom Schlechten und Gemeinen, das sie schon darum fliehen,
weil es dem geliebten Führer :;>chmerz bereiten würde.
Freilich kann dies schöne Werk nur dann vollkommen und auf die
Dauer g-elinf!:en, wenn die Erziehung im Elternhause schon vor der
Schulzeit vorbildend die Keine des Guten und Schönen in das Kindes-
herz zu pflanzen nicht verabsäumt hat, wenn das bäuslicheLeben während
und nach der Schulzeit mit seinen Einwirkungen diejenigen der Schule
nicht abschwächt, sondern einstimmig mit dem Streben ptlichtgetreuer
Lehrer die Seelen der Kinder emporzieht. Denn die wirksamsten
Mittel zur Erziehung sittlich-religiöser Charaktere birgt das Heüig-
thum des Hauses; die Schule ist nur Mithelferin am hohen Werke.
Dass auch unsere Schule immer fähiger und williger werde,
durch ihre Lehrer das Ei-ziehungsAverk der Eltern in treuer Arbeit
kraftvoll zu fördern, das ist der herzliche Wunsch, mit welchem ich
schließe, um hiermit zugleich unsere Jahresprüfungen zu eröffiien.
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Wie wird man Hnaanist?
Von DiieetoT Th. ScMUx-Anhcerpen.
Hs klingt paradox, dass man Humanist irerden soll, dass man
es also nicht gleich von Geburt an ist. Man wird dies leicht ver-
stehen, wenn man den B^ff in der Bedeatnng anffosst, wie er
heute besteht.
Der Mensch ist nach einem bestimmten Plan organisirt, er hat
Leib und Seele, von denen jedes, obgleich sehr zusammengesetzt, doch
ein Ganzes bildet, und welche beide in ihrer Wechselwirknng wiedemm
ein Ganzes ausmachen.
Wer den Menschen zum Gegenstand seines Studiums gemacht
und gefunden hat, dass in demselben eine strenfre Gesetzniäßijrkeit
herrscht, wer diese Gesetzmäßigkeit kennt, und in ihr die Eichtschnur
filr sein eigenes Leben findet, der ist Humanist. Der Humanismus ist
auch eine Religion und zwar die Religion, deren Vorschriften allge-
mein befolgt werden miissten, wenn die Menschen zu ihrem eigentlichen
Ziele koninien sollten. Alle i)ositiven Religionen sollten die Haupt-
lehren des Humanismus entlialten, und ohne dieselben sind sie nur
Schein. Das echte Christenstum ist liumanismiis, und nur weil in ihm
die Menschheit zu sicli selbst kam, sich selbst wiederfand, hatte das
Christentlium eine solclie Anzieliungskraft für die Menschen, dass es
sich rasch ausltieitete. Wären die Lehren des Clnistenthunis das ge-
blieben, was sie im Anfang wai'en, wären sie nicht im Laufe der Zeit
mit so viel Zutliaten vermischt worden, dass man nachher vor lauter
Zutliaten kaum noch den rechten Kern erkennen kann, »lann wären
noch heute alle Christen in gewissem Sinne auch Humanisten. Aber
kaum ist man auf die Welt gekommen, so wird man in die Zwangs-
jacke einer Confession gesteckt, und das, was man ist, ein Mensch,
wird in uns Nebensache, durch unzählige Formalitäten verdunkelt und
zum Theil erstickt, wie wir es an gewissen Ordensgeistlichen wahr-
nehmen. Wenn man auf diese Weise in eine gewisse Richtung ge-
drängt worden ist, föhlt man sich gar uicht mehr als Mensch, uud es
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ist sogar so weit gekommen, dass das Menschliche an uns, wenn es
einmal hie and da zum Durchbrach m kommen versacht, als etwas
Sttndhaftes angeaeheii wird. Wir sind gewiss, dass diese Zeilen von
vfele& Selten hör als dee Teofats Werk angesehen werdeti.
Wenn man .Hnmanist wird, so hat man dazn eine ganz besondere
B^bnng nnd eine Yeranlassnng. Die . wenigsten Jfenschen haben An-
lagen dazu, nnd sie sind von Jagend auf gewohnt worden, derartige
homanistische Anwandinngen als Verirmngen des Geistes anzosehen.
Überhaupt ist es vielen Menschen befremdend, dass man yon
dner religidsen Entwiekelnng reden könne. Sie meinen, die fieligion
sei etwas, das ans fix nnd fertig mit aof die Welt gegeben wQrde,
80 nie eine Erbschaft, die . man antritt Aber das ganze Menschen-
wesen widerspricht dieser AnfiTassnng, sowie die Geschichte der Mensch-
heit nnd die Geschichte der Erde. Alles, was wir sind, alles, was die
Menschheit ist, alles, was die Erde ist» ist einBesnltat einer nnendlich
hmgen Entwickelnng. Unsere Erde hat keineswegs immer so ansge-
sehen wie jetzt, ihre ganze Oberilftche ist fortgesetzten Umwftlznngen
onterworfen gewesen, aof derselben hat sich ein großartiger Werde-
process abges^idit, dessen jetziges Stadium wir yor Aogen haben, nnd
dessen Znknnft wir nnr dardi Schlüsse aof Analoges, darch Indnction,
ahnen nnd vermnthen können.
Und der Mensch? Ist er nicht selbst ein Kind dieser Erde,
nnd ein Entwickelungsproduct der Jetztzeit anf der Erde? Das Alter
der Erde ist nicht zu ergründen, und alle mathmaßliclicn Angaben
darüber sagen nns, dass das Menschengeschlecht schon viele Tausende
von Jahren auf der Erde lebt, and dass vor dem Menschen eine un-
absehbar lange Reihe von Pflanzen und Thieren den Boden bereitet
haben, den der Mensch betreten sollte. Alles deutet die Entwickelnng
an, Entwickelang ist das nns allenthalben entgegentretende Natur-
gesetz, nnd davon macht der Mensch keine Ansnahme. Er war an-
fangs seiner ganzen Gestalt und seinem Wesen nach auf einer dem
Thiere ähnlichen Stufe, wie wir es heute noch an einzelnen Völkern
wahrnehmen, aber er war Mensch, und was ihn zum Menschen machte,
das damals noch schwaclie T.iclit der Vernunft, untei*schied ihn doch
wesentlich von dem Thiere. Kr hat also aus schwachen Anfängen sich
entwickelt, sein Leib ist vollkommener, edler geworden, seine Seele
hat sich zum C4eiste emporgeschwungen, und mit dieser Entwickelung
hielt auch seine Religion Scliritt.
Tn der Entwickelungsgeschichte der Menschheit bildet das Religions-
weseu den vrichtigsten Zweig. Mit dem Erwachen des Selbstbewusst-
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seine, mit dem noch schwa4sh6ii Funken göttlichen Lichtes, mit
der Vemiinft, trat der Mensch in die Beihe der Qeister ein, und als
solcher ahnte er den großen Allgeist, wenn er ihn auch zuerst nur
in den mftchtig sich aufdrängenden Natorgewalten so erkennen yer-
mochte. Aber dass er ihn erkannte, ftrditete, yerehrte, ihm opferte»
das war seine BeUgion, nnd -war anf der niederen Stufe, wo er stand,
ebensoviel, als uns, den jetzt lebenden Menschen, nns^ Religion ist
Die Beligion war ja nicht dnmal nur eine Seligion, sondern solange
es Menschen gibt, hatten sie Tielerlei Religionen, und diesdben haben
sidi immer mehr yerzweigt Aber daraus gdit hervor, dass es wieder
ein Naturgesetz ist, dass die Menschen in den Formen der Religionen
ebenso verscbieden sind, wie in ihrer kOrperlidien und geistigen Be-
schaffenheit^ wie in der Hantfiube, in den Haaren, den GeeichtszUgen.
Ja, 80 wenig wie man dem Äufiem nach zwei Menschen sieht, die ein-
ander YoUkommen gleich sind, so hat auch jeder Mensdi seine eigene
Religion. Sowie aber bei aller VerBcbiedenheit das eigentliche Wesen,
die Gnmdlage des Menschenwesens, immer dasselbe ist, so ist auch
das Religionswesen in seinem innern Kern immer dasselbe: Anerken-
nung einer httheren Macht, einer Gesetzlichkeit, einer Ordnung, und
Unterwerfung nnter dieselbe Im Denken, Fühlen und Handeln.
Jeder gebildete Mensch erkennt das, und ebensowenig, wie man
heutzutage einen Menschen dämm weniger als Menschen ansieht, weil
er Neger, oder Chinese, und nicht ein Europäer ist, ebensowenig fällt
es uns ein, einen andern Menschen gering zu schätzen, weil er nicht
dieselbe Beligion hat wie wir.
Wenn wir zugestehen, dass die Entwickelung, die Vervollkomm-
nung ein Gnnulgesetz der Natur und des Menschenwesens ist, so werden
wir auch einsehen, dass das Hecht auf eine solche Entwickelung, ebenso
wie es jedem Naturwesen zukommt, auch das erste Naturrecht jedes
Menschenkindes ist, sobald es auf die Welt kommt. Würde man es
nicht für eine grausame Barbarei halten, wenn mau einem kleinen
Kinde verwehreu wollte, zu wachsen, groß zu werden, seine Arme
und Beine, seine Hände und Füße größer und länger werden zu lassen? —
Niemand bezweifelt das, und was vom Körper gilt, das sollte nicht
von der Seele gelten? — Und doch gibt es Menschen und ganze Classen
von Menschen, die behaupten, sie hätten das Recht, den Menschen die
Entwickelung des Seelenlebens zu verbieten. Ist es nicht eine Bar-
barei, zu sagen, ein Mensch solle nicht fühlen, nicht denken, nicht
urtheilcn? Ist denn das Seelenwesen nach allen Zugeständnissen nicht
das Berste und Edelste am Menschen? Und das, was man am KOrper
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zu verkümmern für unrecht hält, das Wachsthum, das zu ersticken
sollte ein Recht werden, wenn es sich um Seele und Geist handelt? —
Wenn es nun doch Tausende und Tausende von Menschen gibt,
die das ruhig geschehen lassen, die sich selbst dieses Kechtes begeben
haben, die in allen Dingen sich von andern leiten lassen, sich in allen
geistigen Angelegenheiten blindlings unterwerfen, so kann mau das
anders nicht begreifen, als durch eine jahrliundertelange Angewöh-
nung, die es endlich dahin gebracht hat, dass man sein Menschen-
wesen nnd Menschenrecht nicht mehr fühlt Wenn aber einer sein
Menschenwesen nicht mehr ftUilt, dann ist er auch kein rechter
Mensch. Nun gibt es glücklicherweise immer noch Menschen, in denen
das Selbstbewusstseia oielit ertAdtet ist, und die sieh auf kek salbfit
auf üure Rechte besinnen, die best&ndig über sich selbst naclid«ik6D,
snd nameutUeli Uber ihr Beligionswesen. Solebe Menschen schlagen
natOrlich aas der gewOhnUchen Art heraus. SIa finden» dass ihr
Doikyennögen, wenn es durch die Sofanlnng eines guten Unter-
richtes gegangen ist, sich nicht unterdrücken lisst, und dass es ein
Unrecht ist, zu Tetbieten, dass man denken und nachdenken soll, auch
Uber Beligion. Wenn es irgendwie ein Gebiet gftbe, über das man
nicht nachdenken dürfte^ dann mfisste das sich auch dem eigenen Denken
bemerkbar machen. Es gibt solche Gebiete, bei denen unser Denken
haltmachen muss, weil das endliche Denken beim nnfassbaren Un-
endlichen angekommen ist Aber solange man nicht an einem solchen
Punkt angekommen ist, kann man nicht haltmadien, man muss es
durchdenken, soweit es geht, und wird endUch hallmaehen, wo die
Logik am Ende ist, aber — nicht eher, auch nidit im Beligionswesen.
Und dodi sagt die Kirche, Uber dieses sollst du nicht denken. — Sie
hat unrecht Das Beligionswesen YenUent erst recht, dass man da-
rOber nachdenke.
So darf man also es niemandem Terflbeln, wenn einer auch hierin
seinen Weg geht. Die erste Bedingung aber ist — Wahrhaftigkeit,
Redlichkeit im Denken, Logik. — Was man auf diesem Wege wird,
das wird man durch seine Erziehung, durch seine Entwickelung. Ein
Denker ftberlAsst sich nicht seiner Trägheit, er arbeitet bestfindig,
jahrelang, er sucht, forscht, immer dem Drang nach Entfaltung, nach
Entwickelung, nach Wahrheit folgend, er sncht sich dabei nie selbst
SU betrügen, indem er sich sagt, dass er sich an eine Schablone binden
müsse, dass er die Dinge so hinnehme, wie andere, eine Autorität
oder eine BeUgionsgesellschaft sie ihm bieten. Dass man in seinen
Geist Dinge gerade so aufiiehmen müsste, wie andere sie uns 7or-
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schreiben, dass man niclit verändern, niclit verarbeiten, mit einem
Wort — niclit kritisiren dürfe, das kann der Denker nicht über sich
gewinnen. Wenn uns einer etwas zu essen gibt, und man dabei nicht
die Augen, die Nase, die Zunge gebrauchen soll, dass man es unbe-
sehen, unberochen, ungeschmeckt hinunterschlucken soll — damit kann man
sich doch unmöglich einvei*standen erklären, und man wiirde einen anderen
für dumm halten, der es thäte. Warum soll man also Dinge unbe-
sehen, ungeprüft in seinen Geist aufuelnnen, sie dort ruhen lassen, un-
verändert, wie eine todte Sache — das geht doch nicht. A\'as in
meinen Geist einzieht, das muss ich erst untersuchen, meinem Denken,
meiner Vernunft unterbreiten, und wenn ich finde, dass diese Instanzen
es nicht billigen, dass sie es als unwahr erkennen, dann stoße ich es
als etwas Schädliches wieder von mir. — Sowie wir die Sinne
haben, om Gontrole sn halten Aber das, was in unseren Hagen ein-
gehen soU, — so haben wir anch unser logisches Denkrermögen, um
eine Controle ftber aUee anzustellen, das in unseren Geist eingehen soll.
Was nieht in den Magen passt, bezeichnen wir als Qift, und stoßen es
unwülkfirUeh ab von uns. Unwahrheit ist das Gift des Geistes, und
wir sollten sie ebenso unwülkttrlich von uns abstoßen. Wenn jemand
das nicht thut, so beweist er damit, dass sein Denkvermögen, seine
Vernunft schläft, oder dass er dieselben ihres hohen Eiitikeraintes
entsetat hat, und damit eigentlich das Göttliche von sich abgestreift hat
und dem geistigen Atavismus verfiiUen ist —
Leider sind gerade die Maischen, welche auf religiösem Gebiete
ihren Geist in vollem Gebraudi erhalten haben und sich gegen das
Irrige und Unwahre gewehrt haben, immer verfolgt worden, und sie
haben ihr Leben fUr ihren Muth hingeben mllssen.
„Die wenigen, die was davon erkannt, die, thöricht genug,
ihr volles Herz nieht wahrten, dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen
oifenbarten, hat man von Je gekreuzigt — und verbrannt** —
Geistes- und Denkfk^eihett sind und bleiben, solange es Geister
gibt, die erste Grundbedingung f&r das Leben des Geistes, und sind
daher ein unvwlierbares, unveräußerliches Becht des Menschen. Jedes
Ding in der Natur stirbt, wenn es in seiner Entwickelnng gehemmt,
verkümmert wird, und was im Gebiete des Organischen Gesetz ist,
ist es erst recht fUr den Geist. Der G^st soll sich entfalten, oder er
stirbt. Diese Einrichtung des Geistes zu kennen, ist Humanismus, nnd
weil unzählig viele Leute dies nicht wissen oder vernachlässigen, nicht
beachten, sind sie Atavisten.
Atavismus bedeutet in den organischen Naturwesen, wo doch ein
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AnÜBteigteo, eine Vervollkommnang die Kegel sein sollte, die Erschei-
Dong, dass sie aus dem Zustande der VervoUkommnang, in den sie
dnrch Arbeit gekommen sind, in einen früheren unvollkommenen Zu-
stand wieder zurückfallen. Wenn man dies auf den Menschen an-
wendet, so bemerkt man sehr bald, dass der Zustand der sittlichen
Yen ollkommnnng, den die Menschen in Mheren Zeiten, oder in ganzen
Völkerschaften, Nationen erreicht hatten, in der jetzigen Zeit wieder
im Bfickgang begriffen ist; dass der hohe Standpunkt, den Christas
selber einnahm, ond den viele nach ihm erreichten, in der jetzigen
Zeit wieder verlassen ist. Wenn das Menschengeschlecht sich aus dem
Thiergeschlecht entwickelt hat, dadurch dass in ihm die Vernunft die
oberste Herrschaft erlangte, dann mofls man zugestehen, dass, wenn
die Vernunft nicht gebraucht wird, es wieder in einen thierischen Zu-
stand versinken musB und dem Ataxismus verfällt Wer sich die
Menschheit in Bezug auf diesen Punkt einmal ansieht, der wird dies
bestätigt finden. Wenn die Ideale, welche ja die höchste Blüte der
Menschenvemunft sind, sich zu verlieren beginnen, oder schon jahr-
hundertelang vernachlässigt worden sind, dann macht sich dieser
Mangel auch schließlich geltend an der Gestalt und an dem Gesichts-
ausdruck der Menschen. Das geht ganz natürlich zu. — ^Venn die Liebe
zu den Idealen der Schönheit, Wahrheit und Güte nicht bei der Wahl
eines Eliegemahls herrscht, was muss denn die Folge davon .<;ein? —
Die Nachkommen verlieren diese Eigenschaften wieder, die das Menschen-
geschlecht viele Jahrhunderte lanj^ erworben hatte; die Generationen
verarmen an diesen Idealeu, und die innere Armut wird nach und
nach äußerlich sichtbar an dem Körper, der ideale Stempel geht ver-
loren.
Wenn wir diese Idealität in dem Menschen wesen, den Sinn für
Recht, für wahre Schönheit, für Güte, und deren Resultate, die ideale
Kunst, den Sinn für Wahrhaftigkeit, den Sinn füi' echte Freundscluttt,
die edle Gattenliebe, die hohe Menschen- und Nächstenliebe als das
Thermometer für den Humanismus, für die Fortschritte der Meusch-
heit ansehen wollen, und wenn wir damit einmal d^u wirklichen Zu-
stand der menschlichen Gesellschaft vergleichen — dann müssen wir
schaniroth werden, dann müssen wir unsere Blicke betrübt zu H(Hleu
senken, weil wir linden, dass unsere Generation stark an Atavismus,
oder doch an Marasmus, dem Vorboten des Atavismus, krankt. Ata-
visten sind alle, welche die natürliche Anlage zur Menschenliebe in
Hass, Intoleranz, Verfolgung-, Neid, Verleumdung umkehren; Atavisten
sind alle, welche die Gattenliebe, die nur dem einen uns verbimdenen
Pasdiigogiom. U. Jahrgang. Uoft 1. 2
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Wesen angeliören soll, in Geschlechtstrieb verdrehen; Atavisten sind
alle, die Freundschaft durch die Feindschaft ersetzen; Atavist«n sind
alle, die keinen Sinn für wahre Schönheit und echte Kunst haben; Atavisten
sind alle, die \\ ahrlieit in Lüge, Güte in Bosheit, Recht in Unrecht ver-
wandeln. Die Menschheit ist auf abschttssigein Wege, und es ist die
höchste Zeit, dass man es ihr sage, dass man ihr den Spiegel der
echten Menschheit vorhalte, damit sie ihr eigenes ßild neben dem
echten Menschenbilde sehe, und erschreckt stehen bleibe und sich zur
Umkehr rüste.
Freie Entwickelung des Körpers und Geistes sind das erste und
natürlichste Menschenrecht, und da die Religion mit zum Menschen ge-
hört, und sogar sein Bestes ausmaclit, so ist Pieligionsfreiiieit ebenfalls
ein Rechte das ihm niemand verkiunniern darf. Religion i<t Herzens-
sache, a1)er alle Herzenssache muss unter der Controle der Vernunft
stehen und sich zum vollen, klaren Bewusstsein des Zusammenhangs
mit (lott, mit der sittlichen Weltordnung und dem sich daraus er-
gebemlen h<ichsteu Sittengesetz erheben. Wenn das zum Selbstbe-
wusstsein gelanirciido Göttliche, die Gottähnliclikeit. das eigentliche
Wesen im Menschen ausmacht, dann ist die Erkenntnis desselben doch
echtes Menschenthuni, und das Leben nach dieser Erkenntnis auch
echte Menschenrelio:ion. Darum ist das echte Christenthum eigentlich
nichts Neues gewesen, sondern das uralte Menschenthuni, wie es von
einigen griechischen Philosophen und Christus liauiitsadilich ver-
kiinilet wurde, Christus hat es, veranlasst durch seine große Liebe
zu den Menschen, in sich selbst zum vollen Bewusstsein herausgear-
beitet und dem damals verkommenen Judeutliuni wieder zum Bewusst-
sein bringen wollen. Humanismus, Christenthum, Religion, Liebe sind
nahe venvandte Begritie. Liebe ist das Grundwesen des Menschen-
thums und der Religion, uud sie sind frei im Menschen, sie sind sein
eigenstes Eigenthum, an das ein Dritter kein Recht hat. Religion ist
ja auch ein Liebesverhältnis zwischen dem einzelnen Menschen und
Gott, uud kann daher ebensowenig]: die P^inmischung eines Dritten ver-
trajren, wie alle anderen LielK svcrliältnisse auf Erden, z. B. zwischen
zwei Liebenden, zwischen Mutter und Kind, zwischen Mann und Weib.
Mau fange doch endlicli an dies zu begreifen, und vieles wird besser
"werden. Mau fange an zu verstehen, dass in unserem Schulbildungs-
wesen gerade das Menschenthuni der Bei iihruugspunkt mit der Kirche
ist, und dass die Schule nur die Aufgabe hat, Menschen, rechte Menschen
zu erziehen, dass sie vollkommen genug thut, wenn sie am Menschen
das Göttliche herausholt und dies wieder zui- praktischen Betbätigung
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am Menschen benützt Damit ist die Aufgabe der Schule für die Er-
ziehung gelöst. Möge es der Schule nur immei* gelingen, reclite Menschen
zu bilden, dann kommt der Himmel von selbst auf die £rde.
Wie wii-d man also ans einem Orthodoxen zum Humanisten?
Keineswegs, wie man es oft sagt, dnrch Ab&U von der Religion,
um ein schlechtes, sittenloses Leben fUhrenznkOimeii, am ohne Schranken
than und lassen zu können, was man will, wenn man nur nicht mit
den Gesetzen in Widersprach gerftih. Dies muss entschieden in Ab-
rede gestellt werden, denn das ruhige, gedankenlose Wandeln auf einem
vorgeschriebenen Wege ist viel bequemer, als das Ringen und Kämpfen
um eine eigene Überzeugung. Das erstere ist einer großen, alten,
län?st ausgetretenen Heerstraße zu vergleiclien, während das letztere
ein von uns selbst geebneter, niiilisanier, steiiiif^-er und dornenvoller
Pfad ist. Derselbe leitet uns nicht in einer llaclien und aussichtslosen
Gegend fort, sondern steigt immer bergan und bietet eine immer weiter
reicliende Aussiclit auf die zu Füßen liegende Welt. — Nur durcli
vieles Denken, nnt deni unauslöschlichen Trieb nach Wahrheit, Klar-
heit und Licht, durch mühsames Hindurcharbeiten durch alle Zweige
des menschliclien Wissens, durch eine mit ästhetisch-ethischem Gefühl
verfeinerte Vernunft kann das Ziel ei-reicht werden. Der Weg ist
weit und besch%verlich, aber der Lohn auch um so größer.
Kill innerer Zwiespalt ist in einem nach Klarheit und Harmonie
strebenden Menschen eine große (^ual, schlimmer als eine Dissonanz
in der Musik, schlimmer als alles riiharmonische in sonstitreu Dingen.
Überhaupt sind unharmonische Menschen ein Übelstand für die Ge-
sellschaft, für den Staat. Das sehen wir jetzt deutlich an Deutsch-
land. Ks ist politisch geeinigt, aber iu seinem Herzen vielfach zei-
rissen und zerspalten.
Solange es mit dieser Dissonanz nicht ins reine kommt, wird der
innere Friede nicht Platz greifen können. Nur eine glückliche Lösung
des religiösen Zwiesi)aUes kann hier Rath schallen. Wann wii*d der
Stifter dieser Vereinigung kommen?
Man könnte ja bei allen religiösen Differenzen friedlich mitein-
ander auskommen, wenn man die Toleranz üben wollte, wenn man
verstehen wollte, dass das Einigende in Keligiun die Hauptsache und
das Trennende nichts als Nebensachen sind. —
Was hat man in der Schulreform an diesem Punkte gelhau? So-
viel wie nichts, weil man in den Schulen die Trennung in Confessioneu
bestehen ISast —
Wenn an derselben Lehranstalt drei versciüedene Confessioneu
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gelehrt (uiul iiaclilier im Examen auch examinirt) Avi rden, so müsste
der Schüler ganz gedankenlos sein, wenn er nicht herausfände, djiss
ein Widerspruch zwischen den Wahrheiten der Confessioneu besteht,
und dass sie doch alle drei als wahr gelehrt werden. Dies sind That-
sachen, die man in erster Linie bei der Reform berücksichtigen sollte,
weun man nicht einen religiösen Zwiespalt schallen will.
Man sagt, die Religion sei trocken und langweilig, und deshall)
sei die Jugend froh, wenn sie dieselbe hinter sich hat und keiiun
Religionsunterricht mehr genießt. Das ist nur ein Beweis, dass sie
schlecht verstanden und schlecht gelehrt wird. Die echte Menschen-
religion ist nicht trocken und lang^veilig, sie ist von allen Lehrgegeu-
ständen der interessanteste und das Gemüth am meisten befriedigende.
Der Humanismus schließt die dem Menschen so sympathische Natur
nicht aus seinem ikreich aus, er benützt sie als wertvolles Material,
um daraus das \\'alleii des göttlichen Geistes und die sittliche Welt-
ordnung zu erkt'niu'ii. ¥a' benützt die Gefühlswelt eines Kindes in
seiner praktischen Anwendung im Leben, in der Eltern-, Geschwister-
und Ereuudesliebe, in der J^iebe zu Mitschiih iJi und Lehrern, um das
Gefühl der Liebe erstarken zu lassen, und es zur Gottesliebe zu er-
ziehen. — Das ist nicht langweilig, sondern wärmt, begeistert, erhebt
und bringt das religiöse Wesen mit der Wiiklichkeit in und außer
dem Kinde in die engste Verbindung. Wenn der Schüler gewöhnt ist,
das BeligiOfle tIberaU in seiner Umgebung, in seinem Herzen, in der
Natur, im Hanse m sehen, 'wird er es auch sp&ter in der Welt und
im praktischeD Leben nicht mehr verlieren. Man fragt, warum die Leute,
die allgemein als religiös, oder kirchlich gelten, oft in ihrem Leben
außer der Kirche, in ihrer Familie, in der Öffentlichkeit so unliebens-
wQrdig, lieblos, hart, schlau, Ifigenhaft» betrOgerisch sind, warum ihre
kirchliche Frömmigkeit auf dieselben keine sittliche Kraft ausübt, und
man kann kaum eine andei-e Antwort finden, als in dem Beligions-
wesen selbst Es soll doch die Menschen gut madien oder sie ver-
hindern, schlecht am werden. Wenn es im Laufe der Jahrhunderte
diesen Zweck nicht erfüllt, wenn es die Menschen in Unsittlichkeit
verkommen liisst, so kann man die Ursache nur dem Beligionswesen
selber zuschieben, welches die Menschen nicht mehr religiös erwärmt,
welches sich begnügt^ wenn die Menschen sich durch einige Formali-
täten mit ihrem Gewissen abfinden und sich um Gott wenig kümmern.
Die Humanitatsreligion ist etwas Innerliches, in Herz und Gemüth
Wohnendes, und entzieht sich der Controle, oder wenn es efaie solche
gibt) so liegt diese ui den Handlungen des Humanisten. Sie ist wahr
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und echt, sie beträgt sich nicht» sie macht echte Sittlichkeit zur Pflicht
and zur Bichtschnnr des Lebens. —
Man sieht wol, dass es unter den jetzigen Verhältnissen nicht so
leicht ist, Humanist zu werden, dass man es dorch Trägheit, Sich-
gehenlassen nicht wird. Daher kommt es, dass so unendlich viele
Menschen, die in der Schule schon den religiösen Zwiespalt in sich
anfgenommen haben, sich aus demselben im Leben nicht mehr herans-
winden, dass sie ans Zweiflern Ungläubige, Indifferente, Materialisten,
Atheisten werden, wovon die Welt voll ist. Der Humanismus mus.«!
in ein System gebracht und schon frühzeitig in den Schulen gelehrt
werden; der orthodoxe Religionsuntemcht gehört nur in die Kirche.
Das ist der einzige Weg, wie man zn einem befriedigenden Zustand
in der Welt kommen kann.
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Jngenderxieliang nnter dem Einflusge großstädtischen Lettens.
wird als ein besonders irünstiges Geschick ge])riesen. hinein-
gestellt zu sein in solchen Keiclitliuni, soldie P'ülle: die Gi'oßstadt
bietet alles dar, was die Eutwicklunir eines Seelenlebens tordern kann;
aus allen Reichen der Natur und Kunst steht hier das Beste täglich
unsern Augen ofl'en; ein jeder Gang durch Straßen, über Brücken
oder Plätze erinnert uns daran, dass hier sich einst ein Stück Ge-
schichte abgespielt, dass hier die Zeugen einer großen Vergangenheit
zu uns reden, und noch wetteifern unsere besten Geister durch erhebende
Helelirung, durch künstleiische Gaben auch uns zu iKiherem Streben
mit eniporzuziehen. Tn den Streit entgegengesetzter Vorstellungsarten
werden wir eingetaucht; wir erfahren, wie im Kampfe entbrennen die
eifernden Kräfte, wie sie Großes bewirken im Streit, Größeres leisten
im Bund. Wev in solchem Leben mitten inne steht, vermag sich hier
an einem Tage weiter fort zu bringen, als wer am andern Ort auf
einsam stiller Bahn an selbstgeschaftenem leeren Trugbild matter
Phantasie sich jahrelang ab([uält. Tn einer großen Stadt, in einem
weiten Kreise fühlt sich aucli der Aiinste, der Geringste; während in
dem engbeschränkten Lebensgange kleinerer (iremeinschaft auch der
Beste und der Reichste niclit zu freiem Athemschöpfen kommen kann.
Die Großstadt spendet jedem ihre Gaben, „dem Blumen, jenem Fi-üchte
ans; der Jüngling, wie der Greis am Stabe, ein jeder geht beschenkt
nach Haus." Wo gäb' es also einen bessern Ort, des Strebens Lust
zn reizen, des Wissens Drang za spornen und zu stillen? Wo kann
der Kdrper besser zum formgewandten Werkzeug einer edlen Seele
herangebildet werden als hier, wo jeder Jüngling an den Zerstreu-
ungen und Vergnügungen der Welt mit vernünftiger Frdheit Anfheil
nehmen kann? wo er erüthren mag, dass im Gennas, den das Ver-
gnügen bietet, nicht der Beiz zu finden sd, den eine unerfahrene
Phantasie dahinter sucht, auf dass er dann als reifer Mann die
bittere Erkenntniss nicht unendlich thearer zu bezahlen, mühsamer
Vom Seminaioberlehm Mndotf LeMk-Dreedm,
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nachzuholen liabel Alles scheint sich in der (Troß>ta(U zu vereinigen,
dem Erzieher reiche Unterstützung zu gewähren und sein W erk zu
fordern.
Doch niiissen wir, wenn wir vom Stundpunkt der Erziehung
juis ein richtiges Urtlieil fällen wollen, auf den Eutwicklungsuang
des Geisteslehens unser Auge richten. Als erstes. ol)erstes Gesetz des
Geisteslebens gilt aus dir Ei talining, dass die Seele niciit die Fähig-
keit besitzt, Mannigfaltiges und Vieles gleichzeitig vorzustellen. Em-
pfinden uud Ansiiiauen einerseits, Denken und Dichten andrerseits
finden nie vollkommen gleichzeitig statt. Mit je größerer Aufmerksam-
keit "wir ein äusseres Object betrachten, um so weniger vermögend
sind wir, auf nnsere Gedanken zu achten, und je mehr wir in diese
vertieft sind, am so weniger sehen und höi'en wir, was um ans vor-
geht. Wir vermögen nicht, eine größere Mehrheit tob Gedanken,
von bloften Vorstellimgen ohne Beeintr&chtigung ihrer Klarheit im-
BewQSBtMin sa erhalten. Je schirlBr wir den einen Gedanken fixiren,
amsomebr treten die anderen zurück oder verschwinden ganz. Wo
wir aber genOthigt sind, einem Vielerlei unsere Aufmerksamkeit mit
einem Male zuzuwenden, kann sieh keine Vorstellung mit so starkem
Eindrucke bilden, wie sie nothwendig ist, um dem Gedächtnis zu
verbleiben, und so entstehen unkrttftige. verblasste Bilder in der Seele,
die mit der Zeit dem ganzen Geistesleben ihren Stempel aufdrucken
und in haltloser OberflAchlichkeit des Menschen ihren Ausdruck &iden.
Stellen wir dieser Gesetzmäßigkeit innerer Vorgänge die Begellosigkeit
der Außenwelt des Großstadtlebens gegenüber. Wo wäre ein so viel-
fach wechselndee Bild und buntes Allerlei als in dem täglich sich
ahspielenden Leben der Großstadt zu finden! Kaum lassen die un-
aufhörlich vorflberflutenden wechselnden Erscheinungen uns Zeit zur
Besinnung zu kommen. Da ist der erste Eindruck noch nicht zum
Bewusstsein gelangt, zwingt uns scbon ein anderer die Beachtung ab.
Allenthalben drängen sie von allen Seiten zu, begeben uns auf Schritt
und Tritt und fordern für sich den Tribut der Aufinerksamkeit Da
gibt es weder Zeit nocb Baum zu ruhiger Betrachtung, die Sinne
fähren einen fortwährenden Verthddigungskrieg. Im heißen Wirbel
solchen Lebens kann sich nicht die Buhe finden, die uns nöthig ist^
wenn wir Gemflth und Stieben auf das geistig Große richten soll^.
Der Lärm, das wilde Treiben macht das Ohr des Geistes taub für
unsere stille Stimme in der eignen Brust Der Sinn wird weit und
flach gleich einem Strome, dei* die Wasser in der breiten Ebene seicht
und ohne Kraft dahinfährt Das Übermaß, die Überfülle überreizt
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das Seelenleben so, dass es in Übermüdung fällt und dass ihm endlich
alle Leichtif^keit und alle Kraft des ^\'ider.standes verloren geht; denn
auch der Organismus ist verändert worden, das NervenleUeii ki'ankhai't
reizbar; der Mensch wird, wie man sagt, nervfis.
Ludwig Ivichter zeichnet uns in seinem Lebenslauf ein Bild von
der (ieschichte der Entstehung soklier Leiden mit den Worten: „Wie
still und öde war in meiner Jugendzeit die breite Schlossstraße! nichts
von den glänzenden iSchaustellungen, die jetzt sich dem Auge auf-
drängen; dafür aber zog das Wenige und an sich Geringe umsomehr
die Aufmerksamkeit auf sich und prägte sich tief dem Auge ein;
während jetzt das Viele und Vielerlei zur stumpfen Gewohnheit ge-
worden, kaum imstande ist, die zerstreuten und übersättigten Sinne
auch nur füi* einen Augenblick flüchtig zu reizen." Überreiztheit und
Zerstreutheit; l^bersättigung und Stumpfheit sind die Folgen solcher
Einwirkung und die Kennzeichen innerer Zerrüttung. Das in der
Eigenthümlichkeit seiner natürlichen Anlage beleidigte Seelenleben
rächt sich für die Nichtbeachtung der in ihm herrschenden Gesetze
durch solche Leiden, die schon an unserer Jugend sich bemerklich
machen, weshalb man neuerdings genöthigt war, Nervenbeilanstalten
für jugendliche Kranke zn errichten, ein Umstand, der die Wege
nnserer Zeit mit grellem Licht belenchtet Weniger aber eine Folge
der Sehulzndit, sind diese Erscheinungen vielmehr auf einefiinwfilning
dnrch das Jjebeii mrOckzofthreii, mid es w8re warnet Jugend viel
dioüichert sie Yon gioften Stidtoi als von großen 8e]iTilaii4;aben su
befreien. Da wir yorläufig aber mit den gegebenen Verhältnissen zn
rechnen haben, so fragt sich nnr, wie kOnnen wir das Übel zn ver-
ringem suchen? Nur so, dass wir, was dranBen planlos wirkt im
Leben, in der Erziehung einerseits yenneiden, andrerseits vermindem.
Da in der Hand des Lehrers aber nnr der. Unterricht Ar die Bh>
Ziehung Wichtigkeit nnd Qeltnng haben kann, so mnss er ihn als
Mittel seiner Gegenwirkung brauchen. Im Unterrieht muss er dem
Zögling Geisteszncht beibringen. Hier hat er zu erfahren, dass auf
wissenschaftlichem Gebiete eine probehaltige Einsicht nur durch Auf-
wendung eines gewissen Hafles eigner Anstrengung erlangt wird,
dass ein blofies passives Sehen und Hdren, ein unthätlges auf sich
Wirkenlassen nicht genflgt und dass der Mensch, »der im leichten
Fluge jedes Wissen umflattert nnd nicht durch stille, feste Anwendung
seine Erkenntnis stärkt, die Bahn der Natur verlässt". Darum muss
seine Kraft in Thätigkeit gesetzt, er muss gezwungen werden, auf
einen Gegenstand sie zu beschränken und tiefeindringend hinzulenken;
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— 25 —
denn nicht am Vielerlei des Wissens liegt es, sondern dass diß Kraft
gefkbt und frisch erhalten bleibe, damit sie das Erlernte anzuwenden
wisse. Ein bloßes Füllen mit gelehrtem Allerlei kräftigt das Ver-
mögen nicht; es überbürdet nnr und bildet Phrasenhelden, die wol
mit Worten trefflich fechten können, doch jeder eignen Ansieht bar
ond ledig sind. Und hierin trifft nns, ob mit Recht, das weiß ich
nicht, der Vorwurf eines hochgelehrten, welterfahrenen Mannes, des
frühem amerikanischen Gesandten (Whist) in Berlin, welcher sagt:
^Bei all meiner Bewunderung für das deutsche Unterrichtswesen mnss
ich mich doch zu der Überzeugung bekennen, dass in den Schulen zn
viel scholastischer Druck heiTScht, dass die Jugend zwar viel lernen,
aber wenig denken muss, wodurch die individuelle Kraft untergraben
wird. Darum der Mangel an noch unverbrauchter Kraft, durch welche
unsere amerikanische und englische .lugend im praktischen Leben so
sehr gefordert wird.** Nirgends aber bedarf das non inulta, sed mul-
tam im Unterriclitc einer strengereu Beachtung als in der (iroßstadt,
wo der Z{3gling viehiielir geradezu einer Regelung seiner Eindrücke,
einer Seelendiät unterworfen werden muss, wenn er vor Stiirung und
Verwirrung bewahrt bleiben soll. Der Unterricht muss hier gleich-
zeitiggeistigheilgymnastisch ^virken, ausscheidend Schädliches, erzeugend
Kraft und Halt und Festigkeit. Darum mag es wol anerkennenswert
sein , wenn unsere Unterrichtsmethode sich bemüht , das Lernen möglichst
leicht zu machen, nur darf es nicht darauf liinauslaufen. dass ein
Geschlecht herangezogen werde, nuliiiiig auch in solchen Dingen etwas
Tüchtiges zu leisten, die ihm niclit genehm sind, weil sie Kraft-
anstrengung fordern. Und darum ist es eine fehlerhatte Richtung, die
da meint, es sei notwendi<r, dem Kinde die Arbeit des Lernens wo-
möglich zum Spiel zu maclien. Denn gerade das Erarbeiten, das
Selbstsuclien nnd Selbsthuden ist das Kraft- und Lebenweckende bei
jedem Unterrichte. Sollen erworbene Kenntnisse für das Leben Frucht
•»ringen, so müssen sie verstanden und verarbeitet, sie müssen Fleisch
und Blut geworden sein. Dann erst erhält das Geistesleben Saft und
Kraft und jeue Festigkeit, die der Zersplitterung wehrt, und dann
erst hat die Erziehung ihr Ziel erreicht, wenn sie im Zögling
Festigkeit des Strebens herausgebildet hat, das seinen Stütz-
punkt in ernster Sittlichkeit gefunden.
Auf Seite des sittlichen Lebens droiien dem Zr»gling aber
ebenso ernste Gefahren in der Großstadt. Überall winkt da.s
Genussleben in verführerischen Formen und sucht vom Wege ab-
zuleiten. Für den Leruendeu , Werdenden soll aber der gol-
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(leiie Baum des genießenden Lebens nocli niclit blühen. Mit dem
ihm gesclienkten Voireclit , in einer Welt von Idealen zu leben,
ist auch die Pfliclit verbunden, sich aut diese Welt zu besclirän-
ken. Vergnügen ist eine Klippe, au der schon mancher Jüngling
gescheitert. Er läuft mit vollen Segeln aus. um es aufzusuchen,
aber ohne Compass, um den T^auf danach /u lichten, und ohne hin-
länglichen Verstand, um das Steuer zu führen. Darum mahnt Kant
in seiner Anthropologie: ...Tunger ]^lann, versage dir die Befriedigung,
wenn auch nicht in der stoischen Absiclit, ihrer gar entbehren zu
wollen, sondern vielmehr in der feinen, epiTcuräischen, einen immer
wachsenden Genuss im Prospect zu haben." Die menschliche Natur
ist so dürftig organisirt, dass sie nur einen winzigen Theil Lust ge-
nießen kann; dem ÜbermaB folgt Überdrass. Und was kann nun
einem Jüngling, der alle Genüsse der Großstadt durchgekostet, ein
Leben voll Mühe und Entbehrung, das seiner harrt, noch Verlockendes
zeigen? „Wer da strebt, das erwflnBehte Ziel zu errdcheiii that und
ertrag als Knabe schon viel, trug Hitze nnd E<e, lernte entbehren
der Lust." Im GroßstadIJüugling aber sind die feineren Empfindungen
dnreh den LSrm einer chaotischen Welt übertäubt, und so bleibt ihm
nnr noch Eanm fttr grobe, sinnliche Genttsse, nnd vielen unter ihnen
gilt das Wort des Dichters: „Besser im stillen reift er zur That oft,
als im Gerftnsche wilden, schwankenden LebeD8, 'das manchen Jüngling
verderbt hat.^ Weder fElr seine geistige, noch für die sittliche Aos-
bildnng des Zöglings kOnnen wir vom Großstadtleben eine Förderang
erwarten, wir haben nnr Hemmongen za fOrchten. Das Leben der
modernen Großstadt vollzieht eine völlige Abtrennung des Individuums
vom Naturleben. Das Kind vollends, selbst noch ein Stück Natur,
muss in einer solchen Treibhauscultor frühzeitig welken, wenn es zu
einer Entfiedtong des echt Kindlichen in ihm überhaupt gekommen ist;
denn auch die Thorheit der Erwachsenen hilft noch mit, die Unnatur
recht zu verstärken. Man hfilt es ja für seine Pflicht, dem Kinde
schon das Leben so genussreich als nur möglich zu gestalten. Theater-
auftührnngen und Bftlle für Kinder hält man für nöthig und nützlich,
damit da« Kind in geistig und physisch verdorbener Luft an Gkist
und Körper sich gleichmäßig vergifte. Und doch sind für Kinder die
einzig wolthätigen Vorstellungen die, welche die Natur aufführt in
Feld und Wald, bei Vogelsang und Waldesrauschen. Hier ist der
Tummelplatz fUr unsere Jugend. . Hier kann sie Geist und Körper
stärken, stählen, bilden. Hier mag der Knabe fröhli(^ brauchen Arme
und Beine, die Sinne schärfen, den Verstand entwickeln an allem,
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was da lebt und webt auf Flur, im Hain. Hier sind die Wurzeln
deiner Kraft, hier deine Heimatb, Jagend!
Darum hat auch nur der, der auf dem Lande geboren, sozusagen
unter freiem Himmel, bei dessen Geburt die Bäume ihre Zweige zum
Fenster hereJnsteckten, an dessen Wiege die VOgel des Waldes sangen:
nur dessen Erinnerung hat Heimweh nach dem Ort, wo er das Licht
der Welt erbUdcte, wo er vom Echo der Berge, vom Rauschen des
Waldes das Reden lernte. „Wer in einer großen Stadt geboren und
erzogen", sagt Saphir, „der hat k^ne Jagenderinnerung; seine Er-
innerung bringt ihm nnr Häuser, Steine, Menschen, Lehrer, Schul-
kameraden, Prfigel und hddistens einen Weihnachtsbanm.* Ifan raubt
dem Kind das Paradies der Lebenszeit, das man hineinzwängt in die
fremde, kalte Welt, die nichts für seinen Kindeasinn und seine Neigung-
bietet
Fftr die zweite Stufe des eisten Lebensali^rs, bis über das
• vierzehnte, fttnfrehnte Leben^ahr hinaus, eignet sich das Leben der
Eleiiistadt mit seinen Handwerksstaben und seinen einfudieren Ver-
hältnissen besonders für Knabenendehung. In diesem Alter weisen
BlUiigkeit und Neigung auf die Richtung hin, in welcher sich der
Leben.'^gang bewegen wird; es drängt zu der Entscheidung, ob der
Knabe im Kreise der Wissenschalten oder einer handwerksmäfiigen
Beschäftigung Befriedigung und Vollendung finden wird. Entweder
bleibt er hierauf ganz dem Werkstattleben, in welches er durch Arbeit
seiner Hände eingef&hrt, oder er folgt dem Drange nach weiterer
wissenschaftlicher Ausbildung: und auf dieser letzten, höchsten Stufe,
der Hochschnlbildung, die zum Abschluss bringen und auf eigne FOBe
stdlen soll, muss er so weit gefestigt sein, dass ihm das Grofistadtr
leben nicht mehr schaden kann. Geistig und sittlich wolgegrOndet,
empfingt er jetzt die Ffille der Anregungen als eine Erweiterung
semes Verständnisses. Nunmehr kann er alle Verhältnisse und BUdnngs-
mittel in anderer Weise auffossen], verwerten und aneignen; jetzt mag
er anch den Kamp4>latz Übersehen lernen, auf welchem er sich später
selbst versuchen soll; denn »das Leben bildet den Mann und wenig
bedeuten die Worte". Jetzt gibt der Kreis, m welchen er tritt, seiner
bisherigen Bildung Ergänzung und Vertiefhng und erweist sich darum
als naturgemäße Fortsetzung seiner vorangegangenen Entwicklung.
So gestaltet wäre die Erziehung ei-st naturgemäß, während sie
jetzt in der Großstadt der Natur zuwiderläuft, da Schule und Leben
im Widerspruch stehen; denn sobald der Knabe die Schnlstnbe ver-
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lassen hat, findet er Überall das zerstreuendste Leben sich abspielen,
was einen Zwiespalt in seine Seele bringen miiss.
Die praktischen Engländer sind uns auch liierin lange voraus.
Johanna Schopenhauer schreibt in einem Reisewerke über Enj^land
und Schottland: ,,Döifer und Flecken rings um London wimmeln von
Erziehungsanstalten, die alle gedeihen, da fast niemand seine Kinder
zu Hause erzieht. Sowie, Knaben und Mädclien aus dei- Kinderstube
kommen, werden sie in jene P^rziehungsanstalten gegeben, und erst nach
vollendeter Erzieliung kehren sie, fast erwachsen, ins väterliche Haus
zurück." Das ist der Weg, den für die Großstadt unserer Zeit der
Staat betreten nniss, wenn unsere Jugend nicht an Geist und Körper
Schaden leiden soll. Die Großstadtatmosphäre bietet keine Jicbens-
.luft für jugendliche Seelen: sie tiidtet wie ein Giftliauch ihre zarten
Keime, vernichtet wie ein Frülilingsreif die besten Triebe, und was
man liierin sündigt an der Jugend, wird sich einst unausbleiblich
rächen. Wir als Erzieher wollen dessen eingedenk sein, dass uns die
Pflicht obliegt, auf Gefahren, welche das Erziehungswerk bedrohen,
hinzuweisen. Unsere Aufgabe ist es, darauf liinzuarbeiten, dass ein
Geschlecht aufwachse kernhaft und stark, gesund und unverdorben
bis ins Mark. So dienen wir dem Vaterland am besten. Denn in
der Kraft und Unverdorbeuheit der Jugend ruht die Macht und Größe
eines Landes.
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Die Bedeutung Schillers für die Jagend.
Älag auch dai'über gestritten werden, wer der j^rößere Dichter
sei, Goethe oder Scliiller, mag aueli Goetlie in seiner natürlichen
dicliterisclien Begabung und in der Universalität seines 'i alentes nidit
von Scliiller erreicht werden, so steht doch Schiller dem Herzen des
deutschen Volkes nicht minder nahe als Goethe. Und der Jugend
steht er näher; er ist der Lieblingsdichter der Jugend. „Die Be-
merkung, dass Leser bis zu ihrem 25. Jahre gewöhnlich Schiller, aber
nach dem 25. Jährte Goethe den Vorzug geben, ist eine vielleicht
ziemlich unparteiische Beleuchtung der Frage über die Vortretllichkeit
der beiden Dichter," meint ein Kritiker. Für uns ist dieselbe eine
Bestätigung unserer Behau[ttung.
Während Goethe schon an der Wiege das Glück zugelächelt hat,
seine Ivindheit dem Schmetterlinge gleicht, der von Blume zu Blume
flattert, wuchs Schiller, wenn auch nicht unter geradezu ärndichcn, so
doch bescheidenen Verhältnissen auf. Goethe umgibt l'berfluss und
Wolhabenheit, mannigfache Belehrung und Anregung, so da.ss der auf-
strebende Dichtergeist nach allen Seiten frei entwickeln kann;
Schillers Jugend verfließt in fast gänzlicher Abgeschlo.ssenheit vom
Leben, der Entfaltung seiner Muse stellen sich drückender Zwang
und eine tyrannisclie Schuldisciplin entgegen. Die Befriedigung seines
Dichtertriebes erkaufte Scliiller durch die mit \1elen Gefahren ver-
knüpfte Flucht aus dem Eltemhause und die Uiigewissheit einer
ärmlichen Existenz. Und als die endliche Anerkennung ihm ein freies
dichterisches Schaffen ermöglichte, war der schwächliche, von Krank-
heiten und Strapazen heimgesnchte EOrper nicht mehr imstande, der
verzehrenden Sinwkang anstrengender Arbeit zu widerstehen. Schiller
ist in gewissem Sinne ein Härtyier seiner Ideen geworden, ein Opfer
auf dem AHai« des Genius. In sefaian frOhen Tode gleidit er dem
Krieger, der mitten im Leben im Angesichte einer glfickyerheifienden
Znknnft den Tod des Helden stirbt
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— 30 —
Wenn die abenteuerlichen Jugendschicksale und die alle Fesseln
sprenS^de Begeistei'ung Schillei* die Herzen der Jugend im Fluge zu
erobern geeignet sind, kann er in der unermüdlichen Verfolgung des
einmal erkannten Zieles und in dem Adel seiner Persönlichkeit als
ihr Muster hing&stellt werden.
Unter den fortwährenden Bedrängnissen und Widerwärtigkeiten
würde ein gewöhnlicher Geist endlich seine Iiöheren Bestrebungen
aufgegeben und nur noch zuweilen einen sehnsüchtigen Blick auf die
Träume seiner Jugend zurückgewoifen liaben. Schillers energischer
Geist aber wurde durch sein widriges Geschick nur noch mehr ge-
stählt und gewann nm so mehr Spannkraft. Die riesige Kraft, mit
welcher er seine Ketten sprengfte, zeigt sich in dem Erstlingsdrama:
„Die Räuber." — Wenn von berufener Seite öfter die Äußening gethan
wurde, Goethe sei ein gebomer, Schiller ein gemachter Dichter, so
kann ihm die Anerkennung nicht vei-sagt bleiben, dass er sich selbst
zu dem gemacht hat, was er war; seine dichterische Vollkommenheit
ist vielfacli das Werk seines ernsten Ringens und Strebens. Von der
Größe seiner Selbstausbildun^: legen seine si)äteren Dramen Zeup:nis
ab, welche durcli ihre classische Glätte und Durchbildunfr voinehm
von den Producten seiner Sturm- und Drancrperiude abstechen.
In gleichem Maße, wie Schiller den Fortscliritt in seinen poetischen
Leistungen seinem ener^rischen und beharrlichen Streben dankte, legte
er mit Entschiedenheit Hand an die Vervollkoinninunt^ seines mora-
lischen Menschen, und wir müssen izestehen, dass er durch sein unab-
lässiges Ringen das, was er erstirhte, in einem eigenthümlich hohen
Grade erreicht hat. Ks ist bemerkenswert, dass Heine, wenn auch
nicht ohne Verleiif^nun«: seiner Ironie, Schiller „den edelsten, aber
nicht den größten Dichter Deutschlands" nennt. So stürmisch und
bewehrt die Jugend Schillers war, nicht blos in den äußeren Lebens-
.^chicksalen, sondern aucli durch stetige inneie Käiiijife, so ruhig und
klar tloss sein späteres Alter dahin. Wir können von ihm saf,'en,
dass er in seinem Herzen vr»llige Befriedigung genuss durch die liar-
monische Übereinstimmung seines inneren nnd äußeren Lebens, durch
die Cougrueuz seiner Anschauungen mit seinem Handeln. Bei ihm
finden wir nichts von der Frivolität eines Heine, von der Haltlosig-
keit eines Bürger, von dem hin und her wankenden Skepticismus und
dem linsteren Pessimismus Lenau's.
Seine Kratt in sittlicher Bezieliung ruhte aber in der Begeiste-
rung für die Aufgabe, die er sich gesetzt, in der rückhaltloseu Hin-
gabc au seinen Dichterberuf. Er ist oft ein Priester am Altare der
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Gottheit geiuHiiit worden, und er ist es in Wahrheit. Keiner konnte
mehr yon der hohen Bestimmung des Künstlers, was ja in gewissem
Sinne auch der Dichter ist, dorchdrangen sein wie er. Prophetisch
klingen seine Worte: „Der Menschheit Wfirde ist in enre Hand ge-
geben, bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit ench wird sie sich
hohen!" Schillers Welt war fast ausschließlich eine innere, nicht die
der WiikUchkeit, sondern die der Ideale. Äußeren Zerstreuungen und
Erholungen in geselligem Kreise war er zwar nicht abgeneigt, aber
er suchte sie auch nicht; selbst freundschaftliche Genüsse standen
ihm weit unter dem Glücke, welches ihm in reichstem Maße aus dem
Borne der Poesie quoll. Der Besitz irdischer Glücksgüter war ihm
versagt; sein Gedicht: „Die Theilung der Erde" findet auf ihn selbst
volle Anwendung; er hat aber auch wie kein anderer von der dem
Dichter gewälirten Erlaubnis Gebrauch gemacht: „Willst du in meinem
Himmel mit mir leben, er soll, so oft du kommst, dir offen sein", und
in der Gemeinschaft der Seligen seines Dichter-Olymps kümmerte ihn
die Armseligkeit seiner Erdenlage wenig. Selbst die Schwäche und
Hinfälligkeit seines Körpei'S konnte ihn nicht an der Ausübung des
Dichterberufes hindern; sein ideales Streben watfnete ihn mit einem
wunderbaren Starkmuth in seiner Kranklieit. Ehre oder Ruhm er-
strebte Schiller nicht; wir finden bei ihm keine Spur von Eitelkeit,
kaum von berechtigtem Stolze. Noch viel weniger buhlte er um die
Gunst der Menge: „Kannst du nicht allen gefallen durch dfine That
und dein Kunstwerk, niacli es wenigen reclit; \ielen gefallen ist
^jclilimm." Wie in Ansehung seiner selbst dient er aucli in Berührung
mit seineu diclitenden Zeitgenossen nur der Sache; der Kampf, den
er gegen die zu seiner Zeit herrschende Niedrigkeit der gemeinen
Literatur fülu'te, wurde ihm eingegeben von der Verehrung l'iir die
Kunst; er war gegen die Sache und niclit liegen die Person gericlitet.
Das letztei'e gilt auch von der oft gerügten Kritik über Büi'ger's
Gedichte.
Die Eigensclialt, welche wir an dem Mensclien Schiller nicht am
wenigsten schätzen müssen, ist seine Wahrheitüliebe und .seine Un-
imrteilichkeit. Er war frei von gehässiger Tendenz. Wo die Natur
der Dinge eine Stellungnaiiuie erheischte, legte er seine Ansicht ruhig
und oüen dar, nur um der Walirheit die Ehre zu geben.
Wir müssen unsiie kurze Betrachtung über die Persönlichkeit
Schillers schließen; sind aber überzeugt, dass der Dichter als Menscli
bei einer eingehenderen Untersucliuiig stets gewinnen wird. Dem
Meuächen Schillei- gebüi't nicht blos die Hochachtung eines jedeu
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sondern er ist ein Charakter, der durcli wahre Gröfie zu allen Zeiten
hervorragen wii'd, an dem sich jung nnd alt, namentlich aber die
deutsclie Jugend erbauen nnd emporranken kann.
Die Hauptbedeutung Schillers, auch für die Jugend, liegt in seinen
Werken. Als Mensch lebte und wirkte Schiller nur eine kurze fieihe
von Jahren in einem engen Kreise; nur dieser stand unter der un-
mittelbaren Einwirkung seiner edlen Pei*sönlichkeit. Aber ewig und
für alle redet sein Dichtergeist aus seinen Werken. Was Großes und
Erhabenes in diesem Geiste gewohnt, die Summe seines geistigen
Lebens hat er uns in denselben hinterlassen; in ihnen ruhen unver-
gängliche Schätze. ..Körper und Stimme leilit die Schritt dem stummen
Gedanken; durch der Jahrhunderte iStrom trägt ihn das redende
Blatt." (Spazieigang.)
All .sein Dichten ist bei Schiller der Ausdinick und Spiegel seines
edlen Geistes. Vor allem legen seine Schriften Zeugnis ab von der
tief-erasten Auffassung seiner dichterischen Aufgabe. Das lässt sich
ebensowol aus der Wahl als aus der Behandlung der von ihm be-
arbeiteten Stoffe erkennen. Er widmete sein Talent nur würdigen
Stoffen; zu poetischen Spielereien verschwendete er seine Kraft nicht,
den Leser blos zu unterhalten, verschmähte er. Wie sehr er sclavische
Nachahmung hasste, beweisen seine Vei*se „An Goethe", als er den
Mahomet von Voltaire auf die Bühne brachte.
„Einheiin'schcr Kunst ist dieser 8chaiiitlatz eigen,
liier wird nicht fremden (ii3tzcn mehr gedient;
Wir küQiicn niuUxig einen Lorbeer zeigen,
Der auf dem dentscben PindiiB selbst gegfrBnt."
In allen früheren Schriften Schillei*s, ja mehr oder weniger in
seinen ganzen Werken tritt ein angeborner aristokratischer Wider-
wille gegen alles Gewöhnliche zutage. Dass indes auch die kleinste
und geringfügigste Erscheinung der Natur, besonders der lebenden,
ein Urbild des un.sichtbaren Geistes ist, der sich in der Natur thätig
zeigt, erkannte Schiller wol, und seine späteren Gedichte und Dramen
beweisen, dass seine unermüdlichen Bestrebungen, diesen Mangel seines
'I'aleutes zu eigänzen, mit Erfolg gekrönt waren. Wenn auch die
Erstlinge der Schillerschen Muse Ungeheuerlichkeiten und Maßlosig-
keiten aufweisen und nicht frei sind von anstößigen und zweideutigen
Stellen, so verleugnet sich doch auch in diesen Erzeugnissen nicht die
hohe sittliche Idee. In seinen späteren Werken sind die angedeuteten
Fehler fast gänzlich vermieden. So gleicht Schiller dem brausenden
Gebirgsbache, dessen ungestüme Fluten von Sand und OeröU getrübt
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— 33 —
sind, der aber bald, nachdem seine geklärten Wasser die Ebene er-
reicht haben, das Licht der Sonne wiederspiegelt und ^e^eji und
Freude verbreitet. — Schillers Werke besitzen fast durchgängig den
Vorzug gittlicher Reinheit, der für einen jugendlichen Leserkreis nicht
gering angeschlagen werden muss. Soweit dieselben inbetreff des
Verständnisses keine Schwierigkeiten bereiten, dürfen die meisten
seiner Gedichte und Dramen der gereifteren Jugend ohne Bedenken
in die Hand gegeben weiden.
Ebenso sehr als wegen der sittlich leinen Darstellung sind die
Schriften Schillers durch ihren Reichtlium au sittlichen . wahrhaft
großen Ideen fm- die Jugend bedeutungsvoll. Was der Dichter in der
Vorrede zu seinem Schauspiele ..Die Räuber" sagt: ,.Tch darf meiner
Schrift mit Hecht einen l'latz unter den moralischen Büchern ver-
sprechen; das Toaster nimmt den Ausofanji: . der seiner würdig ist-
Der Verirrte tritt wieder in das Geleise der Gesetze. Die Tuf^end
geht siegend davon", diese Erwartimg durfte er fast ohne Ausnahme
von allem hegen, was er geschrieben. Er hat sein Talent in den
Dienst der Sittlichkeit gestellt, und wir fühlen uns ermächtigt, ihn
mit vollstem Kcchte einen moralisclien Dichter zu nennen. Scliiller
fand die Gesetze der Sittlichkeit und der Kunst wol vereinbar, nicht,
dass er sich wie Heine zur zwi ift lhaften Ehrenrettung einer wanken-
den Moral ilas Zeugnis ausstellen musste: „seine ästhetische Anlage
scheine von Natur aus stärker entwickelt zu sein als der Drang nach
Wahrheit". Bei tieferer Kenntnis der Persönlichkeit Schillers finden
wir es erklärlich, dass der lehrende Charakter in seineu Dichtungen
vorherrscht. Gleichwol ist er nicht im mindesten Tendenzdichter, und
niemals sinkt er zu der Trivialität und der Alltagspoesie mancher
Dichter früherer und neuerer Zeit herab. Sein Reich liegt weit über
der Sphäie des gewöhnlichen Lebens.
Im Hohen und Erhabenen gipfelte .seine Kraft; hierin ist er viel-
leicht mehr Meister als irgend ein anderer Dichter.
Es würde uns zu weit fuhren, auf die einzelnen Erzeugnisse der
Schillerschen Muse näher einzugehen und ihren Wert und ihre Ver-
wendung für die verschiedenen Stufen des Jugendalters zu besprechen.
Wir müssen nns vielmehr darauf beschränken, in einem allgemeinen
ÜberblidLe die Verdienste des Diditers naeh den drei Bichtangen der
Poesie, der lyrischen, epischen und dramatischen Dichtung, zu be-
leuchten.
Da Schiller als Lyriker nur eine nntergeordnete Stellung ein-
nimmt nnd seine lyrischen Versuche mit wenigen Ausnahmen als die
Padagogiiim. M. Jik«. n«ftX. 3
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— 84 —
schwächsten Leistiingeu seiner Muse aug^eseheu werden iiiiissen, können
wir dieselben füglich überg-ehen, um uns mit dem Epiker und iJrama-
tiker Schiller zu beschäftigen. — Wenngleicli Scliillers Dichtergeist
sich auf dem Gebiete des Dramas zu der höclisten Stufe künstlerisclier
Vollendung emi)ürgeschwungen hat, ruht seine Bedeutung für die
Jugend ebenso sehr in seinen epischen Leistungen, in seinen Balladen.
Schon der Umstand, dass viele der letzteren in den Lesebücliern fiü'
höhere und niedere Schulen fast allgemeine Aufnahme gefunden haben,
ist ein Beweis für die Würdigung ihres ei*ziehlichen und sprachlichen
Wertes. Noch beredter aber spricht ihre Verbreitung in hohen und
niederen Volksschichten tlir ihre Beliebtlieit. Wir wiederholen nur,
was unsere Litei-arhistoriker langst übereinstimmend anerkannt haben,
wenn wir sagen, dass Balladen, wie der Taucher, der Graf von Habs-
burg, der Kampf mit dem Drachen", der Alpenjäger, die Bürgschaft,
der Ring des Polykrates, die Kraniche des Ibykus, zu dem Vortreflf-
lichsten gehören, was die deutsche Literatur auf diesem Gebiet« her-
Torgebracht liat Schiller ist durch seine Balladen in gewissem Sinne
ein Tolksdichter geworden, obwol dieedben nidit eigentlich auf die
Beseichnung: „volksthfimlich" Anspruch erheben können. Ihn selber
trifft dabei niäit der Vorwurf; den er gegen Bflifger schleuderte: „er
vermische sich nicht selten mit dem Volk, zu dem er sich nur herab-
lassen sollte**. "Er bleibt der „milde, sich immer gleiche, immer helle,
männliche Geist» der, eingeweiht in die Mysterien des SchOnen, Edlen
und Wahren, zu dem Volke bildend herniedersteigt". Der Zauber,
welcher d^ Balladen Eingang yerschafft hat bei vornehm und gering,
bei alt und jung, liegt nicht weniger in der Eigenart der Stoffe, als
in der ^genen Bearbeitung. Nicht zum geringsten aber ist es der
sittliche Gehslt, die Verherrlichung echt deutscher Tugenden, erhabener
sittlicher Ideen, wodurch diese Kunstwerke zum nationalen Eigenthum
geworden sind. In dem Gedichte „Der Kampf mit dem Drachen**
liefert der Dichter eine begeisterte Verherrlichung des ritterlich-
dmtschen Heldenmuthes, der sich allein an der edlen Liebe zur
Menschheit entzündet und in hoher Selbstverleugnung sich nicht nur
jeglichen Anspruches auf Anerkennung begibt, sondern auch und in
bescheidenem Gehorsam den unverdienten Tadel willig hinnimmt; in
der „Bttrgschalt** hat er der alle Gefiduren und selbst die Schrecknisse
des Todes nicht achtenden Freundestrene das schönste Denkmal ge-
setzt; „der Graf von Habsburg** gibt ein rührendes Beispiel inniger
Frömmigkeit und demuthsvoUer Verehrung des Heiligen, eines kind-
lichen Glaubens an die göttliche Vorsehung. „Der Taucher" warnt
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— 36 —
in aatik-classischen Worten vor menschlicher Verniessenkeit und vor-
witzigem Eindringen in der Natur unerforschliche Geheimnisse; nicht
weniger ergreifend predigt ,.der Alpenjäger'* unter Benutzung heimat-
lichen Sagenstoffes Mitleid mit dem verfolgten, unter dem Schutze
freundlicher Geister stellender Thiere. „Der Ring des Polykrates"
mahnt au den Unbestand alles irdischen Glückes, in den „Kranichen
des Ibj'kus" ergreift aufs tiefste die unversöhnliche Rache der wachen-
den Nemesis. Auch viele andere, theils episclie, theils lyrisch-epische
Gedichte Schillei's gewähren eine reiche Ausbeute sittlich wertvoller
Gedanken, die der Jugend zum Verständnis gebracht werden können,
die wir aber hier wegen des gedrängten ßaumes unberücksichtigt
lassen müssen.
Die mannigftichen kostbaren Schätze zu heben, welche 8chillei*s
Dramen „Wilhelm Teil", „Maria Stuart", ..Die Jungfrau von Orleans",
„Wallenstein" auch in sittlicher Hiusicht bergen, bedüifte einer l)e-
sonderen Untersuchung. Die genannten Dramen eignen sich fast ihrem
ganzen Inhalte nach recht wol, wie andere im Auszuge, an der Hand
eines erfahrenen Lehrers für die Jugend nutzbar gemacht zu werden.
Dass der Dichter auch in seinen in aplioristischei- Vorm gegebenen
Sentenzen einen Platz in der Jugeudliteratur beanspruchen darf, wuUen
wir nur kurz erwähnen.
Das erotische Element überwiegt nicht in Schillers kleineren und
größeren Dichtungen; aber auch dort, wo es eine Berücksichtigung
erfahrt, ist das Auftreten desselben meist kein Gnind, der Jugend die
Lectüie seiner Werke vorzuenthalten, da der Dichter alles, was ein
zartes Gefühl beleidigen kann, soviel wie möglich vermeidet. Ohne
uns auf theologische Polemik einzulassen, glauben wir von der Reli-
giosität Schillers überzeugt sein zu dürfen, wie der Dichter ebenfalls
der Anerkennung sicher sein darf, niemals mit gehässiger Absicht
irgend welchem Bekenntnisse entgegengetreten zu sein, wol aber in
manchen seiner Dichtungen durch den innigen Ausdruck religiöser
Gefthle ans dem gläubigsten Gemftthe genug gethan zu haben.
Ein Biickblick anf die hegdstert-fromme Dfchter-PerBOnliehkeit
Schiliere und ein HinwelB auf unsere früheren Darlegungen wird die
AnfUimng fernerer Beweisstellen nnnCthig machen und nns erkennen
lassen, dass der geübte pädagogische Blick und ein (Ur das SehOne
aftener Sinn in dem poetischen Nachlasse des Dichtars eine reiche
Fundgnibe fttr die Geistes- nnd Gemflthsbildung unserer Jugend ent-
dedcen kann, für die Pflege des ^apathischen wie des Wahrheits-
geliUds, des rdigiösen wie Ästhetischen Sinnes.
3*
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Wenn avü- auf die ästhetisclie Bildunp: besonders autmerksam
raachen, welcher doch bei der Diclitkunst überhaupt der reichste An-
theil zutließt, so erblicken wir eine Berechtigung: dazu in der glühen-
den Begeisterung für alles Scliöne, von welcher namentlich Schiller
aufs lebhafteste erfasst war, und in dem geläuterten (iesclmiacke, der
ihn bei der Ausübung seiner Kunst leitete.
Was die sprachliche Bildung durch die Sclirilten Schillers betriflft,
so müssen wii-, ohne einen Tadel auf die schwungvolle, edle Sprache
des Dichters zu werfen, die Jugend vor den Versuchen, dieselbe in
den schriftlichen Arbeiten nachzuahmen, warnen. Solche Versuche
führen meist zu Unklarheiten und Überschwänglichkeiten des Ausdrucks,
weil die .lugend, auch die leifere, noch nicht zu dem erforderlichen
(irade geistiger und sprachlicher Kiaft gelangt i.st. Es gilt diese
Vorsicht ja auch nicht allein inbetreft" der Schillerschen Ausdrucks-
weisc, sondern mein" oder weniger der Erzeugnisse in gebundener
Kede überhaupt. Der Lehrer, welcher bei vorkonunenden Fehlern
seiner Schiüer Einkehr in sich selbst zu halten gewohnt ist, wii'd
jedoch wissen, dass die unzureichenden sprachlichen Erkläi'ungen bei
der Behandlung eines Gedichtes und die mangelhafte Vorbereitung
der Schülerarbeiten oft einen großen Theil der Schuld tragen an den *
soeben gerügten „Answüchsen'* des Stiles.
Bevor wir von Schiller Abschied nehmen, wollen wir versuchen,
ihm in einer Sache gerecht za werden, die ihm oft ttberschwänglicbes
Lob, aber ebenso oft ungerechte Yeiideinening seiner Verdienste
eingetragen hat nnd welche anch bei seiner Bedentong f fir die Jagend
sehr in die Wagschale fiUlt: wir denken an seinen IdeaUsmos. Es
ist bekannt, dass Schiller bd seinem Verweflen in den sonnigen
Dichterhohen sich um die Armseligkeit des irdischen Daseins wenig
kOmmerte nnd in seinem idealistischen Finge nicht selten die Wirk-
lidikelt ans dem Auge verlor. Wenn wir es noch nicht wflssten,
würden nns seine Werke daranf hinweisen, dnrch welche sidi diese
Charakterdgenthflmlichkeit wie ein rother Faden hindurchzieht Seine
idealistische Weltsnschanung zeigt sich in der Wahl des Stoffias, in
der Zeichnung der Personen, der Art der verkörperten Ideen nnd
sogar in der Sprache. Indem wir anerkennen, dass er im Ausdrucke
des Hohen und Idealen eine selten erreichte Kraft besaß, müssen wir
zugeben — was er auch selbst erkannte — dass ihm das Vermögen,
die Welt des Elehien und Gewöhnlichen dichterisch zu verschonen,
abging. Sein Bestreben, auch diesen Mangel abzulegen, zeigt sich am
glflcUichsten in dem Liede von der Glocke. Nur wenige seiner Er-
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Zeugnisse leiden an einem nngesnnden Idealisnuis, und wenn aneh
dieser Zug der Schillerselien Poesie als ein Mangel seines dichterischen
Talentes angesehen werden mnss, so thut er der Tollkommenheit des
einzelnen Productes doch nur selten Eintrag. Die Befürchtong, dass
die Jngend durch die Lectttre der Werke unseres Dichters zn einem
unwahren, ii1)ertnebenen IdeaUamus verleitet werde, können wir also
von der Hand weisen, um so eher, als es die Aufgabe der Scluile ist,
durch eine weise Auswahl des Lesestoifes dem angedeuteten Übel zu
begegnen, wie durch passende Q«istesbeschäftigung in anderen Lehr-
fächern ein Gegengewicht gegen verkehrte, einseitige Bildung zu
bieten.
Denjenigen aber, welchen es obliegt, die Jugend durch Einfiilirnng
in das Verständnis unserer Dichter zu veredeln, rufen wir die Worte
«Schillers zu:
.Dor >ren^ohheit Wflide itt in enie Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie siukt mit euclil Mit euch wird sie sich beben!"
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PMagogisehe Bundsehau.
ZeitstbüBieii«
[Hans nnd Schale.] Das Schalhans ist die ento Arena, in welcher
sich alle zn üben Laben, die später die Kämpfe ams Brot, die Schlachten
des Geistes, die Wettläufe nach den verschiedenen Zielen mitmachen müssen.
Der Haosschöler wird dem Volksschüler meist an theoretischem Wissen
fiberlegeiiseiii; aber er bleibt vnerfkhren, verweichlicht, ungescliickt, schüchtern,
und ihm fehlt jene (Gewandtheit ondKlIhnheity die man deh eben nnr Im Wett-
ringen aneig^iet. Allerdings, die Individualität and die ünverdorbenheit dea
Herzens kann bei dem Haasschüler leichter gewahrt bleiben, der Charakter
kann sich bei demselben rascher und entschiedoner entwickeln; aber trotzdem
ist einem Schüler, der seine materielle Zukunft sich selber gründen soll, mit
demEliDeliuiteiridit TerfaMtnigmaflig weniger gedient, als mit der MiBntlichen
Schule, in welcher er — freilich oft mit dem Opfer seiner Eiodliehkeit — die
Wege des Lebens fHihzeitig kennen lernt. Anßerdem ist der Einzelontenleht»
sowie überhaupt die Absonderung und enge Begrenzung für den Schüler eine
Quelle erwachender Selbstsuclit, wiilirend in der öffentlichen Schule einer fiir
alle und alle für einen stehen, die Eesultate des eiiuelueu allen zu Gute
kommen, und eo d«r Gelat derGemeineamkeit gewedtt wird. AUerdinga strebt
auch das Laster des einzelnen der Gemeinsamkeit zn, und manches secduh
oder sieben jiUirige Kind sitzt da in den Bänken, dessen Auge so nnschnldsvoU
zu blicken weil3 , in dessen Busen sich aber schon junge Schlangen bergen, die
es aus dem Drachenueste der duniden Heimstätte seiner verkommenen Eltern
mitgebracht hat. P. Ros egg er.
[Patriotismus.] Dasjenige Element des Patriotismns, das von der
Schale gepflegt werden kann, ist die bewnsste nnd willige Einfttgung des ein-
seinen in etne geordnete Oesunmtiielt; was darttber ist, ist Tom ubeL bi einer
Zeit, in der die Symptome des Byzantinismus täglich warnender hervortreten,
niüssto eine Behörde, welche das ünterrichtswesen leitet, von der Kiiisicht durch-
drungen sein, diUiS jeder Versuch, eine bestimmte t''berzeugnng unmittelbar her-
Toranbringen, schlaue und strebsame Köpfe zur Heuchelei, herzhafte Menschen
zn zornigem Widerstreben fttlirt nnd nnr in Schwächlingen einen vorfiber-
gehenden und wertlosen Erfolg erzielt
[Staatsreligion.] Gegenftber der TerknScherten, innerlich erstorbenen
Staatsreligion vertrat Jesus das Becht des Menschen auf ein persönliches
Verhältnis zu Gott, ohne Vermittelung der Kirche. Dafttr ist er denn von den
Häuptern nnd Beauftragten dieser Kirche umgebracht worden. Das Tragische
in seinem Schicksale ist nicht so sehr sein Tod, trotz all der unsinnigen Gran-
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Mmkeit, nit derPriesterthmn imdPVbel ihn nmgelMn haben, alt das was nach«
h«r kam, daas über seinem Grabe eine nene Kirche aufgerichtet worden iat»
deren Pharisäer und Schriftgelehrte wieder, wie einst die der Juden, in den
GotteshUusem and an den Straßenecken stehen und beten, um sich den Menschen
zn zeigen, wieder Gottes Gebot dahinten lassen und an der Überlieferung der
VenadMQ ÜBBtlMHeii, wieder sidi amnaOeo, daa Bdoh der Himmei tot den
Mensdien, die Umea nicht gehorchen wollen, ziusaaeUieSen. Anch aieaehmfloken
daa Grab dea Propheten und bauen dem Gerechten Denkmäler nnd aagen:
Wenn wir in den Tagen des Herodes und Kaiphaa gelebt hätten, wir hatten
uns nicht des Blutes des Heiligen schuldig gemacht, wie die Juden gethau haben.
Und doch ist hier kein Unterschied. Im Namen des Mannes, der für die Selbst-
Btiadigheit der reUgiSaen Übeneagmig gestorben war, hat man seitdem zahl-
lose Geister geknechtet nnd Leiber zn Tode gemartert. Und was ist aus seinor
Lehre geworden? Man sa^t, sie habe die "Welt überwunden ; man könnte ebenso-
gut sagen, sie sei von der Welt überwunden worden. Ilire kleinen Mängel
und Unklarheiten hat man zu dogmatischen Systemen ausgebaut, auf die man
•diwOrt, nm ddi dafBr von der Pflicht loammachen, daaa man ca mit aelnen
sittlichen Geboten ernst nehmen sollte. Keinen grSHeren Schaden gibt es
für die sittliche Bildung nnaeres GescUeditB, als dass wir von Jngend aof in
der Moral des Christenthnms nnterwie.sen nnd zugleich angeleitet werden Uli
einznbilden, das sei die Moral, die heute wirklich g^ilt.
Dr. Paul Cauer,
Staat nnd Erziehung, Kiel nnd Leipzig bei Lipetna A Tiaeher.
[Gebrechen der modernen Cultur.] Wir denken schneller und leben
achneUer, als nnsere Vorihhren ans der gnten alten Zeit. Bei der Sehwen der
Bemftarbeit — es wird heute anhaltender und energiacher gearbeitet ala je
nUTor— fehlt uns die Zeit, die Fülle der Erscheinungen zn fassen: die geistige
Vertiefong. das liebevolle Eingehen auf die geistigen Züge einer Individualität
wird uns immer schwerer gemacht. Seltener als früher gelangt der Gebildete
za. dem, waa nnaere Alten die Ausbildung einer harmonischen Persönlichkeit
nannten. Schlimmer sind die Wiricnngen der modernen Entwickelnng in den
tieferen Schichten der Gesellschaft. Heute dringt jeder Einfall eines verrttckten
Hirns, jede Schlechtigkeit nnd Verleumdung mit Leichtigkeit, trotz Censur und
Polizei, in weite Ivreise. Die Sorglosigkeit, mit der so manche Volksbeglücker
unbewiesene wissenschaftliche Hypothesen und fragw üidige Systeme in die Welt
Banden, iat eben so groA wie die Unfähigkeit der Masse, daa ihr Gebotene anf
aeln richtiges Mali anrOekanfllhren. So wftchst eine Sdiein- nnd Halbbildung
empor, die leichtfertig dber die verschiedensten Wissensgebiete schwfttzt nnd
mit dreistem Urtheil an die schwierigsten Fragen herantritt. Damit steht im
Zusammeuhang eine Erhitzung der Phantasie, die über die Schranken der Wirk-
lichkeit liinweghüpft und sich in ungemessene Zukunftsträume verliert. Wahn-
sinn nnd Verbrechen stehen in ilirem Gefolge.
[Grenzen der „exacten'' Wissenschaft.] Die Naturwissenschaft hat
sieh hinter die Grenzen dea der exaetenForsehnng Erreichbaren znrilekgeiogen
nnd ftbeiillaat den rein geistigen Mächten das ihnen gebürende Feld. Heute
versucht man nicht melir, wie Buckle, die naturwissenschaftliche Methode in
der Geschichte zur allgemeinen Geltang zn bringen und aus der Statistik die
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Gesetzmäßigkeit aller menschlichen Handlnngen zn beweisen, sondern man er-
kennt an, dass auf die geistige Kntwickcliinff der Moiischlieit Mächte höherer
Art einwirken — Kinder eines Beiches, das der Bestimmung doi-ch Maß und
Zahl ewiffTenehloMen ist Das innere Leben desEinxelweBenBy wie das ganser
Völker und im letzten Grnnde derUenBchheit schafft aus sich heraus mächtige,
seine ganze geistige Entwickelung regelnde Kräfte, Ideen ethischen, religiösen
und ästhetischen Charakters, die sich der wissenschaftlichen Zergliederung ent-
ziehen, nichtsdestoweniger aber durch ihre gewaltige Einwirkung aul' die Er-
scheinungen des Lebens ihre sehr greifbare Bealität offenbaren.
Ohlert, Die denteehe Sehnle (Hannover» Karl ICeyer).
Von der Nordsee. Die Bremer Lehrer haben kürzlich Gehaltszulagen
erhalten; nach dem neuen Gesetze stellen sich die Besoldungen folgendermaßen:
1. Hauptschule (Gymnasium). Direktor TüOO — 8Ü00 Mk.; Lehrer mit
akademischer Bildung 2500—6600 Hk., 4 Altersznlagen & 1000 Hli.;
seminaristisch gebildete Lehrer 2260---42d0 Uk., 4 Altersanlagen
k 50011k.
2. Realschule. Director 6000 — 7000 Mk.; akademisch gebildete Lelirer
2400—6000 Mk., 4 Alterszulagen ä 900 Mk.. seminaristisch gebildete
Lehrer 2000—4000 Mk., 4 Alterszulagen ä 500 Mk.
3. Seminar. Director 6000—7000 Mk.; Lehrer 2500—4500 Hk^
4 Alterszulagen 4 500 Mk.
4. Volksschulen in der Stadt. Oberlehrer 8500— 45(Hl Mk., 2 Alters-
zulagen ä 500 Mk.; Lehrer 1500— 30O0 Mk., 6 Alterszulagen ä 250 Mk.
5. Schulen des Landgebietes. Vorsteher 1 — Sclassiger ISchulen 150()
bis 3000 Mk., 6 Altersznlagen k 250 Mk.; Vorsteher 4— Sdassiger
Scholen 1800—3000 Mk., 6 Alterssolagen & 200 Uk.; Vorsteher 9 bis
12classiger Schulen 2100—3000 Mk., 6 Alterszulagen ä 150 Mk. (Die
Voi Steher haben freie Wohnung.) Ordentliche Lehrer 1500—3000 Mk.,
() Altersznlagen ii 250 Mk.
Sämmtliche Alterszulageu erfolgen von 3 zu 3 Jahren, 5 Jahre nach dem
Abgang vom Seminar erhalten die Lehrer 1500 Mk., das Maximum erreichen
sie etwa im 43. Leben^ahre. Die Anfbessernng ist fBr die Lehrer jedenfalls
eine wesentliche, das Maximum ist für die Lehrer der Stadt um 300 Mk. und
für die Landlehrer um 50<) Mk. erhüht, und früher erfolgten die Zulagen von
5 zu 5 Jahren. Ganz richtig ist es auch, dass man den Lehrern auf dem
Lande dieselben Gehaltssätze zahlt wie den Lehrern in der Stadt, haben sie
doch gleiche Pflichten, nnd die OrtUchea VerhUtnisse in den DOrftni, welche
der Stadt ja alle sehr nahe liegen, sind derart, dass man auf dem Lande nicht
billiger leben kann als in Bremen.
Im evangelischen Theile des Herzogthums Oldenburg wird neuerdino^.s die
Frage der Schulaufsicht vielfach erörtert; nicht nur das Schulblatt bringt
Artikel ftber die SchnladUeht, noch die Tagesbiatter besprechen den Gegenstand.
Im Herbste des vergangenen Jahres beantragten einige Frediger bei ihren
Amtsbr&dem, die Localschulaufsicht niederzniegen. Es wurde eine Versammlung
abgehalten, die Antragsteller Viliebeii jedoeh, wio zu erwarten war, in der Minder-
heit. Auf der letzten Lande.'^-Lehrcrversaniiiiluiig, die am Tage nach Pfingsten
in Delmenhorst tagte, hielt Lehrer Grape- Lehmden einen Vortrag über
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die SchalanfBicht. Der Referent verlangte Aufsicht durch Fachmänner, er ver-
warf die Localschnlinspection durch die Geistlichen und verlangte, dass die
Inspectoren aus den Reihen der Volksschullehrer genommen würden. Er be-
tonte, es sei nur daun gerechtfertigt, einem Stande Vorgesetzte aus einem anderen
Berufe zu geben, wenn die Fachmänner nicht die nöthige Befähigung hätten,
woin aUo andere B«raJhkrei8e tttditigitte Leute für dies Amt stellen kSimteiL
Die QdstUchen könnten aber nicht den Lehrern mit Bath und That zur Hand
gehen, wollte ein Lehrer sich einen jruft n Kath holen, dann dürfe er sich nicht
an den Localschulinspector wenden. Die Anträge des Eeferenteu wurden von
der Versammlang einstimmig angenommen.
Die Lehrer hatten ihre Stellung kundgegeben, nnd die Antwort hat nicht
laage auf sich warten lassen. Der General-Ftedigenrerein bsspnwh bald nach-
her in einer Versammlnng auch die Frage der Localschnlaafsicht. Auch hier
waren noch etliche Stimmen datur, dass die Geistlichen die Localschnlanfsicht
aufgeben müssten. Diese Herren glaubten freilich nicht, dass den Geistlichen
die Fähigkeit abginge, eine wirklich segensreiche Aufsicht zu führen, nein, die
Hieirai haben ja Theologie stndirt nnd deswegen — sind sie geborene Sdnl«
inspectoren — sie haben nur nicht die nSthige Zeit.
Der General-Prediererverein fasste mit f^^roßer Majorität den Beschluss, nicht
auf die Localschnlaufsiciit zu verzichten. Er veröffentlichte folgende Resolution:
„In Erwägaug: aj daäs die Beseitigung der Localschnlaufsiciit als solche
eine grole Gefkhr für unsere Volksschale nnd ihre Lehrer (!!) sein würde,
b) dass die Geistlichen nidit nur an den meisten Orten die einzigen ICänner
flind, die befShigt sind, die Localschnlinspection auszuüben, sondern dass die«
selben auch, soweit wir cliri.stliche Schulen haben, dazu ^anz besonders berufen
sind, erklärt der General-Predi^erverein es für geboten, tlen be.stehenden Zustand
aufrecht zu erhalten und daiür zu wirken, dass in der Ausbildung der Geist-
Uehen die Ar dieAusfibnng der Schnlaufticht wünschenswerte Ergän zung eintritt"
Wir Lehrer haben natürlich kein anderes Votum erwartet, doch die Fas-
sung der Resolution erreprt vielfach Heiterkeit. Erst sind die Geistlichen an
den meisten Orten die einzigen Männer, ,,die befilhisrt sind, die Localßchul-
inspection auszuüben", und dann wollen sie dafür wirken, „dass in der Ans-
bildnng der Geistlichen die ffir die Aasübung der Schulaufsicht wOnschenswerte
Ergänzung eintritt" ! Die Herren widerspredien sieh ja selbst; aber iMieh,
flhig sind sie, denn sie haben ja das Amt, und ,,w em Gott ein Amt gibt, dem
gibt er auch den Ve rstand!" Ks ist schade, dass der betreffende Referent nicht
seine Arbeit, in welcher er obige Resolution be^rrUndet hat, ver!5ffentlichte, wir
würden dann auch jedenfalls erfahren haben, warum die Aufhebung der Local-
schnlaafticht dne grofleGefikhr fHr die Volksschnle nnd ihre Lehrer seinwfirde.
Warom ftthrt man nicht fBr die höheren Schalen eine LocalsehnlanfUcht .ein?
Esmttsste dies doch auch für diese Schulen ein großer Segen sein, wenn die
Aufhebung: der Localschnlanfsicht eine Gefahr ist. Und warom hat wohl der
Geistliche keinen Localaufseher?
Bezüglich der wünschenswerten Ergänzung in der Ausbildung der Geist-
Uehai macht der „Kirehliehe Anzeiger" folgende Vorschläge: „Von Jedem theo-
logischen Gandidaten ist der Nachweis zu fordern, dass er ein CoUeg über die
HauptgTundsätze der Pädagogik und über ihre Geschichte mit Erfolg g-eli">rt
hat. Jeder Uieologische Caudidat hat zwischen dem ersten und zweiten Examen
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einen Cnnns von (0 ^ Oldenbnrger Seminar durchsimiadien unter
Leitung des Seminardirectors nnd der Seminarlehrer zur Einltthnuig in did
Methodik des Unterrichts mit praktischen Übungen."
Gewiss, die Herren nehmen die Saclie sehr ernst, in anderen Staaten
6 Wochen, in Oldenburg volle 13 Wochen. Wenn diese Yonchlilge ent «u-
gtftthrt tiiid, dann kaim doch kein Lehrer mehr den Ruf erheben: Fort mit
der Localschnlanfsicht durch die Geistlichen!
Doch die Herren Geistlichen niii^en sich noch so selir sträuben, die Local-
schulaufsicht wird ihren Händen doch entwunden, nnd » s wird schließlich auch
bei ans dahin kommen, dass die Vorgesetzten der Lehrer aus uiisereu Reihen
entDommea werden!
Die kafholisehen OoUegen nnseree Landet seheinen sich jedoch unter dem
Emmmstabe sehr wol sn beflndea, sie wollen an den bestehenden VerlüÜtnisseE
nicht rütteln.
Der Pestalozziverein — Verein zur Unterstützung von Lehrerwitwen und
Waisen — konnte im Jahre 1890 4897 Mk. vertheilen. An Gescheuken nnd
ans Vertrtgen mit VersichemogsgeseUschaftea erhielt der Verein 4910 Ifk.,
der Lehrerverein überwies der Pestalozzicasse im Jahre 1890 3000 Mk. und
für 1891 2500 Mk. Der Pestalozziverein besteht jetzt 27 Jahre, er hat
im Laufe dieser Jahre 51 TUT Mk. an Unterstützungen vertheilen können und
31733 Mk. Capital angesammelt. Diese Zahlen beweisen, dass die Lehrer
GroBee erreichen können, wenn sie nur einig sind. Auch der Lehrerverein kann
mit ZoMedenheit anf das letate Jahr sorlickbUcken, die Zahl der Hitglieder
ist um etwas gestiegen nnd iinr einzelne evangelische CoUegen stehen noch
abseits. Besonders freut es uns, dass die gesanunten Lehrer nnseres Seminars
Mitglieder des Lehrervereins sind.
B. Vom deutschen Ostseestrande. Am 3. Angust a. c. hatten sieh im
Landeshause in Danzig die Mitglieder des XXIL anthropologischen Con-
gresses versammelt. Die anwesenden Gelehrten wurden durch den Oberpräsi-
denten, Exmininister von Gossler freundlichst begrUi)t, worauf Herr Geheimrath
Professor Dr. Vir che w im Namen der anwesenden GSste henUohst dankte
und den VorsltB flbenahm. Besondere Anerkennung lieft Dr. Virehow in
seinw Einleitnngsrede der wissenschaftlichen Gruppirung desDirector Dr. Con«
wentz im westprenßischen Provinzial-Muscnm zntheil werden. Nach der Er-
stattung eines ausführlichen ("asst nberichtes wurde Ulm zum nächstjährigen
Congressort gewählt. Znm Vorsitzenden der Gesellschaft wurde Herr Professor
H01der-Stattgart nnd sa dessen StellTertretem die Heirea Professoren
Virckow nnd Waldeyer-Berlin ernannt
Am zweiten Sitzungstage sprach zunächst Herr Professor Jentsch-
Königsberg über die geologischen Veiliältnisse Westpreußens, darauf hielt
Herr Professor Montelins-Stockholm einen Vortrag über die Chronologie
der jüngeren Steinzeit in Skandinavien. Mau kann drei Perioden unterscheiden,
die Zeit ohne Orftber, die Zeit der Gang> nnd Stelnkistengrftber nnd die Zeit
der Hfinengrttber mit aufgetragenen Httgeln. Es folgte dann ein Vortrag des
Herrn Stadtrath Helm-Danzig über die chemische Zusammensetzung der
westpreußischen Bronzen. Hieran knüpfte I>i'. Mrchow einige Bemerkungen
über kaukasische und transkaukasische Alter thumer und über die Siemeuü'schen
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Kupferbergwerke im Eankasn«. Naeh einer Pause begann die anatomlsdie
Sitznng. Professor Waldeyer-Berlin zeigte die sogenannte Beil'scbe TafeL
und die Syloi'sche Furche des Gibbon und spracli über dieselben Bildungen bei
den übrigen menschenälinlichen Affen. Sodann stollte Herr Dr. Lissauer-
Danzig einen Fall von erblicber Zwerghaftigkeit vor. £iue lebhafte Diskua-
sion knüpfte sich an den Fall.
Abb dritten SitaimgBtage dee Coogreaiea entwickelten sieh lebhafte Er-
örternngen über die Schädelbildungen. Es betheiligten sich hieran besonders
Professor Ealil-Graz, Professor Dr. Banke-Mttnchen, Dr. Mies-Berlin,
Professor Szoiubathy-Wicn und Virchow. Dr. Mies zeie-te ein nenes Ver-
fahren zu Schädelmessungen. Über einen archäologischen Fund, eine Bronze-
Situla, geflmden bei Oottweig in Nieder^sterreieb, berichtet Herr Dr. Siom-
batby-Wien. Wena. knt^ten sidi ErOrterangen Aber die Herowinger-Flbel
von Sanitfttsrath Dr. Grempler-Breslau. Nach einer Erholungspanse Icigte
Herr Marinearzt Dr. Baschan-Kiel eine Sameneammlang priUnstorischer
Pflanzen vor, deren Zahl jetzt 120 beträgt. Hierauf sprach Herr Professor
Dr. Dorr-Elbing über die zahlreichen Umenfunde und Steinkistengräber
seiner Gegend. Diese Grtber bergen manche Sehmnckgegenstande, welche aUe
beweisen, dass die dortigen Völker mit den Griedien und Römern schon vor
christlidier Zeit in lebhaftem Handelsverkehr gestanden haben. Auch eine
Bronzeniüüze von Hiero II. von Syrakus befindet sich seit 6 Jaln en im Besitze
des Alterthumsvereins in Elbing. Zum Schlüsse folgten noch Keterate von Dr.
Liasaner-Danzig über den Formenkreis der slaviscben Schläfenringe, von
Dr. Dayids-Insterbnrg Aber die orientaUachoi Quellen nnd von Rechts-
anwalt Kleinschmidt-Insterbnrg Aber ostpreußische Schulzenstöcke. Herr
Professor Waldeyer schloss die Sitzunj^en nm 4 Uhr mit Dankesworten an
alle Personen nnd Vereine, welche zu dem guten Verlaufe des 22. Congresses
beigetragen haben. Am folgenden Tage wurden das Kloster Oliva, der Carls-
bergi die Flotte bei Zoppot, die Landzunge Heia besucht» nnd in den linlgendea
Tagoi auch der Marienburg, den Steinldstengrftbeni in der DVrbecker Schweis
nnd bei Lenzen Oerels Elbin^) nnd dem Alterthums-Mnsenm „Prussia'* in
Königsberg- ein Besuch gemacht. Die fremden nnd zum Tlieil recht weit ge-
reisten Giiste rechneten Femsichten über bew aldete Hügel und das naheliegende
Meer, wie vom Cai-lsberge bei Danzig und von Lenzen bei Elbing, zu den
sehOnsten in Europa. Alle kehrtm yoU befriedigt Ton den wissenscbaftlichea
nnd Natnigenfissen in ihre fleimat nnriick.
Von der Weichsel. Bericht über die X. Westpreußische
ProTinslal-Lehrerversammlnng in Dt. Krone vom 29. bis 31. Jnlt
Das vorige Jahr war fBr die Lehrenrereine insofern von hoher Bedeutung,
als es CWogenheit gab, die Wiederkehr des 100jährigen Geburtstages Adolf
Diesterwegs zu feiern. Die Erfolg-e des „Diesterweg-Jahres" sind höclist er-
freulich. Der deutsche Lehrerverein ist seinem Ziele, alle deut.sclieii Lehrer zur
zielbewussten Vertretung der lutereüseu der .Schule und des Standes zu vereinigen,
erheblich nfther gttAckt. Die Zahl seiner Hitglieder stieg von 38912 anf
44141. Schon im Jahre zuvor fand eine Vermehmng der Mitglieder um 6907
statt und zwar wesentlich dnrch den Eintritt g:anzer Landesvereine, wie
Württemberg, Gotha, Waldeck u. a. Im Jahre 1890 erfolgte zwar kein Bei-
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tritt dnes ganaeit VerlModet, daflr war alwr das innere Wachstlitiiii vm to
stärker. Die Vennehrang der Mitgliederzahl om 5229 entfällt fast ansschließ-
lioh anf die Lehrorverbliude in den Provinzen Preußens. So stieg dieselbe
in üstpreuüen uni iiUO auf 2500. in Sachsen um 79Ü auf 3883, in derRliein-
provinz um 622 auf 2380, in Schlesien um bOO auf 5600, in Brandenboi^
um 433 anf 3618, in Westpreoßen nm 404 anf 1780, in Posen nm 408 anf
1557, in Pommern um 3(X) auf 2300 und in Westfalen um 273 auf 1296.
Dieses erhebliciie Waclistljtim berechtij^t zu der Hoftnung, dass die deiitsclie
Lehrerschaft an der wirksamen Verfolpimo: ihrer gemeinsamen Interessen
durch die versuchten confessiunelleu Spaltungen, wie sie in der Begründung
kathoUaehar Lehramtbltaide za Tage tritt, nicht behindert werden wird.
Auch in der Prorins Weatprenilen hat das Lehrer-Vereinsweeen in den
letsten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Der im Jahre
1873 gegründete Provinzial-Lehrerverein unifasst^ 1885 erst 7(X) ^litclieder
in 28 Vereinen, und im vorigen Jahre betrug die Zahl der Mitglieder bereits
1780, welche sich aui 80 Localvereine vertheilen. Fast alle Landrathskreise
Westprenflena alnd Jetxt im Prorinzial-Lehrerrereine yertreten, wenngleieh
die Vereinathltigkeit noch Me und da nicht rege gonng ist. Dies gilt nament-
lich auch vom westlichen Theile der Weichselprovinz. Um dort unter den
Lehrern neue Kräfte für das Vereinswerk zu gewinnen, wurde als Ort der
diesjähi igen Provinzial-Lehrer- Versammlung das Städtchen Dt. Krone gewählt.
Die Bürgerschaft bereitete den Gästen, gegen 300 au der Zahl, einen sehr
hensUohen Ehnpfang.
Für die Hauptversammlung am 30. Juli war der Vorstand aus den Herren
Hauptlehrern Mielke I.-Danzig. Jaffa-Dt. Krone und Kandulski-Briesen gebildet.
Zwei Vortrüge wurden in derselben gehalten: Über den Geschichtsunterricht
in der Volksschule vom Coilegen Meyer-Bankau und über die allgemeine Volks«
aehnle vom (ÜoUegen VanselowoElbing. Der erste Vortrag bot neben vielem
Bekannte auch einiges Nene. So liorderte der Beferent, dass der Geschiehts-
nnterricht bereits auf der Unterabtheilung beginnen solle mit den Geschichts-
bildern j.Mein Leben". ,.Mein Vaterhaus'' und „Mein Kaiserhaus " Die Aus-
führungen waren ziemlich gesucht, so dass die Mahnung des Coilegen Kuhn-
Marienburg, den Unterricht doch ja nicht zu künstlich gestalten zu wollen,
sehr am Piatze war. Anch bcKfiglich des jetzt mr Kode gewordenen „Bfick-
wirtsscbreitena** wurde Redner in die gebfirenden Grenzen verwiesen.
Der zweite Redner, College Vanselow, behandelte das Thema: „Die all-
gemeine Volksschule mit Rücksicht auf die sociale Frage"^ mit hohem Eifer
recht geschickt. Redner führte aus, dass die sociale Frage in ein Stadium
getreten sei, in dem sie dringend LSsnng erheischt. Alle GaltariSactoren werden
dabei rar HithilfiB aufgefordert, vor allem die Schule. Diese thnt aber mir
Lösung der socialen Frage nichts, im Gegentheil, sie versclilimmert das ÜbeL
Der Besuch der bestehenden höheren und niederen Schulen hängt nicht ab von
den Fälligkeiten der Schüler, sondern von dem Geldbeutel der Väter. Dass
nur ja nicht das Kind des Reichen neben dem des Armen sitzt! Ks kiinnte ja
Tidleioht Ungeaiefer bekommen. Mindestens wfirde es durch den Umgang mit
dem Kinde des Plebejers nnd Proletariers in seiner Würde erniedrigt werden.
Das sind \'(aurtheile. die wir heute nicht nur unter den oberen Zehntausend,
sondern auch in den breiten mittleren Schichten der Bevölkerong finden. Diese
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Vornrtheile erhalten die jetzigen Schnleinrichtungen. Daneben sind dafür maß-
gebend das Geld, die Stände und die Mode. Es ist heute geradezu modern
geworden, dass der Reiche seinen Sohn in das Gymnasium schickt, wenn er
sich «neb mit Mtthe und Noth dardi die Wiftwitna windet und den Eltern groBe
Kotten ▼emrsacht. Man darf die heutigen Sdinleinrichtnngen nicht, wie es zu-
weilen geschieht, deshalb für gnt halten, weil sie alt sind. Nicht das ist gnt,
was alt ist, sondern nur das, was von der kritischen Wrnunft für trut befunden
wird. Unsere Schulen aber reißen die Jugend auseinander und eutl'remden sie.
Die El&fte swisehen den StBaden werden dadurch Mut übeitrBekt» Mmdem
erweitert Es ist dahin gekommen , dass wir außer Beichen nnd Armen Ge-
bildete und Ungebildete haben. Auf der einen Seite stditdas grolle Heer derer,
die in den Gymnasien an den Brüsten des Alterthnms gesogen haben und häutig
mit dem Dünkel behaftet sind, in den Gymnasien das Nonplusultra des Menschen-
thums geleiirt erhalten zu haben, auf der anderen Seite die große Masse des
"VoSktM, das aaller Lesen, Sdireiben vnd Rechnen wenig Bildvng in das Leben mit-
genommen hat. Jene sehen mit Verachtung auf das Volk herab, nnd dieses ver*
steht seine Gelehrten und Forscher nicht. Es ist durch die verschiedenen Grade
der Bildung eine innere Entfremdung herbei^reführt, wie die Stände eine äußere
verursaclit haben. Nach Schmoller liegt der letzte Grund aller socialen Ge-
fahren nicht in der Dissonanz desBesitses, sondern in den Bildnngsgegensfttzen.
Angesichts dieser Thatsachen nnd Wahrheiten kann es kanm bestritten werden,
dass die heutigen Schuleinrichtungen, welche anf der Absondemng der Stände
bpnihen, einer befriedigenden Lösung der socialen Frape entgegenstehen. Die
Pädagogik erkennt und fühlt die Schwilclie unserer heutigen Schulen der socialen
Frage gegenüber. Darum bringt sie so zahlreiche Keformvorschläge zur Ab-
hilfis hervor. Damm fordert sie iiente mehr denn je die allgemeine Volksschnle»
Die Idee der allgemeinen Volksschnle ist nicht nen. Schon Ckmenins hat
die allgemeine Volksscliule im Geiste gesehen, Pestalossi sie geahnt, Fichte in
seinen Reden an die deutsche Nation gepredigt, Diesterweg sein Leben für sie
eingesetzt. Der Begeisterung, mit welcher dieser große Meister unserer Pä-
dagogik dafür eintrat, schien es zu gelingen, ihr Bahn zu brechen. Ihre Freunde
jnbdten anf, als nnter Falk die Simnltanschnlen eingerichtet wurden. Nun
glaubte man die Hoffnung auf die allgemeine Volksschule der Erfüllung nahe.
Aber Herr von Puttkamer zerschnitt der Simultanschule den Lehonsfadt n.
Doch wurde die Idee der allgenieinm Volksschule dadurch nicht todt gemacht.
Sie lebte weiter, und je schärfei* sich die sociale Frage zuspitzte, je lauter der
Schrei nach Beseitigung der bestehoiden socialen UissTerhSltnisseertOnte, desto
mehr bemächtigte sich diese Idee der breiten Masse des Volkes. Sie lebt hente
nicht nur in unserer Pädagogik, sie lebt in unserer modernen Literatur, sie
lebt in der Socialpolitik, und Männer, wie Dittcs Clansnitzer, Seytfarth, Fröhlich,
.Johannes Meyer stehen nicht vereinzelt da im Kampfe um dieses alte und noch
immer nicht mündig erklärte Kind unserer Pädagogik.
Redner sdiloss mit folgenden Thesen:
1. Die gegenwärtige Organisation unserer Schnlanstalten, welche anf der
Absonderung der Stände beruht» Steht einer befriedigenden LOsnng der
socialen Frag-e entgegen.
2. In der allgemeinen Volksschule ist eine gemeinschaftliche Bildungsstätte
für das ganze Volk einzorichten. Dieselbe muss von allen Kindern ohne
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Unterschied der Stände und Confessionen mindestens bis zum 12. Lebens-
jahre besucht werden und mit allen soustigeu Schulanstalten organisch ver*
bimden Min.
8. Es liegt im Wesen der allgemeinen Volkflsohnle, dABs die bemetade
Macht des Capitals bei der Jngend gebrochen ond auch dran Snustoi
Kinde eine seinen Anlagen nnd »einem Fleite eoteprechende Bildaog zn-
gilnglich gemacht werde.
4. Die allgemeine Volksschule würde als eine deutsch-nationale Einheits-
schule wesentlich zur Überbriickung der Standes-, £eligions- und Partei-
nnterachiede beitragen und dadordi unser Volki das naeh anBen stark
nnd einig dastehti anch innerlich starken nnd einigen.
5. Weil inr LSsnng der soeialen Frage eine hdhere wirtsehaftUche nnd
rechtskundliche Bildung unerlässlich ist, muss die allgemeine Volksschule
volkswirtschaftliche nnd gesetzeakondliche Belehrungen in ihren Lehr>
plan aufnehmen.
6. Durch Eiunihrong des Arbeitsunterrichts würde eine gerechtere Beor-
tiieilnng der Arbeit efsielt mid damit gleiehUsUs zor LOenng der socialen
Frage beigetragen werden.
7. Die nilgemeine Volksschule bedingt eine gleichmBBigwe Bildung nnd
Besoldung aller Ijchrer.
In der dem Vortrage folgenden Besprechung führte College Schreiber-
Danzig aus, dass er die Durchführung der allgemeinen Vollcsschule für unmöglich
halte; denn eine Mdnngsgleichheit, die nach den AnslBhmngen des Bedners
mehr als Gütergleieliheit den Classenhass verschwinden maehen kSnne,
könne doch nicht auf der Grundlage der Einheitsschule eneiclit werden.
Derartige Versuche der Sclinlrrform würden den socialen Eiss eher erweitem,
als schließen. Die Debatte schloss mit der Annahme des Satzes: ..Die Ver-
sammlung hält die Forderung der Organisation einer allgemeinen \'olks8chule
insoweit anfireoht, als damnter eine gleicfamSBige Einriebtnng des Unterrichts
in den asten Schn^abren nnd somit eine einheitliche Grundlage des gesammten
Schulsystems verstanden ist." — Bemerken wollen wir noch, dass zuvor der
Antrag: ,.Die Versammlung erblickt in der Durchführung der allgemeinen
Volksschule ein wesentliche.s Mittel zur befriedigenden Lösung der socialen
Frage'' mit geringer MeO^'i'ität (109 gegen 103 Stimmen) abgelehnt worden war.
Der letxte Tag, der 31. Jnli, war gans dem Frovinsial-Lehrerverein
gewidmet, zu dessen Delegirten-Versammlnng 52 Vereine zusaininr-n 11(> Ver-
treter entsendet hatten. Der vom Vorsitzenden erstattete Jahresbericht
lautete recht erfreulich: Der Verband ist um ö Vereine mit IMO Mitgliedern
gewachsen und umfasst jetzt 86 Local vereine mit 1950 Mitgliedern. Wären
nicht 4 Zweigvereine mit ihren Beitrugen im Bttckstande geblieben, so hätte
der Frovfnsialverein bereits mehr als 2000 Mitglieder.
College Cliill-Thorn hielt einen Vortrag über die Frage: Ist es wünschens-
wert, dass die Westpreußischen Provinzial-Lehrerversammlungen in Lehrertage
umgewandelt werden, auf denen nur die gewählten Vertreter der Vereine
Stimmrecht haben, wähi-end das Hecht der Berathuug allen Theilnehmern er-
halten bleibt? — Bedner verglich die Lehrervereinsverhftltnise Deutschlands mit
denen der Provinz Westprenfien, verlangte Ar letstere die SchalAuig einer
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Havptversammlang entsprechend dem deutschen Lehrertage und fasste seine
Grflnde in folgende SStase «umihhhh;
1. Ohne untere Vereinsorganiaation kommt eine ProvlBrial-Lehrerversanun-
Inng nicht mehr zustande. Damit der FroTinsial-Lehrerverein seinem
Zweck ..Fördernng der Interessen der Volksschnle nnd des Lelirerstandes"
ganz entspricht, mnss seine Delegirten-Versamnilung so ausgedehnt wer-
den, dass sie auch aligemein pädagogische Tagesfragen erörtern und dar*
ttber beseUieBen kann.
2. Die Beschlüsse der Provinzial-Lehreryenanunlnng können weder als
Ausdruck der Lehrerscliaft Westpreußens, noch als der des Provinzial-
Lehrervereins g^eltPii, da sie stets vom Orte der Versammlung nebst
Umgegend stark beeinflusst werden. Nur durch einen Deiegirtentag
lässt sich die Metnong der Qesammthelt mveniehtUeh ennittdn, weil
dieser der Idee einer glelfthmiÜHg Uber alle Besirke der FroTins besw.
des Vereinsgebietes vertheiltcn Lehrerversammlung entspricht.
3. Da der Provinz! al-Lehrerverein jetzt ausschließlich nicht nur für das
Zustandekommeu der Provinzial-Lehrerversammlung, sondern auch für
geeignete und grüudlich vorbereitete Verhandlungsgegenstände und He-
ferenten Sorge trägt, liegt kein Hindernis Tor, dieselbe ganz in den Dienst
des Yereinsrerbandes za stellen nnd ihr durch EinfDhmng des beschiCnk-
ten Stimmrechts ganz den Charakter eines Lehrertages zu geben.
4. Ein Lehrertae" mit beschränktem Stimmrecht verbürgt sorgfältigere Ver-
handlungen und Beschlüsse als eine allgemeine Lehrerversammlung,
namentiich wird dorch ihn die Gefahr einer voreiligen Beschlosefassnng
▼ennindert nnd, Hills die VerhandhmgsgegenstSnde von allen Vereinen
g^ndlich vorberathen sind, wol ganz beseitigt.
Die kurze Debatte über den Vortrag fiilirte zu dem Beschluss, denselben
den Localvereinen zur Berathung zu überweisen, um dann auf der nächstjährigen
Delegierten- Versammlung die Sache endgültig zu erledigen.
Die beiden in der Provinz Westprenßen bestehenden Pestalozzi-Vereine
sind seit dem 1. Oetober J. m einer Beehtscasse für Lehrer-Witwen nnd
Waisen verschmolzen. College Spiegelberg-Elbing berichte über die "Fort-
schritte des neuen Ppstalozzi-Vereins. Ans den alten Vereinen sind 265 nnd
386 Mitglieder über- und außerdem 164 Collegen neu eingetreten, so dass sich
die Zahl der Mitglieder bereits anf 815 mit 4257 Mk. Jahresbeiträgen beläuft.
Die behördliche Bestfttignng des Statuts für den nenen Verein ist in niehster
Zeit zu erwarten. So erfreulich dieser Bericht lantet, so traurig sind die
Mittheilung:en. welche über den Emeriten-Unterstütznngsverein am ersten
Verhandlungstage gemaclit wurden. Dessen Mitgliederzahl ^^elit von Jahr zu
Jahr zurück und beträgt heute nui* ca. 4(X), kaum die Hälfte, wie vor 12 Jahren.
Das kommt daher, weil viele Collegen glauben, der Verein sei nach Inkraft-
treten desPenzionsgesetzes überilttssig. Das ist aber ein Irrthmn; denn entlich
ftDt hente noch sehr oft die Pension eines Lehrers sehr kärglich aus, und
zweitens pribt es noch manche EmeriteUf die vor dem nenen Fensionsgesetze
in den Kuhestand getreten sind.
Die nächstjährige Westpreußische Provinzial-Lehrerversammlung findet
in PtenAisch-Stugardt statt
Zn Vertretern des Westprenßischen Provinzlalvereins anf dem nächsten
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deatschen Lehrertage sind powälilt: Hauptlelirer Mi«'lkp l-]yd\y/Ag, Landwirt-
schafteschnllebrer Kuhn-Marienburg, Lehrer Adler-Ni utahrwassi r. Haupt lehrer
Spiegelberg-Elbing, Mittelschullehrer Dreyer-Thorn, Töchterschullehrer Back-
hau-KonitK und Hanptlehier Bolü-Ohia; m Vermtem auf dem FlwifliMdieii
Lehrartage die 2 zuerst genaonten Henen nnd Lebrer M^er-Bankaii uid
Lehrer KneebteloGollab.
Der VU. Blindenlehrer-Cougress in Kiel vom 3. — 7. Angaet 1891.
Die Vereammlmigeii der Leiter und Lehrer von Blindenanstalten finden .leit
1873 regelmlißig in dreljlhllgenZwiMhMiiftamen statt, sind also nuchjünireren
Datanis. Das kann um so weniger befremden, als auch die Blindenanstalten
selbst erst eine Erruiitrenscliaft der Neuzeit sind. Bis /.um Knde des vorigeu
Jahrhunderts wusste mau mit den des Augenlichts Beraubten uichtä anzufangen;
ddi tdhal sor Last, der IHfentUeben Amenpflege oder den Verwandten rar
Bflrde, waren sie daan Terarthellt, in doppelter FinttemiB, in der trostloseBten Ode
nnd der tödlichsten Langeweile ihre Tage zu verbringen. Erst im Zeitalter
der Aufklilrung gelang es edlen Menschenfreunden, durch Erfindung des Bücher-
drucks in erhabenen Scliriftzeichen, sowie durch Herstellung sinnreicher Schrcib-
und anderer Apparate dem Blinden die Thore zu öü'ueu, durch welche auch
seinem Geiste ein geeigneter Bildongsstoif lagefKhrt werden kann. AllmUüieh
sind diese Lehrmethoden derartig vervollkommnet, dass es gegenwärtig möglich
ist, blinden Kindern eine Ausbildung zu geben, die derjenigen völlig gleich-
wertig ist, welche von der Volks- und Bürgerschule vermittelt wird. Auf diesem
üebiet hat die Erziehungskunst Triumphe zu verzeichueu, wie sie früher auch
nicht annfthemd nnr geahnt worden sind. Was heute derHindennuteniidit ra
leisten vermag, ist indes nnr In Spedalscholen in «rreidien, die alle Voikeli-
rnngen und Einiiditongen den dordidie Blindheit bedingten Eigenthümlichkeiten
ihrer Zöglinge anzupassen vermögen. Derartige Specialanstalten zur Ausbil-
dung Blinder sind denn auch überall ins Leben gerufen; ihre Zahl betragt für
Deutschland z. Z. etwa 30. Die meisten dieser Anstalten hatten zu dem Kieler
Oongress ihre Vertreter entsandt, denen Fachgenossen ans dem Auslände, ans
England, Frankrdeb, Holland, Bnisland, besonders zahlreich aus Österreich und
dem benachbarten Dänemark sich ansclilossen. Die Ges:immtzahl der Gongrets-
theilnehmer, die Gilste einq-eschlos-sen. betrug reichlich 1<M».
Der Zweck dt>r Bliudeulehrer-Congresse besteht naturgemäli iu der weiteren
Aasbildung aller Vorkehrungen nud Veranstaltungen zum Unterricht der Blinden,
in der WeiterentwicUnng der Kunst, Blinde fttr einen Lebensberuf henuuro-
bilden. Aber wir Blindenlehrer sind leider noch in der Lage, einen Neben-
zweck, den die Congressc bisher gehabt haben, niclit ganz aus den Augen ver-
lieren zu diirtt'H. den luimlich, Propaganda zu machen für die Bliinieiisaclie.
Man hat sich allmählich daran gewöhnt, alle Vorgänge, Zustände und Ein-
richtungen des Öffentlichen Lebens von sodalpolitischen Gesichtspunkten aus
zu beurtheilen. Nun liegen gerade auf dem Gebiete der Bestrebmigen rar
Hebung der Blindenbildnng noch weite Strecken unangebaut, viele Hunderte von
Arbeitskräften im Volke müssen gleichsam latent bleiben, viel ^lenschengliick
lässt sich hier noch begründen. Auf der Arbeit beruht aller Culluifi'itschritt
der Menschheit als (ianzes, sie ist auch die Quelle jedes wahren Glückes für
den Einzelnen. Bin Leben wird vom Psalmisten als köstlich gepriesen, wenn
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es Mühe nnd Arbeit gewesen. Weil die civilisirte (iesellscliaft (»liiio Arbeit
oiclit bestellen kann, ist jeder znr Arbeit vt iiitiicUtet. Aber jeder Pllieht ent-
spricht ein Recht. Der Ptiicht zur Arbeit entspricht ditöliecht zur Antheiluahme
an den Segnungen denelben. Hat man dieses Recht doch selbst dem Sträfling,
dem Verbrecher angestanden. Nur dem Blinden wird es bisher noch vorent'
halten. Da sind es denn die Blindenlehrer, die auf ihren Versammlungen die
hohen Staats- und l'rovinzialbehörden eindrintrlich tlaraii iiialiiuii. dass alle
Blinden auf eine geordnete Erziehung in einer Anstalt ihr gutes Aurecht haben;
dass sie kein Almosen, keine lebenslängliche Verpflegung wollen, wol aber
wlhrend ihrer Jngendseit di^enige ünterweisnng beanspruchen, die sie in den
Stand setzt, später ihr eigenes Brot essen zu krmiien: kurz, dass die Devise
aller Blindenbildunsr lautet: Hilfe zur Selbsthilfe! — Diese Art von Propa-
ganda übte ffleicli ib r 1. N'ortrag aus, den Uircctor Meckor- IHueii über den
„ Anstaltszwaug füri>liude" hielt. DerKefereut betont, dans derCougress
ni Kiel die Fordening betr. EinfUhnrng des Anstaltsiwanges, in der alle
Bündenpldagogen einig sind, wiederom feierlich verkllndigen nnd eingehend
befinden mflsse, weil in verschiedenen Staaten, namentlich in PreuBen, die
nenesten Untprrichtsgesetze bezw, Gesetzentwürfe dieser Forderung keine Rech-
nung tragen. Zur Widerlegung der Bedenken, welche der Einführnni? des
Anstaltszwanges entgegenstehen, wird ausgeführt, dass die per6Üuiiche Freiheit
durch den Anstaltsawang nicht mehr eingesehrSnkt wfa^, als es die Rücksicht
auf das W'ul des Einzelnen nnd der Gesammtheit erfordert, nicht mehr als
dorch den allgemeinen Schulzwang, die Militärpflicht, den Impfzwang etc. Die
Liebe der Eltern zu ihren Kindern wird nicht in ungebiirlicher Weise ver-
letzt. Die Anstalten können durch Propagandamacheu allein nicht alle bil-
dnngsf fthigen Blinden an sich ziehen, es bleibt immer noch ein Rest von Enrz-
aichtigkdt nnd Eigennnta, der nnr durch Gesetzesawang ttberwnnden werden
kann. Die Mittel, welche zur Errichtung und ünterhaltang genügender Anstalten
erforderlich sind, können beschafft werden und lohnen sich zehnfach duich die
erzielte Erwerbsf ilhigkeit der Blinden. Die Ausbildung der Hliiulen kann naeh
Ansicht des Referenten in der Volksschule nicht bewirkt werden, weil diese in
den ihr gesetalieh Toigesehriebenen Fftchem die Blinden nicht genügend unter-
richten kann; weil dieselbe viele der Blindenschule eigenthlimliehen und für eine
normale Ausbildung der Blinden anentbehrlichen Filclier ^mt niclit leliH : weil
die Volksschule nnd auch .sonstige Anst;il(fii der Sehen<len ih-ii Ulinden die
nöthigc technische Berufsbildnng nicht geben können; weil endlich die Volks-
schule und sonstige Einrichtungen die nütbigc Unterstützung der ausgebildeten
Blinden nicht auszuüben vennUgen. Aus all diesen Gründen wird die Resoluticn
beantragt: „Es sind in allen Staaten, in welchen allgemeiner Schnlzwang be*
steht, ans öffentlichen Mitteln nach Zahl nnd Einrichtung genügende Blinden«
nnterricht^anstalten zu gründen nnd zu unterhalten, und alle Blinden unter
ähnlichen Bedingungen, wie die Sehenden zum Besuche der Volksschulen, durch
Gesetz zum Besuche dieser Specialanstalten zu verpflichten.'*
Biese Resolution wurde einstimmig angenommen. In betreff ihrer weitermi
Behandlung nnd Verwertung wird l)eschlo88en, dass dieselbe von jedem Anstalts-
vorsteher mit einem besonderen Bericht über die Lage des Blindenwesens in
dem betreftenden Anstaltsbezii k der zunächst vorgesetzten Vei waltnngsbehJirde
ZOT instanzmäBigen t^bermittelong an das Unterrichtsministerium überreicht
PoMlsgogiaai. U. Jahrg. Heft 1. 4
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werde. Wünschen wir der Tetition den besten Erfolg. Der anwesende Ver-
treter dea Caltusministers, Herr Oberregieraugsrath Tappen, sagte tliuiilicliste
Beaehtnog der gemachten VonehlSge m.
Die 2. H&Dptdtsiuig wurde fiist voUrtSndig toh der Bentlmog ätat „Blinden-
kurzBcbrift" in Anspruch genommen. Bei einer Kurzschrift fdr Blinde handelt
es sicli nm folgendes. Das Puuktschriftsystem für Hlinde, erfunden von Louis
Braille, hat Raum für 62 Zeichen, von denen indes durch das gewöhnliche Al-
phabet mit Einschiuss der acceutuirten Buchstaben (Frankreich) und der Um-
laute (im Deutschen) nur die grOAere HUfte belegt worden iat In England
hat man nun vor 20 Jahren angefiuigeni die noch fibrigen Zeichen für hlufig
vorkommende Buchstabenverbindnngen (en, er, ge, tion etc.) zn benutsen.
Ferner kürzt man Wörter mit größerer Fre(}nenz durch den Anfangsbuchstaben
ab. Diese Art der Ausgestiltung desBraille'schen Systems — Stenographic Braille,
BraiUe with contractions — hat sich in England glänzend bewährt, sind doch
in demselben mehr als 170 Binde gedruckt worden. Das von England ge«
gebene Beispiel hat N'achahmung In Frankreich, Italien, Dänemark und Deutsch-
land gefunden. In h^tzterem Lande ist es der selbst blinde Lehrer Kn>lin in
Kiel g'evvesen, der dem Frankfurter Coiigrress ein System der Kurzschrift vor-
legte. Es wurde damals iu einer Commissiou begraben, feierte aber in Amster-
dam seine Auferstehung und wurde vor 3 Jahren in GVln zur Prftftmg in der
Blindenschule zugelassen. Die inzwischen von 23 Anstalten angestellten Ver-
snche lieferten das Resultat» dass in 18 derselben befriedigende, gute und sehr
gute Erfolge mit der Kurzschrift erzielt worden sind. Ebenfalls durch Ver-
suche war ferner festgestellt, dass von 8 Anstalten ß bereits auf der Mittel-
stufe mit der Kurzschrift günstige Erfolge erzielt haben. Auf Grund dieses
Erfohrungsmaterials beantragte die zur Bearbeitung dieser Frage eingetetste,
ans 7 Personen bestehende Commission, dass die Kurzschrift bereits auf der
Mittelstufe in die Blindenschule eingeführt werde. Nach langen, zum Theil
errecften Debatten wird folgender Vemittelungsantrag angenommen: Der VTL
Blindenlehrer-Congress empfiehlt den Anstalten die weitere Prüfüng der Kurz-
schrift. Er wünscht die Herausgabe eines Lesebuches in dieser Schrift, damit
eine PrQfting mBglich ist. Die bestehende Eurzschrlftcommission erhftlt das
Recht, sich auf 9 Mitglieder zu verstärken. — Der nun folgende Vortrag von
Lehrer Görnei--Lei]izie: iilier den Ifandfertigkeitsunterricht in der Blindenschule
konnte mangelnder Zeit li;über leidn- nur ifckürzt zu Gehör gebracht werden.
Referent will den Handfertigkeitsuuterricht auf der Unterstufe als Handgritte
zur Erlangung pers5nlicher Selbststlndigkeit; auf der lUttelstnfb als FMtbel-
beschsftigungen und deren weitere Anwendung und Verwertung im Schulunter-
richt zur Entwicklung zielbewusster Selbstthätigkeit; auf der Oberstufe als
Arbeitsnnterrielit in der Schillerwerk f^tätte zur Gewinnung persönliolu r An-
stelligkeit und nii>c:lie]isl vielseitiger liandgeschicklichkeit in praktischen Dingen.
Am .Sclüuss des instructiveu Vortrages gab Herr üömer eine Erläuterung der
Lehrgänge f8r den Arbeitsuntenicht der SchQlerwerkstStte in Holzarbeiten, in
Papparbeiten und in Ifetallarbeiten.
Am Donnerstage hielt Oberlehrer Merle-Hambuig einen Vortrag über den
Anschauungsunterricht in der Blindenschule. Wenn diese Disciplin schon für
sehende Kinder von großer Wichtigkeit ist, so bildet sie nach Ansicht des
Redners für das blinde das Hauptmoment der Erziehung, weil dieses es iiiclit
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in der Macht hat, seine Anschauungen in nennenswerter Weise zu erweitern.
In den unteren Classen ist der Anscliannnefsiintorricht daluM- als ffaiiptglied des
ganzen Unterrichts zu betrachten, in den oberen so viel als thnnlidi mit Hand-
fertigkeitsunterricht zu verbinden. Der Lelu*stoä für die Fibel uud die ersten
LeBebfidur ist tlranlidut dem Lehrgange fBr den Ansehanungsanterticht an-
naefaließen. Die Äuchanongniiittei mfiaien die denkbar besten sein, damit
dieselben nicht nur richtige Anschannngren vermittebi, sondern ancb den Sinn
für schöne Formen beleben und entwickeln.
Im Anschluss hieran sprach Director Kunz-Illzach in Elsass über das Bild
in der Blindenschule. Der Vortragende, der als Herausgeber ausgezeichneter
Beliefkarten in der Blindenweltgans Europas rftbmlichst bekannt ist, führte in
kurze das folgende ans: Gute Abbildungen in genügender Zahl erleichtem nnd be-
leben den Classen Unterricht in beinahe allen Schulfächern; sie ermöglichen
unmittelbare und rasche Veranschaulichung unzahliger GegensUlnde, die im
Lese-, Geschichts- und Geograpliieunterricht zur Sprache kommen, bilden eine
nothwendige Ergänzung aller nnserer Yeranschanlichungsmittel, eine Hauptstütze
des natnrwissenscliaftliehen ünterrlehts nnd endlieh etaie wertvolle lütgabe fttrs
Leben. Deshalb ist die Herausgabe eines Bilderatlasses anzustreben. Die Ab-
bildungen von Körpern sollen in erster Linie als Halbmodelle, bezw. Flndi-
niodelle. in zweiter Linie als Unirissbilder (Skizzen) znrAus-rabe kommen und
SU die letzten Glieder der absteigenden Veruusuhaulichungsreihe bilden (z. 13.
lebendes Thier, ausgestopftes Thier, Modell, Halbmodell oder HachmodeU nnd
ümrin). Zur bildliehen Darstellung sollen nach und nach die meisten Dinge
nnd Erscheinungen kommen, mit welchen vollsinnige Schäler in den Eäementar^
und Mittelschulen bekannt gemacht werden, ganz besonders aber diejenigen,
welche infolge ihrer Größe, ihrer Kleinheit oder ihrer Beschaffenheit der
Hand des Blinden nicht zugänglich sind oder mit Hilfe derselben nicht wahr-
genommen werden kOnnen. DasBUderbneh soll dem Blinden aach das Mikroskop
anetceo. Der Anfang soll mit den einfachsten nnd bekanntesten Dingen ge-
macht werden, damit die Kinder Bilder „lesen" lernen. Thiere, vielleicht auch
Menschen, sind in verschiedenen Stellungen, welche ihre Thiltigk^if erkennen
lassen, zur Darstellung zu bringen. Gruppenbilder haben nur daim eine Be-
rechtiguDg , wenn die gezeichneten Gegenstände in einer und derselben £bene
liegen. — Die Venammlnng sthnmte dem Vortragenden zn; die Blinden aber
werden froh sein, wenn Herr Kunz sie mit einem Bilderbuch, wie es ihm vor-
schwebt, beschenkt, was leider nicht so baldgethan ist, da dieHersteliaiig der
Bilder sehr viel Zeit erfordert.
Am 4. Congresstage entwickelte Director Heller vom Israelitischen Bliuden-
Inatitnte Hohe-Warte bei Wien in einstiindiger gedankemeleher Bede sein
„System der BlindeDpSdagogik". Des beschrSnkten, mir verstatteten Baumes
wegen ist eine Skizzirung des Gedankenganges mir nicht möglich; erwähnen
will ich nur, dass die Grundlagen dieses Sj'stems voniehmlich sind: Übung der
Sinne, die Auschannng, die Darstellung, die nachahmenden Thätigkeiteu und
die Erfahrung.
Erwtthnt mag noch werden, dass ein franzOeischer Blindenflrennd, Herr
Lavanchy-Clarke in Lausanne, einen Preis von 250 Mk. anagesetzt hatte für
die beste Bearbeitung der Aufgabe: „Was geschieht in Deutschland für die
Blinden; was bleibt für sie zu thun noch übrig?'' Dieser Preis wurde von den
A*
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Preisrichtern, Director Mecker-Düren und Director Feiohrn-Kiel, dem Bünden*
lehrer Joseph T.ibansky in 1 Burkersdorf bei Wien zuerkannt.*)
Der 8. CoDgress wird nach 3 Jahren in München statttindeu. M.
österreieh-üngarn. Wfthrend der Sommerferien haben, wie gewShnUeh,
mehrere gHIBere Lehrerv-ersammlnn^en stattgefanden. Ln dentschen Sprach-
gebiete waren besonders bemerkenswert die Hanpt Versammlung des niederöster-
reichischen Landrslt lirervtifins am 1(3. nnd 17. Juli in Xennkirchen und die
Hanpt Versammlung des deutschen Landeslehrervereius iu Böhmen am 0. und
7. AngDst zn GaUons. Abgesehen von dem großen Werte dieser Venammlnngen
IBr die wichtigiten Interenen der betreibaden Laadeslehrerrereine sind die-
selben auch von hoher Bedentnng far die allgemeinen Schal- nnd Coltnrfragen.
Und zwar haben beide Versamnilnneen einhellig: Zengrnis abgelejsrt. dass die
Bestrebungen der Keaction, die moderne Schule in Hsterreich zu stürzen, bisher
an zwei wichtigen Stellen erfolglos geblieben sind: an der charaktervollen
Lehrersebafk nnd am intelligenten Btirgerstande. In letaterer Besiehnng mnss
mit besonderer Befriedigung hervorgehoben werden, dass sowol in Nennkirchen
wie in Gablonz nicht nur den T-ehrern eine höchst sympathische Anfnahme zn-
theil wurde, sondern auch die üftentlichen Anforitilten und die niaß^^ebenden
Bevülkeruugskreise ihr treues und opferwilliges Festhalten an dem ireisinnigeu
Scholgesetze entschieden an den Tag legten. Und die Tersammdte Elite der
Lehrersebafk (in Nennkireben ca. 500, inOablonz ca. 800) bekundete einmflthig
den gleichen Geist des besonnenen und thatkräfligen Beharrens auf der für die
Schule Osterreiclis zu Kecht bestehenden Bahn des Fortschrittes. Besonders deutlich
zeigte sicli die t bereinstimmung-, welche in dieser Bezicliuno: unter der i3ster-
reichischen Lehrerschaft herrscht, dadurch, dass in Gablouz die vollständige
DnrehAhrang der achtjährigen Sehttipfliciht entschieden gefordert, nnd in Nenn-
kireben die Verkflrznng derselben dnreh die sogenannten „Sehnlbemehs-Er'
leichterungen'' in die engsten Schranken verwiesen wnrde. ÄnsdrucklicheHer^
vorhebung und Anerkennung verdient noch folgende von der niederösterreichischen
Lehrerversammlung einstimmig gefasste Resolution: „Es ist Pflicht der
Staatsverwaltung, der auf Grund eines sanctionirtenBeichsgesetzes
geschaffenen, erhaltenen nnd von staatlichen Organen (Iberwachten
Schnle denselben Schnts angedeihen zu lassen, den alle anderen
Staatseinrichtungen genießen. Durch die fortwährenden, geradezu frevel-
haften AngritTe seitens der Gegner nuiss die Schule gesrhUdigt. da.s Vertrauen
des Volkes zu derselben erschüttert, das Ansehen des Lehrerstandes untergraben
nnd somit ein Znstand gesebata werden, der zersetzend auf die breiten
Schichten des Volkes wirken mnss."
Am 6. August tagte in Prag der czechische Leln ercongress. Der-
selbe wies mehr als 5000 Theilnehmer auf, die der Mehrzahl nach aus Böhmen
stammten, wozu aber auch Milhren und Schlesien ein bedeutendes Tontingent
und selbst die südbluvischen Länder eine Anzahl von Gästen gestellt hatten.
Die Versammlung trat entschieden nnd einstimmig für die Nenschnle ein, wie
sie durch das Gesets von 14. Mai 1869 gesohaffiBn wnrde. nl>^Bedfirftaissen
der csechisehen Nation kann nnr eineOiTentliche, allen Gonfessioneni^eichmHftig
Unserem wuckereu Mitarbeiter die herzlichstcu Glückwünsche! D. fi.
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zngcäugpHche nnd allen Glaubensbekenntnissen g'leicii gerecht werdende Schule
genügen, welche der staatsgrandgesetzlich gewährleisteten Glaubeuä- und Ge-
wiasensftviheit entBprkfat Wie nim die Anftiebt Aber die religiSae Erziebnng
nnd den Beligionsanterricht den Beligion^:enottenachaften überlassen ist, so
g^bürt die Aafiricht fiber die übrige Erziehung und den fibrigen Unterricht nnr
erfahrenen Fachmännern, vorzugsweise weltlichen Volks- und Bürprerschul-
lehrern." Diese Resolution wurde, trotzdem auch etliche Geistliche der Ver-
sammlung beiwohnten, einstimmig angenommen. — An Muth und Freisinn
stehen also die davischen Lehrer ihren dentaehen Collagen kelneawega naeh,
nnd ist zu hoffen, dass die ganze österreiduM^e Lehrerschaft wenigstens in
der Vertheidignng des gemeinsamen Schnigeeetees einig sein nnd bleiben wird.
Die Lehrmittelsammelstelle Petersdurf bei Trantenau (Böhmen) ist
bestrebt, Schulen ohne grolte Auslagen mit den aUerwichtigsten Lebmitlehi in
versehen nnd hat hierfür bereits ein groBes Lager von: Mineralien, Kftfern,
Schmetterlingen, Petrefaeten, Conchylien, biographischen Präpa*
raten f En t wicklnng^stadien versch iedener Th iere ). Sammlungen e h e ni i s c h e r
u nd >?-ew erblicher Stoffe, Modellen der \'eredlunf;s:ii t eii, lÜ e neust ock-
Modellen, Pilz-Modellen, Modellen des Hochofens, zerlegbaren De-
cima Iwagen, einfachen physikalisehen Apparaten, verechiedenen
Amphibien, Stopfprftparaten etc. •
Die Sammelstelle nimmt keinen Verdienst! Gibt an bedürftige Schulen
anch unentgeltlich ab und sendet das jeweilige Yorrathsverzeicluus gegen Ein«
Sendung einer Brietmarke bereitwilligst ein.
Tausch wird nach allen Bichtungeu des Sammelwesens eingegangen.
Spenden werden dankbarst angenommen!
Anfkagen beantwortet der Vorstand
Gustav Settmacher, Oberlehrer.
Der ktalgL ungarische Minister für Cultos- und Unterricht, Graf Aibiu
Csäky, hat den XIX. Jahresbericht des deraelt nater eeiner Leitung stehenden
Ressorts und aas dem Originalwerke auch einen Ansang in deutscher Sprache
veröffentlicht (gedruckt in der k. u, Universitilts-Buchdruckerei zu Budapest).
Der Bericht erstreckt sich auf die Studienjahre SO imd lSS!) -!)( ) und
unifasst sRmratliche Anstalten des Schuldepartenienls; wir entnehmen demselben
einige allgemein iuteressirende Daten. Der Minister hat vor allem eine Reform
deaüntenichtsrathes eingeleitet, da derselbe sich nicht dnichaas bewfthrt hatte.
Insbesondere waren in demselben bisher zwar die einzelnen Fächer der Wlssen-
schaft, nicht aber die verschiedenen Arten von Lehranstalten genfigend ver-
treten; die Mitglieder desselben hatten ferner keine Gelegenheit, sich mit den
thatsächlichen Schulverhältnissen durch eigene Wahrnehmungen bekannt zu
machen, die Entlohnung für ihre Mühewaltung wai' unzureichend etc. Dem
gegenüber dnd nun sweckmftBigeVerbeBsemngen eingeleitet worden, bei welchen
insbesondere das fachmännische Element eine dankenswerte Berücksichtigung
gefunden hat. Auch verdient folgende Maßnahme mit besonderem Beifall hervor-
gehoben zu werden: ,.Die l'rocedur bei der Beurtlieilung der Schulbücher
soll wesentliche Moditicationen erfahren, welche in erster Reihe den Zweck
haben, die möglichste Objectivität der Kritik zu verbargen. Ans diesem
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üesicktapunkte sollen auch aaßerhalb des UnterrichUrathes stehende Fach-
mftnner inAnBjamch genommen werdm; auch soll der eine der Benrthetler stets
jener Art von Scholen angehören, fSr welche das betreffende Buch bestimmt
ist; endlieh sollen die Kritiken mit den Namen der Benrtheiler den
Verfassern zugestellt werden."' Wer da weiß, wieviel Willkür, T'nredit,
ja Comiption in Sachen der Schulbücher unt^r dem Deckmantel des Amts-
geheimnisses hie und da ge&bt wird, der kann die citirten Bestimmongen nur
mit dem lebliaitesten Belfoll begrttflen.
Graf CsÄky bemerkt ÜBmer: „Da loh die bedentendsten Faetoren dea
Anfblfthens nnd Fortschrittes unseres Volksschnl-Ünterrichtswesens einer-
seits in der wirksamen und fachmlißigen Aufsicht, anderseits in der guten
Lchrorbilduiie: suche, habe ich diese Theile der Schulor^anisation zum Gegen-
stande meiner besonderen Fürsorge gemacht." Demgemäß war er darauf be-
dacht, den Schulinspectoren in ihren Kanzleiarbeiten Erleichterung zu verschaffen,
damit sie nicht von „Uffer eigentlichen nnd wichtigsten Aufj^be: von dem
Beancho der Schulen und der unmittelbaren nnd persönlichen Berüliriing mit
den Schulbehörden und Lelirern abgezogen werden", ihnen aber ancli eine bessere
Dütirnng zu sichern, damit sie ihr wichtiges und sicbweres Amt ..oline materielle
Sorgen verwalten können; ebenso ließ er sicli die stetige Verbesserung der
Ldirei'bildung, sowie der Biesoldong der Serainailehrer angelegen sein.
Das ungarische Sehnlwesen zeigt in allen seinen Theilen einen gedeihlichen
Fortschritt. Die Volksschulen wurden im Jahre 1888 von 1,950879, im
folgenden Jahre Ton 2,015612 Kindern thatsiu hlieh besucht, während sich
diese Zahl anno 1809 nur auf 1,1 .02 115 Ijeliet. Im Verhältnis zur Zahl der
schulpflichtif^en Kinder war zwischen I86i) und 1889 eine Steigerung des
factischen Schulbesuchs von 50.42 **/^, auf 81.65 ^/(, eingetreten. Und während
anno 1869 1598 Oemeinden ganz ohne Schule waren, gab es soleherGandnden
1889 nur noch 244. Im ganzen bestanden 1889 16702 Yolksschnlen gegen
13798 im Jahre 1869. Volksschullehrer gab es 186917792, 1889' hingegen
24645. Die Erhaltungskosten der Volksschulen betrugen im ersteren Jahre
3,760123 fl., im letzteren 15,117024 H., die hierzu gewährte Stautssub-
ventiou im ersteren Jahre 407 72 Ü., im letzteren 1,794234 11. Was die
Nationalitäten betrifft, so zeigt sich zwar, bei allen eine Zunahme des that-
sftchlichen Schnlbesuches im Yerhftltois snr Schnlpflichtlgkfllt; aber ein die
Dnrchschnittsziffer 81.65^0 überschreitender factischer Sehnlbesnch seigte sich
bisher nur bei den Schulpflichtigen mit ungarischer, deutscher und slovakischer
Muttersprache, während der Schulbesuch der rumänischen, serbischen, kroati-
schen und ruthenischen Kinder hinterdieser Ziffer zurückblieb.
„Mittelschalen" bestehen derzeit in Ungarn 180, nämlich 151 Gym-
nasien nnd 29 Bealscholen. Hiervon sind vollständig, d. h. 8claB8ig 91
Gymnasien und 22 Bealacfanlen, die übrigen i>ind erst 4 — (klassig. Die
Gymnasien Imtfen zusammen 36367, die Realschulen 7303 Schüler, so dass
von je lUlH) Schülern 83.3 das Gymnasium, 167 die Realschule besuchen.
Hierzu bemerkt der Minister: „Die Verhältniszahl der Gymnasial- und RtaX-
schfiler yeribidert sich seit Schafltmg des Mittelsebolgesetes dauernd in einer
Bichtnng, nlmlidi an Gunsten der Bealschnlen.** ThatsScfalioh kamen
im Schnlliahr 1883/84 auf Je 1000 Gymnasiasten 147 RealschfUer, wahrend die
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letztere Zifter in den folgenden .Talireo auf 151, 1Ö8, 170, 191, 198, 201
stieg (immer im Verliültnis zu lOüO).
BesttgUoh der Hochsehiilen weilt der Ministeriallierioht naeh, dan die
Ceutingeiite der Lehnunteoandidateii und der Techniker in Zonahme bet^üfen
sind ingeriDgerem Maße auch die dar landwirtschaftlichen nnd der milititrisciien
Carriere. „Die oft, hesprorhene nnd vielfach lieklu'^te iibrrniiißicre Freqnenz
der juridischen Facnltilten und Akademien hat ancii im vertlossenen Sclui'ialir
nicht abgenommen. Es zeigt sich vielmehr auch hier eine kleine Zunahme.
Dafegen aeigt sidi bei den Tlieologen, bei den Candidaten des fofatoaoniaehen
nnd des bergmännischen Bemfes, ja anch bei den Medidnern leider wieder eine
geirisse Abnahme." Bezüglich des Stodienerfolges ergibt sich, dass im Berichts-
jahre von 877 Juristen 5->l (50.52" „l von 297 Medicinern 207 von
140 Hörern der philosophischen Facultät blos 38 (27 '^(,), von 2 1 0 Tecbnikeru
80 (38 7o) Ziel erreicht, d. h. das Absolotorinm erreicht hatten.
Anf dieae wenigen Angaben mHüen wir nni leider fBr diesmal besohrSnken,
nnd indem wir diejenigen, welche sich mit dem hochinteressanten Sdinlwesen
Ungarns genauer bekanntmachen wollen, auf den Bericht seihst verweisen,
schließen wir mit dem Wunsche, dass (iraf Csäky noch recht lange auf seinem
wichtigen Posten verbleiben möge. Was er bisher geleistet hat, zeugt ebenso-
woL Ten tiefem VerstSndnis, wie von redlichem Willen nnd treuem Eifer für
sein bedentaames Amt und kann dem ungarischen Patrioten wie allen Freunden
dea CnltiirfintiGfarittea nnr so lebhafter Oenngthnnng gereichen.
Die „Bistritzer Zeitung" (8iebenbürgen) bringt einen offenbar von sach-
kundiger nnd schalfreondlicher Hand verfassten Aufsatz, in welchem iiachge-
wieaen wird, dav die Gymnaaien der aiebenbürgisehen Sachsen mit den bisherigen
Mittdn unmöglich anf die Daner erhalten werden kennen. Nam«itlich sind
die Lehrergebülter Iiinter den dringenden Bedttrftaissen der Gegenwart veit
zurückgeblieben. Möge es dem wackeren Volke gelingen, der offenbaren Noth
mit den rechten Mitteln abzuhelfen. Es handelt sich da in der That um eine
LebensiVage der Siebenbürger Sachsen!
England. Während in Preußen abertnals ein Schulgesetz- Entwurf ge-
scheitert ist, hat England einen neuen großen Ph fulg auf dem Gebiete der Volks-
bildung aufzuweisen. Einen sehr beachtenswerten Artikel hierüber bringt die
„Neue freie Presse", dem wir mit Vergnügen Kaum geben. Er lautet:
Von allen Qeaetaen, welche die eben abgelaufene Session des englischen
Parlaments bescUosam, ist keines folgenrddier, finchtbarer nnd bedentaamer,
als dasjenige über die Volksschule. Das Foi ster'sche Schulgesetz vom Jahre 1870
hat den iSchuLswang eingeführt (Vlies ist nicht ganz rielitig. D. R.), aber Tn-
spector und Gemeindediener vermochten nicht die Massen des Volkes für den
obligatorischen Schulbesuch zu gewinnen, die Schulgebüren, welche die Eltern
sa entrichten hatten, wann dieaen verhasat, nnd nach wie Tcr blieb«i die Kinder
der ftrmeren Leute der Schule fem; aelbat in London besnchen thatsächlich nnr
80 Percent der schulpflichtigen Kinder die Elementarschulen. Die Londoner
BehJ^rden haben wol gesetzlich die Aufgabe, die säumigen Eltern zu verwarnen
und im Wiederholungsfalle zu strafen, allein die Behörden unterließen es schließ-
lich wegen der Masseuhaftigkeit der Falle. Man suchte mit philanthropischen
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Mitteln nackzahelt'ea; man setzte Treise und Belolinungen ans; der Schulbesuch
blieb jedoch eia iiBregelmifNger and mangeUiafter, die (äftasenisiinnier blieben
nftch einigen Wochen in den Graftohaflen, wie Im Ostend Londona leer. Oe*
wissenlose Eltern benützeu die Kinder zum Broterwerb oad Betteln, sie tragen
das Geld lirber in die Sclienkc. als in das Scliulamt; man senfzte in England
gerade so über dio liuhen Scbullaston. wie bei uns in den Ali)enländcrn ; mau
wollte die Kinder lieber zum Vielitreibeu oder iu den Webereien und Spinnereien
verwenden , als de in der Volksschnle sitsen sehen, wie bei nns; man fand es
gerade wie bei nns llberflüssig, dass die Kinder mehr lernen nnd wissen als
die Eltern; ancb in England fiinden sich genng der falschen Propheten, welche
die Lehre predigten , dnss der Staat nicht gesetzlich über die Kinder und ihre
Erziehung verfügen dürfe, dass es ein Kingriff in das Kccht der Eltern sei,
wenn der Staat verlange, dass die Kinder von 5 bis 1 4 Jahren die Schule be-
suchen. Dieselben Argumente, welche wir in Österrdch von den nltramontanen
Wortführern, in Deutschland von den Centmmsrednern , in Belgien von der
Geistlichkeit und ihren Anhängern in der Kammer, in Frankreicbs Legislative
von Bischof Freppel zu hören bekaiin ii - sie haben wir auch in England zu
verzeichnen gehabt. So nniform, so armselig, so verlegen klingen diese opposi-
tionellen Reden allenthalben, nnd Gonservative reinsten Wassers, wie Baxtley,
erhoben Kassandra-Bafe nnd verkftndeten das Ende Alt-Enj^Iands. Noeh im
H&rz dieses Jahres glaubte man, die Volksschnl-Bill werde anf onbestiromte
Zeit verschoben, sie werde nicht zustande kommen: Gladestoneaner nnd Radi-
cale jiilelten bereits, sie nahmen die Bill, mit der Eigänznng, dass das ganze
Elementar- Schulwesen unter die Aufsicht wiihlbarer Behörden, also mittelbar
auch der Wlhler selbst zu stellen sei, in ihr znkflnftiges Wahlprogramm anf.
Und siehe da! Das Gesetz ist angenommen, dorch eine geschickte Verbindung
liberaler und conservativer Interessen ; Salisbury verstand es, seine conservativen
Anhänger von der Nothwendigkeit der Saclie zu über/engen. Unionisten. Glade-
st<»neaner und Kadicale mussten, wollten sie nicht ihre GrundsUtzc ganz ver-
leugnen, dafür stimmen — und so sah man das erhebende Schauspiel, wie unter
der Devise: „FQr das Wol des Landes" alle Parteien der Fahne von Sir William
Hart-Dyke, dem Yerflisser der Bill, dem Vice-Präsidenten des Conseils, folgen.
Seine Vorschläge waren so einfach, maßvoll und praktisch, dass ihr Erfolg un-
fehlbar wurde: sie vermieden es. sich gegen die Privat- (freiwilligi-n l Schulen,
oder gegen das Abkommen bezüglich des Religionsunterrichtes zu wenden,
noch erhoben sie die KormalBchulfrage auf das Programm der jRegiemng. Die
letstere wusste, dass das Hanptargument gegen den Scfauhswang die theuren
Schulgebüren seien; deshalb richtete sie ihr ganzes Augenmerk auf die Ver-
widfeilnng der Gebären, so dass die Schule für viele ganz kostenlos, für
andere fast unentgeltlich wird : sie vorinied es, die Scliulgeldfrage durch ander»'
Coutrovei-sen zu verwickeln, und so gelang das Werk, das auf Generationen
hinaus segensreich wirken wird.
Ein Werk der schwierigsten Art In England mehr als irgendwo sind
der Individualismus und das Princip der Selbstverwaltung entwickelt; mehr als
der EnglUnder sträubt sich wol niemand gegen staafü' In- Revormnndnng: dazu
war ja in f]ngland nicht wie in Österreich und 1 'l UtM liland die SeliuK- ein
Politicuui, und bis vor zwanzig Jahren entbelirte dai> Inselreich ganz und gar
der politischen Sehulveiliusang. Erst nach der EinfOhrung des obligatorischen
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(V 1>. K.) Schuliinterrichtea. also nach 1870, traten in vorschiedouen Städten
and läadlichen Bezirken die School-Boards ins Leben, gewählte Collegieo, welche
die Scholen erriehteteii und Terwalteten; dieSchool-Bourda hietton alBoBoards-
Schools. Eine gBwIite Controle lag in den Htaden der Begiernng oder des
Cktnncil of Edacation, von dem die Scbnlinspectoren ernannt, auf dessen Antrag
ancl» Ziisclmsse von der Kegiernng gewährt worden. Der Staat ließ diesen
Schalen, die sich nach Unifanp des Unterrichtes abstuften, einen weiten Spiel-
raom; von dem Umfange dos Lehrplanes, der Zahl der Schüler und dem Grade der
Lelftiiog dar Schule hing jeweilig dieHShe der itaatUehenSabTention ab. Der
Staat forderte alao biaber blos den Volksontorricht, aber die Yerwaltong lag
In den Händen der School*Board8, und die Kosten trugen die wahlberechtigten
Steuerzahler. Sie hatten bisher im Verhilltnisse zur Hausraiete eine besondere
Schulsteuer zu entricliten, iUinlich wie bei uns in Wien. Außer dem Einkommen
aus der Schulsteuer und der staatlichen Subvention war noch ein Schulgeld
dkigefBhrt; das Board war vom Parlamente ermächtigt, von Jedem Schiller jede
Woche einen Beitrag bis m nenn Pence einzufordern. Man denke sich, eine
ilmiere, mit Kindern gesejrnete Familie hiltte jfMle Woche für jedes Kind etwa
fiinfunddn ißiff Kreuzer zu entrichten. Freilicli gibt esDistricte, wo das Sclml-
geld weniger beträgt; immerhin war das Schulgeld hart für die nothleideudeu
Hassen, nnbeliebt bei den Eltern und demfithigend f&r den Lehrer, der, wie
der Schnlmeister des Vormirs in Österreich, in der Classe von den Sdiillem
selbst die Pence einzusammeln hatte. Anch dieser Vorgang verschwindet forton
aas den engrlischen .^chnlen.
Eine Frae;e schwebt anf des T.esei'S Zonge: Wie verhillt sich die (u'isl-
lichkeit zur Schulreform? Die Schule wird ja vor allem iuterconfessiouelil
Doch nnr dieStaatsldrehe hat Ursache, nm ihre Kirchenschnlen besorgt zn sein.
Die Diasentars, welche nahean die Hälfte der Bevölkerung darstellen, und ins-
besondere die ürniere Classe sind mit dem neuen Schulgesetze zufrieden, denn
sie vertreten den Grundsatz der Gleichstellung aller Secten vor dem Gesetze
und ebenso in der Schule. Wie die Voluntarv-Schools, von Kirchengemeiuden
erhalten, sich neben der kostenlosen Staatsschule behaupten werdeu, ist die Frage.
Han meint, sie werden bald eingehen; vielleicht werden sie sich in Sonntags-
schnlen. das ist Religionsscholen, verwandeln. Der Beligionsunterricht ist in
England nicht Sache des Staates, sondern der Kirche, und wird t hat sächlich
von dipser in den Sonntagsschnlen gegeben. Und dennoch ist der Eiiilliiss der
Geistlichkeit in England gewiss kein geringer und die t'römniigkeil der Briten
eine sprichwörtliche. Man sieht, auch das f^ie nnd fh)inme England hat sich
endlich seiner großen Cnltnranfgabe erinnert nnd sein Sonverftnitiltsrecht als
Gesetzgeber der Schule aufgenommen; die Kirche fugt sich, sie nimmt deshalb
den in England aussichtslosen Culturkampf nicht anf nnd bestreitet fürder dem
Staate niclit mehr das Krcht anf Schulgesetzgebung, Sehulaiifsicht nnd Schnl-
verwaltung. Anch mit diesem neuen (iesetze nähert sich, wie mit der Social-
gesetzgebnng, England, das insulare nndisolirte, mehr nnd mehr dem Continente
md seinen Onltnrreformen. Es ist dabei gann von seinem Qenins berathen.
Es fasste die Schulreform als Geldfrage auf nnd fand dafür sofort Verständnis.
Das neue Gi setz erweitert die bisherige Subvention der Kegiernng um je zehn
Shilling per Ko[>t\ welche das Scbnlgeld in allen Schulen «'rsetzm sollen, in
deueu der Durchschnittsbetrag desselben am letzten Neujahrbtag nicht ein höherer
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war. In allen Elementarschalen, in denen das Schulgeld im Jalu-e bisher weniger
als sehn Shilling betrug, wird der Untenielit also ein vOllig imentgeltUelier
werden. Zwei Drittbeile aller Elementaraehnlen bekommen ganz freien, ein Drlt^
theil einen fast freien Unterricht Es ist eine große, segensreiche That der Cultur-
Politik, und die Gesittunf? des onplisclion Volkos wird von diesem Gesetze eine
neue Kpoche datiren. I)«as8 es ein conserv ativts Calinet war. welches dieses
Gesetz vorgelegt hat, gereicht ihm zum Kuiime und ist auch tiir uns Coutinen-
talen sehr lehneieh. Es neigt den nngehenren TJntersehied zwischen den
,)Gonsenrati?en'' des Continents und denjenigen Englands. Was sich als öster-
reichischer Feudaler und Clericaler, als Junker und Mncker in Norddeutschland
conservativ noinit, würde ein Tory heutzutage nicht als Gesinnunpsirenosseu
gelten lassen. Disraeli bat den Conservativen Englands die Balmen gewiesen;
er hat gezeigt, dass auch Conservative Beformgesetze scliafieu können. Die
Graftchaitsritthe des CabinetsSaliabnry haben bewiesen, dass die GtmservatiTen
anf dem Gebiete der inneren Bef<nin nicht ohne Glück sich versnchen, Salia>
bury als Beaconsfield's trefflicher Schüler setzt den Ehrgeiz darein, zu zeigen,
dass Conservative die überlebten Einrichtungen alter Zeit nicht verst^iinern
wollen, wol wissend, dass in England am Ende des neunzehnten Jahrhunderts
für GonservatiTe vom Schlage Österreichischer nnd preoBiseherHochtoriea kein
Banm, keine 9ffientliehe Bilhne, keine politische Maeht mehr vorhanden ist^
Nordamerika. Vom riU. Juni bis 4. Juli tagte in Cincinnati (Ohio) der
„Devtseh-amerikanisehe Lehrerbnnd'*. Die Sdiwierigkciteu, mit denen
derselbe zn kSmpfsn hat» konnten aieh diese Versammlnng nicht nnberUirt
lassen. Sie bestehen darin, dass dem Deutschtham nnd besonders der deutschen
Schule in Nordamerika vielfach Misstranen und Feindseligkeit entgegentritt,
und dass unter der deutsch-amerikanischen Lehrerschaft heftige Zwist igkeiten
der gemeinsamen Sache Abbruch thun. Diese Verhältnisse kamen denn auch
schon bei ErOibinng des Lehrertages in Cineinnati znm Ansdraeke, indem der
Vorsitzende des Ortsanssdinsses, HeiT Rattermann, die „kleinlichen Zänke-
reien" beklagte, „denen wir Deutschen wegen der einmal unvermeidlichen
Krllhwinkler unter uns. die alles beniilkeln niü.s.son, was nicht aus üirer eigenen
Werkstatt kommt'', ausgesetzt sind. Meinungsverschiedenheiten aus sach-
liehen Grfindai seien statthaft und heilsam; denn, so sagt Herr Rattermann
schSn nnd wahr: „Gegensätze bilden die Triebfeder aller Thfttlgkeit, nnd die
Mannigfaltigkeit der Ideen und Anschauungen ist die Würze des geistigen
Daseins. Aber persönliche Zerwürfnisse seien unter allen Umstünden ver-
werflich und zer8tören<l. „IKis Deutschthuin hat es gerade jetzt nötliiger als
je, sich in Einheit zusammenzuscharen uud dem drohenden Anstürmen feind-
seliger Elemente, welche die dentsehe Sprache ans Familiei Schule nnd Ctosell-
sehaft in diesem Lande zn verdringen sich bemtthmi, kräftig entgegenwiiken
ZQ können."
Auch der iMii^^ident des T.ehrerbnndeg, Herr Fiek, sclihiq- in seiner Er-
iitl'nuiigsanspraehe die nämlichen Töne an: ,Jst der deutsche Lehrer sieh seines
Kechtes bewusst, su mag er muthig eintreten in deu Kampf, der ihm nicht er-
spart bleibt Aber vor allem thnt hier Znsammenhalten noth. Nnr der Kräfte
vereintes Streben fihrt znm Sieg, wo Zersplittemng den Ansgang in Frage stellt^
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Neben Symptomen mancher Dissonanzen bot der «lipsiilhrige dentsch-
amerikanischc Lelirerta^r auch reclit erfreuliche Erscheinungen, Die Stadt
Ginciimati bewährte ihren alten Kaf der Gastlichkeit und Gemüthlichkeit; der
OitsausebiiM hatte die besten Toiberdtiuigeii getrdliBn; die Veraamiiiliiiig
eelbet war» ivenn auch nieht etarlc, dodi immeriiiB ausreichend betncht nnd
entwickelte löbliche Ansdaner in emster Arbeit; die Vortrüge waren mannig-
t'alti>. zweckentsprechend und meist sehr gelnngen. Auf letztere gedenken wir
noch zurückzakommen.
Aus der Fachpresse.
485. Leitfaden für Gesellschafts-, Staats- und Vaterlandskunde
in Fortbildungsschulen (0. Huuziker, Die gewerbl. Fortbildougsschule
1891, Vn). Referat vor der Fortbildnogsschulcommission der Schweiz, gemein-
nttdge Oeselhichaft. — „Qnradxage": 1. Der Sehmerleitlhden soll die freie
Thätigkeit des Lehrers nicht ersetzen, sondern nur das Nötigste enthalten, nm
den Scliüler /u Ijefühipen, dem Lelirgang leirliter folgen zn können — die
wesentlichen 1 'unkte klar formuliien — die für das Verständnis schwierigen
Ausdrücke, in sicherem Wortbild üxirt, erklären. — 2. Auch vom Gesichts-
punkte der in Fortbildongssehnloi Ar die fraglidMO Uatenfehtsgegenstlnde
yerfOgbaren Zelt, wie von denjenigen efaier mSfl^ehst geringen ftuuudeUen
Belastung der Schüler empfiehlt sich gedrängte KUrze. — 3. Anzuknüpfen an
den Gesichtskreis der Schüler. — 4. Volkswirtschaftslehre, Gesellscliafts- und
Staatskniide als Einführung in die Vaterlaudskunde und in en^er \'erbindun8'
mit dieber durzubieten. — Aus den gesellschaftlichen und staatsgenossenschaft-
Ucfaen Verbftltnissen kommen wesentUcb in Betradit: I. Entstebnng der geschicht-
lichen Formen socialen Znaammenlebens (Genossenschaft, Gemeinde, Staat).
Innerhalb derselben; Beziehungen von Kecht und Pflicht, Theilnng der Arbeit;
Ausblick auf die srtcialen Fragen. — II. Verschiedenheiten (Aristokratie, 5[on-
archie, Kepublik; Einheitsstaat, Bundesstaat, Staatenbund) und Gliederung
(Gesammtstaat, Canton, Bezirk, Gemeinde) der staatlichen Organisation. — >
in. Elemente der StaatSTerfiMsnng (Verfiusnng, Geseta, Vennrdnnng, Tren-
nung der Gewalten. Oesetagehnngs» nnd VerwaltungsbdiOrden. Grand- nnd
Volksrechte.)."
486. Umgestaltung des Unterrichts in der l'liysik (E. König,
Kepert d. Pädag. 1890/91, X). Berücksichtigung ihres Zusammenhanges mit
den fibrigen natnrwlssenschaftlichen Fftdiem. Diese sollen an innerer Einheit
yerbnnden werden ^atnrfcrftfte — NatnrkSrpert). Beacfatnng der Tbatsaebe,
dass sich Naturkräfte nnd Naturkörper denselben Gesetzen fflgen. G^pen Ende
einer Jahreszeit die derselben eigenthünilichen Erscheinungen znsammenstellen
und zn der Aufgabe der betreft'enden Jahreszeit in Beziehung setzen. Ordnen
des Stoffes nach Gruppen erst am, Schlüsse des Jalires. — Ausgangspunkte:
Beobachtnngen der Sehfller. Ctosetae in leieht fiuslicher, nicht mathematischer
Fora. Beweise nllthig; aber sie sollen nnr einfache, verstandesgem&Se Sehlnss-
folgen darstellen.
487. Zur Geschichte des l'hilantliropisnius (E. v. Sallwürk, Deut-
sche Blätter 1801, 1. 2). Sumuie dessen, was der riiilanthropismus seit
120 Jahren der Erziehung geleistet: „Er hat durch strenge Durchführung
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Lookescher (ndanken der Pestalozzischen Schule vorgearbeitet uud die
Ijsychologische Führung des Elementarunterricht» als eine unumstößliche For-
derung begründet; er hat durch ADerkenDimg der Ffiieht, den ganzen, auch
den leiblichen Heoachen sn bildea, die mittelalterliche Anechamiiig der Er-
ziehnng beseitigt und auf diesem Gehiete ftberhaupt das ernster aufgestellt, dem
wir in der «öffentlichen Erziehung erst völlig nachzukuninun haben; er hat
cndlicl» die relii^iiise Unterweisung, welche durch die pietistisrhe Schule gluck-
lich aus der dogmatischen Erstarrung gerettet worden war, auf den Weg
geleitet, auf dem allein die Beligion za einem inneren Bedfirihis erhoben
werden kann."
488. Volksbildung und Lehrerbildung. (K. v. Sallwürk, Nene
Bahnen 1891. V. VIX Vorbemerkungen — Lehrerbernf und Volksbildung —
die Didaktik des Volksschulseminars — die Vorbildung des Volksschulsemina-
risten. — Dieser gehaltvollen Arbeit kommt die höchste Bedentung zu: sie
188t die Frage der Lehrerbildnngr in ihrem Kernpunkte Tollkommen.
— Wir mftnen um hier leider daranf besclir&nken, die allerweeentlidittMl
Stellen herauszuheben: ,,Wenn die Seminaristen (geschult, wie geiren wilrtig
tiblielii zum Abschlnss ihrer Bildung gelangen, sind sie noch nicht reif genug,
die große Verantwortung zu begreifen and zu tragen, welche ihr zukünftiges
Amt ihnen auferlegen wird. Aber daran trftgt nicht etwa die knrse Seminar*
zeit die Sehnld, sondern die Form der Seminarbüdnng." »Wir weisen dem
Volksschullehrer seine Stelle an unter den Gebildeten, aber nicht unter den
(Telehrten," (Im Anschlnss an diesen Grundsatz lesen wir hohe Worte über
die dem künftigen Volksscliullelirer zu gebende wahre Bildung.) ^Der Vulks-
scliullehrer soll ein Mann seines Volkes und seiner Zeit sein.^ Darum von
seiner Bildung in erster Linie au fordern: „dass sie ihn mit dem ganzen Um-
fang der allgemeinen VolksbÜdnog bekannt mache. Das ist nicht wenig ^
und nicht genug." „Grttndlichkeit mnss die wesentlichste Richtung seiner
Bildung sein, und sein Wissen mnss die Beziehungen zum täglichen Leben
übel-all festhalten; die Gründe alles Wissens müssen sorgfältig gelegt, die
Gmndstoflfe jedes Wissensgebietes in der ganzen Vielseitigkeit ihrer Be-
siehungen und ihrer Erwirkungen auf das menschliche Leben aulh genaueste
durchforscht und zu lebhaftester Erkenntnis gebracht werden; ein reiches
und vielseitiges Leben ist in den N'olksschulseminaiisten aufzubauen. ..Die
Seminaristen müssen über alle wichtigeren Punkte in jedem Fache discutireu."
— Art der Vorbildung: „Die lateinlose Realschule (was soll der
Volkssdiullehrer, wie wir ihm meinen, mit der Sprache der alten B5mer?),
welche in sechs Jahrescursen einen gut abgeschlossenen Lehrgang grttndlich
dnicharbeitet, dient unsern Zwecken durchaus; sie bietet all^i was wir als
Grundlage der künftigen Seminarbildung wünschen müssen." — ''Xndi dieser
abschließenden Tliat Sallwürks bedarf die Frage der T,elirei liüdung einer
grundsätzlichen l^röiteruug nicht mehr, wir haben uns nur noch mit der
zielgerechteu Ausgestaltung des eigentlichen Unterriehtsbetriebs im Seminar
zu befiwsen. (Sallwftrk liefert dazu mehr and weniger ausgeffihrte Skizzen.)
489. Der deutsche Tut . i ri' Iit auf der V. badischen Directoren-
conferenz (J. H. Schmalz, Z. itsrhr. f. d. deut.schen Unterr. 18Ü1., \' l Be-
trifft die höheren Schulen. i»ie Conferenz einigte sich u. a. über tolgende
I'onkte, die als Ansicht des DirectorencoUegiums gelten können: „Die Pflege
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der ilntterspracbe ist mit dem ganzen Uiiterrichtsbetrielje nnzertrennbar ver-
bnuden; jeder liebrer der Anstalt ist dalier zuffleicb Lebrer des Deutseben:
im sprachlichen Unterricht nimmt das Deutsche geradezu eine Central-.Stellung
ein." nD«r Unterricht im Dentseben ist bis Obertertia womöglich dem Lehrer
dM Latein m ftbergeben.** „In Prima erscheint eine Verbindnn; des Dent«
sehen mit der Geschichte anch zweckmäßig. " „Die allgemein übliche, der
lateinischen Spraclie entnommene, geradezu internationale |2:raramatisehe Ter-
minobgie ist auch im Deutseben anzuwenden." iKeferent: „Einlieit dergram-
matiscben Bezeichnung im Gesammtspracbunterricht durch Einführung deut-
scher Namen ist ein zn erstrebendes ZieL") Folgende BefonoTorsehlSge Frans
Kerns s^n „reif zor Einltthntn; in die SdinlpraiiB*': „Ansgehen yom Verbiim
finitnm bei der Satzanalyse, Beseitignnj? der Copnia (gining^e Majorität), Be-
seitiprung der Bezeiclinnn^en logisches vSubjert. prflpositionaies Object, nadcte,
umkleidete, zusammengezogene und abgekürzte .Siitzo."
490. Die Wissenschaft und der Deutschunterricht (Ad. Sociu,
Schweiz. Lehrerz. 1891, 17 — 22). Nor USmng der TheOanfgabe: „Die
dratsche Grammatik in der Schnle.'^ Verf. hat die „lateinlose Mittelschnle'^
und zwar hier die „mittlere Stufe" im Auge. Für diese verlangt er: „einen
kurzen grammatischen Abriss, welcher an Hand des Lesebuchs und der Stil-
übuugen näher zu intei'pretiren ist." — Endergebnis der Untersuchung: „Die
Bedeotnng der wissensdiaftlichen deutschen Grammatik für den Unterricht
lieg:t mehr anf der negativen als anf der positiven Seite: sie kann wenig Neues
einführen, sebafft aber manches Systematische ab. Sie legt das Hauptgewicht
weniger anf abstracte Begriffe und Anirenblicksregeln, als auf gedankliclip
EntWickelung einzelner Erscheinungen, Dun ii die Abwerfnng des übeT-tlüssigni
Ballastes ist diese inductive Methode geeignet, eine wiikliche Vereinfachung
und Bntlastang des Dentsehnnterrichto herbeiznAhren.'* — Bemerknng fiber
den Unterrichtebetrieb im allgemeinen: „Nichte verkehrter als die Meinung,
dass der Deatsehnnterricht ttberall nach der gleichen Schablone gegebm wer-
den müsse. Die neuhochdeutsche Scbriftpracbe ist, da sie ihren Ursprung so
Violen Dialektmiscbungen verdankt, überall dem Lernenden balb bekannt, balb
iremd; das Bekannte und das Fremde sind aber nicht überall das Nämliche.
Je individnalisirender (liebliches Wort!) darom der Dentschnnterricht ist, desto
erfblgieicher wird er wirken." — EinzeUudttti: a. Die Sprache ist nicht sowol
ein Erzeugnis der Logik, als vielmehr instinctiv wirkender seelischer Factoren.
b. Maßgebend für die Aussprache des Schriftdentschen sind der Buchstabe und die
ortsübliche Tradition, c) Die Terminologie ist nur ein Mittel, dazu bestimmt, ver-
gessen zu geben, sobald der Zweck erreicht ist. Beibehaltung der hergebrachten
lateteisehen Bezeichnungen: Das ist gerade derVortheil dieser Ausdrücke, dass
man an ihre ursprüngliche Bedeutung gar nicht mehr denkt, sondern dass,
sowie man einen von ihnen aussprechen hört, unwillkürlich ein Beispiel unter-
gescboben wird. d. Für die Unterschiede in der Deklination nur Typen auf-
stellen, und zwar folgende elf: Hund, Kind, Narr, Frau, Bett, Knabe, Auge;
Hand, Mann, Vogel; Wagen (maßgebend, Mehrsilbigkeit, Umlaut), e. Bdm
Vevbum ist das Fehlerverzeichnis die beste Grammatik fBr den Lehrar. f. Treff-
liche Rathschlage für die Satzlehre bei Erdmann, Grundzüge der deutschen
Schulen nach ihrer gescbicbtlieben Kiitwickclnng, Stuttgart 1886.
491. Geographische Grandbegriffe (H. Ellrich, Freie päd. Bl 1891,
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10). Veif. weiß „für alle jene Schulen, die mit iliron Kindern von der Natur
abgeschnitten sind, kein besseres geograpliisdies Lehnnittel des ersten grand-
le^endeu Unterrichts als ein LandschaftHmudell/. „An einem solchen Bilde
aoll das Kind telm, was die Erde trigt und was dem Mraschen bei einer
Wandernng durch die Welt in vergrößertem Uaflstabe vor das betrachtende
Ange tritt." „Die Vorstellungt n wurden vor einem solchen Anschauungsmittel
niemals von der lUiantasie aufliTwege geführt werden: sie gestalteten sich von
Anfang an richtig und gäben einen gesunden und testen Untergrund für die
Weiterreise in die weite Welt." (Es soll „kein bestimmtes, durch die Wirk»
liehkeit im großen TorgeaeiehneteB Landsdiaftsbüd**, sondern ein Phantasie-
Stfick sein.)
492. Die Eisenbahnen im erdkniullicheii Unterricht (A. (Jore:es,
Deutsche lUiltter 1891, 17i. Das Wort „wichtig" ist in der Neuzeit auf
andere Gesichtspunkte zu beziehen als früher. Scheiden wir das zwar ehemals,
aber nicht mehr gegenwärtig Wichtige au», so gewinnen wir die nOthige Zeit
für die heute sehr wichtige Eisenbahnkunde. Am einüuhsten vnd natttrUcbsten
anzureihen an die Behandlung der Stftdte. (Die Bahnen sind stets mit ihrem
amtlichen Namen zn nennen.) Bezielinnpren zn anderen als geographischen
üiiterrichtsstoffen hauptsächlich bei den naturwissenschattlichen Fächern zu
Huden. — „Sicherlich wird der Versuch einer eingehenderen und mehr selbst-
ständigen Bearbeitung der Eisenbahnknnde den Lehrer mit erhöhtem Interesse
seiner Schüler belohnen." (Etwas komisch Idittgt die Äußerung: „Tritt nicht
des Schöpfers Weisheit im hellsten Lichte zutage in den mannigfaltigen und
wunderbaren Kräften, welche beim Bau uml betriebe df>r Eisenbahnen, in den
gr»tt liehen Geistesgaben, welche im Menscheugeiste bei der Verwertung derselben
(V) zur Erscheinung kommen?'')
493. Knaben und H&dohen in ihren schriftliehen Arbeiten (K.
Döring, Päd. Zeitschr. 1891, 30). Thatsache: Die schriftlichen Arbeiten der
Knaben stehen gegen diejenigen der Mädchen hinsichtlich der Sauberkeit und
Wolgenilliifkeit weit zurück. Ursache: Kleidung, Spiel und Spielzeug, dazu
die Nadelarbeiten der Mädchen verlangen nothwendig Sorgfalt, Sauberkeit,
Oeschmeidigkeit, leiditen und leisen Griff. Daher fUlt es ihnen verhältnis-
mftBig nicht schwer, mit Federhalter und Tinte geschickt nmsogefaen.
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Literatur.
Arnold Ohlert, Die deutsche Schule und das classische Alterthnm. Eine I'nter-
Buchnng der Grundlagen des gymnasialen Unterricht«. Huuuover 1891, Karl
Meyer (Gustav Prior). 188 S. 2 M. 40 Pf.
Diese Schrift gehOrt su den mUreichettVeTsuchen, eine Reform der höheren
Lehranstalten oder, wie man in nstcrreich und Süddeutschlaud sagt, Mittcl-
schuien anzubahnen, la welchem Sinne der Herr Verfasser die Aufgabe gelöst
wiaBen irill, dies miSgen einige Kemstellen seines Buches zeigen. ^Han oeoDt
unser Jahrhundert realii^tiscli. Dtis hultni wir cror;ul<> filr einen großen Vor-
zug. Wer eä deäwogen auch nmtcrialisti.seh ucuucn und ihm die Idealität der
Qesinoung absprechen will, der versteht die heutige Zeit nicht. . . Der Idenlis*
mUB des 18. Jahrhunderts jagte, vom Boden der Wirklichkeit losgelöst, abstracton
Tiiumereien nach: seine große .Schwäche i^t, dasn ihm vbilig die Fähigkeit
abging, seine Ideen inThatcn umzusetzen. Heute verwandeln wir nnmreUeen
in praktische l'roMeme, das heißt, wir streben danach, unsere Ideale nach
Müglichkeit zu verwirklichen. . . Wir sind in unserer Thätigkeit, in der Wahl
der Mittel rar Aueftthrung unserer Ideen, realistisch, und &m tat uaew Stola
und unser Vorzug; anderseits streben wir in der Ausgestaltung unseres gcsammten
geistigen, sittlichen und socialen Lebens viel ziclbewusster und eucrgi.<i-hcr dem
Ueal entgegen, als es je bisher gesdiehen ist. Deshalb setzen wir unser ganses
geistiges Leben in Beziehung zur neijenwart" (S. 91). ..Wer sieh heute von
der idealen Arbeit an dem Ausbau unserer staatlichen Einriehtuugen, au der
Besserung unseres sittlichen und socialen Lebens ferne hftlt, den zeihen wir
einer nahe an Unsittlichkeit [grenzenden Schwilehe. Aus diesen (rriinden ist
die Organisation des gymnasialen Unterrichtes so unerträglich Die Gegen-
wart hat nicht die Zeit die Beschäftigung mit einer noch so interessanten
Vergangenheit zum Mittelpunkt des Unterrichtes zu machen; daher drängt sie
mit der ganzen Wucht ihrer Interes.sen auf eine Einschränkung des classiscben
Unterrichtes hin. . . . W'ir haben die Entwickelung des geistigen Lebens der
Gegenwart nach ihren Hauptrichtungen verfolfft. Ihr Chariüiter besteht in
einer entschiedenen Loslösung von dem Geistesleben der antiken Cultur und
von der Humanitätsidee des aelitzchnten Jahrhunderts. Drei Mächte, der rea»
Uatiache^den großen Culturaufgabeu der Gegenwart zugewendete Sinn, die
neuere wissenraiaft und die Nationalitfttsidee, beherrschen das Denken und
Fühlen der modernen Menschheit iniiiier aussehließlieher. Jede einzelne würde
SDügen, um das homanistiBche Gymnasium in arge Bedräim;ni8 su versetzen,
r Zusammenwirken madit die Lage des (lymnasiunw horanttgriof* (S. 92^.
„Das moderne Denken und Empfinden ist iilu r dir antike Cultur wie Uber die
Auflassung des achtzehnten Jahrhunderts eudeiitig hinweggeschrittea. . . . Die
antike Wdt kommt für den ünterrieht lediglich vom histoirachen Gesiehtspunkte
iius in Betracht. .. . Es n;il)t nicht zwei glcirhw ertit2;e ISildungszielo. Da- (rym-
ua^iinm darf nicht durch eine Spaltung der Schulen gerettet werden, denn daa
hnmanistisdie Bildungnriel entspricht nicht mehr den Anforderung«» der Zeit.
Die deutsche höhere Schule kaun nur eine Einheitsschule Pcin. . . . Der T'ntir-
ricbt muss die heranwachsende Jugend zu modernen Menschen im besten Sinne des
Wortes ermelien. Der üntenidit muts der Pflege deutschen Wesens die hdchste
Aufnierksaiiikcit zuwenden. Deutsche .Sprache, deutsche Literatur, de\i(>chc (>e-
schichte mthiseu der Mittelpunkt der gesammten deutschen Erziehung sein. ... So
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besteht das Ziel, dem die Eiitwickcliiiii? unserer liöherea Schule entgegenatrcben
soll, in der vullcu Ausgestaltung aller nationaU u uud modernen Bilduagsbcstiind-
tbeilc mit ßeibehaltuna: des griechudien, aber BeseitigaBg des lateinüchen
Unterrichtes" iS. 150 ff.).
Die vorstehenden Citate zeigen zur Genüge den Ki rn d- > hier vorliegciidcn
Roformprojects. Eiuoti Oriranisations-, speciell einen Lchrphm für die in Aus-
sicht geuoiuHicne neue Schule hat Herr Ohlert nicht aiilLrestt llt, weshalb wir
auch in dieser Beziehung nichts zu berichten und zu bcurthcilen haben. Nur
i-t ii'm Ii an/.ufiihren. dass sich Herr O. der Sch\vieritik«>iten, wekhe der Durcli-
tiUiruiit; seiuer Ideen entgegenstehen, wol bcwusst ist, weshalb er ausdrücklich
bemerkt, es kOnne sieh ,.der Übergang in die m neu Verhältnisse nur anf dem
Wege lanersainerEnt Wickelung vollziehen." _E> ist völlig genllgend", fügt er
bei, „wenn vurderhaud der lateinische Autsatz wecrfallt, der lateinische Unterrieht
otwEHBI swei Stunden vermindert und ilt-r deutsche entsprecheud vcrstiirkt wird."
Was nun die Beurtheilung der vurliegcuden Schrift betrifft, so kann dieselbe
in dem engen Rahmen einer Buchanzeigc nur andeutungsweise erfolgen; sie all-
seitig durchzuführen und zu begründen, würde ein neues Buch erfordern. Herr
Ohlert hat nämlich zur Begründun seiner Ansichten so weit aasgeholt, so breit«
Excursionen in die Welt- und ( ulturgeschichte, in die Natur- und Geistes-
wissenschaften gemaclit, dass dem gegenüber das eigentlich I'iidagogischo
in seinen Ausfdhrui^^ eine sehr unbedeutende Bolle spielt und eigentlich
nur am Ende wie ein selbstrentltndliche« Corollar hinipesteUt wird. Dass es
auch pädagogische Normen gibt, weleh-' von den angestellten Discursen unab-
hftngig sind, scheint Herr 0. Übersehen zu haben ; und wenn die Neugestaltung
der ijchnle die Anerkennung seiner culturphilosophischen Anslcjiten zur Voraus-
setzung haben soll, dann wird diese Neugestalt uiiir in eine unabsehbare Ferne
gerückt werden. Wir wenigstens sind außerstande, das wegwerfende Urtheil,
welches Herr 0. Uber das cfassisehe Alterthun und Uber das ^achtzehnte Jahr-
hundert fallt, irntzuheißen, Wiire w irklich die Gegenwart über die h.- wuiiderungs-
würdige üühe, weiche in jenen Zeiten die Mensdiheit erstiegen hat. cndgillig
hinweg, d. h. im unaufhaltsamen Niedergang begriffen, und lebte sie wirklich
in dem Wahne, der „moderne Mensch" habe es so herrlieh weit Lri braelit, wie
niemand vor ihm, das neunzehnte Jahrhundert sei die herrlichste aller bisherigen
Cultnrperioden — dann mflsstenwir unserseits dieHoflViung auf eine heilsameSdral-
roform iuiftreben, Wenn um doch weisiLTsteiis ein jtaar H-anjitpuiikte zu er-
wähnen — „die Humanitätsidcc des achtzehnten Jahrhunderts"' detinitiv verab-
schiedet und durch die „NationalitStsidee" ersetzt werdoi soll, so wird dies nur
eine Wiederannäherung an die Barbarei vergangener Zeiten, ein Stück Atavis-
mus, ein moderuer Süudeulall sein; und wenn den classischcn Völkern jede vor-
bildliche Bedeutung Ar uns „moderne Menschen" und bMonders für unsere
.Ia'_rend abo^esproelien wird, wenn behau|»tet wird: ..Alle bürgerlichen Tncendon,
Math und Tapferkeit, lielden^öüe uud Aufopferungsfähigkeit sind auch bei
allen anderen Culturrölkem mindestens (mindestens!) in deAelben HShe in die
gescliichtliche Erscheinung getreten" fS. 86) so milchten wfr wissen, was denn
die gesummte Weltgeschichte bis zum lientiircn Tage aufzuweisen habe, das
der Seelengröße der Griechen in den Ta^en von Marathon, Salamis, Platää,
oder der Seelengroßc der Körner in den Xeiten des tareiitinisehen Krieges als
ebenbürtig zur Seite gestellt werden könnte. Die ganze Art und Weise, wie
Herr 0. das < lussisehe Alterthum und das aehtidinte Jahrhundert abfertigt,
um hierdurch zur \'erlierrlieliunc: der Geg(«nwnrt zu irclnncen und für seine
Zukunftsschule eine ausschlieL>li< h moderne HasLs zu gewinnen — diese ganze
Art und Weise macht den Eindruck, als ob der Herr Verfasser sich niemals
ernstlich und unbefangen mit der (iesehi< lite jener Perioden befas-i^t hiitte, da
ihre großartigen thatsiiehlichcn Leistungen gänzlich ignorirt werden. Oder
sollen diese Leistungen, die ja historische Facta und keine Phantasmen sind,
nur deshalb null und nichtig sein, weil sie dem naturalistischen Healismus nicht
mehr impuuireu, als irgend ein mechani.scher Vorgang? „Die Weltgeschichte",
sagt Herr 0. (S. 42 . ..u eiß in dem unerbittlichen Gange ihrer Entwickelung
nichts von einer .\l».*«chätzung zwischen gut und böse: der unbefangene Beur-
(heiler muss in dem Auf- und Niederwugeu der Ereignisse nur die Erscheinungü-
— 66 —
ioimen einer unabwendbaren Nothwendigkeit erblicken: Zeiten einer friäcb auf»
blähenden Gnltnr und Zeiten des tieAten Törfli.lls rind Atar ihn gleich, er hat
sie nur in der Folgerichtigkeit ihrer Gc-;t;ilriin(r zu ^o^^reifcn." Nun. wir
glauben nicht, dass dies der Standpunkt groücr üescJiichtsforscher sei. Und
wenn danntf der Sats folgt: „Wo! aber m9gen wir Kinder einer gewaltig auf-
strebenden Zeit uns der Secrnuntrcn erfreuen, mit denrn rine Entwiekelung,
die ihrcägleicixcn uictit liat in der Weltgcftcliiciite, uns Ixcigvbig Uberttchüttet*' —
80 gtfnnen wir jedermann die Freude an der ^hochentwiekeltw Teduiik nuBeier
Tage** und an den Gcnü^s.sen, die aus ihr ents{iriugen ; doeh sind wir der An-
sieht, d.äää eine auascliließlich auf uiodcruer Buäiü errichtete ächule dem deutscbea
Volke nicht znr Ehre und zum Heile gereichen wtbtle.
I'nd dn kommen wir auf den Hauptpunkt in dem vorlit ixcnden Krf"rmproject,
„Dcutbihcs Weiien, deutsche Sprache, deutsche Literatur, deutsche (re:,« lachte
rnttesen der Mittelpunkt der geflammten geistigen Erriehnng sein." Ja, damit
wSren wir einverstanden, wenn nur nicht gerade das Beste des deutschen Wesens
und der deutschen Literatur ausdrücklich verwerten würde, al»o doch jedenfalls aus
der neuen Schule au8gesehIo.ssen werden soll. Die Kant, Leesing, Fichte. Herder,
Schiller n. s. w. sind ja implieite in Herrn Ohlerts Verwerfhngsurtheil ein-
geschlossen; aU>o würden uns nur die Epigonen, namentlich die Naturalisten und
Realisten zu sagen haben, was deatselies Weeoi ist, und den Canon fOr uuere
künftige Natinnalerziehunp: liefern.
80 darf die „Einheitsseliule " uieht besehaft'en sein, wenn sie sieh eniptehlen
will. Wol sind auch wir der Meinung, da.ss eine „Einschränkung des elassischcn
Unterrichts"' nüthig sei; aber diese Einsehränkung soll in der Breite (Zahl der
Schüler), nicht in der Tiefe (dem grilndlichen Studium) erfolgen und vor allem
nicht in oer Form des Zwanges, der Schablone, väe die bisherigen Projecte der
„Einheitsschule" und aueh das Ohlert'sehe wollen. In Stehen der Erziehung
ist alle Oewaltthätigkeit, alle Unifomiirung, ebenso die bisherige, "wie die für
die Zukunft geplante, verwerflich, und solange man ihr huldigt^ wird es keine
heibainc Schulreform geben. Referent kann daher auch nicht mit Herrn Ohlert
sprechen: ..Da ist es nocherfreulich, dass vor wenigen Monaten eine mächtige
Iland in die stockende Entwickelung unseres höheren Schulwesens eingegriffen
hat.' äeltsam. Unsere Zeit rühmt sich u. a. auch ihres Freisinnes und wirft
den classiscben Yolkcm vor, bei ihnen habe der Staat „in das innerste Heili^;^
thum der Individuellen Freiheit" eingegriffen (Ohlert S. 87). Ja freilich, wir
haben es in allem so herrlich weit gebracht und sind im Beaitse voller Geisteth
und Gewietensfreiheit. Auch gibt es keine Spur von Byzantinismus und Servi-
lismns. Nur möchte ein jeder die Staatsgewalt zu autoritativen Eingriffen an-
rufen, um seine subjectiven Meinungen durchzuführen. Was wird denn dann „aus
dem innersten HciUgthum der individuellen Freiheit"? Symptomatisch ist da
audi, dass man heute ganz ungeuirt „Lehrmaterial" statt f.ehrpersonal sagt
(auch Herr 0. thut dies S. Iö6). Dem gewaltthätigen Geiste unserer Zeit sind
eben auch die Menschen, selbst die IMeher der Jugend, nur noch— „Material".
(Iinug rai^ diesen aphoristischen Andeutungen. Damit aber dieselben nicht Herrn
Ohlert s Buch in einen ungünstigeren Ruf bringen, als es verdient, bitten wir
den Leser, dasselbe selbst en studiren. Es verfflent diese Mühewaltung voDauf,
selbst in seineu Irrtbüincrn, da es jedenfalls mit großem FIciße gearbeitet ist
und dabei eine typische Denkweise darstellt. Allerdings ist es nicht völlig aus
einem Gusse: es nngen darin BwelerleiAiuriehten, gewisserma^ swei Seelen
miteinander. Wir haben uns mit derjenigen befasst, wclehe seliließlich in Herrn
0. das Feld behauptet. Dass er aber bisweilen auch anderen Betrachtungen
sugilnglich ist und dann in einer Weise i^rieht, der wir vollen Beifall zoDen
müssen, dafür zwei Belege. Trotz der vielen und begeistert m Lolireden auf
unsere Zeit kommt doch Herr 0. auch einmal auf einige Schattenseiten derselben zu
Sprechen; und während er meistens so philosophm^ als ob mit der bekannten
Hypothese von der „Erhaltung der Kraft" da.s ganze ■Weltgetricbc sattsam
erklärt sei, lässt er doch anderwärts „Miiehtc höherer Art" walten, als „Kinder
eines Reiches, das der Bestimmung durch Maß und Zahl ewig verschlossen ist".
Die^e treffliehen Stellen haben, damit .sie jcdermaim mglogUoh worden, oben
unter dem Titel „Zeitstimmen " Platz gefunden. D.
Psdagogium. 14. Jabig. Haft I. 5
Dlgltlzed by tfopgle
— 66 —
Neudrucke pädagogischer Schriften. Herausgegeben von Albert Bickter.
Leipzig:, Verlag von Bidutrd Blebter.
Von diesem Sammelwerke Hegen uns bis jet^t vier Lieferungen vor; jede
umfasst durchschnittlich 80 Seiten und kratet 80 Pfennige. Der Inhalt ist
folgender: I. Geschichte meiner Schalen von Friedr. Eberhard von Bochow.
IT. GregoriuB Schlaghart oder die Dorfschule zu Langenhausen. Von Johann
Ferdinand Schlei. III. Der teutsche Lehimeister von Johann Balthasar Schupp.
IV. KniritcliMiiclie YolksBehnlordDvngen. — Jedes Blndchen beginnt mit einer
Einleitung, welche den Leser über den Ursprung und die Bedeutung der be-
treffenden Schriftf besüglich der drei ersten auch über die Lebensgeschichte
derVerfksser nnterrielitet; die Schrift TooSehupp(III.)istavehittiterilntorndeB
Anmerkungen verschen (von Dr. Paul Stiitzm ri. Der Wert, den diese Nru-
drucke für die Geschichte des deutschen Bildungswesens haben, liegt auf der
Hand; die Beigaben tob sdten der Editoren rind gediegen und instnictiT; der
Druck i.st gut, und so erwirbt sieb der Ilorausgebet dieses SammelweakeB an
seinen alten literariscUen Verdiensten ein neues.
J)r. phil. Enut 0. Stiehler, Oberlehrer am EgL Realgymnasinm zn DSbeln.
Streifsllge anf dem Gebiete dernentpraelilielienBefornibewegiiig.
Harbarg 1891. Ehrertsche Verlagsbuchhandlung. 72 Seiten.
Zur Methodik des nensprachlichen Unterrichts. Zugleich eine Ein-
fnhruug in das Studium unserer Reformschriften. Nebst einem ausführlichen
Quellenverzeichnisse. Von demselben, ebendaselbst. VI und 58 Seiten.
Zwei treffliche, von gründlicher Sachkenntnis und feinem pädagogischen
Takt zeugende Schriften, deren Lortüre wir jedem Lellier dea Französischen
und Englischen aufs wärmste empfehlen. 1>. R.
Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 5. verb.
Aufl. Strasburg, 1891, Trflboer.
Damals, als wir die cr-^tc Auflage dieses "Wörterbui hcs im „Piedagoc:ium"
anzeigten, wiesen wir auf die wissenschaftliche Bedeutung desselben hin. Dass
es nach ein paar Jabren schon die fünfte Auflage erlebt, abo ti^ in die Kreise
mierer Gebildeten eingedrungen, ist rin orfroulirhrs Zcirhon für seine Brauoh-
baAeit. Der Verfasser, jetzt an der Universität Jena, arbeitet aber auch un*
ausgesetzt aii deErVemunmunnung seines Werkes. Wir haben in unserer An-
zeige der vierten Auflage diese mit der ersten Ausgabe verglichen und oinr Reilie
solcher Verbesserungen angefiUurt (-Pädagogium'' 18891. Noch lehrreicher i$t%
diese fBnfte wieder mit der vierten Ausgabe su Tergleienen. Zwei einschnddmide
Vervollkommnungon treten da vor unser Ausre: Kluge erbringt nämlich bei
den meisten der jüngeren Wörter den Nachweis ihre^ ersten Auftretens in
den älteren dentechen Wörterbüchern, und zweitens, er sieht den Dialekt viel
stärker heran, als dies in der vierten -Auflage schon geschehen ist. Der Leser
Tcrgleichc nur einmal, was Kluge bei dem Worte „Aar" in der vierten und
was er in der fünften Auflage bringt: Dort die Etymologie ohne RUikshbt
auf die Geschichte des Wortes im Neuhochdeutschen, hier eine Hokho
und eine höchst lehrreiche: Das Wort tritt seit Ausgang des Mittelalters hinter
Adler in der lebendigen Volkssprache zurück, Luther hat als Simplex nur Adler.
Seit di r zweiten Hälfte des vorigen Jalirhunderts tritt es als poetisches Wort
wieder auf, z. B. bei (niekingk 1781 ((iedirhtc II, 45) als „Ahr" mit der er-
erklärenden Fußnote „Adler". Goethe hat nur Adler, nicht Aar als poetisches
Wort und Sdiiller vereinzelt Aar tm Eleusisdien Fest, Str. 13, wa.s Ueinwald brieflich
( lö. Febr. 17^*y,i tadelt. — Und wahrend kluge in der vierten Auflage über das dia-
lektische Vorkommen des Wortes nichts sagte, schreibt er in der fünften Aufig;abe:
Die Dialekte kennen Aar als .*<implcx uicht mehr (nur noch in Wallis gilt „aro");
so ist es aLs der Vulkssjiracbe fremd für Hes.seu un<l Schwabi ii angegel>en.
Aber in Niederdeutüchlund gilt vielfach noch ..Arn", z. B. in Pommern (und
dementsprechend haben die ndd. Bibeln in der ersten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts noch „arne", während Luther schon „Adler" hat). — Die Verroll-
konnuinng der fOnften Auflage entreckt sieb aber auch auf die Zahl der be-
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— 67 —
üprochenen Wörter. Reicht die erste Liefern n er der vierten Aullage bis zu dem
Burhstaben 1), so die der fOinften Auflage nur bis zu dem Worte „burachikos*.
Nacb all dem Gesagten dürfte es sich selbst für die Besitzer der vierten Auflage
empfehlen, diese neue Ausgabe zu enterben. Sie erscheint in 10 Liefenuuren
A 1 M. W.
Friedrich E. Schäfer, Lehrer in Frankfurt a. Main, Elementare Naturlehre
für höhere Bürgerschulen, höhere Mildchenschulen, Präparandenschnlen und
verwandte Anstalten. Leipzig 1890. XVIII und 205 Seiten. Preis 2.40 M.
In «ndeiw Form, als man es jetst gewOhat ist, ntmlieh nicht tob ^em
Kxporiniente oder einer Erfahrung des gewöhnlichen Lebens ausgehend, sondern
unuüitelbar in der Discussion Uber eine physikalische Thatsache oder Erschei-
nung fahrt der YtKbmet sn den bekannten widitigsten Sfttaen der Natnrldure.
Die Form, die er hierbei anwendet, ist eine gewandte und zweckentsprechende.
Beispiele und Fragen, am Ende der betre£fenden Abschnitte angefuigt, haben
jedenfUIa Ar den Lehrer einen praktischen Wert Überhaupt strebt der Ver-
fasser an, seinem Werkchen eine praktische Bedeutung zu geben, wcBhiill» auch
bei den entsprechenden Abschnitten auf die mannigfaltigsten Erscheinungen
aus der allgemeinen Geographie, Meteorologie, Geologie und selbst Physiologie
Rücksicht genommen ist. Parin scheint uns auch der Hau pt wert des Büchleins
zu liefen. Etwas sonderbar muthet es uns an, in dem ersten Theile: „DieGrund-
thatsacheu der Naturlehrc" nur zum Schlüsse drei Abbildungen vorzufinden,
welche audi übrifjeus bei dem zweiten Theile: „Die wichtigsten technologischen
Verwertungen dieser Grundthat^achen" nur bis Zahl 20 sich heben. Wir glauben,
dass heutzutage, obgleich wir keine Verehrer der vielen „Bildchen" in Lehr-
büchern sind, doch schematische Figuren für den Schüler zur Wiederholung
hlichst wertvoll sind, auch selbst dann, wenn von Seite des Lehrers die ent-
sprechenden Zei) huuu^:cn auf der Tafel ausgeführt und von den Schülern nach-
gezeichnet oder die betreöcnden Apparate gezeigt worden sind. Sonst ist die
Ausstattung des Werkes eine recht gelungene. C. £. R.
BbU FisekePt Spiaeh-Stoffe sn Ldmuum-Lentemaiui'i Thierbilder für den
Anschannngsnnterricht. Dritte, verbesserte und vermehrte Anflage. Leipsig,
Verlag von Oskar Leiner. IV und 222 Seiten. Preis 2.50 M.
In sehr guter Weise werden zunächst in diesem Sprach-Stoffbuche natur-
histortadie ErUtaterangen an den bekannten Lelunann-Leutenuuui'iMdien Thier»
bildorn gegeben und zwar stets eine kürzer gefasste und eine ausführlichere;
an dieselben schließen sich dann in wülbcrccbneter Auswahl Gedichte nnd
Losest Ucke, Bäthsel und Lieder, hie und da auch Kinderspiele an, welche anf
das besprochene Thier Bezug nehmen. Sowol die erläuternden Besprechungen,
als die anderen Lesestücke sind dem kindlichen Geiste augepasst, sowol was
die Form als den Inhalt anbelangt, Jeder VolksschulldiTer wird daran seine
Freude haben und die Kinder mit ihm, und letztere werden viel daraus fürs
Leben lernen. Die Ausstattung des Buches ist schon zu nennen. C. K. K.
SpUttegarb, E., GymnaalallebTer in Elbeiftld, Kritik der Übnngibilcher
des grundlegenden Rechennnterriehtes. 69 S. 1.20 M.
— Rechenaufgaben für die unteren Classen höherer Lehranstalten, so^vie für
die Volksschale, in 3 Heften, zosammen 166 S. Düsseldorf 1890, iSchwaun.
1.30 M.
Die Kritik der gebrftnehlichen Methoden entbilt eine flbeniehfUclie Zumunmen-
stellune: der Einrichtung der gangbaren Rechenbücher. Um die Übersicht zu er-
leichtern, theilt der Verfasser die gebräuchlichen Keehenbilcher in „gruppircnde"
nnd Teisteht damnter solche nach der Methode Grube's, dann in „trennende"
mit Abstufung gewisser Zahlenkrcise, und endlich in ..vermittelnde". Der
Verfasser ist ein Gegner (irube s und spricht sich selbst für die „trennende"
3(cthode aus, indem er die Abstufung des Unterrichtes nach den Zahlenräumen
ö, 10, 20 und 100 verlangt ; in diesen Stufen wird der Lehrstoff, beziehungsweise
die Recheoautgaben, nach Rechnungsarten gesondert vorgeführt. Da aber ander-
ieita der VeiflwMr es nicht nnterittst, anf die Wiebttgfceit einer fbrtgeaetaten
6*
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— 68 —
Wieücrhulung im Rechenunterich tc hi wniwcisen , so ergribt sich daraus, dass
ftiif d«B TcnehiedenoD Stufen die Kechnungsarten doch in gemischter Folge vor-
genommen werden mii--i>n. Grube verlangt die Betrachtung jeder Zahl bis 100
ab (iuo> ZahlindividuuiiLs, an welchem alle Rechnungsarten vorzunehmen sind;
der Verfasser theilt diese 100 Individuen iu 4 Gruppen, soncUrt in jeder (irup|MS
die Rechnungsarten und verlangt eine häufige Wiederholung. Dies Itilirt praktisch
80 ziemlich auf dasselbe hinaus. Man mag Grabe tbeoiettsch noch so heftig
bekibnpfen, praktisch wird seine Methode mehr oder weniger eingestanden,
mehr oder weniger bewusst dennoch nachgeahmt; denn Bonst mttsstc man ja
auf das reine Rcihcnrechncn, wie es vor Chnibc tTobiftnchlieh war, zurflckgrcifen.
Im übrigen kann man mit den mehr auf das Praktische gerichteten methodischen
Weisongen und Behauptungen des Veifasscrs recht wol einverstanden sein, wie
er sich überhaupt in seinen Schriften als ein sehr erfiihrcner, literariaeh hoch-
ßbildetcr Lehrer bekundet. Doch vermup:rn ^vir nnsore Zu-rimmniig der Be-
uptong nicht zu geben, dass das Buch für den Enblg belangreicher wSre, als
der Lehrer. Das Bnch ist immer nur das Werkzeug, der Lehrer ist der Heister;
der ffate Meister versteht es, auch mit dem schlechten "Werkzeuge zweikent-
8|ireäiende Arbeit zu leisten. Ja. ist das Werkzeug gar zu schlecht, so legt er
CS zur Seite und schafft eich selbst ein besseres; dagegen ist auch das beste
"Wrrkzeuc: in den Händen des ungeschickten Arbeiters nutzlos. Als Lehrmittel
empfiehlt der Verfasser auf das lcbhafte.ste die russische Rechenmaschine, welche
wir gleichfalls Ar das beste Amsdiattiingsmittel in diesem Gebiete halten.
Das erste Heft der Rcchcnanfßfnbcn unifasst den Zahlenraum bis 100 in Tier
Stufen. Diesen Stoff im ersten Schuljahre zu bewältigon. ist wol nur in der
Voiwhttle eines Gymnasiums möglich, in welche die Kinaer doch mit einigen
elementaren Vorkenntnissen gelangen. An einer Volksschule hat man genug
getbau wenu man im ersten Jahre den Zahknkreiä bi.s 20 bewältigt. FUr
unnützen Ballast halten wir „Messen" und ^.Theilen" zu unterscheiden'^); es kann
dies doch nicht durch den rm-tiunl beorrilndet sein, dass einmal als I>ivi>ion8-
zeichen der Doppelpunkt und eiu andermal das \'orwort „in" gebraucht wird; es
ist dies ein an sich ganz unwesentUcher Vorgang, filr den SchtUer aber ein
unnöthigcs Krscliwernis. Der Verfasser kann doch nicht darin den IJnterschied
zwischen Thcilen und Messen sehen, dass er in seinen übrigens ganz nottun
Zahlbildem den trennenden Strich einmal lothredit und da« andi»iemal wag-
recht legt.
I'as zweite Heft stuft den Zahlenraum l»is llKK) bei 200 ah; es ist für das
zweite Jahr der Vorschule bestimmt un<l kann auch im dritten Jahre der Volks-
schule fjebraucht werden. Das dritte Hett führt uns den iml>es2:ronzteii Zahlen-
raum vor, sodann das Üechneu mit ganzen einnaniitr*» luid mehruamigen
Zahlen und den einfachsten Bruchformen. Die I'arlcgung des dekadischen
Zahlens3'stenis mdssen wir in Vergleich mit anderen Lci^bUchem als eine
mangelhafte be/cii hneu.
Die vorliegende Kritik wird gewiss für jeden Lehrer dne anregende Lectttre
bilden; die Rechenbücher jedoch vermögen wir nicht zu empfehlen, da uuxore
Erfahrung sehr zu Gunsten der Methode Grube's spricht. Ii. E.
*) Ich halte diese Unterscheidung für wol begründet. D.
Vorantwortl. Bcdactcur Dr. Friedrieb Dittei. Uuvlidruclccrei Juliua Klinkhardt, Lcipiig.
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Pädagogische Ausblicke vor hundert Jahren.
Von Dr. <Mtar Lehmann-Le^piiff,
D ie Ret(irmtliäti(^keit war mit dem IH. .Icihrlmndert in Fluss
gekommen . nachdeui schon im 14. und 15, Jalnliimdert vereinzelte,
wenig erfolgreiche Versuche vorangegangen waren. Von der religiösen
Bewegung ausgehend, ergriüen die Keformgedanken immer weitere
Kreise. An die kirchliche Neugestaltung schloss .sich im 16. Jahr-
hundert die auf philosophischem Gebiete, der Bruch mit dem mittel-
alterlichen Aristoteles, an, eingeleitet durch die wissenschaftlichen
Arbeiten eines Descartes, Spinoza, Baco u. a. Hand in Hand mit der
neuen Philosophie und durch die grundlegende Thätigkeit der letzteren
befördert, rang sich die Naturwissenschaft aus den Fesseln der mittel-
alterlichen Scholastik und drang auf neuen Bahnen vor. Die erste
befreiende Thal hatte fast gleidizeitig mit Luthers kühnem Auftreten
gegen Kirche und Papst ('«»peiuicus duicii die Aufstellung und wissen-
schaftliche Begründung einer neuen Weltanschauung gethan. P^in
Kepler, Newton u. a. gingen auf dem neu erschlossenen Wege weiter.
Die Naturwissenschaft nahm auf allen ihren Gebieten einen groß-
artigen Aufschwung, blieb aber jahrhundertelang das Eigenthum
der gelehrten Kreise. Die neuen Ideen auch in weitere Schichten
der Bevölkerung zu tragen, war die Aufklärung des vorigen Jahr-
hunderte thitig. Ba^e Bammelte zuerst alles^ was bis zu seiner Zeit
gegoi das herrsehende System gesagt war, und lieferte in seiner
Zeitschrift und dem] grofien Wörterbnche (Dletionnaire historiqae et
critique, Rotterdam 1697, deutsch Ton Gk>tteched) ein reiches Arsenal
zum Kampfe gegen das GewohnheitsmAfiige, Althergebrachte.
Auf allen Gebieten bemerkte man neben Spuren der Auflösung
Anzeichen neuer Entwickelung. Die Industrie machte mftchtige Fort-
schritte. Am gewaltsamsten vollzog sich die Umwälzung auf poli-
tischem (Gebiet. Nirgends bestand aber auch ein so greller Gegensatz
zwischen den Ideen der Zeit und den factischen Verhältnissen.
FadAgogioB. 14. Jabiy. H«ft IT, 6
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— 70 —
Während die Hüte schwelg-ten und sich mit Prunk und Glanz um-
gaben, seufzte das Volk unter der drückenden, ihm auferleg-ten Tjast.
lumier lauter erhob sich der Ruf nach einer Verbesserung der Lage
aller Classen. Eine Besserung des Volkes und seiner Verhältnisse
war aber nur zu erreichen diuxh Erziehung und Führung zur Selbst-
ständigkeit im Denken und Handeln. So erblicken wir denn in
dem allgemeinen und dringenden Rufe nach Reform der Er-
ziehung und des Unterrichtes im 18. Jahrhundert die natur-
gemäße Folge der bisherigen Culturentwickelung.
An Anregungen für die Hebung des Scliulwesens fehlte es nicht.
So forderte schon Locke eine Reform dei- Erziehung und des Unter-
richtes. Es folgten bald Voltaire"« Angrifie auf Schulen und Gelehrte
und Montesquieu s Per.^ische Briefe. Thfuiiasius und (lottsched machten
auf Übelstände au den deutschen Bildungsstätten aufmerksam; und
Rousseau's Emile erschien vielen als das Evangelium der neuen Er-
ziehung. Geschrieben wurde viel über Erziehung, aber den Worten
folgten keine Thaten. Mit allgemeiner Begeisterung begrilfite man
es daher, als Deutsche sich daran machten, einige der Rousseaa'schen
Ideen pnlctisch dnreluEiifllhreii. Aber die philanthropischen Anstalten
yermochten nicht, den aof sie gesetzten Erwartungen zn entsprechen,
nnd Yon selten der Fachgenossen erführ die Thfttigkeit der „Menschen-
freunde" eine sehr verschiedene Benrtheilnng, die zum Thefl in yOUige
Gleidigiltigkelt und Abneigung gegen die neue Biditung ausging.
Was aber einer Hebung nnd krftftigen Entwickelang des Schnlwesens
von vornherein den Hemmschuh anlegte, war die Theihiahmlosigkeit
der Itegierungen, selbst eines Friedrich, den die neue Partei so
hoi&iangsfroh als Messias begrOflt hatte. So blieb in der Erziehnngs-
Beform das meiste eitel Theorie.
Kein Wunder, wenn dem einsichtsvollen Schulmanne das Herz
schwer wurde, da er sah, dass nach ihm nnd seiner Sache keiner
fragte, dass fOr die hohe Anfgahe der Jugendbildung so gut wie nichts
geschah. Es liegen uns eine Beihe Veröffentlichungen ans damaliger
Zeit vor, die, dictirt von einem lebhaften patriotischen Qeffthl und
von Begeisterung für die Sache der Erziehung, uns Aber die oben
angedeutete Lage der Schulen und der Erziehung Bericht erstatten.
Es sind dies die „Erziehungsschriften", oder wie ursprünglich
der Titel hiefi: „Gedanken, Vorschläge nnd Wünsche zur Ver-
besserung der öffentlichen Erziehung, als Materialien zur
Pädagogik^ herausgegeben von Friedrich Gabriel Resewitz,
5 Bftnde, 1778^1786. Berlin nnd Leipzig bei Carl August Nicolai
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— 71 —
Besewitz, der in der Geschichte der Erziehung von K. v. Raumer gar
keine Erwähnung findet und von K. Schmidt sehr kui'z abgethaa
wii'd, hat unsere Beachtung wol verdient. Denn er war, obschon
kein Bahnbrecher wie Rousseau und Basedow, so doch ein wackerer
Kämi>e für die Schule und den Lehrerstaud.*)
Wie stand es vor hundert Jahren um das Los des Schulmaunep,
des Mannes, der Menschen bildet und dem Staate Bürger eraeht?
Während den anderen Ständen, wie dem juristischen, dem geistlichen
*) Frieiriolk Galniel Besewits wurde geboren ni Berlim am 9. Mtai 1789
(nicht 1786, vgl. die auf Gnnd seiner eigenen Angalien aus Qoflitt's Papieren von
Prot Müller TeröffeDtlicbte AutobiogTraphie), besuchte seit 1740 das Joacbiiostharsche
Gymnasium un<l studirte 1747- 1750 in Halle, wo ihu besonders BHuiiigart(?as Vor-
lesungen zu einem ^dcukendcn" Theoloi^ou machteu. Als Roisopreditfer des Fürsten
von Zerbst hielt er sich, eine Zeit lang iu Tariti auf, trat dann iu Berlin mit Moses
Hendelasdin ^nnd Nicolai in flfenndachaftliehen und geldurten Vokehr nnd wnzde
ndtdieBlidi atteh Hitarbeiter der „Briefe, die neueste .Literatur betreffend*'. Seit
1757 Pastor in Quedlinburg, folgte er 1767 einer Berufung als Pfarrer an die
St. Petrikirchc in Kopenhagen und srhloss sich dem nordischen Literaturkreise:
Klopstock, Gramer, Schlegel u. a. an. In Kopenhagen erwarb er sich als Director
des Annenwesens nnd als Offtnder ßat königlichen Beslichule (1771) Vwdienite.
Seine 1778 TerOffentlichte pldagogisohe BeiSormschrlft: „Die Endehang des Bflrger»
xnm (icbrauchc dc^^ gesunden Verstandes und zur gemeinnützigen Geiohäftigkeit''
wurde viel gelesen und besprochen und verschaft'te ihm die Berufung Kuni Abt von
Kloster Bergen, zu welcher Stelle si<ii auch Basedow gemeldet haben soll. .Am
16. Jnni 1775 trat er sein neues Amt an, und mit dem Jahre 1776 beginnen die
' halldihrliehen TerMtoBtlidknngen, deren Inhalt in Toiliogendem Anftatae aur theil-
weisen Despreehnng kommen. 1776 besuchte er aadi das Plülanthioi^Bxamra au
Dessaa. Seine religiös-freisinnigen und philanthropisch-milden Erziehungsgrundsätse
machten ihn Friedrich II. angenehm, wurdeu aber für dessen Nachfolger Friedrich
Wilhelm II. und seinen Minister Wöllner die Veranlassung, ihm 1796 die Aufsicht
Aber Pädagogium und Lehrerseminar au nehmen. Resewits starb am 30. Octobej 1806-
wenige Jalne darauf ging aueh die Sehnte au Kloster Bergen ein. — Besewita ge-
hört zur pädagogischen Reformpartei des 18. Jahrhundert«. Seine Thäti<>:keit ist
viel gelobt und viel getadelt worden. Vgl. Wieland „Deutscher Mercur", da.s ..Braun-
gchweigische .Tournal" 1788, das ..Deutsrlie .Musi'uni" 1784, den ..Reiseudeu für
Länder- und Völkerkunde" u. a. Der Vorwurf, dass er iu seiner praktischen Thärig-
keit das nidit hielt, was laeine Sdiriften erwarten liefen, trifft gleiohetweiie wie
flui andi einen Basedow, Pestaloaai und andere Theoretiker d«r Pftdagogik. — ffiehe
Aber Besewitz den Aufeatz von Eawerau in den ^.Magdeburger Geschichtsblättem**
1880 und Ilolstein's ..C^eschichte der ehemaligen Schule zu Kloster Bergen" im
neuen Jahrbuch lilr Philologie uud Pädagogik 1886, 2. .\btheilung, Band 32. Sehr
bc:zcichucnd für unsere geringe Kenntnis des 18. Jahrhunderts ist es, dass in
Schmid's Eni^ltlopidie der Name Besewiti nicht an Ibden ist, wUnend doch
schon die EneyUopIdien t<hi WOrle, Hergang u. a. einige, wenn audi* nnanieiihende
Notiaen bringen.
6*
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— 72 —
und militäiischen sichere Aussicht aul eine glückliche Lebensstellung
gegeben war, blieb dem ersteren nichts als Anstrengung und müh-
seligre Ai-beit und oft zur Erholung Kummer und Sorge, fast keine
bürgerliche Ehre und Würde, als nur der verachtete Nachtrab des
geistlichen Standes zu sein." Kein Wunder, wenn immer weniger
tüclitifre Kräfte sich für die Dauer diesem Berufe widmeten, und
junge Theologen ihn nur so lange betrieben, als ihnen noch nicht ein
geistliches Amt beschert war. Aber gerade dagegen, dass die
Schule etwa als Durchgangsstadium in das Pfarramt und die Schul-
arbeit als eine Vorbereitung für den Beruf des Seelsorgei-s angesehen
werden dürfe, legt Resewitz Verwahrung ein, da nach seiner Er-
fahrung wenige den Unterricht in diesem Sinne betreiben und es
doch eine gewagte Sache sei, dem zukünftigen Seelsorger seine Ge-
schicklichkeit auf Kosten der Jugendbildung zu verschaffen. Die
Schule soll Selbstzweck werden und keiner uline Lust und Liebe für
die Sache der Erziehung, ohne Anlage und Vorbereitung dazu, .Tugend-
bildner sein. An wem liegt es nun aber, dass es an guten Lehr-
kräften gebricht, dass überhaupt nichts Rechtes für die Schule ge-
schieht? Am Staate, lediglich an der Stellung, die dieser zui- Unter-
riclitsfrage einnimmt! „Die Erziehung ist dem Staate noch
keine wiclitige Angelegenheit geworden!"*) Wenn Resewitz
diesen Satz aufstellt, so ist er sich wol bewusst, dass man ihm ent-
gegnen werde, seine Behauptung sei paradox zu einer Zeit, da selbst
Ftii-sten ihr Interesse für die Bildung an den Tag legten, Pläne ent-
worfen, auch wol Schulen gegründet und Lehrerseminai*e ins Leben
genifen würden. Aber derartige Einwürfe können ihm seine Behaap»
tung nicht entkrSfteD. Alles, was man in diesem Sinne aufisozähton
vermöge, seien einzelne Verenche tttclriger H&nner, zofiUlige, partielle»
aus Laone gewährte UnterstHtxnngen; aber einen Plan für das GanaOi
eine der Lage dee Staates nnd den BedttiMnen des Volkes entere-
chende Organisation des Ersiehnngswesens sncfae man vergebens. Man
*^ Eiu 3Iiinpel an guten Lehrkhilten wurde auch von den RetritTungou uud
Fürsten empluadeo. So fordert Friedrich Wilhelm I. vou Fraucke ächuliueister fUr
dM Potidamer Waiacnliaiii, mä Friedrich n. lieft adit Lehzer inSeobMn anwerben.
Aber ni dnndignllBnden llalregdn, m der Lehreinoth su etenon, Tentand man
nch nicht. (Vgl. Beckedorff, Jahrbücher des preußischen VeUtsschulwesens. S. 31 t'a;.)
— Auch die Schule zu Kloster Berpren wurde 1736 von Friedrich Wilhelm T. auf-
gefordert, Lehrer zu bildeu. Freilich fanden sich zu Seminaristen keine anderen
Leute als Handwerksburschen aus Magdeburg und die Diener der jungen Adligen,
die das Fttdagoginm na KJoster Beigen beniohten.
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— 73 —
habe nkht nur nicht» gethao fttr die Sehnle, sondern sogar oftmals
die zur Zeit der Eirclienyerbesserang gestifteten Fonds verringert
Daher der Rückgang der Anstalten, sowol was die Zahl, als auch die
Leistnngsföhigkeit betreffe. „Man zuckt die Achseln; man will oder
kann das OM nicht entbehren, womit das wirklich ausgeführt werden
soll, was ganz schön auf dem Papiere steht. Hier hindert es die
stehende Armee, dort die Schuldenlast, hier steht die Jagd, dort der
Hofstaat u. s. w. im Wege."
Verderblich für das Ansehen der Schule erscheint dem Abt Rese-
witz auch das Sinken des geistlichen Einflusses auf das Volk. Die
häusliche £2iziehung stand bisher in innigem Zusammenhange mit
der Kirche, nnd die Schule genoss vorwiegend als eine Stütze von
Religion und Kirche Ansehen.. Den Einfliiss des geistliclien Standes
auf (las Volk und damit zugleich die Achtung Yor der Schule sieht
Resewitz mehr und mehr sinken. Und suchen wir heute nach dem
Grunde dieser That.sache, so erkennen wir, dass es nicht blos der
Geist der Aufklänine: war, der die geistliche Macht bekämpfte,
sondern dass die Entartung der herrschenden i-eligiösen Richtung
das Ansehen der Kirche schwer schädigte. Dazu kam die Einwirkuno-
der tleistischen und materialistischen Philosophie auf immer weitere
Kreise des Volkes.
Die Besoldung des Schulmannes war eine klägliche und seine
damalige Abliängigkoit von J^ehörden und Schulpatronen demüthigend.
War denn die Schularbeit eine geringere oder minderwerthige ge-
worden? Im Gegentheil! Nachdem der Gesichtskreis des Volkes
sich erweitert, die Zahl der SchuLfacher sicli vermehrt und die An-
forderungen an das lieranwarhsende Geschlecht sich gesteigert liatten,
wurden an das Wissen, an die Urtheils- und Leistungstahigkeit des
Schullehrers weitaus größere Anforderungen gestellt.
Was konnte unter solchen Verhältnissen der Staat von der Schule
erwarten? Kann man Eifer und ernstes Streben, eine bessere Ge-
staltung fies Unterrichts erwarten von Männern, denen unter den
drückenden Nahruugssurgen die Fi'eiheit des Geistes und die Freudig-
keit der Arbeit verloren ging! „Man müsste die menschliche Natur
nicht kennen, mit dem Philosophen auf dem Throne nicht wissen,
dass Selbstliebe und Hoffnung auf das Gefühl eigenen Wolseins das
große Triebwerk bürgerlicher Tugenden ist."
Wie der Lehrerstand, so war das gesammte Erziehungsweseu
einer Reform dringend bedüiftig. Resewitz weist in dieser Beziehung
auf einige Punkte hin, so auf das Fehlen „allgemein wirksamer
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PriBicipien'' in der Erziehung. Die Religion hatte einen groBoi
Theil ihres Einflusses auf dieselbe verloren. Da in der hänalicheik
Erziehung die Pflege des religiösen Sinnes schwand, so darf es uns
nicht wundem, vielfachen Klagen über* Religionsverachtung und Frei-
geisterei zu begegnen, wie wir ja auch in der Literatur damaliger
Zeit derartige Personen häufig dargestellt finden. Neben dem Mangel
an'Bdigiofiit&t beklagt Resewits das Schwinden der Ehrliebe, dea
mfiheyoUen, mannhaften Strebens nach Vervollkommnong und der-
ein stiger moralisclier und gesellschaftlicher Tüchtigkeit, an deren
Stelle spielende Eitelkeit, Oberflächlichkeit und galantes Wesen ge-
treten war. Aucli den Patriotismus, die Liebe zum deutschen Vater-
lande suche man A^ergebens. Ja, in Biicliem sei er wol zu Hause,
aber in Wirklichkeit habe er dem Weltbiirgersinn Platz machen
müssen. In der That: Ein Deutscher zu sein, galt dem Deutschen
damaliger Zeit für Avenig ehrenvoll. Man reiste viel in fremde Länder
und gefiel sicli besonders in lächerlicher Nachahmunj? der Franzosen.
Luxus und Verscl)wendungssuclit griftcu im Volke immer weiter um
sich. Der Sinn tür Einfachheit und Häuslichkeit ging vielfach ver-
loren, die Moralität wurde untergraben und in dem Kampfe um Er-
langung der Existenzmittel fing die altdeutsche Ehrlichkeit an zu
leiden. In dem Bestreben, möglichst angenehm und gut zu leben,
oline sich den Aufgaben der Gegenwart und des eigenen Lebens-
kreises ernstlich zu widmen, gingen gerade die Edlen des Volkes
mit schlechtem Beispiele voran. Wer hatte unter solchen Verhält-
nissen Lust und Zeit, sich der mühevollen Aufgabe der Erziehung
zu widmen!
Welche Maßregeln ergriti man nun, um allen diesen schädlichen
Einflüssen entgegen zu arbeiten? Resewitz weiß keine öffentlichen
Vorkelirungen gegen dieses „Heer von Übeln zu nennen. Und doch
konnte hier nur die öft'entliche Erziehung, unterstützt durch eine
weise Gesetzgebung, bessernd auf das Volk einwirken. Die Fürsten
mussten erst einsehen lernen, das veniünftige Menschen auch die
besten Unteilhanen sind, ,.dass die innere Verbesserung des Staates
großentheils von der Einsicht und verständigen Thätigkeit seiner Be-
wohner abhängt und dass man, diese zu bewirken, bei einer zweck-
mäßigen Aufkläi'ung und Unterweisung der Jugend anfangen muss."
Wie die Fürsten zum Wole der Allgemeinheit Moräste aus-
trocknen ließen und schöne Gebäude errichteten, so sollten
sie sich endlich auch geneigt zeigen, verödete und unfrucht-
bare Schalen ihres Landes urbar zu machen. Speciell die
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häusliche Eraehnng schildert Resewitz mit den Worten: „Man Bchnitst
artige Pappen ndt schwachen Gliedern nnd entarteten Köpfen, man
bildet an ihnen mühsam ein äußerliches, gefallendes Wesen, französisirt
den deutschen Sinn und das deutsche Blut und pfropft französischen
Leichtsinn und flachen, modischen Wits auf den verdorbenen deutschen
Stamm." Auch in der Uanserziehung muss eine entschiedene Besse-
rung, die der Yerflachung und Verftnßerlichnng derselben entgegen
arbeitet^ angestrebt werden.
Die Schriftsteller damaliger Zeit erfahren bezüglich ihres Ein*
flnsses auf die Jugend eine harte nnd zum Theil ungerechtfertigte
Beui'theilung. Denn der Vorwurf, dass sie durch Romane, Lieder
und Gedichte das junge Volk in eine Traumwelt fuhren, es untüchtig
zu praktischen Geschäften und lediglich (!) zu wimmernden, über-
spannten und phantastischen Träumern machen, darf wol auf die
dichterischen Erzeugnisse jeneri träumerischen und kiankliaften Senti-
mentalität angewendet, aber nicht auf die Dichtungen des stürmischen
Thatendrangs ausgedehnt werden.
Resewitz stand in Ansehen bei seinen Berufsgenossen. Er erfulir
bei Veröffentlichung seines Aufsatzes, was unausbleiblich ist bei einem
derartigen [Standpunkte, der das Bestehende ne^irt, ohne mit be-
stimmten Vorschlägen hervorzutreten, dass er seinen Berufsgenossen
nur das Herz schwer gemacht hatte, ohne Hoffnungen auf Besserung
der trostlosen Lage zu wecken. Das spricht der Gegenartikel eines
Ungenannten in Band II aus.
Aber wenn Resewitz auch die Mängel des damaligen P^rziehungs-
wesens tief beklagte, so war er doch weit davon entfernt, die Fort-
schritte zu verkennen, die in den letztvergangenen Jahrzehnten Auf-
klärung und Sittlichkeit im deutschen Vaterlande gemacht hatten,
und gern bereit, zuzugestehen, dass man allmählicli, wenn auch lang-
sam, aufliörte, sich am Gängelbande der Gewohnheit, des Vorurtheils
und der Nachahmung führen zu lassen. Was er tief beklagt, das ist
die Planlosigkeit in der Erziehung, die Tlieilnahnilosigkeit der Ge-
meindeverwaltungen und die Halbheit, um niclit zu sagen Gleich-
giltigkeit, von selten der Geistlichen. Wer waren infolgedessen die
Jugendbildner? Leute ohne Talent, ohne Bildung und Charakter,
Männer, die in anderen Erwerbszweigen verunglückt waren oder sich
als untauglich zeigten, Leute, wie sie der Geschichtsprofessor von
Treitschke in völliger Verkennung einer hundertjährigen segensreichen
Entwickelnng noch heute im Volksschnllehrerstande erblickt. Wer
fragte daaadi, was nnd wie gelehrt wnrde! Grofientiheäs beschränkt
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sich der Unterricht nur dahin, sagt Besewitz, dass die Kinder unter
yie^ährigen Mühen und Plagen die imvei'staiulenen Worte des Katechis-
mus auswendig und kümmerlich lesen und achreiben lernen. (Band Y,
4. Stück: „Über National-Erzieliung.")
Wie sehr aucli Resewitz bei den Fürsten die rechte Autheil-
nahme an dei- Bildung des Volkes vermisste, so rühmt er doch, dass
Friecbichs Regierung die geistige Bewegung des 18. Jalirliunderts
schuf, oder sagen wir lieber: kräftig torderte. Vom kommenden Jahr-
hundert erwartet er die allgemeine Verbreitung der Bildung; in diesem
denkt er sich alle die schönen Bilder seiner für das Wol des Vater-
landes erglühenden Seele verwirklicht, so dass er stets mit großer
Hoffnung und Fi eud^- vom 10. Jahrhundert sj)richt. In einem Traum-
bilde, das einst seine Seele fesselte, als er in solcher Stiiiimung bis
in die Nacht pädagogischen Ideen nachhing, führt er uns seine Ore-
dauken über Reform des Untemchtswesens vor.
Während bisher jede, auch die kleinste Stadt ihre Ehre darin
sachte, eine lateinische Schule zu haben, soll jetzt diese münchische
Einrichtung, nach der jeder Knabe jahrelang mit den Anfängen des
Latein und Griechisch gequält wurde, abgeschatit werden. Denn es
müsse doch jedem vernünftigen Menschen einleuchten, dass man nicht
die gesammte .Tugend zu Lateinern und Stubengelehrten heranbilden
könne. Dass niidisam erlernte kümmei'liche Brocken ans den genannten
Sprachen dem (-»edächtnisse bald wieder entfallen und lür die Bildung
zum praktischen Leben damit nichts gewTtnnen ist. gilt uns heute
(wenigstens in der Theorie!!) für eine aus<,a^maclite Sache. Dazu hat
das mächtige Vorwärtsdrängen der Schulmänner jener Zeit, auch das
eines Resewitz, wesentlich beigetragen, der es wiederholt ausspricht,
dass es eine dringende Angelegenheit sei, ans der unförmigen und
nmsweckmäßigen Masse lateinischer Schulen eine Anstalt zu schaffen,
die 99 verwahrlosten Knaben unter 100 zugute komme. Diese Be-
strebungen, die besonders von Hecker vertreten wurden und schon in
dem HaUeechen Waisenhanse in ihren AnfiLngen zn linden sind, waren
bedingt 'dnrch die Umgestaltung, die das 18. Jahrhundert bewirkte.
Denn da rationelle Bebauung des Bodens immer mehr erforderlich
wurde, der Handel weitere Ansdehnung erlangte, die fortschreitende
Industrie größere Anforderungen an die Leistungsfilhigkeit des Hand-
werkers stellte und die Verwaltung des Staatsorganismns und der
Einzelbetriebe tttchtige KGpfe erheischte, so mosste die Bfldnngs-
arbeit ihre Aufgabe darin erblicken, die Jugend diesen veränderten
Verhfiltnissen gemAB zu erziehen.
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~ 77 —
Alle lateinischen Schulen der Landstädte sollen daher,
das ist Resewitz' Forderung» in „BUrgersehalen^^ umgewan-
delt werden, in denen die Jugend einen vernftnftigen und
praktischen Unterricht in der Religion und sorgfältige An-
weisung im Schreiben und Rechnen erhält. Sie wird be-
kannt gemacht mit den brauchbarsten Naturproducten, mit
dem Land- und Gartenbau*), mit den gangbarsten Künsten
nnd Handwerken. In der Erdbeschreibung genügt die all-
gemeine Darstellung der Beschaffenheit der Erdtheile, doch
wird vom Schüler die «genaueste Kenntnis des deutschen
Vaterlandes gefordert. Der Geschichtsunteriicht soll die
alte Zeit in einem kurzen Abrisse, die neueste Zeit aber,
▼om Jahre 1700 an. in eingehendster Darstelluiiüf vorführen.
Bekauntseliaft mit den Landesfresetzen ist für Jeden späteren
Bürger unerlässlich, sowie ein Hinweis auf die Vortheile
und Vorzüge des Vaterlandes, wodurch der scliluinmernde
Patriotismus geweckt werden würde. Mit den nöthigsten
Gesundheitsmaßregeln und den Maximen, verständijr und
klug in der Welt zu leben, soll man die Jugend in passen-
den Beispielen ebenfalls vertraut niaclien. Das Zeichnen ist
mit Rücksicht auf die spätere Beschäftigung der Schüler zu
betieiben. Ganz besonders aber sollen zur Bildung des Ver-
standes und des Stiles schriftliclie Übungen über das, was
durch den Unterricht erarbeitet ist, anj,^estellt w^erden. Der
Lehrer hat dieselben durchzusehen und daran noch Aufsätze
zu schließen, die auf das bürgerliche Leben vorbereiten.
So linden wir hier von Resewitz eine Keihe fru<-htbarer An-
regungen gegeben, Ideen ausgesprochen, die auf die Gestaltung
unserer heutigen einfachen Volksschule, der Bürgerschule und man-
cher anderen Lehranstalt von Einfluss gewesen sind. In diesem
Sinne kann man wol sagen, dass das 19. Jahrhundert den pädago-
gischen Traum des 18. Jahrhundeils, speciell eines Besewitz, zur
Wiiklichkeit machte.
Wer die niedere oder einfache BOrgersehule besucht hat nnd
Kaufmann, Landmann, Gameraiist |oder Qffider werden will, tritt
*) DicM plütttlumpische Forderung, die 'zueri^t Salzmann crholi, finden wir
seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts in den rnterrichtspliinen dor Lehrerseminare:
es wird für den .Seminaristen die rnterweisunia: in der angewaudteii rtianzenkunde,
im Gartenbau, in der Landwirtschaft und Obstbaumzucht gefordert. (Vergl. Becke-
dorff, S. 179, 200, 222.
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— 78 —
noch in die liöhere oder f,grüßere" Bürgerschule ein, wie eine solche
in der Hauptstadt jeder Provinz einzurichten ist
Auch für den armen lAndnuMUi soll gesorgt werden. Bisher,
sagt Hesewitz, ließ man ihn, und zwai* großentheils mit voller Ab-
sichtlichkeit, gleich seinem Lastvieh in dem gewohnten Gleise blind
und verstockt der Weise seiner Väter folgen.*» Daher stecke er
noch so tief im Aberglauben, dass er sein Leben und seine Gesund-
heit jedem Jongleuer und Gaukler preisgebe und man ihn ohne viel
jesuitische Kunst leicht in den alten papistischen Aberglauben zurück-
stürzen könne. Auch Rochow beklagte die* Unwissenheit und den
Aberglauben der Landbewohner und wurde dadurch zur Gründung
einer Landschule geführt, die Resewitz rühmt und als die einzige
bezeichnet, deren Einrichtung Aufmerksamkeit verdiene. Aber nicht
nur einzelnen, sondern allen Landbewohnern soll eine planmäßige Er-
ziehung in überall zu errichtenden Landschulen gewährt werden.
Die lateinischen Schulen der Städte sind keineswegs völlig zu
beseitigen, sondern in jeder Provinzial-Hauptstadt — es ist an preu-
ßische Verhältnisse gedacht! — wird eine derselben weiter erlialten
und aufs beste ausgebaut. Sie bereitet für den Gelehrtenstand vor.
Die Zöglinge derselben werden aber nicht ohne Auswahl angenommen,
sondern, damit man nicht gelehrte Stiirai)er heranbilde, niu- solche für
die Dauer zugelassen, die nach einer gewissen iPrüfungszeit die
nöthigen Fähigkeiten und in irgend einem Fache besonderen Eifer
und Anlage gezeiirt liaben.
Wiederliolt wirrl eine consequent durchzuführende Trennung in
dem Bildlingsgange des gelehrten Standes und der Stände
des praktischen Lebens gefordert und eingehend begründet. Heute,
nach hundert Jahren, herrscht in dieser Angelegenheit noch eine auf-
fallende Unklarheit, sowol was die öffentliche Meinung, als auch die
Einrichtung zahlreicher Lehranstalten betrift't. Zur Vorbereitung für
die praktischen Beriitsarten fordert Resewitz. die Schüler in der
Geographie mit den Producten des Landes, der Natur und Cultur
derselben, mit den Artikeln des Handeis, ihren Geburtsländeiii, den
*) Dag Einzige, wodurch man ilmiBcIehnmg verscbafTte, waren dieXatecbisationeB;
nur vereinzelt wurden t-eit .\nfanar des IH. Jahrhundert« Landschulen goaründct. r>ie
Fürsten, „zu scheuend gegen den Adel, Überliefen die erforderlichen Leistungen
lediglieh dem guten Willen desselben. Ja, die Bauern seltiBt waren in ihrer Ver-
kiNnmenheit den neuen Aalbtdenmgeii entgegen*. (Siehe Beekedoiff, S. 28, nnd
Keller, OcMihielite des prevBiiclien VolkMoliulweBeiiB, & 64 nnd 96.)
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— 79 —
Handelswegeii iL s. w. bekannt zu machen. Überhaupt soUe man
mehr eingehen auf bflrgerliche Unternehmungen, nm TUUag-
keitarinn und Unteniefamnngslnst zn wecken. Damit war ein Gedanke
ausgesprochen, der nns heate «nch bei Answahl und DarsteUong des
geachichtiichen Steifes leitet und nns noch mehr leiten sollte, als es
bisher geschehen ist
Wegen der Vermischang von gelehrtem nnd nicht gelehrtem Unter-
richt tadelt Besevlta dasFhilanthropin zn Dessau, dessen Plan »nicht auf
die Beschaffenheit des Menschen, wie er ist, nicht auf die Verlhssnng der
Welt und auf die wirklichen Zwecke der Thätigkeit ihrer Bewohner
calcnlirt war" un l nichts hinterließ, „als den allgemeinen Wunsch,
dass ei* mehr Realität gehabt haben möchte". Basedow habe alle
Altersclassen und Berufsarten, Kinder und Erwachsene, Stndirende und
Nichtstudirende, Landwii-te, Kaufleute, Soldaten jrpmeinsam und auf
derlei Weise heranbilden wollen. Jedem Staude gebäre aber seine
eigene charakteristische Bildung. Also die Forderung der Standes-
schule spricht Besewitz hier ans. Was er dann noch an anderer
Stelle über das Philanthropin sagt, zeigt allerdings von wenig Ver-
ständnis filr die durch die neue Richtung angestrebte Reform. Er
erzählt, wie auch er anfangs von dem allgemeinen Begeisterungs-
tauniel mit fortgerissen worden sei und Großes für die Sache der
Bildung erwartet habe, aber nach eingehender Kenntnisnahme der
neuen Bewegung erscheint sie ihm als gefährlich für die Erziehung
des Volkes, weil sie ..unter Spiel und Tändelei, unter neuen gym-
nastischen Übungen, nach zwangloser Freiheit und Eigenmächtigkeit
und nach seichter Methode" die Juf,'end bilden wolle. Es folgen noch
zahlreiche Bedenken und Einwürfe gegen Ziel und Methode der
Philanthroi)en, die ich als bedeutungslos übergehe. Die Philanthropen
fanden bekanntlich zu ihrer Zeit selten Verständnis und wenige
Freunde, hingegen viele Feinde, besonders wegen ihrer Stellung zur
religiösen Unterweisung der Kinder, die nach ßasedüw'scher Art wol
auch einem Resewitz nicht behagte.
Um eine bessere Gestaltung des Unterrichts herbeizuführen, sollte
in ei-ster Linie für Herstellung von Lehrbüchern in allen
nöthigen Wissenschalten gesorgt werden. Die bisherigen Bücher.
besondei'S die für Religion, sind ihm zu abstract und weitschweitig,
ohne Verständnis und Methode, so dass die „unverstandenen, wiewol
eingebleuten Worte" der Jugend bald wieder verloren gehen. Aber
allgemeine Veranstaltungen, die allein hierin gründliche Abhilfe
sehalfon k<huiten, wmag er nirgends zu erblicken. Ohne Beschaffung
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^utei- Lehrbücher erscheinen ihm alle Schullehrerseminare und andere
Vorkehrungen, bessere Scliulleute zu erhalten, erfolglos. Bekannt
sind in dieser Beziehung Basedow's Bestrebnngeni die leider einen so
baldigen Abschloss fanden. Resewitz regte in seinen Eiziehungs-
schriflen zur Abfassung von Lehrbttcheiii auch noch dadurch an, dass
er Preise aussetzte für die besten Lehrbücher in der praktischen
Logik (Bd. IV) und zur Bildung des Stils (Bd. III). In diesen Er-
ziehunprssclirifieu erscliieuen auch Abhandlungen über die Lehrmethode,
über Autmei'ksanikcit, (iPAvr.liuung, übei- Ehrliebe als Triebfeder der
Erziehung, Natur und Anwendung der Strafen, über mathematischen
und deutschen Unterricht u. s. w.
Aber alles, was er und seine Mitarbeiter boten, sollte nur An-
regungen geben. So sollte auch die Abfassung von Lehrl)üchern
von den tüclitigsten Männern des ganzen Landes in die
Hand genonimeu und vom Staate geleitet werden. Naclidem
die Entwürfe dazu, sowol was die Auswalil und Stufenfolge des
Stoffes, als auch was die Anpassung an die verschiedensten Anstalten
von der eintaelien Volksschule bis zur Akademie betrittt. gemacht
worden sind, sollen die Lehrbücher gearbeitet und Männer von ein-
gehender Fachkenntnis und entschiedenem methodischen (reschick zu
dieser keineswegs leichten Aufgabe durch Au.sschreiben von Preisen
gewonnen werden. Es erschien auch wünschenswert, dass von den
Lehrern über jeden an den Büchern bemerkten Mangel Bericht er-
stattet werde, so dass dann auf Anregung der Oberbehörde bei einer
Nen-Auflage die Abstellung desselben erfolgen könne. Um den rechten
Gebrauch der neuen Bücher von Seiten der Lehrer zu verbürgen,
müssen genaue Vorschriften, wie die Bücher beim Unterricht zu be-
nntzeii, diesen beigegeben und die künftigen SchuUente, sowol was
den Inhalt, als die Darbietung anbetrifft, in den Lehrerbildungs-
anstalten angeleitet werden.
BefiUiigte Schüler werden in den Stadtschulen zu Lehrern auf
dem Lande ausgebildet. Sie erhalten auch Anweisung im Land- und
Gartenbau und prakticiren, um sich zu üben, in den niederen Schulen
der Stadt. Für den Unterhalt soll, außer ehiem Barzuschuss des
Staates, yom Gemeindebesitz ein hinreichendes Stück Land dem
Schulmeister zugetheilt werden, auf dem er verpflichtet ist, besonders
Frucht- und Krantgftrten anzulegen, um für diese damals noch wenig
betriebene Cultur dem Landbewohner eui Vorbild zu geben. Der
Lehrer führt die Jugend in den Schulgarten und macht sie
der Jahreszeit entsprechend mit der Gartenarbeit und dem Bau der
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nützlichsten Producte bekaimr. Die Mädchen erhalten außerdem
von der Frau des Lehrers Unterweisung im Spinnen und
Stricken. So rinden wir die Idee dos Schulgartens und der weib-
liclien Handarbeiten als eine Forderung des 18. Jahrhunderts von
Resewitz vertreten. Die Schulp-artenfrage ist in den letzten .Jahr-
zehnten in der pädagogischen Presse viel erörtert worden, hat aber
bis jetzt leidei- wenig praktischen Erfolg gehabt, während die weib-
lichen Handarlieiten in vielen Ländern als obligatorischer UnteiTichts-
gegenstand Kintührnntr in die Volksschule gefunden haben.
Die Besoldungsfra tre bleibt für Resewitz, da ihm eine reiche
Erfahrung darüber viel Hitteres gelehrt liat, dei- wunde Punkt, um
den er nicht anders herumzukommen weiß, als dass er vorschlägt, an
jeder Schule nur einen ständigen Lehrer mit dem Titel Rector anzu-
stellen. Ein sorgenfreies Auskommen denkt er für diesen dadurch zu
gewinnen — ohne einen Mehraufwand fiir Tichrergehälter noth wendig
zu machen, zu dem ja der Staat nicht zu gewinnen war — dass die
bi.sher tür 0—8 Lehrer aufgebrachte Summe zunächst zu ausreichen-
der Bezahlung des Rectors verwendet werde, während die unverhei-
rateten Unterlehrer sich mit einem geringeren Gehalte begnügen
müssen, dessen Unzulänglichkeit er yoranssieht, weshalb er die jungen
Lehi'gehilfen auf Nebenverdienst verweist. Aber Bosewitz mag sich
drehen imd wendoi, wie er wiU, die ThAteaisIie lisst sich nicht weg-
leugnen, dass es dann in der Schule nnr einen Zufriedenen geben
wird: den Herrn Rector I Es drängt sich nns weiter anch die Frage
anf: Was wird denn mit den unverheirateten Unterlehrern? Wie
wenigen wird es vergönnt seb, Rector zu werden! Sollen die andern
inunei* unverheiratet bleiben und sich mit einem Hnngerlohn be-
gnügen? Unser Gewährsmann findet einen billigen Aasweg. Die
ünterlebier sind sAmmtUch Theologen. Nach Resewitz' Plänen ist
jeder Theologe verpflichtet» nach seinem Studium drei Jahre im Lehr-
amt zu verweilen. Es wirkt geradezu verblttifend, wenn man liest^
wie erst energisch dagegen Verwahrung eingelegt wird, dass die
Schnle als Mittel fta theologisdie Zwecke benutzt werde, und schliefi-
Uch dieselbe doch nichts anderes wird, als das von Resewitz erst so
eifrig abgewehrte Durchgangsstadium ins geistliche Amt Denn bei
dem fortgesetzten Wechsel der Lehrkräfte, der sich ans solchen Yer-
bftltnissen ergeben muss, kann sich doch keine Schule wolbefinden.
Doch sollten die Theologen auf der Universität för das Lehramt an-
gewiesen werden, aber wie wenig Zeit und vielleicht auch Lust —
denn die Schule ist ja doch nicht Hauptzweck! — blieb dem Theologen
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neben «einem StudiuniJ Der Rector sollte auch jeden zu einem
methodischen Unterrichte anleiten; aber nach drei Jahren des Lehr-
amtes hat man noch lange nicht ausgelernt, und noch viel weniger
konnte die Schule von der verbesserten Lehrart des Präceptors er-
heblichen Nutzen gezogen haben.
Wie über die Theilnahmlosigkeit der Staatsregieruugen,
so wird auch Uber die der städtischen Behörden geklagt
und ihnen für die Zukunft nach Resewitz* Reformplänen nichts
anderes zugestanden, als die Verwaltung des Schulvermögens und das
Becht, aus den staatlich geprfijften Aspiianten Auswahl m treffen.
Selbst der fiinfluss der Geistlichen anf die Sehlde erfthrt Einsehrftn-
knng, da mit der Qnalification zum geistliehen Amt die zur Schnl-
«oihicht nicht an sieh yerbnnden sei
Als SchnlbehOrde der Proyins soll yielmehr ein Schal-
rath oder Schnldirectoriom ans den tflchtigsten Schnllenten
gebildet werden, deren Besoldung der Staat abernimmt
Diese Behörde hat die Lehramts-Candidaten zu prfifen, anzustellen
und zu controliren. Dabei wird sie von den Bectoren, welche jShr-
lich zweimal Aber den Stand ihrer Schulen berichten und von den
Superintendenten, die jede Schule ihres Bezirkes jährlich einmal be-
suchen und darftber Bericht einschicken, unterstützt So leitet der
.Provinzial-Schulrath das Schulwesen der ganzen Provinz, indem er
Über den Fortschritt in der Bildung der Jugend sich Kenntnis yer^
schafft, Verbesserungen durchführt und die geeigneten Lehrkrftfte
unter Zustimmung der OberbehOrde zu Rectoren ernennt
Die oberste SehulbehOrde ist das Ober-Schnldirectorinm
oder Ober-Schulcollegium in der Residenz, das die Leitung
des Schalwesens im ganzen Lande zu überwachen hat. Es
erhält Berichte von allen Provinzial-Schulräthen und Plftne für Ver-
besserung des Schulwesens der einzelnen Provinzen, resp. des ganzen
Landes. Jede Besetzung vacant gewordener odei* Gründung neuer
Stellen erfolgt nur unter seiner Zustimmung. Diese „Scbulminister"
.wissen, wie es um die Cultur der Nation in den einzelnen Theilen
des Landes steht, wo und wie der Hebel der Volksbildung anzusetzen
ist. Es sind die besten philosophischen Köpfe, die sich in Erziehung
und Unterricht vorzüglich bewahrt haben. Den Cousistorieu und
Oberconsistorien sollte das Recht der Srliulaufsiclit «genommen werden,
. da das Consistorialamt schon an sich ein Nebenamt sei. wieviel mehr
nun <,''ar das der Scliulaufsiclit, und eine Verbesserung der Erziehung
daher von dieser Seite nicht möglich sein könne.
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Eiiiig:e pecunitire Ojifer werden aber vom Staate dringend
gefordert. Denn „wo der Kopf arbeiten soll, mujj.s das Herz frei
sein; nur Tagelöhnei^seelen können Noth leiden und doch ihr niecha-
Disches Tagewerk dabei vollenden." Die Ausgaben würden sicli so
gar hoch nicht stellen, da nur ein Theil der Mitglieder in den Schul-
behörden sich lediglich der Aufsicht und^Verwaltung widmen sollen,
während die übrigen zugleich Leiter einer Schule sein können. Den
großen Friedrich, der ja Millionen zum allgemeinen Besten verwandte,
möchte mau gern fiir eine Reform des Erziehungswesens gewinnen.
Man ist gewiss, ganz Deutschland würde ihm folgen, wie es seinem
Geiste und Vorbilde in vielen Dingen schon nachstrebte.
E inige der tüchtigsten Verti-et er desSchulwesens wünschte
Resewitz als Mitglieder der Akademie der Wissenschaften in
Berlin zu sehen, um sie der Nation als ihre ersten Köpfe und als
die verdienteisten Männer des Staates zu zeigen. Dass man aber zu
Mitgliedern der Akademie gar Fremde ans dem Auslande berufe
(wie das ja unter Friedrich JI. geschah), wird in heftigen Worten
getadelt, da solche Leute die eigenartige Culturentwickelung des
deutschen Volkes weder verstehen wollten, noch könnten, ja wol gar
mit Geringschätzung anblickten.
Der Staat soll sieh endlich für die Sache der Erziehung erwimieii,
das Schulwesen in seine Hand nehmen und die Erziehung des heran-
wachsenden Geschlechts nicht mehr als ehie geringfügige Nebensache
behandeln, die man blos ehrenhalber betreibe. Komme es denn im
Staatelediglich darauf an, möglichst yielGMd einzunehmen oder dieMiliz zu
vermehren? Selbst diese yerkehrte Ansicht zugestanden, sagt Bosewitz,
ist nicht lediglich eüi blühendes Gewerbe die Quelle des Beichtbnms?
Und wodurch anders als durch Unterricht und Erziehung wird das
Volk zum Fortschritt in Cultur und Gewerbe beföhigt? Das Bildungs-
wesen der Nation yerdiente also wol ein besonderer Zweig
der Staatsaufsicht und Staatsverw^altung zu werden. »Aber
so lange man es noch nicht ftberzeugend einsieht, dass das wahre
Capital des Staates in dem Kopfe und der Geisteskraft seiner Glieder
besteht, so lange ist auch an keine Nationalerziehung und an keinen
aUgemeinen Plan dazu zu denken.**
Ziehen wir in kurzen Worten das Besnltat der vorstehenden
Ansf&hrungen, so Anden wir: Bosewitz ist gleich Francke, Hecker,
Semler u. a. Vertreter des Bealismus und Gegner jener einseitig
philologischen Bichtung des Humanismus. Ohne die altclassischen
Siwachen ganz yerdringen zu wollen, verlangt er die Berücksichtigung
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— 84 —
der lebenden Sprachen und der Realien, übei'haupt Bildimg für das
praktische Leben. Während das Bildungsziel der Philanthropen die
allgemeine Menscheubildung war, willResewitz für jeden Stand die ihm ent-
sprechende Bildung, fordert also die Standesschule. Mit wachsendem
P>staunen sieht man, wie die von ihm vertretenen Forderungen:
dass zur Heranbildung tüchtiger Lehrkräfte vor allem gediegene Lehr-
bücher nöthig seien, dass den Gemeinden, iSchuipatrouen und Provin-
zial-Verwaltimgen die alleinige Entscheidung in Schulangelegenheiten
genommen und dem Staate übertragen werden, dass die Schulaufsicht
ans den HAnden der Geistlichen in die pädagogisch gebildeter Männer
gelegt und die Scholyerwaltnng auch in ihrer obersten Spitze von
der kirchlichen Verwaltung getrennt werden mOase, sehen in den
nächsten Jahren und Jahrsehnten Anerkennung finden und
Wirklichkeit erlangen. 'KOnig Friedrich Wilhetan II. trennte sofort
nach seinem Begiemngsantritt die Sdralangdegenheiten in der höchsten
Instanz von dem geistlichen Fache und setste am 22. Februar 1787
das Ober-Schnlcollegium ein; in der Instmction fttr dasselbe bestimmt
er, dass es »das gesammte Schnlwesen anf das zweckmftfiigste einza-
richten und immer zn yerbessem'* habe, verpflichtet es, dafOr Soige
zu tragen, dass „ttberall zweckmAitige Schnlbficher gebraucht und
eingeftthrt und wo solche mangehi, durch tttchtige Ißtamer angefertigt
werden^. Auch fttr gute Lehrmethode soll gesorgt und nur der in
einer Stadtschule angestellt werden oder in eine höhere Stelle auf-
rücken, der seine Tüchtigkeit vor dem Ober^SchulcoUegium nach-
gewiesen hat Den Ämtern und Magistraten wird das Becht, irgend-
welche beliebigen Leute zu Lehrern zu erwählen, abgesprochen. Es
wird auf die Gründung von Seminaren hingewiesen und der Obeiv
Schulbehörde die öftere Revision des Schulwesens zur Pflicht gemacht
An den Lehrbüchern und Methoden aufgefundene Mängel sollen sofort
abgestellt werden. ( Vergl. Beckedorff, S. 45 u. 48 fg.)
In bestimmten Worten kam unter Friedrich Wilhelm IL der
Gedanke, dass die Schule ein Institut des Staates sei, zum Ausdruck.
Das schon unter Friedrich II. entworfene, aber erst 1794 veröffent-
lichte Landreclit erklärt Universitäten und Schulen für „Veranstal-
tungen des Staates'' und stellt die rechtlichen Grundlagen des Schul-
wesens in der Weise fest, wie sie auch in der Verfusungsurkunde
vom Jahre 1850 enthalten und noch heute' fftr die gesammte preußische
Monarchie geltend sind. In dem Generalbericht des Minister Massow
über seine Visitationsreise 1798 -1801 (vergl. Keller, S. 109) heißt
es: „Das Object der Keform ist Nationalerziehnng und das Terrain
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mflssen sftmmtliche preußische Staaten sein.** Anch Massow weist
dringend auf die Nothwendigkeit guter Schulbücher hin und spricht
in Bezug auf den Beligionsunterricht den Wunsch aus, „dass der Beli-
gionsnnterricht auf die allgemeinen Wahrheiten der Beligidn und auf
die allen kirchlichen Parteien gemeinsame Sittenlehre eingesdiFftnkt
werde.** Dass man auch anfing, der Schule einige Selhstständigkeit zu«
zuerkennen und das Unterrichten als eine Kunst anzusehen, die ihre
eignen Gesetze hat und gleich jeder andern Kunst erlernt sein wiU,
das zeig^t das Scliulreglement für Schlesien vom 18. Mai 1801, § 61
(vergl. Keller, S. 138 fg.), in dem es heißt: „Zu Sehulinspectoren
sind bisher immer die Priester genommen worden; allein, da beide
Amter sehr f&glich getrennt werden .können und der Schulinspector
vorzfiglich ein munterer, thätiger, in der Pädagogik erfahrener Mann
sein muss» so soU die Vereinigung beider Posten in einer Person nicht
mehr nothwendig sein."
Wir sehen: Im 18. Jahrhundert entstanden Entwüife für manches
Große, das sehr oft tür eine Errungenschaft speciell des 19. Jahrhun-
derts gehalten wird; und manches, was schon vor hundert Jahren
keimte, ist nocli heute nicht zur Reife gekommen. Ich unterlasse es,
Vergleiche mit den lieutif!:en Verliältnissen anzustellen, da sie dem
Leser sich von selbst aufdriiu^^en werden. Nur auf eins mochte icli
noch hinweisen: Wenn man die jetzige Stellung der Padagofi^ik und
(Ici- Pädaf^ctprcn bespridit, so geschieht es oft, dass man entweder des
Klagens kein Ende findet, oder das Thema, wie Avirs doch so lierr-
licli weit gebraclit, in allen möglichen und unniüf,dic}ien Tonarten
variirt. Aber wahren wir uns immer den historischen i^lick, suchen
wir bei allem die Entstehung und bisherige Entwickelung zu ergrün-
den und zu verstehen. Denn alles Geschehen ist ein Sich-Entwickeln,
und nui- wenn wir die \'ergangenlieit kennen, stehen wir mit festen
Füßen in dei- Gegenwart und sind ein gutes Bindeglied tür die Zu-
kunft. Dann werden wir bescheiden bezüglich der eigenen Person
und gerecht in der Würdigung früherer Männer und Zeiten, stolz und
kampfbereit, wenn es gilt, das von den Großen des Standes gehaltene
Banner zu schützen, fest und treu, wenn es daraiit ankommt, für des
Standes Wol und Wehe, für seine Zukunft einzutreten.
radagogin. 14. Jikif . Baft II.
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Bine Aaftlogie.
Von Oberlehier JML ZipP'Mattmäorfj N.-Ö,
enn in dem socialen Getriebe des Alterthums vornehmlich Indivi-
duen die Zielpunkte der niedrigsten Begeiferung waren, so sind es in der
Gegenwart Stände und Parteien. Das individuelle Martyrium hat sich
den fortgeschritteneren Verhältnissen gemäß zu einem Standesmailyrium
ausgeweitet. So waren es besonders Sokrates und Christus, welche
ihre hochherzige Veranlagung, ihre güttlirlie Sendmifr mit einem
schimpflichen Tode entgelten massteo, aber dadurch gleichzeitig mit
ihrem Blute besiegelten.
Sophisten waren es vornehmlich, welche Sokrates anfeindeten
weil ihnen seine Lehre, wie sein Wandel nicht in iliren sophistischen
Kram passte. Pharisäer waien es vornehmlich, welche Christum ver-
folgten, weil ihnen seine gotterfiillte Ldire, wie sein göttlicher Wandel
die Maske der Heuchelei von dem selbstgefälligen Gesi< lite riss.
Die Aufgabe der Culturentfaltung, die damals den Schultern Ein-
zelner aufgebürdet erschien, erscheint gegen wältig auf die Schultern
vieler Gleichgesinnter, auf die Schultern ganzer Stände übertragen —
und demgemäß entleert .sich der Hass des .so])liistisch pliarisäischen
Geschlechts nicht so sehr über dem Haupte eines Einzelnen *), als
vielmehr über den Häui»tein des ganzen Standes. AN äliicnd indessen
die aliertluiinliche Be.s<'hiäiiktheit des Volkes den Finsterlingen eine
plumpe Kampfesweise gegen die Strahlenträger göttlichen Lichtes ge-
stattete, sieht sich gegenwärtig die Phalanx derselben zufolge der
yoi*8ichtigeren Urtheilstliätigkeit der Gegenwart genöthigt, die unge-
schickte Keule plumper Angriffe mit dem handlicheren Stilet spitz-
findiger Verleumdungen und jesuitischer Verdrehungen, dessen Spitze
mit Leichengift imprägnirt ist, umssatauschen und über die Fratze
boshafter Leidenschaftlichkeit die trfigerische Maske edler Biederkeit
Doch! I 'herall sind die Führer des Fortschrittes in erster Linie dem Hasse
und der Verfolgung ausgesetzt. D. ß.
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und tiefer Frömmigkeit za ziehen. Es ist der Kampf des Hercules
mit dem Antftos, den die Vervollkommnnng des Menschengeschlechtes
mit dem finsteren Geiste der volksfeindlichen Beaction kämpft, wobei
-den Enlen der Nacht der blinde Antoritätsglaabe der Massen die
Matter Erde ist, ans der sie stets nene Widerstands-, stets sich yeijfli^ende
Agitationskraft schöpfen, und wobei die LoslOsnng ihrer Principien
von dem Bildnngsinteresse des Volkes das ZerdrQcken des Anfklftrongs-
feindes in der Luft darstellen wird. —
Wenn man den Process des Sokrates ins Aage fSust, des bedeu-
tendsten Weisen und Lehrers der vorchristlichen Zeit, so findet man
in dessen drei Anklllgem Anytos, Lykon and Melitos, sowie in deren
von dem letztere bei dem Arelionten-EOnige eingereichten förmlichen
Schriftklage eine verblüffende Analogie mit unseren Feinden und
imserer gegenwärtigen Lage. Es repräsentiren die genannten drei
Ankläger das ganze Her}- der modernen transalpinischen Finsterlinge.
Das RichtercoUegium der Heliasten, dem die Sache ül)erg(4)en worden
und welches bei jenem Processe aus mehr als 500 Richtern bestand,
finden wir in der Schar der theils übelwollenden, theils Ubelberathenen
Masse wieder, welcher der giftschwangere Dunst der in der unheilvollen
Hexenküche gebrauten Machinationen auf geschickte Art applicirt
wird. Und vollends erst die Anklage! Sie lautete: „Melitos, Sohn
des Melitos aus Pitthos, erhebt und beschwört gegen Sokrates, des
Sophroniskos Sohn aus Aloiieke, die peinliche Klage: Sokrates begeht
ein Verbrechen, indem er nicht an die Staatsgötter glaubt, sondern
anderes, neues Dämonisches einfülirt; er begeht auch ein Verbrechen,
indem er die Jugend verfülirt. Die Strafe sei der Tod." — Sie
lautet nQfien die Neuschulc lieute ebeiisij. Wir brauchen in ihr blos
die Xauien den Umständen gemäß zu ändern — und wir haben, Mio
wir es nicht besser wünschen können, säniintliche Anwürfe der Dunkel-
männer gegen jene Institution in wenigen Worten trefieud zum Aus-
drucke gebracht.
Das Verderben der Jugend, welclies seinerzeit dem Sokrates und
gegenwärtig auch der Sdiule oft genncr voi-<^''p\vorfen wurde, war und
ist nichts anderes, als die Ent wickehing einer neuen BiMinig und Er-
ziehungsweise, worin die Dunkehnänner den ihre Tendenzen durcli-
kreuzenden Krebsschaden wittern, der sich mit Centnerlast an ihr
^menschenfreundliches'' Bestreben heftet, die vorgeschrittene Zeit auf
ihren fiüheren Standpunkt zuriickzndrelien.
In dem Leben des Sokrates so wenig wie in der Betliätigung der
2s'euschule sehen wii* eine Hand hing, die verdiente, wie es damals
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geschah und heute geschieht, mit Namen belegt zu werden, wie die von
phansäischer Selbstgefälligkeit im Tempel der Journalistik, im Bruder-
hause der Nächstenliebe so oft variirten. Heute wie damals findet
der rechtschaffene Kritiker in den beiderseitigen Bestrebungen de»
Cultusfortschrittes keine Aufforderung zum Aufrühre, weder gegen
Staat, noch Kirche, außer gegen Dummheit und Aberglaube — sondern
nur Lehre; keine andere Gewalt, als die des Wissens und der Liebe;
keine durch Stiftung geheimer Gesellschaften und Verbindungen ent-
standene Partei im Staate; nicht einmal ein offensives Vorgehen
gegen die Hamster der VolkNwulfahrt! So felilen also beiderseits
aDe Kriterien eines vcral)scheuenswerten Nihilismus, wie er insbeson-
dere der Neuschule und dein neuzeitigen" Lehrstande von Dümuiiiugen
odei' niedriofen Sclavenseelen V()r^i:eworfen wird.
Aber Sokrates" Scli iiier, Alkibiades, Kritias, die dem Volk und
Staat so viel Unheil bereitet haben? — Aber die (sehr vereinzelten!!)
Fälle jugendlicher Verbrecher, welche der Neusciiule entwachsen sind? —
Bestätigt nicht das Betragen derselben die dem Sokrates, die der
Neuschule vorgeworfene schlechte Kinflussnahnie auf die Jugend? —
0 des bedauernswürdigen Lehrers, der unbedingt verantwortlich ge-
macht werden soll ftir die Gesinnungen seiner an Anlagen und Nei-
gungen so verschiedenen Schüler, deren Gemüth durch Eltern, Haus-
erziehung, Familienereignisse, geselliges Leben, Schicksale u. dgl. oft
so widerstrebende Kindrücke erhält! Wir inüg-en uns freuen, wenn
gut geartete Seelen, unserer alleinigen Obhut anvertraut, in ihren
reinen Gefühlen und Gesinnungen bewahrt, und bösartige iu der
Ausbildung sinnlicher Begierden zurückgehalten werden. Aber welcher
Lehrer sollte in einem erfahrungsreichen Leben nicht schon einen
kleinen Alkilnades unter seinen Schülern gehabt haben, füi- dessen
Zaknofb er sich nicht yerbfirgen mochte? — Und wo bleibt Abrigens
die religiOs-eittliche Einfiussnabme der Katecheten? — Sollten diese»
wenn der Lehrer f&r einzelne Entartungen individueller Entwickelung
verantwortlich gemacht wird, an der Mitschuld eines solchen Falles
leer ausgehen? — Fanden sich unter den oligarchisch gesinnten
Schliem des Sokartes einiget die, obwol gewandt in der Bede, doch
ehrgeizig in ihren Oesinnungen, grausam und ungerecht in ihren
Handlungen waren, so beweist dies, nur, dass sie wol anderes, aber
nicht die weise Bdierrschung ihrer selbst von ihrem Lehrer erlernt,
nicht sein Gemttth sich angeeignet hatten. Ein blos gemftthlicher
Mensch ist freüich nur ein Schwächling; aber ein geistvoller ohne
Gemttth ein verderbliches Ungeheuer. — Finden sich nun unter den
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unserer Schule entwacbseneii Schülern hie und da manche, denen der
Friedenskranz der Tu<?end nicht zugesprochen wei'den kann, so beweist
dies ebenfalls nur, dass auf sie neben den sittlich bildenden Einflüssen
der Schule und des Lehrers noch andere", den Sittli<*]ikeitscanon ver-
dunkelnde Einflüsse mit verderblicher Nöthigung eingewirkt haben
und dass sie wol anderes, aber nicht die Principien des Lehrers in
sirh üutgenommen haben, — Ihr Weltverbesserer! Hier setzt euren
Hebel ein! Da. wo die wahren Ursachen socialer Entartungen wie in
Maulwurl'slOchern verderblicli»' Gifte ausbrüten; wo der fressende Rost
mensclilichen Elends menscliliche Regungen ^zernagt; wo die Paria-<
der Gesellschaft verachtet und gemit'deu von den sogenannten ..Gebil-
deten" umsonst nach bildendem ünigaiig si limachten; wo sie verbittert
gegen Gott und Welt selbst die Wolthal der Sonne hassen, .weil
ihnen deren Licht ihr sociales Elend nur desto greller beleuchtet —
da streckt eure „biedere" Bruderhand aus, reicht sie dem Nächsten
brüderlich hin und zieht ihn liebevoll au euer Herz! Schaff't Froh-
sinn statt Knechtsinn, Brudersinn sta,tt Kastengeist, Duldung statt
Verfolgungswahn — und ihr werdet Gelegenheit haben zu sehen, ob
auch dann noch „Räuber und Diebe'' aus der Neuschule hervorgehen.
Übrigens denkt der rni)arteiische .über euer Verhalten: Parturiunt
montes, nascetur ridiculus mus!
Sowie Sokrates für das Alterthum der Stammvater der Sittenlehre
gewesen, ebenso ist für die Neuzeit die Neuschule ein Ginindpfeller
echter Humanität Man bedenke nur, wie die durch die zunehmende
k&nstliche Verknöcherung des Dogmenglaubens, durch den überhand
ndunendeii Sport in der Vereinsreligion, durch die Materialisirung des
Iminaterielleii in der BeUgions&bnng herbeigeffthrte, genährte und
potenzirte Heuchelei, Ditoleranz, Gesininuigsinedi'igkeit und Selbst-
sucht der ICaasen den EinflOsseii des modernen Bfldnngswesens all-
mählich irich, um sich nach und nach in die Bethätigung echter
Menschlichkeit umzuwandeln — und man [wird die edit christlidie
Bedeutung der Neuschule zu würdigen wissen.
Tychsen sagt Uber Sctkrates: „Der eigenthttmliche Charakter und
das größte Verdienst des Sokrates war, dass seine ganze Philosophie
auf die Sittenlehre, auf Verbesserung des Herzens und Beförderung
• der Tugend leitete. Bisher war der Hanptgegenstand der Philosophie
seines Zeitalters Specnlatidh von fiberirdischen Dingen
Auf das praktische Leben nahm man wenig Bflcksicht; die ganze
Weisheit der damaligen Philosophie bestand in abstracten ünter-
snchungea, sowie die der Sophisten in einer kfinsüidien Beredsamkeit,
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und die letzteren iLliiteii viele Grundsätze, die für die Tugend ebenso
nachtheilig, als für die Ruhe der Staaten gefährlich waren. Sokrates
war der erste , der das Unnütze und Gefährliche dieser Bttta^bmigeik
einsah Er war es, der statt einer überirdischen Weisheit
eine menschliche, gemeinnützige Weisheit unter seine Mitbürger ver-
breitete "
Klingt dies Urtheil Uber Sokrates nicht ebenso, als ob es sich
auf die moderne Pftdagogik bezöge, deren Schmerzenskind die Neu-
schule ist? — Hat es diese gegenüber der Anstrebung eines chine-
sischen Formelwesens durch die klerikale Partei nicht ebenso auf
Verinnerlichung der Bildung, auf Verbesserung des Herzens und Be-
förderung der Tugend abgesehen? War nicht bis zur Schaffung der
modernen Pftdagogik die ganze Welt in flberirdische Speculation befongen?
Hatten es die früheren Bildungsanstalten nicht hauptsftchlich auf eine
Wortbildung abgesehen? — Weisheit (durchaus nicht die dem moder-
nen Bildungswesen yorgeworfene, aber in Jesuitenschulen florirende
Kenntoiskrflmerei) gilt] uns ebenso als Inbegriff aller Tugenden oder
alles Schönen und Outen, wie einst Sokrates. Aus ihr geht die
Glflckseligkeit nothwendig hervor, indem Weisheit und Wolsein so
innig miteinander verbunden sind, dass sie eben dadurch das höchste
Gut des Menschen ausmachen. Die Neuschule lehrt eigentlich nichts
anderes, als die Moral Sokrates, die Moral Christi. Denn indem sie
klare VorsteUnngen vermittelt und zum richtigen Denken anleitet^ mit
den Vorstellungen aber das Gciniith in innigem Zasammenhang steht,.
discipUnirt sie die Gefühle, den Willen, den Charakter.
Die Art des Lehrens ist bei Sokrates, wie bei Christus, wie bei
der Neuschule populär. Jene beiden werden von der modernen Päda-
gogik stets als leuchtende Vorbilder gefeiert werden. Die Menschheit
dem Zwecke ihres Daseins immer näher zu bringen, das ist das Ziel^
das sich alle drei Culturfactoren vorgesteckt hatten. Das Gute zu
erkennen als das Absolute, besonders in Beziehung auf Handlungen^
und jeden zum Nachdenken über sein Verhältnis zu der gesammten
Erscheinuugswelt zu fuhren — das bildet das Wesen ihrer Lehren.
Sokrates, wie Christus waren Lehrer; und es erscheint als eine
absichtliche und zielbewusste Verdrehung historischer 'Ihatsachen,
wenn man den letzteren als Priester, als Hierarrhisten hinstellt und ^
aufgetasst wisisen will; denn weder tui%irte er jemals als solcher,
noch hielt er sicli selbst für einen solrhen und wurde auch niemals
als solcher vun seinen Mifiiirnsclu^n anf^esehcn. Im Gegentlicilrr befand sich
gerade in contradictoriächem Gegensatz zu der damaligen Hierarcliie und
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bekämpfte dieselbe in ihren entsittlichenden Einflüssen auf das ent-
schiedenste, wodurch er seinen Untergang herbeiführte. Mit Recht
dürfen wir deshalb sagen, Sokrates und Christus sind Ahnen unseres
Standes. Als Lehrer treiben wir ebenso wie jene das Lehren als
einen uns zum Bedürfnis gewordenen Tagesberuf, ohne allen Eigen-
nutz und insbesondere nicht wie eine gewisse Partei im Staate, welche
aus ihrem Berufe ein domin irendes Wechsclgeschäft macht. Unser
Lehren ist eine fortwährende geistige Anregung zu selbstständiger
Bethätigung des Menschengeistes und ^rcn.schenherzeus, das Gegeutheil
der modernen Sophisten, die durch künstlich ausgearbeitete üeden ihi*e
Zuhöher mehr vert'üliren als belehren.
Wenn wir die Gescliichte der ^renschheit duiehlaufen, so werden
wir überall bestätigt linden, dass da, wo auUerurdeutliclie Männer als
Reformatoren auftraten, sich auch immer zwei Parteien bildeten, deren
eine sie hasste und verfolgte, während die andere sie liebte nnd ver-
ehrte. Dasselbe gilt auch von reforniatorischen Institutionen. Wie ist
es auch anders möglich! Schon (bis Neue einer Lehre oder Institution
als solches hat für viele Tausende eine abstoßende Kraft, da sie theils
das Bessere nicht einsehen oder nicht einsehen wollen, theils tür ihr
eigenes Interesse einen Nachtheil davon fürchten. Ist es nicht so ge-
wesen bei Sokrates und Christus - - und ist es nicht so bei der Neu-
schule? Und an ihr, analog der Lebensgeschichte Sokrates' und
Christi, verwirklicht sich jener gehässige Widerstand umsomehr, da
sowol sie selbst als Institution wenig äufiere Macht besitzt, wie auch
ihre unmittelbaren Träger, die Lehrer, weder durch Rang nnd Reich-
thmn, noch durch Pnmkmittel auf irgendwäche Art bevorzugt nnd
gewichtigt erscheinen, sondern nnr dnrch den Geist der modernen
Pädagogik, der dnrch seine stark einwirkende Kraft anf das Volks-
bewnsstsein einen nm so stärkeren Gegensatz in den Übelwollenden
hervorbringt.
Fassen wir die sich anfßUb'g genug darUetende Analogie zwischen
dem gegenwärtigen Verhältnis der Nenschnle zu den Pharisäern der
Nenzeit nnd dem einstigen Verhältnisse Christi zn denen des hebräi-
schen Alterthnms ins Ange, so ist es gerade so, als ob ein Kreislanf
der Weltbegebenheiten bestünde, in dem sieh principiell dieselben
Cnltm^ämpfe unter äußerlich veränderten Umständen wiederholen. —
Ifit kOhnem IVeimnthe wnrde beiderseits gegen den erbärmlichen
Charakter nnd die niedrigen Absichten der Pharisäer gekämpft^ wnrde
das Volk zum Selbstbewnssteein, zur geistigen Selbstbefreinng, zur
sittlichen Selbstveijflngnng zu erheben gesucht. Deshalb reagirt die
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Pharisfterzunft am stärksten gegeu die Onmdsätze der modernen
Pädagogik, Institationen des gOttUehen Geistes, und sucht das Volk
zur Vemichtung der Nenschnle an&oreizen, nm dann za ihrem eigenen
VortheUe einen Staat im Staate herzustellen.
Sowie sich Jesus durch seine göttliche Wirksamkeit zahlreiche
Schfiler und Anhänger sammelte, ebenso gewann die Nenschnle durch
ihr redliches, treues BemOhen im Sinne unseres erhabenen Beligions-
stifters immer mehr an Boden. Sowie Jesum die Pharisäer hassten,
weil sie in ihm den Yolksaufklärer, den gefthrlichsten Feind ihrer
Herrschaft erblickten, ebenso und aus demselben Grunde hassen die
modernen Pharisäer die Neuschule.
Indes mit Beruhigung dOrfen wii* der Verrollkommnnng des
Menschengeschlechtes entgegenblicken; denn die Wahrheit ist unsterb-
lich wie Gott! Das beweist die Weltgeschichte in allen ihren Phasen.
Wie die Übelwollenden wol Sokrates und Christus tödten konnten,
aber nicht imstande waren, das Princip ihrer reformatorischen Thätig-
keit zu vernichten, so kann es den Übelwollenden der Gkigenwart
höchstens gelingen, die jetzige Form, in welche sich ganz dasselbe
Princip kleidet, ihrem Yandalismus zu opfern — das Princip selbst
aber bleibt ihrer Vemichtungsmanie unerreichbar. Es ist und bleibt
ein Phönix, der aus der Asche wieder ersteht und herrlicher sich
selbst verjüngt.
Der Angriti'sjmnkt des Widerstandes, welcher bei Sokrates und
Christus voihanden war, war dies, dass das Princip nur als Eigen-
thum eines Individuums auftrat. Der Angriffspunkt der Opposition,
welcher in den gegenwärtigen Culturbestrebungen liegt, ist dies, dass
das Princip als Eigen th um t iner Partei auftritt. Es wird aber eine
Zeit kommen, in der das Princii) nicht mehr als Eigenthnm eines
Individuums, nicht mehr als Eigenthum einer Partei, sondern als
Eigenthum der ganzen Menscliheit auftritt — und dann, übelwollende
Opposition! bist du gerichtet! — Dass diese Zeit mit Zuversicht er-
wartet werden kann, erliellt schon daraus, dass jenes Princij) trotz
jahrhundertelanger Widerstandskämpfe sich doch uUinählich den Boden
einer großen Partei errungen hat, dass es nicht mehr individuell ist,
wie bei ^Sokrates und Cliristns, dass es aus seinem ersten Maclit-
stadium in das zweite eingetreten ist. dem das dritte Stadium, das
der allgemeinen, universellen (leitung, vermöge der Lebens- und
Überzeugungskiaft jenes Princips wird folgen müssen.
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Beitrige zur Reform des Religionsnnterriehtes in Bezog taf
Inbalf und Lehnreise.
ie sociale Frage der Gegenwart und wie sie zu beantworten
und zu lösen ist — das beschäftigt jetzt alle Köpfe, die lehrend, ge-
setzgebend oder regierend Einfliiss haben auf die Gesellschaft.
Da hat vor kurzem ein jungei" Theologe den irnten Einfall gehabt,
den richtigen Weg der <'i<iiien Aiiscliauung und Erfahrung zu betreten,
indem er drei Monate lang unerkannt als Fabrikarbeiter in Cliemnitz
zubrachte, also in dem Mitteljdinkte der säclisischen Großindustrie und
einem der Haui)torte der Sociuldemokratie. Dai-auf veröffentlichte er
die lehrreiche Schrift: ..Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerks-
bnrsche. Eine praktisclie Studie von P. Göhre, Candidaten dei' Theo-
logie; Leipzig bei Willi. Grunow, 1891."
iJiese Schrift gewährt nicht blos einen tiefen Einblick in die
Arbeiterwelt, sondern ist auch in i)ädagogischer Hinsicht von großem
Interesse. Für meine Zwecke hebe ich dasjenige lieraus, was sich
auf den Religionsunterricht in der Yolksscluile bezieht, und auf das
Verhältnis desselben zum Leben überhaupt und die Einwirkung auf
das Arbeitervolk insbesondere.
Die veiänderten Verhältnisse der niederen ('lasse wie auch der
Handwerker sind eingetreten im Gefolge der neuen Krhudungen, der
Maschinen und des vermehrten Fabrikwesens. Wie anders war es,
als vordem die Handwerker*) als wandernde Gesellen von 8tadt zu
*) Die frttheren Artikel über dieses Thema finden sidi in den letsten Jthr-
gängen dif ser Zeitschrift. D. E.
**) Man lese nur die lueisterhattc Darstelliiog von Jul. Wolff ia i«.eiDera „Sült-
meister". üin dou l uterscbiod zwischen einat and jetzt historisch kennen zu
lemen, TeTweiaen wir auf einzelne Bilder ans der deatschen 7ergingeiilieit von
6. Freitag.
Von Prof. und Director Theodor VernaUken-Oraz.
VI. SocialismuB und Beliglonsanterrielit*)
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Stadt zogen, si<'li mit wenigem begnügten und nicht massenweise bei-
sammen lebten, unbekümmert um die staatlichen Dinge, die noch nicht
von täglichen Zeitungen besprochen wurden. Auch die Schulbildung
ist nicht mehr so gleichmäßig wie ehemals.
Der genannt« Beobachter der heutigen Arbeiterkreise unterschei-
det mit Hecht verschiedene Stufen der geistigen Bildung der Arbeiter.
£r beginnt mit der Schilderung der Dorf- und selbst Stadtschnl-
bildung, die er zum Theil noch als religiös and confessionell dogmatisch
erkannte. Bas Wissen ist beschrflnkt, die Geschicfatsauffassmig ver-
knöpft mit dem Wunderglauben» die Nalnr ist ihnen noch ehi BAthsel;
sie kennen nichts von den Entwickelnngsgesetsen, welche die moderne
Wissenschaft lehrt Biblisches und später HInzngekommenes ward der
Jugend nur als Lern- und Memorirstoff schuhnäfiig geboten, wie es
im Katechismus Ibrmulirt ist; es war nicht den Herzen, sondern den
Köpfen der Kinder flbermittelt Der entschieden streng kirchlich ge>
sinnte Verfasser dieser Schrift sagt: Der Religionsunterricht ist in
solchen Schulen, ans denen die Arbeiter hervorgegangen sind, vor-
wiegend Verstandesunterricht anstatt Erziehung des Charakters; die
christliche Heilswahrheit kalter Lernstoff anstatt warme, alles durch-
dringende Lebenskraft, Jesus Christus, nach dem Vorgänge des Dog-
mas, mehr ein metaphysisches Rftthsel als eine Mstoiische gottvolle
Persönlichkeit Die biblischen B&cher gelten den meisten als wört-
liche Autorität, in dem Sinne der Inspiration. Auch im Confirmanden-
unterricht wird die historische Seite nicht genügend au^ekl&rt, und
wenn dann die Leute heranwachsen, so werden die ersten Jugend-
eindrücke spurlos ver^vischt
In höheren Schulen, sagt der Verfasser, ist der Religionsunter-
richt genau wie in der Volksschule vorwiegend Katechismusunterricht
Sein Gegenstand ist das logisch mit den Mitteln einer längst ver-
alteten Wissenschaft aufgebaute Lehrgebäude des kirchlichen Dogmas,
seine Aneignungsform das verstandesmäßige Begreifen und Auswendig-
lernen dieser Glaubenssätze, Bibelsprüche und Gesangbuchverse ohne
die innerliche Aneignung, wie sie Christus in den Evangelien fordert.
Dazu kommt, dass in dem übrigen sogen, weltlichen Unterrichte eine andere
Auffassung des Gelernten stattfinden muss, wenn man im 19. Jahr-
hunderte lebt. Diese widersprechenden Bildungskeime wachsen, sobald
eine oft unvermeidliche materialistische Tiebeusan.schauung später hin-
zutritt. Die zwei dürftigen Stunden im Religionsunterrichte unserer
Schulen deuten schon darauf liin, dass dieser Zweig des .lugendunter-
ricUtes als etwas besonders üeildeä mit Peinlichkeit beschränkt wird
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und isolirt dastelit. Die haimtmische IMUlung' und P^rzieliiiiig leidet
darunter, und das einzige Rettuii^^Ninittel iht, dass aucli der Relifj:ions-
unterrieht in den zeit- und veruunftgeniälien Dieusit der Jugt/ndbildung
gezogen werde. Wer andere Mittel vorschlägt, der begehrt, dass die
Gewässer der Erde bergauf fließen.
Eine solche zwiespältige Schulbildung macht nun in der Fabrik
eine vGllige Wandlung durch: sie geht in einer neuen, der socialdenio-
kratisdien Bichtung unter. Denn diese hat sich auch der Volks-
bfldnngsfrage bemächtigt und eine neoe VoUuliterator geschaffen, deren
Inhalt im Dienste der Arbeiter-Interessen nnd im Dienste herzloser
Fabrikbesitzer ist Diese Halbbildung wendet sich bei beiden Parteien
den Lehren Christi gänzlich ab. Wie diese Lehren von den Beligions-
lehrem behandelt würden, haben wir oben daigelegt; den Verlust auf
dem religiösen Qebiete hat grofientheils die Dogmenkirche verschuldet»
deren Vertreter andere Bestrebungen, selbst politischen, noch immer
nachgehen. Damm wenden sich auch besser (Gesinnte Ton solchen
Vertretern ab und gar oft auch vom Kirchenthum, das bei der päpst-
lichen Kirche wesentlich in Inßeriichkeiten sehnen Halt hat
Es gibt aber dauerhafte Grundlagen für die christliche Geeittong.
In den Schlnssbemerkungen hebt der Ver&sser der Schrift:
»Drei Monate Fabrikarbeiter'' die Ergebnisse sehies Aufenthaltes in
der socialdemokratischen Luft hervor. Dem jungen Theologen ist
vieles klar geworden, was er ans Btlchem oder in einem Seminar im
abgeschlossenen bischöflichen Convicte nie gelernt hätte. Charakter
bildet sich nur durch Erfahrungen im Strome der Welt, unter Widern
wftrtigkeiten und harter Arbeit
Die Lohnfrage allein, meint der Verfasser, ist nicht der aus-
schlaggebende Factor der heutigen socialen Bewegung. Man verlangt
mit Keclit auch Anerkennung des Wertes der Arbeit und bürgerliche
Gleichberechtigung. Gewährt man dies dem sogen, vierten Stande, so
tritt auch an ihn eine Pflicht heran. £r mnss anerkennen, dass es
auch sittliche Mächte sind, von denen die höhere nnd freiere Ent-
wickelung wie der steigende Wolstand des Volkes zn erwarten sind.
Der Staat allein kann nicht f&r alles in Anspruch genommen werden.
Für die Wolfahrt des Ganzen hat jedermann beizutragen und selbst»
süchtigen Trieben der Arbeiter wie der Arbeitgeber Schranken zn
setzen.
Bei einer Anzahl von Arbeitern ist gewiss auch der Wunsch
lebendig, in einer neuen wirtscliaftliclieu Ordnung nicht blos mehr
Stumme Werkzeuge eines höheren Willen, sondern kraftvoll mitwiikende
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Menschen, niclit nur Hände, sondern auch Köjtfe zu sein. Dies ]irägt
sich, wenn aucli noch unklar nnd gäiirend, dem Beobachter in dieser
Arbeiterbewegung aus, wenigstens in Deutschland. Solche Entwick-
lung ist nicht mehr aufzuhalten, sie ist nur in gesetzliche l^ahnen
zu leiten. Letzteres wäre die Aufgabe der Regierungen, denen eine
Mitbeteiligung der arbeitenden Classe nur erwünscht sein muss.
Schule und Kirche müssen dabei mithelfen, indem sie der rohen social-
demokratischen Lebensanscli;iuung ihr materialistisches Rückgrat brechen .
Auf dieses deuten auch einige literarische Erscheinungen hin,
die auf ein wolverstandenes Christenthum hinweisen, das von Haus
aus social ist und die Liebe zum Prineip der Gesellschaft macht.
Nfeht die alten Glaubenssätze sind es, die Erleichterung biingen
oder Befreiung von den Nethen der Gesellediaft, danim wendet man
jetzt der ethiBchen Seite des GhristaitbmDS mehr Aufmerksamkeit zu.
In dem recht verstandenen Evangelinm liegen die gewaltigsten sitt-
lichen Krfifte» die in unserer Zeit entbunden werden milssen.
Von den neuesten Schriften in dieser Bichtnng nenne ich nur
die vom Glasgower Professor der Naturwissensehaften, H. Drummond,
herausgegebenen Brosehttren: „Das Beste in der Welt" und „Vax.
Yobiscum.'* Sie sind zu Tausenden auch in deutscher Sprache ver-
breitet (Bielefdd bei Velhagen & Klasing 1891, 1 M.).
Dnunmonds kleine Schrift: »Das Beste in der Welt" nach Paulus
(1. Korinther Brief 13) setzt den Inbegriff der Liebe fest, in Über-
einstimmung mit der Nftchstenliebe, wie sie u. a. gefordert wird
bei Marcus 12, 31 und noch deutlicher bd Matth&us 7, 12: „Alles,
was ihr wollt, dass euch die Leute thun sollen, das thuet ihr ihnen —
das ist das Gesete und die Propheten." Wer der Nfichste ist, das
erklärt Jesus bei Lucas 10, 30ff.
Eigennützige Besitzer und Fabriksleiter, welche den Wert der
Arbeit nicht schätzen, setzen sich freilich Uber solche christliche
Forderungen hinaus. Mit der Ausführung tdieser Grundsätze wäre
wol im allgemeinen die sociale Frage zu lösen; ich setze aber hinzu:
mit Kücksicht auf die Zeitverhältnisse und die Zustände des betreffen-
den Landes. Die kirchliche Gesellschaft kann nur mithelfen, maß-
gebende Ausführung ist Sache der staatlichen Gesetzgebung. Im ge-
wöhnlichen Leben ist das Geld allerdings eine Macht; es gibt al)er
zwei Imponderabilien, die auf die Dauer noch stärker sind: die Liebe
und der Gehorsam. Familie und Schule haben dieses Feld zunächst
zu bebauen.
Warum habe ich neben die Liebe auch den Gehorsam gestellt?
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Er' wird in unserer Zeit durch manches untergraben, am meisten
in der Farailienerziehunp-, aber auch im bürgerlichen Leben. Ich
denke oft an die lelureiclie Schule der früheren Handwerksburschen
und an ihre dreijährige ^\'illlderpf^icht. Nur theilweise wird diese
Schule ersetzt durch unsere dreijährige Wehrpflicht, die fiir die
meisten insofern eine Wolthat ist, weil sie Land und Leute kennen
lernen und sich an eine strenge Zucht gewöhnen, abgesehen von den
körperlichen (ibungen. Für eine große Zahl muss auch das Di'illen
znr Erziehung gerechnet werden. Das Hobeln gelit ja dem Poliren
voran, und eine gute Gewöhnung ist bekanntlich bei der Erziehung
eine große Macht.
Diese Betrachtungen mögen den Übergang bilden zur Besprechung
einer zeitgemäßen „Sitten- und Pflichtenlehre'', "wie sie für die
Schale nothwendig geworden ist an Stelle des im F^marhefte 1891
des Paedagogiums von mir bespiocheneii Katechismus.
Zun Schlosse mOchte es mir gestattet sein, meinem hescheideiien
Sodalismiis auch vom Standpunkte der Yolkspädagogik kurz Ansdmck
zu geben.
1. Zufriedenheit und Wolstand erlangt der Uensch nui* durch
eigenes Bemfihen, und dazu kann der Staat behilflich sein durch
zweckmäßige Agrargesetze und Hintanhaltung yon Massenansammlungen
in große Städte.
2. Sorge für ein Eigenthum, wenn es auch noch so klein ist
Diese Sorge wird sehr erleichert bei einem gemäßigten Tempo im
Rennen und Jagen nach Geld, hlos zum Großthun und zu Vergnügungen.
3. Gründung einer Familie und gute Erziehung der Kinder,
wozu ein regelmäßiger Schulbesuch gehört, denn Schul- und Volks-
büdung stehen mit der wirtschaftlichen Wolfahrt in innigem Zusam-
menhange.
4. Naturgemäße, ein&che Lebensweise, bei der man sich nach
der Decke streckt und aicfa nur mit denen yergleicht) die weniger
haben.
5. Bethätigung der christlichen Liebe, wie sie das Evange-
lium fordert,
6. Mitsorge des Staates für Unfälle wie auch für das Alter.
Die Ausgaben können durch eine Progressiv-Steaer von den oberen
Zehntausend gedeckt werden.
Wenn das alles nicht liilft, dann mag in Gottes Namen die Sünd-
fiut kommen, die man für das 20. Jahrhundert allgemein befürchtet.
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Die Pest des Aberglaubens and ihre fleilang durch die Er-
ziehung.
XJLberglaube ist ein Wort, welches wie ein dunkler, unlieimlicliev
8ch«atten aussieht. Das Licht eines <>:esun(len GlaulK-ns erhebt und
beseligt den Menschen; das Gaukelspiel des Aberglaubens ist zwar
nicht selten unterhaltend, ja bestrickend, aber innner thöncht und
verderblich. Die Erscheinung dieser freistitren Krankheit, oder —
wie man auch sa<^en könnte — dieses treveiliatten Sitieles und Spukes
ist so alt wie das Menschengeschlecht. Sie tritt schon im alten
Heidenthum und Judenthuni auf, und zwar als eine Pcrsonificirung
der V()]-g;inge in der Natur und als Ausstattung der Welt mit aller-
liand G(ittern und Geistern, denen man geheimnisv(dle Einwirkungen
zuschrieb. Und als in späterer Zeit, im Mittelalter, ein mystischer
phantastisch-theosophischer Zug vom Orient ausging, als die ^^'issen-
schaften zum Sinken kamen, als die Magie, der Reliciuiendienst. die
Astrologie. Ciiiromantie, Zauberei, das Hexen wesen und die Gespenster-
seherei sich ausbreiteten, da ging die unheilvolle Saat des Aberglaubens
mächtig auf und verfinsterte die Kiipfe. Als dann si»äter die Sonne
<ler Reformation erschien, wurde es zwar heller in dem Geistesleben
der Menschen, die Ammen- und Pfaffenmärcheu wurden verlacht, das
Denken von Fesseln des Wahnes befreit, und der Aberglaube begann
zn weichen. Aber wie man anch denselben bekämpfte, auszurotten
war er nicht, und er hat fort grassirt bis anf den heutigen Tag nnd
zwar in det neuen Welt wie in der alten, namentiieh überall, wo die
Denkiknlheit ihm einen günstigen Boden schafft ^»Eein Fehler'', sagt
Prof. Strümpell „ist mehr yert>reitet als der Aborglanbe, nnten nnd
oben nnd in der Mitte des Volkes, bei den Klngen wie bei den Ein-
ftltigen, bei den Reichen wie bei den Armen, bei den Vornehmen wie
bei den Geringen, bei den Gelehrten wie bei den Ungelehrten." Und
in der That hat es immer nicht blos abergläubische Narren gegeben,
Von Dr. CM JPUat-Letptiff.
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sondern auch liervorragende Männer, die Itei aller Freisinnigkeit docli •
von dieser Schwäche nicht loskommen konnten. Voltaire kam ganz
betrübt nach Hause, wenn er auf dem Felde Raben zu seiner Linken
hatte krächzen hören, Rousseau warf kleine Steinchen durcli das
Luch eiuer S-iule; wenn ihm der \\'urf gelang, hielt er das für ein
gutes Zeichen, und Philipp von Uileuns, dieser arge Freigeist, ließ sich
aus dem Katiee wahrsagen, ob er hingenchtet würde oder nicht. Auch
heutzutage erschrickt mancher, wenn ihm eine scliwarze Katze früh
über den Weg läuft oder ein altes Weib begegnet. Zu den Personen,
die oft am meisten an abergläubischen Dingen hängen und auch
andere gern in die Schlingen dieses Fehlers führen und bethören. ge-
hören: Schäfer, Todtengräber, Matrosen, Spieler, Jäger, Schausi»ieler
(besonders auch wahrsagende Frauen), und jeder Ort hat dabei seinen
besondem Aberglauben, so dass der berühmte Reisende Schweinfurth
nicht so ganz unrecht hatte, wenn er .sagte: yDev Aberglaube eines
Volkes gehört in die Geographie." Was ist der Aberglaube? Er ist
ein auf subjectiven Gemütliszuständen ruhendes und von geschwächter
Veretandesthätlgkeit erhaltenes Fürwalubalten von Dingen, die gar
nicht existireu, oder von übernatürlichen Wirkungen einfacher Dinge;
oder er ist kurz gesagt der gläubige Ausdruck der Verstaadlosigkeit.
Hattfln wir diesen Begriff fest, so erkennen wir leicht, was nicht in
den Bereich des wirklichen Aberglaubens gehört Das Triamen von
Vnwolsein ist oft die wirkliche, im Körper auftretende Ankündigung
eines Übels; das Beachten eines solchen Traumes ist daher kein
Aberglanbe, sondern Oesondheitspflicht Wenn man sagt: Ein olFen
mit der Schneide nach oben liegendes Messer bedeute Unglück, so ist
dies sehr erklfirlich, man kann sich Ja leicht verletzen durch dasselbe;
wenn der Besuch sich setzen soll, um die Buhe nicht mitzunehmen,
so ist das ganz in der Ordnung, da das Hin- und Hergehen eines
Besuches manche Menschen nervös oder unruhig macht Auch gewisse
Spielereien, wie das Kartenschlagen und Auslegen, das Bleigieflen in
der Ne^jahrsnacht, Holzscheit raffen (wenn man eine gerade Zahl
Scheite errafft, bedeutet es Glfick) etc. sind nicht hierher zu rechnen,
da es bloße SpäBe sind, die zur Unterhaltung dienen; ebensowenig
die Irrungen, die auf Müschen Annahmen hinsichtlich der Naturgesetze
ruhen und noch viel weniger die nicht selten auf falschen Schlössen
beruhenden philosophischen Speculationen und Spitzfindigkeiten, die man
mitunter den aristokratischen oder philosophischen Aberglauben ge-
nannt hat; oder der sogenannte Heilniagnetismus, für den Prof. Nuss-
baum sogar einen Lehrstuhl auf der Universit&t wünschte. Der wahre
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volksthümliclie Aberglaube ist, wie bereits erwähnt, nur das Fiirwahr-
halten von Dingen, die der logisch und gesund denkende Verstand
als ganz unmo/^iich erkennt.
Wo liegen nun die (Quellen zu dieser Krankheit? In tausend
Dingen, so dass man ein ganzes Buch dariiber schreiben könnte. Vor
allen Dingen ist die tiefste (Quelle zu suchen in den Resten des alten
zertrümmerten Naturdienstes der alten Germanen und in dem Hang
zum Wunderbaren, zum Schauerlichen und Abenteuerlichen, der unserm
Volke von jeher eigentliünilich gewesen ist. Zu den weiteren Quellen
oder Brutherden liir den Aberglauben gehören: aufifallende Natui-
erscheinungen — alte Burgen*) und Klöster — Sinnestäuschungen
oder ungewöhnliche Sinneneindrücke von räthselliaften Erscheinungen,
aus welclien die Phantasie ihre Spukgestalten webt; verworrene reli-
giöse Vorstellungen und Gemüthsbewegungen , die entweder in der
Furcht oder im Eigennutz, in der Selbstsucht ihren Grund haben,
oder als Erbkrankheiten aus alter Zeit stammen. Sehr walir und er-
schöpfend sagt in dieser Hinsicht Prof. Strümpell: „Zu solchen
Gemüthszustiinden gehören außer dem Hotten und Befürchten, dem
Wünschen uod Verlangen, das Wolgefallen am Geheimnisvollen und
Räthselliaften und Wunderbaren, die Angst und das Verzagen in
get^ährlichei' Lebenslage, das dräckende Geföbl and die Beklommen-
heit bei drohender Oefiihr; die Selinsiieht nach Hilfe, die Leiden-
schaften der Herrschsncht, der Gewinnsucht» das Verzagen bd körper-
lichen Leiden, das quälende Hnngergef&hl in Zeiten der Noth, die
Sorgen im Hinblick auf eine hilflose Znkimft, der Druck der Gewissens-
bisse, die Sehnsndit der Liebe und der Liebesschmerz, seelischer
Kummer aller Art, Schwftrmerei in Erdichtungen, die erhebende oder
niederbeugende Stimmung im Gedankenverkehr mit dem Verehrnngs-
wesen, Ahnungen, Vertiefiing in religiöse Vorstellungen, die Geflkhle
des Hasses, des Neides, der Bache, die Trauer Aber Verlorenes, Ver-
langen nadi einem Au&chluss Aber das Künftige oder Aber das Dunkel
des Erlebten." Ja, wahrlich, das sind die geistigen Begangen, die den
Menschen, besonders, wenn ihm das ruhige, gesunde Danken, der
nOthige Halt fehlt« geradenweges in die Arme des Aberglaubens treiben.
Weil nun der Aberglaube so verschiedene Quellen hat, da ist
auch sein Auftreten unendlich verschieden. Das wird sich klar zeigen
*) Bei dcu Erbauern der ultea Kitturburgeu btrrbulitc der Aberglaube, dass die
EinmaueruDg eines lebendigen Kindel die Bug vor Unfällen scbtttze. Die kleinen
Skeletti, die man bei Abtragungen findet, rtthren Ton diesen Opfern her.
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wenn wir das Gebiet dieser Krankheit nach einzelnen Fällen liter-
schauen. Wir betrachten zuerst den Aberglauben, der am unschul-
digsten aussieht. Dass die 12 Tage nacli Neujalir Schicksalstage
sind, dass man eine besondere Furcht vor der 13 hat, «»der vor dem
Freitage, dass Osterwasser seliön maclit, vor Bezauberung schützt
und Ungeziefer versclieucht, sind so gewöhnliche Dinge, dass ich
davon absehe. W'ol aber will ich zuerst einige aberfrläubische Sitten
berühren, die in der Familie und schon an der Kindeswiege ihr
Wesen treiben, das inimerhiu thrnicht ist. wenn auch nicht gerade
ein ott'enbarer Schade dadurch geschieht. Während der Schwanger-
schatt darf <lip Frau keine Speise aus der Kelle kosten, sonst schreit
ihr Kind nachlier viel. Bei der Taute muss man recht lange läuten,
dann wird das Kind recht klug; schlägt freilich die Thurmulii" während
des Läutens, so stirbt das Kind wieder. Der Name des Kindes darf
vor der Taufe nicht genannt werden, sonst lernt es scliwer sprechen;
ilie Pathen dürfen sich beim Gange zur Kirche nicht umsehen, sonst
lernt das Kind schielen; wenn sich in Böhmen der Geistliche bei der
Taufe verspricht, so redet das Kind zeitlebens im Schlafe. In Alt-
preußen tauft man, wenn ein Mädchen und ein Knabe getauft wii d. das
Mädchen zuei'st, dass es den Buben nicht nachlaufe: aber in Züridi
werden die Knaben zuerst getauft, weil sie sonst keine Bärte bekommen.
Hie und da nagelt man kleine Säckchen mit Anmieten an die Wiege,
legt zwei Messer kreuzweis und ein (Tesangbuch oder die Bibel unter
das Koi>fkissen des Kindes, oder man badet die Kinder, welche Aus-
schlag haben, mit Osterwasser etc. Mitunter tritt der Aberglaube
s3'mbolisch oder in poetischem Gewände auf. So gab man fi-üher
dem neugebomen Knaben ein Schweit in die Hand, dass er muthig
werden sollte; und dem Mldehen |eine eingefildelte NiUmadel, damit
sie fleißig werde. Die Indiaaier logen den Knaben einen kleinen Bogen
auf die Wiege; in vielen andern Gegenden, wie noch Jetzt in Griechen-
land, legt man dem Knaben Geld nnd Schwert» dem M&dchen Spindel
nnd Bocken in die Wiege. Mit diesem mehr oder weniger müchnl-
digen Aberglanben geht der lächerliche und dumme Hand in Hand.
Das Folgende wird dies zeigen. Wer Muth bekommen will, moss
Hasenkrant in der Tasche tragen; Katzenliebhaber bekommen eine
gute Frau; Schwalbennester schtttzen vor Unglück. Am Rhein isst
man am Aschermittwoch Hirsebrei nnd Blntwui-st, dass man recht
viel Gold im Beutel behält und vor Fieber bewahrt bleibt. In der
Christnacht knien die Thiere nieder nnd erhalten auf Augenblicke
menschliche Rede (so dass Bileams Eselin Nachfolger hat); das im
Padaifogliiin. 14. J«hyR»nir. H«ft II. 8
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KeireV be Wähl te Gdfilise" fangt an zu kn^^pen; die Rose von Jeiicho
(iffnet sich in der Cliristnacht, und Bäume bliilieu und tragen Thrist-
nachtsfrilchte. Das Thierreich genießt die schlimme Ehre, ganz be-
bünders dem Aberglauben dienen zu müssen. Die Kröte als Sinnbild
des Neides bringt viel Unglück. Viele Thiere hat der Wahn als
Todeisboten gekennzeichnet, so z. B. beulende Hunde, schwarze Katzen,
die sich aufs Bett setzen oder über den Weg lauten. Pferde, die beim
Umzug nicht weiter wollen, Eulen und Nachtigallen. Ein ans Fenster
pickendes Vögelchen zeigt den Tod eines Verwandten in der Ferne
an. Eines besonders guten Kufes erfreut« sich die Martinsgans;
sie galt als Proi)liet. wenn sie gebraten war. War da.s Brustbein
hell und klar, gabs einen strengen Winter; war es grob und dunkel,
so stand viel iiohnee bevor. Auch die Ptlanzen wurden zu Walu-
sageru gemacht, wie z. B. der Klee, die Bohne, die Haselnuss etc
Lächerlich und thOricht sind namentlich die leider noch oft genug
auftretenden abergläaliiselien Mittel gegen allerlei Übel. Wer von
Warzen sich befreien will, wickelt so viel Brlnen wie man Warzen
hat, in einen Lappen and sehmeiSt ihn anf die Straße; der ihn auf-
bebt, bekommt die Warzen (auch mit einem auf der Wai'ze gelegenen
Qeldstttck führt man dies aus), oder man bestreidit Leichen mit den
Warzen, oder reibt sie im Mondschein. Zahnschmerzen heilt man
vollständig, wenn man stillschweigend vor Sonnenaufgang an einen
Weidenbaum geht, mit einem Splitter so lange in den Zfthnen herum*
stochert, bis sie bluten, und den blutigen Splitter in die Binde des
Baumes steckt Wer schOn werden will, muss viel Hasenfleisch essen^,
Taubenfleisch bewirkt Fieber; gebackene Hammelschwftnze machen
heitei' und stflrken das Gedächtnis; Schweinefleisch hilft gegen die
Fallsucht.
Gradezu haarsträubende Dummheit leuchtet aus vielen andern
Vorkommnissen in Yolkskreisen heraus. In einem Weinberg am Bbein
war vor einiger Zeit alle Abende ein Lichtlein zu sehen; die Menge
hielt es fOr eine arme Seele, die keine Buhe im Grabe fibide. Es
war aber nichts als eine Mottenfalle. In FQnfkirchen, wo vor kurzem
ein kleines Mädchen ans Schi'eck vor einem Schomsteinfegar das Fieber
bekommen hatte, schrieb der Gemeinderichter an denMeister des schwarzen
Gesellen und bat um ein paar Haare des letzteren, um das kranke
Mädchen damit einzuräuchern und gesund zu machen. In Bussland
gruben die Iranern vor nicht allzulanger Zeit einen Brunnen, dessen
Wasser als Wuuderwasser ausposaunt wurde, das wunderbare Türen
bewii'ke, gegen alle mogliclien Krankheiten helfe und selbst den
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TenfiBl aiistroibe. In Friedriclurah wollte man vom Himmel ge&Uene
Zfegelsteme nnd Sand gefanden haben, auch sah man flammende
Schwerter Aber BismardcB Hause. Eline Frau kroch mit ihrer Tochter
in den Backofen, am — von der Dummlieit sich zu befreien. Eine
andere aberglftnbische Frau kochte für ein krankes Kind Thee aus
dem alten Myrtenkranze einer Braut. Natiirlicli starb das Kind.
Eün Wunderdoctor der heutigen Zeit will den Typhus durch das
Verbrennen von Judenknochen wegräurhei n. Eine Gattin — das ist
nnlftDgst geschehen — sticht sich in den Arm und thut das Blat dem
Manne in den Kaffee, um seine Liebe wieder zu gewinnen. Einen
Buckeligen berühren bringt Glück; wenn aber ein Hinkender im
Kaukasus in den Hof tritt, 80 verkrüppeln alle Hühner in dem Jahre.
Zu den lächerlichen Spielereien der Kinder gehört auch die. dass man
am Weilinacht^fest einen Fingerhut mit Sand füllt und dann die
H&nfchen auf das Papier stellt. Der, dessen Häufchen am 1. Feier-
tage zusammengefallen ist, stirbt in dem Jahre. So ganz unbedenklich
ist auch diese Spielerei nicht.
Docii nun Nveiiden wir uns dem gefährlichen und frevelhaften
Aberglauben zu: er tulirt uns Bilder vor, die jeden Menschenfreund aufs
tiefste betrüben inüsseu. Wir reclnien liierlier zuerst die ganze Wahr-
sagerei, die an die weltberühmte Karteuschlägerin Lenormand in
Paris erinnert, aber auch jetzt noch vielfach vertreten ist und immer
Duniuigläubige tindet. Im .Tahre 1800 machte eine Kartensrhläcerin
einer Witwe weiß, dass sie ihr /u einem Bräutigam verhelfen könne,
und nahm derselben viel (ield ab. Ein reicher Mann in Petersburg
ließ einen C'oniplex von Gebäuden bauen, die zu einem Bade Itestininit
waren. I>ie walirsageude Zigeunerin sagte ilun, dass er an tieuiselben
Tage, wo ei* das Gebäude zum Wohnen übersrebe, sterben werde. Es
steht bereits zelin .Jalire leer. Einem Bauerngutsbesitzer in Giesmanns-
(lorf in der Lausitz bi-aelite man die F^inbildung bei. dass .sein ganzes
Haus verhext sei und schwindelte ihm mit abergläubischen Dingen
viel Geld ab. In frühern dunklen Zeiten ließen freilich sicli aueh
fürstliche Personen, Grafen. Herzöge etc. von \\'alirsag«'rn. namentlich
Schatzjrräbern dupiren. Schaudern nuiss man aber, wenn man
solch entsetzlichen Thaten des Aberglaubens hört, wie ich hier einige
mittheilen will. Das Beschreien. Verwünschen und be.sonders der
böse Blick treibt hie und da noch sein Wesen und erfasst be^ndei^
Geisteskranke. Vor kurzem ist der Grußvater in einer Familie er-
schlagen worden, weil von seinem Blick nach Meinung der Leute der
Enkel einen Ausschlag am Arm bekommen haben sollte. Ein 70 Jahi-e
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alter Knecht in Wengern hat vor kurzem auf dem Kirchhofe eine
Kindesleiche ausgegraben und ein Stück Fleisch sicli auf seine Wunden
zur Heilung gelegt. Im evangelisclien Dorfe Kaldau wui'de einer
Leiche der Kopf vom Kumpf geschnitten und umgedreht; das müsse
man machen - hieß es — wenn Angehörige schnell hintereiuander
sterben. Da man hie und da glauht, dass Leichen Vampyre würden,
welche das Blut ihrer Kinder begehrten und überhaupt den Lebenden
schadeten, so schnitt ein Bauernbursche dem gestorbenen Großvater
das Haupt ab. Der Verstorbene liatte selbst gesagt, dass er zum
Vampyr würde, weun man ihm nicht das Haupt abschlüge. Eine
Frau in der Niihe von Danzig erkrankte 1890 am Kindbetttieber und
man nahm an, dass sie von einer Frau im Dorfe verhext sei. Man
suchte die Frau, führte sie zur Kranken, schlug sie dort blutig und
gab der Kranken das Blut. Natürlich starb diese trotzdem. Entsetz-
lich ist es, wenn wir von Ausgeburten des Wahnsinns lesen, wie sie
sich bei Menschen gezeigt haben, die da glaubten, dass sie, wenn sie
Fleisch von jungen unsdiuldigen Mädchen genö.s.sen, alles thun kiinnten,
ohne zur Verantwortung gezogen zu werden; oder bei jenem Bauer,
der die Herzen von Kindern aß.
Am widerwärtigsten ist der religiöse Aberglaube, der nicht selten
die Bibel, mit herbeizieht , und er treibt seine schwarzen Blüten leider
auch immer noch in unserem Volke. So wollte eine Mutter in ihrem reli-
giösen Wahne ihren Sohn opfern, wie Abraham den Isaak. Zum
Glück wurde er ihr noch entrissen. Vor ganz kuraer Zeit wuide ein
großer Handel mit von einem Bischof eingesegneten Madonnen -Gips-
figuren getrieben. Die Abergläubischen kauften sie fikr 20 Mark das
Stttck. Aber die Betrügerei wurde entdeckt, und die Beti üger erhielten
10 Tage Zellenhaft. Wie in katholischen Ländern mit den Heilungen
durch Marienbilder und Reliquien der Aberghiube genährt wird, das
ist 80 bekannt, dass darttber eigentlich kein Wort gesagt zn werden
l>raacht So wissen wir, dass 1732 jeder Student ein Agnns Dei,
welches ans von dem Papste geweihten Wachs bestand, Tag und
Nacht- anf der Brust tragen sollte, um vor Leibes- und Seelengefithren
sicher zu sein. Haarsträubend ist, wie sich der religi(tee Aberglaube in
frfiheren Zeiten mit bOsen Geistern und namentlich mit dem Teufel
herumschlug, der sidi als Bock, FuehSt Hund, Schwein zeigte und die
Schlangen erschaffen haben sollte.
Mit den Thieren Oberhaupt wurde im Mittelalter förmlich Blas-
phemie getrieben, wie es z. B. historisch nachgewiesen ist, dass man
u. a. den Esel verehrte und ihn beim Hochamte mit niederknien lieB.
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Wenn m mm nach dieser kurzen ChArakterinrnng des Aber-
glaabens seine traurigen Folgen ftbeii^licken wollen, so müssen wir
zoerst einem Einwände l»egegnen. Man sagt: Kacht doch nicht so
viel Wesens von dem harmlosen Volksaberglanben; was schadet es
denn, wenn die Mädchen aus der zerpflückten Blnme heraoslesen: „Er
liebt mich, er liebt mich nicht!" oder wenn in Norwegen die Hciratslostigeu
durch die Fettehenne ilir Schicksal zu wgrflnden snchen[(indem sie zwei
Zweige dieser Pflanze in Hoizritzen stecken und nun warten, ob sie
gegeneinande^r wachsen oderj nicht); wenn man sich beim Spiel nicht
in die Karte sehen lässt, nicht mit einer Schinimeldroschke oder
mit einer Droschke Nr. 13 fahren will, oder wenn man den Kuckuck
zum ersten Male schreien hört und auf die Tasche schlägt, damit,
man das ganze Jahr Geld hat. oder wenn man in der harmlosesten
Weise vierblättriire Kleebl&tter als Glücksbringer sacht! — Ja, manche
gehen in der Eutschuldigang dieses Fehlers^ noch weiter, indem sie
ihm lieilsame Wirkungen zuschreiben und z. 3. sagen: Wenn die
Hausfrau glaubt, dass ein in der Stube liegender Strohhalm Besuch
bedeute, so wird sie das Haus hUbsch sauber halten. Allein wenn
der Aber<?laiibe auch in unschuldigeren Formen auftritt, so verwickelt
er die Menschen doch in Vorurtheile aller Art und in lächerliche
Wider.'^itrüche mit der Natur und der Vernunft, und das ist doch der
Ehre, auf die ein jeder halten soll , nicht zuträglich. Das Schlimme
ist, dass er in den Köpfen von kleineu Anfängen an sich ausbreitet,
schließlich das ganze Verstandesgebiet in Gefahr bringt und so ver-
dummt, dass die Betrüsorbei jedem Abergläubischen leichtes Spiel haben.
Doch viel trauriger und beklagenswerter sind die Folgen bei den
schlimmeren Arten des Aberglaubens, die wir oben bereits geschildert,
und in erster Linie ist hier der medicinische Aberglaube zu nennen.
Wenn mau sich auf die abergläubischen Mittel verlässt , so versäumt
man dabei die allein richtigen und vernünftigen. Wie viele Opfer an
Jung und Alt mag das sciiou gekostet haben und wie manches Grab
ist die Frucht der schwarzen SaatI Auch in der \\'irlschaft ist der
Aberglaube verderblich. Wenn der Bauer glaubt, dass er gutes Vieh
mit Geheimmitteln erlan^-en kann, so kümmert er sieh weniger um
die rechte Pflege und Behandlung seiner Thiere, und wenn er glaubt,
dass ein Zeieheu auf der Thürschwelle die Diebe nicht hereinlässt, so
wird er weniger vorsichtig und kann nun erst recht bestohlen werden.
Und nicht nur der Einz(dne. ganze Völker und Länder werden ver-
führt, ausgesogen und verarmen durch die aus Aberglauben begangenen
Thorheiten und Verschwendungen. Denn es ist eine alltägliche Er-
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scheinung, dass der Aberglaube wie andere Krankheiten mitunter epi-
demisch durch Miasma oder Contagion sich weithin ausdehnt und ansteckt,
und es ist gleichfalls eine alte Erfahrung, dass Abergläubische gern
andere bekehren wollen, wie der Leipziger Bürger, der alle Menschen
zum Glauben an den Storchschnabel und an die damit bewirkten ver-
meintlichen Geistererscheinungen bringen wollte.
Und nun denke man an die Erregung von Furcht, Schrecken
und Gram in den leicht empfänglichen und empfindsamen Gemüthern.
Es ist noch nicht lange her, dass eine Braut den Verlobungsring
verlor und in ihrem Aberglauben sich zu Tode härmte und der
Bräutigam sieh erschoss. Alles Früchte solch entsetzlichen Wahn-
glaubens. Mitunter bringt sich der Abergläubische selbst in Gefahr.
Bei einem schweren Gewitter soll das Läuten helfen, und doch schlägt
der Blitz so oft in die Thürme. 1783 wurden in Deutschland und
P iankieich während drei Monaten 06 Personen wahrend des Läutens
vom Blitz einschlagen. Und erst neulich ist der Fall in Zopotten (im
Reußischen) wieder vorgekommen. Ebenso traurig sind die Selbst-
peinigungen, die sich Menschen im Aberglauben autlegen, wie es z. B.
noch jetzt in Sicilien geschieht, wo Männer auf den Wegen zur Wall-
fahiiskirche religiöse Geißelungen vornehmen und sich Brust und
Beine so blutig schlagen, da.^s nicht selten Todesfalle daraus hervor-
gehen. Der verhängnisvollste Schaden des Aberglaubens besteht aber
darin, dass er zu den schlechtesten Handlungen, ja zu Verbrechen
aller Art führt. Und das thut vor allem der religiöse Aberglaube.
Es ist nicht auszusagen, wie viel dieser Moloch im Mittelalter an
Opfern yerschlungen ; die Haut mu&s einem schaudern, wenn man liest,
dass in Bambei g binnen 3 Jahren (1627—1630) 285 und in Wttr«-
bürg in derselben Zeit 175 Hexen, ja in Quedlinburg an eJnem Tage
130 Hexen lebendig verbrannt irarden, nnd dass man noch 1701 in
Dentseldand eine Hexe hinrichtete, weil sie ein fleJacUiches Liebes-
verhftltnis mit dem Tenfel gehabt habe.
Noch heutigentags macht der Aberglanbe üuiatisch, gransam, ja
wahnwitzig und nicht selten vollständig irrsinnig. Voltaire hatte
ganz rechte wenn er sagte: „Der Fanatismus ist für den Aberglauben,
was das Delirium fftr das Fieber, die Baserei für den Zorn ist Wenn
einer glanbt, dass er dnrch Beten eines Psalmen oder durch allerhand
^hoeus pocus" seinem Feinde recht schaden könne, so wird seine
Rachlnst dadurch nur mehr ange&cht Und sehen wir auch von den
allerschwersten Ausgeburten und Verbrechen des Aberglaubens ab, er
bleibt doch schließlich eine Entweihung des Heiligsten im Mensehen,
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d«8 reinen, gesanden und liebten Gtottesglanltens, an dem er zehrt
wie eine Afterorganisation am KOrper. Mag er auch mitunter den
Spott erregen nnd beUebelt werden, er ist nnd bleibt eine tief am
beklagende Erscheinung nnd besonders anch eine Übertretung des
Inblischen Gebotes, das da lautet: „Es soll nicht unter dir gelhnden
werden ein Weissager, oder ein Tagewähler, oder der auf Vogelgeeehrei
achte, oder ein Zauberer, oder Beschwörer, oder Wahrsager^ oder
Zeichendeuter, oder der die Todten frage; denn wer solches tbnt, ist
dem Herrn ein Greuel."
Ich könnte noch weiter eingehen auf die Verwüstungen, welche
dieser Fehler im menschlichen Geiste anrichtet, nnd zeigen, wie er
sein Opfer nach nnd nach für das Leben ganz unbrauchbar machte
doch es sei genug. Überblicken wir nun den Weg zur Heilung dieser
Krankheit. Er ist nicht leicht, die Heilung will, wie jede andere,
mit Vorsicht und Schonung ausgeführt sein. Spott, den man als
Heilmittel gerathen hat, dürfte nur bei ganz aberwitzigen Kund-
gebungen des Aberglaubens am Orte sein; überhaupt hilft auch die
verächtliche Behandlnng des Aber^^läubischeii nur halb; der Irrthum
desselben wird ins V^erborgene getrieben und bleibt dann oft um so
zäher haften. Ob es viel helfen wird, wmu man Vereine wie in Frank-
reich gründet, deren Mitglieder es sicli zur Aufgabe stellen, gerade das
zu thun, was der Aberglaube verbietet, also z. B. Freitags reisen, die
Zahl 13 benutzen etc., das ist wol auch noch die Frage. Immerhin
ist aber ein solcher Verein geeignet, die Wahnmeinungen des Volkes
zu erschüttern. Dass man Schwache nicht ohne Noth verletzt und
dass man nicht überall das Kind mit dem Bade ausschüttet, also mit
dem Aberglauben nicht auch allen Glauben zerstört, darauf ist sicher-
lich zu achten. P]s ist ja klar, dass mancher Aberglaube aus einem
guten Keime hervorgegangen ist, als dessen Ausgeburt er da.steht.
So gründet sich manche abergläubische Sitte auf Sagen und Legen-
den, die mitunter einen tiefen, zu beachtenden Sinn haben, der bei Aus-
rottung des Übels nicht mit zerstört zu werden braucht. Dass es übrigens
schwer ist. Erwachsene vem Aberglauben zu heilen, selbst wenn sie
ihn erkennen, kommt daher, dass er mit dem Leben des Menschen
ganz verwächst. Das alte Wort: scio meliora probo(iue, deteriora
sequor passt leider auch hierher. Der große Lessing sagt: „Der
Aherglaub, in dem wir aufgewachsen, verliert auch wenn wir ihn erkennen,
drum doch seine Macht nicht liber uns.** Und dass die Abergläu-
bischen auch dann noch bei ihrer Meinung verharren, wenn sie anch
das Nichteintreffen derselben sehen, dies spricht das Wort Jean Panls
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treffend aus: ,.Dem Aberglauben wacbfien die i^edern, der Zufall mag ^
ihm dienen oder schaden.''
Um so notli wendiger ist es dalier, dass die Erziehung dem Übel
vorbeugt oder es heilt, und zwar von innen und von außen. Bei der/
Heilung von iiineu ist die erste Kegel die. alle Furcht, d. h. alle uu-
n<)thi^e unsinnige Furcht aus dem Herzen des Kiiule> zu verbannen.
Der Furchtsame sieht überall CTespenster. ihm wird das faule Weiden-
holz zum feurigen Manne, der Schatten an der Wand zui' Geister-
erscheinuug, die Nacht zum Schreckensbild. Zschokke sagt ganz ^. '
richtig: ..Am Tam^ ist jedermann l)eherzt uiul fürcht(!t sich nicht,
aber am Abend oder des Nachts, wenn der Körper ohnehin erschlalft,
die Seele ermüdet, die Einbildungskraft und jede Nerve empfindlicher
und reizbarer ist, dann fürchtet der schwache Steil)liche l>inye. die ot
am Tage verlacht." Gegen diese Regel, das Kind v<»r Furcht zu be-
wahren, wird aber tausendfältig gesündigt, „^^'art, der schwarze
Mann wird dich luden!" oder beim Gewitter: „Horch, wie der liebe
Gutt schilt und zürnt!" und vieles andere kann man täglich hören.
Auch vor der Finsternis sollte man nie dem Kinde Furcht einjagen,
und eher, wie Rousseau will, Spiele im Finstern ausführen lassen. Die
Furclit ist und bleibt eine Haupttiuelle des Aberglaubens. Zui" Hei-
lung von innen gehört auch, dass das Kind das Unmoralische des
Aberglaubens fühlt und sich schließlich sagt: Ich will nicht aber-
gläubisch sein. Wenn die Überwindung des Aberglaubens möglich ist
(nach Prof. Stiümpell) durch Selbstbeherrschung, Selbsti'cgierung.
durch charakterfeste Grundsätze, treue PffichterfÜttimg, Math nnd Un-
yerzagtheitden Weehselflülen des Lebens gegenüber« Zurttckweisung thd-
richter Wünsche und Bogehrungen, dnrch einen heiteren, harmlosen nnd
zufriedenen Sinn, durch Aneignung und Festhalten eines reinen ge-
Iftutertai €K)ttesglauben, so wie ihn die wahre Christenlehre darreicht,
und durch das aus ihm entsprmgende Veitrauen auf die göttliche
Vorsehung, welche die gesetzlich von ihr geordnete Welt überwacht
nnd nach ihren Zwecken regiert — so gilt es ganz besonders diese
Kleinodien bei der Jugend zu fördern, soweit! es nur möglich ist.
Namentlich muss der Trost in den jungen Herzen feststehen: Denen,
die Qott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.
Aber die Wurzel des Aberglaubens muss auch von auften vertilgt
werden durch Aufklärung und Beseitigung alier schlimmen Unwissen-
heit. Ein englischer Dichter sagt: Das einzige Mittel gegen den
Aberglauben ist Wissenschalt. Nichts anderes kann diesen Pestflecken
ans dem menschlichen Geiste hinwegwischen; ohne sie bleibt der
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AnsBätzige ongereiiiigt und der Sdave nnbefirdt. Es ist daher die
heilige Pflicht der Sehlde, dem Kinde nach allen Seiten hin die rechten
Natnrkenntniflse beizubringen, die, wie ein Schriftsteller sagt, den Un-
glanben Wieden Aberglauben ansschlieften; in dem Schiller denBeobach-
tnngssinn zu schärfen (denn schlechtes Beobachten ftthrt zu Täuschungen) ;
recht yieie Experimente vor seinen Augen zu machen und das logische
Denken auf alle Weise zu wecken und zu befestigen. Und hier
schließt sich nun die nicht genug zu wiederholende Forderung an, dass
man beim Unterricht und im häuslichen Verkehr das Kind mit alberneu
Ammenmärchen und Gruselgeschichten verschont. Manches Kind, dem
man von Todten, die im Grabe keine Kuhe hätten, vom wilden Jäger,
oder Tom Wassermann, der die Kinder in die Tiefe zieht etc. erzählte, ist
dadurch so abergläubiscli geworden, dass es sich kaum einen Schritt in
der Dunkelheit zu thuu getraut. Lieber soll man dem Kinde Gescliichten
ei-zählen, in welclien der Aberglaube läclierlich erscheint und die
Täuschung leicht ersichtlich ist. Klärt man die Jugend in rechter
Weise auf, dann werden solche Dinge nicht vorkommen, wie in einer
Berliner Gemeindeschule, wo ein an die Wandtafel gemalter Todten-
kopt mit den auf einem Zettel stehenden Worten: „Ihr seid dumm
und ich bin dumm, und morgen drehe ich euch die Ktipfe um" einen
furchtbaren Autlauf und eine schreckliche Panik anriditete. Gegen
die Gespensterfurcht is>t es ratlisam, auch die Ambition ins Feld zu
lüliien und das Kind beherzt zu machen; es muss sich schämen, des
Abends nicht iil»er einen Gottesacker gehen zu wollen.
Ehe ich nuu meine Betrachtung abschließe, muss ich hier noch
die Bemerkung anknüpfen, dass wir, wenn wir die Relio:ion ;als Heil-
mittel des Aberglaubens hinstellen, nicht einem überladenen Glauben
oder der Frömmelei das Wort reden, denn diese ist gerade eine Stute
zum Aberglauben, wie man noch heutigentags in bigotten Volks-
kreisen sehen kann. Die geschnitzten Heiligen - sagt Lichtenberg —
haben in der Welt mehr ausgerichtet als die lebendigen; ich miichte
sagen, sie haben auch mehr Frömmelei und Aberglauben verursacht
als die lebenden. Aber ebenso sehr ist zu wünschen, dass nicht eine
schale Freigeisterei und ein veiblendetvr Atheismus in unsiMin V<dke
noch mehr Unheil anrichte, denn sie sind ebenfalls Stufen zum Aber-
glauben, wie ja die französische Revolution des voiigen Jahrhunderts
beweist, in weicher sich ein Diener damit brüst ete, dass er nicht
einen Buchstaben mehr als sein Herr glaube und wo man docli den lächer-
lichsten Thorheiten anhing. Man muss mit Sclüller ausrufen : Drum edle
Seele, entreiß dich dem Wahn und den himmlischen Glauben bewahre!
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Es ist wol anzunelimen , dass es nicht leicht möglich sein wird,
den Aberglauben im Volke gänzlich zu yertQgen, weil so viele B^ac-
toren zu seinem Entstehen zusammenwirken, nnd wpnn in heutiger
Zeit so viele Tansende nach Trier pilgerten, um sich bei dem heib'gen
Rocke, der unter den vielen (über 18) heiligen Röcken als der echte
erklärt worden ist (welcher yon der Jungtrau Maria gewebt und mit
dem Christaskinde so gewachsen sein soll, dass ihn der Hen* auch
als Erwachsener tragen konnte), Gluck und Segen zu holen, so
könnte man fast verzweifeln; aber ich bin überzeugt, dass unsere
Zeit, die mit manchem Gespenst einen siegreichen Kampf geführt
hat, auch den Berg des Aberglaubens mit seinen schwarzen, unheil-
liringenden Kratern um ein gutes Stück abtragen wird, und wenn
diese meine Betrachtung aucli nur dazu diente, ein Körnchen von
diesem unheimlichen Berge loszureißen, so würde ich micli freuen.
Möge auf deutscher Erde überall in Dorf und Stadt, bei hoili und
niedrig, .iiinof nnd alt, die Elamnie der Aufklärung brennen und möge
der Aberglaube bald nur nocli als ein trauriofes Denkmal der Unwissen-
heit in unsern Büchern, aber nicht in uusern Uerzeu stehen! Das
gebe Gott!
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Pädagogische liuudsebau.
Die Pädagogik als Knnstlchre. f'ber dieses Thema hat bekanntlich
HeiT Kreisfichnlrath Dr. Weygoldt-Karlsruhe auf dem Mannheimer Lehrertage
einen Vortrag gehalten, welcher beitUllig aufgenommen und dann mehrfach
abgedruckt wurde. Im \' erlaute seiner AastiihruDgen citirte Herr Dr. Wey-
goldt aocb eine Beihe von Autoren (bot. Antoritlten), welche Beititge zor
Bdenditmiff Minei Themas gelieftirt bähen. Doch ▼mitst man d«i Namen
eines Hannes, der dasselbe grundlicher behandelt hat, als alle die genannt sind,
nnd es überdies in demselben Sinn und Geist behandelt hat wie Herr Dr. W.
Dies ist der Münchener Universitätsprofessor Dr. J. Frohschammer, der seit
vierzig Jahren mit seltener Kraft und großen persönlichen Opfern der freien
Wissenschaft gedient hat, nnd dessen geistTOlle, Ar die Pftdagogik hoch be-
deutsame Werke, auch Herrn Dr. W. wol bekannt, den Schnlmännem aller
Stufen bei jeder schicklichen Gelegenheit empfohlen werden sollten. Wir
glauben daher eine nicht überliüssige ErgHnzung zu Weygoldts Vortrag zu
liefern, wenn wir insbesondere auf Frohschammers Buch: „Über die Organi-
sation nnd Cnltnr der menschlichen Oesellschaft'' (lCllnehenl885, Ackennaans
Nadifiilger) anfinerksam madien, dessen dritter Hanpttheil dem Ersiehnngs-
wesen gewidmet ist und in einem Abschnitte unter dem Titel „Die Organe der
Erziehung" (S. 418 — 436) auch dns obifsre Thema erörtert. Einige Stellen
dieses Abschnittes, die zu Dr. W'eygoldts Vorti-ag in naher Verwandtschaft
stehen, mögen hier Raum finden :
„In den Schulen handelt es sich hanptsftchlich nm Bfldnng des Intellects
nnd nm Beibringung bestimmter Fertigkeiten und Kenntnisse, die für den
geistigen Verkehr befähigen. Doch muss dieser Unterricht stets auch mit >•]•-
ziehender Tendenz verbunden werden, d. Ii. tiir Bildung des Gemüthes und
Willens geeignet sein. Die Thätigkeit der Lehrer ist eine künstliche, berufs-
mftßige, ja gewissermafien kttnstlerische, insofern es sieh dämm handelt, die
Anlagen des Kindes rar Entwickdnng an bringen nnd die Idee des Menschen
an ihm zur Realisiioing zn f&Tdem. Insofern könnte man die Thätigkeit des
Lehrers als die höchste Knnetiibung betrachten und bezeichnen. Indes ist der
künstlerisch bildenden und schaffenden Thätigkeit desselben eine Schranke
gesetzt dnrch das Material selbst, das zu bearbeiten, zu gestalten ist: durch
die lebendige, bewnsste nnd wollende Henschennatar. Diese ist eben nicht
blos passiv, wie der Stoff des Künstlers, nnd soll es nicht sein, sondern stets
auch activ, und die Aufgabe de.s Lohrers ist es, den Künstlei* im Menschen
selbst zn wecken, dass er sich .selbei- bilde, zum intellectuelleu und insbesondere
zum ethischen Kunstwerk nach Möglichkeit gestalte.
Dieser Umstand nnn, dass es der Lehrer nnd Eriieher bei sefaier Bemft-
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thätigkeit mit einem lebendigen, bew n^stfii , wollenden Stnrt zu rhnn liat . den
er bilden soll, dass also das Object seiner künstlerischen Bearbeitung eben ein
Subject ist, fordert eiue besondere Begabang desselben: die nämlich, dass er
die imwre» telbststSodige Mittbfttigkeit des Zöglings gewinne, die Hingabe von
dessen Selbst an seine Tlifttigkeit nnd an Um, an seine Person. Es gibt
Menschen, die von Natnr ans beanlagt sind, Sympathie zn erwecicen, allenthalben
Tlipjhiahme für das zn finden, was sie sagen nnd tlinn, nnd dämm entgegen-
kommende, vei trauende Hingebung für ihre Belehrung und Leitung. Dies sind
die geborenen Pädagogen; sie sind befHhigt, die kindliche Natur zu bilden,
ohne die SelbetstSndfgIceit des Geistes zn beeintrSelitigen, da sie freiwillige
Antheilnahnie und Hingebung finden. Außer dieser natürlichen Grundeigen-
schaft aber wie viel anderer wichtiger Eigenschaften bedarf der Lehrer und
Erzieher für tüchtige Erfnllun;r seines Berufes! Heiterkeit des Gemüthes und
doch wieder Ernst in der Behauptung der Autorität, Kindlichkeit, Fähigkeit
sar kindlichen Natnr hinabsosteigen und dodi wieder minnliehe Wflrde, nm
■ie emp(ffsafBlinn, Lebhaftigkeit, am aafznregen nnd Theihiahme zu finden,
nnd doch wieder Ernst nnd Rahe, fHsche, freithätige Phantasie nnd doch auch
Freiheit von Phantasterei, klaren Verstand, besonnene T^rtheilskraft u. s. w.
Der Verein aller tretVlichen, oft scheinbar sich widersprechenden Eigenschaften
ist n9thig, nm einen vollkommenen Pädagogen zu ermöglichen ....
Den Lehrei^BUdnngsanstalten erwftchst dnreh all diese Erfordernisse für
tfiehtige Lehrer und Erzieher der Volks jugend eine gar große nnd scln^ierige
Anfgnbel Znnäch.st schon handelt es sich darum, jene auszulesen, welche die
richtige natürliche Begabung besitzen, jene Natur-Eigensehaften. von denen
eben die Rede war, und die nicht richtig Begabten zurückzuweisen, damit sie
nicht für Lebenszeit aar Thätigkeit in einem Berufe genOthigt werden, zn dem
sie nicht geeignet sind und in welchem sie darum sich selbst nnd die Jugend
erfolglos abquälen. Denn die genannten Eigenschaften sind nm so noth-
wendiger, je mfhr es sich, wie in der Volksschule, ni(>ht blos um Belehrung,
Unterweisung, sondern auch um Erziehung handelt, — wülirend allerdings
ein Lehrer der eigentlichen Wissenschaft sie eher entbehren kann, da bd ihm
der schon mündigen Jugend gegenüber es sich fast ausschlieSlioh nm Hitthei-
Inng genauerer Erkenntnissf handelt . . .
Was aber dem Lehrer und Ei zirlier der X olksjugend in d<>r Schule nui
meisten noththut zur gedeihlii hen Wirksamkeit, das ist Begeisterung für seinen
Beruf. Diese kann nur entstehen und erhalten werden durch hohes Interesse
für die menschliche Natur nnd deren Bildung und durch liebevolle Theilnahme
an der Kindesnatnr and deren Entwickelung und Gedeihen. Ein wissenschaft-
licher Forscher kann sein ganzes Interesse d^r Sache selbst und deren Erfor-
schung zuwenden und lirauclit sich bei der Mittheilunsr der Resultate derselben
um die Zuhörer oder Leser selbit wieder nicht zu kümmern. Bei dem Lehrer
der Jugend ist es anders. Was er Sachliches mitzutheilen hat, ist für ihn
selbst ein Altbekanntes und Gewohntes, wofRr das Interesse nicht fortdauernd
in frleidier Weise lebhaft sein kann: dagegen kann die kindliche Natur in
ihrtr Kigenh'it und in ihrer Fiitwiekelnngsweise immer wieder s^ine innige
Theilnahme erregen, ihn lebhaft iuteiessiren und die Liebe und Begeisterung
für seinen Beruf stets neu beleben. L ui aber dieses Interesses für die Kindes-
natur nnd deren Entwickelung recht filhig zn sein, ist hSchst förderlich, Ja
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uotliweiulig:, diese Natur selbst, soweit nor immer möglich, nach all ilireu Fäliig-
koiten und Entwickelungsarten kennen zn If^rnon. Eingehendes Studium derselben
ist daher für den Erzieher unerlässliclu' Ant'itabe, und peychologische oder all-
gemeiner: anthropologische Stadien solleu ihn unablässig beschäftigen nud sollen
dämm aneh eine Hanptbeadiiftigiuig in LehrerbUdonc^aaiistalten bildeD.**
Körperliche Züchtigung in der Schule. Unlängst brachte die
^Neue badische Schulzeitung" eine längere Abhandlung Uber das Thema:
«Die ifi der YolksBehiile solttssigen Stnflnitteli inabeaondere die karperiiche
Zttchtisnng'* von G. A. Weber, Lehrer in Zweihrftoken. Die Arbeit ist ein
schönes Zeugnis fleißigen Studiums, pädagogischen Geistes nud nafivollen TJr-
theils und wird \\o\ den Beifall der allermeisten ihrer Leser gefiindon haben.
Wenn trotzdem liier einige Bemerkungen an dieselbe geknüpft weiden, so
geschieht dies deshalb, weü der Verfasser (Herr Weber) sich u. a. auch auf
den Heraasgeber des „Psedagoginms'* bemgen hat und zwar in einer Weise,
die nicht blos persönlicher Art, sondern auch von sachlicher Bedeutung ist.
Heil Weber erwillint. dass ich auf der ersten A t iHaninilung des deutsch-
österreichischen LhIii 1 1 i uiuk'S (1886) mit aller Entschiedenheit den Antrag
auf eine Petition um Wiedereinführung der körperlichen Züchtigung
bekämptit habe. Das ist ganz richtig, nnd auch gegen die beigefügte Skizae
meiner Ansfdhrangen habe ieh nichts Erhebliches einzuwenden. Anders ist es mit
den zwei Sätzen, welche Herr Weber noch folgen Ittsst nnd welche lauten:
-Solche Worte gehen entschieden zu weit und schweben Über der realen Erde
und Uber dem wiikliciieu Schulhaus. Die Abstimmung des Lehrerbundes ergab
181 Anhänger, 168 Gegner der körperlichen Züchtigung.
Was nun znnSchst die letztere Angabe betrifft, so mnss sie den Eindmck
machen, es seien auf dem erwähnten Lehrartage die Anhänger der körper-
lichen Züchtigung in der Majorität gewesen, und zu der Vermnthung veranla.saen.
die beantragte Petition sei wirklich zustande gekommen. Thatsächlich aber
waren bei der ersten Abstimmung die Gegner der körperlichen Züchtigung
In der Majorität, tmd erst bei einer zweiten Abstimmung, nachdem sich eine
Anzahl derselben bereits entfernt hatte, ergab sich jenes entgegengesetzte
Besnltat. Was man nun auch hierzu sagen möge: Thatsache ist, dass die be-
antragte Petition um Wiedereinführung <ler körperlichen Züthtigung in die
österreichische Volksschule unterblieben ist, und das bezügliche \ erbot noch
heute besteht.
Dies fahrt mich auf den Punkt, welcher meines Erachtens für Jene Ver-
sammlung maßgebend »ein niusste, von Herrn Weber aber nicht in Betracht
gezogen worden ist. NiUnlich : es ist ein großer Unterschied, ob es sich darum
handelt, die nocli zu Kei hl Ijestehende körperliche Züclilignng abzuschaffen,
oder darum, die bereits abgeschaiTte körperliche Züchtigung wieder ein-
znfflhren. In der ersten Form ist die Frage z. B. in Prenfien gegeben, in
der zweiten wurde sie auf jenem Ssterrdchischen Lehrertage aufgeworfen. Im
ersten Falle muss die Lelirerschaft meines Erachtens sagen: Ergreift, ihr
.Schulbehörden, vor allem geeignete Maßregeln, ilass wir cihne körperliclie Züch-
tigungen unseren Beruf erfüllen können, dann w erden wir auf dieses Strafmittel
mit Freuden verzichten: im zweiten Falle muss sie sagen: Nachdem die körper-
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liehe Züchtiguiisr ffpsctzlich alj^reseliaffr ist, womit wir principiell einverstanden
sind, bitten wir die Schulbebürden um Ergreifung solclier Maljre^eln, welche
geeignet sind, dieses Strafmittel zu ersetzen. Um den letzteren Pankt hätte
sieh atf jaMm Xielirartage die Dfeeottfen banptsaclillch bewegen sollen and
sollte sie sich ancb heute stets be«'egen, so oft sie wieder erhoben wird. Leider
aber gibt es noch heute Lehrer — ich habe deren einige kennen gelei-nt,
hotTentlich ist es nnr eine kleine 5Iin<lerlieit — welche principiell für Bei-
behaltung der körperlichen Züchtigung: in der N olksschule sind und die Führung
des Stockes als eines ihrer wichtigsten Amtä- und Ehrenrechte betrachten.
Jede Einwendung hiergegen nehmen sie nngefthr mit derselben EntrOstong
siütf wie ein absoluter Selbsth* i rscher die Aufforderung zur Niederlegnng seines
Scppters aufncliiiifn würde. Icii aber bin und bleibe der Ansicht, dass die
Ehre des Lehrerstan les dadurcli. dass er des Sclilagens der Schulkinder über-
lioben wird, ebensoviel gewinnt, wie dadurch, dass er von den „niederen
Kflsterdiensten" befreit wird. Und was die liebe Jugend betrüft, so bin
ich dvt Ansiebt, dass Kinder, welche sehleditafdings nicht ohne Prfigd gesogen
werden können, nicht in die öffentliche Volksschule gehören. End-
lich bin icli <\i-v Ansicht, dass die Volksschullehrer alles unterlassen sollt+'n,
was der Meinung Vorschub leisten kann, die Volksschule sei eine Anstalt
für Proletarierkinder, wo der Stock als selbstverständliches Zuchtiuitiel
sein Becht behalten müsse, während er unter Kindern der „besseren StAnde**
verpönt sei.
Aus diesen Gründen rechne ich mir es zum Verdienste an, jene Petition
um Wiedereinführung der köiperlichen Züchtigung vereitelt zu haben. Auch
weiß ich und wusste ich schon damals, dass die fragliche Petition nicht nur
keinen Eifolg gehabt, sondern der Lehrerschaft eine empilndliche Zurecht-
weisung eingetragen hätte, die in Verbindung mit den Kundgebungen der
„öffentlichen Meinung" ihr wol mehr Kammer bereitet haben würde, als meine
wolgemeinte und woliilierlegte (Opposition und Warnung. Es thut mir leid,
dass dieselbe nicht jedermann gefallen hat; aber es thut nur nicht leid, meiner
Überzeugung energischen Ausdruck gegeben /.u haben. Ich weiß, dass icli
hierdurch der SsterrelchlschMi Volksschule und Lehrerschaft einen guten Dienst
geleistet habe. Und wir wollen doch alle dasWol der Schale und des Lehrer^
Standes, im Einklang mit der stetigen Besserung der Cultur und Gesittung.
Wer dazu glücklichere Wege weiß als ich, den kann und will ich nicht be-
kehren) wu ich aber aus langer und vielseitiger Erfahrung, sowie durch alle
nnr mögliche Überlegung das Richtige gefunden su haben gtenbey da lasse auch
ich mich nicht bekehren, selbst dann nicht, wenn behauptet wird, mefaie Worte
„schweben ttber der realen Erde und dem wirklichen Sehnlhans'*. Ich habe
die reale Erde und das wirkliche Schulhaus in einem lansren Schuldienst und
unter sehr verschiedenen X crhiiltnisseu tattsani kennen gelernt und rechne
dazu auch jene traurigen Fälle, welche unter dem Titel „Züchtigung eines
Schulknaben mit tödlichem Ausgang" bekannt sind, und von denmi einer in
dem nämlichen Blatte vorgeführt ist, wo der Schluss des Aufsatzes von Herrn
Weber steht. Ich selbst habe einige höchst fatale Züchtigunfjsfälle amtlieh
erlebt und mit vieler Mühe zu einem für die betretlenden Lehrer glimpflichen
Ende geführt. Aber mau soll mir nicht zumutheu, einer Praxis das Wort zu
reden, welche im ganzen von sehr fraglicher Heilsamkeit ist, in ehiselnen,
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immorliin nicht ganz selteueu Fillleu aber zu trag-iscIhMi Fitlgeu fülirt und
dann in >veiteu Kreisen der Schule bittere Feindschaft erweckt.
SehUeSlich berichtet Herr Weber ttber meinen Standpunkt nocli Folgendes:
„Dittes war Mieh nicht immer radical für Ausschließnog der körperlichen
Strafen engagirt. Früher, als er noch Schulstanb schlackte, da meinte er,
an8ü*eben müsse jeder die gänzliche Beseitigung derselben aas der Schule, und
darin geben wir ihm recht. Nur sollten, fährt er fort, die Schulbehürden,
solange es nun einmal noch Kinder gibt, welche allen gelinden Zuchtmitteln
Trots bieten, die Bestraftang grober Vergehen nnd hartnackiger Widereetslich-
kdt selbst in die Hand nehmen. Denn nicht nur das Kind bedürfe des Schutzes
gegen leidenschaftlidie Lehrer, sondern auch der Lehrer und dif Interessen
der Schule bedürfen des Schutzes ge^-en böswillige Kinder, welche vielleicht
noch von ihren Eltern unterstützt und aufgereizt werden." — Die Eingaiigs-
Bitae dieses Fassos lauten so, als ob ich mefaieA&iidit geKndert hStte. Darauf
habe ich nur zn bemerken, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass ich das
vorstehende Citat noch heute als mein geistiges Eigenthnm anerkenne.- also
noch ebenso denke wie „früher'', als ich nocli „Schulstaub schluckte". Und
somit lioiTe ich, dass mir auch Herr Weber die freundliche Gesinnung bewahren
wird, die er mir an anderen Stellen seiner trefflichen Abhaudhmg bekundet
hat. Dittes.
Die Schnlgesnndheitspllegci auf dem VII. internationalen
Congresse fflr Hj'giene und Demographie, London 1891. Von Dr. Leo
Dargerstein-Wien, Delegirtcn des k. k. n. $. Landessckulrathes und Hono*
i-ary Foreign Counciller beim Congresse.
Das ui-sprüngliche Programm der Section des Congresse« („Kindheit,
Jugend nnd Schnlleben**) erflihr bei den Veriiandlnngen z. Th. eine Umstel-
lung seines reichen Inhaltes, wodurch an Ort und Stelle die täglich verwendeten
Zeiten fast gloicli blieben; der besseren Übersicht wegen soll jedocb hier die
Keihenfolge nach Programmpunkten durchaus eingebalten werden.
Abtheilung 1: Das Kind unter normalen Verhültnlssen.
>iach der Erütluuugsausprache durch den Vorsitzenden J. K. Diggle,
Prftaldenten de« London School Board, referirte Dr. L.Bnrgeratein-Wien Aber
„die Arbdtscurve einer Schulstunde**. Jeder Lebrer kann die Erihhmng machen,
dass sich nicht selten vor Ablauf einer Stande Zeichen von Ermndang bei
Schülern zeigen. Fni der Fmirung des Optininms der normalen LJlnge der
SchuUection näherzutreten, wurden nun in vier Classen mit Kindern, die
durchschnittlich 11 J., 11 J. 10 M., 12 J. 2 M. und 13 J. 1 M. alt waien,
nach bestimmtem Sdiema gearbeitete, passend yorgedrockte, ganz leichte Recb-
nungsaufgaben gegeben nnd zwar in vier Stücken für ZeitiHame von je zehn
Minuten; zwischen den Zelin-Minuten-Arbeitszeiten waren je fünfMinnten Pimse.
Von vornherein ist ein Ansteigen der Leistung so lange zu erwarten, als
Überschuss an organischem Materiale \oi-handeu ist. Wülirend des ganzen
Experimentes rechneten nun die 162 Kinder zusammen 135010 Resultat«
silTeni*, die Zunahme der gewonnenen Rcsultatcifliem betragt zusammen Ton der
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— llö —
1. üur II. Zelui-Mimiieu-Aibeitszeit ruud 4000 Ziffern
IL „ III. ,j j, 1» ff 3ü00 f,
m. „ IV. tt n »ff 4000 ff
von der II. zur m. Zebii*]lüiiit«ii-Z6it war aber die Zmudme des Leia-
tnngsqnantiiins die geringste. Die FeUersnnahme betrog fBr alle Indivldnen
von der
I. zur II. Zehn-AIiuateu-ArbeitSKeit abgeiaudet 450 Febler
n. n III. « f, « „ 700 „
Xn. y, TV. ^ f, „ 350 ^
von der II. zur III. Zeha-2tUnuteu-Zeit war aber die Zuuakme der Fehler die
größte. — Es seheint demgemäß, dass die Kinder bereits in der dritten Viertel-
stunde merkbare Zeichen der Emfidnng geben, nnbewusst rasten, nm in der
vierten mit erneuter Kraft einzusetzen. Redner beantragt:
„1. Es ist wünschenswert, dass die Fnige der geistigen.rberbürdung auf
exac^ Weise durch experimentelle Untei-suchungeu studirt weide und dass die
Schulbehörden Untersuchungen in dieser Richtung fördern mOgen.'' (Einstimmig
angenommen.)
„2. Ehe die Überbttrdnngsfirage in einer modernen wissenscbafUiehen
Wdse studirt ist, sollen die einzelnen Schullectionen im allgemeinen nicht
Ißnger dauern , als drei Viertelstunden , unterbrochen durch Viertelstunden-
Pausen.^ iMit allen gegen eine Stiniine angenommen.)
Dr. H. Kuborn-Lültich sprach über die Furtschritte der Schulhygiene
in Belgien (siehe Verhandlungen des Wiener Congresses 1887), W. A. Laue-
London wflnscht Unterricht allw mit Endehnng Beschiftigten in dar Anatomie
und Physiologie der Bewegungswerkzeuge, A. Feret-Paris dem<msürirte sdne
bereits im Jahre 1889 in Paris vorgeführten Snbsellien.
G. White-Lüudon verlangte in der Schule jedenfalls ein System ki.ij>er-
Ucher Erziehung und die dazu nöthigen materiellen Behelfe, als: entsprechenden
Raum, den ftreien Spie^lats und die gedeckte B^e. Unbedingt soll jede
Schule auch für Schwimnnnitorricht sorgen. Redner anerkennt dit- bezügliche
Action des London Selioo] Poard, der besolilossen hat, überall dort, wo sich
i'in tiir den Unterricht nicht ganz geeignetes Schwimmbad nahe dem Schul-
hause bcüudet, in jeder neu zu erbauenden Schule ein sulches einzurichten,
damit die Ersiehung aller die Schule besuchenden Knaben und Kadchen all-
ffißhlich in dieser Richtung vervollstSndigt werden könne. Während des Vor-
trages von White machten 24 gleich costumirt« Scliulrnftdcben von 7 — 12
Jahren unter dem Conimando einer Lehrerin neuerdinps in Londoner Volks-
schulen eingefühi-te Frei- und Ordnungsübungen auf dem zu diesem Zwecke
geräumten Podium des Saales, nm gewisse Stellen des Vortrages zu illustriren;
diese Übungen boten natttriich fttr uns nichts Neues.
Lord Meath-London, qpricbt sich auch für den Schwimmunterricht und
— im Gegensatz zu White — gegen das Geräthturnen in Volksschulen aus.
Er hat bereits im Hause der Loids einen eben in ^'erhandluug stehenden
Gesetzentwurf betrelieud physische Erziehung in der \ ulksschule eingebracht,
nachdem er sich von dem bisherigen traurigen Stand dieser Sache in England
fiberaeogte: Von sKmmtlichen englischen Städten mit mehr als 15000 Ein-
wohnern antwortete nur etwa die flälfte bejahend auf seine Anfrage, ob irgend
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eine Körperübung — wenn auch nur zwisclien den Schaltifichen — von Schnl-
vregen in der Elementurscliule gethebeo werde.
Folgende, ursprünglich von N. Smitli-Londoii anijgiMtellte Thesen wevden,
die erste mit Majorität, die zweite and dritte einstimmig angenommen: 1. „Die
Hausarbeit der Schulicinder ist einzuschränken. " 2. „Ausgiebige körperliche
Erholung soll vorßrenoinnien werden." 3. ,,In den Intervallen swlsdien den
Übungen soll lUm Körjier gchiUige Rast gegeben werden."
Dr. A. Schülield-London spricht sehr überzeugend von der Nothwendig-
keit hygienisehenünterriditeB Ittr das H&dchen als kttnfUge Gattin und Matter,
Hantrerwalterln nnd Eraiebeiin, von denen Wert für das Weib enr VerlMnge-
mng des Lebois nnd Erhaltung der weiblichen Reize. Kedner betont, daas
unter den armen Classen die Gesundheit des Mannes that«ilchli( Ii seine Haupt-
stütze, die einzige Garantie für Weib und Kind ist, Trunkenlieit n. s. f. oft
ihre Ursache nar in einem ungesunden, unordentlichen Heim, schiecht gekochten
Uahlzeiten a. dgl. hat, nnd beantragt die (einstimmig angenommene) These:
„Dieser Congress tritt wann für den Unterricht der Mädchen nnd Franen in
der persönlichen Hygiene nnd der des Haashaltes als integrirenden Theil ihrer
Erziehung ein.'*
Sir Ph. Magnus-London plaidirt für den Handfertigkeitsunterrioht mit
Kücksicht auf dessen intellectuellen, schuldisciplioären, industriellen und ükono-
misehen Wert, nnd weist darsnf hin, daas, wenn «r aneh die für rein geistige
Arbeit verfligbare Zelt ▼ermindert, er dafilr durch die ünterbrechnng die Em-
pftnglichkeit für geistige Arbeit steigert nnd einen Tbeil der BestraAmgen
mit ihren deprimirenden Wirkungen wegfallen macht.
Dr. De8gnin-Antwcri)en spricht über die llyeriene des neugeborenen
Kindes; in den großen französisclien Städten wird die Kenntnis der ersten
PHege Neageborener im Volke darch massenhafte \'erbreitung passender Flug-
scliriften betrSehtlich gefordert.
Abtheilung II: Das Kind unter abnormen Bedingungen.
W. Mitchell-Glasgow stellt die Thatsache fest, dass bei den arbeitenden
Classen, z. 15. in Glasgow, liiiatig; ein Zinnner als Wohnung für eine Familie mit
halberwachsenen Kindern, ja sogar mit Aftermietem, benutzt wird und ver-
langt gesetdiehes Eingreifen gegen diesen Ühelstand, ganz besonders wegen
seiner moralischen Folgen. Eine diesbeniigliche These wird nach l&ngerer
Discossion abgelehnt.
Dr. H. Kuborn hat die Bewegung der Criminalität im Vergleiche mit
der der \'olk8bildung für Belgien studirt, erstere während eines Zeitraumes
von 50, letztere während eines von 40 Jaliren derselben Periode und zwar auf
Gmnd der Amtsacten, wobei aaf gewisse Änderungen der Gesetzgebung hin-
sidbtUch der Verbrechen gebttrend Rficksicht genommen wurde, was anf die
Länge der den einzelnen Durchschnittsberechnungen zugrunde Hegenden Zeit-
stücke von f'infla^s war. Diesen VerhiUtiiissen Rechnung ti-nsrend hat Kuborn
drei Tabellen aufgestellt, eine für die Verbrechen im allgemeinen von 1850
bis 1875, die andere für die schweren Verbrechen — 1875, die dritte
für die Verbrechen Qberfaaupt, betrachtet vom Gesichtspunkte der Oriminal-
gesetzgebnng seit der Beform derselben (1867) bis 1885. Enboro gelangt
FadafogiUB. 14. Jahif . H«ft If . 9
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auf streng- loj^^isi hoin AN'ege zu dt ui S( lilnssp, drtss die Zahl der \'erbreclK'n sicli
in Belgien im \ erliältuiä zur Bevölkerungsziffer beständig vermindere. Die
eharakteriBdachen Ziffen am Aniiui; und am Ende der gMuen Garre lind Ar
die schweren Vertneclieii: Einer auf 70 141 Einwohner 1836—1839,
„ „ 102 523 , 1868—1815;
Verbrechen äberhaapt: „ 18 452 » 1850 — 1855,
, , 4Ü3Ü7 „ 1881—1885.
Um mit der Bewegung derVerinredien jene der VoHtebOdnng in Yergleieh
9sa setaen, betrachtet Knbom die Ziffern, welche dieVennehning reprSeentiren:
der Volksschulen, des Lebrpersonales, des Schulbesuches im Verhältnis zur
BevölkerunfTsziffer, der Auslagen für Unterricht und der narh den Assentproto-
koUen des Lt schh und Schreibens Kundigen. Die Zahlen der letzteren sind iu
Procent der Abgebtellten:
1843: 4915 7o; 1850: 5515 « 1860: 60-59 «/o? 1870: 70*77 »/o;
1880: 78-34 •/«; 1883: 81-51 «/o.
Das constant umgekehrte Verhältnis von Criminalität und Volksbildong
wird in die Augen springen durch die liezü<rlichen Cnrven.
Nach Abrechnung der Idioten von Geburt siud iu Belgien unter 1000
QeistesgeitBrten 2*94 abedmte Analphabeten imd 1*54 mSickib, die eine mehr
oder wMiiger voUsttndige Schnlbildang graoesMi haben. — Bedner besieht
sich auch noch auf die Selbstmorde. — Knborn hat durch seine Arbeit den
allgemein gUltigen Nachweis geliefert, es sei die seinerzeit von Franzosen
für Frankreich aut'ge.stellte Behauptung falsch, dass die Moralität in omgekehi'tem
\'erhältnis zur Volksbildung stehe (!).
Oberet Prendergast- London. Man bemttht sich in England seit längerer
Zeit mit viel Erfolg, jugendliehe Individuen, die vom rechten Wege abweichen,
in eigene Schulen zu bringen. In die „Industrial Schools" werden bettelnde,
vagirende, in Gesellscluift von Gewohnheitsdieben betrofiene u. s. f. Kinder
gebi'acht. Infolge der ludusti'ial School Acte haftet solchen ivinderu keiu Makel
fürs Leben an. — Kinder, die dem Sehidberaeh anaweiehen, konunai nenerlieli
in einen eigenen Zweig der Industrial Scheda, die Tmant Sehoola, wo ihnen
Unterricht nnd Schulleben überhaupt recht angenehm gemacht wird; die Wir-
kung eines einmonatlichon Besuchs dieser Schulen ist gewöhnlich eine vortreff-
liche (1890: !)0" „ für regelmäßigen Schulbesuch gewonnen!), oft begleitet von
großer Dankbarkeit der Eltern. Ililtt die Truant School nicht, so kommt das
Kind in eine Industrial School; hingegen wurde die Binselhaft nach ausgiebiger
Erfahrung fallen gelaasen. 1880 passirte eine Ergänzung der Industrial
School Acte in wenigen Stunden ohne Debatte beide Häuser des Parlaments:
sie betraf weibliche Kinder, welche von den Eltern zur Prostitntion aufgezogen
werden. Die bezügliche Auslage für pflichtvergessene Eltern fremder Kinder
spart den Stenertrftgeni spätere größere. — Jugendliche Verbrecher kommen
in die Belbrmatory Schools. — In Großbritannien sind anßer 12 Ktlstenschilfen,
wo Matrosendienst geleliit wird, 55 Reformatory Schools (Auslage 1890
119 836 Pfund, 5854 Zöglinge) und 141 Industrial Schools (1890: 360947
Pfund, 22 735 Züf^linere).
Dr. Desguin spricht über die Erziehung armer Waisen; diese muss,
da die Kinder vielfiush erblieh belastet sind (Allcoholismns, Syphilis, Tnbercnloee)
TOT allem eine gesunde sein, dann eine dmche. Geschlossene Waisenhftoser
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aild anfisBlaasen und dafHr Iftndliche Oolonien nnd EimniethiBg In FamiUen
«nxottreben.
Frl. M. Nigg-Konit'ubiir^. N.-Ö. . wünscht die Errichtung von Kinder-
Recoüvalescentenhäusern aus örteiitlicheii Mitteln nnd schildert unter \'urzeigung'
von Möbeln etc. die Eiurich lang des Uerzmansky 'sehen Kinder-Beconvalesceuten-
UuM in Weidlingaa bei Wien.
L. DaTies-LondOB qirieltt fir arae Kinder, ohne RBcktlcht aaf die
Würdiglceit der Eltern fi'eie Mahlzeiten, nicht nur ^litta^mable an, ebenso Kost
fBr arme Mütter wllhrond einer )E:ewissen Zeit aus üftVntlichon Mitteln; seine
Forderungen wurden in beredter Weise von Frau Besant- London secnndirt.
Was in unseren Schalen „Überbürdung'' genannt wird, ist oft nur Nahmngs*
mangel („over-preMiire , nnder-feeding"). Der Staat liat den üntenicht
obligat gemacht, er hat auch dafür zu sorgen, dass das Kind die auferlegte
Pflicht erfüllen könne. — Rednerin schlägt folgemle These vor: „Indem dieser
Congress die Pflicht des Staates f^egen seine zukünftigen Bürger hinsichtlich
der Erziehung anerkennt, erklärt er, dass Ernährung und Bekleidung zu deren
wirkangaTOller Ersiehung nöthig sei.** Diese Theee wird angenommen, nach-
dem eine lebhafte Diaennion die Notiiwoidiglceit dee Fortsehrittes in der an-
geregten Richtung gezeigt hat. Ein Zasatz zur These Besants verlangte
Anwendung von Strafgesetzen gegen Eit^, die ihre Kinder Temaehlftesigen
und wurde anch angenommen.
Abtheilung III: Das an voilkouimen constituirte Kind.
Dr. F. Warner-London hat im Verlaufe von drei Jahren 50 027 Kinder,
2fiHS4 Knaben und 2.-i 143 Mädchen, in 106 Schulen so untersucht, dass
jedem Kinde in einem recht hellen liaume ein kleiner Gegenstaud (Münze, BIei>
Stift ete.) hoch vorgehalten wnrde, wobei Redner ans dem Gestehtsanadmek,
den Angenbewegnngen, der Kopf- nnd KSrperiialtang 9b6. sehr rasch anf die
nonnale oder abnormale Beschaffenheit des Kindes scMoss; überdies mussten
die Kinder noch die Hände hoch emporheben, endlich wurde der Gaumen
untersucht. Nachdem auch die Lehrer die vSchwachbegabten angegeben hatten,
die Warner allenfalls nicht ausgewählt hatte, wurden die derart ausgeschiedenen
Abnormen genau antersncht^ KopfinaAe genommen etc. Nach Wamw ist
dieser flinke, Unterricht, Lehrer nnd Kind wenig stSrende Methode seitens
eines geübten Spitalarztes mit ganz gutem Erfolge verwendbar. Die Details
derselben hat er allerdings auf dem ('ongresse nicht geschildert. Als abnorm
wurden 5851 iüuder, 3(316 Knaben und 2235 Mädchen, befunden; Warner
gibt die Spedficaftion beaftglich der Defeote des KSrperbanes nnd des Nerven-
systems (Abnormitftt des Ganmens, des Graninms ete., oder: allgemeine Balance
schleditf Aogenbewegungen defectiv etc.). Die ZifTem in der Specification,
leider nicht procentisch gegeben, sind anch fast in allen Detailposten bei den
Mädchen geringer als bei den Knaben. Dr. Warner nahm in der Folge in
veränderter Form eine These auf, die ui-sprünglich von den auf dem Gebiete
der psychopaihisehen HinderwertiglEeiten so wol erfthrenen, leider beim Gon-
gresse nicht erschienenen Herren Dr. L. Strttmpell, Dr. F. L. A. Koch,
Dr. Emil Schmidt, Dr. Ernst Hasse am Schlüsse ihres gemeinsamen, von
Dr. Kotelmann verlesenen Elaborates aufgestellt worden war. Diese mit
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allen gegen eine Stimme aufgenommene These laatete: „Der Congrese ernennt
eine CominiBsion, bestehend ans Persor.en beziehungsweise erfahren in der
Untersuchung 1. der pliysischeu Beschaffenheit der Kinder. 2. der pristigen
Verhältnisse und Leidenszust&nde derselben, 8. der Ei-ziehung und der Methoden
mit Kindern omzngehen, 4. der statistischen CompUation von Thatsachen.
Aufgabe dieser Commission soll es sein, die Yerhiltnisse der die Schnlai be-
suchenden und anderen Kinder m nntersuchen und nach einem bestimmten
Plane vorzugehen. Der Congress ermächtigt die Commission , sich durch
CooptatioD zu verstärken und anerkannte Autoritäten um Unterstützung anzu-
gehen, wenn sie es für nöthig tiudet/'
F. Beach-Dartford constatirt, dass die Gharity Oif;aDisation Sodety vide
defective Kinder dem Verbrechen zusteuernd gefiinden bat. Dr. M. Ganster-
"Wien gibt eine Eintheilung der geistig Defecten, in dem Sinne, dass sie ent-
weder durch Scliule und Hans, odtr blos durch Anstalt.^pflege oder überiianpt
nicht mehr zu heben seien und wünscht ortschritt iu dieser Kichtuug.
Dr. A. Jakobi-New York betont die NoÜiveadigkeit , die Gesunden,
Starken, vor den Gellüiren des Zosammeaseins mit Minderwertigen m schfitaen.
Dr. L. Down -London constatirt, dass er bei seiner vor 30 Jaliren in
einem Londoner Gefüngnis gemachten Untersuchung eine auffallend große
Zahl der ,.\'erbreclH i " als in der Tliat schwachsinnip: befunden habe. Kr
weist auf die Correlation zwischen geistiger Kraft und pliysischer Ausgestal-
tung bin.
Dr. J. M. Rhodos- Didsbur}' bemerkt, dass ein in Frankreich eben vor-
liegender Gesetzentwurf die Ktablirung je einer Schule für epileptisehe nnd
einer für iiidit oiilleptische Idioten in jedem Departement verlangt.
J. r. liichards wünscht die Untersuchung jedes neu iu die Schule ein-
tretenden Kindes.
Dr.Gnye-Amsterdam erOMot das vielfach beobachtete Anftreten geistigBi
Znräckbleibens als Can^equenz behinderter Nasenathniung und fBhrt aaBer-
ordentlich beweisende Fülle aus seiner Praxis diitVir auf, wie nach operativer
Eröffnung der verlegten Atillllnnps^^ tirr dit- ^■^eistiiren KiUiigkeiten und die
Leistungen der früher unfähigen Kinder rapid zunahmen. Kein Kind sollte
ohne iratliche Untersnchnng in die Sehnle eintreten.
Dr. Ed. v. Hofmann-Wien wünscht auf Grund seiner Wahrnehmungen,
dass den Vjesonders in der Pnbeitätsperiode i>sycliisch erhJiht reizbaren rhachi-
tisclien und bydrocephali-sclieu Kindern mehr Aufmerksamkeit zugewendet
werde. Kedner berichtet unter \ orlage abnoim gebauter Schädeldiicher von
Ihm secirtwKInderleieh«! Uber die bei jugendliehen Selbstmördern beobachteten
anflkUenden Abweiefanngen des Schftdelbaues nnd verweist gleichfalls anf
Grund .seiner Sectionsbefunde auf die Thatsache, dass unter Umständen gani
leichte Srlililge auf den Kopf den Tod als letzte Conseqnenz nach sich zu
ziehen a enuögen. Die Schule sollte dieseu Dingen mehr AufmerlLsamkeit zn>
wenden.
Dr. Tb. Escherich*Oraz: Defecte Kinder sind fost alle in der Lage
mit der linken Hand Spiegelschrift zu schreiben. Spiegelschrift bei Knaben,
die über acht Jahre alt sind, ist ein wahrscheinlicher Hinweis anf geistige
Abnormität des Kindes, also mit ein Aiilialtsjiunkt zu der bezüglichen Beurthei-
lung. Das l'rocent der Kinder, welche Spiegelschrift zu schreiben vermögen,
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nimmt mit der Höhe der Classe ab, Uädchen schreiben sie länger als Knaben,
ei achreiben tie mehr Frauen als Uftiiaer.
Dr. F. J. Campbell*) -London. Die Blinde&erzlehnoff mU nichk Wol-
thlltij^keitssache, sondern Aufj^abe der öffentlichen ErziehaogsbehSrde sein. —
An Carapbells Schnl»^ t rhalten sich von den seit 1^70 eingfetretenen Blinden
80 — öO", „ selbststilndig, manche haben ein sehr nettes Einkommen („handsome
incomes'*); 1890 erwarben die ehemaligen Schüler zusammen circa 16000
PAud. — Das Wichtigste ist vor allem ^e richtige phytisohe Eralehang,
welche dem Blinden die ihm von vornherein mangelnde Sicherheit gibt. Die
blinden Kinder in Carapbells Schnle spielen und laufen herum, lernen Turnen,
Schwimmen, Rudern, Rollschuhlaufen; es ist die einzige Schule überhaupt in
Europa (nicht nur Blindenschule), welche die Sargant'schen Apparate eingeführt
hat, die ausgiebig imd mit bestem Erfolge benUtit werden. Es wird amerUca-
nisches, deatsehes and schwedisches Tarnen betrieben. — AnAer der physischen
Erziehung muss den blinden Kindern schon vom Kindergarten angefangen
das Verständnis für den Ernst der kurzen und leichten Lection beigebracht
werden. Im Elternhause sollen blinde Kinder nicht erzogen werden. Nach
dem systematischen Unterricht in den gewöhnlichen Schnlgegenstftnden, Hand«
fvtigkeit, sowie Glavier' nnd Harmoniamspiel, wird das Kind Ar jene Rich-
tung, für welche es Begabung hat, speciell vorbereitet, OTentneU für ein Hand-
werk. — Wichtig ist die Thätigkoit der Schule, den aasgebildeten Blinden
Erwerbsstelluni^en zu vermitteln. - Campbell will, dass alle Blinden aus dem
Zustand des Halb-i'auperismus gerissen werden und der blinde Bettler ver-
schwinde^ nnd stellt folgende einstimmig (und mit dem Zasatie „und Tanb-
stammen" von Ifoberly) angenommene These auf: „Die Zeit ist gekommen, in
der die Endehang der Blinden nnd Taubstummen, auf ein höheres Niveau ge-
hoben und durchaus praktisch gemacht, einen Theil des nationalen Erziehnngs-
systems ausmachen sollte.*'
Campbell berichtet auch über seine Verbesserangen im Lesen und Schreiben
der Blinden, die er Jedoch nicht in die Pnuds einführen will, ehe sie nicht von
sehr zahlreichen Blinden nnd deren Freunden anerkannt sind, nm die Zahl der
Methoden nicht zu vermehren.
(ienpral Moberl y-Lüiidüii bedauert, dass die Londoner Eltern von Taub-
stummen oft aus Unwissenheit, d. h. Unkenntnis des Nutzens, ihre Kinder nicht
in die Speeialschnlen schicken. Das durch die Lantirmethode Erlernte werde
wol vielfach wieder vergessen, da die Angehörigen ans dem Volke, die nnr deni
Dialekt kennen, später sich nicht die Mühe geben, den in der Schale erlernten ge-
brochenen Worten de.s guten Englisch der Taubstummen zu lauschen. Auch
das Ablesen vom Munde halte er nicht für sehr wertvoll. Redner anerkennt
die gnten Wirkungen der kürzlich eingeführten körperlichen Übungen und jene
des Kochois bei den Siteren tanbstommen mdchen.
Dr. H. Gntzmann-Berlin betont dagegen die Verwendbarkeit des Ab-
iesens vom Munde und den Wert der r.nut.Kjiraf^he für die Entwickelung der
Brnstorgane der Taubstummen. — Auf eine Statistik, die sich über 200 000
Kinder erstreckt, gestützt, constatirt er, dass von den in die Schule eintretenden
*) Der blinde Director einer gvoBartig eingerichteten, nur durch Piivatwol*
thfttigkeit erhaltenen BUadenaohale; seine Wxw liest den Vortrag.
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Sechsjährigen bereits 0*5 '^/o an Stottern und Staimuelu leiden, im zweiten
SdralJahre 1 ^j^ toh den 14 jährigen, also am Sehlnme der Volkncirahseit, gar
1*5*^/0. Sonach ist eine energische Hjrgiene der Lantsprache in der Schale
nnthig und der Staat sollte dafür sorgen, dass die Lelirrr in ihrer Anshildungs-
zeit die nStbigen aprachphysiologiflchen and sprachhygienischen VorlienntniBie
erwerben.
Dr. L. Kotel]iiftnB*)-Hambni9 bringt dto nlt den uMliigaii SfiBrndetifl
belegten Betoltate selDer grflndllehen Studie Uber die SebtehlrÜB der Kinder
vor. Im allgemeinen ist das linke Ang^e das kräftigere. Sowol bei den Kars-
ais bei den Weitsichtigen nimmt die Sehschärfe mit dem Grade der Myopie bezw.
Hypermetropie ab. Erblicb belastete Kurzsichtige liaben eine geringere Sehschärfe
als nicht erblich belastete; sie ist im allgemeinen relativ die beste, wenn nur
die Matter, aehlechter wenn nnr der Vater, am sehlechtesteii, wenn beide
Eltern belastet waren. Die SehschSrfe der Normalsichtigen nimmt mit den Schnl-
ond Lebensjahren zn, die der Kurz- nnd Weitsichtigen ab. Kedner fordert die
Weiterbekämpfong der Korzaichtigkeit mit den bekannten Mitteln.
Abtbeflimg IV: Hygiene dea Sebnllebena.
Dr. 0. Stnrges-London spricht über physische Anzeichen von Übelo,
herrorgemfim dnrch imriehtige Bdiandlong in der Schale, apeciell Aber Veits-
tanz, der sich allmählich oitwickelt, leicht zw übersehen, aber aach leicht zn
constatiren ist. wie Redner an drei damit behafteten Kindern zeig-t: iJJsst man
sonst auffallende Kinder in der Erregung, z. B. bei Prüfungen, die Arme auf-
heben, Handflächen nach vorwärts, so illllt bei dem mit Veitstanz behafteten
Kinde eine oder die andere Hand mrttck oder vor, zittert Man tollte in der
Schule, wenn angezeigt, den Versuch maeh«i.
M. Morris-London spricht ührr die — von anderen Rednern bestätigte
• — Häufigkeit des Leidens der Kopfhaut „Ringwurm" in den Volksschulen
Londons und die nöthige Behandlung, Dr. O.E. Shelly-Hertford begründet die
Nothwendigkeit nnd fordert dieFtthrnng systematischer Berichte überlnfiBetiona-
kraakhelten hi Sdralen.
Dr. L. Kotelm ann weist an zahlreichen Photographien und Facsimilea
nach, dass die Schrägschrift erst im Anfang: des 1 (). Jahrhunderts Eingang
gefunden hat. Die hygienischen Vorzüge der ^^teilschrift liegen vor allem
darin, dass sie nur bei ^gerader Mittenlage" des Heftes geschrieben werden
kaan, die Schrägschrift aber nar in anderen Lagen. Jede Rechtslage ist
werflich, weil Kopf und Humpf dabei nach rechts hin gedreht und das rechte
Ange dabei der Schrift mehr genähert wird, als das linke. Die schrilge Mitten-
lage ist nicht weniger iiachtlieilig, da der Kopf dabei nach links geneigt werden
muss, wobei die Wirbelsäule nach rechts ausgebogen, die rechte Schulter ge-
hoben, das linke Aage der Schrift mehr als das rechte genihertwird. (Wnndt-
Lamansky'sches Oesets: Die Verbindnngdinie der beiden Aogenmittdpankte
atdlt sich jederzeit parallel der Zeile.) Bei Steilschrift nnd gerad< r ^littenlage
hingegen ist zu Kurzsichtigkeit und Rückgiatsverkrümmung kein Anlass. Sie
hat auch pädagogische Vorzüge: weil kein schwierig zu merkender schiefer
Winkel auftritt, wird sie im allgemeinen leichter erlernt und der Lehrer
**) Bedacteur der Tortrelfliehea »Zeitsdiiift fflr Schulgesandheiti^ilege''.
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brancht nicht immerfort zum Geradesitzen zu mahnen, weil dios von selbst
geschieht. Dr. Kotelmann beantragt die mit allen gegen eine .Stimmt' aiige-
uomiuene These: „Da die hygienischen Vortheile der Steilschrift sowol durch
medidiiltelie Fonchang als dnreh das praktlBelie Eiperimeot dratlidi erwiesen
nnd festgestellt sind, und da mit Einfühnmg dieser Schrift die schädlichen
Knrporlialtungen in so hohem Grade vormieden werden, welche geeignet sind,
Wirbelsäuleverkriimnmngen und Kurzsichtigkeit hervorzurufen, so wird em-
pfohlen, Öteilschhtt in den Volks- und Mittelschalen allgemein einzuführen,
beiw. m MueD.* — - J. Jaekion-London behandelt denselben Gegenstaad,
ansfehend toii dar Bedeatnng des S^reibens and der HaadiMdiiift.
Abtheilung V: Das Gesetz in seiner Beziehung zum Kinde.
Dr. Jakobi bespricht die gesetzliche Regelang der Arbeit des Kindes in
den Vereinigten Staaten nnd wflnscht die Ansdehnnng der OesetEgebnng ancb
anf laadwirtschaftliche Arbeit, damit der Schnlzwang allenthalben dnrehf&hrbar
sei. Dr. E. Paget-Salford berichtet über nnr Ar Enf^d acute Hissbrftnche
bei der Lebensversiclierung von Kindern. —
In der I. Sectiou (präventive Medicin) wurde der Antrag von Dr. E.
Sea ton- London angenommen: „Die earopftischen Regierangen sind dringend
n ersnehen, eingehende nnd systematische Nachforschnngen Aber die Ursachen
der Diphtherie vornehmen za lassen", in der IX. Section (Staatshygiene) der
Antrag von Dr. J. G. Currie-Neu-Braunschweig: „Anztig<iifli<lit für In-
fectionskrankheiten soll für den Arzt und den Ilansliiilter obligatorisch sein."
Als Ort des Vi II. internatiunaleu C'ongresses für Hygiene und Deuiogruphie
1894 wurde wegen ofBcieUer Einladung der Hunieipalität Budapests diese
Stadt TOigesehlagen und demgendUl auch gewählt
Otto Ernst als Lyriker und Essayist. Von C. Ziegler — Eichen.
Die pädagogische Presse hat gewiss nicht nur das Recht, sondern auch
die Pflicht, neben der Pflege der pädagogischen Wisienschaft und der Vertre-
tung der Standesinteressen auch der Cnltnrgeechichte des Lehrerstandes, wie
ich es nennen möchte» ihn Aufmerksamkeit zuzuwenden und ihren IiCSem
auch solche Amtsgenossen vorzustellen . welclie sich durch ihre Leistungen auf
einem anderen Gebiete menschlicher Geistesbethiitigung anssrezeichnet haben.
Die nahe Verwandtschaft zwischen den Begriffen Lehrer und Schriftsteller
bringt es mit rieh, dass in dieser Beziehung die literarische Thfttigkeit die
erste Stelle einnimmt, der sich die Tonkunst anschlieflt. Noch vor zwanzig
Jahren war die stetige Klage unserer Fachpresse : Mangel an Mitarbeitern, und
heute wird nicht nur ein großer Theil derselben mit wirklich gediegenen
Arbeiten bedient, die Lehrer nehmen vielmehr in allen Zweigen der Literatur
eine bedeutende SteUe ein. Kaum zu zählen sind die pädagogischen Kännkin
und Fräulein im j^Ettrschner", wo allerdings bedeutende Namen nnd Nullitäten
iHedlich nebeneinander stehen. Zu den ersteren gehtat auch Otto Emst, und
e«; geht schon ans unserer Überschrift hervor, wo er sich seine Sporen ver-
dient hat.
Wer ist nun Otto Ernst? 0. E. Schmidt, so lautet sein voll^taudiger
Name, wurde am 7. Oetober 1862 zu Ottensen alB vierter Sohn eines Cigarren-
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arbeitcrs erpboren und besuchte, von einem Bruder seit dorn 5. LebPHsjahrc in
den Elementen des Wissens unterrichtet, von 18ßU bis 1877 die N'olksscliule
seines Ueimatsortes. Dem Lebrerstande wurde er durch seinen Lehrer Karl
Bindrieh mgeführt, von leinen Eltern war er für den Bemf dnes Handwerken
oder Fabrikarbeiters bestimnit. Bindrich, der das achlammemde Talent er-
kannt und den strebsamen Schüler liebgewonnen hatte, bot ihm ans freien
Stücken unentgeltlichen Unterricht an und unterwies ihn in selbstloser Woiso
ein Jahr lang in deut«cher Sprache und Literatur. Von 1878 bis 1883 besuchte
Schmidt das Präparandemn und das Seminar zu Hamburg und förderte steh
nebenher kräftig dnrch angestrengtes Seibststndinm. Seit dem Abgang vom
Seminar ist er Volksschnllehrer in Hamburg and tritt seit einigen Jahren aneh
unter errnßem, allseitigem Beifall als Recitator auf.
Mit Gedichten trat Schmidt zuerst 1882 in Zeitschriften an die (')flent-
lichkeit; 1885 wurde seiae mit ausgezeichnetem psychologischen Scharfblick
geführte Untersnchnng über den Einfluss des Ebrgeixes auf Bildung und
Charakter (^1^ Parasit der Seele") preisgekrönt, und in demselben Jahre er^
rang er mit seinem Essay „Der moderne literarische Dilettantismus und seine
Bekämpfung ' den von der ^Deutschen Schriftstellerzeitung tür die beste He-
arbeitnng dieses Themas ausgesetzten Preis. Das Jahr 1889 brachte ihm den
Augsburger ScbiUerpreis für seine bei Hinricus Fischer Nachfolger in Norden
ersebienene Sammlung „Oediehte* (Preis 3 M.). Im FrlU^ahr 1890 erschien
unter dem Titel „Offenes Visier" ein Band gesammelter „Essays aus Lite-
ratur, Pädagogik und öflentlichem Leben" (Hamburg, Kloss. 2.00 ^[.X Gegen-
wärtig bereitet Ernst die Heransgabe eines Bandes Novellen und Feuilletons vor.*)
Von besonderem Einflüsse auf die Gestaltung seiner dichterischen Indivi-
dualität ist seine Gattin, eine „lebendige Muse**, der die Oedicfate zugeeignet
sind, deren er immer wieder Jubelnd gedenken** mnss.
„Du im in Weih und meine Muse,
Täglich .<( lirnkst Du neue Lieder
Und erwccküt eiu zartes Kcho,
Alte, Ungst TeRansohte wiedä>.
Und solange Du mir lächelst
• Mit deu Augen kindlich helle.
Weicht der Dichtkunst sUßer Zauber
Nicht Ton meines fibtnses Schwelle. "
Sehr anregend wirkte auch sein edler, vielseitig gebOdeter Vater auf ihn
ein, dessen Andenken er das „Oifene Visier" widmet mit den Worten:
.,Wi\< "ft in TiiLT*". die in \iicht versanken.
Mit gleicher Glut in uosera Uersen brannte,
Was dann im Tausch Tersehwiegener Gedanken
Ein froh beredtrr Bliek dem nndern nmiute:
Aas diesen Blättern sollt' es Dich umweh'n
Hit der Erinn'mng tnrambeirUtmtten Flflgel —
Nun wird".«? allein durch meine Seele creli'u
Abs Geistergruß von einem stillen liiigel."' —
Die „Gedichte"* enthalten in einer größeren Abtheilung ,.T.yrische.s und
Episches und in einer kleineren scharf pointirte „Epigramme ', die zum Theil
*) THfbereits eisehienen und wird im uKohsten Hefte aigeieigt.fp). E.
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eine persönliche Spitse haben. Von den ttbrigen greife ich anfe geratewol zwei
Ideinere heraoa:
Erkennen und Lehren,
Zu der Erkenntuis Höh n klimmst Du am finxtorem Thalo
Freudig sicheren Schritte; droben ju (rUihct ilis Licht!
Aber willst Du von sonnigen Hiihen die fiiibe des Lichtes
Tragen ins tiosterc Thal, irrst Du zumeist Dich im rfad.**
Sinnspruch.
Niemali darehdringst Du einen gro6en Oeiet,
Wenn Dn an seinem kh'inpn Trrthmn Dich
lüt überlegnem Stolze hämisch weidest;
Niemals erachlieB» steh Dir ein edtes Hen,
Wenn Dm von seinen Zügen all'
Jedweden leisen Ft hltritt ängstlich scheidest:
Dem GroBen nflfne gern und ganz den Sinn;
Denn eine reine Stätte will das Reine.
Dann fällt ein Strahl von jenem Geist auf Dich,
Und jeiiM HenoM Fhunoie wiimt des Deine."
Otto Ernst int ein scharf ansgeprftgter Charakter mit einer gUlheiiden
Begristerung für Freiheit, Recht nnd Wahrheit; anfe bitterste .hasst er jedes
Venteckspiel :
«Der Feige gibt ein schillernd Wort gelegner Deutung hin —
fian Sinn behemche jedes Wort; doch nicht das Wort den Sinn."
Freimflthig und ohne IfenschenAircht offenbart er ans sein Inneres, ein
edles, wannes Hen. Sein begeisterter Ideallsmas hUt sich fem von jeder
Sdiwtrmerei; er ist nicht blind gegenüber dem großen Heer von Übeln in
dieser besten aller Welten, wo
,.So nahe wohnt das Leid der Lust,
So nah' das Lehen dorn Tod."
Selbst in der Stunde des höchsten Glückes hört er den „Schrei verborgener
Sehmeraen* der KUlionen, die in gleicher Stande
..... den Becher des Todes
Schlttrfni mit kaltem Vwbleicliendea Mnnde."
Und in fest absehreckender Schärfe verkftndet er:
„Es ist ein Staub nur, der sich freut,
Die Menschheit blutet morgen wie heut.**
Aber der Dichter verliert nicht den Glauben an die Ideale, Iftast sich
dorch nichts abhalten, für ihre Verwirklichung zu kämpfen.
-Drum, ob ein tiefer Ingrimm um Deine Lippen bebt.
Ob's jfth in Deine Augen heiBqueUkmd rieh eriiebt,
Du musät der Lüge lachen bei aller stillen Qual
Und trotzig weiter wandern aufwärts zum Ideal."
Er hat ein scharfes Auge für die gesellschaftlichen Sünden anserer Zeit
und fährt ans das sociale £iend in ergreifenden Bildern vor:
Vor dem Znchthaose.
Die Ihr das Haupt so frei zum Himmel hebt,
Yergeeset nicht in Snrem guten Henent
Dais hinter diesem giaaen Kttfcenisaem
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Ein redlich Theil vod Eurer Sünde wohnt.
Und lasst in Eurem Innern wiederhallcn
Deu wilden Scbmerzenssclirci der hier Bcgnbneii)
An deren Faß die schwere Kette Idirxt,
ünd die yeTdammt ftod — «veh um Eure Sdrald.
Und doch sehnt er sich nicht nach deu romantischen Zeiten zoräck, doch
hangt er mit jeder Faser seines Herzeus an der modexneii.
Viele Gedichte athuen eine tiefe Liebe nur Natur, und trelTend Tenfceht
Ernst, worin Theodor Storni eine so große Meistersehaft besaß, die geheimen
Stimmen, das geheinmisToUe Schweigen in der Natnr anszunalen.
JStSU war alles.
Da zog ein Lnfthaucb durch die Wipfel der Bäume,
Zog tiber das ruhige Wasser hin
ünd kräuselte soiuen Spiegel zu leichten Wellen,
Und sieh! Es ranscht leise Uber die fluten.
Der Wellen Geister illteterten, kfcberten. kosten.
Die Gcisterkläugc triifen mein hmsduml olir
Und zogen mich fort zu sinnendem Träumen.
Wiedoim stül war alles.*
„Welch goldig Lenehten fließt so vngeehnt
Wie leichter Zauber um die starren Bftnme?
Was zittert wie geheimer Feierton
Mit leisem KUngen durch des Himmels Rftnme?
IMe Flut des Liebtos rinnt in froher Hast
Vom Fclsenhaupt bis iu den Abgrunds KlUfte;
Und horch! — schon ruft ein Fink mit leisem {
Zaghaften Jabel in die stillen Lüfte."
Dnzcih dnen großen TheÜ der Dichtungen geht ein gewisser didalrtiseher
Zng, der oft, namentlich in den als „Episches" besdehneten Feesien, eine demo-
kratische Färbang zeigt. Es sind Gedankendiditangen, die snm Theil absieht*
lieh musikalische Formen verschmähen.
Das eigentliche Lied des Dichters wurzelt in seinem häuslichen Glück, es
besingt die eheUche Liel» in den sartesten vnd vielgestaltigsten Tönen. Ernst
bietet tms hier Perlen tob nnyergftngUdiem Werte. Hier eine Probe:
Zu Roäs, mein Lieb, mein ail&üä Lieb,
Wir müssen schnell von dannen.
Yen dannen durch die tiefe Naont.
Durch Feld und Hag und Tannen!
Hinweg von unsrer Feinde Herd,
Die uns nur Finch nmd Hohn bescliert
Und nns von sidi Tcrbaonea.
Bliek auf, mdn Lieb, mein sttles Lieb,
Walpurijisniirbt i?t heute!
Es schwirren um den ätarrcn Berg
Gar wundersame Leute.
Es drehen sich im Hoehzeiti^tanz
Und treiben wilden Mummeuschana
Die graven Hexenbiftnte.
Oder:
Walpurgisnacht.
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Fürwahr, mein Lieb, mein söBet Lieb,
Sie gleidien gteaz den Fratsen,
Die un!«cr Glück vergifteten
Mit Droli'n und sUfiem Schwatzen«
Die Angm stieren glBsera-kalt;
Die Leiber sind verx-hrunipft Üld tlt,
Sie heulen wie die iiLatzen.
'ffinweg, mein Lieb, mein süßes Lieb!
Hiet kann das Glück nicht weilen.
UmfiMie Dn mich ohne Graim
Und la'iR uns fürder eilen I
Wir finden un»re Heimat doch,
Und läg' 8ie in der Feme noch
Viel hundert, hundert Meilen! —
0 sieh, mein Lieb, mein süßes Lieb,
Wie schwinden schui'll die Sorgen!
Da steigt die Sonno roth enipoj,
Die lange WUT wborgcn.
Was dorten prangt in stiller Praoht,
Und was so hell in uns erwacht:
Das ist der Maienmoigeii.
Der EssayiBt Otto Ernit steht in poUtiedier imd reUgifieer Hiniicbt anf
dem lüBenteD FlUfel der Unken. Das „Otae Visier* ist dämm nnr ein
Bach für gereifte Männer. Der Titel spannt die Erwartung hoch, aber das
Werk macht sie nicht zusclianden. Ein Kilinpe von der Art Ernst's kann
getrost mit offenem Visier in die Schranken treten , seine Waften sind scharf
und blank, und gewandt weiß er sie zu haudhabcu. Wahrhaft berückend ist
der Olau nnd die SchIrfB der Dietimi.
Das Buch enthält folgende Essays: Glauben nnd Wissen. BeUgion oder
Literatnr als Centrum des Volksschulunterrichts'? Der Lehrer nnd die Lite-
ratur. Ein Parasit der Seele. Constante Majoritäten. Eine Phrase der Geistig-
Armen. Das Elend der modernen Lyrik. Der literarische Dilittantismus. Poe-
tische AnschanKehkeft. Ltterarische Allotria. Die moderne Literatnrspalting^
nnd Zola. Die OeschlechtsUebe nnd ihre literarische Bedentnngr. IiOisiafs
Nathan und das ästhetische Phrasenthum. Die Charaktere in Goethe'sEgmont.
Der HanH-rling'sche Ahasver nnd sein Tdeen^u'lialt.
Am bedeutendsten sind ohne Zweitel die Aufsätze aus dem Gebiete der
Literatur. Selbstverständlich wird mancher Leser hie und da anderer Meinang-
sein nnd den ästhetischen Omndsfttzen nicht immer anstimmen. Die Glans-
leistong ist naturgemftA die Preisarbeit über den Dilettantismus, in der
Pädagogik und Literatur eng versohwistert erscheinen. Denn das Hauptmittel
zu seiner Bekämpfung besteht nach Ernst darin, dass ^nian die große Masse
des' Volkes consomtionsfUhiger macht für die wahrhaft edlen und gediegenen
Erxengnisse der Dichtkunst, indem man es lehrt, von sellMt eine gesunde
geistige Nahmng an wShlen nnd den Dilettantismns mit seinen wertlosen Kaeb-
werken beisdUe zn schieben."
Einen wnnden Punkt deckt die Atiliandhnig ..Literarische Allotria" auf.
Ich setze, gleichzeitig um ein Bild von der Prosa des Dichters zu geben, einige
Stellen hierher: „Der heilige Tempel der Literatur wird von einer schmutzigen
Schacherer- nnd TrOdlerhande umlagert, welche mit dem kreischenden nnd
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feilschenden Lockruf ihrer Stimme die banalen Instincte de« Pablicums gefangen
nimmt . . . Nächstens werden wir es erleben, dass ein neaes Blatt sich erbietet,
den 16 Jährigen Jangfhuien unter seinen Abonnenten Tränme auszulegen und
strebsamen Beamtei^jüngUngen nach Mittheilong Ihrer politischen Gesinnung
und Einsendung' dpr Abonnementsbescheinigfang- beziij^lich ihrer zukünftigen
Carriere das Horoskop zu stellen. . , . Eine ijanze Reihe dieser Zeitschriften
hängt dem specitisch literarischen Theile ihrer Hefte eine wolgerüUte Trüdel-
bnde an, und mit diesen literarischen AU4ytrien ist schon recht Bespectables
san geistigen Verderb des PnUlennis nnd snrVerpäppelnngsefaiesG^eschmackes
geleistet worden. Man kennt die reichbesetzte Tafel fßr große Kinder: "Rössel-
sprnng, Schach, Seat, Arithmoffryph, Logogryph , Akrostichon, Homonym.
Palindrom, Räthsel, Charadr-, h'ebns, Salon-Magie otc » tc. Man missverstehe
mich nicht: ich weiß, dass mau Schach, Seat u.dgl. spielen kann, ohne kindisch
zn sein; aber wer diese Dinge in einem emsthaften Literatnrblatt nicht ent-
behren kann, der ist ein großes Kind, und wer diese Allotrien in das Blatt
hinein bringt, der speculirt auf große Kinder.'' Mit Recht wmdet sich Ernst
auch gegen die Art und Weise, wie das Haby Publicum durch die Texte zu
den Illustrationen in zärtliche Bevormundung eingewickelt wird. „Da em-
pfangen wir den nnsehltilwren Änfbchlnss, dass der Baaernjonge, der anf
jenem Bilde neben dem Baaemmädel steht, der Sohmalzbanem-Hans , nnd dass
sie die Nndelbanem-Toni ist. Wir erfahren, dass er mit dem M&del schäkert,
ihr allerlei Zilrtliohkeiten ins Olir flüstert, ibr sagt, wie gut er ihr sei und
von der Hochzeit spricht, die nun bald koramen werde. O glücklich der, den
ihr belehrt! ihr Illostrationsbeschreiber. Man hätte ja glauben können, dass
die beiden über auswärtige Politik oder über Kant's kategorischen Imperativ
.,s( li.lkerten." Wäre ich ein reicher Mann, ich legte einen .\bzug dieses
Aufsatzes allen Redactenren und allen gi oL5en Kindern unter den Weihnachtsbaum.
In dem Essay über die Literaturspaltung zeigt F>nst, wie Idealismus und
Realismus nichts weniger als cuutradictorische Begriffe sind. „Man lasse also
die blindwflthige Prindpenreiterei und prüfe die künftigen Ersengnisse der
deutschen Literatur einfach darauf hin, ob sie wiiUiche Dichterwerke, d. h.
idealistisch nnd realistisch sind, ünd die jUngeren nnd älteren begeisterten
Vertreter de^ realistischen Gestaltens können ihr ernstes Streben nicht ein-
leuchtender beweisen, als indem sie auch nach Verkörperung eines positiv-
idealen Elements in ihren Werken ringen. Die W' elt, in der wir leben, treffend
sn kennneichnen, ist etwas Grolles; aber die Welt, nach der wir streben, in
dauernden Gedanken und Gestalten zu befestigen, ist gewiss nicht minder
groß. Die erstere Arbeit ist von Zola als bauendem Kiinig so gründlich in die
Han<l genommen worden, dass nebenher an diesem Hau nur noch die Kärrner
zu thun haben. Aber Zola, der grimmig-düstere Voltaire uuseres social-revoln-
tioniren Jahrhunderts, wartet anf seinen Roossean, oder besser, er wartet anf
einen Mann, der beide Krftfte, die niederreißende und die auf bauende, hi sich
▼ereinigt nnd die Menschheit durch strahlend helle Beleuchtung des Gegen-
satzes von Gut und Böse in unserer Zeit zu einer mannhaften Auferstehung
emporröttelt. Wann und wo dieser Mann erstehen wird — wer weiß es?
Wenn er ans unserer Nation erwüchse, so würde sie mit diesem Geiste der
Welt Tielleieht das grüflte Geschenk machen von allen, die ihr die Welt über-
haupt Terdankt"
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Einen reichen Genuss gewllliren die lioiden letzten Abhandlung'en, welche
an die Stelle der trockenen philologischen Erklärung eine poetisch durch-
wärmte, nachcoDfitrttirende Paraphrase der Dichtung setzen. Die AbhandloDg
fUmr die GfeMhleehtdielie enthUt eine Fülle feiner psychologischer Bemerkungen
nnd gestaltet sieli ungewollt zn einer hohen Wertaehfttsnng der Ehe, d. h.
natttrlicfa der echten Ehe.
Am meisten wird der zweite Essay auf Widerspruch stoßen, welcher als
Mittelpunkt des Volksschulunterrichts den Literaturunterricht aufstellt, also an
die Stelle der religiösen Erziehung die ästhetische setzt und damit einen
Stranß'eehoi Gedanken wieder anftiimmt
Wer das „Offene Visier" tüchtig dnrcbstndirt, der wird ohne Zweifd
reichen Gewinn fitr seine Gedankenwelt davontragen; OB gehOrt SU denBüchran,
die der Maikt nicht eben alle Tage bringt.
Otto Emst ist nicht nur, wie viele unserer „Jüngsten'', staik im Nieder-
reißen, er ist ebenso groß im Anfbanen; er hat nicht nnr einen kühlen Kopf,
sondern aneh ein warmes Hens. So hat er dfo beste Anisicht, in nnsorem Lite-
ratnrkampfe mehr nnd mehr ein „Bufer im Streit" zn werden nnd mit offenem
Yisiw an hervorragender Stelle die Klinge ;En schlagen.
Jm der Fachpresse.
Von Buddf DietHeh'HoUtnffen'S^riOi.
494. Ein Vorläufer Pestalozzis (Fr. Gärtner, Bair. Lehrerz. 1891, 36)
Job. lUch. Poppel, gest 176S. Geburt nnd Jagend nnbekannt; als Stndent in
den WalsenhRnsem zn Freising nnd Erding thfttlg. Lange Zeit nnsicheres
Tasten nach dem zusagenden Beruf ^vie bei Pestalozzi. Helfer der durch den
bairischen Erbfolgekrieg eitern- und nlHlachlos gewordenen Kinder zu München
wie Pestalozzi zn Stans. Aber er (selbst völlig mittellosj wurde nicht von Be-
hörden unterstützt, erlangte auf seinen verdrussreichen Gängen nur geringe
Mittel. Trotzdem erOiftiete er sein Waisenhans Ende 1742. Erst 1751 erhielt
es die sichere Grundlage. Gegenwllrtig ist es ciin- städtische Anstalt. (Fresko-
^enjUlde im Nationalmusenm; Groppe in einem Gemttlde des Münchner Batb-
haussaales von Piloty.)
495. Zum Gedächtnis eines schlesischen Schulmannes (K.Kissmanu,
Plld. Ztg. 1891, 29): Chr. G. Scholz, geb. 19. Jnll 1791, gest. 3. Hai 1864,
„der sich in schwerer Zeit der anUrtrebenden Lehrerschaft angenommen**,
„zeitlebens ffir eine freie Schule und einen freien Lehrerstand eingetreten.^
Durch die von ihm gegründete ..Sohlesische Schullehrerzeitung" Hebung des
schlesischen Lehrerstandes. Beziehungen zu Harnisch, "NVander, Diesterweg
(^„einer der hervorragendsten Schulmänner Diesterwegscher Kichtung** — Nach-
rnf von Diesterweg in den Bhefai. Blftttem).
496. Erweiterung der Lehrerbildung (Fr. Tombcrger, Päd. Rund-
schau 1891, VI). Vorbildung: dreidassige Bürger- (höhere Volks-) Schule.
Eigentliche Lehrerbildungsanstalt: ö Jahrgänge (Eintritt mit dem 14. Alters-
jahr in den vier ersten Classen die ^Vi£senschafteu zu erledigen, die letzte
der bilmfliehen AnsbUdnng zn widmen. Am Schlüsse des vierten Jahrgangs
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Prüftinp: auf Avissenachaftliclie Keife, am Schiasse des fOnften PrftAlDg auf
Iiehrftihif?keit. Dazn ein seclistes Jahr für Ansbildnng; zu Lehrern an höheren
Volksschulen. (Nachdem wir diosc österreichischen Reform vorschlüge noch
uotirl, kommen wir auf die — in der Theorie gelöste — Lehrerbildungsfrage
«Q dieser Stelle nidit mAr ta spreeheo.)
497. Pädagogen der Gegenwart als NatarwisseDschaftler
(R. Schulze, Dentsehe Schulpraxis 1891, 33). Verf. nacht danmf avftnerk-
samf »wie leichtfertig die für den Volkssohulnnterricht in Physik und Chemie
passenden LehrstolTe von gewissen Pädagogen behandelt worden," wie der den
LehreiTi „von gewissen Seiten geraachte N'orwurt' der Halbbildung' oft gar zu
Kehr begründet ist**. Nachweis hauptsächlich an dem Polackschen Realien-
buch, „welches von Fehlem strotst", etngeredmet die nachlftssige, nicht dnrch-
dachte Aosdmcksweise. (Wtum Herr S. meint: ,,]faa kann sich nicht genug
wundem, wie ein solches Bnch überhaupt zur Einfühmng in die Schule hat
gelangen können so müssen wir dazn bemerken, dass uns dies gar nicht
wundert. Weiß Herr S. nicht, was in der modernen Welt ein Name und ein
Titel und ein Amt bedenten?)
498. Die Nothwondigkeit der allgemeinen Volksschule in
Bücksicht auf die sociale Frage (H. Schrüer, Päd. Ztg. 1891, 26). Im
AmwWiiSB an das „politische TestamOBt** des Freiheini von Stein nnd den
Scholgesetaes-Entwiirf des prenB. Staatsraths Sttvem (1819), die beide die all-
gemeine Voskssdinle gewollt, deren Grandsätze „Stern und Kern aller Reform»
vorsrhl-ige" genannt werden, charakterifirt Verf. einerseits die Schilden der
modernen (deutschen) Schnlorganisation, anderseits die wirtschaftliche und
gesellschaftliche Bedeutung der allgemeinen Volksschule. — Vgl. eine ähn-
liche Arbeit von J. Vanselow (Dentsehe Schnlztg. 1891, 36. 37), wo auch anf
die üntenlditsflusher eingegangen wird.
499. Die dogmatisch-scholastische nnd die biblisch-psycholo-
gische Lehrweise im Religionsunterricht (Nene Bahnoi 1891, VII).
L Die rein dogmatische Methode („der Pietismus hat die Alleinherrschaft der
Dogmatik gebrochen''). H. Die rein verstandesmäßige Methode. (I und II
stimmen überein, „indem sie sieli an den Verstand wenden — dogmatisch-ratio-
nalistischer Intellectualismus'';. III. Die dogmatisch •scholastische Methode
(Vereinigung von I nnd II, vermöge der inneren Verwandtschaft). IV. Die
biblisch-psychologische Metbode (die „Methode" des Verfl). — „Ist es anch
möglich, den Kopf ins Herz zu bringen? Diese einfache Frage trifft den Kern-
punkt der gan/en Methodik des Religionsunterrichts besser als manches dick-
leibige Werk über Katecbetik."
500. Die Disposition im Aufsatzunterricht (0. Steinel, Üair.
Lehrerztg. 1891, 36j — an Mittelschulen. Verf. beleuchtet Nuthweudigkeit
und Wert des Aibeitoplans und bringt Bdspiele aus der Pmis, um so Migen,
mit wieviel Flelft nnd Lust die Schiller die Bausteine zusammentragen. Aber
jeder soll seinen i icr* tien Plan haben. — Ein beachtenswerter Wink für die
Wahl der Themata: Themen, welehe sich gelegentlich im Unterricht ergeben
nnd für welche «icli ein lebhat'tess Interesse zeigt, von einem »Schüler uotiren
20 lassen. (Vortheil: Die Schüler werden sich mit den Stoffen freiwillig beschäf-
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tigen, sieb davon miteinander nnterbalten.) Anregung zur Wahl aus dem
Schülerkreise selbst.
501. Lyriiehe Qediehte alt Leaettfleke (E. H^l, Freie Schul-
zeitong 1891, 35. 38). Ente Soige des Methodikers: die epische Anknfipflnig
oder Anreisnng („welche die zun lyrischen Ausdruck drKngenden Gemütha-
stimmnngpn oder Gefühlserregrung-en hervorrief" ) za erkennen. „Nicht blos er
selbst wird durch das klare Erkennen dieses Hintergrundes den festen Halt ge-
winnen, sondern er wird auch im allgemeinen vur der Leetüre durch Herbei-
siehung dieser VeranlasBimg, die wir den lyrischen Standpankt Benaen mSohten,
die Vorbedingung für das Erwachen unmittelbarer Oefuhle und Sthnmnngen
bei den Schülern erfüllen." Die ..epische Anreiznng" bietet sich aber in vielen
Fällen wirklich unmittelbar von selber dar: Erscheinungen im Frülilins^ —
Wanderungen — Ferienaufenthalt auf dem Lande, im Walde u. Weiteilün ist
den SchSlem die Einheit der Stimmiing („lyrische Einheit'^ nin Bewnsstscin
za Migen. Kehr nicht; mit der LOenng dw beiden hier gestellten Aufgaben
ist in enieberiscber Hhisicbt genng gethan.
502. Real Unterricht und Sprachunterricht (H. Stucki, Schwei«.
Lehrerz. 1891, 32 -M i). Di*' drei Realfjlcher bilden die ik-griffssphilren :
Natiirleben, Land und Leute, Knt Wickelung des Volks. „Sie entspringen der-
selben Basis des unmittelbaren Wahrnehmungskreises, sie greifen auch auf
allen Ponktoi ineinander, aber sie gipfehi in besonderen Zielen: EinbUck in
den Natnrhanshalt, Verständnis des Landes nnd Volkes, Kenntnis seiner Ent-
wickelungsgeschichte." „Diese Ziele müssen für die Volksschule bestehen
bleiben, wenn es sich um tüchtige üeistesschulung h.andeln soll. Sie dürfen
bestehen bleiben, weil die Fähigkeit des correcteu und geläuhgeu mündlichen
nnd schriftlkhea Gcdankenansdmcks durch de in der gründlichsten nnd nach-
baltigsten Weise gefordert wird.'* „Hanptbedingnngen Ar den Erlbig: eigne
Anaohanong, selbst thfttigst PrftfiBl, Urtheilen nnd Schließen, fortwährend cor-
rectes Aussprechen der wa gewonnenen Eentnissei tagtägliches Niederschreiben
derselben."
503. T'hin für naturkundliche Glinge in den Laubwald (E. .Scheller.
Deutsche Blätter 1891, 19. 20). Wir machen auf diesen au Stoft und guten
AViuken reichen Plan angelegentlich aufmerksam. — Hauptpunkte: L Namen.
II. Lage (dam aneh: Aassehen von ferne; Umgebung; Oberflftchenfbmi; Wege;
„schöne Plätze"; Besonnnng; Winde). lU, Menschen im Wald. IV. Boden-
verhältnisse (Humusschicht; Quellen; Moos; Laubdecke in» Herbst und Früh-
ling). V. Der Waldbestand (woran erkennen wir die verschiedenen Baum-
arten? Angabe alier möglichen Erkennungszeichen). VI. Waldpflanzen. VII.
Waldthiere. Vm. Nähere Ehinlbetrachtungen. IX. Vennche. X. Sammlongen
(Steinarten; Hdhnurten mit Binde; Blatter, Blüten und Frttcbte mit Samen;
Zweige mit Knospen ; Keimpflanaen; Thierspuren an den Pflansen; IQssbildangen
nnd Krankheitserscheinungen).
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Literatir.
Dr. Cf. Stephan, Die hKodicbe Erdehnog in Dentsehland wührend des acht-
zehnte]! jkliihundcrts. Wiesbaden 1891, Bergmano. 162 S.
wahrend das üroßtheil der pädagogischen Tagesliteratur in handwerks-
mäßigen Conipilationcn zu handwerksmäBigem Gebrauch besteht, liegt uns hier
eine üriginalarbeit vor, die in der That eine Lücke ausfillit, bisher Ver-
boTgenes taa Licht sieht und dem Leser eine ebenso lehnreiche wie anr^ende
Lectttro bietet. Nachdem Referent das Bocb TOn AnAmg bis Ende Wort fHr
Wort gek'sen hat, wiiii(Urt er s^ich nicht, diiss ein ('ulturhistorikrr wie
Biedexmanu demselben die lebhatteste Anerkennung zollt und ausdrücklich
henrorfaebt, dass hier eine ebenso nothwendige wie eiBprieBUche literariacbe
Arbeit mit rUhinlirher Umsicht, (Jnindlichkeit und Sacbkenntnis pfilii-trt i~t.
-Herr Dr. Stephan'^ fügt er hinzu, „hat mit einem wahrhaft staunenswerten
fleiSe aus einer Unmasse thetls ron pSdagogisehen und anderen Sebrilten
jener Zeit (des 18. Jahrhundert'^ niluilich), tbeils und iiishcsondere von Ei 'Crra-
phien und Selbstbiographien, ürietwechseln und sousligeu Auizcichoungcn von
Gelehrten, Diditem, Staats» und GesdiSftsniiinnem u. s. w. die einzelnen Bau-
steine zu seinem "NVcrke zu sani menget raffen und hat daraus nicht etwa ein
bloßes lose getilgtes Mosaik, sondern ein organisches, in allen seinen Tbeilen
eng zusammenhängendes, sieh gegenseitig er^nzendes und erläuterndes Guses
geschaffen." In der Hnschaulichstcn Weis-e führt uns Verfasser in das häus-
liche Leben, die Donkuuf^^art , die Sitten, Gesinnungen, Gewohnheiten, den
Bildungsgrad, die socialen \ ei h iltnisse der mittleren und höheren iStände des
18. Jahrhunderts und Itesondcrs in ihre Veraiistjiltiingen zur Erziehung und
zum Unterricht der Jugend ein, mj dass uns manches vertraut und begreiflich
wird, was in den Werken über allgemeine Cult Urgeschichte und üeschichte
der Pädagogik nur s<'liemafisch und halb räthselliaft erscheint. I'as helle
Licht, welches hier z. H. über die Hofmeister-Krziehuug und Hülnieistcr-riida-
gogik yerbieitet wird, dient selbst noch zur Aufklärung Uber aotuelle Er-
scheinungen und Streitfragen. Aber auch in vielen anderen Beziehungen ist
Stephans Buch eine schätzenswerte Ergänzung der Cultur-, Literatur-, Schul-
und Erziebungsgescbichte. D.
Heinrich Schröer, Die allgemeine \ olkss( lni]e als Grnndbedingang zur end-
giltigen Lösung dei* Schulrefoimfrage. Krfurt und Leipzig 1891| Bao-
meister. 54 S.
Verfasser plaidirt für eine einheitiiehe Gestaltung des ganzen deutschen
Schulwesens in dem Sinne, „dass die sämmtlichen Bildlingsanstalten des Volkes
in organischem Zusammenliantje stehen und ein phinvoU geglicderte>, in
seinen Tbeilen zweckmäßig zusanitnenwirkendt-s (üinzes darstellen'', und widmet
namentlich der allgemeinen Volksst-hule, als dem gemeinsamen Unterhau des
ganzen Bildungswerkes, eine genauere Betrachtung. Die sogenannten „Vor-
schulen", eine pädagogische Specialität Preußens (auch in einigen anderen
Ländern nachgeahmt), werden als dem einheitlichen Auf bau widerstrebend mit-
besonderem Nachdruck bekämpft.
Dass die deutschen, bcsondoEs die preußischen Yolksschullehiet diesem
Schriftchen ein lebhaftes Interesse entgegenbringen werden, lässt sieb mit
Sicherheit erwarten, da sie in Herrn Schröer mit Recht einen ihrer besten
WortfUhrer erblieken, der sieh sdion Tielfhch, besonders audi als lanfi;fährlger
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Redacteur der Berliner „Pädagogfischen Zeituug* bewahrt hat. Auch dicM
neue Vcniftentlichung wird seine nltcn Fitumli' und alle diejcnigon Leser
befriedigen, welche eine kurze und klare Orii atirung Uber die aufgeworfene
Zeitfrage i^ilnschen; zu einer giflndlicheu EiOxtenuig über die Ausgangs-
punkte, Princiincu und Consequenzen derselben reicht eine Broschüre von
wenigen Bogen uaiürlich nicht aus. Das kürzeste und zugleich schwächi-te
Capitel der kleinen Hchrift ist das sechste, wo der conf essionelle Religions-
unterricht als mit der allgemeinen Volksschule vereinbar behandelt und
zugleich behauptet wird, dies sei auch die Ansicht der „überwiegenden Mehr-
heit der deutschen Volksschullehrer". Allerdings- ist dies bereits oft i nainentlich
von Führern der preußischen Volksachulielurer, JUtting u. 8. w.) behaupteL
aber niemals bewiesen worden; dies kSnnte ja nur durch eine (allgemeine und
geheime) Abstimmung geschchfii. Wir unsererseits halten daran fest, da^s
confessioneller Bdigionsunterricht in die allgemeine Volksschule nicht
gehört, weil er dem einheitliehen pädairogisohen Geiste derselben widerspricht ;
zndi ni sind wir der t'berzcuguncr , il;iss, sulanire er fortliosteht , aneh die
geibtlichc Schulaul^icht mit iäien C'ouäc^ueuzeu fortbestehen wird and be-
rechtigt ist. Wer jenen will, muss sieh auch dieser unterwerfien. (Auf das
Thema der allgemeinen Volksschule weiter cinzuirehcn. £rl;iu1it Kct'erent hier
unterlassen zu können, da er dasselbe in seiner „Schule der rädogogik", be-
sonders in der „Methodik deryolksschule" ausftthrlidi behandelt bat.) D.
Leimliach, Die deatsdien Diehter der Neuzeit und Gegenwart. IV. Bd.
Kassel, 'l'li. Kay.
Von diesem äauuuelwerkc liegt nun der vierte Hand vor, der die Buchsiabeu
H— K umfasst und die Zahl der Dichter bis auf 849 fortführt, die Zahl der
ausffewiihlten Probon aber bis auf 1705. Neben bekannten Namen ort-cheinen
auch wenitr t^ckannte utler nur im Freundeskreise geehrte l'oeteu: neben Jähns,
Jensen, Jordan. Kaden. Kallieck. Kaufmann, Kdm, G. Keller, Kletke z.B. auch
der in Tirol beliebte HunuM, der in seiner engeren Heimut Nnrdfi'ihmen viel
gelesene Jariseh, der in übe ritst erreich gefeierte Kalieubrunner, der sonst nur
als Technologe geschützte Karitiarseh und der Gründer der iu DeutscJüand
hoehanfjesi honen Vcrlagstinna Julius Klinkbardt ipseudonym Karl Th. Kind) u. a.,
die so (iun li Leimbach's Werk auch weiteren Leserkreisen vielleicht bekannt
werden. Und gar mandier dieser bislang wenig beachteten Dichter verdiente
diese Auszeichnung-, man le^e z. B. die ausgewählten Proben aus < Gottlob
Kemmlers Gedichten, und man wird sich erstaunt fragen: Wie konnte nur
dieser gottbegnadete Sänger aller Welt und m Ih t - den Literaturgeschichten-
Schreibern so ganz unbekannt bleiben! Es ist nicht das letzte Verdienst Lcira-
bach's, auf diese Diehtergestalt aufmerksam gemacht zu haben. — Was für
Mfihe und Kleit? iu Leimbach's Buche steckt, das vermag nur der zu wUrdigeu.
der in ähnlicher Lage sich einmal beüuiden und die Literatur über einen
neueren Dichter zu sammeln gezwungen war. Wie viele Standen TergebUdien
Suchens nach einem r>atuni, nach dem Titel einer Schrift! Nun alles so betiucm
Torli^t: Proben, Biographisches, Titel der Werke und Ausgaben, Inhaltsangaben,
Gkaraktenstik — sollte das Werk auch gebttrend gewtlrdig^ werden und dem
Verfasser doch wenit,'stcns für seine Milbe die Genugthuuns? zutheil werden,
nicht vergeblich gearbeitet zu haben. Leider — der Verfasser sagt es uns in
einer Nadhschrift selbst ist sein Werk noeh lange nicht so verbrdtet, wie
es sein innerer Wert wol verdient. W.
Stöckel, Geschichte des iiittelalters und der Neuzeit. 520 S. München,
Franz Bcher Verlag (J. Both).
Dieses lEbuidbuch verdi«it Beaditung; es ist gut stilisirt und ttbersiohtlirb,
enthiilt viel interessantes Detail zur Belebung des T^nterriehtes und weist in
den Anmerkungen häuhg auf analoge Vorgänge hin oder deckt Beziehungen
auf, die klftran; kurz, man sieht es ihm an, dass der Verfasser in der histo>
rischen Literatur belesen ist und zugleich die Bt ilürfnisse des Unterrichtes
kennt Auch ihm gcgeniiiier können wir die Bemerkung nicht uutcrdrUckeu,
die wir schon hei Besprechung vieler Handbücher der (reschiehte machen
mussten: Sagenbattes oder weniger gut Beglaubigtes sollte immer so sduurf
Pedaco^inm. 14. Jtliig. Heft II. 10
J
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134 ~
nls nur mttglieh gekenmeicbnet werden. Das geschieht auch iu diesem Bache
nicht iiniiKT. Ich vorweisp bfispiclsballier nur auf S. 158, wo die von
Ott'ikar er/.ihltc Huldifjiinerssccnc ircschildert wird, nU ob sie sich wirklich
zii^etnigen hiitte. W.
Ueiitseliel und Märkcl, I'mschau in Heimat und Fremde. II. Band: Europa
mit AusBchlass des Deutsclien Reiches. Hirt, Breslau. Preis 3.60 M.
Der vorliegeude zweite Band diese»» geographischen Lesebuches uiiifasst
759 Seiten mit zahlreichen Abbildungen von Städten, Landschaften, Volks-
typen, die den im gleichen Verlag erschienenen nBildertafeln" entnommon sind.
Den Arten der Abbildungen entsprechen auch die Texte. Sie sind ans Werken
von Land- und Lcutokcuneru geschöpft und so >tili^irt. dass sii' ein Schüler
der oberen Classen einer YoUuscliule ohne Schwrieri^keit versteht. Die Heraus-
geber haben eh diesem Zwecke (Ue benfltsten Onginale an manchen Stellen
kUnsen oder umarbeiten, ja manchmal auch einen Text aus zwei oder drei
.Schilderungen herstellen müssen. Dass es ihnen gelungen, ein wahrheits-
getreues anschanliehes Bild zu entwerfen, beweist schon der eine ümstand,
dass tr^Tz des kurzen Bestandes der Sammlung andere Herausgeber ähnlidier
Lesebücher aus den verscMcdensten Gegenden die Beschreibungen in der
Fassung Hentschd-HSrkels herttbeigenominen habra. Schfllvbibliotheken mögen
sich das Buch, das zur Belebung des geogiaphischen Unteiridhtes beitragen
kann, nicht entgehen lassen. — r.
J. Bftefli, Pe8talozzi*s rechenmethodisohe Gnmdsttae im Liebte der Kritik.
137 S. Bern 1890, Schndd, Francke & Co. Preis 1.50 M.
Der Verfiis^^er hat es sich zur Aufgabe gcmatht nachzuweisen, dass der
bekannte Am^n-itV, welchen Knilliug gegen Pestaloz^i's Liruudsätzc gerichtet
hat, und Knillin^^s Reformvorschlage US grundlos und hinfällig zu betrachten
sind. — Riiclli «:eht von der I' l)crzcu gung aus, die Geschichte der
Kechenmcthodik habe uns darüber belehrt, es könne sich in
diesem Unterrichte nicht mehr um ein Niederreißen de> bisher
(iesehaffcncn und di e A ufrichtung eines Neubaues handeln, son-
dern die anzustrebenden Verbesserungen seien lediglich in einer
zweckmäßigen Ausgestaltung des Vorbandenett SU suchen. — Er
bemerkt ferner in der Einleitung, wenn sich jemand, wie Knillinfj, berufen
fiililt, so schonungslos in ilie unklaren Kiipfe anderer hineinzuleuchten, so
dürfe man wol an die Klarheit und Folgerichtigkeit eines solchen Keformators
die strengsten Anforderungen Stellen und müsse seine Aufstellungen ernster
Beurtheilnng unterziehen.
Im ersten Abschnitte >vird der Begriff der Zahl erörtert. Von Pestalozzi
wird gesagt^ er betrachtete die Zahl Sis eine den Dingen zukommende £i^;en-
schaft, wdcbe wir auf Qmnd der Anschauung von den Dingen abstrahiren.
Er defiuirt die Zahl ausdrücklich, als das in den Dingen, real vodiandenc
Verhältnis des Mehr und Minder.
Bei Enilling dagegen schwankt die Ansicht; bald nennt er das ans-
einandcrliegcnde Viele, die conercten Gr<".ßen, die in den I>ingen selbst be-
gründeten quantitativen Unterschiede, die Zahl, wie wenn sie unabhängig
von unserem Denken bestUnde; dann heiSt es bei ihm wieder, das auseinander-
liej^t'ude Viele sti uueh gar keine Zahl, es sei ledip:lich das Material, aus
welchem das Denken in freier Thätigkeit die Zahl erzeuge. Mit großer Aus-
führlichkeit weist Rttefli das Sehwanken der Begriffe bei Enilling nach, und
zeigt, wie sonach iiberhauitt Folgorii Iitigkrit entfallen niusste. Von den vielen
recht interessanten Auseinaudcrsetzungeu des \'erl'assers möchten wir mir die
eine hervorheben, welche unverkennbar die Ursache einer weityerbreiteteo
Meinungsver^ibii'deuheit enthält. Hüefli meint nämlich. Knillinf^s Zahlbegrifl
klebe an den couereten i)ingen, er vermöge gar nicht den Begritt der reinen
Zahl au erfassen. Es sei al>er wol zu untcrsrbeiden zwischen einer Aniahl
von Dingen, das ist den benannten Zahlen, und der reinen oder unbenanntcn
Zahl. Wir stimmen hier Rilelli vollständig bei und bemerken, dass die •\uf-
lassung der Zahl als Concretum wol nur in der N'olksschule mSglieh und
kaum in dieser aufireeht zu erhalten ist; wogegen die Zahlenlehre, wenn sie
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— 135 —
PK Ii uiir um eiueii woiutr üoliercu Standpunkt stellt, es nur mit den reinen
Ziihk'u zu thiin hat.
Bei Kniiling ist das Rerhnon weniger eine Verstandes- nls vielmebr eine
Gedärhtniägacbc, in Bczuff nut welche er sogar den Ausdruck gebraucht, es
sei nicht viel mehr als gedankenloses Geplapper. Diesem entgegen gelinflft
Büefli sehr sehön der Nachweis, dass es völlitr in der Hand des Lehrers ge-
legen sei, aus dem Rechchuntcrrichte hauiitsächlich eine Sache des Verstandes
oder, wenn er will, des GedächtnisÄCs zu machen. Damit steht im innigen
Zusammenhange, dass schwachveranlagte Kinder es (loch zu einer ansehn-
lichen Fertigkeit im Bödmen zu bringen vcnuiigen, wenn nämlich der Lehrer
den Untcrriäit auf die Pflege des Gediehtntflsei lud meclMiiiMlier Vorgänge
einrichtet.
Treffend ist ferner Riiefli's Bemerkunsr, dass auch das elementare BccUnen,
als Zweig der Mathematik, vor aiuh rii Fädiern durch Klarheit und Bestimmt-
heit seiner Begriffe und Frllieilc sirh auszeichnet, dass sonach diese Eigen-
Bchatton hei richtiger l aterweisung in diesem (iegenstundc auch in sprach-
licher Beziehung sich ausprttgen mtusscn. Unmöglich ist die sprachliche Ver-
wertung des (iegenstandes, wenn die BcgrifTe des Lehrers seihst so schwankend
und unsicher sind, wie man es Kniiling an einer Reihe mangelhalter Detini-
tionen nachzuweisen vermag.
Das .äußerste an Widersprüchen hat Kuillinür iu Bezug auf den sittlichen
Wert des Rechenunterrichtes geleistet: bald wird dessen sittlicher Wert ganz
TCmeint, weil ja der Gegenstand eine reine Gedächtnissachc ist, dann wieder
leuchtet doch die Einsicht auf, in wie hohem Maße ein Gegenstand, bei welchem
das Kennen wesentlich mit dem Können, das heißt das Verstehen mit dem Aus-
üben zusamnientallt , zur (k-winnung des SelhstTertraiiens, svr Feitigimg des
Charakters und der Sittlichkeit bei^gen muss.
Sowol Knilling's, als Bllefli's IMchcr sind der Methodik des Bcchenuntor-
richtes j,'ewidmet. Das Werk des erstcren macht vom Anfang bis zu Ende
den Bindruck des Entwurfes zu einem beabsichtigten Versudie; man wird
beim Lesen die Empfindung nicht loe, der Verfasser sei ein Projectenmaeher.
Dagegen ist RUefli's Buch als Kritik entworfen und bezeichnet, aber mit sn
viel Scharfsinn und Sachkenntnis abgcfaaet, dass nicht blos Knilüng's Wider-
mrflche und ünhaltbarkeiten aufjpredeckt werden, sondern dass der Leser aus
demselbttB einen reichen Gewinn an Belelmnig empfängt. Wir möchten c:crn
aagen« wenn es gestattet Ui Kleines mit Groüoni bu vergleichen, es hat uns
dies Buch an Lessing's Anti-OBtae erinnert. Sowie ohne Kenntnis der Schriften
Ton Gi'if /:e Lessintj's Streit.schrift allein den Gcnuss der Bt lrhning gewährt,
SO eri:reut uns auch BUefli's Buch, ohne seinen Gegner zu kennen, durch Klar-
heit vnd Wahrheit, welche von dem einen Leaet als Belehnmg, von dem
anderen als ZiistimninnLr der eigenen Ühenengnng mit Vergnügen entgegen-
genommen werden mag. H. E.
Die Grundlekreu der astronomischeu Geographie uud ihre unter-
riehtliche Behandlnng. Fili> Lehrer, Seminwisteii md den Privat-
gebraach bearbeitet tob 0. Riedel, Seminartehrer. Hit 57 üliistrationeii
und zwei Sternkarten. Wittenberg 1890, Vertag Ton B. Herrosd. X und
177 Seiten. Preis 2.50 M.
Ein Handbuch für deu Lehrer, gibt es durchwegs die Methoden an, wie dtti
Söhfllem die astronomischen Wahrheiten, die Kenntnis der Erde als Welt-
körpcr heifjehraeht werden kirnnr n und sulh ii. Fr:iLr' n vnii dr n einfachsten an
bis zu den compUcirteren (für ächiilcr höherer öchuicu; leiten die einzelnen
Capitel ein, die Antworten sind aumeist beiji^efHgt fiinfeche, avf der Tafel
leicht auszuführende Zei'"hnungen, die I'esehreibiinc: der Tlandhahnnir einfiuher
Apparate (besonders wird auf die Keicluuann'scheu Tellurien uud Planetarien
hingewiesen) helfSsn den Unterricht veratftndlit^ machen. Die angewendete
3reth()(le ist eine recht glückliche /n n< Diien. D;is ^faß des N'erhuüjfon geht
wol über das in der Volksschule Torzunehmeude ziemlich weit hinaus ^z. B. Prä-
cession der Tag^ und Nachtgleichen), aber der Verfasser wollte eben sem Buch
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auch fHr hQhere LehrniBtalteii braachbar gestttlteo. Deshalb ist. auch znm
Schlus-o aiif::i fr«'-'» '!, was in drei- oder cincla-M'iri n Vnlksi-chulen V'.iii ireboteneii
Materiale zu DciimcD ist. Die eiugestrcuteu Gedichte sind reiiit KUt ans-
ffewShlt, aber für ein Handbuch, das doch kaum der Sehtller in die Hand be-
kommt, etwas tilirrfiiissiir. rii) den roidien Tiilialt zu fliavaktrri^iron. führen
wir noch au, da&j nach einer melbodischeu Einleitung ein Vorciirsus folgt, der
Ar Schüler von 8 — 11 Jahren bestimmt ist; der Hauptcursus nmfasst folgende
Capitcl: Horizont und scheinbare Iliiiiiiielsu:r:.stalt ; (reatalt der Krde. Weltraum
und Weltkürper; Rotation der Erde; Revolution der Erde; Stellung der Erd-
achte und Paralleli^iiiiis ilirer Lage; das Liniennetz; die Erdbahn eine Ellipse;
PrSeession der Ai|iiiiii)( ti> ii; der ^Innd: IMaiiott ubewoirtiiiiren : das Sonnou-
systeni; Schwerkraft, und Schwu n<i kraft ; i-lnf ti riiiiiii;s- und <iriU>enbe8fim-
mungen; die Fixstcrnwclt (Bestimmung der SternoitC;. I'ie Ausstattung des
Buches ist gut, nur die erste Sternkarte (nördlicher Eiuimei) ist nicht in allen
Theileu deutlich. C. H. K.
A. SpTOeUioirs Ornndsfige der Physik. Übersichtliche Anordnung und
ansführliche Darstellung des HanptiriU^cbsteti ans dem ganzen Gebiete,
nnter steter Berücksi- litifjimq- der iienesten Foi>' luingen und Krtindung«n,
nebst einem \'nrl)eii'itinii;srui>iis : Die wichtigsten Erscheintingen des tilg-
lichen Lebens und die gevNöhulichäten Gegenstände des täglichen Gebruuches
in 75 Einselhildem. — Zweite vollständig umgearbeitete nnd Yerbeiserte
Auflage mit %42 Abbildungen, einer Specdnltafel in Farbendnick nnd mit
einem geschichtlichen Anhang. Hannover, Verlag von Carl Meyer (Gustav
Prior) 18i)0. — XIT und 4H0 Seiten. Preis 3.50 M.
bowol in den Einzelltildcni als in der systematischen riiy.^ik geht Sprockhof!
von Versuchen und Beobachtuntr* n aus nnd leitet daraus die Gesetze ab,
woh he sodann durch viele B«'i-^]iielc erläutert w<>rden. Die systeniatisi he
Physik t heilt er in drei IlHUi)ttheile: Merhanik (Allgemeines, M. der festen,
flü>>igrn und luftfirmigen Körper), Lehre von der schwingenden Bewegung
(Schall, Wiinne. Licht\ Magnetipuiu'i und Elektriritäf . Die !)arstellung ist
eine vorzügliche, sowul was die Beschreibung ih r Er>cbcinnugen und Ver-
suche, als die tiesetze anbelangt. Fußnoten, olf zit nilich austltbrlicher Art,
erläutern eingestreute Begrilfe oder geben historische Daten belehrender Natur.
Der erste Theil des Buches (der Vorbereitungscursusi behandelt nur praktische
Fragen des gewöhnlichen Lebens und erklärt die.selben in sehr klarer Weise,
Der ge&cbichtiicbe Anhang stellt in tabellarischer Form die Entdeckungen aut
dem Gebiete der Physik und die wichtigsten Erfindungen vom Alterthunie an
bis zum Jahre 1883 zusammen. Die Abbildungen sind sehr verständlich und
sauber ausgeführt. Jedem Lehrer der i^hysik, auch denen an bühcren Lehr-
anstalten, wird das Lehrbuch ein willkommener Rathgeber sein. Die Abb-
itattnng ist sehr schOn. C. B. R.
▼•itatwotO. BiMlMtettr Ihr. Friadrieh Oitt«». JtaBlidniek«f«i Jalia» Kliakhardt, LdytiB.
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Der iitensiTe Uiterriekt
Von RealgyuiQadialdirector Dr. Drotike- Trier.
ßei den Berathnngen der bekannten Berliner Schnlcommission
wurde beBonderes Gewicht auf den ,4nten8iTen** ünterricht gelegt,
von dem man hoffte, dass dorch ihn vollständig ersetzt werde, was
dnreh die Verminderung von Lehrstunden, sowie der hftndichen Auf-
gaben und dureb die recht wesentliche Einschrftnknng der einzelnen
Fficher zweifellos verloren gehen müsse. Wir wollen heute nicht
untersuchen, ob nicht in einer richtig geleiteten Schule der üntenicht
wirklich intensiv ertheilt wird, so dass das Minimum der häuslichen
Arbeiten bereits dort eingeführt ist, ob nicht die bislierige Art der
Abitnrientenpriifuugen , sowie die immer c^rößeren Anforderungen an
die Scliüler seitens der aofsichtfllhrenden Behörden den wesentlichsten
Theil der Schuld tragen, wenn noch an vielen Orten die Schuljugend
unter der Arbeit seufzt; wir wollen auch nicht untersuchen (eine sehr
dankbare Aufgabe!), wie weit an der nicht genüi?(Mi(l kräftigen Ent-
wickelung der Jugend das Haus die Scliuhl trägt und Umstände mit-
wirken, die ganz außerlialb der Macht der Schule, wol aber dem
Arzte sehr nalie liegen; wir wollen den intensiven Unterricht selbst
einer etwas genaueren Betrachtung uuterzielien.
Mathematisch ausgedrückt, ist die Intensität einer Kraft die Größe
ihrer Wirkung in der Zeiteinheit; der Unterricht ist also um so in-
tensiver, eine je geringere Zeit verbraucht wird, um dasselbe Ziel des
T^'nterrichtes /u ei i eichen, dem Schüler bestimmte Kenntnisse zum klar
bewussten, daueriiden Eigenthuin zu machen, so dass er diese nicht
blos stets im Geiste gegenwärtig hat, sie also auch iui geeigneten
Falle verwerten kann, sondern dass dies Wissen und Können auch
sein Wollen und Handeln, seine Denkungsart, also seine sittliche
Führung beeintlusse. Wodurch aber wird diese Intensität vergrößert,
Ulli] unter welchen Bedingungen ist überhaupt eine größere Intensität
niöglicli? Auch hier Nvird der Vergleich mit den nieclianischen Ge-
setzen uns Klarheit verschaffen. Es ist stets die Intensität der
Psdagogiam. u. Jahrg. Heft III. 11 j
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«jeleisteteu Arbeit direct proportional der aufgewendeten Ki'aft. Bei dem
Unterrichte sind es a>)er zwei Kräfte, welche das Resultat herbei-
füliren, die in-oductive des Lehrers und die receptive des Schülers.
Und die Widerstände, welche bei der Arbeitsleistung zu überwinden
sind, d. h. die Bedingungen, von denen die Wirkung der Ki*äfte ab-
hängt, sind theils in dem Lehrer, theils im Schüler, tiieils aber auch
in äußeren V'erhältnissen zu suchen. Wa,s nun zunächst den Lehrer
betrittt, so niuss ei- während des «^a'sammten Unterrichtes in nie ruhen-
der, lifespanntester Aufmerk-samkeit selb.st den Unterricht ert heilen
und gleichzeitig alle Schüler im Auge behalten, um iiirer Aufmerk-
samkeit sicher zu sein: nicht einen Moment lang darf sein Geist an
irgend etwas anderes denken, als an den zu belianilplnden (TCgeustand
und an die Schüler, kein anderes Bild darf seine Sinne scliwäclien,
sein Auge nmss klar und scharf jederzeit die Mienen der Schüler an-
sclmuen, um aus ihnen zu erkennen, ob sie auch das Gesagte liciitig
erfassen, mit ganzer Seele beim Untei liclite sind. Aus diesen For-
derungen geht hervor: 1) dass der Lehrer alles das meiden muss, was
irgendwie den Unterricht im allgemeinen, die Aufmerksamkeit, die
volle Hingebung des einzelnen beeinträchtigen kr»nnte; es sind also
alle Xebenfragen über Dinge, die nicht zu dem Unterricht gehören,
fernzuhalten, Anspielungen auf Vorkommnisse dürfen nie gemacht
werden, da sie gerade die geistige Aufmeiksamkeit ablenken miissen;
2i dass der Lehrer den Unterricht in einer mtiglichst fesselnden Form
ertheilt, er muss daher nicht blos absoluter Heri- über den Stotf sein,
also selbst stets sich genau vorbereiten, um auch auf jede mit dem
bebandelten Thema in Zusammenhang stehende Frage gerüstet, mit
jeder Seite des zu betrachtenden Unterrichtsgegeustandes genau be-
kannt zu sein, sondern vor allem mnes^er selbst an der Sache ond
an ihrer didaktischen Behandlang das lebhafteste Interesse haben und
dies auch dnrch die Art seines Unterrichtes d^ Schttlem zeigen, mag
die Methode je nach dem Stoffe henrisUsch, sokratisch, akroamatisch
oder eine andere sein; denn nur eignes lebhaftes Interesse vennag bei
anderen wieder Interesse zu erregen und wachzuhalten; es müssen
daher diejenigen Punkte, welche auf derjbetreffenden Entwickelungs-
stufe am ehesten die Theilnahme des Schülers erwecken und ihm das
klare Verständnis bringen, hervorgehoben werden; denn die erstei«
kann ohne das zweite nie entstehen; 3) dass in dem Schüler durch
den Unterricht das GefUhl der weiteren Entwickelung, das Bewusst-
sein des Fortschrittes erzeugt] wird; denn das Geffthl des Stehen-
bleibens liisst nie die fiwudige, hingebende Arbeitslust aufkommen; 4) dass
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die Methode in keinem Fache stets dieselbe sei, sondern sich von Fall
zu Fall, je nacli der geistigen Stufe der Schüler, nach der eignett
pädagogisch-didaktischen Kraft des Lehrers und nach dem gerade be-
handelten Gegenstand ricliteii muss; wo es möglich ist, iiiuss der
Schüler selbst das Nene tinden, den Zusammenhang zwischen zwei Er-
selieinuneren oder die Foliren eines Gesetzes aufsuchen; die alte, nach
meinen Erfahrungen nocli immer nicht <(eniigend beachtete Kegel, dass
jede Fray-e an die Classe, nicht an den einzelnen Schüler zu richten
ist. muss streu^^ durcli<>:etuhrt werden: auf das innere Vei-standnis ist
möglichst früh starkes (lewiclii zu le^en, da niclit das gedankenlose
Aufnehmen in das Gedächtnis, sondern nur das klare Eindringen in
den Zusammenhang der Dinge die dauernde geistige Tiieilnahme sichert.
Nacli dem Vorstellenden sind die Anforderungen an den Lehrer
sicher keine geringen und ilire ErfüHung bez. Beachtung sind von
einer Reihe von Umständen abhängig, die von den Lehrern selbst,
von dem Director und von den Behörden wol zu berücksichtigen sind.
Da ist zunächst die jjhvsische Kraft des Lehrers. Wer je seinen Unter-
richt im vollen Sinne intensiv gegeben hat, der weiii. dass es unuiög-
licli ist. Tag für Ta^ mehr als zwei solcher Stunden nacheinander zu
ert heilen. Müsste ein Anwalt, mit der vollen Intensität, wie hier an-
genommen, Tag fiir Tag arbeiten, wochenlang ohne jede Unter-
brechung, z. B. tagtäglich eine drei- bis vierstündige Rede halten, so
wfirde er bald zusammenbrechen. Erst nach einer Bohepanse wii-d
der Lebrer im Stande sein, in gleicher Welse weiter zu nntenichteii.
Jeder, der Neigung dazu hat, sieh dem Lehrfiiche zu widmen, frage
sich daher zuerst, oh er stark genug ist, die Anstrengungen auszu-
halten Schon jetzt sind die Mühen des Lehrerstandes sehr auf-
reibend. Zählten doch die Rheinischen Lehrercollegien 1888 nur - „
unter ihren MitgUedeni, welche 40 bez. mehr Jahre im Dienste ge-
standen hatten, und noch nicht 6**/«, welche ein Dienstalter von Aber
30 Jahren erreicht hatten! In welchem andern Stande ist ein so nn-
gOnstiges Veriiältnis zu finden?
Um den Lehrer nicht unnöthig aufisureiben, ihn doch möglichst -
lange zu erhalten, muss der Stundenplan mit größter Torsicht ange-
fertigt werden. Schon jetzt ist es nicht leicht, nur unter Beiück-
sichtigung der Lehrgegenstftnde einen guten Plan au&ustellen, in Zu-
kunft wird dies noch unendlich viel schwieriger sein.
Sodann muss die Arbeitsfreudigkeit und Geistesfrische des Lehrers
stets vorhanden seb; er selbst muss daher ein heiteres Gtoüth be-
sitzen, es verstehen, mit den Schfllem jung zu sein, in ihren heiteiii
II*
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— 140 —
Lebensanschaimngen, ihrem frischen, fröhlichen Handeln nicht überall
Unbotmäßigkeit oder schlechten Geist wittern. Ein grämlicher Lehrer
kann viel, viel verderben. Die Stellang und das Einkommen des
Lehrers muss aber auch so sein, dass ihm nicht die tägliche Sorge um
die Existenz seiner Familie und seiner selbst, nicht die stete Zurück-
setzung, der er noch heute in allen Verhältnissen in geradezu gehäs-
siger Weise ausgesetzt ist. jeden Lebensmuth nelimen. Es soll ja
hierin eine Wandlung geschalten werden. Vor allem aber ist dann
auch die Ausdelinung des Relictengesetzes auf alle Lehrer ein absolut
dringendes Erfurdeniis. Welche Begeisterung soll es im L^lii er einer
städtischen Anstalt erzeu;^en. wenn er bedenkt, dass mit seinem Tode
Frau und Kinder dem Elende oder der ööentlichen Woltliäti^keit
anheimfallen? Welche Gefühle müssen erwachen, wenn ein im Dien.st
ergrauter l)irector bei öftentliclien Festlichkeiten trotz der Kgl. Ca-
binetsordre vom 2H. December seinen TMatz hinter den jüugsten
Käthen von Landgericht und Regierung angewiesen erhält?
Die receptivft Thätigkeit der Schüler bedingt ebenfalls den Erfolg
aucli des intensivsten Unterrichtes des besten Lehrers. Möglicli.st
gleichförmige intellectuelle Bildung der sämmtlichen Schüler ist hier
die Grundbedingung. Gleiche Beanlagung der aus den verschiedensten
Krei.sen stammenden Schülei- ist nie zu erwarten. 2:lei<-h «rute Kennt-
nisse, ja auch nur gleiche geistige Stärke tür ein scharfes Achtgeben
sind nie zu hoffen. Je größer aber der Unterschied zwischen den
einzelnen Schülem in dieser Beziehung ist, um so weniger wird ein
intensiver Unterricht ausrichten können, wenn nicht von vornherein
daranf verzichtet wird, wenn auch nicht aUe, so doch die grOBte Zahl
der Schfller eiiier dasse regebnftßig weitenofUhren. Daher wird es
noch mehr Pflicht wie frOher, schon von den unteren dassen an die
Schttler za individoalisiren nnd sehSrfer bei der Versetsong vorzu-
gehen.
Zu den äußeren Umständen, welche von wesentlichem Einflüsse auf
die Erfolge eines intensiven Unterrichtes sind, hebe ich als die wich*
tigsten hervor: die Erscheinung des Lehrers, die Zahl der SehQler
einer Classe und endlich das Classenzimmer nach seiner GMalt, Größe,
Beleuchtung und inneren Einrichtung. Der Emst und die Würde des
Lehramtes muss sich auch im Äußern des Lehrers kundgeben; wol
kann die geistige Überlegenheit, die Begeisterung für den Unterrichts-
gegenstand, die sich auf dem Gesichte des Lehrers zeigt, manchen
Mangel an der Erscheinung desselben den Schülern veiigessen machen,
aber das Auftreten und die Tracht dürfen ebensowenig eine lächer-
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liehe Eitelkeit als eine absolate Vernachlääsigiing der äulieren Perädn-
liclikeit zeigen; beides setzt den Lehrer in den Augen der Schüler
und auch der EUtern derselben heranter, ist gaeignet. die Aufmerk-
samkeit der ersteren auf die Person zu lenken, gegebenen Falles
sogar den Spott herauszafordem, während geiade das Beispiel des
Jugenderziehers aiif die Knaben wirken, sie zu richtiger Wert-
schätzung der Persönlichkeit unbewnsst anregen soll.
Die Zahl der Schüler soll nach den Beschlüssen der Commission
in keiner Classe über vierzig betragen; bei stetem intensiven Unter-
richt, der bereits für die unteren Classen eine vollständig indivi-
duelle Behandlung der einzelnen Schüler voraussetzt, ist diese Zahl
eher zu groß als zu klein; vor allem aber ist darüber zu wachen,
dass diese Zahl auch wirklich nie mehr, auch niclit in den unteren
(lassen überschritten wird! Wird nun nicht mehr gestattet, dass in
allen Classen Doppelcöten eingefühi't werden, dann wird sich erfah-
rungsgemäß die Gesammtschiilerzahl einer Anstalt auf etwa H10(? D. R.t
stellen ( tür die 8 unteren Classen je 40, für die 3 mittlereu je 30. tur die
3 oberen je 20i. Würden aber wieder DoppelcCtten eingeführt, und
diese müssen für alle ( lassen eingerichtet werden oder für keine i,
so ergibt sich die absolut unzulässige Zahl von über tUK) (? 1). K.i
Schülern. (Die Maximalzahl von 400 fin- eine Anstalt stimmt nicht
mit der angenommenen für die einzelnen Classen.»
Die Schulräiuiie in ihrei' inneren Einrichtung sind in den letzten
Jahren ein wahres Versu< lisfeld für berufene und unberufene sog.
Sachverständige gewesen. Aber trotz aller schönen Autsätze, trotz
aller Zahlentabellen über die Dimensionen der Bänke, über die Große
und Höhe der Räume, über die Größe der Fenster u. s. f. ist leider
eine sehr große Zahl von Olassenzimmern aach heute noch nicht
den Anforderungen, die man bei intensivem Unterrichte stellen mnas,
entsprechend. Der Lehrer mnss von seiner Stelle ans (Katheder,
Tafel) sämmtUche Schttler mit einem Blick überschauen können; es
darf daher das Classenzimnier weder zu lang noch zu brdt sein; wenn
z. B. 54 SchtUer zu je 4 Schttlem in Bänken hintereinander sitzen,
wie soll der Lehrer diejenigen in der vierzehnten Bank noch von
Tom übersehen? Oder wenn 60 Schttler in 3 Reihen von Bftnken zu
je 6 sitzen, also 5 Reihen hintereinander, so gibt es auch kdne SteUe
hn Zimmer, von der ans auch der begabteste Lehrer gleichzeitig alle
flbersehen kann. Die beiden gewählten Beispiele sind mir in meiner
Thfttigkeit an einer Anstalt vorgekommen. — Die richtige Einrichtung
der Bänke scheitert noch immer an der einen Thatsache, dass die
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OrOfie (und auch das Alter) der Schüler einer Classe sehr verschieden
ist und selbst in einem Jahre oft sehr stark wechselt Ein gi oßer Fehler
ist es bei vielen Bänken neuerer Construction, dass sie auf den Boden
festüiescb raubt werden mflesen, also nicht verrückbar sind, und dass
sie zu viele bis nahe zam Boden raiGhende £isen- bez. Holztheile
besitzen ; infolgedessen ist die ordnungsmäßige Beinigung nicht möglich.
Die Vortheile, die man von dem intensiveren Unterricht erhofft,
sind die größeren Leistungen in geringerer Zeit, namentlich auch die
Verlegung der hauptsächlichsten Lernarbeit in die Schule, d. h. die
Entlastung des Schülers von häuslicher Arbeit, damit die Jugend sich
mehr köi*perlichen Übungen liingeben könne. Ob dies aber in <b^m
Grade möglich ist. nmss erst die Erfalnunof leliren. Um bei <lem
früheren Vergleiche /u bleiben, so kann eine bestimmte Kraft in einer
bestimmten Zeit auch nur eine gewisse Arbeit leisten; die Kiatt ist
hier die des Lehrers, sie kann ebensowenig wie die des Dampfes in
einem Kessel beliebig hoch gespannt werden; andereiseits ist die Ar-
beitsleistung einer Maschine abhängip- von den Reibungswiderständen
und der Größe der Last: bei größerer Krafteniwickelnng wir<l aber
die Arbeit nicht i)roi»ortional vergrr»ßert. vieimeiir werden die A< lisen-
lager u. s. f. erhitzt, die Maschine verdorben und statt siößereu
(•rewinn zu erzielen, hat man scliweren Verlust. Der (4eist des Kindes
kann innerhalb einer bestimmten Zeit nicht beliebig viel in sich auf-
nehmen und zu seinem festen Eigenthum machen: öftere Wieder-
holungen, langsames, ganz allmäldiches Fortschreiten sind nr.thig,
wenn der Wissenstotf auch dauernd dem Schüler übermittelt werden
soll. Vier, ja fünf Stunden intensiven Unternchtes uaciieinandt i hält
kein Lehier, noch viel weniger aber ein Scliüler aus. Wol hat es
stets einzelne Lehrer gegel>eu, die intensiven Untei iicht gegeben haben;
ich selbst bekenne auch, dass ich dies gem gethan habe; aber wenn
dies geschah, dann wollte kein anderer Lehrer die dai'autfolgende
Stunde ertheilen, weil die Schüler so abgespannt waren, dass sie gar
nichts mehr leisteten. Mit Bfleksicht darauf, dass die Schiller in allen
Untenrichtsstnnden noch eine gewisse geistige Frische haben müssen,
damit nicht eine ungleichförmige Bildmig erzengt werde, habe ich die
Sache ändern mflssen; und wenn auch die Schiller fast völlig frei von
häuslichen Arbeiten und Wiederholungen sind, so habe ich dies nur
durch wesentliche Beschränkung des Unterrichtsstoffes erreichen können.
Und da sind wir an dem Hauptpunkte angekommen: auch bei inten-
siverem Unterrichtebetriebe als bisher ist nur dann ein Erfolg möglich,
wenn die Lehrziele in allen Fächern wesentlich vmingert werden.
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— 143 —
Eine dahin trehende Bestimmung- mnss sich in ei-ster Linie an die die
Aufsicht fiihi'enden Behörden wenden: Directoren und Lehrer müssen
sirh stets nach diesen richten und von den Schülern dasjenige
verlan^^en. was von den Rathen im Examen und bei Kevisionen ge-
fordert wird.
Als wiehtig-stes Mittel zur Verhütung- einer ('beranstrentrung der
Si'hüler sclieint die nnrchführungf des Classenlehrersystems empfohlen
zu sein. An ordentlich geleiteten Schulen besteht dies bereits meist,
nur ist \ielfach eine noch weiteie Durchtührung dessell»en unmöglich,
weil die Lehrkräfte nicht deiuput sprechend sind. Wo gibt es z. H.
einen Lehrer, der in Deutscli. Latein, (Tiic<'hi.sch, Französisch und
(nach den neuen Vorschlägen* Knglisch, daneben aucli vielleicht in
Geschichte in Secunda gut unterrichten kann? Wo einen solchen, der
diese Bürde auch dauernd tiagen kann? Wenn bis jetzt in einzelnen
Anstalten das Classenlehrei'system noch zu mangelhaft ausgel)ildet ist,
so trittt nicht blos dem Director. der die Vorschläge dazu gemacht
hat. sondern mehr noch die Behörde der Vorwurl' dass sie solch eine
durch und durch unpädagogische Vertheilung des Unterrichtes ge-
nehmigt, vielleicht sogar den betr. Director besonders ausgezeichnet hat.
Noch einen Punkt mochte ich hervorheben: es ist der ethische
Wert der häuslichen Arbeiten. Die Aufgaben, die der Schttler außer-
halb der Classe machen soll, sind nicht blos bestimmt, das Wissen
and Können zu befestigen, sondern sie sollen auch die Jugend daran
gewöhnen, den eigenen WiUen zn fiben, die Willenskrait zu stärken,
die Arbeit als eine Pflicht und als ein Recht anzusehen, ihre Zeit
einzntheilen und mit ihr hanshftlterisch umzugehen; wer in den jungen
Jahren es nicht lernt, selbststftndig zu arbeiten (je intensiYer der Unter-
richt wird, um so mehr wird dor SehQler zn rein receptiver, unselbst-
ständiger Arbeit angeleitet), die Erholung nur als nothwendige und
erwOnschte Stärkung von Geist und Körper anzusehen, um sich desto
eifriger wieder der PflichterflUlung zu widmen, der wird auch im
Leben nicht ein brauchbares Mitglied der menschlichen Oesellschaft
werden; ftlr ihn ist und bleibt die Arbeit ein Fluch, und er selbst ist
und bldbt ffir seine Mitmenschen ein Ballast; wehe dem Staate und
der Gesellschafti wenn die leitenden Kreise nicht die intensive Arbeit
als ihr unreränfterbares Recht, als ihre heiligste Pflicht ansehen!
Jene Answttchse, welche in der Jugend jeden Keim der fröhlichen
Lebenslust erstJdran wollen, sind Gk>tt Dank doch nur selten; wo sie
sich flnden, da sollen die Behörden rilcksichtslos einschreiten, das
eiternde Giftgeschwür ans dem gesunden Organismus ausschneiden.
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Abel man hüte sich umgekehrt, eine Jugend heranzubilden, die keine
Selbstständigkeit kennt, die Arbeit neben.sachlich behandelt und die
kiirperliclie Kraft über das geistige K<)nnen setzt; nur eine harmonische
Ausbildung der körperlichen und der geistigen Kräfte muss das Ziel
der Jugenderziehung sein und bleiben.
Man erwarte von einer intensiveien Unterrichtsmethode nicht zu
viel; jedenfalls wird sie viel mehr Kräfte verbrauchen bei Lehrern
imd bei Sch&toni; die Zalil der letzteren, welche nicht ihr Ziel errddiea,
wird stark anschweHen, die gesundheitlichen VerhAltnisse werden
kaum wesentlich bessere werdoi, wenn okht auch die Lemziele
bedeutend yenringert werden. Was aber zweifellos stark wadisen
wird, das sind die Ausgaben für die Schulen.
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über Beral'äireudigkeit.
Yoii Bectw Th, XofMlmaiiit-iScAwef«.
Ijust und Liebe zur amtlichen Thätigkeit, also pBerutisfreudig-
keit", bedarf wol kein Stand noth wendiger als der Lehrstand. Ab-
gesehen davon, dass, was ja selbstverständlich ist, jede Thätigkeit unter
den segensreichen Fittichen der Herufsfreudigkeit besser gedeiht, reichere
Erfolge aufzuweisen hat, wirkt sie auch anl egend, erfrischend und be-
fruchtend auf die Umgebung, auf die Mitarbeiter oder sonst irgendwie
mit der Thätigkeit in naher Beziehung Stehenden. — Unlust dagegen,
A\'iderwillen oder auch nur Gleichgültigkeit sind schlechte Förderer
der Arbeit und üben einen lähmenden, hemmenden Eiufluss auf die
Umgebung aus. Mag der Mangel an Freudigkeit in den meisten
Beroiisarten durch ernste Pflichtü-eue ersetzbar sein, — in dem Lehr-
amte ist er es nicht! Dort leidet nnr ein einzelner Mensch und etwa
noch eine geringe Ansahl von ErwaehseiieD, die mit Jenem geschftftlich
in Berflhrung kommen; hier aber leidet eine ganze Einderschar; denn
die Lust oder ünlnst des Lehrers überträgt sich naturgemäß ond aus-
nahmslos auch anf die Kinder. Ein ftisches, frendiges Wesen des
Lehrers wirkt anregoid ond bebend auf die noch unentwickelten
Geister der Kinder; ein mattes, nnlnstiges, geqnftltes Unterrichten be-
wirkt das G^egentheil; die geistige glftckliche Entwickelung der Schfller
hangt in der That wesentlich von der mehr oder weniger firendigen
Stimmung ihrer Lehrer ab. Doch das ist eine alte Wahrheit» die
mdes genflgend beweist, dass vorzugsweise dem Lehrstande um
der Jugend willen Beru&freudigkeit nothwendig ist
Es verlohnt sich daher wol der Ktthe, einmal etwas eingehend
den Umständen nachzuspüren, von denen die Berufsfreudigkeit der
Lehrerwelt mehr oder weniger abhSngig ist, zumal sich dieselben zum
Theü der Kenntnisnahme deijenigen Männer entziehen, die mit ihrem
Einlluss und ihrer Macht wesentlich auf eine erhöhte Berufsfreudigkeit
der Lehrer hinwirken könnten.
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Als die vesentlichsten Bedingangen, anter velclien ein Lehrer
freudig seines Amtes walten könnte, dürften ohne Zweifel folgende
anzusehen sein:
1. Ein Iiehrer mnss .inneren Beruf" für sein Amt fühlen; er
soll mit ausgesprochener Neigung Pädagoge werden.
2. Er mnss in den Vorbereitongsanstalten für seinen Beruf zweck-
gemaß und würdig vorbereitet werden.
8. Tritt er in seinen Beruf ein, so soll er materiell so gestellt
werden, dass er von seinem Einkoramen bei bescheidenen, seiner Stellung
angemessenen Anspiüchen sorgenfrei leben kann.
4. Er muss bei der Gründung seiner „Häuslichkeit-' Vernunft und
Herzensneigung walten lassen, damit das Familienleben nicht einen
störenden, sondern erfrischenden, fördernden Einfluss auf seine amtliche
Thätigkeit ausübe!
n. At last, not at least — bedarf er in seinem schweren Amte
auch der wol wollenden Unterstützung seitens seiner „Vorgesetzten",
d. Ii. der Männer, die staatlich verpflichtet sind, seine Thätigkeit zu
überwachen und zu fordern!
Wenn wir zunächst diese fünf Punkte als die wesentlichsten iie-
dingungen, unter denen eine ..amtliche Freudigkeit" möglich ist. an-
erkennen, so ist es klar, dass die Berufsfreudigkeit nur zum Tlieil in
der Hand der Lehrer lieert. dass dieselbe dagegen auch vielfach von
aullen her gegeben oder gentmimen. erhöht oder verndudert werden
kann. Eltern, Lehrer, uanieutlich aber niedere, hohe und h«»(liste
Vorgesetzte haben, je nachdem sie wol- oder übelwollend vertahreu,
einen großen Kiutluss auf ..Lust oder Unlust - des Jjehrerstandes.
Wie die Neigung überhaupt bei der Wahl des Berufes für den
.lüncrling entscheidend sein soll, so ist sie im besonderen von htichster
Wichtigkeit bei der Kutscheidunu^ tur den pädagogischen Beruf. Wer
ohne innere Neigung, wol gar mit Abneiguug, etwa durch die Lebens-
verhältnisse genöthigt oder um des ..Brotes" willen den Lehrstand
wählt, kann ja wol bei tüchtiger Vorbereituuu: und gewissenhaftem
Ernste seine Pflichten mit einigem Erfolg ertiillen, wird aber kaum
je mit Toller Betiiediguug und Freudigkeit, also auch nicht mit
besonderem Segen wirken. Es kann daher nur wünschenswert sein,
dass sowol alle, welche keinen inneren Beruf fttr das Lehramt ftthlen,
demselben fem bleiben, als auch dass diejenigen, welche die Herzens-
neigung dazu treibt, sich nicht durch änfiere Umstände verleiten
lassen, einen anderen Beru£azweig zu wählen, sondern sich dem ihnen
von Gott gewissermaßen zugewiesenen Beruf mit ganzem Interesse in
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— 147 —
die Arme werfen, unbekümmert danun, welches materielle Los ihrer
warte. — Diese Forderung klingt ja höchst ein£Kh nnd selbstverständ-
lich, — und doch dfiiite die Dorchffihrung derselben nicht so gans
leicht nnd einftch sein. Irren ist menschlich; gar zu leicht aber
ULoschen sich junge Leute Aber ihre Anlagen nnd Flihigkeiten; die
äußeren Verhältnisse der fiemf^arten, unter denen ihnen die Wahl
freisteht, üben auf die unerfahrenen, den sinnlichen Eindrücken noch
sehr zugänglichen G^flther naturgemäl! einen großen Einfluss: Zu-
reden guter Freunde und Bekannten, die kein psyi liolngisches Ver-
ständnis haben, wirken oft genug verderblicli auf die Entschließung
junger Leute. Selbst die eigenen Eltern führen nicht selten, meist in
der besten Meinung, ihre Kinder auf einen falschen Weg. — Wer es
an sicli selbst erfahren, welcli ein Lebensunglück es ist, in einen
falschen Beruf zu gerathen, der darf wol ein Wort darüber sprechen,
— ein warnendes Wort!
Es ist sicher, dass in vielen Fällen weder der Jüngling selbst,
noch dessen Filtern oder Angehrtrige Einsicht genug haben, die richtige
Berufswahl /u t reifen; aber auch ebenso sicher ist es. dass ans der-
artigen Mi>sgritten viel Unheil, rnzufriedenheit und Unsegen erwächst.
Hier ist zum TheiJ die (Quelle so manches verfehlten Lebens zu suchen.
Hier t^Witinet sich, meine ich, für die Sdnilen ein wahrhaft sefrens-
reiches Feld der 'l'h;iti<rkeit. Wenn die Lehrer, besonders aber die in
den ersten ('lassen untt-nichtenden Dirigenten der Scliule f^s sich zum
«Trundsatze machen würden, bei passender (lelegenheit wiederholentlich
ernst und eindringlich ül)er die l>evi>rstehende Berufswahl zu sprechen,
ihren Schülern )»esonders ans Herz zu legen, dass keine aiidei en Gniiide.
als nur die eiyrene Neitrung und Beanlagung bei der ^^'ahl de- Be-
rufs mal^jjeliend sein müsse u. s. w., ja. dann künnte so maiicliem nnlieil-
vollen >[iss}.n-itf vorgebeugt, so manclies Lebensunglück vermieden werden!
Dass dies nicht in dem wünschenswerten Umfange geschieht, das mag
zum Theil auch an der (Tewi.ssenhaftigkeit mancher Lehrer liegen; sie
halten es tür unrecht, auf Kosten der vorgescliriel)enen Pensen der-
gleichen Gespräche zu tühren. Und doch — welcher Segen kann für
diesen oder jenen der Scliüler aus 's(»lclien Belehrungen türs ganze
Leben erwachsen, während ein kleiner Zuwaclis an Kenntnissen dem
gegenüber wahrhaft unwesentlich erscheint! Andere wieder halten
überhaupt von allgemeinen moralischen Belehrungen nichts, weil sie
ja doch keinen Eindruck auf die jugendlichen Gemüther machen, also
nur auf Zeitrerschwendung hinauslaufen. Ja — wer sich so wenig
für das znkttnfdge Wol der ihm anvertraiten Jugend erwärmen
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kann, dass er mit seinen Worten keinen Eindruck zu inaclien glaubt,
der liefert eigentlich auch schon den Beweis, dass er seinen Beruf ver-
fehlt hat Ohne Zweifel thut den Zöglingen vor ihrer Ent-
lassung aus der Schule eine möglichst eingehende Aufklärung
über die bei der Wahl des Berufes inaligebenden Grnndsätze
noth. Gelegenheit dazu wird sich bei Behandlung der verschiedenen
Unterrichtsfächer, namentlich aber bei Schulfestlichkeiten, Entlas-
sungen etc. oft und ungezwungen finden. Man wolle sie nur benutzen!
Es folgt die Besprechung des zweiten Punktes, der zweiten Be-
dingunir. die überaus wichtig, ja unerlässlich fiir die spätere Berufs-
freudigkeit erscheint; das ist die würdige und zweckmäßige Vorbe-
reitung tür den Lehrberuf. Sprechen wir zuerst von der Vorhildimg
der später an liölieren Lehranstalten wirkenden T^ehrer. Die eigent-
lirlic Stätte ihrer Vorbildung ist also die ..Universität". Schon vor
Jahren habe ich in einem Artikel dieser Zeitschrift „Ein ortenes Wort"
aut die Unzweckmäßigkeit der akademischen Einriclitungen. auf die
Verderbliclikeit und den Missbrauch der sogenannten .akaderai.sohen
Freiheit"" hingewiesen; mag das hie und da Anstoli erregt liaben. oder
mag man mit vornehmer (Teringschätzung darüber hinweggegangen sein
— ich kann nicht lielfen, noch einmal muss ich meiner Überzeugung Aus-
druck geben, wobei ich schlecliterdings nur das Heil der studirenden
Jugend, nicht aber die Fehde gegen die Träger der heute noch auf
den Universitäten herrschenden Riehl ung im Auge habe! — —
Schon von den Gymnasien bringen die meisten jungen Leute, die
sich dem Schulfach widmen wollen, — denn wir sprechen hier nur
von diesen, — einen gewissen wissenschaftlichen Dünkel mit und eine
im ganzen unreife nnd verkehrte Lebensauffassung. Sie haben auf
dem Gymnasium Homer, Sophokles, Horaz etc. gelesen und haben aus
diesen Schriftstellem, deren Lectflie für die unreife Jugend, die noch
keine LehenserfUirung hat, entschieden gefilhrUch ist, neben vielem
Schönen und Guten eine fiüsche Lehensweisheit geschöpft. Nor zwei
Punkte seien aus dieser fidschen VorstellungsweiBe hervorgehoben:
einerseits halten sich diese jungen Studenten für etwas Bevorzugtes
anderon g^enflber, die nicht denselben Bildungsgang durchgemacht, und
andrerseits leben sie unter dem iirthttmlichen Eündruck, als ob der
Zweck des Lebens nur — gegenüber den gröberen sinnlichen Ge-
nüssen der niederen StAnde — ein verfeinerter geistiger Gennss wäre;
demgem&fi sind sie auch in dem fttr die später von ihnen sn erziehende
Jugend sehr gefährlichen Irrthum befangen, dass das von ihnen an-
gestrebte Amt nur dazu bestimmt sei, ihnen selbst Wolstaad, Genuas
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— 149 —
und Ehre zu bringen, wälirend sie noch keine Ahnung davon haben,
daas ihre znkünftif^e Thätigkeit im Schulamte der Jugend Nutzen und
Segen schaffen soll, dass es später die Hauptsache ist, in oneigen*
nütziger Thätigkeit Glück zu verbreiten und hierin seine ganae innere
Befriedigung zu suchen. Dieser Geist, den die jungen Leute aus dem
Gymnasium mitbnngen, findet nunmehr in dem akademischen Leben
und Treiben mannigfache Nahrung. Die wissenschaftlichen Studien
werden — wenn sie überhaupt in den ersten Semestern betrieben
werden — in einem vollständig über das Niveau und Bedürfnis der all-
gemeinen Bildung, die doch die Schule vermitteln soll, hinaus-
gehender Weise fortuesetzt. Jeder Studirende wählt sich zwei oder
drei Fächer, in die er sich möglichst vertieft, während er in analeren
ünterriclitsgegenständen selbst die Anforderungen der allgemeinen
Bildung vernachlässigt. Im übrigen aber wird nunmehr die aus dem
Horaz etc. gewonnene Theorie des Lehensgenusses in allen mi »glichen
Vanationen ins Praktische iU)eisctzt. Nun heillt es. Nunc est biben-
dum, nunc pede libem pulsanda tellns; — (»der. ..dulce est desipere
in loco" u. s. w. — Heide Kichtungen des akademischen Lebens sind
offenbar gleich fälsch und veiderblich. hie Vertiefung in die Fach-
studien hat zur Folge, dass die betreffenden Studirenden später außer
Stande sind, allgemein bildend auf ihre Zöglinge zu wirken; in
der Neigung, ihre erworbenen Kenntnisse an den Mann zu bringen,
gehen sie über die Grenze der zur allgemeinen Bildung gehörenden
Anforderungen zum Schaden ihrer Schüler entweder hinaus, oder sie
fühlen sich unbefriedigt, dass sie dies nicht dürfen, und unterrichten
nnr mit halbem oder völlig mangelndem Interesse. Beides ist gleich
schlimm fttr die zu eniehmde Jugend. — Durch nichts m recht-
fertigen ist aber das Kdrper und Geist verwttstende »Knetpenleben"
der jungen Männer, die dereinst die Trftger der Volksbildnng und der
Volkswolfabit sein sollen! Mag mit der Beobachtung des stadentischen
Gomment, mit den hnmoristischen „Bierorden** und Debattm immerhin
eine gewisse „Schulung des Geistes" verbunden s^, die geistige
Richtong kann dadurch wahrlich nicht in die rechten, heilsamen
Bahnen gelenkt, sondern nur abgelenkt werden von allem Guten und
Edeln. ~ Die geistige Frucht, die aus solchem Leben erw&chst, ist
einerseits »geistiger Hochmuth'*, andrerseits eine gewisse traurige
„Blasirtheit'' und Genusssucht, die oft genug die später zu flber-
nehmenden ernsten Berufiq^chten als eine unliebsame Last empfinden
läset In den schonen Jahren, in denen die noch nicht zu voller Kraft
und Harmonie entwickelten Körper- und Seelenkräfte noch der sorg-
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— löO —
saiii.^teu i*llege und Ausbildung- Itedürlen, werdt^u diese von (jott dem
Menschen zu seiner Beglückung verliehenen Kräfte zum großen Theil
in einer wahiluift frevelhaften Weise geschwächt und vergeudet. Wie
aber ist diesem alt eingebürgerten Treiben Einhalt zu thun oder vor-
zubeugen? I Kirch Verbot oder äußeren Zwang uieine ich niclit. Nein —
vielmehr ist die heilende Wurzel in die (rymnasien zu verlegen. L>iese
sollten es sich zur Aufgal>e uiaclieii, die zur Universität abgehenden
Jünglinge so vorzubereiten, dass sie nicht nur einen klaren Einblick
in die Getähien des heutigen Studenteulebens und in die allein richtige
und heilsame Verwertung der schönen Studienjahre zur Universität
mitbringen, sondern dass sie sogar mit Abscheu vor solch schalem,
frevelhaftem Treiben ei-füllt werden! Durch derartige enjste, wieder-
holte und nachdrückliche Belehrungen der Primaner würde wahrlich
mehr Heil verbreitet werden, als durch die geisty<d]8ten Erkliningeii
nrnteressanter" Stellen ans den Ghissikem u. s. w.! Durch solche
Episoden dürfte so manches Jünglings Lebensglück begründet oder
gerettet werden, während jene „gelehrten Kenntnisse** den SchOlem
nnr einen flüchtigen Gennss gewähren, ihren geistigen Dünkel ver-
mehren, im günstigsten Falle wol auch ein wenig zur Schärftmg des
Verstandes beitragen. Doch — ich will mich begnügen, noch einmal
auf diesen „ErebsschAden** des Universitätslebens in der HolBiang hin-
gewiesen SU haben, dadurch gewichtigeren Stimmen Anregnng gegeben
zu haben, sich gegen diesen alten verderblichen »Zopf zu erheben! —
Und wenn an die Stelle der gelehrten fachwissenschaftüchen Vorträge
Vorträge treten würden, welche den späteren Volksbildnern volles
Verständnis für ihren schönen Bemf, Lust nnd Liebe zu dem-
selben zu vermitteln geeignet wären, sollte das auf ihre zukünftige
Bernfsfrendigkeit und erfidgreiche Wirksamkeit nicht von bei weitem
günstigerem Einfluss sem?! — Ohne Zweifid. Becht eingehende, warm
gehaltene ethische, philosophische und pädagogische Vorlesongen dürften
zweckmäßig den Kern der akademiselien Stadien bilden. Vorlesungen
über Philnsophie, Logik, Psychologie, Ethik, Oesundheitslehre, Päda-
gogik, Unterrichts- und Erziehnngslehre, Geschichte der Erziehung
und des Unterrichts u. a. sollten in den Vordergrund treten und nicht
wie bisher als Nebensache bt^handelt werden. Dagegen könnten eine
Menge fadiwissenschaftlicher Vorlesungen fallen oder doch ohne Nachtheil
erheblich beschränkt werden; denn der Vortheil dieser Vorlesungen
ist doch nnr eine dürre Frucht, die kein lebensfähiges Samenkorn
enthält. Von großer Wichtigkeit aber wäre es, wenn das kaiserliche
Wort: ,.£iu jedei* Lebi-er soll turnen und täglich turnen" auch aut
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r
die Univeisitäteu Anwendung fäudel Wenn jede Universität einm
Turnplatz nehst Turnlialle hätte, wenn akademische Turnlehrer ange-
stellt wartMi. wenn täglich eine Stunde fiii die zukünftigen Schulmänner
angesetzt würde, in der sie ihre Kürjierkiäfte und somit auch ihr gei-
stiges Leben kräftigen konnten, statt in bursciiikosen Vergnügungen
Körper und Geist zu schwächen und zu zerrütten, oh. welch ein großer
Gewinn wäre das! — Nicht nur. dass die dadurch gewonnene leibliche
und geistige Kraft den einzelnen Studirenden und später deren Zög-
lingen zu gute kommt, nein, es hat dies auch eine praktisdie Seite.
Es würde dann jeder Lehrer dereinst belahigt sein, ohne weiteres
den Turu-Unterricht seiner (.'lasse zu übernehmen. Wir würden dann
allmählich dahin kommen, dass jede Schuldasse täglich eine Stunde
den Leibesübungen widmen könnte — und wer wollte leugnen, dass
dies überaus wünschenswert wäre?! —
So viel einstweilen über die Universitäten, als Vorbereitungs-
anstaltcn für das höhere Lehrfach. Auf die Vorbereitungsantalten fiir
das niedere Lehifach komme ich wol später noch einmal zurück; hier
an dieser Stelle habe ich nur zu bemerken, dass die Vortmitung in
den Lehrerseminaren offenbar insofern sich vortbeilhaft yon dem
UniversitStaleben abhebt, als die Jünglinge dort ihre Kdrper^ und
Geisteskräfte tftglich in tüchtiger Arbeit üben und stärken, und als
dort mehr für allgemeine Bildnng, namentlich für die pfidagogische und
turnerische Ansbfldnng geschieht.
Im allgemeine möchte ich als Schiusastein der Besprechung des
zweiten Punktes nur die Behauptung aufteilen, dass die Bemüsfireudig-
keit und somit die innere Befiriedigoog in Erfüllung der Beru&pfliehten
außerordentlich abhftngig ist yon der Art und Weise der Vorbereitung
auf den Beruft gleichviel ob die im Obigen angedeuteten Änderungs-
▼orschläge für zweckmäßig erachtet werden, oder ob andere, und yiel-
leicht bessere in Vorschlag gebracht werden sollten.
Als dritte Bedingung stellten wir eine sorgenfMe Lebenslage der
Lehrer hin. — Dass eine auskömmliche, sorgenfreie Existenz zur Be-
lebung und Erhaltung der Arbeitslust und Bemfisfreudigkeit im all-
gemeinen viel beiträgt, ganz besonders aber dem Lehntande noth-
wendig ist, weil eben eine mit Nahrungssorgen verknüpfte Stellung
allmählich müde und verdrossen, ja endlich „unfähig" zur Arbeit
macht, das ist ja so selbstverständlich, dass es keiner weiteren Erörterung
bedarf. Es fragt sich nun, wo der Gi-und der traurigen Thatsache
zu suchen ist, dass eine Menge yon Lehrern an höheren und niederen
Schulen der wünschenswerten Sorgenfreiheit entbehren und mehr oder
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weniger daraiit aii<(e\s ieseii sind, sich nocli neben ihrem Amte Kin-
nalimen zu verschalten. — Nun — die Antwort ist höchst einfach:
Theils sind die Gehälter der Lelirer in der That zu knapi» bemessen,
so dass die Einnahmen auch bei den bescheidensten Ansprüchen nicht
zur Unterhaltung einer Familie ausieicheu, tlieils aber sind es auch
die zu hoch gescliraubten Ansprüche an den sogenannten „Lebens-
genuss", welche selbst ein bei vernünftijren Anspiüchen auskömmliches
Gehalt als nicht hinreichend erscheinen lassen. Solch abnorme Fälle,
wo die Schuld an lasterhaften (Tewohuiieiten oder an einer absolut
unglücklichen Wahl der Lebensgefahrtin liegt, wollen wir nicht weiter
berühren. Die erste Voraussetzung trilft leider noch auf einen großen
Theil der Volksschullehrer, besonders in den Städten, zu, deren Ge-
hälter schlechterdings nicht so hoch bemessen sind, dass sie „ohne
Nebeneinnahmen** ihre Familien „antAäskdig^ eraihren köimeiL Die
zweite Veraiueetsung passt auf eine Menge der Lehrer an höheren
Lehranstalten t deren Gehalt ja an und fOr aicfa recht anskOmmlich
sein könnte, wenn es eben die heutige Zeit nicht mit sich brächte,
dass höhere Ansprüche an den „Lebensgenoss" gestellt werden, als
nothwendig, ja heilsam sind. Die geselligen ümgangsformen, denen
man sich nur auf die Gefhhr hin, als Sonderling zn erscheinen, ent-
ziehen kann, erfordern heutzutage einen Aufwand von Zeit und Hittebif
der in keinem Verhältnisse zn dem geistigen Gewinn steht, den man
davonträgt, wenn Oberhaupt von einem Gewinn dabei die Bede sein
kann und nicht vielmehr von einem geistigen „Verlust". Denn geist-
und gemfithanregend pflegen die heutigen geselligen ZusammenkOnfte
nicht zu sein; zum höchsten gewähren sie den Betheiligten durch den
sie belebenden humorvollen Witz eine angenehme Zerstreuung, die aber
von höchst zweifelhaftem moralischen Werte ist 'in erster Linie
miisste demnach als wänschenswert bezeichnet werden, dass die Volks-
schullehrer so gestellt wttrden, dass sie bei vernünftiger Lebensweise
nicht nöthig hätten, sich Nebeneinnabmen zu schaffen, sondern von
ihrem Einkommen sich mit ihrer Familie anständig zn unterhalten im
Stande wären. Die lediglich auf den Krwerb zielenden Nebenbeschäf-
tigungen nehmen einen großen Theil der Kraft und des Interesses in
Anspruch, der voll und ganz dem Berufe gewidmet sein sollte; sie
beeinträchtigen demnach die ,. Berufsfreudigkeit'' des Lehra» zum
Schaden seiner Zöglinge erheblich; es leidet die Jugend, wenn der
Lehrer nicht auskömmlich gestellt ist. In dankenswerter Weise ist ja
nun auch an maßgebender Stelle eine entsprechende Aufbesserung der
Lehrer-Gehälter ins Auge gefasst worden. Möchte die Mafiregel keine
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halbe bleiben! — Um aber mit dem Gehalte auskommen zu können,
dazu bedarf es einer verständigen Einrichtung, und diese hängt oft
mehr von der Frau als vom Manne ab. Auf eine gliickliche Wahl
der Lebensgetaliitin wiid also viel ankommen. Die Frau des Lehrers
wird nicht nur i)raktisch und tüchtig, sondern autli an Geist und Ge-
müth so weit fft^l>ildel sein müssen, dass sie ein klares Verständnis und
ein warmes Interesse für die Bestrebungen ihres Mannes hat, dass sie
ihm nicht als hemmende Last das Leben erschwert und vei bittert, sondern
dass sie ihm in seinem schweren Beruf tröstend, erlieiternd und tördernd
zur Seite steht. Vorsicht bei der Wahl der Leben>gefälirtin ist dalier nicht
nur in seinem eigenen, sondern auch besonders im Interesse der Jugend
des Lehrers ,.heilige Pflicht". „Drum prüfe, wer sich ewig bindet!"
Indes, was hilft es, wenn alle Jene Bedingungen erfüllt sind, wenn
jemand aus wahrer Neigung Pädagoge geworden, wenn er tüchtig
vorbereitet, mit Lust und Liebe in seinen Beruf eintritt, wenn seine
materiellen und häuslichen Verhältnisse befriedigende, ja beglückende
sind, was hilft ihm dies alles, wenn er durch die Maßnahmen und
Vorschriflen der vorgesetzten Behörden in seiner freien Thätigkeit
gehenunt und in Balmin gezwängt wird, die seiner individoeUen Bieh-
tnng nicht entsprechen? — Sehr wol ftUile ich, dass ich hier einen
heiklen Punkt berflhre, dessen offene Besprechung hie nnd da An-
8to6 erregen, wol auch gar zu Missdeatnngen Anlass geben konnte;
indes darf mich dieses GeflUd im Hinblick aof das Interesse von Tan-
sendea meiner Collegen nicht abhalten, ans meiner £ifUurang heraus
mafiToU der Wahrheit die Ehre m geben.
Zunächst wird niemand die Wahrheit der Behaaptong bestreiten
können, dass es Pflicht nnd Anl^be der SchnlbehOrden, sowol der
Patronats- als der AnfiuehtsbehOrden ist, die Thätigkeit der einzelnen
Scholen nnd ihrer Lehrer za nnterstfltzen nnd zn „fordern**. Diese
FOrderong kann aber nnr anf dem Wege „wolwollenden" Entgegen-
koDunens erreicht werden! MOgen die voigesetztea Behörden mit
Festigkeit thOriehte Einrichtongen beseitigen, mOgen sie Verirmngen
nnd Pflichtverletzungen mit Emst entgegentreten; aber sie sollen nicht
nur die Herren spielen, nnr von oben herab ohne Bttcksicht anf die
Ansicht und Eigenthfimlichkeit der Lehrer herrschen nnd „befehlen"
wollen. Was wird denn dadurch gewonnen? Nnr Lehrer, die eine
sdavische Gesinnung und kein eigenes Streben haben, können durch
solch rücksichtslose Behandlung allenfoUs äußerlich in der yon der
Behörde yorgeschriebenen schablonenhaften Thätigkeit erhalten werden,
— besser aber werden sie dadurch nicht I — Edlere Charaktere
FadifogfiaD, U. Jaluv. Heft lU. 12
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— 164 —
aber. Männer, die eigenes Wollen und eigenes Streben l)eseelt, werden
durch solche Behandlung zunächst bedrückt, in ihrer freudigen Thätig-
keit gehemmt und verlieren schließlich vollständig den Muth und die
Lust zu der ihnen sonst so lieb sfewesenen Arbeit! — Das kann nicht
gut, das kann nicht heilsam sein! Doch woi-an liegt es, dass der-
gleichen traurige Missverhältnisse in neuerer Zeit ganz besonders im
Volksschulwesen so weit verbreitet sind?! — Der Grund kann nur
darin liegen, dass die Männer, die zur Schulaufsicht berufen werden,
aus Schulen hervorgegangen sind, deren Thätigkeit es mehr auf die
■wissenschaftliche, als auf die moralische Bildung absielit, und —
das sind unsere ..höheren Schulen", in denen heute die gemüthliche
Seite der Bildung immer weniger und weniger angeschlagen wird.
Alle Achtung vor den wissenschaftlichen Leistungen unserer Gymnasien!
Aber — mögen sie nur zusehen, dass ihre Zöglinge „des Wissens
Schatz nicht mit dem Herzen zahlen!" — Wieviel Unheil haben doch
«sbon auf Erden sogenannte „dassische" W<»rte angerichtet, die jon
der Jagend als Ausq^rftche grofier Geister mit Begeistening als die
grüfite Lebensweisheit anilsefosst werden, wfthrend sie hei lacht be-
sehen nicht den geringsten moralischen Wert haben. Beis^elsweise
will ich nur das Gfoethe^sche Wort aofBhren, welches jener grofie
Meister vielleicht einmal bei Gelegenheit in WeinseUgkeit hingeworfen!
^Nnr die Lumpe sind bescheiden!'' Welch eine Summe von BOcksichts-
losigkeiten, Unbescheidenheit, ja Frechheit mag wol in der Neuzeit
ohne dass wir es ahnen, die Folge dieses Ausspruches sein! Fflr über-
aus unheilvoll darf man femer mit Recht den Ausspruch des Horas
halten , der ja eine grofie Macht Aber die jugendlichen Gemttther er-
rungen und mit Vorliebe cithrt wird: „Odi profanum vulgus et aiceo.**
Man stellt wol keine zu kOhne Behauptung auf, wenn man der Wir«
kung dieses missverstandenen Wortes auf die Sdiu^jngend zum grofien
Theil jenen heute grassirenden »geistigen Aristokratismns* zuschreibt,
der gmdezu mit den christlichen Lehrern allgemeiner Menschenliebe
in Widerspruch steht! — Mit welchem Recht darf sich dn Mensch,
dem Gott die Gnade erwiesen hat^ einen Vater zu haben, der ihn das
Gymnasium durchmachen Heß, wo er Griechisch und Latehnsch lernte,
über einen andern Aberheben, dem es nicht so gut im Leben ge-
worden, der sich aber vielleicht durch eigene Kraft und eigenes
Verdienst zu ehrenvoller Stellung emporgeinngen?! Mit welchem Kecht
darf einer, der Griechisch und Lateinisch weiß, sich für besser halten
oder verächtlich auf andere herabsehen, die jene Sprachen zwar nicht
gelernt haben, aber vielleicht viel natzlichere Dinge?! Und wo liegt
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die Berechtigung ittr einen Mensehen, sich ffir allein weise, ja f&r
„unfehlbar'* zu halten und von allen ihm «Unterstellten* yerlangen
am dfirfen, dass sie unbedingt and nrtheilslos seiner Vorschrift feigen
sollen?! Wie darf ein Mensch andere selbstdenkende Menschen «iin-
mfindig'' machen?! In neuerer Zeit ist ja ntm fOr das VoDcBschnlwesen
▼iel gethan worden. So ist namentlich das Anfeichtspersonal bedeutend
▼ermehrt worden, indem nicht nur das Amt der Ereisschulinspectoren
vollständig abgezweigt ist von anderen Ämtern, sondern auch die Zahl
derselben fast um das Doppelte vermehrt worden ist. Zum grofien
Theil sind aber diese Herren dem jüngeren Lebrerkreise der höheren
Schulen entnommen; es sind demnach Männer, welchen der Wirkungs-
kreis, in den sie nun aufsichtführend, also „anoi*dnend und fördernd''
eintreten sollen, bisher ganz fremd gewesen ist! Es fragt sich
doch sehr, olt Männer, die vordem nur wissenscliaftlichen Unterricht
in einzelnen Fächern ertheilt, sich auch so bald in das umfangi'eiche
Material des Volkssfluilwesens hineinarbeiten werden, dass sie sich
darin völlig zu Hause fühlen, zumal den meisten von ihnen diese neue
Beschäftigung im Gegensatz zu der früheren wenig symiiathisch sein
dürfte! Indes — das ginge noch; bei der nöthigen Intelligenz und
Kneigie — denn nur Männer von solchen Eigensrhaften werden ja
gewählt — werden sit'li die meisten wol über kurz oder lanrr lünein-
tinden. Doch ein andei-er (Tcsichtspunkt ist es, der hierbei weit be-
tlenklicher erscheint. Es bringen nämlich diese Ht rren, was ihnen ja
nicht zum Voi-Avurf gemacht werden kann . jenen oben erwähnten
aristokratischen Geist mit in ihr neues Amt, jene Auffassung, als ob sie
etwas Besseres, etwas Nobleres wären, als die Männei-, mit denen sie
nunmehr in amtlichen Verkehr zu treten haben. Was sie aber nicht
mitbringen, das ist Wol wollen und Herz tür die nunmehr ihrer Auf-
sicht anvertrauten Seelen, Jiingf^ und alte! — So ist es denn natur-
gemäß und nicht zu verwundern, dass die aus solchen dem Volksschul-
wesen femstehenden Kreisen gewählten Kreisschulinspectoren ihren
vorläuhgen Mangel an Fachkenntnis unter einer gewissen „Zugeknöpft-
heit*^ und Schnddigkeit zu verbergen genütliigt sind; denn ^.imponii-en'*
sollen und müssen sie doch ihren Lehrern. Ob sie aber dadurch dem
vernünftigen Theil der Lehrerwelt in Wahrheit imponiren?? — Mit
dem Orundsats: „Oderint» dum metuant" dfirfto man doch heute nicht
weit kommen, zumal im Schulwesen, wo der Geist der Liebe herrschen
soUI Ein Bdspiel fürs allgemeine: Ein jüngerer Lehrer konunt vom
Seminar und tritt mit freudigem Eifer seine erste Lehrerstelle an. Er
arbeitet mit jugendlicher Frische imd vollem Herzen; in freudiger
12*
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Erwai tung sieht er der ersten Schulrevision entgegen in dem Bewusst-
sein, nacli besten Kräften im Interesse der Jugend gearbeitet zu haben.
— Der Tag erscheint und mit ihm der Revisor, ein junger, stattlicher
Herr. Nach kurzer Begrüßung eilt der Kevisor in das Classenzimmer
und nimmt in vornehmem Schweigen verliarrend sehr eingehend die
ßevisioii jib. Nach Beendigung derselben hält er strenge Kritik ab,
tadelt dieses und jenes, verlangt liie und da eine Änderung und em-
pfiehlt sich, die Erwartung aussjuechend. bei der iiiiclisten Revision
bessere Resultate zu finden. — - Knt tauscht und verstimmt Ulsst er
den Lehrer zurück. Wie ganz anders hatte sich dieser <lie Revision
gedacht! Er hatte gehufl't, in dem Revisor einen wolwoUenden, freundlichen
Herrn zu hnden, der auch einige Worte maßvoller Anerkennung liaben
werde für das, was er (iutes geleistet, der ihn da, wo er gefehlt, mit
freundlichem (Teist zurechthelfen . ihm guten Üatii und praktisclie
Fingerzeige an die Hand geben werde. Auch hatte er vielleicht im
stiileu gehuöt, dass der Herr sich auch ein wenig theiliiehmend um
seine persönlichen Verhältnisse küiiimeiu weide. Und nun? — Das
vornehijic, zugeknöpfte Wesen des Revisors hat iliu verletzt; die
Wahiiifchiuung, dass unbegründeter Tadel ausgesprochen worden ist,
dass Dinge bemängelt worden sind, welche er im Seminar gerade als
gut und praktisch bat preisen kören, nimmt ihm das Vertrauen
zu seinem Vorgpesetzten oder anch, was noch schlimmer ist, zu sich
flell»t. Kurz — statt sich durch die Beyision — wie es ja sein sollte —
angeregt and zu neuer Arbeit erfrischt zu f&blen, föhlt er sich ge-
druckt und ndssmuthig. Der erste Tropfen „Wermuth" ist in sein amt-
liches Leben gefoll^. Fallen der Tropfen mehr, so ist's wol bald um
seine Schöna» ihm Ton Gott gegebene Freudigkeit geschehen; dann
wird aus dem freudig arbeitenden und strebsamen Lehrer ein „miss-
vergnügter", seine Pflicht nur mit Widerwillen erfüllender Lehrer. —
Von lüteren, pflichttreuen Lehrern, zumal solchen, die studirt haben
und etwa zur Leitung von Töchterschulen berufen sind, die aber
einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt sind, — da ja nach neueren
gesetzlichen Bestimmungen auch die höheren Mädchenschulen der
jährlichen Revision durch die Ereisschulinqiectoren unterliegen, —
will ich gar nicht reden! Wehe, wehe, wenn ein Lehrer erst
unterrichtet mit der „geballten Faust" in der Tasche! Warum, wes-
halb? — Könnte es wirklich nicht anders sein?! Gewiss — es
könnte! ^ Sollte wirklich eine derartige Yermdurung der Schul-
auMchtsbehörden und eine ähnliche Art und Weise der AuMchts-
führung, wie die erwähnte, nothwendig sein? 0, das wäre ein trauriges
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Zeichen der Zeit und eben kein ( onipliuient für den Lelirerstand. Männer,
die dereinst lieriiten sind, die -lugend zu erziehen und derselben in ihrer
ganzen Lebensfiilirunfr als Muster zu gelten, sollten und dürften nicht
wie ^Unmündige- beliandelt werden, denen beständig auf die Finger
gesehen werden niuss. Ist das bei dem einen oder andern wiiklich
nöthig, so sollte er auch nicht „Lehrer" sein. s<j hat es an der rich-
tigen Erziehung oiler Vj)rbereitung gefehlt. (Vterum censeo: die
Vorbereitungsanstalten, die S^chulen, die Seminare und l'niversitäten
k'innten ohne Schaden in Avissenscliattlicher Hinsicht manche Forde-
rung fallen lassen, sollten aber mehr auf die allgemein menschliche,
moralische und Gemüthsbildung hinwirken! Wenn aus den Seminaren
junge Lehrer hervorgehen, die Verständnis für das lüziehungswesen,
Eifer, Lust, Liebe und wahre Freudigkeit für ihren Beruf mit-
bringen, die nicht zu knechtischer Gesinnung, sondern zu einer edlen
Selbstständigkeit erzogen sind, dann, — ja dann wäre das jetzige
— polizeiliche — Aufsichtssystem überflüssig, dann würde ein frischerer,
freierer, neuer Geist in die Lehrerwelt kommen^ und — der Staat
könnte viel Geld am Aafsichtspersonal ersparen!
Viel könnte noch gesagt werden über Dinge, Verhältnisse mid
Einrichtungen, die nameatlieh den Lettern von Commonal-Schnlen das
Leben zu erschweren, die amtliche Thätigkeit zn verleiden und die
sBemMreudigkeit** herabasnstimmen geeignet sind, wozn namentlich
der 80 überaus beschwei'liche Verkehr mit der Egl. Regienmg durch
das Landrathsamt, den Kreisschnlinspector nnd die stftdtische Schal-
deputation zQ rechnen sein würde; indes — es mag genug sein!
Zum Schlosse komme ich noch einmal anf das im Anfang G^esagte
zurück: Der Lehrer bedarf im Interesse der Jagend mehr als
jeder andere Stand der Bernfsfreadigkeit! Nur von diesem Ge-
sichtspunkt schrieb ich, was ich schrieb!
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Die Pidagogik der Kmst.
Von Oito Emat Schmidt- Hamburg.
I.
r
er von einer „Pädagogik'* der Kunst spricht, hat von vom-
herein ein starkes Ifisstranen gegen sich. Denn was kdnnte anders
beabsichtigt sein, als die Konst zur Schnlmeisterin za machen, zur
89jährigen Kathederjungfraa mit spitzer, brillentragender Nase, ge-
drehten Locken und weitfaltigeni Gewände, das jedes ungebundene
Spiel der Muskeln, jeden unkeuschen Formenrciz verhüllt! Wo wii"d
die goldene Freiheit und Selbstherrlichkeit der Kunst bleiben? Zur
nüchternen und strengen Pedantin wird sie werd^, die von
Amts wegen zu lehren hat, was in den Büchern der anerkannten
Religionen, der attestirten Wissenschaften und der gangbaren Moral
steht. Mir ist ein solches Misstrauen und Missverständnis niclit erspart
geblieben, nachdem ich einmal in meinen unter dem Titel ..Ottenes
Visir!" erschienenen „gesammelten Essays aus Literatur, Pädagoc:ik und
öffentlichem Leben" auf die eminent pädagfoofische Bedeutung der
Kunst hingewiesen hatte. Ein scharfsinniger und feinfühliger Kritiker
hat mir in der „Gegenwart"*) ausführlich den Bescheid gegeben, icli
wolle die Kunst so sehr mit rationalen und praktisclien Elementen
bereicliern, dass sie in ein Verhältnis strenger Dienstbarkeit zu
Wissenschaft und Moral trete und folglich ihre Sonderart aufgeben
müsse. Im folgenden werde ich eingehender meine Meinung ausein-
ander setzen, als ich in meinem Huche (Teleg^enheit dazu fand, und dann
hoft'entlicli wenigstens eine Wirkung erzielen, entweder die, dass die
leuchtende Fleckenlosigkeit meines asthetisdien Gewissens, oder die,
dass meine ungeheure Sündenblindhcit erkennbar wird, die in ihrer
Hai'tnäckigkeit noch heute nicht sieht, worin mein Verbrechen liegt.
Ganz kurz will ich sciion liier bemerken, dass ich mir die i)äda-
gogische Wirksamkeit der Kunst wahrhattig uicht auf die Schule und
•) Jahig. 1890, No. 33 und 34.
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das Kindesalter beschränkt denke, vielmehr die Kunst als Erzieherin
aller Menschen, in ei-ster Linie der erwachsenen und gereiften, be-
trachten will. Damit ist vielleiclit schon ein kleiner Theil von Miss-
vei^ständnissen beseitigt. Aber ganz besonders betonen will ich, dass
ich unter Erziehung niclit allein die Bildung des sittlichen Mensclien
verstehe. Die Auffassung des Erziehungsbegrifts in diesem beschränkten
Sinne ist leider ein Irrthum vieler Laien.*) Man denkt sicli dem ent-
sprechend auch, wenn man von einer pädagogischen Kunst liürt, sofort
etwa eine Literatur von elirbar seichten Gedichtchcu und Geschichtchen
mit raoralisirender Tendenz für artijre und ungezogene Kinder und
Erwachsene und empfindet davor natürlich ein sehr berechtigtes Grauen.
Zugegeben — was der ,.modernste Philosoph Friedrich Nietzsche
und seine Anliänger nicht zugeben würden und auch ich gewiss nicht
als ausgemacht betrachten will — zugegeben, dass es eine absolute
Moral gebe, deren Begiitl'e unveränderlich und unantastbar wären, und
zugegeben ferner, dass die sittliche Bildung des Menschen das letzte
und eigentliche Ziel seiner Erziehung wäre, so bleibt doch nner-
sihutteilich bestehen, dass die intellectuelle und die Gefühlsbildung
des Menschen die unerlässliche Voraussetzung seiner sittlichen Ver-
vollkommnung sind. Es ist richtig, dass Gefühls- und Verstandes-
bUdung niemals eine unbedingt zuverlässige Garantie fllr den sittlichen
Wert eines Menschen bieten. Geschichte und tägliches Leben bieten
Beispiele dafür, dass bei hoher Intelligenz, bei tiefer Beligiositftt und
bd feinem fistiistiBchen Empfinden nidit nur ehizelne unsittliche Hand-
Inngen, sondern dnrcbans unentwickelte, schwache, ja missgebildete
Charaktere möglich sind.
Das regelmaAige Erschrecken, das gleichsam rathlose Staunen
und Nicht&ssenkOnnen, mit dem wir Jene unharmonischen Naturen
betraditen, die intelligent, gef&hlroll und dennoch unsittlich sind, sollte
uns darüber belehren, dass wir die Functionen des Willens in eine
zu enge causale Verbindung mit dem Denken und Fflhlen gebracht
haben. Auch der Ehiwand, dass in jenen Naturen Verstand und
Gefühl nur nidit gründlich und harmonisch genug durchgebildet
seien, hilft nicht Uber alles hinaus; die EriUining entkriftet diesen
Einwand nicht selten. Goethe kann m dieser Hinsicht als „dassisches"
Beispiel gelten. Man wird ihm die höchste wissenschaftliche Durch-
bildung des Geistes und die allerhöchste Lebendigkeit und Beweg-
lichkeit des Gefühls nicht absprechen, ihm aber doch selbst nach
*) Leider audi Tieler ndagogen! D. B.
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Beinen begeistertsten Biographen keine sittliche Größe zusprechen können,
die einen Vergleich mit jenen Momenten aushielte. Das Wort Jung-
Stilling's, dass (ioeth^'s Herz so groli gewesen sei wie sein Verstand,
vermag selbst ein Lewes nicht überzeugend genug zu illustriren. Es
scheint, als ob der Wille zuweilen seinen eigenen Kopf hätte. Mir
allerdings scheint es nur so. Mein Name müsste nicht Mensch sein,
wenn nicht mein gesammter Seeleninhalt auf ein monistisclies Ziel
hindrängte und nicht auch für sich selbst nach einer einheitlichen
Grundlage suchte. Unsere „wissenschaftlichen Getülile", sagt J. H.
V. Kirchmann sehr treffend, „bestimmen unwillkürlicli das Denken, den
Monismus hölier als den Dualismus zu stellen, und dienen dem Grund-
satze zur Stütze, wonach man die Principit ii nicht ohne Noth ver-
mehren soll." Ich würde nun sehr gern auseinandersetzen, wie ich
mir eine Einheitlichkeit der Functionen des Denkens, Wollens und
Fuhlens denke und wie ich za der Ansicht komme, dass jede För-
derung des Menschen auch thatsächlich eine Förderung seines Willens,
d. h. seines sittUfshan Wertes bedeutet Aber einestheils wOrde mich
das zu weit führen, andemtheils bin kh gewiss, dass ich die hohe
pädagogische Bedeutung der Kunst auch schon auf Qnmd der nn-
▼erkennharen Wechselwirkung zwischen dem Willen ehierseits nnd
dem Denken nnd FOhlen andererseits Uftrlieh erweisen kann.
Sokrates war es bekanntlich, der da behauptete, dass die Tugend
ein Wissen sei, dass niemand freiwillig schlecht handle, niemand
schlecht handeln würde, wenn er sein Bestes kennte — nnd alle Re-
actionftre und DnnkehnAnner, die mit Hingebung nnd Liebe fOr ehie
möglichste Beschränkung des Volksschnlunterrichts wirken nnd der
Überoeogung leben, daas bei möglichst mangelhafter Kenntnis des
Alphabets die OflfentUehe Sittlichkeit und der private Yortheil besonders
Torsflglich gedeihen: alle diese Leute könnten wol einen Sokrates ver-
giften, aber nicht ihn widerlegen. Der Einwurf, dass es sich bei
Sokrates um ein Wissen der Vernunft, um sittliche Intelligenz handle,
verschlägt nichts. Denn den Inhalt der (praktischen) Vernunft «btläfen
doch wol sittliche Begriffe, und wer will Begriffe erfassen ohne den
Verstand? Sittliche Begriffe erkennt man nur mit ganzer Schärfe nnd
Deutlichkeit auf dem Wege der Selbstbeobachtung, fiberhaupt auf dem
Wege p^ychologisdien Denkens. Selbstbeobachtung wiederum erfordert
nicht nur die größte Schärfe, sondern auch die straffeste Energie der
Verstandesthätigkeit Ich habe gefunden, dass der Grad der Fähir>keit
und Neigung, sich selbst zu beobachten, als Gradmesser dienen kann für
den gesummten Wert eines Menschen. Nur bei vornehmen Naturen
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findet man diese Beschäftigang zur Gewohnheit aasgebildet, und
sicherlich sind die „oberflächlichen'' Naturen*), die an eine Möglichkeit
der Selbstbeobachtung überhaupt nicht denken, wenn auch nicht die
verbrecherischsten, so doch die gemeinsten. Aus fortgesetztei' Selbst-
beobachtung fließt nothwendig jenes sokratische Wissen vom wahren
Heil des Menschen, jene Intelligenz, die folgerirhtie: zur Tiifrend werden
muss, weil ein derartig Beobachtender einfach nicht im Zweifel
darüber sein kann, ob er vor einem Morde glücklicher sein werde all
nach demselben.
Es ist ni< ht mithi^r zu bemerken, dass die Kunst dem Studium
der Psyche eiu ungeheures Material, ja das ungeheuerste Material
bietet, mehr sogar als das kleine Selbst, das doch so unermesslich
reich ist an psychischen Präparaten, von den gewaltigsten liiuab bis
zu den mikroskopischen! Aber uüthig ist es, die, wenn ich so sagen
darf, Methode des künstlerischen Denkens in Schutz zu nehmen. Denn
ihr erstehen nft genug Feinde, die sie eine jrroße Gefahr für die
lügische Schulung des Geistes, eine haltlose Beschäftiguug nennen, die
den Verstand zerfahren und verworren mache. Ein trauriger Inthum!
Es versteht sich, dass der Geist seine elementare Schulung nur durch
die Wissenschaft erlangen kanu. Danach aber beansprucht die Knust
als formal bildende Kraft minde.stens einen Platz neben der Wissen-
schaft. Denn gibt diese unserem Denken eine feste Structur, so
verleiht ihn) jene die Beweglichkeit. Wenn man um Seile des Systems
schwimmt, ertrinkt man vielleicht nicht: aber ein Schwimmer ist doch
nur der, der mit einem „Hilf dir selbst" hinausplatschert ins un-
begrenzte Meer der Gedanken! Beweglichkeit ist i las große Geschenk,
das die Kunst dem Intellect spendet! Denn die Beweglichkeit der
Vorstellungen, ihr „freies, leichtes, freudiges'' Verbinden zu unge-
ahnten, ttberraschenden Abstractionen, wie sie die Wissenschaft nicht
errdeht, ist das Kriterium der Kanst."**) Diese Beweglichkeit steckt
an; der Knnstgenießende fühlt anch sdne VorsteUnngai in stftrkere
Bewegung veroetzt: er AUt sieh „angeregt", wie man sagt. Den
Pferden, velehe jahraus, jahrein über hartes Pflaster traben, werden
sehneil die Beine steif. So geht es dem Geiste, der sich nur anf dem
*) „Obecfliehlich" gemde aueh m dem Sfauie, daas sie die umgebende Welt
als Obafliehe betnuhten «ad deh eelbst mit naivem Egoismus sb innenten Ken
ietfen, su deeaen Betrachtung sie natttriich nicht durrbdringeu.
**) Wer Mich filr diese Frage interiN<irt, den darf ich viplleii.lit auf meini^ Be-
traehtnngen zur I'sycliologie der Dichtkunst im „Magazin tilr Literatur" vcrwciäeu
(Jahrg. 1890 und 91).
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Fahrdamm der Systeme bewegt Der kfinstlerische Gedanke will nicht
als absolute Wahrheit gelten; eben deswegen tritt er nicht mit harter
Unverletzliehkeit> mit dem beängstigenden Ansprach der Unerschtttt^r-
lichkeit an mis heran; er weicht^ wenn es sein miiss, dem Widerstand
unserer eigenen Gedanken, oder er schmiegt sich ihnen an. Bewegung
auf elastischem Buden sichert den Gliedern die Geschmeidigkeit. Be-
weglichkeit der Vorstellungen aber ist gleichbedeutend mit schöpferischer
Kraft. Und das ihr eine gewisse schöpferische Kraft innewohne, ist
Erfordernis flir jede Seele, die sich fortentwickeln soll, weil nicht aus-
wendig gelernte, sondeni nur lebendig in uns erwachsene Ideale der
Verwirklichung entgegend rängen. Man hat mit Recht beliauptet, dass
alle Genies, also alle Menschen, die eine im höchsten Grade selbst-
ständierc und fruchtbare Seelenthätigkeit entfalten, zugleich in gewissem
Sinne i^roße; Künstler seien. Mit reducirten Maßen jrilt das von
jedem bildungsfähigen Menschen. ..Vor jedem steht ein Hild dess,
was er werden soll"; der einzige Künstler aber, der dieses Bild in
ihm nachzuschatieii vermag, ist — er selbst.
Jeder Psychologe kennt endlich die Bedeutung der Phantasie für
die Bildung der Regritte. Der Kunstgenuss kräftigt die Phantasie,
das ist selbstverständlich; eine entwickelte EinbiUlungskraft aber wird
mit größerer Genauigkeit auch jene abstrahirende Thätigkeit der
Phantasie ausüben, welche die wesentliclien Merkmale eines Dinges
von seinen unwesentlichen sondert und damit die wichtigste Arbeit
beim Bilden der Begritte leistet. Scharf begrenzte Begrifle sind die
Hauptbedingung des logischen Denkens.
Es liegt auch für das bescheidenste Verständnis nahe, dass das
Gefühl in engerer Beziehung zum Willen steht als der Verstand. Bei
der Gebart anserer sittlich bedeutangsvollen Handlungen können für
den Aogeablick Verstand and Vemanft^ niemals aber kann das Gefühl
bei ihnen nnbetheiligt sein. Ja, auch jene yon Sokrates behanptete
Wirkung des Wissens auf anser sittliches Thon geschiebt nnr dorch
eine endftmonische Vermittelang, dnrch die Vennittelung des Glflcka^
geflUils, das die Erstrebung nnd den Genoss unseres „wahren Besten**
begleitet Zn leugnen, dass der Kunstgenuss die Lebhaftigkeit und
die Mannigfidtigkeit unserer Gefühle steigere, das fiült nun selbst
den üuiatischea Gegnern der ästhetischen Erziehung nicht ein; es ftllt
ihnen um so weniger ein, als sie glauben, gerade ans dieser Wirkung
des Kunstgenusses eine vorzQgliche Waffe gegen die ästhetische Er-
ziehung schmieden zu kOnnen. Dieselbe, behaupten sie, erreiche nichts
als Schwärmerei, Überspanntheit, Gefühlsduselei und Jene lächeiliche
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md erbinliche Eünbildung, die sich in arten nnd ältesten Gefühlen
genng zn thnii glanbe; nicht aber o^iele sie eine kemhafte sittliche
Tüchtigkeit. Dass unter Umständen solche Erfolge gezeitigt werden,
wissen wir alle. Aber es wäre schlimm, wenn sich der Einfluss der
Knnst auf eine sittlich irrelevante Belebung nnd Bereiclierun^ der
Geföhle beschränkte. Jedermann weiß, was man nnter dem „Ethos
des Künstlers" versteht. Ein Redarteur äußerte vor einiger Zeit im
Gespräch gegen mich: ..Ich will bei jeder Dichtung merken, dass ein
sittlich tüchtiger Mensch dahinter steht." Wenn ich einschränkend
hinzufügen darf: „falls sich Gelegenheit dazu bietet", so kann ich
mich jener Forderung anschließen. Nicht nur die Musik und die bil-
denden Künste, auch die Poesie, in der doch ethische Stoffe die her-
vorragenfiste Rolle spielen, hat eine Menge von Werken aufzuweisen,
bei denen die sittliche Persönlichkeit des Schüpfeis gar nicht, oder
doch nur sehr mittelbar, durch das Medium der künstlerischen Empfin-
dung allenfalls, mitwirkt und die also keinen Scliluss auf das Ethos
des Künstlers gestatten. Allerdings aber will ich bei keinem Kunst-
werk empfinden, dass ein sittlich schwacher oder gar gemeiner Mensch
dahinter steht! Diese Forderung hat iiw mich unbeschränkte Gültig-
keit.*! Icli will vor jedem Kunstwerk die Atmosphäre einer vor-
nehmen Natur atlimen. Alle Kunst ist adlig; wenn sie nicht adlig ist,
ist sie auch keine Kunst. Darum aber besteht auch der Segen
dei- Kunst, soweit er sich über unser Gefühl verbreitet, wahrhaftig
nicht allein darin, dass sie es mit höherer Kraft durchglüht und seine
Regungen nach tausend neuen Kiclituugen sich verzweigen lässt: er
besteht vor allem darin, dass die Kunst unser gesammtes Fühlen
veredelt und es unwiderstehlich zu jener Höhe erhebt, wo das reine,
unbedingte Gefallen am Schönen wohnt. Ein reines, unbedingtes Ge-
fallen am Schönen ist aber auch die Liebe, mit der wir das Gnte nm
seiner selbst willen verehren: so hat nicht nur Herbart gedacht, als
er dte sittlichen Oeftthle isthetische nannte, ao f&hlt nnd spricht anch
unser Herz. Die Eingewöhnung der Seele in das Glück des
SehOnen ist nnn der Hanptfactor aller Erziehung.
Das ist eine Erfohmngi die sich dem vomrtheilalosen Erzieher
schon sehr bald aufdrängt. Die oben erwähnte dnnkle Erscheinung
einer gewissen beängstigenden Selbstherrlichkeit des Willens, die ich
*t Obwol es Ubertlnssig erscheint, will ich doch (der größeren r>eutlichkeit
wt'^en) betonen, dass i<'h selbstverständlich nicht nach der „so l>eliebten" Kölnifich-
vaAer-Ästhetik einen Künstler deswegen fUr unüittlicb halte, weil er unsittliclie
Dinge danrteUt.
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dorchaiis ai^t diireh eine pmcipieUe Isolirung des Wollens vom
Denken und Fttblen begründen will, kann keinem Menschenbeobachter
verborgen bleiben, am allerweni^i^sten doiti Erzieher. Sobald er sie
aber bemerkt, erkennt er folgerichtig, dass die Stelle, von welcher
man den Willen am sichersten packen kann — der Wille ist Und
ebenso schnell wird es zu seiner festen Überzeugung, dass der nn-
vernünftige Wille des Kindes nur durch Handlungen snverlAssig
enltivirt wird. Durch fortgesetztes Handeln unter dem conse^uenten
vernünftigen Zwange des Erziehers lernt das Kind ans eigenster,
innerster Erfahrun«? die Schönheit des Guten kennen, während es sie
in Freuden genießt. Für das Kind ist schon jede Befolgung des
erzieherischen Gebots als solche eine gute That, deren innerer Lohn,
wie bei jeder anderen, sich nie versagt. Selbstverständlich findet mit
der Zeit eine allmähliche Entfesselung des kindlichen Willens statt;
aber auch, wenn der freundliche Zwang sich in ernste Führung ver-
wandelt hat, wird es immer den Erzieher dahin treiben müssen, dass
der Zögling durch Handlungen den Eindruck des Sittlirh-Srhöntn
in sich verstärke. Die Kiiigewohnung in das Glück des Schünen
ist die denkbar sicherste (Garantie für die (xewinnunjr eines
sittlichen Charakters; an dieser Walirheit kann auch die Annahme,
(iass das Gute nui' ein relativer und scbwankeuder Begrilf sei, nichts
ändern.
Hekanntlich wird aber nicht nur dem Kinde, sondern auch der
grüßten Zahl der Erwachsenen die heilsame Übung im Keclittliun
durch ein enges Leben beschränkt. Nicht jeder Mensch und am
wenigsten jedes Kind wird durch die Verhältnisse in einen Ki-eis des
Lebens gestellt, der zu einem vielseitigen Handeln herausfordert.
Damit aber auch der sittliche Horizont der Menschen kein enger
bleibe, muss also Tugend auch gelehrt, sie kann nicht allein geübt
werden. Und da die Lehre, welche vom Concreten ausgeht, die beste
ist, so ist die beste Sittenlehre das vorgelebte Beispiel. Allein auch
das Leben unserer Erzieher und Vorbilder omfasst bei weitem nicht
die gansse FQlle der sittlichen Erscheinungen. So tritt denn die große
Erzieherin in ihr Becht, die ein ungeheures, unermesslich reiches Bild
von mensehlichem Trachten und Begehren vor uns anfirollt: die Kunst!
Die Kunst ist ein Leben, weil das Blnt des Kttnstlers ihre Werice
durchpulst, weil ihre Gestalten der schöpferische Ruf durchklingt, der
das Leben bedeutet: Es werde Licht! Der unmittelbaren Wirkung des
Lebens so nahe wie möglich zu kommen, war ja des Kttnstlers greBes
Ziel! Wir leben gerade in einer Zeit des kflnstlerischen Strebens, die
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sich ereifert und erschöpft in der heißen Arbeit, jenes große Bild
dnreh seelisch wahre Gestalten zu bereichem, zn den feinsten Wurzeln
unserer Uandlungen hinabzusteigen und aus der dunkelsten Tiefe die
Wahrheit za holen. Und wenn das lebende Beispiel unserer Mit^
menschen immer den Vorzug behaupten wird, den das Sein vor dem
Schein hat, so haben die erhebenden oder abschreckenden Beispiele
der Kanst den Vorzug, tdass sie uns sittliche Phänomene mit ihrem
ganzen psychischen Boden darbieten, dass sie, statt die Motive der
That zu verbergen, wie wir es seltsamerweise oft mit unseren
„edelsten** Handlungen thun, mit heiliger Rücksichtslosigkeit die Decke
fortreißen vom Abgrund unseres Innern. Dadurch auch, dass die
Kunst den Pfeil des sittlichen Gedankens mit der Feder des Gefühls
bescliwinoft . drin^rt er tiefer in unser Wesen ein, als wenn etwa eine
nik'htern-instructive (leschicht« in moi-alisirender Absiclit ihn uns
vorträf,^t und voraussetzt, dass wir aus der trockenen Hülle den
sittUch-süßen Kern geläiiigst herausschälen.
IL
Naclidem ich die iiädafjof^ischen Wirkungen der Kunst — nicht
erschöpfend, aber andeutungsweise — erörtert habe, rufe ich alle Welt
zu Zeugen auf, ob ich der Kunst irgendwo ein Ungebürliches, ein
Nenes, Unerhörtes zugemuthet habe, ob ich irgendwo gesagt habe:
Das soll die Kunst wiAenl und nicht immer: Das wirkt sie und
das kann sie wirken? Will ich die Kunst ihrer Sonderart berauben ?
Will ich ihr rationale nnd praktische Elemente au&wingen, die ihr
nicht schon eignen? Will idi sie irgend dnem Factor des mensch-
lichen Caltnrlebeos dienstbar, will ich sie zum moralisirenden Bacolns
machen? Pas da tontl Bein zum Himmel erheb' ich die Hände. Nichts
will ich, als dass die erziehliehen Momente, welche die Ennst anf-
zuweisen hat, verwertet werden, weit mehr verwertet werden,
als es bisher geschehen ist, nnd dass man erkennt, wie alles an der
Kunst dne erziehliche Kraft in sich hegt Die Anmaßung, die Kunst
mit etwelche Elementen bereichern zu wollen, wftre die Iftcherlichste
von der Welt; die Kunst ist so reich, dass man ihr nichts mehr
schenken kann: alle Elemente der sinnlichen und flbersinnlichen Welt
bilden ihren unverlierbaren Grandbesitz. Und wenn ich auch der
Konst ihre Selbstherrlichkeit nehmen wollte, so würde ich doch so
frenndlich sein müssen, sie ihr zn lassen; denn die große Schnl-
meisterin, will sagen die kfinsUerischen Genies, durch die sie wirkt,
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wählen die Erziehungsmittel nach souveränem Belieben. In einer
guten Schule entscheidet bekanntlich der Lehrer, was und wie «gelernt
werden soll, nicht die Schüler. Dass man Kindern die ästhetische
Nahrung controlirt, werde ich wol nicht hervorzulieben brauchen:
aber als Erzieherin des Menschengeschlechts, als Ernährerin der
großen Menschheitsseele duldet die Kunst keine diätetisdie Beschrän-
kung. So vielseitig immer das Bedürfnis der Menschenseele ist, so
vielfältic- und wunderbar sind die Wege der Kunst. Wir durch-
schreiten diti riesigen Nebel- und Wolkengebilde eines jungen Scliiller
— wir k<»nnen sie durchschreiten, weil sie nicht körperlich sind —
aber während wir in Wolken stehen, fiihlen wir um unseie Brust
den freien Haucii der Berge; wir wandeln über die frost wetterklare
Ebene des alten Ibsen, der Wind schneidet scliarf ins Gesicht; aber
wenn wir länger rüstig daliin geschritten, wird uns wurm und winter-
lich-gesund ums Herz; wir schwingen uns unter dem heiteren Himmel
Gk)ethe's empor, und in unserm Auge spiegeln sich rosenumsäumte
CirruswölkcheD; wir sinken tief hinab zur Erde, um einen Zola'schen
Eisenbalmzag herankeiifilMn za sehen, und wftlureiid der EoUlendunst
nns in die Nase nUägtt donnert die stampfende, knirschende, eiserne,
nnerfoittliche G^egenwart Uber die Schienen dahin; ein derb-gemUth-
licher Friüs Benter zieht uns in die Mecklenburger Banemstnhe hinein,
wo die Behaglichkeit getrener Herzen in den Wolken eines ländlichen
Kanasters zittert, oder wir klettern in die Dachstube eines sogenannten
fin de siöcle-Menschen hinauf und empfinden bei einer russischen
Cigarette ein Capriccio Aber die tollen EinfiUle der äußersten Nenren-
spitzen. Bis ins Endlose konnten wir diese Anführungen fortsetzen;
alle Gebiete der Kunst könnten wir, wie hier das poetische, durch-
gehen, und was wurden wir ewig finden? Individuen, Individuen I
Nicht zwei Menschen, die den Namen »Künstler'' verdienten, haben
auf dieselbe Weise „Stimmung gemacht**, selbst nidit, wenn sie zu
derselben „Schule'* g«Bhörten. Und die Theorie Iftsst es schon bleiben,
irgend jemand fOr die Zukunft vorzuschreiben, welche faktischen
oder unpraktischen, rationalen oder irrationalen Elemente die Kunst
aufnehmen oder vermeiden müsse: das Blamiren vor den Genies ist
doch nachgerade zu beschämend häufig vorgekommen. Wer aber ist
einseitig und parteiisch genug, in jener unendlichen Vielheit die
Einheit zu verkennen? Wer empfindet, wenn das Waldweben der
Kunst ihn mit tausend Fäden und tausend Stimmen nmspinnt und
umklingt, wer empfindet nicht zugleich den alle Zweige durchrinnenden
Sonnenglanz der menschlichen Gottbegeisterung? Aus dem weiten AU
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kommen jene t ädeii und Klänge gezogen in ein frisches, jugend frohes
Siegfriedherz, und ins weite All streben sie wieder aus diesem Herzen
dahin. Die große Leere auszufüllen zwischen Erde und Himmel: das
ist die Aufgabe der Kunst. Wer will ermessen, was diese Weiten
erfüllt? Alles aber, was diesen Räumen angehört — weil es unser
Denken beflügelt, unseren Willen^ reizt und unser ganzes Wesen mit
dem Glänze eines heiligeren Fühlens übergießt — alles das ist er-
ziehlich ; alles das hilft uns zur Gottähnlichkeit, seien es die Himmels-
chore eines Klopstock oder sei es das Leben eines Zola schen Arbeits-
pferdes, das in den Steinkohlengruben des Voreux von sonnigen,
grünen Wiesen träumt.
In einem Artikel über „die Scheu vor der Teudenzdichtnng***)
habe ich darauf hingewiesen, dass der Künstler seinem Publicum
gegenüber eine höhere Culturpotenz bedeute, dass während des Schaf-
fens die Menschheit in seiner Brust wachse und in ihi*em ideellen
Besitzstande gefordert verde, und dass die Wirkung jedes Kunst*
Werks eine menschkeltlich-pädagogisclie sei. Noch frflher habe ich in
meineiii Bnche »QflfeiieB Yidrl" die Emist als den annlidieB Anadrack
des oenschHchen VoUeiidimgsdrangeB bezeiehnet und behauptet, dass
sie das „bessere Beale der Zukunft vondmend Torbüde." Das sollte
mir schlecht bekommen. Denn man legte mir das ans, als verlangte
ich von den Künstlern, dass sie das Telephon gefälligst 200 Jahre
im vorans erfinden, als nihme ich an, dass etwa die moderne Kunst
die heilige, gar nicht zu umgehende Verpflichtung habe, eine tadellos
constmirte Flugmaschine mit sSmmlichen Nieten und Schrauben zu
ahnen. Man machte mir bemerkbar, dass die Werke eines Shakespeare
(man hfttte noch wirksamer Beethoven oder Baphael heranziehen
können) doch nichts enthielten, was sich in einen realen Fortschritt
ummttnzen lasse, dass man den Dichter mit Becht auch einen „rftck-
wSrtsschauenden Firopheten** genannt habe und dass es doch anch die
pessimistische Kunst eines Byron, Müsset, Leopard! und Bichard Wagner
(?) gebe. — Mit dem „rückwirtsschauenden Propheten** wollen wir
beginnen. Gibt es solche Leute? Ist der Dichter wirklich ein
Prophet dieser Art? 0 gewiss, oft, sehr oft — meistens, wenn man
will! Natürlich handelt es sich nicht um eine Prophetie, wie sie
Wildenbrnch übt, der den siebenjährigen Krieg und den alten Fritz
prophezeit, selbst nicht um die feinere und glaubhaftere Art, wie sie
Schiller durch seine Johanna betreiben lässt. Worin besteht denn
•) „Magann fOf die lAteratni", Jahig. 189a
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— 168 —
aber die riickwärtsschaueDde Proplietie? Gerade nicht darin, dass
sie auf Kreig-nis^se hinweist, die jedermann kennt, sondern darin,
dass sie auf das mit dem Finger hinweist, was an und in den ?]reig-
iiissen nicht bemerkt wurde: das Htihere. das Geistige, das Nicht-
sinnliche, das Allgemeingültige, darin, dass sie das Geschehene sym-
bolisch beliandelt und uns unsere eigene Erfalirung deutet. Nicht
darin freilich bewälu t sich die Prophetenkratt eines Shakespeare, dass
er uns die (^esclüclite eines alten Vaters von drei Trichtern erziiiilt,
aber darin, dass er die Tragödie des Undanks mit Jahrhunderte durch-
leuchtender Walirheit in den Seelen sich abspielen lässt: nicht darin
allerdings bekundet sich die Proiihetenkraft eines Schubert, dass er
Lieder zu Lu.<t und Leid der Liel)e singt, aber darin, da.ss er uns
zwingend daran gemahnt, wie aus verges.><enen Winkeln des eigenen
Lebens, aus vergangenen Stunden vergangener Tage eigene und
dennoch nie gekannte Stimmungen uns Uberfließen; nicht diuin wahrlich
zeigt sich die Prophetenkraft eines Claude Lorrain, dass er uns mit
dem Pinsel bedeutet, es gebe auf der Welt Bäome, Wiesen und Bäche,
aber darin, dass er sie zu einem stimmung-überglänzten Ganzen eom-
ponirt und so snf unser Auge wirkt, dass unser Ohr bei schw^gender
Versonkenhdt den „Einklang der Natur Temimmt^. Mithin ist wd
die rAckwärtsBchauende Prophetie der Kunst nichts anderes als eine
Betrachtung des Endlichen im Lichte des Ewigen. Das Ewige aber
ist, wenigstens fttri alle optimistischen Gemttther, ein Ding der HoiF-
nung. Und wenn es ein Ding der Hoffiinng ist, so ist es ein Ding
der Zukunft. Aber dann unterscheidet sich ja das Sehergeschift des
Künstlers gar nicht von dem anderer Propheten! In der That, nein.
Man yeraeihe meinen Irrthum: es gibt doch keine rAckwArtsschauenden
Ftophetenl
Aber Pessimisten gibt es frdlich! Inwieweit eine pessimistischeKunst
Kunst und inwieweit sie pessimistisch ist, soll hier nicht untersucht
werden. Hinweisen will ich aber wenigstens auf den sehr beachtens-
werten, gewöhnlich aber nicht beachteten Unterschied zwischen
principiellen, pbilosophisch-consequenten Pessimisten und Oelegenheits-
pessimisten, wie wir alle es hin und wieder und wie vor allem sen-
sible Künstlernaturen es häufig sind. Der nach individueller Erlösung
vom Sein strebende Pessimismus Schopenhauers ist, wie ich das schon
früher*) dargethan habe, meines Erachtens überhaupt nicht mit der
*) In d«n EuMj ttber „Die moderne Litexatunpaltung and Zola" in meinem
Toierwlhnten Buche.
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Kunst und dem Kunstgennss vernnbar; etwas anderes scheint es mit
dem Pes^ismns Hartmann's zu sein. Er erhofft nnd erstrebt einen
nnivei*selien Über^anp- ziim Nichtsein imd nimmt eine bis dahin gehende
and dahin zielende Fortentwickelang an. (Beüänfig eine Meinung, die
einen starken pessimistischen — Optimismus Toraossetzt.) Und die
Wahrheit des Schönen besteht für diesen Pessimismus in der ..Über-
einstimmung" des Bewusstseins-Inhalts mit dem idealen Wesen und
(Tniade der Welt" Cvuljro dem Göttlichen) und ist eine Wahrheit, ,,die
nicht demonstrirt, sondern nur von dem empfänglichen Sinne implicite
erfasst und gefühlsmäßig oder ahnunj^svoll ergritten ^ wird. iDr. A.
Drews, ..Ed. v. Hartmann's Philosophie etc/ i Klar ist danach jeden-
falls, dass auch hier die Kunst einen eminent päda«;ügisci»«-n Wert
hat, dass sie mit erzieht zu jener univeisellen Sehnsucht nach dem
Nichtsein, zur Erlösun»: aus der (lualvollen Welt des . dummen"
Willens. Ob nun das pessimistische Entwickelungsziel erstrebenswert
ist — das ist eine Frage, die uns hier nicht angeht. Ich für mich
bin der Überzeugung, dass, wenn wir die von Hartmann angenom-
mene Reife für das Nichtsein erlangt haben, wir uns eines Bessern
besinnen und für das Weitersein entscheiden , weil das Sein auf jenem
StHndpiinkle sehr köstlich sein nuiss. das Niclitsein aber aus denselben
(■iriinden, aus deuen es nicht sauer sein kann, auch niciit süß ist.
Man wird nun ja wol nicht leugnen wollen, dass die Werke Byrons
und Wagners, und wenn sie zehnmal pessimistisch wären, uns nicht
nur momentan i)egeisteiii und entzücken, sondern auch unserem seeli-
schen Fonds die köstlichsten Momente zu dauerndem Besitz hinzu-
fugen uiul also in ihren und unseren Ideen und Stimmungen das
bessere Reale dei* Zukunft vorahnend vorbilden. Ich werde ja wol
nicht wiederholt zu betheuern brauchen, dass ich unter dem beaseron
Realen der Zukunft nicht nur Telegraphendrfthte und Eoch'sche Heil-
methoden verstehe. Freilich ist es schon geschehen, dass selbst so
eoncrete Dinge poetisch yoraosgeahnt worden, nnd gewiss ist die Qeburt
großer physikalischer Gedanken oft darauf znrückzoAlhren, dass die
Kunst, wenn auch nicht EmpOngnis, so doch Empiünglichkeit und
liebende Begeisterung bewirkte. Das bessere Reale der Zukunft, d. h.
der allgemein erhöhte Glficksstand der menschlichen Seele
wird aber gleidiwol nicht allein auf materiellen, er wird vorwiegend
auf geistigen Realitäten beruhen. Und dass sie durch geistige und
sinnliche Realitäten das Ahnen einer Seligkeit in uns erwecken, dass
sie mit Pinsel, MeiBel oder Feder vor uns am Himmel die verlockend
hohe Niveaulinie jenes Glttcksstandes (nicht am Lineal!) verzeichnen:
PHdtfofiui. 14. Jaluy. Heft HI. 13
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darin besieht die g^ioüe pädagogische Kraft aller künstlerischen (ie-
Uanken und .Stimmungen. Dass Homer jene Linie schon so hoch
zeichnet wie Schiller seihst wenn dem so ist — was sagt das?
^Tausend Jahre sind voi- dir wie ein Tag, der gestern vergangen,
und wie eine Nachtwache.*'
Schon seit lan^^em sehe ich im llinterj^runde diesei- Austiiiiruiigen
einen Vorwurf lauern, der sprungbereit n)it zoruif^en Auiren mich
angliiht. Jetzt ist sein Auprenblick ;;ekommen; er setzt mii- die Tatzen
aiil ilie Brust und schüttelt mich. „Also selbst die künstlerische
Stimmung ist vor dir niciit sicher? Soweit die Kunst greifl)are Ideen
verkörpert, mag sie ja unsertwegen erziehen soviel sie will! Aber die
Stimmung sollst du uns dadurch nicht verderben, dass du sie schul-
meistern ISsst Willst du uns nicht gefälligst erklären, wie die Stim-
mung .das bessere Beale der Zukunft^ vorbUden soll? Wlnt dn es
wagen, in die kflnstlerische Stimmimg eine BealitAt hineinzatflfteln?
Sie ist ein Duft, ein Unbeschreibliches, UnerklArlichesP Von solchem
Ansturm bin ich natttrlich ganz betftnbt, und ich beschränke mich
deshalb auf die höfliche Bemerkung, dass ich alle Stimmung für ein
gleichzeitiges Wirken zahlreicher Vorstellungen, dass ich sie deshalb
Ar das Chaos halte, ans äem sich bei plötzlich verstärkter Beleuchtung
die Sterne der Gedanken bilden, oder dass ich sie — wenn Herr Carl
Spitteier mir das von ihm im 8. StAck des „Kunstwart" gebrauchte
schöne Bild auf einen Augenblick leihen will — für die „elektricitäts-
schwangere Atmosphäre* halte, aus der sich (beim Schaflienden, wie
beim Qeniefienden) der Gedanke „eines unvorhergesehenen Augenblicks
wie ein Blitz entladet*. Mit dieser diplomatischen Umschreibung, die,
wie ich gern zugebe, keine vollgültige Antwort ist, weiche ich diesmal
der ungestümen Bestie aus, um ihr und dem liebenswürdigen Leser
ein anderes Mal in dieser Angelegenheit ausführlicher zu begegnen.
»Dean klQger acht' ich's, jctao hier su srhlieBen.
All euch vielleicht durch Länge sn mdrießen."
Das Eine aber wollte ich doch nicht vergessen noch zu bemerken,
n&mlich: dass ich die Kunst nächst dem Leben tiii- die berufenste und
mächtigste Erzieherin der großen und kleinen Menschen halte und
dass nach meinw Meinung ans praktischen und theoretischen Gründen
der Literatumnterricht den Mittelpunkt alles Unterrichtes auch dort
bilden sollte, wo die Kunst nicht im classischen Gewände einher-
schreiten und ihre Zöglinge durch Vocai)pln, Paradigmen, Genus- und
Declinationsregeln noch inniger an sich fesseln kann.
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Fldagogiflelie Kundsebau.
Zeititlmmen. [Loi des LebrarsUndes.] Das 19. Jahrhundert liat die
SteUmig des Hanaee snr Sehale ToUatladiff veiftndert Der Staat hat den Schal*
zwang angeordnet nnd das BUdnngsmaB yorgeschrieben, das jeder Bürger lich
aneignen mnss. Die Zeugnisse der liölieren SclmlPii sind in Berec.htis"nii2-s-
Bcheine amgewandelt worden. Da wagen die Eltern niclit mehr, sich orten ileu
Einrichtangen der Schale zu widersetzen, theüs ans Furcht vor drohender
StraHe, theila wdl ile eingeaehen haben, daaa die Schale mit ihren fbetgefllgten
Ordnungen ihren Kindern nnechfttzbare Vortheile vermittelt. Die Lehrer
freilich müssen auch liente noch unter einer gewissen Gering^iclultzung von
neiteii der Eltern leiden; es scheint diesen zum historisclien iieclit geworden
zu sein, den Lehrerstand über die Achsel ansehen zu dürfen, und zwar je „ge-
bUdeter" die Eltern, deato hänflger diese Ersdieinang, Ansnahmen natHriich
sogestanden. — Dr. G. Stephan , Die hansUoheErziehnng inDentsehland wahrend
des 18. Jahrhnndarta.
Vor 3*^0 Jahren, zur Zeit eines Erasmus und Reuchlin, da war der
Philologe der erste Mann im Staate, um den Humanismus und uro die Huma-
nisten drehte sich einen Augenblick das Interesse einer Welt. Aber gerade
in Deotechland drftngte die religiSse Bewegung rasch genug die Bildnnga-
frage aus der entOQ in die zweite Stelle, und die Theologen kamen, wie sie
es im Mittelalter gewesen waren, auch jetzt wieder oben auf; die Schule wurde
ein Anhängsel der Kirche, der Lehre)- ein Uutergebejier(des l'fiirrers: . . . docli das
Rad drehte sich weiter: auf das theologische Zeitalter folgte die Vorherrschaft
der Juristen, nnd sie besteht hente noch, soweit ihnen nicht der Offider den
Bang abgelaafen hat. Die hnmanistischen Lehrer aber sind bei diesen Um-
schwüngen des Rades immer tiefer nach unten gekommen, und so ist es zuletzt
auch den Mediclnern gelungen, über sie hin aufzurücken und ihnen und der
Schule gegenüber Controle und dictatorische Gewalt in Anspruch zu nehmen. —
Aber freilich, wenn von Schuld, nicht nnr von dem Begreifen eines historisch
Ottwordenen die Bede sdn soll, so sind hier nicht in erster Linie die- LdUrer,
soodem es ist vor allem der Staat und es sind ganz besonders die Juristen zu
nennen. Sie, die die Gesetze niarlien inid i]W Staat sgfHcliüt'te führen, haben
mit einer fast naiv zu nennenden Selbstsucht dii' Lt-luer drunten gehalten, den
Abstand zwischen sich und ihnen in der Bemessung der Besoldungen markirt
nnd ihnen anch die hSheren Stellen Im Scfanlwesen alle vorenthalten nnd fttr
sich reservirt. In diesem letsteren aber liegt nicht nur eine krlnkende Znrfick-
Setzung des Lehrerstandes, sondern zugleich noch etwas ganz anderes, all-
gemeineres: es fehlt den .Juristen im Durchschnitt das Herz und das Ver-
ständnis für die Schule; niemand wird ihnen das verai'geu, denn woher sollten
sie es haben? Aber wenn dem so ist, dann moss die Schale mit Nothwendigkeit
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Qiiter ihrem Regiment leiden; Olldso sind denn auch alle fiir unser Schulwesen
fruchtbaren (iedanken — es ist ja p:anz selbstveratändlich — nicht von den
au der Spitze desselben stehenden .luristen, sondern von den If'achleuten, von
Schulmännern ausgegangen; dagegen ist jene bureankratisch formalistische Be-
bandlnog und Oeataltiing der Sehnle, die wir beklagen und bekSnipfen, im
wesentliclien ihr Werk. So ist denn das Verlangen, dass die Schul Verwaltung
auch in ihren h<iheren Ämtern und Spitzen SchuhnUnnern in die Hand gelegt
weide, nicht nui- im Interesse des Standes, sondern im Interesse «Itr Schule
selbst und ihrer gedeihlichen Entwickelung durchaus berechtigt. — Dr. Theobald
Ziegler, Die ¥ngea d«r Sclnilrtform.
[Religion, Schule, Kirclie und Staat.] Der Religrionsnnterrieht ist
factisch, und natürlich von vielen rühmlichen Ausnahmen abgresehen. auf unseren
Gymnasien im Durchschnitt schlecht und wirkt daher genau so wie aller andere
schlechte Unterricht auch, — verderblich auf den Heist und auf die Sitten der
ClaBBe. Gerade hier liat die Phraie vom ersidiendeD Uaterridit auf flÜBche
Bahnen geftthrt: Der Beligieosanterricbt ist ein ünterricfat vie jeder andere,
man wollte ihn aber daneben noch direct erziehend oder vielmehr erbaulich
machen und sclirieb ihm eine besondere, um nicht zu sagen eine fast magische
Wirkung auf die Sitten zu. Dieses absichtliche Thun und „Machen" aber
erreichte nichts als ein gewisses unklares Schwanken in Ziel und Ton des
Unterriehtes selbst, nnd bei den Jungen war dbie gans natllriiehe Abneigung
gegen diese sieh ihnen aufdringende Tendenz die nothwendige Folge oder
verführte sie, was noeh weit schlimmer ist, sn Heuchelei nnd tief innerer
Unwahrheit ....
Nur in völliger Unabhängigkeit von der Kirche kann die moderne Schule
geddhen und leisten, was sie soll. Und darum sind auidi das einzig Bichtige
nicht eonÜBSsionelle, sondern ämultansehulen . . . Wollen wir denn schon auf
den Schulbftnken jene confessionelle Trennung markiren, die unser deutsches
Volk seit 370 Jaliren spaltet, wesentlicli deshalb spaltet, weil damals ein
spanischer Kaiser auf dem deutschen i'hron gesessen und für die religiösen
und nationalen Bedürfnisse unseres Volkes kein Herz und kein Verständnis ge.
habt hat? Die Existenz protestantischer nnd katholischer Gymnasien mag
historisch begründet sein, berechtigt ist sie nidlt m^. nnd die Schaifling
solcher confessionellen Anstalten in unseren Tagen fast gar ein \*erbrechen . . . .
In dem immer neu entbrennenden und nie Iiis zur Entscheidun^r durchgetociitenen
Kampf zwischen Kirche und Staat die Schule dem letzteren zu erhalten uud
sie gegen die Henschaftsgeliiste der Kirche sichermstellen, ist die Pflicht
aller tni gesinnten Geister; dam der Kampf um die Sehule ist dn Kampf Ar
den Staat.
[(leschichtsunterricht.] Und nicht viel anders Tals mit dem Reliefions-
untenichte, siehe obcnj würde es mit dem GeschichtsunterTichte, wenn der-
selbe in bestimmter Weise patriotische und politische Tendenzen rerfolgen sollte.
Daher wftre es auch nach meiner Auffassung der Dinge geradesu gefthrlich^
den Lehrern die Bekämpfung der Socialdemokratie ansdrü< klich zur Pflicht zu
machen .... Wahr ist, da.'.s an die Stelle des linchoehenden jugendlichen
Idealismus, der für Kaisei- und Reicli als tür ferne Ideale und Ziele schwärmte,
der Realismus des Besitzens und des Behaupteus getreten ist, und im Zusammen-
hange damit ist unsere ganze Zeit nfiehtemer geworden. Die Scblden, die
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— 173 —
«liirin lieic*?ti, sehe auch ich recht wol. Aber unter der Hülle, so mein»' ioh,
»chiiuiJiLuern die idealen Kräfte des deutacheii X'olkes doch uach wie vor, und
wer seine Zdt voitelit, der weiß and sieht, nach welcher Richtung hin sie
fravitiren, nnd wie aie im rechten AngeobUdc wiedw gewecict werden kennen.
Aber mit ein paar Geschichtastandea fflehr weckt man das schlafende Dorn«
i*ö8chen nicht auf, vollends wenn man so großwortio; nnd weitspurig- das cliau-
vinistische Tam-Tam schlägt und verkündigt: ^Die Anforderungen der Welt-
stellung Dentachlands an die Ausbildung der Jugend reden fiir sich selbst."
Liebt man denn die Weltetellnng? Liebt man denn sein Vaterland nur, wenn
es eine Weltmacht, wenn es gro6 nnd mftchtig ist? Das ist doch eben der
schlechte Eealismus, den wir bekilmpfen müssen, diesen Geist der großwortigfen
ünbescheidenheit , diese chauvinistische Sclmeidigkeit .... i^is 1871, aber dann
auch keinen Schritt weiter! In der Zeit von 1871 ab stehen wir selbst mitten
innen, das ist noch nicht Gesehiehte, soodem das ist politische Gegenwart, nnd
diese gehSrt nicht anf die Sehnle, weil ihr die Leidenschaften des Tages nnd
die Parteikäropfe der Zeit, das Buhlen nm die Gunst nach nuten oder nach
«iben fern bleiben müssen, l'ber die großen Zeit- und Streitfragen, die uns
liente beschäftigen, kann keiner reden, soll keiner reden, ohne Partei zu er-
greifen, als Mann der Partei aber verliert der Lehrer mit Nothwendigkeit das
Vertranen mindestens eines Theüs seiner Schfller; nnd die Schiller, die %n
Hanse oder in der von den Eltern gehaltenen Zeitung vielleicht genau das Gegen-
theil hören oder lesen, werden durch <len Lehrer schwerlich belehrt und belcelirt,
wol aber frühreif zum Kaisonnii'en und Kritisiren heran gezo^-en.
Th. Ziegler a. a. O.
Vom Lehrertagc und Pestalozziverein der Provinz Branden-
burg.*) Einer freundlichen Einladung der Stadt Lackenwalde folgend, tagte
daselbst am 28., 29. nnd 30. September d. J. der Lehrer?erband nnd der
Pestalozziverein Brandenburgs.
Am 28. September gleich nach 1 1 l'lir wurde zunächst eine \'orstauds-
ützung abgehalten, in der diejenigen X'on^tandsmitglieder bezeichnet wurden,
weiche In den Terscbiedenen Abtheilungssitzungen dm Vorsits führen sollen.
Bfaie Itngere Besprechvng Teradasst du Referat des üntnveidmeten Ober die
Zwangserzieiinng \'erwabrloster Binder. Es wird der Beschluss gefasst, dem
Vorstande des Landesvereins preußischer \'olksschullehrer die in dem Heferat
niedergelegten MeinungsUußerungen zu übermitteln, damit derselbe der „lutt i-
nationalen kriminalistischen Vereinigung'^ Kenntnis von unsern Wünschen be-
zOgUch der Zwangsernidinng Terwahrlostw Kinder gebe. — Nachdem die
Chrnndzüge für die Tagesordnung der Hauptversammlung dnrcligesprochen nnd
festgestellt sind, wird die Sit7:nn?: nach 1 Ulir iresrhlossen.
Um 2 Uhr eröffnet der Vorsitzende, Uaaptlehrer Hohenstein-Brandenburg,
*) Seit Jahren haben wir ausftthrlielien Berichten unter obigem Titel Raum
pregj'bpn, weil dieselben ein dcutlifhcs Bild von der Situation, dem Ooisto und dtn
Bfhtn.'bungen der Volksschullehrer in dir Stammprovinz des preulHsi licn Staat« s
geben, also gewissermaßen von typischer HtMleutimg sind. Anderseits alier le<rr um
der Umfang dieser Blättor iinabweisliche Kilcksichton auf, weshalb wir diesmal auch
an dem Brandeubareer Beriebt einige Kürzungen vornehuicu musittcu, ihu im Ubrigeu
jedodi wortgetreu mlgen lassen. D. B.
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die ^>rtreterver8amTnlnIlß:. Er heißt die Herren herzlich wnikoiiiiiit'n und bittet,
da die Tagesurduung eine sehr reiche sei, bei den Debatten kurz und reiu
saehlicb sein m wollen. Gern stellt er fest, daas die Verefusarbeit einen er-
freulichen Aufschwang genommen habe nnd dase ihm in diesem Jahre fttst von
der Mehrzahl der Kreisverbände die Jahresberichte rechtzeitig: zugestellt worden
peieu ; dennoch müsse er es riip:en. dass ihm nicht, wie es sein soll, die Mitglieder-
verzeichnisse eingesandt würden; ebenso werde es häufig unterlassen, ihm
KeantBfe Ton dem Wechsel zu geben, der sieh im Votaita der EreisTerbftnde
Tollaiebe; das allea führe aber so mancbeilei UnzntriigUchkeiten nnd IQsa*
standen. Die Delegirten werden ersucht, dahin wirlcen zu wollen . dass Ab-
hilfe gesrhaffen werde. Würde das Vereinsorgan von all* n Mitgliedern gelesen,
so könnte so etwas gar nicht vorkonmun. nnd es würde dem Vorstände die
Arbeit wesentlich erleichtert werden; er bitte deshalb recht dringend, das
Vereinsorgao verbreiten nnd allen Kollegen dasselbe warm ans Hera legen
m wollen.
Die nun folgende Feststellung der Vertreter und Verbände ergibt flie
Anwesenheit von 77 Delegirten . die sich im Laufe der \'erhandlungen aut
79 erhöhen; von diesen werden vertreten 3t) Kreisvei bände mit lö'2 Local-
verbftnden und 4007 Mitgliedern. Das ergibt gegen das Voijalir einen Zu-
wachs TOD 1 Kreisverband, 10 Localverbanden, 10 Ddegirten nnd 389 Mit-
gliedern. CFolgt Oescbftftliches.)
Ks erhillt nunmehr Herr T'astor prim. Seyftartli-Liegnitz das Wort Der-
selbe führt aus, dass er vor etwa 21 Jaiireu die Kedaction der „Preußischen
Schulzeitung'' in der Hoä'nuug übernoninien habe, durch dieselbe eine allseitige
Vertretnng des Lehrerstandes in seinen Int^^ssen hwbdanfBhren. Leider mnsa
er beste bekennen, dass iinn dieg bei der Lauheit der Lehrerschaft nicht voll
und gana möglich geworden ist. Na( Iniem Redner die Grundsätze, nadi denen
er das Vereinsolga II geleitet, und die Ziele: innere Kräftigung des Lehrerstandes
Q&d äußere Organisation des ächulwesens — feste tinanzielle Grundlage und
innere einlieitU<Ae fiildnng des Volkes — dargelegt, appellirt er an die Lehrer
der Mark Brandenburg, zn ihrem eigenra Vortiieil, in ihrem eigensten Interesse
sich nm das Vereinsorgan zn scharen und sich das einigende Band zu erhalten.
Dahin müsse es kommen , dass jedes Mitglied des großen Verbandes anch das
Voreinsblatt halte.
Von demselben Keferenten wird alsdann Uber das zu begründende ,^ Lehrer-
heim** in Schreiberhan berichtet nnd das üntemebmen anch der Unterstfitzon^
seitens der Lehrerschaft Brandenburgs warm empfohlen. —
Hierauf gelangt der Antrag Zielenzig: „Die Neuregelung der Lehrer-
gehiUter mit Rücksicht auf den Mini8terialerla.s> vom 26. Juni er." zur Be-
sprechung. In der Begründung dieses Antniges wird gefordert, eine Commissiuu
an den Herrn Oberprftsidenten zn entsenden, die an dieser Stelle die Wünsche
der Lehrerschaft znm Ansdmck bringen soll. Die Versammlung verhält sich
ablehnend dazu, empfiehlt vielmehr Rücksprache mit den Herren LandrUthen,
die zu der vi>n dem Herrn niicrprSsidenten einzuberufenden (Ninferenz ein-
geladen sind, zu nehmen und diesen specielle Haushaltungspläue vorzulegen,
wie dies bisher schon von vielen Seiten geschehen sei. (Folgt Geschäftliches.)
Der 29. September gehörte dem Pestaloniverein, Jedoch fanden vor nnd
nach der Hanptveriiandlang noch versdiiedeoe Seetienssitanngen statt, so wurde
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in der Abtheilnng fiir Zeichnen geßprochen über: „Das Zciclinen in der Mädchen-
schule" ; in der Sectiou für Rechnen kam die Frage zur Behandlung: „In
welchem Umfange hat die Behandlung der additiven Sabtraction Berechtigung
in der Sdrale?**) and in der Abthdlmig für Physik worden intereesante Bzpe*
fimente mit n«ieren physikalischen Apparaten vorgefahrt, auch kam hier ein
ganz neuer Apparat, „Horizont"' genannt, zur Vorführung. Mit Hilfe dieses
Apparates lassen sich die Fragen zuverlässig beantworten: „Wann und wie
weit vom Ost- bezw. Westpuukte eutfernt geht die Sonne auf oder unter V ' —
^Wie groft ist der Tag-, der Naehtbogen?" — „lo welcher Httbe steht die
Sonne (Winkel mit der Horizontflftche)?'' — „ Weldie Neigung hatdieHoriEont-
tläche zur Erdachse fPolliöhe)?" Die Fragen kiiniieii gestellt werden für jeden
Ort der nördlichen Erdhälfte und für jeden Tag im Jahre. Der dauerhaft
und mit gewissenhafter Genauigkeit gearbeitete Apparat sei als brauchbares
Anscbannngsmittel bestens empfohlen; der Preis beträgt 54 M.
Oleich nach 10 Uhr wird die PestalossiTersammlnng durch dm Vor-
sitzenden, Gymnasiallehrer a. D: Sellheim- Eberswalde, eröffiiet Es erfolgt
Absingnng der Liedstrophe: „Gieb. da.<s ich tlin mit Fleiß. w;ts mir zu thnn
gebürcf. Nach den nbliclien Kt grüUungeii und den darauf folgenden Dankes-
worten nimmt der Vorsitzende das Wort zu einer markigen Ansprache au die
zahlreich berachte Versammlong (4( 0). Leider vorbietet es mis der ans
angemessene Kaum, näher auf die treffliche, von Pestalozad's Geist nnd Liebe
erfüllte Kede einzugehen. Hervorheben aber wollen wir, dass der Redner
einer von den Jlännern gewesen ist. die heute vor 2U Jahren an der Wiege
des jungen Vereins gestanden und seit dieser Zeit nicht müde geworden sind,
in hinge1)ender Liebesthfttigkeit den ann«i bedrtagtrai Witwen und Waisen
an helfen nnd ihre Noth an lindem. — Die sich jetzt geltend machenden Be-
strebungen , den Verein in einen Rechtsverein umzuwandeln, weist der Redner
zurück und bittet alle Collegen, auch ft^rneiliin die freie LiebesthStigkeit
walten zu lassen, die Beitrüge aber, da die Noth dei' Witwen noch immer gar
groB sei, nach Kräften erhöhen zu wollen. (Folgt Geschäftliches.)
Damit ist die heutige Tftgeaordnnng erledigt and nach Absingnng einer
Liedstrophe schließt der Vorsitzende die Versammlung.
Am Nachmittage wurde den Gästen ein schöuoi- (reiiuss durch ein herr-
ti( lies Kirchenconcert bereitet, das mit viel TJebe und Sorgfalt voi h»Meitet und
ausgeführt \vurde. Allen Mitwirkenden, insonderheit aber dem tüchtigen iUri-
geaten Herrn Lehrer AibrechtpLnakenwalde sai an dieser Stelle unser wärmster
Dank dalttr gesagt Um 6 Uhr begann das Festessen, an dem reichlich 200
Mitglieder theilnahmen und das die Gäste bis nach Mitternacht ansaniiiM tilu'elt.
Der 30. Septenibei brachte uns die Hauptversammlung des Lilirer-
verbandes der Provinz Brandenburg. Haid nach 10 Uhr wnrde dieselbe durcli
den Vorsitzenden, Hauptlehrer Hohenstein- Brandenburg a. Ii., eröffnet. Nach
Abdngung der ersten Strophe des Liedes: ,,0 heü'ger Geist, kehr bei nns ein",
ergriff der Vorsitzende das W^ort zu folgender Ansprache:
..Da.s .Mte stürzt, es ändert sich die Zeit, nnd neues Leben blüht aus den
Knill' n. ' I^iese Worte unsere.s Soliillers drücken die Hoffnung aus, die uns
zu Aiifatig unseres \ erein^ahres beseelte. Das Schulgetz wurde in Aussicht
*) Hierüber wftren einige Hittheilnngen erwUnscht gewesen. D. A.
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gestellt Manche Brost hob sidi erieichtert, and firendif strihnten die Worte
des Dichters von den Lippen: r-Non, armes Hers, Yerg:is8 der Qnal» nun muss
sich alles, alles wenden!" Doch zum Schlüsse derselben heißt es: „Still, auf
gerettetem Hoot, treibt in den Hafen der Greis." Das fast seit hundert
Jabi'eu verliei^ene and erwartete Schulgesetz wurde vorgelegt, aber es brachte
uns nnr BnttlliiBchnngen. Die Vertreter der ProvinzialvefUiidB kamen in den
Weihnachtsferien in ICagdebnrgr «isammwi und „hielten eifrig Bath**, welche
Ändemogen bei diesem Gesetze zum Wole der Schalet des Volkes und des
Staates zu wünschen seien. Diese Wünsche wurden den gesetzgebenden Kiirjter-
schaften raitj^etheilt, aber sie fanden bei der Ikrathung des Gesetzes keine lie-
rücksichtigung. Die Schule bedarf des Friedens und niuss sein eine Stätte des
Friedens. Das Schulgeseti aber wnrde ein Zankapfel der politiseheo nnd
religiSsen Parteien, und dabei kann die Sdinle nicht gedeihen. Die Verhält-
nisse gestalteten sich derartig, dass Herr von Gossler, der Schule nnd Lehrer
stets mit Wolwollen beliandelt, dem wir das Pensionsgesetz, die Dienstalters-
zulagen, den Wegfall der Witwen- und Waiseucassenbeiträge, die Halb- und
Gaaswaisengelder an dankra liabeai der nmere fraten Vereinsbestiebnngen
nicht nnr duldete, sondern sogar flfrdarte, der ftberatt für die Aehtnng and die
Ehre unseres Standes eintrat, der in denselben die intelleetaelle nnd moralische
Kraft erkannte, die fiUiig und stark genug sei, alle Veninglimpfiingen gebürend
abzuweisen und zu erti'agen. der die .*>clinle als einen Eckstein für Köni^i: und
Vaterland hinstellte — und dieses alles, ineine Herren, wollen wir doch ja
nioht vergessen — den Hinistersessel verlieft.
Die Zahl unserer Feinde ist auch nicht im Abnehmen begriffen, und in
reichstem Maße sind wir in diesem Jahre von denselben verunglimpft worden.
Herr v. Treitschke führte den Reigen; doch ist derselbe nicht mehr ernst zu
nehmen. Wer so wenig Zeitgeschichte kennt, dass er uns Ideen unterschiebt,
die von Geistern stammen , die mit ihm gleiche Bildung genossen haben, der
spielt als Historiker eine reeht klftgliehe Rolle. Wenn er sagt: „Es ist ein
sdilechter Geist bei den Volksschullehrem eingezogen, rie wenden sich von
ihrer eigentlichen Beschäftigung ab und halten ^'er8ammlungen ab", so beweist
er dadurch nur, dass er unsere N ci Sammlungen gar nicht kennt. Wir arbeiten
in denselben mit Ernst, Eifer und Hingebung au der Hebung der Volksschule
nnd ihrer.'Xehrer und damit fttr das Wol nnseres dentschen Volkes and mm
Heüe des N'aterlandes. — Der Decan Decker in Griinstadt schreibt
dagegen in der ,. Union" über unsere \'ersammhingen: „Vieles der Schule Er-
sprießliche ist auf den Lehrerversammlungen schon beschlossen und ansgeführt
worden. Manches hätten die Angehörigen eines Standes, au dessen Wege
reichliche Domen wachseni nicht erreicht, wenn sie nicht mit vereinter Kraft
danach gerungen bitten. Aach sie haben erfahren, dass Bünigkeit stark macht**
Dr. Conradt , Gymnasialdirector in Greifenherg , gesellte sich Herrn
V. Treitschke zu. Seine geringschätzigen Äußerungen über unsere Hildung und
über unsere Lei-stungen sind schnn von anderen Herren, die nicht pro domo,
wie Herr Conradt, gesprochen haben, in das rechte Licht gestellt worden. Herr
Dr. Thiel, Geheimer Oberregiernngsrath, sagt bei Berathnng der Frage über
die Ausbildung von Lehrern an Landwirtschaftsschulen: „Die Erfhlumng zeige,
da.s8 die Elementarlehrer im allgemeinen bedeutend bessere Lehrer als die
Gymnasiallehrer seien.'' — Und Herr Professor Dr. 31ttrcker-HaUe sagt: „Bei
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den Prüftmgfen der Schüler der landwirtschaftlicben Winterschulen dt'r l'riA iuz
Sachsen, welchen er im Auftrage der Provinzialverwaltung beizuwohnen habe,
zeige sich \'ielfach bei den neueintrctendeu Directoren und Lehrern ein »ehr
bedenklicher Maugel hinsichtlich der ^lethudik des UnteiTickts, der sich be-
wanden in der mangalhaftea Einthejlgng des StoiFes annpredie. WUirend die
profeBBioiiellen, d. h. seminarisÜBch gebildeten Lehrer, welche an den gleiche
Anstalten in den Elementargepfonständen unterrichten, in dieser Beziehung vor-
züglich ausgebildet seien und deshalb auch Uberall Ausgezeichnetes leisten, trete
der Maugel einer seminaristischen \'orbiiduug bei den FaclUehrem leider häutig
stSrend henror.** Wir danken diesen Herren für ihre Zeugnisse. Herr
y. Treltschke, Herr Gonmdt» wie sieht die Sadie jetzt ans?
Anch Herr von Brühl, nnser alter Freund, war wieder auf dem Plan.
Bei der Berathnng der Witwenpensionen sagte er: „Man müsse bezüglich der
( "oneessinnen an die Lehrer endlich Halt niai lu ii". Ihm zur Seite steht die
-Cübleuzer Vüikszeituug" ; sie schreibt: „Der Schulmeister von Sadowa wird
immer gefrSBiger; es ist im hfichsten Grade nothwendig, dass man ihm endlich
dm moralischen Maulkorb etwas hSher bäng^'^. — Die Aasdmelcsweise ist so
wenig edel, dass ich der Ehre anseres Standes wegen nicht weiter darauf ein-
gehen kann. —
Dagegen schreibt Herr I^farrer Koblrauscli iu seiner Broschüre: »Der
evangelische Oelittidie nnd der evaogelisdie VolkssehoU^nr'* : ^IMe Besolduiig
der Volksschnllehrer ist eine Schmach nnd Schande für nnser ganses Staats-
wesen, nnd man begreift nicht, wie diejenigen, die es zu verantworten haben,
ein gutes und ruhiges Gewissen dabei haben können." Und unser hoher Chef,
der Herr Cultusnünister v. " Zedlitz-Trütschler, sagt in seinem Erlasse vom
26. Juni: „Dass der heutige Znstand den Interessen des l nterrichtsweseus
nnd den bflligeo Ansprachen des Lehrerstandes nicht mehr entspricht; dass sahl-
reiche Beschwerden und allgemeine Berichte aus neuerer Zeit die Unhaltbarkeit
der gegenwUrtigen Verhältnisse erkennen lassen". Wir sind Sr. Kxcellenz dieser
AVorte wegen ganz besonders dankbar. Nacli einem solchen Zeugnisse von so
hober Stelle wird doch das widerliche Geschrei niedrig denkender Seelen von
dem nVnanfHedenen Scbnlmeister** endlich verstummen müssen.
Mehie Herren, wir lassen uns nicht irre machen durch das wibte Geschrei
i-ingsnmher, besondm nicht durch das der Bochnmer, deren bed^tendster ^'er-
tieter im Abgpordnetenhausc Herr Fuchs war. Wir weisen ganz entscliieden
und mit Entrüstung die Unterschiebung, dass wir die religionslose Schule wollen,
zurück. Wir fordern den Heligionsunterricbt für uns als Lebrgegenstaud in
der Schule; wir wollen die Lftmmer des Herrn weiden. Wir werden deshalb
nicht ablassen, uns in auseren Versammlungen anzuregen, zu begeistern für
den hohen Beruf, den Gott uns zugemessen. Wir werden fort und fort unsere
Gedanken ausrausclien und klären. Irrlhümcr und falsche Auffassungen be-
richtigen und uusem Gesichtskreis erweitern, damit wir immer würdiger werden,
das SU sein, was nnsm* hoher Chef am 6. Ifai Im Abgeordnetenhause von uns
sagte, als er die uns gemachten Vorwfirfe mit aller Energie mrilekwies: r^et
Volimschnllehrer soll ein Hoherpriester am Hansaltare unseres Volkes sein; aber
ich bestreite, dass die Lehrer dieser Aufgabe nicht voll genügen." Wir stehen
und haben immer gestanden im Dienste der Ideen unseres erhabenen Kaisens
Aber Lehrerbildung nnd Erziehung. Wir wollen erziehen ein Volk, das sich
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nicht luikrt an lUaehe Bede, das in aUen Verhsltnitten tren dem Könige, das
in Zeiten der Noth Gut und Blut opfert für die Ehre des Vaterlandes; denn
„nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles fiendig- setzt an ihre Ehre**.
Unser Wahlspruch ist und bleibt: „Mit (rott fiir Ivönig und Vaterland!" Ich
fordere Sie auf, sich zu erheben und mit mir einzustimmen in den Ruf : Kaiser
Wilhelm, der Schirmer des Beehts, der Helfer der Schwachen, der Wahrer dea
Fliedens, der Förderer der Bildung und Wissenschaften, der Hüter altdeutscher
Sitte, ilev Pflffrer cliristlicher Zucht, er lebe hoch, hoch, hoch! —
Mit großer Begeistern dj;: stinunt dir \*ersannnlung in diesen Hochruf ein.
Nachdem noch einige Begrüßungen ausgetauscht sind, wird das an den Herrn
Untertiehtaminister beadilosaene Telegramm Terlesen; dasselbe lantet: „Sr. Ex-
odlenn dem hochverehrten Chef der Unteirlchtaverwaltnng senden die hettte
zur General vei-snmmlnng: anwesenden llttgUeder des Brandenborgischen
PrOTinziallehrerveibandes ihren ehrerbietigsten Danl< und (riuß".
Aus dem Jahresbericht des Vorsitzenden .sei noch kui-z hervorgeliuben:
Unser Verband befindet sich nach allen Seiten In aufsteigender Bewegung.
Der BesQch in den Versammlnngen der Einxdverbftnde war ein sehr reger nnd
ist auch dementsprechend gearbeitet worden. Die Beratlinng des Schulgesetzes
hat in den meist«-» Verbänden verschiedene Versammlungen b»'ans]»ruclif . MUl'er
dieser Arbeit sind aber noch 753 Vorträge gehalten worden, die grölltentlit-ils
Fragen aus uuserm Beruf behandelten. Sie sind ein Beweis dafür, wie überall
die Lehrer bestrebt sind, ihre Zeit an Terstehen nnd steh anf der H5he der Zeit
zu erhalten. Erfrenli^ ist es auch, dass sich in verschiedenen Vorbänden
Abtheilungen bildeten, welche die einzelnen Unterrichtsdisciplinen zum Gegen-
staude ihrer Arbeit ijeniacht haben. — In einzelnen (Tegoudt n unserer Provinz
stehen die Lehrer leider noch dem Vereiusleben vollständig fremd gegenüber;
das Diesterwegjalir, auch die Vorlage des Schnlgesetzes hat dieselben nicht
bewegen können, sieh an der gemehisamen Arbeit zn betheiligen; möge das
Comeninsjahr sie dazu treiben!
Es erhält nunmehr das Werf Hcii- 1, ehrer Otto-Cliarluttenbnrg zu seinem
Vortrage: r.l>ie Kefonn des \ olkssciiulunterriclits im Sinne des kaiserlichen
Erlasses". Wir müssen uns hier damit begnügen, aus dem inhaltsreichen,
sehwnngroUMi nnd formschönen Vortrage die Leitsätze wieder an geben: I. Der
kaiserliche Erlass Tem 1. Mai 1889 fordert mit Recht von der Schule, dass
sie der Ausbreitung socialistisolier und roinuiuriistiselier Ideen entgegen arbeite;
indessen kaiiii flie Schule nur eine besehiänkte \\'irksamkeit entfalten, da sie
a) nur einen Factor in der Reihe der culturbildenden Momentt^ eiues \'olkes
bildet, nnd b) nicht direet in die socialen Kämpfe der Gtegenwait einzugreifen
vermag, n. üm im Sinne dea kaiserlichen Erlasses zn wirken, ist eine Beform
des Religionsunterrichtes und eine solclie des Gescliiclitsnnterriehtes geboten.
Dieselbe ist vorwiegend stofflicher, aber auch niethodisclur Natur. III. Im
Religionsunterricht ist a) der Meniorierstol! auf das Nothwendige zu beschränken
(zeitgemäße Umgestaltung von Luthers Erklärungen), b i muss die ethische Seite
in den Vordergrand treten (Znräcktreten des alten Testaments vor dem Lebens»
bilde Christi). IV. Im Geschichtsunterricht muss ai nene und neueste Zeit-
geschichte bes<inders iretrieben werden, b) ist die (leschichtp culturgeschiehtlich
zu treiben (Many:el :in geeigneten Lehrbüchern für den Lehrer). Belehrungen
über Volkswirthbchalt und socialpolitische Gesetzgebung sind bei geeigneter
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V«nuilM>iiBgr mit Gesebichte, Religion, Geographie und Becbnen zi verknüpfen.
V. Einer befriedigenden Lösung der gesMlten Aufgabe treten znr Zeit noeh
mancherlei Hindemisse in den Weg (Mangel einer obligatorisciicn Fortbildangs-
sclnile, überfüllte Schalclassen n. a.>. — Der Vortrag wurde von der Ver-
sammlung mit rauschendem Beifall auf- und die Thesen ohne Debatte unverändert
angenommen.
Nadi einor korsen Pmm vw. 15 Hin. ertdUt Herr Hlelecke-Spandan daa
Wort zu seinem Vortrage: »Die Sprachgebrechon unserer Schulkinder, ihre
Verhütung und Bekiinipfang:". Audi dieser Vortraj? fand Anklan? und wurde
mit Beifall anf^enoiunien. In der Specialdebatte wurden statt der vom Vor-
tragenden aufgestellteu Thesen folgende drei augeuummeu: 1. Die Maßnahmeu
znr Veriifltnng nnd Beklmpfting der Sprachgebreehen in der Sdinle sind noth-
wendig; denn diese fiben einen unheilvollen Einflnss auf die Entwickelung des
Kindes ans. 2, Es ist nöthig, dass der angehende Lehrer im Seminar mit dem
Wesen, den Ursachen, der Entwickelung der Sprachgebrechen und mit der
Methode zur Heilung theoretisch und praktisch vertraut gemacht werde. 3. Die
Bekämpfung der Spracbgebrechen unserer Schalkinder Uliet die snr Zeit dring-
Udiere Seite dleeer Fknge. Die Verhfltnng derselben aber ist die wicbtigare.
Das Schlusswort spricht der Herr Ehrenpräsident, Pastor prini. Seyffarth-
Liegnitz. In demselben trilit er in einem L'üf khlick eine kurze Entwickelungs-
geschichte des Brandenburpt r rrovinzialielncrverltandes seit 2U Jahren und
zeigt, wie sich die \'ersammlungen immer würdiger entwickelt, die Verhand-
lungen steta rahiger gestaltet haben. Sollen die Hauptversammlnngen nach
außen hin wirken, so liegt doch der Schwerpunkt gtfadein denSectionssit/ungen;
und diese sind es elipn, die sich in den letzten Jahren kröftig entwickelt haben.
— Es ruht ein proLler Segen auf diesen Versammlungen, den jeder tülilen niuss.
der sich daran betheiligt. Auch edler Frohsinn sei zu pHegen: doch sind uns
ala Pädagogen gewisee Grenzen gezogen, die wir im eigensten Intereeie nicht
ibenchreiten dürfen. — Mit Dankeeworten an alle, die zu dem soUSnen
Gelingen dieser Arbeits- und Festtage belgetrageu haben, s«)wie anch mit Dank
«regen die Vertreter der küniis:!. Kep-ieruner und der städtischen Behörden schließt
der Redner. Die Vei Sammlung aber singt noch: „Lob, Ehr' und Preis sei
Gott" nnd geht dann mit dem Wunsche: Auf Wiedersehen im nächsten Jahre
in Soran! auseinander.
Für den Rest des Nachmittages waren noch die Besichtigungen einer
Hut- und Tuchfabrik, sowie ein kleiner Ausflug- in die Umgebung der Stadt
Luckenwalde geplant, während der Ahend noch die Festtlieilnehmer bei einem
Concert im Schützenhause vereiuigen sollte. Viele Festgeuussen indessen reisten
mit den niehsten Zfigen bereits ab nnd eilten der Heimat zn. Alle aber, dea
lind wir gewiea, werden dankerfüllten Herzens an die arbeitareicbea, aber doch
anch so schönen Tage von Luckenwalde zurückdenken. Den braven Lncken-
walder Collegen aber sei hier an dieser Stelle noch einmal unser wiirnister
Dank für alle uns erwiesene Freundlichkeit und für die f^roüe Miiiie und Arbeit,
die sie gehabt, um uns eine so gastliche Stätte zu bereiten, ausgesprochen.
Reotor Fr. Friesicke-Frelenwalde a/0.
Aus Preußen. [Niederer K üsterdienst. ] Bekanntlich ist neuerdings
der niedere Köster- bez. Messnerdieost, welcher in PreQÜen (und auch in anderen
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deutschen Ländern) vielen Volkssolmllehrern obliegt, sehr lebhaft besprorlif n
wordtMi. Wonim es sich da eig:entlich handelt, was also den betrefteuden
Leiirern neben ihrem Hauptdienste, der meist eine ganze Kraft verlangt, noch
ZQgemuthet wird, ersieht man aas folgender Mittheiluug der Berliner „Pädag.
Zeitang": „Der Minister bat vor einiger Zeit ErliebiuigeD aogeordnet fSbet
den Umfang und die Weise, wie Kirchendienste mit Velkasdnillelirerstellen
verbunden sind, namentlich sollten die Regierungen zur Vermeidung irriger
Auffassung Anleitung g»4)en, was als niederer Kirchendienst anzusehen ist.
Dahin ist zu rechnen: aj in evangelischen und katholischen Gemeinden: Auf-
nnd ZascUießen, Lüften der Kirche nnd Saoristei, Läuten, AosSnden und
Löschen der Kircheulicbte, Anstecken bez. Schreiben der Liedemnmmeni, SetMn
der Stühle, Aufstellen der Sammelbüchsen, Aufrechterhaltung der äußeren
Ordnung beim Gottesdienste und bei den geistlichen Handlungen, Besorgung
von Hostien, Brot und Wein für die Abendmahlsfeier, iieschaffung und Auf-
steeken der Lichte, Beinigen der Altatgerlthe, Besiehen md Schmficken von
Altar nnd Kanzel, Heizung der Kirche nnd Sacristei, Balgentreten und Schmierai,
Beinigea der Kirche, Kirchen wasche, sowie Reinigung und Aufbewahrung der
vaaa sacra. Dienstleist nnerfn bei Tanffn. Stellung von Handtüchern. Besorgung
von Glockenfett, Schmieren der Glucken, Glockenriemen nnd Kirrlu ntliiiren.
ölen. Aufziehen und Stellen der Thurmuhr, Aufbewahrung der Kirchen-
schliissel, Begleitung der Geistlichen za Krankencommnnionen nnd zn sonstigen
Hinisterialhandlungen, sowie Tragen der vasa sacra, Qrabanweisnng, Reinigung
des Kirchhofs nnd der Wesre von der Straße zur Kirche, Beschneiden der
Kirchhofshecken. Einladen der kirclilichen Gemeindeorgane zu lieii Sitzungen.
Befürdening von Circularen; b; speciell in den evangelischen Gemeinden; £in-
sanmlnog des Opfiers bei Minist^ialhaodlungen, Erhebung und Einsammlnng
besonderer kirchlicher Abgaben, sowie des Oeldes für Grabstellen, Einladung
zu Hochzeiten nnd Leichenbegängnissen, Patent-Controle, Currendebefdrderang,
Gesang bei Beerdignnc:en ; c) speciell in den katliolisrlien Gemeinden: Besorgung
der Kohlen zur Räutliei ung, An- und Au.skleiden der (.ieistlichen zu den Amts-
handlungen, Unterhaltung der ewigen Lantpe, Auslegen und Verwahren dei*
Paramente, Besovgnng des Weihwassers, Besorgung der Todteabahre bei Reqnhil*
messen, Bedienung der Ghwlampe." Sapienti sat!
Ans Sachsen. Will man unser in ruhiger Entwickelung begi'iffenes
Schulwesen mit einem Schiff vergleichen, so Iftsst sich auf dasselbe das Wort
Uhlands anwenden:
Ein Schifflein ziehet lei.se
Den Strom hin sein (Geleise.
Zuweilen über hält das Schulscliitt an, die Insassen steigen ans Land und
vereinigen sich zu ernst- fröhlicher Versammlung. So war es auch letzte
HichaelisfBrien, in welchen der Allgemeine S&chsisehe Lehrerverein seine
IX« Generalversammlung (seit der Reorganisation von 1874) abhielt, und
zwar in der Haupt- und Residenzstadt Dresden. 'A(M)2 Personen des Lehr-
stundes hatten das Schulschili' verlassen und traten in groüer Versammlung vor
die Öffentlichkeit. Mit so hoher Theilnehmerzahl hat die Dresdner Versammlang
die GrOBe der letzten Allgem. Deutsch. Lehrerversammlnng in Mannheim erreicht
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nnd zugleich alle bisherigen sächsischen LehrerversammlnDgen ttbertroffen
(8. „Pa^d.** X, II. H und XII, H. 3). Der so zahlrfiehe Besnoh ist jeden&lls
auch der schönen und centi-alen Lage Dresdens mit zuzuschreiben.
Den 27. September abends 7 Uhr: Versammlnng der Abgeordneten
(Delegaten) im Saale der Altatadter Frelmanrerloge. Der SduriftfBbrer Dir.
Altner-Dresden erstattet den Jahresbericht über die Thätigkeit des Allg.
Sächs. L.-V. und seines Vorstandes: Dor Verein umfasse z. Z. 6700 Mit-
glieder, 500 mehr als im vorigen Jahre. Er gliedert sich in 66 Bezirksvereine,
welche durch 206 Delegirte vertreten werden. (^Auf je 30 Mitglieder ist ein
Delegirter zn wfthlen.) Die 66 Berirksrereine hielten im Berlcht^ahre
(1. Oct. 1890—30. Sept. 1891) 399 Vereammlnngen ab, in welchen hanptr
sächlich die Frage einer Revision bpz. Vermindemng des religiösen Meraorir-
Stoffes erwot^en wurde. Dt r gesetzlich vorgeschriebene religiöse Memorir-
stoff (Verlag von A. Huiile, Dresden) ist vom Bez.-Ver. Cherauitz einer
BeviBion nntenogen worden; das Gntaditen urarde in der „Siehe. Sehnlztg."
veröffentlicht (1891 » Nr. 26) nnd von 64 Besirksvereinen dnrehberatheo. Das
Ei^ebnis der Berathnngen ist ein sein- verschiedenes: aller Walnsdieinlichkeit
nach muss sich eine Majorität für die Revision und ]Jes( hrilnkung des
Mcmorirstoffes ergeben, nach den vorhandenen Unterlagen lilsst sich aber
noch nicht feststellen, was an Stelle des bisher Gültigen treten soll. Das vor-
handene Material wird daher, soweit es sich dasn eignet, durch die „SKchs.
Schnlztg.'' veröffentlicht werden, damit eine abermalige Aussprache erfolge,
nnd die Bezirksvereine Dresden nnd ?>eihprg werden mit der Ausarbeitung-
einer endgültigen Vorlage betraut, die sudann dem kgl. Ministerium des Cultus
und öä'eutlichen Unterrichts zugehen soll mit der Bitte, die vorgenommene
Bevision gntznheiBen nnd gesetsUeh durchznflbien. — In dcE 899 Sitmiogea
der Besirksverdne sind vide wichtige Frsgmi aus den verschiedensten Unter-
nchtsftchern erörtert, auch Berichte entgegengenommen worden über die
Mannheimer Allgemeine Deutsche Lehrerversammlung: Törnal). In wirklich
erhebender Weise ist 189U Altmeister Diesterweg gefeiert worden. Aus
24 Bezirken liegen daiüber Berichte vor. Nicht minder sind im Diesterweg-
Jahre Peetaloazi, Gomeoins, Dittes nnd (in diesem Jahre) Th. KQmer gefeiert
worden. Von literarischen Ersclieiniingen worden in vielen Vereinen besprochen:
1. Güßfeldt: „Die Krzieliunff der deutschen Jugend", 2. Dr. Langbein: .,Rem-
brandt als Erzieher" und Ii. M. v, Egidy: »Ernste Gedanken'* lüber die
christliche ReligionJ, Verlag von 0. Wigand, Leipzig. Letztgenanntes Büchlein
enthftlt „ernste Oedanken", die schon oft in wissoischafllichen Werken ans-
gesproehen, aber erst jetst ins Volk drangen, s. B. Uber die Frage: „DU denn
überhanpt die Rechtgläobigkeit das Wesentlichste filr einen rechtfichaflFenen
Christen? (S. 10)". Anfsehen erregte das Seliriftchen besonders deshalb, weil
der Verfasser Oberstlieuteuant und etatsmäßiger Kgl. 8ächs. Stabsofhcier war,
der nadi Ersdieinen seiner Schrift seinen Abschied nahm.
Änf vieUkehe Anregimgen hin hat der Vorstand des Allg. S. L.-V.
Gesache an die Kgl. Regiernng gerichtet, es möge im Verordnungswege eine
einheitliche Schrift (Antiqua' und für alle Bildungsanstalten eine
übereinstimmende Tensurenscala eingeführt werden. Er.steres ist
wünschenswert, letzteres nothweudig. Der Cassenbericht weist nach
Ahng der Kosten ffir die 9. Qeneralversammlnng einen Bestand von 4500 If.
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auf, von wt'lehen sofort öiM) M. einstimmig der Comeniusst ifln 'I»;til.
('entralbibli(ithek) zu Leijtzig überwiesen werden; auch im Vorjahre bind der
Bibliothek vum Allg. 8. L.-V. 500 M. zugetlussen. Möchten doch alle deutscheu
Lehrararoiae nadi ihreii VermQgeiwTerhUtiiitseii die Comeniamtiftangr nnter-
•tfttnsn, damit de nicht wieder wie die letxten Male bei einem Deficit anlange
and schließlich gar unter den Hammer komme! Die deutsche Lehrerschaft
erhalte das Werk Heegers in ihrem eigenen Interesse (N'ergl. den Bericht über
die Stiftung auf der Mauniieimcr A. D. L.-Vers.) — Die Delegirteuveräammlung
beechlott weiter, u die Kgl. Kegiemng und die demnftchet wieder sBMumeB-
tretenden Landiktftnde eine ▼em Vorstende tm Vtrltmng febnehte Petition
einzureichen, in welcher um Erhöhung der gesetzlidm Vinimal geh alte
(s. pH'd. XII. H. 9 und Übernahme der AltPin/.ulagen anf die Staatscasse
gebeten wird. Die Hauptversammlung am folgenden Tasre trat diesem Beschlüsse
bei Im letzten \'ereinsjahre ist ein Mitglied des Vorstandes (Dir. Fink-Zittau)
nom kgl. Bezirke-SeholinBpector in Camenz, der Gebartaetadt Lening», ernannt
worden. Der neuge wählte Vorstand besteht aus 9 Mitgliedern: Seliamann-
Dresden, Altner-Itivsd.n. Kleinert-Dresden (Kedacteur der trefflichen ..Allgem.
Deutschen Lehrerz<itung". Leipzig. Klinkhardt), Schunack-Zwickau , Freyer-
Leip^ig, Kuhnert-Chemnitz, ÜÜder-Johanogeurgeustadt, MorgeDstern-Hermanns*
dorf, SchaüBr-Zlttao. Zorn ScMuue erstattete Dir. Jahn-Dteedeii Bericht Aber
den Stand der neuen Eolbe-Stiftnng im Siehe. Pestaloasi verein, wel^e s. Z.
3794 M. beträgt und von welcher die Zinsen dazu dienen sollen, solche Lehrer*
funilien zu untei-stützen. deren Oberhaupt geistiger Umnachtunir verfallen ist. —
Die 1. Hauptversammlung am 28. September wurde durch die
Anwesenheit Sr. £xc. des Herrn Unterrichtsministers Dr. v. Gerber
aar wichtigstoi von allen, die dar AUg. S. L.-V. in den letzten 20 Jahren ab*
gehalten hat, — Der \ or8itzende, Dir. Schumann-Dresden, bes-rüßte zunächst
die N'ersaninilung' mit einer Ansprache, in der er betonte: ])vv AU^. S. Ij.-V.
und damit zugleich der silclisische Lehrerstand habe schon viel erreicht, aber noch
gelte es, in festem Zusammeuschluss fortgesetzt zu arbeiten an der Vervoll-
kommoong unserer Person, unserer Stellung, unanrer Wissenschaft,
unserer Kunst! In Vertretung dea Oberbttrgermeisters wurde sodann die
Versamminng namens der Stadt Dresden begrttBt von Bürgermeister BHnisch,
welcher sagte: „Wir dürfen Sie als die würdigsten und besten Mitarbeiter an
unseren commnnalen Bestrebungen begrüßen." Die Volksschule, bemerkte Hr.
Bfirgermeister Bönisch weiter, bilde anerkanntermaßen einen der hervorragendsten
Verwaltungsswelge der Gemeinden. Oelten doch die hohen edlen Zwecke der
Schule der Erziehung tttchtiger, brauchbarer Menschen, tfichtiger Bürger der
(ioiiH'indf' und des Staates, der Erziehung von Milnnem, die vor allem ihr
\ aterlund lieben und ihm zu nützen snchen. Die Stadt Dresd*>n 8<'i sich dieses
Zieles der Schule wolbewusst, und wenn dieses Ziel überhaupt erreicht wird,
so sei dies der tflobtigen und gewissenhaften Arbeit der Lehrerschaft an danken.
Was in Dresden der Fall, das gilt für das gaaae Land. Heute seien, Gott sei
Dank, die Zeiten vorüber, da man der Schule sich noch missgünstig gegenüber-
stellt»', i'^) Mit frt'Uilifrer Enii»tindnng beobachtet man heute, wie sieli zwischen
Schule uud Haus, Lehrern uud Kindern und Eltern ein freundliches Band des
Vertrauens und der Hochachtung geschlungen hat So begrüfie er denn die
Versammlung namens der Stadt Dresden auf das herzlichste, mit dem Wunsche,
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- 188 — .
dass die Vprliarullungen von den ersprießliclisten Erfolgen begleitet sein und die
zu läge tretenden Anregungen aut recht fruchtbaren Boden zum Heile der
Schale und des Gemeinwesens fallen, dass damit aber aach alle TbeOndaner
ein recht fireimdUehet Andenken an die Stadt Dresden nit hinw^dunon mDgen.
(Laate8 Bravo!) Den ersten Vortrag hielt Herr Oberlehrer Zenimrich-ZwickÄn
über die Frage : Bedarf die Volksschule einer \'erniehrung der Eeligions-
stunden? Die letzte (\'.) evang-.-luth. Laiulrs.syiiode des Königr. Sachsen hat
eine Petition einer Fredigercuulerenz um \ ermchruug der Religiousstunden der
VoUcBSchnle zur ErwSgong bez. Berficksichtigrnng ttberwieMn; seitdem ist obig«
Frage bei uns eine vielbesprochene. Hedner beantwortet sie Tollstftndig n e g at i v.
Er legt den Schweriiunkt des Religionsunterrichtes in die Intensit.tt desselben,
die sich aber nur durch eine Änderung des bisher üblichen (scholastischen)
Lehj' Verfahrens erreichen lässt. Unser heutiger lieligionsunterriclit leide nicht
nnr nnter dem EncyklopftdiamiiB, sondeni amdi unter der Systematik.
Die Anwendung der letzteren «ei für die Fassnngskraft d«r Kinder viel zn
hoch. In der praktischen Tlieologie lierrsche gegeowirtigr eine Bewegung, die
systematische Dogmatik von der Kanzel xn verweifen, warum solle sie nicht
auch aus der Schule treten können? Redner schließt seinen wiederholt mit
BeifalUmfen unterbrochenen Vortrag, indem er folgende Resolution einbringt:
„In ErwAgong* dessen, dass
1. die dem Hohen LandesconsistMimn eingereicht i n Ephoralberichte über
die Ertheilung: des Religionsunterrichts in den Volksschulen ihre Be-
frieiliffuiif^ über den fraglichen Unterricht ausg'esprochen haben.
2. die Verordnung des Hohen Ministeriums des Cultus und üUentlicheu
Unterrichu vom 21. Hai 1881 filr die Seholen, in welchen die
JBrgebnisse des Beligionsnnterrichts den Anibrdemngen der Behörden
nicht entsprechen, bereits eine zeitweilige Vermehnuig der Beligione»
stunden bestimmt,
3. in der Erreichung des Ziels des Memorirens keine allgemeine
Unsicherheit zn erkennen ist,.
4. die Me und da beobachtete ündcherhelt der Kinder in der Beherr»
schung des religiösen Memorirstoffs nicht in dem Kangel an 2Seit»
sondern vielmehr darin, dass ein Theil des fraglichen vorgeschriebenen
Stottes zu weniy- der kindlichen Kassnnpskraft entspricht und nach
Inhalt und Form als ungeeignet zu bezeichnen ist, ihre Erklärung hndet,
5. bei richtiger Vertheilang dea religiSsen HemorierstoiEi auf die einzelnen
AlterBstnfen — die Sichtnng und Verringerung deaielben voraus-
gesetzt — und richtiger Gestaltung der Wiederholung die zu wünschende
Sicherheit in der Beherrschong desselben seitens der Kinder sich wol
erreichen lässt,
6. die Zahl der wöchentlichen ünterrichtsstanden aus gesundheitlichen
GrSnden in den mittleren and hSharen Volkasehnlen nicht vermehrt,
auch
7. die den übrigen Unterrichtstachern zugewiesene Zeit aus didactischen
und erzieherischen Gründen nicht \crkürzt. int^leichen
8. von den in § 2 des Volksschulgesetzes vom 26. April 1873 vor-
gesehenen wesentUchm GegensOndcii des ünterrichts ohne Schädigung
des Erziehmigszweekes keiner gestrichen werden kann,
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9. Sachsens \ nlksgchulen den höchsten procentualen SatK an Keligxous-
stunden besitzen und endlich
10. die erziehliche Wiikang des Keligionsuntemchu» nicht von der deni-
selben gewidmeten Zeit, auch nicht von der Maaee, sondern allein von
der Intensitftt des reU|^9sen Wissens abhftngt,
vermag die 9. Hanptversamminng des AUgromeinen Sächsischen Lehrervereins
die Nothwendigkeit einer Vermehrnn^ der Religionsstimden nicht anzuerkennen.
wol aber hält dieselbe angesiciits der großen (iefahreu des sittlich-religiösen
Lebens eine Vertiefung des religiösen Wissens und znr Erreichung dieses
Zweckes eine Reform des Beligionsonterrichts anf der Oberstufe für geboten
und zwar dahingehend, dass der Katechismnsunterricht und der rnterricht in
der biblisclit-n (iescliichte vereinigt werde, letzterer die Grundlage der religiösen
Unterweisung bilde und die Kinder insbesondere eine lebendige, möglichst
eingehende Anschauung und Kenntnis de» Lebens, der Wirksamkeit und der
Lebre des Erlösers und der Apostel erhalten.** Die Resolntion gelangte nach
kurzer Debatte gegen 3 Stimmen (von etwa 2200) zur Annahme. An der
Debatte betheiligte sich als Gast Consistorialrath und Superintendent Dr. th.
Dibelius-Dresden: er ging auf einige Punkte in der tindunf? <ler Tliesen
ein und scUloss mit einem Danke an den \'ortragenden, da%s dieser am SchlubSe
des Vortrages klar ausgesprochen habe: Nnr das eine Ziel sei SB verÜDlcen,
die Kinder an Christo an ftthren. (BeifttU.) Der dem einflnssreicben
geistlichen Bedner gezollte Beifall erklärt sieh daraus, dass der Lehrerstaud
mit dem genannten Ziele sittlicli-relis:i'isei- Bildung- vollständig einverstanden
ist und von je einverstanden war. .Ja. es sei hier ausdrücklich ausgesprochen,
dass die Lehrerschaft niemals ein anderes als das angegebene Ziel religiöser
Jngendbildnng gewollt hat und auch niemalB ein anderes erstreben wirdi Des
darf die gesauimte QeistUdikeit sicher sein! Nur über den Weg zu diesem
Ziele sind die Lehrer mit den Geistlichen nicht allenthalben einer Meinung.
,.1'ber die wirksamsten Mittel zur Hebung des Lehrerstaudes.
Histurisch-politische Betrachtung'', so lautete das Thema des 2. VorU'ages.
gehalten toh Sem.-Dir. Schulrath Israel-Zschopaa. Diese Betrachtung
hatte schon an sich hohen Wert; sie wurde aber noch wertvoller, weil sie
angestellt ward von einem Manne, der nicht fwie manche — oder viele? —
seinesgleichen! anf hohem Kothurn einherschreitet , sondern nach dem Vor-
bilde Diesterwe^s tieiüie: mit den Lehrern verkehrt; drittens war es von
Bedeutung, dass Se. £xc. der Herr Uuterrichtsminister gerade diesem
Vortrage zohSrte. Knrz nach Beginn desselben war der Hfanister in Begleitoncr
des Geh. Sclmlratlis Rockel erschienen. Der Redner (Herausgeber von ,.Neu-
drucken pild. Schriften"^. Zschojiau bei Haschke) entwarf auf Grund reicher
Quellenstudien ein Bild der ganzen liistorisclien Ent Wickelung des (deutschen)
Lehrerstandes. Er wies nach, wie der Lehrerstaud durch die „Klinke der
Gesetsgebnng'', durch gemeindliche Ffirsorge nud vor allem durch
eigene energische Th&tigkeit (Bildung, Fortbildung, genossenschaftliche
Selbsthilfe, zu dem heutigen Stande gelangt sei. Ks ward erwähnt: Dass die
Reformation nnr Kirchenschulen kannte: dass Balth. Schupp gesagt: ..Die
Lehrer haben Zeisi^futter und Eselsarbeit": dass 17*i4 eine Dissertation
erschien: ,,De jure praeceptoris'', durch welche der Lehrstand von der Rechts-
Wissenschaft zuerst als ein selbstst&ndiger Stand anerkannt wird; dass (in
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Sachsen) von einer eigentlichen H e b n n g deBLehreratudeeerit die Rede wnin kann,
•eitdein das Königreich (1831) ein Verfassunpsstaat geworden ist n. v. a. m.
Redner Hell es auch nicht an beherzigrenswerten Mahnworten zum Weiterbeschreiten
der eing:eschlagenen Bahnen fehlen, namentlich ermahnte er den Lehrerstand,
aiflh von politladi«n Putelgetriebe jedwaMmr Art Unrnnlnltm mid in den
Fordeningen an die Begiemng, wweit aie nach benehtigt eredMlnen, «Inen
maßvollen Standpunkt einEtmehmen. „Gerade für die Lehrer ist, mefaie icb,
die Fabel von Wandersmann, Sonne und Wind lehiTeich : was Wind und Stnrm
nicht veniioihten, erreicht gar leicht die Sonne". So hat nach der ^Hannov.
Schnlztg. " aui 12. Juli d. J. der deutsche Reichskanzler a. D. Fürst Bismaick
in Friedriehtnih z« der Oberdasee des Seminars ans Weimar gesagt, die ikm
ein Stindehen brachte; so schloss auch Schnirath Israel seinen mit großem Beifül
an^penommenen Vortrag: Die Sonne (der Ai bcif und Ueduld) muss beharr-
lieh scheinen! Dann wird der Mann im pingeiiiillten Mantel denselben able#fen.
Nach Beendigung: des Vortrages nahm der Vorsitzende das Wort, nin
Sr. Exc. dem Hrn. Cultusminister Dr. v. Gerber für dessen Erscheinen den
Dank der Versammlung za entbieten nnd Üin sn bitten, dem Lehrerstande
Sadisens das demselben bisher entgegengebrachte WolwoU«! aaeh fbmeriiin
zn erhalten. Die Versammlung folgte findig der Aufforderung, Sr. Exc. ein
dreifaches Hoch ansznbring:( n. Hr. Dr. v. Gerber dankte mit der Versiehemng,
dass es ihm ein Vergnügen gewesen sei, in der Versammlung einige Zeit ver-
weilai sa kSnnen, und wUnsehte den ferneren Berathungen segensreichen Erfolg.
Der S. Vortrag: Ȇber die Behandlnng stammelnder nnd stotternder
Schulkinder" wurde gehalten von H. E. Stotzner, Dir. der Taubstummen* ,
anstalt zu Dresden (Redact. des ^Anz. f. die neiifste jjfid. Literatur". Beibl.
zur „AUg. D. Lehrerztg."). Die instruetiven Ausführungen dieses Fachmannes
Stützten sich u. a. auch auf das im „Pced." namhaft gemachte Bach von
Gotzmann. —
In der 2. Hanptversammlnng am 29. Sept sprach zuerst Lehrer
Eberth-Dresden über die Frage: „In welcher Weise kann die Fort-
bildungsschule den Anforderungen der Zeit am besten Genftge
leisten?" Er fjisste seine Ausführungen in folgende Sätze zusammen:
I. Die Fortbildungsschule hat neben der allgemeinen Ausbildung der
Schüler ganz besonders die Aufgabe, sich in den Dienst des praktischen und
berafliohen Lebens za steilen,
IL Die allgemeiiien FortbÜdingsseholfln sind überall da, wo es angängig
ist, in fiwhberafllGlie Scholen bez. in Bemftdassen unsawandeln.
III. Um eine für die Unterrichtsergebnisse wttnsehenswerte Gliedemng
innerhalb der einzelnen Berufsangehörigen zu ermöglichen, empfiehlt es sich,
in gi-oßen Orten die kleinen Fortbildiingsschiilen zu vereinigm und anter ein-
heitliche Leitung zu stellen.
IV. Der Lebensberuf des Schttlers bilde so oft als mdglich den Aasgangs-
ponkt fUr die mlerriditllche Behandlang der Lehntoire.
V. Die schwächsten Schüler sind in NachhilfBclassen zu vereinigen, in
denen nur Deutsch nnd Rechnen als ünterrichtsgegenstUnde auftreten.
VI. Zur Weckung des Interesse.s ist auch in diesen Nachhilfedassen dem
Unterrichte eine praktische Färbung zu verleihen.
Pädagogium. 14. Jnhrg. Heft III. 14 ^
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VII. Bei Aufstellung des Lelii jdanes sind g-eeig^iete Vertreter der Rerufs-
arteu zn Rathe zu ziehen und tlie thätig^ Theilnahme hervorragender Berufs-
genoMen an der Unterricbtaertbeiluug ist zu empfehlen.
VIII, Fflr jedin B«nif tot eine das OflMhUldeibea ivwlf stifmde üata^
richtäzeit auszusuchen ; doch itt hierbei von den AbendatondeD «nd vom Somitaff
Abstand zu nehmen/'
Diesen Sätzen wurde im allg:enieinen zugestimmt.
Am ersten Tage hatte die Versummlnng folgendes Begrüßungstelegramm
beeeUomn: „Sr. Higesat dem König Albert, dem rabmreioheii Sieger auf
dem Felde der Ehre, dem tnneii Förderer der Kfloste and Wiaeeneehalteii,
dem Schirmherm der Wolfethrt unseres Volkes, dem auch die Volksschule hebe
landesväterliche Fürsorge zu danken hat, sendet ehrfurchtsvollen Gruß der
AUg. S. L.-V.'* Darauf war von 8r. Maj. dem König eine telegraphische
Antwort eingegangen des Inhalts: „Ich danke herzlich für den mir zuge-
gaagenen freondliehen Groß. Albert,"
Den letzten Vortrag hielt Lehrer Moritz Mfiller-Leipzig über „Bildung
— Halbbildung" unter Beleuchtung der Angiiffe auf die Bildung der Volks-
schnllehrer. Die Widerlegung dieser Angrifte bildete nach einer eingehenden
Deduction der Begriffe: „Bildung uud Halbbildung" den Haapttheü der Dar-
legungen den Bednen. Den Angriffen, sagte er, stehen ebenwvinle nnd
noch weit gewichtigere Aignmente gegentlber, welche für die Bildung dei
Lehrerstandes und seine von ihr bedingte Thätigkeit ehrendes Zeugnis
ablegen ; gegenüber der versuchten Herabwürdigung des Lehrerstandes auf der
einen Seite bemerken wir eine große Hochachtung uud Wertschätzung auf
deranderen, nodi competenteren Seite. So erwähnte der Vortragende n. a.
anch dea hochaditbareii HUndiener Ünivenitita-Frof. Dr. J. Frohschammer,
dessen Würdigung des Lehrerstandes und seiner Aufgabe besonders in den
letzten Schriften dieses deutschen Denkers hervortritt; den Lesern des „T^n-d."
ist Dr. J. Frohschammer allerdings längst bekannt als ein Mann, dem die
ganze Lehrerschaft iu Dankbarkeit volle Aufmerksamkeit zuwenden sollte,
weldie er nm seiner Werke wülea Terdient. Gana besonders richtetm sidi die
Ausfühnmgen des Vortragenden gegen die von der „Leipziger Zeitung** nnd
den „Grenzboten" gebrachten gehllssigen nnd herabwürdigenden Angriffe gegen
den Lehrerstand, die tietl)etrültciid mid geradezu den Ruf des sächsischen
Volkes schädigend seien and gegen welche Entehrung die Lehrerschaft nicht
nur im eigenen Interesse aondem amdi im Intereaae der Begiemng protestiren
müsse. Der Vortrag, der mit stUrmischem Beiftdl begriUlt wurde, wird gleich
den ttbiigen in seinem gannen ümüuige in der »Slehs. Sehulstg.** nun Abdruck
gelangen.
In den Neben Versammlungen wurde gesprochen über den H andfert igkeit s-
onterricht, über neue Anscliauuugsmittel für das Rechnen und den geometrischen
Untorrldit. über den gegenwärtigen Stand des SterbefiülTmldieningsweaens
innerhalb der sächsischen Lehrerschaft. Anßerdem fanden statt: eine Sitnung
dt's „SHchs. Pestalozzivereins*^ utirer Vorsitz „des hochverdienten Veteranen des
sUchs. Volksschulwesens", des TSjiUnii^eii Oberschulraths A. Berthelt; eine
Hauptversammlung der „Allg. Braudversichernngsgesellschaft sächs. Lehrer";
«ine auflenxrdentlioh idclil»ltigeLelirniittel8ns8tellung(Veranschanlichang einer
^Lebensgemeinschaft'') u. a. f.
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Zur Verschfiner iing^ der r)re8dner Ve!*sanimlung diente u. a. ein Concert
des „Dresdner Lehrergesangvereins'* („Die Mette von Marienborg", Dichtang
Ton Fei. Dahn, comp, von 0. Wermanii, op. 75) unter Leitung des k. Mttsikdir.
Pmf. Om. Wwaami «d «uter Xitwirknng kttnitlefiioiMr Stifte, s. B. ier
MUunten Wagnersftng«rin FrL Therese Kalten. —
Der „Allf. SAche. L.-V." kann mit Befriedigung auf seine 9. H&npt-
versammlnng znrflckbiicken und darf hoffen, dass ihr Wellenschlag an manches
Ohr gedrungen ist. Mi3ge ihm dadurch auch manches Herz gewonnen woi den sein!
„Wo viel Licht ist, ist starker Schatten'', sagt Goethe im ^Götz^. So
ist es aaeh bei uns, wo dch neben dem „AUg. S. L.-V." jungst eine „ Freie
Vereinignng evMntb. Lehrer im Kgr. Saehaen** gebildet hat Wir kOnnen die
Nothwendigkeit einer solchen Vereinigung nicht anerkennen! Zwar sagen
die Mitglieder demiben: „Wir beabsichtigen nicht, uns von den bereits
bestehenden Lehrervereinigungen zu trennen, denn wir erkennen freudig an,
wieviel durch ihre bewährten Vorkämpfer für die Interessen der Volksscliule und
ihrer Lehrerenreieht worden, wievlelSegen ans ihren Bemflhnngen horrorgegangen
irt." Thatsftchlich aber ist es doch dne Trennung, und zwar eine beab-
sichtigte! „In den Vereins -Versammlungen sollen Schul- und Erziehungs-
fragen der Gegenwart vom kirchlichen Standpunkte aus geprüft und be-
sprochen werden. Als ob dies noch besonders nöthig wäre! Alle „maßgebenden
Factoren" sind bei «na daAr besorgt, dass die kirahlffllMii Biteressen allaeit
gewahrt werden. Wir mlshten der „P. V. e.-L L. 1. K S.** nurnfen: Seid ihr,
wie ihr sagt, „zn thatkrftftiger Mitarbeit an den socialen Aufgaben unserer
Zeit" bereit, so schließt euch nicht ab, sondern thut wie Paulus und gehet hin
unter das Volk'': denn nicht unter euch ist, wie wir glauben, die Religiosität
im Schwinden begriffen, sondern „unter dem Volke"! —
Das neneste Handbuch der Schal statt stik für das Königreich Sachsen
bringt folgende Angaben über das sächsische Schulwesen: Sachsen hat 1898
Orte mit und 1175 Orte ohne Volksschulen. Die Zahl der öffentlichen evan-
gelischen Volksschulen betrilgt 2171, di»' der öffentlichen römisch-katholischen 39.
Außerdem gibt es 17 Vereins- und Stiftungs- und 60 Privatschulen, so dass
steh 8287 als Geaammisahl der Volksschnlen ergibt Dasn treten 1943 Fort-
bildnagssehnleo. Die SehiUeraahl sKmmtlieher Volluadnlen beltaft sich anf
591 084. von denen575660 evangelisch, 13 131 rSmisch-katholisch sindond 2393
anderen Conft'ssionen angehRren. Die Fortbildungsschulen werden von 70270
Schülern, einschließlich 1462 Mädchen, besucht. Als Lehrkräfte wirken an den
evangelischen Volksschnlen 285 Directoren, 7823 Lehrer und 226 Lehrerinnen,
snsaniniMi 8384 Personen, an den katholischen 7 Directoren, 112 Lehrer nnd
17 Lehrerinnen, zusammen 13(). Außerdem zählen die Privat«chulen 576 Lehr-
kräfte, von denen 327 ansschließlirh an Privatsrhulon wirken. Hiernach beläuft
sich die Gesaramtzahl der Lehrkrüttc Ub«'rhaui»t auf 8797. Auf 1 Lehrer
kommen durchschnittlich 67,19, anf eine Volksschule 259 Sehulkinder. Das
Vemiehnls der an hSheren Schulen nnd an Volksschnlen emerltirten Lehrer
lAhrt 627 Namen anf. (Jnnipems.)
AttsDresden. [Zur Frauenfrage.J Das „FsBd.* hat stets der Fr auen-
ftrage als einen wichtigen (EniehnngsV Probleme der Gegenwart grolle
14*
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Aufmerksamkeit zugewandt ; Ja. es hat einige der gründliclisten ,.Stiniien" zu
derselben veröffenüicht (II, s'. 201 flF.; VIII, S. 700 ff.). VieUeicht ist es den
Leaern nidit «aintenittiit, einige Meinnogen Uber (HeM CtagengtuA Ava dam
Kraiaa der Frauen m hAien. Die (berechtigte) Airitatioa in Sadien dar
«Franenfrage" hat namentlich der seit 1865 bestehende „Dentsche Franen-
verein'* auf seine Fahne geschrieben, welcher am 27.' und 28. Sept. hiei-selbst
seine 16. Generalversammlung abhielt, über die einiges mitgetheilt sein mag.
Den einleitenden Vortrag hielt Frl. Auguste Schmidt-Leipzig über
die Bernfsthttiirlcait der Fran. Rednerin betrachtete, mm für uid wider
die Berufsth&tigkeit der Fran ins Feld geführt wird. Aosgeliend von aU-
meinen Gesichtspunkten schilderte Frl. Schmidt die Stellung der Frau inner-
halb und außerhalb des Hauses und tadelte die unrichtige Erziehung, welche
meist den Töclitem zaüieil wird; idhu müsse sie einei* menschlichen Be-
BÜBunnag, nadi dem Wesen ihrer Anlage, snfttlirea. Die FraMD, beeocden die
der oberen Ereiae, werden mm Düettantiamaa erzogen, nnd man wandert sich
dann Aber ihre Oberflächlichkeit nnd Mittelmäßigkeit. Nicht im We^en der
Fran liegen diese oft vorkommenden beklagenswerten Eigenaohaftent aondern
eben in mangelhatter Ausbildung und Erziehung.
Die Kednerin unterzieht die Stellung der Fran in der ElhOi als Hanafraa
md Mntter, einer Betrachtnnir, ebenao die Stellnag dea Sohnea nnd der Toeliter
im Hause.
Neben dem natürlichen Berufe der Frau und den Pflichten im Hause
er wächst heute aber auch der Frau die Nolh wendigkeit einerBerufsthätigkeit außer-
halb der Grens^u des Hauswesens an und lür sich. Die Gegner der Bewegung
sagen, daaa eine aoklie Bernfttlifttigkeit den Fnuien den natSrlichen Beruf
nSlmie; aber die Bestrebungen aind gerade daranf gerialitetk die Fran tauf lieher
sn machen, das Hans zn erbauen.
Zahlreich sind die Einwürfe, welche man dem praktischen Frauenbernfe
gegenüber macht. Es war der Kednerin darum zu thun, diese Einwürfe zu
prüfen nnd sie als nicht stichiialtig znrttckanweiaen. Der erste Einwand sagt,
daaa die Fran dmreh die Vorbenitnngen cur BemftthfttiglGeit dem Hanae ent*
fremdet werde. Aber die Erfahrung beweist das Gegentheil. Die treibende
Kraft für die hUusliche Tliäti^keit der Frau ist die Lipbe und treue Hin-
gebuner, und solanpe die^e Kiatt hoiiu praktischen l^orutV- iiidif verloren fi:eht,
wird aucii die Frau füi- die Erfüllung der häuslicheu l'liichteu immer tüchtig
bleiben. Ebenso hinfUUg ist die Behauptung, dass im BemlUeben die Frenda
an den hftnslichen Arbeiten erlahme oder schMrinde. Die Ermüdung etc. sei
individuell, utmI man fllnde vielmehr, dass eine Berufsthätigkeit die Fran
kräftiger und widerstaiuisfiUiig-er mache, als dass sie die Kräfte vennindere.
Die Frau wird selbststäudiger, aber nicht etwa — wie die Männer füi'chten —
an denn Nacbtheil, denn die Teratindige Fran wird Beeht and ümmlit an
onteraoheiden wisaen, nnd ihre Selbstatlndiglteit kann nnr znm Wole der
Familie dienen. Die Natur der Fran widentrebt praktischem Berufe nicht.
Die vielen Tausend arbt itenden Frauen beweisen das. Nur die Frauen der oberen
Ständesindnichttähigzusolchem, und da soll eben die vernünftigere Erziehung
Abliilfe schaffen. Dann aber handelt es sicli auch nicht nur um körperliche,
sondern anch nm geiatif e Arbeit. Zn soloher soll die Fran ffthig gemaeht werden
und die IfOglichkeit ist Torfaanden. Bednerin leugnet, daaa die geistige BUdnnga-
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fiihigrkeit der Frau geriuger sei als die des Mannes l>a die Ent Wickelung- des
Deukprocesses bei der Frau dieselbe ist wie beim Mauue, uud da vermüge des
DenkprocMMt die geistige Bildong anfgenooniieB wfjed, ao IfMui diMdbe avoh
M bflün Geaflfalvditani auf die flciohe Stoib gelnwiht mtden.
Der widitigste Einwaod gegea die Berufstbfttagli^eit der Frau ist die
Concurrenzfrag:e, aber ancli dieser ist zu begegnen. Hier ist es die Xoth-
wendigkeit; der lieiüigste Mauu ist nicht immer imstande, die Familie zn
ernBbren, und die Frau moss eingreifen. — Zu tadeln sei die ungleiche Be-
saUnag deneUMD Arbeit bei Hann nnd Fraa. Maa veriangt die Benhlaag
des Lohnes nach der tliatsächlich geleisteten Arbeit und nicht nacli dem
Geschlecht. Dann stehen sich Mann uud Frau gleich gegenüber. Was den
Verlust der \\>iblichkeit betrifft, den mau bei der Berufsthätigkeit befürchtet,
so meint man, dass diese Weiblichkeit bei geordneter Thätigkeit besser gewähl t
aei, als bei den jungen IfIdeheB, die weiter aichta au thoa liaben, ale sieb oaeb
«inem Maane amwisehen.
Bei den unteren Ständen erhalten die Mftdchen die gleiche Erziehung
wie die Knaben. Die Iiöhere Mädchenschule aber bringt die Ireunung. Die
Jetzige Erziehuugsweise macht es erklärlich, dass die Männer die Unterhaltung
mit den Freoadea am Stammtische der mit der Frau zu Haase voniehen.
Die Fraoen der besitaeadea Olaase eataebliefiea sieb aar schwer, sieh
SQ daam Berufe heranzubilden, sie betrachten die Ehe als den nothwendigea
Ausgang der Jugend. Von diesen Töclitern wünscht Rednerin. dass sie länger
als bis zum 16. Jahre in der vSchule bleiben, natürlich die Zeit zu ernster Arbeit
-ausnutzend; dann nach geeigneter Ausbildung sollen diese Frauen den wol-
th&tigen MBmtUebea Anstalten ihre Kraft and ttberflflsaige Zeit widmen. Anders
ist es mit den Töchtern, die awar den besserea Stftnden aagehSiea» aber nicht
besitzend sind. Hier macht die falsche Erziehung sich am meisten
geltend, wenn die Töchter anspruchsvoll aufgewachsen und nacli dem Tode
des Vaters mittellos, kraftlos und aussichtslos dastehen, zu keinem praktischen
Banfe Obic
Es spricht Fiaa Dr. Heariette Ooldaebmldt-Leipaig Uber das
Thema: „Die Frauenfrage eine Cultarfrage.*' Die Ausf&hmngea
der Rednerin kennzeichneten die Frauenfrage zunRchst im allgemeinen, um
sodann die Stellung der Frau im Culturleben der verschiedeneu Volker zu
beleuchten. Die W^ünsche der Frauen richten sich vor allem nach dem Becht
der Persönlichkeit in geistiger und sitUieher BetbUtignng nnd gegen die
Ungleichheit im politischen nnd Ehereeht. In England und Amerika etc. muss
der Staat bereits mit der Frau rechnen. Die Frauenfrage sei keine Brot-
und Erwerbs frage mehr und auch keine Jungfernfrage (wie sich
Eduard von üartmann ausdrückt), sondern das Weib müsse seine Talente
and Fähigkeitea eatwiekalB aad gdtead maefasa kOaBsn. Dia von Hartmaan
▼OEgaschlageBe Janggeseilenstaaer wflrde vieUeieht dem K5rper Nahrang
geben, aber den Geist darben lassen, nnd hier ist Hilfe am meisten nöthig.
Innerhalb der Familie, des Staates, des socialen Eebens soll der Frau diejenige
Stellung und der Einflnss eingeräumt werden, welche der Sonderheit des
Weibes gebären. Die Katuranlage gibt der Frau die Stellnng als Bildnerin,
Etaieherin, Pflegerin in der Familie. Dazu ist sie geaohaffen, und sie besitzt
an dleseia Berafb gaaa besondere Torallge. Wsmm soll sie die Eigenschaftea
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nicht weiter ausbilden und anch aiißerbalb der Familie bethätigen könnten,
yiie z. B. im Lehrberufe, im ärztlichen Berufe u. s. w.? Die Frau müsse ao,
wie sich Fraa von Mahrenholtz-Biilow einmal ansdrfidct, die geistige Mutter
der Memdilieit werden, wi« sie die sehtttiende, pflegende Motter inneriitlb der
Familie UtL Nicht um egroiBtische Grundsätze handle es sich, denn die Frau
verlange nicht nur für sich, sondern für das allgemeine Wol und zum Ausgleich
bestehender Cxegensätze, zur Krfüllung der Mission der allesversöhnenden Liebe.
Welche segensreiche Thätigkeit hat die Frau schon jetzt im Kriege entfaltet,
und wie viel mdur kflnnte sie es noeh! — Frau Dr. Goldaehinidt bdiaodelte
ebenfalls die ConcarrensA*age, auf die ausgleichende Kraft der Natur hiaweiBend.
Dabei sprach sie ii. a. den mit besonderem Beifall ausgesprochenen J^atz aus,
dass das Studium geislrfieher Frauen vielleicht dasjenige der mittelniUßigen
Männer einschränke. Schließlich wünscht Eednerin deigenigen Besti'ebungen
Brfbig, welfiiie dtranf geriditet alnd» der Frau die Stellung za venekaffen,
die tie nach Ihrw Bedeliiuigen an den eidtnrellen VerbUtnisseii der Zeit sa
lieanspmchen habe.
Unmittelbar an diesen Vortrag schloss sicli der von Frau Professor
Weber-Tübingen über „den jetzigen Stand der Arztinnenfrage".
Frau Weber ist bekannt als Autorität auf dem Gebiete der Fraueufrage,
•pedell hat sie sioli mit der ÄrstimieBfrage befust. Sie wies eingangs ihm
Vortrages aof die Brfblge hin, welche die Frau als Ärztin anderer Länder
errungen hat. so namentlich in Fnfrland, Amerika, der Schweis, Schweden,
Italien und selbst in der Türkei, ilun erkennt zwar auch in Deutschland immer
mehr die Berechtigung des Verlangens nach weiblichen Ärzten an, viele hervor-
ragende PetaSnlichlEeiteii nnd Zeitungen treten dalttr ein, aber ein greifbarer
ErfUg ist noch nicht ersielt Die Frage wird aneh in Deatiehland nicht mehr
▼OH der Bildflftche vwsehwinden, und ihre Erfüllung wird über kurz oder lang
That*ache werden. Wie in England und anderswo werden die Frauen durch-
dringen, wenn sie nur fest zusammenstehen und nicht ermüden. Hilfe wird
ihnen ja von immer mehr Seiten zntheil. Bednerln betrachtet es als ein
B&thael, dan gerade die dcntachen Fraaen noch am nnaelbetstindigsten sind,
während doch bei den alten Germanen die Fran in cnltnreller Beziehung die
bedeutendste Stellung hatte nnd dem Manne am meisten gleich stand. Zahl-
reiche Frauen üben in an<ieren Ländern ihren Beruf als Ärztinnen aus: in
Deutschland verweigert mau ihnen die Möglichkeit, dahin zu gelangen. Die
Petition, die im Frlll\|ahre 1891 dieoerhalb an den Reichstag geriehtet wurde,
blieb ohne Erfolg, man wird aber immer neue einbringen, mit Hinbliek aof
den anch in anderen Ländern erst nach mtthsamen Kämpfen emtngenen
Sieg. Freilich gibt es auch Länder, die ohne Schwierigkeiten sofort zugestimmt
haben. In Boston gibt es beispielsweise jetzt 40 und in Philadelphia 90 weib-
liche Ärate, die mit den minnlichen alle Rechte und Pflichten theilen.
Fran Prof. Weber nntenog die Oegner der Äntinnenflrage einer niheren
Betrachtung und theUte dieselben in drei Classen ein: erstens in solche, die
sich nicht htsniachen können vom Altgewohnten: zweitens in die Landes-
vertreter, die zwar im stillen dafür sind, aber die Si hwierigkeiten der Aus-
fUlirung fürchten, die zufrieden wären, wenn die Sache mit einem Male erledigt
>vSre; drittens die Ärste selbst, welehe theila der Fran die Flhigkeit absprechen,
theils ans Goncorrensneid dagegen sind. Allerdingi stehen viele Ärste aneh
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der Frage sympathisch gegenüber, was schon darans hervorgeht, dass die
Petition u. a. von 140 Ärzten untersclirieben gewesen ist. Besonders nöthig
ist die ÄritiB *iif den Lande «ndin Fabrikgegenden. Bei der Bespreohug
der Art nnd Weise des Franenstndiams iat Bednerin der Meinung, dass das
StU'liniii nicht etwa in eigenen Anstalten, sondern in Geraeinschaft und zu-
sammen mit den männlichen Studenten erfolgen mUsse, uud dass ebenso die
Examina dieselben seien and gemeinschaftlich abgelegt werden sollen. Die
ThitaMlie Uhit, dais ilch ana dem gemetoiainen Stodiom der Fnaen and
Mfenner nicht allein keine ünmtrigliohkeiten ergeben, «mdeni daas im Oegen-
theil ein günstiger Binflua anf die Lehrart und die Studenten ausgettbl wird.
Schließlieh macht die Rednerin noch mehrere Vorschläge betreffs der Übergangs-
periode, welche sich theils anf die medicinische Prüfungsordnong, tbeils auf
wolwollende Auslegung der Gewerbeordnung u. s. w. stützen.
Den niehaten Vortrag hielt Fran Marie Strttt-Dreeden, OafttiB des
früheren H(rfb|ieniflinger8 Stritt. Der Vortrag behandelte die hAneliche
Knabenerziehnng mit Rücksicht auf die Frauenfrage. Der so oft zu findende
Glaube an die Unfähigkeit der Frau, der auf falschen Anschauungen oder Un-
wissenheit beruht, gründet sich in der Hauptsache auf die Erziehung der
Knaben. Deudben werde vom ersten Tage ab die Heinong von der Ifinder-
werdgkeit der Schwester beigebraoht, nnd in ihnen werde Egoismus und der
Glaube an grOAeree Recht und aehr Starke geweckt. Die Bedneiln belegt
durcli Beispiele, wie die Knaben rar Missachtnng der Mädchen erzogen werden,
und wie dadurch im Schöße der Familie Sünde begangen werde. An den Sohn
wendet man auch viel mehr Geld, als an die Tochter; man lässt die Schwester
ihn naaehe Dienete lelsfeea, die er sieh seibat leisten mllnle, damit er auch im
lA'hen von den Dienstleistungen anderer weniger abhängig werde. Als größten
Erziehungsfehler tadelte Frau Stritt die große Nachsicht der Mütter den
Söhnen gegenüber, namentlich bei jenen Streichen, die man unter die Rubrik
einreiht: die Jugend muss austoben. Recht gefährliche nnd verhängnisvolle
Dinge werden ndt diesen Worten vom Anstoben sogedeekt and atillaehweigend
gednldet, nnd Idder neigt es sieh dann, daaa das Toben nicht anfhOrt Und
wieder ist es das weibliche Geschlecht, das nnter den Ausschreitungen der
Männer am meisten zu leiden hat. Aufgabe der Mutter sei es, die Söhne zu
lehren, die Schwester als gleichberechtigt anzusehen, sie nicht als geringeres,
minderwertiges Wesen anzusehen , sondern als starke Mitkämpferin in dem
Kampfs nm das Dasein.
Aus dem Großiierzogthnm Baden. [Mitte October.] Vor 10 Jahren
wurde auf directe Veranlassung der Hauptlehrer Dühmig iu Buhl bei Baden
nnd Dr. Henaer in Mannheim die „Conoordia", eine „Actiengesellaehaft Ar
Dnck nnd Verlag*, in BflU gegriadet. Trota mannigfiusher Hindemiaae von
oben nnd unten , trotz gemeiner SchmShnngen der genannten Personen in
der Presse und Maßregeluni? des oben genannten Dr. M., gedieh das Unter-
nehmen aufs beste nnd steht heute nach innen nnd anßen gefestigt zur Ehre
der badischen Lehrerschaft da. Zweck der „Concordia" ist die Unterstützung
nothleidender Lehrer nnd Lehrerrelicten. Seit ihrem Beetehen hat die „Oonoordia"
an die beiden WoMrittigkeitaanatalten, den bad. Peetalozziverein nnd das Wwen-
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«nd Waisen-Stift Letarar, an OBtentttnmgea Ar nothleidfliidfi Ldurar and
Xieiirerrelicten die bedeutende Snnune von 36266 Mark vertheilt, Aach in
dem aVi^t'laufenen Vereinsjahre wnrde abermals eine namhafte Snmme zu ge-
dachtem Z\ve(:ke erübrigt. „Bist, du Cljristus, so hilt dir und unsl^ heißt es in
der Bibel; deu Christus der Lehrer iu gedachtem äiime vertritt die „Selbst-
hilfe!'* llüge de immer mehr cntaihen, denn ein Zawarten» bie die ,|Hilfe
▼en Zion** kommt, könnte nur Venweiflnov fthnn« snmal die soff. „Nothhilfe*'
in den meisten FäUen sehr problematischer Natur ist. —
Am o. October wui-de zu Otfenburg die Generalvei-sammhing des ^Allg.
B^discheu Vulkäschullehrer- Vereins" abgehalten, die ein höchst erfreu-
liches Bild collegialer Einmfithigkeit und Solidarität der Interessen bot Dem
.Volkssehnllehrer-Verein gehOten naheni sftmmtHche Lehrer Badens als Mit-
glieder an, die alle ein Sti-eben beseelt und die sich fernhalten von denen,
welche, fiei es im Lutherrock oder in der Soutane, sieh eifrigst bestreben, die
Lehi'er zu ihren Zwecken zu niissbrauchcn und „in die Zeilen charakterloser
Ilin4ei3ährigkeit" zurückführen wollen. Die bad. Lehrer kennen ihre I'appen-
heimer and bedanem lebhaft, dass, wie Dr. Menser in einem Toaste ansiuirte,
Jenseits der Mainlinie ein Theil der Lehrer mit Küidheit geschlagen sei, indem
er den Lockrufen der Rückwäi-tser zum Schaden der Schul- und Lehrerinteressen
folge. Als Folge einmütigen Zn^ianinienhaltens der bad. Lehrer w ird im nilclisten
I^andtage ein (iesetz zustande kommen, das eine mächtige Förderung der
materiellen Besseistellnng der Lehrer und ihrer Belioten involTiren dflrfte.
(Wir behalten ans vor, s. Z. dartber an berichten.) — Einen der wichtigsteB
Punkte der Tagesordnung bildete der Antrag des Vorstandes: „Gründung eines
T\echtsBcliutz-Vereins.~ IMr Zwecke dieses Vereins sind bekannt; fast mit
kStininieneinhelligkeit ward der „Rechtaachutz -Verein" gegründet und dessen
Statuten beratheu und angenommen. Ein weiterer Punkt der Tagesordnung^ wai-
die Erhebung eines YereinsbeUnges Ton 1 Mark Jlhrlieh; aoeh dieser Antrag
worde einstimmig angenommen, besonders deshalb, nm ein Capital anzusMnmeln,
aus dessen Zinsen ein namhafter Beitrag zur Besoldung des freizustellenden —
d. h. deu dienstlicli-discifdinären Gewalten entrückten — Redacteurs des Ver-
einsblattes erzielt werden soll, zumal bei den jetzigen Verhüitnissen das
Damoklessohwert stets ttber dem Bedactenr hänge. —
Von den tUwigeo „AntrSgen" der nmftuigreichen Tagesordnnng wollen
wir noch deiyenigen „über die Betheiligung der Lehrer an der Errichtung von
Kochst Imlen" erwühnen. Ihre Köni^l. Hoheit die Frau Großherzogin ist in
ihrem edlen Streben bemüht, der socialen Noth in den unteren Classen der
Bevölkerung durch materielle Unterstützung und Belelirung thunlichst eutgegen-
anwirken. Die hohe Fran glanbt dahw andi in der Eniohtong you Koch-
schnlen — im Anschluss an die Volks« oder obligatorische Fortbildungsechole
- ein weiteres Mittel ihres edlen Zweckes zu erblicken. Hen' Rector Specht-
Karlsnihe, ein zu Neuerungen auf dem Schulgebiete — auch wenn diese sich
iu der Praxis noch nicht erprobt haben — sehr geneigter Schulleiter, hatte
sieh als wiUftUiriger Interpret der Eochschulen mit einem ihm untergebenen
Lehrer der Besidens, dem Referenten über dieses Thema, eiageAmden. Herr
Specht berichtete u. a., dass (ehe er nach Ofienbnrg geeilt sei, um der Volks-
die Kochschule zu freien) er in Karlsrulie der Eröffnung einer Kochschule,
welcher zwei Lehi'erinnen vorstünden, die iu einer norddeutscheu ätadt, wo
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Kochschuleu beständen, ihre Ausbildung: erlangt hätten, beigewohnt habe; er
emptahl die Errichtung der Kochächuleu im Auschloss au die X'olkssohule sehr
wann. Ob dabei weSne pädagogische Einaidit snm Ansdmck gelangte, kaben wir
htar Hiebt aa ontenadMn; praktisch thftticr war indeaaeo diaaar Hur als Volks-
schullehrer — er ist von Haus aus Theologe — noch nicht. Von andere
SoitP wurde betont, dass es im Interesse eines gedeihlichtni Unterrichts läge,
keine neue Disciplin der Volks- und Fortbildaugsschole einzutüten; die Schule
sei nicht das bekannte „Mädchen fär Alles'', habe wichtigere Auijgaben zu er-
IBUan mid dtrfe sieh nicht Tenneiatti, die sog. „aseiale Frage* dirael Ktoen sa
wollen. Aach aus practischen Gründen sei der Anschlnss der Kodi- an die
Volks- oder Fortbildungsschule nicht zu emptehlen, da u. a. die Kinder dazu
nicht die wirtschaftliche und geistige Reife im schulptlichtigen Alter hätten
und die Zeit des Erleruens der Kochkunst zu weit von deigenigen des praktischen
Verwertens aosekianderliege. Bin Anauhlwss der Kock- aa die bereits be-
stehenden privaten Haashaltnngsschnlen, welch letatere «nf Kosten das Staates
überall im Lande errichtet werden mtissten, sei dagegen nur zn empfehlen.
Diese Ansicht konnte jedoch vorei-st nicht die Stimmenmehrheit erlangen, da-
gegen einigste man sich in der allgemeineu Kesolution: „Die Lehrer stehen der
Frage, die Errichtung der Kocbschalea betr., sympathisich gegenüber."
Wir sind begimrig, die Erfiiiga der Venmohsstation Karlarahe inbetreir
der KochBchule zu erfahren und werden, wann wir s. Z. einen ungeschminkten
Bericht über sie erhalten köausn, nicht TMiSiBsin, denselben im „PsBdagegiam**
mitzutheilen. —
In den letzten Tagen duichlief die badische (politische^ i're&se ein Artikel,
in weldma Uttere Klagen darflber geführt wurden, dass die Sohnhudhichts-
beamten der YoUusdialen Badens giMtantheüs aas den Bethen der Thealegen
und Philologen genommen würden, trotzdem im vorigen Landtage sowol von
der üi'gierung als der Volksvertretung ostentativ hervorgehoben worden sei,
dass die Volksschuilehrer auch liectoren und Kreisschulräthe werden konnten.
So sd in Karknihe mm SteUvwtrater des Bectors ein „Lehramtsprakükaat"
^Gandidat dea hllheren Sehnlamtas) erkoren worden, ein Mann, der, wie sein
Titel sagt) sieh erst in der Sohilpraxis „umznthnn" habe, am dem Oeaetae an
entspi-echen und die Befähigung- zur definitiven Anstellung zn erlangen. Es
sei diese Thatsache um so auftalh iider. als tüchtige, erfahrene Lehrer, selbst
solche, die ein höheres Examen bestanden hätten, jahrzehntelang an der Volks-
aebiüe so Kailsnihe erfSolgreieh wirkten; aneh erhalte die Sache dadaroh nedi
einen eigenthömlicben Beigescluiuudc, dass Hr.Beotor Specht im Anssehosse der
Allgemeinen Deutschi n Lohrerversamnilung" seit der Tagung deraelben in
Karlsrnhe sei und daher vor allem die Pflicht habe, die Interessen des Volks-
scholleiirerstandes in erster Linie zu fördern.
Ans der Schweia. Je länger je mehr schenkt man dem gewerblichen
Bildungswesen die gebürende Aufmerksamkeit, nicht nur in StSidten. wie
Basel, Zürich, Rem. Genf etc., wo in selu- gut organisirteii Sclmleu Treti'liches
geleistet wird, sondern auch in kleinern Orten, wo Gewerbe, Handel und Industrie
einst bUhtan, man aber dandedstUegeo. So projeetirt man den Anabai der
gewerblichen FeriUMnngasehnle in Franenfeld, woselbst Seenadariehrer
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Schweizer im Gewerbeverein in einem wirksamen Vortrage die Nothwendigkeit
erweiterter und aaf praktischem Gebiete vertiefter gründlicherer Kenntnisse
itachgewieBeB luA.
Die Schttlerzahl der Gewerbeschulen ia Basel, ZIrich etc. wächst beständig.
Jene betrug beispielsweise im verflossenen Jahre 702, diese 804. In Zürich
erstreckt sich der Unterricht auf folgende Fächer: Freihandzeichnen, Perspec-
tive! Linear- und gewerbliches Zeichnen, gewerbliches Rechnen, Geometrie, dar-
■teUende <3eoiii«trie, SolinltwB, «influhe Bnchhaltong, GesehiAsiatefts, ttut-
ilMtelie SpTMlie, VerftMnmgBlnuide, Faeheane ftr Sehuter und Sehiiflidflr; a.iiQli
steht ein Zeichensaal unter Leitung eines Fachlehrers zur BenQtzuog frei. Am
besten wird durclischiiittlich der Unterricht im Freihandaeidiiieii und Schrdben
beancht.
Die Jahresaasgaben beliefen ridi aaf ca. Fcs. 30000; die Lehrerbesol-
diiiig«it allein errefehtm die Soune Ton Fes. 17448. Um das bettladig« Deficit
anfzahebflo, beaeh&ftigt man aich anch hier mit dem Plane» daa Fortbildnnga-
selialwesen unter die directe Aufsicht des Staates zu stellen.
Sogar Städtchen mit lOODO Einwohner bringen große Opfer zur
Förderung ihres Fortbildongsschulwesens oder der praktischen Ausbildung ihrer
Jünglinge vnd Jongfraoeo. hat aelt etwaa meiir ala einem Jahre aein
Techniknm mit 173 SchlÜem, «defae den ünterrieht in dentodher und fran-
zösischer Sprache erhalten. Für die Uhrmacher besteht ein vorzOglich ana*
gerüstetes Atelier, in dem sie den Bernf vollständig erlernen kJ'mnen, und eine
mechanische Werkstätte nimmt — neben einem elektrotechnischen Institut —
Elektrotechniker and Mechaniker aas der Heimat and Fremde bereitwilligst aaf.
Die ganne Anstalt, welche den Charakter einer theila mittleren, theDs
höheren Gewerbeschule hat, besteht aus 4 Fachabtheilnngen : einer mechanisch*
technisolion (in Verbindung mit der ührraachprschule), einer elektro-tech-
nischen, einer kunstgewerblich-bautechnischen Abtheilong and einer
Eisenbahuschale.
In einem Vorenra werden die jungen Leute, welche hereita ttngere Zeit
in der Pnuda gestanden, som Ebitritt in eine dieser Fachachalen vorbereitet.
Den fremden Sprachen räumt man neben sämmüichen mathematischen und
technischen Fächern viel Zeit ein, so dass also Ingenieure und Constructenre
für Maschinenbau, Fabrikanten und Dii'ectoren von Maschinenfabriken etc.,
Wwkmeister, Zeichner, Aoibeher, Kleinmechaniker nnd Uhrmacher, Media-
niker, Mentenre, Hodelleore, Baumeister, BanfBhrer etc. ans diesem Technflcnm
hervorgeben, die in den zahlreichen Etablisaements dieser Kleinstadt auch
gründliche praktische Kenntnisse sich angeeignet nnd deshalb schon eine relative
Tüchtigkeit in ihrem Berufe haben.
Der 1. August wird der Schweizer Jugend als Tag des Ernstes und der
Freude unTergesdieb sein, wurde er Ja doch in Stadt und Land, in der ab-
gelegensten Bergsehule wie an der Universitftt der HanpIMadt mit gleicher,
flrendiger Begeisterung gefeiert, durch Heden und Gesänge, dramatische Auf-
flihrungen nnd Jngendfeste — als Gedenktag des sechshundertjährigen
Bestehens der schweizerischen Eidgenossenschaft. Der Jugend be-
sondmrs an diesem Tage die energisdien Thaten ihrer Väter vorzofUiren, ihr
den Wert der Freiheit nnd Unabhängigkeit, aber auch der wahren Bttrgertngend
klanumachen und alt und jung, hoch und nieder m seigen, was wahre
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Vaterlandsliebe vermagr, besonders wenn sie von der Herrschsucht und T'artei-
leidenschaft der Grofien bedroht wird, das war die erhebende Aufgabe von
tausend und tausend Rednern und Lehrern der Jugend und des Volkes. Ihi'e
Worte haben gesttodet und Kindera lod ErwaehseneD aUerortan Etniicht Ter*
■ehalt in die hohe Bcidaatnng dieses Wiegenfestes der schweiMlIschen Eäd*
genonenschaft. Ob nun wach das ünhistorische des Apfelschnsses nachgewiesen
und selbst der Rtitlischwur in Zweifel gezogen werden mag, noch ist das ehr-
würdige Pergament erhalten, auf welchem die Waldstädte eidlich versprachen,
adt Rath und That, Leib and Gnt einander naeh Krillea beisnrtehen in «id
aoßer ihrer Almat, and noeh immer laneehen Jagend and Volk gerne den
patriotischen Worten dessen, der es versteht, vom Katheder oder der Redner-
liiihne aus, im einfachen Dorfsohulzimmer oder im Hörsaal der Akademie den
rechten Ton anzustimmen zum volltöuigen Accorde der wahren, selbstlosen
VaterlandaUebe, so, wie z. B. anch Schüler de der gesammten deutschen Jagend
im Zauber der dramatischen Kraft elnflSflt. Das Hftuflein freier, mathiger
Ittnner, die unsere Alpenrepublik begründet und befestigt haben, Mrorde der
empfänglichen Jugend überall als leuchtendes Vorbild vorgeführt, und die Lehre
der Freiheit, d. h. die Wahrheit, welche in der iTeschichte und Sage liegt, wird
als verborgener Goldgehalt von den zakünltigeu Bürgern unseres freien Landes
aueh in der Erinnerung an den 1. Angost 1891 gebfirend gesdifttst nnd
pralctisch yerwertet werden, in weiser Selbstr^emnf und gewistenlialter
Walirung der theaer erliaaften Unabhlln^igkeit.
Ein Volk, das seine republikaniselip ^'ertassIlne: — die einzige in Europa,
die sich als solche seit dem Mittelalter uime Unterbrechung erhielt — bei-
behalten und ihres Segens auch für die Zukunft theilhaftig werden will, muss
seine Jagend anf das hohe Gnt der Freiheit durch grandUofae nnd aUseltiga
BQdnng vorbereiten. Das sehen alle wahren Patrioten ein. Daher anefa die
erhöhten Anforderuogen, Gaben andAnqiritche au Onnston der Jugenderziehung.
Das Volksscholwesen behauptet trotz der Ungunst der Zeit seinen ruhigen
Gang; mancherorts, wie im fortschrittlichen Basel, wird viel gethan ftir die
Hebung desselben nach verschiedenen Richtungen hin. So kommen ans von
dort her Hittheihuigen zu über die Schnlbäder, laut welchen vom 27. Jan.
V. J. an Aber 4000 Blder (Donchen) an 61 Tsgoi verabreicht wurden. Von
den Schülern und Schülerinnen, die von Woche zu Woche wechselten, nahmen
etwa 80 " „ freiwillig theil. Die Einrichtungskosten stellten sich auf Fcs. 2427
die Hetriebskc^ten anf Fcs. Fi. 57 per Tag oder 7 Cts. per Bad.
Seit Beginn des neuen Curses werden Versuche mit der Steilschrift
gemacht.
In vielen kleineren und grSBeren Ortschaften wurde in letzter Zeit die
unentiraltliche Verabfolgung der Lehrmittel beschlossen.
Auf d«n Gebiete des Volksgesanges macht sich in den schweizer Sohulen
eine besondere Strömung geltend, welche das Auswendigsingen einfacher
Volkslieder empfiehlt. Man hat nämlich übereinstiiiiiiiend in verschiedenen
Gegenden die Wahrnehmung gemacht, dass in Familie und Gesellschaft die
Pflege des Singeas thatsächlich zurückgeht, trotz der reichhaltigen Literatur
nnd den schOnsn ErlUgen an SSngerliBSten ete. Ein merklicher Anlauf ist nun
gerade bei der Bundesfbier gemacht worden» indem Jede Schule auch mit den
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bescheidensten SangeskiHften einig:e Vaterlaiidslieder. wif das Rütiilied, die
Nationalhymue etc. aosweDtlig sang und zwar mit der denkbar besten Aoffassimg.
Die LaniMttffievmfragr« «ndMeh eotaeUeta wmiflft ud swv «i
Oanstan von Zirieli, das, oentnl geleeeOf ab Stätte der Knoat md Wfaaoa
Schaft von Anfang an viele Stimmen auf sich vereinigte mid Moh auf jeder
Stafe des ünterriclits in den vordersten Reihen marschirt.
Die schweizerischen Hochschulen weisen eine bedeutende Frequenz auf,
nämlich 1589 immatriculirte Studenten, worunter 26 Studentinnen. Auf ZUrich
entfallen 367, auf Basel 819, «of Bern 422, anfGenf 181, auf Lauaaiie 142,
sof Freiburg 104 vnd auf Neuenbnrf? 54.
Von Zürioli aus e:eht infolß-e t'herbürdung der Medicin-Studirenden
die Anre^nn^f. das medicinische Studium auf 10 Semester auszudehnen.
Des Conferenzleben entwickelt sich in den fortschrittlichen Cautouen in
Meitor noA fhwktlMtntflr Wdse, m in Aargan, Thurgau, in ZMab md Basel
ind in vielen Landberirken, wo nengewlhlte, strebsame nd energteche Cdlegen
den Sauerteig ihrer geistigen Anregungen auf ilire weiteste Umgebung hin
wirken lassen. Deslialb wurden in letzter Zeit von Oberbehörden mehr als je
bisher Fragen von principieller Bedeutung vor das Forum der Lehrerschaft
gebracht, und selbst anderweitige Themata, z. B. solche rein didaktischer Nator
erfk«iiten sieh allerorten einer pritoiseiif aber dafür gmns praktiselMii BehaadliuMr.
So z. B. hörte die gesammte Lehrerschaft der Stadt St. Gallen ein woldurchdachtes,
auf reielien i»raktisclien Krfabrunpeii Ijernliendes Referat von Frilulein Bohl übei-
die S pecialclasse der Schwaclisinnigen, welcher die Referentiii seit der
Gründung mit viel Gespluck und großer Hingebung voreteht. Solche Souderclasseu
worden allgsoMin als ein Gebot der NothwendigiEsIt anerkannt, md die Heran-
bildung der Schwachsinnigen, denen ja anch eine oiS0iohstglfiekli<^e Jngendaeit
xntheU werden soll, bezeichnete man dnrchans als Pflicht der Gemeinde oder
des Staates.
Auch der zweite Verhandlnngsgegenäland , das Mädchen turnen, trug
den Stempel der Seholpraxis, indem Herr Nietbamer (ueog^wfthlt au die St.
Johannsehule in Baad) in freiem Vortrag die Ziele nnd den zwecknUUUgsten
Stoff des Mädchentnmens, im Anschlnss hieran in einer nahezu stSndigen
T.ection die Übungen selbst in seiner sechsten Classe vorführte und zwar so,
daäs aller Augen mit ges])anntester Aufmerksamkeit den ungezwungenen
Bewegungen der frohen Schal' folgten.
Dieselbe inraktisehe Tendenz macht sidi indessen allmählich mehr nnd
mehr noch in Privatkreisen geltend; stellten doch kürzlich hervorragende Laien
aus eifrener Initiative den nachfolgenden sehr beachtenswerten Entwurf zu
„Satzungen eines Privat-Lyff'nnis" f Privat-Akademiei in St. Gallen zufjammen:
1. Die Privat-Akademie will dem unbestreitbaren Bedürfnisse eines im
Sinne der amerikmisdieo Cdlegee auf das praktlsdto Beniftlel»en gerichteten,
höheren ünterrichtes dienen.
2. Sie nimmt Schüler resp. Zuhörer (aneh weibliche Externe) nach voll-
endetem 1(). Altei-sjahre unter der Bedingung normaler Beanlapnng auf
3. Sie zerfallt in einen \'orcur8 und eine akademische Abtheilung. Alle
Neneintretenden besuchen zunäclist den ersteren. Letztere hat einen propä-
dentlschett Charakter, indem sie fai die Anflhige der Theologie, Juispmdene,
Staatswissenschaft md Pädagogik einführt. Besondere Cnise sind fltr aolohe
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Betaite in Aussicht izfenonniien. welrlie ans irg:en(l welchem Grande sich nidit
dni^h üniveraitätsstudien auf eine rat ioiielle Anitstührong oder StaAtsverwaltniij^
vorbereiten konnteu und deshalb iu irgend einem oder in mehreren Zweigen
(BoflUMltmtf OwifaM« ud Verlkaniagdnuide ete.) praktM» KamteiMe aodi
beMmdcn ntMUff batett.
Ob eine VoflMreitnDg für Theologen beider Confessionen hier tnnglich und
das Hanptsnel erreichbar sei, das wird die nächste Zukunft schon lehren. Be-
dentüani, beachtens- und nachahmenswert ist für alle Falle die zUlie Enerifie
und der fipohe Muth, mit dem die leitenden Persönlichkeiten „den erhöhten
VdkireebteD eine erhöhte politiiohe und wirtsehalttiche, praetiiehe und geistige
LeistungsAhigkeit" gegenüberstellen.
Diese praktische Tendenz scheint nun bereits auch auf das Gebiet des
hitheren Unterrichts verpflanzt worden zu sein, wenigstens beweisen dies theil-
weise die Thesen, welche von einer AutoriUi im Zeichnen, Herrn Prof. Öchoop-
FkwMBlBld, in eisern auf der Hanptveraammlnng der eoliweiz. Zeiohea- und
0«weri>eachii]ldhrer gehaltenen BeHwate *) av^^r^stellt wnrden md n. a^ dem
Freihandzeichnen in Lehrerseminarien die Priorität einräumen, äm
Zeichnen nach >s atnrkörpern und Modellen ftbenanstellfii, die Methode des
Zeichnens der obersten Classe de» Seminars zuweisen und dem Wundtafel*
zeichnen die nöthige Beachtung aichem. — Ebenso befürwortet Prof. Dr.
Hmoiker in begeisterten Worten die Anlhalme der Vateriandsknnde in die
gewerbliohe FonbOdangSMhnle.
Ais der Fachpresse.
504. Der Stoff des Fortbildungsschulzeichuens (M. Ludwig, Die
Fortbildnngsschole 1891, VII). Verf. hat die allgemeine obligatorische For^
bildongssehnle (mit 2— -3 Jahresciassen) im Auge. FSr diese stellt er im
wesentlidien folgende Regeln auf: a) „Geeignetster Stoff' das Linearzeichnen,
und zwar: Zeichnen von Constrnctionen, preonietrischen Omanicnfen nnd geo-
metrischen Darstellungen (W — h i iui Anschluss an a). ..spätestens im 2. oder
3. Jahre": Bernfszeichnen in vier Hauptgruppen oder Classen i^Kuustgewerbe-
treibende, Holz-, Stein- nnd Hetallaibeiter) — c) Anfj^be desBemftseichnens:
die Sdittler sollen einfache, anf iliren Beraf besflgUche Zeichnungen verstehen
und in einem andern Maßstabe selbstständig wiedergeben lernen — d) .,ein-
^'^fhendes T{ps])rechen mit tüchtigen Lehrmeistern bezüglich des im Zeichen*
Unterricht für jeden Beruf Nothwendigen."
505. Fr. W. Frikke (P. Hanke, Neue Bahnen 1891, VIU). Das
Lebensbild eine« Hannes von bewnnderangtwttrdiger Arbeitskraft, Leistongs-
lUiigkdt nnd Ausdauer. Zosanunenfassendes ürtheil: Frikkes Denken und
Sterben wurzelte in der Gegenwart und war nur anf den Foi tschritt gerichtet.
Was er seine „Ilse" zu einem Freunde des Rückschritts sagen lilsst: ..\'or-
wärts strebe, den Blick auf edle Ziele gerichtet; zur Salzsäule erstarrt jeder,
der hinter sieh blickt!** das kennseichnet sein ganzes Wollen. Was ihm fürs
Dasein des Menschen, Ar die Anllsaben der Menschheit, Ar die Fortentwick*
*) AasfÜhrlicheres hierttber in den von Prof. Puppikoler-ät. Gallen vortrefflich
redigirten „Blitten ttt den Zcdehen- und gewerbL Beniftiuiterricht'' Nr. 10.
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long der Ciiltor nicht wertvoll erschien, das hielt er nicht des Dnrchdenkens
für wert. Daraus entspranii? bei ihm auch die Geringschätzung fUr so manches
Stück Wissenschaft, du andere für wertvoll halten." „DieObjectivität, mitwelcher
er bei aOeii ISntKhsMmgm iMUrthefl ans der Sache henun folgert, wobei er
dii voi-t^( hiedenen Seiten eines G^^emstaades nnd alle Einzelheiten desselben
nach der Richtung aller Ideale hin beleuchtet, steht perade/n einzig: '^i ' T^'^-
fremdlich ist es, dass eine pädagogische Zeitschrift, die (iirscm liervorra}^* iidt ii
Geiste mit Becht ein ganzes Heft widmet, keine gründliciie Würdigung
■einer eigenartigen „Ersiebnnge- und ünterricbtslehre** bringt!)
506. Anaichten über wahre Bildung nebst Erinnerangen an
alte Schulkämpfe (M. Müller, Allg. deutsche Lehrerz. 1891, 33. 34j. Äalte-
rungen eines alten Lehrers vom Geiste Wanders — eine Seltenheit in der
deutschen Fachpresse der Gegenwart. — In dem Abschnitte über ^ wahre Bil-
dong** der Nachweis, dass die Beaeichnung „Ualbbildong" sinnlos. — Aas den
„Ertnnenuigen'*: „Was wir branchea im Sehnlweeen, aind beeeere Volkaachiden
nnd höhere Schulen, in welchen Englisch und Fianzödsch statt Latein und
Griechisch gelernt, und dass überhaupt in» Geiste unserer Helden der Pädagogik
in allen Schulen die Hauptsache nicht versJiumt wird: gute und ver-
nünftige Menschen zu erziehen, nnd zwar anch willenskräftige. Zur
Errelchnng dieaea Zielea gehSren abor aaeb die besten Lebrer an die Spitse
det Schnlwesens nnd die rechten Anstalten, in welcben Lehrer, wie sie sein
Böllen, gebildet werden." (Dies in einer Flugrschrifl Müllers vom Jahre — 1858!)
507. Die Entwicklungspädagogik und der Religionsunterricht
(R. Köhler, Rhein. Bl. 1891, V. VI). Eine Kritik der Abhandlung von
Fr. Polaek. „Der Religienaanterrielit Sa der Endehangsschule" (Rh. Bl. 1891,
I), wdcbe aalb nene die her?orrageade Tiehtigkeit dea VerftMeta — frUieren
Leiters, gegenwärtig neben Sallwärk gediegttiaten Mitarbeiters der Bh. BL — •
bt kniulet. Nachweis (h-r Widersprüche )Br<^?en sich selbst und der gegenBfttl-
lichen Stellung zu Pestalozzi und Diesterweg. in die jeder geräth, welcher —
wie Polack — der Pädagogik und der Dogmatik zugleich dienen will. Ver-
werfung dea latheriaebeo Eatecbismaa als Untenrichteatoff. Von der Weitheisig-
keit dea nninüngliehen Chriatenthams und der Engherzigkeit dea kirchlichen
Dogmen Wesens. ,,Der Rrlipionsunterricht hat alles kirchlich Dogmatische
anzuschließen." Mahnung zu mannhafter Aufrichtigkeit unvernünftigen r»ognien
gegenüber. (In einem „Nachwort" bringt der kgl. preuJj. Schulinspector Polack
folgende, daa Wesen dea Maaqea scharf kennseichnende Vertbeidigung dea
KatechinnnB: „Er ist ao kan, verthdlt eich in $ Scholjabrea in ao kleineu
Bissen, ist nach seinem Wortsinne auf biblischer Grundlage so schlicht [!I] zu
erläutern, nnd fasst Lehrergebnisse aus der biblischen Geschi* htc sn knapp flj
als „System-' zusammen, dass ich ilin um keinen [Ilj Preis entheliren möchte.,.
Zum Zeugen ruft er den bekannten Zillerianer R. Staude auf. Nebenbei erfahren
wir, daaa P. den Eateehiamna „noch bente aaf eiaaamen Gangen nnd Fahrten
oft durchbetet".)
508. Obli^atorisrhei- Religionsunterricht in der Fortbildungs-
schule/ (( ). I'aclie. Die Forlbildungsschulr ISOl.VII). Obwol P. seine Antwort
auf die Verhältnisse seines engeren Vaterlandes (Sachsen) gründet, ist sie doch
auch für weitere Kreise nicht anintereaaant. Anlata an dieaer Meinungsäußerung
(Vortrag im Leipeiger Lehrerrerein) bot eine tob ildia. Oeiatliehea abgeftuate
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Petition, welche die EinflUiraog des obligatorischen Religionsunterrichts in der
Fortbildangsschule verlangt — Fache stellt nun fest, „dass kirchliche Ein-
richtnngen vorhanden sind, welche auch den Zöglingen der Fortbildongsschnle
Gelegenheit zur Pflege ihres religiösen Lebens bieten (Besuch des Gottesdienstes;
sooBtlgUehe „KateoUniratiiiitemdttigeD*) und daai dk FMildiogMehid« MllMt
redlich bemüht ist, die rdlgiBw Briienntnis zn tördern etc.* Somit gwdHlie
för die „religiös? Fördernng: der erwachsenen Jugend'' genng; eine weitere
Einrichtung sei nicht nöthig. Im übrigen lasse die Thatsache, dass die Jüng-
linge „durch die Coufirmation in die Zahl der erwachsenen Christen eingereihf*
«ordeD aeien, die DordifBlining KaSregeln, die nur nkirehlidi munttodigen
Hemchen" gegenüber m reehtfertigen ist, unstatthaft eredieiiieiL (Der in
dieaen letzten Worten vertretene Standpunkt ist ohne Zweifel unanfechtbar.)
bOii. Die Methodik des deutschen Unterrichts an den Mittel-
schulen (Neudecker, Kepert. d. Päd. 1891, IX). Ziele: I. Sprachrichtigkeit
— Angemessenheit des Anedrocks und Verständlichkeit des Zusamtaenhangs —
Hemdiftft Aber die Spnudie (Mittel: ^Vndadnn. — VertieAnig in Hnster der
Sprachgewalt"). II. Gleichzeitig: Denkzndit. (Hauptsächlich gilt es, „das
Sinnlose zn bekämpfen". _Tn der Gewöhnung an Gedankenlosigkeit, an ünlogik
in den untersten Classen w urzelt der leidige Hang zum unberechtigten Genera-
liäiren, zu den einfältigsten Superlativen, den vorschnellen, halbwahren Urtheilen
und Schlftisen, die nns in den oberen CÜsen jahrein jahraus ärgern.") HL Br>
schließen dea Verständnisses für das Wesen der Dichtkunst nnd EünAbmng in
die Literatur auf die Weise, „dass die Beschäftigung mit ihr zum bleibenden
geistigen Lebensbedürfnis würde". (Die „Wirkung" einer Dichtung hat der
Lehrer durch die „recht sachliche Analyse" zn „vermitteln".) — Verf. schreibt
Uber den dentiolieB üntenleht in einem Stile, der von leicht vermeidliclien
Fremdwörtern wimmelt
5in. Einführung in die Geschichte der deutschen Sprache
(K. Kinzel, Zeitschr. f. d. deutsch. Unterr. 1891, VII). „Geeignetste Classe«:
Obersecunda. Form: Freie Unterhaltung. Zweck: I cboi^bichtliche Zusammen-
fassung des auf frühereu Stufen erworbenen Stoäes und Einführung in das
Verständnis der spnebliclien Vorginge. Weg: Gegenwärtiger Zustand der
deutschen Sprache (Mundart und Schriftsprache; Unterschied zwischen Nieder- '
deutsch und Hochdeutsch | Verf. arbeitet an einer Berliner Schule]; Mittel-
deutsch: große Gegensätze zwischen ober- nnd niederdeutschen Mundarten i. —
Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache (übersichtliche Darstellung der
Entwidmung) — von den Perioden der Sprachgeschichte (Zeitabschnitte; Ab-
grauEBng der Gebiete) — TorgeachielitUelie Verhältniaae — die wiehtigaten
Erscheinungen nnaerea apfnehlichen Lebens — als Nachtisch: Bespreohnng
der deutschen Personennamen. »Das Ganze auf 12 Stunden bereohnt t.)
.511. Plan für die iieiiiia tskunde iDtutsdie Schulpraxis 1891,
38. 39). „Aus der Praxis einer Arbeitscouferenz." Bezüglich der nothweudigen
Wandemngen wird Torgeaeblagen „9 grSBere Ansgänge Ton etwa 3--4stflndiger
Daner zn ontemehmen; wenn nöthig können zwischen dieselben noch einige
kleinere eingeschoben werden. Auf den 9 Ausgängen ließe sich ein Kreis von
etwa 1^/, Stde. Halbmesser um den Heiraatsort herum erledigen.^ In gemein-
samer Arbeit wird von der Confereuz erörtert, welche erdkundliche, natur-
wiaaenaebaftliche, geseDaehaftiiche, wirtachaftliche Begriffe, Leihren, Besiehungen
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die Heimat veransclianliclit oder daretellt. Der geplaiitf J^toff wird auf die
Ans^:änjs:e vertheilt, einer der letzteren als Heispiel vorgeführt. (Bei dieser
Gelegenheit erfahren wir, dass die wackere „Arbeitsconferenz", auf deren
dvrchweir tüchtige Arbelteii wir hier «dM» nehrAudi hingowiesai, dk rieh aiicr
bisher imer in d«n Schleier der Anonymität g«bU]t, nahe bei Zwiekan i. S.
hMst.)
512. Barock. Kococn und Zopf im heutigen knustgewerbl. Unter-
richt (Moser, Zeitschr, f. gewerhl. ünterr. 1891, IVj. „Die kunstgewerblichen
Seknlen oder Classen können sich dem mächtigen Vordringen des Barock-,
Beeeeo- (eventneU aach Skipf-) Stiles nicht widereetaen darcb gnmdeataliehea
mchtbeachten oder Nichtwollen, sondern sie sind es dem modernen Eanst-
gewerbp schuldig, jene Stile auf Grund vorartheilsfreier Würdigung in be-
schrilnkteni Maße zu pflegen. Du aber ihr Charakter ein höheres persönliches
KanstTermügen des Schülers bedingt, sind sie aU ein reservirtes Gebiet der
Ontbegabten'an betradhten, in wekbes diese eiiuniMirea sind." — (Der Kantt-
kritiker C. Gnrlitt sagt: „Wir kennen sehr wd die Ittngel und Schwftchen des
Barock und Rococo. aber wir kennen auch ilure unvergleichlichen Schönheiten.
Wir wissen, dass das 17. und 18. Jahrhundert keine „ Veifallzeit" waren,
sondern eine eigenartige, hochbedeutende KuustbiUte schateu.")
Seit einiger Zeit eracheint hei G. KMullinger in Arbon Schweiz. Thurgau)
eine „Wochenschrift für Kindergärinerinneii. Mutter und Lehro»
rinnen au Arbeits- und Volksschulen'*, Preis halbjährlich Fr. 1.80.
Die Veriagsbandlong von Karl KUnner in Leipzig versendet soeben daa
erate Hefte von: „St Cftcilia. Honatsschrift fitr katholische Kirehaa-
mnsik." Kedacteur Jakob Grnber in Mttnchen, Preis mit HnsikbdlageB
M. 0. — , ohne solche M. H.2() Jahrlich.
Die Herren Franz und Stepbau Grumbach in Karlsbad-Drahowitz ge-
denken mit Beginn des nächsten Jahres eine Monatsschrift anter dem Titel
„Freie Bildnnffs-BUttar" anm Preise von 1 il. 60 kr. jlhrUch henui»>
angeben. Grfindnng von Volksbüchereien . Volksbildnngs- nnd Lesevereinen,
Massenverbreitung guter Schriften nnd volksthämlicher AnftStae soll Zweck
des Blattes sein.
Soeben erschieu der erste Band der 14. Aul läge von Brock haus'
Conversationslexikon. Mit der neaen Anfinge erlebt dieses Uteste nnd
angesehenste Werk seiner Art daa lOOjfthrige JabUftnm, nnd die Verlags-
handlnng bietet im Verein mit .350 Mitarbeitern alles auf, um dasselbe in Text
nnd Ausstattung auf die Uühe der heutigen WiBsenschaft und Kanst zu stellen.
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Literatir.
I^. Theobald Ziegle Profemor der Philowphie und Pttdagogik an der üni-
versitftt Straßburg, Die Fragen der Schnl reform. ZwSlf Voriesiiiigen.
Stattgart iSiU, Güsclien. ITH S. 2S)0 Mark.
Wer jabrau» jahrein die iluchllut der ^dagogiächen Taifcsiiteratur zu
beobachten und zu aondiren verbunden ist, der muss gestehen, dasü diese Ost»
tiintr unseres Scliriftthums iüi (iaii/en einen recht traurio:en Einilriirk niai-lit
uud zum weitaus gröberen Tlieil aus Maehwerken besteht, die man am bc:»tcu
schweigend snr Seite legt. Um ko erfrenlirher sind die weit selteneren Er-
seugniese wahrhaft henifcner Arbeiter auf (lie?rm (iehiete. von denen vor-
stehender Titel eiiie.s uaniliatc niii<-ht. Hefereut niiis^ dii'Se.s Buch das beste
nennen, welches ihm »eit Jahren auf dem Markte der |iä l iirocrischon Neuheiten
be£!rf!?net ist. Niehl als ob er in •leiiist'lltcn einr endjfiltigc liiisiinj; ji'der ein-
zelnen der arhweheuden Reformfragcu laude, oder jedem Satze dieser zwidf
Vorlesungen zustimmte: aber es ist in diesem Buche alles vereiniijt, was den
p&daifogischeu Schriftsteller constitnirt: Wis>ens( hatt, (icist, Charakter und Stil.
Wie »chou der Titel besagt, beleuchtet lierr l'rofi ssor /i^'u:ler die „Fracren
der Sohnlreform" und zwar bezilglirh der höheim Srimli ii. wie solche seit
Iäns:crer Zeit auf der Tagesordnunsf stehen nnd vor .lalirestrist auf der lie-
kamilen Berliner Couferenz eine ausführliche Kri.rtcnmi^ rri iljn n haben. Pen
VeihAndlungen und Besolutionen dieser Coufei t / w ii l ill urhalben Beachtung
und eine strenge, al>er gerechte Kritik ijewidinei. Zuijleich nimnU Verfasser
auch Stellung zu sonstigen Äußerungen zeitt!:enü>sischer Pädagogen, sofern
sie sich mit den schwebenden Rctormfragen iKjfasst haben. Wenn somit das
Buch keinesw^ einen blos akadcmiaeheu Charakter trägt, soodem frisch und
mit blanken Waffen an actuelle Probleme herantritt nnd auch der Polemik
Raum gewUhrt; so würde man es doch schief bcurtheilen, wenn man es nur
als eine Qelegenbeitsschrift von ephemerer Bedeutung bezeiclinen wollte. Viel-
mehr ist der Kern desselben ein allgemein pttdagogischer von bleibendem
Werte; es handelt sich Herrn Prot'osor Ziegler hauptsächlich um Feststellung,
£rl&nterung und Vertlicidigung jeuor leitenden (irunds&tze Uber Erziehung und
Ünterrieht, welefae Uber nllem Tagesstreite eriuib«n nnd In demselben maS-
golii nd s. in iimIsscu. So nälierf sich dieser Cyklns akadenuseher Vorlesungen
isehr einem kurzgelasäteu Lehrbuch der Pftdagogik für höhere ^Schulen, und
man kann nur trilnschen, dfts« er als solches recht eifrig studirt weiden mQge,
he<.ond> rs von Candidateu des Oymnasial-Lehraintes und von jttngeren Lehrern
höherer öchulen aller Art.
Die erste Vorlesung unter dem Titel: „Klagen und Anklagen. Die Ber-
liner Konferenz" - führt unmitfclhnr in den gegenwärtigen Stand und Znstand
dcü höheren iSchulwesens in Deutschland und diuiiit in die schwebenden
Streitfragen und die Versnehe cn deren Lösung ein, wobei selbstverständlieh
die Berliner Conferenz nicht uinirangen werden konnte. Von besonderem Werte
ist dabei der iÜUkblick in die ächulgeschichte, aus welchem bcrvorgebt, wie
sich die heutigen Znstftnd^ und damit eben auch die Probleme und Streitig-
keiten entwickelt haben. Vennisst haben wir unter den bewegenden Faetoren
der ijchuleuiwukelnug und des Schulkamples die modernen Sprachen.
Die zweite Vorlesung, über „Eraiehen und Unterrichten-, hält Referent für
das vorzüglichste und wertvoUste Stttok des gMuen Buche»: jeder Lduamts- ^
Padafwcittm. U. Jahig. Ucft Ul. 15
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cau<lulat xtUtO sie dreimal studiren iiml iK'lurzisr' n nud dann Jedes .lahr auf's
neue ghtndlich erwägen. Deaa öi« enthält das A und ü aller ächulpädagogik,
das, WAR jeder Lehrer anbedin^t und au nllererst wissen und ffihlen muis.
Auch hier kiiüptt Vf'rf'a;->or ziinäihst an eine Zeitströmims, an die au« Her-
bart'ächeD Ksuiseu tH> ott erschallende f ordernng an, dass die Schule mehr er-
nehen als unterrichten, der Unterricht jedenfalls ein „erziehender" sein müsse.
IVni gotrcniUM-r sayt er: „Die Silnilen und vor allem die bühenn Schulen >ind
Üuterricht8anat<4:;u: daä ist lilr mich ein so Selbstverständliches und IJn-
widenprecbliches, das« ich dftrflber gar nicht viele Worte machen kann. Es
\nt nur eine Wirkunjer und Fnl'j:e von der Macht di-r '^^ hhi^rwia ter und Phrasen
in unserer Zeit, diu»ä man dos verkannt hat und darüber btrcitct; und überdies
ist die Herbart 'sehe Pädagogik, welche von Haus aus Hofmeistererziehung und
Schiihint»Tri(ht nieht genüjrend unterschieden und aui-einander ijehalten hat.
an diesem i^anzi u untielif^eu Streit und Missverstäudniä mithclheiligt. ' Und nun
folgt ein meisterhafter, seblc« hthiu evidenter, jjeradezii i lassiscbcr Nachweis
über die erzii ldiehe 31aeht des Unterrichtes als solehen. der Schulen als Lehr-
anstalten, wie er uieiues Wissi us auf 6o engem Räume in der gauzen pädag;o-
gischen Literatur noch iiirL> mls erbracht wurde.
Die nun zunächst fult^onde dritte Vorlesung unter dem Titel: ^Der Sturm
auf die elassischeu Siirat hcn-* — dürfte aucli bezüglich ihre» pädagogisi heu
Gehalten und liewichtes der zweiten am nächsten zu stellen sein. Sie bringt
baiiptsiichlirh ' ine Darlcgunir des Bildiin<;s\vertes der altelassischen Sprachen
und Literaturen, woraus sich dem Verfasser die praktische Folgerung ergibt;
„Kiue Herabsetzung der Unterrichtsstunden in den alten Sprachen im Ganses
halte ich im Gegensatz zu den Confcrenzbeschlüssen nicht für möglich, wenn
die tlinführung in die cla^^sischen Schriftsteller wirklich noch gelingen und
fruchtbar gemacht werden sidl." Referent rechnet, wie schon angedeutet, die
hier vorliegenden Ausführungen zu den gelungensten und schätzenswertesten
des ganzen Buches und ist auch mit der citirten Folgerung einverstanden; er
bedauert aber, dass Herr Professor Ziegler nicht auch den modernen Sprichcn
und Literaturen, sofern sie in den höheren Schulen berücksichtigt werden, eine
gleiche didaktisch-ptidn&fogische und nUgeniein cultnrelle Würdigung hat ange-
deiben lii>scn. Dies ist in der That eine fühlbare Liit kc in seineu N'orlesuugen,
welche wir gleich hier coustatiren wollen. Gestreift sind allerdings die modernen
Sprachen und Litenturen an mehreren Stellen des Bnehes (in der eisten, dritten
und aucli in .spiitereu VorlcsnuLri ii : ali« r eine der hier gebotenen analoge Be-
leuchtung haben sie nicht erfahren, und infolgedessen ist auch bezäfflich der
kttnftigen Gesammtorganisation des höheren Schulwesens eine gewisse Unsicher*
heit geblieben.
Nun folgt eine Vorlesung Uber die Frage: „BUdungs-EiiUieit oder Mannig-
faltigkeit?" Es mSgmi ans derselben zur BeBeichnung der Stellung des Ver-
fassers eiuiire Stellen hier Platz tinden: „Es ist nicht ncthwendig. dass alle
(iriechisch und Lateinisch lernen, und ebenso wenig uotbweudig, dass, luu ge-
bildet zu helBen. ein einielner es gelernt habe: aber dass ee gelenit werae,
und dass eine Statte ila sei. wo ein erheblicher F?riichtlieil unserer gebfldetcn
.lugend CS lerne, da.> ist, wie .schon gesagt, absolut nothweudig.** . . . „Die
Einheit der Vorbildung ist nicht nur keine Noth wendigkeit, sie wäre sogar
bedauerlich und scbädlidi.'" TM<' verseliiedenen Stände und Kreise branelK n
einander, um sieb gegcnscitii; /u ergänzen, und darum braucht unser Volk
Bildungsmaunigfaltigkeit, nicht Hildmi^'M mheit." Antik und modern,
historiwh und natiinvis^enschaftlich — . die eine Scliub- zeiyc diese, eine andere
jene Art zu denken wntl (li(> Welt aufzufa-^sen, damit <•-. in unserem Volke nie
an Vertretern dieser verschiedenen Bildungswege und W < Itanschauungen fehle.
I'nd ich sehe darin auch einen Gewinn für die Praxis. Wenn am selben grünen
Tisch un.serer leitenden Kreise Müniur sitzen, von denen der eine antik und
der andere modern, der eine historisch durch das Studium der üeisteswissen-
sehaftcn, der andere empirisch durch die Xatur\vi<>eiis, |iaften vorgcliildet und
geschult worden ist, so tiirehte ich davon keine baliylumsche Sprachverwirruni^;,
sondern ich hoffe ▼iAkuchr umgekehrt auf eine fruchtbare gegenseitige Er-
gänzung, auf eine um so allsei tigere Würdigung der gerade in Frage stehenden
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ADgeleiErenbeiteB und, was ich am hitcbsten aniNshlasre, weil ich für das
Merkni.i! h-u hstor Bildnns: hnlto, niif vcTstiindnisviiIU s Anhörni und fn-iindliclir
Duldsauikeit auch abweirhcndcn Äiu>icbtcu gegeuübur." — Wieder ätiuuut Ke-
ferent zuj aber die l>eigefH)2^cFolf(eniiig: ^Hit diesen allgemeioen Erwäfjjfnngen
ist für mich ziifjU ich schon die Fraia^c der Kinhcit.«schulc erlodicrt und natürlirh
im verneinenden 8inno entschieden" — kann er nicht für ijclfoton halten.
Vielmehr sieht er in der Einheitsschule das richtige Ziel der jct/itr< u He-
weg^ng: sie ist eine Fordernuir der administrativen (icr'^t htiirkfit tiud ein
Ochot iler l'adagogik in dem von Prof. Ziegler soeben sell>s.t Itczcichneten Sinne.
Nur darf .sie nicht, wie es die landliiutige Agitation will, auf ruiforni. Schablone
und Zwang hinausl;uifen . sondern sie innss der individuellen Fnilicit Raum
geben, wie sie Zieijler selbst so s<litin detinirt und so kraftvoll vertritt.
l'och wir müssen der Schranken einer iJuclmu/eiire ijedt ukeii und wollen uns
daher bezüglich der ttbrigen Vorlesungen kurz lassen Die Titel denselben
lauten: „l)a.s liealgymon.'iium und dsis (iyninasialnionoiiol. Die Uealschule und
der Einjährig-Freiwilligen-Schein. I»er staatliche liehrplan und die Freiheit
der Bewegung. ConcentratioD und Überl)iirdun>f. Geschichte und Deutsch.
Tumeu und Spielen. Schule und Haus. Da.s Abiturientcuexanien und der
Schulrath. Lehrerbildung und Lchrerstellung.'* Auch diese Themata sind mit
gleichem Scharfblick, wie die früheren behandelt und haben dem \"i rfa-ser /u
einer Beihe glänzender AuüfUhruagen Anlass geboten, in denen zugleich
eine leicbe Erfabmng auf dem O^iete der Schul- und Hansenriehung die
fruchtbar.>to Verwertung trefiinden hat. l)a.ss man auch hier in ein/elueii
Punkten von den Anschauungen des Vcrfaseers abweichen kann, thut meinen
allenthalben belehrenden und fesselnden AnsfVhnragen keinen Eintraif. Etliche
der S(Ii''»nstOM uml l»e(lptitsainsten Stillen aus denselben niiiiren noch an einem
anderen ürte dieser lilatter wortgetreu wiedergegeben werden. Hier seien
nur einig« mit der Sobnlpädagogik in engst^ Znsammenhange stehende
rartien des Ruches Ih Sunderi r Antuierksamkeit omitfohlen, naiiioulli> h die treff-
liche Zeichnung des „Specialiätenthuiuü" mit »eiueu „diiuoeu Virluositäteu" und
schSdlichen Ausartungen des Fachlehrersystems: femer die brillante Iteleuoh-
tung der hnhen IMir;iseii von der „< 'oncentratinn des l'nterrichtes", welche
.samuit den zugehörigen didaktischen Versuchen als unpädagog^iicbc, dilcttan-
tische und gewaltsame Schnurrpfeifereien mit einer guten Dosis von Sarkasmus
blo'^Q:' ii iXt wi rdeu: nicht minder da.« schöne Capitel von der Bilduni; und
Stellung der Lehrer an höheren i>chulen, in welchem lieziiglich der er.stercn
natnentlich auch du.s pftdagogisehe Element gehörig betont wird. Auf die
Fraise, ob dieses (llK-rhaupt nöihif; und nüf/.lieh >ei, iribt Zietrhr eine ebenso
einleuchtende als maßvolle .\ntwort, welche «r mit den WUrtcn einleitet: „Ich
glaube nicht, da-s die Frage jemals vermint wonleu wäre, wenn iiiclit das
berechtigte Verlaiiiren nach einer ]i;idai;oi;is(heii X'nrhercituni;- und Anlemunir
iilsbald Ubertrieben uml (li-selbe ungliicLseligerweise sofort in die engen spa-
nischen Stiefel einer Schablone, in den Formalismus der Herbart'schen Pftda-
gogik eint;eschnürt worden wäre."
Doch wir müssen zum Schlüsse eilen und erwäliuen daher nur noch, dass
Prof. Ziegler seinen zwOlf Vorlesungen, in welchen, wie oben gesagt, vielfhch
auf die rüiier ('onferenz Hcziiir tri nommon ist . die derselben vortrelegten
Fragen des Luterrichtüministcrs, ferner die an sie gestellten Fragen des Kaiser.-«,
enduch die Beschlflsse der Conferen« beigefOgt bat, was um der Sache willen
zweckniäßic: war und vit Ion Lesern erwünscht sein wird.
Die vorliegenden akademischen Verlesungen sind sehr geeignet, das allmählich
etwas matt gewordene Interesse an solchen I'roductioncn wieder aufknfriscbcn.
Ihre stetige Fühlung mit dem wirklichen Leben, ihr ininicr geradeaus in
media« res eindringender Gedanke nirang, ihre irische, kcrniire, trcimiithige Sprache
fesseln und erfreuen den Leser von .\nfang bis Ende; durchaus ernst und ge-
diegen im (lehalte, tlicLlend und unirekiinstclt in der Dietion, bringen sie nebten
griludliehcr (itdehrsamkeit auch den gesunden Menschenverstand und einen k<>st-
Uchen Humor /um wirkungSTollaten Ausdnii ke. Wenn man dicKcsRuch durch-
gelesen hat, bettauert man nnr eins, nämlich, daw es arhon an Knde i.st. Dann
lö*
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dankt man dem Verfasser und hce:lUc-k wünscht die Universität Straßbnn; 'Mi einer
solchen Lehrkraft. driitsi-ho I*;ul;ifr<^2:ik zu einem solchen V'^crt.rptrr. D.
Ell^elniauil. }?il<l«M;itlas zu Homer. Ltipzi^, Seemann. Ii M. <>0.
Derselbe, lülderatlaB zu Ovids Metamurphuseu. Ebenda. 2 M. 00.
Bei der BeoTtheiluiiir dieser BilderaÜanteB wird man voremt die Frage be*
antwort<'ii inii— in: Kilr wen sind <ie bestimmt? Wem sollen und wem ki^nnou
nie dienen mu h ihrer Art, ihri'm Inhalte.'' Der Hcrausju^eber dachte sich die
Jugend als KenQtcer, dachte m-h sein Werk al» eine Art Scbulhuch. Das
dürfte es aber kaum werden, wol aber ein Werk tllr Krwacbsone, für Freiindp
der Archäologie, für den Lehrer in erster Linie, der mit Homer und Ovid bicü
beschäftigt; f<ii all dicKC kann es ein Werk der Belehruni;, eine Quelle reinsten
Geunss^\^ werden. Miese wird es interi 'siren , /u sehen, wie die .\lten ihren
Homer und Ovid sieb illustrirtcn, web he 8cenen sie mit Vorliebe lasen,
welche die Kttostlcrphantasic am meisten anrep^ton, wie sie sich dies und
jenes aiisnmlten n. p. w. Kin tieferes Verständnis ihr sTcnannten Dichtungen
wird dat^etren «iie .lugend aus der Hctrachtunj; der meisten der in den
Bilderatlanten enthalt<nrii .\bbildungen kaum ziehen, ja der (iennss Homers
und Ovids kann dun Ii die Üctraehtunc: der Bilder ihr vielleicht geschmälert
werden. Der .lugend werden nämlich die zumei.st der alteren Zeit der
Kunst anRchiirigcn Bililer wie eine Caricatur vorkommen, wie eine Tarodio
dessen, was sie sich vor der BctraclitunR des Atlas blos auf (irund der Lectiire
▼OTgCBtcUt hat. Dort ein Achill, ein Ileetor in aller Srhnnc, hierein Männchen
in steilVr Haltnnu: mit dem vurlractcn Spitzbart und dem archaischen hiibni-
schcu, griuscndcu Lächeiu um den Mund und anderen Dingen, komisch anzu-
sehen, den Alten nicht au8tn6ig, wol aber unserer Jigend. W.
'Vdhiigeii and Klasiigs Sammlang deutscher Sehnlaasgaben, Lief. 15;
Das Nibelungenlied, flbertragen von Legerlotz; 33: Goethes Leb» nnd
Werke von lleinemann; 'M: Homers Ilias, bearbeitet von Kern;
39: Seliillers Leben von Lyon; 40: Klopstocks inol Wielands Leben
von Heinemauu und lioxberger; 42: Das deutsche \ üikslied, Auswahl von
Matthias; 44: Auswahl kleinerer Schriften Luthers von Schöppa; 48: Her^
ders Leben, Lessings Leben von Frans und LSsohhom. (Prt^ des Kind-
chens geh. ca. 60 — 75 IT.)
Die eben genannten Bündchen Übermitteln den Schülern unserer höheren
Schulen vier hcrvorrajyende IJteraturwerke und ilic Biocrraphien unserer sechs
(Klassiker. Die Literat nrwerke sind selbstverständlich in einer der Srhule ent-
sprechenden Weise gekürzt wiiMlergegebcu: i^pisoden oder die Üitte verietsende
Stellen sind nusi^eschieden, destrleichen s. B. in den Schriften Luthers alles, was
Ober das Ka><iin^:svcrinöi;cn oder dm In(t'r<'»entrt'i> di r .rut^cnd hinaus geht.
So ist eine LectUre hergestellt, die man den Schülern unbesorgt in die Uand
gehen kann und die sie mit Ocnuss und Nntsen lesen werden, Anmerkungen
eriäutern sachlii be od< r si»ra< liliche Schwit riirkeiten des Texfes oder fördern
sonst das Verstäuduis des lielescuen, iudem sie es als (Uicd einer Kette be-
trachten und die Stellung cum Gänsen erßrtem. (Z. B. das Volkslied uod
sein«' Typi-ti.)
Die Biograi>biea sind zwcii'acthcr .Vrt. Die ächillerhiograpbie Lyons faast
die Aufgabe anders als die Biographien der anderen Olassiker. Lyon schildert
nämlich Schiller vornehmlich als Men-^ilim ; >i inc l»ar^ffl!iing' wird iinnitr
kürzer, je mehr er sich der Schilderung des Weimarer Aufenthaltes nähert,
und ist am ansfHhrlichsten hei der Vorfllhrung der Leidensfabre des ZNebters.
Der Dichter Schiller auf dem ]f<>he)»iinkte seines S'haflens kommt so nicht
reiht zur Cieltung. Lyon mag darauf gerechnet baiben, dass die Leser seines
BOchleins die Einzelausgaben der SchilTer'schen Dramen in der VelhogenoKla-
sinif'sfhen Sammliuiir in den Hihidrii haben werden, an'- dt nn Kinleif iiniren
sie das Nähere Uber die Enisii lmni: ilt r W i rke, ihre Buhüitung u. s. w. er-
fahren. - - Die Biographien der anderen ('lassiker betrachten ihr Thema ent-
weder so, dass sie racnr den Menschen oder mehr den Dichter in den Vorder-
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gruiid riickrn unil sct/cn . ui< /.. B. Heinciiianu in il* r (lOofliii-Hioijraphie.
(lurcli die Forin uod BetrHclituugHWcise gereiftere .Schüler vorau.s, iudeui sie
s. B. Öfter Ober Goethe spricht , als von Goethe erzählt. Etwas populftrer,
etwas mehr .Tiiironilsclirift ! so wiin.slict man hei clor I,«'( tnrt> «»ftcr. Das rrkonnt
man aber um so williger au, du.'jä die Vert'asäer insgehainint mit dem ncuestea
Stand der FofBchungf vertraut sind. W.
Otto Ernst, Aus verborgenen Tiefen. Novellen ond Skizzen. Hamburg
1891, Conrad Kloß. 244 S. 3 Afark.
Dasü Utto Ernüt ein reich begabter Lyriker ist, hat er durch seiue „(.ie-
diehte" bewiesen und ersieht man abermals aus dem sehOnen Widmnnitsg^rtiSe,
wHrhfT soinom nriioii, uns oben vorliegenden IJut lio vorgesetzt ist Dioscs mm.
eine Keihe von l>ild«;ra aus di ni Leben der Gegenwart, be\vei>i deutlirh. djusjj
er aueh in der Sprache der I'rosa die gleiche poetbehe Begabuni^ zu < nt falten
versteht. Seine ,. Novellen tintl Skizzen" malen uns mit phototrra]iliiM lu r Treue
Personen, Cliarakter/üge, lievvohuheiten, Uestreltunffen, Zustilndc und Si liii ksale,
wie sie die g;egenwärtige Qesellscbaft, namentlich in ihren mittleren und unteren
, Schichten aufweist; sie sind ein nuturwahrer Spiegel des socialen, besonders
des häuslichen Lebens in seiner mannigfaltigen Vers -biedenheit und charak-
teristischen Bedeutung selbst im Kleinen und Kin/rliien. Bei all dieser realisti-
schen (oder naturalistischen) Ocnauigl^eit und Trefflicbkoit im Schildern und
Enlhlen spttrt man jedoch flbcrall den Zng ins Allgemeine, Ideule, das sinnige
Belauschen dos Menschen in seinem Wesen, seineni St.uidc >> jum liebrechen
und Vorzügen, seinem typischen Gepräge im Thun und Lattsen, in Lust und
Leid. Wenn uns dei: Dichter im Leben der Gegenwart mehr Schattenseiten,
iiielir Betrübendes, ja Empörendes, als Lichtpunkte und erhebende Züge vorzu-
führen weiß, so liegt dies wol an der Natur des Objectes, das er vorführt,
eben am Leben selbst. Dass er uns aber nllentbalbcn mr lebendigsten Tbeil-
uahino zu In wci^i-n. vi rstdit und luit dt iii -i hartVn T'lickc des Meri>clii uki iim rs
die Wärme de^ fiüiieuden üeraeus zu verciueu wciü, dass ist sein Verdienst,
die Fmeht seines tiefen und reichen Gemtithes, dargelegt in mustergiltiger,
oft SOhneidiger, aber .stets dem Gedanken adäquater Sprache. M.
Ans unserer Väter Taljen. Rilder ans der deutschen Ceseliiehte. I. .\n
der römischen (trenzmaik. (Jescliielitliche ErziUilung' von R. HahnKiini.
Uhistrirt von Maler F. 11. Waltlier. 14ii Seiten. II. Deutsche Göttersagen.
Ffir die Jugend nnd das Volk erzfthlt von Hermine Mdbins. jülostrirt
von UBüet E. H. Walther. 138 Seiten, m. Im ^me der YSlkerwandernng.
Von ReinhoIdBahmann. Illustrirt von Maler IL H. Walther. 136 Seiten.
Verlag von Alexander Köhler in Dresden und Leipzig.
Nr. 1 beginnt mit den EiulaMeu der Knuit r unter ( iisar in l)eutM-lUaud uud
schließt mit der Hennannssehlaeht. Xr. 2 schildert die altdeutsche (vAtterwelt
mit ihren ifythen und Surren. Nr. H int wirft »in lÜId der Bewegung unter
den gennanischcn .Stamuien zur Zeit der \ «ilkcrwandcrnng. l>ic Verfasser,
Herr Bahmann und Frau Möbius, zeigen sich ihrem Steife gewachsen und
bringen denselben in schöner und leicht fasslicher .Sprache zur Darstellung.
Die beigegebenen Bilder tragen wesentli(h zur Belebung des Inhaltes bei.
Wer tilr die leit'ere Jugend, etwa zur Weihnachtszeit oder bei auil. n ii fest-
lichen Gelegenheiten eine gute Leetüre sucht, dem sind diese Schritten be.vtens
zu empfehlen. Jedes Bündchen, schön ausgestattet und gt;buuih'n, kosf«>t nur
1 Mk. M.
Sprvns, Dr. II., Pritf. in Berlin. Die analytische Geometrie der Kl»ene
für höhere Schulen. 128 S. Fig. im Text. Leipzig 1890, Teubner. l.üU M.
Der Verfasser hat sein Buch geschrieben, weil ihm kein anderes bekannt
war, welches in gleich „ausführlicher und einfacher Weise" denselben
Lehrstoff zur Darstellung brächte. .Nun, wir wären in der Lage, sehr viele
Bflcher zu nennen, denen die angegebenen Eigenschaften im hnberen Grade
beizulegen sind als dem vorliegenden. Mit der Ansfil1iili< likeit kann man
übrigens noch einverstanden seiu^ es fehlt« uns wesentlich nur die Verbindung
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— 206 —
niebrpr(>r ("Joraden . ntii wcnig^itt-ns lioispicliiwciso dif :iiis ilcr K ii k 1 i (rsrlion
Geomotrio bekaunloa Ei^entichuttoii der Dreieck«' aii.il\ tiMli abzulciteu; auch
kann man ohne zu große Weitlautii^koit dcu Hcgrilt (!• r Directrix bei den
Kegelsehnitt.slinien einfuhren und erörtern. Was akr die Fassliclikeit der
Darstellun^i: betrifft, »o lüäst sie sehr viel zu wünschen iibrii?. ja es ntuss
geradezu gesagt werden, dass der Verfasser die charakteriHtisehe Eigeuthüm-
Uehkcit der analytischen Geometrie verwischt. Es ist doch die analytische
Geometrie nichts anderes, als die Anwendung der Algebra anf die (leomotric.
Wir setzen die (ilciehung der <ienideu und die ( ilciclniug einer Curvc. ver-
binden dieselben algebraisch und haben i^odann das Ergebnis der Hechuuug
geometrispli ^ deuten; dies ist der Vorgang, welchen die Schiller kennen
lernen nml sich aneignen sollen.
Ganz anders aber verfiihrt der Verfasser; er docirt bei der i'arabel: Trage die
Abscisse vom Scheitel in der entgegengesetzten Kichtnng auf, m criiSltst du den
Piirehi^chnitt der 'I'unfronrc mit der AVi-iissciiuchsc; t l.rnM) hclÜf is lu i d^r
Hyperbel und Ellipse: halbirc den Winkel der Lcitstrahlen, beziehungsweise
den AuSenwinkel, nnd dnrnnf folgt eine wcitittufige Beweisführung, etwa wie
wenn man die Lehre von den Kcgelschnittslinien olmo Kenntnis dir ;ui;ily-
tiseheu Geometrie auf synthetischem Wege behandeln wollte. — Durehaus nicht
znr Vereinfachung des Lehrganges trügt es ferner bei, dasa der VerfaMer die
K< frelsi'hnif tslinicn als jene ('iirvt-n di tinirt . wcli hr einer e-,.\vissen (ileii-limii;
eul.sprechen. Infolge dieser Delinitinu wird die Ableitung der verschiedenen
Eigenschaften dieser Cnrven viel weitläufiger und verwickelter, als wenn man
von der cieieiiiu it lie/ichungsweise Constanz der Sammen nnd Differenzen ge>
wisser Abstünde au.sj^ebt.
Der Verfasser erweitert übrigens seinen Lehrstoff über den Titel des Buches
hinaus und lehrt die Herechnuntr des Ranminlialte^ vom dreiachsigen Ellipsoid
und der Rotationskörper aus Tarabel und Hvjterbel. Pazu benutzt er ganz
unvermittelt die durch Wittstein bekannt gewordcnr Feriuei fOr den Ranin»
inlialt des l'ri>inat<>iile>. Sn iranz auf irnten <ilauben sollte uian Schillern,
welche der Abgangsprütuntr nahe stehen, mal Im luatisehe Wahrheiten denn doch
nicht bieten. In der Tliat l i<st sich an das Trincip Ton Cayalieri an-
knüpfen, wie man dies bei Hueliucr naehsehin kann.
Ks kann auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Mehrzahl (h r Figuren un-
richtig gezeichnet ist: gleich die erste Parabel anf der S^ ite -Jä hat am Scheitel
eine falsche Krümmung, weil sich dort ein S<hnabel tindet. Von den riiuni-
Itchen (lebilden hat nur die Zeichnung des Ellipsoides eine; richtitre Gestalt,
alle übrigen Figuren räumlicher Gebilde sind unrichtig, weil alle ('urven als
Zweiceke, das heiSt mit Schnabel auftreten, während die darstellende Geometrie
doch lehrt, dass die Projcetionen der Keirelsehnittsliuicn in Ebenen keine
W<'ndepuukte besitzen können, obwol sich dieser Mangel in einer sehr groüeu
Anzahl von Lehrbüchern wiederfindet, so wäre es doch Zeit, denselben abzu-
stellen. Mindestens den Docenten der Hochschulen sollten die Omndlehren
Terwandter Wissenschaften nicht fremd sein.
Zum Schlüsse des Buches Huden sieh an 300 Aufgaben zur Einübung des
vorgetragenen Lehrstoffes. Im übrigen wollen wir Ja nicht verkennen, dass
die>e> Wel k mit vi' 1 Fb iß abgefasst i-t , si» /.um Beispiel wiril die Gb ichung
der (ieradeu aut dreierlei Art vorgeführt, und da sodann von den Tangenten
des Kreises die Rede ist, wMilt der Verfiasser zum Vergleiche jene Formel der
(Jeraden mit Geschick , welche die Beziehung zwisele n Gerader und Kreis
rocht lehrreieh, nur «toten wir auch hier wieder anf die dem Geiste der ana-
lytischen Geometrie durchaus entgegenstehende Fassong in synthetische Form.
Hentseliel E., weil. Seminarlehrar in WdBenfels, nnd E. Jftnick«, Seminar-
lehrer in Halbentadt, Rechenbuch fKr die abschließende Volksschule, in
0 Hefiben k 40 Pf. 5. AuH. Leipzig 1800, Merseborger.
Die vorliegende Ausgabe wurde von C. Eicke und G. Limpert besorgt
und daliei neuesten Wnnsnhen und Sirebuugcu Rechnung getragen. Das
am klarsten ergibt.
H. E.
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— 207 —
erste Heft enthllt in swel Stufen die Zohlcnrftamc 10 nnd 20, wobei in
jfflpui iVic Iviclimiiitrsartfn ir(S(mdcrt aiittroteii. D.i'^ zweite H'ft cnthiilt <leii
ZalUenraum bis lOU ohne Abätufun^ imd mit äouderung der Rcchauugsartcn.
Dm dritte Heft erweitert den Zahlenmum bis 1000 und bis su den Hun-
derteln uii'l iiiarlit mit flfii pinfiirhsf cn Brüclir-n bekiiiint. Das vierte Heft
enthält den uubegreu/teu Ziihleurauui uud das Kcchnea mit inehrtut-hhcaaQatCD
Zahlen. Dan fttnfte Heft lehrt das Rechnen mit gemeinen und I »ecimalbrttehen,
da-^ sechste endlieh die bürpferlichen Kechnnn^sarten und RauiulxTeehnung^en.
Keferent ist zu sehr von dem Nutzen der Grube scbeu Metbode dureh eigene
Krfahmng ttbeneugt, als dass er fOr einen anderen Vorgang ein emiifehlcndes
Wort zu saffen vermöchte. H. E.
Laiitar, Lucas, Der Rcchenuiiterricht in der \ olksselinlc, inethodiscke
AüieitUDg. 79 S. Laibach 18U0, v. Kleimnayr & Bamberg. 1 M.
Der Inhalt befiisst sich mit der Anleitung zum Gebrauche des dzitten und
vierfoi Ri t lieiibuehcs, das ist im Zalili uraume bis KKK) und im unbegrenzten
Zahlcaraume; es sind also ohne Zweil'ei Rechenbücher vom Verfasser veröftcnt-
lieht, welebe uns jedoch unbekannt geblieben sind, und zu deren Oebranch
vorstehende Anweisuns: zu dienen hat. Im allirenieinen kann man mit den
Ausführungen des Vurlatäicrs wo! cinveistaadeu »du; es hat uuä nur sonderbar
geschienen, dass diese Methodik mit dem dritten Schuljahre beginnt. Wo
bleifien dif biidrn früheren, cran/. besonders das erstr. dessm Methodik den
cigcutlichea Angelpunkt bildet? während ja doch alleä Folgende ^rijßtentheiU
UedSchtnissaehe und TformalTerfahren ist Tm einacAnen mflssen wir aus.stellen,
dass im dritten Schnliahrr die Sulitraetion als Altzii-Iicii und iTst im virTten
Schuljahre niittel> Hiuzuzähku gelehrt wird. Den .^chüleru wird hiermit die
Aufgabe durch ein gaoz unniUzes Umlernen ersehwert. Mau kann auch schon
im ersten Sciniliahn' die Sulitrartion mittels Zuziihlenx lehren, und es ist kein
(inind erlindlioh, weshalb übcrhaunl eine andere Art zu lehren sei. — Natürlirh
kann dann auch erst im vierten Jahre die Division ohne Aufsi hreibung der
Thfilproduete gezeigt werden, was i^lei( iifall> einem unui»thiuen rmlerncn
gl* iehkommt. — Das Ik-iepiel, an welehem der „Zusammeugesetztc Dreisatz**
erlftutert wird, ist so nngttchickt gewählt, dass die Unbekannte mit der gleich»
na'ni'j-« n Iii kannte n am h numeriseh gleich i-st. H. E.
Scliadef. [). F., l'rof. in Hamburg:. Leitfaden für den Rechenunterriclit in
deu unteren Clussen lir»herer Lehranstalten nebst Aufgabensammlung. L Th.:
Leitfaden. 70 S. Harabnrg 1891, Fritzsche.
Der Inhalt d< s Hm hed verbreitet sieh 4ber da^ Rechnen mit ganzen un-
benannten und benannten Zahlen mit geroeinen und DeeimalbrUrhcn und über
die Mehrzahl der bürgcrliehen Rechnungsarten. Man kann mit dem Inhalte
dieser Druckschrift wol einverstanden sein, denn sie sucht möglichst Zusam-
menhang und Fügung herzustellen zwischen der wi.s.Honscbaftlichen Arithmetik
und dem, was als be^joudere Arithmetik anf der Unterstufe mitzutheilen ist.
Wenn ali» r der Verfasser auf dem 'l'itelblatte für sich eine „neue Metbode*
iu Anspruch nimmti so mflssen wir bemerken, dass uns nichts in seinem Buche
neu war, im Ocgcnthcil würden wir manches Ton dem beibehaltenen Mangel-
haften gern (Iiiiili Resser''^ ir^ctzt gesehen haben. .*^o, nm mir eines hervor
zohebcn, scheint um» die Schlussrechnnng iu der auch Im im Vcrtosscr vortiud-
lichcn Form unbeholfen und weitUnfig und daher inaktisch unbrauchbar.
Tfcradezu fehlerhalt, weil außerhalb des wi-^senschaftliihen Zusanimenlianges
stehend, ist es aber, das Dividireu auf die 8ubtraction zurückfuhren zu wollen.
Im Ganzen aber ist das Bnch ein gutes, schon wegen seiner ttberdciitltchen
Hervorhebung des Wichtigen dtireb stärkeren Tvp<'n'>atz und virsibiedrne
ancrkeuueuhwcrte £inzclheiten, so die öubtraction mittels Ergäiuuug uud da^
sMib daraus ergebende einfiMrhore Verfisluen bei der nivision; dann andi die
Einordnniiir der TlieiHiarkeitsrei^M ln von Maß und Vielfatdiem zwischen Division
und Bruchrechnung, das ist an die ihnen systematisch zukommcude Stelle.
Wenn der Verfasser tkbcraeagt ist, das» im Torliegende Leitfaden auch in
Verbindung mit jeder anderen Aufg^nsammlnng gute Dienste leisten wird,
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— 208 —
srt kann man dieser seiner ^fciiiiinc: wdl ziistiinnicn. Wenn er aber ferner um
Macbsicht ersucht wegen dvs iktrcteiu eines noch uobcbauteu Feldes, so
mflracii wir eincrsoits sa^^en, dam er keiner Naduieht bedarf, da seme Arbeit
Ranz £ri wi-s den bessen n ihrer Art bi izu/ählrn ist: anderseits aber kann
dieses (ieliirt kein unbebaute.^ Feld genannt werden, da um doch eine sehr
rei( be Literatur vorliegt. Da« Buch ersehcint für die unteren dassen höherer
I>ebraiistaIton reelit gut brauchbar, noeli dringender aber möehten wir es den
Sciiiinarien eni|it'ebleu, au welchen juan zumeist noch weit entfernt ist, den
Zusammoniiang zwiaehen Rechenkunst nnd wisaenscbaftlicher Arithmetik ge>
fanden sa haben. fl. K
Neu erschienene Bfieher.
Josef Beriihai'd, Gyumasialprut'essur iu Leituieritz, a) Formale Logik für
Gymnasien. 121 S. b) Empirische Psychologie für Gymnasien. 133 S.
Ving, Dominicus.
Dr. HcrmRlin Strasosky. .lakoli Kriedri» h Kiieß als Kritiker der Kantischen
Erkeiiiitiiistlieurie. Eine Antikritik, üamborg und Leipzig, Leopold Voss.
75 S. 1.5U 31ark.
Dr. Kvacsala Jinos, Bisterfeld JAnos Henrik Eletnyza. Budapest, az Athe-
naenm R. tArsnlat Könyvnyomd^a. 66 Seiten.
Neudrucke pädagogischer Srhrlften, Herausgegeben von Albert Richter.
V. Almansor, der Kinder Hehulspiegel. Von 3Iartin Hayneccius. Mit «'iner
Einleitung, herausgegeben von Dr. Otto Haujit. 121> S. 80 Pf. VI. J. G.
Scbnnimel, Fritzens Rei.se nach Dessau und F. £. von Rockow, Autheutische
Nachriclit von der zu Dessau auf dem Philanthropin den 13. — 16. Hai 1776
angestellten öffentlichen PrUfung. Blit Einleitung und Anmerkungen heraus>
gegelien vmh Albert Richter. 7») S. 80 l'f.
]K Schür. Dr. Antitn K.'.-. Zur Würdigung seiner Bestrehungen und Ver-
dienste. Hamburg, Cuurad Klull. 115 8. 50 Pf.
J. P. Biekter, Das ftwiaSslsche Schulwesen. Auf Grund der gesetzlichen
Bestimmungen und der behdrdUehen Anordnungen mit besonderer Berttck-
siditigung der inneren Einrichtung dargestellt. Halle, Tausch & Grosse.
115 8. 1,60 M.
Karl <ii'aüd8cheid, Das Schulwesen Eoglauds. Bielefeld, HelmicU. 28 8.
75 Pf.
Ednard Teller, Pädagogisches Album. Gedanken Ober Erziehung und Unter-
richt in Aphorismen für Lehrer und Eltern. Im poetischen Gewände. 2. Aufl.
Nanniburg, M. 8chmidt. 127 8. 1,25 M.
Jobaiiiies (lUltzeit, Reinraenschlichc Kindererziehnng. Drei Vorlesungen, ge-
halten in Augsburg. Nürnberg und Leipzig. Leipzig, Siegismund und
Volkening. 36 8. 40 Pf.
Prof. Dr. 8e¥ed Ribbin^, Die sexuelle Hygiene und ihre ethischen Conse-
quenzen. Dn i Vorlesungen. .Ans dem Schwedischen übersetzt von Dr. med.
Oskar Reyher. ö. AuH. T.eipzig, l'eter Hobbing. 215 8. 2 M.
H. Wickeiiba«ren , .\ntike und moderne Gymuastik. Vergleichende Betrach-
tuugeu und \ orschläge. Wieu, Pichler. 127 S. 1,50 M.
VeiMtWttrtl. BedMtow Dr. Frl«dri«h Diktci. Baobdniekerei Jullua Klinkharit, Mpiif.
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Johann Jakob Wehrll,
der erste thargauische Semiuar-Director.*)
Von Dr. H, Marf'WiiKUriihtr.
1.
man in der Jugend wünscht, hat man im Alter.^ Dea
Jungen Wehrli schönste Hoffiinng war lange die, einst in der Heimat
als Lehrer wirken m kOnnen. Dem gereiften Hanne wnrde dieser
Wonach in einer Weise erftllt, wie der Jtkngling sich nie bitte
trftnmen können. Er war non Lehrer der Lehrer. Hit nmsomehr
Ifnth nnd Zuversicht trat er an seine Aufgabe heran, da ihm seit
1829 eine Gattin zur Seite ging, wie er unter Tausenden sie nicht
besser hätte finden können. Ohne viel SchulhQdnng, aber gesund
an Leib und Seele, reich an Oeist und Gemttthf mit gründlicher wirt-
schaftlicher Erfahrong, von unermüdlicher Thätigkeit, von freundlichen,
gewinnenden Ufflgangsfoimen bei aller Festigkeit und Bestimmtheit
ihres WiMeos, von klarer Einsicht in die Aufgabe ihres Mannes, war
eine musterhafte Gehilfin im Aufbau des neuen Heimes
und war nnd blieb eine-üebevoUe Mutter der in ihrem Hause weilen-
den Zöglinge und Lehrer und eine treue, unermüdliche Pflegerin ihrer
kranken Hausgenossen, wie der Schreiber dieser Zeilen reichlich selber
ei-fahren hat, der das Bedürfnis fühlt, der edeln, längst Heimgegangenen
ein Wort des innigsten, wärmsten Dankes nachzurufen.
Zwei Hauptforderungen stellte Wehrli bei Übernahme der Leitung
der Lehrerbildungsanstalt: Einführung des für alle Zöglinge obliga-
torischen Convicts und iHndwirtscliaftliclie Übungen neben dem wissen-
schaftlichen Unterricht. Die Behörde war völlig damit eiuvei'stauden.
*) Vgl. „Die LcbcDsscbulc Johann Jakob Wehrli's" toq deuit-elbc-u Verl'asüer,
Paedagogium XHI. Jahrg. Heft 7—9.
PMdiffogiu. 14. JalHf. Hefe IV. 16
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— 210 —
Den Convict wollte Weliiii, weil das Seminar nicht blos eine
Lehr-, sondern auch eine Erziehungsanstalt sein müsse. Die jungen
Leute, meinte er, kämen gar oft aus Familien und Kreisen, in denen
eine auf fester, sittlicher Grundlage ruhende Lebenshaltung und damit
auch eine wirkliclie Erziehung der Jugend fehle. Die spätere Haupt-
aufgabe der jungen Männer in der Schule sei aber die Ei-ziehung.
Um der.^^elbt-n genügen zu ktumen, sei nr»thig, dass sie selbst eine
feste innere und äußere Lebensordnung sich zu eigen gemacht hätteo.
Das nun zu be\virken, sei Sache und Ziel des ('onvicts.
Die Einführung der Zöglinge in die Landwirtschaft hielt Wehr Ii
darum für ein wesentliches Erfordernis der Lehrerbildung, weil er
mit Fellenberg und andeni hervorragenden Zeitgenossen die ratio-
nelle Landwirtsciiaft als die Grundbedingung und die Basis der
wahren Volkscultur ansah, als das Mittel zur geistigen, sittlichen und
physischen Kegenerati« »n der Menschheit. Die Volkslehrer, so schloss
er weiter, müssen daher nicht nur theoretisch mit der culturellen Be-
deutung der verbesserten Landwirtschaft bekannt und vertraut, sondern
auch in der Ausübung heimisch gemacht werden, damit sie auf dem
Dorfe Einsicht und Verständnis in dieser Sache verbreiten und den
Gemeindegenossen mit Rath und That an die Hand gehen könnten.
Die Ansichten über die beste und zweckmäßigste Art der Lehi-er-
büdong sind heute nicht mehr dieselben, wie vor 58 Jahren, da
Wehrli sein Amt antrat Es ist ja selbstverständlich, dass in einem
so langen Zeitraam manche einst feststehende Ansicht aberholt wird.
Aber anch honte noch sind die maßgebenden Stimmen nicht in allen
Punkten einig. Ober den .Umfang der zu fordernden Kenntnisse,
aber die Anstalten zur Erwerbung derselben, ftber die Weise der
speciell beruflichen Zuschnlnng n. s. w. gehen die Meinungen noch
sdemlich auseinander. Dasselbe ist der Fall in Bezug auf die äufiere
Einriditung einer Lehrerbildungsanstalt Das Seminar in Kreuzlingen
hat den Convict heute noch, und es scheint derselbe nie Anfiachtnngen
ausgesetzt gewesen zu sein. Bern will ihn für die ersten drei Jahre,
die der allgemeinen Bildung gewidmet sein sollen, anch femer bei-
behalten. Basel hftlt ihn für das in Aussicht genommene Seminar nicht
fOr nOthig, und ZQrich hat denselben als der Erziehung verderblich
abgeschaffl^. Aargau hat in letzter Zeit den Convict an der Can-
tonsschule eingeführt und rfihmt dessen erzieherischen Erfolg. Es
kann jedoch hier nicht meine Aufgabe sein, auf diese verschie-
denen Ansichten nnd deren BegrBndnng näher einzutreten, sondern
ich mochte nur noch nachweisen, wie Wehrli, der aber das, was
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— 211 —
«r wollte und anstrebte, völlig mit sich im klaren war, seiner Aufgabe
zu genOgea suclite.
2.
Der erste Eindruck, den Wehr Ii empfing, als er im September 1833
in das vSchlösschen in Kreuzlingen einzog, war ein wehmüthiger. Der
Gegensatz gegen das reichbelebte Hofwyl war ein gar zu großer.
„Wie kam ich in ein ödes, leeres Schlössli, wo sioh bei meiner
Ankunft nicht einmal ein Stuhl vorfand, darauf zu ruhen! Alles
mussten wir nun selbst anschaffen, was ich zu einem gedeihlichen
Seminar-Familienleben nöthig glaubte. Ich hielt dabei den gleiclien
Orundsatz fest, der mich in Hofwyl leitete, nämlich mit dem wenigsten
möglichst viele und gute Zwecke zu erreichen. Ich fand gar keinen
Orund, warum ich nicht auch in einem Cantonsseminar denselben
Orundsatz anwenden sollte, wie in Hofwyl, indem ja die Zöglinge
auch meistens Landleuten angehören (selten kam einer ans einem ver-
möglichen Hause) und es ihr Glück und ihre künftige Tüchtigkeit
mehr fördert, mit Wenigem sich zu genügen, als zu sehen und zu
lernen, wie man mit vielen Mitteln nicht viel erzielt. Wer niuss
nicht zugestehen, dass dies letztere meistens da der Fall ist, wo die
Geldmittel und die Lehraitparate zu reichlich beisammen aufge-
häuft sind? Ungemeine Langeweile quälte mich beim ei-sten Aufent-
halt in Kreuzungen. Wie gern hätte ich meinen Schritt zurückge-
nommen, wenn ich es, ohne Aufsehen zu machen, hätte thuu können!
Doch es konnte, es durfte nicht sein."
Die Anschaffung der erforderlichen Geräthe für die künftige
Seminarbaushaltiuig half die Zeit ausfüllen. Man kam mit diesen
Vorbereitungen nothdürftig zum Ziel, bis der erste Seminarcurs im
Norember 18S3 mit 28 Zöglingen aeinea Anfang jaian, Wehrli
wfihlte eisen jungei'en SchuUdirer, der den Normalenrs in Hofwyl
mitgemacht hatte, als Gehilfea Der mnaikaliscbe Unterridit und der
katholische Beligionsnnterricht wurde von einigen Conventnalen, der
letztere insbesondere von dem Prftlaten des nahen Eloeters selbst
abemommen. In dieser ersten, ans Leuten beinahe gleichen Alters
und gl^her (geringer) Vorkenntnisse bestehenden Seminardasse han-
tirte Wehrli ganz wie ein Doiftchnlmeister nnterj ABG-Schtttzen
«der wie ein Philosoph, der gar nichts voraossetzt In jedem Unterricht
wurde mit den ersten Elementen begonnen, diese Elemente unter-
schieden, zerlegt, geordnet, in die Stnfenreihen des Fortschrittes ab-
getheilt, und nebenbei traten dann die ZOgUnge wieder ans ihrer
Einderrolle heraus, um zu flberiegen, warum bei dem wirkliehai
16*
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— 212 —
Kinderuuterricht ein solches Verfahren das einzig natürliche und er-
folgreiche sei.
Nun hatte Wehr Ii keine Langeweile mehr, sondern lebte in
fi-eudigster Thätigkeit. „Von da an," erzählt er, „kam ich auch in
engere Berührung mit mehreren sehr theilnehuienden Mitgliedern des
Erziehungsrathes (namentlich auch mit Decau Pupikofer in Bischofs-
Zell}. Ks entstand Leben, Thätigkeit; im Hause war Lemlust, und
außerhalb desselben "wurden Straßen, Wege. Wassergräben u. s. w.
angelegt , das vernachlässigte Schlössclien und seine verwilderte Um-
gebung k'bhaft in ein kleines Paradies umgewandelt. Die äußerst
reizende Lage am See, nahe bei Kon5>taiiz und Kreuzlingen, von den
Leuten und bei den Leuten (wie man zu sagen pflegt), machte auf
mich einen stets freundlicheren Eindruck — und endlich ehe ein
Jahr vorbei war, freute ich mich des gewonnenen Wirkungskreises
und dankte Gott dafür. Es ging besser, als ich erwartet und als
man mir yorausgesagt halt«.*
„Neben den TJnterrieht8stu]ide& hatte jeder Zeittfaeü des Tages
jeden einzelnen Zögling wieder seiae bestimmte Verwendung.
Bepetition des empfangenen Untenrichts mid Vorbereitung auf die
folgenden ünteniehtsstunden — , Gartenarbeit, Sänberong der Wege,
Wassertragen, Holzspalten, Oemflserflstnng, Gymnastik, Beinigung der
ScUalkimmer, der Schuhe und ttbrigen Kleidung n. s. w. waren auf
gewisse Stunden des Tages verlegt, und jeweüen waren einsehie Auf-
seher, welche ttber die Volhdehung dieser Besdiftftigungen Controle
XU iUiren.lMtten. 'Jedes Hans- und Gartengerith bekam seine Nummer
und seinen ihm angewiesenen Plate. — Auf diese Weise war zugleich
daittr gesorgt, dass hst jeder Zögling sein besonderes Anlsehenunt
hatte, dass bfolge' der Wechselordnung jeder aUmXhlich in allen
Ämtchen sich versnchen und ftben musste und im Ganzen die strengste
Ordnung herrsehte.**
»Im Schlaftaale hielt ein Hilfslehrer Aufsicht Hit den ZOglingen
zur Buhe gehend, wehrte er jeder Verletzung der Sittsamkeit Am
Uorgen erhoben sich alle zu der festgesetzten Stunde aus ihrem Lager
und ordneten ihre Betten, und der ZOgling, der das Wochenamt hatte,
soigte fhr Bemigung und Lüftung. Selten mochte ein Tag vorbei-
gehen, ohne dass der Director seine Oberinspection vornahm und
auch in den Betten sdbst nachsah, ob nichts Ungebfirüches
geschehen sei.**
„Hatten die Zi^glinge durch frisches Wassel* Gesicht und Hände
gewaschen u. s. w. und sich auf dem Lehrzimmer durch einige Vor-
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~ 213 —
nbütßa ernflditert und ihre Morgenaodadit yerrichtet, so ging es
smn FMUistücke. Es bestand ans HaüBigTatie» MUcli, Suppe mit Brot
oder Eartoffiolii, wie die Küche es mit sicJi brachte; Kaffee blieb auf
einsebie fesüiehe Tage beeehranH — Der Ifittagstiach war ein&eh,
brachte wöchentlich nnr 3—4 mal FleiscbV selten lein Kellergetiftnk,
wdl die Er&hnmg aeigte, daas die Müch nicht thearer an stehen
komme, dagegen der Oeanndheit f5rder]icher sei — Abends 6 ühr
ging es zom Nachtessen, Snppe nnd Gemflse oder Kartoffeln. Wenn
auch Terbfitschelte Lentchen an&nga das Zwlsdienbrot empfindlich
▼ermissten, so gewohnten sie sich doch bald, mit drei Mahlzeiten des
Tages sich an begnflgen.*'
Zwischen 8—9 ühr vor dem Schlafengehen fkad sich die ganze
Schar der Zöglinge zur Abendversammlung ein. Es war das die
Stunde sittlich-religiöser Prüfung. Was den Tag über Auffal-
tendes, Gutes oder Böses vorgefallen und vom Hausvater beobachtet
worden war, wurde da mit den PflegesOhnen besprochen, mit einem
Emst und mit einer Milde, die jedem ans Herz griff. Und wenn der
Vater mit heiterem Auge den vollendeten Tag und sein Werk lobte,
and Gott dafür dankte und seinen Söhnen sein „SchlafiBt woV* smief,
so galt ihnen das als ein himmlisches Segenswort.
Erkrankte ein Zögling, so nahm ihn die Hausmutter in ihre
Pflege. Wol bekannt mit allen Schmerzlinderungmitteln und geübt
in der Krankenbehandlung, erwies sie sich als zartfühlende Pflege-
mutter, unermüdlich bei Tage und in der Xacht.
So gestaltete sich das Seminarleben zu einem wahren Familien-
leben, und mancher halb verdorbene oder in stumme Sünden ver-
sunkene Jüngling fand da Rettung und Heilung. Verrieth sich bei
einem Zögling eine mitn^ebrachte schlechte Gewöhnung, ein Tempe-
ramentsfehler, Plauderhaftigkeit, Lügenhaftigkeit, Naschhaftigkeit, Träg-
heit, Zommüthigkeit, Neid, Wollust, Unreinlichkeit u. s. w., so säumte
Wehrli nicht, ihn zu warnen, ihm Rath zu ertheilen', wie er der
Sünde Herr werden möge. Alles mögliche wurde vei*sucht, das Übel
in seiner Wurzel auszurotten. Spät, oft fast zu spät trug er bei der
Aufsiclitscommission auf Entfernung der Unverbesserlichen an. Die
Unverbesserliclikeit eines Menschen einzugestehen, widersti-ebte seinen
pädagogischen Ansichten und seinem Gemüthe.
In andern ünterrichtsanstalten gilt die Beaufsichtigung der Zög-
linge in den Freistunden für eine der schwierigsten und mühseligsten
Aufgaben. In Kreuzlingen war man dieser Sorge überhoben; denn da
gab es keine sogenannten Freistunden. Als Erholungsstunden galten
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— 214 —
die Beschäftigungen im Garten und Gemüsefeld und in der Weik*
st&tte, sowie die zahlreichen Handreichungen in der Besorgung di»
Haushalts. Namentlich wurde der Garten- und Qemüsebau als Er-
siebungsmittel benutzt. Kam ein Ifremder zmn Besache ins Seminar,
so konnte er auf dem Gemüseackor zur Sommerszeit die ganze Schar
der Zöglinge bei der Spatencultur beschäftigt sehen. Jeder Zögling
hatte einige Quadratklafter Boden, den er für die SeminArküche be-
baute, mit Kartoffebi, Bohnen, Kohl, Mben u. s. w. Das geschah
aber ganz kunstgerecht. Der Boden war sorgfältig gelockert und
geebnet, die Pflanzen genau nach der Linie und rechtwinkelig ein-
gesetzt, das Unkraut überall entfernt, zwischen den Beeten die Wege
rein gehalten. Es war die strenge Forderung; denn auch in der
Bodenbearbeitung .sollte der Zögling seinen Oidnungs- und Schönheits-
sinn üben. Der Ertrag der Arbeit aber war ziigleirli j^enieinsamer
Vortheil aller, denn außerdem, dass sie die Gartenkunst und den
Gemüsebau' gelernt und für ihr künftiges Leben eine nützliche Fertig-
keit erworben hatten, wurde durch die reiche Gemüseemte die Kost-
gelderdividende für die SeminarzögUnge ermäßigt.
Zwar standen neben dem Hofranme anch einige Vonichtungen
zu Turnübungen, sie fielen aber wenig ins Auge. Als daher einst die
Zöglinge einer fremden Ei-ziehungsanstalt darüber ihr Befremden ans-
drückten, entschuldigte Wehrli, dies sei eben nur der kleine Turn-
))latz, führte sie dann auf die andere Seite des Hauses und, auf die
Gemüsefelder weisend, sagte er: Hier ist unser großer Tnmplatz!
Wenn in den Sommermonaten die Fortbildimgsciirae für ange-
stellte Lehrer begannen, so dorfte dadnreb die dngefBhrte Ordnung
oieht geatürt werden. So weit die besdiränkte Bfiomttcbkeit es er-
laubte, worden sie im Seminargebände untergebracht und ganz wie
die Seminaristen behandelt; bei andern, welehe aoswftrts ein oAcht-
liches Obdach suchen mnssten, wurde doch den Ta^ über dieselbe
Begel innegehalten; nur der Betheüigung bei den [Haiishallnngs-
geschalten blieben sie, damit sie in den Freistunden den Inhalt dea
empfangenen Unterrichts au&eichnen konnten, enthoben. Gieichwol
machte die Begsamkeit und Ordnung im Baushalte und besondera
anch der Garten- und Gtottsebau der Seminaristen auch auf Altere
Lehrer einen so vortheilhaften Eindruck, dass manche derselben nach
ihrer Bflckkehr in ihre Gemeinden woiigstens fOr sich und ihre
Haushaltungen Ähnliches versuchten. Die Ansicht, dass der Land-
schnllehrer nicht bloa in der Schulstube» sondern auch in Garten und
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Feld durch Anleitung und Beispiel zur VolkserziehiiDg mithelfen kdnne
und solle, gewann allgemeineren Boden.
Für den Umfang des Unterrichts war auch in Krenzlingea die
herrschende Ansicht maßgebend, dass der Volksschullehrer eine ency-
klopädische i Übersicht über alle Zweige des menschlichen Wissens be-
sitzen, namentlich aber die Muttersprache und ihre Regeln und die
niedere Mathematik kennen, in Geographie und Geschichte be-
wandert, in Gesang und etwas Musik geübt sein und eine gute Hand-
schrift führen müsse. Nach Wehrli's Ansiolit gehörte aber auch
Naturkunde und besonders Landwirtschaftslehre und einige Fertigkeit
im Zeichnen zu den Vorzügen eines guten Scluillehrrs.
Mit dem Eintiitt einer zw^eiten Classe im Herbst 1834 wurden
die Lehrkräfte angemessen vermehrt und bald darauf ein akademisch
gebildetei' Uauptlehrer für Sprache, Geschichte und Geographie ange-
stellt.
Zur praktischen Vorbereitung- der Zuglinf^e auf die Sr-bnlfiilirung
wurden nicht blos die benachbarten Sclmlen beuutzt, sondern es wurde
im Seminar selbst für eine Anzahl Kinder eine Privatschule einge-
richtet, in welcher die Seniinarzöglinge abwecliselnd unter Aufsicht
Wehrli's oder eines Cieliilten die ersten Versuche im Unterrichten
zu machen Gelegenlieit bekamen. Die Kinder dieser Semiuarschule,
für die sich in einem benaclibarteu Gebäude eine passende Unterkunft
land, wurden von jenen Anfängern der Erziehungskunst mit einem
Erfolge unterriclitet. der bald eine größere Anzahl herbeizog und
endlich zur Einrichtung einer besonderen Erziehungsanstalt Veranlas-
sung gab.
3.
So entwickelte sich die Anstalt in schöner Weise. Zöglinge aus
andern Cantonen drängten sich herbei, und sie gewann bald einen
allgemein schweizerischen Charakter. Die Jahresprüfung im
Herbst 1837, also nach vierjährigem Bestand des Seminars, erhielt
einen besonders feierlichen Grundton, weil Wehrli in einer längeren
Eröffnungsrede eine Art Rechenschaft vor den zahlreichen Zuhörern
ablegte, die ein treues Bild von seiner Anstalt gab und mit großer
Freude angehört wurde.
Um den Leser so recht mitten in das Institut eiuzufülaeu, lasse
ich sie hier folgen:
Titl
Von den Jllagliiisen und jungen Minnon, die hier Tor ans ttehea «nd
ReehemdMift tos ihnm Jahzeswerk ablegen sollen, wollen aicb alle, einer aaa-
/'
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— 216 —
pcnoiniiien, dfiii wicbtiffon Lrhn rlK riitV widnirn. Ks sind ihrer an der Zahl 71, von
dcueu die älteren im Julir 183Ö uod die jungerün ld34> ins äcniinar getreten sind.
Die iltomi (oder die Seminaristeii des dritten Conei im Semiaai) bestelieB ave:
23 Thurgauem, 18 St. Gallern, 2 Qlarnem asd 1 AppenMOer. Die jflngoen (oder die
Seminaristen dos vierten Curses im Seminar) bestehen aus 1 6 Tbiirgftacni, 4St.0aUem,
4 Glamcrn, 1 Basler, l Unterwaldner und 1 Appenzeller.
Die ältere Abtheiluog zeigte bei ihrem Eintritt eine so auffallende Vcr-
«diiedeiiheit in den VoxkenntmaieB, dam wir genöthigt waten, in einigen Unter-
rlehtrttelieni xwei Uatetabtheilungen au madiea. ~ Indenen haben aidi die m^ten
der schwächeren Abtheilunir fast Uber Erwartung nachgemacht, Überhaupt hat in
allen Classen l>einahc uime Aui^nahme eiue T.embosricrde sich entwickelt und ein
Fleiß sich kund gethan, die beidt.' mir viel Freude machten.
Über die Thätigkoit dieser jungen Leute während ihres Aufenthaltes im
Seminar, oder flberimnpt Aber die BÖitrebnngen in umerm Banae eine knne Über-
aiebt zu geben, dOrfte TieHeicht hier nicht am nnrechten Flatae Min.
Das Leben im Seminar ist ein dreifaches:
a) da.s Leben im häuslifhen Kreise oder das Familienleben;
b) das Leben in der Schulstubo, im eigentlichen Unterrichte, oder die Thätig-
keit in der wiasenflehaftlidieD l^dung, und
o) daa Leboi anHer vnami Vanem, bti gaitaibanlidien Beaehftftjgnngen.
Ich stelle absichtlich das häusliche Lebtfi voran. Wamm? Weil der hSus«
liehe Kreis die beste Erziehung trcben kann und ein Lehrer vor allem eine gute
Erziehung habrn mus.s, Erzieher werden soll, um andere, die ihm anTertrauto
Jugend, cizieheud unterrichten zu können.
Im BchOnen Familienleben iat der Ort, wo man aieh wechadieitig dnieh
Theünahme an Frrad und Leid, an Glttck und Unglflek, dnreh Bdehmag, fiath,
Trost, Beispiel zu Einigkeit, Liebe, wechselseitigem VertraueDi an edeln Gesiannagen
und Handlungen, zur Tugend ennuthigen, erhoben kann.
Im schönen häuslichen Leben kann der echt religiöse Sinn am ersten und diu
tieftten Wuraeln tauen. Im hftuslichen Leben iat'a, wo die Grundlage an einem
eeht duriaüidien Leben am beitra gelegt worden kann. Da hat man ftuit die
Augenblicke Gelegenheit, sich in der dienenden Liebe zu üben — die besonders auch
heim Schullebrer eine der ersten Tugenden sein f^oll: da ist's, wo Liebe und Ernst
die jüngeren Glieder zu guten und verständigen Menschen heranbildet; da ist's, wo
eines vom andern lernen kann und lernen wird; — da
Wo man sich fflr alles danket,
Alles gerne leiht und gibt,
Niemals zUmet, niemals zanket,
Immer treu nnd airtlioh liebt.
Ober diesem Friedendiaua
Breitet lich der Segen ans.
Wer in einem solchen Kreise, tad solche Weise erzogen wird; wer so in
seinen Mitmenschen lauter Hrüder erkennen lernt, ihnen dient, gern dient, wo er
kann, und so die ganze Men.schheit ebenfalls als eine große Familie betrachtet . sii'
liebt und Gott, ihren Vater, Uber alles liebt — wie segensreich wird ein solcher
tiberail wirken! Welch« Weihe gibt daa allem seinem Thna und Laasenl Welehe
Weihe beaonders dem Thun und LassMi des Ldiren! Wie gaas aadets tritt eia
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Bolcher in dieSchulo. wio {yanz andere vcrliisst er sie al.x dcrjoniefo, dem der fromiM
Sinn mangelt und dem dati Herz für edlere häustiche Freuden erstorben ist!
Wie gaai aaden iit er in, wie guut aoden außerhalb der Schule, als der-
jenige, den eine solche littlidie Dniohbildang aligelitl
Wo ist ein solcher Lehrer am liebsten?
Ein Kolrher I^rhrer ist am liehsten in der Schule unter seinen Kindern — in
diesem (iuttesbause - im häuslichen Kreise und überhaupt da, wo er entweder
Belehrung geben oder Belehrung hnden kann. £in großer bekannter Mann hat
etww starte gesagt: ^BiaeB Sehnlleliier, der nicht singen kann« sehe ich gar nicht
an." Mit ebenso viel Grund kSnnto man andi sagen: Ein Leliier, dem der Sinn
fSrs schöne häusliche Leben mangelt — sollte sich am allerwenigBten in einer
Scbiüstube erblicken la^^sen.
Dasa wir nun bei unterm Zusammenleben im äeminar nach diesem Ziele
itKibten; dais diese Jflnglinge beinshe ohne Aninnhine sieh ihres Familienlebens
ftevten, einer dem andmi diente, der Stirkere dem Sohwidieran nachhalf der Oe*
snnde den Kranken pflegte und am nächtlichen Krankenbette wachte; dass sie sidi
jeden neuen MoTs:en mit Gruß und Geffengruß erfreuten und fi;omeinscliaftlich vor
(fOtt triiton, zu ihm, in brüderlieher Liebe untereinander, ihre Herzen erhoben, vor
ihm gemeinücbattlich den Entscblusä fuiiäteu, die küstliche Zeit wol zu ntttzen nnd
ihr Tagewed^ so an beginnen, an mittein nnd an Tollenden, daas sie sieh desselben
am Abende vof ihm Ikenen dürfen; — daas das in nnserm hindiehen Kreise ge-
schehen sei, darf ich SiÜDntlioh aussprechen. — Noch am spftten Abende ihres
Lebens, ich bin es versichert, werden sie sich mit Liebe und Freude unserer
Morgen- und Abcndunterhaltung erinnern, und wie ich, die Entschlttsse segneu, die
sie da mit mir gefasst haben. Ich darf hoffen, dass beinahe alle mit diesem Sinne
nnd Geiste in ihren Schnlai wirken; dass ihre Schulen wahre Pflanastitten an
einem schönen, religiösen, häosUchen Leben und Torsdiulen an einem nioht minder
edeln hürfjerlichen Leben sein werden.
(Jott seijno unsere Ik'm(lhuue:eu, unser Streben hierin!
Auch der Sinn für ein veredeltes Äußeres, fdr Ordnung und Reinlichkeit
hat bei unaeni jungen Leuten gewonnen, hat nch eistaifct an den Übungen, die sich
in nnserm binsHchen Kreise mannigfldtig dart&etea, und ich darf erwarten, daas sie
auch hierin in ihren Sdnlw mit Gottes Hilft Gutes schaffen werden. Wie werde
ich mich jedesmal freuen, wenn ich ihre Schtilen besuche und da die Schulstuhen
nett und reinlich antreffe, dass sie einen anlachen! Wie werde ich mich freuen,
wenn ich die Kinder mit reinen Händen und reinem Gesichte erblicke und auch die
Irmsten ein ord»tliches Anssdien haben! Wie werde i^ midi freuen, diese nmine
Zöglinge einst in ihren Schulen auch in diesem AuBern als Vorbilder vor ihren
Kindern zu sehen — in nettfMu, reinlirheiti , aber einfarhem Gewände, fern von
allem Luxus, fem von aller ModeuaihiitTerr i und eitlem Wesen — fem von einer
l'^risur, die da zeigt, dass der Lehrer einen be^iscren Blick in den Spiegel habe, als
in die Sehulstnbe, auf die vielleicht besehmutaten Fenster, Winde, BOden und mit
Tinte besnddten Tisehe ^ geadiweige einen Blick in die Herien der Kinder. Wie
werde ich mich freuen, wenn ich vernehme, das« die Kinder meiner 25ögling:e in der
Schule auf diesem Wc^e (erziehend gelehrt und lehrend erzogen) nach nnd nach den
Sinn für Einfachheit, für Reinlichkeit und Ordnung, wie Liebe zu Fleiß und Thätig-
keit mit in ihre Häuser und Hütten bringen und da die Schule nachbilden!
0 wie schon! Gott gdw, dass es gesdidie!
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Das zweite Leben im Seminar macht der eigentliche rnterricht in dem
Scbulsaale aiu>. Bei Leruhegierde uud l'leiß und den daraus hervorgebeudeu Fort-
mhiitten wnvdei den meistMi oder allen die Wodien in Tagen nad die Tage n
Standen. Ich glaube eagea an dflifsn, daaa iieh die meisten ledit adiftne Ktant-
niflse angeeignet haben.
Froh wnrde der rnterrieht gegeben, und froh wurde er empfangen. Einen
organischen, naturgemäßen l'ntcrricbt zu ertbcilen. entets vom Leichteren zum Schwe-
reren Überzugeben, und durch das Bekannte aufe Unbekannte zu kommen, war das
einheitliche Beitreben aller Ldirer am Soninar. Alle Itnldigten dem Gnmdsatae:
a) Wtt.s du lehrst, das lehre grüniUicb — und
b) Was die Kinder machen oder darstell- n. das inii.-scn sie recht iiiaehen.
Man suchte den rnterrieht so zu geben, wie wir wtüucben uttasen, daas er
lu der Elementargcbule selbst gegeben werden uiöcbte.
Der für die thurganiachen Sehnlen entworfene Leotioiuiplan lag nia dabei
an Omnde. Wie dort hei allen UnteniohlBftehein anf lante nnd stille Beschiftignngen
in der Schule bingcdeutct ist, So versäumten wir nicht, überall anf diese Unte^
soheidung in der Beschilftisning der Kinder hinzudeuten, nämlich:
1. auf den Stoff aufmerksam zu machen, den der Lehrer laut und ent-
wickelnd mit den iündem tu bearbeiten hat, und
8. an seigen, wie das Entwidcette an stillen Besehlltignngen and Übungen,
unter Mithilfe eines LehischfllerB, befestigt werden müsse.
Dahin müssen wir arbeiten, dass kein Kind mehr unbeschäftigt bleibe, dass
nicht Ton vornherein Müßiggang in der Schule gelehrt werde. Fleifi und Thtttig-
keit soll aus der Schule hervorgehen!
In nnserm Leetionsplane für thnigaulsehe Schulen ist im Anfange das Fach
des Unterriehtea in der Religion und bihUschen OeodiGltte veigeniehnet. Dieaea
besorgte für die katholischen ZOglinge der hechwürdige Herr Prälat (tos hiesigein
Stiftes und für die cvanglischcn icli. Die l)iblisrhe (iesehiehte wiirile wie es der
Lectionsplan andeutet, zur Grundlage gemacht, und au diehclbe die ülaubens- und
Sittenlehre flbeiall, wo der Gegenstand und die Umstände dazu auffordern, angeknüpft.
Als swtttes Fach beadcbnet der Lectionqilan die Spraehe. Diese an beaoigen,
hat Herr Bnmflller sich zur Aufgabe gemacht. Das Lesen, die Wort-, Sats- und
Aufsatzlehre sind die Haujitstufen darin. Wie weit die Zöglinge gekommen sind,
mögen ihre AuMtze und mehrere nicht ganz miselungene rhjrthmiBche Venuche
zeigen.
In den Untennoht der Aiithmetik und Geometde theilten aich die beiden
Uenen Lehm Wellaner nnd Aaenwyler. Alks, was unser Lectionsplan in dieaer
Hinsicht verzeichnet, das wurde gelehrt. Überdies worden die Zöglinge noch eine
ordentliche Stufe weiter geführt. Sie lernten mit dem Moxstisehe umgehen und
blieben mit der Ausziehung höherer Wurzeln und den wichtigsten Lehrsätzen der
eigentlichen oder wissenschaftlichen Geometrie und ihrer Anwendung nicht unbe-
kannt.
Aus der Naturkunde daqsnige an khreo, was ich glaube, dass in einem Seminar
gelehrt werden soll, habe ich übemomtacn. Ich t heilte diesen Unterricht in zwei
Haiipttheile : in die An.schauungs-Nattirl<unde und in die systematische Naturkunde,
welche letztere wieder in Naturgeschichte und Naturlehre zerfällt. Einen besondem
Zweig dieses FSehes maehte eine damit verbundene ein&cbeLandwirtsdiafIdehie ans.
Den Unterricht in der Gcogn^hie besorgte Herr Bumttller. Die Abtheiluagen
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desselben sind, wie bekannt, die Haus-, Gemeinde-, Caiitons-. Vaterlands- und Außcr-
vaterlandskunde. Gegren das Ende des Ctirses tülirt'' Hnr liurniillfr die Zoerliupe
auch Qocb durch die matheiualiäclie ücogiupiiie vod der Eide hiuuui in die liöbereu
Weiten dee Hbmneb, damit lie Gottes ADmaeht im Oxoßen wie im Kleinen bewun-
dern und anbeten mScbten. —
Die mit der Geographie so nahe verwandte Gesehichte lehrte ebenfalls Herr*
Burnüller. Die Geschichte unsers Vaterlandes war uns Haiipt!<aclic. mid ans der
allgemeinen (ics< hi('bte wurde nur so viel damit verbunden, als es die Auknuptuugs-
punkte and die Umstände geboten oder erlaubten.
Den Gesangnnterricht ertheilte Herr Profeaeor Anton, vnd swar naeh
Nägeli's Methode. Seine Bemühune:. im letzten halben Jahre den Zöglingen einige
Begriffe von der llaniinnielelirc Iteizuhringen, blieben nicbt ohne £rfolg, indem einige
Versuche in der Cnniiiositiou ui<-ht so übel ausfielen.
Die Kalligraphie beborgte Uerr Wellauer. Das Zeiehneu, welches in ilaud-
xeichnai und geometriKhea Zeichnen aexftUt, leiteten Herr Wdlaaer und Herr
Aaenwyler gemeinachaftlich. Wie weit es die ZOglinge in beiden braehteUf daa
werd^ die vorzulegenden Arbeiten aufweisen.
Bei jedem rnterrichtsfache wurd«' bei dem Becrinn de? t'urscs mit dem eiu-
tachsten Unte rrichte oder den Elenientcu angefangen. Man wollte jedesmal einen
sogenannten Auschauungsuuterrieht, d. b. eine klare Omadanaehauung vorausgdien
laaeen. ^ Wir theilen ttbiigena den gansen Seminaieu» in drei Tbeile: Der eiste
bc^( hiitti(;t .-ich mit den Elementen, der zweite mit den Bealien, der dritte
mit der Kepi tition, verbunden mit den Vorfilhriintr^ilbunpon
Indem wir die Zofrlincre nach den bereits angeia-aehten Ikiiierkungeii Uber
den Umfang der wibseuschatüiehen Ausbildung allerdings weiter führten, als sie in
Elementareebulen in der Begd die Schfller bringen weiden, lag uns dodi weniger
die KUienatufie der Winensehaft am Heixen, als vielmehr die Omadlegnng oder
die AsbalONing einea Wegea dasu und ein sicheres Fortgehen auf demselben, so
lange und so weit es uns der auf zwei Jahre beschränkte Cursus im Seminar ei*-
laubt«. Mau darf nicht aur- dem Aug-e lassen, dash das Seminar eine Anstalt sein
soll zur Erziehung und Bildung erziehender Lehrer.
lat es etwas anderes, so Terfehlt es nadi meiner Überaeugnng adnen Zwedc.
Ein drittes Leben oder eine dritte Schule bot uns unsere kleine Fddgirtnerei
dar. Auch über diesen Thcil glaube ich eiiiit,n.- llechenschaft geben zu müssen.
Nicht nur waren uns die gartenbaulichen Beschiitfiirungen im Laufe di r milderen
Jahreazeitjeden Abend am i^hloss einer zehn- und mehrstündigen geistigen Thätigkeit
eine Bibdang und k&tperlidie Ojrmaaatik, durch die wir den Forderungen, wdefae
der KSrper an uns macht, um gesund und krftftig an bldben, entgegwnVamfir,
sondern sie waren uns zugleich eine neue bedeutsame Sdiule, die nach meiner Ober»
zengung jedrr Lehrer auf dem Lande unuin«j;in^'lieh pas^iren sollte- —
Auf dem Lande die Kinder der Lundlcute sit Ii anvertraut wissen und nur
geringe Kenntnisse von der Besehatlenheit und Wartung der PUanzen und Thieio
haben; den Boden kanm kennen, aus woldiem die Pllanaa wichst; den Bettieh flr
Bohnen und die Erbsea für Kartoffeln ansehen und überhaupt keinen Sinn, keinea
Wahmehmungsgeist für das landbauliche Leben haben; bei Wolinungen, Gärten
und Feldern vorbeigehen, ohne einen richtigen Blick auf dieselben zu haben; voa
der Verbindung des Schiiaen mit dem Niilzlichen im ersten und allgemeinsten
llettsdienbOTttfe nur geringe Begriffe haben, der Naturkunde atdat «ne Biditung
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zu cfohen wissen, diiÄS sie die Landkinder geistijf erregt, mit Kcnntnisst n bereichert,
dnrch die sie für die Bebainms: des Bodens und Erziehunc: der Pflanzen freudig
belebt und bcthätigt werden niUssen — ein solcher Lehrer leistet wenig — wenig ~
gar ni iranig. —
Jkx Sdrahuterrieht, TonBglidi auf dem Lande , mnBa mit dem Leiten ver-
bunden werden. Die Wissenschaft darf sieh da am wenigsten Toa ihm absperren.
Beide mfisaen untereinander sich im schönsten Ehehundr- vercinisren. Erst dann,
wenn der LandschuUebrer einen solchen Unterricht geben kann, einen solchen Geist
unter eeine Kinder m bringen weiA — erst dann, sage ich, passt er in die Land-
•ehnle , pant er mit seinem Sinne für Landwirtadiaft, diesem Termittelnden Element,
TU den Landicutcn, Nur dann hat der Schullehrer die rechte Stellung zu ihnen.
Fehlt ihm aber dieses bind» nde Element, m verfällt er leicht in Dünkelhaftigkeit, glaubt
■zu den (ielehrten zu geh'tron, benimmt sieh in und außer der Sehulo wio oin Ge-
lehrter und fühlt nicht, dass er unter den Landlcuten dasteht, ich hatte tust Lniit
sn sagen, wie Lothes Salnftttle. —
Dass nnsere Feldglitaerel mit dem damit Terbnndenen landwirtwliaftliehen
Unterrichte mich zu schönen Holbnngen berechtigt, indem sie von vielen muerer
Zöglinge in rechtem Sinne aufgefa.s.st wird, davon habe ich viele Beweise.
Indes wird, wie über alles, die Zukunft lehren. — Nur auch dann nicht die
Hftnde in den Schoß gelegt, wenn's nicht gleich nach unsem Wünschen gebt. —
Laaeet nna umarm Heiland, dem Ldner aller Lehrer, Xhnlieh, nnermttdet am Wol
unserer Mitbrflder arbeiten; so wir nicht erliegen, werden wir einst ernten ohne
Aufhören. Gott mit uns!!
Noch ein Wort, verehrteste Herren 1 und Ihr SchnlmSnner besonders!
Wenn einmal in der iScbule — dieser hochwichtigen Volksbildungsanstalt —
der Beligionsvnterrieht nioht mehr ein Teistand- und henloses Answendigleraen ron
schwer zu verstehenden Bingen oder ein trockenes kaltes Abfragen darttber« sondern
«in Unterricht ist, der darin besteht, dass man mit liebendem Herzen die Kinder
auf ihre Pflichten gegen die Eltern, gegen den lieben Vater im Himmel, gegen die
Mitmenschen und sich selbst aufmerksam macht — «ud dann gleichsani jedes Wort,
jeder Blick, jede Tbat zeigt und lehrt, dass diese Pflichten zu erfüllen, jedes Wort,
«nd Gott, den lieh<m Allvater, sum hosten Freunde su haben, Aber slles in der
Wdt stehe nnd die größte Seligkeit sei;
wenn wir einmal die deutsche Sprache, fem von allem grammatikalischen
Luxus, so lehren, dass die Schüler durch dieselbe lernen denken, ihre Gedanken
ordentlich ausdrücken, gute Bücher mit Verstand und daher gern lesen und einen
Absehen vor Entweihung der Sprache durch Lttgen, Fluchen und Terleumden he>
kommen; —
wenn einmal, statt des mechanischen Regelwesens in der Bechenkuni^t und
anderer für das Volk ungenießbarer mathematischer Speisen, ein gesundes Anschau-
ungsrechnen und eine gesunde Anschauungsgeometric dem Volke seine Arbeiten
ordnen, denkender und anstelliger verrichten lehrt, dieser Unterricht Uberhaupt mit
^em BemfUebon in nihere Verbindung gebracht wird; —
wenn die Naturkunde auf ähnliche Weise uns vom Werke za seinem erhabenen
Schöpfer filhrt und uns nnserm Erdenberufe (Tiandbau und Handwerk) bei höherer
geistiger .Autlas-sung mit herzlicher Freude und Lust zugethan macht; —
w^enn einmal die vaterländische und weitere Geographie, wie die Geschichte,
flo gelehrt werden, dass die Jugend dnreh dieselben vom Bltemhause aus ein Hern
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für die Gemeinde, für den Clinton, fürs Vaterland bekommt, ja. die ganze Erde
ttich Tur ilir zu einem großen Vaterland, die Meuuchlieit zu ciucr großen Familie
gestaltet und ihr Herz auch für die Nachkommen sich erweitert und aufthut; —
warn dnmal der Qenuig «of eine to dnüMlie vad kunstloie Weiie gekiirt
wild (wie es wol möglicfa iit), dan sich alles, alles, wo man einander trifft, mit
Lrrzerhebcndcn Gosiiutrcn erfreut, zur Pflichterfüllung begeistert, Gott und seine
Welt besingt , - daäs jedes Dorf, der ganse Canton, ja, das ganze Vaterland stt
einer großen üesanghalie wird; —
wenn der Lnndbay, dieser grole MemeheabiUiuigsnrdg, in seiner Würde
anf^e&set ist, Ton den Sdiulen ans gefordert «tad eiboben wird;
und wenn alle Lehrer cinutal dahin gekommen sind, dass sie auch ihre
eigenen Schwachhoiton und Mangel erkennen und zuj^Ioitli einen j^Tußcn Vortb«>il
darin erblicken, dass sie durch den Unterricht, den t-u ihn n Kiudi i ii ben, selbst
viel gewinnen, sich veredeln, tugendhafter werden müääcu und bie du:> neben dem
Salarinm andi in Auddag sn bringen im Stande sind; —
wenn, sage ieh, nUe unsere Sdwlen einmal so lehren, so enieiien, so, nnf
diese Weise bilden, wenn alle I>chrer Apostel und ihre Schulen Jüngerschaften ge-
worden sind — dann wird's besser!
Herr, die £mto ist groß, sende Arbeiter in dieselbe!
4.
Wie Wehrli den Erzieher- und Lehrerbemf anffasste, darüber
gibt feiBer uns erqnicUichen AnficbluBS:
Ein väterliches Wort.
Unt^r dieser Aufschrift hat Wehrli zu Weihnachten 1840 als
Neujahi'sgi'uß an seine bereits in mehreren Cantonen zerstreuten Zög-
linge eine Reihe Fragen zur Selbstprüfung gestellt und damit zugleich
einen neuen Beweis gegeben, wie sehr ihm ihre Berufs- und Ijehrer-
treue am Herzen liege. Sein väterliches W'urt ist der Erguss eines
wirklich väterlichen Gemüths, hat aber einen so allgemein gültigen
Inhalt, dass es als feststehende Beichttafel für jeden liehrer und Er-
zieher, ja selbst für jeden Bürger und Christen angesehen werden
kann. Diese Sorge für die ausgetretenen, bereits in Schulen angestell-
ten Zöglinge, die Dankbarkeit, mit welcher von denselben die Mah-
nungen des väterlichen Lehrere aufgenommen wurden, verbunden mit
dem Vertrauen, das die entwachsenen Zöglinge, wenn sie des Rathes
bedurften, zu ihrem wolmeinenden älteren Freunde geleitete, rechtfer-
tigen die Aufnahme des väterlichen Wortes an dieser Stelle. Es ge-
hört ja wesentlich zur Schilderung des Wehrli "sehen Seminargeistes.
„lieine heben Freunde! Wie gern müchtc ich beute beim Antritt des neuen
Jahres Badi, meine Lehrerzügliuge, die nun im Amte stehen und tu wiriten be-
ginnen, alle wn mich yersammeln und einen ernsten, feiedichen Tsg mit Such
Terieboil Wie sehr wünschte ich, Euch allen sammt und Mmders mein Ben aua-
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SulctTon iMul lM>«ondo^:^ bei doni Kuf, den die uef^enwiirtigo Zeit an uns thut, Eiirh
auf Kuere Stellung, aut' Euere Pflicht und Ptliditerfülluag wieder aufmerksam
machen zu können.
Da nun aber die Hindcmisäc, Euch alle iu dieiicm Augeublicke zu einer
solchen yenunmliiiig hier so Tereiaigeii, n viele sliid, eo 'winde ich mich nun
brieflich an jeden besonders and hiennit auch an Dich, mein lieber Theo|ihill (so
will ich Dich nun in diesem Schreiben anreden).
Von Deiner guten riesinnunir, von Deinem fjuten Willen, mit dem Du da«
Seminar verlassen ha>t. vou dtiu Kiitsriilusse vor (Jott und dem Vatorlaude. E)ein
Leben nur der McnAclitubilduug zu weihen, wirst Du, wie ich aunehmen darf,
nichts weniger ab nirflckgekommen sein. Diese edeln YorsKtie kSnnen, des Qlanbens
lebe ich, nicht erloschen sein. Aber eines roOchte ich fragen, mein lieber jonger
Kann. Stehen sie wirklich noch so \nn\s^, so warm, so rein, so christlich erhaben
in Deiner Seele, wie damals, als iMi das Seminar verließest, wo Du Dir die Welt
viel reiner vorstelltest, als sie wiiklirli ij>t, und Du noch nicht halb so viele
Schwierigkeiten ahntest, wie Du sie nun in der Wirklichkeit findest? — Haben
Dein jugendlidies Alter, Dein Umgang mit Tersebiedenen Heuchen, Deine hftuslicben
und andere gesellschaftlichen Verhiltnisse, Lust und Last verschiedener Art, Lob
und Tadel, Deine ökonomische Laije u. a. m. erhebend oder iu< d« r(l nackend auf flieh
« iuirewirkt? Ha-st Du Deine im Seminar bcjOfonnene Lchrcrliildung und Lthrertiuh-
tigkeit im Hinblicke auf das Vorbild des göttlicheu Lehrmeiätci» Jesu stets fort-
gesetzt, wie es Dein Vorsats war — oder hast Du Tielldcht Tergessen, dass die Wahr»
heit: „Wer nicht TorwSrts geht, geht rflckwirts*, nirgendi schneller ihre Anwen-
dung findet als beim Lehrer — und zwar mm groScn Nachtheil seiner selbst und
seiner Sdiüler? — Ist aber lotztcrfs — wie Noth thut es nun, sich von dem
•Schlendrian loszureißen und sich zu erheben, oder aber abzutreten von einer Stelle,
WO schon die blofle Gleichgilltigkeit unzuberechncnden Schaden stiften kann. Ein
Oirtner, wenn er es an einer Pflanne Tcrsidit, schadet dodi gewMinlidi nur der
behanddten Pflanze. Der Scbnlgärtner aber setzt nicht blos ein Individaum anfii
Spiel, sondern schadet der ganien Schnle, und dieser Schaden erstreckt sich oft anf
mehrere (ienerationen.
.la, lass uns, mein liel)er Fnuud. unsere Lehreraultrabe durchaus nicht lau
auila^u! Lass uns beständig über uns waeheu, dass wir uuä auf keinerlei ^^'eisc
so schwer an der uns anvertrauten Jugend TersOndigen! Lass uns wadien und
beten, dass wir hierin auf keinerlei Weise in Yersnchung fidlenl Ein fbrtgesetster
Kampf gcßren alle Gleichgültigkeit, gegen alles Gemeinwerden — ein beständiges
■Ringen uaih Vollkommenheit, nm h dem Lehrermuster Jesu, führt allein dahin,
dass Gott mir seinem Segen uns beisteht, dass wir die .lugend wahrhaft bilden und
veredeln, um ndlich viel Gutes stiften und so uns des Lehrerberufes freuen können.
Ja, kämpfen, ringen wollen und müssen wir beständig. Ihr seid, Freunde,
mit uns dessen bewusst, dass jeder ICeaseb seine schwache Seite hat und seine
schwache Stunde; aber eben weil wir dieses wissen, eben weil wir mit Pilus
fühlen, dass beim besten Willen das Fleisch oft s. br s( h\va( h ist, ^-o lasst uns, wie
f r. mit aller Ansf renrruiig und Hcharrlichkeit den i,'iit> n Kanipf käniplen. Diesen
Kampf zu bestehen, haben wir unter anderem eiu vorziigluhes Mittel darin, dass wir
auf unseier Lebensbahn anweiliea stille stehen und einen prttfenden lOkk ttber
unser Thun und Lassen in die Vergangenheit werfen. Dieses Mittel wollen wir
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nun auch hi-autzen, und beute beim Biagang inin neuen Jahre eine BoU^ «Mte^
Btxenge Selbstprüfung vornebracn.
Frage sich jeder selbst:
A. Wie stehe ich als Lehrer and Ersieher aater den mir aoTei-
trautea Sehnlkiadera?
1. Bin ich auch ein wahrhaft väterlicher und crziehendor Lohrer?
2. Betrachte ich auch jeden Schüler als von (loU mir anvertraut?
3. Bedenke ich, dass jeder ischUler, der ärmälc wie der reichste, das Eben-
bild Gottes in sidi trägt; daas der gOttlidie Keim in Aua Toa mir an einer fhicht-
trageaden Pilanxe entwickelt werdoi soll?
4. Bedenke ich st« t;^. dass ich nun ElteiMteMe Tertietea and das Kiad nicht
btos einige Kenntnisse lehren, sondern erziehen niuse?
5. Bin ich mir bcwus-st, das> ich nach Jesu Lehre das Kind ins R^icii (iottes
lührcu soll - und dass ich es luebr durch meiu eigen Beispiel thue, al» durch das
Wort — aad dass flberhaupt der Lehrer mehr leistet durch das, was er
ist, als durch das, was er sagt?
G. Wo zum Torbilde die Belehrung tritt, gebe ich sie eniat, lienlich, eiadriog-
lieh ^ doch nicht in wortreichem Geschwätz?
7. Weiß ich, dass die vielen Straten, die manche Lehrer geben, den Beweis
leisten, dass der Lehrer seiner Aufgabe aicht gewaehsea, da« er eben kein Br-
lieher sei? dass er die Kinder nicht aUe aweckm&fiig besdiltftige, kun, dass es
ihm entwf ilr r im Kopf oder im Herzen, und an der rechten Erzichungsknnst fehle?
8. Weiß ich wol , dass das Verhüten des St rafwii rd i jren weit edler
ist, als das Bestrafen desselben? — und dass, wer dem Lubter den Ein^anj;
in das schuldlose Herz wehrt, auch der Mühe überhoben ist, C6 aus demselben durch
gewaltsame Mittel au vertreiben?
9. Sind im vergangenen Jahre meine Stiller durdi die Wachsamkeit auf
ihre Hcr/cn, durch mein Beispiel und meine Lehre wahrhaft frömmer und gottes-
füichtiger gewonien, oder vielleicht nur weniger roh und äußerlich unständiger?
10. Halte ich mit allem Ernste darauf, dass meine Schiller fleiilig die iurchc
besuchen — still und sittsam darin seien — auftneiksam aahSzen — Uftos Bedien-
sehaft Tom GdiOrtea geben ~ an allen TheOen der Oottesrerehmng, besonders auch
am Gesänge Antheil nehmen?
11. Geben die Eltern meiner S<'hülcr mir das Zeugnis, <la<s ilire Kinder nicht
nur Kenntnisse, sondern auch Liebe uud Gehorsiun zu ihren Kltern, Liebe zur
Arbeit und Liebe nur Keinlicbkeit uud Ordnung aus der ächule nach Hause bringen?
18. ^te.ieh strenge darauf , dass aaeh das luBere meiner Schule
einen bildenden Einfluss auf die Kinder aasftbe? Halte ich darauf, dass
r>ehrgeräthe, Tische, Bänke, Wände, Boden u. s. w. stets rein erhalten werden, und
wenn etwas beschmutzt worden ist. es auf der Stelle, wo immer möglich, von dem
Verunreiniger selbst gereinigt werde?
18. GewOhne idi sie, Jedetaeit an Hftnden und Gesicht gewaschen und mit
reinlichen Kleidern an erseheitten?
14. Bilde ich den Schönheitssinn auch dadurch aus, dass ich alles, was im
Zimmer an Geräthen und Lehrmitteln aufzuhäncrcn oder aufzustellen ist, symmetrisch
und gefällig vor ihre Augen hinbringe, dass die Kinder auch selbst ihre eigenen
Bflcher und Lehrmittel in ihre Fächer wol zusammenorduen?
16. Aehte ich darauf, dass meine Schiller beim Kommen und Weggehen
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Lehrer und SchulgonosK H zu Rrüßcn sich gewöhnt-n, — da«B sie ain li ;iußer der
Schule die Kegeln des Austandes gegen ilire JüitiuenschcD, welches Alti und Stan-
de» sie sein mögen, beobachten und die schöne Sitte der Begrüßung und dcü Dankes
flieh wol aneigBenf
16. Ist in meiner Schule gehörige Buhe und Stille? Sind die Kinder ueh
Andeutung des Lectionsplancs gut classificirt? Sind alle Classcn, mit Ausnahme der«
jenigen, die ich gende laut untenicbte, mit xweckmäSigen stillen Übungen be-
schäftigt?
17. Lese kfti den gegebenen Ijeeti(Mis]»lan Ofteiif idi ihm Mutafcon^
nen? eetie ieh mir lieber ein hohee, als cinniederes Ziel?
18. Gehe nnd lehe ich «Uurend des Unterrichtes flbenll allem und jedem
fleißig nach?
19. Helfe und eruiiithiü:e itli, wo ich kann? Bin ich immer eines heiteren
EruBtes? Bchaltu ich den ochunen, wichtigen GIcichmuth? UUtc ich mich vor
somigem Wesen? Habe ich nieht etwa Abneigung gegen die einai und Voariiehe Ar
andere?
20. Weiß ich auch, wie leicht sich vcrliur^ane, heimliche SBnden in Familiein
und Schulen eiiis(lilei( hon uikI wie ein nagender Wunu Leben, (Jof^undheit , Heiter-
keit und Denkkriitt zerbtüren? Wie. dict-cs ?i( hlcichcndc Übel zu entdecken ist, und
was ein Lehrer zur Heilung? desselben thuii kann?
2L BeuiUhe ich mich im Unterricht der cinzelueu ^»chultacher, den SchiUem
immer klarer, gründlicher und fiMsiicher sn werden? Ist mein Unterricht ein
entwickelnder, organischer, oder sielt er mehr auf geistige Dresstr?
Lasse ich auch der Erklftrung und Eutwickclung wo möglich unmittel-
bar darauf mündliche oder (schriftliche DurchUbung folgen?
22. Weiß ich im Unterricht der biblischen (icK-hichte die Kinderherzen lur
Liebe zu Gott, Jesu und ihren Mitmenficheu zu erwärmen und zu gewinnen? £r-
stthle ich ihnen ans der ffibel jederzeit das Passende klar, kun und innig, frage
ich sie darüber ab nnd lasse sie wieder enlhlea? Verwische ich heim Lesen ein-
zelner Capitel nicht den wolthätigen Eindruck durdi eine trockene oder lange
Katcchisation oder durch den Versuch zu jiredif^eu. wa* meines Amtes nicht ist?
VerHäume ich nicht. Kern- nnd Kratt.-^iirUt hu der heiligen Sciiril't und religiöse Lieder,
wie die von (.Tclkrt, auswendig lernen zu lassen?
23. Bin ieh der Spruche üo mächtig, da^s ich die Sprache der Kinder
sprechen, das heiAt, ans meinem Sprachsohatie immer die der Fassungskralt der
Kinder Teratllndlichsten Ausdrucke xu wiUen im Stande bin, und bin ich darin so
weit gekommen, dass ich nun weiß, wie hei einem sehr einfachen, aller grammati-
kiUischen Künsteleien entbehrenden Sprachunterrichte die Kinder denken und reden
und Gedanken schreiheu lernen können? Verstehe ich diese Kunst? Bringe ich sie
wiAIich daliin, dass sie geordnet denken, geordnet richtig sprechen, Brielb nnd
andere LebensauiMtse sehreiben, richtig, schOn nnd gerne lesen und das Gelesene
verstehen?
24. Lernen die Kinder mit klarem Vcrj^tand im Kopf und mit <i<'r Ziffer
rechnen, Rechnungsault^ulien geurdnet. lescrlii h und in Kürze darstellen und lösen?
Lernen sie vorzüglich auch ein Okunumihches liaus- und GUterrcchenbuch führen,
wenigstens beror sie Quadrat- und Kuhikwnmela ansaiehen lernen?
85. Auler der Zahl ist auch der Baum ein sehr bildendes Element. WelB
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ich dasselbe zu tichiuicn Br^riffshcBtiminunpcu, zur Bildung uud Schftrfunc des
Veratandes, des so wichtigen Augenmaßen, zur Vorbereitung im Schünschreibcu und
ZdekUB, vie Moh inTBildviig dwSdiSiikeitMiiiBM in benntieik? — WeiB ich, was
ieh d«rmiB dem Knaben, dem werdenden Hanne, und was ieh dem Ittdchen,
der kllafkigen Hanaftav, an geben babe?
26. Verstehe ich im nat urkundlichen Unterrichte die Natnrgegcnständc lUa
nn rorzüglirhcH Mittel zu £;* Krauchen, den Beobachtangsgeiat zu sohftrfen, umsich-
tiger und vor8i( liti^:i r zu niachcuy
Weiß ich die Lehre von den Mineralien, Tflanzcu und Thicreu so zu behan-
deln, dass dadurch das Interesse zur Hchung und Förderung der Landwirtschaft und
des GewerbsfleiSes eiMht wiidf
Werden die Kinder bei der Naturgeschichte des Menschen zu höherer Selbst-
achtung und zu größerer Sorgfalt für ihren Leib gelangen, durch die Art, wie ich
^*ie mit den leiblichen und ijL-istigeu Kriiftcii Vtekaunt niacbe? Gehe ich auch bei
natuilehrlichem ^phybikulihihem; Unterrichte von der lebendigen Anschauung der
Natnienolieinnngen ans? Halte icb die fidittlei an anr Betrachtung mit eigenen
Angen, statt blos mit Bfldieraagen? Veiaalssse ich sie an Beobaditnngen d«r
Lidit-, Wärme-, Luft- und Wassererscheinungen , die sich ihnen tSglich vor die
Augen stellen? zu Bcidiachtungeu im Innern dos Hiuisos, im Wuhuziinmor, in Küche
nnd Keller, wie aiitltrhalli dt>>clhen in Feld uud Wald, in Thälern uud auf Hohen?
Bin ich im Stande, beide, deu ualurgeschlchtliehen uud uaturlehrlichen Theil, so zu
bdianddn, dass das Oemttth bei Natnrbetrachtnngen ergriffen «nd eihobmi, die
GiQBe und Liebe Gottes immer mehr eduumt, sein Wille mit Anbetung und Ver-
trauen TenKmitteik nnd sein Name nie andos als mit hoher Ehrfurcht genannt wird?
27. Weiß ich durch die vaterländische Geographie und Geschichte die
Kinder an den heimatlichen Boden zu fesseln, dass sie das Land, da» ihnen Gott
gegeben hat, lieben und achten lernen und das Streben in ihnen geweckt werde,
durch Fleiß, Arbeitsamkeit, wechsebeitige Theilnahme und in der Noth durch
willige Beihilfe und Vertheidigung desselben sich wert an maehen? Weit ich
diese beiden Bildungsmittel so zu behaudeln, dasä sich auf diesem Bildungswege in
Zukunft mehr Einigkeit, mehr Liebe, mehr Thatkraft, statt blo6er Schönrednerei
vom Vaterland erwarten lässt?
28. Und du, Gesaug, schöne, herrliche Gabe von oben und so sehr geeignet,
in daa Oemttth des Hensohen Liebe, Saaflmuth, Frende, Friede nnd Bnhe au
bringen nnd dasselbe dadurch himmelan an erheben! — pflege ieh dich in meiner
Schule, wie du es verdienst? Singen meine SehiUer mit Gefühl, verstehen sie d- u
(Jedanken des Gesangtextes, ist ihr Gesang nicht blos sinn- und herzloser SihaU?
Ist unser Gesang ein anmuthiger, ein reiner, ein banlter uud doch erhebender Ge-
sang? Lasse ich zuerst den Text mit Emst und Wttzde lesen, den Sinn klar auf-
Ihssen und erst dann auf den Schwingen der Tonkunst onporschweben? Befördere
ich besonders den CSioral- nnd Kirchengesangf Weiß ieh audi die ältere Jugend
in der Gesangliche zu erhalten — durch Gesang auf ihre Fortbildung zu wirken?
Stehe ich eineui ( Jcsangvereiue vor — und uiit weleher Würde? Schmälere ich
nicht das GcmUthbildende des Gesanges durch Lieder von trivialem Charakter?
Halte ieh snf eine Auswahl, die daa Heis bessert, die Menschenwürde ehrt — au
Gott fllhrt?
29. Beobachte ich aoeh bei diesem Unterrichtsfache einen dementarisehen
Paditoflui. 14. lahif. Haft IV. 1'^
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GaogV (iehe ich vom Loichtcrcn zum Sdiwcrprcn nach po^cbcuct a til< ituiiif? Bring«
ich es dahin, dass leichte (iesäiijri' vom i'latt wepf i-ingcn gelernt werdony
* 30. In welchem Fache ich auch uutornchte, vergesse ich nie die Kegeln:
a) Nie so riel anf einmal!
b) Alles, was ich lehre, sei wahr nnd klar, und alles, vas die
Srhnier zu machen haben, sollen sie echt und recht machen!
c) Nicht blos der Lehrer, sondern auch ilic Schüler sollen
sprechen, tiolleu 2um Fragen und xum Aut wurten (Iber den
Lehrgegenstand angehalten werden, ein Hauptuüttcl, bie nicht
in Qeistestrigheit veisinken an lassen.
d) Die Schal« r >nllen Bechensehaft Aber das Gelernte und Ein-
fifeÜ 1> t (• trrbc II k II II fll.
ci Wied e rhül u US? ist die Seele des U n 1 1- r r i c h t s.
Hl. Bin ich in der Schule immer der erste und der letzte? Fange ich
dieselbe jedesmal mit Gebet oder Gesang an und endige ne wieder mit einer
solchen Weihe?
B. Wie steht'« um mich in »jcinem engern häuslichen Lebenskreise?
1. Wohnt bei mir in einem gebunden Leibe eine gesunde Seele?
2. Habe ich Sinn fttr das hiusiiehe Leben? Wei0 ich die Freude desselben
SU TenDchren? Weit ich, wie scheinbare Kleinigkeiten oft den Anfang sum groBen
häuslichen] Glflck, aber ancb ebenso leicht snm gro6en hftusliehen Elend werden
können?
M. Bin icli der Sobn iioi li Icln ndcr Kllim. i lire ich sie ii.irb di ui vierten
Gebot mit Wort uud That r Erleichtere ich ihueu ihr Alter i' Verdient' ich, ihr
St<ris — ihre Frende — ihres Alters Stfltze und Stab zu heiBen? Welches Beispiel
gebe ich hierin meinen Sohttlem?
4. Bin ich ein treuer, wolwollcndi r Unider meiner Geschwister? Kiinnte
ich mich tTir sie /ii >clnvoren opfern vcr^^telieii':* Was für ein rHispiel a:ebc ich hier?
5. Und will iclt mich in eheliehe Verbindung begeben - kenne ich die
Wichtigkeit dieses Schrittes, sowol in Ökonomischer als physischer nnd moralischer
Besichong? Ist dieser Schritt nicht su frtthe fttr meine Jahre? Passt das weib-
liche Wesen, welche!* ich mir zur (Jattin Wttnsehc, zu meinem Cbaraktor als Mensch,
zu mrinoiii Beruf als .Tinri ndlclin r niul zu meinen ökonomischen Verhiilfnisscn?
Las>e ich mich bei im iner Walil nii lif dnreli Idinde Lcidcnscliaft und die Außen-
seite verführen? Wehe mir, weuu iih dieses thue; denn mein ganzes Lebeubgliick
steht hier auf der Wage! Bin ich Gatte und Vater — fühlt sich meine Leben»*
gefiUiTtin durch mich gMcklich? Bin idi ihr, was ich als Haan nnd Gatte sein\
^'o^? Betrairc ich midi in meinem Berufe und in meinem Hause so, dnss ich ihre \
A<'htiin2: nnd Liebe verdiene? T.iii ich Vater jrebr ich in der Erziehung: ".
meiner eigenen Kinder meiner (Gemeinde ein gutes Beispiel? Kiisiebe ich sie in der
Ehrftirrht Gottes sum Gehorsam — zum FleiB — snr Beadieidenheit — snr Ach-
tung und Liebe der Hitmenschen — zu jeglicher Tugend? Ersiehe ich sie lur
Einfac hheit in Nahrung und Kleidung, zur Ordiiuui;, lU iuliclikeit und ( ii^ener Selbet-
thätisrkeit? Sorge irli für die n<>thiu:e Verstande.-bilduug, ohne die des Her/en« zu *
vernacblässigeu? Verweidilii bi- ich sie nicht? Stiirkc icb ihren Kiir]ier durcli !!<•-
weguug, durch Handarbeit mit dem gehörigen Wechsel von Huhe? Hüte ich
mich Tor jeder Treibbfluserei? und httto ich mich, durch einen Haufen «
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von Spi r Isiicheu die Klciaea frUhe sclioo launisc Ii uad lernglcichgültig:
zu maclieu'
6. Im UUMlielieD Kxeue oder wo ich mich befinde» nmg — strebe ich
muner dwnueli, neiimi Beden nnd nidiieni Thun stets eine hMiere, bildende
Bichtnng zu geben? Suche ich immer mehr Licht zu er\verben und es dann zum
Besten meiner T^mgebnnn: leuchten zu lassen nach dem Ausspruch Jesu, Matth. 5,
Vcre 16? Vermehre ich, wo ich kann, meine religiöse Gesinnung — Friede im
Hanse — Friede in Gott?
7. Fi6hne ieh ktiaea Leidensehnften, die mieh Tim meinem Benfe nbriehen?
Ist mein Herz rein Toa tobenden Begierden — quilenden Wttnsdien — giimliebec
Unsafricdcnheit?
8. Fällt der Vorwurf der Spiclsucht. der jeder Lehrer wie einem bataa ent-
gegen zu arbeiten verptlirlitet i.st. ni<ht etwa sclb.st auf mirhy
9. Verschwende ich nicht öfter Zeit in politiöcher Kunuengießerti oder
nntenUltM ieh gar politisehe Leidensehaftoi, statt vielm^ data l>eiitttragen, sie
so beaehwichtigen? .Bin ich nach dem Evangel. Matth. 6, Yen 6 und 6 ein Sanft«
mflthijsrer und ein Friedensstifter?
10. I'ic Hand aufs Hcr/I Kanu ich nun nnfrichtisr sasren, dass ich ein
gater Lehrer :^ci? Daas ich noch besser zu werden mich bcmllhe? Dass alle
raeine Thätigiceit inr Omndlage das hohe Ziel habe — snr Tugend nnd zu Gott
führen?!
C. Wie steht's um mich im Yerhftltnis aar Gemeinde?
1. Liegt mir der moralisciie und Skonmnisdie Znstmd dendbea tatf am
Henen?
•2 Trage ich, wo ich Gelegenheit habe, durch Bath nnd That, ohne ab-
stoßende Aufdringlichkeit, zur Verbessern ner und Verschönerung der Gemeinde bei?
3. Biete ich gerne, auch da. wo es größere An!<treugung erfordert, zu (ge-
meinnützigen Anstalten das Meinige hei? Bin ich da eher der erste als der let/.ie?
4. Gelingt*B mir, an einem einlieitlidien, fHedliehen Btbgerleben mein
Seherflein beiautragen und verderbliche Zank- und TrOlsucht ferne au halten?
5. Ist nieiu Haus, so einfach es sonst sein maß;, doch in Hinsicht der Ord-
iiniii,', der lieinlichkeit, zwcckniiiliiser Kinrichtung. nicht da.s letzte in der (tcmcinde?
i^igt dad In und das Um der Wubauug, dass ich Lehrer und Erzieher der Gemeinde
«ei? Wie aind Stege nnd Wege zu derselben beschafliBn? Wie baue ieh meinen
Oarten? Wie bestelle ieh mein Pflaazland? Welches Beispiel stelle ich hierin unter
meinen Mitbürgern auf?
n. Bestrebe ich mich, mein Mut^lirhste.>^ zur Belebung, Würdigung und
Hebung des landwirtschaftlichen Berufes zu thun? Bemdhe ich mich in Beispiel.
Wort und That eher der erste ah» der letzte zu sein? Arbeite ich au Errichtung
gemeinntttaiger Binrichtungen, wie a. B. an Gemeindebaokofen, an Gemeindewaseh-
li&nseni, BewahzschttloD, Arbeitsschulen für MIdehen, LOsdianstalten « Vermdming
4er Armen- und Schulfonds etc.?
7. Ist die Erhaltline <kr >itu und Zucht, die Fortbildunü- in weiteren
Kcantnissen bei der älteren, größeren Gemeindejugend auch ein Gegeustuud, der
midi besohlftigt» nnd was leiste ich darin?
8. Bin idi ein Freund von ununterbrochener Thfltigkeit? Beseelt und be-
lebt mich bei den kleinsten Verrichtungen, s. B. BttumqdlanMn, Gcmftsebanen,
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^^tcgc uuil Wigc anUgiu und veib€6sc>ni, Gcüämc auticticucu, Anstaltes giUndeil
u. deTgl. ein höhercb ticfUhly
9. Und Venn mir Wideiqiradi begegnet — bin ich im Stande, soldien n
erwSgen, zu Vorsicht und Kräftigung ZU bennteen, eder reist er mich gar zur
Heftigkeit oder Entniutbigunjf?
10. Kann ich wirklich Widci>{nii( Ii » rtrageu/ Kann idi -i ll st «l' -^nera
mein Wohvoileu erhalten und sie vielleicht um Ende durch äaultiuuth giAsaineu?
Hube ich auch selbst die Er&hruogswahrheit bevihrt geftmden? — Sauftmuth
und Liebe beswingen alle Heraen — Wenn ioh nur die liebe, die mich
lieben, so habe ich meinen Lohn dahin: und wenn ich dann Muth und Kraft
in meinem Amti- liihlc. wenn man meine ThUtijfkcit anerkennt, mich lobt und
rtihmt: aber vi iilriiülii h und inutiilos werde, sobald etwa auch Tadel auf mich fällt, —
dann habe ich auch iiieiueu Lohn dahin.
11. fiefleUige ich mich auch der stcengsten Unparteüiehkeit gegen jedei^
mann? Widerstehe ich Vexsuchungen dieser Art, wie sie oft s. B. behn Abeenien-
venteichnis eintreten, aufs kräftigste?
12. Gehe ich l\btibauiit in albn I'Hichten eines guten, dem Gcsetzo sich
unterordnenden und Iriudlichcu liürgerä der Gemeinde und besonder» nieinea
SchulkittdoB mit dnem guten Beispide ronnf
13. Liegt etwa einer meiner Schttler oder meiner HitbOiger auf dem
Krankenlager — besuche ich ihn, wo ich immer kann, um durch Bath und Trost
au nützen, dem Arzte an die Hand zu L;eben und (lutes zn thun?
14. Wird mein ijesell.'^cbaltlH lu r Fmgang von allen Verständigen und
Guten gebilligt? liüte ich mich, GtbcUbcbaften zu besuchen, die der Bürger ab
der Ehre des Lehrentandes naehtheiüg ansieht? i
16. Gelbe ich keinen AnstoB, kein ligmis durch Hochmuth, der keinem
Menschen schlechter ansteht als dem Lehrer, welcher Torlcuchtend als christ-
licher L< brer in Demuth und in dienender Liebe Jesu seinem Herrn
naeliaümcn soll?
16. Gebe ich keinen Anstot durch irgend eine Modennacbäfiung in Kleidern,
z. B. in der Kopfbedeckung? Bin ich auch kein Sondeiling, sondern bestiebe ich
mich, durdi nichts mich au^^zuzeicbnen, ah durch tflchtige und gewissenhafte Ver<
waltung meines Amtes und durch Heschcidcnhcit?
17. Ein Sprichwort •^agt: „Sage mir. niit wem du umgehst, dann
will ich dir sagen, wer du bist." Welche verständigen Btirger gehören zu
meinen Freunden? Habe ich solche, durch die ich an Charakter und an Tugend
gewinne? Suche ich Toxstlglich die Freundschaft und den Umgang des Qeistlichea, der
unstreitig meine eigene Bildung am Tortheilhaftesten fördern kann? Mache ich mich
seiner Freundschaft durch rnterstützung in «einem .\mte, diin Ii (johiirentleAchtungAvert ?
18. Wcill ich mich auch bosondens mit den mich so nahe angehenden Vor-
bteheru meiner Schule in dasjenige Verhältnis zu setzen, aus welchem die Schule
Vortheil sieben muss? Mache ich sie in der Schule bmitwillig mit dem bekannt, was
sie wissen müssen? Lasse ich es nicht an der gehörigen Zuvorkommenheit und
Achtung fehlen, welche ich ihnen «^ huldig bin? Schade ich meiner Achtung nicht
durch eine lästige Zudringlichkeit':'
Iii. \Wi6 ich hingegen Einladungen von wolwoUendcn Hiirgeru uud Freun-
den zu wflrdigeu, beschdden ansuaehmen und sie zu wechselseitigen, bdehrendea
und zu mancher berichtigenden Unteriultung, jedoch mit Vorsicht zu benutaen?
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20. Vüd Ifistt! ich schließlich selbst thatsilchlich den Beweis, dass iaFleifi
und Arbeitsamkeit die h^ti hste lulrßferliche Tusfcnd besteht?
D. jUttd wie stehe ich du vor moinom allwigsonden Gott, dem ewigen
Zeujjen nie in es tiefsten Innern?
1. Ist er mir der Geber alles Guten, jeden Tag uieiu eräte^ und letztes?
Fange ieh jedesnud mit Ihiii und in Ihm meüt Tagowerk an und ende ich es
wieder mit Ihm?
2. Ist Er mein liebster und bester Freund? Ist mir bei Ihm wol. wenn mir
Ron-f uirüfonds wol ist? Wenn mich die Welt verkennt, wenn alles mich za Tcr-
lasücn scheint, finde ich in Ihm hinreichende ßahe und Eisatz?
S. Wenn ieh die Erde, den Himmel betrachte, wenn ich meinen Blick auf
die niieadlich vielen GeschSpfe richte; wenn ich meinen wunderbar gebauten
Körper, meine Sinne, moin Bewinstsein bedenke, kann idi in inniger Liebe und
Vertrauen, mit ländlichem Danke ausrufen: Vater! in Dir leben, wirken und
sind wir!?
4. lät mir Lehrer das Zeugnis luaiues Gottes, des alleinigen Herzenskun-
digen, Uber alle Zeugnisse der Keuschen? Sorge ich dalttr, dess Er stets ein reines
Herz in mir erblicke? Stelle idi mir oft das Vorbild Jesu Tor, wie er Tag und
Nacht im Dienste seines Vaters arbeitete und nicht Zeugnisse nahm
von den MenscluMi? Job. 5. iU.
ö. Bekenne ich auch DtTcntlich, wovon ich erfüllt und durchdrungen bin?
JaH mir der Sonntag ein heiliger, ein willkommener Tag? Ist mir der feniliohft
Olockenscfalag ein hoher Ruf Ton oben und gehe idi gern xur Versammlung der
^Ohristen? Befördere ich die öffentliche Gottesverehrung?
Und nun, mein liebi^r Taeophill reiche mir die Hand uml <■^<X'^ mir , nach
diesen cyethanen' Fragen, nach dieser Selbstbeseh;uiiu]£r: Inwieweit bist Du nun
•ein guter Lehrer? ein guter Sahn? ein guter Bürger und Vater?
Nidit wahr, es bleibt noch manehea an Terbcosern flbrig auf das kosunende
Jahr? Jawdil, immer noch fehlen wir Lehrer allesammt TieL Aber arbeiten
wollen wir auch in dem neuen Jahre, damit wir wirklich besser werden.
Wie's oft ist auf Erden,
Also soirs nicht sein:
Lasst uns l)csser werden,
(lleich wird's besser sein.
(tottes Gnade und Liebe iu-lte uns und stärke uns im neuen Jahre! Die
Liebe Gottes sei mit uns und vermelire unsere Liebe, ohne welche wir elende,
lebendigtodte Mmuchen sind. — Die Liebe ist's, die uns erwirmt und nu sum
besten Lehrer, sum besten Haasvater antreibt, sum besten Bürger , Christen und
Men^ben macht. Die Liehe hat Freude und schafft Freude. Sie bedarf wenig
und gibt viel. Nur durch Liebe wer.len wir Gott ähnlieh! Lasst nn-;, meine
lieben Freunde, täglich Gott bitten, dass Er unser kaltes Herz erwärme und mit
Liebe erfülle!
Quelle der Weislieif, den Weishftitsbndürftisrcu Weisheit!
Ewige Wahrheit, lehre die Wahrheitsuchenden Wahrheit I
Nichts gefiillt Dir so, wie Lust an Pflicht und Bernfttreue —
Ol sie Terlave mich nie, die Lust und die heilige Trene!
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Lehre fröhlich mich thun. was Pflicht und Mcnschliihkoit thun heitft^
l^chre luuthi;^ mich tragcD, im Blicke auf Dich, den Berutes Last!
Quelle der Liebe, gib dein Liebebedürftigen Liebe!
Lehre mich stets melir sein ein Beispiel der Ssaftnintli und Demotht
Lehre mich Jedes Kiad als vertraut von Dir anB betrachten!
Gib mir Worte der Weisheit aus Deinem Munde fUr alle!
Las« in alle Hcrzeu mich iiflanzcn Liehe der Wuhrbeit,
Liebe <ltri Recht?«, der Kelit^iou und der Tiif^eudl"
Bevor icii uieiu äeudfichreibeu BchlieÜu, will ieb Dir noch uachätehcudt^ Lied
am meiBer Liedenammluig mittheilen, das idi Dir recht oft und viel mit
Jlaehdenken sv lesen empfehlen mochte!
Des Geheimnis des Lehrers.
Kennst du die Probe, kennst dn die Fracht
Von deiner Händo Wirken, deinem Sinnen,
Die Kinder zu erzieh'u Zii frommer Zucht,
Und für das lieich des Vaters zu gewinnen?
0 forsche, wo der Stein der Weisen liegt,
Dsmit man Heizen leitet nnd besiegt,
Der alles dir gewinnet, wa.s dn wagst,
Und Cime den du ewig nichts Tennagst
Der Ni^te bist dn dir; das eigne Hen
Genieftt nieist die ▼oierwKhlten Freuden;
Am tiefliten kHmmert dieh der eigne Rehmer/.
Du willst zuerst im Winter wann dich kh iden;
Kennst du die Freud' und iliren liolden .Schein,
Daun ladeist da wol andre zu ihr ein;
Floh Nacht und Oram von deiner Seele fern,
Dann seigst du andern froh den llorgenstern.
Der >iächäte biüt du dir; liebst du dich uicht,
Bttftt dn dir selb« nicht: Anf^ wvide Licht!
So wandet dir der andre wol im Trttbenl
Wer seiner SUude nie mit Ernst geflucht,
Wer seine Selitrkt it nie reelit ife^ueht.
Der reißt den Bruder nicht aus Sündeunoth,
Der fütirt niemanden /.um lebendigen Gott.
Der Mensehensoha, der anserwihlte Stein,
I«t Prüfstein deiner Thaten und Gedanken;
Fiililst du das Heil. >v\r\ EiL'cnthum zu >ein,
I)anu keuuet deine Liebe keine S< liriiiikeu j
Trieb, Geist und Kraft wird mächtig dich durrhglüh'n,
Die Kindlein auch vor seinen Thron su sieh'n; —
Liebbt, achtest du dich selbst in Jesu nicht,
So ist dein Leben nur ein Travmgedicht.
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— 231 —
0 aekweier Traum! Hier dunkel schon und ircudlui^,
Doch freudenkwer noch an jenem Tage,
Wenn du vor ihm erscheinest leer und blos,
Wenn dicli umgibt verlorner Lämmer Klagel
Weil du die eitr'nc Soliirkcit vcrthiuiut,
Uaät andere zu retten du veräüumt,
ITnd Ober dir, wie Sterne, BdiOn und klar.
Steht im Trion^h der treuen Lehrer Scherl —
Wach aui', mein Geist I In deiner Seligkeit,
In deinem Glanhen mhen tausend Keime f
Für deiner BrQder Seelenbeil bereit!
Auf, komm zum Herrn; verlas*« die finstem Träumet
Liebtet du (las Her/, das sterbend filr dich brach,
So lieben dir viel andre Herzen nach;
Mit ihnen wirst du edlen Samen aien.
Mit ihnen dort ab reife Garbe atehenl
Und nun, mein lieber Tbeophil, geht'a mm Ahichiede. Jluge ich mit diesen
prOfenden Fragen Dich an Deine Pflidit und PfliefaterfUUnng erinnert und au
Deiner Weiterbildung und YeryoUkommnung einen mutbigen Antrieb ins kommende
Jahr gegeben haben! Ich weiB, der junge Lehrer bedarf zuweilen einer erneuertf-n
Begnlimng, Ennuthigung und Einlenkung in's Geleige des Üben<iehselb9twa( iicni<
und der Donntfi, damit er nieht wanke oder gar falle. Wir Alten hahen's ja noch
nSthig— wieviel mehr ihr JungenAmtshrfidNr! Der Buf dieser Zeit, meine lieben Freunde,
geht ernBt an und. Achtet auf ihn mit allem Fleiß! Achte auch Du, mein lieber Theophil«
auf ihn! Mach" auch Du, dagK sieb das Vaterland, das« auch ii li mich. Dein väterlicber
Lehrer, in den Hoflnungen auf 1 )ii h nie getäiiHcbt sehe! Wird mir das Vergnügen zutbeil.
Dich in Deiner Schule besuchen zu können, .so hoffe ich mich dann thatsächlich über*
■engen m kflnnen, dass Du Dich bemflhst, in die Baihe unserer eifrigsten und an-
strebendsten Lehrer m gehören. Lies gern mir Vennehiung reiner und christlicher
Leben.s- und Lehreranmchten und zu höherem Aufschwung in den Evangeliai daa
Lehen Lehren und Wirken des giittücbon Gesandten. Diese Leetüre, mein lieber
Thcophü, erhebt, stärkt und erleuchtet mehr, ab es leider in unserer Zeit die groSe
Zahl da LesesUchtigen kaum ahnet! Bete und arbeite! Das seien die letzten
Worte fan alten und die enten im neuen Jahre von Ddnem
▼tterliehen Lehrer und Freund
J. J. Wehrli.
So war und daclite Wehrli. Überall der väterliche Freund und
Lehrei'. (Sohluss folgt)
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Beiträge zur Reform des Religionsunterrichtes in Bezug
auf Inhalt und Lehrweise.
Von Th» VenuUtkm^Grag.
Vn. Über £ngel nnd ähnliche Mittelwesen.
▼ on allen Schulbüchern, die in den Händen unserer Jugeud
?>ind, halte ich die kirchlichen Katechismen für die schädlichsteu.
Wollte mau gegen vieles, was der Inhalt bietet, im cluistlichen und
pädagogischen Interesse auftraten, so würde man ganze Bücher schreiben
mfissen. (Ins Lehrer kann nur das interossiren, was einen biblischen
oder colturgeschichtlichen Anknftpfangspankt bietet oder wenigstens
eine poetische Mi» hat
Die Jugend nnd das gemeine Volk steht noch immer unter dem
Bann alter theologischer Anschauungen, die den reinen Gottesbegriff
beeintrüchtigen und im Cultus herrschend shid.
So [heifit es x. B. im römischen Katechismus: «Die Gläubigen
haben Gemeinschaft mit den Heiligen im Himmel, hidera die Gläubigen
auf der Erde die Heiligen verehren und um ihre FOrbitte anrufen." —
So bestimmten es spätere Condlien und Pflpste; die heilige Schrift
weiß nichts davon, also auch nichts von Schutzhefligen (Patronen).
Das Christenthum anerkennt um* Christum als den einzigen Mittler
zwischen Gott und den Menschen. Seine wolverstandenen Lehren
bieten alles, was wir bedürfen.
Anders verhält es sich mit den vermittelnden Wesen, die das
Christenthum ttbemommen hat aus dem Alten Testamente. Diese
Mittelwesen zwischen Gott und den Menschen sind die dem semiti-
schen Vorstellungskreise eigenthflmlichen Engel, die als Yerkfindiger
nnd Vollstrecker des göttlichen Willens erscheinen, also nicht eignen
Willen haben, wie die rOmische Kirche annimmt Nach der hebi-äi-
sehen Weltanschauung umgibt ein Heer von Engeln den gdttlichen
Thron, und diese Vorstellung ist auf das Ghristenthum flbergegangen.
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— 283 —
Bei den heidnischen Völkern des Alterthoms zeigen sich Bor &hn-
liehe Vorstellungen, wie denn überhaupt ihre Natuireligionen manches
f^emein haben mit den geoftenbarten. Von jeher hat sich die Ein-
bildungskraft der Völker Wesen geschaffen, indem sie personificirte.
Was ursprünf^lich der Volksdiclitung angelir»rt, gelit in den Volks-
glauben über und die spätere Theologie macht daraus Glaubensartikel,
die dann Eingang finden in den religiösen Cultus und zuletzt in die
geschriebenen Urkunden. Das ist — kurz gesagt - der historische
Gang der Religionen, der aber liäutig auf allerlei Irnvege geflihrt hat.
^\'e^^en wir vorerst einen Blick auf das \urchristliche Alterthuni.
Bei den Römern bedeutete Genius so viel als Schutzgeist, der
ähnlicii den deutschen Schicksalsschwestern (Nornen). den Mentw^-lien
von seiner (Geburt an durch das Leben begleitete und selbst nach
seinem 'i'ode schützend fortwirken konnte. Auch jedem Orte schrieb
man seinen Schutzgeist zu. Die Römer glaubten an gute und böse
Genien. Die Griechen hatten ihre Musen als Förderinnen der Kunst
ihre Dämonen, die auf das Schicksal wulthätig oder verderblich ein-
wirkten. Man stellte die Dämonen in die Mitte zwischen die Heroen
und Götter. Nach Piaton bringen sie, den christlichen Engeln ähn-
lich, die Befehle und Gaben der Götter zur Erde nieder und tragen
die Bitten und Gebete der Menschen zu den Göttern hinauf. Die un-
sichtbar den Menschen umschwebenden Dämonen brachten Glück oder
Unglück. Die Juden nnd Christen haben sp&ter alle heidnischen
Götter für Dämonen erklärt und zwar f&r böse Dämonen, Ar Teufel.
Als das deutsche Hddenthnm dorch das Christenthnm yerdiflngt
wurde, wai' es ganz nAtOrlich, dass die Torfaer verehrten Gottheiten
als bSse Mächte betrachtet wurden. Wie man einerseits bishei* ge-
hegte Vorstellungen auf die Heiligen übertrug (s. B. Wodan auf den
heil Martin etc.), machte man andererseits die früheren Götter-
gestalten zn genpenstigen, gottwidrigen Wesen. Um den Teufel sam-
meln sich im Volksglauben viele alte VorsteUungen, und daher sind
unsere Teufelssagen so zahlreich. Dem deutschen Heidenthum ist der
Teufel fremd, selbst der Name Diabolos ist griechisch.
Welche Vorstellungen hat nun das Juden- nnd Christenthum von
den Mittelwesen?
Das Alte Testament berichtet von den Cherubim, die das Neue
Testament nicht mehr kennt. Ein Cherub mit flammendem Schwert
hütet das Paradies, nachdem Gott Adam und Eva aus demselben ver-
trieben hatte; zwei Cherubim mit ausgebreiteten Flügeln waren auf
der Bundeslade angebracht; oft heifit es auch, Jehovah fuhr oder flog
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— 284 —
auf dem <'henib, wa.s wol bedeuten sul], er bewegte sich krall seinem*
Geistes durcli deu K<iuni. Die Cherubim erscheinen aber aucli zum
Theil mit tliierischer Gestalt, als gefliig:elte Wuuderthiere mit Menschen-
gesicht. Nähere Aufschlüsse gibt Herder in seiner .Schrift: „Vom Geist
dei* ebräisrlien Poesie/
Verschieden davon ist die Vorstell im*; von den im Alten und
Neuen Testamente vorkummenden Engeln, und der kirchliche Glaube
reirht bis auf unsere Zeit. Darum müssen wir im Interesse unseres
Jugend-Unterrichtes ausführlicher dailiber sprechen.
Vor mir liegt der „Kleine Katechismus'^ M. Luthers und der
römisch-katholische. Beide sprechen von guten und bösen Engeln
(Teufeln) und dtiren als Hauptbeleg 1, 14 des Hebfior-firiefes: »Sind
nicht aUznmal die Eng«! dienende Geister, ausgesandt um derer wjQlen,
die ererben bo11«i die Seligkeit (das Heil)?'' Der unbekannte Ver-
Asser des Briefes an die Hebrfter zeigt flmen, wie die neatestament-
liclie Offenbarung dmrcii Christus ftber die alttestamentliche erhaben
sei, nnd dass der Gottessohn in seiner Wflrde Aber die Engel weit
hinausragt Die Engel seien nur Boten nnd Diener Gottes.
Was hat nun der römische Katechismus daraus gemacht? Unsere
Kinder mflssen Folgendes lernen: «Die merkwttrdigsten Geschöpfe
Gottes smd die Engel und die Menschen. Die Engel sind reine
Geister, welche Verstand und Willen, aber keinen Leib haben."
(S. „Großer Katechismus Ar die kath. Volksschulen." Wien, Schul-
bücher-Verlag.)
Was sich wol die Kinder seitHenschenalteni dabei gedacht haben?!
„Was man nicht versteht — sagt Goethe — besitst man auch nicht^
Da die vielen Kinder die angeführten Worte ohne Verstftndnis aus-
wendig gelernt, werden sie dieselben wol bald Teigessen haben, nnd
so wird es auch gehen mit dem Zusätze: „Viele Engel haben die
Gnade Gottes durch die HofFart verloren; man nennt sie Teufel und
sind in die Hölle verstoßen."
Im Zusammenhange damit steht die biblische Überliefenmg von
Lucifer, wie auch die gnechische Mythe von den Titanen, die sich
gegen Zeus enii»r»ren. Auch die germanischen Riesen waren Feinde
der Götter, und die bösen Biesen sind nach dem christlichen Volks-
glaube später Teufel geworden.
Unsere Kinder ahnen es nicht, dass sie ein Stück heidnischer
Mythologie lernen.
Es liegt darin der uralte Gegensatz von (^ut und Böse, der sich
in fast allen Religionen findet, indem man solche den Naturkräften
entnommene Anschauungen persönlicht (personificirt).
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— 286 —
Kinder vermögen aber Poesie von Wiiklichkeit noch nicht zn
unterscheiden, und dämm werden sie nur irregeführt, besonders wenn
ein nur dogmatischgeschulter Katechet vor ihnen steht. Besser wäre
es, wenn Schulbücher niciits enthielten, was den Kindern noch nicht
erklärt werden kann. Ein Kind wird nie begreifen, dass Wesen „ohne
einen Körper doch Verstand und Willen" haben.
Älmlich den oben genanuten (ienieu und Dämonen sind die
Engel. Das Wort Engel ist griechischer Herkunft, aber durch die lieilige
Schrift in alle neueren Sprachen übergetiihrt, weil tlir den himmlischen
Boten und Geist kein heiinisclier Ausdruck geeignet schien. Angelos
heißt Bot*^, Gesandter, Verkündiger, also eine Art Mittelwesen. Die
alten Griechen glaubten, der AIlheiTScher Zeus kenne das Zukünftige
er verkünde seinen Willen durch Zeichen verschiedener Art, durch'
Träume, durch Blitz und Donner, durch Vögel und Orakel. Aucli in
anderen Religionen finden sich Vorzeichen und Verkündigungen der
unsichtbaren Gottheit. Im ganzen Morgenlande, also auch bei den
Hebräern, daclite man sich solche Mittelwesen als Verkündiger des
göttlichen Willens. Seit den Zeiten des babylonischen Exils ward
diese Vorstellung mehr versiiinliclit, indem man glaubte, dass ein Heer
von Kngeln den grittlicheu Thron umgebe. Unter ihnen gabs wieder
\'orstände, von denen besondere der große Fürst Michael (Daniel 12, 1)
und der Erzengel Gabriel genannt werden. Vom Erzengel Michael
ist in der deuti>chen Sage \ael die Bede. St Michael trat an Wodans
Stelle; mit Schild und Schwert bewaffiiet tritt er auf dem Bilde Kanl-
bachs als „deutscher heiliger Michel'' auf den Nacken Napoleons IIL
(1870). Aof diesem Bilde ist er, wie die Engel In der Knnst über-
haupt, mit FlQgehi versehen, nm sie als Boten vom Himmel zn be-
zeichnen. '
Bei dem ETangelisten Ifatfhftns (18, 10) begegnen wir der yolks-
thllmlichen Yorstellnng yon Schutzengeln der Personen, die Gottes
Angesicht nfther oder femer stehen. Bei Matth. 2, 18 erschdmt dem
Josef ein Engel des Herrn im Traume und ennahnt ihn nach Ägypten
zu fliehen mit dem Kinde nnd sehier Mntter.
Diese und andere Engelserscheinnngen im Nenen Testamente
hangen zusammen mit den zahhreichen Engelserscheinungen des Alten
Testamentes» und diese wieder stimmen zum Theü mit den Überliefe-
rungen anderer asiatischer Beligionen, namentlich mit dem Buddbismus.*)
Bei Lucas 1 yerkOndet der Engel Gabriel dem Zacharias die Ge-
burt des Johannes, und der Maria Terkttndet er die Geburt Jesu.
*) VgL Bad. Seydel, Das EvangdiDin tod Jesu (Leips., Bieitkopf) S. UM.
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— 2S6 —
Aus dem Gruße (Vers 29 ff.) hat sich später das Ave Maria, der eng-
lische Graß der katholischen Kirche gebildet. Damit ist zu vergleichen
die Verkündigung des ..Engels des Heirn" an die Mutter Simsons, des
Erlöseis Israels (Richter 13) und die ähnliche Verheißung an Hanna,
die Mutter Samuels (1. Samuel). Als dem „Vater unser" gleich-
gestelltes Laiengebet kommt das Ave Maria mit dem erweiterten, fast
ans Heidnische «^^renzenden Mariendienst seit dem 11. Jahrhundert vor
und noch später mit einii^en Zusätzen.
Von dem was wir hier Uber diese Wesen (etwa für den Religions-
unterricht in Lehrerbildungs- Anstalten) mitgetheilt haben, gelnirt nur
dasjenige für den Jugendunterriclit , was zur Erläuteiung der bibli-
schen Erzählungen dient, in denen Engel genannt werden.
Vieles davon ist als p(»etisclie l'mliiillung anzusehen und kann
nicht zu Glaubensätzen gemacht werden. ])er Lehrer geht weniger
irre, wenn er auch Bekanntschaft gemacht hat mit den alten Über-
lieferungen anderer Nationen. ^lan kann die Leser der biblischen
wie auch aller religiösen Urkunden nicht genug daran erinnern, dass
darin diei Elemente in eins verwebt sind: 1. Geschichtliches, 2. Lehr-
haftes, 3. Dichtung und Volksglaube aus der jeweiligen Periode des
betreffenden Landes.
Schließlich sei noch erwähnt, in welcher Weise das Wort Engel
in unsein deutschen Sprachgebrauch Eingang gefunden hat. Selbst
in Eigennamen linden wir es, z. B. Engelhart, Engelbert. Außerdem
heißen wir unschuldige Kinder vorzugsweise Engel; von alten Leuten
wird niemals Engel gesagt. Kur schöne und geliebte Frauen werden
angeredet: Meiii Engel; anch Walther von der Vogelweide schrieb:
Tinsche (deutsche) man sint vol gezogen, rehte als (gerade so wie)
engel sint diu getän. Nach einer tiefgfeifenden Vorstetlung
des biblischen Alterthnms ist jedem Menschen ein Engel beigegeben,
der über ihn wacht und ihn geleitet, woher die Ausdmcksweise :
Die Kinder am Abhang haben ihren guten Engel; das spricht dein
guter Engel aus dir; das gab dir dein Engel ein. Doch sagt auch
Schiller: Wer bist du, den sein böser Engel mir entgegen schickt? —
Anch Zusammensetzungen sind häufig, 2. B. Engelbild, Engelbrot,
Engelchor, Engelgabe, Engelgesang, engelgleich u. s. w.
„Ein Engel flog durchs Zimmerl" spricht der Volksmund, wenn
plötzlich Stille eingetreten. Und ~ vir schweigen anch, und em-
pfehlen das G^esagte dem weiteren Nachdenken unserer Leser.
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* Adolf Diesterweg über Eduard Beneke and dessen
Lehre tob Angeborenen.
Hitgetheflt Ton Prediger HMnHth JViwflwOor«w-XrofMtodl in 9Uben!bürgm.
Die erste Lieferung der zweiten, durclig'eselienen Antla<re von
Adolf Diesterwegs ausg:ewählten Schriften (herausgegeben von Eduard
Langenberg in Frankfurt am Main, bei Moritz Diestei-weg, 1890) ent-
hält auf Seite 72 bis 85 einen Aufsatz „Ülter das Angeborne"*.
Diesterweg erwähnt im Eingang desselben: „Das Beste, was wir vor-
zulegen haV)en. rührt nirht von uns selbst, sondern vom Professor
Beneke her, dessen , Lehrbuch der Psychologie, Berlin' und df^scn
.Erziehungs- und Unterrichtslehre, Berlin* wir bei unsem Betracli-
tungen zum Grunde legen. •*
In seinem 185()er pädagogischen Jahrbuch tür Lehrer und Sclnil-
freunde theilt Diesterweg zwei Anfsätze mit über Benekes Leben und
Forschungen, welche von ihm selbst, von Schmidt und Dressler her-
rühren. Im ersten Ai>schnitt der Biographie sagt Diesterweg unter
anderm: „Beneke war mir befreundet, ich schätzte ihn sehr lioch,
ebenso sehr als Menschen, wie als Gelehrten und Korscher. Als Mensch
war er das, was die Alten eine aninia Candida (eine reine Seele)
nannten; ich glaube, dass er wie eine unberührte Jungfrau aus der
Welt geschieden ist. Was er als Foi-scher war und geleistet hat,
weiß die Welt und wird auch iu diesen Blättern noch weiter davon die
Bede sein."
„Beneke war ein edler Mensch. Einem solchen setzt man gern
ein Denkmal. (Erstes Motiv.)
Beneke war ein Iliilosoph. Diese Gattung von Menschen wird
seltener. Aber wir hoffen mit Schiller, dass, wenn anch die Philo-
sophien verschwinden, doch die Philosophie fortbestehen wird. Die
Beneke'sche wird aber so bald nicht verschwinden, sie verdient ver-
breitet za werden. (Zweites Motiv.)"
„Seine Philosophie war verstfindlich, klar, lembar, praktisch, war
Natorforschong, ging von festen Thatsachen ans, schwebte also nicht
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— 288 —
in der Luft, enthielt keine (speculativen) Hirngespinste, und sie er-
probte sich in Anwendungen sowol theoretisch in der Pädagogik als
Wissenschaft, wie aucli praktisch in der Bildung junger Männer.
Ganz mit Heclit gehören daher Scliulmäimer mit zu den Anhängern
und Verehrern Benekes."
„Wir halten an der l'berzpngung; der deutschen Pädagogen
fest: ohne Nachdenken über psycliologische Ersclieimin<ren ist kein
khirbewnsstes Handeln als P^rzielier m()frlich: ohne rationelle Psyclio-
loi^ie gibt es keine ^vissenschaftliche Pädagogik. Weil nadi unserem
Bedünken die Beneke'.sche Psyrliolo^ie in diesen wichtigen Be-
ziehungen mehr leistet, als irfjfend eine andere, so halten wir an ilir
fest und empfehlen ihr Studium den Lehrern, welche mit klarem Be-
wusstsein zu handeln das Bestreben verspüren."
Das von Diesterweg im Eingan? ei wähnte Lehrbuch der Psycho-
logie von Beneke erschien 18G1 in Berlin bei R. S. Mittler S: Sohn
in dritter vermein ter Auflage, neubearbeitet und mit einem Anhang über
Beneke's sämmtliche Schriften von .Tohann Gottlieb Dres.sler, Seminar-
director a. D. in Bautzen, und Beneke's Erzieliungs- und Unterrichts-
lehie wurde in dritter Auflage ebendort 1864 von Dressler heraus-
gegeben.
Ehe Diesterweg die in diesen beiden Werken sowie in den später
erwähnten „psychologischen Skizzen^ Beneke's enthaltenen Bestim-
mungen über das dem menschlichen Geiste Angeborene mittheilt, er-
geht er sich in Betrachtangen über die Geschichte der Wissenschaften,
die uns iu ihrer Entwicklung zuerst immer rohe Anfänge, Festhalten
lUtt Sinnlichen und Groben, Beharren bei den Äußeren Erscheinungen
zeigt und nachweist, dass der Geist nur langsam und allm&hlich er-
starkt zum Eindringen in das dem leiblicheii Auge und dem groben
Tastsinne yerschlossene Innere. Diese Wahrheit wendet Diesterweg
noch in kurzen Bemerkungen auf drei Gebiete des Erkennens an:
«of fieligion, Sprache, Psychologie. In Bezug auf die letztere sagt
DiesterwQg: „Je weiter die Wissenschaft fortgeschritten, je tiefer
man in die Natoi* des Geistes eingedrungen, desto mehr hat man die
früheren Annahmen von nrspr&nglich Gegebenem, Positivem, Angelegtem
fahren lassen, desto mehr hat man die Mannigfaltigkeit der Ersdiei-
nungen auf einfjAche Grundvermögen zurückzufUhren versucht Vieles
von dem, was man früher für angeboren hielt, erkennt man jetzt als
«in Abgeleitetes, ja, man begreift zum Theil die Art seines Entstehens
und Werdens." „Für die Psychologie nicht nur, sondern auch und ganz
besonders für die P&dagogik ist die Lehre von dem dem menschlichen
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Geiste Angeborenen von der böchiten Wichtigkeit Falsche Voraus-
setsnngen flihren den Erzieher zn fSüscher fieortheilang, an fiüscher Be-
handlung. Der theoretische Mangel wird hier gleich, da die Pftda-
gogfik eine Knnst ist, zn einem praktischen Fehler."
Nach solchen und ähnlichen Bemerkungen theiltDiesterweg folgen-
den Auszug aus den drei früher erwähnten Schriften Benekes mit.
1. In der ausgebildeten Seele unterscheiden wir dreierlei:
a) (las Gegenständliche (Objective);
b) die Form, in welcher die Gegenstände psychisch anfgefasst
werden;
c) die quantitativen Bestimmungen der vorigen Moment«.
Das erste, der G^egenstand, mit dem sieh die Seele beschäftigt,
sei er materieller oder geistiger Art, kann nicht angeboren sein.
Eine gegenständliche Bestimmung ist etwas Erworbenes; daher ge-
liören die Meinungen von anp:eborenen Neigungen, Leidenschaften etc.
zu den psycliologischen Erdicbtun^fen. Allerdings entwickelt sich in
dem einen Kinde leichter diese, in einem andern jene Neigung. Aber
anjjfeboren ist weder die eine, noch die andere. Es rührt dieses eines-
llieils von dtMi Kinwirkungen von außen, anderntheils von der Ver-
scbiedenlieit der Uranhigen her, wovon nacblier die ilcd»- sein wird.
Gewisse Dinge stimmen inelir mit der größeren oder geringeren Kriitiig-
keit der Uraniagen in ein/einen Individuen iiberein. Ebensowenig sind
die psychischen Formen, wie wir sie in der ausgebildeten
Seele antreft'en, angeboren. Allerdings gehört zu einer Einbildungs-
vorstellung Einbildungskraft, zum Verstehen Verstand, zum Wollen
der Wille; aber eine angeborene Einbildungskratt etc. folgt daraus
nicht. Diese Formen haben sicli erst nach vorgängigen F^ntwicke-
Inngen gebildet. Allerdings sind diese Entwickelungsgesetze und Ent-
wickehingsverhältnisse mit einer gewissen Nothwendigkeit bedingt,
sonst wurden sich nicht in allen Mensclien dieselben Formen ent-
wickeln; aber diese Bedingtheit scliliellt keine Vorausbildung, keine
Traformation ein. Es ist Prädeterminatiun, Prädestination. Wie der
Apfelkeni nicht schon die Zweige, Blätter und Blüten des künftigen
Baumes in sich vorgebildet enthält, ebensowenig enthält die erst zum
Leben erwachende Seele die Eigenschaften und Entwickelungen der
ausgebildeten. Alle psychischen Formen haben späteren Ursprung.
Das Angeborene oder Ürsprünglich-Gegebene äußert anf das
dritte, die quantitativen Bestinunnngen der psychischen Anlagen,
den grOftten Einflnss. Die angeborenen Anlagen ziehen nur die
Grenzen, hinerhalb deren sich die Ansbildnng der Sede halten mnss.
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— 240 —
Zwischen den außei-sten Punkten sind unzählige Grade möglich.
Die angeborene Anlage ist der sich gleichbleibende Factor, za welchem
andere Momente von außen hinzutreten.
2. Angeboren sind dem Menschen die Uraniagen der verschiedenen
.Sinnessysteme, durch weh'he die Seele von den Dingen und Be-
schaffenheiten der Dinge der äußeren Welt erregt wird. Jedes dieser
•Systeme, z. B. das des Gesichts, des Gehörs etc., besteht aus einer
unbestiniint en Zahl von Ui vermögen, welclie die Fähigkeit be-
sitzen, von bestimmten Eigenscliaften, z. B. den verscliiedenen Farben,
ß-ereizt zu werden. Diese sind insofern liestimmt, als jedes System
nur für eine bestimmte Art von Gegenständen empfiinglich ist, z. B.
die Urvermögen des (Tehfirs nur für Scliälle. nicht für Düfte, Formen,
Farben etc. In jedem dieser Systeme hnden wii* von Aul'aug an drei
individuell bestimmte Grundeigenschaften :
a) einen gewissen Grad von Reizempfängliclikeit;
b) einen gewissen Grad von Kräftigkeit, wovon die Vollkom-
menheit der Auffassung und der Aneignung des Reizes, wie
aucludas Festhalten und die Keproduction desselben abhängt*
c) einen gewissen Grad von Lebendigkeit. Durch sie wird
das Maß der Schnelligkeit, sowol der nrsiuTmglicheu Aut-
nähme und Aneignung, als der Reproduction bestimmt.
Diese drei Grundeigenschaften sind, außer der unbestimmten
Menge der Uralagen, das Angeborene der Seele. Sie kommen in
jedem Ghnmdsysteme vor, nnd sie können in den Urvermögen der
emsetoen Gnmd^teme in den yenchiedensten Gradoi vorkommen.
So linden wir in demselben IndMdniim eine hohe Beiaempfiinglichkeit
des Oesicht«Qrstems hänilg mit einer sehwachen des Gehörsystems
verehiigt; in einend anderen hohe KrSItigkeit des Gehörsysteras mit
schwadier ErfiAagkeit des Geschmacksystems etc.
3. AnBer dem bisher Genannten: den Urvermögen in gewissen
Gnmdsystemen nnd den genannten drei Beschaffenheiten in jedem der-
selben; ist der menschlichen Seele nichts angeboren. AUe ttbrigen
Anlagen der aasgebfldetfln Seele müssen erst entstehen. Sie ent-
stehen nach dem allgemeinen Entwickehingsgesetze: dass von allen
psychischen Thfttigkeiten, welche mit einiger Vollkommen-
heit gebildet sind, auch wenn sie ans dem Bewnsstsein ver-
schwinden, eine Spnr im Innern der Seele znrttckbleibt,
welche eine Anlage (Angelegtheit) begrftndet, die nun als solche
oder als Kraft in die späteren Entwickelangen eingehen kann.
Wirkt z. B. die rothe Faii>e znm erstenmale auf den Gesichts-
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- 241 —
sinn dne» Kindes, so wird von ihr noch keine deutliche VorsteUung
in der Seele zurückbleiben, wol aber eine Spur. Bei' dem zweiten
Eindruck der rothen Farbe wirkt diese Spur mit, das Auffassen des
Eindi'ucks wird schon bestimmter und die Spur wird verstärkt etc.
so dass dadurch eine Anlage, die rothe Farbe wahi-zuuehmen, entsteht.
So bilden sich Anlagen, Neigaogen, GemUthsbescbalfenheiten»
Fertigkeiten, Talente.
Durch die Verbinduntjr der gleichartigen Spuren ist ein unend-
liches Wachsthuni in Hinsicht der Stärke der psychischen Gebilde be-
dingt, je mehr Spuren, desto stärker werden die Anlagen. Außerdem
vereinigen sich die verschiedenen Spuren vermöge des Gesetzes der
Anziehung des Gleichartigen zu Gruppen und Reihen, entweder nach
ihrer objectiven Verwandtschaft, oder nach subjectiveu Verhältnissen,
z. B. ihre Aufnahme zu derselben Zeit, in demselben Kaume etc.;
dadurch entstehen schon unendlich viele Modificationen, Verschieden-
heiten und Ungleichheiten im frühen Kindesalter.
4. Die Geistigkeit oder Vernünftigkeit der menschlichen
Seele beruht auf der höheren Kräftigkeit, welche den Urverraögen
der Sinne des Menschen, besonders der höheren, vor der der Thiere
innewohnt. Reizbarer sind zum Theil die Sinne der Thiere als die der
Mensclien, und die Lebendigkeit scheint bei Menschen und Thieren
keinen bestimmten Grenzen zu unterliegen.
Jene höhere Kräftigkeit ist ui*sprünglich nur ein Gradunterschied,
wird aber nach nnd nach durch tausendfache Combinationen zu einem
Artunterschiede; das Sinnlicbe geht in Geistiges, das Unvernünftige
in Vemflnftiges üto. Die menscblidien Sinne sind vermöge der
größeren Kräftigkeit ihrer ürvermögen yon An&ng an geistige. Schon
die ein&chste sinnliche Empflndang ist heim Meoichen eine andere
als heim Thiere. Dadnrch, dass sie eine andere ist, vird der Mensch
Ohig, Begriffe m hflden. Diese höheren Formen sind der mensch-
lichen Seele nidit angeboren, nicht in derselben prftfbrmirt, sondern
wen das vsprOnglich Angeborene eine Sammlung von inneren Spuren
oder Anlagen bedingt» so entstehen dnrch diese, vermOge der Übrigen
peychischen Entwickdungsgesetze, die höheren Formen mit Noth-
wendigkeit
6. Die Wahrnehmungen der ausgebildeten Seele sind ein sehr
znsammengesetstes Prodact: ans der nen gebildeten sinnlichen Em-
pfindung und ans den unendUeh vielen inneren Spuren oder Anlagen
von früheren Empfindungen gleicher Art in der Seele gebildet Die
erste Empfindung war der Empfindung in der ausgebildeten Seele
P«ligoi0«m. 14. Mag. Haft IT. 18
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— ^42 —
zwar (Irr Art nach gleich, aber unendlich schwächer. Durch die An-
sammlung und das Hinzutreten gleichartiger Spuren erwachsea die
Kmptindungen allmählich zu Wahrnehmungen, und das ursprünglich
Unbewusste bildet sich zum klar Bewussteo empor. Die zorftek-
gebliebenen Spuren wirken als AnffiuBungskraft, die Actiyitftt der
Seele wftehst. Das Hinzatreten der angesammelten Spuren iat die
Änfmerksamkeit, welche erworben werden moss.
6. Die An£fo88iuigen sind alle ganz indi?idaeller Art, es gibt
kein allgemeines Anffessnngs- oder Anschanungsvermdgen, außer inwie-
fern die gleichen Sporen in mehrere Empfindungen nnd Wahrneh-
mungen als Bestandthefl einzngehen geeignet sind. Die Auffiissung der
Farben und Gerflche fördert nicht im mindesten in Hinsicht der Auf-
fiissung von Wörtern und Formen. Für jeden besonderen Inhalt
des VorstelleDS und Empfindens müssen Auffassungsvermögen und Auf-
merksamkeit besonders gebildet werden. Damm sorge man f&r Mannig-
fiiltigkeit der Erregung!
7. Die Eraiehung hat den höheren Sinnen das Übergewicht zu
veiBchaifen über die niederen. Die Harmonie der Bildung besteht
nicht- in der gleichen Ausdehnung und StSrke der Kriftel sondern in
dem Obergewidit des Höhermi .Aber das Niedere. Das ist die Harmo-
nie des menschlichen Seins im Gegensätze zu dem bloß thieri-
schen. Ein einmal errungenes Obeigewicht pflanzt sich in der Begel
fort. Es gibt daher keine angeborene Faulheit, Naschhaftigkeit etc.
Faulheit beruht auf übermäßiger Ansammlung von Spuren und Kräften
des thierischeu Vegetationslebens. Sie ist, wie alle fehlerhaften Nei-
gungen, Fehler der Erziehung.
8. Die inneren Anlagen oder Angclegtheiten können wieder von
selbst in die psychische Entwickelung hineingezogen werden. Hier-
durch entstehen die geistigen Formen, die wir Gedächtnis, Ein-
bildungskraft, Erinnerungsvermögen nennen. Es sind kerne
besonderen, angeborenen Vermögen. . Das Gedächtnis besteht nur in
der Beharruno^skiaft der psychischon Entwickelungen und ist nichts
nußer den Vorsteliungeu. Dasselbe gilt von der Erinnemngs- und
Einbildungskraft.
Darum ist keine allßfeaieine Übung und Bildung des GedäclH-
iiisses, dt*r Erinnemngs- und Einbildungfskraft möglich. Alle drei exi-
siireii mir iu den Spuren von Vorstclhmg^cn, wie dieselben einzeln
bogiiiihU'f. einzeln in gewisse \ erbindiingeu und Verhältnisse jj^etreten
-sind. Es gibt also kein allgemeines Gedächtnis von einer ^ewi.vsen
stärke, Leichtigkeit der Auftassung etc., kein allgemeines Ennuerungs*
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vermögen, keine allgemeine Einbildungskraft; sondern jede Anlage ist
nur Anlage für das in ihr Vorgebildete und für dasjenige, in welclies
sie als Bestandtheil eingehen kann.
9. Auch der Verstand wird gewöhnlich als ein angeborenes
Vermr»gen der Seele aufgeführt, mag man angeborene Begriffe oder
nur Migeborene Formen für die Bildung der Begriffe, Urtheile und
Schlüsse annehmen. Aber vor dem ersten Abstractionsprocess existirt
die Verstandesform gar nicht in den Anlagen der menschlichen Seele,
oder der Mensch hat keinen Verstand. Durch ihn oder vielmehr duich
die dadurch im Innera zurückbleibende Spur wird der Veratand erst
begründet; er wird erweitert mit der Zahl der Abstractionspro-
cesse und erhöht in dem Maße der Verallgemeinerung der Abstractionen.
Der Grund dazu liegt in der größeren Kräftigkeit der Urvennögen,
xlie wir als Verstandesvermögen anzusehen haben. Aber nur im
weitesten Sinne des Wortes; denn diese Anlage enthält ja doch nicht
die mindeste Vorbildung der dem Verstände eigenthümlichen Form.
Die Bildung des V'erstandes kann der der besonderen Vorstellungen
nur folgen und setzt die gegenseitige Anziehung der gleichartigen
Vorstellungen voraus. Nur das kräftig Aufgefasste und kräftig Repro-
ducirte kann zu klaren Begriffen verarbeitet werden. Nichts prägt
sich tiefer ein als die Producte der Selbstthätigkeit.
Nur aus den selbsterfahrenen oder doch klar vorgestellten uud
tief empfundenen einzelnen Fällen stammt der allgemeinen Regel
ihre Wahrheit. Anschaulichkeit und Wirksamkeit. Wird dieselbe von
Anfannf an blos abstract c:ebildet, .so entbehrt sie aller festen Hal-
tung und dient höchstens d«izu, dass man sich einbildet, von einer
Sache zu wissen, von der man doch eigentlich nichts weiß.
Darum lässt uns eine so abstract gebildete allgemeine Regel im Sliclii
wenn es ihre Anwendung auf besondere Verhältnisse gilt.
Durch einseitige, bevorzugte Übungen bilden sich besondere Arten
•des Verstandes. Man begünstige in der Jugend diese Einseitigkeit
nicht! Man gebe sich aber nicht dem Wahne hin, als wenn es allge-
meine Übungen des Verstandes gäbe. Dieses ist nur insoweit der
Fall, als die Verstandesübungen etwas Gleichartiges haben. Übrigens nützt
^ blos an Wörtern geübter Verstand seiner Thätigkeit an Sachen
wenig oder gar nichts. £s gibt daher ebensowenig allgemeine
Terstandes- als allgemeine Gedächtnisübungen.
10. Die Vernunft ist kein angeborenes Vermögen. Sie ist nichts
amderee, als die ideale Norm des AUgemein^Menschlichen, oder die
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Gesamtheit der höchsten und zugleich fehlerlos gebildeten Producte-
des menschlichen Geistes in allen ihren Formen.
Diese kurzen Auszüge werden hinreichen, die Ansichten Beneke's
in Betreff des der Seele Angeborenen anzudeuten. Ein Mehreres
wurde hier in aller Kürze nicht beabsichtigt.
Allerdings ist das Vorstehende einer weitläufigeren Eiläuterung
und Begründung bedürftig. Wer sich darnach sehnt, wird nach der
„Erziehuügslehre" des Verfassers selbst groiten. Es ist ein sehr reich-
haltiges, ganz neue Forschungen enthaltendes Buch, welches nicht ge-
lesen, sondern studirt sein will. Eine reiche Ausbeute ist der Ge-
winn für diese Anstrengung.
Eine der wichtigsten, aber zugleich schwierigsten Theorien der
ganzen Schrift ist die Erklärung des Bösen und seiner Entstehung.
Die Grundansicht des Verfassers über dasselbe enthält der folgende
Ausspruch: „Weit entfernt, dass das liuse, wie von einigen be-
hauptet worden ist, der menschlichen Natur ursprünglich eigen oder
angeboren Min sollte, Ifisst sich Tidmehr nichts nachweisen, waa
derMlbeD in gldchem Matte entgegen wAie."
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Pädagogische Kundschftu.
Zeitstlmmeo. [Schvle und Sehablone.] Bs ist oluurakterfstiMili fllr dte
geschichtliche Entwickelang unseres Mittelschulwesens, dasa sie dem aUgemeinen
^ug-e folgend mündet in der staatlichen Centralisation. Während die Geschichte
der Pädagogik noch im vorigen Jahrhundert uns von den eigenartigen Schöpfunsren
pädagogischer Enthusiasten erzählt, welche, Schwärmer und Eiferer und wenig
wbüdlich im Einzelnen, durch eine Fülle von Anregungen befrachtend wirkten,
die padagogliclie Idee lebendig erhielten und noch dem groBen Kreiie der Oe-
bildeten vor Augen stellten, dass es Probleme der Erziehung gebe, — ist es
allmählich allenthalben stille geworden, alles hat sich znr glatten, gleichför-
migen Regelmäßigkeit abgeglichen, ist in den Ring der unterschiedslosen staat-
lichen Unifurmität zusammengeschlossen, und nur Sonderlinge und Schiff-
brfichige erlMiran die freiere Behandlung privater Eniehungsthätigkeit Die
Lehrpläne sind itaatlich codificirt, die Lehrer zu Beamten geworden, die man
fürchtet und die mancliem Eltempaar als eine Art von Bildungspolizei er-
scheinen; feste, meist überlieferte Formen umgeben und regeln den Schul-
bedrieb, nnd seitdem das Bildnngsideal ein miliiärisches Normalmaß erhalten
und die Zeugnisse deh in Bereebtigungssdieitte nmwaaddtNi, irt die Ordnung
sn jener HShe gediefaeot auf welcher a«ch der Uneingeweihte in ihr die Un-
natnr n ahnen beginnt.
Allerdings dem Fremden wird solch wolgefdgte Ordnung immer impo-
niren, und es wäre unbillig, die vortheilhafte Seite dieser Entwickelang ver-
Icennen zu wollen. Eür das moderne Haas ist die derzeitige Einrichtung un-
■etreitig höchst bequem. Der fabrikartige Zuschnitt der Schult hätigkeit über-
hebt den Familienvater aller Überlegung nnd Soige nm die Zweckmäßigkeit
der Mittel und Wege fttr die Erziehung der männlichen Jugend. Ist die
Schnlanstalt gewählt — und wie sollte man sie anders wählen als nach dem
Maßstab der Berechtigung! — so läuft in den meisten Fällen, ein Durch-
«chnittsmaaß von Gaben und Leistungen vorausgesetzt, der Bilduugsprocess
nUt jener bembigenden Regelmäßigkeit ab, weldm die Familien Ycm jeder wel-
tena TheHnahme ntbindet. Erst, wo eigenartige Knabennatnrea hi berech-
tigtem oder unberechtigtem Widerstreben den erwarteten Ansatz der üblichen
•Jahresringe ablehnen und sich gegen die Aufnahme der lehrplanmäßigen
Nahrung sperren — erst da treten Fragen nnd Aufgaben an das EUtembans
heran, zu deren Lösung weder Geschick noch Neigung vorbanden. Irre ich,
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niclit, so liegrt die Grundbedingung fBr die Gesundung unserer Scliulznstände*
in der Wiedererweckung der pädagogischen Idee. Bei der historischen Ge-
staltung unserer Schulen, unter dem Druck einer vor allem auf äußeren Erlolg,
auf g^ifbare fiesultate arbeitenden Zeitrichtong, in dem Streben, sich in
enter Linie den Sehein nnd die Vorflieile dessen, was fBr Büdnng gilt, m
sichern, besteht die Gefohr, dass der einfache pädagogische Sinn, der die
deutsche Schnle groß gemacbl^ Terloren gehe und die Qnelle wahrhafter Idealitlt
verschttttet werde.
Dr, Karl Andreä, Über Gründe und Ziele schulreformatorischer
Bestrebnngen (Langensalza, Beyer & Söhne).
[Dentsehe Gymnasien nnd andere Schnlen.] Man wird nieht
leugnen können, dass die Gymnasien vielfach eine Art von Bildungs-Monopol
fttr sich in Anspruch genommen haben und noch nehmen, dass sie mit der
Prätension auftreten, als ob sie allein es seien, welche Gebildete aus sich her-
vorgehen lassen, und dass sie deshalb zuweilen einen gewissen BildungshocU-
mnth lor Sdun tragen. Und an diesem thSrichten Vomtlieil partidpfaren
wir y Akademiker" alle, jonge und alte, reichlich Wir wollen ehrlich sein
nnd gestehen: auch unter uns classisch und akademisch Gebildeten, unter Phi-
lologen und anderen (relehrten, untt^r Hochschalprofessoren und Gymnasial-
lehrern gibt es ungebildete Menschen; denn einseitige Fachbildung ist immer
nur halbe nnd addechte Bildung; der Student hat dafür längst schon den
treffenden Ansdmck „Fachsimpel'' nnd nFacihsimpelei" gefunden. Wahre
Bildung ist freilich nur Eine; aber der Wege dazu kann es gar verschiedene
geben: den einen bildet Schule und üniversitllt, den anderen das Leben;
den einen die humanistische Schule, einen anderen die realistische. <.)der viel-
mehr, die Schule gibt Überhaupt keine Bildung, sondern nur Vorbildung, nur
Gmadlage nnd Anlkng, nur Bmehstfieke und Theile. Bleiben wir bei diesem
letKten Bilde: Wenn die Bildung ein Ganses ist, von dem auch das Gym-
nasium nur Theile gibt, so lassen sich andere Schnlen denken, die ebenfalls-
Theile, andere Theile geben, und im Lauf des späteren Lebens müssen dann
die Besitzer eines solchen Theils dieses Stückwerk erst ergänzen und in sich
zu einem Qanien ausbanen und abrunden.
Idi glaube, dass bei uns in -Deutschland die Bildungswege zu peiuliel»
normirt und vorgeschrieben, die Zugänge zn den verschiedenen Ziden zu Sogst-
lieh verclausulirt sind. Wir fragen immer erst nach dem Woher, nnd wenn
sich ein Mensch darüber nicht genügend ausweisen kann, wenn er nicljt die
richtige Anstalt besucht, nicht das richtige Abiturientenzeugnis in der Tasche
hat und vonECigeii kann, so hüft ihm alles, was er etwa weiß und kann, zn
dem.gewünschl»n Zide nidite
Dan Frieden, den SeliuUHeden, den wir so nothwendig brauchen, sdiidlk
deher nicht die Besdtigung der Realgymnasien, sondern vielmehr nur ihre Er-
haltung nnd die Vennehmng und Erweiterung ihrer Berechtigungen .....
Woran Icrankt eigentlich unser Realschulwesen? In erster Linie an der allge-
mein verbreiteten Anschauung, dass das Gymnasium die vornehmere, die Real-
schule die weniger vornehme Anstalt sei; wer daher den Trieb der Vornehm-
iidt bat md wer bittre ihn nidit? ~ der acMdit seine Söhne lieber auf
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das. Gymnasiam als aiif dte Bealschale Wer den El^jfthflg-FreiwilligeB-
schein haben will, so sagt man, geht lieber aufs (Tymna«inm: hier erhRlt er ihn
sozusagen gratis, ohne besondere PrUt'ang, also leichter: hier kann man ihn
ersitzen; denn wenn ein Junge last in jeder Classe zwei Jahre lang die
Bloke godHlekt hat^ ao erfutt tehliefflkih die Lehrer ein meneeUiohes Rfihren,
and sie lassen ihn los; nnd nicht blos das menschliche Gefiihl dee Hitleidi:,
WBwiBfu das Interesee dvr Srhule selbst treibt da/.u und fordert, daiB BUUk sioh
dieses Ballastes (iocb immer wieder möglichst rasch entledige
Was wir also branchen, das sind mit einem Worte Schulen für das
Volk, nicht Scholen für kttniUge filMr^eoiBein md Stnatsbeamte.... Mehr
BOdong für die UeinMi Leute, mehr Bftimg Ar dni Volk! — Wir sind all-
zasehr gew9hnt, die Bildung von oben heftib zu sehen: von nnten ans ange-
schant nimmt sich in derselben vieles anderl ans: utkI dazu gehört im Sclinl-
wesen die Scliaffung von richtigen Kealschulert, die einen brauchbaren mittle-
ren Bürger- und besseren Arbeiterstand heran/üeheu, die durch und durch
piaktlieh lud gar nieht gelehrl nnd gar nicht vornehm «bid. Damit ist aneh
ein Nationales geleiltet, selbst wenn diese S<Anle dem Hew direot keinerlei
Dienste mehr thUte: es wäre durch sie ein Beitrag gegeben zur Lösnnp der
socialen Frage. Mehr Herz fürs Volk! Das ist der Ruf, der tilglich lauter
erhoben werden niuss, auch auf die Gefahr hin, dass er einstweilen noch man-
eiiem mimtSaeftd in die Ohren klingt nnd dem, der ihn erhehti wenig Dank
einbringt; liier tpedalisirt er aich dahin: Schalen fttr das Volk, die gat volka-
th&mlich, nicht aiistokratisch vornehm sein mfissen ! . . .
Ich kann es weder socialpolitiprh noch moralisch für einen Gewinn an-
sehen, wenn das Studium immer mehr vei-theuert und finanziell belastet und
dadurch immer meki* zu einem Privilegium der Reichen gemacht wird. Das
bringt Ton Tonhereitt einen protsigen Qeiat in nneer Beamlenthnm, nnd daa
verbittert anf der andern Seite die ftrmeren Classen mit Recht, wenn sie
sehen, wie ihnen oder vielmehr ihren begabten Sehnen dax Aufsteigen in die
llMwren Schichten immer mehr erschwert, geradezu unmöglich gemacht wird.
Dr. Theobald Ziegler, Die Fragen der Schulreform.
[Volksbildung.] Vom Vorrtand der „Gesellschaft für Verbreitung von
Volksbildung" in Berlin erhalten wir folgende Mittheilnng-: Die Volksbiblio-
theken, die in den siebziger Jahren, nach Begründung der „Gesellschaft für
Verbreitung von Volksbildung" einen gauz erbeblichen Aufschwung nahmen,
sind in den letalen Jahren an vielen Orten znrllckg^angen, ja von einxelnen
Vereinen ganz aufgegeben worden. Die Ursachen scheinen weniger in der
Sarlie Reihst, als in dem rnistande zu liegen, dass sich die Aufmerksamkeit
von den Bililiotheken mehr al trewaiidt und auf andere ilhnliche Einrichtungen
gelenkt hat. Die Volksbibliotheken werden aber dort, wo sie gut verwaltet
werden, nach entspreobend beantit, so dass eine leUiaftere Fürsorge Ar dieses
VdlkaMldnng»'Inititat in Jeder Beriehnng wttnicbentwert «rseheint. Von dieeea
Erwlgnngen ausgehend, fasste der Central-Ansschass der Gesellschaft für Ver-
breitung von VcUubihlang nach vorangegangenen Berathnngen folgende Be-
schlüsse :
. -■ 1. Der Vorstand der Gesellschaft wird beauftragt, eine Broschüre zu ver-
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riffentlicht^n, in uflchor die Bedputung der Volksbibliotheken dargethan, ihr
augeübiicklicher Stand gezeichnet, die gegen sie eriiubenen Vorwürfe zorück-
gewiMon and Fingerzeige la ihrer VerbeBsenmg gegeben werden. InsbesoDdere
teil die BroMhfire enthalten: Hnstenrenefehnlne für fsm kleine Blbliellieken
and Verzeichnisse derjenigen bewährten Schriften (ältere nnd neuere Volks-
olasslker), die bei Nengriindung einer Volksbibliothek in erster Linie Berück-
sichtigung verdienen, sowie besondere Verzeichnisse für liindliche Büchersamm-
longen, in denen die wirUchaftliche Arbeit der Laudbewoliner (Obstbau, Vieh-
zaoht, Landwirtsohaft, Weinealtar) ausgiebig BerMitehtigung ihidet.
2. Die Zeiteehrift der GeiellBehnft, der „BUdangt-Tereia*, bringt fort-
laufend unter einer besonderen Rubrik eine Anzeige neu erschienener Bftoher,
die sich zur AnRcliaffung für Volks- und Vereinsbiblibtheken eignen.
3. Die Gentraisteile der Gesellschaft fördert die Einrichtung von Waader-
bibUothekea Ar Stadt oad Land, erläsat einen Aufruf, in welchem um onent-
«eltUclM Überlamng von gnt erhaltenen JBttehom ond Zeiiaehriften gebeten
wird, die ärmeren Vereinen auf Wunsch zugesandt werden sollen, und versucht,
durch Anregung und Mithilfe in den Bei liner Vororten gnte VolkahibUotheken
«vent. mit Lesezimmern ins Leben zu rufen.
4. Auch für die Jugendbibliotheken wird unter Benutzung der von Lelirer-
vereinen bearbeiteten Venseiebnitee ein Mnaterkatalog aafgeatelU nnd wenn
möglich, in gleicher Weite wie für die übrigen BibliotbelEan die nea ereehei-
nende Literatur registrirt.
Diese Aibeiten sollen vom Vorstande der Gesellschaft sogleich in Angriff
genommen werden. Wir wünschen den Bemühungen, die herrlichen Schätze
nnterer Volkdlterator in jede« deutsche Haot na bringen, den weitgehendtteo
EiMg. Sollte dner nnaertr Leter in der Lage und gewillt tein, in der einen
oder anderen Weise mit Batli nnd Tbat zu helfen, etwa durch Hinweis auf
gute Werke, Bezeichnung: soL lier in vorliegenden grednickten Katalogen, durch
Mittheilnng von P'rtulii iiiigen auf dem Gebiete des X'olksbibliothekswesens,
durch statistische Mittlieiluugen über Benutzung einzelner Volksbibliotheken etc.,
to werden Elntendnngen mit grOitem Danke entgegengenommen ?om Bnreaa
der Gesellschaft, Berlin W., MaaBenstraße 20, oder von deren Oeneralaeeretftr,
Lehrer J. Tewe, Beilin NO.» Pallitandenttr. 100.
[Tarnen.] Unlingtt itt bei nelmich in Bielefeld eine Broschüre unter
folgendem Titel erschienen : „Schulreform und Turnunterricht. Eine tnrn-
piidagogische Streitschrift als ernstes Maimwort an die Schulbehörden und den
deutschen Lehrerstand, zugleich eine kritische Betrachtung über die XL deutsche
Tnmlehrer-Veraammlnnir.'' Wer tich &ber die derzeitige Sachlage aaf dem
beseichneten Gebiete orientiren will, darf dieie Schrift nicht ttberseben. .
[Schalarbeit nnd Schfilerkraft.] Prüf. Dr. Leo Bnrgerttein, der
im Novemberhefte des „Psdagoginm", iibtr den VII. internationalen Congresa
für Hyg^iene und Demographie, London 1891, berichtet und hierbei auch einen
von ihm selbst gehaltenen Vortrag skizzirt hat (^siehe S. 115 f. unserer Zeit-
tchrift), hat nun teinen Vortrag unter dem Titel: „Die Arbeittkarve einer
Schalttnnde" in voUttladigem Wortlante TeMratUcht (40 Seiten, Hambug
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ud Lei9d9 bei Lcfopold Von). Wir empfehlen die etmirelchen nnd «n-
re^enden UateESWihiiDgeii «nseres geaeldttstea Mitarbeiten eingehender Be-
acfatang.
Von derWeiehiel. [Polnieeher Prtvat-'Spraelinnterrielit. Fori-
biidnngssohule. Was die Lehrer an erwarten hfttten, wenn die
Schnlg^esetzgebuDg in Windthorst'aelie Salinen einlenken würde.
Polnische Lehrer im Westen,]
Unterm 11. April 1891 hat Coltusminister Graf Zedlitz an die königL
Kegierungen an Bremberg nnd Posen folgende Verftigung erlassen:
„Ans den Kreiien der pofaiieebcii GdatUcltkeit wird die Beschwerde er-
hoben, dass die Erlblge des in polniecber Sprache ertheilten Beligioneonter-
rlchtes in den Volksschulen durch den Fortfall des polnischen Sprachiiutir-
richtes beeinträchtigt würden, und dass die Mög-lichkeit, dieser Beeinträcli-
tignng durch Einiichtung p^^liiisrlien Privatunterrichts vorzuboueron , durch ein
Verbot der königl. Regierung an die \'olk8schuIlebrer, einen derartigen I'rivat-
nnterrieht an Sbemehmen, abgeeefanitten sei.
Bereits mein "Herr AmtsvorgSagcr hat wiederholt darauf hingewiesen,
dass der Fortfall des polnischen Sprachunterrichts in dem Lehrplan der Volks-
schulen nur bezweckt, für den Betrieb des deutschen Unterrichts mehr Zeit
zu gewinnen, dass aber den Hi'thcilijj^ten überlassen bleibe, außerhalb der
Schale Veranstaltungen zu tiefieu, um ihren Kindern besondere Ausbildung im
polnisehen Leeen nnd Sobreiben zu gewithren. Wenn, wie es. den Anschein
hat, das Verbot der kSnigL Begiemng an die VoilcaschnUehrer die "Vnrkong
gehabt hat, eine weitere Verbreitung von Veranstaltungen für Ertheilnng des
polnischen Lese- und Schreibunterrichts überhaupt an liindem, SO ist dasselbe
Uber den vorbezeichneten Kähmen hinausgegangeu.
Demanfolge veranlasse ich die königl. Regierung, die \'olksschuUehi^
Ihres Beairks darttber an yerstftndigen, dass die Erfheiinnff von PriTatnnteri
rieht an polnische Kinder im polnischen Lesen und Sclireibea innerhalb Ihrer
Gemeinden auf Antrag hn der königl. Regierung ilinen werde gestattet werden.
Den Wünschen der Betheiligten wird es zumeist entsprechen, dass dieser
Privat-Unterricht in den Räumen der Schulen ertheüt wird und ist hiergegen
nichts in erinneni, sofern die Gemeinden die ^enntanng 4er Sdnlriume ge-
statten*
Was die Sprache des liatholischen Religionsanteniohtea in den VoUusehnlen
anbelangt, so hat zwar mein Herr Amtsvorgänger durch Verfügung vom
22. Januar 1888 den Obergang von der polnischen zur deutschen ünterrichts-
spraobe vorgeschrieben, nnd ich habe aus den, mit Erlass vom 13. December
V. Jsi aurfickgesendeten Sprachübersichten ersehen, dass bestimmungsmäßig
▼erfiihrea und fiut dnrehweg fttr polnische Kinder der Beligionsunterrieht
deutsch ertheilt wird. Das Auftreten wiederholter Beschwerden auf diesem
Gebiete lässt es indessen wünschenswert erscheinen, bei denjenigen Volks-
schulen, welche nicht ,in unzweifelhaft deutschem Sprachgebiet liegen, und in
welchen die Ertheilnng des katholischen Religionsunterrichtes sich ganz oder
iMwaiM im dautsebsr Spnehe ToUaielrty diw emente Prttftuig in dieser SMt-
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— 2Ö0 —
fnn^ eintreten zn lassen, ob die polnischen bezw. als zweispracbif^ «roftihrten
Kiiith r mit volli m Verstilndnis dem Unteiricht folgen können. Ist dies nicht
anzanefameo, «o ist je nach Lage des einzelnen Falles der polnische Eeligions-
nnterrieht aa ^ SIb&b te taM «rtbeilt^s Unterrichts sa aetmn.*
Dieser Verfligmigr des ünterridilaaiiiiBlBra mmtm lietheOigton
CoUsgen von Anfang an erhebliche Bedenken entgegengebracht. MfedUHi
nahen ein Jahr seit ihrem Erlass vei-floss- ii ist. lassen sich die Folgen oinis'fr-
nnften übei-sehen. Was den Kennern der Verhältnisse von vornherein klar
war, ist zu Tage getreten: Der Ministerial-Erlass über die Zulassang des pol-
nischen Privatunterrichts in nnsem Volksschnlen hat die Begehrlichkeit der
Polen von nenera erwedct. Es vergeht kein Tag, ohne dass man in pol-
nischen niättem lebhaften Klagen darüber begegnet, dass die nntergeojdneten
Schnlbehörden den Anweisungen des Ministers widerstreben. Die ganze Be-
wegung läuft darauf hinaus, die deutschen Katholiken zu polonisiren. Es
wird von allen Seiten jedes Mittel angewandt, dieses Ziel zn erreichen. Man
hetreibt bei den Eltern die Absendnng von Gesnchen om Überweisung ihrer
Kinder in die polnischen Abtheilnngen beim Religionsunterricht; wol anch
Schnlvorstllnde und Heist liclikfit werden dieserlialb vorstellig. Prüft dann ein
Hegierungsbeamter die \ erhiUtnisse, so stellt sich heraus, dass die angeblich
polnischen Kinder von deutschen Eltern stammen. Freilich beheri-schen diese
Kinder snHer der Vuttenpraehe auch das Pohlische. Es ist aber unerhSrt,
jeden, der polnisch spHcht, als Polen za bezeichnen. Die Begriffe .polnisch**
ntid „katholisch" sollen gleichbedeutend sein; sie sind es jedoch nicht. Die
Lage der deutschen Katholiken hierzulande ist keine beneidenswerte: sie finden
an der Geistlichkeit keinen Bückhalt. Ks ist deshalb sehr weise, dass die An-
sledelungseoniniissioii mit der Heimnsfehung katholischer Ansie^tr vorsichtig
■verfUirt; in den meisten FsHen ist der deutsche Katholik der Slavishrung
verfallen, eben weil die Geistlichkeit zn den Vorkämpfern der Entdcutschnng
zählt. Die Lehrer gehen keineswep-s freudig an die P>rfeilnng des polnischen
üntenichts. Von der Unterrichtsverwaltung sind sie in eine missliche Lage
'versetzt worden: sie sollen denselben Kindern, die sie polnisch untenichten,
Kenntnis der deutschen Sprache beibringen, sollen das Deutsche brancben, das
jetzt verhasster geworden ist als früher. Der Pole des Mittelstandes sagt:
Der Minister will gar nicht haben, dass unsere Kinder deutsch unterrichtet
werden, sonst hiltfe er nicht angeordnet, dass jtolnischer Privatunterricht ertlieilt
werde; nur die unteren Behörden trugen die Schuld, dass man uns nicht mehr
Zugest&ndnisse machte Solche Gedanken kann man oft aassprechen hdren.
Die pohiisehen Ultras schüren das ITener weiter. Sto fSirdeni nicht nur die
Znrfickversetjsung der Lehrer, die seinerzeit im dienstlichen Interesse nach dem
Westen geschickt werden mnssten, sie fordern anch polnischen Unterricht an
den Heminaien. Natürlich! Man will eine polnische „national ''-gesinnte Lehrer-
schaft heranziehen, um dann die Schule den „nationalen'' Interessen nutzbar
m mache». Nimmt das Oentrum d«i „Kampf um die Sdnde** auf, wie das
jängst anf dem Danziger Katholikentage feierlich verMtaidigt wurde, so kennen
die polnischen Sonderbestrebungen dadurch nur geff»rdert worden. Die Kegie-
rung wird in den Parlamenten Gelegenheit haben, zn der Angelegenheit xStellung
zn nehmen. Es steht zu erwarten, dass von polnischer Seite lebhafte Klagen
vOTgehracht werden. MUehtm die Idtendeik Kreise dann dia Sacfalag» un-
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lültogen prüfen. Über die Kothwendigkeit, das D^utschthnm auch fcrneihia
gegen slavische t'berp:riff^^ 7M schützen, karrn kein Zweifel sein. Man tilusche
sich nicht: kleine Zugeständnisse machen die Polen nicht zn einer allertreuesten
Opposition; größere verbietet das Staatswol. Man gebe sich keinen Illusionen
ftlmr die eigendiehfln Zwecke md Ziele der fielnitdieii Propaganda hin! Der
Mlieren NachgieMgkeit gegen nnberechtigte polniaehe Ansprüche verdanken
wir die PoloniBimng von Tausenden dentioher Kadwliken. Dieae bittere Lehre
sollte niemals vergessen werden.
Nach der bisher von den königl. jwreisscholinspectoi'en geübten i'raxis
durften na dem polniaöhen FriTat-S^radrantexrieht die der deataehen S^raehe
nftehtigen mid von Dentaehen atanunenden Kinder vom aageblieh polniaehen
Eltern mit deutschem Namen nicht theilnelimen, auch wenn die Eltern selbst
den Wunsch aussprachen, dass man es ihren Kindern (restatte. Nachdem die
königl. Kegiemng in vielen Fällen die Gesuche und 13escli\\ < r ien der Eltern
abschlägig bescbieden, hat der Unterricbtsminister eine Euisciieidun^ ^ctrutYen,
welche den WQnadien der angeblich polniaehen Ettem Bechnung trlgt. Seine
daraaf bezügliche Verfögung lautet:
„ Auf den Bericht vom 5. September d. .1. erwidere ich der königl. Regie-
rung, das«, nachdem durch den Erlass vom 11. April den Volksschullehrern die
Ertbeünng von polnischem Privatuntei-richte in ihren Gemeinden verstattet
worden lat, ea döt Xütcni — mögen sie polniacher oder dentacher Natioaalitftt
sein — aaheini geatallt iat, ilire acho^ichtigen Kinder an dem in flirw Ge>
meinde zagelassenen Privatunterrichte im Pdniachen theilnehmrai zn lassen,
i^ie königl. Regierung hat hiemach die Unterzeichner der wieder beifolgenden
Eingabe zu bescheiden und das sonst etwa Erforderliche zu veranlassen."
Bei den Polen herrscht über diesen Entscheid natürlich große Freude.
Der „Dsieonik Posnanaki" theOt mit, daaa bald nach Bekanntwerden dea Er*
lasses in jeder Posener Schule eine Anzahl rein deutscher Kinder bei den
I^elirem der polnischen Sprache sich gemeldet und im Namen der Eltern nni
ihre Annahme zu diesem Unterrichte gebeten hat. Dieses beweise nach An-
sicht des genannten polnischen Blattes, dass nicht allein bei den Polen, sondern
aneh bei fielen Dentaehen daa Bedfirfhia der Kenntnia der pi^lniadien Simehe
aich Ahlbar gemacht habe. Daaa aich die Begdirlidikeit der Polen steigert^
sehen wir aus einigen Auslassungen des „Knryer''. Nachdem dieses polnische
Hlatt dem Cultusminister für die Verfügung Dank ausgeRprnehen hat, heißt es
weiter: Unsere Dankbarkeit würde noch größer sein, wenn der Herr Minister
nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sondern ebenso wie er erlaubt, daas
iBimtliehe Kinder, deren Ettem ea wflnechen, ohne Aaaaahme im Poiniadhen
nntenMhtet werden • — es auch gestatten wollte, dass den. Kindern, deren
Eltern es verlangen, der Heligionsunterriclit in polnischer Sprache ertheilt
werde.,.. Der Herr Minister erklärt im Kescript vom 11, April, dass die
Bücksicht auf den Religionsunterricht ihm gebiete, dafür Sorge zu tragen,
daaa die polniaehen Kinder polnisch leaen lernen. Wie kann ea demgegenftbar
von Herrn Minister gediddet werden, daaa die Kinder, welche za Haoae polniadi
beten, den Religionsunterricht in der Schule in einer ihnen nicht genau ver-
ständlichen Sprache erhalten, in einer Sprache, welche nicht in der Wärme zu
ihrem Herzen spricht, wie es der Religionsunterricht erfordert, wenn er Fräclite
bringen soll ? —
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Hauptaächlicli um iVic deutsche Sprache bei den schulentlassenen polnischen
Knaben weiter zu ptlegen, wurde im Jahre 1887 die oblig;atori8che Furtbil-
duogsschale in Posen und WestpreuÜea eingeführt. L>ie anfänglich befxiedigen-
dea Erfolge dJeaer BinrlAtiiDir gingen jedoeh bald swOdc. Bei den Heiitern
nicht minder, als bei den Lehrlingen zeigte sich ein heftiger Widerstand gegen
die Fortbildangsscliulf, Ilm- Schülerziilil g^ing immer mehr zurück, die Schulen
wurden leer oder lösten sich auch völlig auf. Der Besuch des Unterrichts
aber konnte nicht erzwungen werden, da der Bicbter in zahllosen Fällen dahin
ealMliledy dMi in Vn»9tn die Molidfakft mit dem volleadeteii 14. Ld^n^jahr
onfliOrt, ein darflber Unaiugeheader gMetelioher Zwang am Sdmlbenidi aber
nicht bestehe. Und so war es tbatsächlich, die Gesetzgebung hatte eben eine
Lücke gelassen. Diese Lücke im Gesetz ist nunmehr durch Einführung des
Zwangsparagraphen in die Novelle zur Reichsgewerbeordnung ausgefüllt.
Danach können gewerbliche Lehi-iinge and Arbeiter unter 18 Jahren durch
Ortattatat warn Bemch der obllgatoriaehen FortbilduigaBcbQle vnter Anwendnnflr
empfindlicher Strafon gezwungen werden. Die städtischen Verwaltungen in
den Pr-dvinzen Posen und Westpreußon sind gegenwärtig mit der Aufstellung
solcher Ortsstatutcn beschäftigt, und es steht zu erwarten, da.ss die obliga-
torische Fortbildungsschule sich nunmehr auf sicherer gesetzlicher Grundlage
in den polniidien Landeetlieileo weiter kriftig entfidtea wird. Den Yelrteni
MUeh seheinf dieser gesetslidie Zwang vnbeqoem n sein; denn sie gehen
vielerorts mit der Orfindung sogenannter „Innungsschulen** vor, um insbesondere
über die Bestimmung der Unterrichtszeit freie Hand zu behalten. In der
Stadt Posen beispielsweise wollen drei Innungen solche Schulen einrichten.
Alle derai tigen Versuche haben indes, wie die Erfahrung vielfach bestätigt bat,
neuMBSwerte Erfolge nicht sa enielen yermocht. Bs wire daher wol m
i^flnaehen, dass die Regierung, wenigstens in unserer Gegend, alle Absonde-
rungen beseitigen und die staatliche obligatorische Fortbildungsschule ohne
Unterschied durchfüliicn möclite. In anbetracht der Wiederzulassung des pol-
nischen Privat-Sprachunterrichts, der die Verdeutschung des polnischen Ele-
üsiits donh die VoUrssehnle inumildn antetheben geeignet ist, cneheiBt es
dringend nSthig, mit der aUgvnieiMi WiedsreriMhangr der obUgatiMlsehsB Fort-
Uldongssehale anf gesetdicher Grundlage ungesäumt vorzugehen.
Was die Lehrer zu erwarten hätten, wenn die Schulgesetzgebung in
Windüiorst'sche Bahnen einlenken würde, das hat die ermländische Geistlich-
iLeat nnter der Fttbrong des Bischofs Dr. Thiel durch ihr Vorgehen gegen die
katholisdten Mitglieder der Lehrerrereine mit einer DentHehkeit genigt, die
wol geeignet sein könnte, gewissen Schwärmern die Angen zu Offnen.- Der
Abg. Krebs hat auf der Danziger Kathnlikenversammlung geäußert, man sudie
in seiner Heimat (Ostpreußen) die Meinung zu verbreiten, dass die katholischen
Lehrer nicht dasselbe Kecht hätten, wie die anderen. Schweilich hat der Herr
hierbei an das Treiben den erallndlseheB Glems gedacht, sonst wfirde er wol
noch hinsngeAgt haben, dass man selbst die yerwerfUcbBten Mittel nieht un-
versucht gelassen hat, nm die Lehrer in swingen, einem bischöflichen Willen
zu Gefallen anf die Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte zu verzichten.
Weder Lockungen noch Droliungen sind zu diesem Zwecke gespart worden,
ja man hat sogar die Kanzel gemisabrancht, um das Volk gegen die Lehrer
anfktthetsen und diese dadnroh mltarbe sn maehen. Man bat sie forasr bei
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Bewerbnnpen nm erledigte Kirchsclmlstellen mit der Hegründong abgewiesen,
dass sie Mitglieder der sogenannten freien Lehrervereine seien, oder von ihnen
eine Beficheinigang über ihren Austritt aas den Vereinen verlangt. Dass solcher
Dnidt «liistlae Mitglieder na Infierlidiea ÄMUl liewogen li«t| kaim nieht
tberraachen. Die Mehmhl aber hilt aUen Anfeohtmigeii nun Trots getreu-
lich stand. Diesen gegenüber sieht sioh nun der Bischof an der Grenze seiner
Macht. Die hie und da gebrauchte Androhnng kirchlicher Straten verfÄngt
nicht, da sie in unserer Zeit zur Erreicbang hierarchischer Zwecke doch nicht
■elir M«gefiihrt worden kenn. Anfeiner Firmange- nod Viiitationsreise nahm
der Bieebef Dr. TMel mehrftMdi Oetegenheit, leinen Unnrafh darBber m lofiem,
data es immer noch eine große Anzahl von Lehrern gibt, die seine Herrschaft
auf weltlichem Gebiete nicht anerkennen wollen. Bei der Kirchenvisitation
zu W. im Kreise Allenst«'in, zu welcher auch die Lehrer mit den Schulkindern
erschienen waren, stellte er an eine Abtheilung der letzteren die Frage: „Als
wae iit diriBtOB geboren werdm?" und erhielt hieranf die Antwort: »Ale
Menaeb." Dieee Antwort brachte den Biscliof in eine solche Aufregung, dass
er vor versammelter Gemeinde ausrief: „Die Kinder kennen nicht einmal die
Grundwahrheiten des Christenthums!" Offenbar lag dieser Äußerung die Mei-
nung zn gründe, die Kinder hätten keine Kenntnis von der Gottheit Christi
gehabt üid dodi dflifte ee den Biscbof nieht lehwer geworden eein, lieh
doreh nSherea Eingehen anf die Sache von der Ünhaltbarkdt jener Heinnny
m übenengen. Aber er begnägte sieh nieht damit, den betreffenden Lehrer
vor vorsammelter Gemeinde bloszustellen , sondern er führte sogar bei der königl.
Begierung darüber Beschwerde, dass die Classe jenes Lehrers über die Grund-
walirheiten des Christenthums nicht genügend unterrichtet sei, da es ihm (dem
Bitehef) trots aUer angewandten Hfthe nicht gelungen wire, ane den Kindern
herauszubringen, dass Christus Gott aei. Infolge dieser Beachwerde wnfde
die betreffende Schul«' 'lurcli den znstAndigen Krcissclmlinspector im Auttrage
der Regierung einer gründlichen Kevision in Bezug auf den i^cligionsunterricht
unterzogen, die drei Stunden in Anspruch nahm. Sie ergab, dass die Angaben
dee Bischoft jeder tbateftchlichen Grundlage entbehren. Der Biachd hat bei
der betreffenden Kirehenviaitation jene Sdinlclaase soniehst nach den dnrf gött-
lichen Personen gefragt nnd richtige Antworten erhalten, worin auch die Lehre
vor der Gottheit Christi eingeschlossen war. Darauf hat er dann die Frage
gestellt: „Als was ist Christus geboren worden?" und die unzweifelhaft rich-
tige Antwort erhalten: „Ais Mensch." Hierauf hat der Bischof au jene Kinder
fiberhanpt keine Frage mehr gerichtet, iat vielmehr in aeiner Erregtheit so-
gleich m Tadel und Anklage vor versammelter Gemeinde übergegangen. Dass
sich der ganze Vorgang in dieser Weise abgespielt hat, wurde vom Kreis-
schulinspector durch Nachfrage bei den Schulkindern festgestellt. Ebenso ergab
sich hierbei die interessante Tliatsache, dass von den 25 Kindern dieser
Söhnle, die bei der betreffenden Kirehenvialtation zugegen gewesen, die Mehr^
saht (14) bareita eonffrmirt iat. Der matSndige Pforrer hfttte alao, wwn die
Anachnldignngen des Bischofs begründet wären, es auch nicht vermocht, jenen
Kindern im Cnnfirmandenunterrichte die „Grundwahrheiten des Christenthums**
beizubringen, und er hätte sie auch ohne die Kenntnis derselben für reife
Christen erklärt, indem er sie zu den Sacramenten annahm. So liefert denn
jener Unatand einen handgretflichen, wenn anch indirecten Beweia fttr die Hin-
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tiUlis:keit der Bt^liauptung-en des Bischofs. Hoffentlich wird letzterem nach
diesem miBsloBg^^uea Verauch die Lust zu weiteren ungerechtt'ertigteu Angriffen
vergehen.
Wie stSndft ea mm aber, wenn dieWindtbonftelMii Sehnlantilge Gewts
wflren? Dieie fordern: „In das Amt eines Volksschullehrers dürfen nur Per-
eoneo berufen werden, gegen welche dio kirchliclie Ikhörde in kirchlich-religiöser
Hinsicht keine ^Einwendungen gemacht hat. Werden später solche Hinwen-
dungen erhoben, so darf der Lehrer zur Ertheilang des Religionsunterrichtes
nieht weiter ngtüBrntm wetden.** Wie leidit „Iänwendiinfl;en in Idrehlleh*
religiOeer Hinsiclit'' erhoben werden Icönnen, geht daraas hervor, dass der
Bischof gerade aus angeblich kirchlich -religiösen Gründen verlangt, dass die
katholischen Lehrer aus den sogen, freien Lehrervereinen austreten sollen.
Für die Lehrer ist dies treilich eine weltliche Frage, da es sich hierbei um die
AesQbnng von Bediten handelt, die ihnen dnrch die VerlSuBang und dai
Vereinageaets gleich allen andeien Staatablligeni lageaichert aind. Wer sweifidt
aber naeh den mitgefcheilten Thatiachen noch daran, daaa der Bischof nnter
der angeführten Voraussetzung gegen alle diejenigen, die ihm in dieser welt-
lit heil Frage den Gehorsam versagt liaheii. Einwendungen ..in kirchlich-religiöser
Hinsicht" erheben würde/ Eine TrüfuDg solcher Einwendungen durch die vor-
gesetste SchnlbehOrde wftre nach dem Windthorst'eehen Antrage nkdü zqliaoig,
es würde vielmehr sofort die Entdehong des Religionsonleiridita and damit
in vielen Fällen dei- Verlast der ^ranzen Stellung erfolgen. Dagegen zeigt
dt^r niitgetheilte Fall nnwiderleglich, wie noth wendig es ist. dass derartige und
iihnliche Einwendiuigen, die ja der kirchlichen Behörde auch unter den heutigen
Verhiltnisien nieht verwehrt sind, von der dem Lehrer voiKeaetaten Ober-
behSrde geprSfl werden. Berechtigte Beschwerden werden hierbei gewiss Be-
rttcksichtigong finden, die Lehrer aber sind so gegen Vergewaltignng gesdifitrt.
Dies mögen namentlich diejenigen unter ihnen bedenken, die mit dabei sind,
die Ketten für iliren Stand schmieden zu helfen. Noch eiu Beispiel möge hier
angeführt werden, um die in den Windthorst'scben Anträgen enthaltene Forde-
mng m belenehten, dass der cor Leitung des Beligionsaiterrichts berofene
Geistliche befugt sein aoU, „den Ldirer für die ErtheUung des Religrionsunter-
rieht« mit Weisungen zu versehen, die von letzterem zu befolgen sind." Wenige
Tage nach der oben erwähnten Revision des Kreisschnlinspectors ei-schien in
derselben Schule der Pfarrer B. aus W., um im bischöflichen Auftrage eine
Revision dee Beligionannterrlchta vomaelmien. Br wandte sich noerst an
die Ostern d. J. in die Schale anfltenommenen Kinder mit der Frage: «Was
ist Gott?^ und war sehr erstaunt, von sechsjUirigen Kindern keine regelrechte
Detinition über das Wesen Gottes zu erhalten. Seiner Verwunderung hierüber
gab er sofort vor den Kindern Ausdruck und wollte auch die Ausführungen
des Lehrers, dass demrtige Definitionen sich fttr diese Stufe nicht eignen und
daher anch in den dem Unterrichte an Grande gelegten „Katecheeen von Hey**
nmgangen seien, nicht gelten lassen, sondern er blieb dabei, jene Begriffsbestim«
mung müsse im Religionsunterricht den .\nfaiitr bilden, gleichviel ob die Kinder
das verstehen oder nicht. Bei der weiten n Frage nach dem zweiten Kirchen-
gebot stellte sich heraus, dass der Ffarrer den Wortlaut dei>selüeu nicht genau
Icannte, was er wieder nicht angeben wollte, bis er durch Voilialtang des
Katechismus flberflihrt wurde. Welche Fördmung Id^nnte wol der Beligiona-
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Unterricht trtahien, wenn Leute oineu nmßgebonden Eintiiiss auf ihn ansüb^n
sollten, die weder der Methode noch des Stofifes Herr sind? Ware es nicht ge-
ndeni v«rdArbllek, wenn der Lehrer ihre Wtiniiigen ohne weiteres befolgen
nMe? Pfturer B. gehSrt so den vor knnem enuumten LoealeehnHntpectoren-
Von d«i ans den Provinzen Poeen nnd Weetprenften seit 1886 nach deni
Weeltti versetzten polnischen Lehrern befinden sich noch 53 in der Hhein*
provinz, Westfalen und Hessen-Nassau, und zwar 18 im Rog.-Bez. Düsseldorf,
10 im Reg.-Bez. Trier, 7 im Reg.-Bez. Koblenz, (i im lieg.-Bez. Köln, 5 im
Keg.-Bez. Wiesbaden, 4 im Reg.-Bez. Münster nnd 3 im Reg.-Bez. Aachen.
15 polnische Lehrer sind bereite in die Hdmat zorttchgelEebrt. Davon ^d 11
als Emeriten ans dem Dienst geschieden. Neuerdings haben 4 weitere
Lehrer, deren Frauen an Heimweh litten, in der Trovinz Posen Lehre i*stellen
erhalten, und 3 Lehrer stehen aus derselben Ursache mit der königl. Regie-
rang wegen ihrer Zarückversetzung nach der Provinz Posen in Unterhandlung.
j Aus Württemberg.] Die Hochflut schulpolitischer Schriften in der "2 Hälfte
dtih vurigeu und im ersten Viertel dieses Jahres, sowie die lebhafte Besprechung
derselben in Sehol- und politischen Tsgesbiftttem lieft hoffen, dass die leitenden
Kreise den schwebenden Sehnlfragen erhöhtes Interesse schenken werden, nnd
in dieser Annahme wnrde man nicht getäuscht; das Jahr 1891 hat eine Reihe
nennenswerter Besserungen gebracht, die in unserem in der Schul entwicklung
60 sehr zurückgeblirbenen Lande doppelt freudig begi-äüt und aufgenommen
werden. Znent folgte ei>e Anderong des ConfereAswesens «nd eine
Einschrftnknng der Anfsatspflicht. Die. Zald da* Gonfareniea wnrde
fiir die über 30 Jahre alten Lehrer von 4 auf 2 herabgesetzt. Die jöngeren
Lehrer haben bis zu dem eben genannten Zeitpunkte außerdem noch 2 sogen.
Sondercouferenzen anzuwohnen. Die Aufsatzpflicht, die seither bis zum voll-
endeten fünfzigsten Lebensjahr dauerte, wnrde aufs 40. herabgesetzt; auch
wurde die Zahl der AnfUltie theilweise vermindert Wlihrend bis mir Äiide^
rnng des GoDferensweeens jeder Lehrer bis zn seinem 50. Lebensjahre jährlich
2 Aufsätze machen musste, sind jetzt nur noch die jüngeren Lehrer bis zum
volh iideten 30. Jahre zur Lieferung dieser Anzahl verjtHichtet. \'on da an
bis zum 40. Jahre ist alljührlich nur ein Aufsatz auszuarbeiten und abzugeben.
Die Wiohtigiceit dieser Nevregeiang besteht niin darin, daas doreh die Ver«
vindening der Zahl der Conferenaen von jetzt ab weniger geistliche GoollBrena«
directoren nöthig sind als seither und dass zur Leitong der Sonder- oder Lern-
conferenzen auch tüchtige Volksscliullehrer berufen werden können. Gegen-
wärtig sind es evangelischerseits deren 10. Beides zusanimengonommen —
Entbehrlichkeit mancher geistlichen Conferenzdirectoren nnd Beiziehuug von
Lehrern mir Leitong von Conferenaen — ergibt eine ansebnliehe Binschrftnknng
des geistlichen Einflusses aufs Schulwesen, denn es sind eben jetzt erheblieh
weniger Geistliche, die sich mit der Schule bernfsmftßig zu beschäftigen haben.
Der weitere Verlauf des Jahre.s brachte eine ansehnliche Gehalts-
erhöhung, welche, was wol selten der Fall sein dürfte, von beiden Kammern
einstimmig bewilligt wnrde. Während vor 2 Jahren noch im 40. Jahre
100, im 45. Jahre 140 nnd im 60. 200 HIc. Altersaalage gereicht wurden,
hat lieh infolge der seitherigen zweimaligen Anfbesaemng die Sache so ge-
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staltet, da£8 unständige Lehrer vom zai ück gelegten 25. Jabre an vomStaate 50 M.
arbaltttij tOndige Lelurer eriuJtCfi fon Tage dei DaHaittvins an (etwa mit 27
bis SSJahnn) bii mm 85. lieben^jalire Jlhrileh 160 Mk., welche als Stelleii-
zalage zu betrachten sind, so dass jetzt Württemberg mit 1100 Mk. Minimal-
gehalt (neben freier Wohnung) ^^ol die höchsten Anfangsgehalter in Deutsch-
land bezahlt. Vom 35. Jahre an betrilgt die Alters/ulag:e 200, vom 40. an
250, vom 45. an 300, vom 50. an 400, vom ob. an 5Ü0. Zugleich wurde
in Ansdcbt gestellt, dass die grSSeren StBdte n erheblichen Hehrlebtangen
zu den Stellengehalten herange/o;^'^« n werden lolleu. Auch sei der Untenehfed
in der Bezahlung zwischen Land und Stadt, wenn beide dieselbe Bevölkerungs-
ziffer aufweisen, aufzuheben. Diese Ausgestaltung des Systems der Alterszu-
lagea wirkt natürlich auch vortheilhaft auf die Witwen- und Waisenpensionen,
«elebe in 3 Abstnftugen gereidit irerden, Ar deren Bemessung (wenigstens
fBr die mittlere und obere Stufe) ein füniOlluriger Dnieiisdmittsgehilt tob 1380,
resp. 1910 Mk. nötig ist. Infolge dieser neuesten Aufbesserung rfidtt alsdann
künftig eine sehr große Anzahl Witwen in die mittlere Stufe von 390 Mk.
und eine ziemliche Zahl in die höchste Stufe von 4S0 Mk. Die Kinder erhalten
bis zum 18. Lebeu^ahr als Halbwaisen je ein Viertel, als Vollwaisen je die
Hftlfte d«r betreffimden Stnft.
Wie die Regierung nnd die Stände in diesODi Stücke alles thaten, um
den Wünschen der Lehrer gerecht zu werden, so machte die Regierung auch
einen Anlauf, die Schulanfsicht im Sinne der Lehrerbestrebungen zu regeln.
Allein es zeigte sich, dass die kirchlichen Parteien mächtiger sind und mehr
vermögen als der gute Wille eines Ministers. Anlast nr ErOrCeraag der
Schnlanürichtafrage gab der vom Cnltusminister Dr. 7cni Sarwey eingebraehte
Gesetzentwurf betreffend die Ortsschnlbehörden. — Württemberg hat seit
1865 die ?'inrichtuns- der ürtsschulbehörde. Im Laufe der Jahre haben sich
jedoch namentlich durch ein neues Kirchengemeindegesetz Änderungen als
nothwendig erwiesen, die einer gesetxlichen Regelung bedurften. Die Nene-
mngen betrefliMi tot allem die ZnaanmeaaetBang dieser BehSrde; insbesondere
soll die Zahl der Geistlichen niemals 3 übersteigen, was jetzt in
größeren Orten gegen seither ebenfalls eine Einschränkung des geistlichen Ein-
flusses bedeutet. Im Zusammenhang über die Zusammensetzung und die Ob-
liegenheiten der Ortsschulbehörde schlug nun die Commission, welche den Ent-
wurf Torsttberatben hatte, vor: „In grStoren Stidten mit mehreren Volks-
soimlen kann die Ortsscholaufsicht einem oder mehreren Ortsschulauisehem
ohne die BefcIliiLMins' zu einem Kirchenamt übertragen werden." Über
diese 6 Worte entspann sich eine ötiLgige Redeschlacht, aus welcher wir kurz
Folgendes erwähnen: Auf der einen Seite wurde mit Freuden begrüßt, dass
dnreh diesen Antrag zum erstennml das Prineip der rein geistUohen Sshvlaif-
sieht dnrehbrochen wnrde; anf der anderen Seite erblichte man in diesem
kleinen Zugeständnis an die Lehrerschaft „das große Thor fttr die Entchrist-
lichung der Volksschule". Ersteren Standpunkt vertraten — man höre nnd
staune — württembergische evangelische Prülaten; letzterer wurde von
katholischen Geistlichen und — Lehrern verfochten. Die schönsten und
beweiskrllUgsten Ansführnngen an Oonsten der Begiernngsvorlage worden van
dem Kanzler der Universität Tübingen (y. Weizäcker) vorgebiaeht, der damaf
hinwies, dass bei Ltfsang der Seholfragen Tersehiedene Factoren coneorriren
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„Da ist der Staat, da ist die Kirche, da ist die Familie, auch die Ge-
meinde ist genannt worden. Ich möchte noch etwas änderet« hinzufügen, was
zunächst durch den Lehrerstand vertreten iat, nftmlich die Bildung, die aas
dar Witianteliaft hArvorgeht, aa dar steh der VdküehaUelirer seinen Theil
hat." Neben diesem weiteren Faetor — der Wissentebaft — , der bei LQsuiir
dieser Frage in Betracht zu ziehen ist, stellte der Eedner das Verbftituis von
Staat und Kirche in Beziehung auf die Sclinle fest. Die lieiitipre Schule,
wie sie besteht, ist ein Werk des Staates und des großen wissenschaft-
lichen Fortschritts, darum bat der Staat in erster Linie ein Kecht aof die
Sehnle. — Von gegneriseher (katholischer) Seite wurde henrorgehoben, „dast
wir ans ini abschUgem Wege befinden, wenn man darauf hinarbeite, der
Lehrerwelt eine ganz aufsichtslose Aratsführang zo verschaffen. Dieser
Weg tühre uns zu Dingen, die bis jetzt nur als Ziele der Socialdemokraten
bezeichnet wurden sind." Diesen Ausfülirungeu trat ein Eedner der Linken
eaergtoeh gegenüber, welcher unter anderem betonte, wie UlUg nnd niehta-
sagend der diesmal nr Abwedudmup gegen sie gekehrte Yonnirf der Forde-
rung des Socialismns sei. Die Abstimmung am dritten Tag ergab folgendes
Besultat: 57 gepen 2() Stimmen waren dafür, „dass in Städten mit mehr als
25 för die Angehiirigen einer Confession bestimmten Volksschulclassen für diese
die OrtsschulauMcht einem oder mehreren Ortsschulaufsehem, welche die
Bef&hignng an einem Klrehenamte nicht haben, Übertragen werden
kann."
So weit wäre alles ^ut und schön; aber die Kammer der Abgeordneten —
denkt und die der Standesherren — lenkt. Dieses kleine Zugestiindnis an He
Lehrerschaft, das zur Zeit außer Stuttgart noch 4 weitere Städte getroden
bitte, kam den meiil katheUsehen Standesherren an nidleal Ter, weshalb sie
dem Beschlösse der anderen Kammer nicht beitreten kennten. „In Württem-
berg hat von Jeher der Grandsatz der geistlichen Aufsicht über die
Volksschule bestanden." Über die Universitäten und höheren Lehranstalten
früher nicht auch ? „Die Wirkung dieser Einrichtung ist eine wahrhaft segens-
reiche gewesen." Ja wohl; der gesammten Schulzeit wusü für Religion
verwendet werden nnd die dessen sind grMtentheils an AbtheOnngsontenicht
genöthigt, trotzdem die Zahl der gleichzeitig zu unterrichtenden Schiller In
bildunpHfrenndlichster Wei.'^p nur auf die niedere Zahl 90 festgesetzt ist.
,Ein dringendes Bedürfnis zur Änderung dieser Einrichtung ist nicht zu er-
kennen." £s ist leider bedauerlich, dastt die Kinder des Volks auch in Uber-
fiUlten dessen noch viel an viel imrnen. Diesem Obelstaad mnss abgebolfni
werden. „Selbst aber, wenn ein solches Bediirfliis vorläge, so kSnnte es gegen-
über der I^rindpienfrage nicht als entscheidend erachtet werden.'' Ist natürlich
das T'rineip gerettet, dann bleiben auch die nnlialtbarcn Scliulzuständc be-
stehen. „Würden nunmehr auch Laien zur Ortsschulaufsicht zugelassen, so
wäre dies eine Durchbrechung des Princips von unabsehbarer Tragweite."
ist recht gnädig von den hohen Standeshenren, dass sie Schnlfaohmftnner,
die tagtBgllch im Schnlgesdiftfte thätig sind und deren eigenster Beruf die
•genaue Kenntnis der Pädagogik ist, als Laim bezeichnen. Es ist dies eine
vullständige Verkennung der wirklichen Sachlage. Wir Lehrer betrachten
die Geistlichen als Laien im Schulgeschäft und Schalbetrieb. Solange dieselben
nicht mit eigener VerMtwertUefakelt wealgatens ein Jahr lang eine Normal-
PUagasin» M« <'«^- Bcft IT. 19
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classe von 90 Scliülern in allen Volksscluiltacliern nnterrichtet haben, muss
uns Lehrern das Recht zustehen, sie als Laien zu betrachten. „Zwar soll der
Sache eine nicht unbedentende EiuBcbränkang gegeben werden. Gleichwol
erhebt ileli die Beaorgnis, dass, wenn man etannl y<m Prladp abgewlelieii iet»
man Mf eine nbeehlHlge Bahn geriUh, nnd daM nach nnd naeh, beeonden
bei dem jetzigen bedenklichen Zog der Zeit, immer weitere Folgen sich daran
knü])fen. und dass am Ende sich Verhllltnisse ergeben würden, welche nichts
weniger als erwünscht wären." Es ist schön, dass sich die Herren so kJar
und dentlich aussprechen. Es ist ja sicher, daas durch Einführung der fach-
mfUiniichen .SchidanMeht die SchnlverhSltnisse bedeutend gebeeeert würden,
womit eine Hebung der Volksbildong Hand in Hand gehen müsste. Gesteigwte
Volksbildung wiire allerdings etwas, was den Htncn nicht weniger als er-
\\ iinsclit wlire. Narht nniss es sein, schwarz, rabnischwarz I ilan tÜhre doch
au, was durch eine allmähliche Steigei-ung der Vulksbildung für den Staat,
die Gemeinde nnd die Kirche, wenn dieselbe nicht veiigeschoben wird als Deck-
mantel znr Befriedigung hietttrehisehar Gelfiste, Schlimmes entstehen ]c5nnte.
Nun, Geistlichkeit und Adel stiitzen sich gegenseitig. Mit 25 gegen 3 Stim-
men wurde der modificirte, bedeutend eingeschränkte Entwurf der Regierung,
soweit er sich auf Zulassung von „Laien" zu Schulanfsicbtsämtern bezieht, ab-
gelehnt nnd der 2. Kammer zur nochmaligen Berathung übergeben. Das Er-
gebnia derselben war, daaa jetst 45 gegen 87 Stimmen sieh gegen die Zu-
lassung von Lehrern aussin^chen. Uns Lehrern ist es recht, dass es so ge-
gangen. Was geboten wurde, wäre zu wenig gewesen und hätte eine durch-
greifende .Änderung, die ja doch nicht mehr zu lange auf sich warten lassen
kann, bedeutend verzögert. Die Lehrerscliaft nimmt aber, wie ein Abgeord-
neter sehr richtig bemerkte, die Bewegung för die FaehauMeht neu auf, ver-
stärkt durch den moraUadien Erfolg der Landtagsdebatten, und ihre Bestre-
bungen sind getragen von der Sympathie der bürgerlichen Kreise.
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Literatur.
Enist und J. Tews, Deutsches Lesebuch für Mädchenschulen
(Mit Berücksichtigung des hauswirtschaftlichen Unterrichts, i In drei Händen.
Band I. Haus und Heimat. (Für das 2. und 3. Schnljahr.) 2(30 8. 1)0 Pf.
Band II. Haus und Vaterland. (Für das 4. u. ö. Schuljahr.) 344 S. 1,20. Mk.
Bändln. Haas und Welt (FllrdM6.,7.ii.8.SchuUahr.) 563 S. 1,80. Mk.
Leipzig und Berlin 1891, Julius Klinkhardt.
In WUrdigune: der liohcn Wichtigkeit des Fainilicnlebona Tür die Bildung,
Gesittuni» und Wolfalirt der ganzen Nation, und geleitet von der (Jber-
zeugan^, dass dem weiblichen Gkscbleehte der mächtigste Einflou Mf die
Gestaltung des Fainilienlet)ens zufällt, haben die Verfasser in dem vorliegenden
Leäebucbe ein möglichst wirk.Hanl(^s Mittt 1 zur Bildung und Erziehung deutächer
MBddiew achafliMi wollen. Dos^ hierbei auch die hauswirtschaftliche Be-
lehrung Anspruch auf Berücksichtigung habe, ist seit langer Zeit in der
PSdagogik anerkannt, in der Praxis aber leider oft vergessen, daher in der
Neuzeit wieder nachdrücklich betont worden. Auch die Herren Ernst und Tews
erkennen diese Forderung als berechtigt an, wie schon der Titel ihres Lese-
buches zeigt, und machen in demselben vollen Emst damit, ihr zu genUgen.
Hierin liegt zugleich einer der (ürilnde, weshalb sie für MBdcbenschulen ein
besonderes Xiesebuch als wünachenswert betrachteten, w&turend bisher im all-
gemeiaen beide Geiehleebter in den VoHasehuIeB einerlei Lesebflcher bentitst
haben. Außer dem c^^-tibnten Punkte bat aber in dem neuen Lesebuche auch
alles andere, was dem eigenthttmlichen Wesen des Mädchens, der Lebeas-
stollong, dem Gefühls- una iBtereasenkreise des weibtielieB Gescbleehtes and
seiner naturgemäßen Ausbildung cntt<pricht, sorgfältige Beaehtunfr gefunden.
>iicht als ob die Herausgeber einer surüden Absonderung der Mädcheubüdung
▼OD der des mKaalichea Gesolileehtes VonHdrab leistea woUtea; Tielmehr haben
sie die gemeinsamen Grundlagen aller wahrhaft mensehlieben und natio-
nalen Erziehung zu voller Geltuns gebracht, so das» ein sehr großer Theil der
hier gebotenen Leaeetfleke aaeh den Knaben aatrftglich sind und tbataftohlicb
geboten zu werden pflegen: nur ist einerseits die Pflege der Gemiithswelt,
aniier.seits die praktische Vorbildung fUr das Leben speciell auf Wesen uud Beruf
des Weibes gegrBadet. Insofern wollen die Herausgeber allerdings ei ne R e f o r ni
des Mädrhenunterrichtes mibahnen und derselben durch ihr Lesebuch eine
Stütze bieten: demgemüli enthält dasselbe, durchaus auf 8ittlich-relig^ö.ser und
Taterländi scher «irundlage ruhend, „sowol die fttr die .Tugend beiderlei Ge-
schle'bts bewährien Losestoffe aus den SehStzon der deutschon Literatur, als
auch neue Lesestücke, die das Weib in seinem häuslichen Wirken und Sehatfeii
als Lehrerin der Kinder, als Pflegerin der Erkrankten, als Priesterin des
Hanaas, als (renossin des Mannes in Freud und Leid darstellen und dem Mäd-
ehen den Weg zeigen, den es arbeitend und schaffend selbst einst waudelu
soll, um die hoben .\nfgahen zu erfQUen, die dem deut^hen Weilie im deut*
adiea Volksleben für Gegenwart und Zukunft gestellt sind".
Wolthuend berflhrt hierbei der Umstand, dass die Herren Emst und Tews
sich frei halten von der stolzen Selbstüberhebung, mit welcher heute so viele
Pn(ieotmacher ihre „Reformen^ anpreisen und alles biaher Geleistete hcrab-
«etaen. Die Herausgeber dieaea aeuea Lesebadiaa aagen ansdrdoUich: „Wir
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halten dah Fundament unserer Volkbhchulc — also auch der Mädchenschule —
für ein du^^ hau^ g;eäundcfl: wir wollen dasselbe durchaus nicht erschüttern,
sondern im (Jegentbeil noch befestigen; wir wollen die Allgemeinbildung
nicht verflachen, sondern vertiefen: aber wir fordern mit derselben Ent-
schiedenheit, dass die Eigenart der weiblichen Natur und der Wirkungskreis
des Weibes auf allen Stufen volle W'ürdigung und Berücksichtigung finde."
So sprechen Männer, die etwas gelernt haben und wissen, was sie wollen.
Auch in der methodischen Anordnung der in ihrem Lesebudie aufge-
speicherten BildungHstoffe folgen sie (kin iiaturgcuiäßen und längst bewährten
ftdncine, nämlich dem der concentrischen lüreisei welches schon auf dem Titel
Hires Winkes erkennbar ist. Als IDttelpnakt alles weibKelien Denkens und
AVirkens wird überall Haus und Familie festgehaltcu , um den ^i^•h dann
die nächste Umgebung (Hof und Garten, Feld, Wiese und AVald, die Schule
und der Heimatsort), nner das engere und weitete Vaterland, die ganze Natur»
die Erde, der Himmel, die weite Welt in immer wachsenden Kr( isr ii herum-
lagem, indem alles von dem ersten, nächsten und beharrlichsten Schauplatxe
des DaseiiM aus betrachtet nnd wieder auf ihn mflekbcMgcn und so m im»
gezwungener W^eisc ein« tinheitlichr, nher immer tieftie und breitere Dnrdh-
bildung des Geistes und Herzens erzielt wird.
Somit können wir das hier forUegende Weik im Oannen, nach seiner Idee»
seinem Plan und seiner Ansfithning nur mit lebhaftem Keifalle aufnehmen.
Dass sich bei geuaaerer Kritik und beim praktischen Gebrauch in der Schule
im Einzelnen mancherlei Ausstellungen oder wenigstens Meinungsverschieden-
heiten ergeben werden, kann wol bei einem so nmtanglichen Unternehmen als
selbstverständlich vorausgesetzt werden. Vielleicht kann dieses oder jenes
Lesestück durch ein anderes ersetzt oder einfach gestriehen werden. Um
ein Beispiel anzufiiliren: Referent würde die beiden Sonette von Heine „An
meine Mutter" {li&nd III, S. 255 f.) gern entbehren; sie kommen ihm ziemlich
leer und „gemacht" vor, nicht au dCV Höhe ihres Themas stehend, innerer
Wärme und natürlichen Schwunges ermangelnd, jedenfalls nicht zu den be^f» n
Erzeugnissen des Dichters gehörend. Indessen — zunächst handelt es sich um
das Ganze, um die Hauptsache, und da können wir nur wünschen, die deutschen
Lehrer mögen das Werk ihrer beiden Collegen mit Wolwollen aufnehmen und
ihm die ThUren der SchuLstuben öffnen; sie mögen auch selbst durch gerechte
Kritik und gute Jvathschläge an der Verbesserung desselben, wo es noch noth-
thnt, mitwirken. Die Verfasser erklären sich beieit^ solche Unterstützung be-
reitwillig entgegenzunehmen und dankbar zu verwerten. Jedeni^Üs haben
sie durch ihre mühevolle Arbeit ihren Beruf zur Förderung deut:-rlier Bildung^
sattsam bewiesen; und die Verlagshandlung hat dem Werke durch scMnen,
oosteetca Dmck anf gntem Pft|»iere und durch billigea Pieii (ß Dradneiteii
gtoUn Fonnatee für elneii Pfträig) dia Veibieitnng erldditert, K. K.
*■ Prof. Dr. Karl Stejskal, Regeln n.WSrterTerfieichnis für die dentsche
Eechtschreihnng. .^nf Grundlage der vom hohen k. k. MiDisteriura für
Cultus und Unterrieht für die österreichischen Schulen festgestellten Recht-
sclireibung. Wien 1891, Manz. 166 S. Preis gebunden 60 Kreuzer.
Die vielen Eeformv ersuche und Verordnungen auf dem Gebiete der deutschen
Orthographie haben es endlich dahin gebracht, dass keine deutsche Ortho-
graphie mehr auf AUgemeingiltigkeit Anspruch machen kann, und man es
jedem Schriftsteller oder Buchdrucker überlassen muss, sich zwischen den ver-
schiedenen Systemen ohne heftige Anstöße durchzuwinden. Am Ende wird
man bei der nun einmal eingerissenen Zerrüttung unserer Orthographie dieselbe
fDr eJne Nebensache halten nnd weitgeheiide DuTdung gegen ihre Tersciiiedenen
Formen üben müssen. Allein in der Schule wird trotzdem eine Richtschnur
unentbehrlich bleiben, weil sonst Lehrer und Schüler rathlos und unange-
nehmea Folgen ausgesetst sein würden, da ja die Orthographie in unserer Zeit
zu einer Kegierungsangelegcnheit geworden ist - eine ?eltH;ime Erscheinung, aber
doch eben eineTbatsache, die Beachtung erheischt. Und so sei den üslerreichischeu
Lehren und Schulen der crthographisolie Leitfedea von Dr. St^duJ als Batli-
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— 261 —
Siber uad Wegweiser bciiteaa empfohlen; kano er auch nicht beanspruchen,
e wiMmschaftlich allein richtt|i:e Sohnibonif >u lehren, so ist er doch flrceignet»
vor amtlichen Verweisen zu sichern. SarhkenntDis und Fleiß sind boi Aus-
arbeitung des Bttdies za voller Geltunjr gelani;:t; die Ausstattung desselben ist
Fr. Nniler, Rathgeber f Ar Volkssohiillehrer. Dritte A iifiage. KitSTin
den Text gedrackten Abbildaiigeii. Langensalza 1891, Beyer A Sdhne.
Ö43 Seit. 0.40 Mk..
Ein tiurgttiltig auägcarbeitotes, in üciner Art recht gutes Buch. Es umfMtt
die preuoische evangelische Volktschulc in allen ihren Vcrhältuissea
und Beziehungen und ist daher sehr geeignet, den preuBiscbcn Volksschullehrcr
und Volksscbulbearoten in seinen Lebens- und Berufskreis einzufahren, den
nicht-prouBischen Schulmann Uber die iircii Bische Schulpraxis zu informiren
und zu einem Urtheil über dieselbe zu befähigen. Der erste (kürzere) Uauptp
theil des Werke« fllhrt „die wichtigsten Einrichtungen, Ordnungen und
amtlichen Bcstimmungca für VolksHchulru" vor, wälireiul der zweite großerel
den Unterricht in der Volksschule ausführlich behandelt uad hauptsAchlich
Lehrgänge fllr die Tenehiedenen ftAvlttite ntSttt Pxobdeetioaea bringt. S(off>
und stimdcnpliinc fQr verschieden gegliederte, kleinere und grBSm Yolks-
schulen schlieBen das Werk ab.
Da der Verftnaer, prantiaeher Seminarlefaier und Übungwehttlleiter, den
Hauptzweck verfolgte, in die fiu ti- 'h 1)i sti luMidrn Verhilltnisse und Normen
«inzufiihreu . sowie die jetzt herrschenden Methoden darzulegen, ohne ein
neues System aufteilen oder die Grundkgen der Pfdagogik nnd Didaktik
einer fundamentalen Untersuchung unterziehen zu wolleu, so iribt nein Buch
im wesentlichen keinen Anlass zur Kritik. Was er wollte, ist ihm gelungen;
die gegebenen gesetzlichen Weisungen sowie die literarischen Behelre für die
Yolksschulpraxis hat er mit Umsicbt iii seine narMtcllunc;- cingeflochten, womit
er zugleich die Pflichten und Keuhte des V'olksächuUehrerä iu den veracluedenen
Besiehnngen UargesteUt und demselben Mittel sur Fortbildung bekannt ge*
iimf'ht hat. D.
Prof. H. Heidrich^ Handbuch für den Religionsante rricht in den oberen
Classen. Dritter Theil: Glaubenslehre. Berlin 1891, Heine. 2r)4 S. 5,20. Mk.
Obwul da.s „l'ii(l;i<?ogium sich mit dem Religionsunterricht in der herkömm-
lichen Form wenig zu befassen pflegt, dilrfte es wol einer kurzen Anzeiire
des Heidrich'schen Werkes Raum zu <rtl»en lufit soin. da tlussellte principiell
einer besseren Gestaltung de« Rcligiuuduutinii ht.s keineswegs wider8trel)t.
Vor allem sei aber bemerkt, dass der Titel des unofi-zeigten Buches einiger
ErlSnterungen, bez. Zusätze bedarf. Es ist nämlich filr den Religionsunterricht
in den oberen Classen höherer Schulen, namentlich der Gymnasien, bestimmt,
wie denn der Herr Verfasser selbst preußischer Gjmnasialdirector ist; femer
hat er den R^Iigionsanterricht in erangelischen, speciell lutherischen
Sehnten im Auge, und endlich ist es nicht etwa filr die Hand der Sehttler,
sondern zum (iebrauch ftlr Lehrer bestimmt.
Was nun den Geist des Werkes anbelangt, so wird er am besten durch
folgende swei Gmndsitze gekennsefchnet: 1. „Nicht su der Hensdien Fitten,
nicht einmal der Reformatorou. nollcn Lehrer und Schüler sich setzen, sondern
zu den FiiBen dessen, der auch der Reformatoren Heister war." (Vorwort.)
2. „Nicht sunt .System der Dogmatik* soll der Sebtller der oberen Classen
geflihrt werden: auch hier ^Wt rn, iminor n v h mehr Krn>t zu machen mit der
HO sehr beachtenswerten Forderung der Erläuterung zu den Lehrplänen der h«ihercn
Sehnlea, dass auch, die liOtore Schule nieht Theologie Idire, sondern Religions-
nnteiri<Ät ertlieUe; daf System grhiirt auf die l'iiivr'rsitilt, nifht in tlon Si hiil-
nnterrieht.*' (S. 8.) Damit kann man wol einverstanden und unter heutigen
VerhUtniaMn auch zufrieden sein, besonders wenn diese Grundsätze so ernst,
besonnen, vomrtheilslos und mit so reichem Wi.><sen durcht^eführt werden, wie
es in dem hüchät beachtenswerten Werke des Herrn Prot. Heidrieb geschieht.
M.
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ۥ Jacubi, Bibel-Atlas zum Gebrauche an Lebrersemiuarien, Gym^
naiien and Bealsebnlen, sowie ffir Geittliche und Lehrer. N«ut
Karten mit erklärradem Text Siebente, ToilBtändiff omgearbeitete ond
erweiterte Auflage des „Atlat zur biblisehen Geecbichte'*. Gera, Th. Hof>
mann. Preis 1,20. Mk.
Ein äcbr gutes, uraktiscb t-mgeru-htttt-ä uutl schüa au^gct'ulirtCb , äcincoi
Zwecke eDtsprecbendea Lehrnuttel. A.
Ihr. Herai. WesendOBek, Der modern-relipidBe Wahnsinn oder Christi
Lehre — keine göttliche Lehre, Graf Leo Tolstois Evani,M Hum —
Narrheit. Leipzig: 1891, Selbstverlag des Verfassers. 182 S. 2 Mk.
Der Pädae;üg iiiu.«s .seine Zeit verstehen. Ein wichtiges Mittel, sie kennen
EU lernen, ist die zeitfi:enös6ische Literatur. Darum machen wir auf das ange-
zeigte Bucli uiit'iiurksuni. Wer nur Schriften aus irgend einem dor ver«
^rbicdeneu l.'anciliiger auf .sieh wirken lässt, wird ein l>ruchstückartiges, ein-
seitiges, rcrachrobenes Bild tob der Lage der beutigen Gescllsdialt und ihren
(teistes-strömungen erhalten. Darum gilt pb, nach allen Richtungen hin Vm-
hcbau zu halten und auch Bücher, wie das vorliegende ernster Prüfung zu
wflrdigen. Der Verfasser hat seiner Zeit im Deutschen Reiche die staatlich
OlganisirtMi und <'ontrolirrf n .'^fhiilin srunnit den gelelirtcn Studien rif*' ab>()lvirt»
int dann [tieußischcr (J yulUil^iilllcbrcl■ und preußischer Kreiss» liulin>|it t tur ge-
wesen, hat also mindestens ebcnsoTiel Anspruch darauf, gehört zu weiwiit
als viele andere, die auf dem Büchermarkt ihre iStimme eri^challcn Ia.s.seiL.
Freilich wird Wesendonck darauf gefasst sein müssen, dass man ihn todtzu-
schweigen oder todtzuseblagen versucht. Aber denen dies am Herzen liegt^
die mögen an ihre eigene Brust klopfen und bedenken, dass die hier ange-
schlagenen Töne, welche ihnen so grell in die Ohren dringen, nicht erschallen
würden, wenn nicht eine so unixcheucrc Suiiwne von Liitrc und Heucholei Tag
fQi Tag ffesxirochen, prakticirt und zu Ehren unserer vielberutenen Ulaubens-
und Gewissensfreiheit der Welt aufiifeKwaiigen wUrde. Wie es in den Wald
schallt, scluillt es heraus. Den guten Willen, die Wahrheit zu finden und
zu sagen, und nur sie allein, wird man Wesendonck nicht absprechen können;
wie weit er sie erreicht hat, das mag der Leser mit sich selbst ansmacben.
Da.s8 sich Wesendonck su viel mit Tolstoi beschäftigt, findet freilich der-
jenige ttlr übezflttssig, welcher, wie Referent^ den Herrn Grafen Leo Tolatoi
niemals Ar einen Propheten oder für ein grooes Licht gehalten hat. Die un-
gezählten Tausende aber, welche für ihn tfcschwürnit haben, luiigm nun auch
seine neueste Bescherung sammt der ihr auf dem Fuße folgenden Kritik ge-
nielkn! £. Ii.
Ulbricht ond Ki»n«l, Grnndsflge der Geschichte. 3 TbeUe. Dresden»
H5Ckner.
Diese „rJrundzUge" sind fUr den riiterricht auf der oberen Stufe der (ivm-
nasien und Realgymnasien bestiuiuit, und das hat für die Auswahl und die
Behandlang des StoflSes entschieden. Fast mliditen wir aber glauben, dass»
was d.is erstere lietrifft, dos Hüten etwas zu viel geschehen ist, besonders im
111. Tbeiie, der Neuzeit, wo au Namen und Zahlen so viel geboten ist, dass
nur ein Torsllglich hegahter .TüngHng bei groSem hBvslichen Flei6 den Stoff
sich einprägen, kauin iliesi r alier auf die Dauer ihn behalten wird. Die IW-
bandlung des :Stuncs dagegen ist vortreftlich: knapp und doch klar. weiiUber-
aichtlieh; pragmatisch, also rrsarhen, Folgen, beeinflflssende, begleitende Uiu-
stiinde scharf hervorbebend, ohne doch das biograidiische Elemcnf zuriick-
ziMJräniren. — l>eni ..Mittelalter" ist, das dürfen wir nicht ühertjelicn —
eigen ihiindicb, dass es auf die wirtschaftlichen Verbältnisbc Wert Icct und so
nach dem Vorgange Xitsche's i'aiiitel heranzieht, die bislang die Lelirbücher
vernachlässigten. Gar manches Ereignis erhält, dadurch eine ganz andi re I>e-
leucbtung. Wenn wir dem Buche noch einen Wink gehen soUen, wie es fQr
den Unterricht brauchbarar werden könnte, so ginge er dahin, die Art de»
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Itriukcs, iDAbesiuuder«^ der ZilUiu iiud Biali»iiibcu zu auderu. Hier ließe sich
virics übersichtlicher und zwcckuiäßiger gestalten. W.
MMU^r-Däudliker. Lehrbuch der allgenieinen (teschichte für höhere
Volksschulen. Seminarien und Mittelschulen. Zürich 1891, Schult-
hess. 3,60 Mk.
Für die mittleTen der drei geaaimten Schulen bulten wir dieses Lehrbuch
am bruuclibarsfon. Im «iofii'cnsatze zu den inei^ft'ii hchrl'iicheru. die Kaiser an
Kaiser, Krieg an Kriojf reilien, ffti-st es die gesohiibtliehr i-Jutwiiklung tiet* r,
wie dies srhou aus der Grupiiirung des Stoffes, der AusÄiheidung von gewissen
vcrcin/clt sti llenden riiaf-:\i Inn und der ZusaninionzicLting des sachlich Zu-
buuiuiengehurigeu erhellt, dies nun unter eine biibere Einheit gefasöt und nicht
ganz äufierlich aneinander gereiht erseheint. leh denke dabei be.'^onden; an die
Kaisergeschichtc des Mittelalters, an die Rlimerzüge u. s. w. Au< li die neueste
Geschichte ist in dieser den Stot!' beherrschenden Weise erziihlt ^z, ß. Einiirung
Italiens, Einigung Deutschlands, nationale Bestrebungen im IHirkenreich). Bei
einem Schweizer Lehrbuch braucht man das eigentlich nicht zu erwähnen,
daas es der Entwicklung des BUrgerstandct« und seiner Bedeutung fl\r die
CulturgCijohichte überall gerecht wird. W.
Edni. Meyer, Leitfaden der Gescliichte in T;ibelleiif<n la für jireußische
höhere Lehranstalten. lI.Theil: Mittelalter. Berlin 1Ö90, Weidiuauu.
Das diarakteristiscbe dieses Leitfkdeiu liegt auter in der Tabeilenform in
manchen eingestreuten Bemerkungen und Fußnoten, wrlehe Hinweise enthalten
auf die noch andauernden > ach Wirkungen der mittelalterlichen Ereig-
nisse. Gewiss ein gesunder, beherzigenswerter Gedanke. Gar Tide« aus dem
Mittelalter Ii.if ja nur vnn diegem ( iesiebt>)»unkt aii.s betrachtet fi\r die Jugend
Interesse. ~ Ein anderer Zug kennzeichnet diesen Leitfaden als ein Buch fUr
die oberen CluseB der höheren Schulen: Die naeh dem Originaltexte mitge-
theilton (,>tiolloncitate ftnuneist Charakteristiken der Herrschor^ und der IJoich-
thum an Detail, bewniuin was die deutsche Kechtsgeschichte bctritlL W.
Heine, Die Geschichte in tabellsriBcher Übersicht. 2.Avfl. Hannover
1891; Hdwing.
Ahnlich wie Edm. Meyer für preußische (;ymnasi(*n hat Heinzc die
(»eschichte in Tabellenform für Lehrerseminare zusammengestellt. Aus den
Verschiedenheiten der Lehrzicle beider Arten von Schulen ergeben sich auch
die .\bweichunpeu in dem (Quantum des mitgetbeilfen Stoffes und einige andere
Vers<-hiedenheiten, z. B. dort (^uelUnstellen in den Anmerkungen, hier iiiobts
derartiges. Beide haben aber durch die Form das Gleiche erreichen wolleu:
eine größere Übersichtlichkeit des I-enistoflVs . ferner die M<)glicbkeit, dass der
Schuler selbst den Stoff sprachlich einkleide und so vor dem baldigen meciia-
nischen Lernen bewahrt bleibe und ihm außerdem die Repetition erleichtert
werde. Was leicht hiitte vermieden werden können, ist der stete Gebrauch des
Prilsens statt des Inii>erlects. Der Blick des Schülers »oll in die Vergangen-
heit gerichtet sein, und das Buch sagt Z. EL 1097 wird Nicäa crubert. \V.
ditz, Dentsche •Tcschiclite in Fragen und Antworten. 3. Auflage»
Nürnberg 18Ül, Korn. l,4ü Mk.
Wir haben seinerzeit die zweite Auflage dieses Baches im Ptedagogium an-
gezeigt und freuen uns, divss der Verfasser die dort gegebenen Winke zur
Verbessemng seines Katechismus in dieser neuen ^»^^(^1^^^ verbesserten''
Anfing« benutzt hat Sdum der Druck macht diese Ausgabe viel praktischer,
auch die Uberall durchgeftlhrtc <irupidniug der Antworten und die Aufb'isung
mancher Fragen in L'nterfragen; aber auch sachlich ist manches viel besser
als In der letsten Auflage. Einiges ist anBerdem nen Unzagekommen und
auch der Anhang: um eine (auf (Jrund der im Lehrbuch zerstreuten Einzel-
tragen zusammengestellte) £ntwicklung8£rage vermehrt. iSolcbcs „Operiren''
mit dem Steife m lehren ist nicht das geringste Yerdienst des Buches. W.
Dietleln, Die Weltgeschichte. 8. Anil. Brannschweig 1891, Appelhaas dt
Pfenningstorff. 1,80 Mk.
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— 264 —
Dieser Leitfaden, bestimmt fiir Sdiiiler iiud Sohiilenanea iu Bürger-, Blitt^l-,
Präparandcn- und höiieren MiidchenAcbuIen, nimmt bei der Auswahl des Stoffes
bereits Rücksicht auf den bekannten kaiserlichen Erlasa vom 1. Mai 1889 und
widoiet jedem größeren Abschnitt der politibchen (.ieschichte immer auch einen
Paragraphen „Culturgeachichte". Das Lernen wird erleichtert durch eine
jedem C'apitel vorangestellte Disposition und durch eine ihr entsprechende Zer-
legung eines größeren Ganzen in Thcile, die durch Ziffern noch besonders
• markirt werden. Größerer und kleinerer Druck scheidet außerdem Wichtigere»
von Kebensftchliohem. Die Karten entsprechen dagegen nicht ihrem Zweck.
Es sind iliwr acht. Nr. 7: Deutschland znr Zeit der Hohenstaufen, Nr. 8:
Karte zur Geschichte Frii driclis dos Tiroßen! Es fehlen al>o Zwischenglieder.
Was ist die Folge? Der Kartenzeiclmer setzte auf die Karte „Uohenstaufan"
trisolnreQr Namen wie „Friedland, H. Waldetein, Pilsen, Wittenberg, Amlnas*'
1 ».! W.
flolfnieyer und Hering:, Hilfsbuch für den Geschichttiiiiterricht in
Präparandenanstalten. Hannover 1<S91, Helwing.
Auch dieser in 6. Auflage erscheinende Leitfaden ist bereits auf Grund deü
Eflamw Tem 1. Hai 1889 vmfeaibeitet. Die yenseit vm^Mst jetst die Seiten
156 — 816 und behandelt die (Icsrhirlitc bis zur Erwerbunjj: Helgolaiifls. T>rr
GesanuntStoff wird in 44 Capitel zerlegt, z. B. Cap. 14: Chlodwig, 15: Mohammed,
16: Bekehrung der Deutochen zum Christenthum, 17: Karl der Orole,
18: Heinrich I.. 19: Otto 20: Heinrich IV. etc. .Manches Capitel enthalt
aber aufler der (iescbichte der im Titel genannten Person oder Thatsadie
auch anderes; Capitel 20 z. B. auch die Geschichte Heinrichs IU., sadilidi
betrachtet also den Höhepunkt und den tiefsten Stand der Kaisermacht unter
den Saliern, üb also der Titel gut gewälüt, sei dahingestellt. Wir wtlrden
Heinrich UL ein cii^cnes Capitel einräumen wie Heinrich IV. Anerkennung
▼erdient im allgemeinen die leichttlioßende Erziihluntr. doch zeigen sich auch
hier noch manche stilistische Ungenauiekeiten z. B. Karl aß mit Frau und
Kindern zusammen und führte sie auf aflen seinen Reisen nüt steh. Das war
sehr lästig, denn er hatte keinen festen Wohnsitz und war fast immer auf
Reisen. 118). -r- Den Anhang dürfen wir um der dort luitgetheiiten Fragen
willen nicht unbesprochen lassen. Es sind ihrer siebenzig, und wir kOnnen wol
sagen, die meisten sehr gut gewählt. Die Beantwortung setzt voraus, dasn
der Schüler sich den Stoff des Lehr])uches nicht mechanisch angeeignet habe,
und darauf sollte doch jeder Lehrer als eines seiner Hauptziele hinarbeiten.
Nur wenn der Lehrer so fragt, dass der Schiller eine neue VoisteUangKreihe
bildea muss, hat der Geschichtsunterricht Wert W.
Pk. Plattier, findet de grammaire et de litt^ratnre frangaiae.
J. BielfiBid k Karlsruhe, 1891. Prizid'abomiemeDt: nn an 7 fraae« 60.
= 6 marcs.
Unter diesem Titel veröffentlicht H. Plattuer, Verfasser von zahlreichen
trefflichett, besonders in Deutschhind sehr verbreiteten firansOeiicben Lehr-
bflchcrn, eine Zeitschrift, die sich die Aufjjabe stellt, alles, was für den Fnter-
richt int Französischen von bleibendem Werte ist, zu bringen. Für Freunde
und Kenner des Franzöifaehen tNMtinint, beeonden aber tStt Lduer dieser
Sprache, wullcti di'- ftfiulis in erster Linie das moderne Franzi/sisch in den
Kreis ihrer Behandlung ziehen, also nicht eine rein wissenschaftliche Publication
sein, ohne jedoch das Lateinische, das AltflransOeische und die anderen romanischen
Sprachen, insoweit «^ie znr Beleuchtung und ErklSmng des hentigen Spiadi-
gebrauches dienen, unberücksichtigt zu lus.scu.
Der erste Abschnitt. Grammaire, wird sich bestreben, nicht etwa die Zahl
der Kegeln, die, wie bekannt, nur zu oft der Laune der Grammatiker ihre
Entstehung verdanken, noch zu verniehreu, sondern dies^dhcn wie möglich zu
verringern und durch Beispiele, entnommen vorzüglich den Schriftstellern des
19. Jahrhunderts, zu stützen. Ebenso tindeii hier die anderen Zweitjc des
Sprachstudiums Aufnahme. — Die Litterature wird vornehmlich Aufsätze
bringen, bestimmt, die Kenntnis und Erklämng der beliebtesten Scholavtoren
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SU fördern« — Die Pages choisies »ollea dco Letter mit merkeuäwertun
SleOeii mi bekannten Btlehem oder solche, die es so sein ▼erdienten, rertmat
machen. — Die Analyse critique will nur wirklich berltnfende literarische
Erscheinungen berttckfiicbtiiBren. — Die Kcvue des revues stellt sich die
Aufgabe, dea Inhalt einiger sprach wlsscasdiaftlichen Zeitachriften in mSg^ichiter
Kürze zu renimiien, o^e sich jedoch mit trockenem Aufzählen der Namen
der Autoren eu begnügen. Aber anch die Erscheinungen der letzten zwanzig
Jahre sollen einer Rflckschau unterzugen wi rden. Auch metbodi.%che und
andere üntcrrichtsfragen werden in den Etudcs hesprochon. S<hlicßlich öffnet
die Petite correspondance ihre Spalten allen Mitthcilurifjon. Fnif^en. Aut-
worten seitens der Leflei.
Wir rathen allen jenen, die sich auf eine verhältnismäßig^ billige und beijucme
Weise einen angenehmen und verlässlichen Fllhrer beim Studium des Franzö-
sischen verschaffen wollen, die Yorlicgende vielversprechende Zeitschrift zu
abomniren, und sind der Überzengong, dass sie uns fJBa diesen Bath dankbar
■ein «erden. E. K.
Dr. 0. Strien, Elementarbach der fransSsisehen Sprache. 97 S.
Halle a. S. 1890. Verlag von Eugen Stein.
Unstreitis; einer dei besten Lembeheil'e ^Ur die eiste Uaterzichtsstufe. Der
VerfasBer imdet, dam den meisten EfementarMohem, die den Forderungen
der neusprachlichen Reform Rechnung tragen wollen, ein Mangel anhaftet:
der zu schwierige Text. Um denselben zu beseitigen, verwendet er in den
ersten Nnrnmem der enten AbtheOnng seines 'Werkehens eine Aiunlil ftraa-
zösischcr, schon eincin zehnjährigen Kin<Ie geläufiger Wörter, geht also von
einem theüweise iiekauuten aus. Dass ein solches Verfahren die iicception
and die Bcfrodaction «rleiditerfc, ist Uar. Die AnfiuagdectioaeR der 1. Ab>
thcilung, die der Autor selbst verfasst hatte, um ein allmähliclics Fortschreiten
vom Leichten zum Schwereren herzustellen) sind dem Inhalte nach dem Leben
des Kindes in Scbnle und Haus entnommen. Eingefttgt ersdieinen denselben
einige der Altersstufe des Zr.glings entsprechende Verse und rJodichtchen.
Unter £ stehen diu auf das LcHcHtück bezüglichen Fragen; C bringt die Bei-
spiele in den aus dem Lcsctextc zu entwickelnden Regela, wthrend D Anf*
gaben nur mündlichen und schriftlichen Fiutihung der letzteren vorführt.
Der 2. Abschnitt enthält eine dorn vorhergehenden entsprechende Zahl
deutscher Lectioncn, deren Inhalt dem der < orresjtondirenden Nummern dM
1. Al)schnitt8 entspricht und somit (ielegenlieit i;il)t, das franz. Stfick in etwas
veränderter Form wieder/-ug*;ben. Hierin stellt wol der Verfasser mit den
von den meisten Neuerern Tertretem n Anschauung im Widerspruche, und
auch \^ir würden im Interesse des Buches und dem der lernenden Jugend
wUns( hen, dass derartige Forderungen mit weniger Ungestttm gestellt würden.
Eine systematische Zusanmienstellung des bebuidelten gramnatisehen StolBes
durch Betspiele soll die Regeln ersetzen.
Das allerliebste RQchlein dürfte nach Inhalt und dessen Behandlung der
Au%abe vollends entsprechen, die der geschätzte Reformer 3Iünch dem ersten
Jahre des franz. Unterrichts zuweist, denn es ist ein wesentlich propideutische«.
Die inneren Vorzüge weiden noeh durch einen seinen und groten Druck, dar
dai4 Werkcbeu sofort als ein tta die Jagend bestimmtes erkennen lässt, erheb-
lich vermeiirt. E. R.
Dr. H. Strieil^ Lehrback der franz. Sprache. LTheil. 148 S. Halle a.ä.
1891, Verlag yon Engen Stein. Geh. 1,40 Hk.
Das Peiwuni der Quarta enthaltend, sehließt sieh dieser Lelirirang an den
obgenannten an. Beide sind nach denselben Ürundsätzeu bearbeitet und
gleidi eiagefiditet. Der Inhalt der Lesestttelra ist ein mannigfaltiger: auch
die Landeskunde und franz. Geschichte finden .\ufnahinc. Der dritte Abschnitt
bietet nur zusamuieuhiingendu Stücke zum Übenfetzen aus dem Deutschen.
Diesdben sind theils Umarbeitungen der entsprechenden franz. LesestSdce,
theil« inhaltlich von denselben verschieden, doch so gewählt. da»s nur aus-
nahmsweise die Angabe eines neuen Ausdrucks nothwcndig wird. Auch dieser
Arbeit mn^s man die vdlste Anerkennnag zollen and wünschen, dass der
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— 26Ö —
2. Theil des Leiurbucbcs, dessen Eracheincn schon in kflnester Zeit in Aussicht
gestellt wird* eine den beiden Tontdienden ebenbUrtiK« Leistnag werde.
K. H.
J. Pülljer, Sclmlvürsteher in Altona, Lehr- nnd Leinbucli der franz.
Sprache. 2. Aufl. II. Theil. Hannover 1801, Verlag von Carl Meyer.
203 S. 1,60 MtL
Die iiietbodischen < I( >i( liti<jiuiikti', von denen sich der Verlafi.*er der Be-
arbeitung dei iweit«u Theileti ieinen Lehrbuches leiten ließ, sind gleich den-
jenigen des von uns bereite besprochenen entea Thefles. Beide bilden ein
zusamni< iihiin<ren(!es (Janzc Prinriii nnd Durchführung venlienen all dtLS Lol»,
das dem Herrn Autur vou der l'acüpreääe geworden. Die Wortbilduog, deren
eingehendere I'flege von so vielen Seiten befürwortet wird, zieht sich auch in
dem vorliegenden Lehrtexf<' nnter steter Anlehnuntr un dm ^l)nng^>tofif dnrch
eine Reihe vou Leetioucn hin. Der Verfus^^er holtt, dass die Benutzung des
zu etymologischen Übungen dienenden .StoÖ'es fttr die sprachliche Itildung der
Schüler von nirlit <r>-ri'nt:^ein Werte sein wird — und diese Ansicht wird jedef
erfahrene Schnlmann mit ihm theilen. E. R.
¥. H. Schueitler, Lehrgang der franz. Sprache für Kaafleate und
Vorichale snr frans. HandelscorrespondenE. 2. Aufl. Dretden 1891,
Verlag von Gerhard Rühtmann. IKl S. 1 Mk., geb. 1,20 Mk.
Was noT xa oft bloße Phrase, ist hier Thatsache: Das Wcrkohen H. Schneitlcrs
entspricht einem tiefgelilhlten IJedttrfhisse. Mit welchen Schwierigkeiten jene
zu kftin^)fen haben, die französisch nur in der Absiebt lernen, uni sich die
Kenntnis der Handelskorrespondens in diesem Idiom anzueignen und zu diesem
Behnfe sich an der Hand irgend einer Onunmatik mit den Elementen der
Fremdsprache vertraut machen, dann erst zn einem Handhuche der franz.
Correspondcnz greifen, weiß der Befcxent, als Lehrer an einer Handelsschule,
nur zu gut. Den offenbaren ITmweg — nnd diesen macht man fiast aasnabms«
los, da es an einem für diese Zwecke brauchbaren Biichf liishuiij f iilte will
nun H. Schneitier durch Veröffentlichung des vorliegenden Lehrganges, der in
erster Linie die Bedflrftiitfle der Handelsschvien, kanftnännischen Fortbildung«»
schulen und iilinlii In r Anstalten im Auffe hat, dem Lernenden ersparen.
Aus der tirammaiik führt dieser Lehrgang nur die für die praktische Uand-
habung der Sprache «nbedingt nothwendigen Elemente vor. Der Yocabelsdiats
nnd die I'iiraseologie gehören ausschließlieb dr r kaufmiinuischen (Jeschafts-
aprache an. Der Ubungsstofi ist zum grüßten Theilc der „l'orrespondance
eonimercialo von P. 9. Aufl." entlehnt. Es ist somit begreiflich, dass der
Schüler, irreift er -niiter zu ircend einem Handhuche der franz. Corresjiondetiz,
etwa zu d' iii eben aniiefiihrtcn, eiulianzes vor sich hat, dessen einzelne Tlieile
ihm bereits bekannt sind. Deutsche Übungsbeispiele enthlUt das Buch nicht;
diese sollen durch Ketroversion der t■ranz^si^^hen ersetzt werden, nh aber
das Interesse des Lernenden und auch der Erfolg nicht dnrch \veni<rstcns theil-
weise Benicksichtiirnnir der be recht i öftesten Fordemng d<r nenspraehlichen
Befonner erhiiht würde, wir meinen die znsamnienhftncrende LectUre, dies geben
wir dem Herrn \'erfasser zu bedenken, ohne den Finfang des Buches zu ver-
größern, könnte eine .\nzahl auf den Handel, Industrie u. Ä. sich beziehender
Lesesttteke beigegeben, dafür viele zur Veransehauliehung nicht unbedingt
nOtbigc Einzelsätze ausgeschieden worden. Allein, selbst in der gegenwär-
tigen Fassuni; zeu};t das Buch von dem großen Fleiße und der ungewöhnlichen
Sachkenntnis des Verfassers, und wir hoffen, dass t^eine Arbeit in den Kreisen,
für die sie bestimmt ut, freudige Anfriahine linden wird. £. £.
M^moires du Marqais de Ferri^res snr la r^volntion fraD^aiee et
snrrassembldeconstitnante, herausgegeben nnd erklärt von Dr. P. Pf rle.
107 S. nnd einem Plan von Paris iro Jahre 1793. 1,50 Hk.
M^moires et S'ntivcnirs du Comte de Lavallette, heraoegegebeil Qud
erklKrt vou Dr. J. Sarraziu. 114 S. 1,50 Mk.
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Gehören zu der äauuuluufi; gcticUiulitliciier (^ucUeuwerke zur ueut>|iracliiicheii
Leefelbe im Mberen ünteniehte, die unter ÜMdigratOBsiBeher Mitwirkunir von
Dr. Friedrich Perk' hi raiii^irrpclMii wird und bei Max Nicinryor. Halle a. S.
Tedi^t ist. Diene SauiuUuug, umfassend bis jetzt H elegant autieestattcte
Biaddien, will eine Tertieftere und mniittelbaxere Erkamtnis der National-
cntwiikoliini:: der Franzosen und Enirliiudcr durch die Schulirrtüre fördern.
Dic^c C^uellfnüchriiten — Kudeu, Briefe und Meinuiren — Htcllcn sieh in erster
Linie den deutschen Bealgymnasien in den Dienst und behandeln insgesammt
£rei|B:uitisc und Zoatlnde, die im anderweitigen Untesiiehte bereit» be^rochen
wurden. E. R.
Cic^ruu et ses amis, etude sur la soclete romaiue du temps de
C48»r, par Gaston Boisaier. Ansgew&Ute Abschnitte xnin Scbnlgebrandi
heranagegeben von Dr. K. Meyer. Halle S. 1891 , Verlag von Max
Niempyer. 151 S. 1,20 Mk.
£in glücklicher Gedanke war es, einige Abschnitte aus dem obgcuauuteu
Ureaeklteten Werke des Akademikeis BoiBsier in nsam deipbini herauszui^ben.
Da T^oissior in demselben in äußerst fesselnder Weise besonders die inneren
Zubtiinde der ücächichte Kouis schildert, welche dem Primaner eines deutschen
G3rmnasium8 bereits sum Theile bekannt sind, so wird die Lectfbft des Ausznites
zur Vorriefung und Krweitorunc: seiner historischen Kenntnisse nicht wenig^
beitragen. Da der Herausgeber selbst gesteht, dass zum gründlichen Ver-
ständnis dieser Leetüre numliaftc arehäolojsische Kenntnisse erfbrdeilidi
sind, so liegt die Krage nahe, ob es nicht im Interesse der Sache wäre, die
die^ibczüglichcD, nütliigen Erklärungen sei cn in Fußnoten oder im Auhauee zu
geben. E. R.
BAauni^ de l'hiatoire de la litt6ratnre fran^jaise par Alfred Ab8]HIc1u
Heidelberg 1892, Verlag von Julius Groos. :m S. 4,50 fr.
Der Verfa.'«eT war, wie er in der Vorrede bemerkt, bestnbt. besonders
jene Geisteswerke hervorzuheben, deren Verdienst und Bedeutung die gesunde
Kritik und der gute Geschmack mehrerer Generationen anerkannt iiat. Nicht
jedennauus Sache ist es, eine Literaturgeschichte zu schreiben. Da uns nun
der Autor versichert, bei der Bearbeitung des vorliegenden Handbuches alle
in Sachen der Kritik maßgebenden Werke zu Rathe gezogen zu hnben, so .sei
es auch jenen empfohlen, die sich nicht blos mit wolgedrechselten ästhetischen
Phrasen snfiriedenstellen. Für Gandidaten fta FraonSsiscb an Osterr. Bürger^
schulen scheint es uns ganz passend zu sein. £. R.
Bibliotbeqne fran^nise. Dresden, Verlag von Gerhard Rtthtmann. Preia
pro Hand geb. üO Pf., Dopi»elband 90 l'f.
Obgleich in erster Linie für den Sciuilgeliraucb ht'>timiiit, hat die vorliegende
Sammlung von französischen Jugendschriften bereits die stattliche Zahl von 62
Bändchen, von denen die meisten in mehrfacher .\uf läge, aucb in Privatkreisen
große Verbreitung gefunden. Erklärende Fußnoten, ein vollständiges Wörter-
verzeichnis und die auf jedes einzelne Capitel sich beziehenden Fragen am
Ende des Buches unterstützen die Lectürc und die ConTersation in erwünschter
Weise. Die Auswahl ist eine recht gediegene; die besten franz. Jugendschrift-
steller finden wir darin vertreten. Somit können wir die Bibliotbeque fran-
vaise den ächttlern und allen jenen getrost empfehlen, die um eine gute und
angenehme tmm. Jugcndlectttre verlegen sind. £. R.
Br. Johann Ad. Griesmann, Director in Leii)zig, Der Rechennnterricht
in der Volksschnlo. Leipzig. Richter. 201 S. 2.75 Mk.
Der Verfasser bemerkt iui Vorworte, dass durch die Einführung des dccimal-
getheilten Htbus-, HaB- und Gewichtsystems die Bedeutung der gemeinen Brfiche
für deu \"oIksunfi'iri( ht inrlir in den Hintergrund. da::* ir< ii jene der Dceimal-
brüchc in den Vordergrund gedrängt worden ist. i>ieäe Veränderung wurdo
aber sofort nur von einem Theil dar Ldame eillMMt, während die ttbriffen noch
heim altea Vorgänge vciharrten; somit ist denn ein gewisses Schwanken, eine
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(Insicbcrhcit iu Bezug auf die StoffTertheÜung in den eiazelaen Schuljahren
eingetreten. Der VerfasBcr widmet »ein Buch seinen (^lletfen an den Leipzi^r
Volksschulen und hoflft dmnit zuniuhst an dieson wirdrr einen einheitlichen
Yoigaiur SU enielen. Wir meinen, das» der Verfasser die au^eq^rochenc Ab-
sieht Twlkonimen errtidit hmhe, vmä itm ielne'Aibeit dieQrandngre eines ge-
deihlichen und einheitlichen ('ntfrrichtes zu bilden vornii>( . auUerdein aber
noch höchst beachtenswerte GrundzttffO enthält. Gleich in der Einleitung hat
er uns widuhsA; erfrent dardi den Naehweis, dais hei der Dfrision, „Hessen"
und „Tbcilcü" zu unterscheiden eine unniit/f Zeit- und MUhe-Vorsrhwenduug: sei,
da doch die Benennung des Bechnungsergebuisses die Folge eines Urtheils ist»
welches rtm BeehnrntgsTorgange gans unabhiogig gebildet werden musi.
Auch sind wir sehr einverstandeu mit der Bemerkung, dass die VolkHsrhule
im Rechnen sich jeuer Ausdrücke und Formen zu bedienen habe, welche bei
den Mafhenifttikeni fon Fach gebrSneblieh sind. — Dagegen können wir der
Euipfehlune: des Recheiikastens von TiUieh im allgemeinen niclit zustininien;
obwol wir dem nicht widersprechen können, dass er in der Hand eines ge-
wandten Lehrers gute Dienste su leisten TermOge, so verdient im allgemeineii
doch die Kofeliechenniaschine den Vonug.
Fftr das ers-tc Schuljahr setzt der Verfasser als Hrenze des Lehrstoffes den
Zahlenraum zwült; wir halten die Grenze zwanzig tür richtiger und wichtiger
nnd wissen, dass an den Schulen in Österreich mit dieser Abstufung die
licHteii Erfolge erzielt werden. Im üliritreii Itekennt sicli der Verfasser als
Anliaiiger G ruhe's und emptiehlt die BehandlunLr des Lnnaiinteu Zahlenraumes
nach des,sen Methode, womit wir durchaus einverstanden sind. In jedem folgen-
den Scbiiljuhre forderr der Verfasser zunächst die Wiederholung des Voraus-
geganfreiiea uu l gibt uucli trenau an, wie bei dieser Wiederholung vorzugeben
sei. — Dem zweiten Schuljahre fällt natürlich die Erlernung des Rechnens im
Zahlenraume bis hundert zu. Höchst beachtenswert ist die Bemerkung des
Verfassers, dum zuerst eine Grundform des Einmaleins wol einzuprägen sei.
che man zur Tinkehrung der Factoren sehreitet. (Die Nichtbeachtung dieses
Grundsatzes führt zu den traurigsten Misserfolgen.) — Ebenso müssen wir zu-
stimmen, wenn der Verfasser hervorhebt, der Wert des Rcchennntcrrichtes
liege wesentlich in seiner formalen Seite, durch welche die materielle stets
w^e surttckgedrängt werden. — Das dritte Schuliahr beschäftigt sich mit
dem Rechnen im ZaSlenmiinie hi« Tftnsend und der EinfBhmng in die Bmeh-
lechnung. Dabei bemerkt der Verfasser unter anderem, man habe in der
Sebule zumeist von der Benennung „Eilogramm" Gebrauch zu machen, während
die Benennung ^PArade" nnr gans avsnahmsweise zn gehrauehen sei. Es hat
nioh hierbei in der That die Schule ein schweres Versäumnis zu Schulden
kommen lassen. U&tte man sich den Rath, weichen der Voriasäcr jetzt erst
ertheilt, vor 20 Jahren zur Norm genommen, so wftre man heute Uber das
Wirrsal der verschiedenen Maßsysteme längst hinaus. Das vierte Schuljahr
behandelt den Zahlenkrcis bis zu einer Million und bis zu den Tausendsteln.
Es kommen mehmamige Zahlen vor, Jedoch nur flolehe mit dedmaler Theilung.
Mit der Einfi\hrunc: in die Bruchrechnuni^ wird weiter vorcfegangen. Mit dem
allen kann mau wol einverstanden sein und auch ganz besonders damit, dass
die Subtraction durch Ergänzung und die Division ohne Aufschreiben der Theil-
prodiiete gelehrt wird; dagegen sind wir nicht einverstanden mit der Ein-
fttbruug des Wortes „Vollzahl", welches der Verfasser bald für Minuend, bald
für Dividend gesetzt haben will. An sieh ist das Wort nichtssagend und daher
als Kunstwort nicht zu emiit'ehlen, aber durchaus verfehlt ist es, einem Kunst-
worte eine zweifache Bedeutung zuzuleufen. - Diis füutte Schuljahr ist der
Erlernung des Rechnens mit gemeinen und Decimalbrüchen gewidmet: daran
reiht sich die Schlussrochnunir, von welcher der Verfa-oser nicht verkennt, dass
ihr etwas (iekünsteltes anhattet, da die Autgaben, welche durch dieselbe
zwcekmäßig zu li)sen sind, dafür künstlich vorbereitet sein müssen. Für den
thatfiächlichcn Gebrauch empfiehlt er den Sehluss auf die Einheit, wie wir das
aaoh schon bei anderen gelesen haben. Am Schlüsse dieser Abtheilung finden wir
noch die Bemerkung: Der Bruch ist ein nngeaeigter Quotient. Der Verfasser
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UQterlähht auch nicht nac-hzuwciiiien , yriv. außcTordeotlicb fnu-htliur ilirsn
Erklärunc: i'iir die ganze DurcbfiUirung der Brucbrecbnung und für die Her-
i;ti Illing dos ZoaammenluBges swuchoi gemeinen nnd Decimalbiltehen in ver-
werten i»t.
Im seohsten Schnljabre beginnen die bilrgerlicben Rccbnungsarten. Im
«iebonton tritt noch dir ab^rckür/.te Miiltiplication und I>ivihion auf. und
die bürgerlicben Kechniuigbarteu werden fortwMeüEi. Dftbei empliclüt der
VeifuBer den Bmchsatz als die zweckmäßigste Form. Im «elit«n Sdraljahre
sollen die Schiller noch cinijfci< erfahren ühcr diis Rechnen mit Buehstabcn und
die AoflOeungen von ikstiiumuiigsffleichiuigon, sodaim Uber Weduel, Börsen-
eüeeten und ZineeniastniMilleB, enuich Uber Quadrat- nnd Kubikworseln.
Wir wurden beim Studium dcf vorlioß:cnrlcn Burhes unwillkürlich vermöge
des Gegensatzeii an das Buch des Dr. Hart mann, welches Uegenstand und
Titel mit dem 'vorstellenden gemein kat, erinnert. Beide nnd in gleicher
Heimat, nämlich in ?!ichs(>n entstanden; das ältere Werk ftlhrt uns einen sehr
ausgedehnten gelehrten Apparat vor: an betritt i»ozueageu den Schauplatz
mit gFoBem Pompe. Die OeBohichte der Methodik, ^e Pädagogik Herbarts
und Zillers werden als Srhunstiicke heranjje/.ogen. Viel einfacher tritt un«
der VerfatuKsr des vorliegenden entgegen; t»eine Bemerkungen sind Walirheiteu,
wdehe er ohne Zweifel durch schulmftnnische Erfahrung gewonnen hat, die er
aber angemessen zu begründen nicht versüunit. Was den Effect Itetrifft, so
müsHcn wir gestehen, hei Dr. Hart manu keinen gefunden za haben, /um
mindesten nicht einen solchen, welchen nutn ah P'ortichritt subeneicbnen ver-
möchte; dagegen ist das vorliegende Buch wo! dazu angethau, Zwiespalt ifrc
Heiuungeu und verscbiedenefi Vorgehen in einheitliche liahueu zu lenken und
auf eilUgieichem Wege xa gedeihlichem Ziele lu fBhien. H. £.
Feriiiaid Reese, Oberlehrer in Wismar, Elementargeometrie. Wismar,
Heinstorft 98 S. 89 Figuren im Text 1^ Ifk.
Deraelbe, Vorschale der Geometrie. Ebenda. 10 S. 0,50 Mk,
Der Verfasser nennt sich einen Schiller von Karl Snell. hndet aber, dass
dessen Lehrbuch sich fOr die Hand des SchQlcr« nicht eiirne, und hat deshalb
selbst nach der Methode von Thibaut-Snell, deren Vorzüge er als bekaant
voraussetzt, das vorstehende Lehrbuch der Planimetrie abgefasst. Wir müssen
gestehen nicht m wissen, was unter der genannten Vethodc sn -verstehen ist;
wir vormuthen aber, es damit der Vorgang gemeint, dass sich an die
Voraussetzung uumittelbar die Entwicklung anschließt, aus welcher bouach
mm Schinsse der Lehrsatz herauswichst; während man sonst die Behauptung dem
Beweise voranstellt. Von dieser Eic;enthnni]irhkeif ist «Jchon in der .Methodik
von Kcidt die Kcde, und sie wird nicht ahs eine unbedingt musterhatte biu-
gestdlt, weil es im Oegentheile wttnsclienswert erscheint, dass dem Schfller
da- Ziel bekannt sei, auf welches dii' Knt Wickelung lossteuert Reidt bemerkt
weiter, daä.s dat» Setzen der Behauptung vor oder nach dem Beweise oichtü zu
schaffen hat mit der Bezeichnung der Methode als analytisch oder synthetisch,
während ja ohnehin doeirend oder heuristisch nicht das Lehrbuch, sondern nur
der Lehrer verfahren kann. Im Übrigen beschränkt sich das Vorliegende auf
die Ldnen des Enklid; von neueren Sätzen ist nichts aufgenommen, daher wir
wol sapren dürfen, es genüge dic«er Leitfaden den Anfordemngen eines Oym-
nasiumä, aber nicht denen einer Keal^chule.
Dcfi Verfa.s:>ers Vorschule legt dem Eiuftthningsunterri( htc das Zeichnen zu
Grunde. Der Text enthält Erklärungen über verschiedene Fiiruren und .\n-
wcisung sie zu eutwerlcu. En hat gewlnä auch seine Vortheile, den Zeichen-
unterricht zur Profldeatik der Geometrie n venverten, obwol man (äa»
Zweifel raj>eher sum Ziele gelangt, wenn man die Schüler an Modellen zu
sehen anleitet. H. E.
Friedrich Junge, Hauptlebrer in Kiel, Naturgeschichte. II. Die Cul-
tarweaen der dentaehen Heimat nebst fluran Freunden und Fdnden,
eine Lebenagemeinaehaft am den Mentehen. I. Die Pflansenwelt»
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— 270 —
Kiel und Leipzig 1891, Lipsioft A TiBcher. XVI a. 371 S. Geh. 3Uk.,
gut geb. S.80 Mk.
Der Vvrfastiei dieäes Werke!) machte vor eiaigeu Jatirca eiu nicht unberech-
tigtes Anfwhen dareh sein Bnch „Der Dorfteieh als Lebensgeineiiiiebalt.'* Er
beabsichtij^to mit dciiisi Ihm di-m iiiiturhistorisohcn rntorrirhte in den iiiiteri n
Claasen eine andere Richtung zu geben, denselben aus dem schabloiienhaft^iu
Wege m einer wirklich pnktiwäen Bedeatnng tu bringen. Weniger war
ihm um das Eiuzohvcsnn hicrhoi zu thnn, als um das Ziisammonlohoii und die
Wechselbeziehungen der Lebewesen, um das Einheitliche der organischen und
llieilwdse selbst dernnovganiBohen Natvr in eioem abgegrenzten Ganzen. Ähnliche
Tendriiz vi-rfolirt iuieh das neuere, el>en vorlieerende Werk. Wie wir ))eim
„Dortteiche" dieser neuen Kiehfuuir alle Auerkeiinniiü: zollten und nur iiedeukt'ii
SnSerten, ob wol flberaÜ (auch in der Stadt) di* >• Methode praktiseb durrhzu-
filhrcn Hei, so nillsseii wir bei dem vorliejyciuk'U Werke »iniimwundeu da>
vollste Lob des Dargelioteiifn aus.sprerhen. — Da» ganze Buch griin<iet sich
auf selbsteigene Beobachtung — M)nst könnte es nicht mit solcher Wärme
geschrieben sein — und leitet den Lehrer an. zu seiner eisjeuen Belehrung
nicht nur die Natur zu beobachten, sondern auch durch Versuche der ver-
schiedensten Art in die Geheimnisse des Lebens der I'fianzen einzudringen
und dieselben den Kindern tiberzeugend zu erklären. Das Buch ist geradezu
ein Vadc mecum für den gewissenhaften Lehrer, welches ihm nicht blos in
dem Besprocheneu al.s Führer dienen soll und kann (es ist zumeist flir holstei-
nische, resp. norddeutsche Verhältnisse geschrieben), sondern ihn auch anleitet,
nntCT allen Verhält uissen und Himmelsstrichen den richtigen Weg zu finden,
wenn er mit denkendem Geiste dasselbe durchstudirt. Die rflanzeu sind in
einer gewissen systematischen Ordnung besprochen, ^weil es umnöglich ist, fär
aDe deutschredenden Schiller eine naäi Lebensgemeinschaften geonlnete Natvr*
geschichte zu sehreiben"; dal)ei ist aber das Prim ip der Zusammenfrclii»ria:keit
Sewisser Lebewesen und deren WeiAnelbesiehung darin festgehalten, dass anf
ie Sehtdlinge entsprechende Rtteksicht genommen ist und auch hie und da
auf jene Thiere. welche fördernd einwirken knnncn. Am li --ind in einitrcMi
Httckbiickeu, wie „Wahl'', pMoose", „Pilze", wirkliche Lci^eusgemcinächaften
gesehiMert., und mOchten wtr diesbezüglich besonders wai den Anhang mm
NValde. „die Knicke in Sr lile-^witr-Holsteiu" iinf'incrksam machen. l>em Ent-
stehen und \ ergehen der l'flauzen ist allerorten ein bedeutendes Augenmerk
gewidmet und hier seihet in ti^rgehender wissenschaftlicher, chemischer und
Hhysikalischcr Methode der Wcff angegeben, wie der Lehrer in iiiiaIoj?en Fällen
lorsüheu soll. Die Beschreilmngen sind überall höchst gewi>.scuhaft durch-
gefllhrt und andi, trotsderleider mangelnden Abbildungen i wir sind heutzut^^
so sehr daran gewöhnt) in ansohaulicbiter Weise (jojri bi ii. Her Verfasser ist
SU gewissenhaft, an vielen Orten anzugeben, au.s welchen Werkeu er, neben
seinen eigenen Anschannngcn, geschöpft hat. — In l»esond( rs gelungener
tTbersichtliehkeit gibt er am Schlüsse in einem „Rückldicke auf das Pflanzcn-
leben" eine physiologische Dai-stellung desselben, tiihrt die fordernden und
hindernden Erscheinungen an, so das> er damit eine wahre Hecapitulation
und Ziimimmenfassung des früher im Einzelneu (iesa;;ten bildet. In einer
„Zeittalui lur Beobachtungen und Versuche" leitet er endlich den Lehrer an,
wie er es einzurichten habe, an der Hand des Buches sich für seine Bedtlrf-
nisse die nöthisjeu Daten zu sannncln. — Auch bei diesem Werke Junge's
mflssen wir den Ausspruch thuu, diiss es für die Hand des Lehrers der richtige
Führer ist, um den naturkundlichen Unterricht zu einem wirklich ersprießlichen
Resultate zu führen, und dass nicht etwa nur YolksschuUehrer, sondern auch
solche hühercr Schalen aus demselben sehr viel lernen können und, wie wir
wflnschen, leinen weiden. C. B. B.
Jokannes WeiMlMfl, Der Garten des Bflrgeri und Landmaanet,
iasondttrhdt dei Oeistlichen and Lehrers anf dem Lande. Praktische An-
leitmiff, wie man sieh seine nächste Umgebnng durch Gemfise-, Obst- and
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— 271 —
Blttiiienzuclit angfenehtn machen und den größtmöglichen Nntsen daraus er-
zielen kann. 3. Auflage, mit 140 Abhttdungen. Laogensalia 1891,
Beyer Ä Söhne. 39G S. 4 Mk.
Referent, welcher selbst seit lunijeu Jahren sieb vid mit (iai teuhnu hesebäf-
ligt hat und mit der einschlägigen Literatur wol vertraut ist, kauu diw Buch
des Herrn Wesselböft besten« empfehlen. Dasselbe behandelt alle Theile dc8
Oartcnbaaes — die allgemeinen Bedingungen desselben, den Oemüsc- und
Obstbau, die Blunicn/.u« bt und «onstige Ziergärtnorei — mit fachuiännischcr
Sachkenntois, sowie mit iiinieichender Ausführlichkeit und Anschaulichkeit: es
wird sich daher allen Oartenfkeanden, beaOBden aber Lehrern und Geistlichen
auf dem Lande, ab nfltalieher Ftthrer und Batgeber enrehM». E.
Neu erschienene Bücher.
Emanuel Itavr. Steile Lateinschrift. Mit zahlreichen lllnatrationen. 2. Anft
Wien, Pichler. 175 Seiten Text. 2,40 M.
Hago Weber, Die Pflege nationaler Bildung durch den Unteiricht in der
Matterapnehe. OekrSnte Preisaohrift. 2. Aofl. Leipsig, Jnl. Klinkhardt.
249 S. 3 M.
F. Ilarbort, Socialdemolcratie nnd Yolkischnie. Hannover, Karl Meyer. 58 S.
80 Pf.
Otto Zuck, Bibellesen, im Aiischluss an biblische Geschichten und Katechismus.
I. Theil, das Alte Testament. 157 S. IL Theil, das Neue Testament. 164 8.
Je 2 Mark. Dreaden, KlhtniMUi.
Otto Zvek, Die Evangelien dea chriatlichen KircheiOahtea. Eine Hand-
reichnng nur Gewinnung ethiadi-teligiSBer Gedanken ana den Evangelien.
Erster Theil: Von Advent bis Ostern. Dresden, Ktthtnuuin. 163 M. 2 S.
(f. Kaack. Epistel-B öchlein. Die Episteln des Sclmljahres zum Gebrauch für
Präparanden, Seminaristen und Lehrer. Dresden. Külitmann. I5ßf^. 2 Mark.
6. Krause, Perikopen-Erklilrung. Erster Theil. Erläuterung von üü Evan-
gelien für alle Sonn- nnd Festtage des christlichen Kirchei^ahres für den
Unterricht der evangel. Jugend und die htnaliche Andacht der evaogel.
Ghriaten. 4. Aofl. Bremen, Heinaina. 240 S. 2 M.
Dr. BoUe, Dentache ÜbangsatAcke Im Anaehlnas an Wellera Leaeboch ans
Herodot. Hildbnrghausen, Eeaaehrlng. 92 S. 80 Pf.
D. Bernhard KofC^e, Theodor Korner ein Sänger und ein Held. Zum hundert-
jährigen Gedächtnis seines Geburtstages dem deutschen Vülk»^ geschildert.
Wittenberg, Herrose. t)2 S. 50 Pf. 10 Exempl. 4,50 M., 25 Exp. 10 M.,
50 Ezp. 17^ M.
M. Sitte, Unier Krieg von 1870/71. Seibatverlag, Berlin, Magdebnrgeratr. 12.
192 S. 2 M.
K. Krebs. Beiträge zum Geschichtsunterricht in der Volkeschnle des König-
reichs Sachsen. Leipzig, Rossberg. 144 S. 2,20 M.
F. O&nther, Aus der Geschichte der Harzlande. Viertes Bändchen: Aua der
Zeit der sächsischen Kaiser. Hannover, Karl Meyer. 92 S. 1 M.
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— 272 —
R. Helm, Heimatkunde von Leipzig. Ein Führer zu Schülerausflfigen in
Leipzig und seiner Umgebung nebst einer systematisclieu Heimatkunde.
Mit Abbildnnfren und Voselschauansicht. Leipzig, J. J. Weber. lJ)4 S. 2 if.
F. 0. Albert, Liederbuch für äcbalen. Enthaltend methodische ÜbuDgeu,
GhoriUe nnd Lieder. Zweites Heft^ 5.-8. Schaljahr. Altenbiirg, Bonde.
335 S. 80 Pf.
Rudolf Baatz, Formenstndien. Musterzeichnnngen für Schule, Haus und Gr«-
werbe. 110 Tafeln mit circa 500 Mustern. Frankfurt a. M., Ao^t Frey.
3,50 M.
H. Herold, Jugeudlectüre und Schäler-Bibliotheken unter Herücksichtigung
der ZettveriiiltiiiiM. Kit Autwahl und Inhaltsangabe guter Jugendschriften
und einem Vorwcirte von Dr. L.KeUBer. Wlnster, SchOnioj^ 146 S. 1 H.
IMetiieh The4«i, JugendgrüBe. Neue Geaehlehten Ar die Kinderwelt Mit
vielen Bildern. (Pnehtwerlc!) 145 S. Dresden und Wien, Universum,
Alfred Hanschild.
Kinder -Gartenlaube. Farbig iUustrirte Zeitschrift zur Unterhaltung und
Belehrung der Jugend im Alter von 7 — 15 Jahren, Baad XJ. Nürnberg,
Veriaff der Kinder-Gartenlaube. 288 S. geb. 2,50 M.
Neudruekepldagogiseher Schriften. Herausgegeben von Albert Richter.
Vn, J. B. Schupp, Vom Schulwesen. Mit Einleitung und Anmerkun^tu
von Dr. Paul Stötzner. 106 S. VUi. J. A. Comenius' Mutterschule.
Mit Einleitunj^- von Albert Kichter. 86 S, Verlag von Richard Richter in
Leipzig. Preis jeder Nummer 80 Pf.
€h. 0. Salxmaiu Ausgewählte Schriften. Mit Salzmanns Lebensbesehrelbnng
herausgegeben von Eduard Ackermann. II. Band. Langensalna, Beyer A SOhne.
294 S. -2.50 M.
Konrad Fischer, Geschichte des deutschen VolksKcliullclircrstandes. Ersteund
zweite Lieferung, ^ 48 S., i\ 50 Pf. llannuvej-, Karl Meyer (Prior).
Dr. Bernh. Heinzig, Die Schule Frankreichs in ilirer historischeu Entwicke-
lung beaottden seit dem dentsch-französiscben Kriege von 1870 — 71, nebst
einer Übersetzung des neuesten frans. Primtrsehulgesetses. Leipzig u.
Frankfurt a. M., Kesselring. 90 S.
Dr. ('. Kehr, Theoretisch-iii-aktische Anweisung zur Beliaiullung deutsclier
Lesestücke. Eine Methodik des deutscheu Spracbnnttrrichtes mit beson-
derer Berücksichtigung der ungetheilten Volksschule, ü. AuÜ., bearbeitet
von F. Martin. Gotha« Thienemann. 506 S. 4,80 M.
H. LQdemain, Plan und Stoff fBr den deutschen Sprachunterricht nebet An-
deutungen für die Behandlung des StoAlBS. Bremen, Rühle A Schlenker.
284 S. 4 M.
H. Messien, Materialien für die schriftlichen Arbeiten in der Fortbildungs-
schule. Auf Grund des Lehrjilans für die FortbildnngSSCbnlen des König-
reichs Sai'iisen. MeiUeii. Schlinii)ert. 63 S. 50 Pf.
Johannes lleyer, Archiv füi- die Praxis des VolksschoUehrei-s. irrster Band.
Muster-Lehrproben aus allen Untenichtsgebleten der deutschen Volksschule.
Hannover, Karl Meyer. 316 S. 3 M.
Vcnittwortl. B«la«(*iu Dr. Friedrich Dittea. nD«lidra«k«rei Jalint KliakhardI, Leipiig.
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Die kireklielie waä il% pliilMepliische Sittenlelire.
Von Directox Q^erU^InUeHmry.
Die rechte Erziehung bedarf klarer Erkenntnisse. Wer zur
Sittlichkeit erziehen will, mnss genau wissen, was ihm als sittlich und
hochsittlich oder umgekehrt als unsittlich und verwerflich oder frevel-
haft gilt, und welches Thun und Denken als sittlich gleichgültig be-
trachtet werden darf. Es soll darum bier g^anz objeetiv dargestellt
werden, weldie Ansichten als Hanptriehtungen des menschliclieii
Strebens nach Sittlichkeit gegenwärtig in der Welt esdstiren, nnd in
welcher Weise dieselben vom Mittelalter ab wfihrend der kirchlichen
Reformation nnd in der Neuzeit durch bahnlM«ehende Geister yei^
ändert worden sind. Es sollen jOngere*) Lehrer ond Erzieher dadurch
zum Studium dieser ernsten Fragen nnd zum selbststilndigen Denken
angeregt werden.
Während des Mittelalters stand das gesammte sittliche Verhalten
und Streben der Menschen im Dienste der Religion. Die große
allgemeine Frage der Glftubigen betraf das Heil der Seele nach
dem Tode und demgemäß den Erwerb des Gnadenschatzes ffir
das Jenseits. Demgemäß dachte man bei seinem Thun und Lassen
stets daran, wie dasselbe vor Gott oder der Kirche nnd den „Dienern
Gottes**, üea Priestern, ge&lle, und welchen Lohn oder welche Strafe
man dafür namentlich nach dem Tode zu erwarten habe. Man fürchtete
eine Nemesis wol sdion fOr das Leben auf der Erde; aber diese
Furcht trat jener viel größeren und nachhaltigem gegenüber leicht
in den Hintergrund. Je mehr der Sünder seinen Leidenschaften
firöhnte, je mehr er in leichtsinnigem und frechem Spotte sich über
jene Seelenangst hinwegsetzen wollte, desto mächtiger und verzehren-
der wurde er davon ergritfen, wenn Krankheit oder Unglücksfälle ihn
an seine menschliche Schwäche und Ohnmacht gemahnten, oder wenn
die letzte Stunde nahte und seine Seele neben den Todesqualen noch
Kann älteren auch nicht achadeo. D. R.
tmiagotUvm, 14. Jdvg. H«ft V. 20
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durch Gedanken an die Ewigkeit, an das göttlicbe StraljgeriGlit und
die ewige Verdammnis gemartert wurde. Der gute, müde, liebevolle,
redliche Mensch» der seine Pflichten gegen Gott und seine Ifitmenschen
treulich zu erfüllen strebte, seine Leidenschaften beherrschte und der
Kirche und ihren Dienern stets gehorsam und unterthan war, brauchte
2war Tor dem Tode und dem gOttUdien Stra%ericht nicht zu erbeben;
aber selbst bei ihm erwies sich die große Zeitidee so mächtig, dass
er unablässig bemflht war, „seine Seligkeit untei* Furcht und Zittern
zu schaffen^, sich stets als „unnfttzen Knecht** fdblte, weil er „nur
gethan, was er zu thun schuldig gewesen'', und selbst bei seinen un-
eigennfttzigen, edeln Thaten stets an den „Lohn im Jenadts** oder
mindestens an die beifällige Liebe und das Wolwollen seines durch
diese Thaten erfreuten Gottes dachte. Bei solch einer Gesinnung
dachte niemand daran, Lohn oder Strafe für sein Thun nur
von dem Richterspriirli seines Gewissens abhängig zu
machen, bei jeder Tliat lediglich vor sich selber zu bestehen.
Für jeden Christen des Mittelalters galt als letztes Gericht das ent-
scheidende Urtheil Gottes und Christi im Jenseits, und auf Erden (la>
Gericht der Kirche und der Geistlichen. Die Kirche mit dem Papst
an fler Spitze besaß in ihren Augen dif^ volle Macht »zu lösen iui<l
zvi binden*', die Sünden zu vergeben oder duich Weigerung die Sünder
der ewigen Verdammnis zu übergeben. Niemand war frei, niemand
wagte es, selbstgerecht zu leben und zu handeln, sein sittliches Thun
und Lassen von seinen religiösen Pflichten zu timnen. Alles Denken
4ind Handeln stand im Dienste Gottes und der Kirche.
Diese große Idee ist nach der heiligen Schrift vi»n Christo selber
gelehrt und verbreitet worden. „Trachtet am ersten nach dem Keiche
Oottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zu-
fallen"', lehrt der Herr. ,,SaninieIt euch Schätze im Himmel, die
weder Motten noch T>(»sf tVesson und die Diebe nicht nachgraben und
stehlen." „Mein ßeich ist nicht von dieser Welt, wer mir nachfolgen
Avill, der verkaufe, was er hat. und gebe es den Armen. Dann gleicht
er dem Manne, der den verboignen Schatz im Acker durch den Er-
lös von .seiner Habe erstand." Wenn Christus die Arnien Iteleiirt. ver-
heißt er ilinen wie den Trostbedürttigen. wie allen, die „mühselig und
beladen sind", die Helohnuug und Wrsriluiung im . Jenseits. ^Sie wei-
den getragen von den Engeln in Abrahams Schoß, sie werden dort
getröstet. Die Keichen dagegen, welche hier aut Eiden herrlicli und
in Freuden gelebt haben und sich um die Armen und UnglückliclH U
vor ihrer Thüi' nicht bekümmert haben, kommen an den Ort der
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<^ual und werden gepeinigt." Die Leidtragenden, die geistlicli Armen,
die, welche hungern und dtlrsten nach der Gerechtigkeit, sollen selig
werden. „Seid friedfertig, seid barmherzig, liebet eure Feinde, nehmt
auf euch mein Joch und lernt von mir; alles wird euch im Himmel
wol belohnet werden." „Seid demflthig, bereut enre Sünden, Gott ist
die Liebe. Ich werde durch mein Blnt each bei ihm vertreten nnd
ench von sehiem Zorn ierlOsen.** Der Sflnder kann bei wahrer Bene
noch in seiner Todesstnnde erlitot werden. „Wahrlich, ich sage dir**,
wird als Trost dem renigen Scfaficher am Kreuz zogemfen, „hente noch
wirst dn mit mir im Paradiese sein.'
Es liegt in den einzelnen Gedanken und kleineren Ideen, ans •
denen sich jene gewaltige Idee zusammensetzt, ein groBer Theil der
weltbezwingenden Macht des Christenthums. Das ganze Leben wird
nach dieser Idee geregelt, die Erde zu einem Vorort des Himmels,
unser irdisdies Leben zu einer Vorbereitung auf das Leben im Jen-
seits gemacht. Unser ganzes Denken und Streben in Sittlichkeit und
Sitte, in Kunst und Wissenschaft, in der Cksellschaft und im Staate
soll in der Beligion, in der Frömmigkeit aufgehen; alles irdische
Glftck, alle irdische Lust nnd Freude hat ihre Berechtigung nur soweit,
als sie mit dieser gewaltigen Idee, der Allbeheirscherin des mensch-
lichen Daseins, nicht in Widerstreit gerfttb, von ihr gutgeheißen oder
geduldet wird. Wer recht und gut handelt, soll nicht w&hnen, damit
im Jenseits bestehen zu kOnnen; denn „wir sind allzumal Sflnder und
mangeln des Rahmes, den wir vor Gott haben sollen**. Darum stehen
Demiith und Buße höher als Gerechtigkeit und Tngendstolz. „Es
wird im Himmel mehr Freude sein über einen Sftnder, der Buße thut,
als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.** Die
größte Liebe des Vaters wird bei der reuigen Wiederkehr dem ver-
loren geglaubten und niclit dem sittlich unbescholtenen gerechten
Sohne zutheil. Der demüthige', bußfertige Zöllner geht „gerecht-
fertigt vor Gott^ aus dem Tempel, und nicht der streng gesetzlich
handelnde tugendstolze Pliaris&er.
Dier^o gi-oße weltbezwingende Idee ist ausgesprochen und zur
Klarheit gebracht worden, als „die Zeit erfilUet war", als bereits Mil-
lionen von Menschen in den verschiedensten Vrdkern dunkel ahnten,
dass die alten religiösen Formen, Anschauungen und Zustände unhaltbar
geworden: als die Gemüther der Edelsten und Besten unter Juden
und Heiden sich in tiefem Sehnen nacliider noch verschleierten Wahrheit
fast verzehrten und darum i^eneigt waren, das neue Licht, die neue
„trohe Botschal't des Heils'' mit wahrer Inbrunst zu begrüßen. Mochten
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viele Lehren des Herrn auch nur den schärften Denkem klar werden:
die Lehre, dass im Himmel ein einiger Gott, der Schöpfer, Erhalter
und Begierer der Welt» als ein liebender Vater aller Menschen walte;
dass dessen Liebe nnd Erbarmen namentlich den Armen, den Be-
drückten und Bekümmerten zatheü werde; dass dieselbe Liebe und
Gttte sogar die Ärgsten Sünder in Qnaden annehme, diese trostreiche
nnd erhebende Lehre wurde in ihrer Einfachheit selbst von dem aim-
seUgsten Sdaven begrüEto. Demgemäß fiud die andere Lehre, dass
auf das elende, geqoAlte, nnmhige, sorgenvolle Leben aif Erden ein
schönes, schmerzfreies, trostreiches Leben im Jenseits, im Reiche des
liebenden Vaters, folgen werde, gar leicht das willigste G^ör nnd
mit ihr die große Idee, dass man sich während des ganzen Lebens
auf Erden auf das Jenseits würdig vorzubereiten, mit allen Kräften
für das Heil der Seele nach dem Tode za sorgen und bei jeglichem
Thun und Lassen sich zu fragen habe, ob es im Himmel bestraft oder
wol belohnet werden könnte.
Diese gewaltige Idee und diese Lehren erfüllten die Gemüther aller
Christen in den ersten Jahrhunderten nach Jesu Opfertode mit tiefer,
heiliger Liebe zu Gott und zu ihrem Religionsstifter und Heilande,
Jesu Christo; mit der echten todesmuthigen Begeisterung für ihren
Glauben und mit der opferwilligsten Liebe zu ihren Mitmenschen und
zu dei* neuen Gemeinschaft, der christliclien Kirche.
Aber schon im zweiten Jahrhunderte nach Christi Tode wurde
das inniß fromme, liebevolle und schöne Zusammenleben in der neuen
Gemeinde getrübt. Es bildeten sich infolge verschiedener Lehr-
meinungen arge Spaltungen, und das Sectenwesen drohte den neuen
Glauben ganz zu zerstören und zu durchsetzen. Ks hatte sich leicht
und ohne Widerspruch die Scheidung in Priester und Laien vollzos^en,
in Geistliche mit dem Benife, die heilige, geliebte Tielire zu studireu
und durch Predigt und Seelsorge zu verbreiten, und in die Menge
derer, denen diese Studien und Predigten zu gute kamen. Aber man
bedurfte jenen Spaltungen und Secten gegenüber einer Kinheit und
darum einer Autorität, die durch ihr Ansehen den Hader dämpfen,
jede abweichende Meinung zur Unterwerfung zwingen konnte. Dies
Bedüi'fnis schuf das Dogma von der Priesterweihe, erzeugte
und befestigte die Lehre, dass in Glaubeussachen nur die Priester
vom heiligen Geist erleuchtet werden, und dass die Beschlüsse der
aus Priestein gebildeten Concilien, durch welche das gesammte Reli-
gionswesen in den Hauptsachen geregelt und festgestellt wird, als
Ausflüsse des heiligen Geistes unantastbar und unfehlbar seien. Der
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Nutzen dieser Dogmen trat selir dentUeh herror, ate Ck>n8taatl& im
Anfange des 4. Jahrhonderts die christliche Beligion anr Beligion des
ganzen römischen Staates machen wollte und darnm die Frage stellte:
„Welche Beligionsleliren sollen fortan von allen Unterthanen als die
wahren anerkannt und befolgt, welcher Glaube fortan bekannt werden?*"
Das Concil zu Nicäa gab darauf die Antwort (325), vernrtheilte die
Lehren des Bischöfe Arios als falsch, nahm das Glaubensbekenntnis
des Atlianasius an nnd schaf damit die „heilige römisch-katho-
lische Kirche".
Als die Priesterschaft zu dieser Machtfülle gelangt war, wnrde
jene große christliche Idee von ihr als die AUbeherrscherin des ganzen
Lebens richtig erkannt, gewürdigt und mit allen ihr zu Gebote
stehenden Mitteln zur Dnrchfühnmg gebracht Mit Hilfe derselben
suchte sie das gesanimte sittliche Leben der Menschen zu
regeln. Man soll nicht vorkennen, dass diese Unterordnung des ge-
samraten sittlichen Lebens und Strebens unter jene proße religiöse
Idee damals aus der reinsten Absicht entsprang. Inmitten jener Zeit
greulicher Roheit, wüsten Sinnentaumels, entsetzlicher Ausschwei-
fung:en, empörender Gewaltthätigkeit und Rechtlosigkeit wollte die
Kirche in Christi hehrem Sinne alle, die „müliselig und beladen waren",
in ihren starken Sdiutz nehmen, und die in Lüsten aller Art und
in Selbstsucht verkommenen Menschen mit Hilfe der Religion zu
besserer Sittlichkeit, zu einem Gott wolsfetalligen Leben erziehen.
Alles was sie in dieser Absicht befahl, wurde „in niajorem Dei glo-
riam", zur höheren Ehre Gottes angeordnet; und da ihre Befehle wie
göttliche Gebote betrachtet wurden, so bildete sich überall in den
.europäischen Culturstaaten neben der volksthümliciien Sitte und Sitt-
lichkeit eine besondere Lebenstiihrung, die sich nach den Geboten
der besonderen kirchlichen Moral richtete. Dieselbe fand überall,
selbst bei heftigem Widerstreben, ziemlich schnell Eingang, weil sie
als eine heilige Forderung der Religion, als der Ausfluss des göttlichen
Willens hingestellt und durch sehr klug gewählte Mittel aufgezwungen
wui'de. In kluger Erkenntnis der menschlichen Schwächen und Leiden-
schaften behandeltrn die Priester die Laien in Gesammtheit als un-
mündige, der Erziehung bedürftige Kinder, und unterwarfen
ddi die edlereu, die feineren, ja selbst die scharfsinnigen Naturen
dnrch den Hinweis anf den guten Zweck, auf den göttlichen Willen
nnd ihre heilige, göttliche Sendung. Bei Qelegenheit der yolksthftm-
lichen Feste, der „NaiTen- nnd Eselsfeste" nnd des „Carneval*' ge-
stattete die Kirche der glinbigen Menge, wie Schnlboben sich anszn-
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•
toben, sich in freier Laune allen fleischlichen Gelüsten hinzogeben, ja.
Verspottung des Heiligen and Frevel aller Art zu begehen. Sie
wusste genau, dass in den Tagen der inneren Zerknirschung, die auf
solchen wQsten Taumel folgen, die Sünder in durchaus bußfertiger,
demuthiger Stimmung zu den Geistlichen eilen würden, um hier Trost
und Vergebung zu finden. Da hatte man denn reichlich Qelegenheit,
seine Erziehungsmethode auszuüben und die Lehre, dass nur die Tbat
sittlich und gut sei , die von dei* Kirche erlaubt sei, zu unbedingter
Anerkennung zu bringen.
Dies Ei-ziehungssystem suchte die Kirclie durch Belohnungen
und Bestrafungen zu unterstützen. Da die meisten Menschen
weit eher geneigt sind, ihren Lüsten und Begierden zu fröhnen, als
sich um des Guten willen zu beherrschen und sich sinnliche Vergnü-
gungen zu versagen: so glaubte man sie am leichtesten zu ei'ziehen,
wenn man den schwachen Willen zum Guten durch verlockende Ver-
heißungen zu stärken und den verderbten durch schwere Drohunpfen
mit entsetzlichen martervollen ^Strafen einzuschüchtern und in Banden
zu halten vermöge. Dieser Zweck schuf die Lehre von dem Fege-
feuer, vom Teufel und von der Hölle mit ihren Schrecknissen und
entsetzlichen (Qualen, und die vom Himmel mit seinen Knpfeln und den
dort gebotenen selij2:en Freuden. Es wurden infnlg-e dieses Zweckes
die verschiedenartigen Kirchenstraten und die Mittel bestimmt, durch
welche der Sünder die VeigeViung erlangen köinie. Es wurde zu-
gleich festgestellt, welche Thaten als verdienstvoll, welche \\ ei ke als
gute, Gott wolgetHllige gelten, und wehhe verdammeuswerl seien.
Für die ersteren sicherte die Kirche als Verwalterin aller guten Werke
der Menschheit den Gläubigen hier auf Erden „Absolution", Vergebung,
der Schuld, und nach dem Tode die Belohnung im Himmel; für die
schweren Versündigungen bei L'nbußfertigkeit die entsetzlichen Strafen
und Qualen in dem Fegefeuer und in der Hölle.
Um dies Erziehungssystem wirksam zu machen, war es nothwendig,
dass die gläubige Menge die Kirche als ihre einzige wahre Heils-
anstalt, den Papst als den Statthalter Gottes und Christi, die Priester
als gottgeweihte, heilige Personen betrachtete und ilire Lehren prü-
fungslos als wahr annahm. Die Geschichte lehrt, welche Anstrengungen
gemacht, welche Kämpfe geführt wurden, um selbst die Mächtigsten
auf Erden zur Anerkennung der päpstlichen W^eltherrschaft und Macht-
Alle zu zwingen, und die kirchliche Lehre von allen ketzerischen
Ansichten und Lefanneinungen zu reinigen. Der ftuBere Erfolg war
ein großartiger, dies beweisen die frommen Sfftungen, die „Seelen-
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messen/ die Wall&brten, die Bnß- and Betttbnngen, die Almosen-
spenden, die Yerehrnng der Hefligen nnd der Jnngfraa Maria, der
freundlichen und bereitwüligen Helfer in jeder Seelennotb, der Abscheu
vor Eetsem, Hexen und Teufelsdienem; dies beweist ^ ungeheure
Macht, dwen sich ein Innocens I2L am Anfang des 13. Jahrhunderte
iUhmen durfte. «Die Sorge Ar die Seele**, sagt Jul. Lippert in seiner
„Deutschen Sittengeschichte**, „ist [dem Dnrchschnittsdeutschen des
Mittelalters ganz so wichtig wie dem dadurch berülimtcn Ägypter.
Alle Schenkungen gehen aus der Sorge für die Seele, für das Himmel-
reicli hervor, sind ,Seelgeräthe*. Durch Seelgerätlie ist der
Gimd gelegt worden zu dem gesammten Uberreichen Kirchengute, zu
Abteien und Bistliümern und ihrem Landbesitz. Man kann glauben,
eine ügy()tische Urkunde zu lesen, wenn Thietmar von der Bestattung
Otto III. berichtet, wie Heimzog Heinrich dessen Herz in einer Kapelle
beisetzt nnd dazu ,um des Seelenheils des Verstorbenen willen hundert
Hufen von seinem eigenen Besitz' schenkte. Für ihres vei'Storbenen
Gemahls und ihres Sohnes Seelenheil hat Mathilde, die Witwe Hein-
richs I., das Kloster Nordhausen gestiftet. Der einst reiche <7rnf
Lintbold hatte dem Kloster Zweifalten soviel von dem Seinen geschenkt,
dass ihm bei seinem Tode zur Belohnung der Diener, di»^ den (ge-
lähmten im Tragstuhle zu tragen pflegten, nichts übrig geblieben war.
als sieben Lammfelle. Wer sich nicht durch eine Schenkung sichern
konnte, dass fiir ihn eine , Seelenmesse* abgehalten wurde, musste sich
aut die Treue und Liebe seiner Hinterbliebenen stützen. Aber selbst
auf solche Treue wollte niemand die Zukunft seiner Seele
setzen."
Wii' fragen: Hat dies Krzieiuingssystem der Kirche sich frucht-
bringend erwiesen? Ist die Menschheit dadurch in sittlicher
Hinsicht gebesseit worden?
Die Geschichte muss diese Frage verneinen. Hei (-Jelegenheit des
Ablasshandels im Anfange des IH. -laiuhunderts zeigte sich's, dass die
Menschen durch die Insherige Erziehung abergläubig, feig, sclavisch,
eigennützig, heuchlerisch, feil, gewinnsüchtig geworden waren und das
Gefühl für die Heiligkeit schwerer Pflichten , für (Terechtigkeit und
für Freiheit der Mehrzahl nach fast ganz verloren hatten. Diese
Einsicht bestimmte unsern großen l^uther in erster Linie, gegen den
Ablass und gegen diese ..Werkheiligkeit" der Scheiuchristen autzu-
treten. Die Menschen machen aus ihrer Sittlichkeit eine Art von
Schachergeschäft, bedenken und berechnen stets die belohnende Ver-
geltung, thuu das Gute nie um des Guten willen, nie aus reiner
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Achtung vor dem Gesetz, sondern nur aus lIuHnung auf Belolinung
oder aus Furcht vor Strate. Selbst bei dem PfeDnig, der dem
Bettler gereiclit wird, bedenken sie, dass er ihnen oder ihren
Kindern Zinsen tragen könnte. ,.Gib", wird das Kind belehrt, ,.damit
der liebe Gott dir's spater vergelte!" Vom Unrecht wird durch diese
kirchliche Lehre niemand znriickgehalten; jeder folgt froh und frech
seinen Gelüsten und Begierden. Werden die Gewissensbisse zu aig.
so lässt man sich durch Kirchenbuße und gute ^^'erke vom Priester
entsühnen und folgt in Seelenruhe den neuen sündlichen Verlockungen.
iJiese kirchliche Erziehung hat in Wirklichkeit nur Scheinerfolge
aufzuweisen; denn noch niemals ist ein sündhafter Mensch
dadurch in seiner («esiniiuiis: veredelt worden.
Die auf jener großen christlichen Idee beruhende Sittenlehre ist
in Bezug auf eine besondere Riclitung verhängnisvoll geworden. Wir
denken an den Kiufluss, den die Lehre von dem Werte der Ascese
ausübte. Dieselbe wurde durcii die Auffassung erzeugt, welche die
wortführenden und herrschenden Priester in den ersten Jahrhunderten
nach Christi Geburt und das Mittelalter hindurch vom Wesen, der
Bedeutung und der Berechtigung des Weibes besaßen und zur
Geltung brachten. Den Aposteln und den Kirchenvätern galt das
Weö) als „unrein'', als „das Oefäfi der Sünde**, als „diej yerfBhT8rin%
die nach der EnftUung der Bibel die Sünde in die Welt gebracht
hat und die MÜimer za Gnmde richte. nWeib", ruft Tertnllian, „du
solltest stets in Trauer und Lnmpen gehen, Thrilnen der Bene weinen;
denn dn bist die Pforte zur HGUe.** In jener Zeit, als die Frauen
ganz rechtlos waren und scheinbar die Yenmlassnng m den greu-
lichsten, geschlechtlichen Ausschweifungen und den unnatOrlichen Lastern
gaben, hatten die frommen Eifinrer fOr sie nur eine £ut grenzenlose
Verachtung. Die Ehe galt ihnen darum hOdistens als „ein noth-
wendiges Übel''. »Die Ehe'', sagt der Apostel Paulos, »ist ein nied-
riger Stand; heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser." Kirchen-
▼&ter, wie Hieronymus, Qrigines und Augustinus, nannten die Ehe
„unrein und unheUig'^, „stets ein Laster, das höchstens zu entschul-
digen sei". Augustinus meinte und predigte: „Die Ehelosen werden
glänzen am Himmel wie leuchtende Steine, wahrend ihre Eltern den
dunkeln Sternen gleichen." Das Verlangen nach geschlechtlicher Ver^
einigung der Männer mit den Frauen wurde als „fleischliches OelOste"
bezeichnet und als das schwerste Hemmnis beim Streben nach
dem Himmelreich, nach der ewigen Seligkeit betrachtet.
„Wandelt im Geiste und widerstehet den Lttsten des Fleisches!"
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Daraus bildete sich selir bald die Ansicht, dass in der Ascese, d. h.
in (It r gänzlichen Enthaltung von jeder Art geschlechtlicher Ver-
bindung, ja selbst von gemüthlichero, freundlichem Umgang mit dt^n
Frauen die größte Sittlichkeit» das Gott am meisten volgeföUige Leben
zu finden sei Die Wirknng dieser Lehre zeigte sich im Mönchs-
gelübde, im Klosterleben, in der Einsetzung des OOlibats, der Ehe-
losigkeit aller Gelstlichai. Diejenigen Priester, welche ihre starken
geschleehtlidiai Triebe durch blutige Oeifielnng, durch Kasteiung aller
Art nnterdr&ckten und durch diesen besonders ascetischen Eifer sich
anszdchneten, worden als hochsittliche und sehr finomme Hlbiner be-
trachtet nnd wol gar heilig gesprochen.*)
Die Ascese blieb sehr bald nicht anf die Enthaltung von „fleisch-
lichen Oelüsten** beschränkti man dehnte sie aus auf „Augenlust und
hoffftrtiges Wesen," anf alle ranschenden Feste nnd sinnlichai Ver-
gnügungen, znletst auf die haimlosesteD siiinlichen Genüsse und
Freuden. Die Bestrebungen der Kflnste wurden nur soweit geachtet
und erlaubt, als sie zur Yerherrlichung des Gottesdienstes beitrugen,
im Dienst der Beligion oder vielmehr der Kirche arbeiteten. Sie er- *
hielten die freiere Bichtnng erst unter dem Einfluss der dassischen
Studien, zur Zeit als auf religiösem Gebiete die Beformation begann.
Infolge der kirchlichen Moral galt während des Mittetolters bei den
„Frommen Tor dem Herrn'* die Erde als ein Jammerthal, als eine
Stätte der Vorbereitung für das Leben im Jenseits, und als echte
Sittlichkeit die größte Enthaltsamkeit von allen, auch den harmlosesten
Genfisseu und Freuden.
Die Wirkung dieser Forderung ist yon jeher bedeutend gewesen
und hat namentlich das Ansehen ascetischer Geistlicher so sehr ge-
fördert, dass die Kirche von ihrem Standpunkte aus alle Ursache hat,
die Ascese als sittliches Gesetz noch jetzt in der alten strengen Foim
aufrecht zu erhalten. Die große Menge hängt zu sehr an einem
sinnlich-frohen Gennss des Lebens, als dass sie ihre Freuden selbst
um der idealsten Forderungen willen willig und mit Leichtigkeit
opfern sollte, und bewundert darum aufrichtig jeden, der um solcher
allgemein als heilig geltenden Ideen willen seine Lebensfreuden
dauernd zum Opfer bringt Damm werden diese alten Ansichten von
der Ascese noch jetzt, selbst von protestantischen Priestern aufrecht
*} So der heilige Fnuicigciis von Asuai. Wenn die Phantasie ibui verlockende
^der vorfflhrtc und sein |E:e9cblo('ht|ichp> Vorlantron z« arg wurde, hat er si« h
naekend in BreunncsselD geworfen, hia der Schmerz die wilde Begierde erstickte.
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erhalten, obwol diese Herren nach Luthers Vorbild heiraten; obwol
sie an dem vackem, kemgesnnden deatschen Beformator auch in Bezog
auf harmlose Lebensfreaden einer edlen deotschen, bürgerlichen Ge-
selligkeit ein leuchtendes Huster nehmen konnten und bei einem an-
stftndigen, landesftbUdiaL Leboisgenuss durch kirchliehe Verordnungen
keineswegs beschrlnkt werden. Die tonangebenden orthodoxenHerrseher
unter ihnen möchten gar zu gern dieselbe Macht und dasselbe Ansehen
genießen wie ihre katholischen „Brüder in Christo^', und wissen sehr
genau, dass diese Idee von der sittlichen Verpflichtung zu strenger
Ascese zur Befestigung einer solchen Herrschaft wesentlich beiträgt*
Wir tinden jene Ansicht auch überall noch bei dem Volke, ja selbst
bei vielen Gebildeten. Die „Frommen vor dem Herrn", gleichviel,
welcher Confession sie seien, erklären auch heutzutage überall, dass
der Christ in Bezug auf Nahrung, Kleidung und andere Bediiifnisse
sich auf das Nothwendigste zu beschränken und sein Leben neben der
Arbeit nur frommen Übungen zu widmen habe.
Das bisher geschihlerte kircliliche Erziehungssysteni verlangte
• von allen Oiristen unbedingte Unterwerfung unter die Lehren und
den WiUcn <ler Kirche. I)afi:t^gen begann erst leise iu schüchternen
Anfängen, dann iniiiicr lauter und cnerg-isclier das Streben nacli
Freiheit und öelbstbestinimun ^i; hervorzutreten. Ks >o\\ hier
nicht untersucht werden, in welcher Weise die Geistlichen ihre
Stellung und Machtfiille niissbraucht und die Opposition liervorfreriiten
haben. Es sei nur auf die geschichtlichen Thatsachen iiinge\viet.en.
Nach mehrfachen verunglückten Ver.>U('hen brach im Anfange des
10. Jahrhunderts der Tag des großen Befreiungskampfes an. der
wenigstens für einen großen Theil der Christenheit zum Sie^e liihren
sollte. Es beganu die Reformation. Ihr llauptheld, unser großer
liUther, eikanute mit seinem scharfen Geiste sehr bald, dass es sich
zunächst darum handle, die Macht der Kirche, d. Ii. des Papstes und
seiner Geistlichen über die Gemüther der Menschen zu brechen, die
Gewalthaber ihrer bisherigen Heiligkeit und rnfehllnirkeit zu ent-
kleiden. In der ersten der drei berühmten Schriften, welche für sein
Werk bahnbrechend wurden (,.An die Fürsten und den Adel deut-
scher Nation"), spricht er von drei Mauern, die die Römlinge um sich
gezogen haben. Indem dieselben durch sein gewaltiges Wort nieder-
gerissen werden, spricht er die Grundsätze aus, dass „jeder Mensch
sein eigner Priester sei", dass „alle Christen zugleich Geistliche,
Priester nnd Weltliche seien*^, dass Jeder das Recht habe, in der
Bibel zu forschen und daraus seinen Ölauben zu schöpfen." Er macht
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den GeiBtlidieD za einem Beamten und Diener der Gemeinde zu einem
Prediger und Seelsorger.*)
In der zweiten jener drei bahnbrechenden Schriften (»Von der
Freiheit des Christenmenschen'') legt Lnther die Ornndzüge
zu einer neuen Sittenlehre, die mit der gereinigten echten Fröm-
migkeit nnd Religion innig verbunden sein soU. „In der katholischen
\\' elt'S sagt Heinrich Lang in der Darstellung von Luther's religiösen
Charakterbild, „suclite man mit seiner Frömmigkeit immer etwas zu
verdienen, der endliche Mensch rechnete und marktete mit dem unend-
lichen Gott, der ihm ferne stand, um den Preis des Himmels, der
außer ihm la«^. Aus dieser Quelle des P'J^ennntzes und der Lohn*
sucht flössen die Gesetzes- und Kirchenwerke, denen er sich untei*zog
Hier bei Luther will der Menscli nichts verdienen; wenn er Gott hat^
hat er alles, was er suchte; im Glauben hat er volles Genüge. Was
er hinfort thut, geschielit nicht, um einen Himmel zu verdienen,
sondern weil er den Jlimmel in sich hat, der sich aufschließt
und seinen Segen über die Welt ausgießt."
Luther lehrt ein neues Verhältnis zu Gott, das Verhältnis des
Kindes zum liimmlisclien \'ater. Es vertraut dem Wort des Vaters
und nimmi dankend die Gaben, die er ihm darbietet. Es schenkt dem
Vater sein ganzes Herz, ist in diesem liebenden Nehmen und Geben
glücklich und fiihlt sich in dieser Freude gedrungen, den Näclisten zu
lieben, Gutes zu thun und andere zu beglücken. Wenn Versuchung
sich regt, so lürchtet es sich, den liebenden Vater zu betrüben, und
sucht nach dem Fall in echter Reue seine Versöhnung zu erlangen.
Dazu hilti ihm Chriätus, seiu Mittler und Heiland. „Wolan", sagt
*) „Alle Chrht«!!'', sagt Luther, „sind soirleieli Oeistliobe, Priester und Welt*
liehe. Ein Bürgcnneister ist ebensogut eine geistliche Person als ein Papst, weil
er «lun-h das Regiment, das er führt, zur Bestrafunfr der Hüscn und zum Schutz der
üuten, ebenso die Zwecke (les Qotlc.^ireichos fürdfrt, wie tli r I'juisf mit seinem Pre-
digen und äegeuspeudeu. Will man aber diejcuigcu Pcr^oueu, welche von der
Gemeind« beauftragt sind, au predigen, zu taufen n. s. w., in besonderm
Sinne Geistlidie nnd Priester nennen, gut! so ist das ein Gemeindeamt wie
jedes andere, und der Triitj^cr dosselhcu ist nur durch die besondere Art seines
Amtes und Werkes, nicht durch oiiie höhere Würde iiud bt-MMiflcre Heilis:-
keit des Standes xintorschicden von den Trägern anderer deuit indcämtcr. l'ie
Gesellschaft ist ein Leib mit vielen Gliedern; jedes Glied hat seinen bestimmten
Dienst, nnd in dieser dienenden Stellung sind alle einander gleich. Die
weltliche Obrigkeit, der Schuster, der Schmied, der Bauer sind Glieder wie der
Predicrer; jeder hat sein .Nmt und Work, womit er der (iemeinschaft nilt/lich sein
soll. Alle dir HP Werke wirken zusiimnicn, Leib und Seele zu tördcm, wie die Glied-
maßen des Kürpers alle einander dieueu."
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Luther in jener berühmten Schrifti „mein Gott hat mir unwürdigen
Menschen ans lanter Liebe yollen Beichthnm aller Frömmigkeit und
Seligkeit gegeben. Ei, so will ich solchem Yater, der mich mit seinen
fiberschw&nglichen Gaben also ttberschttttet hat, wiederum frei, fröhlich
und umsonst thnn, was ihm wolgefiUlt, und gegen meinen N&chsten
auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist, und nichts
mehr thun, denn was ich sehe ihm noth, nützlich und seligUch sei,
dieweil ich doch durch meinen Glanben alles Dings in Christo genug
habe. Siehe, so fließet ans dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott»
und aus der Liebe ein freiwillig-fröhlich Leben, dem Nächsten zu
dienen umsonat."
Demgemäß legt Lutlier das Hauptgewicht auf das gläubige
Verhältnis des Christen zn seinem Gott und Vater und den
täglichen, lebendig^en Verkehr mit ihm. Alle Büß- und Bet-
Übungen, alle ..Werkheiligkeit", sowie der sclavische Gehorsam gegen
die Gebote der Kirche sind wertlose Bemühungen. Wert hat nur
die echte Frömmigkeit, der „Glaube, d. h. das volle Vertrauen und
die lierzliche Zuneigung zu dem Gott, der mir im Wort und Leben
Jesu Christi die Zusage seiner Liebe zu mir gegeben hat". Aus
diesem Glauben soll unser ganzes sittliches Verhalten ent-
springen; wir sollen das Gute thun und das Böse meiden um dieses
liebenden Gottes und Vaters willen, sollen uns in zweifelhaften
Fällen zuerst fragen, ob wir diesen unsern Gott betrüben würden.
Darum beg-innt Taither in seinem „Katechismus"' jede pjklärun<r eines
sittlicheil Gebotes oder Verbotes mit den Woi-ten: ..Wir sullrii Gott
fürchten und lieben", dass wir nicht stelilen, ehebreciieii. verratheu,
tüdteu; dass wir unsere Kitern und Herreu lieben und in Ehren halten.
Hauptsache ist bei jeglichem sittlichen Thun die (lesiniiun&r,
nicht die That selbst. Man kann ja wolthätit;-. diensteitrig, ent-
haltsam, mäßig sein aus nichtsittlichen Beweggründen, aus Eitelkeit,
aus Klugheit, aus Lohnsucht, aus Heuchelei, wie die Schale der Frucht
schön und glänzend sein kann, während der Kern faul ist. Die Werke
machen den Menschen nicht gerecht, sondern ein gerechter Mensch
maclit fromme und gerechte Werke.'*
Durch dieses Hervorheben und Betonen der Gesiunung ist der
große Luther der Reformator nicht nur der licligion, sondern zu-
gleich der Sittenlehre geworden. Fortan wurde den bessern Menschen
klar, dass nur ein wahrhaft frommer Mensch sittlich, nur ein wahrhaft
sittlicher Mensch fromm sein könne. Die Lehre, man soll das Gute
thun und das Böse meiden, um seinen lieben Gott und Vater im
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Himmel nicht za betiüben, nm stets seinen BeüSül za erhalten, uns
seines Wolwollens, seiner Liebe freuen zu kennen, ist eine so ein-
fache, so leicht &s8liche^ dass selbst ein kleines Kind sie zu begreifen
nnd danach sein Handdn einzorichten Termag. Namentlich erfiwnt
diese Lehre so hoch nnd innig alle liebevollen, guten Gemüther; sie
ist dem deutschen Volke so recht »aus der Seele gesprochen*'. Darum
gilt sie noch heute bei allen einlkchen Menschen, bei allen tiefen 6e-
mttthem, bei allen Frauen, namentlich bei allen Mflttem, und spricht
ein ernstes und geinchtiges Wort bei der Erziehung der Kinder zu
Sittlichkeit und Frömmigkeit.
Ein Kind, das Vater und Mutter yon ganzer unverdorbener Seele
liebt, vermag dies GeflUil unter Anleitung der Mutter und der Lehrer
gar leicht auf seinen Gott und Vater im Himmel zu fibertragen.
Diese kerngesunde Reformation des sittlichen Lebens und Strebens
ist sp&ter durch einen gewissen Bttckfall in die Ansichten der alten
katholischen Kirche wieder eingeschrftnkt worden. Luther kdirte
wieder statt des liebenden Vaters, der uns alles aus lauter Gnaden
gibt, zu sehr „den alten starken, eifrigen Gott** heraus, „der Uber die
80 ihn hassen, idie SOnde der Vftter heimsuchet an den Kindern bis
ins dritte und vierte Glied und zu straibn drohet alle, die seine Ge-
bote ttbertreten," dagegen „allen, die dieselben halten, Gnade und
alles Gute verheifit** Dabei hat der grofie Mann in seinem Eifer, die
Menschheit zu erziehen, den Fehler begangen, in das sittliche Handeln
statt der vorhin genannten schonen Beweggründe die Mhere Fnttsht
vor Gottes Zorn und seiner Strafe und die Hofhung auf seine Be-
lohnung hier auf Erden and im Jenseits hineinzutragen und dadurch
die alte Lohnsucht und scla\ische Gtesinnung heraufzabcschwOren. Da
er die Lehre von dem Teufel, von der Hölle und den Höllenstrafen,
wie das Mittelalter sie ausmalte, fortbestehen ließ*), so konnte es
nicht ausbleiben, dass diese Gesinnung bei der Mehrzahl der Menschen
in der alten Weise beharrte. Dazu kam noch, dass Luther mehr als
einmal betonte: „Dies ist der fllmehmste Ai*tikel der ganzen Christ-
*) Die Furchr vor dem TtMitel und den Martorn in der Höllf wird von dt'n
orthodoxen evaagelischeu Geistlichen noch heutzutage eitrigst geweckt und geuiihrt.
Leider wird das BeiuQhen nax ra sehr mit Erfolg gekiOnt. Zur Zeit der kirchlicIieB
and staatlichen Reaetloa in den fOnflagei Jabien nnieies Jabrhnnderts waren grole
Kirchenvisitationen eingeführt, bei denen die vornehmsten ( i eist lit heu auf diese Lehre
Hauptgewicht Iccrton. Xa^h einer recht irrollcn Schilderung der Hüllenstrafen haben
wir gegen öOO Men<schen in einer protestantischen Kirche erzittern sehen, haben sie
schluchzen und heulen hören müssen.
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— 286 —
üchea Lehre, nämlich, wie wir Belif werden kOnnen.** Kein
Wunder, dass die alte WerkheUigkeit im Grande besteben blieb. Sie
nahm nur andere Formen an.
Als die reformatorischen Ideen, die Ideen der Glaubens- und
Oewissensfreiheit, immer kräftiger die Welt zu beherrschen be-
gannen, stellte sich mit dem Fortschritt der AufklSning das BedOrfliis
«in, die sittlichen Lehren und Anschauungen einer erneuten
Reformation zu unterziehen. Dazu trug wesentlich der Umstand
bei, dass der Glaube an Gott durch den groBartigen Aufechwung der
Naturwissenschaften bei der überwiegenden Mehrzahl der gebildeten
Denker eine tiei^sehende Veränderang erlitt
Schon in Luther's großem und scharfem Geiste hatten sich in
Bezug auf die landläufige Vorstellung von Gott arge Bedenken geregt
Aber er hatte dieselbe bekämpft und hatte als echter Mystiker sich
seinen eigen thflmlichen Gottesglauben geschaffen. Dieser
Glaube galt ihm als der unbedingt wahre, und er hielt daran sein Lebe-
lang mit voller Treue fest. In diesem Glauben, sagte er, yennag der
Mensch allesselbst überGott „Gott thut den Willen des Gläubigen." Als
Helanchthon nach seinem zommüthigen an Gott gerichteten Gebete wider
Erwarten genas, zweifelte er keinen Augenblick, dass der Freund
und Mitkämi)fer olme dies Gebet gestorben wäre. „Jeder Mensch
soll t'estiglich glauben, dass (4ott ihm zu der Seligkeit ein Gott sei,
dass Christus für ihn gelitten habe." „Das Wort: für euch", heißt
es in der Erläuterung zum Sacrament des Altars, „erfordeit eitel
gläubige Herzen.'* „Gott ist nicht Gott, wenn er nicht unser
Gott ist." „Wenn Gott allein für sich im Himmel säße, wie ein
Klotz, so wäre er nicht Gott."' Auf diesen mystischen subjectiven
Glauben an Gott baut er den Glauben an ('hristum als den Erlöser
und den (jlaubcn an die Auferstehung. „Wenn wir (b'r Auferstehung
nicht warten und nicht hoffen dürfen, so ist auch kein Glaube und
kein Gott nicht.-'
Man sieht leiclit ein, dass dieser mystische Glaube niclit v^n
allen Menschen getheilt werden konnte, dass die Ansichten namentlich
durch die Fort schritte in den Naturwissenschaften einen gewaltigen
Stoß erhalten niussten. Schon Paulus hatte gesagt: „Ist Christus
nicht auferstanden, so ist unser Glaube eitel." Wie nun. wenn die
Xaturwissenschatten bewiesen, dass ein Mensch, dessen Leib wie der
unsrige eingerichtet gewesen ist, nie hat auferstehen und nie in sicht-
barer und greit barer Köri)ergestalt wiederum auf Eiden hat wandeln
können?
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— 287 —
Man sieht ferner leicht ein, daes mit dieser Ver&nderung des
Gettglanbens zugleich die Sittenlehre verändert werden mnsste;
denn wer nicht an Gott als eine Person, als den liebenden Vater im
Himmel, glaubt, kann ihn nicht von Herzen lieben und auch
nicht die sittlichen Gebote aus Liebe und Ehrfurcht yor ihm
befolgen.
Welche Veränderungen der Gottglanbe im Laufe der Zeit,
namentlich in den gewaltigen Bildungs- und Aufldärungsstttrmen des
18. Jahrhunderts erlitten hat, ist an der Hand der G^hichte nach-
zuweisen. Die „Encyklopädisten*" in Frankreich, Diderot, d'Alem-
bert, Helretius, Holbaeh, la Mettrie und ihre Anhänger in den andern
europäischen Staaten — man denke an die yomehmen Kreise im da-
maligen Bussland — erklärten den ganzoi Gott^nben für veraltet,
leugneten des Dasdn Gottes frischweg ab. Die „Deisten** in Eng-
land fHüoker, Herbert von Cherbury, Shafbesbury, Oollins u. a.) und
ilire Gesinnungsgenossen in Frankreich und in Deutschland — den
Oäenbarung*Giäubigen gegenüber die Rationalisten genannt —
liielten am Dasein Gottes fest, aber ihr Glaube bestand größtentheils
nur in einem kalten Klügeln und Vernünfteln. „Si Dieu n'existait pas",
sagte Voltaire*), „il faudrait 1*' < reer; mais toute la nature nous crie
qu'il existe." Durch Spinoza breitete sich unter den bedeutenderen
Dichtern und Denkeni der chissischen Zeit unserer Dichtkunst in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der „Pantheismus" aus,
die Lehre, dass Gott in allem, alles in der Natur und im Menschen-
leben ein 'l'lieil der Gottheit sei. Goethe sprach in seinem „Faust"
das bei iilimte pantheistische Glaubensbekenntnis aus, das mit den Worten
sclilielit: „Gefülil ist alles, Nam' ist Scliall und Kauch, umnebelnd
Himmelsolut."' Später ist der Gottglaube durch die wunderlichsten
metaphysischen Klügeleien der bedeutendsten Philosophen hin- und
liergezerrt worden, ohne dass es gelungen wäre, eine Ansicht zu
schaflen. die den einfachen Kinderglauben der naiven liebevollen (4e-
müther ei'sctzen »mIci- den feinen und scharfen Denker irgendwie be-
friedigen könnte. Ott ist man beim iitudiren dieser Ansichten ver-
sucht. Schoiienliauer's Trtheil über Hegel, Fichte, Schclling zu be-
stätigen.**; Jedenlalls wiid jeder Goethe recht geben, weun er in
*) Vdtaire und J. J. BooBiean gehOien nicht m den „Encyklopädisten", obwol
de Mr IMaoVn „EnoyUopMift" Beitriige lieferten.
**) Schopenhauer sas^t (Die Welt als "V^lle und Toriteliung, Anbang :
^Die erri'ßtc Frochhoit im Auftis<hon liaren Unsmnf. im Ztisnmnionsohinifren -inn-
loser, raäCDdci Wortgetecüte, wie uiau sie bisher uur in Tollhäu>cru vernommen
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— 288 —
Bezug auf solche unklare, theilweise ganz siaulose Klügeleien
ausi-uft:
„So schwätzt und lehrt mau ungestört,
Wer mag sich mit den Narr'n befassen?
OewShiilidi gtanbt diu Meudt, wenn er nw Worte hSrt,
Et mflne sich dabei doeh noh wie denken laesen.*'
Ftti* E. V. Hartmann ist Oott „das ünbewusste** (Philosophie
des Unbewussten). Dies ünbewnsste bildet und erhält die Welt,
bildet und erhält in den Wesen auf Erden den Organismus, gibt ihm
im Instinete das, ^was es zn seiner Erhaltung ndthig braucht, erhält die
Gattungen durch Geschlechtstrieb und Mutterliebe, leitet die Menschen
beim Handehi durch Ahnungen und Gefühle, fördert den bewusst^
Denkprocess, beglttckt durch das Geffthl Ars SchOne." „Erait seines
absoluten HeUsehens (Allwissenheit) kann das Unbewusste nie irren,
ja nicht einmal zweifdn oder schwanken; es besitzt Allweisheit, All-
gegenwart" etc.
Es ist klar, dass unter dem Einflnss dieser yerschiedenartigen
Forschungen und Ansichten bei den durch ernste Stadien Gebildeten
eine Sittenlehre sich ausbilden musste, die mit der kirchlichen, selbst
mit äetf welche yon Luther und später von den protestantischen Geist-
lichen gelehrt wurde, nicht fibereinstimmen konnte. Dazu fehlte der
rechte Glaube an Gott und der Beweggrund, die sittlichen Pflichten
ans Liebe und Ekrfiircht vor dem himmlischen Vater zu erfOllen. In
der Tliat ist eine solche neue Sittenlehre entstanden. Sie ist
noch nicht weit verbreitet, ist nm* unter ernsten, fein gebildeten
Denkem zu finden. Sie erfordert ein scharfes, rücksichtsloses und
folgei'echtes Denken und wird von der großen Menge schwerlich je
ganz begriffen und gewürdigt werden. Aber sie ist bei den edelsten
Dichtem und Denkern zu finden, belierrscht den Willen, das Thun
und Lassen einer schon bedeutenden Anzahl der wackersten Menschen
und darf darum von den herrschenden Mächten im Staate und in der
Kirche nicht mehr abgewiesen oder p:ar gewaltsam unterdrückt werden.
Eltern und Erzieher haben die ernste Pflicht, diese neue Sitten-
lehre — wir wollen sie die philosoiiliische nennen — mindestens
genau kennen zu lernen. Bei einer recht ein^^-eluiulcn Prüfung' diirfte
sich's herausstellen, dass gar manche ihrer Forderungen schon bei der
Erziehung kleiner Kinder zu verwerten sind.
hatte, tfat endlich in liegel auf und wurde das Werkzeug der plompsten allgc-
meinen Xystiflcation, die je geweien, mit einem Bifblg, vdchex der Nocbwdt fitbel-
haft enchdnen vnd ein Denkmal deuteoher Niaieerie bleiben wird."
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— 289 —
D«r SehOpfer nnd Begrflnder dieser pMosophischen Sittenlehre
ist der. groBe Immanuel Eant. Der philosophisch gebfldete Leser
wird wissen, welche gewaltige Umwälzung in der Wissenschaft durch
diesen großen Denker vollzogen wurde.*) Er selbst hat seine That
(s. Einleitung zur „Kritik der reinen Vernunft") mit Fug tind Recht
mit der des Koperuikus verglichen. „Er kehrte die gesammte Er-
fahrnng sammt allen historischen und exacten Wissenschafteii gaos
sacht nnd sicher um" durch die einfache Annahme, dass ansere Be-
griffe sich nicht nach den Gegenständen richten, sondern
die Gegenstände nach unsern Begriffen. Der Gedanke, welcher
ihn zum Beformator der Philosophie macht, ist die Einsicht, dass die
Erfahrung des Menschen ein Product gewisser Stammb^giiffe ist, durch
welche die Erfahrung bestimmt wird.
Man kann p:ar nicht ,,erfahren", wenn man nicht von Hause aus
zur Verbindung von Subject und Prädicat, von Ursaclie und
Wirkung orgaiiisirt ist. Die alte Philosophie lehrte: Der Causali-
tätsbcgriff stammt nicht aus der Erfahrung, sondeim aus der reinen
VeiTiunft, und ist dieses seines höheren Ursprungs wegen auch
jenseits der Grenzen niensdilicher ?^rfahrung gültig und an-
wendbar. Kant lehrte dagegen: Der Causalitätsbcgriff ist ein Stamm-
begriff der reinen Vernunft und liegt als solcher unserer
ganzen Erfahrung zu Grunde. Er hat eben deshalb im Gebiete
der Erfahrung unbeschränkte Gültigkeit; aber jenseits desselben
keine Bedeutung. Die Ei*schcinungswelt folgt aus unsern Begriti'en.
Nur eine relative Wahrheit ist uns zugänglich, und diese liegt nur
in der Erfahrung. Unser ganzes auf Sinne imd Verstand gegrün-
detes Erkennen zeigt uns nur eine Seite der Wahrheit. Die andern
können wir weder durch Wissenschaft, noch durch Glauben, noch
durcli ^Ictaphysik, noch durch irgend ein anderes Mittel erkennen.
Wenn unser Dichten und Handeln Ideen erzeugt und fordert, die
jenseits aller Erfahrung liegen**), so führen dieselben uns in eine
eingebildete Welt. Darin liegt ihr Nutzen, obgleich sie uns
•) Diese Umwälzung int so gewaltig, diis» sie das Btstohende von Grund auf
erschtttteni konnte. Daruiu ist naturgemäß ein bedeutender KUckschlag erfolgt, eine
Beaction auf die große Beyolution. Aber es wird der Welt nichta helfen, sie wird
allmShlidi Kant's Ldiren ala wahr anerkennea und anndimen mttaaea; dem aie aat-
halten die absolute Wahrheit von Naturgesetzen. Damm daif man mit B6<At Mgen:
,Anf Kant zurückgehen, heifit Fortschreiten.''
•*) Ideen definirt Kant als .. nothwe ndige Vernunft begriffe", denen
kein cuugruircuder Gegenstand in den Rinnen gegeben worden kann. Solche Ideen
sind a. R die BegiiffS» Gott, Freflieit, ünateililiohkeit, Tenfel, Httlle, Bibilliide ete.
FMi«agtBB. U. Jahiy. Hafk V. 21
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— 290 —
keine Erkenntnisse geben. Wii- betrügen uns, wenn wir durch
sie unser Wissen erweitem wollen; wir bereichern uns, wenn wir
sie zur Basis unsers Handelns machen. „Gegenstände der Sinne"»
sagt Kaut in einem Briefe, „können wir nie anders erkennen, als blos
wie sie uns erscheinen, nicht iiacli dem, was sie an sich selbst sind,
— nie das ,Ding an sich, — und übersinnliche Gegenstände sind für
uns keine Gegenstände unserer theoretischen Erfahining." Der ratio-
nalen Theologie bewies er, dass ihre bekannten drei Beweise flir das
Dasein eines persönlichen Gottes nicht haltbar seien nnd nur beweisen,
^wie die .Venmiift vergeblich ihre Flügel ausspanne, um fßtet die
Sinneiiwelt dareh die Uofie Macht der fifpeenlation hlnaniiznkommeiL^
Ebenso bewies er, dass die läm^^ Uber Willensfreiheit und Unstnb-
lichkeit sich nicht beweisen lassen. Der Glanbe an einen persönlichen
QcU, an Willensfreiheit des Menschen nnd seine Unsterblichkeit seien
nnr „Postnlate der praktischen Vernunft**. „Das einzige Abso-
Inte, was der Mensch hat**, sagt Fr. Alb. Lange in seiner ^^e-
schichte des Materialismns", „ist nach Kant das Sittengesets;
von diesem ftsten Punkte aas sind alle Ideen der Menschheit n
ordnen. Das Ideale ist nicht nach vermeintlichen Beweisen, sondern
nach schien Besiehnngen zu den sittlichen Zwecken der Menschheit
an benrtheilen.*' Sowie unsere sinnlidie Anschauung mit der All-
gemeingOltigkelt für alle Menschen nnr möglich ist bei jenen ein-
geborenen Stammbegriffea (Kategorien), mit Hilfe deren der sugefilhrte
Stoff verarbeitet wird, so ist eine feste und für alle gültige
Sittlichkeit nicht möglich ohne gewisse eingeborene Sitten-
gesetze. Diese dürfen nicht aus der ErSftbrung geschöpft sein,
sondern müssen a priori lediglich in den Begriffen der reinen
Vernunft wurzeln, „völlig a priori blos durch die Vernunft vorge-
stellt werden." Dies eingeborene Sittengesetz ist da; es ist
die eingeborene Liebe zum Guten, die eingeborene unbe-
dingte Nüthigung zur Pflicht, der y^kategorlsche ImperatlT^^
Dies Sitten- und Pfliclitgebot ist eine ,tganz unmittelbare, nicht weiter
abzuleitende \'ernunftthatvsache". Der menschliche Geist ist sein
eigener Gesetzgeber und bethätigt und genießt in dieser Selbstgesetz-
gebung seine Freiheit. Indem der Wille seinem sittlichen Gesetze
gehorcht, gehorcht er sich selbst. Diese Freiheit ist zwar unbegreiflich
wie die von jedem Menschen {z:efiihlte innere Verpflichtung; aber oiine
Freiheit sei keine Sittlichkeit , also müsse sie sein. Die sittliche
Würde und Hoheit der Menschheit liege einzig und allein
in dieser treien Selbstbestimmung der sittlichen Vernunft.
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— 291 —
Durch diese Lehreu wurde Kant der Reformator der Sitten-
lehre und der große Erzieher der Meascbeu zu echter Sitt^
lichkeit.
Zunächst ist festzuhalten, dass Kant damit Sittliclikeit und
Sittenlehre scharf von Frömmi^^keit und Religion abtrennte.
Der sittliche Gesetzgeber ist nicht Gott, sondern der Mensch selbst.
Da die sittliche Verpflichtun<?, der „kategorische Imperativ" dem
Menschen (zum Unterschiede von den Thierenj so eingel)oren ist wie
der Geschlechtstrieb und die Fähigkeit, die Erscheinungen nach Ur-
sachen und Wirkungen miteinander zu verbinden, so müssen sämmt-
liche Sittengesetze im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende durch
die Menschen selbst geschatfen worden sein. Dies gilt auch für die
heiligen zehn Gebote, obschon dieselben nach der Erzählung aus dem
Alten Testamente auf dem Berge Sinai von Gtoit selbst gegcl)en
worden sind.
Die Sittlichkeit hängt mit der Frömmigkeit der Menschen inso-
fern zusammen, als beide Bichtungen des mensehUchen Denkens,
Fuhlens nnd Strebens ihre Orondqn^ In der ans eingeborenen
idealen Liebe haben, die sich in den oben erörterten drei Haupt-
richtnngen als liebe zum Grofien (Frömmigkeit), Liebe znm Gnten
(Sittlichkeit) und Liebe zum SchOnen zeigt. Sittlichkeit itthrt anch zu
echter Frömmigkeit (s. Eants Vorrede zn „Beligion innerhalb der
Grenzen der bloBen Vernunft aber sie hat in dieser Fröm-
migkeit nicht ihre <laelle. Im Gegentheil darf echte Sittlichkeit
eher als die Qu^e der echten Frömmigkeit betrachtet werden, denn
eine solche Geffthlsgmndlage besitzt in voller Reinheit nur ein wahr^
halt sittlicher Mensch. Sie ist ohne wahre Sittlichkeit gar nidit denkbar
und erhalt durch sie erst ihren wahren Wert.
Damm ist die Sittenlehre nach Kant Ton der Bellglon nnd
Ihren Leliren nnd ]>ognien ganz nnabhinglg. Sie muss sogar
die kirchlichen Gebote nnd Beorderungen, welche an ein bestimmtes
sittliches Thun und Lassen Drohung von Strafen nnd Verheißung von
Belohnungen auf Erden nnd im Jenseits knüpfen, als unsittlich nnd
gefährlich abweiaien und verwerfen. Es ist durchaus falsch,
einen Menschen, der an die Dogmen der herrschenden Kirche nicht
glanbt, als unsittlich zu bezeichnen. Kant sagt ausdrücklich, „dass
ein Mann, der sich festiglich überredet halte, es sei kein Gott und
kein künftiges Leben, dennoch rechtschaffen und dem Rufe seiner
inneren sittlichen Bestimmung anhänglich bleiben könne**. „Der sitt-
liche Mensch**, heißt es in der Vorrede zur »Beligion innerhalb
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— 292 —
der Grenzen der bloßen Vernunft", bedarf, um seine Pflicht zu
kennen und zu beobachten, weder der Idee eines andern Wesens
über ihm, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes
selbst.'**) Der kategorische Imperativ, d. h. die uns eingeborene
Verpflichtung zum sittlichen Handeln, Inst sich auf in einzelne Impe-
rative, die uns unbedingt zu bestimmten Handlungen veranlassen.
Dieselben stammen lediglich aus der Vernunft und der uns
eingeborenen Liebe zum Guten. Darum sagt Kant mit Recht:
„Das Princip der Sittlichkeit liegt allen Handlungen vemünftiger
Wesen so zu Grunde, wie das Naturgesetz allen Erscheinungen."
„Ist der menschliche Wille rein", heißt es in der „Kritik der prakti-
schen Vernunft% „so ist sein alleiniger Bestimmungsgrund das mora-
lische Gesetz.*' Es fällt mithin selbst die Verpflichtung, das Gute zu
thun aus Liebe und Ehrfurcht gegen Gott. ,.Die Annahme", sagt
Kant weiter, „dass Gott der Urgrund unsei'er Verbindlichkeit zur Be-
folgung der Sittengesetan aei, ist nicht nothwendig; denn dieser
Qrand beruht (wie hinreicheDd bewiesen worden) lediglich auf
der Autonomie der Vernnnft selbst** Danit fidlen selbsiver-
stlndlich sämmtliche Drohungen mit Gottes Zorn imd Strafgericht
und ribnmfliGhe TerheiSnngen seiner Belohnung auf Erden nnd im
JenseitSt denn dnieh den Hinblick auf dieselben wird der That der
Charakter einer echt sittliehen ganz geraubt
Bei einem kategorischen Imperativ ist jede Frage nach
dem Warum des Sollens als thSricht abzuweisen. Dies gilt
fttr die Sittengesetee wie flkr die Natoigeeetze, bei denen es sich statt
des Sollens um das Mttssen handelt WÜl man Gott als den
Schopfer der Nator- und der Sittengesetze hinstellen, so hat dieser
Glaube seine Yolle Berechtigung; aber daraus folgt nicht, dass der
Zwang, etwas thun zu mttssen (Abhftngigkeit von Naturgesetzen),
oder der kategorische Imperativ, etwas thun zu sollen (Abhängigkeit
vom Sittengesetz) In Jedem besondem Falle auf dieses unseres Schöpfers
besonderen Willen und Befehl zurttckzufllhren sei. Der wahrhaft
*) An das Das^ Gottes sn flrlaoben und niiBer TeriiBltnis so ibm ab dem
Schöpfer, Erhalter und Regierer derWrlt und liebenden Vater aller Menschenkinder
fMtzuhalten imd zw regeln, ist Saciie der Religion, nicht der Sittlichkeit.
Uni diesen rntersclüed klar zu erkennen, studire man Kant, namentlich seine
„Ci rundleguug zur Metaphysik der bitten", „Kritik der prukti»ehen
yernnnft" nnd ,Beligion innerhalb der Grensen der bloAen Vernnafi."
FreOidi gehOrt dasn nothwendig, dass man vorher seine „Kritik der reinen Yer-
nanft" sdir soigftltig studirt habe.
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sittliche Hensch tbat das Gute lediglich am des Guten willen» weder
in Hoifiinng auf iigend eine Belohnung noch ans Fnrcht vor irgend
ehier Strafe hier anf Erden oder im Jenseits. Wer wahrhaft sittlich
handelt, denkt bei Vorsats and Ansftthmng weder an Gott*), noch an
irgend eine fromme oder kirchliche Yerpflichtnng. Sobald ihm solche
Gedanken in den Sinn kommen, — etwa bei der Überlegung vor
einer That, — wird er sofort nusstranisch gegen die Beinheit seiner
sittlichen Gesinnung. Dies Misstrauen ist bei der gegenwärtigen Er-
ziehung durch die kirchliche Sittenlehre wol begründet, und es ist
jedem Mensclien nur zu rathen, bei seiner Selbstprilfung und Selbst-
erziehong darauf ernstlich an achten. Das Gefühl, welches den wahr-
haft sittlichen Menschen nach trener Erftillung schwerer Pflichten,
namentlich nach einer recht schweren Unterdrückung seiner sinnlichen
Triebe und Neigungen ergreift, ist nicht das Bewusstsein, GKittes
Willen gethan und damit Gottes Liebe erworben zu haben, sondern
wie Kant sagt: „Die Achtung für uns selbst im Bewusstsein
nnserer Freiheit." Wir fühlen, dass wir vor uns selber be-
stehen können, dass wir nnserer Menschenwürde gemäß ge-
handelt haben. Ein echt sittliches Handeln macht uns unmittelbar
nicht frömmer; aber es macht uns ernster und mehr geneigt, auch
eine echt fromme Gesinnung in uns auszubilden, denn wir fühlen die
sittliche Verpflichtung, auch die Ehrfurcht gegen alles Heilige in uns
groß zu ziehen, ..Gott zu geben, was Gottes ist".**) Die Gefühle,
welche durch sittliches Streben und Handehi in uns ausgebildet worden,
sind j^och nicht religiöser Art, haben mit dem Übersinnlichen ganz
und gar nichts zu thun, und knüpfen sich demgemäß auch nur
*i Der sittliche Mensrh dcukt an Gott bei Ereignissen in Freude und Leid,
im (ilUck oder Unglück und in den Ucsciiit-ken und Wechself&ilen des Lebens,
die Ha, Beine aSchgtea Lieben, seine lOtbfii^ier oder die Qeaammthdt aller Keasehen
betnibtt, aber nieht bei eeinem Handeln, für das er sich allein oder sdnen
mtmeaaehen gegenfibcr verantwortlich ist. Damm ist^s filr ihn z. B. ganz gleich-
gttltig, ob er vor Oericht die Eidesformel in einfacher oder in feierlirher Weise,
loiieend, mit der Hand aui Crucifix ablegen soU. £r spricht die Wahrheit auch
«Im« solch eine Verpflichtung, lediglioli am der WnhMt willen, ans Afihtuig
T<nr dem Oeieti. Der Oedanke aa OoCtei Straljgefielit, das den MeioeidigeB
hier auf BideB oder in Jeaaeite eveilea kSaae, komnit ilun daboi gar aioht ia
den Sinn.
♦*) In dieser Weise „filhrt Sittlichkeit zur Religion". Es ist klar rtass damit
aicht die Verpflichtung gemeint ist, an bestimmte gefordert« Dogmen der einzelnen
Kirchen zu glauben. Den (jlluubeQ Uberlässt die Sittlichkeit der individuellen Über-
leagnag.
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an das Leben anf dieser unserer Erde. Der Glaube an Un-
sterblichkeit und an das Leben Im Jenseits bat mit der Sittlichkeit
nichts za thnn, sondern gehSrt, sowie der Olanbe an Gott ins Gebiet
der erste thurgauische iSeminar-Director,
Von Dr. IT. Morf~Wintertkkr.
(Soblusfi.)
6.
a Wehrli, wie schon nachgewiesen, in der verbesserten Land-
wirtschaft die Grundbedingung aller wahren Volkscultiir er-
kannte, ließ er sich die Förderung derselben auch außerhalb des
Seminars mit großem Eifer angelegen sein. So vei'anlasste er 1885
die Gründung eines landwirtschaftlichen Vereins, um durch
denselben nicht nur eine rationellei e Bearbeituiifr des Bodens und ein-
sichtigere Betreibung der Viehzucht, sondern auch eine edlere, der
culturellen Bedeutung der Landwirtschaft genugthuende
Auffassung des Bauernberufes zu verbreiten. Kr nannte die Ge-
sellschaft mit Vorliebe Bauern verein. p]s iiV»te derselbe nach und
nach großen, wolthätigen und weitreichenden Eintluss anf die Bauern-
schaft und die Betreibung ihres (jeschäftes aus, weil ihm bald alle
bedeutenderen Landwirte und die eintlussreichsten Männer des Cantons
beitraten. Wehrli wurde, wie billig, an die Spitze des Vereins gestellt.
Mit gleichem Erfolge wirkte er für die Errichtung einer can-
tonalen landwirtschaftlichen Schule. Im lahr 18:59 ordnete der
Erziehungsratli eine landwirtschaftliche Kuabenaiist;ilt an, noch in
Verbindung mit dem Seminar und mit der Beschränkung auf Garten-
und Gemüsebau, stellte sie aber 1841 selbstständig, verlegte sie in die
Wiitschaftsgebäude des Klosters Kreuzliugen und wies ihr ein an-
sehnliches Areal, bis auf 60 Jucharten, an. Die Anstalt wurde ganz
nach Wehrli 's Sinn organisirt, als „eine yolkstiidmliche Erziehnngs-
der Beligion.
(SdiliuB ftilgt)
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aostalt ftr BaaernsOhne". Die Fflhning dendben wurde einem aeiner
taehtigsten Zöglinge, Wellaaer, übertragen. Ihre Leistungen worden
bald allgemein anerkannt nnd gereichten dem Qrflnder und dem Vor-
ateher zur Ehre.
Da die Armenerziehung immer Wehrli's Herzenssache war und
blidb, ruhte er nicht , bis er die Gründung: einer landwirtschaftlichen
Ärmenscliule zur Aufnahme verwahrloster Knaben zu Stande gebracht
hatt«. Als die Röthigen Geldmittel gesammelt waren, wni-de auf dem
Bemrain, nahe dem Schlachtfeld von Schwaderloch, eine kleine Stunde
vom Seminar entfernt, ein Landgut angekauft, das von edlen Obst-
bSumen besetzt war und eine herrliche Aussicht bot über Constanz,
Kreuzlingen, die Ufer des Boden- und Untersees. Hier wurde die
landwirtschaftliche Armenschule am 11. December 1843 mit 5 Zög-
lingen eröffnet und eingeweiht. Auf Wehrli's Rath wurde sein
Zögling und Schüler Johannes Bissegge r an die Spitze derselben ge-
stellt. Die Wahl war eine überaus glückliche. Mit unbegrenzter Hin-
gebung, in rastloser Thätigkeit, mit seltenem pädagogischen Geschick,
mit rührender Treue, ein zweiter Wehrli, lebte er seinem schweren
Amte über vierzig Jahre und erfreute sich der schönsten Erfolge.
Nur die Erschöpfung der Kräfte könnt« ihn zu dem Entschlüsse bringen,
seine ihm ins Herz gewaclisene Anstalt und seine lieben l'flegesöhne
zu verlassen und im nahen Kreuzlingen Tage der wolverdienten Ruhe
zu genielien. Aber er sollte deren sich nicht lauge erfreuen. Trotz
der liebevollsten Pflege, mit der ihn die Seinen umgaben, erlosch sein
Leben bald, und er ging seiner Gattin, der treuen, wackern Gehilfin
in seiner langen Erzieherlaufbahu, voran.
6.
So reichte Wehrli's Wirksamkeit weit über die Mauern, die
Gärten und Felder seines Schlösschens, ja selbst über die Grenzen des
Cantons hinaus. Welches Ansehen er genoss, das zeigte naujentlich
das landwirtschaftliche Fest, das am 1. und 2. October 1846 zu Bürgeln
gefeiert wurde. Es bildete den Höhe- und Glanzpunkt des Zeugnisses
Ar sdne Erzielrnngabestrebungen.
„Er hatte die Landwirtschaft als Sehnlmann anfgefasst nnd in
seinen ünterrichtsplan Im Seminar an^S^nommen. Anf sebiai Betrieb
Batte die Gesetzgebung den Schnllehrem als Besoldnngstbeil ein Stück
Land zugewiesen nnd dadurch die Verbindung der landwirtflchaftUdien
Biteressen mit den Interessen, der Schule glekhsam doenmentirt.
Durch ihn war man za der Erkenntnis gelangt, dass in der ländlichen
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BeschSftigimg das saveritosigste und nacUialtlgste Erzieliiiiigsiiiittel
gegeben sei Bei dem Feste selbst waren es die mittelbaren nnd nn-
mittelbaren Schüler Wehrli's, die Zöglinge der landwirtschaftUehen
Schnle, die Zöglinge des Seminars, einietaie dnreh Wehrli ftr die
Landwirtscbaft gewonnene Lehrer, welche aar Ansschmttcknng des
Festloeals, aar Einordnung der Aasstellangsgegenstände, aor Ver-
herrlichang der Feier dnreh harmonische GesAnge das Wesentlichste
beigetragen hatten, nm das landwirtschaftliche Fest, die Deoenninnui-
feier des landwirtschaftlichea Vereins, an einem aUgemeinea schonen
YolkBfeste an machen.
Mochten andere bei der Bettaditong der Anestellungsprodttcte
die Mannig<igkeit nnd Vollkommenheit derselben bewundem oder
aas denselben auf die Ertragsfäbigrkeit des Bodens nnd die Vortheile
des Climas thnrgaoischer Gelände Schlnsafolgerungen ziehen; —
mochten wieder andere vom finanziellen oder kaufmännischen Stand-
punkte aus au Vergleichungen des landwirtschaftlichen Gewerbes mit
anderen Gewei'ben sich veranlasst fühlen, oder die Kehrseite des
Landbaaes, die Mühen und die Zinslasten des TAn^mMin^ Jenem Ernte-
reichthum der AusHtellong entgegen halten; — mochtoi endlich die
eüHgsten anter den Festbesuchem den Kunstgriffen nachforschen,
vermittelst welcher der Elrde so ausgezeichnete Producte abgewonnen
wurden: — bei Wehrli und seinen geistesverwandten Freunden war
doch bei diesem Feste die Haiiptfreude die, in der Productenausstel-
lung und in der allgenieinen Theilnahme des Volks den Triumph der
naturgetreuesten, landwirtschaftlichen Krzichimgs weise zu erkennen.
Wehrli war die Seele des landwirtschaftlichen Festes, und mit
vollstem Rechte desselben Präsident.
Es gehört nicht hierher, die Einrichtung und den Verlauf des
Festes zu beschi'eiben oder die Volksmenge, die daran theilnahm, mit
Zahlen zu bezeichnen, oder die lierzensergießungen, Kraftworte und
Witzspiele der verschiedenen Festredner in Erinnerung zu bringen,
oder die ausgezeichnetsten Gäste, welche aus den Nachbarcantonen
und auch aus den entfeniteren Cantonen Aargau und Bern dabei sich
einfanden, zu nennen. Ähnlicher Aufmerksamkeit werden ja oft auch
Dinge gewürdigt, die nur lustiger Natur sind. Dass aber Lehrer und
Schul vorsteh er nach den eigentlichen Festtagen mit ihren ganzen
Schulbevülkerungen ein Nachfest begingen und den jugendlichen
Seelen den Segen und die Würde des sonst so gering geachteten
Bauerngewerbes in seiner rationellen Umgestaltung vor Augen hielten,
war ein Beweis, dass Wehrli' ^ Erziehungsgrundsätze in die Tiefe
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— 297 —
gedrungen waren und auch an zakUofUgen Früchten und Erfolgen
reich sein werden.** (Pupikoto.)
7.
Diese erfolgreiche Thätigkeit nach außen minderte Wehr Ii 's
Sorgfalt und Eifer füi- den Mittelpunkt seines Wirkens, für das Se-
minar, in keiner Weise. Von den Erlebnissen, wie das eben geschil-
derte, von seinen Besuchen in seinem lieben Bernrain, in der nahen
landwirtschaftlichen Schule, von Versammlungen des landwirtschaft-
lichen Vereins kehrte er immer, erfrischt und ermuntert, mit neuer
Kraft und neuer Lust in seine Anstalt zurück. Der spätem Ge-
schehnisse wegen ist wol angezeigt, das ürtheil eines Zöglings des
Wehr Ii sehen Seminare über Wesen und Geist der Anstalt hier
folgen zu lassen. Der als tüchtig anerkannte, vor etlichen Jahren
heimgegangen e Schulmann Schlegel redet aus eigener Anschaunng
und Erfahrung also:
„Das Seminar war Wehrli Herzensangelegenheit. Dieser ersten
Pflicht lebte er mit ganzer Seele, mit der größten Gewissenliaftigkeit.
Obschon vielseitig in Anspruch genommen (viel Zeit erforderte auch
seine ausgedehnte Correspoudenz), gab er regelmäßig seine Unter-
richtsstunden und war selten von Hause abwesend."
„Er zersplitterte seine Kraft nicht an alle möglichen Nebendinge
und Nebengeschttfte, die mit seiner Hauptaufgabe in keiner engen fie-
idehung standen, Bondem w eoncentrirte seine Thätigkeit anf die
stete Verrollkemnuinng seiner Anstalt, die seiner Gegenwart bedurfte.
Er betete sich vielleicht ans diesem Gronde höchst selten mit
schriftstellerischen Arbeiten. Von der Politik hielt er sieh
Stele ferne.**
«Gleichwol drängte es ihn, seinen gemeinnfttzigen Sinn andi noch
ireiterhhi sa bethätigen, seine reichen Er&hmngen auf dem Gebiete
der Armenerziehnng, der Volksbildung und der Landwirt-
schaft zu verwerten. Immerhin war aber die Wirksamkeit anfier
dem Seminar eine solche, die mit seiner Lebensaufgabe in innigstem
Znsammenhang stand."
„Wehrli hielt große Stücke anf den familifiren Charakter der
Anstalt Er erkannte im Convict einen sittlichen Hebel der Lehrer-
büdnng. Es h&ngt wol wesentlich von der Persönlichkeit des Con-
victfflhrers und der ganzen Leitung ab, ob ein Internat sich schädlich
erwdse, oder ob ee auf den Charakter nnd die Sittlichkeit der Zög-
linge wolth&tigen Einflnss ausübe. Wehrli' s Seminar machte auf
uns nie den Eindruck klösterlicher Zncht nnd Abschliefinng.
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— 298 —
Gegentheils waltete in dieser Anstalt allezeit ein trefflicher,
pädagogischer Geist Hilde nnd Frenndlichkeit war der
herrschende Ton. Die liehevolle Behandlung weckte Tolles
Vertrauen. Die ZOglinge ftthlten, dass sowol die Erm ante-
rnng, als die Warnung ans wolwollendem Herzen floss. Willig
folgten sie meist dem väterlichen Bath. Das Verhältnis
zwischen Lehrern nnd Schülern war ein vertrauliches, unge-
zwungenes. So gestaltete sich das Seminarleben zu einem
wahren Familienleben. — Regelmäßig versammelte Wehrli
in einer Abendstande sämmtlichc Zöglinge, um gemeinsam
die Beobachtungen und die Vorfälle des Tages zu besprechen
Es waren Stunden sittlich religiöser I'riifun^if. Es geschah
dies mit einem Ernst und einer Milde, die jedem ans Herz
griff.-
„Erkrankte ein Zögling, so nahm ihn die Hausmutter in ihre
Pflege. Geübt in der Krankenbehandlung erwies sie sich als treue
Pflegemutter, unermüdlich bei Tag und in der Nacht. — Wer l^ei
Wehrli war, widmet auch der ,Mutter Wehrli* ein fi'eundliches
Andenken.**
«Es war Wehrli's lebendige Überzeugung, dass der Gkirten- and
Gemflsebau ein höchst beachteuswertes Erziehungsmittel sei, deshalb
sah er die Beschäftigung mit Lsndbau als einen integrirenden Theil
der Lehierbildung an. Derselbe sei körperlich stärkend, gemüth-
bildend, ein treffliches Mittel, die Sinne zu wecken, die beste Übung
zui' leiblichen Selbstständigkeit; er bezwecke Ordnungssinn und Arbeits-
lust, haushälterische Einfachheit und Sparsamkeit. Wehrli erblickte
in solcher Arbeit ein vermittelndes Element zwischen Schule und
Haus, ein Mittel zu innigem Vei kehr mit dem Volk, insbesondere mit
der Bevölkerung agricoler Landestheile. Sie sei eine gesunde Ab-
wechslung und die beste Erholung nach geistigem Schulunterricht
Wol hatte die Anstalt auch Vorrichtungen zu Turnübungen; doch be-
trachtete er liebei' den Acker als den großen Turnplatz seines Se-
minars."*
„Jeder Zögling hatte — in einer bestimmten Wechselordnung —
ein Amt als Aufseher über die ScUaftäle, Aber die Arbeiten im Hof,
bei Tisch, im Garten, im Holzschopf. Jeder erhielt auch ein Stfkk
Boden zu seiner Bearbeitung. Die meisten ZOglinge arbeiteten mit
rechter Lust**
^Nach den Grundsätzen Wehrli's war das Seminar nicht nur
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— 2y9 —
Unterrichts-, sondern insbesondere aaeh Erziehnngsanstalt Der
Lehrer mttsse 'zum Erzieher zuerst seihst erzogen werden. Er legte
das Hauptgewicht anf die Bildang des Charakters. Das Motto
an der Front des Anstaltsgehäadest „ora et lahora'', charakterisirte
Wehrli*s Ströhen, den Geist nnd die Bichtung des Seminars. Vor
aUem ibrdi»rte er von einem Erzieher der Jugend und des Volkes ein
gesundes Herz, eiben hellen Kopf, eine anstellige, arbeitsame
Hand. Das Ideal einer Volksschule auf dem Lande war ihm die
mit Garten- und Gemttsefeld umgebene und mit einer Werkstätte
versehene Schule, w dass der Lehrer neben dem Unterricht im Zimmer,
oder vielmehr mit demselben abwechsehid, die Kinder anleiten kOnne,
denkend "zu arbeiten und arbeitend zu denken, körperlich und geistig
sieh zu i^tien und zu erholen, sehwftcheren und weniger gewandten
Sehfllem dienstfertig nachzuhelfen."
„Wer Wehrli sah und kannte, musste ihn hochsch&tzen und
lieben. Die äußere Elrscheinang entsprach ganz dem inneren, einfiMdien,
schlii^ten Wesen. Der kleine Mann imponirte freilich nicht durch
seine Gestalt, wol aber durch seine reine Gesinnung, den großen
Charakter, die reiche Erfahrung, durch den olonadel, der in seinem
Auge, in seinem geistigen Gesichtsansdrucke sich abspiegelte. Seine
hohe, gewd)bte Stirn verrieth den denkenden, forschenden Geist; seine
beobachtenden Augen leuchteten wie zwei belle Sterne; sie waren der
reinen Seele treues Abbild. Es war, als ob sie in waaer Bmerstes
blickten und lesen wollten, was im Grunde des Hei-zens vorging. Das
Äußere deutete bei ihm auf ein reiches Innenleben. Sein Aussehen
war gesund, blühend, jugendfrisch. In seinen Manieren war nichts
Affectirtes, Geziertes, Gezwungenes, Gesuchtes. Er gab sich, wie er
war; sein Thun war natürlich, ansprechend, liebenswürdig. Tn soiner
Kleidung erschien er sauber, ordentlich, angemessen. Das war nun
allerdings nicht ganz pestalozzisch, aber doch recht. Er mied alles
Auffallende. Stand er untemchtend vor seiner Classe, so hatte er
nicht selten die Hände über den Rücken geschlagen. Hielt er aber
mit der Rechten ein Buch, so legte er die Linke über die Brust.
War er im BefTriffe, mit seinen Schülern eine schwierige Aufgabe zu
lösen, so pflegte er wol die ubere Zahnreihe über die Unterlippe zu
legen. — So steht Wehrli's Bild noch heute ganz deutlich vor
unserer Seele."
,,Goethe's Satz: Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen!
Frohe Feste! fand aucli im Kreuzlinger Seminarleben Anwendung.
Auch da folgten der Arbeit, dem angestrengten geistigen Studium
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als wolthätige Abwechslung frohe Spiele, häusliche gesellige Fest-
freuden verschiedener Art. Wehrli war kein Freund von finsterm
Geist und Kopf hängerei; er liebte jugendlich heitern Sinn, fröhliches,
frisches, natürliches Wesen. Gern gewährte er den jungen Leuten
eine Freude „in Ehren". Schon die botanischen Excui-sionen machten
Ulis viel Vergnügen, noch mehr die gemeinsamen Ausflüge und S[)azier-
gänge am Sonntag Nachmittag, besonders wenn damit auch eine
Einkehr verl)iinden war. Am Geburtstage Wehrli's machten wir
eine genussreiche Reise auf den Hohentwiel, wo Gesang und Rede
das Fest verherrlichten. Eine hohe Lust war uns die Seefahrt nach
dem gegenüberliegenden Mr»rsburg, wo wir dem badischen Seminar
einen Besuch abstatteten. Seminardirector Nabholz, mit dem Wehrli
in freundschaftlichem Verkehre stand, kam mit seinen Seminaristen
auch herüber, um uns einen Gegenbesuch zu machen. Wehrli nahm
uns gern in die Versammlungen des landwirtschaftlichen Vereins mit,
wo wir auch etwas dnrch Gesangsvorträge zur Verherrlichong der
Feste beitragen duften. Er gestattete uns regelmäßig, «s den eaa- *
tonalen S&ngerfesten activ theOzitnehmen. Ebenso besachten wir ein
Sftngerfest im nahegelegenen Constanz. Wehrli war mit den dortigen
Frofessorm, wie SehmalhohE vl a», innig befrenndet Sie ersachten
ihn, ehien Toast in bringen. Und als sich der anspradislose Wehrli
weigerte, wurde er anter dem Jabel der Henge auf die Bednerbflhne
getragen. — Becht willkommen and angenehm waren uns stets die
Sonntags-Abendnnterhaltangen im Seminar, denen alle Seminarlehrer,
die ganze Familie Wehrli nnd oft noch Befreondete von Constans
oder KrenzUngen beiwohnten. Da wechselten Chor- and Quartett-
gesfinge, Scherz und Emst in Dedamation und dramatischen Aof-
ftihrungen. Die Auswahl der Gedichte und die Anordnung des
Ganzen war gftazlich der Seminaristen-Abtheüung flberiassen, die nach
der Beihenfolge fttr ünteriialtnng zu sorgen hatte. In Ermangelung
gedruckter, passender Theaterstacke wurden dieselben wol auch von
den Seminaristen selbst fabricirt Waren sie auch nicht bühnengerecht
angelegt, so machte die Aufflihrung doch oft viel Kurzweil. So be-
schlossen wir, als die Reihe wieder an unsere Bankabtheilnng kam,
ein Schattenbild der Schule, die alte Regelwerk-, Schablonen- und
Gedächtusschule vorzuflUuren, den pedantischen Schulmeister sammt
sehier steifen, mechanischen Methode zu persifliren. Wie es schien,
war uns die komische Darstellung gelungen; denn Wehrli freute sich
herzlich und klatschte uns Beifall zu. — Das war die helle, heitere
Seite des Seminarlebens, seine Poesie. Denen, die zur Ferienzeit in
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der Anstalt blieben, war zu Spid mid Ftende noch mehr Baum w-
gönnt So fiberstiegen wir »HOmlianer'' in der MoigenflrUie des
31 . December mittelst Leitern die Umfassungsmanem des .Schlflsstt",
stellten uns mit nnsem Violinen und andern Instrumenten im Hofe in
einen Kreis und brachten den Sylvestern ein gar köstliches Concert
Mfehrli vertrug die Lästigkeit, den jugendlichen Frohmuth, sogar
manche Unebenheiten, wenn sie nnr nicht gnte Sitte und Anstand
▼erletzten."
„Hell leiK htet uns vom pädagogischen Himmel Wehrli's Stern
hernieder. Wehrli war ein Meister im Unterricht; ein Vater in der
Erziehung; er war schlicht und wahr, treu und bieder. Mit dank-
barem Herzen gedenken seine Schüler der schönen Stunden des Unter-
richts, die sie bei ilim genossen. Sagt, Freunde, wars für uns nicht
jedesmal hoher Geunss, wenn Wehrli, von innerster Freude verklärt,
in unsere Mitte trat? Brachte nicht seine Gegenwart eine festliche,
sonntägliche Stimmung in unser Geniüth? Waren wir nicht Aug* und
Ohr, wenn er entwickelte und mittheilte? Wie selten einer, verstand
er's. die jungen Geister zu wecken und sie mit hohen Gedanken zu
erfüllen. Sein Unterricht war Weckung, Kräftigung, Anregung zur
Selbstthätigkeit und praktischen Tüchtigkeit; sein Unterricht trieb
zur Fortbildung, zur Arbeitsfreudigkeit. Wo er war und wirkte, war
Leben und Streben nach Gutem und Rechtem. Sein Kernwott und
seine Mahnstimme hieß: .Harmonische Ausbildung aller Kräfte ist
wahre Erziehung. Bildet drum im Schüler hellen Kopf, gesundes
Herz und eine arbeitende Hand! Studirt fleißig die Kindesnatur und
bildet euch selbst durch eigenes Nachdenken und Beobachten! Werdet
echte Jünger des größten Meisters und Erziehers!' — Was mich immer
am stärksten zu Wehrli zog, und was mich wie Sonnenschein durch-
wärmte, das war seine quellfrische Heiterkeit, sein immerdauemder
FrQhling im Herzen, seine ewig frische Begeisterung für den hohen
nnd herrliclien Lehrerbemf. Nie Termoehten dio stamn, t«»dt6n
Formen seinen Geist ans Niedwe «i bnooen; ,aufwärts nnd vorwfirtsi*
das war sein Losungswort Diese Lust am Werke der Erzieihnng,
die reine Frende am Idealen, am Wahren nnd Gnten gab seinem
Leben die rechte Weihe. Diesen Sinn fürs Edle snchte er anch
seinen Zöglingen einzupflanzen. Unvergesslich bleiben mir die Schlüsse
Zeilen eines Briefes' Ton Wehrli: Jm Frflhling komme nnd besuche
ans! Komm', wenn Da nur willst. Da redlich aoÜBtrebender Mann,
Da bist als ein treaer Arbeiter im Beiche Gottes ans immer will-
kommen! Gott erhalte Dich anserm Lehrerstande gesund nnd woll
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Bleibe tieu unsern Grundsätzen für Erziehung und Unterricht! Himmel-
an gelie Dein Streben jederzeit! Nach oben! Oben ist Licht! Halte
an in Arbeit und Gebet!* — Meine Freunde I Erneueiii wir recht oft
das Andenken an Vater Wehrli! Erfrischen wir unsern Geist au
diesem lloclibilde, an diesem Lebensborn! Erwerben wir uns solche
Heiterkeit und solclien Muth! Sein Vorbild mahne uns, in seinem
Sinn und Geiste zu wirken. Ja, auch wir wollen unser Leben der
Schule und den Kindern weihen."*)
„Der Erfolg von Wehrli's Seminarwirksamkeit Ubertraf alle Er-
wartungen. Er brachte die Anstalt in kurzer Zett.'m Bnf nnd An-
erkennung. Nachdem sie abdanii die sechsjährige Flrobeseit glänsend
bestanden hatte, erhielt sie f&r eine weitere Zeitdauer eine gesicherte
Stellung. Die Frequenz nahm zu. Da sich das Seminar durch seine
Leistungen bereits bewährt hatte, erwarb es sich bald allgemeines Ver-
trauen. Der Zudrang aus verschiedenen schweizerischen Cantonen,
*) Hier mair eine Mittlieilimc: nus dem „rhätischon Alprnbotr-n^ über die Ver-
•ammlung scliweizeriscber Schuliniinner (1849) am Platze sein. Kcfercnt zeicbnet«
WehrH mit wenigen Worten, wie er leibte und lebte. Da biefi es u. a.: „Denke
dir den sohlicfaten und wahren, den in seinem hohen Alter noch so muntern und
lOstigeo , Vater Wcbrli', einst Fellenbergs und reetalonns mtarbeiterl ICt fimide*
Tttklärteni Antlitz steht er mitten in einer wiickern Schar von ihm gebildeter,
tflchtigcr Sobiilmiinner, nach allen Seiten bin die Hände reichend zu freundlicher
BegrMung mit herzlichen Wortcul Nun tönte die Glocke; es folgte die Eröffnung
der Verhandlungen. ,Bittder reicht die Hand snm Bunde* sehallt'i durch die weiten
Baume. — Bdbttt und Diacunion boten hohen Genuss. Keller, Kettiger u. a.
äußerten manch gehaltToUea Gedanken. Doch das Beste brachte unstreitig Vater
Wehrli. Ihm, dem Veteran schweizcriscbon Scliiihvcscns, wurde nämlich ein hem-
liebes Hoch gebracht. Der Gefeierte erbub sich und sprach iu t>cinur ansjiruchlosen,
gemflthlichen Weise nngefUur so: Liebe Freunde, theure Beruftgenossen! Ich soll
da Auftraten und efaie Bede halten: aber das ist meine Sache nicht I6k bia kein
Bedncr, doch drängt es mich, Euch meinen innigen Dank zu bezeugen fttr die mir
sugcdachte Ehre. Es ist vorhin bemerkt worden, ich sei noch einer von denen, die
einst an der Seite von Vater Pestalozzi das Feld der Volkserziebunff angebaut, und
das ist wahr^ mit freudiger KUhrung gedenke ich jener Zeit. Wahrend meiner
seitherigen, Tie^ährigen WiifaNunkeit als Schulmann ist schon viele« geforscht nnd
behauptet worden Aber das, was noth thnt im Ersieluingsweeen, ttb«r das, was in
die Volksschule gehOre. Ich habe gefunden, daas es drei Hauptpunkte sind, auf die
wir, tbcurc Berufs^jenossen, bei der Erziehung und Bildung unserer lieben Schweizer-
jugend unser Augenmerk zu richten haben. Wir müsden darnach trachten, da&i
unsere ZOglinge 1. einen kellen Kopf bekonunen, damit sie das Wahre vom Fal-
schen, das Gute vom BAsen unterscheiden lernen, 2. ein gesundes Hers, 8. eine
»rbeitsiiiiK- Hand. — Diese drei Gedanken führte er weiter MB in einer W^eise,
wie es allen Anwesenden tief SU Mensen drang und sie mit neuer Liebe fOr ihrsa
heiligen Beruf begeisterte.
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— ao3 —
insbesondere von St. Gallen, Appenzell, Glarus, 8chafFhausen, Baselland,
Schwyz, Unter walden etc., war so f^roß, dass die Zahl der Zöglinge
bald auf 80 anwuchs und die Räumlichkeiten kaum mehr genüg^ten."
Nunmehr bot das Schlösschen ftir die so zahlreiche Anstalt nicht
mehr genug Raum. Darum wurde sie im Jahr 1850 in das 1848
aufgehobene Kloster Kreuzlingen verlegt. Nun hatte sie ein geräu-
miges, freundliches und be(iuemes Heim. Dieser Einzug bezeiclinet
einen bedeutsamen Markstein im Leben Wehrli's. Er stand auf der
Höhe seiner äußerlichen Lebensstellung, seines Strebens und Wirkens.
In diesen neuen Räumen feierte er am 6. November 1850 seinen
60. Geburtstag. Mit Befriedigung durfte er auf seine Vergangenheit
zmückschauen. Sein Wirken liatte Früchte getragen. Kiu Zeugnis
dafür war auch diese Feier. Dum Schreiber dieser Zeilen, der als
Mitglied der Seminarlehrerschaft mit dabei war, ist dieselbe in leb-
haftester Erinnerung geblieben. Pupikofer, der seinen Freund
Wehr Ii durch seine Gegenwart erfreute, sagte von diesem Fest:
„Als Welirli im klOsterlidieii B«lectorinm seineii seehstigsten
Gebnrtstag feierte, umgeben vott seiiier Familie, seinen Mtarbeitem
und Freunden und in der Mitte seiner Zöglinge, und jede Classe seiner
Zöglinge dnrch ihren Spreeher dem trraen Vater nnd der 'guten
Htttter nnd Srankenwfirterin Wehrli den tie^efBhlten Bank ans-
sprach nnd im Preise des Erzieherhemft flbeiiloss, wie freudig g^änxte
dabei des Altmeisters Aoge, wie herzlich dankte ei*I Zwischen den
Tischen nmhergehend, begrttßte er jeden mit einem liebenden Worte oder
Tertranenden Blicke. Es war das zwar nichts Ungewohntes; denn so
oft sein Namenstag anch früher gefeiert oder einer abgehenden 8e-
miniutilaBBe ein Abschiedsmahl gegeben worden war, pflegte iüinliches
m geschehen. Aber der Übergang des geliebten Lehrers fiber den
sechszigsten Markstein semes segensreichen Lebens war für seine
ZOglinge eine herzergreifende nnd begeisternde Ermnnternng,
fftr Menschenbildnng und Seelenrettnng wie er zn leben nnd
zo wirken."
Jedoch sollte die Glanzperiode seines Schaffens nur noch knrze
Zeit dauern. Die herbsten und schmerzlichsten Erfahrungen warteten
seiner. Ein scharfer Wind erhob sich yon Sftdwesten her.
Eine im stillen vorbereitete Opposition gegen die Unter-
richts- und Bildungsweise im Seminar, gegen die angestrebte Jßich-
tung in der Entwicklung des thurgauischen Schulwesens, gegen die
Schulbücher, bei deren Erstellung doch die Lehrerconferenzen begut-
achtend mitgewirkt, gegen Wehrli's Persönlichkeit selber, fing an,
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sieh hören zn lassen. Zun eigentlichen Ausbruch des Sturms gab die
beabsichtigte Gründung einer Cantonsschule in Frauenfeld Anlasse Die
Primarlehrei*schaft sah sich durch die Errichtung einer höheren Lehr-
anstalt in ihren materiellen Interessen bedroht. Sie \ erlangt«, es
mOsse derselben eine bessere Ausstattang der Volksschule und die
Ökonomische Besserstellung der Lehrer vorangehen. Wehrli, meinte
sie, sollte als Vorkämpfer in dieser Sache auftreten. Aber dasQ war
sein ganzes Wesen nicht angethan; auf eine Ai*ena zu treten, war nicht
seine Sache; seiner Natur entsprach die VermittleiToUe, die er dann
auch in dem erbitterten Streit als seine Aufgabe ansah. Das zog
ihm scharfen Tadel zu von Sprechern der Lehrerschaft, die auch
wiefler ihre Instructionen von leitender Seite empfingen. Von da an
wurde die ganze Wirksamkeit Wehrli's einer scharfen — um nicht
zu sagen böswilligen — Kritik, die ihi'e Quelle außerhalb des
Lehrerstandes hatte, unterworfen und sein ganzes Thon, wenn nicht
verderblich, doch verkehrt gefunden.
„In einer Lehrerversamndung in Kreuzlingen" (1851), erzählt
Schlegel, „welcher Wehrli präsidirte, kam der Sturm zum Ausbruch.
Es schmerzte Wehrli um so tiefer, da sogar manche seiner Zöglinge
in unüberlegtem Eifer auf Seite seinei- erbitterten Gegner sich stellten.
Schlag auf Schlag folgten Angritt'e auf Wehrli, das Seminar und den
Erzieiiungsrath. Das war eine harte Zeit, eine scliwere Prüfung für
den edlen Mann, der in unwandelbarer Treue sein Leben der Hebung
und Entwicklung des Volksschulwesens und der Heranbildung eines
tüchtigen Lehrerstandcs gewidmet hatt«. Diese Verkennung that ihm
weh; doch ließ er dem Parteikampf seinen Lauf und schwieg."
Die Zahl der Gegner, berichtet Pupikufer, bestand zwar aus
einer nur sehr kleinen Minderheit der Lehrerschaft; aber Heftigkeit
und Beharrlichkeit ersetzten ihre numeräre Scliwäche. Die treuen
Freunde Wehrli's ersuchten ihren väterlichen Freund um die Er-
Uobnis, die Angriffe abwehren za dürfen; er verweigerte sie ihnen;
aadi enthielt er sidi selber aller Erwiderung; er wollte das Stroh-
feuer ausflackem lassen. Und doch konnte er den Schmen, von seioeii
Zöglingen bekfimpft und geadunikt zu werden, seine Eniehnngs-
gnmdsätze von seinen GeistessOhnen mit FiUten getreten zu sehen,
kaum verwinden. In dSmmeriger Abendstille klagte er sebiem Ver»
trauten (Papikofer) sen&end, wie er nicht fiusen kOnne, dass Gottes
WeHregiemng die wahre Volkserziehung preisgeben kdnne. Als jener
ihm hieranf etwas barsch die Frage Torhielt» ob er denn auf das Ge»
lingen grOfiere Ansprache machen wolle als Christus, der unter zw9If
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JüLgeru einen Verräther zählte, antwortete er leise: „Ich ^vüi nicht
mehr klagen, sondern an den Heiland denken/
Die Anklagen gegen das Seminar gingen wesentlich dahin, es
werde äber die Sorge ffir Ohaiukter und Gonftth die Verstandes-
bildung veniachlässigt, und die wisBenschafUiche Ausrüstung sei eine
ungenügende^
Der Unterricht, der am meisten angefochten wurde, war der in
der Beligion, den Wehrli ertheilte. Es fehle demselben die wissen-
schaftliche nnd dogmatische Gmndlage. Die OeisÜichkeit, vorab die
strenggläubige, verlangte, dass er einem Theologen flbertragen werde.
Aber Wehrli war entsdilossen, ihn nicht aus der Hand zu geben.
Wie diesei' ünteixicht beschaffen war, darüber belehrt uns ein com-
petenter BenrtheUer des Fachs und der vertrauteste Kenner des Se-
minars, Decan Pnpikofer, also:
„Avt den Bdigioiuiiiitenridit legte Wehrli groAes Oewiebt, nicht blos weil
ihm die Bdigion ein Hilflsmittel der Bndehung, sonden weil ne ihm HenteiueBelie
war. Ob er aber Rationalist oder Supematurali.Ht war, Gegensätze, in denen die
damaligen Rcüirions-Strcitisfkcitcn fast aufschlicülieh »hh bewegten, hätte er ><ll>st
liei iillrr meiner Antriebt igkeit und Klarheit kaum beantworten kimnen. Ihm er-
(»cbiea die Welt ala dati große Vaterhaus Gottes und die ganze Natur alä eine
Offenbftrong Miner Mtcht, Weisheit vnd Ottte; aber auoh die Nothwendigfcett der
Arbeit nicht als da Flach, oder als eine Strafe, sondern als eine segensrolle Bin-
rirhtUDg Gottes. Er sehOpfte die Religion nicht aus der Natur und betrachtete sie
aueh nicht als ein Erzeugnis der Vernunft: aber er fllhlte das Bedürfnis, die Lohren
der Offenbarung mit der Natur und Vernunft im Einklang zu wissen, und
find in Cflitisti Lehve das Zeugnis fflr selehe Oheteinttimm uug. Mit seüiea
Schtttoa las er hii fieligimisnnterriehte am liebsten die Braagelieii ond Oeüerts-
Lieder und nmehtc davon Anwendvng auf Her/, Leben und That; und was durch.
Wort und Lehre gefunden war, wurde durch Gesaiiij tiekrätfigt. Die Vorschrift:
„Bete und arbeite", machte sieh überhaupt bei Wehrli iiuch iu Beziitr ;iuf die
Religion t>o durchgreifend geltend, dass bei ihm Frümmigkeii und Arbcittifreuüigkeit
swei Dinge warea, die ohne mnander gar nieht bestehen kflnnen, aber doch onr »
lange nsammen bestehen kOnnen, als die Liebe sie miteinander verbindet Indem
er diese Auffassung auf seine Zöglinge ttbertrug, durfte er die tiefere Begründung
nnd die confessioneUe Auadracksweise des Bekenntnisses dem Leben und der Kirdie
anheimstellen."
Auch die Übrigen Unterriclitsfacher wurden bemängelt, und die
Leistungen als völlig ungenügend i)ezeielinet in öftentlichen Blättei-n
selbst von Leuten, die das Semiiiar nie betreten hatten. Im .Talir 18öO
kam ich, einem liuf von Wehrli folgend, als Lelirer dahin, blieb als
solcher zwei Jahre in der Anstalt und glaube mich l)erechtigt, in
dieser Sache ein Wort mitreden zu düitVii. Ich traf diei wolbesetzte
buccessivclasseu mit — Wehrli inbegriflen — sieben Lehrern. Der
i'asdagogiOB. 14. Jahrg. Heft V. 22
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Geist, der Ton und die Aibeitsfireadigkeit in der Anstalt waren so,
wie Sclilegel toß oben ^^esdiildert. S&mmtlidie Lebrer erüieilteii Ihren
Unterricht mit grandlicher Sachkenntnis, mit gewissenhaftem
Eifer und mit einem Erfolg, wie ihn andere Seminare nicht
besser aufzuweisen hatten. Auch im spftteren Bem&leben zeigten
die Schfller Wehrli's, dass sie in Jeder Beziehung, in wissenschaft-
licher Ausrfistnng, wie in der praktischen SchulfUirung den Lehrern
anderer Cantone, auch de^enigen, ans dem der Wind kam, durchaus
ebenbOrtig seien. Dass Wehrli hervorragender Begabung die richtige
Wegleitnng und mächtige Anregung zur Weiteibfldung zu geben Ter-
stand, beweisen die Namen Wellaner, Mflller, Bissegger, Hafter,
Tschttdi, Schlegel, Schelling, Graf,Bibi, Buedin, Zingg, Gull,
Gonzenbach, Bartholdi, Schlaginhaufen, Burkhard u. v. a.
Aber wenn einmal „Ton richtiger Seite" die Parole ansgogeben ist, so
wird sie ungeprüft geglaubt, und der Glaube pflanzt sich durch De-
cennien fort
Mitten in diesen Stunnzeiten erlebte Wehrli die Genugtliunng,
von der Berner Regierung einen Ruf zur Übernahme der Diiection
des Lehrerseminars zu Mflnchenbuchsee zu erhalten. Seine Freunde
im Ganton Bern erinnerten sich nach zwanzigjähriger Abwesenheit
seiner um die Schulen des Cantons Bern ei-worbenen Verdienste und
boten ihm durch jenen Ruf ein elirenvolles Asyl in der Nähe Hofwyls.
Indessen Vater Fellenber^ war todt, die dortigen Rrziehung:^-
anstalten waren aufgelöst-, Wehrli 's G^undheit war erschüttert, und
so sehr es ihn in die Nähe Hofwyls zog, fand er doch besser, den
Ruf abzulehnen. Auch in Thurgau legte sich der Sturm; die lautesten
Eiferer kamen zu der Einsicht, man sei im Streit viel zu weit ge-
gangen. Aber infolge der Neuwahl des Erziehungsrathes 1852, in
dem nunmehr seine Ankläger die Meliiln'it Imtten, fand er es an der
Zeit, zurückzutreten. Kr sali voraus, dass nun eine Keorgauisation
der Anstalt kommen werde. Da aber seine ganze Persunliclikeit mit
der damalif^en Hinrichtung innigst verwachsen war und ihm eine
totale Umgestaltung unmöglich zusagen konnte, gab er sogleich seine
Entlassung ein, ließ sich aber dazu bewegen, noch bis Frühjahr 1853
zu bleiben.
Das Winterhalbjahr 1852 auf 1853 war für Wehrli eine harte
Zeit. Der Gedanke, vom Seminar sich trennen zu müssen, drückte
ihn. Die Lungenblutun^^en, die ihn früher schon heimgesucht, stellten
•sich mit vermehrter Heftigkeit ^vieder ein. Die Forderungen der
neuen Aufsichtsbehörde, wenn sie auch in milder Form gestellt wurden,
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— ao7 —
verlangten manches Ungewohnte. Der Abschluss der Rechnungen und
die Inventarisation brachten doppelte Arbeit. Es war dem mit seinem
Seminare gleichsam verwachsenen Manne, als wenn er bei lebendigem
Leibe beerbt würde.
Doch maclite er in dieser Zeit auch tiostreiche, er(}uickende Er-
fahrungen, dass er nicht umsonst gelebt und die Misskennung keine
allgemeine, dass die Hocliachtung und Liebe der Edelsten und Besten
ihm geblieben sei. Am Neujahrstage 1853 trafen mehr als vierzig
Männer aus den Cantonen Thurgau, St. Gallen. Appenzell, Glarus,
einstige Zöglinge, bei ihm ein, an ihrer Spitze die Armenerzieher
Lütschg aus der Linthcolonie, Zellweger aus der Sdiurtanne zu Trogen,
damals in Gais, Wellauer, Erzieher im Waisenhause, Schlaginhaufen,
Vorsteher der Töchterschule in St. Gallen. Sie waren gekommen, im
Namen von nahezu vierhundert Hofwyler und Kreuzlinger Zriglingen,
ihm eine Dankadresse zu überreichen mit einem Album, in welchem
die Unterzeichner ihre Namen mit einem Denkspruche begleitet hatten,
der den geliebten väterlichen Freund an seine Verdienste um sie zu
ei'innem und ihrer Dankbarkeit zn versichern geeignet war.
Einige Monate später, unmittelbar vor seinem Abschiede aus dem
Seminar, überbrachten eine grolte AasaU thnrganischer Lehrer, ange-
fthrt Ton den Lehmn Bartholdi in Franeafeld, Habisrentinger in
IsUkon, HaiiBeliiiftim in Ghftttingen, dem väteTiieheii Erstoher imd
Freunde eine zweite DanlcadresBe mit beigefügtem Albnm yon sieben-
nndnemzig Lehrern. Die Worte tiefjufefllhlten Dankes nnd inniger Ver-
ehmng, welche daibei gesprochen worden, Iconnten ihren Zweck nicht
▼erfehlen.
Die Bitternis, die der im Dienste der Jagend-, Lehrer» nnd Volks-
bildung ergraute Wehrli im FrOlgahr 1863 bei der ofBdellen Ober-
gabe des Seminars nnd der AnkOndignng einer neuen und besseren
Zelt aus amtlichem Hunde, ohne ein Wort des Dankes an den
Scheidenden, noch dnrchsukosten hatte, bleibe hier unerOrtert
8.
«Als in den Maitagen von 1863 Wekrli das Seminar Ereoslingen
▼erliefi und auf das Landgut seines Schwiegersohnes Moosherr nach
Gnggenbtlhl hinftbersiedelte, besog er ein zum Zwecke einer Erziehungs-
anstalt woleingerichtetes, neues Haus. Eine starke Stunde von Kreuz-
ungen landeinwirts in der Gemeinde Andwyl anf einer Hflgelfläche
gelegen, gewfthrt Guggenbühl eine weite, reizende Aussicht zunächst
in den Thalgrund Ton Erlen nnd anf idie denselben durchschneidende
22*
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und Viek'heiulo Eisenbahnlinie von Zürich nacli Konmnshorn; dann iiber
die gegenüber liegt nden Hügel von Schloss P^ggishausen, Wertbiilil,
Gübris, auf den Gebirgskranz der Alpen, südöstlich aus dem Bodeusee
sich eriiebeud, von den fisterreichischen Vurarlbergen bis zu den Tii-oler-
und liüudneralpen hinauf; südlich, gerade gegenüber hinter dem dunklen
Tannenbei'g auf den gewaltigen Säntis und seine Ausläufer; süd-
westlich auf die Glarner- und Schwyzer- und dit- angrenzenden Berner-
aipen, so dass westlich die Kette des Hr>rnli und in weiter Ferne der'
Albis und Ütliberg den Horizont begi-enzen. Rings um Guggenbühl
her breiten sich schattenreiche ObstbaunipHanzungen aus, unter denen
zahbeiche Dörfer und Höfe halbversteckt hervorschauen. Guggenbühl
wurde daher von Altei-s hei* schon mit gutem Grund als der Lugins-
land oder Guckinsland der Umhegend bezeichnet Einem Mann, der
sein ganzes Leben der angestrengten Arbeit gewidnwt hatte und der
Ruhe bedurfte, versprach die von Wehrli gewählte nene Wohnstätte
den mannigfaltigsten Natnrgenti8&^ (Pupikofer.)
Etva zwanzig Zöglinge der Seminarschale, welche ihm von
Freunden, namentlich ans der westlichen Schweiz zor Erziehung
waren anvertraut worden, folgten ihm nach GnggenbiUd. Ohne Rast
begann also anch hier wieder ein fHsches Anstaltsleben. Den Ort
hatte Wehrli gewechselt; er selbst war sich gleich geblieben.
Im Sommer 1853, lesen wir bei Schlegel, zog sich Wehrli
dnrch ErkSltong eine BmstentzBndnng zu. Eine Cor im Heilbade
WeiBenburg, bei welchem Anlass er seine Bemer Frennde besuchte,
hob sein Übel nicht Nachdem im Jahre 1854 mehrere RttckftUe er-
folgten und Wehrli die Hoffiinng auf Genesung au^b, traf er seine
letzten Anordnungen. Am 15. Hftrz 1855 schlummerte er sanft zur
ewigen Buhe ein. Damit war ein Leben mhmwfirdiger, rastloser
Thätigkeit, ein Leben voll Mtthe und Arbeit geschlossen. Bis zur
letzten Stande war er seinem Wahlspruch: nbete und arbeite'*, treu
geblieben. Noch auf seinem Kranken« and Sterbebette schrieb er ein
Testament an seine Zöglinge, es waren seine Lebensregeln und Segens-
wünsche. Das war sein letzes Berufswerk.
Eine große Volksmenge geleitete am 20. März den Heimge-
gangenen zum Grabe auf dem Kirchhof in Andwyl. Pfarrer Bion*)
hielt die Leichenrede und zeichnete in KUrze ein getreues Lebensbild
des braven Mannes, dessen Tod das ganze Land betrauerte. „In
Hunderten von Volksschulen und Bettungsb&usem in der Nähe und
*) Der Vater des Qrttnden der FerieoGoionieii.
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— 309 —
in der Ferne ist es die dankbare Erinnening an Vater Wehr Ii, vas
Lelirer nnd Erzieher zn freudiger Thätigkdt im Jngendonterricht
belebt«*
Wol konnte der GrOnder der rasch aufblühenden Gnggenbfihler
Wehrlischule bei seinen gestörten Gesnndheitsverhfiltnissen der
jungen Anstalt nicht mehr die Thätigkeit widmen« die er gerne geQbt
hatte; aber er hatte sicli treuer Hilfe zu erfreuen. Seine rechte Hand,
seine Stütze und sein Trost in diesen letzten Jahren war einer seiner
tüchtigsten Schüler, der überdies bei Wehrli's Freund Eberhard
als Lehrer an der landwirtschaftlichen Armenschule in Carras bei
Oenf sich für die Erzieheraa%abe trefflich erprobt hatte: J. J. Müller,
nunmehr Verwalter des Cantonsspitais in Winterthnr.
Seinem väterlichen Freunde war er mit inniger Liebe und Ver-
ehrung zugethan. Er setzte die Anstalt nach dessen Tode eine Reihe
von Jahren fort, bis seine heimatliche Regierung seine Begabung und
Türlitigkeit zur Leitung von Anstalten erkennend, ihn zu einer höheren,
freilich auch schwierigeren Aufgabe berief.
In seinem Heimatdiirfcheu Eschikofeu blieb Wehrli unvergessen.
Damit sein Andenken auch bei den zukünftigen Geschlechtern fort-
lebe, setzte ihm die Gemeinde nahe beim Schulhaus einen DenlLstein
mit der Inschrift:
Dm Andenken des treuen Lehrers .1. ,T. Wehrli, Seininardiiector,
geb. zu Escbikofen 179<J. ß:<.>st. auf (ruggenbtthl ISoö.
Dessen Wahlspruch:
Bete und urbeiti-.
Gewidmet von der Heintutgeuieiade.
Es bewahrheitet sich ewiß^:
Das Andenken des Gerechten bleibet im Segen!
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Fremdes und Heimisches im Unterrichte.
Von A. Schöffer-Berlin.
In vielen deutschen Schalen und ebenso in vielen Familien wird
die französische und die englische Spi-ache gelernt, ausländische Li-
teratur geübt und betrieben. Gegen die Anwendung dieses Bildungs-
mittels dürfte nichts einzuwenden sein, viehuehr ergeben sich leicht
die mannigfachen Vortheile desselben. Wer eine fremde Sprache nach
ihrem elementaren Grundstofte, nach ihren syntaktischen Gesetzen und
ihrem Geiste kennt, wird foitwälirend veranlasst, die eigene Sprache,
deren er sich von Jugend auf mit unreflectiiter Gewohnheit bedient,,
diu'ch eingehende Vergleichung mit der fremden tiefer und vielseitiger
aufzufassen. Hierzu bieten sorgfältige und sinngemäße Übersetzungen,
sowol aus der fremden Sprache in die eigene, als aus dieser in jene,
eine vortreffliche Grundlage und zugleich eine Anleitung, sich im be-
stimmten und klaren Gebrauche der Muttersprache, besonders auch
durch geschickte Anpassung mancher syntaktischen Wendungen,
formell zu vervollkommnen. Doch dies bedarf, für den Kundigen
wenigstens, hier keiner weiteren Ausführung. Nicht weniger wird
man sich in der Erweiterung seiner Kenntnis durch die aufmerksuuie
Leetüre fremder Pi-osaiker und Dichter, besonders derjenigen, welche
auf die Gestaltung der heimischen Erzeugnisse einen größeren oder
geiingeren EiuÜuss geübt haben, gefördert sehen. Man kläre, kräftige
und bereichere seinen Geist aus dem nahrhaften Kerne jener Literatur,
indem man die faden oder schädlichen Hülsen derselben, soweit diese
sich Yorlhiden, beiseite wirft. Außei*dem ist die Kenntnis fremder
Sprachen und die geübte Fertigkeit in ibnin Gebranche Ar die ge-
schftftliche GoiTespondens, die gesellige Verstibidigung odor Unter*
haltong mit Ansländeni oft nnenfbehrlich nnd also in jeder Hinsicht
dnrchans zu empfehlen.
Nor eines, worauf es vor allem ankommt, was zum Nachtheile
der beabsichtigten Bildung stets versäumt und vergessen wird, ist
hierbei wol zu beachten. Vertiefe man sich doch in keine fremde
Sprache und Literatur, ohne sich zunftchst mit den reichen Formen und
Schätaen der heimischen Sprache und Literatur einigermaßen vertraut
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za machen. Es ist vielfach bildend, verwendbar und lobenswert, das
fremde Idiom mit einiger Kenntnis tind Sieheriieit behandehi zu
kt^en; aber widersinnig und ttdierlich ersdieint dies, wenn man es
nach allem planmäßigen Unteiriehte, nach allem Anfhssen und Lernen
nieht so weit gebracht hat, einen Yorrath eigener Gedanken und Qe-
Ahle in der Mnttersprache geschickt, klar und schftn anssosprechen.
Um dieses an können, mnss man mor dorch Beraiehenmg nnd
Schftrfong des Denkens jenen Vorratli in sich angesammelt haben;
denn aosprilgen lassen sich Mttnaen nur insoweit als das Metall dasa
vorhanden ist In dieser schätienswertea Fertigkeit, diesem edelsten
Ergebnisse echter und gründlicher Geisteebüdmig, werden unsere
allerlei treibenden nnd lernenden ZOgUnge nirgends, weder anf höheren
noch auf niederen Untenichtsanstalten, ansreichend gefördert Ihr
erworbenes Wissen besteht (mit Ansnahme des arithmetischen nnd
geometrischen) ftberwiegend in grOfierer oder geringerer AnflUlnng des
Ged&chtnisses, welches awar die stoffliche Grundlage aUes Könnens
und Schaffens, aber nicht dieses selbst darstellt. Was wir an schrift-
lichen Leistangen dort, selbst bei den Begabteren, zu sehen bekommen,
das besteht meist aus kaltem und geschmacklosem Flickwerke, in
welchem keine Bildung des eigenen Denkens und des sprachlichen
Ausdrucks hervortritt Man. mache hierauf getrost die Probe, und
man wird das, was ich gesagt habe, gewiß nicht übertrieben finden.
Verursacht wird diese Schwäche theils durch den Mangel au gehöriger
Übung, theils auch durch die oft unpassende Wahl der Aufgaben,
welche, besonders auf den höheren Stufen des Unterrichts, zur Be-
arbeitung gestellt werden. Da uns nur das zu gdingen pflegt, was
wir mit der nöthigen Sachkenntnis und mit Neigung ergreifen, so ist
nicht zu erwarten, dass der Schüler solche Stoffe, welche zu weit-
schichtiger oder unbestimmter Natur sind, welche außerhalb seiner
Erfahrung und Theilnahme liegen, mit liebevollem Fleiße behandele.
Zudem unterlässt es der Lehrer gemeinhin, die auff,^egebenen Stoffe,
besonders solche von mehr sittlieh-abstractem Inhalte, seien sie an
sich auch wolgeeignet, durcli mündliche Ausführung und Zerglie(leruii<i-
dem Denken des Schülers vorher zu nähern und dadurch anzieht iKlt r
zu jnachen. Ein Muster dieser jArt von Behandlung,' bieten uns die
vielfachen Gespräche des Sokratos, welche Xenophon in seiner einl'acli-
scliünen Weise dargestellt hat. Was «lort der alle liellenisclie Meister
trairend und erörternd mit Männern vollzieht, das kann der sorgsame
Lehrer da, \\\> es sich um <;eimuere Bestimmung unklarer Begriffe
handelt, iji kleinerem Maßstäbe auch mit seinen Schülern thun.
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Ütxrigens bedarf es wol kaum der Bemerkung, dass die Schfller nicht
etwa za fertigen Meistern der Bede und der Sdirift ansgelnldet
werden sollen; denn die Meisterschaft kann sich, hei stets fortgesetzter
Übong, nnr im Laufe ein^ langen, durch vielfache Er&hnmgen und
Beobachtungen bereicherten Entwickelnng der mfinnlichen Kraft er-
geben. Nor das soll auf dieser Stofe erieidit werden, was von dem
jagendlichen Alter als nOthige Ansritetnng flir das Leben selbst zn
WQnsdien und zu erwarten Ist Nicht wenig trftgt zur geistigen An-
regung des Sdifilers allerdings dsa Lesen geeigneter Schriften bei
(mitnnter sogar mehr, als aller Unterricht der Schule selbst). Aber
die ftble Seite dieser BeschSfUgung liegt darin, dass dem SdiAler zu
vieleriei geboten und er selten angeleitet wird, das, was er liest,
sinnvoU in sich zu verarbeiten. Gewiss hätte er weit größeren Vortheil
von einigen wenigen Bttchern, welche er, beliebig blätternd und
wählend, in behaglicher Muße zwanzigmal hintereinander liest und
durchdenkt, als von Hunderten, welche er in gedankenloser Hast auf
Nimmerwiedersehen durchfliegt. In dieser flüchtigen Weise aber pflegt
die lernende Jngend die zuströmenden Lesestoffe zn genießen, ganz
ebenso, wie es die Erwachsenen meist selbst zu thun pflegen. Das
Ergebnis derselben bildet eine regellose Überfüllung und Verwirrong
des Geistes, verbanden mit nachtheiliger Aufregung der Phantasie,
welche den Überreizten nicht selten auf abenteuerliche Abwege leitet.
Nur in wenigen wird die Kraft des saciigemäßen und vernünftigen
Denkens entwickelt; und diese eben bedarf am meisten der Stärkung
und der sprachliclien Ausbildung. Wo es später noth thut, greifen
dann Viele zu der Hilfe eines gedruckten Briefstellei-s, ganz ähnlich,
wie schwache Versmacher sich wol des Gradus ad Paruassuni be-
dienen. Aber wie trocken und leer muss ein Geist sein, welclier. um
eine größere Ausfulir 1111.2:. einen Brief der Nei<^ung oder Liebe lierzii-
stellen, sich solcher scliabloneuliaften Muster bedient; desgleichen der.
bei welchem solche matte und kalte Schriftstücke anschlagen! Für
eine so tiMurige Verarmung und Verödunn: des Sinnes ist nicht weniger
der einst genossene Unterricht, als der ungeschickte und verwalirloste
Verfasser selbst verantwortlidi zu machen. Um Geist und Gemüth
zu erwecken, zu der an^^emessenen Form der Spraclie hinzuleiten, dazu
bat jener frülizeitig mitzuwirken; er soll die Kraft des Denkens und
Wollens anregen und entwickeln, wie der Gärtner durch kiuistlirhe
Priege aus einfachen iiinl wildwai hseiulen Blumen gefüllte und duft-
reiche herstellt. Das veifeldt er aber, wenn er, bei den ins Endlose
getriebenen Haarspaltereien der grammatischen Analyse, wie sie in
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Tiden Anstalten ttblich sind, es au t&chtJger ond nachhaltiger Übung
im Oebranche fehlen lässt. Was wOrde man zn einer Folge unfertiger
und missrathener Speisen sagen, deren AnüBrtiger sich stolz auf seine
Kenntnis der besten Eochbttcher beriefe? Lieber weniger graue Theorie
und dafür mehr lebendige und thatkriftige Praxis! Alle Sprache und
alle Kunst des Vortrages ist früher gewesen als Grammatik und
Elietorik, wie anf anderem Gebiete die anschauende Auffassung und
Beobachtung der Dinge selbst als nnentbehrlichei* Grundstoff dem
Gebrauche der logischen Denkformen vorausgeht.
Auf das sachgemäße Können und Leisten also kommt es an, und
bei allem, was gut oder vortrefflich hergestellt ist, beachtet man weit
mehr den geistigen Inhalt und seine klare und schöne Darstellung,
als die Beobachtung der sjTitaktischen Regeln, welche dazu mitgewirkt
hat. Welchen Nutzen gewähren uns alle modernen und antiken
Muster der (Tescliichte, der Redekunst, der denkenden Forscliun<>' und
Darstellung, wenn wir in der eigenen Sprache gedankenarme und
geschmacklose Stümper bleiben, ohne es dabei, wie gewöhnlicli, in
einer fremden zu gewandter Sicherheit zu bringen? Im herrlichen
Paris und London, im classischen Athen und Rom, auch im weiten
Oiient sind wir zu Hause; aber in der Heimat, in unserem eigenen
Inneren erscheinen wir als unfertige und unbeholfene Fremdlinge.
Da haben unsere großen, ewig frischen und blühenden Classiker,
wt^lclie wir an allen Orten durch eherne und marmorne I )enkmäler, durch
pomphafte Zweckessen und Toaste zu ehren lieben, die Arbeit ihres
mühevollen Lebens umsonst verschwendet. Unzweifelhaft sind ihre
Werke zu dem Zwecke da, in anderen eine gleiche oder doch ahnliche
Kraft des Anschauens, Denkens und Schaffens anzuregen, niclit aber,
diese ungepflegt verkünmiern zu lassen und nebenbei einer müßigen
und tluchtigen Leselust zu dienen. Ks gibt im allgemeinen, wie be-
kannt, nichts Schwächeres, Unklareres und Ungeschickteres, als schrift-
liche Leistungen eines Menschen, welcher, nach zurückgelegten Schul-
und Lehrjahren, mit Vernachlässigung alles anderen sich als Geschäfts-
mann, besonders als Handwerker, seinem Berufb widmet Bei Getogenlieit
kann man auch häufig bemerken, wie er Gedrucktes oder Geschrie-
benes, sei dieses selbst von der ein&chsten und leichtesten Art, kaum
deutsch zu lesen und sinngwnftB aufini&ssen versteht Üm diesem zu
begegnen, bemflhen sich viele unserer Zeitschriften, ihre Mittheilungen
in recht yolksthOmlicher und zugleich breit geschmackloser Weise
«inzurichten, weiche Einrichtung, beiläufig bemerkt, auch fttr die
Fanungsgabe mancher Gebildeten unerlässlich erscheint Dass ein
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Mensch von so mangelhafter Anst^dimg seiser Anlagen nicht imstande
ist, als Bürger an den Angelegenheiten des Vei^Msmigslebens und der
Gemeindeverwaltung erfolgreich mitsuwirken, liegt anf der Hand.
Zwar wird mancher dieses untergeordneten Schlages, za Besitz und
Ansehen gelangt, dieses oder Jenes hOrgei'lichen Ehrenamtes theilhaftig»
aber JedenfhUs, wie man oft sieht, zom flkhlbaren Schaden des 6e-
meinwols; denn mit dem Mangel an geistiger Dnrchbildnng verbindet
sich meist eine gemeine nnd eigennützige l>enkart, durch welche der
reine Eifer fOr Wahrheit, Becht nnd Gemeinwol niedeigehalten wird.
Ohne Sachkenntnis, ohne Obersidit und UrtheU, erlllllt so ein Spieft-
bfirger seine staatsbfirgerlichen Pflichten nur obenhin, als dienstbarer
Anhänger dieses oder jenes beredten Wortführers, welcher ihn für
seine Zwecke oder für die seiner Partei zu gewinnen und auszunutzen
versteht
An allen Orten haben wir jetzt sogenannte Fortbildungsschulen.«
Mikrhten diese Anstalten darauf hinarbeiten, dass ihre Zöglinge nicht
nui* das Gute und Brauchbare, was sie vordem auf Schulen gelernt
haben, in sich au^isclien, befestigen, auch durch nene Kenntnisse
erweitem, sondern vor allem tüchtige Anleitung zum mündlichen und
schriftlichen Ausdinck der Gedanken erhalten. Befruchtet und ge-
stäi'kt aber wird das Denken durch die anscliauliche Erkenntnis alles
dessen, was im sittlichen, geselligen and staatliclien Leben füi* den
Menschen wiclitig und wissenswert erscheint; und der beste Weg zu
diesem Erkennen ist der einer wechselseitigen Untersuchung und Er-
örterung?, welche den vorliegenden Stoff, unter Beachtung alles Ge-
gebenen und Vorhandenen klar und fertig liinstellt. Der gegebenen
Anleitung miisste sicli dann behufs weiterer Selbstbildung ein reges
und wachsendes Interesse tiir die reichen Schätze unserer Literatur
anschließen. Dies w^äre zugleich, soweit es belebend fortwirkt, das
beste Mittel, um der sinnlichen, ästhetischen und sittlichen Verwilde-
rung, in welcher wir so viele Mensclien, besonders des Handwerker-
standes, mMiriickt und traumartig dahinleben sehen, wirksam entgegen-
zuarbeiten, i ber die genannten Übelstände ergehen sicli Viele in be-
gründeten Klugen; aber sie beklagen den schlechten Ertrag eines
Feldes, dessen Anbau und Pflege aus Nachlässigkeit versäumt wird.
Wo es bei allen Mitteln der Industrie, des äußeren Conibals und Ver-
kehrs an jenem geistigen Hintergrunde, an humaner (lesittung und
Bildung der Bürger fehlt, da erweisen sich tiir den instand des
Ganzen selbst die feinsten und besten Furmeu der Verlassung und
des geselligen Lebens als unzulänglich.
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Pftdagogificlie Bandficliaa.
Zeitstimmen. [Der Kampf ums Hecht.] Welch tiefe Beschämuug^
mit M in nBf herTonmUm, «abmuifllineii, wfo Jenor «isfludM Gedaake dw
geranden BeehtageflUds, dass in Jedem Baeht die Penon selber mit ihrem
gusen Recht nnd Ihrer ganzen Persönlichkeit angegriffen und verletzt er-
scheint, der Wissenschaft in einer Weise abhanden kommen konnte, dass sie
die Preisgabe de^ä eigenen Rechts, die feige Flucht vur dem Unrecht znr Rechts-
pflicbt erheben konnte! Kann es Wander nehmen, wenn in einer Zeit, in der
solche Aosichteik eich in der Wissenschaft ans Tageslieht wagen dorfien, der
Geist der Feigheit and apathischen Erdnldang des Unrechts anch die Geschicke
der Nation bestimmte? Wol nns, die wir erlebt haben, liass die Zeit eine andere
f?e worden. — solche Ansichten sind jetzt geradezu eine Unniögliclikeit gewor-
den (das wäre sehr zu wünschen! D. £.), sie konnten nur gedeihen in dem
Snm]Kf eines politisch nnd reohtlieh gleich yorkommsnen nationalen Lebens.
Hit der soehen entwickelten Theorie der Feigheit^ der Verplliehtnng znr
Preisgabe des bedrohten Rechts, habe ich den änfiersten wissenschaftlichen
Gegensatz zn der von mir vertheidigten Ansicht berührt, welche umgekehrt
den Kampf ums Ktcht zur Pflicht erhebt. Nicht ganz so tief, aber immer tief
genug anter der Höhe des gesunden Kechtsgefähls liegt das Niveaa der An-
sicht eines neueren Phflosephen, Herhart, Uber den letzten Omnd des Rechts.
Er erblickt denselben in einem ästhetischen Motiv : dem Misf fallen am Streit
Wäre der ilsthetische .'^tandpnnkt bei der Würdigung des Rechts ein benM h-
tigter. ich wüßte nicht, ob ich das ilsthetisch Schöne beim Recht anstatt darein,
dass es den Kampf ausschließt, nicht vielmehr gerade darein setzen sollte,
dass es den Kampf in sieh schließt. Wer den Kampf als solchen llatheüseh
nnsehSn findet, wobei Ja die ethische Berechtigung desselben ganz anAer Frage
gelassen wird, der möge nnr die ganze Literatur und Kunst von Homer's Tlias
und den Bildnerarbeiten der Griechen an bis auf unsere heutige Zeit streichen;
denn es gibt kaum einen Stoff, der für sie eine so hohe Anziehungskraft be-
wfthrt hätte als der Kampf in allen seinen verschiedenen Formen, nnd den-
jenigen soll man noch erst suchen, dem das Schauspiel der hSchstm Anspannung
menschlicher Kraft, das die bildende Kunst und die Dichtkunst verherrlicht
haben, statt des Gefühls iistlietischer Befriedigung das des ilsthetischen Mi.ss-
falleus eintiöl^K . Das liöch.ste und wirksamste Problem für die Kunst und
Literatur bleibt stets das Eintreten des Menschen für die Idee, helBe die
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Idee Recht, Vaterland, Glaube, Wahrheit Dieses Eintreten aber ist stets
ein Kampf.
Allein nidit die Ästhetik, sondern die Ethik hat uns Anfscbluss darüber
sn geben, was dem Wesen des Beehts entsprieht oder widen]irieht. Die Ethik
aber, weit entfernt, den Kampf ams Recht so TOTwerfen, zeielinet ihn den
Individuen wie den Völkern ... als Pflicht vor. Das Element des Kampfes,
das Herbai t aus dem Rechtsbcg^riff ausscheiden will, ist sein ureigenstes, ihm
ewig innewohnendes — der Kampf ist die ewige Arbeit des Rechts.
Ohne Kampf kein Beeht» wie ohne Arbeit kein Eigenthnm. Dem Sats: „lin
Schweiße deines Angesidits sollst da dein Brot essen," steht mit gleicher
"Wahrheit der andere geg-enüber: „In» Kampfe sollst dn dein Recht finden."
Von dem Moment an, wo das Recht seine Kampfbereitschaft aufgibt, gibt es
sich selber auf — auch vom Recht gilt der Sinuch des Dichters:
Das ist der Weisheit letzter Schlu.-is:
Nur der verdient sieb Freiheit wie das Leben,
Der tfl^eh sie erobern mnss.
Dr. Budolf Ton Ihering, Der Kampf ams Recht, 10. Aull.
(Mit der Herbart'scheu Maxime vergleiche man auch die von Ihering zur
Bestätigung seiner eigenen Anschannng eitirten Annprttehe Kantus: Wer sieh
sam Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit FuBen getreten
wird." „Lasst euer Recht nicht ungeahndet von anderen mit Füßen treten." Dies
sei „Pliicht in Beziehung auf die Würde der Menschheit in uns- ; dagegen sei
„Wegwerfung seiner Rechte unter die Fä&e anderer Verletzung der
Pflicht des Menachen gegen sich selbst)
^ [Entwickelnng des Lehrerstandes.] Es gahZdtCD, da devtsche Ge-
lehrte, Zierden der Wissenschaft, mit gem^er Not und Entbehrung kimpfen
mussteu. Heute noch finden sich die Lehrer an den höheren Schnlen zurück-
gesetzt und können unerfreuliche Vergleichungen mit andi^en Berufsclasseii
nicht abweisen, die bei dem gleichen Einsatz an Zeit und Kräften weit mehr
Ansehen haben als sie, einüsch ans dem Grande, weil ihnen ein reicherer Lohn
sntbeil wird. Koch iprSBeren Nachtheilen ist der deutsche Volksschullehrer-
stand ausgesetzt gewesen. Seine kümmeilichc Lag^e. sein geringes Ansehen
ist fast sprichwörtlich p:eworden in dem Volke, das sich rühmen darf, in Be-
ziehung auf die allgemeine Volksbildung unerreicht dazusteheu ... Es war
ein zweifelhaftes Gtosehenk fttr den gameD Stand, alt die Sdmle und mit ihr
die Lehrer avm Gegenstande politischer Bttcksichten ond Erw&gnngen gemacht
wurden. Bald umworben, bald zuruckgestoßoi, bald ein willkommeoer Helfer,
b:ild mit Misstranen betrachtet, heute angespornt, morg^en zurückgehalten,
wurde der Lehrerstand oft in seinem Ringen nach Selbstständigkeit gehemmt
und iu seiner Entwicklung gestört und in den Kampf der Parteien gezogen.
Es wftre wonderhar, wenn er sich dabei stets tadeUM erhalten bitte ....
Die dentschen Volkncbullehrer waren, wie das deutsche Volk sie haben wollte,
und manchmal waren sie besser, als man sie wünschte .... Lst es nach dem
Vorgange der Dichter erlaubt, den Entwickeluu^sgang eines g-anzen Standes
unter dem Leben und der Charakterbildung eines einzelnen Menschen aut'zn-
fsssen, so kann man der ferneren Entfidtnng des dentschen Volknehvllelirer-
Standes mit frendiger Zuversicht entgegensehen. Eine harte Jngendselt bereitet
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einen gediegenen Mannescharalcter vor. Oft enttliuscht, verachtet, vergessen
Uüd verkannt, durch Leiden nnd Entbeln uiigcii geprüft und gestählt, hat er
doch in lieh selbst Halt gefunden und schreitet zu größerer Festigkeit und
Tttchtigkeit und so grSßerer SellMtstliidigkeit rltetiflr fort Konrad Fischer,
Geeehlehte des dentschen VoUcsschnllebrentaadeB (HaimoTer, Karl Keyer).
Aus Hessen -Nassau. Wer hiltte es gealnit. dass der Hesuch des
Kasseler Friedrichs-Gymnasiums von selten unseres Kaisers einmal der Anstoß
zu einer weitgehenden Beform des Schnlwesens «erden würde! Wie lange hat
man Beformen gefordert, wie hartnackig haben sich die alten Gymnasialpftdagogen:
gegen dieselben gestiHubt. Doch bewahrheitet sich auch hier wieder in einem
eigenen Siruu' das alte Wort: Cn sar snpra grammaticos. Unser Kaiser ninsste
als Scliüler au sich erfahren, dass man in unseren Schulen nicht znviel, sondern
zu wenig fUr das Leben lernt, dass das Lernen vielfach ein Benueu mit Uiu*
demisten ist. Die Znnge des Kindes hat kanm die Fllhigkeit erlangt, in der
Muttii Sprache reden zu können, da quält man sie schon mit der Aussprache
fremder Wörter, ja es kommt zur ersten fremden Sjiraclie bald dit- zweite,
dritte, für manchen selbst die vierte hinzu. Der Schüler tritt kaum in die
Schule, und mau bescliäftigt ihu im Keligiuusuutemcht mit den grüßten Eäthscln
fär den Menschengeist, mit der SchSpfong der Welt, mit der Sfinde nnd der
ErlOsong; in der Geschichte versetzt man ihn nach Rom, Oiiechenhind, In-
dien u. s. w., nnd der arme Junge weiß kanm, wo er selbst zu Hause ist Die
fortwährende Belastung des Gedächtnisses, die Vielgeschäfligkeit, das Vielerlei,
das Hasten und £ilen von einem Wissensgebiet zum anderen, die mangelnde
Einsicht in den Stoff, die fehlende Durchdringung und Beherrschung desselboi
ensengen Unsicherheit, (Jnmhe, geistige nnd kSrperliehe Erschlaifting. Unsere
Schüler, die mit einem Bildungsstoff gequUlt werden, der ihnen und dem Leben
fremd ist nnd fremd bleiben wird, gleichen Älensclien, deren Kraft man durch
Waten in einer endlosen Sandwüste erhöhen will. Wenn man einen ,Mt iibchen
durch eine unbekannte, uninteressante Gegend führt, so wird er bald Miss-
b^agen, Ermüdung mid das immer heißere Verlangen empihiden, in schSnere
Gefilde zu gelangen; so geht es den meisten Schülern unserer höheren Schulen,
die mit Schiller singen können: „Ach, aus dieses Thaies Gründen, die der
kalte Nebel drückt, könnt ich doch den Ausgang finden, ach, wie fühlt ich mich
beglückt!"
Bei dem Untenrldit bleiben vlelfooh die anerkanntesten pädagogischen
Forderongen nnberlieksichtigt, wie n. B. die, dass derselbe die menschliche
Natur nnd deren Entwickelungsgesetze zu berücksichtigen hat, dass der Fn-
terrichtsstoff nach dem StHiidjiunkte und der geistigen Entwickelung des Schülers
auszuwählen und zu vertheilen ist, dass die Ciegcnstiliuie mehr nacheinander als
nebeneinander zu betreiben sind, dass man vom Bekauuteu zum Lnbekanuttu,
vom Mähen anm Femen fortzuschreiten hat Nicht Aoswendiglemen, sondern
Anschauung, nicht W' ort begriffe, sondern Einsicht, nicht Wissen, sondorn Eraft^
nicht mechanische Fertigkeiten, sondern freies Können und W^ollcn nmss der
Unterricht bezwecken, wenn er wahrliaft bildend sein sidl. Der frenidsiirach-
liche Unterricht beginne erst, nachdem eine genügende Kenntnis der
Kntterspiache erlangt ist; die Mathematik werde erst gelehrt, wenn die
bfirgerlichen Bechnnngsarten begriffen nnd bis zur Sicherheit gettbt sind; im
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Eeligiunsanter rieht gehe man vom Leben und der Lehre Jesu aus und be*
handle die GeMhichte des BeidieB Gottce und die Lehre der conllBarioiielleii
Bekenntnlaieliriften erst dann in der Sprache der I.nthcrbibel and der Eate-
ohismen, wenn der Schüler sprachlich soweit gefördert ist, die veralteten For-
men zu verstehen, in der Geographie. Geschichte und Natarkunde gehe man
von der Heimat aas and verweile da so lange, bis die Fähigkeit erlangt ist,
Fernliegendes an begreiUHn; die Geaetae der dentaehen Sprache aoehe man
ent an erkennen, wenn der Sehfller Sprache hat, nnd verschone ihn crana oder
möglichst lange mit der von der lateinischen Sprache entlehnten Terminologie.
Alles das hat der deutsche Kaiser in seiner bedentsamen Rede bei Eröffnung
der Schulconferenz and in seinen Schalerlassen anch gewünscht, seine Schüler-
erfahmngen, sein Verkehr mit Männern, die von der Nothwendigkeit der Schol-
reform flberaengt sind, hahen ihm das nahegelegt; allein wir haben ana den
Verhandlangen der Sohnloonferenz ersehen, dais die Mehrzahl der Sehvlmlaner
nicht für diese Reform zn gewinnen war. Diese beriefen sich immer auf das
bewährte Alte und bedachten dabei nicht, dass unsere Gymnasien schon liin^st
leer ständen, wenn sie niclit gerade mit den meisten Berechtignngen aas-
geatattet wiren. In der Hauptstadt der Provina Hessen-Hassan hat der dentache
Kaiser den Anstoß za seinen Beformbestrebongen erhalten, In der größten Stadt
dieser Provinz, in Frankfurt am Main, will man jetzt den ersten Versach zur
Erprobung des Neuen machen. Von Ostern 1892 an wird ein städtisches
Gymnasinm seinen Lehrplan derart gestalten, dass in Sexta mit demFran-
zösischen begonnen wird, w&hrend das Latein erst in Untertertia, das
Grieehisch erst in Untersecnnda anftreten soll Aach ein Realgym*
nasinm, die Mnsterschule, wird Ostern 1892 in Sexta mit dem Französischen
beginnen, den Beginn des Lateinischen ebenfalls nach Untertertia, den
Anfang des Englischen nach TT^ntersecunda verlegen. Dicso Anstalten
wollen dieselben Ziele wie bisher verfolgen, und wir sind der Ansicht, sie wer-
den sie leiditer, weil natnigemiBer, grflndlicher nnd sicherer errelehen. Selbst-
verstflodlieh sind ihnen dieselben Bereehtignngen zugesichert, die diesen Schnl-
gattungen nach dem neuerlichen Erlasse zuertheilt sind. Es ist bisher nur von
den Sprachen die Rede, gewiss werden aber auch die oben gezeichneten For-
derungen für die anderen Untemchtsfächer Berücksichtigung linden, da ja
dsroh die Yerlnderungeu in den Sprachen Zeit nnd Banm dafür gewonnen
werden. Nicht nnr fllr die Erreichnng des Bildnngsaieles werden diese Ein-
richtungen des Lehrplans von der grSllen Bedentnng sein, sondern anch für
das Verhältnis der Schulen zu einander: es werden fernerhin Gymnasium. Real-
gymnasium, Oberrealschule und Realschule bis Quarta einen gemeinsamen
Unterbau haben, Gymnasium und Realgymnasium sogar bis Übertertia ein-
schließlich. Ist man soweit gegangen, so wird man anch hald dahin gelangen,
eine gemeinsame Grundlage für alle Sdiulen zu ßnden, dies omao eher, je
mehr man diV sorialen und wirtschaftlichen Nachtheile erkennt, welche die
Zer.splittening unseres Schulwesens mit sich bringen. Mehr ,\ls 70 jiroußisoJie
Städte mit nur je einer höheren Schule haben sich vor kurzem an den Kaiser
gewandt nnd gebeten, es mOehte die Befinm des hSheren Schnlwesena anf
der Grundlage eines einheitlichen üntertwaes lltr alle hSheren Sehnleo erfolgen,
wir fordern mehr, wir fordern einen gemeinsamen Unterbau für alle Schulen.
Uniengbar ist eine der Hanptnrsachen der vielfältigen nnd tiefen Spal-
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tmgvn in nnierem Volksleben, die in den leidentohnftliciien Inteweien- nnd
PtindplnüdUnpfen der Gegenwart In die Erecheinang treten und einer gedeüi-
lichen Fortentwickelung der Nation sich hinderlich erweisen, die Zenplittemng
unseres Schulwesens. Jedoch wäre ea ein Irrthum, anzunehmen, dass nur die
gegenwärtig* bestellende Vielköpflgkeit des höheren Schulunterrichts hieran die
Schuld tr>: viel tiefer einschneidend ist die von unten anf bestehende Ab-
sondenmg der höheren Stfnde von den niederen, der vermOfenden von den
nnvermOgenden durch die gesondert bestehenden Vonchulen nnd das immer
weiter um sich greifende Kasten- und Standesschulwesen. Die Einheit des
Volksgeistes beruht nicht nur anf der Einheit der höheren allgemeinen Bildung,
sondeni vielmehr auf einer allgemein verbreiteten Volksbildung. Daher muss
die höhere Unterriehtsnnstalt (Gymnasium, Bealgymnasinni, Obenrealschule)
mit der Mittelsohnle (prenß. Mittelschule, höhere Bfiigerschnle, Bealsehnle) und
der allgemeinen Volksschule (Bürgerschule) in organische Verbindung gesetzt
werden. Eine solche Reform unseres deutschen Schulwesens fordert das Na-
tionalitätsprincip, fordert die B&cksicht anf die sociale Einheit.
Auch in wirtschaftlicher Besdehong ist die Zerspellung unseres Schul-
weseos ein Fehler. Wie manche kleinere Stadt hat neben der BflrgerBchule
eine Mittelschule, hOhere Töchterschule , eine Realschule , ein Progymnasina,
Realprogymnasium, oder gar ein G3'mnasium nnd Realgymnasium, dazn zu
allem Überfluss noch gesonderte Vurschulclassen für die höheren Schulen. Dass
durch eine Vereinfachung hier viel Geld gespart werden kauu, wird jedermann
einleuchten. So wenig als die Enabenndttdechulen und höheren Schulen be-
sondere Vorschuldassen nöthig haben, so wenig bedürfen sie die Mädchen-
mittdschulen und höheren Töchterschulen, nnd alle Kinder der Nation,
Knaben und Mädchen, sollen wenigstens in den drei ersten Schuljahren die
aligemeine deutsche Volksschule besuchen. Für alle, welche eine weiter
angelegte Büdnng erstreben, schließt sich an die drei ersten Schuljahre die
ICittelsehnle. Die höhere Sehnle setse erst mit dem 7. Sdiu]jahr ein,
wo für Gymnasium und Realgymnasium das Latein beginnt. Die allgemeine
Volksschule hat 8, die Mittelschule 7. das Gymnasium und Kealß:.ymna8inm 6,
die Oberrealschule nur 2 besondere Jahrescurse. Die Volksschule nimmt ihre
Schüler nach dem vollendeten 6., die Mittelschule nach dem 9., das Gymnasium
und Bealgynmasinm nach dem 12., die Oberreslschule naeh dem 16. Lebens-
Jahre auf. Die Mittelschule ersetzt demnach für diejenigen Schfller, welche
apiter die höhere Lehnnstalt besuchen wollen, die Glassen Sexta, Quinta und
Quarta.
In den drei ersten Schuljahren sind Religion, Deutsch und Rechneu die
HraptOeher, die Volksschule erwdtart Ueselben spKter dnreh die Bealien; die
Mittelschule hat in ihren drei ersten Sdin^jahren (4. — 6.) noeh besonders
Franaösisch; wenn die Schüler, welche in die hOhere Lehranstalt eintreten
wollen, abgehen , kommt Englisch und in Knabenmittelschnlen Mathematik hinzu.
Eine solche Einrichtung unseres Schulwesens, bei welcher eine Dreiheit
gewissermaBen zur Einheit wird, bewahrt den guten Kern der bisherigen Ent-
wickelnngt setnt aber Ordnung an die Stelle der Zerklttftung, die bisher soviel
beklagte Überbürdung der Schüler wird nicht mehr so leicht vorkommen, weil
die schwierigeren Fächer später auftreten, und die Entscheidung über die Be-
rufswahl kann dann erst auf Grand der nötbigen Erfahrung getroffen werden.
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Der Segen aber, den diese Einheitsschale in socialer qnd wlrtaoliaftlicber Be-
ziehoog bringen wird, ist unberechenbar. A. 0.
[B. Vum deatscheu OstKeestraud.J Die gewaltigen Ei-bchiitteraugea
des UMhtfdMn Lebens, welobe oub der Enltnrkampf gebracht hat, werden
hier nodi fortgesetst bis snm einsamsten Flsoherdorfe im welBtti Dflnensande
verspürt. Es war nicht, sondern es ist noch hente, wie vor 20 Jahren, ein
Kampf -vnni FclH;?:nm Meere", vom Bodensee bis an den Belt. Zwar wird dieser
l«eftige Bürgerkrieg nicht mit Blut und Eisen, soudeni mit den Waffen des
Geistes gef&hrt. Wann der Sieg endlich entschieden sein wird, wer kann das
wissen? — „NAch ruhen in der Zeiten Scholle die heiteren nnd die schwanen
Lose." Was die Znknnft auch fnr das nächste Jahrhundert bringm mag,
eines glauben wir schon heute zu wissen, dass die gesunde Mensclit^nveriinnft
sich nicht wird aus dem Felde schlagen lassen. Welches sind denn nun die
bisherigen Erraugenschatten des in Kirche and Schule, in den Parlamenten
und Bierstoben, in den Vereinen wie in den Ministerien geführten beiBen Cnltnr-
Juunpfes der letzten 20 Jahre? Die grofte Lehre fflr alle Gebildeten
ist die gewesen, dass die gewöhnlichen Volksclassen für kirch-
liche Freiheiten ebensowenig die zeitgremäße Reife haben, wie für
die politischen.*) Daher war die .Vuthebung der Maigesetze eine unbe-
dingte praktische Nothwendigkeit (? D. R.). Die nach Völkerfrieden duftenden
Simnltanschnlen wnrden doreh kalte Kirehenlnft flberall niedergedrüelct, ja die
schön eingewurzelten Anstalten waren » in Dorn in den Augen christlicher
Heißsporne. Es konnte nunniehi- das Unglaubliche geschehen, dass einige Orte
Simultanschulen neben Confessionsschulen hatten, dass z. B. die Stadt Elbing
sechs siebenclassige Simultan-Mädchenschaleu and sechs siebenclassige Con-
fessions-Knabenschnlen besaft. XMeses Beikel ist unseres Eraohtens von giMerer
Bedeatong in dem sensationellen Frindpienstrdte, als es anf den erste» An>
blick scheinen könnte. Wenn es wahr ist, dass bei dem Lehrerwechsel zur
Religionsstunde an manchen Orten gerufen worden ist: „Katholiken heraas",
oder von der anderen Seite: „Ketzer heraas", so sind das nicht bloße Un-
geschliffenheitra, sondern Hetzen, die das Oegentheil von dem fördern, was
durch die SchOpfling der Simnltanschnle erreleht werden sollte, nimlich der Friede.
Eine weitere Folge des mit Dr. Windthorst nur scheinbar zü Grabe ge-
tragenen Cultnrkampfes ist die, da.ss die kleinen und großen Bombensplitter
als religiöse >treitt'ragen unter das Volk flogen nnd dieses zum* Selbstdenken
herausforderten. Gerade hierin liegt ein großer Segen, w elcher zu den schönsten
Hoffhnngen berechtigt
Einstweilen befinden wir nns hier in den weitm Strandgegenden noch in
dem Stadium des f^berganges za hoffentlich besseren Verhältnissen, in welchen
die i»ro|)lietis('hen ^^^J]•te: „Es wird eine Herde und ein Hirte werden," mehr
Geltung gewinnen mögen. Es gab früher Fechtvereine, d. h. solche Vereine^
welche durch kleine Gaben große Capitalien ansammelten, am damit oluw Rttek-
slcht anf die GenftseiiMi Waisenhinser an errichten. Jetzt gibt es in gans
Xorddeatschland nar katholische nnd evangelische Fechtvereine. Frühw
gab es GesellenToreine, jetst katholische nnd evangelische Gesellenvereine.
*) Steht es um die herrschenden C'lassen besser? D. B.
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Früher gab es Armen vereine, jetzt katholische und evangelische Armen-
vereine. Früher gab es Lelirervereine, jetzt katholisohe und evangelische
Lehrervereine. Ein CtIücIv ist, dass die katliolisohon Lehrervereine in Preaßen
noch meistens dem allgemeinen Laudesverein angehören dürfen, welcher im
letsten Jahre einen ZnwaehB von 3898 ^pfen erhaltoi hat ond nnnmehr
39410 mtgUeder dUt Wie lange die katitoliaehen CoUegen diese Freiheit
noch genießen werden, ist eine andere Frage. Einen ungleichen Kampf führt
zur Zeit der Voi sitzende dos ormländischen Lehrervereins, Herr Rector Fischer
in Allen-^teiii, gegen den Bischof in Frauenburg wegen derartiger Bevormun-
dung. Wer hier unterliegen wird, ist unschwer voranszasehen. Ziehen wir
ferner die Joden- and Menonitenfrage in Betracht, durch welche Ost- und
Westpreußen selir stark berührt wird, so sielit man, wie ungeheuer sich die
religiösen Differenzen und liestrebongen seit dem Beginn des sogenannten
CulturkampffS zugespitzt haben.
Die evangelischen Bewohner, welche in Lethargie die Decennieu dahin-
roUen sahen, worden nnn aoeh wacker aofgerUttelt. Eine besondere Anregoog
brachte noch das Jahr 1883 mit seiner 400j&hrigen Lntherfeier. Es ent-
standen Luther fePtspielc von Hans Herrig und anderen, und immer häufiger
ertönte in Stadt nnd Land: „Ein' feste Burg ist unser Gott*^, als ob ein gefÄhr-
licher Glaubeusfeind im Anzüge sei. Es bildeten sich Vereine zu einer Luther-
stiftong: Die deutsche Lutherstiftnng steht unter der hohen Protection
Sr. MijeBtftt des deutschen Kaisers und K5nigs von PreoBen Wilhelm ü. Sie
gliedert sich in einen Centraiverein mit vielen Localvereinen und ei-strebt das
Ziel, das Andenken des großen Reformators im evangelischen Tlieile des
deutschen Volkes rej^e zu erhalten und damit gleichzeitig Zweeke di r Wulil-
thfttigkeit zu vei binden. Der Haujitverein für Ostpreußen ziiiilt 7U4 Mitglieder
und hat seinen Sita in Königsberg. Im loteten Oesohftftaifahre wurden Pfarrer-
nnd Lehrerkinder unterstützt mit drei Gaben k 100 Mk., fünf Gaben & 75 Hk.
und vier Gaben -X 50 Mk. Der Verein besitzt außerdem ein zinstragendes
Capital von 80(X) Mk. Zum Vorstand gehören Oberbürgermeister Selke, Pro-
fessor Dr. jur. Zorn, Gymnasiallehrer Dr. Haidas, Landgerichts-Präsideut Kessler,
Goosistortalrath JAe, BOsberger, Commercienrath Weiler, Graf INbihoff-Fried-
richsstein, Oraf Bolenburg-Prassen, Superintendent Bschenbach, General-Super-
intendent Pötz, Kechtsanwalt Dr. Kranz, Gymnasial-Director Dr. Grosse, Jnstus-
rath Dr. Jüterbock, Kittei triitsbesitzer Meßling-Zieg'enburg und Rittergutsbesitzer
Dr. Seydel-Chelchen. So schön auch alle solche Veranstaltungen sein mögen, so
tragen sie zur Schlichtung religiöser Händel sicherlich nichts bei. Mehr im Stiileu
wirken auJterdem emsig die Baptisten, die Irvinglaner, die Hemihuter, die Phi-
lipponen, die Reformirten, die Oichtdianer etc. Ei, wenn die erst noch alle ihre
Confessionsschulen beanspruclien. dann wird guter Rath theuer werden! Doch
haltl — hier kann uns geholfen werden. »Soeben ziehen die ersten Apostel der
englischen Heilsarmee durch unsere Ostprovinzeu. Gelingt es diesen, die
nrae Lehre rar Gesammtamtahme n Idingen, so ist daa Ifode. des Coltnrlcam]rfea
besiegelt Leider scheint hieixu wenig Aussicht ra sein. Die in Daudg»
Königsberg nnd Elbing vorläufig abgehalten«! Versammlungen waren nnr spär-
lich besucht. AUe wurden durch Absingen geistlicher Lieder iitid durch (ie-
bete eröffnet. In Elbing glaubte man vielleicht eher Propaganda zu machen,
indem man einen bekehrten Biedermann, einen Ostpreußen, der Versammlung
Padacosiain, 14. Jahrg. H«ft V. 23
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vorführte, welclier im liestaurationssaale gieicii au Ort and Stelle ein langes
Olanbentbekenntnis im eehten PharisSarton benagte. Aach dieaei Mittel nog
aber nicht, nnd so ist es bei diesem einen „Heiligen" einstweilen gebliebeo»
nnd der Kampf in der Kirche nnd Schule dauert fort. Mit großer Spummg
sehen alle Parteien dem Erscheinen des neuen preußischen Unterrichts-
gesetzes entgegen. Möchte es gelingen, durch dasselbe den erseiinten „Wel(>
frieden", wenigstens in preoBisehen Landen, anzubahnen!
Aas der Fachpresse.
513. Pädagogische Ketzereien (J. Mähly, Schweiz. Lehrerz. 1891,
49 — 52). Ein geistreicher Mann, der hier spricht, ohne Zweifel! Aber er
urtheilt oberflächlich, setzt „den Theil füi-s Ganze'', übertreibt stark, hantirt
mit Phrasen nnd Witzeleien, gibt vor, den tbatsächlichen, d. h. den Dnrch-
•ehnltts-Betrieb des Unterrichts sni schildern, malt Jedoch nnr die allerschUnunsten
Znstände ans. Selbst die Verhältnisse der „höheren" Scholen (wo allerdings
mehr als genug „Professoren" ohne jede pädagogische Alinnng «wirken"), mit
denen er sich hauptsächlich beschäftigt, verzerrt er. Noch wenisrer i^erecht
wird er der Volksschule ; den gegenwäitigen Stand der Volksschulpädagugik,
die Tielfluh erfreallehen Leistongen, die wackeren Befbrmbestrebnngen, Ton
denen nnsere Fachpresse zengt, kennt er ttherhanpt nicht. „Es ist — naeh
Hm. M. - ein unanfechtbarer Haupt- nnd Cardinalsatz, dass die
Schule, und selbst die besteingerichtete, im Grunde ein nothwen-
diges Übel sei*' (weil sie so viele so verschiedene Individualitäten „za-
sammenpferdit'').
514. Ist die Schule ein nothwendiges Übel? (G. Stocki, Sehwds.
Lehrers. 1891, 50. 51). Entgegnung anf den „Hanpt- nnd Cardinalsats" des
Vorigen. — „Eine in jeder Hinsicht gut eingerichtete Schule ein wfirdigeg,
der vollen Kraft der Besten wertes Ziel der Zukunft." — Wie nach des Verf.
Wunsch eine „best eingerichtete'' Schule aussieht: Classe mit 40 Kindern in
zwei Jahrgängen, also 2 mal 20 („es ist aus einer Reihe von Gründen gut,
wenn immer die Hftlfte der Classe sehriltUch arbdtet"). Kinder gnt genllirt
nnd gesnnd (wofür, wenn nöthig, „ selbst verstftndlich" der Staat sorgt), normal
begabt (Schwaclibotrabte und Einseitigveranlagte ausgeschieden). Räumliche
Verhältnisse, Ausstattung der Zimmer vollkommen entsprechend. Lehrer mit
möglich freiem Spielraum (nicht „eingeschnürt darch Keglemeuts, Stundenpläne,
Haadhficber, Examen n. ä."). Maßgebend fir Stoffiraswahl: Yerdannngsprocess
der kindlichen Seele (Stndinm desselben, Saamlnng beaflglielier ErlUmmgen
„vornehmste .Aufgabe des Schnlmanne.«i"). Die wirksamsten Beweise fttr den
höheren Wert des Cla.^sennnterrichts. („Die Pädagogik wird dem Einzel-
unterricht niemals den Vorzug vor dem Classenunterricht einränmen können."
Sobald es „be.st eingerichtete" Schulen gibt — allerdings!)
515. Über die Ordnung der Natnr und ihre Bedeutung für das
Ersiehnngswesen (Bfthring, Pftla. Lehrers. 1891, 28). Wir notiren gern
an yemnnftii^n -. Wort wie das folgende (wenn wir den Gedanken auch niclit
zam ttsten Maie ansgesprochen hören): , Anf dem heimischea Boden, der überall
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triebkräftig ist oder triebkräftig- gemacht werdeu kann, nmss das £rciehiuig8-
werk aufgebaut werden, nicht auf l'ajjicr und Druckerschwärze."
516. Vorschläge zur Uebung der pädagogisch-literarischen
Kritik (DentMfae Sdinlpr. 1891, 61). Verf. empfiehlt in seinem kurzen
MpnisgekrOnten" Aufsatz u. a. „summariedie Übersichten" dieaer Art: „Durch
Znsammenstellnng ähnlicher ErscheinnDgen, darch Beleuchtung von vei-schie-
denen Gesichtspunkten aus, durch Hervorhebung der Vorzüge und Mängel dei-
einzelnen Bücher, durch Angaben darüber, welche Bedürfnisse durch diese»
oder jenet Boeh befriedigt werden ete. — * küanten (im Verhältnis za der Zahl
der besprochenen Schriften) kni^pe AnflAtie geschaflisn werden, welche sidi
intereesanter lesen ale gew5bnUche Recensionen, eine Übttlicht geben über die
neueren Fachscliriften und es ennögliclion. dass der Leser aus der Menge der
Neuheiten das für seine Ansprüche Geeignetste heraustindet." — Eine /war
nicht neue, in unseren Fachblättern aber doch nur selten dargebotene Form
(weil ihre nothwendigen Bedingungen großes stiUstitehes Qeechlck, Treflbidier*
heit, umfassende pädagogische und wissenschaftliche Bildung sind).
517. Aufgaben der Bürger den Lehrlingen gegenülicT iScluile
und Werkstatt*), 1891, „Der Bürgerschaft fällt die hohe und lolinende
Aufgabe zu, alle Einrichtungen, welche geeignet erscheinen, dem aufwachsen-
den mtanlidien Geschlecht (die Begehungen zur Funilie nnd) den freien Ver>
kehr mit Erwachsenen xn erleichtem, thatkrifticr sn nnterstfitxen." Beispiel:
Lehrlingsabtheilnngen in (Berliner) Turnvereinen. Nothwendiger Monatsbeitragp
seitens der freiwilligen Förderer: 20 — 30 Pfg. Verlauf der fibnngsstunden:
Kürturnen — Volkslied — geregeltes Turnen (bei den GerUthübungen Mit-
glieder der Mäimerabtheilungen als ßiegenführer) — Kürturnen — Volkslied.
S^ele — TnmflEihrten. Bedeutung und vielseitige Aul^be äier Leiter.
518. Der Religionsunterricht und seine Reform (Fricke, Die
deutsche Vttlksscliule 1891, 21—25). Zweckbestinunnng: „Der Uoligions-
unterricht niuss in die Balinen inneilichei- Einwirkung geleitet werden, wenn
er seinen Zweck — Willensläuterung — erfüllen soll." Er soll den Schüler
also geschickt machen, dais er qtftter im Leben drauBen „den Schwerpunkt
aller Ereignisse in sein Inneres zu legen'' ffthig ist — die Wege balinen nsur
Selbsterkenntnis, die das Übel nicht im Äußeren, sondern im Inneren sucht,
wodurch der Selbstverblendung entgegengewirkt, die Unzufriedenheit aufgehoben
wird und der Mensch die rechte Ötellung zu seinem Nächsten gewinnt." —
Keine Neuigkeit, nur eine nothwendige Wiederholung.
519. Hauswirtschaftlicher Unterricht ^ftd. Beform 1891, 34).
Verf. behandelt die Frage als „Ketzer." Und in zwei wesentlichen Punkten
hat er Recht, indem er n.lmlieh 1. das vielfach noch Dilettanten- und Pfuscher-
hafte der bezüglichen Bestrebungen tadelt. 2. treft'end beiiu rkt : Der nächste
Schluss (aus der Thatsache der wirtschaftlichen und gemüthlichen Missstände
in der sog. Arbeiteifamilie) wire: der „Arbeiter" und d«r kleine Handwerker
mttssen so gestellt werden, dass auch von ihren HSusem und ihren Hausfrauen
das vielcitirte Wort Schiller's (, und drinnen waltet und lehret die
Hftdchen**) gelten kann. Da aber diese Schlnssfolgerung schon stark nach
SsMitthcilungen des Vereins für das Wol der aus der Schule entlassenen
_ Berlin.
23*
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-~ 324 —
Socialdemokratie rieclit, und ili<^ Scluile iiaoli g'cwissen ..Autoritäten" auch die
AufMrabe hat, die Socialdemokratie zu bt'käinj)tVn, sn muss die „ßocialc Frage**
auf anderem Wege gelöst werdeu, und so kommt mau „natürlich'* auf die
HanBhaltmignchüleii und den hantwirtschaftliclMii Unterricht.
520. Das Zeichnen von Blü ten formen (Th. Wunderlich, Die Kreide
1891, IX). Der Untorri( ht im freien Zeichnen soll die Bestrebnnseu dei- Neu-
zeit, die Formen der heimischen Flora dem Kunstg-owerbe mehr und mehr
dienstbar zu macheui berücksichtigen — deshalb Vorlagen, welche durch eiu Ab-
seielinai nntllrildwr PAatyMiifonnen mit geringer ümMdong gewonnen vraiden
kfionen. Eine Beilage bietet »einige duomlcterietiaelie Beispiele loldier Blttteii-
formen" (von Butomns umbeUatus, Tilia paryifolia, Borago ofßcinalis, Solannm
tuberosum, Myosotis palustris, Geraninm pratenseX pezpiohnet nach natürlichen
Pflanzen, jedoch nicht naturalistisch /'dass alle jene I riregelmüßigkeiten und
Zufillligkeiten, welche die Naturform autweiüt, wiedergegeben wären), sondern
■0, daas die geometral augebreitete Blfitenlbrm Ton allen Mängeln befreit
eneheint (Theile symmetrisch durchgebildet und mit Hinsicht auf den orna-
mentalen Zweck frei umgestaltet). Selbstverständlich mehrei e natürliche Exem-
plare zur Vergleichung vorhanden. Überdies peeieiiete Besprochuner, wobei
einerseits „botanische Belehiungen nicht umgangen werdeu dürfen'', anderer»
seita dareh die Schfiler die „cbarakteriatiMlien UttlliiUnien** an finden aind.
521. S&tse für den Schreibnnterrieht an gewerblieliea Vor-
bereitungsschulen (K. Prinz, Päd. Rundschau 1891, XI). Der Vorschlag,
die l^bnngssätze voniehmlich der Gesundheits- und Wirtschaftslehre und den
besonderen Berufsverhältnissen zu entnehmen, lässt sich hören (ist übrigens
nicht neu, und Verf. bringt außerdem noch .Kegeln" aus anderen Gebieten).
Nnr sollten „MneterAtae" (aelbatvereUlndlich) durch eine gewiaae Vornehmheit,
jedenfalls Gedrängtheit des Stils sich auszeichnen. Dieser Vorschrift genügen
aber diejenigen des Hrn. Pr. in dei- MiOirzabl nielit: sie sind wortreich, alt-
backen, schulmeisterlich — etliche sogar komisch oder sinnlos, wie: »Suche
dir deine Concurreuteu durch gediegene Arbeit und rasche Bedienuug vom
Habe (!) zu aehaffen." (Wenn nnn — waa man doch «teacht — alle dleaer
Hahnanfir folgen, wer liaat aieh dann „Tom Halae aehaifen"?) „Daa Kind er-
ziehe man kindlich, den Jüngling mit Ernst und gründlich." „Den starken
Mann, den schwachen Greis erziehet, Menschen, mit Fleiß (11). — So was ist
also in unserer l^'acbpresse immer noch „möglich".
Von neuen Broschüren ist vor allen eine hochwichtige Eondgebuug des
lierühmten Münchener Professors J. Frohschammer zu erwähnen. Sie führt
den Titel: „Tu es Petrus! Ein geschiclits- und religionspliilosophischer Essay"
(Breslau, Eduard Trewendt, 32 Seiten). Der gelehrte und scharfsinnige Verf.
unterzieht diejenigen Stellen dea neuen Teatamentea, welche als Beehtabaaia
fBr daa Papatthun geltend gemaebt wwden — Ifattfaiaa XVI, 18 1 and einig»
andere — einer grttndlichen Untersuchung bezüglich ihrer Echtheit nnd Be-
deutung, um zu einer klaren Entscheidung über die wichtigste aller jetzt
schwebenden Culturtragen zu gelangen. Wie bei Fiohschammer diese Ent-
scheidung ausfällt, dies möge mit ein paar Sätzen seiner Abhandlung bezeichnet
werden. „Weder ist irgendwo beseogt oder bewieaen, daaa Petroa je Bischof
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in Bom war» da vielmdir alle l>eg]ftili%teB DrkimdMi dämm icbweigen oder
feradeni daa G«geiitlieU andeuten, noch itt dem Petroa Je ven diriatui der
Primat über die übrigen Apostel und die ganze Kirche fibertragen worden."
Bezüglich der Begründung des Papstthnnis anf die Stelle bei Matthäus nnd auf
einige Ähnliche kommt Frohschammer insbesondere zu folgendem Resultate:
„Wer dieselbe zurückweist als unecht oder ongiltig, der thut nichts andei-es,
ala waa Petnu aelbat und die Apoatel gethan haben. Wenn dagegen daa
römische Papstthnm aich auf diese Stelle nnd ein itum andere, ebenso proble-
matische gegründet hat und noch darauf stützt mit seinen Ansprüchen auf
Vorrang und Herrscliaft. so handelt es dabei vollständig anders, als Petrus selbst
sammt den übrigen Aposteln und die ganze alte Kirche gethan haben.'' Diese
Citate aollen nicht mm blinden Glauben an Frohaehammera Lehre, sondern an
eniatem Stadinm nnd grBndlicher Prttflmg aeiaer Sehiift aalftirdem. Ea liegt
Mer ein „ Entweder — oder" vor, dem nur Schwachköpfe oder schwankende
Charaktere ausweichen können. Entweder ist der Papst Christi niid Gottts
Statthalter, oder er ist es nicht. Im ersten Falle sind ihn» alle Völker, Staats-
lenker and Fürsten bis zu den Kaisern hinauf unbedingten Gehorsam schuldig;
im anderen Falle aind aeine Anaprfiche nnbereehtigl Tertinm non datar, außer
fGr achwache und zwoidentige Seelen. Die Frage mnss entschieden werden,
wenn über dio ('>rnndbedingung aller Cultur, über die Geistes- und Gewissens-
freiheit, entschieden werden soll. Niemals wird sie verstummen, bis sie endgiltig
gelöst ist, sei es im Triumphe oder im Untergange der modernen Cultur. Hier
gilt nicht farbloae Halbheit, dipIomatiBehea Laviren, hinterhaltigea Schachern,
Ekiftgegenkommen nnd Anaweichen, aondem aar ein Uarea Ja oder dn Uarea
Nein nnd ein dementsprechendes mannhaftes Handeln. Es wftre doch endlich
Zeit, dass man begriffe, um was es sich handt-lt. Am 27. December des Jahres
1891 ist im Lateran das von Leo XIII. seinem \ ui-bilde, dem Papste Inno-
cenz III., errichtete Denkmal enthflllt worden. Und dieser Innocenz III. be-
zeichnet den Gipfelpnnkt der pftpetUchen Anaprttche nnd der pipatlichen Gewalt;
die Oberherrschaft Uber Kihlige nnd Kaiser erldirte er für sein unanfechtbares,
gottgesetztes Krdit. welches er dann auch trinniphirend durchsetzte. Nun hat
ihm sein Nachlulger in diesen Tagen ein Denkmal errichtet. Ist es da nocli
immer nicht Zeit, dass die Völker erfahren, worauf denn eigentlich das Recht
der rOmiachen Weltheirschaft bemhe? Wir glauben, daaa Frohachammer ein
aebr seitgemBBea Thema angeaehlagen hat mit aeinem «Tn ea Petmal" —
In Preußen werden noch immer die Ergebnisse der bekannten Berliner
Schnlconferenz lebhaft erörtert. Wer sich in Kürze über die Hauptpunkte der \ er-
handlungen eine klare Infimnation verschaffen will, dem empfehlen wir die kleine
Schrift Tom Oymnaaialdireetor Dr. Grnmme in Gera: „Die wichtigeren Be-
tehlfiase der Berliner Schnlconferenz von 1890 nebst ein paar kurzen Betrach-
tungen über die Reform des höheren Schulwesens" (Gera bei Hofmann, 30 S.).
Der vollständige (ofticielle) Bericht über diese Verhandlungen ist in t iueiii
Bande von ÖOO Seiten erschienen und erfordert ein langwieriges Studium, zu
deaaen Eileichtemng kürzlich ein aehr «rwllnachter Behelf nnter tilgendem
Titel erschienen iat: „Alphabetlach geordnetea Sachregister zn denVerhand»
Inngen etc. Heranagegeben tob Dr. H. G. Stemmler** (Ohrdruf, Seibatverlag,
23 Seiten).
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— 326 —
Im Caaton Bern ist von einer aus angesehenen Schalmftnnem zusammen-
gwetitai Commtedoii ein «Catalog fttr die Lehrerbibliotheken" so-
sammengestellt worden, welcher auch andcrwJlrts als guter Kutligiber bei
Anschaifung von ßüchersaminlnng:en für frrößere Lehrerkreise Heachtung ver-
dient. Der als Mannscript gedruckte Catalog dürfte auf Verlangen von Hm.
Seminardirector M artig in Hot'wyl bereitwillig geliefert werden.
Bai Scbmid, Fraoeke & Co. in Bern iet eine nBibÜMb-topographiselie
Karte von Paltetina" von B. Leuzinger (Preis H. 1.60) enehienen, welche ala
eine ganx vorzügliche Leistung der Kaitographie bezeichnet werden kann.
Der Lehrerverein „Freie Schnle" zu Horn in Niederösterreicli hat einen
vomBürgerschallehrer Alois Sehr impf verfassten „Leitfaden für deuEieiuentai*-
nntenicht in der mathematischen Geographie** (43 Seiten, 30 Kreuer. Yerlaflr
des genannten Vereins) henuugegeben, weleher in Faehknisen viel Beifiill ge-
ltenden hat.
Von der Hingst als vortlipilbaft bekannten Si^hnljreographie TOn
E. V. SeydlitK i Verlag- von F. Hirt in }?reslan u. Leipzig) ist eine italienische
Bearbeitung erschienen, deren erste AuHuge in 5üOU Exemplaren binnen sechs
Wochen verlEaaft war.
Nachtrags.
In PrenBen ist wieder einmal ein Scliulgesets-Entwnrf anf der Tiigt-ä-
Ordnung. Die Bespreehnng desselben mnsste wegen schwerer Erltranknng des
Hwransgebers dieser Blätter dem nftchsten Hefte vorbehalten bleiben.
Am 28. Januar fi icrtf nnst-r ven hrt« r AlitarTx'iter Herr Theodor Ver-
nuleken seinen achtzigsten Geburtstag. Wir kommen hierauf im nächsten
Hefte aorttck.
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t
Literatur.
H* Stkemf, Sdudinspector in Worms, Wegweber zur Fortbildung dentaeher
Lehi-er in der wissenschaftlichen nnd praktischen Volksschnlp&dagogik and
zam Äasban derselben. Auf g^chichtlicher Grundlage nnd mit Angabe der
Literatur und Lehrmittel. I. Die wissenschaftliche Volksschulpädugogik,
394 S. Leipzig 1892, Friedrich Brandstetter. 5 Mk.
Verfasser bietet zunächst einen Überblick der geschichtlichen Bütwidielliiig
dor (Iciitsrhen Volksscbulpädagogik und VoIkKschtiTc l>is auf Diesterwcg, worauf
er das Zeitalter Diestcrwcgs, diesen selbst und seiuc Mitarbeiter, besonders
deren Pädagogik darstellt, dann den Ausban der Pädiigogik nach Diesterweg
ausführlich vorführt und schlieBlich eine vergleichende Charakteristik der
Diesterwegschen und der Herbart-Zillerschen Pädagogik entwirft. Ein lite-
rarischer WegM'eiser schließt den Band ab. Die Arbeit zeugt von umfassender
Sachkenntnis, großem Fleiße nnd klarem Urtheil. Die verschiedenen Bich-
tungen anf dem Gebiete der Pädagogik und Methodik der Volksschule bis zur
(icgcnwart werden eingehend nnd objeotiT dargelegt, wobei als besonders ver-
dienstlich hervoxsuheben ist, daaa Scbertr die Diea tax wegsehe P&dagogik,
welche seit Iftngeren Jahren dtinh ünwineidieit, Stthnperei nnd Afterweiraeit
im Bunde mit reactionärein Geiste stark verdunkelt und in raam hen (legcuden
fast verdrängt war, wieder in das gehörige Licht gestellt hat. Sein Werk
kann der hentigen deatsbhen Lebrerwdt, oesoniton der jüngeren Generation,
in der Thiit als wertvoller ^"Wccrweiser" cmpfohluii worden. Ks bietet der-
selben eine ^te Grundlage und zugleich die Mittel nnd Wege zu grtlndiicher
Forttiildung in ihrer Bexämnanflenalt. D.
Dr. M. M. Am«ld SeM«r, Prof. a. d. Univers. Freibnrg L Br., Über Ehv
Ziehung, Bildung und Volksinteresse in Deutsdiland nnd England. 99 S.
Dresden 18U1, Oskar Damm. 1 Mk. 50 Pf.
Eine Reihe von Abhandlungen über tolgende Themata: Schule, Erziehung
and Wetthemchait der Engländer. Die Lehr- und Lemfreibeit an unseren
FiiiversitUten. Wissenschaft und Publicum. Literarische Production und ( her-
production. Unsere Bibliotheken. Zur Beurtheilung der heutigen Engländer:
Drage's Cyril. — Es sind vorzugsweise die obersten Stufen des Bildungiweaena
und die ihnen dienenden Mittel, Kräfte nnd .Vnsfalfen in Betracht srczogen.
Dabei sind durchgehcnds die Zustände in Deutschland und die in England
einander gegenübergestellt, um das Bessere von beiden Seiten zur Geltung zu
bringen. Hauptzweck ist dem \''erfasser einerseits: Die Wissenschaft ilrr Na-
tion verständlich und wert zu machen, anderseits die Nation, ihre Woliltahrt
und Shie der Wissenschaft an.s ]{< rz zu legen. Der Vortrag ist — soweit es
bei so gewichtigem Stoffe möglich — lei(£t, elogBat^ fenületoniatisch , aber
geistreich, abgeklärt, gediegen. J. S.
A. Ernst nnd J. Tews, Dentaches Lesebnch Ittr Btftdtlidie nnd gewerbliche
Forfcbüdnngiachnlen. Zugleich als Hann- nnd Familienbneh lllr Handweiter
nnd Gewerbetreibende. Band L Für einfachere Schnlverhältnisse und die un-
teren Stnüm mefarclasdger Fortbildnngaschnlen. 377 a 1 Mk. 50 Pt Band IL
•
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— 328 —
Für die oberon Stufen niohrclassig^er Foitbildnngaachuleii. 430 S. 1 11k.
70 Pf. Leipzig und Berlin, Julias Kliukhardt.
Im vorigen Hefte dieser Zeitschrift haben wir das von den Hemn Ernst
lind Te\\> lirr:i:i«<;cp:cbcne deut.sche Lr«ol)uch für Mädchenschulen angezei^
uDd empfohlen. Mit gleicliem Beifall briiigon wir das flir Fortbildungs-
schulen bestimmte LeKbuch derselben VenEwser rar Kenntnis der betheili|^
Kreise. PasHoHie ist für Lehrlinge und Gehilfen des Handwerker- und (le-
wcrbciitandeä bestimmt, zugleich aber auch sehr geeignet, den bereits gereiften
Qliedem dieser Oeeellschaftsclasse als belehrendes, unterhaltendes und gemüth-
bildendes Lc^^obuch zn dienen. Besonrlere Rücksicht ist bei Abfassung de«selben
auf die iu Preußen und im deutschen licichc für den Gewerbestand maß-
gebenden Verlialtnis.se, Gesichtspunkte und Nonnen genommen. Die Anordnung
des Stoffes ist nach deui rrin< ip erfolgt, ebenso diis eigenthüniHcbe Berufsleben,
wie die ethischen .Seiton der socialen Verbände (Familie, Gemeinde) und die
Kechte und Pflichten des Staatsbürgers gleiehmifiig zur Geltung zu bringen.
Kin Anhang brin-rt schätzenswerte Anwei.-<iung und Muster für schriftlichen
Verkehr (Geschatt.-aufsätze). Auch bei diesem Werke ist die bewährte cou-
oentiische Disposition zur Anwendung gekommen, sodass der zweite Band als
eine naturgemäße Vertiefung und specicUerc Ausarbeitung des ersten erscheint.
Die Verlagshandlung hat wie immer durch solide Herstellung und billigen Preis
des Werkes die Intenttonen der Heransgeber wirksam naterstfltst M. K.
C. M. Sauer, Italienisches Conversationslesebncli, 4. Auflage. XII IL 400 S.
Heidelbeifr 1S<)1. Julius Groos. Geb. Mk. ()0 Pf.
T. ii. G. Valette. Niederländische Con\ ersatidiis-tirammatik, VI u. 370 S.
Heidelberg 1891, Juüus Groos. Geb. -4 Mk. 60 Pf.
I^. Wladislaiu Wicberkiewiei, Polnische CkmTersatioBs^raminatik. Vn n.
485 S. Heidelberg 1892, Julius Groos. Geb. 4,60 Mk.
Indem wir unsere Leser auf die obigen neuesten Biinile der bei Julius Groon
iu Heidelberg erscheinenden Sammlung neusprachlicher Lehr- und Lesebücher
nach der Methode Gaspey-( >tto-Sauer aufmerksam machen, halten wir eine
weitere Empfehlung derselben iu Anbetracht des außerordentlichen Beifalle>,
den die Gaspey-Otto-Sauerscben Sprachbücher bisher gefunden, für Uberfiilssig.
Rudolf Knilling, Der ZaUennuiiii von 1 — 20. Ein Leitfaden bei» ersten
Unterrieht in Stadt- nnd Landaehnlen. 43 S. Kllnehen 1892, Theodor
Ackermann. 60 Pf.
Bekanntlich hat Vcr£. mit eigenthUmlichen BefoxmTersuchcu auf dem Gebiete
des elementaren Rcchennnterrichtes eine lebhafte Bewegung hervorgerufen, die
an ihm selbst nicht spurlos TorQbergegangen ist. Pas vorlietjende S. hrit'trlien
zeigt, dass er sich von gewissen Irrtottmem nnd Misaghflcu losgemacht und
sich den bewihrten Grandsitsen nnd methodisehen Behelfen des Beehennnter»
richts wieder genähert hat. Gern citiren wir aus dem Vorworte seiner neuen
Arbeit den Sats: »Der Abfassung des Leitfadens sind die gründlichsten und
sorgfültigaten Stnwen Torangegangen." Andi wollM wir ihm nieht wider-
spr« . Iu II, wenn i r lieit'ün^t: ..l ud so dürfte es dem VerfHS.ser in der That ge-
lungen sein, etwas Gutes, Brauchbares, Praktisches und vielleicht sogar
Mustergiltiges sn sdialFen.'' JedenCdla wird es sich IdaMB, den hier geaeigten
Gang einmal ornstlirJi dnrchsoflUiien} er ist Idar, leidit, natflilioh und ver*
8. F« Mnderlok nnd G. E Kröger, Beetoren in Oldenburg, Bechenbach in
iwef TlieOen. L Tbl. 166 S. 11. Anfl. 1 Uk. n. TU. 186 S. 18. Anfl.
1 Mk. Oldenburg 1890, Schulze.
Die AuiB;aben beginnen sofort mit dem unbegrenzten Zahlenraume, zunächst
mit Tier GrnndTeehnQngBarten in gansen nnbemmnten, dann in mdimamigen
Zahlen, darauf folgt das Hechncn mit gemeinen nnd schließlich das mit Deci-
malbrüchen. Wir haben uns schon wäderholt dahin ausgesprochen, dass die
Dedmalbrilehe vor den gemeinen Brflohen leieht zn behanddn sind, weil die
M. J.
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— 329 —
Schüler infolge der decimalen Thoilungf von Münzen, MiiCen und Gewichton
in Bezug auf diese Brüche ein weit vollständigeres Anschauungsmaterial be-
•itHn, als fnr gemeine Brttche. — Die yereldikchtc Division nämlich olme
Äufscnreibnng^ der abzuziehenden Theiljirnduetc, scheint den Verfassern noch
unbekannt zu nein; im Übrigen haben wir nur zu bedauern, dass l'Ur Decimal-
brüchc ein kleinerer Typensatz geitraueht wurde und überhaupt der Sats an
vielen Stellen, z. B. Seite 05— (58, dann 125—129 und 155—159 so gedrängt
erscheint, dass er den Augen uni.souiehr em2)tiQdlicii wird, als auch das Papier
keine gaos weiBo Far})c besitzt.
f^>er den zweiten Theil hatten wir schon Gelegenheit uns sehr anerkennend
auszusprechen, da sein reicher Inhalt iu Bezug auf bürgerliche Eechnungsarten
nnd Verwandtes ihn zu einem höchst beachtenswerten Lehrbehelf für Hürger-«
Handels- tind Gewerbeschulen macht. H. E.
J. Welcker, Oberlehrer zu Wiesbaden, Übungsbuch zum mündlichen und
schriftlichen Rechnen, vollständige Umarbeitang des Übungsbuches von
B. FrickhSffer. 3 Hefte. 5.--13. Aull. WfeabaAen 1890» Limlwrth.
Jedes Heft 40 Pf.
Des ersten Heftes erste Abtheilung ist für die ersten zwei Schuljahre
bestimmt; die erste Stufe enthält den Zablenraum bis fünf, dann folgt die Ab-
stufung von jeder Deeade zur anderen. Im gansen Hefte kemmt nur Addition
und Subtractir)n vor. welche Rechnungsarten zu dem sogenannten Ziihlcn in
Reihen entwickelt werden; auf diese Art und Weise war der Rechcnüut< rricht
schon vor 50 Jahren üblich. Man kann nun nicht sagen, dass die Kinder vor
50 Jahren nicht auch rcclmen gelernt hätten, doch wurden >either bezüglich
der Leichtigkeit des Erlernens mittelst der Grubescheu Methode so gün-
stige Erfahrungen gemacht, daas die überwiegende Mehrzahl der Lehrer und
der Lehrbücher mehr oder weniger sich dieselbe 2U eigen gemacht haben.
Des ersten Heftes zweite Abtheilung ist uns nicht zugegangen, dürfte
aber wahrscheinlich die Multiplication und l^ivision mit ganzen Zahlen ent-
halten. Das zweite Heft lässt abwechselnd zwei Abschnitte Über dasBcchnen
mit gemeinen Brüchen und zwei mit mehrfach benannten Zahlen aufeinander
folgen. Der fünfte AIim imitf enthält Aufgaben über das Rechnen mit Decimal-
brUdien. Der Verfasser vertheidigt diese Anordnung mit derBehauptung, dass
im Vericehmleben die gemeinen mllehe hBufiger vorkommen nnd daher dem
Verständnisse d«>s Kindes näherstehen, eine BiTiauptung. welcher wir durchaus
widersprechen. Wir haben uns ttbeizeugt, dass seit Einführung der decimal
getheilten Ifflnsen, Maße und Gewichte das anschauliche YerstSndnis der
Kinder für die Decinialbriiche mindestens ebensogroß ist, als für die gemeinen
Brüche, und dass daher das Rechnen mit Decimalbrüchen ohne erhebliche
Sehwierigkeiten im vierten Sdin^ahra durchgeführt werden kann. Das dritte
Heft enthält Aufgaben über die bürgerlichen Rechnungsarten, in einem auf
das ^'othwendigste beschränkten Umfange. Wenn wir also trach nicht in der
Lage sind, iii^nid einen methodlsehen JPortMshritt an diesem Lehrbehelfe zu
erkennen, so kiSnnen wir doch zugeben, dass er dem Redürfnisse einer drei-,
vierclassigen Landschule wol entspricht. Nur muss mau sich dabei bewusst
Ueiben, so >u nnt^chten, wie dies andi schon vor 60 Jahren Qblich war. IL B.
Beehenbuch für llftdehensehnlen in 5 Heften. 40 — 88 S. Hlldborg-
hansen 1890, Oadow. 25-35 Pf.
Das erste unterscheidet nur die Zahlcnräome 10 und 100, in welchen
die Aufgaben nach Bedmungsarten gesondert vorkommen. Das nweite Heft
gelangt bis zum Zahlcnraume UXXX) und führt einfache Brüche vor. Im
dritten Hefte gelangt man bis zum unbegrenzten Zahlenraume, die Einfüh-
rung in das Recmien mit gemeinen nnd Decimalbrflchen wird fortgesetzt Das
vierte Heft bringt die Brnehreohnnng zum Abschluss. Das fünfte Heft
endlich enthält die bürgerlichen Rechnungsarten, einiges aus der Raumlehre
nnd gcmifldite Aufgaben.
Wir haben schon des (ifteren bemerkt, dass die Schüler außerordentlich an-
geregt werden, wenn ihr künftiger Beruf oder ihre wahrscheinliche Lebens-
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— 330 —
Stellung in den Kreis des Unterrichts gezo^?« !! wird; es ist also gar kein
Zweifel, dass der obigen Verlatrshandlung durdi die Veröffentlichung dieses
Rechenbuches von einem ungcnuuntcn Verfasser ein glücklicher Wurf gelungen
ist Gewiss wird es die Mädchen sehr freuen, ihre eig;enen Namen, anstatt
jener der Knaben in den Textaufgaben zu lesen: außerdem aber kann ein Rechen-
buch fUr Mädchen nicht anders aussehen, als ein solches fttr Knaben. (? D. R.)
Nur im «weiten Thcil dos letzten Heftes wird dieser Unterschied hervor-
ragend markirt. Dem Rechenunterrichte wird ja auch zu^emathet, die
Schiller in die that«ächlichen Verhältnisse des Vcrkchrslebens einnrftthxen und
dieser Aufgabe wurde aus dem Standpunkte de?« Mädchens im letzten Theilc
Rechnung getragen. Wir linden die Au^aben, welche sich auf weibliche
Handarbeiten und auf HanswirtBchaft beziehen; ja mjorar ein auf 14 Tnge aus-
gedehnter Speisezettel nebst Kostenttbcrschlatj befindet sich abc:odruekt. Fernere
Ausgaben beziehen sieb auf Wäsche, Garten. Putzmacherin und LebensTersiche-
mn^. Wir stehen nicht an zn erUtoen, dass das Tontehende Lehrmittel als
ein recht erfreulicher Fortncliritt zu begrüßen ist, da dasselbe in hohem Grade
das Interesse der ächttlerinnen anzuregen und damit die Arbeit zu erlcichtem
und ZV Iftfdeni Turmag. H. B.
(hrtlepps patentirte Bechenmaschtne. üniTNnal-Ldimiitlel-Appanitftr
Rechnen, Geometrie und Zeichenunterricht. Max Bossbach In firftirt»
Patentinhaber and Fabrikant. Selbstverlag, 1890.
Die unter obigem Titel erschienene Druckschrift cmptieblt die genannte
Rechenmaschine anf das wSrmste. Diese Beehenmaschme kommt m ihr^
Grundform der russischen Ku<;elrechcnniiu<chin6 g^ich. nur sind die Stäbe in
verticaler Bichtung verschiebbar gemacht und die jECngeln durch Würfel ersetzt.
Die Witafel sind normal oder diagonal durchbohrt im Yorrath zu halten, vnd
da sie auch noch verschieden bemalte Fläch' n haben können, so ist klar, dass
die Vorrichtung nicht blos zum Rechnen, sondern auch zum Zeichenunterrichte
verwendbar ist. Ja es lassen sieh sogar die Wflrfel anf eine Weise ordnen,
dass sich Flächenbercchnuntron und Fliichenvf rwandlungen er2rehcn. D<'r Preis
des Apparates, welcher nahe einen Quadratmeter (irößc erreicht, stellt sich auf
30— M Mk. Et Temiag ohne Zweifel an einer Volksschule recht gut« Dienste
zu leisten, was auch durch Zeugnisse von verschiedenen Seiten bestätigt wird. H. E,
Dr. Heinrich Schotte«, Inhalt und .Methode des planimetrischen üntenichts,
eine vergleichende Planimetrie. 370 S. Iieipzig 1890, Teabner. 6 Mk.
Der Verfksser «lagt vorwortlich, dass sdir yiele Lehrbfleher der Geometrie
veröffentlicht wrrdi ii. für deren Entstehung; ausreichende Gründe zu fehlen
scheinen. Offenbar wollte jeder Verfasser etwas Besseres, als das bisher vor-
handene bieten; sehr hftufig aber konnte dieser Oedanke nur bestehen und znr
1 )urchfilhninc uicrcn. weil der betreffende "Wrfasser nii ht hinreichend mit
der schon -vorhandenen Literatur vertraut war. £s wird gewiss jedem Fach-
genossen erwttnseht sein, ehe er daran geht neue Gmndsfttie und Anffiusongeii
in einem Lehrbuehe durchzuführen, darüber Aufsrhluss zn erhalten, ob das ihm
als neu Erscheinende nicht schon £rtthcr bekannt, ob es nicht schon kritisch
beleuchtet, oder vielleicht gar verworfen wurde. Znesem thatsächlich bestehen-
den ßedOiiTnisse hat der Verfasser durch die TOlliegemde, mflhevoUe vnd hOdlSt
dankenswerte Arbeit abzuhelfen gesucht.
Der vorliegende erste Band des Werkes beginnt mit einem Abschnitte
„Über die Eeformbestrebunpren auf dem Gebiete des planiuiotri-
schen Unterrichtes"; der Verfasser vcrtheidigt die Sätze: I. „Der geometrische
Unterricht muss vor dem arithmetischen entschieden beTOIsagt werden, weil
er die Grundlage bildet, weil er in den unteren ('lassen verständlicher ist.
n. Der arithmetische Unterricht beginne erst in Secunda; einzelne Theile er-
fordern nur mechanische Einttbimg. III. Die Methode des geometrischen Un-
terrichtes ist im Sinne der neueren Geometrie umzuformen, ohne jedoch die
Zwecke der Schule zu verleugnen. IV. Der Zeichenunterricht muss für alle
Classcn obligatorisch gemacht werden, ist jedoch im systematischen Zusaumien-
bange mit der Geometrie zu ertbeilen, also ein zeiii geometrisehea Zeichnen."
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— 331 -
Zur üatarstlltsniig^ dieser seiner Heinuiiff führt der Verftuser eine gtote H enge
von Citaton an; dicgelbcn füllen nahe an fünf Pnn-kiiocren nnd sind 44 vcr-
bchiedenen Scbriftstellera eatlelmt. Umierea grülitcu Beil'all verdient wol die
Anftthning ftber die Bedentvng der IbitlHinatik fOr die Gharakterbildung der
Jugend, indem sie die freie ^IbstthAtigkeit mehr fordert, als irgend «n an-
derer Lehrgegenstand.
Die YOTStelwnden ErOrtemngen Uber die Beformbestrebungen sind gleidiBam
als Einleitung gesetzt. Das erste Capitel des eigentlichen Werkes trSgt die
Überschrift „Der Raum", wel<hom rnbocrenztheit, diesfalls gleichbedeutend
mit Unendlichkeit, dann Stetigkeit und aiu h (ileirhartigkeit zukommen. Anch
hier sind die Ausfühnintren des Verfassers verhältnismäßig kurz, gegenüber
der grofien Menge von Citaten, welche gleichfalls einer reichen Literatur ent-
nommen rind. Unter denselben gefiel uns am besten ein Vorschlag von Erd-
inann. anstatt des Lehrsatzes: die Winkclsnnimc eines Dreieckes ist gleich
zweien Rechten, lieber den Satz: Die Wiiikelaumnic der Vielecke ist conslant,
unter die gruirflegenden Wahrheiten aufzunehmen. Das zweite Capitcl
erörtert die Frage: was ist Gegenstand der Geometrie? und ist ziemlieh kurz
gehalten. Im dritten Capitel mit der Überschrift „^aumgebilde" tct-
thcidigt der Verfasser die Meinung, dass die Anordnung: Körper, Fläche, Linie.
Punkt die einzig berechtigte ist; der Körper als anschauliches Ding muss an
die Spitze gestellt werden, die ttbrigen Raumgebflde sind nicht anschaulich,
sondern Ikgrifte. Letzteres ist auch die Ursache, da-s ilf r Verfasser mit den
Aufstellungen von Helm ho Uz Uber zweidimensionale Cicometrie sich nicht
einverstanden eAlftren kann, sondern einen larroten Theil dieses Gapitels dem
Nachweise der Hinfälligkeit der Hehnholtzseboii AnnahnK ii widmet. Im
vierten Capitel „£bene" und im lüniten Capitel MOerade'' geht der
Vezfluner von der Behauptung aus, dass dies a priori Torhandene Begriffe
Sflum, welche in dem Schüler nur treweckt zu werden brauchen. Eine Vor-
iteUlung a priori erinnert selir au ein Wunder^ es ist wie in der Naturlebre:
wenn man mit den Erfclirungen zu Ende ist, so stellt die „Kraft" als Wort
zu rechter Zeit sich ein. Um dem Wunderbaren auszuweichen, wollen wir
lieber sagen: Ebene und krumme Flächen, gerade und krumme Linien sind
dadnich au nntendieidMi, dass die einen dtu Begrenzte in dedkungsgleiche,
die anderen dasselbe in ungleiche Theile theilen. Diese Erklärung wird vom
Verfasser als von Archimcdcs herrührend angeführt. Sie ist so einfach, als
es die Sache zulässt, über welche wir allerdings durch die tägliche EriUirung
lange vorher })clebrt sind, ehe in der Schule der (teometrieunterricht begonnen
hat. Ein einjähriges Kind, web lies seine ersten (lehversuchc unternimmt,
gewinnt schon eine Reibe von Erfahrungen über Ebene und Gerade. Es ist
aber durchaus nicht nöthig, Begriffe, welche den allereintachsten Erfahrungen
zuk'iintrlich sind, als angeboren zu erklären, l'berhaupt sind wir der Über-
zenirung, dass nur Anlagen, aber niemals BegriflFe angeboren sind. Der Beweis
für das Gegentheil wurde noch nicht erbracht. — Nicht einmal den Begriff
des Ichs kann man als einen angeborenen bezeichnen; denn es kann mit voller
Berechtignog die Behauptung vertreten werden, dass dieser Begriff durch
Erfahrung gewonniOi sei. Dann ist aber auch der Begriff der Richtung, als
der Beziehung zwischen mir und einem anderen auBer mir, nicht mehr an-
geboren, sondern Erfahrunixssachc.
Des weiteren will der Verfasser von parallelen Linien nicht gesagt haben,
dass sie die gleiche Richtung haben, sondern dass sie eine Kbnliche Richtung
haben. Dies ist wul mehr ein Streit um Werfe, welcher wenig erhelilicb
scheint. Doch, meinen wir, würde die Parallelen-Theorie durch Verffleichung
einschlägiger astronomischer TeihSHnisse nieht ftnerheblich ge^vinnen. Bekanntp
lieh besitzen nur wenic: Fixsterne eine jihrliche Parallaxe, das lieißt, für die
Üehrzahl der Fixsterne würde mit unseren Listrumentcn betrachtet die jähr-
liche Bewegung der Erde in ihrer Bahn als ansdehnungsloser, rohenitor Punkt
erst ht inen. In aniiercr Deutung würde dieses heißen: Ein cylindevfOrmiges
StrahlenbüBchei, dessen Grundfläche einen Durclmiesser von 40 Millionen Heilen
heaitct» cnelieiiit ans der Entfernung der meisten FJzatene wie eine geiadA
Linie, fm Vergleich mit dieser Thatsadie wird man wohl angestdien mttseen,
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— 332 —
(lass j< no TarallcleB, welt ho wir auf d«T Erdobtrflflohc zti ziehen vermögen,
nicht uur als von llüilicker, sondern geradezu ab von gleicher Kichtoag bc-
seichnct werden mtliMi.
Es wird ferner noch anirofdhrt, dieHerade, lH zi» liMii!rP\\ <'i"^c ilie Ebene, könne
ab» der geonietrische ürt aller jener Punkte erklärt \ver(l<-ii, welche von zweien
g«srebcnen Punkten Ehitfernung haben; dies igt aber gewiss keine
einfache Erkläriin£j, sondern eine sülche. welch* >f lum i-in ziemlich vorpe-
schrittt'iies geometrisches Vorstellungj'Vennögeu crtniilirt. Daireiriu die Er-
klärung der geraden Linie als der Richtung^ des Lit iit.-<trahlo> zwar einfach
ist, aber doch irf'\vi>s nnr auf Erfahrung beruht, und durchaus nicht ein syn-
thctischcä Unheil a priori iicaaunt werden kann. Der Verfiujser hätte die
l^thetifldien Urtheile a priori nicht wieder aus dem (jrab<: der Vergessenheit
hervorholen sollen, in weh ho 8it> ja auch von dt-r Phih>s()phic seit mehreren
Deoennien schon gelebt worden siud.*j Im libri^cu ist sein Werk gewiss ein
sehr wertvoller Beitrag für die Didaktik der Geometrie, welcher in Hin-
kunft von jedem Schriftsteller auf Uiescm Oebicte zu rathe gezogen wer-
den muss. U. £.
DitimPf Geschichte des dentschen Volkes in drei Bänden. Heiddbergt Winter.
Diese „Deutsche Geschichte" wendtt sich an ein anderes Publicum, als die
im Jalire 1889 erschienene dcutsfhr Geschichte von Kümmel, deren Eigeu-
thflmlichkeiten wir im „Pa-dairogium" seinerzeit darlegten. Sie ist noch popu-
lärer in der Fassung und stoft'lich iiieht so reichhaltiü; wie jene. Ihr schlichter
Ton, ihre Klarlieit in der Zeichnung der .Situationen und Charaktere, die
kräftige !{• t\ iiliel)Mng der leitenden Idee, ihre mehr gleicbmftftige Bduaalnng
der einzelnen Epochen unserer Ge^:ciii< litf wird ihr Freunde genug gewinnen,
auch das, dsu^s sie das culturgeschichtliche Element in breiter Weisf heran-
sieht, und als einen Theil des Ganzen in die Schilderunür der ein/ 1r.' n Ab-
schnitte verweht und, weil sie auch die Einflüsse fremden Lebens aui unsere
Geschichte betont, die Eigenthümlichkeiten desselben des breiteren ausführt.
So — um das zulet^st Gesagte durch ein Beispiel zu veranschaulichen - - er-
zählt Dittmars deutsche Geschichte bei der Darstellung des Unterganges des
Westgotbenreiches auch die Entstehung des Islams, dessen Lehren und Ans-
lircitung, <iie Organisation der arabischen Eroberungen und die Geschichte der
Ouugaden-Djnastie. i>er erste Band (Lief. 1—5, & i Hk.) fUbit die Erzählung
Ms zum Jalöe 1266, der swehe hu 1648. Das ganze Weilt, von Sdte des Yet-
lage» sehr hübsch ausgestattet, wird in 16 Lieferungen abgeschlossen sein. W.
Heinze und fJoett«'. Geschichte der dentschen Literatur von Goethe'sTode bis
anf die Gegenwart. Dresden 18'J0, P. Heinze. 0 Mk.
Dieselben. Deutsche Poetik. Dre-sden 18tJl, P. Heinze. 5 Hk.
Neben den Werken eines Gottschall und eines Solomon wird auch diese
Literaturgeschichte den Weg ins Publicum finden, das ein Bedürfnis filhlt,
sich über die deutsche Literatur der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit
zu orientiren. Sie behandelt an die 5(X) Namen der letzten 60 Jahre auf
4ö2 Seiten, die jetzt beliebten Schriftsteller ausführlicher (Hiographie, ihre
Werke, Inhalt derselben, Charakteristik und kritische Würdigung), die zahl-
reichen anderen kürzer (Name, Hauptwerk, Vorzüge und Mangel <iurch ein
Beiwort oder einen einzigen ^tz andeutend, z. B.: «eine geistreiche, aber
etwas scharf ncfepfefferte Satire, die das polltische und literarische Gebiet um-
Avsst. pflciit Daniel Spitzer in den bekannten Wiener Spaziergängen.
S. 391.) Um den Leser Uber die Uasseuproductionen der Literatur leichter zu
orientiren, ist der Stoff in einer recht psssenden Weise gruppirt und die be-
kannte Eintheilung nach der Heimat der Dichter aufgesehen; das Auffinden
irgend eines Namens aber durch ein Inhaltsverzeichnis leicht gemacht. Die
Darstellung ist eehlicht und frei von Phrasen und Wortgellunker, was b^annt-
lieh nicht von jcih'r Literaturgeschichte gilt.
Ähnlich sachlich gehalten ist auch die Poetik der beiden Verfasser. Es ist
eine Besdireibang der Eigenthflmlichkeiten jeder einselnen yenfonn nnd IHch-
*) Siehe Wundt, Logik, 1. 400.
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tUD^sart, oft — und das ist gewiss nur löblich — an der llaud eines liestimmtcn
Qedichtcs. Dabei begnügt .sie sich nicht mit einer Detiuition , soudern geht
tiefer in die Technik jeder Dichtungsurt ein, sodass der Leser \\irklich auf-
geklärter an die Lectt^ der Dichtungen schreiten kann, vieles beachten wird,
was er sonst Qbersehen hStte. Auch in der Poetik ist die Einthetlung eine
vielfiach andere als in den üblichen Handbüehern. So tbeilt das Buch die
Gedankeiüyrik 2. B. in Weltsymbolik (SchiUerg Qlocke. Spasiergaiigl, Poesie
d«r LebenserkenntBlB ^prikdi« SalomoiB, Ueder aes Mim Sebafly) und
prophcti.sche Dichtung iHamerlingK Germanenzug). W.
(loeihe's Hennanu und Dorothea, erl&atert von 1^. A. Fnnke. 5. Aufl.
Paderborn, Schöningb. 1 Mk.
Diese ErlRvterung ^\iU ein Hilfimiittel sein Bnm schnlniftBigeii Verstüiidnis
des im Titel genauntcn "Werkes. Sic begleitet dcu Te\t mit Fußiioti n, iu
denen sie Uber äachiiches Auskunft gibt, sprachliche Schwierigkeiten ^betreffen
sie dag Lexikon oder die Onunmatik) biDwegrftnmt, »uf eigentbttnüicne Schön-
heiten crewisser Stellen anfmerksani nr.uht und die der Haudluns: oder den
Gesprächen zucfrundc liei^ende Disiiusition ber?orhebt, oder endlich Fragen
«nfwirft> dureli deren I^autwortung der Schüler beatimmte Beziehungen u. dgl.
erkennt. Es bietet das Buch somit lUl das, worauf der Lehrer bei der Kr-
liiuterunj? eines (iedielitr«. in den oberen Cliissen höherer Schulen zu uebteu hat.
Der Anhang' liictct iliiu Aiit>;itzthemas im Anschluss an die LectQre (123), dann
Fragen (zumeist mit beigesetzter Lrisunsz) über einzelne (iesänfre und ülier das
gaoxe Gedicht (z. B. Uber die historis(hc Grundlage, wobei ein lehrreicher
Hinweis auf den 8tdF von LoncliBllow Bmngeline, «her die Motive dar Ände-
rungen an der Vorlage v. s. w^ W.
Otto Sutermeister, Praktische Stilschule. Zürich 1890, Schulthess. 2 Mk.
Diese Stilschule ist keine Schablonarbeit, mag man nun die jeder T'hemen*
grnppe Torangeschicktcn „Winke", die Beispiele oder die Aufgaben ins
Auge fassen. Überall Originalität. Der eine oder der andere wird dies und
das Thema selbst für die oberste Classe eines Gymnasiums zn ho( Ii gegriffen
erklären, wir werden ihm nicht widersprechen; aber das wird auch uns je ib i
ohne Unterschied zugeben müssen, daüss auf keiner der Aol^aben ieuer be-
kannte fingerdicke S<£alBtaub liegt, dass ferner unter den Beispielen die Stereo-
tj'pen Erbstücke fehlen und dass endlich selbst der zur Erleichterung der
Gedankeafindung eingestreute Citateaschatjs nicht zum hundertstennmlc ab-
gedruckte Ware ist Nnr wenige Lehrer werden sich einer solchen Beleienheit
rühmen dürfen wie Sutermeister. W.
Ilinne, Praktische. Stillehre. H. Aufl. Stnftirart IHOI. Koch.
Derselbe, Praktische Dispusiti nslehre in neuer (iedtaltimg und Begi'üuduDg.
5. Aufl. Stuttgart 1891, Koch.
Beide Bttcher sind in der Lehrerwelt seit langem als praktische Hil6bttcher
bekannt. Die praktische St illehrc irruppirt die Themen naeh der Sehwierigkcit
für den Schüler, gibt ihm bei jeder Gruppe Winke (Couipositionsregeln), dann
ein oder das andere Husterbeispiel (viele sind eigene Arbeit Binne^s), und
endlich Themen, die nach dem Muster zu bearbeiten sind, im ffanyen 1909.
Darin wird ein Heurtheik-r den Schwerpunkt des Buches ündeu, dam Binne
gezeigt bat, wie die schriftlichen Übungen von der ersten bis sur letalen Unt«p-
richtsstufe an die Lectttre anireschlnssen werden können.
Die praktische Dispositionslehre hat bei ihrem ersten »scheinen Anziehen
gemacht. Sie g^bt nämlich ein Schema, naeh dem eine Abhandlung über
eine einfache, allgemeine Behauptung geschrieben werden muss und
erläutert es eingebend an Beisjiielen. Charakteristisch an der Methode ist die
Art, wie der Übergang von der Einleituna: zum Thema („der große Tberfifang")
und der vom Thema cum Schluss („der kleine Übergang") bewerkstelligt wird.
Rinne verlangt nftmlich, dass in denselben stets (und darin liegt ein Mangel,
Schablone) drei Momente wiederkehren; Zugeständnis, Entgegnung, Thema in
dem gioften, und Zugeständnis, Entgegnung (Beschränkung), Folgerung, in dem
kltfnen Übergang (durch die dabei gebnmten Co^jnseSimea und Partikeln
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— 334 —
etwa 80 ausgedrückt : „Zwar — aber.'^ ^Unzweifelhaft — allerdings duijegen/j —
In einen Tbflilc des Hucliea modificirt Rinne sein Schema auch filr anaere
ThemeDgruppen als die oben genannte. — Nebenbei bemerken wir, dasa der
gehässige Ausfall gegen „Cholevius (S. 5) und einen Herrn Dr. Laas" auf
S. 14 füglich wegbleiben könnte. W.
Friedrich Martin. Scliulgrammatik der deutschen Sprache. 4. Aufl. Breslau, Hirt.
Maitinü Graniuiiitik ist nicht für eine bestimmte deutsche Landschaft
geschrieben uml nimmt dementspreehend auch nicht auf den Dialect einer
hfstiinniton Gegend Rücksicht, etwa zu dem Zwecke, die Schüler von ihrem
Umgangsdciitsch zum fehlerlosen Gebrauch der hochdeutschen Schriftsprache zu
erziehen; mich ist sie keine historische Grammatik, die durch Heranziehung
älti rcr Sprachformen das heute Geltende erklären will. Den Kernsdicn Ivc-
lorniea i,'egenüber ist sie sehr coiiservativ, selbst die Kt rns(he Detinitiou des
Satzes nimmt sie nicht an. EigenthUmlich ist ihr ferner, dass sie nicht blos
die Ergebnisse des Unterrichtes mittheilt, sondern auch den Gang desselben
und auf die begrift'liche Seite einen großen Wert legt. Beispi«Je bringt sie
in geringer Zahl; die Terminologie ist die lateinische, doch ist sie nicht conse-
quent festgehalten. So heißt es z. B. öfter: Eiu Dingwort im Nominativ, ein
Eigensebauswort als Attribut u. S. Zu loben ist dagegen die ÜbersicbtlichJceit.
die in jeder Weise, aiicli dun ii den Drnck, dnich Baildtitd, FftrocraplMn.
Ziffern und Biu hstalien gcliirdert wird. n^.
Shakespeare'» dramatische Werke. Deutsche Yerlagsanstalt in Stattgart.
Geb. 3 Mk.
Um diesen Preis, drei Mnrk, dürfte wohl noch niemals ein so wertTolles
Werk in so schöner Ausstattung dunreboten worden sein. !>ie Ht; Dramen in
der Schlcgel-Tieckschen i'l)ersetzung sind in einem Grülioetavbaude von
942 Seiten mit gut lesbaren Lettern abgedruckt; außerdem ist dem Ganzen
ein prächtiges Porträt, ferner eine markig geschriebene Einleitung ül»er
Shakespeare's Leben und eine Charakteristik seines Schaffens, sowie jedem
einzelnen Drama eine W^Urdigung aus der Feder des bekannten Shakespeare-
Forschers Oechelhäuser vorangeschickt. Die Shakespeare-Gesellschaft hat iu
der That mit dieser Aufgabe dem deutschen Volke ein Geschenk ^macht. — r.
B^rckardt, Die spricbwSrtlichen B«den8arteD im deutschen yolksmiud. 478 S.
Leipzig, Brockhans.
In jüngster Zeit piml inohn n; Bücher erschienen, die den Zweck verfolgen,
die sprichwörtlichen Kedeiisarteu im deutschen Volksmund nach Sinn und Ur-
sprung 7Ai erläutern und so dem Lehrer ein bequemes Hilftmittel zu geben,
sie im deutschen rnterriohte in der mannigfachsten Weise zu verwerten. In
die Reihe dieser Schritten stellt sich auch Borchardt, der nicht weniger als
1132 sprichwörtliche Rcdeosuten alphabetisch nach einem Stichwort ordnet,
deutet und auf den Ursprung zurückzuführen sucht. In den meisten Fällen
ist das letztere ihm gelungen; in anderen freilich, wie dies in der Natur der
Sache liegt, kann er nur Muthmaßungen geben, die ihn mit Vorliebe auf
das Gebiet der germanischen Mythologie fä&«n, wohin ihm kaum alle Leser
immer folgen werden. Was an seiner Sammlung aber uncinireschrankt zu
bilu n ist, das betrifft die Auswahl und das Heranzit hen ähnlicher sinnver-
wandter Ausdrücke und Wendungen bei der Erläutei^ung irgend eines der
Sprichwörter oder geflügelten Worte. — r.
Petiscns, Der Olymp. 20. Aufl. Leipzig, Auielang.
Wenn ein Buch trotz zahlreicher ähnlicher Werke zwanzisr Anflaircu erlebt,
so muss es ein gutes Buch 8<'in, d. h. alles und zwar in sciioner Form bieten,
was ein bestimmter Leserkreis von ihm verlangt. Der Leserkreis ist hier die
sonst gar nicht leicht zu iK-frii-flitrcnde .Tuirend. Sie findet in dem Buch die
dassischc und germanische M.vtholotjie schliclit und einfach entählt, illustrirt
durch 47 schön geschnittene Abbildungen der auf dem Höhepunkte dier antiken
Kunst geschaffenen Göttertypen, ferner all jene Heldeusageu, deren auch ein
Jeder tos uns in längst entschwundenen Tagen mit gcs]>uuntester Aufinerk-
samkeit gelauscht, endlich die Schüdemng der Cultst&tten und Hauptliarte,
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— 385 —
sowie die Erläuterung der Symbole der Gottheiten und die Art ihrer Dar-
BtelloniBr in der bildenden Knnst. Antikes greift mit allen Fasen in unser
Leben ein. BodasB das Stadium desselben keine Tertorene Htihe genannt wer-
den darl. — r.
Neu erschienene Bücher.
Oi« Twiehavsen, Natorgeachlchte L Der natavgeachichtllehe Unterricht in
aasgeführten Lectionen. Nach den neuen methodischen Grandsätzen fttr
Behandlang nnd Anordnung (Lebengpremeinschaften). I. Abtlieilung, Unter*
stufe. 3. Aufl. Leipzig, Ernst Wunderlich. 248 2 Mk. HO Pf.
deorp; Schlieider, Der Religionsunterricht in der Schule, in Anlehnung au
die 29. Allgemeine deutsche Lehrerversammlnng. Mannheim, Bensheimer.
73 S. 1 H.
Dr. HeniAiiii Sehiller, Schnhutieit nnd Hnnaax1»eit. Ein Vortrag. Berlin,
Weidemann. 61 S. 60 Pf.
Dr. Josef Leos, Der österreichisdie Gyinnasiallehrplan im Lichte der Con-
centration. Wien, Alfred Heilder. 70 S. 90 kr.
A. Patnschka, Volkswirtschaftliehes Lesebucli für jedermann. NacU den
Quellen bearbeitet. 2. Autl. (iutlm, Hebrend. 21.'^ S. 2 M.
Franke's Neues Stit kerei-Monogranim. 812 Monogramme von AA bis ZZ
(7cm hoch). Zürich. Orell Füs.sli. 8 Mk. 80 Pf.
Calmberg-Utziuger, Die Kunst der Rede. 3. Anfl. Leipzig und Zürich, Oi-ell
FiinU & Co.
Fitscken, Anfiatastoffe für die ][ittel< nnd Oberstufe mehrciassiger Volkse
schulen. 2. Hefl: Beschreibungen. Hannover, Hans.
Krämer, Praktisch erprobte MusteranfUltse nnd Übnngsstoife. 2.Thett: Mittel-
stufe. Weinheim (Baden), Ackermann.
Martens, Deutsche vSprachübungen. 1. Heft. Hannover, Manz. 30 Pf.
Otto-Zimmermaini. Anleitung, das Lesebuch als Grundlage und Mittelpunkt
eines bildenden Unterrichtes in der ^lutteraprache zu behandeln. H. Anfl.
Leipzig, Amelang.
Wald, Eine Vereinfachnng der deutschen Becbtschreibnng. Bielefeld, Helmich.
Zeynek, Lehrbneh der deutschen Stiltotik nnd Poetik. 6.AuiL Graz, Lenschner
& Lnbaasky. 2 Mk. 60 Pf.
Unterrichtsstoff fttr die deutsche Grammatik und Orthographie, zusammengestellt
von Lehrern der königl. Vorschule zn Berlin. 2. Theil. Berlin,
Habel.
Hans Sommert, Methodik des deutschen Sprachunterrichts. Zweite, um-
gearbeitete Auflage. Wien 1802, A.Pichler's Witwe & Sohn, 224 Seiten.
1 fl. 40 kr. ö. W. = 2 Mk. 80 Pf.
Adalbert Maxa, Rede-, Schreib- and Stilfibongen. Ehi praktisches Handbuch
für Lehrer. II. Abtheilung. Wien 1892, A. Pichler's Witwe & Sohn.
169 Seiten. 1 iL = 2 Mk:
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— 836 -
A. Spöttel, Zur Spruclii t'iuig-ung^. Ein»' Sammlung d»'r gt bräuchlichstcn Fremd-
wörter etc. mit Bezeichnung der Aosspraclie und Angube ilirer Abstanunang
nebet deren Anwendnnir in Sfttzen. Hflnehen 1891, Max Eellerer^B Hof-
Bueli- nnd KimsthaBdliuig. 39 Seiten.
FeierstulieB. Gedenkbnch f&r deoteche Lelirer. Znm Beeten dee Jllttingw
Denkmale. Unter Mitwirkung hervorragender Freunde und Vertreter dee
Lehrerstandes heraiiRefcgeben Vf>n C. Radfiuacher, Scheve, Backes, Lehreni
in Küln a. Bh. Biclcteld, A. Helmich (Hugo Anders). 183 Seiten. 2 Mk.,
geb. 3 Mk.
M. Jost, Annaaire de l^Eneeignement priuiaire. Hoititoie Ann6e 1892. Parie»
Librairle Claeeiqne Armand Colin et Gie.
Wilketai Bidey nnd Karl Vogt, Daa Tomen in der Volke- und Bfirgeredinle
für Knaben und tfftdcben, eowie in den Unterclassen der Mittelschalen.
II. Tht il. Das Turnen im sechsten, sieb» ntt-n und achten Schuljahre. Zweite
V. rb. ss. rtc Auflagt'. Wien 1892, A. Pichler s Witwe & Sohn. 185 Seiten.
1 t\. ü. W. = 2 Mk.
Tlieudor Vernalekeu, Kinder- und Uuusmürcht u, dem \'ulke treu nacherzählt.
Zwdte, nen dnrdigeeehene Auflage. Mit 6 Farbendinckbildeni. 300 S.
Wien n. Leipzig 1892, Wilhelm BnuunttUer.
VenuitwMa. B««MtMr Dr. Frltdrieb DltU«. Bvclidniekcni Jvlivt Kllakhardt, Laifric.
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Die kirchliche und die philosophische Sittenlehre.
Ton Diieetor A* therth'liuttrfmrff,
(SeUoBS.)
D,. redliche Erfüllung sittlicliei Ptiichten gewährt uns Selbst-
achtnng, edeln Stolz, Seelf Tinilie (die Kühe des guten Gewissens),
innere Heiterkeit, echte Lebensfreude, Kraft und Festigkeit im Kampfe
gegen jeden Unterdrücker des guten Rechtes, gegen Angriffe der Thor-
heit und Bosheit, edeln Freiheitssinn, edeln Gemeinsinn, Mäßigkeit im
Glück. Würde im Unglück, echtes Mitleid mit jedem, der Gewalt
und Unrecht erdulden muss, und sichert uns die Achtung und Liebe
aller Guten und Edeln und eine rulii^e .Sterbestunde.
Es ist klar, dass eine Sittenlehre, die eine solche Gesinnung
fordert und solclie Gefnlile und Eigenschaften ausbildet, mit der oben
geschilderten kiichlichcn Sittenlehre ihrem innersten Wesen nach ini
Widerspruch stellen niuss. Dort Abhängigkeit von der Kirclie oder
von dem durch die Kirclie ausgelegten Willen Gottes, liier die Autono-
mie der menschlichen Vernunft und die frtiv Selbstbestimmung des
Menschen; dort steter Hinblick auf das göttliche Gericht auf Erdeu
und im Jenseits, und demgemäß die stete Frage nach Gottes Beifall
oder Missfallen; hier nur der Hinblick auf das Gesetz und die Frage
nach der vernunftgemäßen Beurtheilung unseres Thuns oder Lassens
durch das eigene Gewissen. Unter diesen Verhältnissen können höch-
stens bei den beideu Lekreu einzelne Gebote oder Verbote gleichen
Wortlaut haben.
Bevor wir diese Gebote selbst beleuchten, fragen wir uns: Welche
Urundsät/e fordert die dui cli Kant begründete philosophische
Sittenlehre im Gegensatz zur kirchlichen?
Sie fordert: Frage nie nach Lohn oder Strafe auf Erden oder im
Jenseits, sondern thu' das Gute aus Achtung vor dem Gesetz, aus
EhrAircht yor der die Welt erhaltenden heiligen Pflicht. Thue reeht
Tmii^gixm. 14. Mag. Heft Tl. 24
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— S38 —
und scheue niemand. Wenn du siehst, dass das gute Recht*) gebengt,
das Gesetz frevelhaft verletzt wird, so lass dich weder dorch die
Bücksicht anf deine eigene Behaglichkeit, auf deine irdische Glück-
seligkeit, noch durch die Furcht vor dem bösen Blick und den
Drohungen der Gewalthaber und eigensüchtigen Übelthäter von dem
sittlichen Kampfe um diese heiligen Güter zurückhalten. „Die Ehr-
würdigkeit der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuss zu schaffen; sie
besitzt ihr eigenthümliclies Gesetz und ihr eigentliümliches Gericht.''
(Kant.) Jede fremde Autorität, die stritt des Gesetzes als Norm iliren
Sonderwillen aufstellen und durchführen will, hat für sich keine sitt-
liche Berechtigung oder Geltung und soll unter Umständen als gefähr-
liche Tyrannei, als verderbliches Hemmnis für die Ausbreitung und
Ausübung echter Sittlichkeit aufs äußerste bekämpft werden. „Handle
nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst,
dass sie ein allgemeines Gesetz werde".**)
Die echte philosophische Sittenlehre schließt nicht jeden Lebens -
gi-nuss aus. „Wir sind", wie Kant sagt, „Bürger zweier Welten,
der wirklichen und der intelligibeln Welt", und darum hat das
aus der noth wendigen Selbstliebe stammende natürliche Strebeu nacli
irdischem Glück und Wolsein neben dem idealen seine Atolle Berech-
tigung und soll uns duich keinen Priester der Welt verkümmert
werden.
„Fxende Mit die auote Fedtr,
In (lor ewigen Natur;
Freude, Freude treibt die B8der
In der großen Weltenuhr."
Eine fireadiose, unter Soigen, Noth und Entbehrungen, unter
Znrftcksetznngen und Kränkoogen aller Art verlebte Jngend lässt sich
nie verwinden; die Rückerinnening vergällt uns das spätere Leben,
selbst wenn dasselbe glücklichere Tage und reiche Mittel zum Ge-
nnas gewährt. Dagegen zehren wir alle in unseren alten Tagen von
den glücklichen, d. h. genussreichen, frohen Stunden, die wir in der
Jugend verlebt, von den harmlosen Freuden, die wir in vergangenen
Tagen genossen haben. »Eine frohe Stunde wiegt ein Jahr von
Schmerzen aufl'^
*} WereohtntkUdiMiAditnigTOf deiiiX}«Mli]itaddnlen
Bedht und das Gaieti ab heUige Güter, mit aaderaii als die hOdntea Otter des
Ldtons anerkenneii und achten.
**) Die Maxime ist das subjcctive Prinrij) zu handeln, ist also der Grundsatz,
nach welchem der Mensch bandelt. Der Lnperatir oder daa Gesetz ist die Ver-
pflichtung, nadt der er handeln soll
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- 389 —
Aber freilich kann das Streben nach (xeuuas leicht aoBurteii und
dem höhei'en idealen leicht hinderlich werden.
„Wenn wir zum Guten dieser Welt geUuigMi,
Dilnkt uns das Bessre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdittcben Gkwühle."
Der Genuss soll unser Leben nur würzen, er darf nicht seine
Speise bilden. Eine übertriebene Hingabe an das Sinnenleben erschlafft
die Seele und raubt ihr die Fähigkeit, sich dem für das ideale Streben
nothwendigeu Zwange ohne Murren, ja mit Freudigkeit zu unterziehen.
Da jedes Streben nach Genuss nur die Befriedigung der eigenen
Lust, nur das eigene Glück im Auge hat, so muss es bei unmäßiger
und unweiser Erfüllung unserer Begier die edle Elirfurcht vor dem
Heilii^en und seinen idealen Forderungen schwer beeinträchtigen und
dagegen in bedenklicher Weise die Quelle alles Bösen, die Selbst-
sucht fördern.
Darum verurtheilt die Sittenlehre unbedingt jeden unmäßigen
Genuss, weil derselbe uns im Sti'eben nach dem Ideal sittliclier und
religiöser Vollkommenheit hindert; aber Genuss als solchen sieht sie
als nothwendig und darum als vernünftig und erlaubt an und bezeich-
net jedes Streben nach Lebensfreude nnd irdischer Glückseligkeit,
solange dasselbe kein Gebot einer idealen Pflicht verletzt
oder der Erfttllung desselben hinderlich wird, dnrchans als
gut nnd loblich. Die Lehre der kirchlichen Moral von dem sitt-
Uehoi Wert nnd der Nothwendigkeit der Asoese wird yon der philo-
sophischen Sittenlehre verworfen. Dagegen fordert dieselbe, dass der
Mensch in Anerkennung der Gefithr, welche die fibennftftige Hingabe
an sbinlichen Genuss bereitet^ vm der hohem Pflicht willen seine sfam-
liehen Triebe nnd Neigungen in fester Zucht halten und darum un-
abUssig nach Selbsterkenntnis, nach rechter Erkenntnis semer
Schwachen nnd Fehler nnd nach Selbstbeherrschung streben
soll Du sollst, so lautet der Grundsata, diine sittliche Gefllhlsgmnd-
lage so ansbildea, dass du im Urtheiien und im Handeln mit
dem Denken, Urtheiien und Handeln eines ideal sittlichen
Charakters fibereinstimmst Damit wirst du zugleich dein sitt-
liches Gewissen bilden, so dass jede deiner Thaten und deine
Gedanken Yim diesem innem Bichter scharf und rficksichtslos gelobt
oder getadelt werden. Bei einer recht sorgfältigen Selbsterziehnng
wirst du sittlichen Tact erlangen und schlieftlich dahin kommen,
nicht anders als sittlich handeln zu können; das Sittengesetz
24»
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— 340 —
wird dich beherrschen wie ein Naturgesetz. Dieser Zustand
soll das Endziel deiner sittlichen Selbsterziehung bilden*).
Trotz der Verwerfung der Ascese verlaufet die philosophische Sitttju-
lehre, dass wii* unter Umständen um der Ptliclit willen jeden Genuas,
ja alles das, was wir irdisches Glück nennen, zum Opfer bringen und
selbst das Opfer unseres Lebens nicht scheuen sollen. „ Nichts wüi'dig
ist die Nation, die nicht ihr alles freudig setzt an ihre Ehre." Für
das Vaterland und die Freiheit — Begriffe, die di»- kirdiliclie Sitten-
lehre gar nicht kennt - hat schon luanclier wackre Mann freudig
sein Herzblut vergossen; andere lial)en für ähnliche hohe sittliche Ideen
freudig ihr Vermögen, ilire Ruhe und ihre Gesundheit geopfert. „Die
Tugend ist kein leerer Wahn."
Da zu solchem Thun ein hoher Grad von Selljstbeheri-schuug und
ein starker sittlicher Wille gehr»rt, so fordert die ernste Sittenlehre,
dass wir uns von frühester Jugend an in strenger Selbst-
beherrschung üben und darin keine Nachsicht gestatten
sollen. Das Naturgesetz lehrt, dass rückwärts kommt, wer nicht
vorwärts geht; dass man der Sclave seiner Triebe und Begiei*den
werden muss, wenn man sie nicht zu bändigen versteht Das Bän-
digen kann nicht frtth genug begonnen werden**). Freilich
aeheinen manche Menschen, wenn sie nach wOst und wild verlebter
Jugend znr Besimiang gekommen sind, diese Behauptung za wider-
legen. Sie leben vielleicht Jahrzdinte hindurch als gesetzte, scheinbar
recht sittliche Bürger nnd Bürgerinnen nnd meinen jenes Natnrgesetzea
spotten zn dtifen. Irret euch nicht! Diese Menschen sind ihres
Willens nie sicher. Die wüsten Bierden ihrer wilden Jugend-
zeit können pl5tsdich wieder erwachen und sie entsetslidi unteijochen.
Dann hilft keine Warnung, kein Gedanke an den einst heifi gdiebten
Mann, an das einst heiß geliebte Weib, an die geliebten Kinder;
keine mahnende Vorstellung von Ehre und liebe der Mitmenschen.
Alles, alles wird der neu erwachten verzehrenden Leidenschaft zum
Opfer gebracht Der scheinbar ausgetriebene Teufel ist zurückgekehrt
und „hat sieben unreine Geister mitgebracht". Wer nicht in seiner
Jugendzeit gelernt hat, das wilde Herz zu zähmen, vergiftet sein
♦) Der vortreflniche Arzt, Professor Dr. Heim in Berlin, Überall »der alte
Heim" genannt, pllegte in Fällen, (In ihm seine rfiioht üchr sehwer wurde, zu
sagen: „Ich möchte gern anders handeln, wenn nur das dumme (iewissen
nicht wäre."
**) Wir weiden spftter bei Beleuchtung der Erziehung kleinw Kinder (unter
4 Jahren) su nnbedmgtem Gehorsam darauf surttckkommen.
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— 841 —
innerstes Leben and mnas nur zu oft das entsetolkh tiaiinget enchftt-
temda Wort sprechfin: Es ist zu spftt!"
„And thuB, untaught is youth mr heart to tame,
My Springs of life were poison'd. Tis too lato!" (BjTon.)
Damm warnt diese ernste Sittenlehre den Jüngling, TOn der
Meinung abzustehen, dass ein gelegentliches Sündigen, eine gewisse
Nachsicht gegen unsere Schw&chen bei den schwereren sittlichen Pflich-
ten oder argen Verlockungen und Versuchungen in der Jugendzeit
nicht viel schaden werde. Man ist in dieser Zeit nur zu sehr geneigt
sicli zu entschuldigen und sich wol gar darauf zu berufen, dass
Genialität ein ^Austoben" nothwendig mache, dass es genug geniale
Mensclien jref,'"ebeii . die bei einem wahrlich nicht streng sittlichen
Leben doch Hervorragendes, ja Großes geleistet haben und sogar von
der Nachwelt bewundert und gepriesen werden. Hei der Sittlichkeit
kommen die Werke des schaffenden Geistes nicht in Betracht, sondern
nur das Gemüth und die Gesinnung. Man lialte daran fest, dass
Nachsicht und Feigheit im sittlichen Kampfe wie in jedem andern
nur Schaden bringen und den Siec: veieiteln; dass sie den sittlichen
Emst der Gesinnung beeinträchtigen und den Willen zum Guten
schwächen müssen. Dies Naturgesetz gilt für alle Menschen,
auch für die genialen, höchst begabten und wird sich nie
ändern.
Die strenge j)hilosophische Sittenlehre hat bei ihren Forderungen
nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch die Gemeinschaft
aller im Auge und sclireibt demgemäß sehr ernste Ptlithten vor.
Christus hat dieselben durch den scluinen Grundsatz ausgedrückt:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Die rechte Betrach-
tung der Folgen, die uns nothwendigerweise aus unserer Selbstbeherr-
schung erwachsen müssen, zeigt, dass diese sittliche Kraft auch
um unserer Mitmenschen irillen nöthig ist. Die wolthätigen
Folgen einer echt sittlichen Handlungsweise erstrecken sich nidit.inir
auf nnsere nächsten Angehörigen oder lOthftrger, sondern auf alle
Menschen ohne Unterschied. Sie tragen dazu bei, den Ban der sitt-
lichen Welt ansammenznhalten und auf Erden das Reich des
Friedens und der Liebe grttnden zn helfen.
Im Hinblick aof diese Pflicht der Nächstenliebe verlangt die
philosophische Sittenlehre Ton jedem Menschen Qemeinsinn, berdt-
villige Hilfe allen, die unrecht erdulden müssen, — nHilfe, wo
die Unschuld weint*)** — von Unterdrttckeni des Bechts bedringt oder
*) Dos Mitleid mit den Kranken und den Annen, die nnyendinldet nicht
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— 342 —
yetfblgt werden; Treae (Treue gegenflber dem gegelMiien Worte,
der ehrlichen Überzeugung, seinem GlanbeOi den Freonden, dem Gatten»
dem Fürsten, dem Vaterlande), Achtang des fremden Rechts,
Redlichkeit und Billigkeit in Handel und Wandel, Achtung
vor der fremden auf festem Glauben beruhenden Überzeugung
und vor jeder sittlich berechtigten PersHnlichkeit, gleichviel
welchem Stande und Berufe sie angehöre, welche Stellung sie im
Leben einnehmen möge; Wahrhaftigkeit — „Wahrheit gegen
Freund und Feind" — , Wahrheitsmuth d.h. den Muth, seine Gesin-
nung offen zu zeigen, jedem, der unrecht thnt, möge er noch so hoch
stehen, die Wahrheit zu sagen und ebenso offen die eigene Schuld zu
bekennen (edlen Freimuth), und endlich Milde und Versöhnlich-
keit, Überwindung der Leidenschaft des Hasses, Austilgung aller
Rarhegelüste (Rache ist stets unedel und unsittlich) und echte Toleranz,
d. h. die achtungsvolle Anerkennung-, dass jede fremde Überzeugung,
welche des Menschen Denken und Handeln als Pflicht reg:elt, neben
der unserigen völlig gleiche Berechtigung habe. Diese Forderung
bezieht sich nicht allein auf die verschiedenen religiösen Übei-zeuf^ungen,
sondern gilt auch für die beiden großen sittlichen Gebiete, für das
politische und das sociale.
Zugleich mit diesen Forderungen stellt diese strenge Sittenlehre
an uns das Verlangen, die diesen Grundsätzen entgegenstehenden
Grundsätze, Ansichten und Bestrebungen der Selbstsucht zu
verachten und dieselben mit Aufbietung aller Kräfte zu be-
kämpfen.*) £s ist durchaus unrecht, bei solchen Kämpfen sich ieig
duidi Menschen, sondern durch das Schicksal ins Elend geiaten, ist eine
fromme Pflicht, gehört ins Gebiet der Religion.
*) Benäidie Schilderungen solcher KAmpfs und vemdundener Menschen, die
dneh einxelne jener nttUdien Tugenden herrorienditen, gehen uns Jene volksthllni-
lichen Epen, welche aus alten iin Volke geeehnffUMü vad vielfach gesungenen
einzelnen Heldenliedern, Balladen oder Roiiianzen zusanimenffeBtellt wordon sind,
wie das Nibelungenlied, das (ludrunlii il. das Waltharilied, der „Cid". (S. Herders „Cid".)
Wie herrlich bekunden die Helden und Huldinnen in jenen die verschiedeneu hoch-
sittiidieD Foiderungen der dentsehen Tzene; wie henlieh neig;! der spenisdie Volk»-
held neben der heUenrnSüiigen Tepftxfceit edeln Frafanntht WakiMtwnth, JKaamet'
stolz vor KOmgstbronen", Treue und Vaterlandsliebe, selbst bei dem schnödesten Un-
dank, dessen Rein König sich ihm gegenüber Bchuldig macht! AIh der König Don
äancho seine Schwester Uraka ihres ErbtJieils berauben will und dem Cid befiehlt,
ihm dacu behilflich zu sein, folgt der Held dem Befehl der hShem sittlichen Pflicht,
dteVnMhnU m beeehttUen md geht ruhig in die dniobttber Ihn Yeihlagte Verban-
nung. Als iUe Betehebunme sieh fttrehten, dem neuen KBnige Alftnio den vom
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zurückzuziehen oder unthätij^ zuzuschauen. Das Gesetz des weisen
Solon, dass im Staate jeder Partei ergreifen solle, gilt für
alle Zeiten und für alle diese Kämpfe als weise und sittliche Forderung.
Die Erhabenheit einer solchen Sittlichkeit und solch einer Sitten-
lehre zeigt sich namentlich darin, dass sie diese Forderungen auf-
stellen, ohne dafür irgend einen Ersatz zu bieten oder zu ver-
heißen, dass Menschen, welche diese schweren Forderungen erfüllen,
dabei nur an ihre Menschenwürde denken, diese Opfer nur bringen,
um vor sich selber zu bestehen. Diese Sittenlehre kennt bei allen
ihren Forderungen nur das eine erhabene Wort: Du sollst!
Wenn der Jünger im Hinblick aut die süßen Freuden der verbotenen
Genüsse zweifelnd ausruft: „Warum soll ich diesen Genuss, dies süße
Glück meiden, warum darf ich mich nicht den zwar leichtsinnigen
aber so lustigen Genussmenschen anschließen?", so ertönt statt jeder
Begründung nur dies eine erhabene Wort: Bn sollst! Da bist
ein Mensch und hast als Vorzug vor den Thieren, als eigenthflmliche,
specifisch menschliche Begabung die Kraft erhalten, diesen Belelil als
einen unbedingten zn fühlen. Daram lebe nnd strebe wie ein Henaeh
and erhebe dich mit jeder Besiegung deiner Gelfiste ttber dae Tbier
QBd thierisebe Triebe nnd Bedflrfiiisae. Vennehe ee nnr, dieh redlieh
sa bemftben nnd Selbstbebensehnng sn «langen, so wird dir aOmSb-
licb klar werden, was der weise Kant sagt: „Zwei Dinge eifttllen
das Gemfttb mit inuner neuer und zunehmender Bewnndemng: der
gestirnte Himmel Uber mir nnd das moraliaehe Gesetz in mir.**
Dn wirst aDmihlich die Wahrheit des Wortes erkennen:
tJhm wir Haudieii niir nnd, der Gedanke beuge das Haupt dir;
Doeh, daai Memwhen wir sfad, lidite dich ftendig empor."
Willst da anf das heilige Sittengesetz nicht hOren nnd deinen
Lfisten frOhnen, so lebe wie ein Thierl Dn wirst dafür nicht mit der
gOttUchen Strafe im Jenseits , mcht mit den Qualen in Fegefeuer nnd
HODe bedroht. Wir weisen nur darauf hin, dass die Folgen deiner
Handlnngsweise mit der Nothwendigkeit von Naturgesetzen
sich einstellen müssen nnd sich einstellen werden. Es gibt
für dich emen Himmel nnd eine Hölle hier auf Erden. Dir ist die
Handosigkeit versagt» mit der das Thier alle seine Triebe befriedigt
Dn weißt was gnt nnd bOse ist, was dn sollst nnd was dn
Reichstage geforderten Keinigungseid abzunehmen, ontenieht er sich dieser wich-
tigen Au^abe, tflmok er weit, da« der stohie Gebieter ikn deairegen huam maA
voMgei wild. Hau arilge ^ Jagend Iber dieie Tbalea vod GnuMbltM recht
uMUBnm, danit de dieielbeii liäb mm Xaater aehne.
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nicht BollBt Da hast ein Gewissen'*') nnd mnsst seuie Stimme
liQren, magst da immeriun dich bemflhen, sie za nnterdrOcken oder
diefa dagegen m betftaben. Darom Ueiben dir die Vorwürfe des
bOsen Gewissens nicht erspart, and dieselben können unter ümstSn-
den zn entsetzlichen, nie anfliörenden Qoalen werden. Auf die kOst-
Jiche Buhe und stille Seligkeit des guten Gewissens, auf edles Selbst-
bewusstsein, edeln Stolz, auf echte Menschenwürde mosst du daon
yerzichten. Wenn du dich zum Sclaven deiner Lttste erniedrigst, so
machst du dich naturgemäß zum Sclaven aller, die in selbst-
süchtiger Herrschbegier oder aus anderen schlechten Beweg-
gründen die Fehler und Schwächen ihrer Mitmenschen ans-
Zttbeaten pflegen. Sei gewiss, dass du dieser Sklaverei nie ent-
rinnen kannst, so schwer die Fesseln dich auch drücken mögen. Da
wirst ohne sittliche Selbstbeherrschung auch nie die köstliche innere
Heiterkeit, die rechte Lebensfrische und Lebensfreude erlangen, die
uns Menschen bei schweren Unglücksfällen, in den schwierigsten
Lebenslagen aufrecht erhält**). Du wirst infolge der inneren Unruhe
*) Gewissen iit des Wiitea um den sittliclieii Wert und die Bedev-
Inng uaeeree Thune und Leesene, mieier sittlichen eder unrittBehen Heudlunge-
weise. Man knaa ee daher „den innern Bichter" nennen. Es ist eine Scclen-
thätigkeit, bei der unser sittliches Verhalten klar, begrifflich durchdacht
wird. Die Warnung, welche der Menficb vor der That, die Beue und Angst, resp.
die Freude, welche er nach derselben fohlt, haben mit diesem Gewissen
eigentlich nichts sn schaffen. Da sie dassslbe Vbet bebten und von seinem
BicbteiBpruche unzertrennlich sind, so spricht man von einem guten und einem
bösen Gewissen und sapt, dass das letztere den Üliclthfitor „schlatro" oder peinige.
E.s ist besser, zu sagen, dass diese Qualen vou der ^eele oder vom (ieinüthe aus-
gehen. Das Gewissen luuss durch Aneignung klarer Begriffe und durch Übung im
Fühlen nnd Ducchdenhen sittlicher Gesetse nnd Theten in ihnlieher Weise wie
das Knastvrtheil gebildet werden.
**) Eine herrliche, herzerfrischende, sittlich denkende tind strebende Natur hat
Dickens in seinem Roman „Martin Chuzzlewits Leben und Schicksale^
gezeichnet. Der ehrliche wackere üauäknccht und Kellner Mark Tapley bwitzt
eine se kMtfehe Lebensfiriscbe, dass er meint, in glUcklicheo, geordneten, guten Vei^
hiltnissen, bei denen ihm das Leben leicfat wird, nicht genug Ehre erwerben su
können. „Jedermann kann heiter und guter Dingo sein", sagt er, „wenn er gut
gekleidet ist. Wenn ich recht zerlumpt und doch recht lustig wiire. so würde ich
glauben, mir darauf etwas zu gute thun zu dürfen." „Wenn man als Totengräber
oder als Leichenbestatter oder bei einer Lungenentzündung vergnügt wäre, so
wOide dabei wenigstens Ehre su ednlen seu." Diese kSetliohe auf echter Sitdieh-
keit berahende LebensbisdM eihilt ihn in allea Lagen nidüt nur aufrecht, sondern
augleieh stets heiter. Als es ihm und seinem Herrn Martin in Amerika so schlecht
geht, dass sie in der That Ursache zum Verzagen haben, so sagt Mark zu sich selbst :
.Nun, Meister Tapley, gib acht! Die Dinge sehen ungefähr so schlecht aus, wie sie
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„yon Beg^ierde zum Genuss taumeln, imd im Gennss vor Begierde
yerscbmachten**, bis da zuletzt erkennen mnsst, „dass der Zaaberbecher
des Lehens nur am Bande glänzt, dass für den gierigen Trinker unten
wermutbittere Hefe liegt." (Byrons „Childe Harold's Pilgrinage:
Life's enchanted cnp but sparkies near the brim. His bad been qnafTd
too quickly, and he found The dregs were wormwood. (Canto III.)
Versuche es dann mit dem Priester, kanfe dir Ablasszettel, lass dich
mit Verheißiiiifj:en trösten: wir können dir nur sagen, dass alle Trö-
stungen der Religion und alle religiösen Übungen dir jene kostbaren
Güter nicht geben werden*). Das Walten der ehernen Naturgesetze
vennag niemand zu ändern.
Du musst bei einer solchen Verachtung der sittlichen Pflicht der
Selbstbeherrschung auch auf die rechte Achtung und Liebe unter
deinen Mitmenschen verziclitcn. Kreilich hat der, „welcher irrt,
gar viele Gespielen"-, aber wehe dem, der auf solche Freunde baut,
oder von ihnen Acl»tung, Liebe und Gegendienste erwartet. Wahre
Freunde hat nur der sittlich Strebende, der Redliche.
Die Achtung und Liebe der Mitmenschen zeigt sich am klarsten
bei der durch groUere Gemeinschaften vollzogenen Wahl der Tüchtigen,
Tapferen, Leistungsfähigen, welche ein Vertrauensamt, eine wichtige
oder hervoiTagende Stelle einnehmen, oder im Kaini»fe um die heilig-
sten Güter des Lebens als Führer dienen sollen. Äfeinst du, dass
man dich Schwächling, dich leichtsinnigen, lüsternen (^enussmenschen
zu solch einer Stellung, zu solcher Führerschaft für würdig erachten,
mit Vertrauen beehren wird? Vielleicht wählen dich jene Menschen,
welche gefügige Werkzeuge brauchen, um ihre Ideen gewaltsam zur
Geltung zn bringen, oder am gewissenlose, im Grande ToArecfaeriscIie
PlSne Miflfthren zu können. Da kannst dnreh sie wol sn Beloknnngen,
ja zu einer eintrftgUchen, wol gar hohen Stellung und zn ftnfierUeh
mmImb kOnmen, fmga Haan. Du wixsti lo lange dv letal, keine andeie derer*
tige Gelof^cnheit finden, deinen Humor zu zeigen, mem foiDer BniBche. Und des-
halb, Taplt V. ist jetzt deine Zeit da, dich als Mann sv enreieeD oder nie." Und
er bleibt unverzagt und rettet sich und seinen Herrn.
*) Maria Stuart: Frisch blutend steigt die Itingüt vcrgebne Schuld
Ave flurem Idehfbedeekten Onb empor.
Oes Gatten ndwfordendee Gespenet
Schickt keines Mcsscdicncrs Glocke, kein
Hochwflrdiges in Priesters Hand zur Gruft. (Act I Sc. 4.)
Dies gilt nicht bloe für den Mord, sondern auch für andere Versündiguagen.
Heil Tvnnag nie, iie «uanetreidiett. Wir ermnoii an die Sage Ton dem „CDEolet
im Haue".
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ehrenden Auszeichnungen gelangen ; aber diese Mensclien verachten
dich als ihren bezahlten Sclaven, als ihren Hatzhund*) und stoßen
dich mit dem Fuße, sobald sie deiner nicht mehr bedürfen oder den
lößtigeu Mitwisser und Helfershelfer entfernen wollen.
Die Folgen unsittlichen Thuns, leichtsinniger oder frevelhafter
Vernachlässigung oder Verhöhnung des Sittengesetzes, die den eher-
nen Naturgesetzen gemäß unabwendbar sich einstellen, enthalten eine
Nemesis, die bisher viel zu wenig beachtet worden ist. Sie zeigt
sich am deutlichsten gerade bei den fein organisirten, hochbegabten
Menschen; denn diese haben bei ihren gewaltig drängenden und
stürmenden Trieben zugleich sehr feine Empfindungen und demgemäß
die Anlagen zu einem feineu Gemüth und feiner Unterscheidung für
Gut und Böse, Recht und Unrecht. Daraus erwächst so vielen der
Größten und Gewaltigsten die tiefe Tragik ihres Lebens**). Wir
haben diese Nemesis bereits vorhin durch die Darstellung einzelner
Folgen, die aus der leichtsinnigen Hingabe an die Siimenlnst erwach-
sen, in einzelnen Zügen angedeutet. Diese Züge lassen sich leicht
WDiBlirei, und sie leditfertigen TollkcMiiiiMii 0oeih^8 Wort: „Alle
Schuld rächt sich auf ErdeD.*"
Freilioh hdrt man von Terschiedenen Seiten, namentlich tob den
Anhfiagem der kirchlichen Sittenlehre behaupten, dass diese Nemesis
auf Erden fehle, dass der freche und aalglatte SchnriLe ungestraft
bleibe, dass die ünschiild leiden müsse, Ungerechtigkeit und Bosheit
nur sa oft trinmphiren, und dass es daram notwendig sei, an das
alles ünredit ausgleichende Stra^ericht Gottes im Jenseits an glauben.
Aber dies ist eine Yon jenen Behauptungen, die sich ?on Jahrhundert
SB Jahrhundert fortschleppen, wie Dogmen, wie Axiome prDfiingBlos
angenommen und gedankenlos nachgesprochen werden.
Das Wort des weisen Goethe ist wahr. Die philosophische Sitten-
^ Fürst BUmaxek 0OII in Bezug aof einen früher sehr hoch gestellten Mann ta
offener Verachtung seiner ScIaTendienste gesagt haben: „Er ist ein gnter Hand;
aber auf Befehl schwimmt er selbst durch die ärgste Pfütze."
**) Wer im Leben selbst nicht Gelegenheit bat, diese Wahrheit au^ eigenen
BeohnehtoBgtn ni aohOpUm, der 8tndireShakeq>eue^ und namentUefa uiteraB SehiUer
groBaitige, wunderbar tief und schfin magdegto nnd kunstvoll ausgeführte TmgOdien.
Leider hat die Nütion sich gegenwärtig von ihrem edelsten und erhabensten Dichter,
ihrem einstinaligcn Lieblinge, in bedenklicher Weise iibgckehrt. Dem gcbildctcu
Streberrolk unaerer Tage, dessen selbstsüchtige Grundsätze bereits in die Schulen
eingedrungen in fein scheinen, ist der giole Dichter m enst nnd m sticag sitt-
lich. Seine TngOdien weiden nieht mehr studiert lUa pnnkt Heher Litentni»
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tobre weist den Glauben an Gottes Richteramt und Straf-
gericht im Jenseits in der Erkenntnis zurück, dass eine
Nemesis auf Erden existirt; dasB dieselbe in den nothwendigen
auf Naturgesetzen beruhenden Folgen unserer sittlichen oder unsitt-
lichen Handlungsweise begründet ist, und dass die tiefere Erkennt-
nis derselben ein ruhiges unverfälschtes Rechtsgefühl voll-
kommen befriedigen könne. Sie lässt bei dieser Zurückweisung
den Glauben an Gottes Liebe und Vatergüte, an sein Erbarmeu und
seinen himmlischen Trost unangetastet; aber derselbe wird nur denen
zutheil, die unschuldig unter den Schlägen des Schicksals oder
unter menschlicher Thorheit und Verworfenheit zu leiden
haben, nicht denen, welche sich durch unsittliches Thun oder Thor-
heit und mangelhaften Gebrauch der ihnen verliehenen Gaben ihr
Schicksal selbst bereiten. Diese Lehre ist die Consequenz jener
oben erörterten Grundansicht, dass alle sittlichen Gesetze lediglich
aus der menschlichen Vernunft stammen, und der Urgrund unserer
Verbindlichkeit, sie zu befolgen, nicht in Gott, sondern in der Auto-
nomie der menschlichen Vernunft zu suchen sei.
Diese Lehre könnte für die Menschheit wahrliaft befreiend und
erlösend wirken; denn sie fülirt bei echter Anwendung zu erhöhter
Selbsterkenntnis und zum sorgfältigeren Gebrauch unserer Vernunft und
der anderen seelisclien Gaben. Aber in dieser Forderung, sich selber
besser zu erkennen und die Schuld für unser Leiden, für Unglück
und das Misslingen verschiedener Pläne zunächst in uns selbst zu
suchen, liegt leider ein bedenklich großes Hemmnis fiir ihre allseitige
Annahme. Niemand will schuldig sein; jeder sucht Vorwürfe und
Schuld auf den anderen zu schieben, „der letzte auf den Teufel, der
TeabU auf seine Großmutter." Niemand vermag ruhig selbst gerech-
ten Tadel zu ertisgui. Grttaide zur Entschuldigung sind stets bei der
Handy sind «wohlfeil wie Brombeeren** nnd weiden dem strafenden
Gewissen gegenftber nur m leleht aufgefunden. Wahrhafte Bens» die
nur bei auftichtigem Bekenntnis der eigenen Sdinld möglich ist» wird
in der Welt nicht oft angetraffiBD. Daram snehen die Menschen nur
zn leicht f&r ihre eigenen Thorheiten nnd selbstferschnldeten Leiden
die Mitmenschen verantwortlich zu machen, klagen Aber mangelhafte
Gerechtigkeit aaf Erden, ftber ihr trauriges Schicksal nnd fordern
yon Gott dem Hertn, dass er das Biehterunt ansahen nnd das noth-
wendige Strsfgeridit yoUziehen soUe. Die leichtsinnige, trSge nnd
▼ergnfignngssttchtjge Mntter klagt „GottesUage** Aber ihre verwahi^
losten, undankbaren Kinder and fordert sie vor Gottes Bichterthron.
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Dir presst der Kummer über die Verluste an Hab' und Gut, an fihie
und Liebe, die sie durch die Kinder erlitten hat, jene Klagen ans.
Es kommt ihr nicht in den Sinn, diesen Kummer als die gerechte
Nemesis, als die Folge ihres schlechten Beispiels, ihrer frevelhaften
Nachlässigkeit bei der Erziehung der Kinder anzusehen. Der fromm
gewordene Vater verstößt den ungeratenen Sohn und droht ihm mit
Gottes Strafgericht. Er vergisst dabei, dass er in seinem geistlichen
Hochmuth die Fehler des Knaben stets übersehen und ihn durch un-
vernünftiges Überbürden mit Bet- und Andachtsübungen zum Frevler
oder zum Heuchler erzogen hat. Eigennützige Feiglinge pflegen sich
um das Unrecht, das tyrannische Gewalthaber ihren Mitmenschen zu-
fügen, gar nicht zu bekümmern. Wenn das Unrecht so arg wird, dass
sie trotz ihrer Gefügigkeit und kriechenden Demutli selbst zu leiden
haben, sind sie gewöhnlich die ärgsten Schreier, klagen Uber „himmel-
schreiende" Uni^erechtigkeit und seufzen über das trostlose £rden-
leben, in dem dei- (Tprechte am meisten leiden müsse.
Man könnte ähnliche Fälle mit Leichtifrkeit in großer Zahl an-
führen; aber dies Gesagte wii-d 'genügen, um das Wort des weisen
Goethe zu rechtfertigen. Man möge nur wirkliche Schickungen
von eif^entliclien Verschuldungen trennen und Schuld oder Unschuld
sorgtaltig abw;io:en. Die Nemesis zeigt sich oft in überraschender
und verwunderlicher Weise, und es ist wahrlich nicht nöthig, seine
Zuflucht zu den vielen Fabeln zu nehmen, welche von Dicliter-
lingen und Anhängern der kirchlichen Aloral erfunden sind, um den
Menschen das Walten des göttlichen Strafgerichts auf Erden zu
Genüitlie zu tiihren. Die ganz natürlichen Folgen frevelhaften Thuns
sind für den klar sehenden Denker so überzeujirend, dass er zur Be-
friedigung seines Rechtsgefühls eines überirdischen Richters gar nicht
bedarf*). £s hat sich schon oft genug zugetragen, dass vornehme
Schorken in wahnsinnige Frömmelei oder in Tobsncht verfielen, dass
Gaoner sidi ans Wath über einen yerfehlten oder verabsäumten Betmg
selbst entleibten, dass geizige Betrfkger dnrch Verluste in Wahnsinn
getiethen und mitten im Beichthum m Terhungem ittrchteten, dass
bOse, hinterlistige Verfolger sieh in ihren eigenen Schlingen fingen.
Der ehrgeizige nnd gewissenlose Streber wird doreh die Qnalen,
*) Finc Seite dM gloSen cmehlloheft Wertes, der in den herrlichen erzählen-
den Gedichten (Romanzen. Bulladen) unsere« jjroßcn S( hilltr liegt, beruht darauf,
da.^H der klar denkende philoijophigche Dichter ül»crall bcunibt ist, die Nemesis
auf das Walten von Naturgesetzen zurückzuführen. (Kraniche des Ibikus,
G«Qg nach dem Bifeiduuniiier etc.)
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welche Neid und Ehiigeiz Temrsachen, oft in erschrecklicher W«iie
gemai*tert, und wit* gar oft vollzieht sicli die Nemesis dxaeh die
Kinder, die durch da» väterliche Beispiel in Worten und Thaten er>
zogen werden! Es dürfte bekannt sein, wie schwer so viele an den
Folgen einer wüst und wild durchlebten Jugendzeit zu leiden haben;
welche Qualen ihnen täglich durch den Anblick ihier armseligen, yer*
krUppelten leidenden Kinder erwachsen, deren Gesundheit durch jenes
Sündenleben schon im Keime verdorben worden*). Man vergesse doch
nicht die furchtbare Nemesis, die sich in den schlaflosen Nächten, in
den wüsten Träumen, in den wilden Phantasiegebilden zeigt, die
mit ihren Vorwürfen und Martern immer wiederkehren. „Der Teufel
ist die Reue'' (Heue hier = Schuldbewusstsein) sagt ein moderner
Dichter. Sie ist zugleich Fegefeuer und Hölle.
Die Lehre von dem göttlichen Strafgericht wird von den An-
hängern der kircldichen Sittenlehre aufrecht erhalten, weil sie ihrer
Meinung nach nothwendig ist, um die Bösen vom Sündigen abzu-
schrecken. Diese Absicht wird von der philosopliischen Sittenlehre
verworfen, weil ein Unterlassen böser Pläne ans sciavischer Furcht
vor Strafe den Menschen nicht bessern kann. Sie sielit den wahren
Fortschritt zum Bessern in der vernnnftgemälien Erziehung
der Kinder, in der rechten Ausbildung von Vei*stand und Vernunft
und eines kräftigen Willens zum Guten; denn sie meint, dass die
Menschen durch klare Einsicht in die uaturnothwendigeu, unausbleib-
lichen Folgen ihres Tiuins und Lassens lun sichersten und wirksaui-
sten zur Besinnung und zur Selbstbeherrschung gebracht werden können.
*) Beim Aablidce der oft so entsetelichen Leiden dieser nosehiddigeii Wttxni-
chen und des unheilbaren Siechthuras ihrer späteren Lcbensjahro tritt der schOne
r?lanbo an Gottes Vaterg^te und an seine versöhnende und ausgleichende Liebe in
Keine Hechte. Die Lehre, „dass Gott die ötindeu der V^äter heimsuchet an den
Kindern bis ins dritte und vierte Glied" entspricht nicht dem milden Geiste
uDsxes Beligionsstifters, gehOit nieht su sdner schVim „Religion der liebe."
Der gioAe edle Luther hat nicht recht gethan, diese finstere Anschauung des Mittet
alters zu flbcrnehmcn und durch sein Ansehen zu erhalten. Unser Gott, wie
Cliristut* ihn t^elehrt hat, ist nieht der alte liustere, zornifre, raehstichtigc Stammes-
goU der Juden, sondern der liebende Vater aller Menschen. Jene finstere Lehre
entspridit weder der Yemtinft nooh den neneiett Fonwhnngen der Wisgenschaft.
Dnzdi Vemunllgrflnde lisst sich's nicht reehtÜBitigen, dass die nadigeborenen ttn>
schuldigen Generationien fOr die SUnden der Voreltern leiden sollen. Die Wissen-
schaft beweist, dass zum Verbreeher oder Süuder niemand c^eboren wird.
Eingeboren ist nur der Trieb zum Leben, der Hunger, der Geschlechtstrieb, die ideale
Liebe und der auf ihr beruhende „kategorische Imperativ". Alle £igenschaften,
die sieb im Laufe der Zeit entwidceln, sind Produete der Erxiehnng.
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Sie weist darauf liin, dass durch Beligiooslehren und fromme ÜlmogiBii
noch niemand sittlicher und besser geworden ist.
Eine Torurtheilsfreie ErwAgong der GrOnde, durch welche die
meisten Menschen bewogen werden, an Gottes Strafgericht za appe-
liren, nnd dasselbe herbeizuwünschen, muss es jedem klar machen,
dass dies Verlangen in den meisten Fällen auf sehr unlautere
Regungen, auf Neid, Hass und Rachej^elüste zurückzuführen
ist. Die Erziehung ist leider eine so mangelhafte, da.s.s diese Regungen
bei den meisten Männern und selbst bei der Mehrzahl der Frauen
sich zu einer bedenklichen Stärke entwickeln, nur zu oft, namentlich
bei heftigen (cholerischen) Naturen den (Jliarakter der Leidenschaft
annehmen und d&s Gemüth selbst bei kleinlichen Anlässen in Affect
zu setzen vermögen. Wer sclavisch erzog:en wird, muss ein Tyrann
werden, sobald er irgendwie zur Macht ja'elangt. Der beständig zurück-
gesetzte, geschlagene, gestoßene, brutal behandelte Junge wird ein
brutaler, rachsüchtiger roher Wütheiich, sobald die Körperkraft ihn in
den Stand setzt, seine Gelüste an Schwächeren auszulassen. Der Mensch,
welcher nie an Gehorsam gewöhnt worden, wird eigensinnig, herrsch-
süchtig, gewaltthätig und damit neidisch und rachsüchtig und voller
Haas gegen alle, die seinem selbstsüchtigen Willen entgegentreten.
Bei edleren Naturen wird dnrch ungerechte tyrannische Behandlung
der ünitere Geist t&ddaeher Widenetslidikeit, irilden nnd starren
Trotzes nnd Hasses und nnyersfthnliclier Bache erzogen. Diese leiden-
sehafUichen Begangen beeinflnssen gewObnlich hä, Benrtheilung frem-
der Thaten nnser BechtsgefÜhl ond bringen ein zn heftiges, oft ein
leidenschaftliches Verlangen nach BestraAing der Scbnldigen, nach
söhne hervor. In solchen Stimmangen muss die hier anf Erden wal-
tende NemesLs selbstTentAndlich zn gering erscheinen. (Gewöhnlich
wird sie gar nicht beachtet^ oft geradezu bestritten, oder als ganz an*
zureichend betrachtet, weil sie jene Iddenschaftliehen Begangen nicht
befriedigen kann. Was die schlechte Endehong angebahnt hat, wird
bei gar vielen durch die auf Spannung und jene niedere Leidenschaften
spekulirende Bomanlectüre vollendet. Kein Wunder, dass sogar Frauen
und Madchen selbst bei den Klatschgeschäften in iliren EaffBegesell-
schaften anf Bestrafung und Söhne der Schuldigen dringen und von
einer versöhnlichen Stimmung nichts wissen wollen. Unser Herr nnd
Meister hatte wahrlich recht uns zuzurufen, dass wir unserem Belei-
diger und Verfolger niclit siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmal
vergeben sollen. Bildet die Kraft zu lieben, zn vergeben in eurer
Seele ans, so wird euch die hier auf Erden waltende Nemesis wol
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geoHgoi; 80 werdet ihr geneigt werden, nicht zu richten, eondem
„stete an den BaUten im eigenen Ange zn denken.** Beiidgt enren
Gottglmnben, macht nneem Uengott nicht nun YoUstrecker eorer
kleinlichen oder niedrigen imd yerftchtUchen Bachegelftate, oder eq
einem WerkMOg ftr Pläne der Herrechencht und anderer Leidenachaf-
ten; macht euren Kopf klar und enren Willen stark, dem Vernnaft-
geeetie ni folgen nnd eure Leidenachaften zn beherrschen, so werdet
ihr größere und reinere Liebe zu Gott und zu euren Iflftmenachen
gewinnen ; ihr werdet sittlicher und dadurch zugleich frommer werden.
Eins bleibt noch zu erörtern. Es dürfte jemand sagen: „Wenn
der Mensch nicht den Bichterspruch noch das Strafgericht Gottes zn
fürchten hat; wenn er nur durch sein eigenes Gewissen oder höchstens
durch das Urtheil der Mitmenschen gerichtet und bestraft werden
soll, so braucht er nur sein Gewissen durch Übung zum Schweigen
zu bringen und den Menschen gegenüber sich fein zu verstellen, um
allen Vorwürfen zu entgehen und unbehelligt, ja mit frecher Stirn
stehlen, l)€trügen, vorraten, auf die verschiedenste Weise sündigen,
die sittlichen Gesetze und Grundsätze übertreten und verlachen zu
können. Wenn [man nicht mehr die göttliche Nemesis zu furchten
hat, so braucht man ja nur recht klug zu handeln, um der auf
Naturgesetzen beruhenden irdischen Nemevsis zu entgehen."
Irret euch nicht! So klug ist niemand, dass ihm solch ein Be-
mühen auf die Dauer glücken könne. Während er eine Art von
Folgen klug vermeidet, bereitet sich unmerklich die andere vor und
packt ihn, wenn er sich sicher und geborgen wähnt, mit vernichten-
der Gewalt. Das Sittengesetz ist nicht eine willkürliche Erfindung
der Menschheit, sondern beruht auf einem Naturgesetz, auf der uns
Menschen eingeborenen idealen Liebe nnd der damit zosanunenbängen-
den anbedingten Verbindlichkeit gegenüber der sitfllehen Pflicht
Damm kann niemand dieses Gesetzes spotten, ohne die
Nemesis in irgend einer Weise heranfznbeschw^ren. Man
Tergesse nicht, dass dnrch dies eingeborene ideale Streben beständig
in gemeinsamer geistiger Aibeit Ideen erzengt, dass die heranwach-
senden Generationen nach solchen Ideen erzogen*), die Erwadisenen
Ton diesen groflen geistigen M&chten des Lebens beherrscht nnd ge-
leitet werden. Ihrem Einflösse kann sich niemand entziehen, selbst
*) Wie oft gehm wu VerimeherkidaeD MeaadMii mit sittlidifla OhumUHmd
■nd BttlidMm Streben herm. Bs find su ihn«» littliehe Ideen gedrungen
vad haben diei iMaben Wunder gewidrt
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wenn er sie um seiner selbstsüchtigen Gelüste willen frech verspottet,
„Die Teufel glauben auch und zittern.'* Darum kann nienumd sein
Gtowiasen ganz zum Schweigen bringen, und ebensowenig wird es
ihm gelingen, seine Mitbürger durch den Schein von Bechtschaffen*
lieit auf die Dauer zu täuschen. „Der Krug geht so lange zu Wasser,
bis er bricht", und „Unrecht sclilägt seinen eigenen Herrn". Die
Kinder nehmen die Grundsätze der Eitern an, betrügen, belügen, be-
stehlen, verraten den eigenen Vater. Der gewissenlose Staatsbeamte
wird durch diejciiisen gestüi"zt. die er als Helfershelfer /u Reichthiim
und Einen «gebracht; der schlaue Betrüger, welcher durch kluge Be-
nutzun^i menschlicher Schwächen uud Thorheiten Keichthum auf Reich-
thum häuft, erzieht dabei in sich die Gier, die ihn schließlich ins
Verderben bringt, i Vgl. A. v. Cbamisso's Gedicht; Abdallah.; Überall
„betrogene Betrüger"!
Aber es gibt freilich Ideen, welche solch ein frevelhaftes Auf-
lehnen gegen die heiiii'.sten sittlichen Ptiichteu befördern und schwache
Menschen nur zu leicht zum Bösen veifiihren können. Es sind die
Ideen, welche aus der Selbstsucht und tleren Gelüsten und
aus bösen voiksthUmlicheu Leideuschaften stammen. Man
denke an die Ideen, welche durch den Hass gegen Andei*sgläubige,
gegeu Ketzei* uud Juden, durcli die hochmüthige Verachtung des
Bürgers und Braern miter Adeligen, doreh den logrimm des Prole-
tariers gegen die Beichen, durch den Trotz des Strand- und Greos-
bewohners gegen die GFrenzanfeeher enseogt worden, lian denke an
die geAhrlichen Ideen, welche in der Neuzeit durch HeRSchandift
nnd ParteUeidenachaft eraengt sind und die entsetzliche Strebersncht
nnserer Tage herbeigeführt haben. Die guten, segeasreicfaen aus der
idealen Liebe geborenen Ideen haben mit diesen unheÜToUen frevd-
haften Mächten einen, beständigen Kampf zu bestehen und nur zu oft
moss das Gute in diesem Bingen unteiiiegen. Die Gesehiehte belehrt
uns über Zeiten, in „denen sich alle Bande frommer Sehen Uteten'*,
in denen die «durecklichen Zustände zur Wahrheit wurden, welche
der große Schiller uns in seinem „Spaziergang***) so ergreifend
*) Ana dem Gespräche entschwindet die Wahrheit. Glauben mid Tmie
Aus dem Leben, es liiert selbst auf der Lippo der Scliwnr.
In der Herzen vertr.mlicbsten Hund, in di-r Liebe (it iieiiiini>
Drängt sich der Sykuphuut, reißt vun dem Fruunde den Freund.
Anf die Ünaehiild Mbidt der Vemtii mit TeracbliBgendeBi Blieke,
Hit yergiltendem Bim tOtet des LSeteren Zahn.
Feil iet in der geaeUndeten Brust der Oedeake, die Liebe
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geschildert hat Da treten denn die gemeinen Schurken hehldachend
in ihrer ganzen brutalen Frechheit auf, und der noch sehwaakieiide •
Schwächling wird durch den Hinblick auf das, was „gäng und
gibe geworden", was „alle thun", nnr zu leicht verfahrt, die besseren
Hegungen seines Innern leichtfertig abzuweiaen. Da scheint in der
That mit dem Aufgeben des Glanbens an das göttliche Strafgericht
die einzige Möglichkeit einer Nemesis und Sfthne und damit einer Ab-
schreckung von bösen Wegen geraubt und das Gute rettungslos dem
frevelhaften Streben des Bösen preisgegeben zu sein. Aber selbst in
solchen schrecklichen Zeiten, in denen die p]delsten „das große gigan-
tische Schicksal" packt, „welches den Menschen erhebt, wenn es den
Menschen zermalmt*'," braucht niemand in seinem Glanben an die auf
Erden waltende Nemesis irre zu werden, und darf der festen Zu-
versicht leben, dass das Gute allmählich dennoch den Sieg
davontragen werde. Durch den Glauben an das göttliche Straf-
gericht, an Fegefeuer und Höllenpein ist noch nie ein Frevler von
seinem bösen Thun abgeschreckt, sondern höchstens nach der That
von Uli fruchtbarer Angst gepeinigt worden. Auch ziemt es dem Edeln
nicht, selbst beim Unterliegen Rachegedanken zu hegen und tür die
Gegner und Feinde besondere Strafen zu verlangen. Man denke an
Christum, unser sittliches Ideal. Der wahrhaft sittliche Mensch
trägt gar kein Verlangen nach einer göttlichen oder irdischen Nemesis.
Er kfimpft and miteriiegt in solchen Zeiten mit dem Bewnsstsdn des
totemiitfaigai Kriegers, der Festigkeit, Seelenrnhe nnd Heiterilwit in
dem Olanben findet, dass er sieh für seine Mitbürger, für die Ehre
nnd die Freiheit des Yateriandes opfert, dass er damit eine heilige
Pflicht erfttlit, nnd sein Opfertod daro beitragen werde, den hohen
Ideen, fftr die er sein Blot veigossen, som Siege zn yerheiU^ Mag
die anf Erden wsltende Nemesis den Frevler sdelnbar gar nieht er^
leiehen, ehu darf man mit Sieherheit annehmen: die innere Bnhe
und Heiterkeit, das innere Glftek, welches, im Bewnsstsein redlidier
Fflichterflnang liegt, kenn nnd wird den Frevler selbst bei den
größten Erfolgen nnd den grBfiten Triomphen nie beglftcken, nnd nie
Wlift des freien GefOhls göttlichen Adol hinweg.
Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug aich .
Angemaßt, der Natur köstlichste Stimmen entweiht.
Die das bedlliftigo Hen in der Freude Drang sich «rfindet;
Kaum gibt wahzea GefUd aoeh daieh TcnUanowB äak knnd.
Auf der Tribflne prahlet das Recht, in der Htttte die Biatiaoht,
Des Qesetaes Oespenst steht an der KOnige Iiiron.
P^dacoginn. 14. Jüug. Heft VI. 86
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wird er dem Tode wie ein wackerer aitUicher Kämpfer heiter und
gefasst entgegen geben.
Es dürl'te jemand noch fragen: „Wie ist eine Erlösung des
schuldbeladenen Menschen denkbar, wenn man nicht mehr an
das göttliche Geiicht, an Bestratungen und Belohnungen im Jenseits
glauben soll?"
Darauf antwortet die i)hilosophische Sittenlelire Folgendes: Die
echte Sittlichkeit hat es nur mit der wahren Rene za thun, die
nicht in der Angst vor den Folgen, sondern in der Trauer
ftber die That selbst besteht Diese „Traurigkeit, welche nir
Seligkeit igniliet", sucht nach der vettorenen Buhe, nach dem dwtdk
eigene SchiüdTBrlxareiMiiSeflleiifHjeden^ BUekdesMenidiai
Yen der Erde aufwärts m dem huunliflcheii Helfer vnd Erlöser.
Solch ein vahrbaft reuiger Mensch hat sich bereits selbst
gerichtet and bestraft; er bedarf nicht mehr eines Richters,
sondern nnr eines liebenden nnd erbarmnngsTollen Vaters.
Den wird er bei rechtem frommen Glauben im Himmel finden, und
nird dnreh ihn erlfist nnd getrOstet werden. Wenn Ohristos daven
spricht, dass Gott die Sftnder, warn sie wahiliaft bereoen, mehr liebt
ab die „Gerechten, welche der Bnße nicht bedflifen"; wenn er dem
wahrhaft renevollen Sch&cher noch in seiner Sterbeetonde die trost-
reiche Versichemng gibt: «Wahrlich, hente noch wirst du mit mir
im Paradiese sein", so denkt er bei diesen Lehren niemals an den
strafenden und streng richtenden Gott, sondern stets nur an den
liebevollen Vater, der das kummervolle Kind in seiner erbarmungs-
reichen Liebe aufrichten und durdi Liebe trösten will. Diese schöne
Lehre wird durch das Gleichnis „vom verlorenen Sohn" in jeder Hin-
sicht bestätigt.
Versuchen wir nach diesen Erörterungen noch die Frage zu
beantworten, welche Gebote und Verbote aus diesem großen
Kampfe der Ideen um das walirhaft sittlich Gute als all-
gemein giltig hervorgegangen sind?
Wie bereits gesagt wurde, ist der „kategorische Imperativ" d. h.
der innerlich gefühlte Befehl, höhere Gebote als die unserer sinnlichen
Triebe als unbedingt verpflichtend anzuerkennen, als specifisch
menschliche Eig^enschaft in der Disposition allen Menschen ohne Unter-
schied gegeben. Damit hiUigt zusammen das aus der idealen Liebe*)
*) Kant nennt die Eigenacbaft der menschhchen Seele, welche bei allen sitt-
liahen Foxderangen thätig iBt, die Vernunft, und definirt dieselbe aiä „das
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— 365 —
stÄminende Streben nach dem Ideal sittlicher Vollkommenheit,
aus dem als einzelne kategorische Imperative die Ideen hervoi-p^ehen,
d- Ii. ^leinungen über neue sittliche Ptiichten, über das» was geschehen
soll, um jenem Ideal immer näher zu kommen.
Aus der Betrachtung dieses gemeinsamen idealen Strebens aller
Menschen wird die Erkenntnis hervorgehen, dass zu allen Zeiten eine
Menge sittlicher (Tehote erst im Werden begriffen sein müssen; dass
während des Kampfes um sittliche Ideen neue Gebote autgestellt,
alte als nicht mehr verpflichtend anerkannt, ja als gefährlich und
uusittlich verurtheilt und unterdrückt werden. Man wird leicht heraus-
finden, dass einzelne sittlidie Gebote in alten Zeiten ganz anders
gelautet liaben, als heutzutage; dass die Summe aller Gebote jetzt
eine größere und bedeutendere ist, als in vergangenen Jahrhunderten,
dass die sittlichen Gebote und Verbote, welche gegenwärtig Geltung
haben, nicht die Summe der Pflichten für jeden Menschen
oline Unterschied bilden; dass diese sittlichen VerpflichtongeQ je
nach G^escUeeht, Stand und Bemf, Bildung und Begabung Tenchie-
dene sein können. Es hat rieh im JjKoh der Jahxhmidnrte und Jahr-
tansende bei allen diesen Kftmpfen um sittliche Ideen als objectiv
wahr und giltig nur ein kleiner Kern von Geboten und Ter*
boten herausgebildet Derselbe wird wenigstens unter den gebil-
deten GulturTttlkem als Canon echter Sittlichkeit anerkannt.
Dfeser Canon schliefit sich an die sieben der sogenannten heiligen
sehn Gebote an — die drei ersten derselben betreffen das religiöse
Leben — und an einaelne Lehren Christi, die nach des Herrn eigenen
Worten m der Forderung gipfeln: „Liebe deinen Nächsten wie dich
'i selbst*. Das StraijseBeli des Staates grftndet sieh auf Anerkennung
dieser Gebote, wenn es die Übertretung derselben als unsittliche
Handlungsweise seinem Bicbterspruehe unterwirft Anfierdem hat
Jedes Volk seine besonderen sittlichen Anschauungen yon Treue, von
YermOgen der Ideen." Ideen sind bei ihm „nothwendige Vemuftbegriffe, denen
kiin eongnufender Oegenstead in den Smien gegeben weiden kann", s. B. die Be-
griffe Gott, Freiheit, Uniteiblicbkeit. Hier müssen die neueren Forschungen der
Psychologie zu Hilfe genommen werden; denn Beß:ritfe haben keine zu Thufr n
treibende Kraft. Diese Kraft ruht in der strehenden und Brhaffenden ideulcu
Liebe. Die auu ihr ätammeudeu, zu Thaten treihundca geistigen Mächte sind die
Ideen. Idi bitte daher den Leser, diesen Begriff Idee feetsnbnlten (8. meine Ab-
handlnng „Über Ideen" im „Psedagogium" Jahrg. XII, S. 273; auch inder2.A]niL
meiner „Lchrkunst") und dou Kaiitscben Begriff „Vexnnnft** nocb mit dem Weien
jener schaffenden idealen Liebe zu verbinden.
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Ehre, von Recht uthI Unrecht, gut und br>s(\ Dieselben zeigen sich
in den volksthümiichen Sitten und in der damit zusammenhlliigeuden
volksthümlichen Erziehung-, Denk- und Handlungsweise.
Es scheinen demnach alle Sittengesetze mit Ausnahme dieses
kleinen Canons „in dei- freien Luft der Meinung und des Gewissens
zu schweben''. DemgeiiiäÜ dürfte ein Jünger zu der Frage berechtigt
sein: ..Wo finde ich außer in diesen wenigen Sittengesetzen
einen Halt, wo die führenden und leitenden Vorschriften,
die mich vor Irrthum und Irrwegen bewahren mögen?
Die Kirche ist bd einer solchen Frage flugs mit der Antwort
berflii: Einen Halt findest dn nur bei uns, nnr in unserer, der allein
seligmaehenden Kirche nnd Bdigion*). Bei nns ist die ewige Wahr-
heit; sie ist nna enthflllt worden dnreh den Beistand, des heiligen
Geistes. Allesi was ans der nienschlichea Vemnnft stammt, ist deui
IiTthnm unterworfen; nnsere Gebote nnd Offimbarnngen stammen von
Qott selbst nnd sind dämm nnfahlbar nnd nnaatastbar.
Da die philosophische Sittenlehre die Beligion mit ihren Lehren,
Trtetnngen nnd YerheiBnngen anf ihr besonderes Gebiet verweist;
da ihre Lehre lediglich ans der menschliehen Vemnnft stammt, nnd
sich nnr mit dem Leben der Menschen anf dieser unserer Erde be--
Bchiltigt: so kann sie dem ringenden und strebenden Jünger ihr die
im Werden begriffenen Sittengesetse, für die Theilnahme an dem sitt-
lichen Bingen seiner Zeit, ja selbst ftr die rechte Befolgung und
Ansf&hrang jenes oben genannten Canons einen absolut sicheren nnd
unfehlbaren Halt nicht bieten nnd mnss ihn auf die eigene Ver-
nunft, auf sich selbst verweisen. Sie kann ihm nnr die Hanpt-
regel geben: Bekämpfe standhaft und tapfer alle Regungen
der Selbstsucht und folge nach Christi hehrem Vorbilde stets den
Eingebungen der idealen Liebe. Noblesse oblige! „Adel ist auch
in der sittlichen Welt." Freiheit kann nie geschenkt, sie muss
stets errungen, mit Aufopferung selbstsüchtiger Gelüste und Aufbie-
tnngunserer besten Kräfte erkämpft werden. Bei der pliilosophischen
Sittenielire ist alles Übernatürliche und daiiun auch jede Hilfe und
Unterstützung, die außerhalb der eigenen Kraft liegt, völlig ausgeschlos-
sen. Je sorgfältiger der Jüngling seine Geisteskräfte bildet, jeraehr
er sich daran gewöhnt, seine 'i'riebe und Neigungen um iioherer Ge-
bote willen zu beherrschen, desto mehr wird er an Klarheit gewinnen,
*) So spieehitt aieht •Uem die ksthollidieii, Mwdem aast die iutMoxm
protestantischen Gebtlkta, wera^eieh de den Anidnidc „aOeiii leligmedieiid'*
nicht gebiaudien.
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die ^orderungeQ eehter Sitüiclikeit zu erkoinen; desto mehr wird er
sein Oewissen verfeinem und den WiUen Oben, diese Gebote za er-
ftllen. Vor Irrtbnm bleibt anf Eiden kein Menscb bewahrt; wir
kennen znr Wahrheit nor dnrdi Irrthnm gelangen. Jeder mag glmiben,
im Schöße der Eirehe abeohite Wahrheit xn finden und dort f&r sein
Leben den rechten Halt soefaen. Dies GUlck soll ihm unangetastet
bleiben. Aber er soll nicht hoffen, dadurch sittlicher xu
werden, für die Erkenntnis der Lehren echter Sittliehkeit zn besserer
Klarheit zn gehugen, oder das Gewissen nnd den Willen aam Guten
dadurch zu stärken. Er darf helfen, dass durch echt Bittliches Leben
nnd Bingen sein G^ttth immer mehr fBr echte E^mmigkat geOffiiet
werde; aber nicht umgekehrt*).
Die philosophische Sittenlehre ist Strange nnd in ihrem lieilig^en
Emst, wie bereits erörtert wurde, ganz unerbittlich. Sie stellt den
Menschen lediglich auf sich selbst Sie kann nur einen Halt
gewähren: derselbe liegt in dem echten auf ideale Liebe
gegründeten sittlichen Olanben.
Mit Recht fordert die Religion von jedem Mensrhen frommen
Glauben; niclit jenes bloße „Fürwahrhalten", jenes verständige ,,nicht
zweifeln an dem, das man nicht sielief, sondern inni^^e aus der
idealen Liebe stammende Hingabe des g-anzen Gemiitlies an das Heilige.
Glauben ist Liebe, Liebe ist Glauben. Einen ähnlichen Glauben
fordert auch die ernste Sittenlehre und weist, sowie ihrerseits
die Religion, dem Jünger überzeugend nach, dass er in diesem
Olaubeu den rechten Halt für das irdische Leben finden
werde.
Der rechte sittliche Glaube betrachtet die Forderungen der streng-
sten Sittlichkeit als heilige; denn er sieht in der Erfüllung der-
selben das Heil der Welt. Der wahrhaft sittlich lebende und
strebende Mensch glaubt, dass durch sie auf Erden das Reich
des Friedens und der Liebe herbeigeführt und fest begrün-
det werden könne. Er sieht das Glück der Menschen nicht im
Genuss, sondern in sittlicher Arbeit, im sichei'en Besitze seiner Bechte
nnd Freiheiten nnd in der gesetzlich berechtigten allseitig freien
*i Es zei^t Bich auch kiuia, dass die That des f^roßen Kant, dm wir diese
so hochwichtige Erkenntnis zu yerdanken hahpn, der des Kopcrnikiis zu vprß-leirhcü
ist. Für alle Hrzielicr erwiichst daraus die ernste Pflicht, die Sittenlehre nicht
wie bitiher als eiu nebensächliches Auhängscl des Beligiousunterrich-
^1 sa behMdeln, loadern deiseUen im Uaterrieht eine selbe tatlndige
und herTorrsgeoide Stelle einsniftttmeii.
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Entfaltung seiner Persönlichkeit. Er glaubt, die ernste Sittlichkeit
und ihre Ijehre kOnne die Menschheit im Laufe der Zeiten so efsieben»
dasB jeder den Kftdisten «ebten, ihn zugleich ivie sieh sdbst lieben
und sein streng gesetzliches Handeln durch Schönheit za einem edein
Handeln verfeinern werde. In der Erkenntnis, dass die Yorschriften
der heiligen Sittenlehre das freie Ergebnis der frei nnd sdbststtodig
geflhrten sittlichen Kämpfe der Menschen dnd; dass diesen Kimpkn
das auf idealer liebe berohende Streben nach dem heiligen Ideal sitt-
licher Vollkommenheit zu Grande liegt: gelten ihm als heilig aneh
die grofhen sittUehen Ideen» nm die jene den idealen Fortaehiitt
erstrebenden Kämpfe geftthrt werden. Er weiß wol, dass in der Idee
noch nicht die abeolnte Wahrheit zn ünden Ist; aber er glanbt, dass
aus dem nnausgesetzten Kampfe um diese „größten geistigen Qttter
des Lebens** allmählich die ewige absolute Wahrheit hervor-
gehen und alle Parteien im seligen Frieden vereinigen
werde. Demgem&ß glaubt er an die Gerechtigkeit seiner Sache
und vermag um derselben willen in diesem Glauben als Opfer sein ir*
disches Gl&ck und Wolsein, ja selbst sein Leben einzusetzen*). Wer
in solch einem Ringen und Kämpfen irrt, kann nie schuldig
werden; von Schuld darf man nur bei denen sprechen, die mensch-
liche Fehler wie Hass, Herrschsuclit, Verfolgungssucht walten lassen
und zur Unterdrückimg ihrer Gegner sich fremder Gewalt, Willkär^
Beugung des Hechts und anderer unlauterer Mittel bedienen.
Hau siebt, in diesem sittlichen Glauben kann man mit voller
*) Ib diewm OlaulMa haadelB tdUit eisfcdie^ wenig gebildete MenedieB. 8«
wiesen nicht sich dnrSber Reebenschaft akniegen; aber dennoch ist dieser Gliinbt
in ihnr-n vorhanden, veredelt ihre Gesinnungen und stÄrkt ihre Treue fiir die von
ihnen ulä recht und gut erkannte Sache. Bei den gebildeten Denkern, die ihre Er-
kenntnis durch das Stadium der Ideenkämpfe vergangener Zeiten Terfeinert nnd
vertieft haben, Kheint dieser rittUdie Olanbe seit den groSen aooialen nnd pditi»
tischen KSmplNi des vorigen Jahrhunderts in erfreulicher Weiie gekiiftigt worden
n lein. Denn neben dem weit verbreiteten und künstlich genährten Streberthum
unserer Tuiie zciü;t sich ein echtes sittliches M ärty rert h u ni , wie es in früheren
Jahrhunderten nur aut dem religiösen Gebiete zu ünden war. Wir begegnen diesen
lOrtyieni der editenSittliehkdt tat demGeUeteder groBen loeialeniindpolitiidien
Kämpfe, in denen fttr der Xenidilidt hOohite Gttter, lllr Becht vad FrnOieit
genügen wird. Einzelne dieser Märtyrer gehören beieitJ* der (beschichte an; so der
Wtlrtteuibergische Rechtsgelchrte und Staatsmann Job. Jak. Moser, so die sieben
(iöttinger i'rotessoren, welche 1837 im sittlichen Kampfe um ihr und ihrer
Mitbürger gutes Becht ihrer Stellen estsetit mid (snm Theil) dee Landes imwiwsa
wurden.
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Sedtnnüie und gatem Gewissen leben und in diesem Glauben nach
redlichem Bingen ruhig sterben.
Da dieser Glaube in dem Leben eines jeden ernsten, tnchtigen
MeuBGhen eine so grofle Bolle spielt, so fbrdert die philosophische
SittenlehrOi dass man Toleranz ttben, d. h. den Glauben des ehr-
lichen Gegners achten und neben dem* seinigen als gleichberechtigt
anerkennen soll. Der Fortschritt zum Besseren kann nie ohne Kampf
erzielt werden. Bnhe, Stillstand ist Tod; Leben bringt nnr der
Kampf. Damm müssen in der Welt naturgemäß swei große
kämpfende Parteien existiren, dorch deren Ringen auf den
verschiedenen geistigen Gebieten Fortschritt und Leben erzielt wird.
Die Anhänger der einen Partei sind von Natur so begabt, dass ihre
Seele Uberall geneigt ist, die Initiative zu ergreifen, dem Alten
und Veralteten gegenüber liii' Neues, Besseres einzutreten, energisch, oft
stürmisch und drängend den Fortschritt anzubahnen. Es sind auf dem
kirchlichen, dem politischen und dem socialen Gebiete die Männer
des Forts<;hritts, die „Freisinnigen'', die „Liberalen." Die
Anhänger der anderen Partei sind von Natur so begabt, dass sie das
Heil der Welt mehr in der Erhaltung des Bestehenden, histo-
risch Entwickelten sehen und daher jedes Vorwärts.streben als
ein Wagnis betrachten und zu zügeln versuchen. Ihrer Natur nach
sind sie nie gesonnen, zu irgend einem Fortschritt die Initiative zu
ergreifen. Sie werden auf den oben genannten Gebieten als „Con-
servative", auf dem kirchlichen auch wol als „Orthodoxe'', Offen-
bainiügsgläubige bezeichnet. Da diese großen Parteien — nebst ihren
verschiedenen Schattirungen mehr nach links oder rechts oder nach
der Mitte hin — in ihrem Streben beide gleich berechtigt sind,
80 mitn es vom sitfUchen Standpimkte als ftrsTelhaft, als tia Ein-
griff in jedes Menschen heiligste Rechte beseidmet werden,
wenn Gewalthaber irgend welcher Art fordern, dass man seinen
sittlichen (socialen oder politischen) and seinen religiösen
Glanben ans Gehorsam gegen die Macht, welche Gewalt über uns
hat, snm Opfer bringen and die befohlene Gesinnung und
Obersengnng annehmen solle. Der Frevel wird zum Verbrechen,
wenn dazu Gewaltmittel irgend welcher Art angewandt werden. Es
wird zog^eieh klar, dass man von einem socialen und politischen
„Glanbeosbekenntnis" sprechen nnd die Treue gegen dasselbe als
eine ernste sittliche Pflicht betrachten darf Leider ist die
Bedentang dieser Pflicht noch nicht tief in die Kreise der weniger
Gebildeten eingedrnngen, nm das Leben im allgemeinen ber^ regdn
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- 880 ~
zu können. Die Frauen kennen diese Pflidit überhaupt nicht (V d. R.)
und unter den Männern gilt bei der überwiegenden Mehrzahl der
vom Eigennutz dictirte Grundsatz: „Wes Brot ich esse, des Lied
ich singe." Einen von sclavischer Furclit oder Eigennutz veranlassten
Wechsel des politischen Glaubensbekenntnisses rechnet man als poli-
tische .Fahnenflucht", als ein feij>:es unsittliches Thun nur den Gebil-
deten an, die sich über das sociale und politische Leben und .Streben
im Staate eiu seibstständiges Urtheil bilden können. Die mehr als
80 Procent der ungebildeten Staatsbürger werden melir oder weniger
mit grobem Witzeln als „Stimmvieh ', als ..Nummern" betrachtet, als
Menschen, die wegen ihrer Ab^tiinniung oder l'arteilialtung sittlich
gar nicht verantwortlich gemacht werden diii'fen. Holleu wii-. dass
die Be^trelaingeu der Besten in allen Nationen, die Bildung durch
guten Schulunterricht und fortgesetzte Belehrungen aller Art auch
dem einfachen Arbeiter zugüugiick zu machen, allmählich die uüthige
Änderung herbeifühi-en und die sittliche Bedeutung der Treue gegen
Qiuere politische Überzeugung auch in diese Volkskreise bringen werde!
Kant hat dnieli seine Foncbnngeii und »eine Lehren auf uns
DeotBche eine' ebenso großartige wie segeosralche WiikoDg anggeObt
Seit der Zeit beherrscht sein strenger, hehrer Tngendbegriff die edel-
sten nnd besten Dichter und Denker unseres Volkes. Unser groAer
Schiller lebte und wiikte im Shine dieser erhabenen Sittenlehre; er
opferte dem Stndiom da* Philosophie des großen Königsberger Denkers
die besten Jahre semes Lebens. Seuie nnd Kants • eindrmgliche Worte
begeisterten die gebildete dentsdie Jugend, als im Jahre 1813 der
große Befreinngskampf begann» vnd bestimmtfln die edelsten Kfinner
nnd Frauen xa hddenmflthigen Opfern Die begeisterten Anh&nger
der philosophischen Sittenlehre bilden bereits eine große, wenngleich
stille und anspmchslose Oemeinda Die sohftr&ten Denker unter
ihnen behaupten» dass die Sittüchkdt» in dieser Strenge nnd Erhaben-
heit aufgefasst, für das Leben der Menschheit eine höhere Bedentnng
habe als die Religion; alle stimmen darin überein, dass mindestens
diesen beiden großen Mächten die gleiche Bedeutung zukomme.
Schiller konnte sich nicht mit dem Gedanken befreuiulen, dass
die größte Tugend nur durch schwere Kämpfe und Siege über die
sinnlichen Triebe und Neigungen errungen werden könne. Er nennt
Kant darum in „Anmuth und Würde" den „Drako seiner Zeit"
und stellt den herben, tugendstrengen Gemüthem die „schönen Seelen''
•gegenüber, hei denen „das sittliche Gefülil sich aller Empfindungen
bis zu dem Grad versichert hat» dass es dem Affect die Leitung des
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Willens oline Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den
Entscheidungen desselben in Widerspruch zu stehen." Der (j^ro&e
Dichter hat dabei "wol mehr die Frauen als die Männer im Auge geiiabt.
Das weibliclie Geschlecht kann in der That sich einzelner solcher
„schönen Seelen" erfreuen. Aber es ist wol zu beachten, dass selbst
die schönsten und edelsten Seelen nicht als solche schon geboren,
sondern zu dieser edeln, feinen Sittlichkeit erzogen werden-
Eingeboren ist dabei nur ein großes Mali von idealer Liebe und eine
feine Keizenipfaugiichkeit und Kräliigkeit der Vermögen, die bei der
schönen sittlichen Ausbildung die Hauptrolle spielen. Diese Au.sbil-
dong selbst kann nur durch eine sorgfältige und von besonders glück-
Mcben ümstladfln begttnstigte Enielumg bewiriLt rardfin. Es gibt in
.der That nicht nur auf dem Gebiete des Schönen, «mdem «och auf
dem sittlichen and religiösen ganz bevorzugte, man möchte sagen
kOnstlerisch begabte Naturen. Aber der Bau der sittlichen Welt wird
nicht durch sie, sondern dorch die hart ringenden, wackeren, treneii,
redlichen Kämpfer znsammengehalten und fest begrfindet; jene „schönen
Seden** bilden nor dessen lieblichen Schmuck. Daran sollen wir
Ijehrer denken und bei unserem Erziehungswerke jedem Kinde zum
klaren Bewnsstsein bringen, dass wir abgesehen von besonderen Be-
gabungen als Menschen wahren Wert nur in dem Maße be-
sitzen, wie es uns gelingt, unsere sinnlichen Triebe und Leiden-
schaften zu beherrschen und im weitesten Sinne unsere Pflicht
zu erfflllen.
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Ahm Goneniis.
A m 28. M&rz werden es 300 Jahre, aeit Arnos Comenius
boren wurde.
Im Vorblick auf diesen Gedenktag hatte der Herausgeber dieser
Blätter letzten Herbst die mährische Heimat des unvergesslicben
Mannes besucht, um in den Gefilden von Nivnitz und Ung.-Brod der
Stätte nachzuforschen, wo seine Wiege gestanden, die Natur zu be-
trachten, welche seinem Geiste die frühesten Eindrücke geboten, und
sich die Menschenwelt zu vergegenwärtigen , welche seinem Gemüthe
das erste Gepräge verliehen. Hierdurch neu angeregt und überdies
mehrfach aufgefordert, wollte nun der dankbare Nachfahre das ruhm-
volle Wirken, das unvergängliche Verdienst, das begeisternde Vorbild
und den edlen Charakter des großen Vorgängers nochmals in Wort
imd Seitrift Torf&hren, wie er es ehedem so oft gethan — in Lebr-
vortrS^en, Festreden mid besonden aaeh in aeiner »Sehlde der Pi-
dagosUL**.
Leider aber mnas er dieamal, noeh von den Naehwehen schwerer
Krankheit belastet, den Yersammlangen ftmbleiben nnd setbst die
Feder rnhoi lassen; doch wird es hierfBr nicht an Ersafts fshlen.
Denn gewiss werden» nadidem Gomenins in weiteren Kreisen bekannt
geworden und zu seinen Ehren seihet ein eigener Verein entstanden
ist, aller Orten Minner auftreten, die unserem trflben Zeitalter die
lichtgeetalt des 17. Jahrhunderts kraftvoll Tor Augen führen. Wolan,
80 sei es!
Wir unsererseits bieten im Folgenden einige Partieen aus einem
demnAcbst erschehienden Werke von Prof. Dr. Kyacsala^, welches
*) Johann Amos Comenius. Sein Leben und seine Schriften von Dr. Johann
Xtmmü«. 3 LieferangeD. Freu oomplet H. 6^ Verlag ▼<» Jahna Klinkhardt.
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— 863 —
wol die umfassendste und gründlichste aller bisherigen Arbeiten über
Comenius verden dürfte.
Anschlass an seine Vorläufer und Neagestaltung
der Didaktik.
In Lissa widmete sich Comenius den anstrengendsten didaktisrhen
Arbeiten. Die Anregung zu denselben hatte er schon aus Bölunen
mitgebracht. Doch wollen wir hier nicht auf jene frühere Epoche im
eiuzelueu zurückgreifen, sondern nur die wichtigsten Vorgänger Co-
menius' kurz betrachten.
Alstedt, der Lehrer des Comenius, ist selbst ein Schüler des
Bounäus. Alstedt hat innerlialb seines großen Systems alles Wissens-
werte, auch die Didactica und Schuhvissenschaft, bearbeitet und die
in diesen beiden \^'issenschaften entwickelten Priuciitieu waren wol
auch für seine praktische Wirksamkeit maßgebend. Alstedts päda-
gogische Thaiigkeit und iScliriften sind nicht nur als diejenigen des
Lehrers des Comeuius für die Geschichte der Pädagogik wertvoll;
sie haben mehr&ch einen selbstständigeu Wert Eäne große Lnst
snr Zergliedflning, die dnreh Beine ganze Encykiopftdie hindorehztoht,
charakterifllrt seine Pädagogik. Er behandelt das Material in zwei
Disciplinen, die in der Beihenfolge veit von einander abstehen; es
sind dies die Didactica (Encyklopsedise T. L 84—124) nnd die Schola-
stica(EncyklopaBdiae T.IIL273— 318) deren Unterschied wol im Namen
liegt» aber in der Ansf&hrong nicht genan beachtet wird, weshalb wir
auch der Unterscheidnng keine weitere Bedeotong beünessen. Wir
beschrUnken uns bei der Wiedergabe des geschichtUeh Interessanten
auf die wichtigeren Mittel der Didaktik. Unter denselben wird die
Autopsie betont (ES. L, p. 97). Der Schiller soll nicht nnr aohOren,
sondern aach selbst th&tig sein, die durch Anschauung erworbene
Kenntnis ist viel sicherer als die durch Abstraction. Ein weiteres
wichtiges Mittel ist die Ordnung, betreffend die Eintheilung der ein-
zelnen Stunden. Eine solche Eintheünng finden wir sowol in der Di-
daktik, als in der Scholastik.
Aisted unterscheidet drei Schulen: die Volksschule, Schola yema-
cnla mit der Muttersprache als Unterrichtssprache, die mittlere oder
classische Schule, deren Hauptaufgabe die Einübung in das Lateinische
und Griechische bildet, und die Hochschule. Wenn dies unseren Schul-
zuständen im allgemeinen völlig zu entsprechen scheint, so ist doch
bei näherer Betrachtung manches wesentlich verschieden. Die Schola
vernacula ist nur für die, die keine höhere Bildung erreichen wollen
die Mittelschule ist eine selbstständige Anstalt, welche die Schüler
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■ vom Anfang ihrer Bildung autniinint. oline <iieselben naclilier sogleich
ihren Rerufsstudien zu übergeljcn; letztere werden mit der Mittelschule
durch einen dreijährigen philusopliisclien (.'urs verbunden.
Im einzelnen ist bei der Volksschule bemerkenswert, dass auch
Mädchenunterricht, ferner die Absonderung der Gesclilechter streng
gefordert wiid. Für den Lehrer folgen einige methodische Winke
und als Anfangsjahr wird das angehende fünfte Jahr festgestellt. Die
Hauptscbule ist die Mittel- oder classische Schule; selbe wird in sechs
Classoi eingetheilt, die aber je zwei Jahre lang dauern, aber nicht
ohne Ausnahme, denn die Begabteren können auch eher fertig wer-
. den. Die Aufgabe dieser Schale ist die Philologie und so ziehen sich
durch die sechs Olsssen die Grammatik, Syntax, Oratoria, Rhetorik,
Logik und Poetik hindurch. Jede Glasse hat noch besondere Wei-
sungen f&r ihren Unterricht; uns interessirt haujptsächlich die Stellung,
die Alstedt gegenüber den verschiedenen Richtungen d^ sprachlichen
Methodik einnimmt und die sich als Befolgung der synthetischen Me-
thode bezeichneii lAsst Er geht nicht, wie Ratich will, Ton einem
gegebenen Texte ans, sondern er sendet die Yocabnlatur yoraus und
geht erst nach Erlernung der Paradigmen zu der grammatikalischen
Übung Aber. Mit Ratich aber stimmt er in der Wahl des Autors
Terenz fiberein. Selbstverständlich bildet die lateinische Sprache nicht
den einzigen Gegenstand. Dass die Religionslehre sorgfältig gepflegt
werden soll, ist kaum nöthig besonders zu erwälmen. Schon im zwei-
gten Jahre lernt der Schüler das Griechische, die Kiemente der Musik
und Arithmetik; wir werden also beinahe an das mittelalterliche
trivium und qoadriviam erinnert; die drei höheren Classen verbinden
den Sprachunterricht mit mannigfaltigen Übungen aus dem Gebiete
der Rhetorik, Poetik und LfOgik, und zwar sowol in der lateinischen,
als in der griechischen Sprache und bilden dann den Übergang zu der
Philosophie. Wenn der SchUlei- mit dem 15. Jahre aus der Schola
media heraustritt, was allerdings nur inöglich ist, wenn eine von den
sechs Classen in einem Jahre absohirt wird, steht ihm ein dreijähriger
philosophischer Curs bevor, dessen erstes Jahr er hauptsächlich mit
der Mathematik, das zweite mit der physischen und metapliysischen,
das dritte mit der praktischen Philosophie zu thun hat. Die Aneig-
nung der Philosophie geht Hand in Hand und wird vollendet mit
stylistischen und anderen Übungen, die die Wiederholung der philo-
sophischen und humanistischen Jvenntnisse voraussetzen, und ganz
gewappnet und ausgerüstet geht der junge Gelehrte mit Kude des
18. Jahres zum eigeutlicheu iierufsstudium über, das wol aul vier
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Biennien berechnet wird, gewiss aber nicht unbedingt so lange dauern
miiflB. Es wird darin zuerst die theoretische, nachher die praktische
Ausbildung in dem Fache des Schülei-s verlanfrt und zum ScUusse
die peregrinatio, Studienreise, welchem Gefreiistande er auch eine be-
sondere Schrift, die Epistola ad Josuam Tanu de per^nnatioue (er-
schienen nach seinem Tode, 1641 1, «gewidmet hat.
Dies die Hauptzüge des in der großen f^ncyklopadie enthaltenen
pädagogischen Systems. Früher entstanden, aber weniger ausführlich
und systematisch ist die Didactica sacra in dein biblisch -encyklopädi-
schen Werke, dem Triuraphus Bibliorum Sacrorum (p. 15 — 21). der
wir nur einige Ai)liorismen entnehmen wollen. Großes Gewicht wird
daraiit gelegt, dass der Lehrer immer als Freund dem Schüler gegen-
über auftrete, dass man in einer Zeit nur eins lehre, dass das Nöthigere
und Leichtere früher gelernt werde. Man wende beim Unterrichte
häutige Unterbrechungen an; alles soll von selbst ohne Gewaltsamkeit
vorgehen, man soll zugleich mit Ohr und Auge lernen, man soll nicht
weiter gehen, ehe man etwas gehörig erfEksst hat, und bei dem An-
eignen einer Disciplm stelle man Eintbeilmigen in derselben an. Für
die BeaUen, die in der Encyklopädie bearbeitet werden, finden wir in
seinem Leluplane Irainen Banm. Die ansseMleffiiehe, flberm&Sige Be-
sehSftignng mit fi^^radie und Grammatik bewirkt eine allza formale
Qewan^eity welche die GelUur der HohUieit der Kenntnisse mift sich
IniagL Van denke nnr: swdHi Jahn mit ,dem Stndinm der classischen
^nrachen &8t ansscUieAlich angebracht, nnd man wird sich des Ge-
dankens kanm erwehren kSnnmi, dass s^ der Geist dabei abstompfen
mnss. Ebenso ist zu rttgen, dass die Mnttersprache gans verdrilngt
mid nnr ftr difgenigen, die anf kehie hohe BQdnng Ansprach erheben,
als Büdnngsmittel zugelassen ist.
Wie bei Bonnäns, baut sich auch bei Alstedt die Theorie der
Erziehnng (nebst selbststfindig erforschten Ergebnissen) wesenClioh
anf den Anschanungen der Alten auf. Von dem neuen Geist, der
durch Baw, Batich und ilire Nachfolger sich in der Philosophie und
Pädagogik zu regen begann, besitzt er fast keine Kenntnis. Sein
philosophischer Gewährsmann, Ramus, enthebt ihn wol principiell der
Aotoritftt des Aristoteles, tb&tsächlich aber nicht. Weht aber auch
ans seinen Schriften keineswegs die Neuzeit: so gab er doch zu dem
systematisierenden Zug das Encyklopädische dazu, nicht nur als eine
principielle Forderung, sondern auch als thatsächlichen Behelf für
seine Schüler in jenen beiden .o:roßeQ Werken, in der philosophischen
und in der biblischen £ncyklopädie.
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— 3W —
So soll es nichts Wissenswürdiges gebeu, das in der Encyklopädie
nicht enthalten wäre. Allerdings lässt sich da manches auch von
seinem Standpunkte aus tadeln, aber man darf sein Verdienst doch
nicht gering anschlagen. Der Gedanke, alles Wissenswerte zusamiiien-
zofassen, war wol nicht zuerst in Alstedt aufgetreten, allein die Aus-
ftthmng hat niemand vor ihm mit der Genauigkeit, mit dem Umfang
des Steifes und mit dem unermüdlichen Eifer betrieben.
Es erübrigt nur noch über die Didaktik des Bodinus einige Worte
zn sagen.
Bodinus Arbeit enthält eigentlicli Kathschläge für den ganzen Unter-
richt, aber einen festen logischen Plan tinden wir hier nicht, um so
weniger ein System. Unter den darin enthaltenen Prineipien finden
wir aber viele hochwichtige. Sogleich dasjenige, das an der Stime
des Baches steht: Omnia fitdliora fodt B&tio, Ordo et Modus. Die
Einldtang stellt als eine eehte Fordenmg des Untenidits die Natuv
mAAigkeit hio, die dem gegenwärtigen Unterrichte völlig abgehe, und
die der VeriSueer Torerst bei der Fibel darin findet» daee man in einer
Tabelle die Silben CTaammenstellt, damit das Kind mit dem QyUabierai
nicht anfiel Zeit Terliere (p. 2). Beim Schreibenlehren sollte man bei
einem Jeden Bachstaben drei Fondamentalstiiche nnterscheiden, es
gebe femer sechs ümwandlongen bei der Schrift, bei deren Berflck-
sichtignng man in drei Tagen das Schreiben erlerne (p. 4). Bei dem
grammatischen Unterricht mOge man daranf achtgeben, dass der
Flexion der deutsche Shm derselben beigegeben werde. Viele tech-
nische Winke folgen nnn Uber die Aneignung und Unterscheidang der
Bedetheile, sowie auch Uber die Bildung der Supina und Präteriteo,
sdiUeßlich anch Aber einige eiyntaktische Erschdnungen der lateini-
schen Sprache (p. 8). Aus einem verdeatschtea Exempel könne der
Knabe besser etwas lernen, als ans der Regel (p. 22). Die Grammatik
sei der Schlüssel des Unterrichts (p. 47), aber man solle diesen Unter-
richt mit der Leetüre verbinden, was auch ein Ausspruch des Botter^
damus fordere (p. 49).
Die Bttcher, die gegenwärtig zum Erlemen des Wortschatzes
dienen, seien dazu durch ihren großen Umfang ungeeignet; es wäre
ein Compendium nothwendig, das die Phrasen und Res ziisamiuen böte:
Verfasser hat so eins vorlanj^t, aber niemand hat es geliefert. Cicero
vertrete jrar nicht den ganzen lateinischen Wortschatz, den man er-
weitern möge (p. 59). Einheit der Sprache und der Res nnig-en auch
darin zur Geltung gelangen (p. 65). Auf die Muttersprache werde auch
Wert gelegt (p. 71—72). Bilder und Ordnung verhelfen dem Unter-
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rieht in trefflicher Weise zum Erfolg (p. 85). Einige persönliche Be-
merkungen lassen es hervorleuchten, dass der Verfasser vielfach ange-
feindet wurde; man nannte ihn einen Pseudo-Grammaticus (p. 35), man
warf ihm auch vor, dass er ohne Grammatik unterrichte (p. 80), dass
er seine Neuerungen aus Brotneid und (jewinnsucht unternehme (p. 89
bis 90), welche Anteindiingen so weit gingen, dass er sogar auf der
Straße angegriffen wurde, worüber aber genauere Berichte nicht ge-
geben werden (p. 90—95).
Am Schlüsse fordert Bodinus noch, es möge dem Schüler auch
der Zweck des Lehrens gezeigt werden, der nichts anderes sei, als
das ewige Heil. Von dieser Methode können Gebrauch machen, die
in ihrer Jugend elwas Teraftomt haben, die 20 hii 30 Jahre alt sind
und nichla wten; die Kleinen nnd sddieftUch die FraneiisperBonen,
Ar die der Yerftsaar anch alle GegenstSnde der Bildung (Grammatiei,
Logica) (p. 98—99) wflnscht.
Der Inhalt zeigt, daae die Schrift sich der Hanpteaehe nadi auf
die Sprachmethotik beschränkt» daes der YeriSueer ein Anhänger der
neuen Richtung war, im ganzen gesnnde Ansichten yerkOndete (einige
minder verstAndliche heoehcn sieh unter anderem auf die Erlernung
der Syntax), von denen wir einige auch im Systeme des Oomenius
auffinden werden«
Diese Bestrebungen waren Comenius schon vor seiner Auswande-
rung hekaant geworden. In Lissa kamen ihm nun stete neue Didak-
tiker und Lehrkräfte zur Sicht; auf einige müssen wir noch die Anf-
merksamkttt des Lesers lenken. — Eilhard Lubin (1665 geboren)«
hat sich an den deutschen Schulen besondei-s zu einem ausgezeich-
neten Kenner des Griechischen herausgebildet; Bayle erwähnt noch,
dass er lateiniBche Verse schrieb, dabei ein Eledner, Mathematiker und
Theologe war; im Jahre 1605 wurde er zum Professor der Theologie
in Rostock ernannt. Als solcher gab er eine griechisch - lateinische
Parallelausgabe des neuen Testaments heraus „cum praeliminari Epi-
stola, in qua Consilium de latina lingua compendiose a pueris ad-
discenda exponitur." Seine Invectiven gegen den grammatikalischen
Unterricht hat Comenius ausführlich wiedergegeben, statt desselben
schlägt Lubin zweierlei vor: entweder ein coenobium oder aber ein
illustrirtes Sprachbuch, wo die Dinge in ihrer Ordnung dem Schüler
vor die Augen gefuhrt werden. Hier ist zum erstenmal die Forde-
rung einer Verbindung der beiden Unterrichtszweige und auch die
nähere Bestimmung derselben auflgesprochen.
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"E. Vog-el, Conrector des Paedago{:^iums zu Güttinj^en, verfasste
wirklich ein Buch, in dem er fürs glänze Jahr und zwar für jeden
Tag desselben den Lehrstoff in der hiteinisclien Sprache vorgezeicl)net
hat. In der dasselbe einleitenden Didaktik schreitet er, nachdem er
die Schwierigkeiten der üblichen (vulgaris) Grammatik gekennzeichnet
hat, zur Begründung einer besseren Methode, deren Gang seine De-
ftnition beleuchtet. Die Sätze, deren einige lüi' jeden Tag bestimmt
werden, sollen inhaltlich, syntaktisch, etyni(jlugisch, phraseologisch er-
klärt werden, daran sollen sich lateinische AoMtze and lateini^sche
Gespräche anschliefien, und nach einem Jahre werde die lateinische
Sprache m einem Eigenthim des Schfllers werdeiL
Die Anaidit ttber die Zwecbnäftigkeit der comolKa htA Cftcilint
Frey ausgebOdet Br hofft «nf diese Weise ebenfalls im Laufe eines
Jahns das Ziel besser, als wie immer sonst, erreichen za ktanen.
Derselbe fordert auch ausdrücklich „nna com yerboram intelleetn
grammatico rernm distribntionem philosophicam, nnd neben Mathematik
auch neuere Geschidite nnd Gymnastik.
Und damit ist das Bild nicht yolkndet Nicht gasag an dem,
dass einsdne neue Grundgedanken aasgesprochen worden, — es be-
gann flberhanpt ein so reges Leben aof dem Gebiete der Didaktik,
insbesondere der Methodik des Sprachnntenichtes, dass wenige Zeit-
alter ähnliches aufweisen. Jeder eilte heran, nm mit seinem Scheif-
lein zu jenem Gemeingnto beizastenem, wovon die ihre schönste
Lebenszeit anglücklich zubringende Jagend Lindenmg ihrer Geistsfr*
quälen erhalten sollt«. Morhof führt vor der Palingenesia der Wissen-
schaften and nach dei-selben eine große Anzahl Didaktiken an^ die
nar Aber den lateinischen Unterricht handeln, and nennt noch lange
nicht alle. Wir haben ans auf die hauptsächlichsten Schriften be-
schränkt, die Comenius selbst aufzählt. Sein Plan über die Schul-
organisation wird schon 1628 fertig gewesen sein. Bekanntlich unter-
scheidet seine Didaktik vier Schulen, auf eine jede seclis Jahre be-
rechnend. Die ersten sechs .Talire wird das Kind zu Hause bei der
Mutter unterwiesen. Die kaum 20 Zeilen lauge Anweisung der Di-
daktik wird durch eine besondere Schrift, „Informatorium der Mutter-
schule'', ergänzt. In XIT Kapiteln schildert sie den Wert der Kin-
der, deren Bediirtnis nach der Erziehung, und weist nach, wie man
alle ihre Gaben in den ersten sechs Jahren zu einer ganz detaillirt
dargelegten Stufe entwickeln soll. Es werden darunter die Kate-
gorien der Kenntnisse und Fähigkeiten, Sitten, Religion, alle geistigen
Anlagen des Menschen, und zwar meistens in ihrem Fortschritte von
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Jabr zu Jahr berücksichtigt. Allein das Bnch sorg^ nicht nur hier-
fllr; e» befrachtet das Kind gleich vom Anfang, von seiner Empföng-
nis an. und gibt auch wertvolle Eathschl&ge für die Leibespflege.
Da auf eine eingehendere Analyse hier verzichtet werden mnss,
verweise ich auf zwei Punkte: Es sei die Pflicht der Mutter, dass sie
ihr Kind selbst säuge — was er mit vielen Gründen stützt; und die
Erweckung des poetischen und musikalischen Gefühls sei durch viele
liebliche Beispiele ans Herz gelegt. Sein eiVener Sinn und seine Gabe
zur Dichtung koninit überall zum Vorscheiu, wo es sich darum han-
delt, fremde Verse ius Böhmische zu übertragen, und auch sonst zeigt
die Schrift dieselbe elegante Sprache, die alle böhmisch geschriebenen
Werke des Verfassers kennzeichnet. Nach den drei ersten einleiten-
den Kai)iteln gibt das vierte das allgemeine Ziel der Mntterschule,
das fiintte Rathschläge für die leibliche Gesundheit, das sechste für
die Pflege der Intelligenz, das siebente des thätigen Lebens, das achte
der Eloquenz, das neunte der Sittlichkeit, das zehnte der P^römmig-
keit. Das vorletzte Kapitel betont, dass die Aneignung dieses Lehr-
stoffes die Hauptsaclie bleibe, auch wenn die Zeit der Aneignung mit
dem sechsten Jahre nicht übereinstimme. Nach dem letzten Kai)itel
sollen die Eltern den Kindern die Schule nicht als einen Sehrecken,
sondern als etwas Angenehmes und Vielverheißendes Innstellen.
Dem Plane weiter folgend wollte der Verfasser des „Informato-
rinm der Muttersprache" aofiSi fOr die Volksschulen sorgen, und so
verÜMste er auch ftr die seebs Klassen dieser zweiten Schule die
nOthigen Lebrbacher.
Naeb dem „Violarlnm" (L GL) folgt ein „Bosarinm** (II.), beide
mit ganz allgemeiner Inhaltsbestimmung; fttr die dritte Classe ist das
^Viridarinm*' bestimmt, das alles Wissenswerte vom Himmel, yon
der Erde nnd von den Eflnsten angenehm besehreibt; der fftr die
vierte dasse bestimmte „Lat^jrrinthns Sapientis** gibt nützliche Fragen
ZOT Scbftrfbng des Verstandes nnd des Gedflchtnissea; das „Spiritnale
Balsamentam**, für die ftnfte dasse, zeigt die Nutzanwendung aller
menschlichen Kttnste nnd Wissenschaften, fiberhanpt alles, was zn sehen
und zu thnn ist; die letzte dasse (VI) bekommt ein religiöses Bnch
«Paradisns Anim»**, mit dem Inhalt der ganzen heiligen Schrift, den
hanptsftchlicbsten Sichenliedem nnd Gebeten.
Nach den ersten zwei Jahren, die hauptsächlich der Aneignung
der EUementarien gewidmet sind, kommt in dem dritten die Mit-
theilnng alles Wissenswerten, um Stoff für die Bildung zu reichen.
Dieser Stoff wird in der folgenden Stofe haupts&chlich zur Stärkung
Padieogina, 14. Jakif . Heft VI. 26
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des Verstandes und Gedächtnisses verarbeitet. Die fünfte lehrt die
J'i iixis im Menschenleben, während die letzte hauptsächlidi die reli-
giöse Bildung im Auge hat. Sollte der Inhalt dieser Lehrb&cher im
Grunde derselbe Bdn nnd sieh nur durch die, dem besooderai Zwecke
angepasste Behandlung imterscheldeii (wie wir dies etwa bei den la-
teinischen Schnlbflchera finden), dabei aber allen Fordenmgen, die die
Oesammtentwickelang des Geeistes stellt, Genüge leisten, so moss man
Ar diese Schnlbttcher das höchste Interesse empfinden mid ihren Ver-
lost besonders schmerzlich beklagen.
Eigentlich sind diese Bttcher bereits im ersten Lissaer Jahre ver-
fiRSst worden; nnr eine stete Verbesserang, wie wur sie bei allen
Schnlbttchem des Gomenins finden, veranlasst nns, deren endgiltige
Ahihssang in das Jahr 1630 zn setzen. Während der Abfossimg dieser
Bücher — also bevor er mit ihnen fertig geworden, verfiel er anf die
Idee, ein Bnch zn schreiben, das die ganze Sprache nnd die Gesammir
heit der Dinge in sich begreifen und „Seminarium Linguarom et
Scientiarum oranium" genannt werden sollte. — Alle die Vereuche
einer Methodik der lateinischen Sprache, die für diesen Gedanken
vorgearbeitet haben, waren ihm nach seinem eigenen Ausspruch un-
bekannt gewesen, ausgenommen natflrlich Elias Bodinus, dessen Di-
daktik er vor einem Jahre in Böhmen gelesen hatte. Diesem hat
allerdings etwas Ähnliches vorgeschwebt. Er fordert, dass man die
1700 gebräuchlichsten Worte in einige Sätze mit Hilfe von subsidia
mnemonica so vertlieile, dass sie der Schüler gar nicht vergessen
könne. Später klagt Bodiuu.s, dass Niemand so eine Arbeit unter-
nehme. Nun drückt Comenius die Idee nnd die Bestimmung eines
solchen Buclies \iel klarer aus; aber wir dachten dem sonst ver-
gessenen Bodinus diesen Hinweis scliuldifj zu sein. — So legte sicli
also Comenius während der Verfassung der Schulbücher für die Volks-
schulen auf die Ausarbeitung eines „Seininarium Linguarum et Scien-
tiarum omniunr*. — Wie klein auch der Umfang des Werkes geplant
wurde, so kostete es eine überaus große Mühe. — Als einige Freunde,
bei ihrem Interesse für die Arbeiten des Comenius, von dessen neue-
stem Vorsatz Kenntnis erhielten, machten sie ihn auf ein Werk auf-
merksam, das aus Spanien stammend, unter dem Titel Janua Lingua-
rum den ganzen Wortschatz in einige hundert Sätze so vertheilt, dass
jedes nur einmal vorkomme, und das, seitdem mehreremal von Neuem
herausgegeben, das Erlernen der lateinischen Sprache besonders er-
leichtere. Aber das mit großer Freude und Erwartung in die Hand
genommene Bnch rechtfei'tigte nach dem Durchlesen die daraufgesetzte
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Hoffnung nicht und so arl)eit(tte Comenius das Jahr lö3ü mit unver-
Änderteui Eifer an der Sclirifr fort.
Die beiden Jahre 1025» und HVM) war er mit der .Tanna so sehr
beschäftigt, dass er kaum etwas anderes zu unternelnnen vei*suchte.
Sein Verfahren war Folgendes: um einen Parallelisnius der Worte mit
den Dingen zur Geltung zu bringen, ordnete er die Dinge naeh der
Ka:ssuugskraft der Kinder in gewisse Clausen ein und so entstanden
100 gewöhnlichste Inschriften der Dinge. Nun wählte er die ge-
bräuchlichsten Wörter aus, und suchte für jedes Wort das Ding, zu
dessen Bezeichnang es arsprünglicb und nachträglich angewendet
wnrde; ans den 8000 Wörtern bildete er 1000 Perioden nnd diese
ordnete er aach stnfenartigr ein, erst kamen kurze, dann längei^,
mehr- nnd melirgliedrige; jedes Capitel enthielt dann 10 Punkte. Die
Wörter wfihlte er nadi ihrer nrsprOnglichen Bedeutung und eigenem
Sinn, ausgenommen nur jene venigen, wdche denselben verioren haben
oder in der Muttersprache (auf welche er fortwfihrend Rücksicht
nahm) nicht nach jenem gebraucht werden konnten. Die Homonymen
hat er an yielen verschiedenen Stdlen angewendet; die Synonymen
meistens nebeneinander gestellt; die Wortfügungen ordnete er nicht
nur mit B&cksicht auf die Syntax, sondern auch eiymologische und
grammatische ümstftnde beachtend. Wfthrend der Arbeit bekam er
immer neue Werke ttber die Schulfragen, hauptsächlich Aber die Latafai-
methode zur Hand, die ihn einerseits veranlassten, an seiner Didaktik
fortwShrend etwas zu vervollkommnen, anderseits den bescheidenen
Schulmann von Lissa in seiner wunderbar gehobenen, fast möchten
wir sagen schwärmerischen Stimmnng nährten und erhielten. In dem
Brief, den er bei der Gelegenheit einer Reise Lochars an Menzel
schrieb, berichtet er: „Es ereignen sich Wunderdinge, die ein neues
Paradies versprechen, und das von unseren Sehern vei-sprochene Jahr-
hundert sehe ich schon in unseren Händen." Und wie dies eben
durch die Leetüre der neueren Bücher bewirkt worden, darüber
schreibt ei- an den Paladin von Beiz: Ratiehs Werke habe er schon
früher in Mähren benutzt; 1627 verfiel er auf mehrere ähnliche
Schriften, die er in der Vorrede zur Didaktik und Ph3'sik erwähnt,
„üa begann ich viel zu holfen über das beginnende neue Jahrhundert
und wurde gewaltig gestärkt darin, dass das Danielsche: n „Viele
werden da forschen und die Wissenschaft wird vermehrt**" von diesen
letzten Zeiten zu verstehen sei."
Und dazu kamen noch äußere Umstände. Die Berichte vom
Auftreten des Schwedenkönigs verbreiteten sich wie ein elektrischer
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Funke durch die ganze evangelisclie Welt — und wer hoffte mehr
Ton demselbeD, als die Verbaniiteii? Je tiefer er in das Beich drang,
desto fester wurde die Überzeugung, er sei jener yerkOndigte Ldwe
des Nordens, den Gott in diesen letzten glorreichen Tagen zn seinem
Werkzeug auserwählt Und in dieser allgemeinen bis zur Betäubung
gesteigerten Stimmung fühlte der Geist des Ck)menius seine Kräfte
doppelt und so brachte er denn anfangs des Jahres 1631 seine .Tanna
zum Erscheinen. Eine vom 4. März datirte Vorrede schildert die
Mangelhaftigkeit der Erfolge des Lateinunterrichtes, der außerdem
noch die Zeit der Erlernung der Kealien absorbire; eine Abliilfe
durcli das die beiden Unterriclitskreise verbindende Bucli zu schatten,
entspreche vielseitigen Bestrebungen, von denen besonders jene der
si>anis(lien Jauua erwähnenswert sei. Gegen diese hat er dreierlei
einzuwenden: es fehlen da viele Worte, die man oft zu prebrauchen
hat, dit' Iloinnnynia seien nicht darin enthalten, und auf die ursprüng-
liche lU'deutung des Wortes le^^e das Hucli kein Gewicht. Dazu
nehme man nocli, dass sehr viele Sätze keinen i»a(la;,'-o^Mschen Wert
haben. All dem Übel will seine Schritt abhelfen; der Verfasser sieht
selbst viele Mängel in ihr; aber da sie die Frucht einer dreijährigen
Arbeit sei und er zu einer neuen Umarbeitung keine Muße habe, so
übergebe er sie der Öffentlichkeit in der llofl'nung, dass in dieser,
durch das Interesse für die Didaktik so fruchtbaren Zeit seine un-
vollkommene Arbeit bald diu'ch eine l)essere werde verdrängt werden.
Trotzdem die Arbeit mit Rücksicht auf die Muttersprache aus-
geführt worden war, veröffentlichte er diesmal nur den lateinischen
Theü, besonders, veil es ihm nm das Urtheil Tieler zn thun sei, die
den b&bmisehen Text nicht verstanden; — statt des, yon der spani-
schen Janua angewendeten Index yerspricht er ein etymologisches
Lexicon, mit den Stämmen und Ableitungen einzehier WOrter „nova,
sucdncta, iacili ratione**. Statt der Benennung Janua Linguamm
gefiUlt ihm aber die Benennung Seminarinm Lingn» et Artinm besser,
weil hier den Dingen ebensolche Sorg< zugewendet werde, wie der
Sprache, wodurch die ersten Begriffe der Erziehung, Sitte und Fröm-
migkeit, Grund und Gestalt erhalten sollten.
Die hundert Kapitel der Janua bieten wol kein strenges System,
eine gewisse Gradation nach dem Werte des Gegenstandes ist aber
doch im allgemeinen festzustellen. Nach einer kurzen EinleituDg L
werden die Natnneidie (g.—äO.)} dann der Mensch (21.— 30.), seine
Thätigkeiten (31.— 48.) und bürgerUchen Verhältnisse (49.-68), dann
nach einander die Erziehung (69. — 82), die Sitten (96.) und ganz kurz
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•der Gkaben (97.— 99.) erörtert, woranf ein kurzer Schlius feiger der
mit Gottes Lob endet. Die Art der Bebandlnng und den Bdchthmn
Abb Inhaltes mag folgende Probe zeigen: 98. De amidtia et homa-
nitate.
XGm. Von der Frenndschaft nnd FrenndUchkeit (Lentseligkeit).
901. Wenn da willst, dass deine Gesellschaft (dein Umgang) jedem
angenehm sei, so sei gegen die (Geringeren leutselig nnd frenndlicb,
g^n deinesgleichen dienstfertig, gegen die höheren ehrerbietig, ge-
horsam, 80 "wirst da Gonst erlangen, gewinnen.
902. Den, -von welchem dn weggehest (scheidest), sollst da nicht
unwert halten zu seg:nen, den, welchen da heimsuchst, oder bei dem
<da Forftbergehst, freundlich (liebreich) za gr&ßen, deo, der dich grüBt,
-wieder zu grüßen (za daoken), den, der von dir weggehet, ein Stflck-
chen zu begleiten.
903. Antworte sanftmüthig dem, der da fraget, zum wenigsten mit
Zuwinken, oder Abwinken, mit Einwilligen oder Abschlagen.
904. Falle dem Redenden nicht in die Rede, doch hilf dem ein,
welclicr etwas nicht weiß, wenn es dir einfiUiti du sollst den nicht
ÄUfhaltHTi, der (leiner wartet,
9U5. Wmn du jemandem in irgend einer Sache willfahren (einen
Gefallen erzeigen) kannst, so sollst du es nicht versagen (absclilagen,
verweigern), weder sei es dir lästig, noch beschwerlich, noch auch der
Mühe unwert.
900. Brauchet jemand einen Rath, so rathe ihm. bedaif er des
Trostes, so tröste ihn, der Hilfe, so komme ihm zu Hilfe und stehe
ihm bei, der Beiptlichtung, so stimme ihm bei; besuche die Kranken;
80 wirst du dir bei allen Gewogenheit und Gunst erwerben (ge-
winnen).
907. Hat dich jemand verletzet (beleidiget), so sieh es ihm nach
(sieh ihm durch die Finger), so wirst du iiin beschämen, gereut es
ihn (bedauert er's), dass er es gethan hat, so halte es ihm zu gut
(verzeihe es ihm), so wirst da ihn dir sehr verpflichtet und verbunden
machen (verbinden).
908. Bist da selbst dnem zuwider gewesen, so schftme dieh nicht
Ihn anzusprechen, zofrieden zu steUen, zu versöhnen, ihm abzubitten,
und ansgesOhnt zu werden: nicht zum Schein, sondern emstlich.
909. Den Groll (die heimliche Feindschaft) lass nicht alt werden
(verj&hren), damit er sich nicht in Hass yerwandle.
910. Stnbeogesellen und Tischgesellen geziemet die Einmflthig-
•keit» besonders in der gememen Stube und im Esusaale.
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911. Es ist zwar niebt möglich, dass nicht Missstand nnd Un^
einigkeit dazwischen kommen (sich einsclileichen) sollten.
Aber die £inträchtigkeit soll durch die Gegengedold emenert,
und die, so uneins sind, durch ins Mittel tretende (sich schlagende)
Unterhändler versöhnet werden.
912. Hat jemand glücklichen Fortgangs so sieh nicht scheel, son-
dern gönne es ihm, hat er Unglück, habe Mitleiden mit ihm. Ein
Barmherziger soll sich der Elenden erbarmen.
913. "Vor allen Dingen befleißige dich der Wahrhaftigkeit, nichts
ist abscheulicher (scheußlicher) als Lügen; wer Lügen erdenket, ist
verhasst.
914. Ist dir etwas Heiiiiliclies kund worden, so siaenge es niclit
aus, lass es auch keiueu andern von dir erfahren, ob er schon dar-
nach frage: schweige still, sage ich, verschweige (verbeiße) es, deine
Verschwiegenheit wird keinem .schaden, Uiigelegenheit machen, dich
aber wird sie überaus lieb und wert (beliebt; machen (empfehlen).
915. Unter den Lustigen sei nicht sauertöpfisch, doch auch nicht
ausgelassen fröhlich.
910. Gegen andere sei nicht schwatzhaft, und wo du was Artiges
im Reden einmischest, lass es Scherz, nicht Gespötte sein; zanke nicht,
damit du nicht einen aus den Gegenwärtigen auibriuget>t, oder einen
aus den Abwesenden verleumdest.
917. Denn zanken, hadern und sich balgen ist b&nrischer Leute
Sache, der Obrenbllaer imd faüa^bea. Angeber Art aber ist es, za
Bcbmfihen und fiUacblicli anzugeben.
Unter der strengen Dnrchf&brong des Grmidgedankais hatte
allerdings sowol die Sprache als anch der Inhalt zu leid^ Um alles
za geben, gab der VeiAisser in den Eapitehi 55.-85. ttber Gebort
der Kinder nnd über die Eeoschheit manches, was der kindlichen
Phantasie nichts nfttzen kann nnd in mehreren Kapiteln kommen 6e>
nennnngen nnJtethetischer Gegenstfinde und Vorginge vor, auf die man
ganz gut verzichten konnte. Andererseits mnsste er bei vielen Benennun-
gen, wo der dassische Wortschatz nicht zu Gebote stand, zu Wortbil»
düngen greifen, die wol auch Bodinus anempfohlen, die aber die Freunde
der reinen Latinität zu seinen Feinden machten. Dass der Gmndto%
der durch das Werk zieht, ein recht sittlich emster und tief christlicher
sei, braucht wol kaum hinzugefügt zu werden. Der Erfolg des Werkes
war, wie Comenius nach 25 Jahren erzählt, einer, wie er sich ihn
nicht habe vorstellen können; es geschah, dass das Werk mit allge>
mdnpm Applaus von der ganzen gebildeten Welt ao^enommen wurde.
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Es beviesen dies sebr gebfldete Mfianer der yerochiedeDatea Völker,
theils dnreh an den Yerfosser gerichtete Briefe, theils dadurch, dass
sie, wie wett^emd^Übersetasimgen in dieMntter^rachen nntemahmen
So dehnte sich der KreiB seiner Bekannten anf die ganze gebildete
Welt ans und LobeprOche dienten ihm nui Sporn imd zur fYende
zugleich.
Mit Vergnügen schließen wir hieran ein treffliches lateinisches
Gedicht, verfasst und onserem Blatte gewidmet von Herrn iSchalrath
filt^erich in Oschatz:
In Memoriam
J. A. Oomenii
Natali Tieoentenmo
D. XXVin. Mart. MDCCCXCII.
Salve festa dies natiili;;! Aveto Comeni
Cantetur toto noincu iu orbe Tuuin!
Qnifl DOstrum potis est lilius dicerc laudes,
Qni quoque nunc juvenfls edncat atqae doeet?
Diftigtn dehine tria eaecida» elan Comenil
Sed monutnenta Tibi non peritura raanent!
Major Aristoteles vorbis — Tu celuior actis
Iiupcriumque scholae tnulidit illc Tibi!
Primu eras, qui res ipsas, nee ▼erba dooebaa
BoetrinamqiM dabaa emn pietate simnll
aia: „Omnis homo, diylna atirpe cieatnt,
Cocios cxoptat, Semper ima^ Dei!"*'
„Dux Natura mihi! Naturae couTenicnteT
Annis jam primig eradiendus homo!
Coiporis ergo prioa Tirea aenansqne oolendi.
Tarn yirei) animi, tum ratiunia opest
Leniter it tardoque rrradu Natura per otbem
Praecipitutiiue nihil — Fac, inoderatOT, ideml"
Optima dux Natura i^uidem — nam proiäda lenm
lit baeo ipsa paieas — fleetim arte tarnen.
Baao artem methodumqne Dovam jam repperit Amoa
Et primo juvenes, quod monct, ipse faeit.
„Est priuB exemplum, postremo rcjErula danda
Excmplisquo bonis duc, uge, diacipulos!"
„Nil jaTUMB diicant unquam, qnod invtile vitael
Nam dootrina miniu^ plus Talet integritas!
Si qnid mente teaet juvenis, mox exprimat orel
Nil puer ediscat quod neeat inerenium!"
. ,^unditus exercenda prius vemacula liogua!
Quod puer ipse legit, scribere Miet üem!**
Fncite jam — enxana Testxos iiiliibete, lodaleal
Nnm memone Juni Semper eramos adhno?
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Noa ego credidexuu. Muucat noa pruvidns Amol,
ü( methodos ib^üs conTenienter eatl
Bgregii daiiqve vixi Te» Uagne, sequuntur:
Franckius ille pina, par Tibi mente sua.
Tom — fere inaximus est — hic Pestalozziua UBIIS,
Qtti populo tot um sc (Iftlit atqu8 scholae.
Dengue muguaiumuä (^uoi^ue Diesterwegius ille,
Qui de Wh» iduilM maximB dunna tnMt
OmnibiiB Iub tam«n es m^jor, Tu Hegne Comeni
Eb peter — bi nati diadpHlique Tili!
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Plldagoglsebe Rundschau.
Aus r*ronßen. [In Canossa.] „Traurifr ppnng:, dass lieiitigresta^es
solche Betrachtungen nothwendit' sind, dass noch f^^ekilniptt \vt r.l«"ii niusa
om die wertvoÜHteu Grundlagen der deatscheu Naiiunaibiiduug
und am die wichtigsten Beehtstitel der denteeliftB Nationalehre:
nm die Freiheit des Gedankens and des Wortes, des Olanbens und
Gewissens, der Wissensehaft und Lehrel"
80 lautete die wuchtige Anklapre eines kühnen und wahrheitsliebenden
Hanne» am 21. Mai 18UU im Cuocert^aale der Philliarmonie za Berlin —
vnd 4000 Sebnlminiier, daranter die 165 Abgeordaeteo m 59709 Mit-
gliedern der Lehrenrereine »Oer deutschen Gaoe, stimmten dem nnerschrookenen
Bednar za.
Wie hat man denselben, einen „gewissen Dittes aas Wien", dafür ge-
scholten and verketzert, wie hat man äber Missbrauch des Gastrechts durch
diesen „Ausländer" sich entröstet, wie hat man, überlegen l&chelnd, ihn der
tthertriebenen Schwameherei beschuldigt oder doch wenigstens wegen seiner
▼erbitterten Rflcksichtslosigkeit verartheilt! Er hätte doch über gewisse (an
sich freilicli nicht zu leugnende) VerhiUtniPse sirli fein nianit'Hich ansschweigen,
an dem iSchleier nicht so täppisch zupfen sollen! Hetzte er damit niclit die
ganze wilde Jagd der SchwarzbUndler vom großen Windtborst bis herab zum
kleinen StOcker nnd denen von Hammerstein und Consorten anf uns wehrlose
OesohSpfe?
Nun freilich, die danialio-e (!;vi)\V Lelirerhetze hat er allerdings ver-
schuldet! Aher gerade dadurch hat der zeitkundige Kufer und Warner sich
ein großes Verdienst erworben: auch dem blödesten Auge wurde nun klar,
wo die Sehttsen Ihre Anfbtellnng genommen hatten, nnd selbst das argloseste
Wild seh sich nnn, die Gr5fle der Gefahr erkennend, aus trQgeriscber Sicher-
heit und verhängnisvoller Ruhe jäh aufgescheucht. Wie eine Blendlaterne
leuchtete die Dittes'sche Rede mitten in das Dunkel hinein, wo die Wider-
sacher des Fortschritts, der Geistesfreiheit und — der modernen Volksschule
ilire Waffen schmieden. Einem Wind8to6 Tergldchbar, welcher die Nebel ser*
nlBt, nm einen Abgnnd anfkndecken, aeigte sie nicht allein dem Lehrerstande,
sondern ngleich allen Oebildeten der Nation, soweit sie sehen wollten,
die nngehenie Schwäche unserer Zeit Und darum wird jener Lehrertag, anf
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welchem ein Dittps die Kitter Her X&cht durch seine Heraasfordemilf xwaDfy
ihr Visir zu lüften, von un vprgcFsl icher Hedentnnpr bleiben!
In den herrschenden Classen unseres Volkes macheu sich Kräfte geltend,
welche gendesn den Freunden des ünttnnee nnserer Geflellachaftsordnvnff in
die Hände arbeiten, indem sie an den Ghmndsäalen rütteln, auf denen, historisch
nachweislich, die Macht und Größe unseres Vaterlandes beruht. Freilich nicht
mit Absicht und Hewusstsein thun sie dies — ganz im Gegentheil! — wol
aber mit onfelilbarem £rfolge! Der sicherste Beweis dafür ist der dem preußi-
aehen ÄI)geordnetenhanM y<Hrgelegte Entwurf eines yolkssehnlgesetzes
für den preußischen Staat Dieser Entwoif, der den Namen eines Zedlitz
trägt — jener alten schlesischen Adelsfamilie, welche schon mehr als einmal
glänzende Vertheidiger der GlanbenK- und Gewissensfreiheit gestellt bat -
führt ans weit hinter die Zeiten des MUhlerschen and Baumerscben Schnl-
regiments surfick. Seit nenn Jahrzehnten steht in Prenlen der Erlass eines
Unterrichtsgesetzes anf der Tagesordnung; seit mehr denn 40 Jahren ist die
geßetzliclie Regelung der Unterrichtsangelegenheiten dnrch die Verfassung
gewährleistet; acht Entwürfe dieser Art sind bereits „zn den Acten" ge-
wandert; seit dem Anlange unseres Jahrhunderts hat die schon vom Freiherrn
von Stein und seinen Mitarbeitern erkannte Wahrheit: dass das Glfick des
Vaterlandes auf der in den Sdiulen begründeten Oeistesfreihdt und Gesittung
beruht, ihre immerwährende Bestätigung gefondw; mehrere große Kriege haben
gelehrt, wie eine auf freiheitlichen Grniidlafren erbaute Volksbildung- die vor-
züglichsten Waffen gewährt und den festesten Grenzwall zum Sciiutze der
vaterländischen Grenzen bildet; vor den Augen aller Zeitgenossen haben die
scheuffliehen Thaten ▼erabsohennngswfirdiger Heuchler wie H9del undNobilIng
den Irrwahn widerlegt, als ob eine religiöse Erziehung nach den Forderungen
der römischen oder protestantisch -orthndoxen Zeloten vor den schwersten Ver-
letzungen göttliciier und menschlicher Ordnung zu bewahren vermöchte
und doch moss man es erleben, dass der preuüischen Volksvertretung die Gut-
heiAung Ton Vorschlägen zugemutet wird, welche den Glauben erwecken
kSnnten, dass ihre Verfiuaer hundert Jahre — aus ihrem Gedftchtnis ge-
strichen hätten!
Freilich war es nicht möglich gewesen, die freisinnigen Entwürfe von
Altenstein (1819) und Falk (1877) durchzubringen. Aber lagern nicht
auch die Vorlagen der Minister Bethmann-Hollweg (1862), Mflhler (1869)
und Gossler (1890) in den Aetenscbrtnken des Cnltnsministeriums? Und
haben nicht sogar die Baumerscben Begulative dem Geiste einer neuen
Zeit weichen müssen?
Doch gehen wir einmal kurz anf den Inhalt des Zedlitz'schen Entwurfs
ein. Vorausschicken müssen wir indes, dass derselbe nicht beurtheilt werden
kann ohne einen Blick auf gewisse parlamentarische VerhUtnisse und Vor-
gftnge in PreoBen.
Der Gang und die Fjitwickelung der inneren Politik Preußens und Deutsch-
lands ist etwa seit dem Jahre 1877 stark beeinflusst worden dnrch die Hai-
tang der ultramontanen i'artei unter der genialen Fuhrung Windthorsts.
Nidit ohne deren Mitwirkung vollzog sich der Sturz des unvergesslichen Gnltus-
ministers Falk und die Bernfnng eines Hannes von so hervorstechend reac-
tionftre^ Richtung, wie derjenigen Puttkamers, in seine Stellung. Und
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ab dann auf Pnttkanier der Cultasminister von Oossler folgte, zeigte sich
der Einflnss der nltramontanen Partei schon deutlicher, indem sich diosolbe
nicht nielu- damit begnügte, was sie aaf kirchlichem Gebiet von der Kegie-
rvng xorlekATObert hatte, sondern auch den Kampf rnn den Beiits der
Schale eriMhete. „Wir we&en," erkUbrte Windthoret, „die Schale ^eder m
haben, wie sie vor dem SehnIanfBicht8ge8etz(l) war. Können wir Wandel
hier nicht erreichen, so werden wir darauf driugren, dass mehr als es bisher
geschehen, endlich die Bestininiung^cn der \ erfassung erfüllt werden, welche
volle Unterrichts freiheit(!) verbürgen. Wir können als Eltern verlangen,
daiB ooeere Kinder voo eolchra antmichtet werden, deoen wir vertraoen
and welche unsere Religion aufrecht eihalten, nnd dasB der Kirche ge-
stattet wird, ilirerseits Srhnlen zn gründen (!) ... Es werden ja
nene UnterrichtfJtreset/.e geplant, nnd die daran arbeiten, mögen wissen, wie
wir Kathuliken zur Öache stehen . . . Die Schale gehört der Kirche ganz
allein (!).«
Das war offm ond ehrlich gesprochen, and Jedermann wante also, wo das
Centinm hinaas wollte. — Allein Herrn von Qossler nnd dem ganzen Ministe-
rium Bismarck gingon diese Forderungen denn doch zu weit. Man liatte viel
bewilligt und viel geopfert, man hatte sich tief nnd tiefer gebeugt, aber vor
d«r kleinen KxceUwi» im Staabe liegen nnd anf dem Baacho. ratsehen — nein,
dasa konnte man sich nicht entschließen. Hatte dmdi aiidi der nnglttckUehe
Kaiser Heinrich noch das immerhin menschenwfirdige Vorrecht bewahrt, im
Schioeshof von Canossa wenigstens zn stelienl
So zeigte denn der Minister von (iosslt r gar keine Eile, sogleich einen
Entwarf yoraalegen, welcher den Windthorstechen Forderungen Aasdmck tmt-
lieh. Das veranlasste den anermUdlichen GeatramsfHhrer, dem Minister an Hilfe
za kommen: er selbst formulierte dic^jenigen Sfttze, welche den Hauptinhalt
des vorzulegenden Unterrichtsgesetzes ausmachen sollten. Und damit nicht alle
Welt .sogleich erkennen sollte, dass hier dasjenige, was die ultramontanen
Ftthrer auf den Katholikenversammlungen klipp und klar in reinem, gutem
Deotseh verlangt hatten, bewilligt sei, kleidete er es gebnhrendermaflen in das
Müntelchen einer fein diplomatischen AusdracksweiBe. «1) In das Amt des
Volksschnllehiers dürfen nur Personen berufen werden, gegen welche die
kirchliche Behörde in kirchlich-religiöser Hinsicht keine Einwendung
gemacht hat. W'erden später solche Einwendangen erhoben, so darf der
Lehrer zor Ertheilang des Religionsanterricfates nicht weiter za-
ge lassen werden. 2) Diejenigen Organe zn bestimmen, welche in den ein-
zelnen Volksschulen den Religionsnnterricht zu leiten lorechtigt sind,
steht ausschließlich den kirchlielien Obern zn. 3) I)a.s zur Leitung
des Beligiousunterrichts berufene kirchliche Organ ist befugt, nach
eigenem Ermetsea den scholplanmäfiigen Religiomaiitenrlebt selbst za
erteilen oder dem Beligionsnnterrioht des Lehrers beizawohnen, in diesen
einzugreifen nnd fSr dessen Ertheilang den Lehrer mit Weisungen zo
versehen (I). welche von letzterem zu befolgen sind. 4) Die kirchlichen
Behörden bestimmen die für den Religionsunterricht und die religiöse i bung
im den Schalen dienenden Lehr- und Unterrichtsbttcher, den Umfang und
Inhalt des schnlplanmUligen religiOeen Unterrichtsstoffes ond dessen Ver-
theilOBg aaf die einzelnen Olassen." — Das wiikt doch, jeder moss es
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gestehen, nicht so abschreckend, wie der Satz: „die Schule geliört der Kirche
ganz alleiu'' — wenn es auch in der Hauptsache dasselbe ist!
ünd siehe üMf es half! Der Minister vertiefte sich in diese Windthorst-
schen Anträge ▼on Jahre 1888 so, dus er zwei Jahre später in der
La^ä^e war, einen Entwnrf vonmlegen, welcher den Ansprüchen des Centrnms
unti:<'fJilir sieb(Mia('!itolwege8 entgegen kam. Hatte er auch bei der Verhand-
lung des Abgeordnetenhaoses über diese Anträge nachweisen können, dass die
Klagen der Ultramontanen nnbereditigt seien — indem hei seinem Amts-
antritte (1881) 2200 Itatholische Geistliche von Ertheflong oder Leitang des
Religionsnntenichts aa^;eschlo88en waren. 1888 aber nnr noch 190, und nach
Abzug Posens gar nur 50 einschließlich der evangelischen — , so entliielt sein
Entwurf doch folgende grundlegenden Bestimmangen : Die Keligionsgesell-
sehaften haben mitinwirlten het Binflhxnng neuer Lehrpllne nnd neuer
Sehvlbflcher im BeUgioBsantenieht; sie lassen dordi ihre Oigane den Unter»
rieht inspiciren. Diese Organe sind berechtigt, in den Religionsunterricht ein-
zugreifen und den Lehrer am Schlüsse sachlich zu herichtieen . . .
Wo die Zahl der Schulkinder einer Keligiunsgesellschaft über 60 steigt, kann
die SchnlanlbichtsbebSrde die Errichtung einer besonderen Volksschnle fBr
dieselben anordnen (behnfSi Ansrottnag der Simnltaasehnlenl Der Verfl).
Man siebt anf den ersten Blick, dass solche Bestimmungen mit der bis-
herigt^n Anffisfnns: maßgebender Stellen über das VerhiUtnis zwischen Staat,
Kirche und Scluile nicht vereinbar sind. Der moderne Staat hat, gegenüber
den Zielen der hierarchischen Parteien, vollen Grund, das unbeschitLukte Anf-
sichts- und Leitangsreeht über die VoUissehnle fBr in Ansprach an nehmen.
Damit abfir bei den immerhin besdurttnkten Mitteln des Staates die kostspielige
Weiterentwickelung des Schul wesena nicht aufgehalten werde, bedarf es der
opferfreudigen Mitwirkung kleinerer \'erbände. namentlich städtischer Gemein-
wesen, deren Wetteifer bereits schöne Erfolge aufzuweisen hat. Soll dieser
Faetor indeas nidit völlig aoter Beehnung gestellt werden, so dürfsn die ans
dem großartigen Steinsehen Belbrmgedanken der Selbstverwaltung herrührenden
Befugnisse der coromunalen Körperschaften nicht so weit eingeengt werden,
wie es unter anderen betreffs aller bisherigen Rechte tÜr Ernennung n. s. w.
der Lehrkräfte im Gosaler'schen Entwurf geschah.
Letaterer wanderte übrigens, nadidem er in langwierigen GomadBskMis-
beratungen noch mancherlei Yerladerungen erfahren hatte, und nachdem Herr
von Gossler dem Andrängen des Centrnms zufolge seinen Ministersessel an den
Grafen Zedlitz abzutreten genBthigt gewesen war. ohne Sang und Klang den
Weg aller preußischen Unterricbtsgesetz-EntwUrfe, und heute liegt ein neues
Werk vor.
Hatte Windthorst noch im Jahre 1887 die Aufhebung des Falksehen
Schulanfsichtsgesetzes verlangt, so zeigt der Zedlitz'sche Entwnrf,
dass es in dem, was für das Centrum die Hauptsache ist, auch ohne eine solche
formelle Aufliebmitr ^'*lit. Die Schule ist so, wie der Lehrer ist. Hat man
den Lehrer in der Uewait, so besitzt mau die Schule und mit ihr die Zukunft.
Was ein Windthorst sieh visUeieht nidit hat trinmen lassen: dass es jemsls
gelingen könnte, die Lehrerschaft im ganzen, also den katholischen und evan-
gelischen Tlieil derselben, wieder unter die volle, uneingeschränkte Botmäßig-
keit der Kirche (d. i. ihrer leitenden Organe) zu bringen, das stellt der
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Zedlitz scLe Eiilwurt' in sichere und nahe Auspicht. Windthorst könnt«' wol
darauf rechnen, da^s es den Organen der päpstiiclieu Kirche mit ihrem wol-
dorehdachtea und iuifehl1i«r urirkenden System eiserner DiMiplinaniiittel fe-
lingen mttsater die katholischen Lehrer den Absichten der Hierarchie dienst-
bar sn madien; nie aber konnte er hoDen, dieselbe Herrsdiaft auch auf die
evangelischen Lehrer auszudehnen. Nun aber zeigt eine Hf frieriMi;,'8-
vorlage die Möglichkeit, wie mit Hilfe der Staatsgewalt die ideale Wiudt-
horsts nicht blos zn erreiehen, sondern noch xn ttb er treffen sindl Herrn
von Zedlitz genügt es nicht mehr, dass der c<nifeBBionel]rreligi(ie erzogene junge
Mann in ein confessionell eingerichtetes LehrevaeoiiDar eintritt, dort weiter
einen confessionellen Religionsunterricht unter Aufsicht der betreftenden kon-
fessionellen Kegieruugsabüieiluug erhält, gleicherweise seine LehrauiiMbetUhigung
ifir den confesnlonelleii BeUgionsmiterricht dordi etaiEztmeo «rwirbt und dann
onter dem Xitbeaofiuchtignng»* nnd Vetorecht der kirebliehen Organe seinen
Religionsnnten irlir ertheilt; es genügt ihm nicht, dass die EinfKhmng neuer
Lehrplilne und Lehrbücher für dt'u hN'lipionsunti'rricht dei- Seminare — wo
bekanntlich zumeist Theologen aU Diiectoren und erst^* Lehrer angestellt
werden bezw. den lieligionsunterricht ertheilen — „im Kinvernehmeu mit den
zust&ndigen kirchliehen OberbehSrden** erfolgen mvss. Nein, das kSnnte in
einem swar durch nnd durch vom Confessionalismus durchsetzten und be-
herrschten Staatswesen doch noch die Möglichkeit einer selhststitndigen reli-
giösen Entwickelung, welche nicht ganz dem Geschmack de.s < Hjerkirchenraths
oder liischotä entspräche, übrig lassen. Deshalb wird bestiuiuit: „Die mit der
ErtheÜnng des Bdigionsnnterriehts (der Seminare, Verf.) zn beanftragenden
Lehrer (Lelirerinnen) sind vorher den kirchlichen Oberbehörden nam-
liaft zu machen behufs .Äußerung, ob gegen Lehre nnd Wandel dfrstllicn
Einwendungen zu erheben .sind." Wie mag- den nitramontanen da.s Herz im
Leibe hüpfen, wenn sie diesen vortrefflichen Paragraphen, der auch die Semi-
nare in ihre Hiode sjiielt, sich ansehen! Doch wdter: Nicht genug damit,
dass ein von der kirclilichen Oberbeh5rde entsandter Gommissar mit Stimm-
recht an jeder Lehreranstellungprfiftmg theilnimmt — nein, wenn derselbe
„wegen ungenügender Leistungen eines Examinanden in der Keligion im
Gegensatz zu der Mehrheit der I'rüfungscommis&iou Widerspruch
gegen die Brthfiilnng des Befähiguugszeugnisses erbebt, so ist an den Ober-
piüaid^ten als Vorsitaenden des Provinziaischnloolleigimns an berichten**,
Wabiher nnn nteht etwa selbstständig die Entscheidung trifft, sondern „im Ein-
vernehmen mit der kirchlichen Oberbehörde" zu ent.scheideii liat. Ist
ein EinvernehiiieM nicht zu erzielen, so wird dem Lehrer das Lehramtszeugnis
„mit Ausschluss der Befähigung für den Keligionsunterrichf er-
thellt Was es mit dieser Bestimmnng anf rieh hat, Ist leicht za ermessen:
sie bedeutet, dass deijenige, welcher dem btediSflichen oder protestantischen
Delegaten nicht gefällt, nie und nirgends — zum wenigsten aber in seinem
Vaterlande — eine Anstellung linden wird, welche seinen Wünschen ent-
spricht. Die Prüfungscommission bei den Seminarprüfungen besteht aus Com-
missarien des ProvinzialschnlooUegiQms nnd des Regierungsprftsidenten, dem
Director und den Lehrern des S«ninars, — > daneben noch dem kirchliche
Delegierten. Und wenn nun die ersteren allesamt, vielleicht mit alleiniger
Ausnahme des jüngsten Seminariehrers, überzeugt sind, dass der iüxaminand
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die Eif^enschatteii besitzt, welche zur Ei tlieiliui^ ciues truchtbriugeüden Reli{?i()iis-
Qoterrichte in der Volksschole befähigen, der kirchliche Vertreter aber diese
ÜberaeogsDf nicht mit ihnen teilen kann, eo sind alle ihre Stimmen nnll
nnd niohtiir gegenüber jenes Einen Stimme — wenn es nicht etwa der
Ül)errednng:8grabe des Ob^rpräsidenten gelinsrt, ein ^Einvernehmen" herznstellen!
Nichts kennzeichnet st» deutlich den Cieist des neuen Entwurfs, als diese
eine Bestimmung! Welche ungeheure (ieringschätzung gegenüber den Organen
des Staates, welchen OipM von Mlntranen gegen aUe nichtkirchlicfaen Be-
amten, welche maßlose Herradibegier müsste sie, wenn nicht bereits vorhanden,
erzengen. Das ist die gelungenste Ihnschreibung der Windthorstschen Prä-
tension: „die Schule f^ehört der Kirche ganz allein"; und hatte Windthorst
selbst in seinen Anträgen von 1888 es versacht, diesen Satz in unverfängliche
Formeln m bringen, ao itt tein DiplomatenstU hiermit in den tielbten Sehatten
gestelltl
Allein auch mit so weitgehenden Vorsichtsmaßregeln scheint der Zedlitz'sche
Entwurf seines Erfolges noch nicht gewiss zu sein. Am Ende traut die ..Kirche"
auch den Lehrern noch nicht, weiche auf solche Art in den Besitz des Be-
f&hignngszengniflses fdr den BeligioMunteiTicht gelangt sind; sie scheint wenig
Vertrauen sn ihrer eigenen Sache m haben nnd Herr von Zedlitz mnss das
wol wissen. Natürlich, der Jnnge Lehrer kann in fible Gesellschaft geraten,
er kann b(iso Bücher losen, er kann unter anderen erfahren, dass z. B. oinnial
ein Theologe, Namens Sclileiermacher, gelebt hat, welcher andere Ansichten
vertrat, als das heute herrschende Eirchenregiment, oder dass es Päpste ge-
geben hat, gegen deren Wjandel nnd Lebre aldi Einwendungen erheben
laseen — kurz, er kann schwankend werden, dem Satan in die Hände fallen.
Dem wird durch folgende Maßnahmen vorgebeugt: Den Religionsunterricht in
der Volksschule leiten natürlich die betreffenden Reli^ionsgesellschaften. Mit
Ertheilung desselben werden nur solche Lehrer beauftragt, welche das
entsprechende Betkhignngszengnis besitien. Der kirehliche Vertreter aber bat
„das Recht, dem Beligionsnnterricht in der Sdinle beisnwohnen (siebe
Windthorstsche Anträge. 3) durch Fragen sich von der sachgemäßen Erthei-
lung desselben und von den Fortschritt^^n der Kinder zu überzeugen („ein-
zugreifen", nennt es Windthorst weniger unverblümt), den Lehrer nach Schluss
dee Unterrichts sachlidi n beriehtigen, sowie denen ttpreobend mit Wei-
enngen sn Terseben (Windth. AnMge, 3)". Dem gegenilber wir4 sich
kftnftighin kaam noch ein Lehrer die Freiheit nehmen, in religiöser Beziehung
eine eigene Meinung zn haben, und wenn er sie doch hätte, wird er sie klUg^
lieh in den Schrein seines Herzens einschließen und die Meinung seiner kirch-
lichen Vorgesetzten heucheln oder — zu Grunde gerichtet werden. Die „Kirche"
aber wird bltthen nnd trinmpbirent Wie lange? Das weiß GN)tt allein 1
In einem Punkt geht der Entwurf noch weiter, als di«' ^^'iIultllorst8chen
Anträge, welche vom preußischen Abgeordnetenhanse , mit Kin6< lilu.ss der Con-
servativen. im Jahre LS88 mit Entrüstung abgewiesen wurdttn. In diesen
Anträgen hatte Windthorst das auf den Katholikentagen so stark betonte Ver-
langen nach „voller ünterricbtiAreiheit'', nach dem Beebt der Kirche, Hihror-
•eits Schulen sn gründen", kläglich verschwiegen. Der Zedlits'iche Ent-
wurf will ganze Arbeit machen: auch dieser Wunsch des verstorbenen Cen-
trumsföhrers ist nicht vergessen. Der Entwurf enthält keine Bestimmung,
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^'elche es der reichen katholischen Kirche fernerhin verbietet oder anch nur
erschwert, die uneingeschränkte Unterricbtsfreibeit durch Begründung kirch-
licher Schalen mit vollen Zügen zu genieften. Und sie wird es nicht einmal
imnMT mit ibrem Gtelde sn besaUoi haben I Irt doeh Mgu* Vonorge getroffan,
dass, „wo die Zahl der Schulkinder einer vom Staate anerkannten Heligions-
gesellschaft in einer Schule anderer Confession über dreißig steigt (der
GosBlersche Kntwurf sct/.t«' nOüi", die l^^rrichtung einer besondiren Volks-
schule für dieselben statitiuden kann! Es wird künftig, wenn und su lange
eftwa dieses Qesetz bestehen sollte, y<m Erriditiiiiflr einer mehrdassigen Simnl-
tanschule an Stelle mehrerer einclassiger Confessjonsscholen nicht mehr die
Rede sein, ungeachtet der Thatsache. dass eine derartige Zersjilitteruug der
olinehin geringen Fiuanzkraft der Coramunen naclitheilig ist. und ungeachtet
der anerkannten Wahrheit, dass ein mehrgliedriger ächolorganismus in
BerQcksichtigiiDg der SchttleiindiTidnaUtftt mehr leisten kamiy als mehrere
einfache SchnlkSrper ohne jegUdie GUedenuig. Oilt es doch, der verhassten
Simultanschule endpiltig den Todesstoß zu gehen. Pas Volk wolle sie nicht,
meinte vertheidigeud Herr von Zedlitz, als sein Entwart' im Abgeordnetenhause
die Anklagebauk zierte. Daß „Volk" will sie uicht'r' Wozu dann solche iie-
stimmnngen? In NaMan besteht die Simnltanschnle schon yoUe 75 Jahre,
and soeben erbebt sich die gesamte nassaiiische BevSlkerang gegen den Ver-
such, ihr die liebgewordene, seit Generationen im Segen wiritende Simultan-
schule zu nehmen! Das Volk will sie nicht? So braucht man auch keine
Zwingburgen aafzntuhren, mit deren Hilfe die religiöse Duldsamkeit zu Boden
geworfen werden soll! Fürchtet aber die Begierung, wie ihre sorgsamen Maß-
nahmen allerdings dentiich genng erkennen lassen , dass gerade das Volk sie
wolle, BO bleibt für die Äußerung des Ministers nur eine Erklärung übrig,
die wir respectvoll unterdrücken. Der Entwurf stellt sich auf den Standjtunkt
des starrsten CoufVssionalisuuis. Einmal über das anderemal erklärte Herr
von Zedlitz im Abgeordnetenhause, dass es der Regierung darum zu thun sei,
die Beatimmnngcn der Verfassung mit diesem Entwarf aar Aosltthrong za
biingen — nnd doch geht derselbe Aber jene Bestimmungen weit hinaus, ja
er thnt ihnen geradezu Zwan^ an. Wo steht in der Verfassung geschrieben,
dass in der Schule die engherzigste Confessionalität zum Ausdruck kommen
Süll? JSirgends! Iiier aber werden Bestimmungen empfohlen, welche mit pein-
lichster Gewissenhaftigkeit diesem Ziele sostrebea. Dagegen ist dieselbe Ge>
wiisenhaftigkeit nicht beobachtet worden gegenftber dam ans der Friederieia^
nischen Zeit herübergekommenen Allgemeinen Landrecht von 1794. In
demselben wird z. H. bestimmt: ,.Kinder, die in einer anderen Religion, als
welche in den öffentlichen Schulen gelehrt wird, nach den Gesetzen des Staates
erzogen werden sollen, kdnnen dem Beligionsunterricht in derselben beizu-
wohnen nicht angehalten werden." DasGegentheil dayon will fsst 100 Jahre
später die heutige preußische Begierung zum Gesetz machen. Ein derartiger
Vorstoß gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Volkes ist im
Staate Friedrichs des Großen seit den Tagen eines Wöllner nicht mehr ge-
macht worden!
Infterst bedenklich sind anch dl^enigen Bestimmmigen des Bntwvrfh,
welche darauf abzielen, die Rechte der Gemeinden bezüglich der Mitwirkung
an derSehnlyerwaltoag an beschneiden. Alle diese Bechte gehen gmndsAtalich
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an den Regierungspräsidenten über. Nur iiiHoweit . als dieser es für zweck-
dienlich hält, werden dit* Gemeinden zur Aiitlu ilnahinc an diesem idealstea
aller Selbstverwaltuugszweige zugelassen. „Der Kegieruugsprii&ident beliehlt,
die Oemdiide — zahlt!** Dm itt der korzgefante Inhalt der hezfigUchen Be-
stimmongen. fjkar Regienugsprlisident", konnte der Abgeordnete Richter
mit Recht sagen, ,,hestininit, ob eine nene Schule eingerichtet werden daif;
der Ree^ierungspi iisi.iont uder die Aufsichtsbehörde bestimmt die Classen: der
Regierungspräsident beatiuimt, wie gebaat werden soll; der Regierungspräsi-
dent bettimmt die Anastattong der Schale; der Segierungspriaideiit beetinunt»
wie der Lehrplan sich auf die einzelnen Claaaen vertheilen ioll; ohne den
RegiemngpprHsidenten kann kein neuer Lehrer anirestellt werden; der Re-
gieranpppriisident mit dem Hezirksausschuss setzt das Minimalerelialt fest; der
Segierungbpräsident bestiumit, wie die Dieustwulinan^ bescliatlen sein soll, und
ob der Lehrer eine solche haben soll; der Regierungspräsident bestimmt, ob
freie Fenerang nnd Heizung verabreicht wird; der Begiemngsprtoideiit be-
stimmt, ob der Hann in den Rnhestand za versetzen ist; er regelt die einst-
weilige A\'ahmehmnng der Lehrerstelle; korzum, der Begiemngsprftaident be-
stimmt alles!"
Die kurze Signatur des Ganzen lautet hiernach: Priesterherrschuft
im Innern, Allmacht der Bnreankratie im ÄnBern!
Bezeiehnend ist es, dass der Ministerpräsident, Graf von Caprivi, den
Widers]>nu li gegen diesen Entwurf damit glaubte sti<rni;itisiit n zu dürfen, dass
er behan|itete: es handle sich hier um Christentlium und Atheismus —
wer diesen Entwurf ablehne, sei kein Llirist, sondern ein Atheist. Ängstliche
Gemilther mag das schrecken; im allgemeinen aber wird dieser Schreckachnsa
wenig oder gar nichts nützen.
Und wenn der Entwurf Gesetzeskraft erlangen sollte? Sind doch Ultra-
montane und Consorvative bereit, ihn anzunehmen! Was dann?
Zunächst wird die von der Regierung gehegte Hotihung, dass das Gesetz
geeignet wftre, ehie friedliche LSsnng der aocialen Frage herbeiznfabren,
Bich ala nichtig erwetaen. Wir sind in keinem Palast geboren und
wandeln nicht auf den Hohen der „ Gesellschaft **; wir kennen diAer das „Volk*
nnd glauben sicherer in seiner Seele lesen zn können als jene, welche aus
äußerlich begünstigterer Stelle auf die Kreise herabsehen, in denen es gährt
nnd grollt. Und daher wissen wir es, dass wiederum der Abgeordnete Richter
das rechte Wort traf, wenn er behauptete, dies Gesetz, mit welchem die Re-
gierung die socialen Gewitterstrahlen aufükngen wolle, sei ein zerbrochener
Blitzableiter. Ja, so ist es; wenn dieser Entwurf zum Gesetz erhoben
werden sollte, so wird es wirken, wie fin schadhafter Elitzabieiter, der die
Gefahr vermehrt, statt sie zu vermindern. Nimmermehr wird die Social-
demokratie durch die Herrschaft eines solchen Gesetzes entwaffliM werden.
Die preußischen Regulative von 1854 haben es gelehrt, dass derartige lüüB-
nahmen iii( ht geeignet sind, um die Menschheit zu veredeln oder auch nur von
den scheußlichsten Wiirrungen abzulialten, dass jede geistliche Verknöche-
ruug des Volksschulwesens als natürliche Gegenwirkung das entgegen-
gesetzte Extrem, nSmlich vSllige Gleichgiltigkeit in kirchlichen Dingen,
bervoimft. Und dabei gingen die Regulative nicht so weit, wie dieaer
Entwurfl
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— 3ÖÖ —
Gcndecn TerhängnisroU wttrde dasGesets auf den Lehrerstand wirken.
ZweiÜBlsohne würde eine Fortbildung der Pädagogik seinerseits anf lange
Zeit, mindestens Ülngrer als das Gesetz danert, ansg:e8chlos8en sein. Wie die
bildende Kraft des Künstlers, der nicht mehr frei schaffen und nicht mehr
seiner Eingebung folgen darf, allmälilich erlahmt, so kann ein Lehrer, der am
Oftngelbaode geführt irird, deesen Seele in der Folteikaimiier einer „reckt*
glla1ilg''-kiroh]ielien Approliatloa geknetet, geklopft, genipft nnd geswiekt
worden ist, kein Pädagoge mehr sein; er sinkt zum elendesten Stundengeber
herab! Diejenige Geistlichkeit aber, welche im Sinne nnd Geiste dieses Ge-
setzes die Aufsicht und Leitung der Volksschule iibernilliuie , könnte — das
liegt in der Natnr der Sache — weder Beruf noch Neigung besitzen, sich mit
der Theorie nnd Praxis einer Wissenschaft nlher zn befusen, deren Grund-
lagen, einmal betreten, de TSlUg aheeitB der ihr sngewieeenen Anljpiben
fuhren müsst^n.
Und wo sollte dem Lelii erstande, dessen berufliche Erfolge in erster Linie
von einer nnverwüstlichen und stets sich erneuernden freudigen Hingabe ab-
hSagMi, die Kraft, die Aaedaner herkommen, wenn er am Grabe aDer aefaicr
Hoffnungen stehen rnttaste, wenn zur materiellen Not die Pein des inneren
Zwiespalts käme, Avenn er ^^eknickt, seines Selbstbewnsstseins, seiner Ver-
antwortlichkeit entkleidet dastünde, ein Spielball herrschsüchtiger Priester,
die für ilm kein Herz haben! Es ist eine furchtbare Verantwortung, welche
diigenigen anf rieh nehmen, weldie dnen Theil des Ldireratandes zur Ver-
zweiflnng oder — zur Gesinnongslnmp^rei treiben wollen. Die Lehrer sind
Christen und wollen Christenthum lehren; aber sie wollen nicht willenlose
Werkzeuge, tote liundstücke sein. Sie wollen nicht im Geiste einer unduld-
samen Priesterschaft, sondern im Geiste Christi selbst den Religionsunterricht
erthdleo. Sie woUen sich nieht der Tortur einer modernen Inquisition nnter-
worfto sehen. Wahrhaft christlidie Vertreter des gdstlichen Standes seihet
lehnen ein derartiges Gesetz ab. Sie thnn wol daran. Denn das gute Ein-
vernehmen zwischen Kirche und Schule kann nur gedeihen, wenn sich die
Kirche wie eine liebende Schwester, nicht aber wie eine tyrannische Herrin
benimmt
Wir schweigen dav<m, dass der Bntirarf keine der Forderungen erfttUt,
welche der Lehrerstand eben so oft nnd eindringlich, wie mit gutem Recht
erhoben hat. Löst er die Frage einer verbesserten Lehrerliildung? Nein!
Schützt er den Lehrer oder seine Hinterbliebenen fürderhin vor Noth? Nein!
Gewährt er die j^'achaufsichty Nein! Weder in ideeller noch in mate-
rieller Beziehnng erhebt er die Lehrerschaft in diejenige Stellung,
welche ihr vermöge der Wichtigkeit ihres Berufes und jahrzehnte-
langer treuer Pflicliterfülliing gebührt. Selbst die Vertretung im
Seliulvoi-stande, welche der P^ntwnif dem Lehrer gewährt, ändert nicht das Ge-
ringste an diesem Urtheil. Der Lehrer soll von Amtswegeu im Schulvorstande
vertreten sein, nnd wo ihrer mehrere sind, nach freier Wahl Der Entwurf
aber bestimmt, dass zum Schnlvorstande, dessen Vorsitzender der Ortsschul-
inspector (im Geiste des Entwurfs also wol ausnahmslos der Geistliche) ist,
ein „von der Kreis- (Stadt-) Schnlbehörde dazu ernannter Lelirer'' gehören
solL Das ist nicht die Forderung der Lehi'erschaftl
Auch von den politischen Wirkungen dieses Gesetzes wollen wir nicht
FMdafosiuB, 14. Jabr«. Heft VI. 27
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— 386 —
sprechen. Das gehört an eine andere Stelle. Aber als Patriot kann anch kein
Lehrer ohne tiefstes Bedauern wahrnehmen, wie schon der bloße Entwnrf die
Folge hat, dass es im Reichsgebäade verdächtig knistert und knackt, als sei
dftnell» in den GmndftitaB encliflttert Wer Augen hat nt sehen, der sehe,
und wer Ohren hat m hSreo, der hOre!
Man hat noch in neuerer Zeit von versdiiedenen Anschaunng'en und Stand-
punkten ans die Klage erhoben, dass im deutschen Volke die Ideale im Sinken
wären. Der lebhafte Widerspruch jedoch, welchem dieser Gesetzentwurf be-
gegnet, hat gezeigt, dass wenigstens in deigenigen Volkskreisen, welche nicht
m den Hörigen der hierarchiseh-reactioiUtoen Mehrheit des preaßiscfaeii Abg«>
ordnetenhanses gerechnet werden können, der Idealismus keineswegs erlosohen
ist. Die drohende Unterdrückung der geistigen Fn iheit des pro-
testantischen Deutschland wird die idealen Kräfte mobil macheu,
und wenn das frevle Werk auch vorübergehend gelingen sollte: dauern wird
es nicht! Die prenftlsehe nnd dentsche Schule wird niemals sein, was sie
schon zu Altenstelns Zeit nach dem Wunsche der preuAisehen Bischöfe sein
sollte: eine causa ecclesiastira* i.
Zur Zeit freilich sind unsere Aussichten triiV)e. Wir stehen im Bann des
Cierikalismus , im Schlosshofe von üanossa. Unsere uichtpreußischen Brüder
aber sollen deshalb nicht Terachtlich aof nns herabsehen, nodi aneh i^aii-
BÜBoh beten. Wer da steht, der sehe zn, dass er nicht falle! Schim mehr als
einmal hat das preußische Volk bewiesen, dass es fremdes Joch nicht zu tragen
vermag. So wird es auch diesmal sein! Und kein Zweifel: wenn der Aar
seine Schwingen erheben wird, dann sucht das Nachtgevögel seine dunklen
Schlupfwinkel auf.
Wir bleiben nicht in Canossa! — « —
Aus dem G-roßherzogthum Baden. (Ende Januar.) „Duo qnnm
faciunt i lom. non est Idem."**} Diese oft auf ihre Richtigkeit bezweifelten,
altclassischen Worte linden wieder einmal ihre Bestiltigung in den fast gleich-
zeitig erschienenen Gesetzentwürfen über das Eiemeutarschulwesen in Preufien
nnd Baden. Wfthrend der preoBische Oesetsentwnrf nach dem Uflhler-
sehen Liede, d. h. mit Verändemn; des Snbstantives „ Wirtdians*' in „Kirche*,
also: „Grad ans der Kirche komm' ich heraus" abgestimmt ist, bietet der
Schul g'esetzentwurf Badens eine die Gemüther im groCeii timl ganzen be-
ruhigende und erhebende Comj^ositiou dar. Das Leitmotiv des letzteren ist
das l&enle, Us j^st ni Beeht bestandene Sdralgesetn vom Jahre 1868 mit
seinen seitgemäBen Ergtanpigen (obligatorische Fortbildnngsschnle, oUigato-
rische Einführung des Enabentnrnunterrichts etc.). Während der Schnlgesets-
entwnrf des Landes „der Gottesfiirolit nnd frommen Sitte" einer total rnck-
schiittlichen , engherzig-confesüionelleii Tendenz entsprungen ist, fordert der
badische Entwnrf in Bezug auf den Unterricht der Volksschnle:
*) Clausnitzer, Goschichte des preußisfhen rntcrrichtsgesetzes«.
Berlin, Verlag von E. GoldscbmidU (Soeben in dritter, bis auf die neueste Zeit fort-
gefilhxtor Aunage erschitiDon!)
**) Wenn swei dsssdhe than, so ist es nicht dasidbe.
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..T>er ruterricht in dnr Volks«hule wird sämmtlichcn .soluiliiflichtigpn Kindi ru
gt-uieinscbattlic'b ertüoilt, mit Au»iQahme des KeligiousuQtcrriclitij. sofern die Kinder
verächiedenen relig^iöscn Bekenntnissen angehören. Die den politischen Qe>
roeindcn obliegonde Ver]>flichtung kann weder im ganzen noch zum Theile durch
eine vorzugsweise zur Erfüllung coufeäsioDeller Zwecke begründete Corporation»»
asBtalt gdeiftet wetden."
Die Unterrichtsgegenstilnde der Volksschule erhalten doi-ch den „Haud-
ferti^keitsanterricht" für Knaben und durch ..Unter Weisung- der Mädchen in
der HaiLshaltungskunde" t iiu- Bereicherung. An dem Unterricht dieser Gegen-
stände nehmen jedoch nur solche Kinder theil, deren Kitern oder deren Stell-
vertreter sie ZOT Thdlnahme liestimmten. — Die Schulpflicht dauert acht
volle Jahre; der Eintritt der MAdchen in die Schule in dem Jahre» in wdchem
sie sechs Jahre alt werden, scheirit uns jedoch etwas zn fiühe zu sein; jedeil*
falls wird diese Stelle de.s Enlwurtes eine Änderung erfahren. — Was den
örtlichen Schulvorstaud betriät, so sind die Bestimraougeu hierüber die
alten geblieben; nach denselben hat der dienstälteste Lehrer Sita und Stimme
im Sohulvoratand, in welchem der Ortsvorstand (Bfirg«rmei8ter) in der Regel
den Vorsitz führt. — Aach die Vorbildung der Lehrer ist leider unverändert
geblieben (zweijährige Vorbereitung in einer Präparandenscliule (auch private
oder Besuch einer Mittelschulej und dreijährigen Seuiiuarbesuch. {In Baden
bestehen zwei hathoUsche, ein evangelisches und ein „gemischtes" Seminar.)
Wenn der prenftlscheSohnlgesetsentwnrfOesetseskraft erlangt, so werden
bedauerlicherweise die Lehrer PrenBens total abhiiiiijrif; von der Geistlichkeit,
sie werden ^Diener der Kirche", welche die Schule als „Tochter und Hagd
der Kirditr* zu beliandrlu halicii; dass dann jegliclicr Fortschritt der Päda-
gogik mit dem Maßstabe eines Thomas von Aquino oder des „Luthermanues
StScker" gemessen, d. h. anniehte gemacht wird, ist selbstverstitaidlich. Badens
Schnlgesetzentwurf dagegen 1 gestimmt:
„Lehrer, die einen durch die zuständige kin bliche Behörde ihnen angetngenen,
für die Kireheu- (Keligions-) Gemeinde, welcher der Lehrer selbst angehört, aus-
zuübenden Organisten- bezw. Vor8ängerdien>t überhaupt oder unter den ange-
botenen Bedingungen — anzunehmen sich weigern, können auf Antrag der lüich-
licben OberbehOrde des betrefTendcn Religionstbeiles dureh die ObersehulbehOTde cur
Übern;iliiiie und nt>ore;uii<; des Dienstes aiiijehaltcn werden. Dab(i sind durrh die
Obcrschuibebürdo uach Anhören der Kircheobchördc und des Lehrers der Betrag der
VergittuDg, sowie nStbigenfalls die weiteren Bedinguns^en festzusetzen, von deren
L( i-fi]nir b('7.w. Einhaltung die Verpflichtung des Lehrers zur t'lternahmc des Dienste
abhängig heiu soll. Andere niedere kirchliche Dienste dUrfen die Lehrer
nicht «bernehmen.**
Yon wesentlicher Bedeutung fBr die Stellung der Lehrer Badens ist
ferner, dass — lant des Entwurfes — die Lehrer aus ihrer bisherigen Zwitter-
sfellnng', wonach sie bald als Gemeinde-, bald als Staatsliedieiistete behandelt
werden konnten und infolgedessen eine Masse von Utizuträglichkriten zu er-
dulden hatten, als Staatsdiener, bezw. „etatmäßige Staatsbeamte- (nach
definitiver Anstellung) erklSrt werden. Dass infolge dieser Stellung der seit-
herige Besoldnngsmodus — Bezahlung: nach Ortsclassen — fallen und an
seine Stelle dieBezahlnng nach dem Dienstalter treten mußte, ist selbst-
verständlich. Durch diese Aiideriiuir. für weh-hr schon seit Deceiinien in den
badischen Schulzeitungeu plaidirt w uidc, wird eine Ungerechtigkeit von miss-
lichen Folgen aller Art beseitigt.
Der Anfaagsgdialt etnes etatmäßigen Lehrers betrftgt 1100 Mark,
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welcher bis 18(10 Mk. dmch Zulagen ansteigt: die erste (AnfangszuIaEre»
erfolgt uach Ablauf von drei Jahren seit dem Zeitpunkte der ersten
etatmsißigeu Auätülloug, die weiteren (ordentiicUeu) Zulagen erfolgen uacli je
vier Diensljahrui in der H9he Ton Je 100 Mk. AnBerdem hat jeder defloitl?
angestellte Lehrer eine IMe Wobnimg oder eine Wi^ungsentschädigang,
wie sie das Beamten gesetz'' je nach drei Ortsclasson normirt (350, 180 nnd
160 Mk.), zu beanspruchen. »Die Dienstwohnung soll in der Regel mindestens
vier Wohnräume — davon zwei von je 20 — 25 (^oadratmeter Graudfläihe
md heisber, die ttteigen toh je 15 — 18 Quadratmeter Gmndittehe, femer
eine Kfiehe nnd die sonet noeh erfinrderiiehen HaadMltQngBrBnme iimfinnnn *
Ferner erhält der erste (Haupt-) Lehrer, welcher vom Oberschnlrath bestimmt
wird, in Orten, die mindestens drei definitive Lehrer haben, 100, in Orten mit
mehr als vier Lehrern 200 Hk. Dienstzulage. Die Fllichtstundenzahl an ^ein-
fachen Volksschnlen" beträgt 32; iiir jede weitere wöchwtlich zu ertheilende
ünteniehtntiuide (ForaUdnngaechal- nndTanrnnteirieht) wird 60 MIc jSbrlieli
?ergütet.
Definitive Lehrerinnen erhalten Gehalt, wie die definitiven Lehrer, jedoch
nur bis zu dem Höchstgehalt von 1400 Mk. und nur Miet&eutschftdigimg der
oben erwähnten Ortsclasseubeträge.
„Lebrer nnd Ldirerinnen in niokt etatndlAiger Stelinng erkalten eine
Vergütung von jährlich 800 Mk. Dieae Vergütung erhöht sich auf 900 Mk.
für das Jahr für Lehrer und Lehrerinnen, welche die Dienstprüfune: bestanden
haben und zwar vom Anfang des auf die Ablegnng der Prüfung folgenden
Monats an." Neben dieser Vergütong haben die betreffenden Lehrpersoneu
einen mit dem erfbrderlicben Schreinwerk eingerichteten heisbaren Wohnraum
T<Ni mindettena 18 Qnadratmeteir Chrondflldie eder eine Mietbwntadüldignng
vom '/ft des obengenannten Wohnungsgeldes zu beanspruchen. Schulverwalter,
das sind provisorische Lehrer, weloho eine definitive Lehrstelle verwalten,
erhalten den für den detiuitiven Lehrer bestimmten I^etrag des Wohnuugsgeldes.
Der PensionB- nnd VSltwMigebalt — mterer tliditete sieb Ueker nach
dem Einkommen der Ortadawenstelle, letaterer betrog 390 Mk. jUulick anBer
dem Nahrungs- nnd Versorgungsbeitrag der etwaigen Kinder — richtet sidi
nach den Bestimmungen des „Beamtengesetzes", Nach diesem erhillt ein pen-
sionsfähiger Lehrer, wenn die Zuruhesetzung nach vollendetem zehnten, jedoch
vor vollendetem elften Diena^ahre eintritt, 30% der Summe, welche unmittel-
bar vor der Znmheeetznng den Einkommrasanachlag (Oehalt nnd Wohnonga-
geld) darstellt, nnd steigt von da an mit jedem weiter zurückgelegten Dienste
jähre um 1' / „ joner Summe; der Ruhegehalt darf 76 7o Einkommena»
anschlags nidit überschreiten.
Der Witwengehalt beträgt iK)"/o des mallgebendeu Einkommens-
anachlags; außerdem erkSlt eine Witwe wibiend der auf den Todeatag folgen-
den drei Monate den vollen Betrag des von dem Verstorbenen bezogenen Ge-
haltes und Wohnuugsgeldes /'Sterbegehalt). Das «rcsetzliche Waisengeld (bis
zum 18, Jahre) beträgt tiir Kinder, deren >[utter lebt, - ,„ des Witwengeldes
füi- jedes Kind; für Ganzwaisen, wenn nur ein Kind vorhanden ist, */,^, wenn
Bwei Kinder dieaer Art vorhanden aind ^/jq, wenn drei oder mehrere dieaer
Art vorittBden aind, fttr jedea deradbmi dea Witwengeldea.
Die Stftdte, welche der Stftdteordnung nnteratehen (diea aind die grMenn
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Sriidte des Landes), können ihr Schulwesen auf Grund des Gesetzes beliebig
ordnen, besitzen das Präsentationsrecht der Lehrer und haben keinen Beitrag
an dieStutMChnteaiw so leiffean; die Oehalte der Lehrpenonea milawn Jedoeh
miadeiteu so vid b^iigen, als dieselben anderwftrts nach doi geeetiUdieB
Bestimmungen bezögen. Die Bestreitung: der Ruheg-ehalte und Witwen- und
WaiBenversorjETung- liegt der Staatscasse ob. — Für die technische Leitung
kdnnen die Städte einen Kector (Stadtschnlrath; durch die staatliche Unter-
richtsTerwaltang anstellen. „Das Amt desselbcoi kann als ein Ar sieh be>
atdmidea eingeriehtet» oder ndt dem Dienste eines akadeadsch-geUldeteii oder
iHr höheren Unterricht geprüften Lehrers der Volksschule der Stadt yerbnnden,
oder al.s Nebenamt einem im Hauptdienst iuiderweit verwendeten, der staat-
lichen Untenichtfiverwaltuug unteratehenden Beamten übertragen werden.**
Würde diese Bestimmong des Entwurfs Gesetzeskraft erlangen, so müsste
dies in Hinsielit auf das Anseben des Volkssebollelurentaades lebliaft bedanert
werden, weil diese dann nolens volens von der Bekleidung dieser Stelle aus-
geschlossen würden und die Fordening der neueren Plldagog-ik unbeachtet bliebe,
M'onach der »Schule nur eine fachmännische Leitung ersprießlich ist. Un-
zweifelhaft halten wir einen tüchtigen und erfahrenen Volksschullehrer viel
geeigneter aar Versehang einer Beetorstelle, als z. B. einen akadeadsdi geUl-
deten Lehramtspraktikanten oder einen T'tarrcandidaten. Ebenso findet Para-
graph i)4 mit allem Recht seitens der Volksschullehrer die abfälligste Benrthei-
Inng. weil betreffender Paragraph verlangt, dass an erweitert i-n Scliulen'^
auch solche Lehrer, die für höhere Schulen ^Mittelschulen^ sich die Lehr-
befUiignng erworben liaben (Beallelirer), ferner akademlMh gebildete Lehrer
an denselben angestellt werden kOnnen. Hierdurch würden alle Volkssdinl-
lelirer, die der Volksschule tr< u geblieben und das Examen für „erweiterte
Schulen " abgi legt haben, eine Beeintrilchtigung erfahren. Die Volksschule
sollte nicht als Versorgungsanstalt für solche Herren betrachtet werden, für
wiMm die BehSrde keine enti^Bdiende VerweBduv liat 9nm cuique.
HoffenliUeh eorhllt andi dieser Paragraph keine Gesetaeakralt
In Vorstehendem haben wir die Grundzüge des badischen Volksschul-
ge.setzentwnrfs im großen und ganzen dargelegt. Er enthillt unleugbar be-
deutende Fortschritte, welche die Lehrerschaft dankbar anerkennt. Ein schönes
Vorrecht jedoch, das die definitiv angestellten Lehrer bisher besaAen, das Recht
der UnTersetabarkeit, ftllt mit dem neaea Ctaeets; die Lelurer sind, wie die
anderen Beamtea des Staates, ftmerhin „im Interesse des Dienstes" versetzbar;
anch ist eine nene Versetznngsart für die Lehrer, welche sie bisher nicht
kannten, vorgesehen: die „Strafversetzung". — Hinsichtlich der unverkenn-
baren Vorzüge dieser Gesetzesvorlage muss man die kleineren Übel mit in
Kaaf nehmen, da es aadankbar sein liieße, etwas Gutes sa verkenDea, weil es
hätte besser sein können. Indessen wird anch die Berathung des E^twnrfes,
das hoffen wir, noch manches Unebene abschleifen. Wie wir hören, wird
der rührige und wackere Lehrervereinsvorstand, besonders der Obmann des
Vereins, Herr Hauptlehi'er Heyd, noch dabin wirken, dass der Anfangsgehalt
anf laOO and der Höchstgehalt anf 2000 Mk. erhöht wird. Die badisohe
Leiirerodiaft verdankt die nnlengbaren Fortschritte, welche der in Bede stehende
Gesetzentwurf enthält, in erster Linie seiner Einigkeit, ferner der thätigen
und nmsichtigen Fürsorge des Lehrervereinsvorstandes und endlich dem wol«
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— 390 —
wollenden, lehrerfreundlicbeD and liberalen Ministei* Staatsrath Dr. Nokk.
Wir sweifeln nicht an der stellenweisen Verbesserung und Annahme desOeaetz-
entwnrfes aeiteiiB der Standekamneni. Zu wünschen wire, dais die in schwer-
Terstttndlicher Fassung gehaltenen, sogenannten „ÜhefimBgabestimmuDgen"
einer recht sorgfilltigen Durchberatlmiier unterzogen und manche Härtfii der-
selben beseitigt würden. Wir behalten uns vor, Uber den \Yeitereu Verlauf
der Sache s. Z. zu berichten.
Zun ScUnase IBgen wir noch die HlttheUnng an, daas man sich in Übe-
ralm Ereiiea Badem darüber \vu|idert, das» der prenßlsche Minister Mlqnel,
welcher sich vor etwa drei Jahren noch für keine ptnrre confesKionoIlt' .Ingeud-
erziehang in Hannover aussprach, die Hand zu einer englieizit^-((infe.s»ionellen
Schulgesetzentwurf bieten kuuute. Wir möchten dem Uroüstaau; i'reoßeu, der
nodi eo vielea an der Schale and den Lehrern gntanmaolien liat, snrofen: Gehe
nach Baden und lerne Ton ihm! — r.
Bei den academischgebildeten Lehrern Badens ist eine Petition im l'iu-
lani^ in welcher am OleichrteUnng in Gehalt and Alterszulagen mit den Amte-
richtem gebeten wird. Die genannten Lehrer wurden nämlich durch das
Bcamtengesetz insofern verletzt, als den Bichtem nach zwei Jahren die erete
Zulage von öUOMk. nach je acht Jahren bis zur Erreichung des Maximalsatzes
von ÖOOO Mk. zugestanden ist, während den Professoren nach zwei Jahren
nor 400 Hk. nnd je alle drei Jahre nur je 4(J0 Mk. zugedacht worden. —
Wir wünschen besten Erfidg.
Mannheim. (Kesolutiou.j In einer dahier abgehaltenen Versammlung
dea Freisinnigen Vereins hielt Herr Dr. Menser einen Vortrag über den
preußischen Schulgesetzentwurf unter Bezugnahme auf das badisehe
Schalgesetz, worauf fnl^ende Kesolution einstininiitr angenommen \vurde:
„Die am 1). Februar 1892 durch den Frei.siunigen Verein einberufene
Versammlung spricht die Überzeugung aus, daß die Durchführung des
prenflischen Sdralgesetzentwnrfh, bei der innigen geistigen Zoaammen-
gehörigkeit aller Theile unseres Vaterlandes einen unheilvollen Einfluss auf
die culturelle Entwicklung der ß-esaramten deutschen Nation ausüben würde.
Sie dankt daher den freisinnigen Abgeordneten des preußischen Landtages
für ihre energische Bekämpfung dieses Entwurfes und hofft, daß es den
verebiten Bemübangen der Liberalen aller Sdiattirungen gelingen wird,
die Annahme deaselben an verhindern. Qegoiftber den im prenHiaelMii
AbgeordnetMÜiaoBe geiUlenen Äusserungen erklärt die Versammlung, dasa
sich die confeasionel! gemischte Volksschule Badens seit einer Reih«« von
Jahren in segensreicher Wirksamkeit erprobt hat und dass die große
Mehrheit des badischen Vollces entschlossen ist, an dieser Errungenschaft
einer toleranten nnd flreigeainnten Geeetzgebnng mit allen Krilten fiost*
anhalten." N. B. Seh.
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Aas sSacUsen. (Nov. 1891 bis Jan. 1892.) Der Uobea Eutwicklongs*
atafe, auf welcher nadi dem Zengnii vieler muer VoIksecliolweMii steht, ent-
spricht allerdingfs noch nicht die materielle nnd soziale Stellung der
Lehrer. Die Blicke derselbf^n sind aus diesem Grunde auf den gegenwärtig
versannnelten 24. Landtag gerichtet, der im Novemher vom Könige mit einer
Thrunrede eröffnet wurde, welche u. a. ankündigte:
«In Dbereinstimmong mit den Gründen, welche m cAier aUgemelnen
AnfhesaeniDg der Beuntengebalte ftthren, wird Ihnen anch ein Geeetc-
entworf über eine ErhSlinng der llinimalgehalte der Volkaachnl*
lehre r vorgelegt werden.
Die letzte Ständeversammlong hat sich ferner für eine neue Regn-
linmg der Pensionsverhältnisse der Geistlichen und Lehrer ausgesprochen.
In diesem Sinne werden Urnen einige Geeetie nnd mehrere Ändeningen
der statotariechen Beitimmnngen der Landesoniveraitit zur BeschlieBong
zugehen."
Und in dem dem Landtage vorgelegten Berichti; hieU es:
Den Anträgen der letzten Ständeversauimluug gemäß ist erlassen worden:
dae Geeeta, 6m WegfUl der Penaionabeitrtge der Geiatlieben nnd Lehrer be-
treffend, unter dem 10. März 1890.
Dem bei Berathang des vorenvJlhnten (.fesetzes über den Wegfall der
Fensionsbeiträge der Geistlichen und Lehrer gestellten Antrage und tlei in
Beziehung hierauf in dem letzten Landtagsab&chiede gegebeneu Zusicherung
entspreehend wird nnnmdir den Ständen ein Geietientwnrf, die Anfhebnng der
Befreiong der Geistlichen und Lelirer von den penSnlichen Anlagen filr
Kirchenzwecke betreftoud, zugehen.
Wegen Gleich.stellung der Pensionsverhältnisse der Geist-
lichen nnd Lehrer mit denen der Staatsdiener haben die angestellten
Ihrw&gnngen nr Anfttelluug zweier Uoranf beBOglicher GesetaentwVrfe ge-
fBlut, welche den Standen gleiohlUls angeben werden.
Ein weiterer Gesetzentwurf wird, den Vrrliandlungen über das letzte
Finanzgesetz entsprechend, den Ständen vorgelegt werden, welcher bezweckt,
die für die Schulgeraeinden au.sgesetzten Staatsbeihilfen danernd zu gewährtn.
desgleichen ein Gesetzentwurf, welcher eine weitere Erhöhung der Lehrer-
geiudte an den Volksschvlen in Aussicht nimmt
Von der (bei Gapitel 96 des Staatshausbaltsctats) von den Stäuden er-
theilten Ermächtigung zur Gewitlirung einer Unterstützung für die Lehrer-
bildungsanstalt des Deutsclien Vereins für Knabenhandarbeit zu
Leipzig ist Gebrauch gemacht worden. (Vgl. hierzu: Psedag. Xii, Heft 9,
Bindschan.)
Der Gesetzentwurf, welcher die Befreinng der Lebrer and Geistlicben
von den Kirchenanlagen aufhebt, ist bereits im Januar angenommen wor-
den.— Von den beiden anderen Entwürfen entspricht der über die Pensions-
verhältnisse der Geistlichen und Lehrer allen Forderungen der Gerech-
tigkeit: Die Lebrar werden nebst den OelstUeben den ^aalsdienem gleieb-
gestelltl Endlicbl sagen wir, ons frenend. Dasa der Oesetaentwnrf nnver-
Jlndert Annahme finden wird, ist mit Sicherheit anzunehmen. So ist doch das
unablässige Streben des Allg. Sächs. Lehrervereins, der noch 1888 in einer
gründlichen Denlcschrift seine Wünsche in Betreff der Pensionsverhältuisse der
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— SÖ2 —
Volksschollehrer darlegte, nicht vergeblich gewesen. (S, P?pdag. XI, Heft 2.)
Das Gesetz soll zngU'icli rückwirkende Kraft erhalten; es beabsichtigt, die
i'eusioneD der bereits im Ruhestand betindiiehen Geistlicheu aud Lehrer, sowie
derHInterlaasenen derselben in derselben Weise n erhöhen, wie dies in einen
anderen Gesetzentwntfe für die im Ruhestand befindliolien (Hvilstaatsdienfir
und deren Hinterlassenen beantragt ist. Es sollen daher erhölit werden 1. um
12* Prozent die Pensionen der Geistlichen und Lehrer bis mit 15CX) M., der
Witwen bis mit 000 M., der Halbwaisen bis mit 120 und der Ganzwaisen bis
mit 180 M.; 2. um 10 Proaeat die Peasionea dar Gttttlielieii imd Lehrer von
1600—3000, der Witwen von 600—1200, der Halbwaisen von 120—240
wid der Ganzwaisen von 180 — 360 lt.; 3. um 7^/,PraEent alle liSheren Pen-
sionen.
In der Vorberathuug erinnerte Abg. Geyer daran, dass vor zwei Jahren,
als die Regierang den Erlass der Pensionskassenbeiträge für die Geistlichen
nnd Lehrer beantrag die socialdemokratisehe Partei diesen EtIms awar für
die Lehrer bewilligt habe, nicht aber für die Geistlichen, welche ohnedies in
behaglicher Lage sicli betltnden. Auch diesmal werde aus demselben Grande
seine Partei die Ptiisionserhühungen nur fiir die Lelirer bewilligen.
So erfreulich unser i'ensionsgesetz; gestaltet werden soll, so viel lässt das
Dotationsgesetz nocli zu wünschen übrig. Der vorgelegte Entwurf besagt:
§ 1. Das zu Geldwert angeschlagene Gesammteinkommeu eines
stftndigen Lehren oder einer ständigen Lehrerin an dner VollEsschnle
darf nicht unter 1000 M. jährlich betragen. Die Anzahl der von dem
Lehrer oder der Lehrerin zu unteriichtenden Kinder ist hierbei ohneEin-
fluss. Die freie Wohnung oder die Wohnungsentschädis-ung ist in diese>
Einkommen nicht einzurechnen. Das Einkommen vom Kircheudienste
darf in dieses Einkommen vom Sdraldienste nor insoweit eingereciinet
werden, als es die Somme von 900 H. Jshrildi übersteigt
§ 2. Den Schuldirectoren ist neben freier Wohnung oder einer ent-
sprerlienden Geldentschildigung dafür in Orten bis zu 50()G Kinwohneni
ein jährliches Einkommen von niclit weniger als 2100 M., in Orten von
mehr aU 5000 Einwohnern ein solches von nicht weniger als 2700 M. zu
gewähren.
§ 3. Jedem HiUttehrer ist anlter freier Wohnung und Heiznng oder
einer Ton der Beslrksachnlinspection genehmigten RntsehMigwng dafttr
ein barer Gehalt von wenigstens 720 M. jährlich auszusetzen.
§ 4. Das Einkommen ständiger Lehrer und Lehrerinnen an Volks-
schulen, welche mehr als 40 Kinder zählen, ist durch Zulagen, welch«-
die Schuigemeinde zu gewähren hat, folgendei'maßen zu erhöhen: Nach
einer vom erfüllten 25. Lebenijahre des Lehrers an sa rechnenden Dienet*
seit yon 5 Jahi«n Mb anf 1100 K., von 10 Jahrmi bis aaf 1200 K.,
von 15 Jahren bis anf 1300 M., von 20 Jahren bis anf 1400 If., von
25 Jahren bis auf 1500 Äf. In Orten von mehr als 5000 Einwohnern
sind diese Gehaltssätze auf 1200 M., 1350 M., 1500 M., 1650 M. und
1800 M. zu erhöhen. Den sündigen Lehrern nnd Lehrerinnen an Volks»
schulen von 40 nnd weniger Kindern sind in Jedem der angegebenen fünf
Stadien 60 H. sonlegen.
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Die GefieU vorläge euthUit weit niedrigere SäUe, als der Alig. Sächt.
L.-V. in Beiner im letiteo Herbate eingerelehten PetitioD erbeten hatte, nftm-
Ueh: für alle festangestdlten (ständigen) Lehrer: 1200 M. Anfaugsgehalt und
nach je 4 Jahren Erhöhung auf 1400, 1600, 1800, 2(XX), 22(X) und 2400 M.;
frir Hilfslehrer: 900 M.; für Directoren: 2700— SOCK) M. — Sofort nacli Be-
kanutwerden dieses Entwurfes hat der Vorstand des Sächs. Lehrer Vereins eine
atatistiaohe Erhebung vornehmen lassen, welche dargethan hat, dass die
G^esetsesvorlage dnreh die thatsftchliehen Yerh<nisie Wt ftber-
holt iat, vnd dass die geplante Avfbeesemng kaum den Namen einer Nach-
besserung verdient. Es würden, wenn der Entwurf Gesetz würde, von 291
Directoren 241, von 3737 Lehrern 3594 und von den 1380 Hilfslehrern
1155 nichts zagelegt erhalten; das sind je ca. 83, 93 and 84 Proceut der
Geaammtheit! Von „allgemeiner** und „dnrehgreifender" Anfbenemng kann
da keine Eede sein! — Die Enttäuschung and Missstiiniiuing der Lehrerschaft
nach dieser Seite hin war groß. Und sie ist auch iu entsprechender Weise
zum Ausdinck gekommen, z. B. in dei- „Neuen Piidag. Revue" von Beeger
^^1891, Nr. 6, ä. 41. Leipzig, Zangenberg & Himly;. Auf diesen die Sache
vSUig toetaden Artikel mag hier der Kürse halber noch hingewieeen sein,
ebenso anf die orientirenden Uittheilnngen der umsichtigen „AWg. Deutschen
Lelirerztg".'^ f]891, S. 4ö2, 8. 493, Leipzig, Klinkhardt). Der Vorstand des
Landeslehrervereins hat die Er^;:ebni8se seiner Statistik den Ständen in einer
Denksduill überreicht, und es ist zu hoffen, dass dieselben die Sätze der Vor-
lage om efewaa erhöhen weiden. Indem wir dieser HolBinng Banm geben,
woUen wir ragkioh henroriiebeo, da» die Bitten der Lehrer anch yon G-eiat-
lichen nntersttttst werden: Die Pastoralconferenzen von Lommatzsch,
Nossen und Wilsdniff haben im letzten Monat an beide Ständekammern eine
Petition gerichtet, in welcher gleichfalls um eine höhere Normirung der Lehrei**
gebälter gebeten wird. Die Petenten sagen, dass ne in ihrer amtlichen Thätig-
keit das Wirken der Lehrer aar Genüge keanw zn lernen Gelegenheit haben
und demselbeil ihre Anerkennung zollen, und bringen im Weiteren dieselben
Gründe vor, welche die Lehrer für ihre Bitten ins Feld geführt. (S. „Sächs.
Schalztg." 1892, Nr. 5, S. üO, Leipzig, KUnkhardt, Preis 0,20 M). Man
hofft, dass die selbstlose Bitte der Pastoren nicht anbeachtet bleiben werde.
Wenn aveh diese meinen, was wir sagen, so wird es wol wahr sein! Alle
Eh(e aber solchen Geistlichen, die, nachdem ihnen Gott gegeben reichlich (oder
wenigstens binreicliend), aucli iliren Mitarbeitern günstig gesinnt sind! Mit
solchen Männern, die in echt geistlichem Sinne reden und handeln, wer-
den die Lehrer allezeit gerne am Werke der Voikserziehung arbeiten. — Ein
weiteres über diesen Gegenstand wird den geehrten Lesern bemerkt weidan,
wenn der Entwarf znrBegsbug der Lehrergahllter, Terbessert oder— nicht
▼erbessert, beschlossene Sache sein wird.
Im diesjährigen sächs. Staatshaushalt sind die meisten Kapitel mit viel
höheren Beträgen als früher eingestellti so sind für die Lehrerseminare in-
folge BililMNUig der Ldurer- nnd Beantenbesoldangeu imd Eäi»niuig eines
Seminargebändee in BocUitB 436190 IL, für die Volkssehnlen wegen der
Beihilfen an die Schalgemeinden zur Bestreitang ihrer Lehrergehalte and
Steio-ernng der Lehrerzalil. ingleichen wegen Verstärkung der Fonds zur Ge-
wäliraug von Unterstützungen und Beihilfen an Volksschallehrer and Schol-
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gemeindeu, zur Fürderuug des VolksscbulweseDS und zur Gewährüiig von P«i»
sionen etc. an Lehrer und deren Hinterlassene 1 956 178 X. mdir angesetzt
Zugleich ist mitgetheilt, dasB die Erriehtiag einet nenen Seminare
in Plauen bei Dresden für die Finaonpeiiode 1894/95 in Aoasieht genommen
sei (S. rjfda^. X. Heft ^
Dem Minister v. Gerber, ^veleher die drei genannten Gesetzentwürfe
vorlegte, sollte es nicht be schieden sein, dieselben unter Dach zu bringen. Bin
plOtdidier ToA nflte «m 23. Deeember den 68jfthrigen Stnatemaan hinweg,
der fiber 20 Jahre an der Spitze des sächsischen Ministeriums den Cnltos nnd
öffentlichen Unterrichts g^estanden. In der letzten Landeslehrerversamralnn»-
war V. Gerber das erste Mal unter der Volksschullehrerschaft erf^cliit n* n.
(S. Paedag., Dez.-Heft dies. Jahrg., S. 184 f.) Es sollte leider zugleich das
letnte Hai sein. Uan hoflite nfanlioh eeitdem, dan Dr. Oerber nnnmdu: anch
den Volknehnllefareretande eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden werde;
man vermutet auch, dass die Petition des Allg. S.lchs. L.-V., am 14. Okt ein-
gereicht, bei Ausarbeitung des Gesetzentwurfs über die Lehrergeliiilter nicht
mehr hat berücksichtigt werden können, weil derselbe vielleicht schon fertig
war; man glaubt nlebt allgemein, daaa nnsere Bitte so sehr hat nnberficksich-
tigt bleiben sollen. — Unter dein Minister v. Oerber ist in Saehsen für des
Schulwesen, insbesondere aber für das der höheien Schulen, viel gethan
worden, und eine große Anzahl segensreicher Gesetze und Einrichtungen sind
unter seinem Namen ergangen. Naturgemäß kann nicht alles Geschehene
sein Verdienst sein, da ja jede mächtige ZeitstrGmnng sehHeMid» sn Ände-
rangen nnd Besserungen führt, gleldiTid, wer an der Spitne steht
Karl Friedr. Wilh. v. Gerber war am 11. April 1823 zn Ebelebeu im
Förstenthum Schwarzburg-Sondershansen geboren, wo sein Vater Rector der
Stiftsschule war. Er besuchte das Gymnasium zu Sondershausen und widniete
sich von Ostern 1840 bis 1841 in Leipzig unter Albrecht and Puchta, dann
bis 1843 unter Wttermaier nnd Vangerow, dem Stndinm d«r Beehtswissoi*
Schaft. Nachdem t r 1843 dif juristische Doctorwtirde erworben hatte, trat
er 1844 als Privatdocent in die Universität Jena ein, um sich der akademi-
schen Lehrthätigkt it /u widmen, liii .Talire 184() erschien sein grundlegendes
Werk: Das wissenschaftliche Priucip des gemeinen deutschen Privatrechts,
worin Gerber dieDogmatilc des dentsehenPriTatreohts auf nenen Boden stellte.
In demselben Jahre wurde er zum ausserordoitliclien Flt>fessor ernannt, nnd
1847, einem Rufe nach Erlangen folgend, übernahm er als Naclifolger von
Laspeyres die ordentliche Professur für deutsches Recht an der dortigen Uni-
versität. Gerber war also im Alter von 24 Jahren bereits ordentlicher Pro-
fessor. Alsbald ging er in Erlangen an die Ausarbeitnng seines Systems des
dentsehen Privatrechts, das in den Jahren 1848 nnd 1849 in Jena erschien.
Dieses bahnbrechende Werk hat bis heute immer neue Auflagen erlebt und
steht noch allen ähnlichen Werken voran. Es brachte ihm 1851 den Ruf
nach Tübingen, wo er als Professor und Nachfolger von Wächters die Stellung
eines Kanzlers der Universität fibemahm. Damit erhielt er zugleich Sitz und
Stimme in der wflrttembevgisehen Kammer der Abgeordneten. In den Jahren
1857 — ü^ni nahm er als Abgeordneter des Königreichs WIrttemberg thätigen
Antheil an der in Nürnberg nnd Hamburg tagenden Konferenz zur Feststellung
des deutschen Handels- und Seerechts; um das Zustandekommen dieses Werkes
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hat er sich besondere Verdienste erworben, l^arauf wnrde ihm im MUrz ISOl
das Ministeriam des Cultns in Württemberg angeboten, dessen Übernahme er
jedoch ableimte. Dagegen nahm er 1862 die Berofang zun Professor der
Bechte und Obenppellatioiisgeriehtawtti in Jena ao, doch Tertamdite «r diese
Stellung 1863 mit der Professur des deutschen Privat-, Staats- und Eirchen-
rechts in Leip/J^j:. Hier ließ er 1865 seine Grundzütre eines Systems des
deutsclien Staatsrechts erscheinen, wiederum ein errundlependes Werlt für die
wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes, auf dem z. B. Lahand in seinem
Lehrbndie de« dentBchen Staatereelita dnrehaiu ftaBt Im Jahre 1867 war
Gerber Mitglied des constituirenden Reichstags des Norddeutschen Bundes, und
1871 stand er als Vorsitzender an der Spitze der ersten T.andossynode in
Sachsen. Als in denjselben Jahre Freih. von Falkenstein von seinem Amte
zurücktrat, berief ihn Se. Majestät der König von Sachsen als Staatsminister
nod Minitter des Cnltos and «fftotUelien Vnterriehtes n denen Naehlblger.
Von «laeenschaftllchen VeröffentUehangen sind fernerliin nar nodi die Ge-
sammelten juristischen Abhandinngen (.lenal872) zu erwähnen, in welchen er
zahlreiche kleinere Schriften und Aufsätze besonders ans den von ilim und
Ihering 1857 gegründeten Jahrbüchern für die Dogmatik des rümischen und
denfiieliMk FÜTatnehts Tsreinifte. Um so bedenkender Isl die Thatigkeit, die
Geriier als Staatsmann entfUtete. Wichtige Aal^ben hat er mit groflem.
Geschick und weitschauendem Blick zum Segen für Saduen ge15st. Zunächst
verdanken wir seiner ^fitwirknug das Znstandekommen der kirchlichen Gesetz-
gebung (1873 und 1S74), durch welche das Verhältnis zwischen Staat und
Kirche in befriedigender Weise festgestellt wurde. £ine schwierige Aufgabe
wnrde dnrdi diese GesetagebaniT ^ grondlegender Weise gelöst. Nieht minder
rittd unter Gerber die Verhältnisse der katholischen Kirche zum Staate geregelt
worden ; liesffn die Verhältnisse hier wenitrer schwieriof als auf dem gleichen
Gebiete in Preuüen, so ist es doch nicht zu unterscliätzeii, dass wir durch diese
Gesetzgebung vor allen kirchlichen Streitigkeiten bisher durchweg bewahrt
worden sind.
Von giMter Bedentang ist sodann das Gesetz über das sächsische Volks-
schulwesen vom 26. April 187B nebst den Ansföhrungsverordnungen vom
25. August 1874, dem seitdem eine lange Reihe ergänzender Gesetze und \'er-
ordnungen gefolgt sind.*) Wenn wir nicht irren, steht bis jetzt dieses um-
Ihsseode Oeseti in Deutschland einzig da. WSluend man in PreoBen hente
bemüht ist, ein •olehes Gesetz erst ins Leben m rafen, hat sieh diese bedeut-
same Schöpfong des verstorbenen Cultusministers v. Gerber bei uns schon
17 Jahre lang bewährt. Die Aufgabe, der Kirche wie den Gemeinden gleich
gerecht zu werden, ist hier ziemlich glücklich gelöst. Nicht minder wichtig
ist die Gesetzgebung auf dem Gebiete des höheren Sehnlwesens, die unter
Gerbers Leitung Ar Sachsen ins Leben getreten ist Hier ist das Gesetz
fiber die Gymnasien, Bealschulen und Seminare vom 22. August 1876'*) zu
erwähnen, das als grundlegende Arbeit auf diesem Gebiete die erste Stellung
einnimmt. Dieses wie die ergänzenden Gesetze von 1882 und 1884 — letztei-e
die Kealgymnasien und Kealschulen betreffend — haben bewirkt, dass Sachsen
bis heute eine herroiiagende SteUnncr auf dem Gebiete des höheren Sehuhmens
*) StamitUeh enchienen bei CO. Heinhaid dt Söhne in Dieideii.
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eingenommen hat. Die jetzt geplante £lehiilreform völlig dnrchgeftthrt zu a«heD|
war dem Minister nicht vergönnt
Verdienste bat er sieh ferner nm die Weiterentwiokelang der Laodee-
üniTenitat Leipdg erworbeii; Ml&er Anregimg und Wirksankeit yerdankt sie
es mit, dass sie gegenwärtig eine der ersten Stellen unter den deutschen Uni-
versitäten einnimmt. Mit Krfolg ist Gerber bemüht gewesen, ihr stets tüchtige
Kräfte znznfiihren. Die grußurtigeu medizinischeu und naturwissenschaftlichen
Institute, die einen großen besonderen Complez ausmachen, sind ihrer wissen-
schaftUchen Disposition nach Mnstennstalten. Die prMbtvoUe neue BibUothek
and die Aogenheilanstalt bilden die letzten Glieder di<>ser bedeotsamen Nen-
bauten. denen diircli ein nen*'8 Auditorienhaiis der Abschluss gegeben werden
BoU. Auch ißt zu erwähnen, dass unter Gerber das Polytechnikum in Dresden
zur Uocbschulc umgebildet worden ist.
Zu Anfang Janaar meldeten Ii« Amtsblfttter; Se.Mioeetit der KOfrig hat
dem zeitherigeu Geh. Hegierungsrath im Ministerium des Cnltus and (MBuit-
Uchen Unterrichts Kiirt Damm Paul von Seydewitz nnter Ernennung: znm
Staatsminister die Leitung des Ministeriums des Cultus und öffentlichen
Unterrichts übertragen, ingleichen den Auftrag in Evangelids ertheilt. —
HOge das Wlilnn das neaen HlniiUn fllr die Allgemeinheit and ftr die
Lahrersehaft im besonderen ein gesegnetes sein!
Die Sohnlanstftnde In Bosnien und der Hercegovina. Solange
Bosnien and die Hercegovina nnter der Osmanenherrsehaft gestanden, imd so>
lange dort hinsichtlich der Verkehrsmittel und der Sicherheit des Lebens und
des Eigenthums die asiatischen Zustände auzutrelteii waren, haben sich sehr
wenige getraut, diese Länder behufs einer wissenschaftlichen Erforschung zu
bereitea, seitdem aber diese Provinsen durch Österrdch-Ungam oeonpirt und
dort die herrlichsten Verkehrsmittel angelegt sind, und seitdem dank der
Energie der Staatsmänner eine moderne Verwaltung eingeführt ist und in
jeder Hinsicht geregelte Zustände platzgegriffen haben, hat die Gelehrtenwelt
diesen Ländern mehr Aufmerksamkeit geschenkt, and es piigeni Archäologen,
Geologen, Kartographen and viele andere daliln, nm Fmhnngen aaBBiteto
und ilir Wissen zu bereichem. Über die seit der Occupation dieser Lftnder
allseits wahrnehmbare cnlturelle Entwifkelung; ist bereits soviel Gutes ge-
schrieben worden, dass die Staatslenker mit Stolz auf diese Erninß:enschaften
zurückblicken können. In allen Verwaltungszweigen ist ein bedeutender Fort-
sobritt bemerkbar, und aneh auf dem Gebiete der Volksbildang ist bereits
vieles getlmn, obwol noeh manebes naebgeholt werden mnas*
In jedem geregelten Staate bildet die Schule einen sehr wichtigen Factor,
denn von einem gut und praktisch organisirten Schulwesen hängt die Zukunft
desselben ab. Als Schulmann habe ich mir zur Aufgabe gemacht, das Schul-
wesen in den oecaplrten Provinzen einer näheren Betrachtung zu unterziehen.
Wfthrend meiner actiTen Dientüeistnng als Sehnlinspcetor In dar «ehe-
maligen Militärgrenze hatte ieh Gelegenheit gehabt, das bcMsnische Schalwesen
vor der Occupation kennen zu lernen und ließ im Jahre 1879 Uber die dama-
ligen Schulzustände im „Piedagogiam'' eine kurze Skizze erscheinen. Damals
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gib M in Bosnien unrl der Ilercegovina nar confessionelle SchakB n, S. Wtttn:
917 muhaniedaniscLe Elenientaisclmlen (türkisch ra^tefe);
41 röm. katb. Elementarschulen;
57 gr. or. Elementanchiileii;
43 höhere umhaniedanische Schulen (tärkisch MedreiM) und
24 Bürgerschulen (türkisch mektebi rizdje i.
Diese letzteren waren bezüglich des LrhrstKrtes und des Untenichtszieles
ganz priiuitiv und ähnelten nicht im entferntesten unseren gegenwärtigen
Blrg«ndiid0D.
Nach den statistischMi Datm vom Jahre 1890, «Im naeh VerUuif Ton
12 jähriger Occupation, bestehen nun im OccupatiODSgebiete folgende Sdllden:
1 vollstilndiges Ober-Gymnasium in Sarajevo;
1 Privat-üymnasium in Travnik (unter der Leitung der P. P. Jesuiten);
1 teehnieelie Sehlde in Sin^vo;
1 FHlperaiidle in San^jevo sor Heranfaüdiuig der Elementuielirer (Internat);
1 Militär-Pensionat in Sarajevo;
8 Handelsschulen;
41 Medresse;
26 röm. kath. Elementarscbolen;
68 gr. w. Elenientamhnlen;
1 israelitische Elementarschule;
4 Privat-Elenit'ntarschulen und
löU allgemeine Elementarschulen.
Aus diesen Daten ist ersichtlich, dass der confessionelle Charakter der
Elementanehnlen sieht ganc gewichen iat, and diea Ibafc aieh anch nicht sehald
erwarten, zumal die GegensHtze der einaelaen Religionegenossenschaften an
scharf zugespitzt sind. Die jüngere Generation * dürfte vielleicht in dieser
Hinsicht mehr znr Einsicht ijelangen, die Schule als eine allgemeine, allen
Bewohnern des Landes gleich zugängliche Bildungsstätte anzusehen.
Verglefoht man die Scfanlsnitände, wie sie vor der Occupation bestanden,
mit den gegenwärtigen, b6 sieht man, dass anch anf dem Gebiete des Unter-
richtswesens ein bedeutender Fortschritt gemacht worden ist; obwol sich nicht
leugnen lässt, da.>;8 manches nicht so anfgefasst nnd durchgetnhrt werde, wie
es die pädagogischen Principien erheischen. Zur Klärung der so wichtigen
Angelegenheit werde ich einige Hängel, welche bei der Organisation des Schul-
wesois wahnnnehmen sii^, h^verheben nnd insbesondere die Erfiehtnng der
Handelsschulen einer näheren Besprechung nnterziehen. Derjenige, der mit der
Organisation de.s Schulwesens betraut wird, muss nicht nur höhere ]iädago-
gische Kenntnisse, sondern auch praktische Erfahrungen auf dem Gebiete der
Organisation dieses wichtigen Cultuizweiges besitzen; er soll nicht nnr das
Sehnlwesen seines Heimatlandee, sondera anch das Schnlwesen anderer Cnltnr-
staaten genau kennen , damit er das Beste filr das Land . wo er sehe Thttig-
keit entwickelt, herausfinden nnd den Landesverhältnissen anpassen könne.
Man mag in einmi Frovinzial-Stiidtcheu ein guter VolkssehuUehrer gewesen
sein, ohne deshalb die Fähigkeit eines Organisators zu besitzen.
Wer ein Oebftode solid nnd dauerhaft anfftthren will, der mnss Ter
allem darauf bedacht sein, gutes und gesundes Material zu bekommen, nnd
solches wfiAhrenen nnd bewälirten Ueistem anr Bearbeitung übergeben. Wendet
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mau diesen (iesichtepunkt auf die bosnischen Handelsschulen au, su masB
man onwUlkfirlich zu der Überzeugung; gelangen, dass man diese Schulen
ohne Bflckiicht auf die VorbUdimg der Freqnentanten entatdien lieft. Der
Zweck der Handelsschulen ist, ihren Zöglingen eine den Bedürfnissen des
praktischen Gcsolillftslobfns möglichst entsprechende faolili<-lio Ansbildnuf^ zu
gewiiliren, und nebstbei auch jene allgemeinen Bildiingszwecke zu fördern,
welche die Hauptricbtung dieses Fachunterrichtes /unäclist ergliuzeu. Auf
Onind dessen rnnss demnach der ünterridit in diesen Schulen das gaoxe QeUet
der kanfmännisclu II Fach\vi86enicbaflten, sowie die hierzu gehörenden wicht^-
sten humanistischen Lebrfärlier umfassen. Vm dies erzielen zu können, müssen
die Zöglinge dieser Lehranstalten \vfni{rstt'iis rino Hür^;('isi:hule oder fin Fnter-
gymuasium oder eine Uuterrealschuie mit gutem Erfolge absolvirt haben. Ist
dies aber bei den bosnischen Handelaschnlen da- Fall? Ndn! Die bosnischen
Handelsschulen bekommen ihre Zöglinge ans den allgemeinen Elementarschulen,
rwo die geistigen Anlagen noch nicht '<o Piitwirkolt sind, um die verschiedenen
rnterricht.sgegenstiinde mit Erfolg autfassen zu köjinen. Durch die t'bt'rbür-
dung mit Lehrstoff muss die Jugend geistig erlahmen und auch in der körper-
lichen BntwiokeliiDg gehemmt werden. Jeder pädagogisch Gebildete weift ans
ErfUimngr, dass dnrch Überladong des Lektionsplanes mit ünterrichtsDlchem,
die ein buntes Allerlei bieten, das Wissen, mit welchem vielleicht für die
T'rütung frepninkt werden kann, ein äußerliches bleibt, im Gemftth aber keine
Wurzel schlägt und der Entwickelung des Geistes besonders bei sehr mangel-
haft Vorgebildeten keine feste Grundlage bereitet. Alles oberflächliche Wissen,
aUes blos gedftchtnismBftig angeeignete, nicht mit yoUer SelbstthStigkeit und
Theilnahme d^ inneren Menschen Erworbene leistet der Blasirtheit, welche
jede gründliche Geistesarbeit hasst, Vorschub. Ein treib]inusartig«>r P>\verb
von Kenntnissen und Fertfgkeiten hat keinen Halt und ist für die ileuschlieit
verderblich. Die bosnischen Kinder sind zwar von der Natur gut heanlagt,
aber Wunderkinder sind sie doch nicht Unreif kommen sie in die Handels»
schule und unreif müssen sie diese Anstalten verlassen und werden zuletzt als
kaufmilnnisches Proletariat auftauchen.
Die Idee zur Krri( lituu^'' der Haiidelsscliulen in Bosnien und der Herce-
govina, wo der liandelü verkehr ein ziemlich reger ist, ist zwar sehr lobens-
wert, aber zu yerfrOht. Hfttte man statt dieser Scholen Bftrgerschnlenf
wie solche in Österreidi-Ungam errichtet sind und sich sehr bewährt haben,
hergestellt, so hJltte man nicht nur den Rürfrerstand, dessen geistige Bildung
noch in den Windeln liegt, gpisti;r gehoben, sondern auch einen selir brauch-
baren Nachwnclis für die Handelsschulen und die Lebi*erbildungsan8talt und
bei eventneller Bnichtung der Gewerbe- und Ai&eibaosdiulen andi fflr diese
Anatalten gewonnoi. Sdche Bfligersdiolen wSren fOr Bosnien und die Heroe>
govina eine große Wolthat und würden eine höchst segensreiche Wirkung
hervorbringen. Ans dem ErvvUhnten sieht man, dass das Material für die
Handelsschulen nicht gut ist, und dass somit auch das Gebäude nicht solid und
dauerhaft genannt werden kann.
Wie steht es aber mit den Lehrpersonen dieser Fachschule? Gerade wie
mit den Zöglingen. Ich glaube mit TJeeht behanpten zu dürfen, dass kein ein-
ziger Lehrer an diesen Handelsschulen eine speciello Farhbildung für derlei
Anstalten besitze. Ich kenne einige, die in der ehemaligen Müitärgrenze
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einfache Volksschullelirer waren, und nnn finde ich sie als Directoren solcher
Handelsscholeu. Wo and wie sie sich die Jb'achbildang für eine Handelsschule,
wo doch die Landenpraohe (kroatfaeh-MTbiach) und ihre Literatur, tanftatopiache
BaehfUminirt HandelacomapoDdeDs, Wechselredit, Hudelageographie, Haadela*
geachichte, Warenkunde, Handelsrecht, kaufmännisches Rechnen, die Grundzüge
der Nationalökonomie und wenigstens eine fremde Sprache (deutsch, französisch,
englisch oder itaiieuisch) zu lehi'en sind, erworben haben, bleibt mir ein Käthsel.
Wenn man die Eichtling der Handelsschiilen fiir nothwendig gehalten
hat, ao hfttte ea Torlialtg genllgt, eine aolche Sehnte an die teehnfaehe Schale
in Sarajevo durch Enichtung eines dre^ährigen Cursns anzulehnen, wie man
dies an dt r Oberrealschule in Agram mit Erfolg prakticirt hat. Daun hätte
eine solche Schule dem Zwecke enLspiuchen, denn sie würde aus der technischen
Schule gut vorgebildete Schüler und tachmännisch gebildete Leliier erhalten.
Sollte avch an dleaer Sdiole kein apedell f&r daa Handelafheh TingehUd^ea
Lehrindividuum vorhanden sein, so müsste ein solches an die Handelsakademie
nach Wien l>ehuf8 fachmännischer Heranbildiin}^ entsendet werden, wie dies
seitens der kroatisch- slavooischen J..andesregieruug in Agram fast jiUu*üch
geschieht.
Wenden wir jetzt nnaere Betrachtong der Lehrerbildang fOr Eleaentar^
schulen m. Dass die Lehrerbildang eine sehr wichtige Angelegenheit im
Staatsorgan ismns ist. beweisen zur Genüge die Thatsachen, dass sowol der
Staat als auch die (Tomeinden wetteifern, den Lehrern eine derartige i)ilda-
gogische Bildung augedeiheu zu lassen, welche sie in den Stand setzt, die ihnen
anr Eniehang and inm ünteirichte anvertraute Jagend zu gesitteten Ueoaehfln
und wttrdigen Staatabttrgem heransahfldeo. Wie steht ea nnn mit der Lehrer-
bildung in Bosnien und der Hercegovina und woher recrutiren sich die Zög-
linge für diese Bernfsschule? Da noch .sehr wenige Mittelschulen und gar keine
Bürgerschulen oder ähnliche Lehraustalten vorhanden sind, so erhält die
Lehrerbildungsanstalt ihren Nachwachs meistens aoa den Elementarschalen.
Ea itt wol wihr, daaa man im Zeitranme von kaam 14 Jahren Iceinen tttchtigen
Lehreratand heranzubilden vermochte -, aber es hätte doch beaaer werden können,
wenn man, wie bereits erwähnt, gleich in den ersten Jaliron nach der Occu-
pation BürK' i^tliulen errichtet hätte, wo ein genügender Nachwuchs für die
Lehrerbildungsanstalt herangezogen worden wäre. Es leuchtet somit ein, dass
gegenwärtig aneh für diese aehr wichtige Bernftachale keine genflgende Vei<-
büdong vorhanden aei. lÜt den an dieser Anstalt wirkenden Lehr])ersonen iat
es etwas besser bestellt, zumal doch einige ihre Lehrhefahigung für Bürger-
schulen erlangt haljen; aber trotzdem muss die Lelirerbildnn^ als eine sehr
mangelhafte bezeichnet werden, weil, wie erwähnt, die \'urbildung der Zöglinge
kefaie liinreichMide Iat üm wenigatena für die atildtisehen Schalen bessere
Lehrkräfte za bekommen, musste man aolehe aoa den Nachbarprovinzen, voi^
nehmlich aus der ehemaligen Militärgrenze, aus Kroatien und Slavonien heraa-
zit'lien. Wie es im Anfange der Occupationsjahre mit der Lehrerbildung be-
stellt war, geht zur Genüge daraus hervor, dass der frühere Director der
Lehrerbildangaaimtalt ein gana almpler YdloBBchnllehrer ohne jede hShere
pidagogiaehe BOdong war, und gegenwärtig ala HitreÜBrent über das Schal-
wcaeo dem Schaldepartement bei der Landesregierung in Sarajevo zngetheilt ist
Indem ich meine Aasffihmngen hiermit schlieAe, hoffe ich mit allen treaen
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Staatsbnre:prn, dass sich aucli auf dem Geliiete des Ki'ziehungs- und Unterricht s-
wesens in den occnpirten Provinzen alles zum Bessern wenden werde. In
dieser Hoffnung bestärkt uns noch der Umstand, dass nach dem Berichte des
Refareoton in den ▼erfloneaen DcliigntionMitznDgen die Staatslenker in Bomioi •
und der Hercegovina diesem wichtigen Cultnrzweige dorch Einstellung bedeu-
tender Geldauuinioii für die Hebung des vSchulwesens nnd für die Errichtnngf
nener ünterrichtsaDstaiten ihre vollste Aafmerksamkeit geschenkt haben.
Franz Tiöak.
Theodor Vernaleken.
Im letzten Hefte haben wir mitgetheilt, dass unser gesehfltzter Mitarbeiter
Tlieodor Vernaleken am 2H. Januar in Graz seinen 80. Geburtstag gefeiert
hat. Wir benutzen diesen Anlass, einen kurzen Lebenslauf des wackeren
Jnbilara ▼orznlUhreQ.
Yenialeken wurde am 28. Janoar 1812 zn Volkmarsen in WettfUen
geboren. Er erhielt seine Schulbildung in Warbnri: nnd Paderborn, worauf er
1830 — 1834 das Lj'ceum zu Fulda bpsnohte. Anfangs widmete er sich dem
Studium der Theologie und Philologie, aber bald überkam ihn die Wanderlust ;
en Mg flin nneh d» Sehwdz, der Heimat Pestalozzi's. Hier gelang es ihm
bald , mit einigm SchlUem nnd Mitarbeiten des großen mdagogen in VerUn-
dnng zu treten, namentlich mit dem Seminardirector in Küaenacht, F. Scherr
(Bruder Johannes Scherrs), Bei diesem lehrte nnd lernte er nnd besuchte
nebenbei die Vorlesungen an der Hochschule zu Zürich. 1837 begann er seine
praktische Laufbahn als Lehrer in Wintcrthur. Im Jahre 1846 gründete und
leitete er die „Schweinerbehen Blfttter fttr Ensidiung nnd ünterrieht", hielt
öffentliche literar-historische Vorlesungen und entfaltete schon damals eine be-
dentende schriftstellerische Thilti^keit. Im Jahr»» 1S48 schlug \'eriialeken tief-
eingreifende Reformen auf dem (Tetai^te des Unterrichtes vni-. In diese Zeit
fUllt auch sein Briefwechsel mit dem Ministerialrathe Exner in Wien, dessen
Auflnerkaamkelt et durch Übersendung einiger Schriften auf sich gemgen
hatte. Der österreichische Unterrichtsminister Graf Leo Thun ernannte Um
im Jahre 1850 zum Professor am Polytechnikum in Wien und zog ihn sofort
zu den Berathungen heran, welche damals bezüglich der Lehrpläne für die
neu zu errichtenden Realschulen stattfanden. Gleichzeitig wurde er mit der
Ansubeitnng von Lesebficbeni für die Volksachule beauftragt, welche jedoch
ihrer liberalen Tendenzen wegen Anito6 erregten. Vemnlekens Entwurf ffir
das erste Sprach- nnd Lesebuch bezweckte Bildung des Geistes nnd Herviens,
Weckurig der Phantasie, Anregung und Ausbildung dos Sprachgefühls durch
verständige Aneignung des Inhalts, Weckung des kindlichen Gemüths zui'
€MtesAireht, zur Sitte nnd Vaterlandsliebe. Leider fand dasselbe nicht die
Genehmigung der Ssterrdchischen BischSfe; die VemalekenBehen Lesebfldier
fflUSSten auf kirchliches Verlangen umgearbeitet wwden. Als in Wien die
ersten selbststündif^en Healschnlen ins Leben gerufen wurden, kam Vernaleken
im Jahre iSf)! als Professor dei- deut.schen Sprache und Literatur an die
neugegründete Ober -Realschule am Schottenfeld mit der gleichzeitigen Er^
nennung zum Mitgliede der Prttfbngscomraission fSr Realschulen; damals fiel
auch auf Vernaleken die auszeichnende W'ahl. die Erzherzogin Henriette,
die nunmehrige Königin der Belgier nnd Hntter der Kronprinzessin - Witwe
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Stephanie, dritthalb .Tahre lang in Spraclie. Literatur und Geschichte zu unter-
richten. An der Realschule arbeitete \'ernaleken rastlos für die Verbesserung
des SpracbonteiTicht« ; zu diesem Zwecke arbeitete er sein dreibändiges Lite-
ntarbneh ans. Das Stodlma der Orammatik balmte er nmt mit dem
deutschen Sprachbnche an, diesem folgte die Formenlehre der dentechen Sprache
und zuletzt sein»' frroße zweibändige Syntax, ein Werk unermüdlichen Sammel-
eifers. Um einen größeren Kinfluss auch auf die Forderung des österreichischen
VolksBcholwesens zu erlangen, gründete Veroaieken im Vereine mit dem Schal-
lathe H. A. Becker den „österreldiiMheii Sflindboten**. VenalekMi war v$tA-
loa thtttig für die Nengeetaltiuig der aeterreicbiMheii Volkeschide. Zu AnAog
der Sechziger Jahre hielt er an der Schottenfelder Realschule fllr die Wiener
Volkssehullehrer Vorlesungen über S{»rarhe und Literatur und »-ab damit ge-
wissermaßen ein Vorepit l des Wiener Lehrer-rvdagogiuma. Nach dem Jahre
1866 schrieb Vemaleken eine Aufsehen erregende Broschüre: „Über den Volks-
•chiilimterrieht'*, vnd half mit dieaer den Boden für das teterrelehiiehe Beldie-
Volksschulgesetz vom 14. Kai 1869 vorbereiten. Er wurde von dem liberalen
ünterrichtsminister v. Hasner an die alte, von Äfaria Theresia gegründete
Lehrer-Präparandie St. Anna berufen, um diese im Sinne und Geiste des neuen
Schulgesetzes umzugeslalteu. Am 1. März 1870 Ubernahm Vernalekeu die
LeitoDg der Anstalt, die er bis zam Jahre 1877 fahrte. Bei seiner Pouio-
nirnng «riiielt er in Anerkennung seines verdienstvollen Wirkens daa Bitter-
kreuz des Franz- Josephs-Ordens, Mit Vernalekeu schied von der Wiener Lehrer-
Hildnngsanstalt ein Schulmann, der voll flberzeugungstreue und Festigkeit in
seiner Gesinnung, strenge gegen sich, gerecht and wolwolleud gegen andere
war. Die Lehramtssöglinge liebte er vvie dn Vater eeine Kinder; er be-
traditete ateh als ihr ttlterer Freund. Viele Gegner machte er sich idlerdinga
dadurch, dass er frei and ohne Rückhalt aussprach, dass der bisherige Reli-
gionsunterricht einer gründlichen Reform bedürfe. In den letzten .lalnen
schrieb Vemaleken noch zahlreiche Aufsätze pädagogischen Inhalts im „l'a da-
goginm" von Dr. Dütes und viele kleine Erzählaugen, Scbwänke und Sagen
im „Heimgarten** von Boiegger. Zu erwfthnen ist noeh, dass Vemaleken audi
als Germanist sich verdient gemacht hat. Seine Schriften fanden den Reifall
von Jak. (trimm, L liland und Pfeiffer. Ebenso hat er auf dem Gebiete der
Sagen- und Märchenforschung, überhaupt der Volkspoesie und Sittengeschichte
Ansehnliches geleistet. Seit seinem Rücktritte vom Amte lebt er in Graz.
Möge ihm ein heiterer Lebensabend beschieden sein!
Ans der Fachpresse.
522. Zur Theorie des Lehrplans (C, Spielmann, Neue Bahnen 1891,
Xll). Ein „System" des Lehrplans, wie es längst von den Zillerianem —
wenigstens in ähnlicher Gestalt — ausgedacht worden, nur dass Hr. Sp. noch
das BchAie Wort „Normalität** dalBr erftmden hat Hr. Sp. spielt flberbanpt
gern mit Worten, besonderB auch mit Fiemdwr»rtem („die awingende Enge
des alles an sich ziehenden — centripetirenden — Gesinnungsnnterrichts" —
.,formal bildend" heißt bei ilim zuweilen „sittlich bildend"). Den Begriff
„Umgang" scheint er als eine von ihm aubgekramte Neuigkeit aasgeben zu
wollen; denn er ftthlt sieh n der Mahnung bewogen: »Uan beachte beimLeMn
meiner Abhandlung dies oft wiederkehrende Wort* — wahrend doch „dieses
Padafagioa. U. Jtktf, Haft VL 28
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Wort" jedem oberflächlichen Kenner der Herbart - ZillerseluMi l.t lno ß:('liliiH{^
Ist, ,,Üie Geschichte mnss unbedingt ans dem Realien winkel liervorgpholt,
und aaf ihre hohe Bedeatung mass hingewiesen werden" — als ob dies nicht
edion Ungst geschehen wire, und swar mit wleher Übertreibiuig, daes «ich
ein starker Gegenstrom entwickelt hat (von den Natarwissenschaften her. wie
allgemein bekannt!) — Am Schlüsse „planbt" Verf. „niclit", dass jemand dio
„Systeniatisirung des Lehrplans frir die Volks- und Mittclschnle tiir eine
wissenschaftliche Sjuelerei halten"" werde — wir halten sie allerdings dafiir,
nnd mit ahinreiehoiiAeB Grflnden*. Zn aUerlrtit aber steht geeehriebcoi:
„Wird nor das dringende BedttrftiiB der Systematisimng der Ficher anerkannt
und auf die<:c1be von allen Seiten hingewiesen und gewirkt, dann ist mein
gehnlichster Wnnscli erfüllt," Ja — wenn ein Lehrerherz in ?peren-
wärtigen Zeitliluflen nichts sehnlicher zu wünschen brauchte als jenes oder
ähnliches: dann müssten wir mindestens schon im Vorhofe zum pädagogischen
Paradiese dtaen! — (Wdehe Bewandtnis es mit dem römischen „Sprftchwort*
Mens Sana in eorpon saao hat, wolle Hr. Sp. im Bep. d. Pmd. 1889/90, VII
nachlesen.)
.523. Die Ferien nnd die kiiri>erliche Entwicki-lnng des Kindes
(0. Janke, Päd. Zeitg. 1891, 33). Hauptzweck der Ferien: „\'ullständige
Gompensation der hemmenden EinflUsse des SehnUebens.** ,,Sie mttssen so
lange dauern, dass ihr Hauptzweck in möglichster Vollkommenheit erreicht
werden kann"; deshalb einmal im Jahre ..crroße" Erholungsferien. (Alle nicht
mit Kücksicht auf das Kind angeordneten Ferien sind auf die geringste An-
zahl Tage zu beschi'änken.^ Gleiche Dauer für alle Schulen. Die Erholungs-
fiarien sind anf die Zelt an Terlegen, wo das Waehsthnm der Kinder am ge-
ringsten nnd wo Anümthalt im Freien, Baden n. K. BOgUcb ist. — Hit inter-
essanten i^Iittlioiliingen Qber die Hesslingen nndWSgnngen in schwedischen
and dänischen Schnlfn.
524. Über «h ii Bilderreichthum der deutschen Sprache und
dessen Verwendung im Unterricht (J.Bacher, Schweiz. Lehrerztg. 1891,
28. 29.) «Die Muttersprache lernen, heiBt leben und erfohren." — Überall
Anklänge an Hildebrand, wie denn diesem Meister auch ein Tlieil der zahl-
reichen BtMspielc entlehnt ist. — Solche ,.Denkübnngen" (im Sinne HildebiTiiidsl
„die man zur Feststellung dei' eigentlichen ]?edentnng der Wörter, oder zur
Klarlegung des Bedeutungswandels anstellt, sind selir dankbar"^ und eignen
sich sowol Ar üntm> wie für Oberldassen, „iudmn der Lehrer die Schwierig-
keiten stets zu steigern vermag." Hauptgewinn Ar die Grammatik; „denn
man kann mit Bezog anf diese nie genug betonen, dass das Formelle der
Sprache stets vom Inhalt getragen werden müsse** (besondere gfinstig: Wort-
paare wie trinken uud tränken.)
525. Gedanken fiber den Atlas and fiber das Kartenlesen
(B. Schmidt, Prakt Schalmann 1891, I. II). Eine gehaltvolle Abhandlang,
die jeder Lehrer der Erdkunde mit Genuss lesen wird. — Wir skizziren im
Folgenden die Hanptiredanken: Schwierigkeiten beim Gebrauch der Planigloben
nnd der „Erdkarte in Mercatnrs l'rojeetion" — f^bersichtskärtchen nini Ver-
breitung der Menschenrassen, Pflanzen, Industrien, um Bodencultur, klima-
tische Verhiltnisse sa veransehanUchen) gehOren nicht in den Volksschalatlas
— getreaes Bild von der SteUimg der Erde an anderen WeltkOipem an der
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Wand des Scholcorridors — Karte der Meeresströimm^en (zugleii li fTberslcht
der Weltmeere) nüthig; Veranschaiüicliuug des Verhältnisses zwischeu Wasser
ukI Land mittelst graphischer DanteUnng — Schiffishrtsliiiieii auf den Karten
der Erdtheile, Eisenbahnlinie nur in den günstigsten F&Ilen (Vereinigte
Staaten) — Wichtigkeit des Maßstabes von Länderkarten (für da« Verständnis
der Rauniverhältnisse, zum Zwecke der Vorerleichung, auch mit dem ent-
sprechenden Globus; dazu viele gutgewählte Beispiele aus der Längen- und
Flflohenberedinnng: Aufgaben, deren LSsiing wol meistens der Beehenstnnde
[„Sachrechnen!*] soanweisen ist) — Wert der Profilseiehniugen — aneh
HOhenangaben in Kilometern - - gewisse eng begrenzte Gebiete als typische *
Landschaften besonders ansfiilirlich zu behandeln i Beispiel: Rhonegletscher-
Landschaft) — die verschiedenen im Atlas vorhandenen Kartenbilder desselben
Landes nacheinuder betrachten, mit dem im Ideiusten Maßstabe gegebeneu
beginnend — Änknfipfen an Meldungen der Tagesblfttter (»leben in nnd mit
der Gegenwart") — Tertranen auf die Einbildungskraft - Hauptzweck der
Ansohauliclikeit: von jedem Gebiete auf die einfachste Weise in Seele des
Lernenden eine Reliefkarte zu erzeugen.
Ö26. i.'ber Lücken im botanischen Unterricht der Volksschule
(R. Hobohm, Deutsche Blfttter 1891, 30). Mangel an Anridftmng Aber solche
Kiyptogamen, die für das praktische Leben hohe Bedeutung haben nnd vor-
BÜglich geeignet sind, das pliysikalisclie und biologische Verhalten der Pflanzen
begreifen zu lehren. — Unterriclitshei8i)ie] : Mehlthaupilz auf Gnrkenblättern.
V orgeschlagen werden femer verschiedene Algen (in Tümpeln. Teichen, Brunnen-
trögen), die sin Bild der Heerespflansen geben, odw die Brdlmute bilden
heUlon, PolirsohieiBr, Zahnpulver u.a. liefern; HutterlEom (durch dessen Ein-
sammeln sich die Kinder Geld verdienen können), Weizenrost, Weinpilz, Pinsel-
schimmel. Kartofteljiil/. Dagegen beschränke man sich bei manchen unwich-
tigen ^Hlüuieiein ' auf die Benennung und Hervorhebung charakteristiselier
Züge. — Das Mikroskop soll uöthigenfalls vom Fleischbeschauer entlehnt wer-
den. — Gute Führer für den Lehrer: Auerswald (Botanische ünterfaaltnngen);
Rehrens (Lehrbuch der allgemeinen Botanik, und Leitfaden der botanischen
Mil(roelu»pie.)
Soeben ist bei Jul. Klinkhardt in Leipzig und Berlin erschienen: Der
prenfUseheSehulgesetsentwurf im Lichte der deutschen ünterrichtsgesetzgebnug.
Im Auftrage des gesoh&ftsfdhrenden Ausschusses dies deutschen Lehrervereins
bearbeitet von J. Tews. (50 S.) Eine mit vollkommener Sachkenntnis und
großer Sorgfalt ausgearbeitete, sehr zeitgemäße und instructive Sclirift| welche
wir allen Lehrern nnd Schuliuteressenten bestens empfehlen.
Die «Steiger-Stiftung* in Luxem, die al^flhrlich an Lehrer-, Volks- und
.Tugendbibliotheken Bücher verschenkt, hat im letzten Jahre an Lehrerbiblio-
theken des Kantons Luzem die „Schule der Pädagogik" von Dr. Fried-
rich Dittes gratis verabfolgt.
Zum bevorstehenden ComeniusIlBste oiferire ich ein Comenius- Portrait
6SX58 cm im feinsten Chromo mit 16 Farben ausgeführt zu M. 2,50 mit
PostverHodung zu IL 2,80. Dasselbe am Blindrahmen und auf I^inwaod
28*
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aufffesi)aniit in antiken Kähmen mit vergohioton Friesen eingesetzt zu S IL
Kiste für ein !'.il(l ÄF. 1,20. für jedes weitere um M. 0,40 mehr. Miüiatur-
portrait von Comeniu« in der Größe von Wj^XlS cm 100 St. za 6 IL Das
kleine Portrait eignet dck znm Vertheileii unter die Jugend. Dieaes Miniatnr-
portrait ist in jeder Bnchhandlnng zn sdiOL Sollt* <las große Portrait dem
Gesdimar ke des T^estellers nielit entsprechen, sn wird da-SM-lbo zurückpenommen.
wenn die Ketournirunjf franco tctschieht. \Wi Bestellung bitte Bahnstation
anzugeben. V. Neubert: CiiromuüUiographische Kunstanstalt Prag-Smichow.
Wie wird ein Conversationslexikon gemacht? t^ber den gewal-
tigen Organisrans. welcher bei Herst ellnnq" eines solclien Biesenbnchs in B<'-
weguug ist, hat man vielfacli keine richtige Vorstellung, obwol es einleuchtet,
dass ein Werk wie der „Brocldiaus" nicht von wenigen Personen geaduMieB
nnd g<^mckt sein kann. Aber wer liKtte geglaubt, da» allein mit der Anf-
ärbt itun^ und Sedaction der nahezu 100000 Artikel, in wtEeben die 14. Auf-
lauf das W i>sen und Können der Gegenwait zn umfassen sucht, an vier-
hundert (it ielirte und Fachmänner albr Disciiilinen beschUftigt sind, dass
die Herstellung des Werkes außerdem ein technisches und buchbändlerisclies
Personal der Firma von 600 ESpfiBn mehr oder weniger regelm&Big bean-
epmcht, also insgesammt eintausend Personen jahrelang daran thätig sind!
Trotz der sclilimmen Folgen, welche der lang andauernde Bnchdrucker-
streik auf die Herstcllnng eines derartigen Werkes haben musste. scheint es
der Verlagshaudluug und Drackerei zu gelingen, das N'ersUumte nachzuholen,
da sie den aweiten Band für das Jetaige Frttl^abr verspricht. Derselbe soll
sich wie der erste Band dnrch eine Fülle von trefflichen Chromos, Karten nnd
sonstigen Abbildungen nnd dnreh wichtige und reiclihaltige Artikel, welche
von neuen (Tesiehtspunkten aus bearbeitet sind, auszeichnen. Wie lang muss
wol der Artikel Berlin werden, wenn Aachen im ersten Bande beinahe vier
Seiten füllt? Wie wir hören, findet das monumentale Werk eine so gttnstige
Anitaahme, dass dem sehr hodi bemessenen ersten Dmok sdhon jetat Nen-
dmok des ersten Bandes gefolgt ist. Es mÜ8.sen Berge von Mannscripten nnd
Correetnren die Kedaction und die Druckerei passiren, bis auch nur die tausend
Seiten und AblUdun^en eines der 16 Bände mit einwandfreiem Texte iu die
Uand des Käufers gelangen!
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Recensionen.
Kambly's Elementar-Mathematik. bearbeitet von Dr. Hugo Lang:g:nth.
I. Theil: Arithmetik und Algebra. 32. .Antl. Für Realschulen. 213 S.
2 Hk. — für Gymnasien. 1G8 S. LH5 Mk. Breslau 1890, Hirt.
Der Bearbeiter gesteht im Vorworte, da.ss die Lehrbücher Kanibly's in
Uiren letÄteu Autlagen den Furtschritten der Wissenschaft nicht mehr gefolgt
sind; er sah sich daher genötbigt, nicht nur auf eine Erweiterung de« Stoffes,
sondern auch auf wissensk-baftliche Durchdringung desselben bedacht zu nehmen,
und in der That ist ihm die Herstellung eines recht brauchbaren Lehrbuches
gelungen. Den ersten Abschnitt, welcher von den vier Rechnungsarten in
ahflolaten Zahlen handelt, halten wir fBr sehr wertvoll lum Zwecke einer all-
iiuihlielien Einfilhrung: des SchiUers in dii allgemeine Arithmetik. Wenn iiiiiii
sogleich neben den huchstaben, Coefücieuten und Exponenten auch noch mit
den nepfatiTen SSahlen beginnt, so ist daa eine so groCe Hftnftmg nener Begiifife.
dass eine schwächere Begahunij: dardber leicht in VerwiminEr cren'itli. Leider
hat sich zwischen den Faragrapheu sieben und elf ein Widerspruch einge-
sdilidieii, denn während der Paragraph sieben die Sarnme Ton der Beiheolb^Fe
der Addenden für imabhilnü^iir erklärt , vorlanirt der Paragraph elf in dieser
Beziehung uugercclitfcrtigter Weise ein Vorgehen von ..links" nach „rechts."
Paragraph zwijlf erfordert eine ganz unniltze Belastung do8 GediehtniSBes.
Nachdem Paragraph sieben die Vertauachbarkeit der Addenden ausgesprochen
hat, ist der ganze Parat?ra]di zwiilf nur eine beispielsweise Ergänzung von
Paragraph sieben. — Was wcitcrs die UnterHeheidung von ..Messen" und
./Fheilen" betrifft, so halten wir es ganz itiit I'rofessor Westermaun,
welcher die Benennung der liechnunc:sergehnisse einem Urtheile zuschreibt,
das vom Recbnungsvorgange vollkommen unabhängig dasteht.
Der zweite Abschnitt führt die algeliraisehen Zahlen, zugleich auch das
Rechnen mit Null und Unendlich ein. liiis Rechnen mit diesen beiden Nicht-
nhlen bereitet den SchUlcm jederzeit große Schwierigkeiten, in der That
kamt man Ja mit denselben auch gar nicht rechnen, denn die Mehrzahl der
Beenltate wird nnb^immt; es braucht daher der Schiller nur diese Formen
ak Ausdrücke der mathematisehcn Unbestimmth« it — und dazu noch viel
q|Ater bei mehrexer Festigung seines Wissens kennen zu lernen. Der Verfasser
bedarf Jedooh des Redmem mit der Null cor Begrttndnng der Vonseiebenregel
der Äfultifdication, wozu sie jedo( h nicht nöthig ist; wir bedienen uns hierfür
einer Anzahl negativer Einheiten in Reihen und Spalten geordnet ähnlich wie
die poflitive BinerCdU anf Seite 17 tnr Begrttndniig 'des Satses ton der Ver-
tausehbiirkeit der Faetoren gebraucht wird. Die Verwertung aoleber positiTer
und negativer Einertafcln (Vüc die Entwickelung der elementaren LdifsKtie
kann nralit genug empfoUen werden, denn sie dienen cor Begründung eines
analyti-schen UrtheiLs, welches in der Mathematik stets von einer Tiel erfreu-
licheren Klarheit begleitet ist, als synthetische I rtheile.
Der dritte Absohnitt befasst sich mit der .Anwendung der vier Grund-
rechnungsarten der allgemeinen Arithmetik auf dii' liesoudere .Arithmetik,
worunter besonders das vierte Uapitei von den Proportiuueu den bürgerlichen
^Bedunngsartea wisieDSchaftUeb« Qmndlage Terieiht luid in dieser Biektnng
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besoudere Beachtung von jeueu verdicut, welche sich mit diesen Rechnungs-
arten des Mchrcreu bcfusscn. Der vierte Abschnitt luuidflit von Rcchuungä-
arten der dritten Stufe und hat in jeder Beziehung unseren vollsten Beifall
gefunden. Kinzig der Paragraph 06 ließe sich vielleicht noch anschaulicher
gestalten, wenn man von der Gleichung ausginge u = b^ = c7 woraus sich
des Weiteren ergibt, dass >>log n = z = j. ^log e sein uiuss. Der fünfte
Abschnitt lehrt die Auflösung der Bcstironiungsglcichungcn bis m den quadra-
tischen mit mehreren rnbekannteu; es werden die vi rsi liiedeneu Methoden,
welche zur Aullösung von Gleichungen gebräuchlich sind, an einer Ansah!
TOD Beispielen erlilvtert, den Determinanten wird dabei ein attgemesBener
Banm zugewiesen. Recht zweikmiißig finden wir uuch die ühersichtlichc
Zusammenfassung der bürgerlichen Eechnungsartcu unter verallgemeinernde
Formeln. Der sechste und siebente Abschnitt machen mit den Progressioneii,
Kettcnbrni 1h n. der ( 'iiiiiMnati(»n>^lcbre und \Vahr>rhcinIiclil\eit.srechnun£!: bekannt,
und damit schließt auch die tür Gymnasien bestimmte Ausgabe. — Der Aus-
gabe für die Realschulen sind noch drei weitere Absehnittc beigegeben, wddie
von den iirithraelijii'hen Reihen lif»herer ördnunsr, den (Meicliungcn dritten und
vierten Graden, un<l den uuendlulien Kiihtn haudelu. Daraus verdicut, als
mit besonderer Sorgfalt und FaKsIicbkeit dargdegt, das Kennaeidieii fOr die
Convergenz unendlicher Reihen horyorgehohen zu werden.
Da dem vorliegenden Lehrtexte L bungsaut'gaben nicht beigegeben sind, so
hat die Verlagshandlung ilerru Oberlehrer Wimnienauer in Hoera Teranlasst,
eine dem vorliegenden Lehrhuche angeiiasste Aulgnbeniiammlung zu veröffent-
lichen. Wenn wir uns erhiubt haben, im Vorstehenden Vorsehlage zur Ver-
besserung zu machen, so geschah das in der Wolmeinung, dass diesem Lehr-
hnche wenig fehle, um zu den allerbesten gezählt werden zu können, und wir
wollen es noch einmal aussprechen, dass die Umarbeitung durch Dr. Langguth
eine so T(dlkomnien gelungene i>t, dass sie dem Lehrhuche Kambly's den vor
Deoennien besessenen, spftter aber wieder verlorenen Buf, das beste Lehrbuch
zu sein, wieder cnrBck zu erobern wol geeignet ist. Badlieih Imt aneh ^
Vcrlairshandlung sowol mit Rücksicht auf die Ausstattung ab auch in Resug
auf Billigkeit das Thunlicliste gelei.stet, H. E.
Dr. M. Focke und Dr. M. Krass Lehrbuch der allgemeinen Arithmetik
and Algebra nebst Aafgabeusammlung fdr höhere Lehranstalten. 5. Aufl.
227 S. HUnster 1890, Coppeiurath. 2,50 Hk.
I>ie Auflage wird eine verhcssertt und vermehrte genannt und in der Tluit
finden wir au diesem Lehrhuche nichts auszusetzen. Wenn sich auch manches
anders, vielleicht einfacher fassen lieBc, so müssen mr das Vorliegende doeh
als ein Lehrbuch bezeichnen, mit welchen wir leicht auszukommen vermöchten.
Die Stoff Vertiefung geht liiurcichend weit; außer den sieben Rechnungsarten
werden die Gleicbnnirfn bis zu jenen dritten Grades uml den (liophautischen
abgehandelt; dein ii uo« h rrot^re^-inm ii. < 'onibiiiatinnslehre. Wuhrselieinlirhkeits-
rechnung, liinomischer Lehrsatz und Ketteubrüche folgen. Den einzigen Wunsch
Kukhten wir aussprechen, es nOgt das Auftnehen des grOtten gemeinsamen
Maßes in etwas einfai hercr Form vorgenommen werden.
Die dem Lehrtexte beigegebene .\ufgabensammlung nimmt nahezu die Hälfte
des Buches ein, ist demnach eine reichhaltige zu nennen, welche in den letzten
Auflagen durch Einscbaltnng neuer Aufgaben noch vermehrt wurde; dabei
blieb die alte Numerirung aufrecht und wurde die Erweiterung durch beson-
dere Niuiiei iruug kenntlich gemacht. Die Verfasser bemerken zu dieser .\uf-
gabeusammlung, dass sie wesentlich bestimmt sei, dem Schttler die Einttbung
des LebrstoiFes in ermöglichen, und dass daher der Stil dieser Aufgaben ein
oinfiu.-hert;r sei, als etwa bei Heis oder 15arday. I>ir-. s L' lul iich i rschiinl
der Yollen Bmehtung der Fauhgenossen und der bcsiuu Empfehlung fUi Weiter-
▼erbreitung wert. H. E.
Chr. Harms, Prof. in Oldenburg and Dr. Alb. KalUw, IM in Berlin.
Rechenbuch für Gymnasien, Realschulen, Seminare n. 8. W. 15. Auflage.
204 8. Oldenburg 1890, Gerhard StaUing. 2,25 Mk.
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Die vorlif'gf'n<k' Aiifjraltcnsamiiiliinir. welche sich so ziemlich üIk i das rrv-
sainnito (Jebiot der liosoudercn Arilhiiu-tik erstreckt, war schOB in ihreu crstca
Aufhißt u als riiK sehr rciohhaltififc zu bezeichnen. In den spStemu Aoflagen
hat das Werk die Vcrbtisscrung: rrt'ahrcn, dass das alte Maß- \n\(\ Gowichts-
system ausgeschieden und vollständig durch das neue ersetzt wurde. Damit
im Zusammenhange wiinh ii die Aufgaben Uber die DecimAlbrilchc von den
Aufgalten über die p:em< iiii n Uriiche unahhänjfiipr eomacht, obwol ihre Stolle int
Buche belassen wurde, und die DccimiUbrüche den gemeinen Brüchen erst uai h-
fulgen. Somit künnen wir nur constatiien, daM das Buch, so weit es unbe-
dingt nothwendig ist, Verbesserungen erfahren hat und dies genügt wol , da
sich diese Sammlung wie die zahlrcirlu ii Auflagen beweisen, einer starken Ver-
Itreitung erfreut. H. E.
Kich. Kliabt', I^ectnf in Magdeburg. ewerbliclies Kcchenbucli nebst
Buchtühning für Handwerker- und Fortbildungsschulen. 82 S. Halle a. S.
181K), Mühlmanii. 50 Pf.
Die Aufgaben dieser Saramlnng tieginnen mit solchen, welche einer Wieder-
holung des Rechnens mit ganzen Zahlen dienen. Es folgen sodann Aufgaben
über da» Kecbnen mit gemeinen und Decimalbrfichen, mit inchrlach benannten
Zahlen und Uber die bürgerlichen Kcchnung.>arten. DenSchlusg madien einige
Bemerkungen über Wechsel, Kostenttberschlägc und Buchführung; sogar der
Um.«ächlag ist noch zweckmäßig Tcrwcrtet zum Abdruck des großen Einnmleins.
Die Aufgaben sind hauptsächlich aus de-s Verf. Lehrthätigkeit herausgewachsen
und sind dem Bedürfnisse der Gewerbeschulen sehr gut angepasst, bei denen
CS Erfordernis ist, die formalen Übungen mit den sachlichen Beziehungen des
Verkehrslebens auf das inniirste zu verknüpfen. Da außerdem die Sammlung
sehr reichhaltig ist, so verdient sie gewiss für die genannte Stufe beste £m-
ptchlung. H. 8.
U. B. Libsen, AatAhrliches Lehrbuch der Elementar-Geometrie. Ebene
uud körperliche Geometrie zum Selbstunterricht mit Rücksicht auf
die Zwecke des praktischen Lebens. 27. Aufl. 193 Fig. im Text. 1 78 S. H Mk.
— Ausführliches Lehrbucli der ebenen und sidiürischen Trigonometrie zum
Selbstunterricht mit KUckbiclit uui die Zwecke des praktischen Lebens.
15. Aufl. 58 lig. im Text 115 S. 2,40 Hk. Beide beaiMtet Ton
Riehard Sdlirig. Leipzig, Brandstetter.
Lübsens mathematische Lehrbücher erfreuen sich schon >eit langem großer
Beliebtheit, und diese ist eine wolerworbeue zu nennen, da der Verfiusser bei
der Anordnung des Xidintoffes vor aUem darauf Bedacht genommen hat, die
Auffassiing desselben für den Schiller zu erleichtern; nicht minder zielt die
Darlegung uud Vortragsweise vornehmlich auf Klarheit und leichte Fasslich-
keit. Nach don Tode des Verfassers wurde Richard Schurig mit der Bear-
beitung der neuen Auflagen betraut, welcher fortgesetzt bemüht ist, die dem
Buche eigentbümliche Euklidische Behandlung in eine solche von verbesser-
ter und modernerer Form hinüber zuleiten. Allerdings betont schon der erste
Verfasser die Noth wendigkeit der Anschaulicbkcit der Beweisführung, aber zur
Zeit der ersten Verrtffentlichung seines Werkes war von Symmetrie und Sym-
metrieachse in den L(^hrbüchcm noch wenig die Rede, und so entbehrt auch
noch die gegenwärtige Auflage dieses aUerdings ganz vorziu;lichen Anschau-
ungsmittels. Nicht minder ist es ein bekannter Mangel der Katdfdisehen Geo-
nietrir. ihre Lehrsätze nicht WMdl Prineipien geordnet zn liabeii. und so hat
denn auch im VorUegenden die moderne Sondcrung der Lehren nach L'ougrueu2,
Ähnlichkeit und FlichenTersdüebnng wenig BerOcksichtigung gefunden, ganx
sn geschweige!! Ton Theilreiliftltnia, harmonischer l'heilung und allem, was
cor sogenannten modernen s^thetisdien Geometrie gehört.
Auen die ..körperliche Geometrie" bleibt ra den ilir yon Euklid
gezogfenen (Jrenzen. woran übrigens nmsomchr fföitzuhalten war, da ja eine
entsdiiedene ^'erbej^serung iu muderuer Hiuhtung in diesem Theilc noch nicht
bekannt geworden ist. Der Stereometrie iblgt noeh die Anwendung der Algebra
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- 408 —
auf die ficoincrrii'. witrin wir eine sonst wenig bekannte von Gau ß herrtllirende
oykliscbe Fornul liir die Berechnung der FlächeiiiilllBlte amregdmlBiger Poly-
gone gefunden hüben. Ih n Srhlu.ss des Buches nuudit ein AollMlg TOO siebsohtt
Seiten ütier .,praktiö< he (ieouiutrie" .
Noch mehr als im Vorhergclienden findet sieh in der Trigonometrie die
StofFvtrtheilung mit Rüeksicht auf das leichte Erfassen von Seite des Schülers
vorgcnonuiieu. Es wird mit einer Einleitung begonnen, welche dem Schüler
/w<rk und Bedeutung dicse-s Theiles der Mathematik klar macht. Im ersten
Buche werden die trigonometrischen Functionen am rechtwinkligen Dreiecke
und im ersten Quadranten erkliirt, es folgt sodann auf sieben Seiten die Be-
lehrung über die Einric htung d( r trigonometrischen Tafeln von Bruhns, an
welche man sich nicht hätte binden bollen« weil man gegenwärtig das Arbeiten
mit tnebensteltii^en Tafeln in der Schule ftr SSeitTerm^wendung Ult, da anrh
eni<tr [Icchiicr mit fünf Stellen völligt > Au-lantrcn linden. Naeb der Auf-
lösung des rechtwinkligen Dreiecke« folgt jene des gleichschenkligen, womit
man sogleich sum Be^ff des Sinns eines stumpfen Winkels geungt. Da«
vierte Bneh be^chiiftiirt .-^ich mit der Auflösung schiefwinkliger Dreiecke,
dabei führt der C'osinussatz auch zum Cosinus des stumpfen Winkels. — Dcnr
sogenannte TangentensatB swiechen swei Seiten und ihren Gegenwinkeln
wird svnthi ti'icli dareelcgt. Es hat uns aber seit Je geschienen. (las< ein syn-
thetisch begründeter Satz minder leicht fasalich sei, ab ein analytisch begrün-
deter; aus diener Ursache haben wir es aueh inuner im rnterrichte vorgezogen,
die Goniometrie der Dreiccksaufliisunc: vorauszusenden. E> mag wol sein, dass
diese Auffajs.sun£!: nur von der individutilen Begabung abhängt.
Es folgen nun einige Aufgaben mit Unterstellung sachlichen Textes zur
Lösung st biefwinkliirer r)re!ccke. sodann die Goniometrie, die Functionen über-
>tunii)fer \\ inkel uud die Anwendung der Goniometrie zur Gewinauntj der
MulUeid sc heu Formeln und nur I4taung trigoBometiiaeher und goiuome-
Irischer Gleiehitngen.
Im zweiten Theile wird der umgekehrte Weg eingeschlagen; es wird mit
Lösung des Hchiefwinkeligen Dreieckes begonnen, und dessen Formeln werden
sodann für das rechtwinkelige specificirt, wobei allerdings nicht eine große
Weitläufigkeit zn vermeiden ist. Wir haben mit der vorstehenden Inhalts-
augabc wesentlich andeuten wollen, wie sehr dir Wrfa.-ser Itei seiner Stoli-
vertheilung darauf bedacht war, die Anordnung nach dem Grundsatze des Fort-
schreitens yom Leichteren snm Schwereren sv treffen; dass eine soldie Anord-
nung nicht ohne Beeinträchtigung der alleemeinen rbersichtlichkeit niiiglidi
ist, muss angegeben werden. Und wenn wir derselben auch nicht zustimmen
wollten, so hat doch das sllgemeine Urtheil gegen uns entschieden, nnd es
seheint, dass "^ich anch bei dieser StofFvertheilung die allgemeine l bersicht
wenigstens nachträglich einstellt. Unsere Neigung ist überhaupt nur streng
systematischen Lehrofllchem zngewendet, iaa vorstehende kflnmgt sieh aber
schon in seiner Vorrede ah ein solches an, welches das Hauptgew irhf auf dif
Methodik, (las heißt auf leichtes Erlemen, legt, dann aber müssen wir bekennen,
dms diese Absicht auf das vollkommenste erreicht ist. Der Yortrag iMit «a
Klarheit und Fasslichkeit nichts zu wünschen. Er wii'l von zahlreichen gnt
ausgeführten Figuren unterstützt, und du die Veiiagshandlung mit grOBter
Sorgfalt für di« Hiebt igkeit des schwierigen Ziffcnisatees gesorgt hat, so ver-
dient sie dafür, wie für schöne Ausstattnncr überhaupt nml lullitri-n Preis den
besten Erfolg, der bei der dauernden Beliebtheit dieses Buches wul auch mcht
anahletbea wird. H. B.
VamrtwvfflL tMMm Dr. Priadriek DHt*«. BaoMiwktnl Jalla« Kllakkavdl^ Mfaif.
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Die Mdale Frage nid die Sekile.
Von Fnt Dr. tT. Fr^^ehammer-MUtukm,
JEine brennende Frage, ein großes Problem, ein vielbehandeltes
Thema der Gegenwart ist es, dem wir die folgende knrze Unter-
suchung widmen; und zwar vom Standpunkt der Philosopliie als Ideal-
wissenschaft aus, d. h. jener Philosophie, welche es mit den Ideen der
Vollkommenheit des Seins und Geschehens zu tliun hat, die also sich so
bt'zeiclinet ihres Inhalts wegen. Demnach nicht vom Standpunkte der
Idealwissenschaft im Sinne der (Jonstruction a priori oder der Er-
kenntnis durch das bloße Denken selbst, wie es der sogenannte transscen-
dentale Idealismas versucht, der von Kant ausging und seinen Namen
nicht vom Inhalt, sondern von der Erkenntnisweise erhalten hat.
Es ist dabei selhstverstfindlich, dass diese Philosophie die sodale
Frage nidit zn lOsen versndien kann durch irgend eine Art der Ver-
besserong der materiellen Lage der niederen arbeitenden Olassen, wie
(Iis aach die Schnle nicht vermag, sondem nnr dorch den Staat und
die Gesellschaft selbst geschehen kann nnter Ldtnng der wissenschaft-
lichen Nationalökonomie, derBechts: nnd Societätswissenschaft Für die
Philosophie und die Schnle kann es sich nnr darum handeln, ob durch
geistige Mittel zur LOsung dieser Frage etwas beigetragen werden
kann, und wenn dies der Fall ist, durch welche Mittel und auf
welche Weise es zu geschehen vermag. Sidier ist ja, dass dem
Schlechten, dem von Leidenschaften blind Beherrschten, dem Trflgen,
Unwissenden und Unverstfindigen durch atte matoieUe Unterstfltzung
nicht geholfen und keine ZniMedenheit mit seiner Lebenslage bei-
gebradit werden kann, sondern dass zugleich dessen Bildung und Er-
ziehung zu höherer, edlerer Lebensauffassung mitwirken muss.
Wenn aber von geistigen Alitteln die Bede ist zur Lösung oder
Beschwii^litigung der socialen Frage, dann treten, wie bekannt, so-
gleich die Häupter und Diener der Kirche nnd deren Theologen her-
Padagogiiia, 14. Jtkrg. H«ft VJI. 29
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— 410 —
vor, hehrtuptend, dass sie es seien, nicht die Philosophie und die
Schule, welche mit geistigen oder vielmehr geistlichen Mitteln dieses
Problem zu lösen und die Gesellschaft zu retten haben vor der
großen Gefahr, die ihr droht, und dass sie allein, resp, die Religion
oder vielmehr der sofr. positive oder kirchliche Glaube dies vermögen,
wenn ilinen nur die nöthif^c Freiheit resp. Machtentfaltung gewälirt
oder gestattet werde. Wir stellen nicht in Abrede, dass die Religion
in der socialen Frage und deren Lösung eine große Bedeutung habe
und eine wichtige Rolle spielen soll, — haben wir doch selbst ander-
wärt« die Religion als ein sociales Gut von luH-lister Wichtigkeit be-
zeichnet und geltend gemarlit aber die sog. positive oder kirchlich-
dogmatische Religion, wie sie sich allmählich gestaltet hat, wird
unseres Erachtens unter den gegenwärtigen Verhältnissen wenig oder
nichts zu leisten vermögen. Hat doch diese positive kirchliche Reli-
gion nicht zu verhindern gewosst, dass die Zustände in der Gesell-
schaft allm&hlicli seit mehr ak ef&em Jahriumdert sieh gehildet haben,
wie sie gegenwärtig sind. Insbesondere hat z.B. die päpstlich^katho-
lische Kirche, die sich so unanfhOilich als einzige wahre Betterin der
QeseLlschaft preist und vordrängt, die grofie Bevolntion mit ihrer ver-
nichtenden gransamen Wirksamkeit nicht verhindern können in ihrar
aUmähUchen Vorberdtong nnd ihrem endlichen gewaltsamen AuslHraclt
Und doch hatte sie in Frankreich im 17. nnd 18. Jahrhundert unbe-
dingte Herrschaft, und aoeh die Oeneration, welche zur Zeit der Be-
volntion lebte und wirkte, war nnter der Herrschaft der Jesuiten ge-
bildet und erzogen worden! Und anch im 19. Jahrhundert fehlte es ihr
wahrlich an privUegirter Stellung, an Macht nnd Einflnss nicht, und
doch konnte sie nicht verhindern, dass der Sodalismus auch in katho-
lischen Staaten sich bildete und grofi wurde; {konnte die Völker mit
ihren gewohnten Mittehi nicht mehr beherrschen und lenken — wie
dies sogar im Kirchenstaate sich am auffallendsten zeigte, wo es der
pl^istlichen Kirche docli sicher nicht an Macht und an Freiheit fehlte,
die so sehr von den weltlichen Regierungen verlangt wird, als unfehl-
bares Mittel öesellscliaft uiul Staat von dem Übel der socialistischen
Bestrebungen zu befreien. Dies lässt wenig Hoffnung hegen, dass in
der Zukunft die kirchliciie WirJcsamkeit erfolgreich sein würde gegen
die Socialdemokratie, auch wenn ihr alle geforderte Freiheit gewährt
ist. Sie wftrde voraussichtlich ihrem absoluten Standpunkt und ihren
*) S. d. Werk: Über die Organimtion und Oultiir der nenscbUcheu Oesell-
•ehaft. Mttaohen 1886. 8. 306—249.
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— 411 —
liartnäckig festgehaltenen Grundsätzen gemäß den modernen Geistes»
bedfirfnissen und Forderungen nicht das mindeste Zugeständnis maclien,
sondern nach altüblicher Weise verfahrend, die Wissenschaft und die
Bildung des Volkes möglichst zu hemmen und herabzudriicken,
die Prüfung iiirer Lehreu und Institutionen zu hindern suchen, un»
durch Urtheilslosigkeit der Massen den Glauben sicher zu stellen.
Ihre Glaubenssätze und sonstige Satzungen miisste sie daher wieder
dtti'ch Glaubenszwang und physische Gewaltmittel aiitdringen und zu
erhalten streben, wie es ehemals gescliah und noch gescliieht, wo sich
Möglichkeit dazu bietet. Nächstenliebe und Humanität müssten wie-
der schweigen gegeniilier der sog. (ilaubensptlicht, und die Wahrheit
wäre nicht mehr für die Vernunft da, sondern nur für den blinden
Willen, der sich ihr nur äußerlich unterwerfen, nicht aber sie inner-
lich annehmen könnte. Der Glaube müsste wieder Liebe und Mensch-
lichkeit gegen die Mitmenschen ertiidten, selbst aber nur als auf-
gelegtes Joch getragen werden. Käme man nun mit all diesem wieder
der modei'uen Cultus-Gesellschaft, so müsste man auch sogleich wieder
die [»hysische Gewalt des Staates zur Verfügung haben. Die alte gute
Zeit mit iiner Gewaltthätigkeit und Verfolgung würde dann wieder-
kehren, um zuerst den rechten Glauben oder vielmehr Glaubensgehor-
sam gegen die Kirchenautorität zu erzwingen und dann erst infolge
davon die modernen socialistischen Bestrebungen zn verhindern und
zn vernichten. Es mnss dann ein kirchliehes Ver&hren eintreten,
▼ie etwa sor Zeit der Gegenreformation, wo mit Wort und Schwert
bekehrt wurde — durch Kirche und Staat Kann aber die Kuvhe
mit ihren Mitteln doch Gewaltthfttiigkeit und Zwang nicht ersparen,
um ihre vor der modernen Wissensdiaft und Civilisation nicht mehr
haltbaren Dogmen und Satzungen geltend zu machen, so ist es ge-
rathener für den Staat, lieber gleich die Sache in die Hand zn neh-
men, sowol um seine Antoritftt der Kirchenherrschaft gegenüber zu
wahren und nicht als deren Werkzeug zn erscheinen, als auch im
Interesse der Religion selbst, um diese nicht zum Oegenstand des
Hasses und der Verachtung zu machen dadurch, dass in ihrem
Namen Gewalt, Zwang und Verfolgung geflbt wird.
Die Beligion ist also zwar ein sehr wichtiges Moment bei der
Losung der socialen Frage, aber sie mnss erst selbst humanisirt wer-
den, d. h. aufhören als Gegenstand wilder Streitigkeiten und fana-
tischer Verhetzung der Menschen und der Völker gegeneinander miss-
braucht zu werden. Sie wird dadurch zugleich wirklich christlich,
da doch die Beligion Jesu als solche angekündigt worden ist, die den
29*
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- 412 —
Menschen Frieden auf Knien brinfreu soll, die eines guten Willens
sind — nicht etwa nui* denen, die den rechten Glauben haben, d, h.
denen, die dem Glauben, der Auffassung der christlichen Religion derer
beistimmen, welche etwa die Gewalt in Händen haben, der sog. Ortho-
doxen (nach ihrer eigenen Behauptung). Statt dessen haben ja die
Kirchen -Oberen und ihre Theologen aus dem Christenthum eine Reli-
gion unendlichen Streites, gegenseitigen Hasses unter den Bekennern
Jesu und wilder gegenseitiger Verfolgung gemacht!
Hier nun ist der Schule eine erste, wichtige Aufgabe gestellt.
Sie hat der Religion den humanen Charakter zu verleihen, welcher in
der ursprünglichen christlichen Religion durch das Gebot der Näch-
stenliebe und dorch AufifiEusung Gottes als Täter aller Menschen und
dimer als Kinder desselben und als Brüder beaMcfatigt and gefordert
ward, aber dnreh die eadloeen und wathenden tlieologfiseliea Streitig-
keiten nm des sog. orthodoxen Qlanbens willen &8t ganz yerloren
gegangen ist. Dadurch wird sogleich den Menschen allenthalben das
gleiche Beeht zntheil, eine eigene Überzengnng za haben und ebenso
es anderen, d.h. gegenseitig zu gewähren, anstatt des Privil^nrns des
einen dem anderen (wenn er sbweichenden Glanbens ist) gegenttber. Von
den Theologen und Eirchen-Antoritäten ist eine solche Friedensstiftang
im religiösen Gebiete schlechterdings nicht zn erwarten, sondern nur
fortwährender nnversöhnlicher Streit und Krieg, da sie einen absoluten
Standpunkt gegenseitig einnehmen, absolute Wahrheit zu besitaen und
Gottes Sache und Becht direct und ausschliesslich zu vertreten be-
haupten. Dieser Behauptung und diesem Glauben gegenüber wird der
Lelumtand eine schwierige Au^be zu erfüllen haben, aber endlich
muss doch wenigstens bei den Culturvölkern die Zeit kommen, wo
W issenschaft und Civilisation . weltliche Regierung und öffentliche
Meinung dahin wirken, dass die Religion, insbesondere die christliche,
zu einer Stätte des Friedens und der Eintracht werden — anstatt,
wie bisher, die fortdauernde Veranlassung zu Feindschaft, Verfolgung,
Schmähung und Verdammung zn werden wegen vermeintlicher Becht-
gläubigkeit und Irrgläubigkeit. Der R'eligionsunterricht der sog. posi-
tiven Glaubensrichtungen wird freiliih wol noch lange die Gelegen-
heit sein, confessionell zu hetzen, die .lugend und damit das Volk
wegen verschiedener Glaubensbekenntnisse mit At»nei<rung, Verachtung,
ja Hass zu erfüllen wegen unwesentlicher ( 'ultuslträticiie und weLren
abweichender Glauben.^siitze. von denen das V(dk docli gar kein eigent-
liches Verständnis erlangen kann, ja sie gar nicht verstehen darf und
die lür praktisches Christenthum, für Anbetung Gottes im Geiste und
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— 413 —
in der Wahrheit und für Nächstenliebe doch keine wesentliche Be-
deutung haben.
Eine weitere Aufgabe der Schule ist die intellectuelle Bildung;
d. h. die möglichste Entwickelung der Erkenntniskräfte, -wodurch so-
wol dem Einzelnen es leichter wird, sich im harten Kampfe ums Da-
sein mit seinen Fälligkeiten geltend zu machen, als auch das ganze
so gebildete Volk und damit (Lms Staatswesen selbst an Kraft und
BedeutuDp: gewinnt, da nur die geistig gebildeten Völker in der Welt-
geschichte eine wirkliche Bedeutung und das ('bergewiclit über die
anderen, wenij^er gebildeten Völkermassen eilangen. Indes gerade
diese 1^ (irdening. dass durch die Schule das Volk zu möglichst hoher
intellectueller Bildung gebracht werde, um an d<>r Wissenschaft und
Cultur einifrermalien theilnehmen zu können, wird von konservativer
oder reactionarer und clerikaler Seite vielfach angefeindet. Das Volk
soll diesen zufolge intetlectuell nicht zu sehr gebildet werden,
weil es dadurch die Lust an der Arbeit verliere, sich in geringer
Lebensstellung unglücklich fühle und in l'nwissenheit glücklicher sei,
auch wol leicht der Gefahr der Halbbildung, Verflachung u. s. w. ver-
falle. Außerdem sei die übermäßige intellectuelle Bildung der Jugend
und des Volkes dem religiösen Glaoben vielfach gefährlich and schSd-
iich, veranlasse leicht Zweifel an der Wahrheit der religiösen posi-
tiven Lefarai, störe den SeelenfriedeOi den der feste znversiditlidie
Glaube dem Menschen gewähre nnd nntergrabe die Ünbedingtheit
willigen Gehorsams gegen die geistliche Antorit&t — Es ist ntrn
allerdings kein Zweifel, dass die fortschreitende intellectneUe Bildung
des Volkes diese und ähnliche Gefahren mit sich bringt, aber soll
deshalb diese Bildung ohne weiteres unterlassen und der Einzelne,
wie das ganze Volk derVortheile beraubt bleiben, welche sTe bringt?
Soll gerade die höchste Gabe der Menschennatur unentwickelt bleiben,
dnrdi welche er sich über alle anderen Wesen der Erde so hoch er-
hebt, und soll das Volk in Unbildung nnd Unwissenheit, also mög-
lichst nahe dem thierischen Zustande erhalten werden, weil mit der
Bildung auch Ge&hren verbunden sind? Unmöglich, d^n dies wäre
gegen alle Natur und Geschichte, gegen alles Recht und alle Vernunft.
Es ist die Aufgabe der Cultui'entwickelung, nicht das Volk in Unbil-
dung und Stumpfsinn zu erhalten, damit es keine höheren Ansprüche
an das Leben erhebe, sondern es so zu bilden, dass die damit ver-
bundenen Gefahren auch allmählich überwunden oder ganz vermieden
werden. Es ist dies aber eine der wichtigsten Aufgaben der Er-
ziehnngskunst, die sich gerade der Lehrerstand nach und nach an-
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— 414 —
eignen miiss. Handelte es sich um Bedürfiiis- und Anspruchslosigkeit
im Leben, wie sie mit Unlnldung uud Stumpfsinn verbanden sind,
dann wäre das sicherste Glück des Daseins überhaui)t darin begrün-
det, gar keinen Verstand zu haben, oder den dem Menschen verliehe-
nen so zu behandeln, dass er gar nicht zur Entwickelung käme, außer
nur für ganz sinnliehe Genüsse und Ang-elegenlieiten, wie es bei den
Thieren der Fall ist. Kann aber dies vernünftigerweise nicht ge-
stattet werden, um des venneintliclMMi mit Unbildung und Roheit
verbundenen sog. Glückes willen, dann aucli niclit die Vernachlässigung
der dem Menschen innewohnenden intelleetuellen Kraft, deren Bildung
sowol dem. Einzelnen als dem ganzen Volke von höchster Förderung
sein kann, ja fiir Eealisirung der Weltidee überhaupt ein wesentliches
Moment ist. Den Gefahren der „Halbbildung"*) wird wol mehr und
*) Mit dem Vorwurf der ..Halbhildunj?'' ist man in neuerer Zeit gTpcii den Lehrer-
stand sehr freigebig, besonders von Seife derer, welche denselben inöglichsl nieder-
halten wollen in untergeordneter Stellung. Er »oU möglichst ungebildet bleiben,
damit er nicht der Halbbfldoig und denn Oefahxen verfUlel Ein leltniBet Ver-
langen! Qans angebildet wird man den Iiebrerstand doch wol auch nach der Hei«
nung dieser Lmite nicht lassen dürfen, wie weit darf man ihn dann aber bilden,
damit er nicht halbgebildet werdeV Ist eine (irenze anzucfcben, — etwa von Vior-
tcls-, Halb- und (ianzbildung? Es lääst sich mit dem Hegritf „üalbbUdung" gar
nidits Bestimmtes bei«iohnea, es s^ denn, daas darunter di« bkBe Seheinliildiing
Tezstanden werde, die von diesem oder jenem Gebiete oder von mehveren Oebieten
nur oberfliichliobe und phrasenhafte Kenntnisse hat und auf Grund deren sieh ab-
»preehcnd und cintrcbildet verliiilt. Zu wahrer uud ganzer Bildune: kann man heut-
autagc bei ilct uuermesslich«'n Erweiterung uud Vertiefung der Wissenschaft nicht
verlangen, dass jemand, um Halbbildung in vermeiden, in allen Wissenichnften
oder nueh nur in einigen voUkonunen dardigebildet sd; sondern es muss nur 'Ve^
neidong derselben und zur gansen Bildung genügen, in einem bestimmten Gebiete
voMkommrn durchgebildet zu ßeiu, und das ist t'iirilen hchrcrstand das pädagogische.
Wollte man zur Vernn idiiiig der Hiilbbildiing mehr VLrlaugen, so müsüte man so
ziemlich alle Vertreter der verschiedenen Wi^euschafteu fiir Halbgebildete erklären,
denn bei der Theilnng der Wiasenachalten -bleiben denVertretem der venehiedenen
wissenschaftlichen Gebiete die anderen giOBtentheils, wo nieht ganz fremd. So ist
es z. B. größtentheils bei den NaturforKciiem, den Historikern, den Philologen, den
.Juristen u. s. w. Den Theolugen insbesondere bleiben in der Kegel nicht bloß die
eigentlichen Wissenschaften und deren Gebiete fremd, sie werden auch noch sehr
duNdtig, Mos theologjscb gebildet und mit VorurCbeilen besondo» gegen die
moderne Wissenschaft erflllH. Sie kOnntoi d^r naeh obiger Fovdemng gau
besonders als blos der „Halbbildung'' theilhaflig bezeichnet werden! Es ist richtig:
„Halbbildung" im Sinn von Seheinbildung soll bei dem Lehrerstand vermieden wer-
den; dies kann aber nicht durch Unbildung, sondern nur durch gründliche Durch-
bildung in ihrem eigenen Fach vermieden wcrdeu, in welchem sie möglichst ganse
Bildung erlangen sollen.
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— 415 —
mehr vorgebengt werden können, je mehr die ErziehmigswisseDScliaft
und -Kunst Fortschritte zu machen imstande sein wird. — Was
endlich die Gefährdung des religiösen resp. kirchlichen poaitiTen
Irlaubens betrifft, welche die intellectuelle Bildung zur Folge haben
soll, so ist darüber einfach zu sagen, dass im allgemeinen eine Reli-
gion, welche die intellectuelle Bildung der Völker überhaupt zu fürch-
ten hat und nicht ertragen kann, nicht die wahre, echte Religion sein
kann, sondern entweder schon im CTrundwesen falsch sein, oder in der
Entwickelung eine falsche Richtung genommen und in ihrer Gestal-
tung von der Zeit und den P'ortschritten der Erkenntnis überholt
sein muss, also einer Reform bedürftig ist. Denn eine Religion kann
nicht richtig und berechtigt sein, die gegen die Vervollkommnung der
Menschennatur sich richtet, welche zum Bestand die Niederhaltung
der höchsteu Geisteskraft von den Menschen fordert. Wird der In-
tellect in seiner Thätigkeit und Vervollkuminnung gehemmt oder unter-
drückt, muss sozusagen das Auge der Vernunft verschlossen bleiben,
damit blindlings geglaubt werden kann, dann werden auch die ande-
ren Geisteskräfte, Gemüth und Willen nicht in normaler Weise thätig
sein und sich entwickeln und vervollkommnen können.
Um die Bildung dieser beiden Geistes vermögen handelt es sich
aber gerade in der Erziehung, die demnach die Bildung des Intellects
zngleieh erfordert. Dass zur Bildung von beiden blos theoretiflehe Untere
Weisung nicht genüge, insbefiondere nicht etwa bloSes Answendig-
lernen yon Degmen imct dtüidier Gebote mid Verbote, ist wol pfida-
gogisch ftet allgemein anerkannt» wenn auch praktisch nicht immer
dieser Einsicht gemftfi yerihhren wird. Es smd insbesondere edle
Beispiele als Vorbilder, die hier wirksam sind, weil sie anf die Phan-
tasie besonders der Jngend wirken nnd zn edlen Entschlossen nnd
nachahmendem Verhalten anregen. Nicht mit Unrecht ist behauptet
worden, dass der Mensch so sei, wie seine Phantasie beschafiim ist
Phantasie -VorsteUnngen machen Heldoi, kühne Unternehmer, liebe*
volle werkthfttige Menschenfrennde nnd selbst Asceten, da durch
PhantadethfttJgkeit Furcht wie HoiBrang erzeugt nnd za bestimmtem
Thnn angeregt wird. Freilich soUen diese Vorbilder yon der Art sdn,
dass sie in normaler Weise nachgeahmt werden kOnnen, nicht aber
Extreme in Ascese und Wunderlichkeiten, die Uhr die Menschen im
allgemeinen nunachahmbar sind und nur Verwunderung, Scheu oder
Mitleid erregen können — für das praktische Leben aber vollständig
anfrnchtbar sind, nnd auch andere nicht dafür als Vorbilder frucht-
bar machen kOnnen. Es ist ein Hauptmangel der Heligionen bezQg-
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— 416 —
lieh der Eraefaimgi dass solche WundermeiiBebeii am höchsten gestellt
werden nnd das Volk gerade mit ihnen am meisten bdiannt gemacht
wird» Aber welche es sich doch nnr wandern kann, ohne ein Beispiel
der Nachahmung an ihnen zn gewinnen.
Als eine Hauptaufgabe, durch deren ErfttUung die Schule zur
glücklichen Losung der sociAlen Frage der Gegenwart beitragen kann,
ist endlich noch dies heryonuheben, dass sie die Jugend und damit
auch das Volk zur richtigen Würdigung der DaseinsverhUtnisse, mr
Schätzung der Dinge und Güter nach ihrem wahren Werte anleite
und dadurch Ton jenen Illusionen befreie, die hauptsächlich dazu
beitragen, dass das Volk unzufrieden wird und sich ungl&ddidi in
seinen untergeordneten Lebenslagen und BerafBbesch&fügungen fühlt.
Es ist vor allem die Nothwendigkeit der Arbeit selbst, die als ein
MisQgeschick, als eine Last, ja zum Theil als ein göttlicher Fluch
angesehen wird, während Freisein von derselben, Müßiggang als ein
großes Gut uml (tIücIc und gewissermaßen als ein Götterleben be-
trachtet wird Es sind dann die äußerlichen Lebensgüter, Beichthum,
sinnlicher Genuss, hohe Titel und Würden, die man fllr schönste, be-
glückendste Lebensgüter ansieht, die man wünscht, um die man andere,
denen sie zutlieil geworden, beneidet, ja mit Zorn und Ingrimm
betrachtet. Dass hier große Illusionen vorliegen, ist ohne große
Schwierigkeit zu erkennen. Diese sind soviel als möglich zu zer-
streuen, und sind dafür die wahren, wirklich wertvollen Lebensgtiter
zum Bcwusstseiu zu bringen. Vor allem ist dem Wahne entgegen zu
wirken, als ob Müßiggang, Xiclitstlmn und bloßes sinnliche.s Genießen
ein menschenwürdigerer und gliickliclierer Zustand wäre als Arbeiten
und mäßiges Leben. Die Arbeit wii d noch vielfach, zum Hieil durch
religiöse Ansichten, als ein Strafzustand, ja sogar als Folge göttlichen
l' luches über die Menschheit angesehen, der intolge des sog. Sünden-
falls der ersten Menschen über die ganze Menschheit soll von Gott
ausgesprochen worden sein (Genes. 3, 17 tf.); — eine Annahme, die
schon mit dem biblischen Berichte selbst nicht in Übereinstinnnung
steht, da dem Menschen selbst im sog. Pai'adiese vom Schöpfer von
Anfang an die Aufgabe gestellt wird, die Erde zu bauen und zu be-
wohnen (Genes. 2, 15j. Die Arbeit, das Schaffen begründet im Gegen-
theil das Glück, wie die Würde und Ehre des Menschen, da dieser
nur 80 viel wert ist, als er für seine eigene VenroUkonunnung und
für das Wol seiner Mitmenschen leistet, und nur durch seuie Wirksamkeit
Wert und Bedeutung für daa Dasein überhaupt und insbesondere für
sein Volk und die Menschheit erh<. Schiller lAsst es so ausspvechen:
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„Ehr den König seine Würde, ehret uns der Hände Fleiß." Jede,
auidi die geringste Arbeit hat ihre Bedeutung im Gesammtdasein der
Menschheit so gnt wie die auf den Höhen der Gesellschaft, wie das
Fnndament seine grofie wichtige Bedeutung hat, anf dem die Figur
8i<'h erhebt. Was aber das Lebensglück betrift't, so ist es nicht durch
Genuss, Glanz, prunkenden Schein begründet, sondern durch schaffende
Arbeit, die sowol den Schaffensdrang befriedigt, als auch die noth-
wendigen Lebensgenüsse erhöht und veredelt. Hat doch schon Aristo-
teles behauptet, dasss das wahre Glück des ^lenscheii durch nichts
anderes en eicht werde, als durch erfolgreiche Tliätigkeit, — also
nicht VOM Reicht huni, Genuss und den orewöhnlicheu Glücksgütern l)e-
gründet werden kann. Allerdings ist die Arbeit auch vielfach mit
Beschwerden und selbst Gefahren verbunden, aber immerhin lässt sitth
doch jeder Art derselben irgendeine bedeutungsvolle und selbst ideale
Seite abgewinnen, und dies um so mehr, je beschwerlicher sie ist, da
sie stets zum Ganzen des Weliitmcesses und der Krlüiiuiig der Auf-
gabe der Menschheit gehört, wie Schiller es ausdrückt: ^
BeBdilfliKuuK, die nie ennattet,
Die langeam schafft, doch nie lentOrt,
Die zu clt'ui Bau (lor Ew iVkcitcu,
Zwar Sauflkorn nur und Sandkorn reicht.
Doch von der großea Schuld der Zeiten
Ifinuten, Tage, Jahie atretcht.
Es ist selbstverständlich bei all' dem immer vorauszusetzen, dass die
materielle Lage der in den unteren Gebieten des Daseins Arbeitenden
verbessert wei^e, soweit es nach Lage der physischen und geistigen
DasdiisweiBe des Mensche und der mensdillehen Oesellsehaft nnr
immer möglich ist.
Die Aufgabe der Scfanle wird hierbei eine sehr grofie und sehwie-
rige sein, denn in diesem sinnlichen Dasein den vorherrschend im
Sinnlichen Lebenden nnd Wirkenden die richtige Würdigung der Arbeit
and die richtige SchAtsung der Dinge, Güter nnd Verhältnisse nach
ihrem "wahren Werte beizubringen, eine Sch&tzung, in der man schon im
Alterthnm die Weisheit erblickte und ein Resultat philosophischen Denkens
sah, ist schwer. Grundsätze allgemeiner Art und vemttnflige Lebens-
regetai vermögen anf solche Menschen nicht nachhaltig zu wirken, es
ist hier nothwendig, dass auch die wirkliche Religion, das wahre
Christenthum in seinei* ursprünglichen Reinheit zur Geltung gebracht
werde. Das Christenthum hat die Armut nicht blos erleichtern
\v ollen durch das Gebot der Nächstenliebe, das dem der Gottesliebe
gleichgestellt wurde, es hat dieselbe sogar gewissermafien geadelt, als
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— 418 —
vollkommeneren Zustand geltend gemacht, als den Besitz von Reich-
thum, so zwar, dass dieselbe von Tausenden fi*eiwillig gewählt, dem
Besitz von Reichthum und Genuss voi-gezogen ward. Ähnliches sollte
auch in Bezug: fiuf die Arbeit angestrebt werden, da dies noch vi»d
u iclitifift r \v;ire als jenes. Die Erhebnn<? Vier Armut brachte manche
Missstände mit sich, förderte missbräuchlich auch den Müßigganir
uud den Bettel in einer Weise, die dem Einzelnen und dem (^eniein-
weson zum Schaden gereichte. Dies ist bei P'örderung einer hfilieren
Auffassung der Aibeit uud selbst einer gewissen religiösen Wellie der-
selben nicht der Fall, im Gegentheil werden dadui'ch die Einzelneu
in ihrer Lebenslage gef(irdert und werden die Völker und Staaten
dadurch nicht blos moralisch und intellectuell gehoben, sondern auch
materiell reicher und ph3'sisch mächtiger.
Alle Bestrebungen der Lehrer in den Schulen in Bezug auf rich-
tige Würdigung der Arbeit und^ in Bezug auf vernünftige Wert-
schätzung der Güt^r und Genüsse des menscii liehen Lebens werden
aber kaum dcsn gewünschten für das Wol und den Frieden der Gesell-
schaft nothwendigen Erfolg erzielen, wenn sie nicht unterstützt wer-
ömt von den böberen md gebildeten Classen der Gesellschaft durch
das Beispiel und das Vorbild edler Gesinming nnd riebtiger Sebftteang
der LebensgQter und Genosse nacb ibrem wahren Werte. Man kann
▼on den nngebildeten Volksclassen nicht eine hohe nnd edle Gesinnung
nnd weise Benrtheilung der Dinge erwarten, wenn diese unaufhörlich
wahmebmen, dass die hQheren, an Bang nnd Bildung über ihnen
stehenden GeseUschaftsdassen sie selbst nicht bekunden. Wie sollen
die niederen Classen z. B. die] Arbeit hochschätzen als die Ehre und
Wfirde des Menschen und als das wahrhaft das Lebensglfiek BegrOn-
dende, wenn sie wahrnehmen, dass jene selbst ebi müßiges Leben fttr
das Höchste nnd füij das wahrei Oötterleben erachten und danach
streben? Und wie soUen sie sinnliche Genfksse nicht fllr das Höchste
erachten, wenn sie sehen, dass die höher Gebildeten so sehr denselben
nachjagen und außerdem der großen Mehrzahl nach gierig stroben
nach leeren, prunkenden Titeln, Ehrenbezeugungen und eitlen Änßer
liebkeiten aül&c Art? Ja, wenn sie sehen, dass nicht blos die Träger
der Bildung, sondern sogar die der Religion, die Vertreter und Macht-
haber des religiösen (kirchlichen) Glaubens dergleichen Nichtigkeiten nach-
jagen, das Leere und Bedeutungslose hochschätzen, während sie verlangen,
dass das ungebildete Volk sich an das wahrhaft Wertvolle halte,
ideale Gesinnung kundgebe und bethätige, während sie nach glänzen-
dem Firlefanz streben?
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Es ist also swar, wie schon dngangs bemerkt, snf das Hflehsfce zu
wOnscheii, dass die materielle Lage der in niederen Lebenssphlren
Arbeitenden so gnt als nor immer mOglich gebessert und gehoben werde»
und unserer Zeit wird es zum nnvergfinglichen Rnhme gereichen,
dazu großartige Anstalten versucht zu haben, — aber ohne geistige^
ohne intellectuelle und sittliche Bildung wird alles vergeblich sein»
denn den Unvernünftigen, von Leidenschaften Fortgerissenen nnd den
Schlechten kann durch nichts geholfen werden!
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Drei Monate Fabrikarbeiter.
£rgel)ui>!>e uud Fordorutisren fOr die Volkaschnle
von Tfteoti, Liultv, Wolf- Leipzig.
Unter dem Titel „Drei Monate Fabrikarbeiter''*) bat vor einiger
Zeit Herr Faul GObre, Candidat der Theologie and Generalsecretär
des evangeliBch-soeialen Congresses in Berlin, eine Studie veröffentlicht
die in allen Kreisen lebhafte Anfhahme gefunden zu haben scheint,
nicht am wenigsten in Lehrerkreisen. Der Ver&sser hat» um „seine
ärmeren Mitbrftder und ihre Lage, ihre Gedanken, ihr Sorgen und ihr
Sehnen" kennen zu lernen, unerkannt drei Monate in Chemnitz als
einfacher Arbeiter einer großen Maschinenfabrik mit anderen Fabrik-
arbeitern «tSglich 11 Stunden gearbeitet, mit ihnen gegessen und ge-
trunken, als einer der ihrigen unter ihnen gewohnt, die Abende mit
ihnen verbracht, sich die Sonntage mit ihnen vergnügt*.
Dem yer&sser ist es ernst um die Lösang seiner selbstgestellten
Aufgabe gewesen, und er hat sich diese nicht leicht gemacht; er ist
mit sittlichem Eifer an sie lierangctreten ; diesen, eine tiefe Liebe zum
Volke und ein heißes Sehnen und Bemühen, dem „vierten Stande" zu
helfen, erkennt man auf jedei' Seite. Er hütet sich, und waint selbst
davor, seine Ergebnisse zu verallgemeinem; was er uns bietet, gilt
zunächst nur von den sächsischen Industrie- Arbeitern; er berichtet es
mit der nöthigen Objectivität, dem nötliigen Freimuthe und greift
ohne Sclieu in otfene uud gelieime Wunden. Hoi r Gölire berichtet
über die materielle Lage der Arbeiter, über die Arbeit in der Fabrik,
die Agitation der iSocialdemokratie, über die socialen und politisclieu
Gesinnungen seiner Arbeitsgenossen, über Bildung und Christenthuni,
über sittliciie Zustände, uud in einem Schlusscapitel zieht er das
Facit seiner Erlebnisse.
' Was dem Pädagogen das Bucli so wertvoll macht, sind zunächst
**) Drei Monate Fabrikarbeiter and Haodwerkslnindie. Eine pndctiselie Studie
TOD Paul GMhie. Zweites Zehntaneend. Leipng, 1891. Fr. W. Grunow.
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— 421 —
nicht die Ausfähinin^en über die wiilschafUich^ , politischen oder
socialen Verhältnisse der Arbeiter, sondern das was er über religiöfle,
sittliche und wissenschaftliche Bildung berichtet. Das kann uns
Liehrem einen Anhalt geben, wo die Schule den Hebel anzusetzen
hat, um an dem socialen Problem mit zu arbeiten.
Es zeigt immer von einer Verkennimg der Thatsachen, wenn man
meint, die Schnle könne die sociale Frage lösen ; sie kann es allein
• bcnsowenig wie die Kirche. „Die riclitigen Ärzte aller socialen Krank-
heiten", sagt einmal K. E. Franzos, ..sind der Volkswirt, der Priester,
der Schulmeister." G-ewiss, da die sociale Fra^e eine hervorragend
ethische Frage ist; nur soll jeder auf dem (Tebiete helfen, auf dem er
(•«»iiipetent ist. Die Schule darf sicli nie als Warte im Kampfe gegen
irgend welche politische Partei gel)rauchen lassen; jede Politik liegt
ihrem Wesen fern. Auch ihr kann es, wie Göhre es von der Kirche
behauptet, gleichgiltig sein, „ob sie in einem Feudal-, Manchester- oder
Socialstaate wirkt". Das Ethisch-Keligiöse ist der Bodeu, auf dem die
Lehrer kämpfen müssen.
Die Scliule beansprucht tüe Gebiete des l'nterrichts und der Er-
ziehung. Sie hat damit zwei Verpflichtungen, die der Familie zu-
kommen, auf sich nehmen müssen. Der Unterricht bleibt ihr nnbe-
stritten, wiewol sie «ach auf diesem Felde die Unterstützang des
Hauses nicht gat entbehren kann. Kit dem Begriff dee ünterridita
hat sich der der Ehrziehung allmfthlich nnlösUch verbanden; ja dieser
hatr and mnsste es, als das weeentlich ^richtigere Moment, die erste
Stelle eingenommen. Für die Erfolge auf diesem zweiten Felde moss
aber die Familie in weit höherem Malte als die Schale verantwortlich
gemacht werden. Hier kann die Schnle niemals die Erbin des Hanses,
sondern nor seine Frenndin, Helferin and Beratfaerin werden. Dass
Pestalozzi die Wohnstabe als Bettnngsanstalt in socialai NOthen an-
sah, dass er in der Matter die weitaas beste Erzieherin erkannte,
das mass Ar alle Zeiten G^tnng haben, davon dürfen wir nicht ab-
kommen. „Das, was Eltern die Kinder lehren können , ist nnd bleibt
immer die Hauptsache f&rs menschliche Leben, und das versäumen
die Eltern den Kindern in ihrer Wohnstabe zu geben and bauen auf
Wörter, die ihnen ein Schulmeister vorsagt, die zwar wo! recht und
gut sind und viel Schönes und Braves bedeuten, aber immer doch nur
Wörter sind und aus einem fremden Munde kommen und den Kindern
nie 80 anpassen wie ein Vater- und Mntterwort^ *;
*) PMtalomd, Christ, u. Else. I. 8. 889 ff.
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— 422 ~
Wo bleibt aber die Familienerziehuug, wenn das Familienleben
tliatsächlich im Schwinden begriffen ist? Herr Gölire hat dafür eine
Monge Belege in den Kreisen seiner Arbeitsgenossen gesammelt. Vor
allem sind die jämmerlichen W'ohnungs Verhältnisse an der Lösung der
Familienl)ande schuld.*) „Das I raurige an dem ganzen Wohnungs-
wesen", sagt Herr Göhre (S. 21), ,,war das Miss Verhältnis zwischen
der Enge der Räume und der Zahl ihrer Bewohner. Weitaus die
meisten Familien hatten eine Scliar Kinder, hatten Sclilafleute und
Kostgänger.*' ,.Das Ärgste von Wohnungsuoth, was ich erlebte,'* um
das drastischste Beisj)iel anziitüliren, „war bei einem Mann aus meiner
Fabrik. Das war thatsächlich nicht mehr menschenwürdig. Der
Manu war ein alter und langjähriger Arbeiter. Er hatte eine ki-änk-
liehe, halbgelähmte, blutflüssige Frau. Ihre Kinder waren bereits er^
wachsen imd Terhdntet; sie hatten nur dne vm Ihnen benUch gepflegte
Enkelin noch bei sich, dagegen ftnf fremde Scfalaflente! Dieses Ifannes
Wohnnng bestand ans folgenden Gelassen : aus dner Stube, einrai
Alcoven, einer einfenstrigen Kammer und einer Dachkammer. In
dieser standen zwei Betten: in dem einen schlief eüi ganz junges Ehe-
paar, das hier zur Aftermiete wohnte^ und in dem andeni das zwölf-
jährige Mädchen, das Enkelkind!" — Das gesdiieht in einem Staate,
der sidi nicht mit Unrecht seiner verhältnismäftig guten sanitären und
aittenpolizeilichen Verordnungen und Einrichtungen rühmen darf! „Das
Schlafstellen- und Eostgängerwesen ist der Buin der deutschen Arbeiter-
fkmilie. Aber es ist ftlr de in den allermeisten Fällen dne wirt-
schaftlidie Nothwendigkdt" **)
Dass dabei trotzdem „die Zahl der Familien, die bd aller Be-
schränktheit der Lebenshaitang und Wohnnng so gut als möglich auf
Adretthdt und Anstand zu halten versuchten und auch thatsächlich
hidten, unendlich größer war als diejenigen, bei denen aus irgend
dnem Grunde nicht der Fall war", das spricht laut genug f&r den
noch immer gesunden Sinn fiir das Häusliche unserer Arbeiter.
Zu diesen trüben Wohnungsverliältnissen kommt noch als zwdter
Missstand die lange Arbeitsdauer. Elf Stunden ist der Vater, zum
Theil auch die Mutter in der Fabrik beschäftigt, die Kinder befinden
sich in der Schule. Selbst der Mittag versammelt die Familie nicht
zu gemeinsamer Mahlzeit. Kine einstiindige Mittagspause, ein weiter
Weg von der Arbdtsstätte zur Wohnung! Die Mahlzeit muss aoi
*) H. Albrecbr, Wobnung der AimeD. Deutsche Rnndschaii XVn, 2 ü.
♦•) GOhie a. a. 0. ii. 24,
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der Strafe, wenn ea gut geht im Fabrikgebäude selbst eingenommen
werden. »Wie kann solcb eine Mahlaeit auf der Straße jemals eine
gesegnete sein? Wie kann man im Emst tadeln, dan de ohne Gebet
und Hände&hen hineingeworfen wird? Wie muss sie ganz anders
als Agitatoren Worte es vermögen, den Familiensinn des Vaters nnd
der Mntter und damit Familienglück und Familienleben zerstören?
Denn diese Zustände und ihre Folgen /treffen ja nicht nur den, dem
man das bisschen Essen im Topfe auf die Promenadeubauk bringt,
sondern stets die ganze Familie." *) Und wie ist es am Abende?
tilMf und abg-espannt kehrt der Vater lieim von der Arbeit in seine
unfreundliche Behausung; soll er sich dann noch viel mit seinen Kin-
dern beschäftifjfen? Oft sind sie ja län<,^st .schon zur Kulie f^cj^angen.
l'ng^estört und allein zusammen können Eltern und Kinder nur wäh-
rend der Nacht, vielleicht auch Sonntags sein. Es erhellt daraus
dass ^.intolfre dieser Ziistiinde in weiten Kreisen unserer großstädtischen
Industriebevölkeruiifr die iiberlielerte Form der Familie heute schon
nicht mehr vorhamlen ist. Der alte, auf Blutsverwandtschaft von
Eltern und Kindern niliende und aus allein solchen blutsverwandten
Gliedern zusammengesetzte Organismus der Familie, an den sich in
besseren Ständen bisher nur einzelne Dienstboten fester oder loser
anschlussen, hat in der That in jener Bevölkerungsschicht heute bereits
mehr oder weniger einem erweiterten, auf den rein wirtschaftlichen
Bedürlnissen gemeinschaftlichen Wohnens und Lebens aufgebauten, in
der Zusammensetzung seiner Glieder durch Zufälligkeiten gebildeten
Kreise von Blutsverwandten und Fremden Platz gemacht Und nicht
die Socialdemokraten und deren Agitation haben daran die Uaupt-
schnld, sondern eben jene Zost&nde, die eine Fracht nnserer ganzen
wirtschaftliehen VeriiUtnisse sind nnd die es den ÄiMtem unmög-
lich machen, gemeinsam ihre Morgen- nnd MittagsmaUzeiten ein-
zunehmen, die sie zwingen, die allerdfliftigsten nnd allerengsten Woh-
nungen zu beziehen, dazu noch wildfremde, hAufig wechselnde Schlaf-
gäste bei sich aufisunehmen und ihnen den yertrauUchsten gemeui-
samen Umgang zu gestatten, den man sonst nur mit den eigenen
Familienangehörigen zu pflegen gewohnt war." **)
Was sollen da Koch- und Haushaltungsschnlen helfen? Was
sollen Schulsparcassen, Knabenhorte und ähnliche Einrichtungen?
Sie haben nur eme interimistische Bedeutung, flir so lange nflmlich,
*) 061m a. a. 0. a 86.
**) G«lire a.a.O. S.87ff.
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als die Familie üiren Verpfliclitungen nicht nachkommt und nicht
nachkommen kann. „Was sollen Reformen der Erziehung, solange
diese socialen Schäden fortdauern? Nur eine Rechtsordnung, welche
die Gesellschaft selbst reformirt, kann hier allmählich Wandel
schaffen." *) Damit nehmen wir nicht die Verantwortung von der
Schule, dass sie durch den erziehlichen Unterricht die Farailienglieder
an ihre Familienpflichten eriiuiere; denn die Schule soll und kann
auch zur Erziehung der Gesellschaft beitragen. Der wahre Volks-
schullehrer muss das sein, was Diesterweg von ihin fordert, ein Volks-
pädagog.
Die Klagen über zunehmende Verrohung der Jugend, über da«
Anschwellen der Unsittlichkeit sind ebenso allgemein wie berechtigt.
Man werfe nicht ein, dass die sittlichen Zustände vergangener Zeit
schlechtere gewesen seien, als die der Gegenwart. Denn darin eben
liegt der Vorzug unserer Zeit vor der Vergangenheit, dass der Mensch
heute besser sein kann, nicht darin, dass er besser ist. Ist es aber
ein Wunder, dass die sittlichen Zu.stände so unerfreuliche sind? Ist
es nicht vielmehr ein Wunder, dass sie nicht noch weit schlimmere
sind ? Dass dies nicht der Fall ist, dessen rühmen wir uns, das dankt
man zumeist der Schnle. Hören wir darftber Herrn Göhi'e! Er sagt:
„Das Sittengesetz des Chriatenthnms, das in der geschichtlichen Person
Jesn Ton Naaroth als erfilUtes Ideal nns von Gott offiBnhart ist, sdtp
dem das starke Bttckgrat aUer christlichen Jngenderziehnng , sitzt
noch als das beste Stück ihres sittlichen Cbafakters und ihrer selbst
oft nnbewnsst anch in den Herzen der mir nahe gekommenen Arbeiter
fest. Es gilt anch ihnen noch als Haftstab nnd Wertmesser fOr alle
Handlangen nnd Oedanken, als die unsichtbare letzte Instanz, die
Macht des GewissoiB, die zwar oft beiseite geschoben, umgangen nnd
zum Schweigen gebracht wird, die aber trotzdem anch in ihren Augen
eine unantastbare Autorit&t und selbstverständliche und natttiliehe
Ordnung ist" Ja, das Gewissen ist eine Macht, aber nur fikr den
sittlich schon erzogenen Menschen. Wer aber mahnt den Jugendlichen
Arbiter daran, der Stimme seines Gewissens zu kusdien? Wer ist
ihm Führer in der „Jugendwflste'*, um mit Dörpfidd zu reden, die
vom Austritt aus der Schale bis zur Mündigwerdung sich ansstreekt?
»Man denke daran, dass die nnverhältnismäßig günstigen Löhnungs-
verhältnisse der unbeaufsichtigten Jugend nothwendig zu dem Leioht-
*) Wondt, Bthik. 8.468.
**) GOhre a. a. 0. 8. 191.
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siiui, der Boheit und der VerscliwendangSBacbt flihren mttssen, die
man unter ihnen in erstannlichem Umfange verbreitet findet." *) Soll
dann die ^Schule des Milit&rs" den sittlicli Gefallenen wieder auf-
richten? Sie könnte es; aber sie eif&llt ihre erziehliche Pflicht nicht
Denn darüber, dass ein Mensch, wenn er nicht sittlich kerngesund ist,
mit dem Eintritt ins Militär den letzten Rest von Schamhaftigkeit,
Austand und Menschenwürde verliert, darüber ist wol jeder Ein-
^jeweüite sich klar. Der jugendliche Gymnasijist hat einen sittlichen
Halt in der Familie, in der Schule; unserm jugendlichen Arbeiter fehlt
er. Die evangelischen Jünglings- oder katholischen Gesellenvereine
helfen hier nicht aus, weil sich ihnen gerade die selbstständigeren, selbst-
bewussteren Elemente entziehen. Die Fortbildungsschule soll man hei
der geringen Zeit, die sie dem Zögling widmen kann, nicht verant-
wortlich machen für seine Entsittlichung. Und wie stünde es dann
bei den Mädchen, die auch dieses Zwanges ledig sind? „Ich behaupte",
sagt Göhrc iS. 205), „dass kaum ein junger Mann oder ein junges
Mädchen aus der Chemnitzer Arbeiterbevölkerung, das über 17 Jahre
alt ist, noch keusch und jungfräulich ist. Der geschlechtliche Um-
gang, auf den Tanzböden vor allem groß gezogen, ist unter dieser
Jugend heute im weitesten Umfange verbreitet. Er gilt einfsuih als
das Natürliche und ganz Selbstverständliche; von dem Bewnsstaein,
daas man damit dna Sfinde begeht^ ist aalten «ine Spar voriiaiiden.
Daa aeciiate Gebot exiatirt in dieaem Sinne da unten nicht" Und
darin eben beeteht daa GefiUuüche, dasa man daa ünaittliche bereita
gar nicht mehr ala aolchea anaieht, aondem ala etwaa ganz Settiat-
Terstlndliehea. Soll daa ao weiter gehen? Soll die träß Liebe ala
ein aittlieher Znatand anerkannt werden? — Die Familie kann anch
hier Betterin werden. Da aie ea aber Torlänilg nicht ist, mflsate die
FortbÜdnngaadinle in ihren Zielen und Fftdiem erweitert werden,
mttaate aber anch ihre Diadplinargewalt aoagedehnt werden. Die Zeit»
in welcher der Charakter aniSbigt aich zn bflden nnd zn ÜBatigen, ist
so wichtig, dass sie solche Forderungen rechtfertigt. „In diesem
wichtigsten Abschnitte des Lebens die Jugend in sittlicher Beinheit zu
erhalten und vor der Bahn dea Lasters zu bewahren, das wäre eüi
Flrohlem, das weit über das sociale im engeren Sinne hinausgeht,
eben weil seine T^ösung die Voraussetzung für die Lösung aller socialen
Fragen büdet"
*) Göbre a. a. 0. S. 192.
**) TrOper, Die Schule und die BOciale Frage, m. S. 87.
B. 14. iwtug, Heft VII. 90
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Wenn ii'gend der Moralimterricht eine Bereclitif^iing hat, so hat
er sie gerade für die Periode der Mündigwerdung. Damit und von
ethischen Grundsätzen durchdrungen müssen volkswirtschaftliche Be-
lehrungen und eiu Unterricht in der GesellBchaftskonde Hand in
Hand gehen.*)
Aber betont muss hierbei iiimier werden, dass nicht das Wissen,
nicht Verstandesbildung den Menschen sittlich maciien kann. Luthardt
citirt in seiner Apologie des ('hristenthums flV. 228. 17i Matthias
Claudius mit folgenden Woiten: „Es ist zwischen den Begrilten und
dem Wollen im Menschen eine große Kluft befestigt. Das Rad des
Wissens und das Kad des Willens, ob sie wol nicht ohne Verbindung
sind, fassen nicht ineinander. Sie werden von verschiedenen Elemen-
ten umgetrieben." Will die Schule erziehlich wirken, so muss sie vor
allem den Willen, das Gefühl, den Trieb bilden. Sie sind die psychi-
schen Grundphänomene, von welchen aUe geistige und sittliche Ent-
wickelung ausgeht**); sie sind die Steuer, die der Lehrer bewegen
muss, um die Lebenssduife in das rechte Fahrwasser zu leiten. t,J)eir
Mensch handelt nicht das eine Mal nach unmittelbarem Gefthl, ein
anderes Mal nach Beflexion, sondern immer nach Geföhlen.'*^ Wie
aber steht es mit der Gefühls- und Willensbildung in unseren Schulen?
Hören wir, was Herr Qdhre darüber in dem Gapitel: Bildung und
Christoithum berichtet!
Er unterscheidet drei Bildnngssphftren. Aus der ersten traten
diejenigen Ifindlichen Arbeiter hervor, welche die (in Sachsen meist
zwei- oder Tierdassigen) einihehen Volksschulen beisudit hatten. In
der zweiten standen die aus Mittelstädten eingetretenen Arbeiter, die
aus der achtdassigen mittleren Volksschule, der sogenannten Borger-
schule hervorgegangen, und in der dritten die groBstttdtisdien Fabrik-
arbeiter, die in der ein&chen achtklassigen Bezirksschule ihre Bildung
erhielten. „Die Dorfbildung'', sagt er (S. 144 u. ff.), ^zeigte sich, das
ist ihr oberstes Charakteristicum , als durchaus rdigi<}s und con-
fessiunell dogmatisch bestimmt, als eine, man kann wol kurz sagen^
biblische Bildung. Der Religionsunterricht ist das starke Rückgrat
des gesammten Übrigen Unterrichts. Der Geist und der Ton, der in
j<mem herrscht, wird weniger in ausdrücklichen Worten und mit be-
wusster Lehrtendenz als durch die Persönlichkeit und die Haltung
*) DBipfeU, Theorie des Lehrplam.
Wundt, Physiol. Psycho!. II. S4. Cap.
*•*) Wandt, Ethik. S. 437.
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des Lehrers und durch die ganze Art seines Unten iditens auch in
die übrigen Lehrstunden hineinget ragten und gilt jedenfalls vor allem
in den Aui^en der Kinder als dersellH» liier wie dort." „Diese biblische
Anschauungsform von Welt und Leben erwies sich mir um so fester
in Kopf und Herz der Leute eingeprägt, als sie deutlii li in ihren
Augen getragen und gestützt, verbrieft und versiegelt erscliien durch
die überlieferte und unfehlbare Autorität der Schrift, aus der sie
stammt. Diese Autorität gilt ihnen gemäß der alten Auffassung von
der Inspiration nicht blos, soweit diese Schrift „Jesum Christum treibet",
sondern sie gilt gleichwertig und gleich einschiankungslos von allem
anderen, was sie an profanem Wissen mittheilt, bis auf den Punkt
ttbei dem i." „Dazu trat als eine dritte ebenso wichtige und von
allen ernsten gcdankenToUen Männern längst anerkannte Erscheinung
der Umstand hinzu, dass heutzutage in der Schule die Heilsthatsachen
des ETaDgolinms iricht als persönliche Lebeaswahrheiten unmittelbar,
sondern als Lern- und Hemorirstoff lehr- and sehnlmäßig, wie sie im
Eateehismns formvlirt sind, nidit den Herzen, sondern den Köpfen der
Kinder übermittelt za. werden pflegen. 0er BeUgionsanterricht ist
hier also vorwiegend Verstandesnnterricht anstatt Erziehong des
Charakters; die christliche Heilswahrheit kalter Lernstoff anstatt
warme, alles durchdringende Lebenskraft; Jesus Christas — nach dem
Vorgänge des Dogmas — mehr ein metaphysisches Bäthsel als eine
historische gottvolle FersOnlichkeit** Aach der Conflrmandenonter-
richt, den der Geistliche im letzten Scholjahi'e ertheilt, leistet nach
Göhrens Erfahrung (and nicht nur nach seiner) nicht das, was von
ihm erwartet werden könnte. Dieser so mangelhafte religiöse Unter-
richt war die Ursache einer schweren intellectacllen und religiösen
Krisis für diese ländlichen Arbeiter, sobald sie in die B'abrik eintraten,
,.in der diese Bildung dann fast immer Bankerott und einer anderen
Platz machte".
„Einen anderen Charakter zeigte die BUdung der jungen Leute,
die aus meist besser situitten Handwerker- ond kleinen Beamten-
familien eben erst in die Fabrik hereingekommen waren. In den
Bürgerschulen, die sie besucht hatten, sind die Schulstunden zahl-
reicher, der Lelirplan reichhaltiger, der Tjehrinhalt größer und gehalt-
voller als in jenen Dorfschulen."' „Der in ihnen gelehrte Wissensstoff
fnlU auf den Ergebnissen der neuen, modernen Wissenschaft und ist
unabhängiger als dort von dem Wissensstolle der Bibel und der Ge-
dankenwelt des tiberlieferten Dogmas." Doch auch hier geschieht die
Aneignung des religiösen Lekistotfes „unter selbstverständlicher An-
SO*
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erkennung der W(irtlichen Inspiration der Schrift und der Richtigkeit
auch aller ihrer profoneii Bestandtlicile. Aber man erlaubt sich hin-
siclitllch der letzteren in der Praxis eine starke, wenn auch still-
schweigende Correctur, indem mau in den übrigen Unterrichtsstunden
eben diese nach innerer logischer Xothwend'gkeit allgemcingiltige
Autorität eliniinirt und die modernen Erkenntnisse hier als Autorität
auerkennt und lit nutzt, ohne Jedoch in eine klare Auseinandersetzung
dieses inneren Widerspruchs einzuti-eten."
„Endlich die großstädtische Gemeindeschulliililung. Sie ähnelte
wol in manchem derjenigen der Bürgerschule, aber sie steht nach
Bildungsziel und Lehrcharakter der Schule im Grunde doch nur auf
etwa demselben Niveau wie die Bildung einer großen völlig aus-
gebauten achtclassigen Dorfschule. Auch hier die übertriebene Ab-
hängigkeit der profanen Wissensbestandtheile von (leujenigen der Bibel,
auch liier die falsche Aufüissung von deren Autorität, auch hier die-
selbe überwiegend verstandesmäßige Mittheilung und Aneignung der
chiistlichen Heflsthatsachen ähnlich wie bei jedem andern Lehrstoff."
„Die ÜBrohe des neuen soeial^ Lebens tlbt auch auf den gei-
stigen und religiösen BUdungscharakter der meisten einen folgen-
schweren Einfloss ans. Sie Iftsst es zu Iceiner Erhaltung und Festigung
der in der Schule angeeigneten BOdungselemente kommen, schwemmt
vielmehr dne Menge dayon schnell wieder hinweg, macht bedenklich
gegen die Zuverlässigkeit der bewahrten und weckt damit sngleieh
das Bedflrfliis und die Sehnsucht nach einer besseren und um&ssen-
deren Bildung, die frei von Widersprachen ist, die vor der modernsten
Kritik besteht, die ihnen wieder imponirt, und fttr die sie bereit sind
die gaiuse alte, niemals geliebte, weil niemals recht fruchtbar gewordene
schulmäfiige Jugendbüdung zn opfern."
„Die drei Arten von Bildung machen in der Fabrik eine Tdllige
Wandlung durch. Sie werden unter dem Einflüsse der Socialdemo-
kratie unaufhörlich zerstört und gehen in einer neuen, der socialdemo-
kra tischen Bildung unter."
Lehrer und Geistliche sind nur dazu da. dies ist die allgemeine
Ansicht in jenen Kreisen, dass sie der großen Masse ..etwas wei>i-
machen'', die Religion ist ein Käfig für die Bestie Mensch; „die Kerle
glauben doch selbst nicht, was sie reden '.
Ist es soweit gekommen? Ist das die Frucht achtjährigen Reli-
gionsunterrichts? Dass die Kirche in ihrer heutigen Gestalt ihren
Beruf nicht eitiillt, das erkennt man in allen Schichten der Ge.sell-
schaft; man denke nur an die Bewegung, die der ehemalige sächsische
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ObentUeuteiiant von Egidy durch seine „Ernsten Gedanken^ hervor-
gemfen. ■ Doch damit haben wir als Lehrer nichts zu .scIiafTen. Die
Kirche muss aus sich selbst heraus neu gestaltet werden. Fragen
wir zunächst, was kann die Schule thun, um dieser crassen religiösen
Indifferenz zu steuern. Unser Reiigionsuntenicht, das liat man nun
doch erkannt, krankt daran, dass er viel zu dog^umtisch, viel zu lehr-
haft ist. Eine Hauptschuld daran trägt der T^uthersche Katechismus.
Mag man ihn mit noch so süßen Worten preisen und uns mit noch
so bitteren schmähen, die Stimmen nach seiner Beseitig-unt;: aus der
Schule werden immer lauter erschallen. Darin liegt der grolie Fehlei .
dass man glaubt, wenn von dem religiös-dogmatischen Lehrgebäude
auch nur ein Steinclien herausgenommen werde, dass dann der ganze
Bau in sich zusannnenbreche. Das geschieht nicht, wenn die morsch-
gewordenen Steine von berufener Hand entfernt und durch neue er-
setzt werden; es geschieht aber, wenn die Stürme der socialen Be-
wegung, wie das ganz unausbleiblich ist, daran stoßen. Ihnen hält,
wie wii* aus Gölire's Schrift deutlich erkennen uiul wie es uns täglich
die Elrfahrung lehrt, das Getuge nicht stand, wol aber begräbt es
meist den, über dem es errichtet wurde.
Wir hftten ans ängstlich, Zweifel in dem Kinde zu erregen; aber
der ZweifiBl wird ftprebtiMr, wenn das Kind der leitenden Hand des
Ldum entwidist, und der logisdi nidit Oescholte mnss ihm in den
nwisten FfiUen unterliegen; es kann nicht anders sein. „Die Nator
beginnt nichts Unnfltaes'' , sagt Oomenins, „in den Schalen also m(ige
nichts behandelt werden, was nicht den gediegenen Nutzen gewihrt
für dieses und das zokflnftige Leben, Torzogsweise aber ftir das zn-
kfinftige***). Woin also, nm nnr ein Beispiel m erwähnen und nm
ein Wort Wnndt^s an gebranchen, den mosaischen SchOpfongsmythns
als die nnomstOSUchste naturwissenschaftliche Wahrheit lehren, warum
die mflhaame und geandite Eindeutung in die ErgehnisBe der heutigen
Wissenschaft! Für den modernen Menschen wird die Sonne nie mehr
stillstehen zu Gibeon, noch der Mond im Thale j^alon.
Das Bekenntnis, sich einmal geirrt zu haben, schadet der Auto-
rität des tüchtigen Lehrers duichaus nicht; so verhält es sich auch
mit der Autorität der Bibel, sie wird trotz ihrer Irrthümer das Buch
der Bücher bleiben. Wir untei^aben nicht die Keiigion, wenn wir
die heilige Schrift ihrer falschen Autorität entkleiden, wir bringen sie in»
Gegentheü dem Volke, dem sie mehr and mehr entschwindet, wiedei* nahe.
*} Ck>m6tti«8, Or. DicL Heramgeg. t. I>r. Lion, S. 126.
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£g ist möglich, dass auf einer späteren Stufe menschlicher Knt*
"wiekdnng sich die Gebiete des Reli^i(")sen und des Sittlichen trennen;
heute ist es noch nicht der Fall. Was wir fiir die Schule brauchen,
ist daher eiue religiöse Ethik, aber ja keinen Katechismus der £thik
wie ihn Frankreich hat, damit wünle für eine alte Wände nur eine
neue geöti'net; sondern die ethischen Wahrheiten müssen «n der ge-
schichtlichea Person Jesu, ans seinen Beden, vor allem ans seinen
Gleichnissen gewonnen werden, sie müssen femer gewonnen werden
aus der sittlichen Pei'sünlichkeit des Lehrers. „Der Lohreretand",
sagt Prof. Frohschammer, „muss der Vertreter des sittlichen Gewissens
werden." Dann darf der Lelirer aber nidit, wie das ja lei(b'r immer
noch der Fall ist, nur als Strafmeister erscheinen, sondern er iiuiss
mit Liebe und Geduld die sittlich und ireisti}? Schwaclieii und Schwäch-
sten tragen, ohne dabei in unmännliche Weichheit zu verfallen. Die
Liebe oflt'ubait sich auch in der Strafe und da mehr als im Lohne.
Voraussetzung zu dieser Forderung wäre dann eine geringere Scliüler-
zahl in der ('lasse, die es dem Lehrer ermöglicht, sich dem Einzelnen
mehr zu widmen, und andrerseits ein möglichst langes Beieiuauder-
bleiben einer Clasj-e mit ihrem Lelirer.
Da^ Bild, welches uns Herr Göhre entrollt hat, zeigt wenig Kr-
freuliches. Im Vorstehcinlen sollte gezeigt werden, wie es durch die
Schule einigermaßen retouchirt werden kr»nnte. Aber eine gründliche
Besserung, das muss immer wieder betont werden, kann uui* von
einer gründlichen Reform der gesellschaftlichen Zustände eriiofit wei^-
den. „Der ganze Zustand der heutigen GeseUschaft tendirt cor Er-
zeugung zweier GeaeUscbaftsdassen: einer besitzenden nnd benflosen,
deren Lebenszweck im Genoss besteht, und einer besitz- nnd beruf-
losen, die sldi im Streben nach versagtem Gennss erschöpft.** Dieee
Kluft za ftberbracken, muss die Auffassung mehr nnd mehr durch-
dringen, dass der B^tz nicht blos {Rechte dnrAnmt, dass er auch
verpflichtet, und andrerseits, dass Beruflosigkeit eine Schande ist
Dazu kann und muss auch (die Schule beitragen, wenn sie vor allem
auch betont, dass Arbeit adelt Die alte mosaische Ansicht der Arbeit
als Fluch muss ehier besseren Platz machen.*) Sie muss ferner ihre
ZOfi^inge den rechten Ästhetischen Genuas kennen lehren. Der moderne
*) Daou wird auch die lächcrliclie Furcht Echwiaiien, datu bei vcrn.ehrter
BUdung „€• ver iMter großes md hoclgeliüieten Ödsten keinen mehr gftbe, jder
den Acker beitdien, Stiefel machen nnd pntien Iwolle." (Wolfg. Mensel, Krit d.
mod. Zeitbewuffitf. »Vonifpid. Schwindel", S. 184.^
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Menscli, der iu so heißem Kampfe und mit so vielen Widerwärti^?-
keiteii um seine Existenz ringen muss, bedarf einer Erfrischung des
Geuiüthes. Diese Forderung erfüllt nächst der Religion kein Lebens-
gebiet so als die Kunst. Die Schule muss das Gefühl für das Schöne
anregen, das Leben voll entwickeln. So muss es uns gelingen, die
Flammen der Idealitiit, der reinen Begeisterung, die zu yerldscheil
drohen, von neuem anzufachen.
Vor allem aber juuss die Schule immer und immer als eins Durer
unvergänglichen Kechtc fordern, die Kinder aller Stände in Huren
Bäomen zu versammeln. Damm mttssen wir soldie Befoiinen,*wie sie
Herr Dr. H. GQring in seiner .Nenen Dentschen Schule" nnd Herr Panl
GQsftld In seinem viaL sa sehr gepriesoieii Boche «Die Erziehimg der
deutschen Jagend** yorschlagen, solange sie sidi nicht auf die ^der
aller StHnde entreckea, znrOckweisen, als eine halbe Sache, die uns
nnr rUckwärts ftihrt «Nicht IHUi genng kann der ans einer einr
seitigen Staadeseniehiing entspringendeSaatengeist bekämpft werden** *).
Wir leben in ;der gefährlichen Zeit, in der alte sittliche Motive
verschwinden, neue Lebenafonnen auftauchen; das Empfinden nnd
Denken der heranwachsenden Jngend mit dem VerfiiU des Alten an
yersQhnea, mit dem Nenen vertrant m machen: das ist die nächste
Anllsabe der Yolksschnle, die sie unserer Zeit gegenttber hat.
*) Wnndt, BUiik. &662.
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Mnttorspraehe Rnd Grammatik.
L
2iu den wenic^en Büchern, die man immer wieder gern ziir
Hand nimmt, ohne die Abschwächung eines ersten, genussreichen Ein-
druckes besorgen zu müssen, gehört die „Gesclüchte der griechischen
Literatur" von Ottfried Müller.
Ein deutscher Forscher versenkt sich in die G^eunniflse einer
Iftngst abgeschiedenen Welt und belauscht mit jener fiKmiigkfiit mid
Tiefe, die germanischem Oemflthe eigen, das verborgene Weben nnd
die formenbildende Sraft dner Sprache, die jener Welt som Ansdroeke
eines Gedankenstojfos diente, der die Jahilranderte fiberdanert uid die
Bildnng nnd Ernehong der modemen Menschheit bis zu dieser Stunde
auf das nachdrficUichste beeinflnsst hat.
Und was jener Geist mit der GrOndlichkett des deutschen Ge-
lehrten er&sst und gekUrt hat» das wird dem Leser des Buches mit-
getheilt in der Sprache seiner deutschen Heimat; einer Sprache, die
ebenso bot Bewunderung hinreifien kann, als die ^^Ansende Durch-
dringung und die reizvolle Gruppimng des gebotenen Stoflte.
Es ist kein Gelehrtendeutsch mit Nebensätzen, die „den Hanpt^
satz erdrossehi'*: es ist die scUieihte, aber formvollendete S^prache
eines Hannes, der das, was sein Geist in der Fremde nnd an dem
Fremden erlauscht hat, in den trauten Klängen der Heimat bei be-
wusstem Streben nach volksthfimlicher Darstellung anszudrücken be-
mftht ist.
Eine mühsam verhaltene Begeisterung für die Welt der Hellenen
funkelt zwischen den Zeilen.
„W&hrend Aberhaupt die neueren Sprachen" — heißt es da —
„ohne im Ohre zu verweilen, sich sogleich ihren Weg zum Verstände
bahnen, suchen die classischen Sprachen des Alterthums zugleich eine
entsprechende WiriLung auf den äußeren Sinn bervorzabhngen und
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die Denkkraft dadurch zu unterstützen , dass sie das Olir vorläufig mit
einer Art von dunklem Bewusstsein des durch die Worte mitsatbeileii-
den Gedankens ei-fdllen."
Oder an anderer Stelle: „In den Lauten, welche durch die ver-
scliiedene Articulation der Stimme gebildet werden, zeigt die grie-
chische Sprache jenes glückliche Mittelmaß, welches allen öeistes-
erzeugnissen jenes Volkes eigen thümlich ist ; gleich fern von der über-
strömenden Fülle, wie von dei- mageren Dürftigkeit anderer Sprachen."
Fast unübertrefflich sind die Untersuchungen, durch welche Sprache
und sprachbildende Art und Kraft mit den Regungen des Volksthoms
in allen seinen Schattirungen in Verbindung gesetzt werden.
,,Sowie die Mundart der Dorier"* — resumirt der Verfasser —
,. überall die breiten, kräftigen und rauhen Töne vorzieht und sie mit
unbiegsaiiier Regelmäßigkeit festhält, so können wir natürlich auch
die Neigung erwarten, einen Geist der Strenge und der Ehrftareht Yor
den alten Gebräuchen durch den ganzen Bau ihrer bürgerlichen und
h&nallchen Yerhmaig mdten m lassen. Die lonior dagegen zeigen
schon in ihrem Diatoete die Neigung, die alten Formen nneh Ge-
schmack und Laune m verindeni, daliei ein Streben nadi VersehOne-
mng und yerftänerong.**
Ottfiied MfUlers Bach ist weit Terbreitet; neoestens liegt eine
Bearbeitung desselben durch einen Schiller des berflhmten Philologen
Tor. Einem guten Theile der deutschen Jugend sind die daite aus-
gesprochenen Ideen gdftnUg: Alt-Hellaa feiert im weiten Oennanien
noch immer seine Anferstehung.
Ober dem Todten wird leicht das Lebendige vergenen; und man
kann sich bei der LectOre jenes Baches des quftlenden Gedankens
nicht entschlagen, dass wir in Deutschland auch nicht eine Schrift
besitzen, die Ottfried Mflllers geist- und gemüthvolle Methode anf die
deutsche Muttersprache und ihre röche Beziehung com deutschen
Volksthume anwenden würde.
Die deutsche Sprachwissenschaft wie die deutsche Geschicht-
schreibnng gehen parallele Bahnen, die mit dünner Wnrzel am Boden
des Volksthnms hängen und sich in breiter Krone in den Sternen des
Gelehrtenhimmels verlieren.
Unsere Jngend wird angeleitet, in der Sprache des Alterthums
das Wehen der Helmbüsche und den „geviertelten Takt'' des Huf-
schlages dahineilendei- Rosse zu vernehmen. Dass unser Deutsch
selbst in den trivialen Formen der Dialecte eine geradezu herrliche
Kraft in dei* Nachahmung von Natuiiauten besitzt, fällt kaum auf j
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soieru es nicht, >vie an einzeluen Stellen der „Glocke" von Schiller
besonders sinutallig hervortiütt.
Man bewundert in Cäsars „Gallischem Kriege" den aus den ge-
schilderten Situationen liervorgehenden Typus der Darstellung; ob
Jemand Goethe'sche oder Klaus Grote'sche Verse, unter demselben
Gesichtswinkel betrachte, gilt als bedeutungslos.
Die reiche Pracht und Klangfülle unserer starken Zeitwörter,
sowie die Natuitreue in den Lauten jener schwachen Zeitwörter,
welche Nuancen von Gehörsempündungen ausdrücken, ist ein köst-
licher, erfrischender Bergwald, den man vor den Bäumen unserer
„Sprachbücher" kaum mehr zu Gesielite bekommt Darum sieht die
GeBimmtheit der MeiucheD, weldie deutsche Staaten bewohnen, ihr
kOstUehstes Gut, die Sprache, mit den Augen des nflchtenuten Schul'
bflcherrerstaades an. Die Wirkung auf den ^äußeren Sinn", welche
dem Deutschen so gut wie dem Griechischen eigen ist; das „Ach, wie
klingest du so klarP unseres Schenkendorfs droht verloren zu gehen.
Die Stachelhecke der Grammatik schließt ein Domröschen ein.
Man ist eben an der Arbeit, das Französische und Englische ans
diesem Gefibignis an die frische Luft zu bringen: wie lange wird die
deutsche Prinzessin noch schlafen mfissen?
IL
Die Schulgrammatik mit ihrer einseitigen Betonung der Formen
und VerftnderuDgen ist ein Mechanismus. Aber die Sprache ist ein
Organismus. Vielleicht steht man hier vor einer besonderen Er-
scheinungsform jenes Gegensatzes, der zur Zeit als „Vitalismus" und
nMechanismns" das Gebiet der Naturwissenschaften durchdringt.
«Bis jetzf* • — sagt ein neuerer Sehriftstellei , dem man nach-
rühmen mnss, in vielen Dingen den Nagel auf den Kopf zu treffen, —
„bis jetzt hat man nur von Cäsar gehört, dass er in der Grammatik
zu seinem Vergnügen las. Nur ein sein* reicher Geist kann leere
Kategorien austiillen und miteinander^ in Verbindung setzen und da-
durch zu lebendigen Organen umschatl'en; so hohe Anforderungen darf
man an den Durchschnittsmenschen nicht stellen; dieser ist der leben-
digen Einwirkung einer gesprochenen Sprache weit zugänglicher
als einem Schwall wissenschaftlich geordneter Einzelheiten, deren sinn-
lose Nebeneinanderstellung er zwar nicht erkennt, aber docli em-
pfindet.«
In unseren Tagen wird die deutsche Grammatik von Lehrern und
Schülern in der That schwer empfunden, und es steht zu besorgen,
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dass über dieser Emptindung die trauliche Zuneigung verloren gehe,
die mau der Sprache seiner Heimat unter allen Verhältnissen eut-
gegenbriogen sollte. Trotz der großen Fortsduitte, welche Lehrbücher
und Metliode auf aUen Gebieteii des modemeii UntoniehtB «ofwdaeD,
stützt sich die gebrftnchliche Orammatik im wesentlicheii noch immer
anf die ehrwürdigsten Urbilder; nnd ihre gelehrte Terminologie, die
mit Zopf nnd Palmenfrack bis in die niederste deatsche Yolksschnle
schreitet, enthalt zahlreiche Elemente, die sich ans dem Zeitalter der
Humanisten als eine Art Torsintflntlicher Überreste auf die Gegen-
wart vererbt haben.
Die Sprache ist Alter als die Grammatik, welche das mechanische
Gesetz ans dem lebendigen Organismus erst heranskifigelt, nicht selten
aneh in jenen Organismus hineinkllligelt Es kann daraus direct ge-
sehloBSSD werden, dass die Anwendung eines grammatischen Untenichts
auf der Unterstufe absolut aaszuschließen sei, und dass auch die mittlere
Stufe ginzlich unbemerkt mit Mensur und Bogel Terfahi*en müsse.
Der modernen Volksschule zumal thftte eine «Chrammatak der
Kinderstube", die freilich noch geschrieben werden müsste, dringend
noth. — Der Schüler bringt aus der Kinderstube, weit seltener aus
dem Kindergarten, viel von jener Art Sprachbildung mit, die, indem
sie sich mehr an den „äufiereu Sinn"* wendet, dem innersten Kerne der
Sprache am nächsten kommt. Er versteht es, die Stimmen der Thiere
nachzuahmen, und er hört im Toben des Windes den menschlichen
Laut. Lehrst du ihn, die Dinge benennen, dann wird ihm jener
Name am geläuügsten , der direct aus dem Laute der Thätigkeit her-
vorgeht. Denn mit dem Geiste des Kindes erfasst er am liebsten die
Dinge in iliren Lebensäußerungen. Darin aber liegt die Natur-
geschichte des „Zeitwortes", jenes belebten und belebenden Trägei-s
der Sprache, den die Grammatik so richtig als bezeichnend das
„Verbum" genannt hat. Welclie Si)rach- und Klangfülle schlummert
auch für die engbegrenzte Autfassung des Kindes in dem klingenden
Wesen dieses wundersamen Wortes!
Die Grammatik wird jenem Wesen nur zum kleinsten Theile ge-
recht: über der Form vergisst sie des Inhaltes. Eine rein technische
Seite des Verbums wird sogai* Veranlassung es zu benennen: wenig-
stens kann man zweifeln, ob die Bezeichnung „Zeilwort'' glücklich
gewählt ist. Ebenso sieht die Grammatik bei den Kategorien der
„persönlichen, transitiven u. s. w. Zeitwörter" nicht sowol auf das
eigendiehe Wesen des Wortes, als vififanehr auf eine auBerhalb des-
selben liegende, halb formelle, halb sachliche Beziehung.
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ITT.
Es kann aber als eine Pflicht des Unterrichts angesehen werden,
vor allem den Sinn des Schülers dahin zu üben, dass er das Wesent-
liche und Eigenthüniliche einer Sache zuerst beachte. Das Wesent-
liche des Wortes ist Inhalt und Umfang des Begriffes, den es bezeich-
net; das Eiigenthümliche sein Klang. Die Formen stellen Gebrauchs-
werte vor; ihre Kenntnis ist weniger das Resultat einer Vei-stAndes-
thätigkeit, als vielmehr Sache einfacher Übung. Vertiefung des Sprach-
gefiihls reicht in den meisten Fällen aus; methodisches G^eschick macht
ganze Abschnitte des Sprachbuches flberflOssig.
Wenn dnem Schiümaim ein älterer College den Baih gab, bei
jeder UnterrielitSDittterie, die er ans dem Gebiete der Granmatik
seinen Schttlern darbieten ▼olle, sich erat die Frage au stellen: „Was
ureift man da, wenn man das weift?** — und lachend hinzoftgte:
„Sie werden stannen, wie wenig man dann von dem mitantheilen hat»
was unsere Sprachbflcher enthalten** — so ist dies mehr als ein guter
EinfiilL Denn worin liegt der Wert der Erkenntnis« dass dasVerlmm
„drOhnen** schwach sei, gegen das Traurige der Ersdieinnng gehalten
dass zahlreiche Personen mit durchschnittlicher YolksschnlfaUdmig durch
das Leben gehen, ohne die Bedeutung Jenes Verboms nach seinem
Wesen zu verstehen? Wörter dieser Art ziehen sich aUmAhlich in die
„oberen Zehnteusend** zurück, indem sie als GebranchswOrter ein
immer kleiner werdendes GM>iet einnehmen. Man suche deutsche
GebirgsdGrfer ab, nach Wörtern jener Art! Die Volksschule kann
dem Dialecte nicht aufhelfen, wohl aber der Verödung der Schrift-
sprache steuern durch eine gründliche Reform des Unterrichts in der
Mutten^rache. Vor allem müsste erkannt werden, dass Kenntnis der
.B'ormen unter Umständen zur Wortanuttt führen kann, und dass die
Einreihung eines Gegenstandes in eine begriffliche Kategorie noch
kein Verständnis desselben ist.
Man pHegt Sclienkendorf's schönes Gedicht von der „Mutter-
sprache"* an die Spitze der Lesebücher zu stellen; es stünde bezeich-
nender als Motto auf dem ersten Blatte einer vernünftig und pietät-
voll abgefassten Schulf:riammatik: die wenigen Strophen enthalten ein
ganzes Programm, dessen V'erwirkJitliuiig anzustreben nationale Ehren-
sache sein sollte. Denn die Sprache ist ein blühendes, klingendes Keich,
das die Seele mit tausend lebendio^en Fäden umspinnt; die mikro-
skopische Methode der Grammatik legt in ihren zusauimenhauglosen
Übungsbeispielen diese Fäden einzeln blos und tödtet sie zuvor, um
sie besser auf ihre Structur prüfen zu können.
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Ein russischer Dichter sagt von seiner Muttersprache: ^Dhs ist
eine melodische Sprache, die zu Herzen dringt ; eine Sprache, die man
in ihrem von herben Dissonanzen imteibrochenen, traurig -zärtlichen
Wollaute einem Strauß von Orchideen vergleichen niöcht-e, mit Steppen-
kräutern vermischt." Sollte es nicht an der Zeit sein, auch die
deutsche Jugend in dem Sinne dieses Urtlieiles iius dem Staube der
Grammatik frischweg hinaus auf die Spradnviese zu führen und sie
sriilicht anzuleiten, die gefundenen Blumen und Kräuter zum Strauße
zu binden, ohne vorher jedes einzelne Pflänzchen nach dem todten,
trockenen Herbarium des Sprachbuches zu bestimmen?
Die Natur ist unter allen Umständen unsere Lehrmeisterin, und
dämm unter allen l^mständen schultähig. Wir wollen ihrem frischen
und erfrischenden Hauche auch in jenen Stunden das Fenster geöffnet
halten, die der Pflege der iSprach- und Sprechfertigkeit gewidmet sind.
„üm das Schulhaus heult der Wind; er rüttelt an Fenstern
und Thüreu. Er schüttelt die Bäume, dass alle Äste zittern. Es
wimmert in den Dachrinnen; es ächzt und kracht in den Balken
des Daches. Hoch oben kreischen die Wetterfahnen. In den Stfillen
der Banemhöfe br&llen die Binder; die Pferde wiehern laat und
poltern mit den. Hufen. Der Dorfbach branst; laat rollt der
Donner.''
Das vorstehende, zasammeohiiigende Spracbst&ck enthält einen
f&r kindliche Anffiissmig vollkommen ventfindHchen, gedrfiogten
davieransamg einer sommerliclien Gewitter-^ympilionie. Bei liclitiger
— zaent mündlicher, dann schriftticiher — llittheilnng an Schiller
ober unteren oder mittleren Stnfe wird die Mnsik der darin ent-
haltenen Zeitwörter vollkommen flbenengend sein. Die Hodalationea
der Vocale, die krüftigen Accente der Doppelconsonanten, die scharf
ansgeprftgte Rhythmik der einsflbigen Aassageformen werden sich nicht
nur sog^ch an den »VerstaBd wenden", sondern auch «vorlinfig das
Ohr mit einer Art von danklem Bewosstsein des durch die Worte
mitzatheilenden Gedankens erfüllen." Eine rein musikalische Betrach-
tung jener Verba wird die Schreibung derselben klar machen, und
naheliegende Analogien in der Anwendung der bezeichneten Natur-
töne werden eine Vertiefung in den Inhalt der Wörter ermöglichen.
Leicht treten die dem Verbum zukommenden Merkmale, die es als ein
die Thätigkeit bezeichnendes, nicht selten auch nachahmendes Glied
der Sprache erscheinen lassen, hervor. Indem das dargestellte Natur-
schanspiel in späteren Tagen als ein Vergangenes, oder in Voraus-
ahnnng des noch Kommenden als ein Zokänftiges von den Schülern
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unter ^j^elegentlicher, vielleiclit niclit immer nöthiger Anleitung ge-
schildert wird, tritt eine technische Seite des Verbums gleiciisam von
selbst in die Erscheinung und lässt die Ikdeutung der zur Untei'-
stiitzung herbeigeholten ,,Hilfszeitwörter" auf die natürlichste Art er-
kennen. Das Resultat dieser rimng lipfert ein vollkommen ausreichen-
dp< (Terüst für alle iibrigen (Tebrauclisfurmen des Verbums, die im
Wege bestündiger, lebensvoller, immer synthetischer Übung zum gei-
stigen Eigenthum der SeliUler gemacht werden.
Was l)raucht es nun noch der Kategorien von unpeisönlichen,
rückbezüglichen, starken, schwachen, unregelmäßigen Zeitwörtern?
Welchen Wert hätte jetzt gar die Bestimmung des Verbums in seiner
gelegentlichen Eunction als Prädicat? Wo läge jet/;t die Begründuns:
fiir die Ansicht, dass der Behandlung des Verbums die Kenntnis des
für die Unterstufe so schwierigen als unnützen Prädicatsbegriffes vor-
ausgelien müsse?
Die Auffassung und das Verständnis eines Tonstftckes werdea on
nichts vielseitiger nnd tiefer, wenn man es anf die Lage seiner Drei-
klAnge nnd die Berechtigung seiner Modulationen prüft: Bichard
Wagner erledigte das bekannte Qesetz von den Quintenparallelen im
kurzen Wege mit der Bemerkung: «Der rechte Musiker wendet sie
nur dann nicht an, wenn er de nicht braucht!'*
Ein poetisches Stflck auf seine Fassung grammatisch zu prüfen
wird in Ansf&hrung dieses Gedankens von vielen Schulmftnnem als
wenig taktvoll angesehen: die „lebendige Einwirkung der ge-
ftprochenen Sprache'* ist eben das Beste» was der Unterricht zn bieten
vermag.
IV.
Die Stellung, welche die deutsche Satzlehre im System dei-
Grammatik einnimmt, und die Behandlung, welche die Recepte der
Syntax dem gesunden, kräftigen Stamme einer der schönsten der
lebenden Sprachen angedeihen lassen, kann Mitleid erregen.
Spannt die Flexionslehre das deutsche Wort auf den Secirtisch,
so legt die Lehre vom Satzbau deutschem Geiste die unerträglichste
Schulfessel an; und ganz liesonders schmachtet hier germanisches
Wesen in lateinischen Banden. Das Tin)>prinni "Romanum, politisch
und liistorisrh übei- wunden, beherrsclit zwei reiche Gebiete durch die
Form: die deutsche Sprache und das deutsche Recht. Neben der Ver-
gewaltigung des iirsjjriinglichen germanischen Rechts durch den For-
malismus des rümischen steht die grammatisclie Dressur, welche huma-
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nistische Scliul Weisheit gerniaiiiscbem Denken zntheil werden lieA,
aU würdiges Seitenstiick.
Das römische Recht basirt auf dem nackten EigentliumsbegrifF
und sieht das Merkmal der Persönlichkeit klipp und klar als die Be-
fugnis an, Eigenthum zu erwerben und zu verlieren. Die landin titi^e
»Syntax ruht auf ihrer erprobten Srlmlfiirrael und gestaUet der Sprache,
zu dieser Formel die Beispiele zu bilden.
Danelten schreibt Montesquieu über den ,.(Teist der Gesetze" und
douneil Kli»i>stock .^^eine A'eise von ».Deutschlands Sprache".
Aber die Idealisten werden unbarmherzig auf realen Boden ge-
zogen. Hundert Jahre nach dem franzi isischen Philosophen durfte
Karl Marx hohnlachend ausrufen: „Der (Teist der Gesetze ist das
Eigenthum!"; während Allmeister Goethe einige .lahre triiher dem
russischen (lelehrten Uwar(»tf silirieb: „Benutzen Sie in Frieden den
unerraesalichen Vortheil, die deutsi^lie Spraclilehro nicht zu kennen; es
ist jetzt fast 80 Jahre, dass ich daran url)eite. sie zu vergessen!"
Auch die neuere Zeit ist an dieser Arbeit. Mit derbem Hammer
schmetteite Rudolf von Jhering in seinem „Kampf ums Recht" an die
tönenden Fensen römischer jQriqnmdenz, indem er den ersehen In-
halt eines Ifiehel Eohlhaas mit flammenden Worten verfbeht; wflhrend
Heinrich Heine in den ganz |und gar ungrammatischen Tönen seines
SpottUedes dem deutschen Satz- und Versbau den Grabgesang an-
stimmte.
Grammatische Di'essur hat zwei bezeichnende Sprachtjpen ge-
zeitigt: den Quellenstil und das Eanzleideutsch. Der erste, vielen
Werken gelehrtdeutscher Geschichtschreibung eigenthflmlich, geht den
correcten Schritt der Forschung: er dreht und wendet den Ausdruck
gleich einem historischen Actenstücke. Seine (Signatur ist das vor-
nehm Leidenschaftslose. Das zweite wandelt die Bahn erprobter For-
meb. Da die Gnunmaitik in der Lehre vom Nebensatz Vorder-, Zwi-
schen- und Nachsatz kennt, so bauen die Meister des Amtsstiles
beruhigt ihre sinnverwirrenden Satzgefttge, in denen der Gedanken-
tropfen eines Hauptsatzes nntor einei- wahren Seeschlange von Neboi-
sfttzen verdampft. Sein Merkmal ist das conventioneil Langweilige.
Dem Zopfe gegenäber fallen wallende Perücken um so mehr auf;
man thut gern ein paar tiefe Athemzüge bei ihrem Erscbdnen. Zu
den Sciiriften dieser Art gehören Moltke's Reiseschilderungen, Bis-
marcks Reden und Briefe, HebV)ers Prosa. Das vielberufene Rem-
brandt-Buch nannte in fröhlicher Übertreibung dieses (yedankens
Moltke den einzigen deutschen &:$cbrift8telier der Gegenwart. Zuweilen
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weht die Locke besonders ungebondeu, wie im Tagebiiche unseres
Grill parzer's; aber mau liest sich darin in eine geistige Somuieifrische
hinein. Die Sprache dieser Männer ist ein Beispiel für den Satz:
,.Es gibt nur eine Grammatik, die des Verstandes!" Sie stellen
praktisch den echt französischen Spruch auf: „Der Stil ist der
Mensch!" Aber die Grammatik schüttelt dazu das ehrwürdige Formel-
haupt, denn ihre Tendenz heißt: „Der Stil ist die Regel!**
Jeder Unterricht hat das begreifliche, zum Theil Welleitht noth-
wendige Bestreben, einen Gedaukenstoff in eine Formel zu verdichten.
Da ist denn dem Sprachunterrichte die Grammatik ein gefunden Essen;
die E^rkenntnis, dass die elementare Dressur in den Formen der
MatterspradM die höhere Drenor in den „dassiBdien'' waä „modernen'^
Spraehen, die das Gymnadum besorgt, wesentlich unterstatzt, wird
nebenher angelesen.
So hoekt neben den begehrteren Schwestern der Vergangenheit
und des Anslandes das heimatUche AsdienbrOdel im SchnlwinkeL
Wann kommt der Freier, der es als Befreier zun firOhUchen Beigen
fthrt?
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Yolksbildang und Yolksbildani^itteL
Von Beetoi A* GUO'Oaatd,
T '
An früheren Zeiten hat man sich lebhatt darüber gestritten, wer
als {gebildet gelten könne. Die Discussion über diese Frage wird
gegenwärtig^ niclit mehr so oft und weit weniger heftig geführt. Man
gibt heute schon ziemlich allgemein zu, dass Wissen an sich noch
nicht Bildung sei, sondern erst das Eintreten in die Welt als tliätiges
Glied, die Befähigung, das Wissen und Können in den Dienst des
Ganzen zu stellen, kurz die sociale Thätigkeit. Goethe sagt: „Mit-
getheiltes aufzunehmen wie es gegeben wird, ist Bildung", mit anderen
Worten: „Bildung ist die aus dem an sich rohen Zustande heraus-
arbeitende Thätigkeit, in welcher die Persönlichkeit mittelst An-
eignung, Sichtung und Assimilirung der vorhandenen ßildungselement*^
mittelst Selbstentwickelung und Selbstbeschränkung sich im Leben
(trientirt und mit dem Ganzen in die M'echselbeziehung des Em-
pfangens und Wirkens tritt." Nicht, dass mau „schrecklich viel ge-
lesen" habe oder in fremden Sprachen reden (häufiger schweigen!)
kann, macht die Bildung aus, sondern sie erweist sich darin, wie man
lebt und handelt, was man f&r das Ganze thnt und fikr deaaelhe mrt
ist Die Bfldong ist also nieht blos ebie AoBStatfenng des Geistee,
sondeni eine Augf^estaltung desselben, sie erweist sich nicht nnr im
Antoehmen, sondeni vielmehr dnreh selbstthätige Entwickelmig und
ÄnSenmg. Daher spricht man bei Enaben imd Jfbii^ingeii, die noch
von andern erzogen und nnterrichtet werden, von Ersielmng nnd
Wissen, nicht aber von Bildung, diese ei^nnt man erst dem Manne
zn, der sich sdbstthätig fortgebfldet hat
Ans dem daigelegten Begriflfo der Bfldnng ergibt sich, dass jeder
büdnngsAhige Mensch zn seinem und des Ganzen Beeten eine mög-
lichst tüchtige Bildmig erhalten mnss. Ehemals hielt man die Bildung
nnr Ar die höheren Stände, für die herrschenden, nothvoidig; unsere
Palmtw»- 1^ Haft VU. Hl
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Bildungsanstalten tragen noch heute vielfach den Stempel der Standes-
schulen; aber ein Mensch, der öffentlich ausspräche, nur bestimmte
Stände müssten gebildet, andere aber in der ünbüdong erhalten
werden, würde für liirnverbrannt angesehen.
Nachdem unsere Classiker Lessing, Schiller und Goethe ein neues
Bildungsideal, eine dem Facligelehrten wie dem Nichtgelehrten gemein-
same, allgemeine, rein menschliche Bildung, die wüj'dige Darstellung
der Menschheit in dem Einzelwesen aufgestellt hatten, suchte mau
die Bildungsstoffp zu popularisiren, die große Masse des Volkes aul
einen iiohcreu Bilduugsstandpunkt zu erheben und in einen gemein-
samen Rhythmus des Fortschritts zu setzen. Die Wissenschaft ist
von nun an nicht melu- die Domäne einzelner, die lateinischen und
griechischen Zäune, durch welche die Menge von den Bildungsquellt-u
abgesperrt wurde, bekamen immer größere Lücken, die Ergebnisse
der wissenschaftlichen Forschungen, die neuen Entdeckungen und Er-
hudungen wurden jedermann zugänglich gemacht, große Künstler ver-
schmähten es nicht, Volks- und Kinderschrifteu mit ihren Bildern zu
schmücken, Bibliotheken, Museen, Galerien, Ausstellungen etc. stehen
jedem ohne Unterschied ofliui, das Gebiet der Unterhaltongsschriften
mit beleluraBtai Inhalt ans allen Geibieten der Wlasensdiaft und
Ennat erweiterte sich mit jedem Tage, populftre Schriften Aber die
Terschiedenaten Wiasenazweige, Encyklopädien, Ctonveraationalerika,
Broachflren, Flogblätter nnd nidit zom geringsten TheOe die öffentliche
Prease stellen aich in den Dienet der allgemeinen Volkahildnng.
Die Werke unserer daasiker, die vorzfiglicliaten Volkabildnnga-
mittel, shid so billig geworden, dass man sie aoeh in einer be-
scheidenen Wohnnng finden kann. Es ist ein m&chtiger Strom, der
an den einaelnen heranftatet; leider wird er aber dnich den Bigen-
nuts der Menschen, die gern im trüben fischen, durch unreine Bei-
mischungen getrfibt. Wer kennte sie nkkti die seichten und unreinen
Unterhaltnngsschiiften, die mit Erfolg sich an die niederen Triebe
des Menschen wenden, seine Phantasie verunreinigen, sein Urtheil
verwirren! Dazu drängt sich diese Schmntsliteratur vor, sie dringt
in die Wohnungen der ungebildeten Leute ein und wird dort aus
Mangel an Besserem förmlich verschlungen.
Heutzutage spricht und schreibt man viel über Volksbeglückung;
dass man diese nur gründlich durch Eradehung nnd Bildung erreichen
kann, gibt man wol auch zu, thut aber zu wenig dafür. Die Vereine
zur Bekämpfung der Trunksucht, der Bettelei, dei- Unaittlichkeit etc.
bekämpfen die Folgen eines Übels, die Ursachen können nur durd\
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- 44a —
bessere Volksemehnng und VoUoMdnng beseitlirt werden. Wir sind
ja in Bezug auf Bildung der Inreiten Hassen andern Völkern voraus,
doch ist noch viel Verdienst fibrig, es ist noch lange nidit genug
geschehen.
Unser Volk wird erst blfthen and gedeihen, wenn man die
Bildung der großen Masse, die man gemeinhin „Volk** nennt, emst-
lich und mit allen Kräften hebt, nicht aber, wie jetzt noch vielftch,
die Hanptbüdnngsstätte des Volks, die Volksschule, in einem Zu-
stande belftsst, der nach den Aussagen des TormaUgen preußischen
üntenichtsministers von Gossler in Besag aaf Ausstattung weit hinter
dem Nothwendigsten znrflckbleibt, wenn man femer die Zeit nach der
Schulentlassung, die für viele ein Zurückgehen im Wissen und Können,
ein Verwahrlosen mit sich führt, fftr die weitere Büdong durch Grün-
dung von Fortbildungsschulen ausnützt, wenn man allgemein Ver-
anstaltungen trifit, auch den folgenden Altersstufen einen geist- und
gemttthbildenden Bildungsstoff durch Volksbibliothekeu daraubieten,
Oberhaupt allen dazu zu verhelfen sacht, dass sie theilnehmen an
dem Leben und Streben der Nation.
n.
„Unsere Arbeiter haben ein Recht auf Arbeit," hatte Füi-st Bis-
marck gesagt, und alsbald schickte man sicli an, die Folgerungen aus
diesen Worten zu ziehen. Wir wünschen auch, dass in Zeiten der
Notli, wo sich Arbeitsmangel einstellt, von selten des Staats, der
Communen und anderer Verbände lohnende Arbeit geschafft werde;
aber wir verlangen noch mehr für sie, eine ausreichende Bildung für
den Kampf ums Dasein.
Bildung macht frei, Bildungsarmut also unfrei, Bildung gibt Macht,
Bildungsmangel macht abhängig. Das wissen die Leute sehr wol, die
ihren Kindern eine möglichst weitgehende Bildung geben, die sie
Schulen besuchen lassen, die mit Berechtigungen ausstatten, die in
iliren Bildungsstoffen die Zauberformeln bieten, mit denen man über
andere zu herrschen vermag. Pftr das Kind des geringen Mannes
hört die Bildnngszeit schon mit dem 14. Lebensjahre auf, die Volks-
schule hat keinerlei Berechtigungen mitangeben, die in ihr erworbene
Bildung gilt den fremden Bildungsstoifen der höheren Schulen gegen-
über nicht als ebenbfirtlg.
Wir leben in einer Zeit, in der die wunderbarsten Entdeckungen
und Erflndungen des Henschengeistes überall ihre Anwendung finden.
Wie die Erfindung des Schiefipulvers den VerlUl der Adelsherrschaft
31*
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— 444 -
Dnd die liefreiiinp des Bürger- und Baueinstandes herbeiführte, so
hat die Entdeckung der Damptkraft nnd ihre Anwendung einen neaen
Stand geschaffen, der in der Gegenwart mächtig aufstrebt und um
Anerkennung seiner Forderungen rin^rt. Wie die Kraft, die ihn ge-
boren, äußert sich dei* Wille dieses Standes vielfach in einer Weise,
die alle B'ormen zersprengen möchte; wenn dieser Wille nicht geleitet,
nicht regulirt wird, so kann er der bestehenden Gesellschaftsordnung
gefahrbringend werden. Wie will man dem Umsturz entgegen wirken,
wie kann mau unsere Verhältnisse für alle Theile befriedigender ge-
stalten? Eins der vorzüglichsten Mittel linden wir in der Erziehung
und Bildung des \'olkes. Mit allem Eifer muss auf eine vernünftige
Erziehung in der Familie hingewirkt, die mit oder ohne Schuld der
Kitern und Pfleger vernachlässigten, verwahrlosten Kinder müssen in
Erziehungsanstalten, die nicht genügend beaufsichtigten in Bewahr-
aiistalten und Kinderhorten während der Abwesenheit der Eltern von
Hause beschäftigt und überwacht werden . die Unterrichtsaustalten
müssen noch mehr als bisher die Bedürfnisse des Lebens ins Auge
tus.sen. auf die Bildung eines klaren Urtheils und eine vernünftige
Auffassung des Verhältnisses des einzelnen zu Gott, den Menschen
und der Natur hinwirken.
Unsere Volkss^chnle insbesondere muss der Augapfel unseres
Volkes, nicht sein AsdienlnOdiel sein, sie muss hesser ausgestattet
werden als bishei' und durch die Fortbildungsschnle ergftnst oder
aber die Schulpfliciit Uber die bisherige Zeit hinans yeriflagert werden.
Die Gegenwart verlangt neae Filcber: Gesetaesknnde, Yolkswirt-
schafts- und Qesondheitslehre. Da heiBt es denn, die Schalen sind
mit Stoff flberbOrdet, sie können die neuen Fächer, so sehr auch
deren Nützlichkeit, ja Nothwendigkeit anerkannt werden nrass, nicht
mehr anftaehmen. Dass man eine Masse nnnlltzen Gepftckes abwerfen
kl^nne, mn das BFanchbsre nnd Nöthige tragen m kOnnen, sieht man
noch nidit flberall ein. Die GeseUeskiinde lasst sich sehr wol in den
Religions- nnd Geschichtsnntenieht, die Gesnndheitslehre in den
natnrknndlichan, die Volkswirtschaftslehre in den deutschen und
Bechenunterricht einflechten. Man glanbe nur nicht, dass wir eine
systematische Gesetzeskunde, ein System der Nationalökonomie oder
auch der Anatomie fordern; nur das für den künftigen Bfliger des
Staats, das vernünftige Glied der Gesellschaft und der Familie aus
diesen GM»ieten Nüthige, das der geistigen Auf&ssung Angemessene
sull in zweckentsprechender Weise gelehrt werden.
Da aber die Volksschule die Kinder in einem Alter entlAsat, in
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dem sie geistig nocb unfertig, in sittlicher Beziehung aber der Fühnuig
mehr als zu einer andern Zeit des Lebens benöthigt sind, so mnss
sie durch die obligatorische Fortini dungsschale ergänzt oder noch
besser mit verminderter Stundenzahl bis zum 17. Lebensjahre fort-
gefilhrt werden. Dagegen lasse man die Schulpflicht erst mit dem
vollendeten 7. Lebensjahre beginnen und srliränke die bisherige
Stundenzahl, die zur körperlichen Verkümmerung,^ vieler Kinder bei-
trägt, wesentlich ein. Die heute so vielfach beklaj^te j^eistip-e üu-
fertigkeit und sittliche Verwahrlosung haben iiauptsichlich darin ilireu
(rrund, dass Einrichtungen fehlen, die den jungen Menschen in seiueni
bildungsfiihigstcn und erziehungsbedürftigsten Alter vom 14.— 17.
Lebensjahre in Zucht nehmeu. Um das Lehr- und Bildunf;sbediii this
des Volkes weiterhin zu befriedigen, müssen überall Volksbiblio-
theken eingerichtet werden. Dann wird die Unsittlichkeit , Ver-
brechen nnd geistige Verwirrung erzeugende Schund- und Schmutz-
literatur am wirksamsten von dem ^'olke abgehalten und vernichtet
wei'den können.
Kommen dann noch Veranstaltungen hinzu, die für edle Gresellig-
keit und L'uterhaltung sorgen, wie die an manchen Orten schon mit
Segen eingeführten Volksunterhaltnngsabende, Lese* imd Bil-
dungsvereine, Gesangvereine u. a., dann wird es am vieles
liesser werden, vor allem werden die in geistiger Stumpflieit und
mangelnder geeeUschafUicher Zucht woraelnden Hoheiten nnd Ane-
eehreitongen immer seltener vorkommen. Mochten alle Gebildeten
dazu beitragen, dass alle Mittel angewendet werden, um uiser Volk
zn heben, es immer mehr zn gleichmftftigem Fortschritte «i befiUugen
Die Gefiihr, die uns von der geistigen Noth nnd dtüichen Boheit
droht) mahnt Ja immer eindringlicher dam.
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Pftdagoglfitehe Jtundsehaa.
Detttitthei Beieli. Über te Benich, imm sieh gegwwftrtig (Wintfl»«
aonester 1891/92) die deatsehen Hoebselmleii erfreuen, gibt folgende
interanante Übersicht Anfschlnss :
Die Universität Königsberg wird in diesem Semester von 667 Studirenden
und 16 Hörern (gegen 716 im Sommer 1891) beBudit. Der theologischen
Facnltftt geboren i& 146, dar jaÜOmtnt 157, der ««didntodiMi 322, der
philoeophisohea 143 Stadirende. — Oreifswald: 719 Stndiiende und 10
H5rer (829 im Sommer 1891). Die theologische Facultät zählt 244, die
jaristiache 76. die medicinische 322, die philosophische 67 Studironde. —
Kiel: 480 Studireude und 28 Hörer (630 im Sommer 1891). — Theologische
Facnltttt 73, jaiistiacbe 47, mediebiiMbe 259, phüoeopbiache 101 Stadirende.
— Boitock: 377 Stadirende vnd 4 HOrer gegen 377 Beioeber im vorigea
Semeeter. Theologen 41, Jnrif^tt n 56, Mediciner 139, Philosophen 145. —
Breslau: 12'i2 Studirende und 30 Hörer (gegen 1305 im Sommor 1S91).
Die evangelisch -theologische Facnltät zählt 144, die katholisch -theologische
182, die jaristische 271, die medicinische 306, die philosopUiche 359 Sta-
dirende. — Würsbarg: 1867 Stadirende and 22 HSrer (1422 im Sommer
1891). Hierzn komm«! noch 125 Stadirende, welche in der &mtüehen Prüfung
stehen. Der theologischen Facultät gehören 149, der juristischen 267, der
medicinischen 770, den philosophischen Sectionen and der l'hannacie 181 Sta-
dirende an. — Bonn: 1204 Studirende und 35 Hörer ^1392 im Sommer
1891). Die katboliMh-tbeologiscbe Facaltftt sBhlt 165, die eTUgelieeb- theo-
logische 108, die juristische 287, die medicinische 256, die philoeophisdie
388 Studirende. — Halle: 1 522 Studirende und 62 Hörer (1493). Die theo-
logische Facultät zählt 600, die juristische 189, die medicinische 281, die
philoeophische 452 Stadirende. — Leipzig: 3431 Stadirende und 125 Hörer
(3242). — Tübingen: 1172 Stadirende and 15 HVrer. Der evangeliseh-
theologischen Facultät gehören an 318, der katholisch-theologischen 167. der
juristischen 193, der medicinischen 2'M\ der philosophischen, staatswissenschaft-
lichen und naturwissenschaftlichen Facultät 264 Studirende. — (TÖttingen:
807 Studirende und 36 Hörer (838j. Der theologischen Facultät gehören
184, der JarlsÜBehen 164, der mediclniichen 217, der plriloeophlachen 242
Stadirende an. — In Marburg: 840 Studirende und 42 Hörer (947). Der
theologischen Facultät gehören 137, der jnriRtischen 155, der medicinischen
258, der philnsophisrhen Facultät 290 Studirendf an. — Berlin hat .5371
Studirende, außerdem sind 320 Hörer und 2651 Studirende anderer Hoch-
Bchalen und Lehranstalten zum Beenehe der Vorleaongen. bereehtigt (4427).
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Von den .Stndirenden gehören 707 der theologischen, der juristischeu,
1410 der mediciuischeD, 1659 der pliilubophiscken Facultiit au. — Meidel*
berg: 982 Stsdireode und 144 HOrer. Der fheologiachen FaeolUlt gehöm
73, der juristischen 253, der medicinischen 245, der philosophischen 178, der
natnrwissenschaftlich- mathematischen 183 Studirend»- an. — Akademie zrx
Münster: 384 Studirende und 13 Hörer (377). Der theologischen Facoltät
gehören 251, der philosophischen 133 Studirende an. — Straßburg: 9ü9
Stodirende und 57 H9rer. Der theologischen Facnltftt gehOren 118, der
juristischen 229, der medidnlBchen 356, der philoeophiaehen 113, der mathe-
matischen nnd natnrwißaoMdiaftlichen 153 Stndirende an. Jena: .')81
Studirende und 29 Hörer. — Glessen : 543 Studirende und 42 Hörer. —
München hat 3292 Stndirende und 55 Hörer, darunter 136 Studiieude der
Theologie, 1214 der Jnriqinidenz, 97 der etaatswiaaeiiBehiltlichen FaealtRt»
1081 der medicfaiiBcheii, 600 der phüosophiichen AUheUmifen , 264 stndiren
Pharraacie. - Erlangen: 1060 Studirende. Davon gehören 264 der theo-
logischen, 228 der juristischen, 344 der medicinischen Facultät, 133 den
philoeophischen Abtheilungen an, 2b widmen sich dem zahnärztlichen Studium,
68 der nuurmaeie. Die Zahl der H«rer betvict 13. — Freibarg: 856
Stodirende und 62 Hoopitaiiten. Von den Stndirenden gehSren 208 der theo-
logischen, 142 der juristischen, 304 der mediciniedien Facultät und der T^har-
macie an, 202 der philosophischen Facnltät. — Von den Universitäten zn
Leipzig, Jena und (iiessen fehlten noch die Angaben im einzelnen. Nach
den genannten FreqnenidlEwn ünden wir an den fibrigeu 18 bes. 17 Hoch-
sehnkn inegesammt 4414 Stodirende, welche den theologieeben Facnltftten
zngehören ; 5620 gehören den juristischen nnd staatswissenschaft-
liclien. 5906 den philosophischen nnd 7480 den medicinischen Facul-
täten an. Am grüßt«n ist demnach zur Zeit der Andrang zum ärztlichen
Berufe. — Ohwol die zar VerfBgong stehenden Mittel infolge der niebt
günetigen Finaudige Prenfienfl nur beaebrlnkt sind, ist es doeb mO^^leb ge-
wesen, auch flr das Etatjahr 1892/93 die Lehrstühle an den Uni-
versitäten zu vermehren. So sollen an ßerord entliche T'rofessnren für die
ostenrop&ische, insbesondere russische Geschieht« in Herlin, für die philosophische
FtanUiit in Oreiftwald, für die neueren Sprachen in Marburg und für die eng-
liaebe Spraehe nnd Litfceratnr in MVnater gesebafliBn werden. An Enatn-
Ordinariaten sind zwei in der philosophischen und eines in der medidnlsehen
Facnltftt in Breslau, sowie ein solches in der theologischen Facnltät in Kiel
vorgesehen. Der Decan der theologischen Facultät d^r vereinigten Fried-
riehB-Universität Halle-Wittenberg hat die Preisaufgaben für das Halbjahr
▼om 12. Jannar bis 12. Jnli 1892 bekannt gemacht Die wisaeniehallliehe
Preisanfgabe verlangt die Bearbeitung des Themas: „Darf man Christum als
Urbild der christlichen Sittliclikeit in der Ethik behandeln?" Vorbehaltlich
der erbetenen höheren Genehmigung soll bei der Bearbeitung der
Aufgabe die deutsche Sprache angewandt werden. Auch ein Zeichen
der flvrtMdireitenden Zflit!
B. Vom dentschen Ostseestrande. AIIp nuthodisclien Fragen waren
hier am Strande auf dem Gebiete des höheren und niederen Schulanterrichti
in den Hintergrund getreten, seitdem man
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1^ an einem neaen Lehrplane Ar die hdheren Unterridittanitalten;
2) an einem Dotationsplan für die akademisch gebildet«i) Lehrer, und
3) an einem allgemeinen VoHLSiclialgesets föi* Preußen im Coltai-
ministerium arbeitete.
Der neue Lehrpluu t'iu die höheren Unternciit^austalteu in Prenien ist
irlllcUioh bis nun 1. April 1892 dmreh das bekannte „Siebencestirn'* am pida-
Ko^iscben Himmel Borassias fertig gestellt. Wie weit man darin der kaiser-
lichen Directive: ^Wir wollen der Jngend nicht die Schulzeit durch
I'berbürdung verleiden, und wir wollen keine Römer erziehen**
nun Rechnung getragen hat, wird erst die Zukunft lehren. In daa übertriebene
Oesehrei über die uberbOrdnng in allen Seholen misehten sidi lante Bofe
nach Abschaffung der „todten Spraehen". Homer nnd Taeitna wandeln jedoch
stolzen Hauptes in 20O0.j;ihrigor Toga auf dem Lehrplane unter germanischen
Ki-scheinungen nach wie vor umher; dem letzteren Wunsche ist also nicht
nachgekommen worden. Der Glaabe, dass die Überbürdang in dem aus-
gedehnten ünterrieht im Latein nnd ChrleeUseh in snehen sei, ist dnieh die
Conferenzbeschllisie der «aieben Weisen" in Beriin widerlegt worden, wean-
^eich sie Kürzungen der Pensen hie und da gestattet haben.
Soeben ist denn auch der Besoldungsplan für die Lehrer an den
höheren Lehranstalten veröffentlicht worden. Man hatte erwartet, dass
durab denselben gereebten Ansprttehen für lange Zeit würde Genfige geleistet
werden. Mit großer Spannnng wurde seitens der akademisch gebildeten Lehrer
an unsern höheren Schulen das Erscheinen des neuen Normaletats erwartet,
mit sehr gemischten Gefülilen haben dieselben Kenntnis von demselben ge-
nommen. Seit zwölf Jahren befindet sich diese Kategorie von Lelirern in einer
gesteigerteii Erregung ttber die Unanlingliehkeit ihres Anfrttekeos im Dienst
nnd ihrer Besoldung. Zn wiederholten Halen hat das Abgeordnetenhans and
seine Unterrichtscommission diese Missbränche anerkannt, nnd ebenso hat die
Staatsregierang wiederholt erklärt, dass eine „gründliche" Bessernng der Vei -
hältoisse nöUiig sei, ja im April 1885 hat der Cultasminister v. Liossler aus-
drttddidi im Namen der Staataregierong die EritUbrong abgegeben, dass sie
die Glefehstellnag der Gymnasiallehrer mit den Richtem erster Instanz für
berechtigt halte. Es durlPten nach allen den Vorgängen, besonders auch nach
dem Erlass der Cahiiietsordre des Kaisers vom 17. December 1890, die be-
treffenden Kreise erwarten, dass die Staatsregierang jetzt die Angelegenheit
sn einam befriedigenden Ende fthren werde. Diese Hoffnungen sind dnrdi die
Gehaltssütae, wie sie das Ministerium in Vorsehlag gebracht hat, grOndUeh
getüscht.
Das neue Volksschulgfsetz hat unsern Dünensand zu Pirmlichen
Saudhosen aufgewirbelt. So sehr luan seit Erlass der Verfassung von 1848
auf ein Volksschalgesetz wartete, so sehr hat sich die große Kajoritttt gegen
die Faamng des noeh sehwebenden EntwurüBS geltend gemaeht Wihread von
der einen Seite gefOrchtet wird, dass Geseta werde Heuchelei und religiöse
Intoleranz im N'olke erziehen, wollen andere sogar behaupten, dass durch das-
selbe ein wesentlicher Theil der Segnungen der Reformation werde ver-
loren gehen. Wir sehen nicht so sehwarz. Paragraphen, welche sich auf ver^
altete Pihhlbanten stiitien, werden den Stttnnen unserer Tage nioht lang» an
widerstehen vermlfgen ; doch ruhen sie auf „dentsehen Sädwn", so flberdaaem
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sie Jahrhunderte. Noch ist ja das letzte Wort über den sensationellen Ent-
warf nicht gesprochen, and doch ist ein Wort aus der Generaldebatte des Ab-
geordnetenhanses im Januar d. J. schon über alle Lande geflogen. Herr v.
Zedlitas meiDte za einigen nationalUberalen Fordeningen auf dem Gebiete des
Religionsunterrichts, dass er mit d«Dselb«n einverstanden wäre, wenn et
sich um den Unterricht in den höheren Schulen handelte. Unser deutsche«
Volk ist durchaus nicht daran gewöhnt, die Religion nur als Massenbändigerin
aaznsehen. Für unser Volk ist die Religion die Führerin zur ewigen Glucks-
Seligkeit. Das Volk Tenleht es nicht, weahalb nnn den Schillern der
höheren Schalen die Heilswahrheiten mit einem andern Maße zn*
gemessen werden sollen, als seinen eiofenen Kindern. Sind die Kinder
von reichen £ltem im Stande, auf einem andern Wege iu den Himmel zu
kommen als nnsere? harschte ein Schlossermeister Ihren Referenten an. Das
kommt dnyon! (Dwwischen iit 4er flnffUdie Ebtwnrf gefeUen. D. R.)
In dieser Zeit des Ringens und Strebens nach gesetzlich geregelten Sdinl-
zuständen wird der Streit um die Trennung des Kelig-ionsunterrichts von
der Schale mit besonderer Heftigkeit geführt. Außer den nicht zu unter-
aoUUEendea Stimmen, welche aus Süd und Nord, West und Ost laat geworden
lind, Terdient eine Abhandlnnsr des ProfiMMirs der Theologie, Dr. Pfleiderer,
in den ^Preußischen Jahrbüchern" die writoste Verbreitung,
Ich kann bei meiner heutigen Rundschau unmöglich einen garstigen
Bombensplitter unerwähnt lassen, weit her aus einem Revolverprocess in Berlin
entflog und viele KOpfe onserer Strandpädagogen erhitzt hat. Man höre! —
Ein hegfthter Beriiner Rector, Namens Ahlwardt, war früher in aige Sdinlden,
zuletzt auch in Beleidigungsprocesse verwickelt. A. hat sich mit Stocker ver-
bunden und ist durch mehrere Broschüren in lebhaften öffentlichen Kampf
gegen das „Jndenthum" getreten. Eine dieser Broschüren sollte mehrfache
Beleidigungen gegen ehemalige Vorgesetzte und Collegen des Ahlwardt ent-
haltM, vnd so worde im Febmar d. J. gegen den Gnltnrkimpfer ein Monstre-
process in Scene gesetzt, in welchem er, nebenbei bemerkt, bestraft wurde. Ahl
Zeugen in diesem Processe traten viele Privatpersonen, Stadtschulriltlie, Lehrer,
Lehrerinnen etc. und auch Dr. Hermes, eines der einflnssreichsten
Mitglieder der Berliner Stadtschuldeputation, auf. Von Dr. Hermes
behauptete der Angeklagte, dan er nie Sdinld^mtationamitKlied mit nen-
mwählenden Lehrern, Reotoren nnd Directoren ein rdigiXtoiP(^tiBches Examen
angestellt und erklärt habe: „Die gfUtliche Abstammung des Heilandes
nach dem 2. Artikel ist für mich ein Märchen." Zeuge Dr. Hermes
gibt zu, diese Erklärung in Gegenwart von Directoren gemacht zu haben nnd
eridirt Üsner, dasa er eine solche ÄnBernng in Oegenwnrt Ton
Lehrern fttr „taktlos" halte. Ist das nicht dieselbe Geschichte? — Der
2. Artikel hat fiir die Lehrer wol heilsamen Inhalt, für Directoren ist er ein
Märchen? — Wenn sich solche Ansichten noch weiter entwickeln, dann können
wir erwarten, dass man für gewisse Stände noch Dogmen für nothwendig hält,
fBr andere aber nicht. Hiennit lind wir denn anf ein ernstes Thema gerathen,
welches die ganze Welt weit nifllir beschäftigen wird, als der Erlass des
preußischen Volksschnlg^etzes. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist es hohe,
ja höchste Zeit, dass ein zweiter Luther auftritt und die christliche Kirche
von allem menschlichen Beiwerk unnachsichtlich säubert. Das, was „wahr-
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— 450 —
haft göttlich" ist, braucht der Volksschüler nicht mehr und iiiclii weniger
als der Gymnasiast, und der Director nicht minder als der Lehrer. Damit
ist dfir Saohe nicht gedient, dsM man diejenigren efnfkeh ▼«rlireiuit, welobe am
KicftlBchen GlaabentbekenntiiiB nur rütteln. Das ist eben «ine grofte BSmingen-
schaft der Reformation, dass wir die damaligen Kirchenväter ebenso wenig für
„unfehlliar'* hallen wie den heutigen Papst und sein Cardinais -(Kollegium.
Schon vor mehreren Jahrzehnten verlangten sehr fromme Theologen, es sei
s. B. Lic Nenetanann genannt» eine giündlidie BeA»nn der HbeL Die Bibel
aoUte Ten all' den Capiteln nnd Versen, welche mit dem Heilsleben der
Menschen nichts zn thun haben, welche aber nach Inhalt nnd Form leicht
Anstoß erregen, gereinigt werden. Bis jetzt ist in der hochwichtigen Angelegen-
heit wenig geschehen, nnd man darf sich nicht wundern, wenn es immer Leute
gibt, welche das Kind mit dem Bade ainnhitten. Andienetti nimmt das
Sectenwesen in rapider Weise zu. Es scheint, als ob die Mensdibeit das
Wort Friedrichs des (>roBen: » Jeder kann nach seiner Fa^on selig werden*
anr Wahrheit machen will. _
Ans Westfalen. Zwei Thatsachen sind es, über die ich hevte den
Lesern des ^FMdagogioms* berichten machte. BAxm an sieh sind beide ihrer
Eigenartigkeit wegen höchst beachtenswert, sie heischen aber besonderes In-
teresse wegen ihrer symptomatischen Bedeutung in der gegenwärtigen Zeit.
Sie stehen beide in dem Zeichen des Zedlitz'schen Volksscholgesetses, nnd
wenn sie amft in keinem direkten Znsammenhange mit diesem Entwürfe stehen,
so athmen sie doch den Qeist von seinem Geiste. Beide sind, obwol mm&chet
nnr von örtlicher Bedentnng, vorzilglich geeignet, dem Leser als Zukunftsbild
zn dienen hinsichtlich der Verhältnisse, wie sie sieh nach der Annahme des
Zedlitz'schen Gesetzentwurfes in Prenßen entwickelt haben würden. Es
handelt sich in den nachfolgenden Zeilen 1) om den Kampf der Stadt
Heerde fftr ihre Simnltanschnle nnd 3) nm die VerfSgnng der kSnig'
liehen Regiernng in Arnsberg vom 26. Jannar d. J., wodurch sie den
Lehrern die Mitarbeit an der Presse untersagte.
Der Schulkauipf in Hoerde dauert bereits annähernd lö Jahre. £r ist
ein dassischeB Zengnis dafür, wie der Uitramontanismas darauf abzielt, die
Selbstverwaltnng der Stidte m Temichtm nnd überall das eehwarae Panier
der Litolwaaa aufznpflanzen, wie derselbe die Interessen und Rechte anderw
unter die Füße tritt, um seinen hierarchischen Gelüsten zu frOhnen, nnd wie
er seine Losung: „Für Wahrheit, Recht und Freiheit!" auft'asst.
Bs war im Jahre 1877, als die st&dtischen Behörden in Hoerde, einem
aaedrttcUiohen Wunsche der Regiernng entsprechend, den Besehhiw fhssten,
die drei confeseionell eingerichteten Volksschnlen der evangelischen, römisch-
katholischen nnd israelitischen Schnlsocietftten in eine stftdüsche Simnltan-
schnle umzuwandeln.
Was das numerische YerhJUtnis der beiden hauptsächlich in Betracht
koBunenden Gonftssionen anbetrifft, so lUilt Hoerde mnd 8000 ertngeliiche
nnd 7000 katholische Einwohner; was aber die VerhältnisBe des Besitzstandes
anbelangt, so sind die Evangelischen nnd Israeliten im ganzen wolhabender
nnd somit stenerkrüftiger als die Katholiken. Zur Illustration dieser Ver-
hältnisse führen wir kurz die nachfolgenden, der „l^öluischen Zeitung" ent-
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nonimenei) Zahlen an: Im Jahre 1885 86 beispielsweise wurden an Staat«-
steuern, welche bei Berecbnang der städtiechen Steuern zu Grunde gelegt
wcfdeii, erhoben
1) Ton den EvangeUschen und Israeliten 21 119, — M.
2 ) von den Römisch -Katholischen 8372,— „
und das zu dickende Schuldeticit betrug
bei der städtischen Volksschule (^Evangelische und Israeliten; 34 788,50 M.
bei der kEtholiwOieB Volknehnle 31 870,84 „
mithin war das Deficit der CommnnalBchale mit 164 die der rBmisch-
katholisclien Schule mit 380 ^ der Staatssteuem zu decken. Aus diesen
trockenen Zahlen erhellt schon ohne Widerrede , wie uneigennützig und gerecht
die städtischen, fast ausschließlich aus Protestanten bestehenden Körperschaften
handelteD and welehe Woltfaaten sie den steaerzahlenden, dasa nieht wcd-
habeadeB katholischen IMbrgem anwenden wollten, wenn sie bereit waren, aodi
die katholischen Schulen anf den städtischen Etat zu übernehmen, unter der
einzigen Bedingung nor, dass der simoltene Charakter der Commonalscbole
gewahrt bleibe.
Ja, nm das gleieh ▼orwegnnehmen, vor dnigea Jahren ging die Stadt
in ihrer Maebgiebigkeit so weit, die Übernahme des katkolisehen Sebnldeflolts
ansnbieten, wenn der Schulvorstand bereit wäre, die Schule dem städtischen
Cnratorinm zu unterstellen . damit dieses wenigstens in ilußeren Fragen mit-
zureden habei der coutessionelle Chuiakter der Schule sollte gänzlich gewahrt
bleibeB. Die ruhigen, verständigen, objectiv nrtheilenden Katholiken waren
ISr diesen Ansgloieh, nieht aber der unter dem Einflnsse des rOmiseheo Clenu
stehende ScholTorstand. Bedingungslos sollte sieh die Stadt unterwerfen;
man wollte ihr die Pflicht des Zahlens auflialsen, im ttbrigen abt-r sollt»' sie
kein Wort mitzureden haben. Infolge dieser Hartnäckigknt blieb hiernach
den katholischen Bürgern nichts übrig, als weiter zu zahlen, und zwar hatten sie
in den Jahren von 1880 — 90 an Gommnnal- und Sehnlstenern swischen 600
nnd 670 ^/o der Staatsstenern aufzubringen, wBhrend die ttbrigen Bttrger nor
«wischen 370 und 410 zahlten.
Wenn der Kinister von Zedlitz bei der Berathuug des Cultusetat« am
7. Ifftrz jedoch die Höhe der den Katholiken aufgebürdeten Lasten dem Um-
stände snsehrieb, dass die Katholiken besahlt bitten lllr die Sfannltanschole
nnd für ihre eigene Schnle auch, so war das ein Irrthum, den der Minister
dann auch in einer späteren Sitzung zugeben mnsste. Die Sache lU-^i viel-
mehr so, dass die Katholiken allerdings gesetzmäßig verpflichtet gewesen
wiren, die Lasten der aimnltaaen Gonunonalsehnle mittragen zn helfen, —
und mir ist ein Fall bekannt, dass in einer miserer Indnstrfestldte die Katho-
liken die Communalsteuer einschliefllich der Scbullasten für die stftdtischen
Schulen zahlen musstcn. obwol sie sich auch den gleichen Luxns einer eigenen
confessionellen Schule leisteten — aber, und das kennzeichnet wieder die guten,
friedlichen Absichten der städtischen Körperschaften in Hoerde, schon in dem
Besehlnsse, dnreh den die Simvltansdrale gesokaflleo wnrde, befreite man die
Katholiken ausdrücklich von diesen Lasten, weil man sich in richtiger Er^
kenntnis der ultramontanen Gehässigkeit dem Vqfwurfe nicht aussetzen wollte,
den man vuranssah und der selbst von dem Minister andeutungsweise » rln^ben
wurde. Jene Behauptung also, dass die evangelischen und isi'aelitischen Bürger
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der Stadt auf Kosten der katholifichen Milbürger Vortheile geaösaen, entspricht
nicht der Wahrheit.
Bis nun Jahre 1884 stand die Ansberger Begiemng auf denselben
Boden der Anffassang: wie die städtiBchen Behörden. Alle Versuche der
katholischen Schnlsocietät, die I'bprnahiiip der J^atliolischen Schule ohne den
^'erzicht auf ihren confessionellpn Charakter und unter Wahrung: J^Her ibrer
bisherigen Rechte auf den städtiscUeu Etat herbeizuführen, wurden von der
Stadt nnd der Begiernng gemeinsam snrflelcgewlesen. Als jedodi der Wind
nmsprang und die politische Constellation sich, besonders infolgre der Bismarck-
Rchen Wirtschaftspolitik, änderte, da wechselten auch die Bilder im kleinen :
man verbrannte, was man bis daliin angebetet hatte. Vom Jahre 1884 ab
unterstützte die Arnsberger Regierung im Gegensätze zu ihrer früheren
Haltanir die Ferdernng des luttliolischeB ScbnlTontaades gegen die stidtisclien
Behörden. Es würde zu weit IBhren. hier die Angelegenheit in den einzelnen
Stadien ihrer Entwickliinia: zu verfolgen kurz, am 14. Februar 1891 be-
schlossen die Repräsentanten der katholischen Schulsocietät endlicli, die letztere
unter Hinweis auf den Vertrag vom 18. Juli 1877 bedingungslos aufzulösen
nnd dar Stadt die Übernahme der katholischen Sehnle anhelnunutellen. Za
die^iem Schritte waren aber die Katholiken nicht etwa gekommen, weil sie in-
zwi.schen ihre Anschauungen geändert lintten uder im Laufe der Zeit mürbe
geworden waren-, nein, in ihrer Klugheit hatten sie sich vorher versichert,
dass jetzt »tatt ihrer die Regierung bei der L bernahme der Schule auf den
städtischen Etat & tont priz anf den «rnftsslondlen Charakter der Schale be*
stehen wfirde. Die Vertreter der Stadt, die ihre Pappenheimer kennen, durch-
scliauten indes den schlau eraonnenen Plan und fielen auf diese Finte nicht
lnn<'in. Nachdem sie sich über die Absicht der Regierung Klarheit verschaft"t
hatten, weigerten sie sich rundweg, die Schule zu übernehmen, und so führte
aneh dieses klng abgekartete Spiel nicht an dem beabsichtigten Ziele. Jefest
zog die Regierang andere Saiten auf. Sie beantragte beim Bezirksausschuss,
die Stadt gemäß § 2 des (tesetzes vom 26. Mai 1887 zur l'bernahme der
Schule zu verurtheilen. Das geschah. Die hiergegen unter eingehender Be-
gründung an den Provinzialrath gerichtete Berufung der Stadt wurde ver*
worfba, nnd endlich lehnte anch der Oberpritaident von WestfUen den Antrag
der Stadt, gegen die letste Entscheidong beim Oberverwaltnngagerichte Klage
erheben zu dürfen, kurzer Hand ab. Mit Recht bemerkt die „Kölnische
Zeitung'^ hierzu: „Eine solche Ablehnung ist für den ruhigen Staatsbürger
schwer verstündlich. Die städtischen Behörden erbitten weiter nichts, als
dass der Oberprisident ihnen ermögliche, ihre bisher nnr von BeschliissbehÄrdea
benrtheilte Sache dem Sprache eines Gerichtshofbs des Oberverwaltangsgerichtes
zn unterbreiten. Er hütte beachten müssen, dass gerade jetzt unter den Ver-
hilltnissen, in welchen wir im preußischen Staate leben, jeder Anlass zu be-
rechtigter Unzufriedenheit möglichst vermieden werden müsse. £r hätte ferner
sich ssgen müssen, dasa eine evangelische BeySIkemng einw Stadt, wdohe
14 Jahre hug mit stete gleicher Ansdaner den Kampf nm ihre Schale ge-
ffihrt hat, aach infolge seiner Ablehnung in diesem Kampfe nicht erlalimen.
sondern ihre Sache bis an den Minister and nöthigenfalls den Landtag der
Monarchie verfolgen wird. Er h&tte femer wissen können, dass auch, wenn
selbst diese Sehritte nidit an dem erwünschten Ziele führen, den stldtlaohea
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Behörden immer noch aof anderen Wegen die Möglichkeit verbleibt, eine Ver-
handlung der Sache vor dem OberverwaltiingBgerichte zn erzwingen."
Nicht genug hiermit, ging die Arnsberger Regierung, bez. der Schulrath
Tyszka, im Übereifer dazu über, die Hoerder Communaischole ihres simnltanea
Cbankten sa entkleiden, indem er die Anseeiralmig der 28 inraeUtisehen
SchQler und die Bildung einer besonderen jUdiichen Sehvldawe Ar die soldier-
gestalt Ausgeschulten verfügte.
Alle diese Maßregeln, die mindestens als höchst sonderbar bcv.t'i< imet
werden müssen, brachte der Abgeordnete Bickert bei der Beratliuug det
ColtuetatB im Abgeotdnetenhaaee mir Spradie, vnd der Miniater erkittrte
wenigstens bezüglich des letzten Punktes, dass er die Ansschulong der ia-
raelitischeii Schüler selbstverständlich inhibirt, sobald er Kenntnis von der
Absicht der Regierung erlangt habe. „Üieser ganze Vorgang", so fuhr der
Miai8t.er fort, „wirft jedoch ein höchst interessantes Licht auf die Nützlichkeift
der SimiittaaachnlelniiehtnDgen. Nlmlieii hier lat die Begienmg in Amabers
nicht der schwarze Mann gewesen, der angefangen hat, sondern die Anreguo|r
zu der auch nach meiner Auffassung völlig unmöglichen Organisation ist aus
Hoerde selbst gekommen, und zwar ist die neue Organisation wunderbaier-
weise motivirt worden aas der Simultanschule heraus, nämlich damit, dass der
Veriralir in dem Lehreroolleginm nnd in den dasaen, namentUeli bei Erörte-
rungen von Fragen, die den Geschichtsunterricht betreffen, durch die Gegenwart
des jüdis( hen Lehrers eine gewisse bedenkliche Beengung fände. Nach meiner
Meinung ist die Regierung nicht glücklich gewesen, indem sie auf eine der-
artige Anregung eingegangen ist. Sie hätte sagen sollen: Ihr seid simoltau,
eine Be^ndnng Y<m einer beaonderen daaae fBr die 28 Jüdischen Kinder
geht nicht, das wäre eine Zurücksetzung der berechtigten Interessen dieser
Kinder und ihrer Eltern. Also sie hätte das einfach ablehnen müssen: sie
ist aber auf die Sache eingegangen, hat jedoch eine abschließende Verfügung
bisher nicht getroffen. Ich habe ihr zu erkennen gegeben, dass nach meiner
Anaicht ea ao bleiben milaae, wie ea Usher gewesen vritn, mid daaa der
jttdiache Lehrer im CoUeginm ebenso zur Verwendung kommen müsse, wie er
bisher zur Verwendung gekommen sei." Diesen Standpunkt des Ministers und
die Desavüuirung der Arnsberger Regierung durch ihn kann man nur billigen,
wenn man andererseits auch bedauern muss, dass er sich nicht auch im übrigen
anf die Seite der Stadt Hoerde atellt. AnflUlen moaa ea aber, daaa da* Hiniater
in dem einen Punkte, die Beengung der evangelischen Lehrer durch die Gegen-
wart des israelitischen Lohrers betreffend, der Köln. Ztg. zufolge, wiederum
falsch unterrichtet (jewesen zu sein scheint. Sie schreibt: „Es wird uns zu-
verläsjjig verbürgt, dass von berufener Seite in dieser Beziehung niemals eine
Klage an die königliche Begiemng an Anaberg gerichtet worden iat Im
Gegentheil haben die Herren, welche sich an in dieser Beziehung maßgebender
Stelle befinden und welclie {■rineipielle Gegner der Simultanschule sind, auf
Befragen versichert, dass L'nzuträglichkeiten irgend welcher Art sich in keiner
Weise bemerkbar gemacht haben. Auch hier ist also wiederum der Minister
das Opünr einer Berichtentattnng geworden, die in keiner Weiae die IMUchen
VerhältniaM antrelliuid geachUdert hat'* Bndlieh irrt aieh der Hiniater, wenn
er behauptet, die Arnsberger Begiemng könne sich zur Rechtfertigung ihres
Vorg^ens nicht auf ihn bemfen. Er trat sein Amt Mitte Mftrs an, nnd
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unterm 29. Mai entschied er: „Wenn das Protokoll vom 18. April 1877 von
der Einrichtnnp von Communalsclmlen ohne confessionellen Charakter spricht,
80 entspricht dies nicht den thatsächlichen Verhältniasen. Die kleine jüdische
Sodettt, wdldw gkkluBeitig aufgelöst wurde, kum in dlewr Frage nicht in
Betradit kommen. Die Stedtgemdnde darf aieh daher, naehdem sie die evan-
gelisdie Schnle als solche übernommen und weiter unterhalten hat, nicM
weigern, auf Verlangen auch katholische Schulen als Gemeindeanstalten ein-
zorichten." Irren ist zwar menschlich, und selbst ein Minister ist dem Irrthume
«Qterworfbn. Wie es aber mOglieh ist, da« aleii der Minister bei einer solchen
prindpiell wiehtigen Angelegeiiheit soEOsageD in eine game Kette tod Imagen
verstricken konnte, das bleibt einem bescbriniLten UnterthanenTentande Immert
hin schwer erklärlich.
Nachdem so die Stadt Heerde ihr vertragamäßiges, ursprünglich von der
Regierang gewährleistetes Recht durch alle Instanzen verfochten, aber nicht
mit Erfolg dnrehnsetaen vermoeht hatte, forderte der Begierangsifflsident in
Arnsberg durch Verfügung vom 4. Marz d. J. lic städtische Vertretung auf,
binnen acht Tagen die Kosten für die katholischen Volksschulen in den Etat
einzustellen, andernfalls werde sofort die zwangsweise Einstellung erfolgen.
Aber sowol Magistrat wie Stadtverordnetenversammlnng haben das Verlangen
des Begiemngsprlii^ten randweg abgelehnt Sowtit ist der Kampf gediehen.
Das ist die augenblickliche Situation.
Ware Graf Ze llitz Minister geblieben, so könnte man schon heute die
Sache als erledigt betrachten; Hoerde hätte der Gewalt, der force miyeore,
weichen müssen. Aber in dem Angenblick, da diese Zeilen geschrieben werden,
dnrehellt die Knnde von dem Stnrse des Ministen die ftbeirasdite Welt.
Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brost geschossen! Möge
das ein gutes Vorzeichen für die Stadt Hoerde sein. Die große Alcht li' it des
treien Börgerthnms wird dem Minister ebenso wenig eine Thräne nachweinen,
wie dem Werk, mit dem er stehen und fallen wollte. Er ist gefallen, „nnd
seine Werke folgen ihm naeh". Diese unerwartete Wendnng wird in der
ganzen cnltnrfl^andlichen Welt als ein eittaeodM Ereignis freudig begrfißt
werden. Als Cultus- und Unterrichtaminieter war dieser ehemalige Rittmeister
ein Anachronismus der schlimmsten Art. Er war kein Frömmler ä la Mühler,
er spielte sich auf den Politiker hinaus, der die Übel der Gegenwart mit den
veralteten Mitteln nnd den verrosteten Waffen einer Iftngst fiberwnndenen
Epoche heilen zu können wähnte. Er suchte die Bnndesgenossenschaft einer
Milcht — schreibt treffend die Fraukf Ztg. — die stets für die Hilfe, die
man von ihr öfter erwartete als erhielt, als Preis die Herrschaft gefordert hat,
einer Macht, für die jedes Bündnis nur eine societas leonina ist, wie sie ans
die alte Äsopische Fabel vom jagenden LOwen sdiOdert tttnsehte aidit
als er der Kirche die gXnze Hand reichte, nicht nnr über die Bedeutung dieser
l^^litik, sondern vor allen Dingen auch über ihre Wirkung auf die Geister.
Er wollte einen Kampf gegen den „Atheismus" führen, die Waffe aber, die er
enthüllte, war gegen die moderne Weltanschauung, gegen die geistigen und
politischen Emugensehaften dea Jahriinnderts geriehtet, nnd der Gdst des
Jahrhunderts war es, der gegen ihn aufstehen mnsste nnd in entschlossenster
WVise wirklich auch sich gegen ihn erhob. Der jähe Sturz des Ministers ist
geeignet, auf der einen Seite Hoflhungen, die bereits ausgegeben waren, neu
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sn beleben, auf der andern Seite aber eine Überhebung und einen Übennuth
zn strafen, die sich schon vermaßen, der Nation den Fuß auf den Nacken
setzen 2a können.
Nifäk den Axtiktl 27 der VerikHnng fttr die prenttMlie Monaraliie hat
jeder PrenBe das Recht, dnrch Wort, Schrift nnd Druck vnd bild-
liche Darstellung seine Meinung frei zu änBern. Dieses verfassungs-
mäßig garantirte Recht, das zu den wertvollsten eines freien Bürgers gehört,
steht auch dem Lehrer in dem gleichen Maße zu wie jedem andern Staats-
bürger, nad die LdiNr begingen das lehwcnte Unrecht gegen ihren Stand,
wüui lie rieh, doroh wen es aneh irnnrnr ari, cUeees Becht nehmen oder ver-
kftmmem lassen wollten. Sofern sie in ihrer schriftstellerischen Th&tigkeit
nicht gegen da« Pressgesetz oder andere zu Recht bestehende Verordnungen
verstoßen, hat ihnen niemand darein zu reden, haben sie niemandem Eede nnd
Antwort ttbor dieia Tliitigkrit n •tohea. Der § 104 im Ometwi beMhad
die Dienatrergehender niehtrichteilidiea Beamten ▼om 81. Jnli 1862 beatiBinit
anadrttcUich, dass der Beamte in seinen Privatangelegenheiten „nach eben den
Gesetzen nnd Rechten wie andere Bürger des Staates benrtheilt" werden soll
Und eine Entscheidung des Uberverwaltnngsgerichtes vom 20. Dezember 188t)
besagt: „Der Beruf der Unterthnnen, die Krone durch die von ihnen dnrch
das Mittel der Wahl in die legialatiTen EOrpereohaften entsandten Vertraaena-
personen in den wichtigaten Acten der Gesetzgebung und Staatsverwaltung
fortgesetzt za berathen, fährt mit Nothwendigkeit zur Bildnng politischer
Parteien und zu ihrer Th&tigkeit in der Presse, in \'ersammlungen nnd Ver<
einen, die daan dient äber die Tagesfragen der Politik zu belehren, Gleich-
gealnnte m aaauneln, Fematehende hennnudehen und in ttbenengen. Zn
solcher Thätigkeit sind aach die Staatsbeamten, unmittelbare wie mittel-
bare, berufen Kein Gesetz, keine Norm der Dienstpragmatik schließt sie
grundsätzlich und aügemeiu davou aus." Dass sie sich an einem politischen
Treiben von Parteien betheiligen, welche grnndafttzlioh gegen die be-
atehende Beehta- nnd Staataordnnng kftnipfen, sei mit der Sfeellnng
der Beamten nicht vertrSglich. Auch dürfen sie nicht die Pflicht der rflck-
eichtsvoUen Achtunfr gegen die Vertreter der Staatsbehörde verletzen nnd sich
an ungerechten, unwahren Behauptungen and Angriffen verleiten lassen, sowie
daa Vertrauen zu einer sachlichen und gerechten Fuhrung des anvertrauten
Amtes in Frage stellen.
Nun betrachte man im Lichte dieaer geaetzlichen Beatimmungen die nach-
folgende Verfiignng der KönigL Begiemsg sn Anaberg vom 26. Januar 1892,
die folgenden ^Vortlaut hat:
„Wie in der letzten Zeit zu unserer Kenntnis gekommen ist, befaast
rieb rine nicht nneibebUche Zahl von Lehrern nnaara AnMchtakreiaea mit
einer mehr oder weniger fortlaufenden Mitwirkung an der Tagespresse.
Dass eine derartige Thätigkeit als eine nebenamtliche Beschäftigung im
Sinne der bestehenden Bestimmung anzusehen ist. kann um su weniger
zweifelhaft sein, als sie, wie es in der Natur der Sache liegt und in
mehreren der in Betracht kommenden FUle auch mgegeben wcfrden iat, der
Begel nach gegen ein entsprechendes Entgelt, sei es durch Barzahlung, sei
es in anderer Weise, geübt wird. — Nach dieser Richtung hin bestimmt
die Alierhöcbste Cabineteordre vom 13. Juli 1839, dass kein Staatebeamter
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eine mit einer besondern Verg-iitnng' verbandene Nebenbeschäfti^rnng ohne
die (lenehniigun^ seiner vorgesetzten Behörde abernehmen darf, und der
liinisterialerlaüs vom 31. October 1841 besagt, dass den Lehrern nar die
Übemalmie soleher NebeDbeMhafUguifen fwtattet wtrden aoll, dwen Au-
riehtmig dem Amte and der Wftnie eines Lehrers keinen Eintrag that und
ihn Beinern nSdisten Beruft nicht entfremdet. Je weniger es nnn in
unserer Absiebt liegen kann, den Lehrern die Krörterung fachmännischer
Fragen oder die Mittheilaug belangreicher Wahrnehmungen und Erfahrangen
in d6D einaehUflgeii BUtttem so Yermgm oder flmen die lOtwirkaiig «i
der Hebung vaterllodiecher and religiöser Gesinnang za verschränken, nm
80 entschiedener wird der nebenamtlichen Thätigkeit eines Jeden Staats-
beamten dann entgegenzutreten sein, wenn diese sich entweder in einen
ausges])! uchenen Gegensatz zu den vorgedacbten Bestrebungen stellt, oder
»uaofaÜeilieh «if die HerbeiidiaJAuig and Ansbentong v<hi Tageeneoigketten
abdelt nnd sich zu diesem Behufe aof die Anwendung von Mitteln na-
gewiesen sieht, die ebenso wenig mit dem Amte, wie mit dar gemmmten
Stellung eines Leliiers vereinbar sind."
Da£s diese Verfügung in der onabbängigeu i'resse nicht gerade in
aehmeiehelliafter Weiae beartheüt warde, kann man aldi denken. So aelurieb
a. a. die K91n. Ztg., das hervorragendste Organ der nationalliberalen Partei:
„In unseren Tagen, wo die Einittindungen des preußischen T^ehrerstandes durch
das neue V'olksscliulgesetz aufs höchst« in Älitleidenschaft gezogen und erregt
sind, sollten wenigstens keine Verfägongen erlassen werden, die in Lelirer-
kretaen peinlidi berttbren nnd vieUeieht Erbitterong heryomlbn werden.
Ifan sollte ancb den Schein vermeiden, als wolle man den Lehrern durch Ein-
schiichtej unKsversuche das Recht der freien Meinungsäußerung verkümmern,
Hiilf man aber diese Verfiigung mit derjenigen des KegierungsprUsidenten zu
Frankfurt a. d, 0. zusammen, so drängt sich der Argwolin auf, als versuche
man, die Erregung der Lehrerkreise ana der groiea OffBBtiiehkeit in die Braat
des armen Lehrers zurfickzudrängen, in die ja die Sdialvorlage auch den
Kampf zwischen Staat und Kirche verlegt. Grundsätzlich können wir nicht
anerkennen , dass die Mitarbeit an der Tagespresse mit der Würde des
Lehrers unvereinbar sei; die Verfügung legt die Empfindung nahe, dass diese
Hitarbeit nor dann ala anltaig beftnditet werden aoll, wenn nie aidi allerdings
aber die Nachrichten erhebt, aber ancb im Einldang mit den wediadnden
Anachauungen der jeweiligen RegierungsiKditik steht."
Die Würde und das Ansehen des Lehrerstandes an ihrem Theile mit
wahren zu helfen, das ist nicht nur das unbestreitbare Hecht der Kegierung,
fondeni «i iit aveh sagleieb ilire Pflieht, nnd nwar eine aehüne nnd ehren-
▼eile Pflieht Die Wfirde and das Anaehen dea LehroatandeB aber dadoreh
heben zu wollen, data man den Lehrern die Mitarbeit an der Presse ver-
schränkt , das heißt nach unserer bescheidenen Ansicht . das Pferd beim
Schweife aufzäumen. Warum bedienen sehr viele Lehrer die Zeitungen mit
Tageanenigkeiten? ^^Um dioaelbon in Ihrein Litereaae Minbeoten, am Bar-
sahlnngen oder aonat YergtttangeB dafltar an erhalten**, sagt die Eegierang;
und es ist ohne weiteres zuzugeben, dass sie im allgemeinen damit auf richtiger
FJlhrte ist. .Aber wir können in der That nicht begreifen, warum das keine
ehrliche Arbeit sein soll, der man das Kainszeichen der Nichtwolanstftndigkeit
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auf die Stirn drücken mttsste. Es ei-scheint noch immer viel ehrenvoller für
die bei ihrem kärglichen Gehalte darbenden Lehrer, wenn sie sich durch ehr-
liche Arbeit und deren Ertrttgnisse über Wasser zu halten suchen, als wenn
aie in Sebalden untergehen. Wau »ber Regierung die WalinHiunair sa
mMhen f^anbt, da» im AnubMigtr Bwlike ferade ?iBririUtniimMig viele
Lebrer an den Tagesblättern um des Erwerbs vvillen mitarbeiten , so können
wir ihr nur den Rath geben, an ihre eigene Brust zu schlagen und aus-
zurufen: Mea culpa! Warum gebraucht sie ihren fUnfluas aul' die Gemeinden
nicht, damit diese die dnrehweg nnwilftngHehwi Geliilter, beeondeni vninläug-
lieb in dem indnitriereiehen Amiberger Besbrke, aeitgemU anfbenorn? Aber
jeder Schreiber und Zeichner, jeder Eisenbabnbeamte mit noch so geringer
I^ildunj»- Hteht sich ungleich besser als die Lehrer: und mit verschränkten
Armen üieht die Regierung solchen himmelsdireienden Zusttodeu zu. Von
Regierungsverfügungen , wie der obigen, kann scblieilich ein Lehrer seine
FanJlie, die doch andi, senaagen, meniobUebe Bedürlblsie bat, nidit aUtlgen.
Den Lehrern die Erwerbeqnellen abgraben, heißt weder sein AnnbMl Vnd
seine Würde lieben, noch „praktisches Chiistenthum-' treiben. Nur wer zum
Zweck der Hebung der religiösen und vaterländischen (iesiunung seine Feder
gebraucht, der soll unbehelligt weiter schreiben können. Da sind sie alle
feil benms, die aGeainnimgatllebtlgen'* nnd Leiietieter, die' in allem, was sie
sprechen und schreiben, genau den goüt ihrer jeweiligen Vfwg^esetzten zu
treflTen wissen. Die vatcrlilndiscbe Gesinnung wird in den amtlichen Kreis-
blättem, und die religiöse in den (iomeindeblättchen der Herren Pfarrer cul-
tivirt, und wenn es gerade einmal eilt, so liat der geistliche Schulinspectur
andi nichts dagegen, dass der gewflnsdite Artikel wihrend der ünterriohts-
zeit entsteht; den Kindern thnn dann und wann „stille Denkübungen" ancb
einmal gut, denn viel Wissen macht den Leib müde. Auch diese Verfügung
brachte der Abgeordnete Rickert im Landtage zur Sprache, indem er zugleich
die Frage an den Minister richtete, ob er damit einverstanden sei, dass die
Lehrer wie Schnljangen behandelt wttrdeo. Der Hiaisler erwiderte daraof:
Es bat sich herausgestellt, dass Lehrer vielfach ihre Hanpttbatigkeit in den
Arbeiten für die Presse gesehen haben, ein Lehrer war sogar Chefredactenr
einer Zeitung. Die Sache ist reparirt, da die Re^^^ierung selbst eingesehen,
dass sie sich vergriffen hat. Dagegen kann man die Tendenz dni-chaus nicht
missbilligen, insofern die ezecntrlsehe nnd agitatorische TheOnahme der Lehrer
an der Presse eine Gefährdung derselben bezüglich ihres Berofra zur Folge
hat. Es ist eine große Gefahr Ar die Lelirer, sieh in das politische Partei-
getriebe hineinzubegeben.
Man beachte den Gegensatz, der darin liegt, dass die Regierung den
Nnehdmek anf die dem Lehrer aas seiner IQtarbeit an der Prasse m*
Üiefenden Einnahmeii legt nnd darin das BedeakUebe erblickt, wihrend der
Minister diese Auffassung als unhaltbar verwirft und vor dem agitatorischen
Wirken im Interesse politischer Parteien warnt. Dass aber diese W^arnung
berechtigt wäre in Ansehung der westftUischen oder Arnsberger Lehrer und
deren Verhalten, wird jeder, der die dleaieitigeu Veriiiltnisse kennt, mndweg
▼etneinen; sie soUte aaoh wd nur die Niedirlage nethdUrfüg YethiUleii, die
sieb die Begierang in ihrem Übel angebraebten Eifer Temrsacht hatte.
PadafoginiB. 14. Jalug. Heft VU. S&
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Das ^Protestantische Familienblatt" von Dr. Richard Weitbreoht (Ver-
lag von Carl Classen in Stuttgart) enthält folgende Betrachtungen: „Dank-
bare Polen bat es in der Weltgefichicbte bekanntlich nocb nie gegeben.
Aneb die tob heate tiiid's niebt Da bsl die Begiernng den polnieebeii Gbn-
vinisten v. Stablewtki zum Erzbischof tob Posen ernannt. Die dentscben Ica^
tliolischen Lehrer, welche die Eegiernng vor einigen Jahren ans dem Innern
des Reichs nach Posen und Westprenßen versetzte, um dort einen Schutz des
Deatachthams zu bilden, müssen wieder in ihre Heimat zurück — wenigstens
wurde fbnea die 900 Hk. betragende Jahreuiilage gestrieben — imd die
edlen Polen baben nnn freien Lanf, in Sebide snd Kiicbe ibr Pdenthnm,
voran die polnische Sprache, nicht etwa blos zu erhalten, sondern mit aller
Macht auszubreiten, wobei sie von den Römlingen deutschen Stammes bereit-
willigst unterstützt werden, vermöge jener Verqnickung von reichsfeindlichen
und nltramentaiMB Beetrebongen, wie ite i. B. ueb in BlMii'LolibriBgeii tviv
banden ist nid dort ebenfldle lange SMt gebitedielt wnrde. ünd der Dank
dafür? Wahrend iich der Deutschen jener Gegenden die tiefste Nieder-
geschlagenheit bemächtiget hat. bezeichnen die Polen all das mbig als kleine
Abschlagszahlung, schicken für die Ernennung Stablewski's, in dessen Em-
pfangsaniedniM beiUtnfig nicht ein einziger DentM^ gewiblt wnrdei eine
Dankiagnng niebt etwa an den Kaiser, eondem an den Papit, md frenen
sich nnbftndig auf den nächsten Krieg, der, mag'e geben wie ee will, ihnen
nach ihrer Meinung Gelegenheit zu polnischen Thaten geben w-ird. Am päpst-
lichen Segen wird es ihnen dann in keinem Fall fehlen, am wenigsten, wenn
•ie das „dentscbe Joob* abachtttteln kannten.
Eine Mädchen - Erziehungs Jtnstalt. In N,, \'^ Stunde von Bad S .
scbaat von einer terrassenartig ansteigenden Höhe ein braones, heiter und
etwas loftig aussehendes Gebftade über die \ orberge des Tannns hinweg.
Das ist ein „Pensionat'', ein „Institut", eine Eraiebnngsanetalt ftir Mftdehen^
hatte man mir gesagt, als ich vor einigen Jahren vorbeischlenderte. Es
solle da anders zugehen, als in den meisten Instituten, und es werde viel
davon gesprochen. Die Leiterin der Anstalt sei Fräulein H., eine Tochter
des ehemaligen Professors H. in Gießen. Bestimmtes über die Einriebtang der
Anstalt, tb«r die Art nnd Weise des Ünterrlebts nnd der Eniebnng konnte
ich nicht erfahren. Erst später hatte ich Gelegenheit anf Einladung einen
Freundes, der der Anstalt vier Töchter anr Eniebnng anvertrant bat, einer
Halbjahrs-Prüfung beizuwohnen.
Herr R., welcher die äußeren Angelegenheiten der Anstalt besorgt, empfing
nicb anfli freondliebste. leb war um swei Stunden an frflb gekommen. Dank*
bar nahm ich die Einladung an, bis zum Beginn der Prüfung in der Anstalt
zu verweilen. — Einige 40 Mädchen im Alter von 8 bis 18 .Taliren werden
hier erzogen. Die jüngeren Zöglinge kommen nicht selten direct aus den Fa-
milien, die älteren aus den verschiedensten Schulen und lustitaten, wo manche
bereits den gansen lelnplanmftßigen Gnrsns dnrchgemaobt liabrä. Sie vw-
bleiben in der Anstalt je nach dem Alter, in welchem sie eingetreten, ein Jabr
oder auch .5 nnd ß Jahre. Die meisten MHdchen stammen natürlich nns Deutsch-
land; aber auch ans England, Frankreich, der Schweiz, Kamäiüen sind mehrere
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da, und wird deshalb deutsch, englisch and französisch gesprochen und gelehrt.
Mail kann sich die \'erschiedenheit der Zöglinge kaum noch größer denken.
Da ist es nun w underbar, dass alle diese Idftdchen nicht in gesondertea Ab-
theiluugeu (Olassen) von velinraiiLelinriiiMiiiiiidLelii^^ ■ondem ia^geBmi
vom Frftalein H. «Udn aaterriohtet und Mvogen werden. Nor ftr Spraohee,
Gesang und Clavierspiel, Zeichnen nnd Malen, überhaupt für die lOgeiMOlltea
technischen Fächer kommen Hilfslehrer aus der Umgegend.
W&hrend so Herr Ii. alles, was mir neu oder doch ungewöhnlich war,
benitwUligst beschrieb and erklärte, ging plötsslich neben mir die Thfir aaf
nnd etwas stUmitech tntt eine nlte, aelir einfMsh geUddete Dame ein. Ich
hatte kaum Zeit aufzustehen und das „Fräulein H." des Herrn R.za vernehmen.
Sie faaste mich bei beiden Händen, und in der freundlichsten, liebenswürdigsten
Weise begrüßte sie mich wie einen alten Bekannten, den man seit langer Zeit
nicht gesehen. „0, ich habe große Angst vor Ihnen — Sie sollen so strenge
sein — bei mir ist so wenig, was die Welt intemialreii luum, aber Sie
seilen ja gar niolit so schlimm ans." Damit erhob sie ihre Lorgnette mit
schwarzer, ungemein breiter nnd dicker Horneinfassan^, hielt sie mir ganz
dicht vor die Augen, schaute mehrere Secunden schweigend, als wollte sie das
Innere meines Kopfes ergründen, wandte sich dann ab, setzte sich aaf einen
Stahl nnd sog midi nieder «af einen andern.
Nim begann eine äußerst lebhafte ünterhaltnng. Unsere Anstalt — so
ungefähr antwortete mir Fräulein H. in heiterstem Tone auf die IT ragen, die
ich mir erlaubte — ist kein Institut, kein Pensionat, keine P'amilie, aber alles
zusammen, am meisten eine Familie. In gesunden Körpern gesunde Seelen zu
entwickeln, ist daa Endrid, dem hier alles dirat. Wir bemfUien ans, die ZSg'
linge zu eigener Tbätigkeit anzuspornen, an eigenes Denken zu gewöhnen.
Nicht gelehrte, sondern allgemein gebildete, liebevolle, verständige, thätige und
lieitere Frauen braucht die Welt. Für das Haus, für die Familie werden sie
erzogen, gleichviel, ob es ihnen beschieden wird oder nicht, selbst eine Familie
za grUniAen; blasliehe Tagenden «i beOdttigen sind sie doch alle benifini. Und
darin werden sie täglich geübt, w«rden zur Sorge fttr andere and zar Ordnonff
angehalten, die sie seihst zu erhalten haben. In diesem Sinne geschieht es,
dass sie sich in die verschiedenen Pflichten des Haushaltes tlit ilen und darin
abwechselnd üben. Für die kleineren Kinder haben die älteren Mädchen
mtttterilch zn sorgen. Gepflegt, geldeidet, beim Spiel and bei der Arbeit be-
aoAichtigt werden die Kleinen nicht von den Dienstboten, sondern, wie in
wolgeordnetcn Familien von treuen Schwestern, so hier von ihren illteren Mit-
schülerinnen. Ohne mein Wissen und Wollen, weder aus Laune noch unver-
ständiger Liebe, darf auch nur das Geringste eigenmächtig verfügt werden.
So beooige ieh eigentlich die Kleinsten, aber ich besorge sie darch die OrlUeren,
damit diese es richtig thnn lernen. 1r dem gleichen Sinne wie die Kleinen
werden die Großen erzogen — alle bilden ja bei mir eine einzige Familie.
Aber je entschiedener mit den zunehmenden Jahren die Charakteranlagen sich
ausprägen, am so nöthiger wird es, au der Stelle iustinctiver Impulse eine
denkende and ferbindende Fiirsorge walten za lassen. Bs ist nicht einerlei^
welche Sohillerinnen sich za einander hingezogen fOhlen. DaMftdehea indieasm
Alter mehr einem allgemeinen Bed&rftüsse des frenndschaftlichen Anschlasses
folgen, als wirldich individnelle Zaneigangen empfinden, so kann and mosa
32*
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mvn ihre Gefühle auf den passenden G^enstand zu lenken snchen, S"l he eiii-
mder nUher bringen, die sich wolthatig- zu ergänzen geeignet sind, and die
80 gebildeten kleineü Gruppen dabei mit dem großen Ganzen in lebendiger Be-
riliniiiir erludten. Bin ttbenehwIaglichM 0«lilü darf ni« PlUelitflii gtguk
andere in den Hintergrond mrUckdrängen; der uberall sch&dliche Egoismus iat
aucli in dieser Form zu bekämpfen. Nur dadurch iHsst sich die liildnng von
Cliquen und Coterien, das Aufkommen kleinlicher Intriguen und gehässiger
Klatsclisucht verhüten; nur so kann in der G^sammÜieit, zum Glück und Wol
jeder eiaieliieii, eine Gemeineunkeit ernster Arbeit nnd firendigen Strebens
bestehen bleiben.
In den höheren Mädchenschulen, bemerkte ich, ist die Neigung, Cliqnen
iind Coterien zu bilden, eine höchst auffällige Erscheinung. Es gibt da Cliquen
nach dem Stande, nach den socialen Verhältnissen der Eltern, nach den Con-
fessionen, die einen Verkehr miteüiattder nur auf das QescUtfÜiche — niNhta
man sagen — besdirftnlcen. Sie werden jedeniUls begSnstigt nnd gefSrdeit
durch die Schülerinnen - Kränzchen mit Kuchen, Kaifee, Wein, TSnsdiai md
Jlaskeraden, wie sie jetzt Mode sind und gegen die vor einigen Jahren ein ar>
fahrener Schuldlrcctor alle guten Mütter aufrief.
„Wol vergebens*', meinte Frihüeln B. „Sie islMen nieht, was alles in
diesen Erttnnehen nnd den anblagenden Cliquen vorkommt. Mldchen, welshe
an solchen thellgenommen, sind für eine Anstalt die grOBte Gefahr; sie sind
nicht selten so in den Grund verdorben, dass wir sie mOgUohst sohneil ent-
fernen müssen."
„Aber ist es nicht traorig, solche Mädchen hinaasrastoßen? Bei Urnen
war vielleieht der dnilge Fiats, wo sie noeh gnt werden kointmi.*
„Ja» es ist tranrig, nnd nur am die übrigen Zl)glinge vor gewissen Ge*
fahren zn schützen, entschließen wir uns zu diesem äußersten Schritte. Aber
eine Erziehungsanstalt ist doch keine Besserungsanstalt."
„Nehmen Sie in solchen Fällen nicht die Hilfe der Eltern, namentlich der
lliltter in Anqimch?'' — „Ich thne es Idder Ibst immer eline den gewflnseh-
ten Erfolg. Übrigens haben meine Erfahrungen mich zu dem Grundsätze ge-
führt, von meinen Zöglingen jede Mitwirkung, joden Kinfluss der Eltern fern-
zuhalten. Elntweder man vertraut mir die Kinder ganz oder gar nicht."
Von den Müttern kamen wir auf die Erziehung in der Familie, auf die
KindergSrten, ihre Begründer nnd ersten Apostel, denen FrlnleinH. com Theil
persönlioii nahe gestanden, anf die Gegner und die geistlosen mechanisii'enden
Ejiigonen nnd manches andere. Aber die fiir mich sehr lehrreiche Unter-
haltung mnsste abgebrochen werden; denn die Stande der Prüfung war heran-
gerückt.
In einem hellen Saale des ersten Stoekes hatten Herrm und Damen ans
der Umgegend Fiats genomineti. Die Ausstattung des Saales war sehr einftMlh;
ein Fest schienen nur einige Blumensträuße auf dem Katheder andeuten zu
sollen. Die Mädchen wurden nicht wie eine Compagnie Soldaten in den Saal
geführt Unbefangen und ungeordnet kamen sie herein, die kleinen und die
groSen, sehoben die ans dem anstoBenden Saale mitgebnwhtenStillile mit siini-
lichem Gerinsche hin nnd her, bis aUe in letdlieher Ordnung beqnem sitnen
konnten.
Hier gibt's also weder lange Blinke, noch „wissenschaftlich" ausgekünsteite,
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an die ZwangntiUile in Zncbt- und Irrenhäuseni eiionernde Bank- und Tiack-
systeme, in denen zwei oder vier nebeneinander gesteckte Kimler sich während
des allergrößten Theiles ihres Lebens nur vorsichtif? rühren und wenden, heben
and setzen künnen. Also aach deutsche Kinder darf man, wie l&ugst die ame-
rikanleelien, ohne Schaden für die körperliche nnd reUglBBBfttUehe Efziehnng
•ttf gans fewümlietoii, billigen StfiUen während des Unterrichts ritneii Innen.
Allerdings saßen die Hftdchen anch nicht wie die Antomateu mit zweimal
genau rechtwinklig geknicktem Körper mit aneinander geklemmten Gliedern und
senkrecht aufgesetztem Kopfe. — Nur wenige der größei-en Mädchen hatten
an der Prüfung „Toilette gemacht"; die meielen wann offimbar in den flin-
fiwhiten AUtagskleidemerBehienen. KeinMldeheii liatte es anstladig geftandan,
aleli- oitt einem Sattel anter dem Rocke lächerlich zu machen, und keins hatte
mit einem Schniiileibchen eine „Bäste^ im Geschmack der SchneideigeseUen
und Puppenkütistler geformt.
Frttttlein U. trat dicht zu den M&dchen, musterte sie aufmerksam dnrch
die Lorgnette, nnd die Prttfling begann. Von der eisigen BehringsstnBe,
wekhe Asien nnd Amerika auseinander hftlt, ging es mit Fragen und Antworten
über die Ströme nnd Gebirge der nenen Welt bis zum ^feer, dann flugs nach
dem alten Europa und hier in allerlei Kreuz- und Querzügen durch Griechen-
land, Italien, das alte Rom, durch Frauki-eich, England, die Schweiz, Deutsch-
laad. Lftnder, Stidte nnd Vdlker, die in den Antworten eraohienent wüte
geeehickt zu Anknüpfungspunkten fftr die Geschichte und Literatur aller Zeiten
benutzt. Die MUdchen gaben mit genauen Zeitzahlen Auskunft über die Tar-
quine und Julius Cäsar, über Perikles uud dit- PaHlol igen. über Philipp den
Schöneu uud das Zeitalter Ludwig IV., über die Angelsachsen uud Heinrich VUL,
über Wilhelm Teü nnd Karl ven Borguid, Iber Dietridi von Bern nnd die
Gudrun, über die Helden uud Heldinnen der Nibelungen, über die Reformatoren
und die Hohenzollern, über Katharina von Medici und Elisabeth von England,
über Portia. die Gemahlin des Brutus, und Gertrud. Stauftacher's Gattin. Ein
Vergleich ergab, dass die deutache Frau in Schillers „Wilhelm Teil" viel
grOHer enchelne, weit h9her stehe, als die Hhnisehe Fran in Shakespeare'a
Drama. Das Gespräch der Gertrud mit Stanffacher wurde von zwei Mädchen
vorgetragen, und mit erhobener Stimme, mit foierlichem Nachdrock wiederholte
die JBlrziehei'iu die Verse:
..Die If'tztf W;ihl steht auch dem Sehwilchsten oflfeu,
Eiu Sprung von dieser Hriicke macht mich frei."
So ging ea in freundlicher, niemals .stockender Unterhaltiing bis nahezn
' .jti Uhi-. Niemand war ermüdet, am wenigsten die alte Dame, die keinen
Augenblick gesessen uud sich nur manchmal auf eines der größeren Mädchen
gettlltst hatte.
Das war eine merkwürdige Prüfung. Der systematisch gescbnlte Plid*-
gOge, der strenge ünterrichtstechniker hätte vieles an den Fragen nnd Ant-
worten auszusetzen gehabt; aber das Ganze und der Geist, der es durchwehte,
selbst das Wissen, das in den Antworten der Mädchen zu Tage trat, konnte
jeden befriedigen. l¥le die alte Dame die melir d«m 40 M Idchen in der
Weise zu unterrichten nnd m eniehen ▼«rmag, wie es die Prtftmg darthat,
ist mir nicht klar. In einem swar gedmckten, aber nicht yertHfentUehten Pio-
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tpe^e wird gesagt, die ZOglioge mässen den Stoff, welcher in der Lehrstnnde
vorgetragen nnd dnrch Krenz- nnd Qnerfrasren vielaeitig beleuchtet worden.
selbststÄndig verarbeiten nnd zwar gruppenweise, in einer (^oineinBanikeit der An-
Btreogang and gegenseitigen Anregnng, wobei die iiltereu Mädchen als Lehr-
gehflflimtn die jüngeren natenttttzen nnd leiten. Das klingt aeiir einfiMh. Aber
nm diese Methode (die flbrigens anftällig an Peetalo&d'a Schale in Staus
erinnert) vollständig verstehen nnd würdigen zn können, wfirde anch der er-
fahrene Pitdagoge eine läneere Beobachtung nöthig haben.
Zum Schlttsse wurden die hübschen Zeichnangen nnd Handarbeiten be-
sehen und von denlttdchen einige mebrstimmige Lieder gegangen. Nadidnem
gnten Imbiss durften die MKdchen tanzen.
Man darf wol annehmen, daps, wenn irgendwo nnd irgendwann der Er-
folg entscheidet, er über Erziehung und Unterricht das letzte Wort liat. Herren
nnd Damen, welche die Anstalt durch eigene Kinder and dorch Kinder be-
freundster FamiUen kannten, waren des nneingesehrinkten Lobes tsIL lüd-
ehoi, so crriOiltea slsi wsldie dalieini dis «wildesten Hnmmeln*' gewesen und
In öffentlichen Schalen and abgeschlossenen Instituten nicht gut gethan, seien
bei Frftulein H. in verhältniRmRßig kursier Zeit fleißig und gesittet geworden.
Die Schwachen wUrden stark, die Kränklichen gesund. Denn die Erziehung
mnfiMse hier alles: Empfinden nnd Denken, Arbeiten nnd Spielen, Schlafen nnd
Waehen, Essen nnd Trinken. Keine „Ordnung* regle das Leben, sondern ans
dem Leben miteinander ei^be sich ungezwungen die Ordnung. Jedes wisse
sich mit allen anderen gleich beachtet und gleich geliebt. Es wurden mir
Eltern genannt, welche der Anstalt drei nnd vier Töchter zur Erziehung an-
TSTtrant. Ufitter, die vor vielen Jahren hier erzogen worden, hfttten anch nm
AnAiabnis üirer TSchter gebeten, mdchen, selbst solehe, die aehon „xeif für
die Gesellschaft", erbäten von ihren Eltern als schönstes Geschenk die Erlaub-
nis, noch länger in dem abg^elegenen Nanenhain bleiben zu dürfen. Auch
worden Beispiele erzählt, wie Frauen, in die Drangsale des Lebens verschlagen,
mit dem letzten Reete der Hoffhang za ihrer alten Erzieherin geeilt, um ge-
trOstet nnd berathen zo werden, nnd wie sie dann mitflrisdiemHnthaid fBster
Zuversicht die harte Arbeit nm ein nenes Glück begonnen und zn Ende ge-
führt haben Von MenscheUi welebe die Jagend bilden, kann Bübmenswerteres
nicht gesagt werden.
Ich erzähle nur, was ich gesehen and gehört habe. Ich getraue mir nicht,
von einem Mastw zn BpredMn; aber anf ein Beispiel mQcbte idi die Kicke
lenken. Über die Erziehung und Bildung der Mäd« h( n wird gegenwärtig viel
verhandelt. Ks will mir scheinen, dass Männer und Frauen, beumtote und un-
beanitcte, auf eranz neue Gedanken kommen würden, wenn sie aucli .^nstalt^ n
wie die in N. gründlich kennen zu lernen suchten, wenn sie Erzieherinnen
wieFr&nleinH. anch soi^;sam beobachten nnd ihre Erfiriimngen nnd Ansichten
prüfen and mit den Grundsätzen und Vorschriften in „Ordnungen* und „Re-
gulativen" vergleichen wollten. Freilich, mit aller Unbefangenheit müsste es
gescht'lien, anch wenn es nicht zu vermeiden wäre, einige berühmte Schablonen
und Meister vor dem hier waltenden Geiste eiligst zu verbergen.
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Abb Belfien. [ Partei TerliftltniMe. Hftdeheii-GewerbeBcliBle,
Eeole professionelle in Antwerpen.] Mm weiß, dass es außer den Tiden
kleinen Parteien hanptsächlich zwei grroße politische l'arteien in Belgien gibt,
die sich bei den Wahlen in die Kammern die Majorität streitig machen: die
katholische and die liberale. Wenn eine der Parteien den Sieg davon trägt,
mxm der K9nig derselben entepTeehend sein Miniekerinra wttlii«D ; er mnts also
bald liberal, bald katholiBcli sein, je nach dem herrschenden Wind. Man würde
jedoch sehr irren, wenn man hier d»^m Ausdruck „katliolisch" eine religiöse
Bedeutung unterlegen wollte: er bezeichnet nur oim- politische Partei, welche
allerdings hauptsächlich das Interesse der römisch-kaiholischen Kirche vertritt.
Sie hat den groflen Vortheil, daas aie eine dnrebaaa einheitUeliePartet iBt» d.h.
dass sie einer einzigen Führung untersteht und daher immer genau dieselben
Ziele verfolt^t, wiUirciul die liberale Partei in verschiedene Unterabtheilnngen
'/erfilUt und eine Alenge philosophisch-religiöse Verschiedenheiten darstellt, die
sich untereinander befehden und bei den Wahlen oft zersplittern. Diese In-
einif^eit war derGmndt weshalb im Jahre 1883 die liberale Partei der katho-
lieehen unterlag.
Als die liberale I^artei noch am Ruder war, hat sie sich besonders be-
müht, dem ganzen linterrichtswesen ein<> freiere, humanistische Kichtung zu
geben, und da sie das aus Staatsmitteln nicht l^onnte, hat man allenthalben
Geldeammlnngen in Gang: geeetst und darane einen SchnUbnda, den sogenannten
denier des ^coles gegründet. Auf allen Festlichkeiten, sogar bei öffentlichen
Aufzügen , ließ man Sainnielbib'lisen circuliren und brachte so eine große
Summe zusammen, wovon man liberale Schulen einrichtete. Diese 6coles com-
monales waren aber dem Clerus ein Dorn im Auge, und von allen Kanzeln
lieB er gegen diese dni?elB lohoeleii, wie man de nannte, donnern.
In dieser Zelt entstand in Antwerpen auf Aaregongr liberaler lOnner
eine Schule ganz neuer Art» welche hauptsflehUch fBr die unteren und mittleren
Hürgerclassen bestimmt war, und den Müdchen eine Geletrenh» it geben sollte,
sich solche Kenntnisse zu erwerben, mit denen sie, auch olme zu heiraten, ihr
Fortkommen in der Welt finden konnten, sei es in Ladengesdilllen aller Art,
sei es im Telegraphen-, Teleidion- oder Postdleost, oder in der Gonfeetion.
Die Schnle wurde vom denier des ßcoles gegründet, und es bildete sich durch
Snbscription ein Verein von Herren, in dem sich jeder zur Zahlung einer jähr-
lichen bestimmten Summe verpüichtete; anch erlaugte man eine jährliche Snb-
yentlon ¥ob der Stadt. So erhielt sidt die Sehale, weUshe tiberdiss dnreh
Sofailgddeinnahme ihren Bestand stBrkte. Als nnn 1883 die Begierong wie-
der in dieH&nde der Katholiken kam, gingen diese gegen dieCoinntunalschnlen
vor und vernichteten einen großen Theil derselben, wobei sie die Lehrer auf
ein kleines Wartegeld setzten. Man hätte geine tabula rasa mit allen liberalen
Sdinlen gemacht, wenn der König sich nicht widersetst hätte. Die öcole pro-
fessionelle entging dem Sehieksale der AnfUlsiiag, thells weil de von Frivat-
mitteln gegründet und unterhalten war, theils weil der liberale Stadtrath die
Subvention fortbestehen ließ. Die Schule hat sich, dank der vortrefflichen
Leitung und der vernünftigen Einrichtung, sehr gut entwickelt und nach und
nach die Sympathieen des Publicums erworben; die Schfilerzahl ist beständig
fewaehsen, und man war sdion llncrt fenltthigt, die drd nnteren Caaasen in
ParallddMos einsntheilen. Die Sehnle ist dne Slfontliehe Wolthat, denn sie
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verlangt Ar deo umfiRiigrBielmi Unterrklit ninr 15 fot. Schulgeld pro TrimeBter
imd durch hochherzigre Stiftnngren Bind eine Anzahl Freistellen geschaffen wor-
den, welche an brave arme Mädchen verliehen werden. 1 »ie Anstalt hat jetzt
nahe an 5UU Schülerionen in 8 Clasaen mit 14 Lehrerinnen und 4 Hilfslebreni.
Die Hidcheo sind im Alter von 12 bis 20 Jahren. Die Schule steht nnto* der
OberanMcht deeUnterrichtamlaisters, ferner unter der Anfldeht dee etldtisdien
ichevin de Tinstniction publique nnd eines Venraltang;8rath8, dessen Mitglieder
die Schnle von Zeit zu Zeit besuchen. Die specielle Leitung: liegt in den
Händen einer ersten und einer zweiten Directorin, welche beide mit gewissen-
hafter Strenge die Ordnung und Disciplin handhaben nnd selbst in den Zwi-
schen-imdErholnngeetonden keineriei Ausgelassenheit anfkonmen lassen. Anch
in den Classen wird die Disciplin durch Classenlehrerinnen vortrefflldi erhalben.
Die Unterrichtssprache ist Französisch und Fliimisr li.
Dreimal im Jahre wei'den allgemeine (Ntnipositioucn in den ( lassen ab-
gehalten, die erste vor Weihnachten, die zweite vor Ostern und die dritte vor
dem Schlnsse des Sdra^Jahres, in Jnll. Die Besaltate dieser Cknnpositionea
werden dann von den Lehrerinnen der Directorin in Gestalt einer Ziffer äber>
c^ben, welche die Anzahl der Punkte bedeutet, die jede Schülerin in jedem
Fach erhalten hat. Aus diesen Ansraben stellt nun die Directorin die Berech-
nung der Pnnlcte zusammen, welche das Gesaramiresultat der Leistung einer
jeden SdiVlerln ergehen. So weill man dann mathematisch genau, wekhe
Schälerinnen in jedem Faeh die besten sind und bei der Preisvertheilang dmi
ersten Preis bekommen. Außerdem f^rlialten dir ScliHlerinnen des V. Jahrgangs,
welche die Schule verlassen sn]]pn, ein Diplom ausgehändigt, welches vom Ver-
waltungsrath und dem Oberbürgermeister unterschrieben und gesiegelt ist, und
mit welchem es der SiABlerin leicht wird, eine Stellung m bekommen.
Nun noch ein Wort von der öffentlichen allgemeinen Ausstellnng von
Handarbeiten der Schülerinnen, welche am Schlnsse des Jahres. Anfang Augtist.
in den Kaunu n der Schule veranstaltet wird. Sie ist sehr besucht und auch
sehr interessant. Da findet man im Zeichensaai die ßesoltate des Zeichnens
und Halens auf Papier, Ponellaa, Holz nnd Seide, in dem OonÜMSthnasaal die
Zeiehnnngen von Schnittmustern aller BeUeidungssttteke, eine reiche Samm-
lung von Weißnaherei nnd Stickerei, Stickereien in Wolle und Seide, neu
angefertig-te Bekleidungsstücke aller Art bis zum Damenmantel und zur Damen-
robe, lu einem auderu Saal gibt es eine reiche Auswahl künstlicher Blumen
in den mannigftwhiten Onnbinationen, nnd man sollte ei kanm glanben, dass
diese wundersehSnen Sachen nur von den BQlnden der SehUmrlnneii lientamm«i.
Die Namen der Arbeiterinnen sind jedem Artikel angeheftet.
Den Schluss des Schuljahres bildet die öffentliche PreiRvertheilnn^ in dem
prachtvollen, mit den Porträts aller Kunstler vergangener Zeiten und mit Bil>
dem lebender Eänstler geschmttckten Saale des oercle artistique. Da Tcr-
■aminain gfeh die Lehrerinnen und SchiUerinnen der Anstalt^ der Oberbirser*
meister, der ünterrichtsschöffe (Gchevin), der V^fwaitungsrath, an dessen Spitze
der bekannte Advocat Delvaux steht, nnd der ganze Saal ist von Eltern und
Freunden der Schülerinnen besetzt. Eingeleitet wird der Act durch (jesang mit
Flügelbegleitnng, Keden des Oberbürgermeisters und der andern Herren. Dann
schreitet num nr FreisTertheUung selbst Die Directorin liest die MasMi der
Prftmiirten einiehi laut yor, welche dann hervortreten nnd ihre Preise ans den
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Händen des BfiigermeiBken oder der andern Herren empfengen. Die Preise
sind hübsche Bflcher, welche auf einem Tische liegen nnd das Aage darch
ihre rotlien. pfrünen, blauen g-olderoprepsten Einbündt^ tTfrencn. D;inn richten
die Heri t n an die Schülerinnen ermunternde und belobende Worte und tanschen
Handschlag mit denselben. Nachdem auf diese Weise alle Preise vertheilt
Bind and allea wieder auf «einen Pl&tsen sitst, seblieBt ein Festgesang die
•ehöne Feier.
Es bleibt noch übrig^. in kurzem eine Übersicht über die Classen nnd die
\'ertheiluug der LehrtUcher zu geben.
I*"- ann^e d'6tades (A u. B).
Fliiüiiscli, Französisch, Reclincn. Geographie, Geschidlte VOO Belgien^
Xatarlehre, (ieometrie, Zeichnen and Handarbeiten, Singen.
U*^ ann6e d'Atndes (A n. B).
Flämisch, Französisch, theoi-et. Rechnen, Natnrielire, Oeographie imd Ge-
schichte, Zeichnen, Geometrie, Handarbeiten, Singen.
ann^e d'^tndes (A n. B).
Flämisch, Französisch, Englisch oder Deutsch, allgemeine Geschichte, Geo-
graphie, Handelsrechnen, Geometrie und Projection, Pl^iik| Kalligraphie, Hand-
arbeiten, Blnmenmachen, Confection, Singen.
lyenu- ann^e d'^tudes.
Fliiniiscli, Französisch, Eng-lisch oder Deutsch, Geographie, Handels-
geitgraphie, Handelswisseuschatt. l'liysik, Wirtschaft^lehre, Buchführung mit
Rechnen, Zeichnen nach Gips und Modellen, Gesundheitslehre, Perspective,
Confeetion, Leinennahen, Singen. •
y*me gnnee d'etudes.
Flämisch, Französisch, Englisch oder Deutsch, Handelsgeugraphie, Physik,
OheMie, Zelfliuwii aadt ModeUea, Gesudhdtalehr^ Wirtsebaflaieiire, Haadeli-
geseta, Singen, üsine Stickerei, Bobenoonftetion, Leinwandnllien, kffaurtlidM
Binmen.
Man sieht, dass der ReUgionsonterrieht keine Stelle im Plane hat^ eben-
ßou eni^r ein allgemeiner Sittenlehre-Unterricht. Letzterer wäre sehr angebracht,
aber das Fach ist nicht bearbeitet, nnd es sind keine Lehrer dafdr da.
Der ansgeaeichnete P&dagoge Herr Theodor SehütK, den Lesern des
Pädagogiums seit langen Jaliren wolbekaunt, eröffnet zu Ostern ein Lycenm
für Haushaltung und weitere Aushildinuj Jimger M<i>lr}ie)i in Sinzig an der
Ahr, Rlieinprovinz. Wir sehen dem Wirken dieses Instituts mit großem Ver-
trauen und den besten Erwartungen entgegen. Interessenten erhalten nähere
Anskvnft von Hem Th. Sehiltz, Eigenthttmer nnd Direetor der Anstalt Die-
selbe ist sehr gfinstig gelegen zwischen Remagen nnd Sinzig im Bhein- und
Ahrthale.
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Ais der Fiek]HrMW.
527. Die philaEthropisch-pädago^ischen Bestrebungen der
Gegenwart (Fr. Reuß, Eep. d. Päd. 1891, VI VIII). „An den von den
Menschenfreunden und Cosmopoliten aufgestellten ErzicliungsgrundsUtzcn, ho-
wie an ihren hamauen Ideen überhaupt hat nun schon ein ganzes Jahrhundert
gezehrt, und die deutsche EniehnngswineDBCbaft und Praxis werden noch
lange daran zehren. Ist das nicht ein vollgültiger Beweis für die Vor-
trofflichkeit , für den classischeii Wert der philantliroitischen Ideen und
Grundsätze?'' Diese hat R. zusammengestellt, mit den nöthigen Quellennach-
weisen, und alsdann die ähnlichen Bestrebungen der Gegenwart (gewisser-
mafloi als Fortsetsnngen jener) sliizsirt, unter Bonfting anf beaeichnende
Än0emngen In der zeitgentasiBchen Literatnr. — Eine dankenswerte Arbeit.
528. Ober die Bedeutung der Hntter für die Menschea-
bildung nach E. M. Arndt (A. Schnitz, Rep. d. Päd. lS!>-2, V). Aus
Arndts Lernsätzen: „Die Mutter steht im Vorderg^rnnd in der Kindheit, tiitt
im Knabenalter gegen den Vater zurück, und wiid von der Liebe des Jüng-
lings wieder anfgesncht als ürbom alles SelnSb* „Dte Mutterliebe nnd die
Nator erziehen das Kind." („0 beiliges Weib, wenn dtt beide hast nnd be-
wahrst!") „Die NichtZerstörung des einfilltigen Natnrverfahrens heißt
Menschenbildung im h?)chsten Sinn. Die Grnndstinde aber ist: Was Natur
begann, nicht zu vollenden.' „Alle Erziehung und Bildung des jungen
Kensehen soll so gehen, dais er als ein schtteer Ton sjuHddage in dem ali-
gemeinen Accord der Natormysterien, dass alles Sfißeste nnd GeheiniBte seiner
Natur bewahrt und gepflegt werde für die Ii eiligsten Genüsse und Verständ-
nisse." (Siehe Arndt, FVagmente der Menschenbildung, 2 Bde., Altona 1805.)
529. Der VolksBchullehrerstand im Spiegel der MitweD K.
Trunk, Allg. deutsche Lehrerztg. 1891, 40 — 42). Was in vei-schiedeuen
Kreisen (anch unter den Lehrern selbst) Iber die Lehrer genrtheilt wird —
woher die vielen Aussetsungen (hanptsieblieh die Orllnde und Aallsie ftr die
Geringschätzung des Standes, darunter die vielfach verfehlte Vorbildnng, die
„trostlose Carriere" — die Verleihung niedriger ,,Orden'' [an Stelle sehnlich
gewünschter höherer!]) — Mittel zur Besserung. — Im ganzen nur eine ge-
schickte Zussnunenstellang dessen, was in fast allen Fachblftttem schon oft
(theflwelse sn oft) gesagt worden. (TroHdem hat der Anftatz in der be-
kannten jährlichen Prt ishewerbung der A. d. L. den ersten Preis erhalten —
deshalb erwähnen wir ihn hier.)
530. Wo stehen wir? iK. Spyfert, Deutsche Schulpr. 1892, 1—3).
Eine kritische Abrechnung, in weicher wir bei dem l'osten „deutscher Unter-
richt* die AnfAffdenng zur Nachfolge Bud. Hildebrands (eine warme und
naehdrttcUiche Empfehlnng seines Grundbuches) Termissen. — Verf. bezeichnet
als „allerwichtigste" Aufgabe der zukünftigen „pftdagogischen Forschung'*:
„die Errichtung pädafrnerisclier Bcobachtungsstationen, die nach fost^eeptzter
Methode pädagogische Thatsachen, Erscheinungen, Probleme sammeln; dann
wtrden an einer Gentralstelle diese Beobachtungen zu sichten und zu ver-
arbeiten sein. Die Eigebnisw dieser Verarbeitung würden BeitrSge zur Ge-
winnung einer Pädagogik als Wissensehaft sein."
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531. Über pMagogriieli« DisemBlonen und die Bedimrvnfen,
unter denen sie nützen können (B. Männel, Dentsche Blätter 1891,
50—52). Als ,. Bedinp-nnsren" der „Nützliclikf it" setzt Verf. fest: a) es ist
zu vfniitidfn ein \'(M mischen nnd Hineinziehen politischer Theorien und
Strömungen iu die Pädagogik; b) die Tagesordnung enthalte nur zur Sache
GeMriget; e) man kiiii]ifii g«g«i Firtei-TemrinMie nid ein IniUehes Naeb-
Iffen eines politischea ParlamentarieBiis; d) es werde ein vom Vertraaen de»
Gesammtvereins petraprener Obraann der Leiter der Verhandlungen; o) man
einige sich in gewif-sen Principien: f) die Vf reinsentwickluni? sei eine ans dem
Kleinen herauswachsende; g) mau halte üich au eine aus freiem Interesse an-
genommene Vereintsnebt; h) es ist m denken an eine der wadisoiden Er-
kenntnis jedes Vereinsmitglieds entsprechende Vereiniendehang; i) man be-
schränke sich in der Auffassinifr des Begriffes „pSdagogisohe Erfahrung".
532. Aufgilbe II unserer Kar Ii pi- esse (Zeitschr. f. d. deutsch. IJnterr.
1891, XII). In der Einleitnng zu einem Bericht Uber den „deutschen Unter-
rieht in der pftdagogiseiien Presse des Jahres 1890" werden drei Aifgabea
bezeichnet, zn deren Lösung „unsere Wochen- nnd Monatsschriften ansdrück-
lich berufen und verpfliclitet" sind: gnte nene Gedanken über Ziele, Mittel,
Wege (..Fortschritte**) bekannt zu geben — wiederholt mustergültige Ver-
arbeitun^'t n der „Ertiudangen nnd Entdeckangen" („solange sie noch nicht
GemeiDgui {geworden") zu bringen nnd dafür zu sorgen, «dass letztere in vor-
zfigliche GesammtdarsteUnngen deijenigen Gebiete, welchen sie angehören oder
für die sie fruchtbar zu machen sind , eingereiht werden" — emsthaft«
(schöpferisch wirkende, neue Ausblicke eröffnende, Verhitlltes oder Ver-
borgenes ans Licht ziehende, znm Fortschritt antreibende) Kritik immer mehr
m Worte kommen sa lassen.
683. Was soll der Lehrer lesen? (Sehw. Lehrentg. 1892, IX
„Wer dem jungen, unerfahrenen Lehrer eine gewissenhafte und sachkundige
Wegleitung für den Ankauf geejo-neter Bücher gibt, erweist ihm zweifelsohne
eine Woltbat, die ideellen nnd materiellen Gewinn bringt." Ein Versach ist
dnfeh eine von der Bndehnngtdirectioa des Oaatons Beni eingsnetate
Commisslon bereits gemacht worden. Verf. «Itaueht, dass der „Oentral-
ansschnss des schweilerischen Lehrervercins die Bildnng einer intercantonalen
Commisslon veranlasse, die mit Geldbeitrilsren von Bund und Cantonen anf
dem Boden der vorliegenden (Berner j Grundlage weiter zu bauen hätte.
534. Die Erziehung des Kindes zum „Patriotismus" (Päd. Ref.
1891, 49). „Gedanken eines Ketfera." — „Ist der WaUspmeh (Hit Gott
für KOnig nnd Vaterland) als kriegerische Devise für die Kindererziehnng nn-
brauchbar, wie ist es da mit der übertragenen Bedeutung derselben, der Liebe
znm „angestammten'' Herrscherhause und znm regierenden FUi-sten, der Liebe
znm Vaterlande?" „Der ethische Maßstab allein mnss es sein, der fttr die
Answahl ethischer Mnstercharaktere, der nitiieildoeen Kindersede snm Bd-
spiel nnd zur Stütze bestimmt, die Bedingingen setzt." „Die Forderung, die
Kinder sollen das Vaterland lieben lenien. ist gleichwertig mit dem Gebote:
Du sollst deinen Vater und deine Mutter lieben — ebenso überflüssig wie dieses.
Kinder lieben nar die, von denen sie geliebt werden" : deshalb u. s. w. „Men-
schen, die das Vaterland gdsHir nnd körperlich Tcrkommen l&sst, sollen sich
für dieses Vaterland begeistern?"
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535. Kittderdichter L. G;iliiiDg, Prakt. Schulmann 1891, II). „Über
nichts hat uns unsere Scliulweisheit — Ästhetik und Pädagogik — go »ehr
im unklai-eu g^-h^ssen. als über das Wesen dt r Kinderdichtang, und nur die
unverantwortliche Sorglosigkeit, womit mau dergleichen Dinge von jeher ab-
sQtiiQii gewohnt bt, konnte nneere ünwigsenheit entschnldigen, wenn Leieht-
sirin ein Entschuldignngsgrund wäre. Wir betrachten nadi altem Herkoounen
Kindergedichte als ein»' Gattung der Poesie, die eigens — für Kinder passt.
sind aber trotz dieser unendlich geisti'eicheu Definition auljer Stand an;cuß:eb* n,
worin dieses Passende eigentlich besteht." ^^überste liichteriu auch über die
Kinderdiehtnng ist die Äitiietik.)
Demnäclist wird im Verlag von R. Oldenbourg-München der von Pro-
fessor Dr. Karl \'idhnöller lierausgegebene „Kritische Jahresbericht
über die Fortschritte der romanischen Philologie" erscheinen. Der-
selbe wird aneh Berichte Aber den Unterrlchtsbetrieb romanischer Sprachen
an den Hoch- nnd Mittelsehnlen germanischer L&nder, Yomehmltdi Deutsch»
lands und Österreichs, bringen. Leiter dieser AbtheUnng ^ Professor
Dr. Wilhelm Scheffler-Dresden.
Um in den Volkssehnlen die Schiefertafel dvreh ein besseres Lem-
nitfeel sa ersetam und die ersten Schreibäbangen sogleich mit Tinte leicht
ausführbar zu machen, hat Herr Oberlehrer Eduard Schwalb in Groß-
siehdichfnr h*A Marit-nbad (Böhmen) eine Schreibtafel sanimt Utensilien
hergestellt, worauf wii- Elemeutarlehrer mit dem Bemerken aufmerksam
maflheni Aua die Probe, weldie wir mit dem nenen Apparat Torgenommen
haben, denselben ab der Beaehtang and Prillluig sehr wert ersohebien
Iftsst. Wer die Schwierigkeiten des EIementarunt<-rriclits kennt, wird sidi
gern mit einem Behelfe aar Erleichterung deaselben bekannt machen.
Nachtrag zur Tagesgeschichte. Am 24. Mftra warde Graf ZedUtz,
der Urheber des neaesten prevfiiMdien Scholgeseta-Bntwnrfes, sefaies IDnister-
postens enthoben. An seine Stelle trat ein Herr Dr. Bosse (Jurist), der all-
^^emein als ,,orthodox und conservativ" bezeichnet wird. Auch d«'r Reichs-
kanzler (iraf Caprivi, welcher sich mit aller Kraft für den Zedlitz'schen Ent-
wurf eingesetst hatte, legte dag Amt eines preußischen Ministerprftsidenten
nieder nnd wurde in dieser Stellnng durch Graf Botho Eolenbug enetat.
Letzterer erklärte am 28. Mllrz im preußischen Abgeordnetenhaase, dass die
Regierung auf dir weitere P'-ratliung des nein n Schulgesetz-Entwurfes ver-
zichte. Derselbe ist also abgt tlian. Diese Vorgänge haben bei den reactio-
nären Parteien groüe \'erstimmuug, bei den fortschrittlichen Befriedigung
«r»ngt> Doch geben sich die letateren keinen flberschwftnglkdien Hofflinagea
hin. Einer ansercr preußischen Correspondenten schreibt uns: ,,Es ist viel
gewonnen, aber zum Fröhlichsein haben wir noch keine Veranlassung." Ein
anderer meint bezüglich des neut-n Unteriichtsministers: „Er wird etwas
vorsichtiger sein als der vorige, aber sonst die alten Wege wandeln."
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Recensionen.
1. Nibelnuyen mid Kodrnn inAiiawAbl, mhd. Text, 2.Les8iBg'sPhilota8
imd die Poesie des siebenjährigen Krieges. 3. Lessing's Minna von
Barnlielm. 4. Lessing's Nathan. 5. Bader, römische Geschichte.
6. Kuuffmaun, deutsclie Mythologie. 7. Lyon, deutsche Graiumatik.
Preis jedes Biadchens in Leinwandband 80 Pf. Gösctien, Stattgart.
TJm des gvnamiten ftv6enfc billigen Preis bietet die CHtaeben'fche Samm-
lung commentirte Ausgnhen clapsisrhrr Wf rkf oder Einfübninqrn in bestimmte
Wiwensgebiete (Ö--7), deutlich gedruckt (also nicht in der Art der Reclam-
cÖm Mejer-Au8gabea) und elegant gebunden. Besonders das zi^-cite der Bünd-
chen wird den I?eifall der Lehrerwelt finden, denn der Gedanke an ein Haupt-
werk die glcichzeitii^e Literatur, die sicli mit demselben Thema beschäftigte,
ansiureihen, i.nt so gut und glikklicb, daas ihn die Schule sich nicht cntgeiien
la8§en sollte und verdiente Nachahmung. — Unter den Bändchen 5—7 geben
wir Nr. 6 den Vorzug. KaufTuiann behandelt darin ein schwieriges Capitd,
reifh an Unsicherheiten und Hypothesen und wenig geeignet für eine phi-tiM iie
Darstellung, mit großem Takt und unleugbarem Ueschick für JugendschritV
BteUerei. — r.
Ooethe's Faust, erlttatert von L. Vi. Hasper. Gotha, Perthea.
Die vorliegende Faustausgabe ist der 10. Band der Keck^schen Schal»
ausgaben der dassischen deutschen Dicbtnngen. Sie umfasst eine Einleitung,
den Abdruck des Textes mit einer fortlsufenden BiUftmng in Fussnoten und
einen Anhang, der < inige Capitel des eingehenderen bespricht (z, B.: die Mütter,
Homoncalas, Euphorion), deren Erörterung, etwa unter den Text gesetat, dort
zu viel Baum eingenommen hStte. Die Anleitung, schliebt und ventftndlieb,
orwiihiit ziier.<t diT allmählichen Kntstehung des Faust, die hineini^oarliciteteu
Ideen und rrobleme und erzählt demgemäß den Inhalt und Gedankengang,
die Brücke swisehen dem ersten und sweiten Theile und manchen der Scenen
dieses Theiles aufdeckend, so q'iir das nach dem Stande der Fan.stfdrschiing
eben geht. — Die Anmerkungen sind knapp gehalten und die Ergebuidse der
Fans(>LiterataT verwertet. r.
Lyon, Auswahl deutscher Gedichte. Bielefeld und Leipzig, Yelhagen
dt Elasing. (604 Seiten.)
Neben dem .'^)genannten „eiscnien" Bestand unserer deutschen Lesebücher
enthält die Auswahl Lyon s auch Gedichte moderner Poeten, wie z. B. Gott-
IHed Keller's, Martin Oreirs, Enuit Wildenbmeh's u. a. Den Hauptstamm
bilden aber doch Goethe, .Schiller. Uhland. Im Ganzen sind 95 Dichter ver-
treten, deren Gedichten sich 10 Volkslieder ansehlieüeu. Die Dichtei werden
in alphabetischer Reihenfolge vorgeführt; zurücksregaugen ist bei der Auswahl
bis auf Logau; Dialectdichter wie Klaus (irntli, Hebel, iroltei. Kobell, Keuter,
Stieler sind natürlich nicht ausgeschlossen, Den Gedichten ist jedesmal eine
kurze Lebensskizze ihres Verftssers vorausgeschickt. Das Buch, schien aus-
gestattet, eignet sich gut zu einem Festgeschenk. W.
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— 470 —
Cftssiau- Richter. Lehrbuch der allgemeiueu Geographie für höhere
Lehranstalten 7. Aufl. Frankfort a.M. 18U1, Jftger.
Das vorliegt ndc Lehrbuch entbllt in seinem weitens ^fieren Theil die
,Llnderkunde" \ - 8. 382) und auf ra. lOD Si iteu einen Abriss der matho-
matisohen und phjsikalischea Qeographie, den äeminarlebrer Geisel für die
7. Auflage fiberarbeitet hat Zwd Dinge, um dies gleidi vornweg sni nehmen,
wfinsditc man anders: die Kartcn^ikizzen mit ihrer cic^enthümlichon Tcrnvin-
Äunteilung, ihrer Häufung von Zeichen und Namen und der daraus folgenden
ÜBflbenrichtlichkeit. Die Kartenskizze soll ja nicht einen AthM ersetzen, sondern
hat ganz andere Zwecke als dieser. I>as zweite, was da« Stiiditim dos Buches
enohweren wird, ist die Art des Druckes, die Zeilen sind zu eng aneinander
gerftokt; daa Ganse sieht zu unruhig aus. — I>a das Buch für höhere Lehr-
anstalten gesebrieben ist. bietet es auch viel, ja sehr viel Stoff; mancbes Capitel
wird wol auch nur tiir die ,,LectUre" bestimmt sein, nicht zum „Lernen" wie
der Schulausdruck lautet. Sieht man noch von einigen Druckfehlem ao, so
bleibt an dem Hu« he alles andere au loben: die Sorgfalt, die der Herausgeber
der Richtigstellung der Daten gewidmet hat, die Behandlung der physischen
Verhältnisse Europa.^ nach (iruppen, die Botonung der Laufrichtung der Flüsse
cum Zwecke des Zeichnens, die eingestreuten Aufgaben, die eine Diucbdiingung
des Oelemten beawecken, die Art, wie das stimt herangezogene statisoidie
Materi.il vcrui rtet ist. und endlich, dasö dem vergleichenden Moment überall
Rechnung gt tragen und der causalc Zusammenhang stets betont wird. W.
Renneberg, Grandriss der Erdkunde. 2. Aufl. Leipzig, Mersebnrger.
Prell 80 Pf.
Das Ausmaß des Lehrstoffes ist durch den Lehiplan der in dem ausführ-
liclien Titel des Buches genannten Schulen bestimmt Die Übersichtlichkeit
wird dnreh die Stellung ast Namen auf der rechten und liidcen Seite, ent-
sjin rln nd der I.airr d. r duoh sie bezeichneten Öbjecte und durch Gliederung
des Stoffes nach eiucui Dispositionsschcma etc. erleichtert, bei fremden Namen
ist auch dcien Ausspradie angedeutet. Beachtenswert und die am Schlosse
der Capitel eingefügten Fragen, die in <'lementarcr Weise den J^chfiler zu Ver-
gleichen, neuer Reiiienbildung, kurz zu einer in.structiven Behandlung anleiten,
lu.sbcäondere wird eine genaue Einprägung der Lage eiUM OrtM, also eine
inteusire Kesciiäftigung mit der lUrte duieh diese Fragen aBgeatrcbt, ein
Zweck, der ja uur zu loben ist. W.
€tolhtn, Wörterbneh sor Brlftntonuig admlgeographiaeher Namen. Pader*
hom, SchSniiigh. Preis 1 H. 20 Pf.
Ähnlich wie Coerdes in seinem ..Kchulgeographischen Namenbuch" hat
auch Gelhorn nur eine Anzahl geographischer IVamen zur Erläuterung aus-
gewählt. Während aber Coerdes bloa die I 'hersetzung di -j Namens überliefert
mit Angabe der Sprache, aus der der Name stammt oder hergeleitet wird,
geht CMhom weiter. Er führt auch die Form des Wortes in der Sprache,
aus der es entlehnt wunle, an, femer die Formen, die es dunlilaufen hat, bis
es unsere heute Übliche erhalten. Auch ist vielfach eine Erklärung beigefügt,
warum dem Objecto gerade dieser Name gegebm wurde. Recht lehnreich sinn
auch die an einzelne Namen geknüpften Hinweise auf Verwandtes; s-) wenig
auf den ersten Blick die Verwandtschaft in die Augen springt, sie ist doch
vorhanden, und diese erkannt oder erfahren zu haben, intcrenirt die SchOler
sehr und belebt, wie ja die Ortserkliirung überhaupt, den geographischen
Unterricht. Dass viele Deutungen der Wahrheit uur nahekommen, manche
nur wahrscheinlich sind, einige blofie Vermuthungen, ja vielleicht gelehrte
Spielerei, weiß jeder, der Namenserklärungen in den verschiedtnen Werken
gelesen und miteinander verglichen hat. Das wird man aber Gelhoru zu-
gesteheu müssen, dass er lieber einen Namen unerklärt gelassen, als eine
wiasensohaftlioh weniger begründete Deutung aufgenommen hat. Auch in
dieser Hinsicht ist ein Vergleich mit Coordee nicht uninteressant. Nicht wenige
Namen finden dort und hier eine ganz Tenchiedene Oentniig (TeigL i. B., um
nur ein Beispiel zu nennen: Abriuuen). — r.
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— 471 —
HMelaayer, Über Ortsnamenknnde. Würzbni^, Kellerer (Bauer).
In dieser Broschüre spricht sich der Verfiwwer im Ansrhiuss an d:i3 be-
kannte Egli'scLe Werk über die Entwicklung der wisseuschatüichcn Namen-
forschung lind Namenerklärung und deren Grundsätze ans, femer über den
Wert der Ortsnamenerklftrung für den geographischen Unterricht. Seine De-
ductionen erlfiutert er dorch eine grofie Ancahl gat geordneter Beispiele,
zumeist fius der deutsch' n nrNimnienkunde und bereichert die Namensforschuog
durch zwei neue Erklärungen der Ortsnamen Uammelburg und Pfiraumbach.
Kabert, Karte der Verbreitung der Deotsclim in Enropa. SSectioneu.
(Format jeder Seotion: ein Quadrat mit 80 Centimeter Seitenfiftche, Preis
3 Mark.) Ulogau, Flemming.
Die Karte, im Maßstali l:925(XK), umfaast eiu liechteck, das durch die
Punkte Paris — Asow, Karlskrona — Rimini bezeichnet wird. Vorläufii? sind
zwei Sectionon im Buchhandel erschienen, das obere linke Viertel der Kurte
oder Norddeutschhind und die anstoUenden Irebiete Frankreichs. _ iieigicos,
Hollands, Dänemarks, Russlands (Ostsceprovinzen und Polens) und Osterreicbfl
(NordbOhmens). Die Karte deutet die jetzig Verbreitong der Deutschen in
den genannten Gegenden an, bezeichnet zugleich aber auch — insofem iUustrirt
sie ein Stück deutscher ( !e>( Iiii !ite jene (iebiete, die dem Deutschthura seit
d«r Befoimationszcit verloren gegangen sind. Es geschieht dies dadurch, daas
die Terloren gegangenen Orte mit brauner Sehnft oder StAnffen gedmekt
sind. Die jetzijje Vcrbreitiinij ist durch Flächencolorinine: ausoj^ezeichnet , und
zwar ist fUr das deutsche ä|)rachgebiet die gelbe Farbe (Niederdeutsche licht-
gelb, Obcrdeutsehe dairicelgelb, Niederländer blassgelb) gewählt, Ton der die
Farbentöne der Diminisf-hen und slavischen Sprachgecfcndcn recht sdutlf lidl
abheben. Im ganzen enthält die Karte 20 Farbenstufen; was sich dadurch
crklirt, daas ae ja zuprleich eine ethnographische Karte des größten Teiles
von Europa werden wird. Dadurch, dass sich diese Töne zu drei oder vier
Grundfarben zusamuieuächließen, ist die Übersichtlichkeit und der haruionisehe
Eindruck gewahrt. Die Grenzen des Sprachgebietes sind nicht blos dun h
Farben und Linien, sondern auch durch die Namen der Orte markirt, die
hflben und drüben knapp an der Scheidelinie liegen : so sind auch die deutschen
Enelaven im fremden Sprachgebiet bezeichnet. Die Karte, ein Werk deutschen
Fleißes und deutscher Gründlichkeit, ist, wie die zwei Sectionen darthun, sehr
genau gearbeitet «ad Yeidient um dessentwillen sowie wegen des (tegcnstaades
Andree-Schillniann, Schulatlas. 37. Aufl. Ansirabe A. Bielefeld nnd
Leipzig, Velhagen & Klaslng. Preis 1 M.
Der Andree-Schillnuum'aohe Schulatlas ist für die Volksschule daa, waa
der Ton Kirchhoff - Kropatsebek für die höheren Sdinlen: Klarheit der Zeich-
nung, guts^ewiihlte Farbentöiie, ir* s ''lii i^tc ( !• nenilisiruntj df - Trrrains und
zweckentsprechende Auswahl der Objecte uachen ihn zu einem höchst brauch-
baren Hilfsmittel, durch das der Sebttler sieh die physiaeben und topographischen
Verhältnisse eines Landes mit Leit-hti^keit einprägen kann. Jede der Karton
iüt, von diesem Standpunkte betrachtet, eine Musterleistuug, der man — ich
glaube es behaupten zu können — keinen anderen Yolksschnlatlas an die
Seite Stelleu kann. Die Blätter 1 und 2 mit Text am Schlüsse |^. Einführung
in da.s Kartcnvi rständnie") und 0 fStr ungebiete Deutschlands) .«ind wep:en ihres
methodisclK u Wertes bcrvorzuhelH ii : <iie lotsten Blätter (32, 33 und Ortskartc
nir Gesrhithti 1 »eutschlanda) sind beatimmt, dem Qeachichtauaterrichte der
Volk.«8i-llule zu diriifU. W.
Keil-Uiecke, Deutscher Schulatlas. 36, Aufl. Gera, Hofmann. Preis 1 U«
Der vorliegende Schulatlas legt den Hanptaccent auf die physische Karte,
mthält aber, um sieh leicht dem liedachtnis eiuzuprägen, zu viel Namen und
eine nicht weit genug gehende Generaliairung des Terrains. Der Andree-
— r.
W.
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— 472 —
SchUlmann°»^('ho igt ihm darin weit überlegen. Eigentbttmlich sind ihin xa
üeinum \'urtheüe die Karten zur Culturgeograpbie Dcut«ohlanda t9), die Karte
der mittleren Jahrestemperatur und die geologische Überricht^karte von
Deutschland. Die Farbeniüne der Karten sind zu grell, insbesondere^ das Qrän
der Tiefebenen, desgleichen stört, AasH in der Gebir^fsfarbenscala einige Stufen
fehlen; die Folge ist, dass /,. 15. die Schweiz, dir Alinn zu wenig iilastisch
heraustreten. Nach dieser Richtung wäre eine Verbesserung wünschenswert.
GMlller, Systematischer Schul-Handatlas. 3.Aafl. Leipzig, Lang. 90 Pf.
Der Schulatlas von Qaebler ist wie der von Andree • Schillmann für die
Volksschule bestimmt, bringt aber mehr Stoff nnd nach Art des .groBen
Oaebler-Piorke" auch Nchenkarteu, die am Hände der Hauptkartc angebracht
bfioonders merkwürdige Ponkte (z.B.StlUite, Pttsae und GehiigastOcke, Seen, InseUi,
Bvebten v. i. w.) fn einem bedentend grOBoren IbiBstab« ata die Hauptkarte
zur Anschmimg briutren. Mit Ausnahme einigf-r lUiitter. die die physischen
VerfaftltnisM gesondert darstellen, sind die meisten , Karten so, dass sie die
poUtiseben und phrsiBdrai Karten ▼enrint voffttlirai/ nid iwar die poUtischen
durch Flärhonoolorirung. Auch lcc:t (iisbler großen Wert auf die Einzcichnung
der t'ommuuicutionswege zu Laude wie zur See; er benützt zu diesem Zwecke
Mm rothe Linien. Da die Gebirgneichnung auf den meisten (politische)
Karten durch schwarze .S<hraffen ane:edeutet ist, treten die Terrainverhältni.sse
nicht 80 scharf, so plasUsch hcrvur, wie etwa bei Andree. £in Vurzug des
Gaeblev'idieii Atlas begt darin, dai^s ihm ö Wandkarten in ttbereiiistimmender
Zeichnnno; mit dem Atlas zur Seite stehen. W.
Kleine Xatuiiehre für Schnlen, Ein tlmiigs- und Wiederholungsbflchlein
fiii' die Hand der Schüler, beai'beitet von Kourad Fuß. Mit vielen Beub-
aditwigs- und ÜbnngsanfirftbeD and aUniehflii in den Text fedrncktenAb»
bildangen. Nürnberg 1892, Verlagr ^ Friedr. Korn'aohen Bachhandlun^.
IV nnd 66 Seiten. Preis bO Pf.
Eine kleine Phjsik für Volksschulen darf nur das Wichtigste und
leicht YenUbidliche bfetM. Der Verftwer bat eine gute Avwahl getroffen.
Er geht stet,< mn R* obachtungcn au«, die der .'^chftler leicht machen kann,
fügt daran Erklaruui^« ii. bei Gesetzen auch kurze und leicht verstiindlidie
Begründungen und hlicßt mit einem ziemlich reichen Übungsstoffe. An die
yerschiedenen Partien der l'livsik reiht er auch noch „einige der Chonie an-
f gehörige Erscheinungen", die fürs praktische Leben von Wichtigkeit sind,
n einzelnen haben wir keine Unriebti|^eiten bemerkt und uns nur gewundert,
Wimm das Barometer, das schon am richtis-eu Platxc. beim Lttftdrucke, ubge-
bandelt ist, bei der Wärmelehre nochmals als Wetterglas auftritt; einige
Worte nhcT das in der Neuzeit 80 wichtige Telephon hätten wol eingeschaltet
werden können. — AuBer durch seinen präcisen Inhalt empfiehlt sich das
Büchlein auch dnrdi seine sebr nette Ausstattung. C. R. R.
Schul- Natnrgescbiehte. Abtheilong Zoulogie. Einselbeschreibangeu,
Veri^eiehnngeii, ChnqipenbUder, Baa, Leben nnd Übenlcht der Thier«. Von
A. Sprockhoff, königlichem Seminarlehrer in Berlin. Vierte verbesserte
Aaflage. Mit vielen Fragen und ICX) Abliilflnnsreii. Hannover 1 MO 1, Verlag
von Carl Meyer ((ioatav Prior). iy2 Seiten. Preis 1 M. ÜÜ Pf., kart.
1 M. 80 Pf.
Wir hatten edion Öfter Gelegenheit, SproeklM^s Lehrbücher anerkennend
zu besprechen, nnd auch dieser neuen Auflage zollen wir Beifall. In con-
centrischen Kreisen mit den Einzelwesen, alslleprä.scntanten der Terschicdencu
^tematischen Einheiten beginnend, gtkt der Vci iassi r allmählich auf Ver-
gleichungen und Gruppenbilder über, ein methodischer Vorgang, der für die
■nterstufe der Naturg^cbichtc der allein richtige ist. Die Beschreibungen
«ind jiräcii*, klar und leichtverständlii h. Mit der Hvgtematischeu Anordnung
in den Gruppenbildern lieBe sich etwas rechten, da neuere Eintbeilungen und
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— 473 —
Anordnungen nicht berücksichtigt sind; so z. B. Ein-, Zwei-, Vielhufcr, statt
Paar- und I npsiarbufer; femer dass die unvoUkommeneD Säugetbiere (Beutel-
tatn^ ZthnAtme und Schnabelthicrc) unter den anderen Ordnungen cingestrent
erecheinon; doch hat dies für die Volksiicbulc keino wesentliche Bedeutung;
Die AusstHttung, insbesondere die Abbildangen sind lobenswert. 0.£. Ii.
Die vorzflgliehsten essbaren Pilse Devteehlands, gezeidmet und be-
Bchrieben von Max Richter. Langensalza 1891, Druck und Verlag von
Hermann Beyer ASShot, 26 Seitea und 8 Farbendraektafeln. Preia gebmden
1 M. 50 Pf.
Ein Hiliöbueh für den Suiiiiiikr und den Zubereiter Ton Scbwammgerichten,
enthält dasselbe kurze, aber ausreichende Beschreibungen der gewöhnlichsten
genießbaren Schwämme, unter welchen wir aber doch einige nicht angUEeben
linden. Die Abbildungen sind nur tbeOweise gut zu nenaen, da die Zefeb-
nuntjcn mitiinfor zu steif, die Farbfn nicht ganz natürlich erscheinen; gerade
darauf sollte aber bei einem illuBtrirten Pikwerke das Hauptgewicht gelegt
werden, was nidit lehwer ist, da ausgezeiebnete Bilder in anderm 'Vratoi
enthalten aind. C. R. R.
Lehrbuch der reinen und techni sehen Chemie. Anorganische
Experimen talcheniie. l.iiaad. Die Metalloide. Mit 2208 Erklärungen,
332 Experimenten und 366 in den Text gedruckten Figuren. Für das Selbst-
•todinm nnd mm Gebraneke an ForCbfldnog»-, Fach-, Ihdutii«-, Gewerbe-
schulen and höheren technischen Lehranstalten bearbeitet nach demS^'stem
Kleyer von W. Steffen, Chemiker in Homburg v. d. Höhe. Stuttgart
1889, Verlag von Julius Meier. X\'I und 81U Seiten. Preis 16 M.
Die Kleyer'scbe Lehibllehenainmiung ist bestinimt, solche Personen, welche
keim.' liöhere Bildung genossen haben, in die verschied r neu realistir-chen Leht^
f&chcr eimcufUbreu, damit sie durch Selbststudium sich die praktische und
tedmiscbe Seite der Wiseensdiaften aneignen kOnnen. Der verftuner hatte
hierbei tri-riKli- hei der Chrmie einen schwierigen Stand, sollte er nicht allzu
flach werden und das Buch auch einem gebildeten Kreise von Lesern nutz-
bringend machen. Er hat diese Ani^be sehr glfteklidi gd()it. Die Anf-
einandcrtolci' von Fragen und Antworten, die EinstrcMuing von Erklärungen
und Annierkiui!^« n, machen es auch dem minder Gebilde ten möglich, die Wahr-
heiten und llvpothes<'n der Chemie nach den neuesten Erfahrungen und For-
schungen der Wiasenschaft zu begreifen, und insbesondere sind die xahlreichcn
Experimente, welche bis auf die kleinsten Handgriffe genau beschrieben und
durch ausgezeichnete Holzschnitte unterstützt sind, das richtige Mittel, durch
Selbsterfahrung sich von der JEUchtigkeit der Antworten zu überzeugen. Alle
Fremdwörter, die in der Terminologie nothwendig sind, sind rerstiadlldi
erklärt, kurz es ist nichts yrrabsäumt, wa< das Buch zu einem vorzilei;li(hen
Lehrmittel für den Selbstunterricht gestalten kann. Anders dürfte es bei
seiner Verwendvng in höheren Anstalten sein, wo ja des Wort des Vortragen-
den und Experimentators allr^s da.s geben mnsB, wae in dem Buche enthalten
ist, und zur Wiederholung ein kürzeres Compendium passender wäre. Besonders
dankenswert sind auch die vielen praktischen Winae, welche oft tief in Er-
scheinungen dt s Lebens ringreif''n. Die Ausstattung des Werkes gereicht
der Verlagriiandlung zur grüliton Ehre und ist demnach auch der Preis ein
mlCiger au nennen. Wir empfehlen insbesondere Lehrern, welche während
ihrer Studienzeit nicht Gelegenheit iiattea praktische Chemie zn betreiben, das
höchst gelungene Werk. 0. R. B.
Cbenieatanden in derVolktschnle. Lehieibeft war Chemie für dieVoIka-
schnle. Mit zahlreichen, anch von den SohlQem selbstständig ausführbaren
Versuchen. Hennsgegeben von L. Busemann, Verfasser der „Naturkund-
lichen Volksbücher". TTannover-Linden 1891, Verlagsanstalt von CarlManz.
IV und 52 Seiten. Preis 00 Pf.
Pftijiagugium. 14. Jahrg. Heft VlI. 33
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— 474 —
Das Büchlein, welches woi vielen nicht viel Neues bietet und auch nicht
bieten will, ist aus der Praxis hervorg^c^aD^cn, das merkt man jeder Zeile
desselben an; es setzt aber vielfa« b L* hriT vomud, die selbst aiicb in dr-n ein-
fachsten Vorgängen der chemischen Traxls noch der Belehrung bediin'en, und
•olefaer dfirfte es, wenJ^em naeh den LehreinriohtuDgvn der OBteneiehuchen
Lchrorbildiinfrsanstaltcn, nur sehr woniijc ffeben. Die Einfachheit des Gefor-
derten gibt sich auch in der geringen Zahl des verlaogten Materiales an
Ghemikuieii und an Appanten fand. Einiges Sachliche haben wir zu be-
mängeln. Reite 10 wird stets vom Probiroylinder s^esproohen und ist eine
Retorte (wie auch richtig) abgebildet. I»ie Beschreibung der Wirkung der
Petroleumlampe (S. 14) ist nicht richtig, da doeh durch Capillarität das
Petroleum im Dochte zur BrennstcUe hinaufgesogen wird. Die Bezeichnung
des Maguetoisensteius (S. 18) &U natürlicher IIa mm erschlag ist etwas gewagt.
Der Rotheisenstein ist reines Eisenoxyd, nicht, wie S. 19 gesagt wird, rotlies
Eiaenoxyd und Kieselstein „zusammengeschmolzen"; ebenso sind auch die
Braimeisensteine nicht „von Eisenrost braungefilrbte Steinmassen". Die Schlacke
(S. 20) ist sehr häufig grfln getarlit. Die Wirkung der Kohlensäure iS. 22) iu
der Uundsgrotte ist unverständlich, da von dem hohen spec. Gewichte der*
sdbeo nients gesagt ist. Der Avsdrack »Leichengift" (S. 24) bei schmvtziger
Wäsche ist unrichtiLr. Das Zusammenwerfen von Kohlenoxydgas und Leucht-
gas (S. 25) ist vertehlt, da crstcres ein Hydrat ist. Bei dem recht praktisch
durchgeführten Vorgehen zur Belebung in Kohlenoiyd Erstickter (S. 26) ist
das Wiederbeleben Erdrosselter nicht passend eingefügt. — Trotz dieser Mängel
möchten wir das Büchlein do h empfehlen, indem die praktische Seite des-
selben, insbesondere in den zum Schlüsse augelBgten Oapiteln, Gerbsäure,
Stärke, Zucker, Fett, Fleisch, Milch, Eier, Hunger u. a. manche sehr beach-
tenswerte Winke enthält. C. R. R.
Broekmann, F. J., Oberlehrer in deve. Versneh einer Methodik mr LOeang
planimetrischer ConatractionsaQfgaben mit zahlreichen Beiepiden,
Figuren im Text. III S. T.cip/ig, Teuhner. 1 M. 50 Pf.
Die Lehrbücher der Geometrie von Brockmann erfreuen sich einer solchen
Bdiebtheit, dass sie sehoit in mehreieB Auflagen ersehienen sind; auch liegen
vom VerfiissiT zweierlei Sammlungen von Con.structinnsaufgaben vor. durch
deren Yerüficutlichung er sich ohne Zweifel fUr das VorlicKeude zweckmäßig
vorbereitet und eingearbeitet hat. Der Verfasser stellt sidi das Ziel, nieht
blos Anfleuttiniren für eine mögliche Lösung von Coni«tructionsa\it'gaben zu
gebeuj er meint, di rb i wäre ja wol schon vorhanden, und nennt dies eine
latente Methodik, snri lern t r will eine systematische Methodik schaffen, welclie
die verschiedenen 31ethodeu derart zu einer Gesauiratheit vereinige, dasa damit
der durcbschnittlich begabte Schüler zum Ziele geführt werde. Dabei verkennt
der Verfasser nicht, wie mangelhaft die Vorbereitung des Lehrers gerade für
dieeen Untenichtsaweig an den Hochschulen betrieben wird. — Das Buch
b^:innt mit der ErOrtemng der geometrischen Analysis und nntersdieidet in
BezuLT auf flii'sclbe die Mt tliulr der Reduction der Aufgabe auf eine frühere
sehon bekannte ^Data), ferner die Methode der rarallelverschiebung und Drehung,
und endlieh die Ähnliehkeitsmethode. Die Anwendung dieser Methoden wira
an 125 Beispielen mit hinreichender Ausführlichkeit erklärt. — Über Con-
struction und Beweis Uissi sich das Buch kürzer, indem bemerkt wird, dass
in der Mehrzahl der Fälle nichon durch die Analysis das hierfür Nöthige hin-
reichend geklärt ist. Es wird auch nur für nöthig gehalten, etwa bei dem
fünften Theil der vorausgegangenen Aufgaben noch etwas für Construction
und Beweis beisufügen. Dagegen hält der VerCuser ^e Determination für
einen liervorragcnd wichtigen Theil der Auflösung, weil dieselbe eine Menge
lehrreicher und bildender Momente in Bezug auf den inneren Zusammenhang
■wischen den gegebenen und gesuchten Grüßen enthält.
Es folgen nun eine grole Menge von Übungsau^ben, sämmtlich mit
Lösungen, die letzten in derBeihe sind Berflhrungsprobleme von Pa]ipus vnd
Apollonius; endlich kommen iinch in einem Nucbtragc Aufgaben zur Hclmnd-
lung, auf welche früher andere reducirt wurden, ohne dass dieselben jedoch
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— 470 —
BD den Elementaraufgaben pfehiirten; es finden sirh im ganzen '^2!* cltt-^tc
An^abon. Es ist wul nicht unzuDchmcn, da»i der Anfänger auch nur diu
Hülfte dorsolhen im ersten Jahre seines Studiums bewUtigen werde; wäre dies
aber der Fall, so hätte er ohne Zweifel alle nur wünschenswerte und
mögliche Fertigkeit und Sichcrbeit in Lösung von Constructionsaufgaben
erreicht. Es scheint uns dieses Buch viel mehr dazu bcstiuimt, dasj« der
Lehrer .mit Sorgfalt einselne Auf»ftben als Wiederholimgsstoff herausbebe;
dagegen glauben yrix im Sbuie d«8 verfacseiB daa Vorliegende redit sehr den
jongea CoUegea aom SdlMtetadiiini empfdilen au sollen. PI. K
FlliniiantI, \V.. Prof. in König.sber^, Synthetische He weise plani-
metrischer Sntze. 190 S. U Fit^.-Taf. Berlin, Simion. 3 M.
Der Verfasser betont im V^orwortt- die wichtige Aufgabe dos Unterrichtes
in der Geometrie, dem Schüler das Beweisen zu lehren. Er erkennt ferner die
Vcrdien.ste an, welche die Verfas-'er der Saniiiihinrren geometrischer Übungs-
aufgaben, ganz bcöüuders Petersen, sich um die Eutwicklung der Methodik
dieses Unterrichtszweiges erwurljca haben. Er hat es aber mit seintfai Budie
nicht lediglich auf eine Sammlung von Übungsbeispielen abgesehen, eoadem
hat wesenUich den Zweck im Auge, die SchUler zum sclbstständi'^cn Finden von
•ynthetiäohen Beweisen planimctrischer Sat/e, anzuleiten; namentlich glaubt er
damit angehenden Lehrern einen großen Dienst erwiesen zu haben. Endlich
wttnscht der Yerfiisser jene Lehrsfttse, welche erst in letzterer Zeit aufgefunden
wurden, und welche weniger durch ihre fundamentale Bcib utiinsi;, als durch
üire elegante Form von Belang sind, einem größeren Leserkreise bekannt zu
machen.
Der Inhalt des Buches ist in zwei Thcilo ge^'licdcrt, deren erster befasst
sich mit der Angabe allgemeiner Ziele und Kegeln und der verscbicMlenen
Xetboden und ^Amittel bei den Beweisen; der zweite Theil erläutert die
theoretischen Erörterun*jpn des ersten durch deren Anwcndiin'^ auf HeiH])iele,
bei denen vom einfachsten, das ist der Liisung von Aufgaben durcli Congnieuz-
satze, ausgegUlgen wird. Eine fo]<>:eude Gruppe bringt Aufgaben mit Lösungen
durch Proportionen, und endlich die letzte Stufe Aulgaben, deren Lösung die
Benutzung aller möglichen Hilfsmittel erfordert, zu denen neben der Trigono-
metric auch die projectivische Geometrie zu zählen sind. Daran reiht sich ein
Anhang, welcher ein Drittel des Buches umfasst, über die grundlegenden und
elementaren Eigenschaften der Brocard'sclien OMoetKie und tlber die sieh
daraus craebendm S:it/e, welche sich auf K^ebdtnitte bloiehen, vie sie TOn
Arzt und Kiepert gefunden worden.
Der gedirte Verfasser, welcher den besten y^tretem unseres Berufte
Zweiges beizuzählen ist, bat mit dem Vorlie[renden eine sehr dankenswerte
Arbeit verüflentlicht; es kommt dieselbe einer sytcmatisehen Zusammenlassung
▼ieler Arbeiten gleich, welche ursprünglich an verschie4lenen Orten zerrtreat
Veröfifentlicht wurden. Da über diese verschiedenen Zeitschriften, Programm-
anfsätze und Abhandlungen ursprünglich nicht jedermann zugänglich und
Später schwer auffindlicb sind, so ist sowol deren Sammlung, als noch in
weit höherem Grade ihre systematische Ordnung eine bochschätzbare Leistang,
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— 476 —
Neu erschienene Btlclifr.
Dr. Johann Kvacsala, Johann Arnos romenins. Sein Leben und seine
Schriften. 3 Ltr^ni. Verlag von Julius Xliukhardt in Leifzig, Berlin und
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Der SchreiblesescIilUer. Stereotyp- Ausgabe. CStlien, Sehettler'a Erben.
78 S. 50 Pf.
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aaMltae nnd Geschäftsbriefe. Landshnt 1891, AtteoMr. 2Tlieae485Pl
Bemerkungen zu den Geschäftsaufsätzen. 8. ThelL 80 Pf.
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Volkssclmlp-osetz. Eine Stimme aus dem Peichsland. Straßburp. Bull. 24 S.
Dr. Hor.st Ket'cr stein, Beligionsunterricht und Erziehung zur Religion. Ham-
burg, Verlagsanstalt und Druckerei A.-Q. (vonnals J. F. Biohter). 64 S.
Jos. Anbros, Die senkrechte Schrift. Wien, A. Pichler. 80 S. 50 kr.
Dr.AitoiSckwarsh^fer, SteOaehriftTorlagen. Wien, A.Ploh]er. 12 Bl. 40 kr.
▼«natima. Btdaatnr Dr. Fri*dTi«li OitU«, Buharaekerd Julias Klinkhkrdt, Loipxig.
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I>e8 Thüringer Reformators Friedrich Myconins Verdienste
um das Schnlwesen.
Aas Anlass «eines 400 jährigen Oeburtstages
dargeüUiUt von
Dinetov Dr. CMCJMI Xrayanfterer-lMrloAt».
„Es ist nachgerade zum Offentliehen GehdmiiiB geworden,
dass das geistige Leben des deutschen Volkes sich gegenwärtig in
einem Znstande des langsamen , einige meinen des rapiden YerfiUls
befindet.*' So lautet der Anikng des vielbesprochenen Buches: „Rem-
braiidt als Erzieher, Yon einem Deutschen," welches den immerhin be-
deutsamen, wenn auch nur äußerlichen Erfolg hatte, dass es in der
kurzen Zeit von zwei Jahren beinahe vierzig Auflagen erlebte. Der
Satz ist paradox, wie das ganze Buch. Jedoch fordern beide zum
Nachdenken auf, und etwas Wahres liegt darin, dass iu unserem
Leben der Kunst, gegenüber der Wissenschaft, ein größeres Gewicht
als bisher gebüre. Hätte man in unserem, wie man manchmal sagt,
pädagogischeu Zeitalter wirklicli mehr auf die Lehren der Pädagogik
auch für die moderne Tjeheiisführung gehört, su würde man längst der
Kunst oder im allgemeinen dem Können eine größere Wichtigkeit bei-
gelegt haben als dem einseitigen Wissen. Die Menschen wären nicht
nur praktischer, sondern auch veredelter; denn die Wissenschaft er-
kältet, aber die Kunst und das Können erwärmt.
Auch darin hat der Verfasser im ganzen nicht unrecht, dass die
treibende Grund- und Urkraft alles Deutschthums der Individualismus
ist. Nur die Kolgerung, in Rembrandt den individuellsten unter allen
deutschen Künstlern zu erblicken, der aus diesem Grunde „als Vor-
bild den \\'ünsclien und Bedürfnissen, welche dem deutschen Volke
von heute auf geistigem Gebiete vorschweben", gelten müsse, ist falsch;
schon deswegen, weil Rembrandt diese Bedeutung garnicht hat. Ein
anderes Ist es aber, die entsdiwnndenen Vorbilder der Gmnd- und Ur-
kraft dnrch Vertieftmg in die dentsche Vergangenheit zn suchen und
einem verflachenden Eosmopolitismas entgegenzutreten, ohne jedoch
nationäler Simpelei zu yerfollen, aber aof dem eigenen Gmnd und
Boden die kostbaren, noch nngehobenen Schätze aoszograben. Dann
wird sich zeigen, dass unser geistiger Beichthum noch ein so un-
PadHpifivau 14. Jahiff. Heft Till. 34
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erscli(>i)tiicht'i ist. wit^ vielleicht bei keinem anderen Volke, dass wir
notli weit davon entfeint sind, pinen {^« istigen Bankerott anmelden
zu müssen, was laut Beginn und Inhalt seiuei* Ausführungen „Rem-
brandt als Erzieher" doch thun möchte.
Diese Anschauungen vom unversiegbaren geistigen Reichthum
unseres Volkes haben eine sehr kräftige Bestätigung auch durch die
Auslassungen von höchster Stelle erhalten, näuilich, dass es falsch sei,
von dem Grundsätze ansiiigehen, der Scholz mttsse so viel wie mög-
lich wissen: ob das f&r das Leben passe oder nicht, sei Nebensache.
Nicht nm* werde die Jagend den großen Angaben des praktischen
Lebens ferngehalten, sondern dem Unterrichte nnd der E!rziehung
unserer Jagend fehle die „nationale Basis**. „Wii* müssen Deutsche
erziehen, nicht junge Griechen und Börner." „Soll echt deutsches
Volksbewusstsein und rechte Liebe zum Vaterlande in ^unserem i^eali»
stischen Zeitalter erhalten werden, so ist nöthig, dass jeder einzelne
die großen Begebenheiten der Vergangenheit nnd das Wirken der
Vorfahre kennen lerat."
Das ist jedoch durchaus nicht so zu verstehen, als ob die so-
genannten Haupt- und Staatsactionen dei- Vergangenheit, die Kriege
und Kriegszflge derselben, noch eingehender als bisher schon erörtert
werden sollten. Diese Art und Weise würde eher zur Verrohung
des Volkes beitragen, als dasselbe auf eine höhere Stute der Sittlich-
keit erheben. rWie in vergangenen Zeiten," so sagt Herbert Siiencer,
derjenige englische Philosoph, welcher in neuester Zeit unl'estritten
einen kräftigen Anstoß zur Reform des (leschichtsunterriclits ge-
geben hat, „der Ki>nig alles und das V(dk nichts war, so füllen in
älteren Geschieht sbt*i-icliteii die Thaten des Ktinigs das ganze Gemälde
aus, zu dem das A'^ikshdieii iiui' einen dunklen Hintergrund bildet.
Erst jetzt, da das WOl dt-r Vulker niehi- als das "Wul der Fürsten
sich zum herrschenden Gedanken emintrschw ini:t. ln-rrinnen die Gcscliicht-
schreiber. sich mit den Erscheinungen gesellschalüicheu Fortöchrilts zu
beschäftigen."
Wo aller lässt sich in der Vergangenheit ein bedeutenderer gesell-
•schafilicher Fort.schritt erblicken, als, namentlich für Deutschland, der
durch die Reformation hervorgerufene? Ist das Christentbum ohne
jeden Zweifel dei* mächtigste Culturfactor aller Zeiten, so ist es in fusi
nicht geringerem Maße die Enieuerung desselben, die Befonnation, in
ihrer Einwirkung auf Kunst, Wissenschaft, Leben und Schule für die
letzten Jahrhunderte. Der Befonnation verdankt Deutschland nament-
lich seine jetzige Volksschule und eine ganz bedeutende Anzahl der
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liöheren Lebranstalten. Aber aiidi diejenigen Schulen, welche noch aus
älterer Zeit stammen, sind kaum von dem durch die Retormation ge-
weckten neuen (leistc unberührt ffeblicben. Jedoch wer kennt, wenn
es sich um die deutsche Refonnatiunsgeschichte in den einzelnen Landes-
theilen hau<ielt, die Persönlichkeiten, welche bei dieser Neubelebung
thätig gewesen sind ? Dem deutschen Knaben werden im Unterrichte
fast alle FeldheiTeu des Alterthums genannt Den Hannibal mass er
auf allen Krems- und Quer^Zilgen begleiten und jede noch so unbedeu-
tende Unternehmung Julius Cäsars sieb einprägen. Aber die geistigen
HeerAhrer der Beformationsseit werden ihm nui* sehr summarisch
YOigefÜhrt, und den Zug» welchen die Befoimation durch Deutschland
genommen bat, kennt er nur obenhin. In der Tbat aber handelt es
sich dabei um geistige Führer, welche nicht etwa blos der Local*
gescbichte angebdren, sondern recht innerhalb der großen Entwicke-
Inng standen, ja, als treibende Krftfte ihre Richtung mit bestimmt und
•die großen Erfolge mit bewirkt haben.
Zu diesen Persönlichkeiten gehört auch ein Friedrich Myconins.
Er war der BYeund Luthers und Melandithons und hat Schulter an
Schulter mit diesen f&r das Wol der Schule und Kirche gekämpft
An fast allen wichtigen Yerhandlungen , welche den Fortgang der
Befonnation besEeichneten, nahm er theiL Von den Emestinem 1524
nach Qotha berufen, damit er dort und in Thüringen die neue Lehre
einführe nnd befestige, breitete ^ich sein Ruf bald weiter ans. Bereits
nach einem Jährflknft wohnte er auf besonderen Wunsch des Land-
grafen von Hessen, Philipp des Großmfithigen , dem Marburger Be-
ligionsgespräche vom 1. bis 4. October 1529 bei.
Wenn freilich jener Fürst gemeint hatte, Myconins würde sich
nachgiebiger zeigen als Luther, so war er im Irrthum befangen.
Nichtsdestoweniger ist der Einfiuss des Thüringer Beformators auf
das Zustandekommen der Wittenberger Concordie, jener milderen Auf-
fassung der Abendmahlslehre, nicht zu verkennen. Im Jahre 1537
finden wir ihn in Schmalkalden als Kanzelredner und geistlichen Be-
rather thätig, 1538 als ohne Frage wichtigstes Mitglied einer Gesandt-
schaft, die iu England unter Heinrich VUI. den allerdings vergeblichen
Versuch machte, Luthers Lehre dort heimisch zu machen. 1530 sehen
wir ihn auf den Reichstagen zu Frankfurt und Nürnberg und als He-
fonnator im Meißner Lande, wo er, unterstützt von Creuciger und
PfefKnger, nach Georg des Bärtigen Tode die Reformation in Leipzig
einführte. Nicht genug an diesem ebenso schwierigen wie ruhmreichen
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Werke, betheiligtc er sich noch am Hagenauer Convente, 1Ö40, dessen
Elrfolglosigkeit seint- Schuhl durchaus nicht war.
Hat Myconius demnach hervorragend für die Kirchenreformation
auch außerhalb Thüringens gewirkt, so nicht minder in Thüringen als
Schalreformator oder richtiger, da die Schulen erst za begründen
waren, als Organisator deraelbeii. Um jedoch gerade diesen Thell
seiner Lebensarbeit zn verstehen, ist es erforderlich, anf sdn Leben
nnd seinen Entwickelungsgang etvas nftber, wenn anch in gedrängter
Darstellung, einzugehen.
Nach dem vorhandenen, yon L. Eranach gemalten Bilde war
Hyconios im Änfiem eine Persönlichkeit, welche die Mitte zwischen
Lnther und Melanchthon hielt Er hatte die GrOfie nnd ungefähr auch
die mehr gedrungene Gestalt des ersteren; doch seine ZOge waren
durchgeistigter, ähnlich denen des letzteren. Er war überhaupt eine
Vereinigung yon Herz und Verstand. Nicht ohne Einfluss mag dabei
der Ort seiner Geburt gewesen sein, das als Knotenpunkt von Eisen-
bahnen bekannte Lichtenfels in Oberfranken, wo nord- und süddeutsches
Wesen sich scheidet, aber auch ineinander übergeht. Als die Glocken
der romantischen waldumkränzten Benedictiner -Abtei Banz zu Ehren
des zweiten Weihnachtsfeiertages, des Steplianstages, erklangen und
das Geläut im Wallfahrtsorte Vierzehnheiligen antwortete, wurde 1491
zu Tjichtenfels einem ehrsamen Bür^rer mit Namen Meciim dieser
Knabe als naclitra2:lic}ies Weilinachtsgeschenk geboren. Zwar ist in
neuester Zeit treltt^iid f^emacht worden, dass, da man in damaliger
Zeit den Beginn des neuen Jahres manchmal bereits zu Weiimachten
schrieb , das wahrscheinliche Geburtsjahr schon 141J( > sei. Jedoch
nehmen alle älteren Biographen 1491 an, und auch auf einer l>nk-
münze, die zur Verherrlichung des 3Iyconius geprägt wurde, ist sein
Alter diesem Gebnrtsjalir entsprechend angegeben, so dass kein Grund
vorliegt, von der uispriinglichen Annahme abzuweichen.
Der \'ater Mecum gehörte zu den in jenen Tagen nicht seltenen
Christen, die von den Zuständen der Kirche Iceineswegs befriedigt
waren. Und doch war or nur ein ganz einiheher Hann ohne gelebrte
Bildung. Man sieht, die Beformation lag damals so zu sagen in der
Luft Mecum wollte mit seinem Sohne auch hoher hinaus. Nachdem
er ihn die Lichtenfölser Stadtschule hatte durchmachen lassen, sandte
er ihn auf die Lateinschule nach Annaberg in Sachsen. Diese Stadt
galt zu jener Zeit als eine Art Eldorado. Vor kürzerer Frist hatte
sich dort und im benachbarte Buchholz ein sehr ergiebiger Sflberfoaa
aufgethan und die „Neue Stadt am Schreckenberg," wie sie zuerst
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hielt, war daraufhin gegrOodet worden. Kaiser Maximilian verlieh
ihr den Namen Annaherg nach der heüigen Anna. Wie in unseren
Tagen die Goldl&nder, so mochte damals jene Gegend die Menschen
anziehen. Indes hatten die Annaherger über den mateiieUen Bestre*
bungen die geistigen nicht vergessen. Ihre Lateinschule genoss unter
dem Hector Andieas Weidner, genannt Staffelstein, sogar einen be-
deutenden Buf, der auch in den Augen des jungen Hecum ein wol-
verdienter war; denn dieser spricht mit Achtung von seinen Lehrern.
Bald war er der lateinischen Sprache so mächtig, dass er dieselbe
spreclien konnte. Yielleiclit würde er, mit einer tüchtigen Bildung
ausgerüstet, eine weltliche Laufbahn in Annaberg oder anderswo ein-
geschlagen liaben; das war auch der Wunsch seines Vaters. Aber
das Schicksal hatte es anders beschlossen. Kleine Ursachen, große
Wirkungen.
Mecums Leben bietet in seinem Verlaufe viele Vergleichungspunkte
nn't demjenigen Luthers. Beide waren einfachen Familien entsprossen,
beider Väter hatten die Söhne für eine hfihere Lebensstellung aus-
bilden lassen, beide wendeten sich aber, um das Heil ihrer Seele be-
sorgt, dem geistlichen Berufe im Kloster zu. In beider Schicksal greift
endlich der Ablasshandel Johann Tezels bestimmend ein.
Gerade auch in das des Mecum, der unterdessen, einer Sitte jener
Zeit folgend, seinen ohnehin schon lateinischen Namen in einen noch
lateinischeren umgewandelt hatte. Gern erging er sich aber auch über
seinen ursprünglichen Namen in Wortspielen, z. B.: „Ktiamsi ambula-
vero in medio umbrae mortis, non timebo mala, quia tu Mecum es."
Schon 1508 durchzog Tezel mit seinem Ablasshandel das Meißner Land
und hatte es besonders auf das wolhabende Annaberg abgesehen. Seine
Ernte war hier gewiss auch eine besonders reiche. £s liegt nämlich
sonst kern Omnd vor, weshalb er gerade hier die Bekanntmachung
erließ, den Armen solle nach des Papstes Befehl der Ablass bis m
einem hestimmten Termine unentgeltlich Torabfolgt werden. Obschon
nun der Vater des Myoonius bereits Zweifel in die Seele des Sohnes
Uber die Berechtigung des Ablasses gesftet hatte, gesteht der junge
Friedrich, wie wir einem berOhmten spftteren Briefe desselben an den
Wittenberger Professor Paul Eber*) enfnehmen, doch frdmftthig, wei-
chen mftchtigen Eindruck die Beden des pftpstlichen Commissars auf
ihn ausgeabt hfttten. Als Armer begab er sich in dessen Absteige-
*) Tcnisii Annacbergae bist. lib. II fol. 4b. .tqq. und hllttlig TWCfllBntUdlt, MOh
LonuDAUsch, aarratio de Frid. Jktyconias pag. 10 ff.
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qnartior, redete die im VorziiDiner befindUchen Priester in si^chea
Worten lateimscfa an und begehrte den Ablass umsonst Jedoch Tezel,
dem die Suche schon wieder leid geworden war, schlug seine Bitte
ab und verwies den jungen Gelehrten auf die doch stets nöthige „hilf-
reiohe Hand," wie der kirchliche Ausdruck hieft. Nur einige Pfennige
solle er wenigstens darreichen, und diese wollten ihm die Priester
schenken. Aher Myconius schlug alles aus, kelirte in sein Kämmer-
lein zurück und bat nun Gott oiine die Verraittelnng anderer um Ver-
gebnng seiner Sünden. J«doch der Stachel des Zweifels blieb in seiner
Seele sitzen.
Wie Luther fand er bald im \selt liehen Lel>en keine Befriedigung
mehr. Xacli Riickspraciie mit seinem Lehrer Staffelstein beschloss er,
ohne Wissen der Eltern, ins Kloster zu gehen. l)ie reichen Auna-
bei-c^fi- hatten das dortige Franciscanerkloster neu ausgestattet und
namentlich mit einem prächtigen Gebäude versehen. In dieses Khister
trat Myconius im Juli 1510 ein und studirte von da an nicht mehr
vorzugsweise die Weltweisen, wie einen Aristoteles, sondern den Ale-
xander von Haies, Bonaventura, Gabriel Biel. Augustinus und andere
heilige Bücher. Gleich während der ersten Nacht, die er im Kloster
zubrachte, hatte er einen merkwürdigen Traum, über den er in dem
bereits angeführten Briefe an Paul Eber berichtet sei in eine
gewaltige FebeneinMe gekommen, wo ihn ein Führer, der Apostel.
Paolns, znerst zur Quelle des Heils gebracht habe, aas welcher zu
trinken er sich nidit f&r wOidig erachtete. Dennoch habe ihm Pftnlna
zu einem Tranke verhelfen, und erquickt sei er mit seinem Führer
weitergezogen, darauf zu einem Ährenfeld gelangt, auf dem ein
Schnitter rOstig gearbeitet habe, ein starker Mann im kräftigsten
Alter, im Änfiem dem Paulus ähnlich. Mit ihm vereint habe nun
Myconius eingeerntet, aber nur die Ähren und den Weizen, nicht das
StroU geschnitten. Auch noch andere seien zu dieser lohnoiden Arbeit
gekommen; trotzdem sei Myconius krank und krftnker geworden, bis
Paulus ihn auf Christus verwiesen habe: „Diesem musst Du ähnlich
werden!" (Huic oportet te conformem fleri.)
Damals deutete er diesen Traum noch keineswegs auf einen
Luther und dessen Schnitterarbeit, sondern natürlich nui* auf seinen
Franciscanerorden , der ihn aus der Einöde, dem weltlichen Leben,
herausleiten werde; die Ernte aber sei das religiöse Exercitium. Nur
kommt ihm zuweilen ein Bedenken: im ganzen Traumgesichte war
ihm auch nicht ein einziger Mönch erschienen. Vorläutig erfasste er
aber den neuen Beruf mit voller Seele. Die Mönche machten den
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o^elelirten Bruder zum Lector. Bald aber regten sicli seine alten
Zweifel wiedev. Um sich zu zerstreuen und zu erfrischen, erlernte er
das Drechseln, hantiite mit Hacke und Spaten und schwang? die Axt.
Dann saß er wieder und malte Initialen aus. Aber die 8umme von
allem war doch ein unbefriedigtes Dasein.
Tn Annaber«: scheint er ültriprens nur als Novize, darauf in Leip-
zig- gewesen zu sein; jedenfalls linden wir ihn löKi in Weimar, wo
er zum Priester geweiht wurde. „Ich sung, wie es dazumal unter
dem Papst Gewohnheit war. meine erste Messe auf den Pfingsttag.''
Die sächsischen Herzüge und späteren Kurfürsten Johann der Heständige
und Johann Friedrich der Uroßmüthige wohnten dieser ..Erstmesse"
an, der letzten übrigens, bei der sie überhaupt zugegen waren.
Ein Jalir später schlug Luther seine Thesen an die Thür der
ScUoBskirche zu Witfeeabeig, und Myconins, der lebhaft an seine
Begegnung mit Tezel erinnert werden mochte^ stellte sich als einer
der ersten anf des neuen Apostels Seite. Aach das war za jener Zeit
keine gefUirlose Sache. Melanchthon erzahlt in seiner Apologie der
Angsbnrgischen Gonfeesion Yon einem FrandscanermOnche in Eisenach,
Johann Hilten, der yon seinen Klosterbrüdern damals in den Kerker
geworfen wnrde, weil er grobe Missbränche in der Kirche gerügt hatte.
Bis an sein Lebensende blieb dieser Mönch ein Gefangener. So wurde
andi Myeoniiis überwacht nnd sogar nach demselben Eisenach, darauf
nach Leipzig und seinem Annaberg geschickt, wo man Ihn achtzehn
Monate in klösterlichem Gewahrsam gehalten haben soll. Mit Hilfe
einiger Freunde gelang es ihm aber, nach Zwickau zn entkommen;
dort durfte Luthers Lehre schon gepredigt werden. Dem Kloster
entronnen und dem Mönchsorden nnn nicht mehr angehörig, verkündete
er unerschrocken auf den Kanzeln der säc]isis< hen Städte das neue
Evangelium. Gern hätten ihn vor allem die Buchholzer als ihren
Geistlichen ganz bei sich behalten, aber Herzog Johann hatte ihn
bereits tur Gotha ausersehen, wo er nicht nur die Kirche, sondern
auch das Schulwesen retbrmiren sollte.
Für die Reforniation waren in Thüringen und Gotha schon einige
vorbereitende Schritte ^^etliau w(trden. Ein Herzog Wilhelm, Bruder
des Kurfürsten Friedricii des Santtiniithigen, hatte bereits unt die Mitte
des fünfzehnten Jahrhunderts die sclilechte Kindienzncht zu verbessern
gesucht. Kr verbot, um den Kint1iis< der Geistlichen auf das richtige
Maß zurückzuführen, seinen l'nterthanen. mit widtlichen Händeln vor
ein geistliches Gericht zu gehen. Ein Dutzend Jahre .später sandte
derselbe Fürst einen Augustiner-Provinzial nach Gotha, uro der Kirchen-
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Ordnung nacluliiicklicli Geltung zu verschatieii, „dievveil das wüste und
wilde Wesen der Mtinche durchaus nicht zu dulden sei". Jedoch auch
unter den (Teistliclien gab es bereits eine Anzahl, die einer Kirchen-
verbesserung nicht widerstrebte. Andere freilich dachten anders, ja.
missbrauchten ihre Gewalt. Welche eigentliüialiclie Autlassung von
Religion und Hecht zum Beispiel einige Gothaer .Stillsherren hatten,
— und dieser Fall steht durchaus nicht vereinzelt da, — erhellt daraus,
dass ein Gothaer Bürger und Wundarzt, Namens Vogler, der einem
Ganonicos die Miete nicht beaalüt liatte, von diesem ohne veiterea
mit dem Bannfluch belegt vnrde. Ab KnrfBrst Friedrich der Weise
von diesem Sacrileflr börte, musste der Stiftsherr natOrlich seinen
Finch zoracknehmen , nnd die Streitsache kam vor ein weltliches
Gericht.
Unter den Stiftsherren aber, die damals schon anf der Höhe ihrer
Zeit standen, ist ein Eonrad If nt (Untianns) besonders erwfthnena-
wert Ans der Schule des Alezander -Hegios hervorgegangeni ^
Stndiengenosse nnd Frennd des Erasmus, hatte er sich nach längerem
Aufenthalte in Italien, wo er an den Forschungen berfihmtei* Gelehrten
theilgenommen hatte und nachdem er noch einige Zeit hessischer Hof-
prediger gewesen war, auf ein ziemlich gering dotirtes Canonicat in
Gotha zurückgezogen. Den übrigen Stiftsherren war er zu ernst und wol
auch zu gelehrt. Desto mehr schlössen sich strebsame Jünglinge ihm
an, die er in die Altertbumswissenschaft einführte. Zu seinen Schülern
gehörte vor allen Spalatin, nachher, wie Myconius sagt, „di'eier Kur-
fürsten Kaplan und Historicus*'. Dieser war bekanntlich Friedrichs
des Weisen rechte Hand. Weniger bekannt möchte aber sein, dass
hauptsächlich Mutianus es war. der den Kurfürsten bei der Gründung
der Universität Wittenberg und bei dei- Wahl ihrer Prof'ess(»ren mit
seinem Käthe unterstüizte. So halt er als ein rechter Humanist durch
Neubelebung des i< orschertriebes dem sich emeuerudeu Kirchenglauben
die Wege bahnen.
Schon lölO war auch Luther im Auftrage von Staupitz zur Re-
vision des Augustinerklosters nach Gotha gekommen und hatte dort
über die Kechtfertigung durch den Glauben gepredigt. Auf seiner
Reise nach Worms ließ er sich aV)ernuils dort hören. „Da riss," berichtet
Myconius über diese Predigt, ^der 'J'eulel etliche Steine vom Kirchen-
giebel, die hatten über 200 Jahre festgelegen." Gleich in den folgen-
den Jahren schloss sich ein Oothaer Pfarrer der Margaretenldrchei
J. Langenhain, Luther an. Zwei seiner Gehilfen aber, Schneesing
und Eisenberg, mussten nun wol in ihren Fredigten unvorsichtige
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Äußeriint^en getlian haben, man sollte doch einmal ,,vom Schlossberge
oben beim Stifte'' anfang-en und gründlich die schlechte Wirtschaft
auskehren. Die Prediger meinten natürlich, die Obrigkeit oder der
Fürst selbst sollte es thun, aber der genu ine Mann bezog es auf sich.
Da geschah ein ..Pfaffenstürmen" in Gotlia. welches Myconins höchst
anschaulich schildert. hEs trug sich zu, dass am Phngstdienj>tage
flo24) wider die Freiheiten der Stadt fremdes Bier zu Bufleben (bei
Gotliaj eingelegt wurde. Die l^iirger zogen also bewaffnet hinaus, um
das Bier zu holen. Als sie zui uckgekommen waren, begaben sie sich
auf da.s Kautliaus. Das eioberte Bier fing an, ihnen zu Kopf za
steigen. Da liefen einige vou ihnen den Schlossberg hinauf, stürmten
die Häuser der Canoniker, stiefien Thfiran und Öffea ein, zerschlugen
die Fenster, serhrachen Tische nnd Binke, zerrissen Briefe und Siegel
und griffen zuweilen auch nach dem Oelde. Hauptsächlich aber nahmen
sie die schlechten Weibehflder nnd führten sie in den Eram nnter das
Bathhaos. Einige Mitglieder des Bathes und besonders die Vornehm-
sten hatten ihren Gefallen daran und thaten nicht eher Einhalt» als
bis der Schade geschehen war. Doch die Ganoniker klagten es dem
FArsten. Da worden Aber hundert BUrger in Verhaft genommen. Auf
Verbitte Dietrich Tonckels, eines angesehenen nnd rechtschaffenen
Hannes, erhielten sie ihre Freiheit wieder, nachdem den Canonikem,
za ihrer Entschfldigong, dreihnndert rheinische Gnlden ansgezahlt
worden."
Es wäre nun nnrichtig, anzunehmen, dass die Reformation ihre
Einführung in Gotha etwa einem Biei*scaudal verdanke. Aber diese
Ausschreitung veranlasste doch den Herracher, auch seinerseits dem
Treiben der Stiftsherren ein Ende zu bereiten. Freilich war er über-
zeugt, dass nicht minder die weltliche Zuclit daselbst einer durch-
gehenden Reform bedürfe und hoffte, dass Mycoii ins auch für die letztere
Aufgabe der rechte Mann sein würde. Er liatte sich nicht getäuscht.
„Nach Erfurt ist Gotha", sagt Myconius, ,,tast die beste und vor-
nehmste Stadt im ganzen Fürstenthume Thüringen gewesen." Aber
eine Misswirlschafi dort begann schon zu Ende des fünfzehnten Jahr-
hunderts. Zu jener Zeit waren Friedrich der Weise und sein Bruder
Johann noch Junge Herren", und der Rath von Gotha thai eben,
was er wollte. So geriet h die Stadt in der ^allerfriedlichsten Zeit**
tief in Schulden. Wer in den Rath gewählt werden wollte, niusste
sich von vornherein als ein gefügiges Werkzeug der herrschenden
Partei zeigen. Zunächst hatte er ein gi'oßes Festgelage zu yeran>
stalten; denn man fragte nicht nach seiner TOchtigkeit, sondern, wie
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sich Mycuiiius iu der kr;ittip:en Sprache der damaliiren Zeil ausdrückt,
ob t'v aiicli s^ehörig- ..zu tressen und zu saufen** geben k«innle. Alle
^'enjoinnützigen Einrichtungen waren, wenn sie überhaupt vorlianden
waren, schrecklich mangelhaft. Von städiisclieni PHaster fanden sich
nur noch Spuren in der Nähe des Rathhauses. Man musstc auf Holz-
schuhen oder gar auf Stelzen gehen, und fast alle Kathsherren bedienten
sich jener Fußbekleidung der armen Leute. SaL5en sie dann in der
Rathsstube, so standen die Holzschuhe draußen und man konnte ,.fein
zählen", wie viele von ihnen zur h'athsversannnlung gekommen wareo.
Es kam aber, wer gerade Lust hatte; denn es war weder Ordnnog
noch Gehorsam.
Und wie die Alten snngen, so arwitscberten die Jangeii. Die
Jennesse dorte trieb es nicht weniger arg als der Rath. Sie belästigte
und schlng die Bürger abends nnd anch am Tage anf der StraBer
kaum war jemand seines Lebens sicher. Überhaupt war die Jugend
ganz „verwildert und verroht". Wo sollte auch das gute Beispiel
herkommen!
Unter solchen Verh<nissen war es Ifyconius klar, dass er sein
Reformationswerk „von unten auf* beginnen müsse. Und so üng er
gleich im ersten Jahre seines Aufenthalts in Thflringen mit der Orttn-
dang von Schulen an.
Auch was er auf diesem Gebiete geleistet hat, finden wir in den
Quellenwelken über ihn von SeckendorfF, Sagittarius, Menzel u. a. ver-
zeichnet. Sein kostbarstes Vermächtnis ist aber eine Chronik, halb
Selbstbiographie, halb (ieschichte der Reformation, ein Jahrbuch, das
er in den Tagen der Krankheit, die ihn auch spätei- hinraflfte, wol
mehr zusammenstellte als erst niederschrieb. Die Mittheilungen lesen
sich nämlich so frisch, dass sie als Tagebuchaufzeichnungen unter
dem unmittelbaren Eindrucke jener wichtigen Ereignisse aus der Zeit
von L")17 bis 1542 abgefasst sein müssen. I ber 170 Jahre hatte
diese nicht genug zu schätzende Chronik, welche niclits mehr und
nichts weniger als eine erste zuverlässige ( beschichte dei Retormation
ist, im Hibliothekenstaube geiiiht, bis sie endlich ein einsichtsvoller
Consistorial- und Kirchenratii des über (4otlia ragenden Friedensteins,
Dr. Ernst Salomen Cyprian, der Vergessenheit entriss, indem er sie
mit Vorrede und Erläuterungen verseilen, „nnd des Autoris antographo'*
(n'tlia 1710 zuerst veröffentlichte. Aber nicht nur des Inhalts, son-
dern auch der Darstellung, einer kemigen Prosa wegen, die sich der
Lutherischen würdig anreiht, ist diese Historia Reformationis Friderid
Myconii höchst beachtenswert.
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In dem Manuscriptenschatze der Gotliaer Herzoglichen Bibliotheki
welcher liokanntlich kein geringer ist, bildet diese Chronik einen wert-
vollen Theil in einem Sammelbande, dem ein -Neues Erbbuch und
Kopey der Ministratur 1024** voransteht. Auch dieses Manuscript ist
eine ergiebige (Quelle und für unseren Zweck ei^entlicli noch bedeut-
samer, als die erwähnte Thronik. Dieses ..Krbbuch etc." enthält näm-
lich des Myconius .Aiiszüfre ans den Arten der Gothaer Archive über
Schul- und Kirchengererhtsanie und gewährt demnach, in Verbindunj^
mit anderen Nachrichten, ein anzieliendes Bild von den Schulverliält-
nissen jener Zeit, aber auch von der Arbeit des Thüringer Eelorma-
tors für die Scliule selbst.
Was wir in Thüringen an Lehreinrichtungen kurz v<»r der Ke-
turniationszeit finden, sind einzelne mehr oder weniger gute Kloster-,
Dom- oder sogenannte Lateinschulen, an denen theils Mönche, theils
Zonftschulmeister mit fahrenden Scholaren unterrichteten, die ihre
Schüler in die katholische Qottesgelahrtheit einführten nnd sie die
lateinisehe Sprache lehrten. Wenn non anch, wie unsere Erörterungen
gezeigt haben» die Znstftnde in manchen Stftdten gerade damals nicht
die erfrenlichsten waren, so lebte doch ein gesnnder Sinn im dent-
sehen BQrgerthnme. Der Kern war flberall gut geblieben. Und so
hatte sich Lntber, als er in demselben Jahre, welches anch fllr My*
eonins den Anikng seiner kirchlichen nnd pädagogischen Befonnen
bedeutet, sein zQndendes Sendschreiben an die Bürgermeister nnd
Bathsherren aller Städte Deutschlands erliefi, in der That an die
rechten Mitarbeiter gewendet. Waren diese hie nnd da noch unbe-
holfen, so zeigten sie doch guten Willen. Die erleuchteten Köpfe
jener Tage aber, die ein gutes StQck weiter sahen, ein Myconius,
Spalatin und viele andere, halfen unermüdlich und mit kräftiger Hand.
Die erste Kunde über die Thätigkeit einer Schule in Gotha selbst
stammt schon ans dem Ende des 13. Jahrhunderts. In der ersten
Hälfte des 14, besaß es, — ein in den Augen der Modernen viel-
leicht sehr mäßiger Fortschritt — schon zwei Schulen, die eine bei
der .Margaretenkirche (die Kirche selbst war bereits 1254 vorhandenl
die andere bei der lo.SO auf Befehl des nachmaligen Kurfürsten
Johann Friedridi des Großmüthigen abgebrochenen Marienkirclie am
Schlossberge. Übrigens werden auch schon besondere Mägdleinschulen
erwähnt.
Das erwähnte „Platleiistürmen-' hatte den bestehenden Schulen
den Garaus gemacht. Justus Menius, der Amtsnachfolger des Myconius,
sagt darüber: „Die Schulen waren allerdings gefallen und abgegangen,
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also, dass nicht allein kein einziger Schüler \<)rlian(len war, sondern
man auch große Mühe und Arbeit hatte, dass man je etliche zur
Schule bringen und wiederum von neuem ani'icliten möcht, und die
Sachen fast allenthalben also standen, dass Schulen und Studia beim
Pöbel aufs höchste verachtet waien und je eher zehn zu finden, die
Schulen stürmen und yerstören, denn einen oder zween, so sie hätten
auf- und anricbten können.^
Jedoch diese schnlloBe, die schreckliche Zeit lieft Myconiiis nicht
lange ▼ähfen. In der er^riUmten HistorlA Beformationis berichtet er
Seite 65: »l^io Schulen haben viedemmb angefimgen und restitoiret
Ist der Anfiing geschehn im Augnstinerkloster, als noch die MSnche
in ihren habitibus darinnen waren, Anno 1524."
Das Augnstinerkloster bestand zu Gotha bereits seit der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es war Tom Papst Innocenz V. bestätigt
und yon ih>ninien Christen mit stattlichen Stiftungen bedacht worden.
Zur Zeit der Reformation betrug die Zahl der Mönche noch dreißig.
Die Räume dieses Klosters nun ei*schienen Myconius als die
geeignetsten für das neue Schulwerk. Entsprachen sie auch bei weitem
nicht den Anforderungen, die man heutzutage an die Beschaffenheit
und Einrichtung TOn Schulräamen za stellen pflegt, so war man in alter
Zeit eben weniger ängstlich, ohne dass das herangebildete Geschlecht
kränklicher als das heutige gewesen wäre. Auch die Mönche bildeten
kein störendes Element, da sie den reforniatorischen Ideen nicht ab-
geneigt wai en, im übrigen aber ruhig in ihren Zellen hausten und sich
höchstens am frohen Treiben der -Tugend ergötzten..
Als Rector und Hauptlelirkratt führte Myconius die^ser neuen
Schule im Augu;?tinerklostei\ welche er aus den Überbleibsel der
beiden vorhandenen einrichtete, den Magister Basilius Monner zu,
keinen l^hilologen, die es als specifische Berufsclas.se damals noch kaum
gab, sondern einen Rechtsgelehrten. Auch wurde die Anstalt .sciiwer-
Uch schon in viele Classen eingetheilt, die ganze eigentliche Schul-
verfassung mag zuerst ziemlich in der Luft geschwebt haben. Indes
wird schon aus jenem Anfang die Gründung des gotliaischen Gym-
nasiums hergeleitet. Als Stiftungstag gilt der 21. December 1524
Die landeabenliehe Bestätigung der Schule eifolgte aber erst
nach einem Jahifttnfti auf Qmnd einer Kirchen- und Sehnlenvisitation,
weldie auf Befehl Johanns des Beständigen der knrf&rstliehe Kanzler
Brück, Melanchthon und Myconius vorgenommen hatten. 1529 lieft
dieser Fflrst einen Schenkungsbiief auftetzen, krsft dessen das
Augnstinerkloster mit allem ZubehOr und sämmtiicfaen Einkünften in
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den Besitz der Stadt Gotha überging, jedoch mit der ausdrücklichen
Bestimmung, dass die Einkünfte zu Kirchen- und Scluilzwecken ver.
wendet werden sollten. Daneben sollten die noch übrig gebliebenen
Klosterpei*sonen auf Kosten der Stadt weiter verpHet^t und ihnen ihre
WoliTiung sowie das ganze Kloster in gutem baulichen Stande erhalten
werden. Daraufhin wurden schon drei Sciiuilelirer angestellt; mehr,
so mein teil die Visitatoren, seien für die Schule nicht nöthig.
War es nun, dass die Stadt ihre Schuldigkeit nicht that, oder
dass die Einkünfte nickt zureichten, welche vielleicht auch uni)ünktlich
eingingen, schon wieder nach einem Jahrfünft nuissten die Stadtväter
höheren Orts an ihre Pflicht erinnert werden, nicht nur den Gottes-
dienst zu fördern, sondern besonders auch die Jugend zur Lehre auf-
ziehen zu lassen: ,,derohalben sie billig Fleit> fin wenden sollten, dass
treulich aus dem P^inkommen, so zu der Kiri lien- und Schulenbestellung
verordnet worden, gehandelt werde. Denn wir wollen euch nicht
bergen, dass unser gnädiger Herr in Erfahrung kommen ist eures Un-
fleißes, so bei euch in Verwaltung der Kiichengüter und son^tea
befunden."
Schien danach der Bestand des Stadtschulwesens noch kaum
gesichert, so dachte doch schon in jener Zeit Myconius auch an die
Begründung des eigentlichen Volksschulwesens. Hierzu veranlassten
ihn ollenbar auch die Vorreden zu den beiden Katechismen Luthers,
in welchen dieser sich an die Geistlichen wendete. Die Pfarrer sollten
an den Sonntagnachmittagen, wenn das junge Volk und Gesinde zur
Kirche komme, den Kindern und den Dienstboten die drei Hauptstücke
vorsprechen und einprägen. Um jedoch den Pfarrern die Arbeit zu
erldditeni, wurde zugleich empfohlen, dass an SteUe der Geistlichen
die Kirchendiener „den Katechisimom, den Eirchengesangk nnd das
gebett mit allem trewen ynd eyffer der Jugendt dnzabildten nnd mit
jenem (dem Gesinde) zu flben haben*.
Nach dem echt eTangelischen Grundsätze, dass jeder Christ Gottes
Wort in der Bibel ksea sollte, erwuehs dann Äesen Gehilfen die
weitere Aufgabe, an einigen Wochentagen, besonders während der
Wintermonate, die Kinder im Bibellesen zu unterrichten, beziehentlich
ihnen das heilige Buch zu eridSren. Diese Unterweisung aber war
in Tbilringen und auch and^wo der erste Baustein zur evangelisdien
Volkssdiule. Pfiuner und Kirchner standen damals in der Begel auf
einer BildungsstufB, beide gingen oft ans dem Handwerkerstande her^
vor. Zur Beformationszelt waren die ersten Landp&rrer in Thüringen
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nicht selten schlichte Handwerker, der eine ein Leineweber, der andere
ein Böttcher, der dritte p^ar ein Baderkneclit.
Es war iiberbaupi ein Zeitalter des Werdens. Die Umwälzung
der bestehenden Verhältnisse, liauptsächlich die Venuenguug von geist-
lichem und weltlichem Besitz, machte überall Neuordnungen noth-
wendig. So finden wir in jener Zeit aneh die ersten Normaletttts ffir
Lehrerbesoldnngen, welehe Johann Friedrich der Grofimflthige nach
einer neuen Visitation in Thfiringen, an der wieder Hyconius thefl-
nehmen masste, aufstellen liefi. Ans den Zahlungszeiten, scheint her-,
vorzugehen, dass das Schuljahr damals nicht, wie jetzt in Thüringen
und Norddeutschland fiblichi zu Ostern, sondern, nach mehr sttd-
deutscfaer Sitte, zu Michaelis seinen Anfimg nahm.
Beginnend mit dem Michaelisfeste, sollten den Kirchen- und Schul>
lehrern an den vier Quatembem ihre Besoldungen ausgezahlt werden.
Solange noch Mdnche und Stiftsherren zu unterhalten wären, sollte
der Pfarrer an der Augustinerkirclic 100 fl., der Schulmeister
(oder Rector) fU) tl. und von seinen beiden -Oesellen" jeder 4') tl.
erhalten. Die Bezeichnung Meister und Gesellen beim Schul-„Hand-
werk** rührt bekanntlich aus der mittelalterlichen Zeit her, in welcher
alles, demnach auch das Schulwesen, nach den Kegeln der Zunft ein-
gerichtet sein musste.
Wurde einmal das Kloster von allen Lasten frei sein, dann sollten
die Besoldungen auty^ebessei t werden und der Pfarrer 120 ti.. der
Schulmeister 70 i\. und seine beiden (irselltMi je .")() ti. empfangen
Dei- » ine der Tut erlelirer wurde Baccalaureus, der andere Kantor odei'
Sangmeister genannt.
Auch für Dienstwohnungen wurde schon ges(»rgt. Alle Kirchen-
und Schuldiener sollten mit „bequemen und nothdürfligen Herbergen"
versehen werden.
Angesichts solcher Kiirsorge feldte es gerade der Gothacr Schule
von allem Autaugt- nicht an hervorragenden Lehrkräften. Der schon
erwähnte Mooner, ein geborener Weimaraner, welcher in Wittenberg
stndirt hatte, war ein früher Anhänger Luthers. Melanchthon, dessen
Unterricht er noch genoss, schätzte ihn so sehr, dass er der neuen
Schule in Gotha keinen besseren Lehrer empfehlen konnte. Aber
Monners größtes Lob ist doch sein Schüler, der berühmte nenlateinische,
vom Kaiser gekrönte Dichter Johann Stigel aus Gk>tha, erster Professor
der Beredsamkeit an der neugegrOndeten Uniyersit&t Jena, welcher
auch später auf Myconius die Orabschrift, sogar in lateinischer und
griechischer Sprache zugleich, verfasst hat. Nach den Rectoren*
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Schipper und Menila der (irttliaiT Schule, die beide später ins PfaiT-
anit ubertraten, braclite dann Pankratius Süssenbach, wie Myconius
selbst schreibt, die Anstalt erst in die ^.rechte Form and Ordnung".
Damit aber auch alles in der richtigen Ordnung, „stet und fest**,
bliebe, durfte von den Kirchen- und SchiUgUtern uline Zustinuming des
Kurfürsten nichts veräußert werden. Die vom Ratho und einem Ge-
meindemitgliode gettihrte Rechnung wurde im Beisein des Amtmanns
und des Pfarrers gelegt und ge))riift. Konnte bei vorkommenden Un-
fällen (las Gehalt nicht gezahlt werden, so war dem Kurfürsten Mit-
theilung zu machen und, was noch viel mehr ist, von ihm auch Hilfe
zu erwarten.
Trotz dieser vorsorglichen Maßregeln geschah doch die Anstellung
der „Schuldiener und Kirchner'* immer nur auf Kündigung. Eine
detinitive Anstellung kannte man auch später noch nicht. ,,ln jedem
Jahre," so lautete die betrettende Verordnung. ..wenn ein neuer Rath
ausgeht, soll vom Pt'arrherrn und Ratlie dariiliri', ol» man die Schul-
diener und Kirchner bei ihren Diensten länger behalten wolle, gehandelt
werden."
Die treue Arbeit des Myconius wurde durch rasche und sichere
Erfolge belohnt, bereits nach 1^^ Jahren kann er in seiner Ketor-
mationsgeschichte Seite öl sehreilien: „Die Schulen ins Augustiner-
kloster ist fundiert und zu den Ministeriis das Kinkommen erwoihcji
und geordnet. Und ist alles durch die Kuiiursten und \'isiiatures
bestätigt, mit Brief und Siegel ratiticirt und geordnet worden. Es
hat unglaublich Arbeit gekostet, aus dem alten, verspureten, faulen
Holz ein neues Haus zu erbauen. -
Deshalb arbeitete er. trotz schwerer Krankheit, an diesem Lieb-
lingswerke auch nach dem Jahre 1542 raslios weiter. Waren trüber
schon Stipendien im Betrage von Je 20 Ii. für „arme Bürgersknaben,
so nach Erkenntnis des Pfarrherrn und Schulmeisters zum Studiereu
geschickt sind"', gestiftet, lerner zwei Gehtilze, zum Kloster gehörig,
dazu bestimmt worden, fÜi* die Knaben in der Schule freies Brenn-
material an liefern, so gründete er 1543 an zwei Tafeln für arme und
wftrdige Schüler im GonTietorinm des Klostors Frdtiscbe. Diese Ein-
richtung erweiterte sich bald zu einem Alumnate, m welchem jedoch
die Knaben nicht ganz unentgeltlich gehalten wurden. Für 24 würdige
nnd bedürftige aoswftrtige Schüler, welche in Qotha die Anstalt be-
suchten, sollten aus dem Amte Gotha 16 Malter Korn und 12 Malter
QentiB geliefert werden, um sie, soweit es reiche, mit „Brot nnd
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Bier" (!) zu versorgen. Die Aufsacht über den Tisch hatte der Super-
intendent und später der Rector,
Jedoch wie es jedem ertreht . selV)st wenn er die reinsten Ab-
sichten hegt, auch ^ryconius liatte seine (iegner. Es waren einige
kurfiirstliche Käthe, denen die ausgesetzten Lehrergeliälter zu hoch
erscheinen mochten. Da schneb ln44 Mecum eine präclitige Satire
auf sie, ein Sendsclireibeu an die kurfürstlichen Käthe „von der wol-
riechendeu köstliclien Salbe, damit Maria den Herrn zu Bethania
gesalbt, wozu .ludas der Verrätlier scheel gesehen**. Was aber die
Hauptsache wai-, der Widerstand wurde besiegt und in demselben
Jahre sogar eine erste vollständige Kirchen- und Schulordnung vom
Kmfflrsten erlassen, die man nicht mit Unrecht als die Grundlage
des Qothaer und vielleicht des ganzen Thüringer Kirchen- and Schal*
Wesens bezeichnen kann. Sie findet sich in Bndolphi's bekanntem
Bache Gotha Diplomatica, Thefl I, Seite 152 ff. abgecbrockt.
Der wesentliche Fortschritt in der neaen Schalordnong war Ar
Gotha die Bestimmang, dass non das ganze Aognstinerkloster mit
Banlichkeiten and Hof ansschliefilich zu Schalzwecken dienen sollte.
In demselben befanden sich nicht nor die Lehrzimmer, sondern aaeh
noch die Dienstwohnnngen des Bectors, der Lehrer, des Ökonomen
und die Räume f&r das Alnmnat Standen aber diese Zimmer den
„Gesellen" nicht an oder waren sie für Verheiratete vielleicht za
beschränkt, so mussten diese sich selbst mit „Herbergen" versehen.
Die Zahl der Lehrer war noch um einen vermehrt worden, so dass
es außer dem Rector und Cantor einen Ober^ und Unterlehrer gab.
Für die Besoldung ist charakteristisch, dass Natuialobjecte auftraten.
Der Rector empfing 80 fl. bar, demnach schon 2U 11. mehr als vordem,
ja, wenn „alle Klosterlehen heimfallen würden", sollten 1<><» t\. voll-
gemacht werden. Außerdem erhielt er ö Erfurter Malter Korn. 2 Er-
furter Maltei- (4«'i-ste. 1 Kil'urtei- Malter Hafer und 15 Schock Ge])und
Keisigholz. l)er Ober-Baccalaureus erhielt 50 ti. bar, H Srliock (i!e-
bundholz und 1 Erfurter Malter Korn, der Baccalaureus inhinus noch
10 fl. weniger.
Uber ^\'ahlmodus und Kündigung wurde festgesetzt, dass den
Rector der regierende Bürgermeister mit drei „Kathsfreunden", dann
der Schlossprediger, der Stadtpfarrer und die drei Diaconi zu wählen
hätten. Weltliche und geistliche Stimmen :»tanden dabei also wie 4
za 5. Der Bewerber musste auf der knrfärstlichen Universität Witten-
berg stodirt and die Msgisterwflrde erlangt haben. Die Bestätigung
ertheilte^ nach eingeholtem Berichte seitens der üniversitAt, der Kar*
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füret selbstv „Würde mit dem Schalmeister eine Ändemng vorza-
nehmen sein, so solle ihm dies, damit der Schuldienst keine Störung
erleidet «in ganzes oder halbes Jahr vorher angezeigt werden; was
auch er zu beobachten hat-» im Falle er auf seinei- Stelle nicht bleiben
will." Die Lehrer wurden vom Eector, Superintendenten und Bürger-
meister gewälilt und hatten vierteljährliche Kündigung, Als Auf-
sicht.sbehürde über die Schule fun^^'irte eine Art Kuratorium, zu welchem
außer dem Bürgermeister und SuperiTitendenten noch der Schlosshaupt-
mann und der „Schösser" gehörten. Hier war also die geistliche
Vertretuns: in der Mindci-zald.
Alle diese Einrichtungen verdaukte die Schule der unermüdlichen
Thätigkeit des Mycituius. der, als er kurz vor seinem Hinscheiden
einen Abschiedsbriel ua den ilim allzeit gewogenen Kurfürsten richtete,
in demselben schreiben konnte, er empfehle „aufs alleruntertlianigste
und fleißigste" diesem besonders die Schule. Sie sei „wie ein liosen-
gärtlein und Würzgarten Gottes".
Diese feste Grundlage trag in der Folge wesentlich zur weiteren
gedeihlichen Entwicklung des Gothaer Schulwesens bei. Eine seiner
Glanzzeiten war diejenige unter Andreas Reyher, als vornehme Eltern
ans ganz Norddentsehland ihre Söhne auf daa gothaische Gymnasium
sandten und ein Angost Hermann Francke aus demselben hervorging.
Noch immer waren es aber die Klosterrftnme des Myconius, welche
die Anstalt umschlossen , im Lanfe des Jahrhunderts freilieh so ban-
fiUlig geworden, dass Beyher hftoflg genng Klage dartlber führte.
Daher war es hauptsächlich der Geist» welcher in diesen Bäumen
weiter wirkte und den schon der Praeceptor Geimaniae belobt hatte,
als er dem SchCpfer dee Werkes, Myconius, auch namens der Witten-
berger Universität amtlich für dessen großen Eifer dankte. Universi-
täten und gelehrte Schulen erfreuten sich aber damals des besonderen
Wolwollens der evangelischen Ffiraten nicht ohne tieferen Grund.
Sie waren die geistigen Rüstkammern, aus [denen jene sich ihre nie
rostenden Waöen, und die Kasernen, aus denen sie sich ihre allzeit
gewappneten Streiter holten. ^ Luther mit seinem scharfen Blicke er-
kannte dies vorzugsweise. „Lasset uns das gesagt sein"*, Uußerte er
sich, „dass wir das P^vangelium nicht wol werden erlialten kfuinen
ohne die Sprachen. Die Sprachen sind die Scheiden, darinnen dies
Messer des Geistes stecket. Sie sind der Schrein, dai inneii man dies
Kleinod traget. Sie sind das Getaß, darinnen man diesen Trank fasset,
Sie sind die Kauinier, darinnen diese Speise lieget."
Jetluch ein Luther, ein Myconius und überhaupt die Geisteshelden
riid:tgo;^iiiia. I I. Jabrg. Oeft VIII. 36
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der damaligen Zeit sahen doch noch weiter. Nicht nur auf die
gelehrten Kreise sollte die ßildunj? l)e.<cliränkt bleiben, sie sollte, wie
wir aus des Thüringer Reformators Wirken nicht minder ersehen
haben, in alle Schichten des Volkes dringen. Und auch in dieser
Beziehung hatte Myconius die schönsten Erfolge zu verzeichnen. In
seiner Keformationsgeschichte konnte schon 1542 dieser Freond seiner
größten Zeitgenonen sagen, dafls in Thüringen nun jede Stadt ihre
ordentliche Sehnte habe, ein ftr die Mitte des sechzehnten Jahr*
hunderte sehr beachtenswertes Ergebnis.
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Die Reform und die Stellung unserer Schulen
Bin B«fent von JMmtM NengthvMiiiirKroniMtt tu SidmMlirgtn.
nter diesem Titel hat Friedrich P^duard Beneke als Professor
an der Universität in Berlin im st lu m bewegten Jahre 1848 im Verlag
von E. S. Mittler &, Sohn ein philosophisches Votum herausgegeben,
welches aucli heute noch bei den so vielfach amstrittenen ätreitfrageu
über die Schule Beachtung verdient.*)
Es war ihm dabei darum zu thun, „einige Punkte, welche mau
jedenfalls als Leuchtpunkte im Gesicht behalten muss, wenn man sich
nicht gefährlich verirren will, und die man gleichwol ueuerlicli aus
den Augen verloren hat, als solche vermöge einer tieferen vrissen-
schaftlichen Nachweisung entschieden festzusteUen".
Auf diese „Lenchtpunkte" hinzuweisen, ist die Anijptbe der
folgenden AnssOge ans dem oben genannten 76 Seiten nmftssenden
Schnftchen.
1) Die Geistesentwicklnngen und Talente, welche snm Einreißen
drftngen und beflUiigen, sind ihrer ganaen inneren Organisation nach
so verschieden von den aum Aufbau erforderlichen, dass es beinah an
Unmöglichkeit grenzt, dass sidi beide in demselben Individuum, und
dass sie sich bei einem Volke zu derselben Zeit zusammenflnden
sollten.
2) Alle Einrichtangen und Formen sind ohne Verläse, wenn nicht
beseelend und maßgebend der rechte Qeist zu denselben hinzukommt
Dies gilt, wie von den politischen, so auch von den socialen Keformen.
Es ist sehr erfreulich und lobenswert, dass man das Los der körper-
lich arbeitendeu Classen in der neueren Zeit zum Gegenstande einer
*) Gewifls, stelleaweiM jedoch cum giano salis, O.
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nur zu lange aufgeschobenen Aufmerksamkeit gemacht und mit wanner
Menschenliebe zu verbessern sich bemüht hat. Aber verdoppelt ihnen
ihren Lohn und schafft ihnen noch mehr Muße, als sie schon gegen-
wärt ijr liaben: wenn ihr ihnen nicht Gele<?eiiheit, Aufforderung und
vor allem Trieb zu geben im Stande seid, die in dieser Weise ge-
wonnenen Mittel für ihre individuelle, gemiithliche, moralische Bildung
anzuwenden, wenn sie ihren Erwerb (wie hiervon nur zu viele Er-
fahrungen vorliegen) im Dienste des Lasters vergeuden: so habt ilu-
dadurch nicht einmal ihr äußeres Wolergehen und Wolbefinden
grefördert. Alle Bemühungen dieser Art also gewönnen erst die
rechte Si(;lierlieit des Erfolges und die rechte Weihe, wenn dazu noch
andere hinzukommen: die auf die Hebung der Volksbildung ge-
richteten.
3) Einigen Berufsgattungen ist die Anffassung, die Benrtheilimg
die Behandlung der Seelen weit, andern die Anfifassong, die Be-
nrtlieflnng, die Bebuidlung der materiellen Welt als Aufgabe
gestellt
Der Geistliche^ als Eanselredner, als Katechet als Seelsorger, der
Bichter nnd der Sachwalter, indem sie, dem vom Bechte Abgewiehenen
gegenüber, die reehtlich normale Gfestaltnng der Lebensyerhiltnisse
rqirftsentiren nnd znr WirUichfceit bringen, der Gesetzgeber nnd der
irgendwie sonst an der Begiening Betheiligte, dieLehrer aller dessen etc.
haben es ndt der Seelenwelt za thnn; der Landwirt, der Fabrikant
nnd die mit diesen in gleicher Linie Stdienden, mögen sie immerhin
die nm&ssendsten nnd höchsten Naturgesetze fftr die Begelung nnd
Vervollkommnnng ihrer Bemfisthätigkeit zur Anwendung bringen,
haben die materielle Welt zum Gegenstand wie ihrer löblichen, so
andi ihrar geistigen Wirksamkeit. Und wol zn merken: nicht nnr
dass diese beiden Welten den Vorstellungen nach dui-chans von-
einander verschieden sind, so dass, mit Ausnahme weniger, auf sehr
großer Höhe der Abstraction liegender, keine einzige Vor-
stellung beiden gemeinsam ist: sie liegen ebenso auch den Geistes-
kräften, den Talenten nach außer einander, so dass (wir müssen
dies mit der größten Eiitsoliiedenlieit und Schärfe aussprechen) keine
einzige Geisteskraft, kein einziges Talent, welche für die
AuffassuHir. die Beurtheilung, die Behandlung der einen
Welt geeignet sind, zugleich auch für die der andern be-
fähigen.
4) Gesetzt, wir haben einem Schüler Tausende von Natur-
producten gezeigt, haben ihn in der Auffassung derselben geübt,
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haben diese Auffassungen im Verhältnis der Glei('iiartigkeit zusammen-
gebracht und durch deren Verschmelzungen Begrift'e, sowie durch die
Hinzunalime dieser ReorrUfe zu neuen Auffassungen Urtheile und
Schlüsse bilden lassen; wir haben ihn ferner aufmerksam gemacht auf
die ursächlichen Beziehungen zwischen den Naturerfolgen, und nach-
dem auch diese zur Auffassung gebracht worden sind, damit Be-
gehrungen in Verbindung gesetzt, durch deren Hinzutreten die
€ausali-eihen in Zweck- und Mittelreihen, und wo mehrere zar Aus-
wahl vorlagen, in Überlegungen umgewandelt wwden Rind, ün-
, streitig sind dnrdi dieee GomUnatioiieii aieht Mob Acte, «mdem aaeh
Kräfte Ton diesen höheren Bildungsformoi gewonnen worden. Aber
man frage sich nun: wird wol, Termöge der hierdmch gewonneaen
Anf&ssong»-, Verstandes-, ürtheils-, ÜberlegangsyermOgen der so ge-
bildete Junge Mensch anch Gernttthsheweguigen, Entschlflsse, Charaktere,
Lebensverhältnisse Tollkommener aoftoflunen, an begreifen, zu be-
nrtbeilen, in Überlegung an nehmen im Stande sein? Mag ich mir
noch so aahlreiche and vollkommene Begriffe nnd Begriifökittfte von
Pflanzen, von Mineralien, von physikalischen oder chemischen Processen
erworben haben: ich werde hierdnrch nicht im mindesten befilhigt,
einen menschlichen Charakter besser zu verstehen, als derjenige, wel-
cher diese Begriffe und Begriffskräfte nicht erworben hat. — Die
Bildung aller Geisteskräfte reicht jedesmal nnr so weit,
«Is der Bewnsstseinsinhalt desjenigen reicht, an welchem sie
erworben worden sind, als dieser in dem nun als Aufgabe Gestellten
entweder der gleiche, oder doch so weit ein ähnlicher ist, dass
das Frühere theihveise in die neuen Acte als Grundlage (oder Kraft)
eingehen kann. — Durch die Naturwissenschaften können
keineswegs die Kräfte gebildet werden, welcher derjenige
bedarf, dessen künftiger Beruf auf der Seite der Seelen-
welt liegt.
5) Es muss Unterrichtsanstalten geben, welche für die Wirksam-
keit auf die materielle Welt befähigen und dies dadurch en*eichen,
dass sie die Naturwissenschaften (und die Mathematik in der
Richtung zu diesen hin) zur Hauptgrundlage des Unterrichtes machen.
Diese Unterrichtsaustaltcn müssen durchaus selbstständig hin-
gestellt werden. Aber diesen ünterrichtsanstalten gegenüber muss es
dann andere geben, welche fttr die Wirksamkeit auf die Seelenwelt
befthigen; und fOr diese ünterrichtaanstalten kOnnen jene ebenso
wenig als Äquivalente eintreten.
6) Die Sprache ist dnrch nnd dorch Reflex von Seelen-
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prodncten. Jedes Wort bezeichnet einen Begriff (eine Zusanimen-
fassung von mehrerem Besondern, auf welches er zugleich anwendbar
istj ebenso jede Form; und dieser letzteren liegen außerdem noch,
in reicher Muudgftiltigkeit, Combinatloneii oder Besleliiingeii
anderer Art zom Gnmde. So von dem am meisten Elementarischen
bis zu den höchsten dichterischen, geschichtlichen, philosophischen etc,
Werken; und wie in Betreff der Oeistesprodncte des einsetaken
Menschen, so in Betreff ganzer Völker und Zeiten. Indem w nun
die SprachdarsteUiingen anibehmen, nehmen wir mehr oder weniger
amdi die Seelenprodaete auf, welche diesen änSeren Reflexen als
ihr Inneres zom Gnmde liegen; und Tennöge der inneren Fortezistenz
der in dieser Weise angeeigneten Gombinationen werden zugleich
unsere Anffassungskr&fte, Verstandeskräfte etc in dieser
Bichtang fortgebildet.
7) Die Geeammtheit der Seelenproducte macht die Seelenwelt
ans, und je ausgedehnter und mannigfaltiger wir, vermöge der Sprach-
darsteUungen, die ihnen zum Grunde liegenden Seelenproducte zur
Aneignung und Verarbeitung bringen , um desto ausgedehnter und
mannigfaltiger erzeugen wir in dem Schüler die Talente, welche für
die Auffassung und Behandlung der Seelen weit erfordert werden. Für
denjenigen also, der sich dies anscliaulich freniacht liat und Avelchem
dabei der unendliche Reichthum der Seelenwelt und der inneren Or-
ganisation ihrer Bestandtheile klar vor Augen liegt, kann es kaum
etwas Lächerlicheres und AVidersinnigeres geben, als den bekannten
Spracligebrauch , welcher, den Naturwissenschaften gegenüber, als
UnterrichtsgegenstÄnden, die es mit „Kealien" oder „Sachen" zu thun
hätten, den Sprachunterricht als auf „bloße Namen und Formen"
gehend bezeichnet. Von „Namen" und von „Woitformen " kann da,
■wo der Sprachunterricht in öifentlichen Lehranstalten seiner wahren
Bestimmung gem&ft ertheilt wird, nicht im entlerutesten die Bede
sein (? D.)
Um „FormeD** handelt es sich allerdings, aber um Seelenformen»
ganz in derselben Welse wie es sich ja auch in den gewöhnlich se-
genannten Natorwissenschaften durch und durch um Formen (Bil-
dungsformen) des Materiellen handelt Wie nun diese letzteren
Formen zugleich die zu erlernenden Sachen sind, und welche da-
durch, dass sie eriemt worden, zugleich zur Behandhing dieser Sachen
in den Stand setzen, ebenso auch auf der Seite des Sprachuntenichts.
Die Formen, mit welcher dieser zu thun hat, sfaid Seelensachen, und
diese sind vollkommen ebenso viel, wie die Sachen, aus welchen
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die materielle Welt besteht, dabei wertvoller und (was uns hier
vorzüglich angeht) die rechten Sachen, an denen allein die Geistes-
kräfte derjenigen, welche sa Seelsorgern, zn Richtern, zn Staats-
miauieni ete. besünuiit sind, die flmeB angemesBene methodiscbe Übung
ukd St&rknng erhalten kOnnen.
8) Nicht nnr mfissen wir yerlangen, dass es fortwährend Untei^
richtaanstalten gehe, in welchen die AnshUdnng ftr die Behandlung
der Seelenwelt als die üherwiegende ins Ange gefosst werde, sondern
auch dass die in dieser Bichtang sn bildenden Schaler schon früh
von den flbrigen gesondert werden (? D.), damit wir den be-
aeichneten Bfldnngssweck mit voller Entschiedenheit und in
stetiger Spannnng zn verfolgen im Stande seien.
9) Man hat nnter den vielen Emancipationen anch schon mehrfach
die Emancipation vom Sprachunterricht, und namentlich von den alten
Sprachen verkttndigt: indem durch die fortschreitende Cultur, welcher
jener Umschwung gewissermaßen das Siegel aufgedrückt, dem Menschen
die wirkliche Welt so entschieden näher gerückt sei, dass dahinter
die Beschäftigung mit den Sprachen zurücktreten müsse. Aber wir
müssen entschieden das Gegentlieil behaupten. Mögen die Aufgaben
der materiellen Welt gegenüber (denn diese meinen doch die Ver-
fechter jener Ansiclit, indem sie überhaupt von der „wirklichen Welt*'
reden) in der neuern Zeit noch so sehr gesteigert sein: die der Seelen-
welt gegenüber vorliegenden Aufgaben sind jedenfalls, und namentlich
infolge des neuerlichen politischen Umschwungs, nocli ungleich mehr
gesteigert. Konnte man als Seelsorger, als Lehrer, als Richter etc.
bisher, wo es sich gewissermaßen nur um eine gleiclnnäßige
Wiederholung der Vergangenheit handelte, unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen allenfalls mit bloßen instinctartigen Aufl'ai«sungen und An-
wendungen auskommen: so ist den ohne allen Vergleich sichwierigeren
Aufgaben der Gegenwart nnd Zukunft gegenüber auch eine ungleich
ansgedehatere, klarere nnd bestimmtere Auffassung und Anwendung
eiforderlich. Eine methodische Yerinnerlichung nnd Ver-
geistig ung des Sprachunterrichtes also, sowie der übrigen, gleich
ihm anf die Seelenwelt sich beziehenden, d. h. des Unterrichts in der
Moral und Religion, nnd des ünterrichts in der Geschichte von
seUier inneren Sdte, in lebendig gegliederter AbstoAing so eingerichtet,
dass die Besehiflignng mit den Sachen zn^^eich die vollkommenste
Bildung der Kräfte oder Talente ergibt, ist in der gegenwärtigen
Zeit recht eigentlich das Eine, was noth that
10) In den fHkhesten Zeiten nahm die materielle Welt, theUs
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— 500 —
in feindlichem Andrängen, tlieÜB von Seiten der anf sie gerichteten
Bedfirfiiisse, fortwährend ttbermftchtig den Menschen in Anspruch.
Bamais also mnssten ihr gegenüber alle Menschen Streiter nnd
Arbeiter sein, nnd dagegen war die Wirksamkeit anf die Seelenwelt
Sache sehr weniger. Diese letastere reichte kanm Aber die Priester
nnd die Philosophen hinaus, so dass sich auch die fifldong daflir anf
die engen Grenzen der Priester- und der Philosophenschnlen beschrSn-
ken konnte nnd mnsste. Wie nnn in der gegenwärtigen Zeit? —
Unstreitig hat sich das Verhältnis umgekehrt Infolge der ungleich
günstigeren Stellung, welche der Mensch der äußeren Natar gegen-
über gewonnen, nnd der hierdurch möglich und angemessen gewor-
denen vielfachen Theilung der Arbeit, kann jetzt eine nicht unbedeu-
tende Anzahl yon Menschen, im Interesse der höheren Geistesbildung,
von der ge^en und auf die materielle Welt gerichteten Thätigkeit
gänzlich entbunden werden. Dem ßfeja^enüber hat sich in Betreff der
Seelenwelt immer mehr und mehr die Forderung herausgestellt, dass
von jedem eine gewisse geistige Selbstständigkeit er-
worben werde: entschieden in Betreff des Moralischen und Keli-
giösen, damit er sich in Hinsicht dieser höchsten und heiligten In-
teressen eine eigene ( berzeugung zu bilden im Stande sei, aber
auch in Betreff des Intellectuellen. Auch für die niedrigsten Volks-
schulen also müssen wir verlangen, dass der Unterricht in der Sprache
und in der Religion nicht blos für ein äußerlich kümmerliches An-
lerueu, sondern gei st bildend ertheilt werde, d. h. Kräfte bildend für
die Auffassung, das Autl)ehaltcn, das Verständnis, die Beurtheilung
des Geistigen. Und so ist denn gegenwärtig die Aufgabe der Be-
fähigung für die Seelenwelt keineswegs auf einzelne Gattungen von
Schulen beschränkt, sondern eine ganz allgemeine.
11. Macht Ml die Bildung iOr die Seelenwelt Ar alle Kinder
nnd also auch für alle Schulen unabweisbar geltend, so veisteht
sich auf der andern Seite von selbst, dass auch deigeiiigen, welche
vorsugsweise für die Wirksamkeit anf die- geistige Welt bestimmt sind,
dessenungeachtet die materielle Welt nicht ftemd bleiben darf: dass
yiehnehr schon während der Sdiulzeit auch in ihnen die Kräfte fttr
deren Auffassung und Beurtheilung anssubilden und überdies die
Fähigkeit und die Neigung zu entwickehi sind, die Ausbildung dieser
Kräfte später setbstttiätig zu erweitem und zu vervollkommnen.
12. Durch das Hereinziehen der alten Sprachen und der alten
Geistesbildung überhaupt in den Gymnasialunterricht wird der üattj^
Sache nach zweierlei bezweckt: dass der Blick des jungen Mannes
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— ÖOl —
erweitert werde zur Universalität des Musterhaften welches das
menschliche Gesclilerhr in allen Richtungen des geistigen Schattens
hervorzubringen im Stande gewesen ist, und dass ihm, weil er selbst
für ein Schatten dieser Art berufen ist, die tiefsten Grundgesetze
und Grundformen der seelischen Naturentwicklung aufgedeckt
werden. Denn auch hier gehorcht die Natur dem Menschen nur,
wenn er zuvor auf die Natur gehorcht, dieser ihre Bilduugsgesetze
abgehorcht hat. Beide Zwecke können natürlich während des ganzen
Jngendnnterrichtes nur in beschränktem Maße erreicht werden; aber
die yoUkommenere Erreichnng derselben Irt so fM als mOgUeh Tor-
znbereiten: tiiells ▼<m Seiten der intellectnellea Befthigung dam nnd
theils indem wir lebendige Triebe zu späterer selbstständiger Foit-
fthrung dieser Bfldaog begründen. Dies sind die Hanptanfgaben Ittr
das Gymnasium, nnd sie sind im ailgemeinen nicht sn IQsen, ohne
die Griechen nnd BOmer. Der Charakter des Mnsterhaften in
diesen ist so allgemein anerkannt, dass diese Anerkenntnis selbst in
den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, welcher ihre
Werke als die „Glassiker*' im engeren Sinne dieses Wortes bezeich-
net. Aber in Betreff der zweiten bezeichneten Aufgabe hat man die
Nothwendigkeit, zu den Alten znrttckzugehen, in Zweifel gestellt;
diesOT Aufgabe durch die neueren Sprachen ebensowol genügen zu
können geglaubt. Man hat sich in dieser Hinsicht namentlich darauf
berufen, dass ja doch die Alten selbst keine alten Sprachen
gehabt hätten. Hierauf ist nun zu erwidern, dass sie dessen eben
deshalb nicht bedurften, weil sie ihre Sprachen, ihre Bildung hatten,
welche infolge ihres naiveren (nativereni, eleineutarisch-durohsichtigen
Charakters ein weiteres Zurückgehen zu einem mehr Elementarischen
unnöthig machten, so dass ihnen also die Auffassungen und die Kräfte,
auf welche es für die bezeichnete Lebensaufgabe ankommt, ohne
weitere Vermittelung zuwuchsen. Die ihnen in dieser Weise zu-
wachs(;nden Anschauungen und Kräfte reichten aus tür die ungleich
einfacheren religiösen, juridischen, didaktischen, politischen Verhältnisse,
welche ihnen zur \\'ürdigung und Behandlung vorlagen. Unsere zu-
sammengesetzteren und verwickeiteren Verhältnisse dagegen fordern
eine mehr vermittelte, in längerer Keilieufolge fortgeführte Vorbildung;
und dem parallel, ist alles, was hierf ür die modernen Sprachen, nnd
die moderne Bildung überhaupt, als Hilfsmittel darbieten, Ton einem
zn weit Torliegenden, zusammengesetzten, Torwickelten,
nnd dabei Yon einem zu reflectirten Charakter, als dass sich die
Sehfller unmittelbar lebendig und yollstfindig hineinznilnden im Stande
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— 602 —
wären. Wir müssen also für die Jugend jene elementarisch -durch-
sichtigere BiUluDg voranschicken, ganz in Einstimmung damit, dass
sie die classische Jugendbildung der Menschheit gewesen ist;
die Bildung, durch welche hindurch allein die Menschheit im Stande
war, sich zu der männlich-reiferen Bildung m erheben, deren wir
uns gegenwirtig sa «rfrenea haben.
13) Nicht auf das Äußere der Sprache oder der Literator kommt
es an, sondern auf deren geistige Grundlage, oder bestimmter, auf
die Anschauungen, BegriiFe, Urtheile, Schlüsse und sonstigen Com-
binationeD, welche diese von dem Seelischen darbieten, und auf die
hierdurch zu erwerbenden Talente. Die moderne Bildung ist weit
umfassender, reicher, tiefer durchgebildet, in Betreff der Seelen-
welt in noch höherem MaBe als in Betreff der materiellen Welt,
auf weiche letztere zuweQen die m warmen Verehrer des Alterthums
den Vorzug der neueren Bildung haben beschränken wollen. Aber
gerade weil die moderne Bildung ungleich umfassender, reicher, tiefer
durchgebildet ist, dürfen wir für diejenigen, welche, um zur Be-
herrschung der Seelenwelt befähigt zu werden, dieselbe gr&ndlicber
erfassen sollen, nicht mit ihr den An&ng machen, sondern mttssen die
Beschäftigung mit jener enger begrenzten, weniger reichen,
weniger tief durchgearbeiteten Bildung vorangehen lassen.
14) Die größte Beschränkung des seelischen Gesichtskreises
haben wir bei der Volksschule. Die Lebensaufgabe der in ihr Zu-
bildenden geht ja zunächst und der Hauptsache nach auf die Behand-
lung der körperlichen Welt durch das in ihnen Körperliche.
Daneben sollen auch sie allerdings zur Auffassung, Würdigung und
Behandlung der Seelenwelt befähigt werden. Aber was wir ihnen in
dieser Beziehung als Aufgabe stellen können und müssen, bleibt doch
jedenfalls innerhalb des eigenen Volkes beschränkt. Auch in dieser
letzteren Beziehung fordert ihre Bildung weder alte Sprachen, noch
neuere fremde , sondern sie hat sich auf die geistigen Grundlagen der
Muttersprache, der vaterländischen Geschichte, der (um es so
zu bezeichnen) angeerbten moralischen und religiösen Gemeinschaft
zu beschränken.
15) Die Beruftgattungen, auf welche die höhere Bürgerschule
vorbereiten soll, gehoiebenfiidls auf die Behandlung derftufieren Natur,
aber auf ihre Behandlung, nicht, wie bei den in der Volksschule Zu-
bildenden, durch das in dem Menschen EOiperliehe, üi Verbindung mit
den einfacheren Überlegungen, wie sie sich dieser Thfttigkeit mehr
oder weniger von selbst anschliefien, sondern durch das in dem
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— 503 —
Menschen Geistige, oder auf der Grandlagc einer tieferen Erfassung
und Anwendung der Entwickliiiigsgresetze dieser Natur. Sollen die
diesen Berufsgattungen Bestimmten hierfür wahrhaft betähifjt werden,
so müssen sie, der materiellen \Velt gegenüber, auf einen bedeutenden
geistigen Höhepunkt gestellt werden, und zugleich ist es, sowol im
Interesse der Vorbereitung zu diesem Berufe als im Interesse der
späteren Anwendung, höchst wünschenswert, ja bis zu einem gewissen
Grade nothwendig, dass sie über die Grenzen des einzelnen
Volkes liinausgerückt, dass sie in die Gemeinschaft und den Ver-
kehr mit den übrigen neueren Völkern eingeführt werden, welche
sich in der Erforschung und Beherrschung der äußeren Natur besonders
hervorgethan haben. Sie müssen deren Bildung, zunächst inwiefern
sie ihren Beraf angeht, sieh m eigoi m maehen in den Stand ge-
setst werden; dann aber auch, hierllber hinaus, wie weit es erfordert
wird, nm fBr ihre ganze Bildimg den Um&ng und die Einheit su ge-
winnen, welehe dieselbe allein za einer wolorganisirten machen nnd
für ihren Bestand Gewfthr leisten kann.
16) Die Sdinle and die Kirche znsammengenommen nmfassen das
gesannnte geistige Fortschreiten des menschlichen Geschlechts (auch
für den Staat ist das seinige znletzt durch das Hinfiberwirken von
ihnen her bedingt); nnd das, bald mehr in dnnkler.Ahnnng, bald mehr
klar-bestimmt ausgebildete Bewusstsein hiervon ist es, was sie znVer-
bfindeten von jeher gemacht hat nnd, solange das menschlidie Oe-
schlecht geistig fortschreitet, auch fernerhin machen wird.
17) Man [soll nicht zu viel Gesetze geben, nicht zu viel re-
gieren, nicht zu viel Aufsicht üben wollen. Wo das Kecbte ohne
dies geschieht, ans freiem, lebendigem Triebe heraas, da ist es jeden-
falls besser.
18) Eins der heiligsten Rechte ist dasjenige, welches der Einzelne,
und ebenso die Stadt, die Landschaft etc. auf ihre Individualität
haben, wie weit sich dieselbe innerlialb des Rechten ausgebildet hat.
Die wahre Freiheit ist Unabhängigkeit, nicht ein ungehöriges
Beherrschen anderer, indem man die Minorität einer oft zufällig
oder auch hinterlistig gebildeten Majorität unterwirft. Wird, durch
Zwang oder durch zufällige Fluctuationen der Stimmung, unter solchen
Umständen wirklicli eine Einrichtung allgemein festgestellt, so findet
man sich unwol in dem Kleide, welches nicht passt: vielleicht alle
zugleich;^ und dann wird so lange hin und her gezogen und gezerrt,
bis das Kleid zerrissen ist.
Bie Yerhfiltnisse gegen Ende unseres Jahrhunderts scheinen denen
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— 504
gegen die Mitte desselben immer ähnlicher zu werden. Das Drängen
und Treiben auf dem socialen Gebiet im allgemeinen und auf dem
Oebiet des Schulwesens im besondern wird immer gewaltiger und be-
ängstigender. Da thut es denn doppelt noth, sich nach Leitsternen
umzusehen, damit man nicht ganz abii-re vom rechten Wege. Ein
solcher Leitstern ist das philosophische Votum Beneke's. Wenn auch
nur einige der Männer, welche bei der Reform unserer Schulen mit-
zimtbfin and mitmthaten berufen sind, durch die mitgetheilten Ans-
zttge aof dieses Votiini anfinerksam gemacht, deh dadnreh za ent-
aprechendem Thm bewogen fühlen, so ist die geringe Mflhe der Ter^
^ifentUchimg dieser „Leachtpunicte'' reichlich belohnt.
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Gedaikeii filier das nnreraeidlielie Thema: „l^r SeeialiSBo»
und die Yolkssebiile^
an bat sich allmählich gewöhnt; dem geduldigen Aschenbrödel
„Volksschule'' alles in die Schuhe zu schieben, alles anfzubUrdeo.
Blicht irgendwo die meoschUebe Bestie in ihrar Sehreekensgestalt her-
yor; irissen die Zdtnngen yon Brutalitäten und Boheiten su berichten;
nehmen Venintreaangen, Fftlschnngen, Unterschlagungen Überhand;
-will die Sittlichkeit etwas mehr in die Brftche gehen, als es sich mit
den ohnehin genügend liberalen Anschammgen der „Ghsellschaft'' yer*
trflgt; erhebt die rothe Internationale noch lanter ihren mord- nnd
branddrohenden Eampfesmf: da mft man nach der Volksschale. Sie
mnss der zonehmenden Verrohnng entgegentreten; de mass das Pflidit-
gefthl einpflanzen nnd aaenddien; sie nrass Zucht nnd gate Sitte
pflegen; sie mnss die Irreligiosität nnd Vaterlandslosigkeit bekämpfen;
sie mnss — ja, wer mag wissen, was die Volksschule noch alles
„soll* und -mnss'".
Augenblicklich steht die lichterloh brennende sociale Frage aof
der Tagesordnung. Hei ! wie sich die pädagogischen Federn rühren!
„Wie erzieht man zum Patriotismus? Was kann die Volksschule zur
Lösuno; der socialen Frag-e thun? Wie kann die Volksschule die
Classengegensätze abmindei n V - So und äbnlicli erscliallt es allerorten,
und die Lehrerschaft müht sich ehrlich ab, um das moderne Sphiiix-
räthsel zu lösen. Nun, die Volksschule in ihrer heutigen Organisation
als Standesschule ist wol überbaui)t nicht in der Lage, die Classen-
gegensätze abzumildern; sie ist vielmehr im Gegentlieil vortrefflich
geeignet, den Classenluiss sclion in die Kinderwelt hineinzutiagt.'ii und
den Standesunterscbied so recht schön ansdiaulich darzustellen. Das
hindert aber nicht, bei jeder Gelegenheit wieder das stereotype „Was
kann die Volksschule thun" gebürend zu beleuchten, sich allen
Ernstes darüber zu erhitzen, ob man der vaterlandslosen Socialdemo-
kratie wirksamer entgegenarbeite, wenn man die Weltgeschichte anf
den Kopf stelle nnd rückwSrts constroire. Dass die Schule ein djeet
der Partei- und Interessenpolitik geworden ist, das ist das grOfite
Von JB. St.
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— Ö06 —
Unglück, welches ihr widerfahren konnte. Immer neue Aufgaben
werden ihr zugeschoben, immer neue Forderungen an sie gestellt, die
zwar an sich allesammt in ihr Gebiet fallen, von denen aber jede
nach den jeweiligen Verhältnissen die wichtigste sein soll. Die Scliule
thut sicherlich ihre Pflicht und wird ihre Pflicht thun, man soll aber
nichts Unmögliches von ihr verlangen und nichts Unmögliches von
ihr erwarten. Sie kann die Irreligiosität und den Internationaütäten-
schwindel bekämpfen, aber nicht den Social ismus.
Im Grunde genommen handelt es sich in der Discussiou für und
"Wider den Socialismus um die beiden Streitfragen: -Individualismus
©der Collectivismus — Privatbesitz oder CoUectivbesitz der Productions-
mittel — fr&» Einzelproduction oder organisirte G^ammtproduction.
Alle Übrigen in die sociale Bewegung hinemgetragenen Streitfragen
sind nur indiTidneUe Meinnngea der jeweOigeii FUmr, und so sind
«nch die giftsprühenden Wntluuisbrflche mancher Socialdemokraten
gegen Beligion nnd Vateiland nur nSotjeetiTe Thorlieiten von Heiß*
epomen"*), nnr Beiwerk, nicht aber wesentliche, mit dem Sodalismne
nntrennbar yerbandene Bestandtheile. Solange sich die GeseUachaft
nicht über diese beiden wirtschaftlichen Ornndaitae endgütig aas-
«inandergesetet hat, werden auch der hnndertkOpÜgen Hydra immer
neue Köpfe an StsUe der abgeschlagenen nachwaehaen. Es liegt aof
der Hand, dass die Yolkaachnle mit diesem wirtschaftlichen Problem
nichts zu thun hat.**)
Aus dem Obengesagten geht hervor, dass die Socialdemokratie
nicht der Socialismus selbst, sondern nor der gegenwärtige Repräsen-
tant, die gegenwärtige Erscheinungsform desselben ist Man sollte
also in den pädagogischen Kampfartikeln wenigstens nicht allgemein
von dem doctrinären Socialismus reden, der an sich mit Religion und
Vaterland gar nichts zu thun hat, vielmehr ebensogut eine Wirt-
schattstlieorie darstellt wie jedes andere System der Nationalökonomie,
sondern man sollte sich correcter Weise nur gegen die atheistisch-
revolutionäre Socialdemoki'atie wenden.
*j Schäffic, Qiiiiitf'ssonz dos Sozialismus. - Auf diese Broscliilr-^ r ines licrufonon
Fachmannes muss hier anstatt einer tieferen Begrttndang obiger Sütze, die zu
Orientiniig «ber dieae
Frfigoii, über die das (jroße Publicum mitsammt der schreibenden und lehrenden
Pädagügenwelt mitunter noch tiehr naive VorätcUungen hat, sei noch „Bau des
socialen Körpers" von demselben Verf. empfohlen nebst dem umfassenden nationnl
Skonomiachen Werke: Miirlo , Organisation der Arbeit.
♦*) Etwas anderes ist es bei offenbar unrlcliti^en Behauptungen des Socialismus
•nf wirtschaftlichem (Jebiete, z. B. bei dem Satze: „Nur die Arbeit schafft Werte",
Wenaus dann der bertthmte Sats folgt: „Das Eigenthum (der Untemehmergewinn)
ist Diebstahl".
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— 607 —
AVer wagt es, die 6efö,hrlicbkeit dieser Partei zu verkennen?
£8 hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man hier nochmals die
zersetzende Wirkung des socialdemokratischen Materialismus nach-
weisen. Jawol, unser Volk zeigt einen erschreckenden religiösen und
moralischen Niederrang infolge der rücksichtslosen Agitation jener
„Volksbeglücker", und die Schule hat unzweifelhaft die heilige Pflicht,
diesem Niedergange entgegenzuarbeiten, wie und wo sie nur kann.
Man sollte sich aber um alles in der Welt nicht einbilden, damit den
Socialismus auszurotten.
Vielleicht aber die Socialdemokratie — ? Möglich! Es fragt sich
nur: Liegt die Zaubermacht der Socialdemokratie in ihrem aufdring-
* lieh laut verkündeten Atheismus uud Kosmopolitismus, oder hat sie
einen anderen Grund?
Freilich, den aberwitzigsten Ideen wohnt in gesellschaftlichen
Krisen eine d&monisch zwingende Macht inne, gegen welche Vemunft-
gründe genaa so vid anariebteii, wie efai papiemer FMtast gegen
hnnderttansend wolbediente Bi^onette; aber der letzte Gnmd des be-
Uemmenden Umsicligreifens der Socialdemokratie ist doch wo anders
za Sachen, nftmlich auf dem wirtschaftlichen Qebiete. Die Ifiss-
yerbftltnisse innerhalb der modernen Gesellschaft sind so unbestreitbar
und so angenfiUlig, die sodale Noth eines großen Theiles der arbeiten-
den Glasse ist so schreiend, dass es in der That wanderbar wftie,
wenn die hilfeversprechende Socialdemokratie keinen Anhang fSnde.
Dar Honger ist eine za reale Macht, vor der schließlich alles An-
erzogene nicht stand hAlt, welche die niedergehaltene Bestie aller
Beligion und allen Sittengesetaen zum Hohne entfesselt. Und dagegen
soll die Volksschule etwas ausrichten können? Gestehen wir es uns
nur ein: die Volksschule trägt selbst socialistisches Gepräge*), und
sie verfahrt rein socialistisch, wenn sie Speisungen armer Kinder ver-
anstaltet und das Schulgeld erlässt. Überhaupt weist selbst die negi-
rende Socialdemokratie so manchen presunden Gedanken auf, der aber
gewöhnlich erst dann Anerkennung ündet, wenn er vom Ministertische
aus officiell verkündet wird.
Die Socialdemokratie wäre bei weitem weniger getahrlich, fände
der Kampfruf der uimmersatten, zu Streik und Boykott jederzeit be-
reiten Schreier der Großstädte und Industriecentren nicht in der Menge
der ruhigeren Arbeiter der Landstädte und kleineren Industrieorte,
*) Die der Volksschule zugewiesenen Aufjpilwo, die Claflamgegeiiflätce abiu-
mildern, allen Kindern crieichc Bildiinir anzueignen, gleiche Liebe nisaweiaen u. 8. t,
haben allesammt socialistischen Cbarukter.
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— Ö08 —
und in den Krei.sen der untersten Beamten ein lautes Echo. Der
Hungerlolin aller dieser Leute steht meist im größten Missverhältnis
selbst gegen das Einkomnieii ilirer streikenden Collegen, sie vermögen
aber infolge ihrer isulirten J>tellung nicht niitziistreiken. Dafür liängen
sie often und heimlich der Socialdemokratie an und lassen sich nebst
vielen sonst liberalen Elementen selbst gegen ihre bessere Überzeugung
mit fortreiLien, weil sie nur von der Socialdeuinkratie Jiesserung ihrer
Lage erwarten. Ohne Zweifel hat der Socialismus und speciell die
Soeialdemokratie schon so manche alte Gepflogenheit, die sich längst
überlebt hatte, hinweggefegt; die Wirkung dieser radicalen Strömung
ist aber doch immer die des Scheidewassers auf das Eisen: Der Rost
wird unfehlbar beseitigt, aber auch das Eisen angefressen. Sicherlich
wird aber die Socialdemokratie so lange die Arbeiterachaft um sich
sammeln, solange sie die einzige Partei ist, welche die Arbeiter-
fürsorge als Seltetaweck anf ihre Fahnen geschrieben hat Es Mbt
nichts anderes ttbrig, als die Arbeiter dnrch die That eines Besseren
za belehren. Schafft ihnen das Minimum znm menschenwürdigen Da-
sein oder yersndit es wenigstens ohne Hintergedanken und ohne
egoistische Ansflflchte, sollte es auch noch so schwere Opfer kosten;
schafft ihnen eine ehrliche Vertretang, die auf dem Boden der Beligio-
sitftt nnd des Vaterlandes steht und auf die sie genau denselben An-
spruch haben wie der feudale Qroßgrondbesitzer, der Indnstriebaron,
der Kaufinann und der Bdrsenfttrst: dann whrd auch das Wort der
Volksschule ein größeres Gewicht erhslten, dann wird die rothe Inter-
nationale in kürze zum Popanz f&r Schwachköpfe und zum Horte der
immer nnd ewig unzufriedenen Scbreihftlse, der echten und rechten
Proletarier herabsinken.
Wird dann der Socialismns yerschwunden sein? Nein! Die Ver-
söhnung und Verschmelzung der nun einmal von Natur vorhandenen
Interessengegensätze der verschiedenen Volkskreise, die Milderung und
möglichste Ausgleichung der Classengegensätze, kurz, der Socialismns
in seiner reinsten (Gestalt gedacht, wird auch dann nocli nothwendig
vorhanden sein. Kampf wird es nach wie vor geben, und muss es
auch nach wie vor geben: denn nur aus dem Kann)fe der wider-
streitenden Ideen geht die relativ beste Wjüirheit hervor. Die abso-
lute Wahrheit ist für uns ^ienschen unerreichbar, und das zu unsenn
Glücke; sie würe der Tod alles Strebens und Ringens, der Tod der
Menschheit selbst. „Es irrt der Mensch, solang" er strebt ', und es
ist gut so.
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Sollen die LehrerbildangsanstalteB Internate oder £xternate
8ein?
Kiu Wort Diester\v(>p;s zur SemfnftTfrapp.
Mit Beziehung auf die Gegenwart laitgetlieilt von A. Steglich- Dreadm.
Die 29, Allgem. Deutsche Lehrerversammlang zu Mannheim
versuchte eine Antwort zu <,^ebeii auf die 1^'iage: Welche Anforderungen
stellt unsere Zeit an die Ausbildung der Volksschullehrer? (Vergl.
den Bericht im vor. Jahrg. des „Paedag.") Der IX. Deutsche Lehrer-
tag, welcher Pfingsten d. J. in Halle tagen wird, hat ebenfalls das
Thema: «Die Lehrerhfldung" anf seine Tagesordnung gesetzt In
Bflcksidit anf die stattgehabte nnd in Hinblick anf die demnächst
stattfindende dieser großen Yenammlnngen wird die Frage der Lehrer^
bildnng schon seit längerer Zeit in pädagogischen Versammlungen,
Zeitungen und Broschflren lebhaft besprochen. Und nicht nur in
Deutschland, sondetn auch in Österreich und der Schweiz beschäftigt <
man sich s. Z. viel mit diesem Gegenstande, der in einer Schrift sogar
als „eine sociale Frage" hingestellt worden.*)
Unter den Zeitschriften, weUhe in den letzten Monaten sich in
dieser Sache haben vernehmen lassen, sind u. a. die „Allgem. Deutsche
Lehrerzeitung" und das „Psedagoginm" zu nennen**); das Beiblatt der
^ Allgemeinen Deutschen Lehrerzeitung", der „Anzeiger für die neueste
pädap^ogische Literatur", hat im letzten Jahre eine Anzahl Schrift^
nber die Lehrerbildung namhaft gemacht.
Warum über die Lehrerbildung so viel zu sagen ist? Weil die
Frage als eine sehr coraplicirte sich darstellt, die wieder in so und
so viele Unterlagen zerfalltl Von diesen ist bekanntUch eine der
*) l^ect/; „Die Lehrerbildung, eine sociale Frafe." (Gh}tha 1891, Verlag von
Kmil Bchrend.) Eine inhaltMidie Schrift, die aUerdingi auch oft den Widenpnieh
des Lesers herausfordert.
*♦) „Allgem, D. Lchrcrzeituug" iLoipzitr, Klinkhardt\ Jahrg. 1891: Nr. 26! Nr.
43 (S. 416), Nr. 45 und 46! (S. 436, 438, 444, 445. i 1892: Nr. 1 iS. 8), Nr. 2
fg. — „Piedagogium", XIII. Jahrg. Heft 9—11. XIV. Jahrg. S. 60, S. 1 1 2. S. 129—130,.
S. 210. — S. ftrner: „Sächsische Schulseitniig'' (Leipzig, EJinkhardt), 1891, Nx. 2U
Fadagoglnt. 14. Jihff . Haft Tm. S6
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— 610 —
am meisten umstrittenen diese: Sollen die Anstalten für die
Lehrerbildung Internate (Convicte) oder sollen sie Externate
sein? Bei der Beantwortung dieser Frage scheiden sich die Päda-
gogen in zwei fast gleicli große. Heerlager; auf beiden Seiten werden
mit Eifer und Heftigkeit zahlieiclie Erfahrungs- und Autoritätsbeweise
ins Feld geführt. Wie lebhaft bei diesem Gegenstande die Geister
aufeinanderplatzen, hat man ans den Verhandlungen der 29. Allge-
meinen Deutsch«! Ldirenrersammlnng er&faren.*) Man wird es
auch aas den Debatten des IX. Dentsclien Lehrertages ersehen.
Zn den Antoritftten, auf welche sich viele Bedner nicht nngem
bemfiBn, gehSrt anstreitig Diesterweg, „ein Mann, der gewiss sach-
▼erstibidig war", wie Dr. Fr. Bartels, der jetzige Herausgeber der
„Bheinisohen Blätter", in Mannheim mit Becht sagte. Auch Herr
Dr. Eeferstein-Hambnrg berief sich .auf Diesterwegs Ansichten. In
der That moss es auch hente erwünscht sein, Diesterwegs ürtheil in
einer so wichtigen Frage zu hören. Freilich ist es schwer, des Alt-
meisters Ansichten über diesen Punkt zusammenzustellen, da sie aufler
in einigen Broschüi*en (Zur Lehrerbildung, Streitfragen auf dem Gebiete
der Pädagogik u. a.) in 40 Jahrgängen der „Rheinischen Blätter"
nnd 16 Jahrbüchern niedergelegt, diese literarischen Schätze aber
selten oder wol nie beisammen zu finden sind. Auch die Herren
Dr. Bartels und Dr. Keferstein haben in der Mannheimer Verhandlung
specielle Belegstellen für Diesterwegs Anschauungen nicht angeführt.
Vielleicht ist es daher den geehrten Lesern d. Bl. von Interesse,
wenigstens eine Aussprache des großen Lelirerbildners über die in
der Überschrift gestellte Frage zu. hören, gerade jetzt, wo über diese
Frage so lebhaft discutirt wird.
Wenn wir im naelifolgenden außer der Antwort auf die erhobene
Frage noch etliche Worte des berühmten Schulmannes mittheilen, so
geschieht es, weil dieselben zu dem fraglichen Gegenstande, wie er
z. B. in Nr. 26 und Nr. 45 u. 40 der „Allgemeinen Deutsnlien Lehrer-
zeitung" vom vorigen Jabre behandelt ist, in sehr naher Beziehung
stehen. In der Einleitung und Begründung des Artikels, der 1836
geschrieben ward, bietet uns Diester weg einige schuigeschichtliche
Ifittheilnngen, die ebenfidls nnyerk&rzt folgen mOgen, weil sie auch
heute noch nicht ohne Wert sind nnd sich zu manchen der darin an-
geführten Beispiele sogar Analogien finden lassen.
Die nachstehenden Ausführungen Diesterweg's sind zugleich eine
*) S. „Allgem. D. Ldueneitnng". 1801, Nr. 26!
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Beleuchtung des Aiifj^atzes im Junihefte (S. 590 — 595) des vorigen
Jahrganges vom „Piedagogium", wo es u. a. heißt: „. . . Dass diese
Anstalten (die Seminare) dann Externate und nicht Internate
sein müssen, ergibt sich von selbst. Am natürlichsten dürfte
«8 demnach erscheinen, die Seminare und Universitäten
möglichst in Verbindung zu bringen . . (Aus d. Großh. Hessen,
<a 694 fg.)
Der Artikel Diestorvegs lautet:
„Einiges ftber Seminarioi. Za geflUUger BerflckBicIttigang int
HolsteiiilBdifiii.« (1836.)
„In Diaemark scheuit man auf die Nothwendigkeit der Vennebrimg
der SdinUehrer-Seininarieii snrfiokinkommen. So viel nftmUeh Terlantet»
haben die Stinde deB Henogtimma Holstein einsHminig Ijesohloseeii,
Se. Uig. den EOnig am die WiederkerstellQng des holsteiniseiien
Schnlleiireneminars sa bitten. Die BegienmgscoUegien scheinen d|e*
■ selbe zu wünschen, das ganze Land wttnscht sie, und die Umstände
fordern sie. Man glaubt daher, die Bitte werde Allerhöchsten Ortes
gewährt werden. — Das ehemalige Seminar zu Kiel blOhte unter der
Leitung Müllers in dem letatoi Decennium des vorigen Jahrhunderts.
Zu Ende der 70er Jahre ward es gestiftet und zu der Stiftung des-
selben damals dem Könige von der schleswig-holsteinischen Ritter-
schaft ein Capital von 10 (XX) Rthlr. Schi. -Holst. Cour, geschenkt.
Der Staat vermehrte diesen Fonds mit 7000 Rthlr., und durch Rescript
vom 8. Mäi-z 1780 ward das Seminai- mit dem damals schon he-
Stehendon Muhlius'scheii W'aisenhaiise in Verbindung gesetzt. Durch
nachtheilige Gerüchte über den ^sittlichen und) religiösen Geist der
Anstalt, die von einer feindseligen Partei gierig aufgefasst wurden,
kam es zu Müllers Removirung, und unter Hermes und Gensichen
sank die Anstalt, in sittlicher Beziehung vornehmlich. Da erschien
1820 der Königl. Befehl zur allmälüichen Aufhebung des Seminars,
1823 wurden die letzten Zöglinge entlassen, und die Lehrer Gensichen
und Carstens, der Verfasser der yortreflnieiien Eatecheük, wurden mit
ihrem Tollen Gehalte pensionirt Carstens errichtete ein Priyatseminar
und erhielt bei der Benatznng des bisherigen Gebäudes die AnlSrieht
Uber das Waisenhaus; denn nach der Stiftongsacte mnsste das Seminar
für den ünterricfat der Waisenkinder sorgen. Seine Eleven irorden
auch befördert, wenn sie sich einer Prüfung am Tondem'schen Seminar
oder an der EckerafMer Normalsdiule vnterwaifen; doch waren, sfe
nicht» falls sie BanemsOhne waren, Tom IfUitärdienst frei wie. ^e
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— Ö12 —
Zöglinge in Tondern. Vor 5 Jahren ward dieses, welches bis dahin
unter Deckers Leitung stand und nach dessen Entlassung interimistisch
von Sorensen verwaltet wurde, reorganisirt. Vom Staate wurde Be-
deutendes bewilligt, prachtvolle Gebäude aufgefülirt, die Bür^j^orschule
vom Seminar getrennt und der bisherige Collaborator an der Gelehrten-
sclmle in 1^'lensburg, Bahnsen, zum ersten, der Lehrer an der Mädchen-
schule in Glückstadt, Diekmann, zum zweiten Lehrer berufen. Diese
Anstalt wurde aber nnr ftr 80 Zöglinge berechnet und enfllsst also
jAhrlidi 26—27, weldie Anzahl natftrlieh zur Beeetning selbst der
' gröfiemn SchnlsteUen in beiden HerzogthQmeni nicht hinreicht Anßer*
dem hat ein Seminar weit im Norden, wo man schon ISut nnr dlaisch
oder schlecht deatscb spricht, ftr die dentsehen flobteiner viel ün-
zntrSg^ea — Wenn mm- das holsteinische Seminar restitoirt wird:
so wird Uber mancherlei SVagen, wie man hOrt, in den B^giernngs-
coUegiea ein Zwiespalt sein. Einmal gibt es nfimlicb manche Stimmen
welche Kid nicht ftr den passenden Ort zn einem Schnllehrer^eminar
halten, weil sie von der Universität, dem Stodentenleben, dem Luxus,
den vielen (Megenheiten zu Vergnügungen üblen Einfluss ftrchten,
während andere von der Universität einen günstigen erwarten, andere
wiederum äußere Umstände für zwingend halten, dass z. B. das Ge-
schenk der Ritterschaft nur für ein Kieler Seminai* gegeben sei, dass
die Fonds desselben mit dem des Waisenhauses unzertrennlich ver-
schmolzen wären u. s. w. Noch andere wollen neben dem Haupt-
seminar kleine Privatanstalten bei Predigern errichtet und die Zöglinge
derselben für die ärmeren Dorfschulen bestimmt wissen.
Eine zweite Frage ist die: Sollen die Seminaristen in einem
Gebäude vereinigt werden, so dass sie darin Wohnung, Beköstigung,
kurz, alles finden, oder soll man sie bei den Bürgern der Stadt unter-
bringen? Zu letzterem scheint man sich aus dem Grunde hinzuneigen,
weil in dem Kieler Seminar, besonders in den letzten Zeiten seines
Bestehens, Gebrechen und Laster mancherlei Art eingerissen gewesen
sein sollen.
Diese Gegenstände seheinen wichtig genug, dass wir uns auf eine
kuze, gedrängte Beastwortong einlasBcn.
1. Wenn die Zahl tllditiger Schnlamtscandidaten nicht hinreicht,
die jährlich erledigten Stellen zu besetzen, so mnss man anf deren
sichere Vermehrong denken.
Es ist zwar gut, dass nicht jeder, der Schnllehrer werden will,
gezwangen werde, in ein Seminar emzntreten, aber als Begel mnss
es angenommen werden, weil nnr nnter sehr begünstigeaden Umständen
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513 —
tbk PriTatwhftltnis das leisten kann, irss eine Anstalt leistet Di»
Zabl der Zöglinge in Tondem nt Termehren, kann kein Sachkenner
ftr rathsam erklären. 70— 80 Zöglinge ist schon sehr viel, wenn* ein
jeder von den Lehrern individuell berücksichtigt und praktisch ans-
gebüdet ▼erden soll, auf welchen beiden Stücken der Wert eines
Seminars wesentlich beruht. Ist die Zahl der Zöglinge zu groß, so
verschwinden die einzelnen, nur die tüchtigeren werden zum Unter-
richten in der Seminar- Ül)ungsschule zugelassen, und es entstehen
Mängel und Gebrechen mancherlei Art. Eine Anstalt, die 40—50 Zög-
linge hat, kann sie besser ausbilden, als wenn ihrer 70 — 80 sind.
Darum empfiehlt sich der Gedanke der Errichtung einer nenen
Anstalt für Holstein von selbst.
Zwei kleinere Anstalten sind auch aus dem Grunde besser
eine einzige große oder zn gro6e, weil unter denselben ein heilsames
Aufstreben entsteht und man Gelegenheit hat, Verschiedenes nach
seinem Werte oder Unwerte durch Erfahrung zu erproben. Besuchen
die Lehrer beider Anstalten einander, so lenien sie voneinander, und
man hat Gelegenheit, den einen oder andern von der einen Anstalt
zur andern zu versetzen. Eine einzige Anstalt erscheint leicht als
Inhaberin eines Monopols, und sie unterliegt leicht dem Geschick der
Versteinerung. Darum zwei Seminare!
Aber nicht eine Unzahl kleinerer, zerstreut über das ganze
Land! Man macht dafür den Grund geltend, dass manche Sclml-
stellen sehr schleclit seien. Aber daraus folgt nicht, dass deren
Lehrer auch eine geringere Ausbildung bedürfen. Gerade umgekehrt
sollte man eher argumentiren! Damit der Mensch in beschränkten
Verhältnissen nicht verkümmere oder verbaure, bedarf er einer tieferen
Bildung, einer höheren Kraft.
2. Passt eine Universitätsstadt für ein Lehrerseminar?*)
Von einer Universität kann ein Seminar keinen wesentlichen
Gewinn ziehen; in der Regel bringt sie ihm großen Nachtheil.
Das letztere ist ofteubar, wenn die Seminaristen zerstreut bei
den Bürgern wohnen. Sie kommen mit den Studenten in Berührung,
werden halbe Studenten, was noch schlimmer ist, als wären sie ganze.
Aber wii- wollen den besseren Fall setzen: sie sind in einem Gebäude
▼ereinigt. Alsdann kommen sie mit den Herren Studenten in keine
Berührung, wenigstens kann man sie davon abhalten, so dass es im
*) Diese und die folgende Frage tiat Diesterweg gesperrt drucken Uiien.
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— 614 —
besten Falle für sie so ist, als wären die Studenten nicht da. Dana
aber könnte das Seminar anch in jeder andern Stadt enichtet werden.
Den Lehrern des Seminars nfttzt eine Universität auch nichts»
schadet in der Regel mehr. Denn was die Methode betrifft, so müssen
die Seminarlehrer darnach trachten, dass sie nichts von der Methode
der Professoren annehmen.*) Deren abbtracte, akroamatische muss
man sorgfaltig von einem Seminar entfenit halten. Den wissenschaft-
lichen Lehrern wird solches am schwersten. Um sie nicht in diese
Versuchung zu führen, thut man am besten, man legt das Seminar
nicht in eine Universitätsstadt. Wollte man für das Gegentheil an-
führen: die Seminarlehrer erhalten dadurch Gelegcnlieit, sich weiter
fortzubilden, die Sammlungen der Universität sind zu benutzen u. s. w.,
so ist zu erwidern, dass bei den Seminarlelirern vorauszusetzen ist,
dass sie die nöthigen Kenntnisse besitzen, dass sie von den Seminaristen
und Schülern mehr lernen können für ihren Beruf als vuu den sehr
gelehrten Professoren, dass man aus Büchern in dei* Regel ebenso
viel, wo nicht noch mdir lernen kann, als aus dem todten, oft so geist-
kaen Viurtrage dentscher Professoren**) — knnEi man kann alleniSUls
die BdiädUcheii Einfiflsse einer Universitit anf ein Seminar abwehren,
aber großen Gewinn kann es ans der Nfthe jener nicht schQpfen.
3. Sollen die Seminaristen zusammen wohnen oder bei
den Bürgern?
Über diese Frage kann ich ans Erfohmng sprechen. In den
ersten drei Jahren der Extatenz des Seminani in Win wohnten die
dortigen Seminaristen bei den Bflrgem, dann alle in der Anstalt;
hier in Berlin wohnen sie som Theil in der Anstalt^ die meisten in
der Stadt
Ich bin unbedingt fttr das Zusammenwohnen, wefl nur dadurch
ein Zusammenleben mfiglidi wird.
Freilich, wenn der Geist einer Anstalt schlecht ist, so ist es
besser, dass die Seminaristen anch andere Einflüsse erfahren. Aber
dann wSre es besser, die Anstalt existirte gar nicht! Wir mflssen
*) Vergl. Prof. Dr. v. Christ: „Die Beform des UiiiTexntätBiuitemohtes."
(HOnchen 1^1, Riegersche ünivexBittttsbachhandlung-.)
**) Dieses Urtheil Diestcrwegs will jedenfalls < um grano salis verstanden sein;
die deatsche Wissenschaft^ die doch hauptsächlich durch Piofenoren vertreten wini,
erfreut sieh eines guten Bvftst Wie Tiele Proft— oren niaen ikran Gegenstand
anflgeteichnct (iarzulcfjcn! — Hier mag zugleich erwähnt sein, dass dasselbe
Heft der „Rheinischen Blätter", welchem der obige Aufsab: entnommen ist, die
Utemrische Anzeige bringt, dass ,,ab drittes Heft der Lebensfrage der GySdutim"
liei G. 1>. Biedeker in Essen erschienen ist: „Über das Verderben anf den dentsdieB
Univerbitäten. Von Dr. F. A. W. Diesterweg." (Preis b gGr.)
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— 616 —
also voransseteen, der Geist der Anstalt ist gnt Man hat solches js
aodi immer in der Hand, was mit nichten von don Geiste einer
Stadt gilt Wohnen die Seminaristen bei den Bürgern, so fehlt eine
genaue Beanfinehtigang and Kenntnis des einzelnen, und wer dazu
neigt, der kann von der Hauptsache abgezogen nnd in yerderbiiche
Verhältnisse gezogen werden. In Idstein wohnen auch die Semina-
risten in der Stadt. Von den verderblichen Wirkungen dieser Ein-
richtung kann der Oberschulrath Gruner*) ein Lied singen. Die Lehrer
mögen noch so regsam sein, sie können niclit wissen, was auf den
einzelnen Stuben geschieht. Der Faule findet jederzeit Gründe zur
Beschönigung seiner Faulheit. Dann gibt es in jeder Stadt liederliche
Dirnen, die jungen Leuten Gefahr bringen; und wenn auch diese
fehlen, so gibt es heiratslustige Bürgermädchen, welche die Semina-
risten zu frühzeitigen, verderblichen Eheversprechungen \erleiten, oft
gerade die besten. Ich kenne das aus vielen Erfahrungen.
Allem diesem begegnet man ein tür allemal, wenn man die Leute
beisammen hat. Alles geht dann den geregelten Gang: Aufstehen und
Schlafengehen, Essen und Trinken, Erhuluiig und Arbeit. Es gibt
einen esprit de corps. Man ergreift zuerst lür die Tüchtigkeit einige,
durch diese alle. Es kommt ein (leist des tüchtigen Strebens unter
die Schar. Einer lernt vom andern, einer übt den andern. Es wird
eine Familie, Morgen- und Abendandachten können eingerichtet verden,
der sittliche Geist der Lehrer verbreitet steh dorch die ganze Anstalt
Zwei Klippen sind zu yermeiden: ein roher Ton nnd pietistische
Bichtnng. Wo tftchtige junge Leute beisammen sind, entsteht leicht
jener, nnd gerade die tftehtigsten (genialsten) verachten am ersten
gate ändere Sitte. Der Pietismns entsteht leicht dnrch einen kopf-
hfiagerisehen Director oder Hanptlehrer. Beiden Yerirrongen ist aber
leicht zn begegnen. Der Einwand: durch das Zusammenleben entstehe
leicht eine klosterliche Richtung, knechtischer Sinn, Entitodung des
bttrgerUdien Lebens a. s. will gar nichts besagen. Die Semina-
risten haben ja bereits 17 Jahre, d. h. solange sie gelebt haben, in
der Familie gelebt und kehren dahin zurück, leben auch im Seminar*
in einer großen Familie, biingen die Ferien bei den Ihrigen su u. s. w.
Dann ist ja von einer gänzlichen Abscheidnng vom Leben gar nicht
die Rede, und an Klosterzucht denkt kein vernünjFtiger, freier Mann.
Spielsucht, Dieberei und andere Unsittlichkeiten entstehen aber viel
eher auf den einzelnen Stuben in der Stadt, als in dem Seminar, wo
•) «. „Ptedagogium- VII, S. 267 (Januarlieft l«öö).
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— 616 —
sie gar nicht möglich sind. Denn durch sie hört alles auf. Damm
existiren nur zwei Fälle: entweder ist das Seminar gut — oder nicht.
In jenem Falle muss man die Zöglinge diesem guten Einfliis.se ganz
übergeben; in diesem wirkt es schlecht, die Seminaristen mögen drin
oder draußen wohnen. Wenn drftoßen, so kommen Schlechtigkeiten
ZVL Schlechtigkeiten!
Nein, alles zusammen in eine Anstalt! Und einen Director mit
der gehörigen Vollmacht versehen, wie au allen preußischen Semina-
rienl I)anii kann man ihn auch für alles verantwortlich machen.
Wenn aber die Herde zerstreut ist, wie kann man dann von dem
Hirten verlangen, dass keinem der Herde etwas geschehe? Das Zu-
sammenwohnen nöthigt die Lehrer zur Gewissenhaftigkeit und Strenge.
JDis Ist ein Tortrefflichee Ding. Ein Seminarlehrer soll kein Standen-
geber, sondern ein Brzieher sein. Damm noint man aoch die Semi-
naristen mit Recht Zöglinge. Damit sie dieses seien, mOssen sie
mit den Lelirem zusammen wohnen nnd leben.
Solches empfiehlt und befiehlt Erfahrung und Nachdenken.
A. D.«
f.,Rlniiii>. lu' IMütter f. Krz. u. Unt. mit bes. Berücksichtigung des Volkssohul-
weeeos. üerauegeg. t. Dr. F. A. W. Oieiterweg.*' Mai- u. Juaiheft 1836, S. 273
bii 278.)
* •
*
Nachschrift. Viele wird es überrascht haben, Diestei'weg so
ganz auf der Seite deijenigen zu sehen, die fftr das Internat sind.
Freilich ist es sozusagen das Ideal eines Internates, das üim vor-
schwebt — Den Lesern dieser Blätter wird es interessant sein, die
Übereinstimmung der Anschauungen Diesterwegs mit denjenigen Joh.
Jak. Wehrli's, des ersten thurgauischen Seminardirectors, festzustellen.
(S. das Januarheft des „Piedag.", S. 210.i
Zum Schluss mag noch bemerkt sein, dass die Seminare Sachsens
den Autorderungen, die Diesterweg in obigem Aufsatze stellt, jeden-
falls in huliem Grade entsprechen; sie sind Internate, jedoch nicht
obligatorische, ihre Zahl ist ausreichend, ja, „man denkt auf deren
sichere Vei mehning" iz. Z. bestehen 15 evangelische Lehrerseminare
und 1 kathülisches, sowie 2 Lehrerinnenseminare,) mit der Universität
stehen sie in keiner directen Verbindung. Seminar und Präparande
(Proseminar) sind nicht getrennt wie in Preußen und anderwärts,
so daiss die Zöi^linge nicht erst mit dem 17. Lebensjahre, wie Diester-
weg in obigem sagt, ins Seminar eintreten, sondern bereits mit dem 14;
der Corsofl ist sechsjährig. Die gesetsliehen Bestimmangen
darüber laaten: SeminarcnrsnB. Der Unterricht wird in 6 aof-
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— 617 —
steigenden, bei dem Unterrichte voneinander getrennten Classen
nnentgeltiich ertheilt . . . Internat. Den Seminarzöglingen wird im
Seminargebäude, soweit die vorhandenen Wohn- und Scblafirfinme
reichent freie Wohnung, Heizung und Beleuchtung gewährt.
Wo die Räumlichkeiten nur theilweise ausreichen, haben zunächst
die Zöglinge der Mittel- und Unterclassen III bis VI (14. — 18. Lebens-
jahr) darauf Anspruch.
Zöglinge, deren Eltern am Seminarorte leben, sowie solche, denen
eine nach dem Ermessen des 8emiuardirect<>rs geeignete Wohnung
außerhalb des Seminars beschafft wird, können aulierhalb des Semiuai*s
wohnen.
(§§ 57 u. 61 des Gesetzes über die Gymnasien, Realschulen und
Seminare vom 22. August 1876. Nebst der Lehr- und Prüfungs-
ordnung fUi' die Seminare erschienen bei C. C. Meinbold & Söhne»
Königl. Hofbnehdniekerel, Dresden.)
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Die Frage der eiiheitlieliei Mittelgelmle in Uigan ind ibre
Beziehüng zur Volksbildung.
Ten Seminardirector O^xa Somogyi-Zniövdrcüja.
K Ifeinere Länder haben vor gi-ößeren den Vortheil, dass sie oft
epochale Fragen leichter nnd schneller lösen können als letztere-, sie
brauchen nur einen energischen Mann, der alle Hindemisse zu besiegen
weiB, und die Sache eilt rasch ihrer VeUeadnng entgegen. Aber
kleinere Länder sind infolgedessen auch den ans Übwelliing stam-
menden HissgrüFen mehr ansgesetzt Die Frage der ehiheit]ichea
Hitteüschnle beschäftigt derzeit alle Gnltnrlinder; nns blieb sie anch
nicht yerschlossen. Aber während größere Linder noch bei der
prindpiellen Besprecbong yerweilen, nähern wir uns in raschem Tempo
der Ljfsang des Problems. Ob diese LOsong ans Ehre bringen, oder
ob sie unsere cnltnrelle Entwickelnng auf kfirzere oder längere Zeit
znrAckwerfen wird, bleibt Frage der Zeit Ich will mich hierUber
zoniehst jeder Memangsftofierang enthalten; aber ich kann nicht unter-
lassen, nach Vorflkhmng der Ansichten verschiedener Vertrauensmänner
darüber mich auszusprechen, ob ich von der angestrebten Beform f&r
die Hebung der Volkserziehung viel oder wenig erwarte.
Der jetzige Cnltus- und Ünterrichts-Minister Graf Albin Csaky
hat die Leitung seines Ressorts vor drei Jahren übemommeu. Schon
in seiner Programmrede hat er sich für die einheitliche Mittelschule
ausgesprochen. Seit der Zeit strebt er entschlossenen Schrittes seinem
Ziele zu. Anfangs hat er viel Gegner gehabt; aber ihre Zahl ver-
mindert sich von Tag zu Tag: in der Enquete, von der ich jetzt
berichten will, hat sicli priucipiell niemand g^eu die einheitliche
Mittelschule ausgesproclien.
Die En<iuete, welclie der Minister zur Berathung der Frage ein-
berufen hat, bestand aus 7 höheren Ministerialbeamten, 6 Universitäts-
jtrofessoren, 8 Studien-Oberdirectoren, 2 Mittelschuldirectoren, 7 Mittel-
schulprofessoreu , aus einem Elementarschulinspector, einem Bürger-
schuldirector und aus drei anderen hervorragenden Unterrichtspolitikem,
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— 519 —
also mammm m 90 Hitgliedeni. Die Enqndte hielt ihre erste
Sitsnng em 16. Fehmr and dann noch 5 Sltnmgen. Wir wollen die
Berathangen nicht in allen ihm Sinnlheiten Torfblgen: es wird
genttgen, wenn wir deren wichtigste Homente horvorteben.
Die erste Sitzung hat der Minister selbst erOffiiet Er betonte,
dass die leitenden Classen der Nation nicht einseitig realistisch oder
homanistisch gebildet werden dürfen; außerdem müssen die Eltern
von der Last befreit werden, zn früh eine Lanfbahn für ihre Kinder
wählen zu müssen. Durch die einheitliche Mittelschule kann die terri-
toriale Vertheiliing der Mittelschulen verbessert werden, wofür der
Minister schon eine Skizze entworfen hat. Endgiltifj; will er aber
nicht eher entscheiden, als er die Meinungen der En(iuete-Mitglieder
gehört und erwogen hat ; er wünsche, dass jeder ohne Kückhalt seiner
Uberzeugung Ausdruck gebe.
Um die Discussion zu erleichtern, hat das Ministeriam 5 Frage-
punkte aufgestellt, und zwar folgende:
1. Welche Form der einheitlichen Mittelschule entspricht am
meisten unseren gegenwärtigen Verhältnissen? Soll sie in den oberen
Classeu einheitlich oder getheilt werden?
2. Welche Aufgabe soll in der nenen Mittelschule der lateinischen
Sprache, die hldier eine so grolle Rolle gespielt hat^ zofhUen, was soll
das Endziel des Unterrichts in dieser Sprache sein, und in welcher
Claase soll er beginnen?
8. Bis zn welcher Glesse soll die Einhdt der Hittelschnle reichen?
Soll sie in den djeren dessen zwei- oder dieitheOig werden? Welches
sollen die gemeinschaftlichen Gegenstfinde sein? (Lateinische Sprache,
Bealgegenstfinde, moderne Sprachen?)
4. Ist es nothwendigt die Hittelschnle in zwei Glieder, z. B. in
nntere nnd obere, zn theflen? Wfire es nicht zweckmäßig, die Ah-
sohimng des unteren Gliedes mit einer Prfifiing zn verbinden mid
zwar unter Aufsicht von Begiemngscommissären?
5. In welcher Beziehung soll die einheitliche Mittelschule zu der
Volksschule, zu den praktischen Fachschalen und zu den Hochschulen
(Universität, Akademien) stehen?
Ministerialrath .]. Klamarik erläutert die Fragepunkte nnd be-
merkt dann, dass unter denselben zwei Fragen fehlen, welche trotz-
dem berücksichtigt werden müssen. Die eine betrillt die körperliche
Erziehung, die andere die Überbürdung. Von der letzteren bemerkt
er, dass sie das System nicht berühre; sie sei eine Frage der Methode.
■ B.L. Eötvös, Bector der Universität, weist darauf hin, 'dass in
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der Organisation einer guten Mittelschale zwei Dinge wicliti^ sind,
und zwar: 1) das System, d. h. eine Organisation, welche den Bedärf-
nissen der bürgerlichen Gesellschaft entspricht; 2) der gute Lehrer.
Es fra<,'-t sioli, welches von beiden wichtiger sei. Er hält das zweite
für wichtigiT, weil der gute Lehrer bei jedem System gute Resultate
erzielen wird. Was das System anbelangt, so stimmt er für das
jetzige Gymnasium mit der Modification, dass auf das Freihand-
zeichnen, welches für die allgemeine Bildung sehr wichtig ist, mehr
Gewicht gelegt werde. Die einheitliche Mittelschule soll für alle
höheren Schulen befähigen. Bei der Bi- oder Triiurcation in den
oberen Classen wolle er möglichst liberal verfahren.
.Tul. Schwarz, Abgeordneter und einer der hervorragendsten
unserer Cultur-Politiker, entwickelt den Plau einer achtclassigen Mittel-
schule, mit einer Trifiircation in den oberen Olassen. Die Schüler,
die sich den Humanioien widmen, stndiren Latein und Grieehificb,
diejenigen, die sich den Naturwissenschaften oto den polytechnischen
Studien zuwenden, beschäftigen sich eingehender mit Mathematik und
Physik; diejenigen, welche nicht weiter stndiren, lernen National-
ökonomie, Elemente der Bechtsknnde, Statistik n. s. w. Die Bürger-
schulen seien auMiehen.
Karl Szisz, reformirter Bischof, wünscht eine neundassige
Mittelschule.
Zoltan BeOthy, UniversitStsprofessor, will ebenfiüls neundassige
Mittelschnlen. IMe ungarische IQttelBehttle soll den gemeinschaftlichen
Grund der Nationalcultur legen, «owol der Form wie dem Inhalte
nach. Die nationale Sprache und Geschichte sollen die dominirende
Stellung in dem Lehrplan einnehmen.
Jul. König, Bector des Polytechnicums, erklärt, dass das Poly-
technicnm keiner besonderen Mittelschulen bedürfe. Er sei ein
eifriger Anhänger der Einheitsschule, mit der Bemerkung, dass die
Mittelschule von den Elementen, die nicht hingehören, gesäubert werde
müsse; danim sei die Entwickelung der Bürgerschule nothwendig.
Er wünscht neundassige Mittt lschulen mit einer Bifurcation in den
oberen Classen. £r ist kein i; reund der halbobligatorischen Gegen-
stände.
Ludwig Spitko, Studien-Oberdirector, deducirt aus dem all-
gemeinen System der Schulen die Nothwendigkeit der einheitlichen
Mittelschulen. Für die Fachschulen untersten Grades bereitet die
Volksschule vor, für die mittleren die Bürgerschule, für die höheren
die Mittelschule. Für die einheitliche Mittelschule stellt Bedner
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— 621 —
folgende Bedingungen: 1) sie soll alle wesentlichen Elemente der
modernen Wissenschaft und Nationalcultur zur Geltung bringen; 2) sie
soll die Geschichte des Vaterlandes in den Vordergi'und stellen; H) ihr
wichtigster Gegenstand ist die Nationalsprache und Literatur; 4) sie
soll die idealen und culturellen Elemente des Alterthnms nicht ver-
nachlässigen; 5) sie soll die lateinische Sprache für jeden obligatorisch
machen; 6) auch eine moderne Sprache (deutsch) soll sie aufnehmen;
7) sie soll die Naturwissenschaften gehörig berücksichtigfen; 8) das
Zeichnen ist unbedingt nothwendig. Die Mittelschule soll gegliedert
— in zwei Abthettangen (obcro md untere) — werden n. s. w.
Hyppolit Feh6r, Stndien-Oberdlrector, wOnseht die gkicbieitige
Reform der BOrgersehnlen, mit der ComUnation der niederen Fach-
schalen. Die innere Beform der Profeesorenbüdong sei sehr noth-
wendig. Die Anlisabe der Mittelachnle sei weeentlieh fbnndL
Lndwig Felm^ry, Uni^eraitifttsprofeBBor, begrfißt die Einheits-
schule yom Geeicihtspankt der einhdilichen nationalen Bildung, tadelt
in den heotigen Mittelsclialen den Ent^Uopidismas, das Memörirea,
die Überbflrdnng, die VemaclilAssigang der kOrpeiüehen Erziehung,
der nationalen Bildung, des IdeaMsmns. Er wünscht eine Mittelschule,
deren Hanptgegenstände: die ungarische und lateinische Sprache und
Idterator, die vaterländische Geschichte sowie Mathematik wftren.
Die sechs unteren Classen, mit einer Schlnssprüfnng, sollen ein
geschlossenes Glied bilden; die Matuiitätsprüfiing soll aufgehoben und
durch eine Aufhahmsprüfang beim Eintritt in die Hochschule ersetzt
werden.
Moricz Kärmam, Univei-sitäftprofessor, wirft einen Rückblick
auf das Historicum der Frage und beschreil)t die Kntwickelnng der
Realschule seit zwanzig Jaliren. Er sieht die Bedürfnisse der National-
cultur in folgendem: Jeder Sohn Ungarns muss in der Mittelschule
jene Elemente der Cultur finden, welche man im Auslande bietet; es
soll eine Organisation zustande kommen, welche jene Gegenstände,
die man überall für wichtig hält, genügend würdigt; darum sei die
BoEe wichtig, welche die Reform den classischeu Studien zuweist.
Ein weiteres Bedfirfiiis sei, dass die Mittel der Cultur möglichst
grofien EreiBen zur Verfügung stehen. Bedner weist darauf hin, dasa
es Uber hundert Ortschaften gäbe, in welchen nur Gymnasien bestehen;
danun sei der Andrang zn diesen Anstalten so groß; es sollte prin-
dpiell auBgeaprochen werden, dass da, wo es noch keine Bttigerschnlen
gebe, kein GymnaBimn errichtet werden dttrib. Das Gymnasium bleibe
eine wissenzehaftliche Schule.
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Alexander Lengyel, Bürgerscliuldirector, nimmt die Bürger-
schulen in Schutz und sagt, dass dieselben nicht mit den Mittelschulen
concurriren. Die Sache sei umgekehrt: es sei auch hier betont worden,
dass die vier unteren Classen der Mittelschulen ein abgerundetes
Ganze bilden mögen lüi* diejenigen, die eine praktische Laufbahn ein-
schlagen wolleu. Er weist auch jene Behauptung zurück, dass das
Gynmasiiun durch die Bürgerschule Ton wiiifliii Ballast beMl irardai
könne; denn wenn ein ScUQer im Gfymnaaiiini nicht fortkommen kOnne,
irflrde deraelbe anch in der Büigerschole za nidite kommen. Er
wflnseht, daas die Einheitaachnle Gymnaainm keifte, die Bttiig^eraehnle
lüttdacknle.
Karl Ver^dy, Sdinlinapector, sagt: Es wnrde conststirt» dass
die Elemeotandrale Ar die Uittelschnle nicht vorbereitet; die Schüler,
welche von der Elementarsehnle anstreteo, sind oft &ol im Denken,
die ürsaehe davon ist, dass man die Schaler, welche in die Mittel-
schale eintreten wollen, mit den übrigen gemefaischaftlich unterrichtet.
Ir wflnscbt Yorbereitongclassen. Die Bfligerschnle soU mit der Mittel-
schnle nicht concurriren, sie soll praktisch entwickelt. werden.
Emmanuel Beke, Mittelscbulprofessor, spricht gegen die Auf-
nahme von der dritten Elementarclasse, denn das wäre nur ein Lehrer-
wechsel, der des Opfers, welches die Eltern bringen müssen, nicht
wert sei. Von 11 (XX), die in die erste Classe der Mittelschule ein-
treten, blieben tTir die fünfte Classe nur 4(J00. Die lateinische Sprache
sollte man anlangen, wo ein Theil der Zöglinge in die niedereren
Fachschulen ül)ertret*'. Die Geschichte des Schulwesens zeige, dass
die classischen Studien gegenüber den Realien und modernen Sprachen
allmählich zurücktreten: er könne sich auch diese Reform nicht anders
vorstellen, als dass sie einen breiteren Raum für die Realgegenstände
schaffe.
Nachdem noch einige Redner gesprochen hatten, wurde die Special-
debatte begonnen. P^s würde zu weit führen, dieselbe in ihren Einzel-
heiten zu verfolgen; es genüge, die Beschlüsse bezüglich der einzelnen
Fragepunkte anzuführen.
1. Avf den erstoi «Fragepunkt gibt die Antwort die Qeneral-
debatte, daa heiftt: unseren YerhUtnissen entspriidit an meisten die
einheitliche Mittelschnle mit der lateinischen Sprache, mit grOBerer
BerOcksichtigang der Bealgegenstände^ der modernen Sprachen nnd
des Freihandzeichnens nnd mit getheilten oberen Classen.
2. Die lateinische Sprache ist in der neuen Hittelschule obliga-
torisch. Der Unterricht soll weniger extensiv als intensiv sein; das
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zu viele Grammatisireii ist schädlich. Das Endziel ist das Verstehen
der lateinischen Autoren. Der Unteiiicht soll nicht in der ersten
Classe beginnen.
3. Die vier ersten unteren Classen sollen einheitlich sein. Ge-
meinschaftliche Gegenstände seien die des jetzigen Gymnasiums mit
Hinzufügung des Zeichnens und der erweiterten Naturwissenschaften.
Getrennt, als compensatorische Gegenstände würden gelehrt die
griechische und eins moderne Culturspracbe. In der Einrichtung der
Anstalten ist eine fewkse Latitnde in Betraff der GompensatiDiiB-
gegenstftnde wOnschenswert
4. Die Biltarcation der Ifittelschiile ist nicht wflbscheoswert
5. Die Erridktnng der YorbeieitiingSGlassen ist wOnscheoswert,
aber nicht obligatorisch. -Die Anfhahmspififang Ton der dritten
Elementardasse ftr die Vorbereitungselasse oder Ton der yierten ESlemen-
tardaflse in die erste Classe ist nicht nothwendig. Das Übertraten
von der Bflrgersehnle in die Einhdtasehiile soll auf Grand einei'
Prttftuig gestattet werden. Die sechsdassige Bflrgersehnle soll ftr
niedere Beamtenstellen qualificiren.
Wenn wir nnn Ober die Verhandlungen der Enqußte eine Revue
halten, so ist eine gemeinschaftliche Idee, welche alle Redner geleitet,
und welche sich als rother Faden durch alle Discussionen hingezogen
hat, nicht zu verkennen. Diese Idee ist das einheitliche nationale
Bewusstscin, d. h. das Wachrufen dieses Bewusstseins als Zweck der
geplanten Einheitsschule. Wird dieses Ziel allein durch die Mittel-
schule, ohne Beistand der Volksschule, erreicht werden können? Ich
bezweifle es stark. Man kann die sogenannte intellectuelle Classt^ bei
uns auf 200000 Köpfe schätzen; ihre Zalil ist von der Gesainiiit-
bevölkernng (15 Millionen) des Landes kaum P/a"-«. Ich kann nicht
begreifen, wie es unsere Culturpolitiker inii der Gerechtigkeit verein-
baren können, dass sie bei der Regelung des ünterrichtswesens nui"
die Interessen dieser Vj^^jf^ berücksichtigen.
Ich kann meiner Verwunderung kaum gehörig Ausdruck geben,
dass Männer wie (Jeorg Szatmäry (gegenwärtig Ministerialrath) fiii'
die Vertheidigung der Volksschule kein Wort hatten; denn er war es,
der sich noch yor koiiem geAofiert liat, vie folgt: Jn unseren Ver-
hiltnissen in Ungarn kann wahriich nor diejenige Politik ftr national
gehalten werden, welche die kiftftige Ansnfltznng der Volkslnldnng
zn ihrem Pragrammponkte annimmt; jedes Begieranga^ystem ist nur
soweit wahrhaft national, soweit es die Coltiir im allgemeinen und
besonders die Interessen der Yolksermehnng befördert und ihnen dient
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— 524 —
Wir können eine gute Justiz-, Verkehrs- und nationalükononiische
Politik betreiben, eine gute Administration einführen, aber einzi": und
allein mit diesen und dm-ch diese wird der ungarische Staat um kein
Hmir melir ungarisch, als er sonst ist .... Einen nationalen Staat
ohne kräftige, \virksame TJnterrichtspolitik halte ich für eine Chimäre."
Das Schicksal der Nation, insofern es von uns abhängt, wird auf dem
Felde der Volkserziehung entschieden. Deswegen liegt die Lösung
der erhabensten nationalen Probleme auf dem Terrain der Volksbildung."
(Siehe: Ung. Semiuariehrer-Zeitung 1889, Oct.) Wirklich, ich kenne
keine Stelle, wo die nationale Aufgabe der Volksschule schöner nnd
prägnanter bewilblinet wire.
Betraditen -wir die Frage nach dem Zweck beider Sdnilen
(Mittel- nnd Vdlkssdinlen). Beide Schnlen haben als Zweck die all-
gemeine Bildnng. Es fingt sich mm, welches ist der Unterschied
zwischen der Bildung, welche die lOttelschnle, und deijenigen, welche
die Volksschule zu bieten sich zur Aufgabe gestellt hat Ich glaube
mich nicht su irren, wenn ich behaupte, dass jedes Zeitalter nur eine
^Idung hat; wer den Gedankenkreis, das Bestreben seiner Zeit erfhsst,
wer sich f&r die Ideen der ErwShlten seiner Zeitgenossen zu begeistern
im Stande ist, ist gebildet Obwol also die Bildung jeder Zeit nur
eine ist, hat sie doch höhere und niedere Stufen, sozusagen coi^
centrische Kreise, welche sich um so mehr erweitem, je höher man
steigt Man könnte also sagen: die Mittelschule (hier immer das
Gymnasium zu vei-stehen) hat die Aufgabe, die allgemeine Bildung in
ihrem historischen Zusammenhange, die eigene nationale Bildung im
VerlUUtnis zur Bildung anderer Völker zu bieten; während die Volks-
schule die actuelle Bildung der eig-enen Nation ohne Rücksicht auf
die Vergangenheit und auf die Bildung anderer Volker bietet. Es
ist also klar, dass die eigentliche Nationalschule die Volksschule ist.
Es ist ebenfalls evident, dass das gesaiiniite Unterrichtswesen ein
organisches Ganze bilden muss; und jede Culturiiolitik ist verfehlt, die
ihre Basis außer der Volksschule sucht. Ich kann es nicht leugnen,
ich habe von den Berathungen der Enquete viel gehofft; ich habe
gehotft, dass die Auserwähltcn der Nation einen Modus linden würden,
die Mittelschule zui* Volksschule in organischen Zusammenhang zu
bringen, ohne die letztere zu schädigen. Darum ist die Enttäuschung
so groß. So viel zur principiellen Seite der Frage; betrachten wir
nun die praktische Seite.
Mittelschulen (Gymnasien und Bealsehulen) haben wir 18S,
BOrgerschulen 164^ hOhere M&dchensehulen 18; zusammen 865. Ge-
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nannte Sclnilen nehmen ihre ZOglinge ans der vierten Elementaielasse
anf; dämm halten es solche Gemeinden, in welchen Mittel- oder
Bfirgerecholen sind, nicht für nöthig, die fünfte und sechste Olasse
der EUementarachttle zu errichten. Wenn wir noch dazonehmen, daas
78 % unserer Elementarachnlen nngetheilt sind, so werden wir ersehen,
wie schlecht es mit unserem Volksschulwesen steht. Aber das ist
eben der Haken: die gelehrten Herren wollen von den Zöglingen der
un^etheilten Volksschule nichts wissen. Aber ich glaube, die Un-
vollkominenlieit eines Theils einer Institution berecliti<rt nocli nicht,
die gixnze Institution zu verdammen. Wenn die Herren mit der un-
getheilten Elenitntarsclmle nicht zufi'ieden sind, sollen sie als Be-
din^-ung zur Aufnalinie in die Mittelschule die Absolvirung der sechsten
Classe dei- getlieilten Elementarschule — natürlicli, wenn die Mittel-
schulen mit sechs Classen eingerichtet werden — aulstellen. Diese
Bedingung würde auch die Leiter des Volksschulwesens ansi»ornen,
das Verhältnis der getheilten und ungetheilteu Schule zu regeln. Ich
glaube, auch der Unterricht würde dadurch nur gewinnen. Denn der
gelehrte Professor der Mittelschule hetrachtet das Unterrichten in der
ersten nnd sveiten daase nur für eine Last, welche er mit Wider-
willen trägt, nnd Ton welcher er si<^ mOglicfast \M sn befreten '
strebt; dagegen betrachtet der Elementarlehrer das Unterrichten in
der fünften nnd sechsten Classe als die Krone seiner Wirksamkeit,
welche er mit der größten Lnst nnd Liebe pflegt Dass ein Unter-
richten, welches mit Lnst verrichtet wird, besser ausfallen mnss, als
dasjenige, weldies man nnr mit Unwillen ans&bt, brancht nicht weiter
erörtert zn werden. Was die materielle Seite der Sache anbelangt,
sei folgendes erw&hnt Unsere Elementarlehrer würden mit einem
Minimalgehalt von 400 fl. znfHeden sein; die Mittelschnlprofessoren
sind mit ihren 1200 fl. Grundgehalt nicht zufrieden. Welch eine
Kostenersparnis würde daraus entstehen 1 £s liegt nicht an dem, dass
wir für die Cultur zu wenig opfeni, sondern dann, dass wir bei der
Ausgabe niclit ökonomisch sind.
Ic)i könnte meine Betrachtungen schon scliließen; aber ich will
doch eüiche Änfiemngen über die Volksschule nicht ohne Erwiderung
lassen.
Ein geehrter Redner deducirt die Notliwendigkeit der jetzigen
Bürgerechulcn aus der Vorbereitung zum Gewerbe. Ja, Aveiui die
Bürgerschulen zum Gewerbe erzögen, dann möchte ich der eitrigste
Vorkämpfer dieser Scliulen werden; aber ich kenne keinen einzigen
Zögling, der die Bürgerscliule absohirt und sich eine gewerbliche
Pscdagogiam. 14. Jahrg. Heft Vlll. 37
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Laufbahn gewählt hätte. — Ein anderer Bedner beeeholdigt die Volks-
schulen, dasB maiidiA Auer ZSglinge im Denken find seifiB. Idi kcouie
sehr viele diplomirte M&nner, die im Denken fieuil sind; sollen wir des»
wegoi die Hoch- und Ifittelschnlen verurtheilen? Außerdem wird
die Sache nicht ganz so sein, wie es scheinen mag; oft kommt viel*
leicht die angebliche Denkfaulheit von der Constemimng der aus der
Volksschule ausgetretenen Zöglinge: der Elementarlehrer unterrichtet,
der Mittelschullehrer trägt vor; es ist also natürlich, dass der anne
ZOgling sich nicht zui*echtzufinden weiß.
Noch eins. Der gute Wille des Ministers, die vei'schiedeneü
Schulen miteinander in organische Verbindung zu bringen, wai* vor-
handen. Dies beweist das Gesetz von den Kleinkinderbewaliranstalten,
mit welchem wir ganz Europa überliolt haben. Wenn also die Volks-
schule auch in der Zukunft das Aschenbrodel des UnteiTichtswesens
bleibt, wird nicht der Ministei* schuld sein, sondern Jene Männer, die
er um Rath befragt hat
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Schalprogramme.
Von Bector Oüd-CasaeL
Oeit Jahrhunderten ist es Brauch, dass sogenannte „gelehrte"
Schulen Nachrichten über ihre Einrichtungen, ihren Lehrplan, die
Lehrer, die Schiller, Vorkommnisse im Schulleben etc. am Schlüsse des
Schuljahres veröffentlichen, an die Eltern der Schüler, an Freunde
und Gönner der Anstalten vertheilen und gegenseitig austauschen.
Dieser Brauch ist auch von andern, nicht „gelehrten*^ Schulen, wie
stAdtischen B&rger- und Volksschulen, angenommeti worden. Meistens
ist den Sdmlnachriehteii der gelehrten Schulen dne wfaeensdiaftliche
Ahhandhmg beigefügt, welche in den »Ureidisten FSllen nur Fadi-
mlanflni ▼ersttadliefa, daher l&r die meisten Eltern, Freunde nnd
OOnner und auch Ar vide Lehrer ohne Nntien ist Dnrch eben
Erlass des Coltasaiiniatera Dr. Falk vom 26. April 1875 ist die jßihr-
Mche Ausgabe solcher Schnlnachrichten fttar die höheren Lehranstalten
allgemein geboten, wfthrend die Beigabe ehier Abhandlong nnr
empfohlen ist Der gegenseitige Austausch ist durch die angnogene
Verfttgung dahin geregelt, dass jede Central- besw. Provinzialbehfirde
ein Veiieichnis der f&r Ostern in Aussirlit genommenen Abhandinngen
zusammenstellt und dasselbe an die Teubner'sche Verlagsbuchhandlnng
in Leipzig einschickt, die dann alle Verzeichnisse zusammenstellt und
den betheiligten Behörden und Anstalten zur Auswahl zusendet. Mehr
nnd mehr unterblieb indessen die Beigabe einer wissenschaftlichen
Abhandlung, so dass sich Minister von Puttkamer veranlasst sah,
durch einen Erlass vom 31. October 1879 zu empfehlen, diese für das
wissenschaftliche Leben des höheren Lehrerstandes so bedeutsame
Sitte festzuhalten, bezw. wieder aufzunehmen. Hiernach könnte es
scheinen, als wären die Scliulprogramme nur der Lelirer wegen da
oder doch vorzugsweise ihretwt!gen; dem ist jeducli niclit so. Unserer
Meinung nach waren die Programme von jeher hauptsächlich der
Kitern wegen da, die über das Thun und Treiben der Anstalt, der
sie ihre Kinder anvertraut hatten, unterrichtet werden sollten. Dieser
37*
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— 528 —
Ansicht ist auch Dr. Kühner, der in den Programmen, die er als
Director der Musterschule in Frankfurt jährlich abzufassen hatte, auf
den Versuch, „wissenschaftliche Specimina" zu geben, verzichtete und
sein ganzes Bestreben dahin richtete, „nach bestem Vermögen denen
zu dienen, die er voraus als willige Leser kannte oder als solche zu
gewinnen hoffte*'. Dass diesem Zwecke auch die Form der Darstellung
sich anbequemen müsse, ergab sich ihm von selbst; so gestalteten sich
seine Aufsätze als \ ersuche, pädagogische Gedanken in einer für den
Laien anspreciienden und verständlichen und doch auch dem wissen-
schaftlichen Sinne annehmbaren F'orm zu behandeln. Im übrigen
waren seine Aufsätze, wie er ausdrücklich betonte, nur für die Eltern
seiner Schüler bestimmt, und nur solche pädagogische Zustände, G&*
wohnheifen und Ansichten, wie er sie in der Schnlgemeiude charak-
teristjsch vertrstan fimd, Mldeten ftbeiall den Gegenstand seiner
Beqiirechung.
Ist das Programm nicht so eingerichtet, dass es für die Eltern
bestimmt ist, so mnss es dem enti^nchend gestaltet werden,
wenn es mit Gmnd und Bedit beibehalten werden soll Die Lehrer
haben hentsntage Mittel and Wege genug, sich ihre wissenschaftlichen
Arbeiten gegenseitig zogftngüich sn machen. Hat einer eine wissen-
sefaalUiche Abhandlung geschrieben, die etwas tangt, so findet er
daf&r jederzeit ehien Verleger, oder er kann sie in den zahlreichen
Fachzeitschriften veröffentlichen; ist sie aber nichts wert, so sollte
sie* auch nicht auf Kosten des Staats oder der Gemeinde gedruckt
werden. Solche Erwägungen mögen es gewesen sein, welche die
Berliner Communalverwaltong zu dem Beschlüsse veranlassten, die
Mittel zur Drucklegung der Programmabhandlungen nicht mehr be-
willigen zu wollen. Außerdem sind die Lehrer nicht an den Schulen
angestellt, um wissenschaftliche Steckenpferde zu reiten, sondern tlamit
sie von dem, was sie gelernt liaben und noch dazu lernen, den ent-
sprechendsten Gebrauch zum Nutzen ihrer Schüler machen. Das beste
Studium des amtirenden T^ehrers bleibt die beständige Vorbereitung
auf den Unterricht, die fleißige Weiterarbeit im Fache mit steter
Rücksicht auf den Beruf, das Studium der Pädagogik. Die wissen-
schaftlichen Abhandlungen können also ohne Schaden für die Lehrer
und ihre ^vissenschaftlichen Bestrebungen we^^bleiben, von großem
Vortheil aber würde es sein, wenn die Schule das Progranuu zu dem
gestalten wollte, was es eigentlich sein sollte, zum Kechenschafta-
berichte, zum Mittel der Verbindung von Scliule und Haus zwecks
Verständigung Aber die gemeinsamen Aufgaben. In einer Zeit, in der
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man ao viele Klagen der Schale über das Haus und umgekehrt des
Hauses fiber die Schule zu hören bekommt^ sollte man gar nicht mehr
im Zweifel über diese Bestimmung des Schulprogramms sein. Da
klagt das Haus über Schuleinrichtungen, über den Lehrplan, über
Überbürdung der Schüler, Kingriffe der Schule in die Einrichtungen,
Ordnungen und Grundsiitze des Familienlebens, was die Schule ihrer-
seits mit Klagen über Mangel an Einsicht in die Schulverhaltnisse,
über verweichlichende Erziehung, offen und geheim gewährten Wider-
stand etc. erwidert. Eine Verständigung thut hier sehr noth, und
wa.s liegt näher, als hierzu das Schulprogramm zu benutzen? Kämen
dazu noch pädagogische Abhandlungen Über Schul- und Erziehungs-
fragen, wie z. B. Zeiteintheilung. häusliche Leetüre, Verwendung der
Freizeit, Taschengeld, Bekämpluiig der Verfrüliung des Genusses,
PriTatonterricht u. a., so könnte manches Gute in der Jugenderziehung
dnreh das Programm bewirkt wardmi. Weiß man aber aber solche
Dinge nidits m sagen, so Terachone man auch das Hans mit wiaaen-
schafUicheii AMaDdlnngen, von denen es in den meisten FftUen nichts
hat als das Anstaunen; dann spare man fttr solche Abhandinngen
Brnckerachwlrae, Papier und Geld. Manche Directoren fügen ihren
Programmen schon Abhandinngen ttber Schnl- nnd Eniehnngsfragai
an, warmn wollen es nidit alle thnn? Auch die Volks- nnd Bürger
schulen, die Programme ansgeben, soUten in denselben ein Mittel der
Verbindnng mit dem Hanse sehen nnd sich die oben angeführten
Darlegnngen an nntae machen. Wenn die Banleote, die gemeinsam
ein Gebäude aufführen, sich nicht nacheinander richten wollten, so
würde nichts Ordentliches entstehen; sollte es in der Erziehung und
bei den Erziehern anders sein? Hans nnd Schule müssen sich immer-
mehr gegenseitig anerkennen, sich vertranensTolI nähern, und dazu
müssen die Schulprogramme mithelfen.
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Bei den Kleinei.
Brinnerung aut> dem Lehrerleben.
YoB AM» Siokf'FfonMm,
Im Kind iit Wahrheit, xeine, uiTiarftbehte. Solang« uw dieadbe ui
treulierzigen Einderaogen entgegenlentthtet und von frischt n Kinderilppen tUii
offenbart, darf uns nicht bangen vor der Zukunft, sofern wir nns nnr der
heiligen Pflicht bevusst sind, dieses kostbare Angebinde der Natur zu erhalten,
den Trieb nach Wissen und Wahrheit zu veredeln and in die rechten Bahnen
10 lenken, vm ihn llir das ipfttwe Lehen fhiehfbar ni maehen. fflehen Jahre
lang hatte ich die ABC-Schtitzen hl geistiger Atznng und fand dabei reichlich
Gelegenheit, die von den „Segnungen der Caltnr" fast unberührte Kindes-
seele, wie sie sich dem Lehrer eines einsamen Walddorfes prilsenlirt, in ihrer
ganzen göttlichen Ursprünglichkeit kennen zu lernen. Der Umgang mit der
Ueinen Sehar hatte für nüeh immer etwas Erqoi^enilee md Ifirfrlsdieiidea.
Ans jener Zeit sind mir zwei Begebenheiten erinnwUeh, die ddi meinem
Henen und Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt haben.
Wer kennt sie nicht, die enfants terriblesV sie tinden sich überaU, in
dei' Hütte des Waldbauem, wie im Palaste der Großstadt, und nicht zum
mindeeten in der Dorftehnle zeigt sich ihre kSstUche Naivetftt imd hannlose
Unbefangenheit, die jedes Ding plattweg beim rechten Namen nennt Ein
kleines Plaj)i)ermäulchen mit dem poetischen Namen Veronika, für gewöhnlich
hieß sie Vroni, musste eines Tages wegen Mangel an Schweigsamkeit mit
„Dableiben" bestraft werden. Sie ualun das Verdict autaugs ruliig hin, offen-
bar in der Stillen Hoflhung, es werde ihr am Sehlnsse des Unterrichts mit ein
paar fimindlich-bittenden Worten, worin sie große Virtnooitftt beiaS, schon ge-
lingen, mein Lehrerherz zu rühren und die von ihr über alles geliebte Freiheit
zu erbetteln. Als die Kinder das SchuUocal verließen, kam die kleine Sünderin
zaghaft, die Angen reibend, auf mich zu. „Nun?'' „Herr Schnllehrer, sei*)
so gnt nnd lass mich heim; ieh will wieder brav sein.'' ^Wird nichts dravs!**
Oroies Jammern nnd Wehklagen. «Hüft niofati; Da mnsst dableiben; aber
es danert Ja nicht lange." „Ich fQrchte mich." „Ich bleihe bei Dir; arbeite
jetzt an Deiner Hausaufgabe." ,,Aber meine Mutter brancht mich; ich werde
von ihr gezankt, wenn ich so lange nicht komme."
Bekanntlich mnss das zarte Geschlecht, ob alt oder jung, immw das
letzte Wort haben; ich Teraichtete aleo anf alle weiteren ttberaengenden Ans-
*) Es begegnet dem Lehrer oft, dass ihn die Anflbiger mit dem vom Eitern-
hause, her gewohntett „Du" anreden, ndch seUst eigOtste diese gemitthlidie Anrede
jedesmal sdir. inul ich ließ nihig geschehen, in der Gewissheit-, dess sie in kuner
Zeit dem fremden „Sie" weichen werde.
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— 031 —
einandersetzangen und ließ die hoffimngsvolle Kleine ruhig lamentiren und
argtSoNm , ohM nidi ^««tt«r um sie n kttnuMni. Dtt wUte, wie ininar in
solchen F&Uen, nngeroein beruhigend. Noch ein paar tdiwere Tropfen, dann
hellte Bich der trübe Himmel plötzlich anf and mit der ganzen Liebenswürdig-
keit, deren die kleine Hexe fUhig war, setzte sie ihre Friedenspräliminürien
in anderer Form fort. „Herr ächolleiirer, wenn Du mich jetzt fort lässt, dauu
bdumunft Da hmIim Bfaneii vnd den Pftmnlwrtwn"; qmeh'e und legte alt
Pflund ihrer Freiheit das Vesper, welches ihr die fürsorgliche Muttti mit-
gegeben, anf mein Pnlt. Wer hätte auch da nocli widerstehen können! \ ioni
hatte pesieg-t, und ich mnsste schmählich caiätuliren. Inzwischen war eine
gate Viertehitande vei^thcben nud der aasgleicheudeu Gerechtigkeit Dach
meinem BmeMtn ToUanf Gcnttge geectelieD. Mit der bekannten ernalen
Mahnan^y TOn deren naohbaltlger Wirkung auf die kleine Windfhchtel ich
freilich von vornherein keine sonderlich hohe Meinung hatte, die sie jedoch
trotzalledem hoch und theuer zu respectiren vei"8i»rach, entließ ich den lieben
Schelm, der, froh über solch glänzenden Veriaaf seines Fiaidoyers, Birnen nebst
PAumkndien alsbald mit tiefem Bin den Garaus maehte. —
Ich suchte, ivie aleh dm jeder gewissenhafte Lehrer angelegen sein Iftsst,
auch mit den Langsamen und Armen im Geiste das vorgeschriebene Ziel
wenigstens annähernd zu erreichen. Nach mancherlei Irrthümem und Fehl-
griffen, die ja vor keinem Anfänger sicher sind, brachte ich es endlich mit
FleiB nad BebarrUebkeft dahin, daas alle SebAler meinen Aalinderangen m^
oder minder genügten. Alle, bis auf ein kleinait armes Taglöhnerkind, das
in der hän!5lichen Pflege sehr v( i nachliissigt war und vielleicht eben deshalb
ein äußerst scheues, versclilossenes Wesen zeigte. Seine Kleider waren
schmatzig und verbreiteten im \'erein mit einem hässlicheu Ohrenleiden gerade
nieht die HebUchite AtmoepUre. Es kostete adcb eine gewaltige Überwindnng,
in der Nfthe des armen Wesens zn sein.
Aber Beispiele erziehen, und das erhabene Vorbild unseres unvergesslicheu
Lehrmeisters Pestalozzi, der es in seiner selbst vergessenden Menschenliebe
über sich vermochte, die mit iTeschwüren und Ungeziefer behafteten Waisen-
kinder eigenbftndig m waacben and m reinigen, lieft ancb midi mit der 2Seit
den Ekel flberwinden. Mit maacheilei, eifttaienen GoUegon abgeiaaaebten
Konstgriffen und Kniffen, die einem Laien im Vollcsschnlunterrichte vielleicht
lächerlich erscheinen könnten, in der Praxis aber vorzügliche Dienste leisten,
hatte ich der „Bärbel" die Laute luid Bnchstabent'onnen beigebracht, wenn
anob mudt mandjem Tenddockleii Ärger und gewaltigen Gedaldqiroben. Dan
ging endlich; aber mit dem Zneammenleaen dar Laote sa SUbea kamen wir
während Jahren auch um kein Haar breit vorwärts. Immer nod immer
wieder machte sie die bekannte fatale Pause zwischenhinein. Schon gab ich
die Hofthoug auf, das arme Ding, das in den andern Lnterrichtsgegenständen
MMMt leidlidi ufftau, in die «weite Glaae Terartcen an kOnnen and hatte ea
ancb bereits in sohooender Weise aof diese Galamitit vorbereitet. Bei jedem
andern Scbfiler hätte nan eine solclie Ankündigung Henlen und Zähneklappem
hervoi^erufen ; nicht so bei der Bärbel, obschon sie, wie ich mich später über-
zeugte, kein geringes Herzeleid empfand. Äußerlich aber erschien sie gegen
mich womöglich noch verschlossener als zuvor and vermied von non an jeden
Verkehr mit ibren Genoasen, die sie ihrevaeita mitleidig ibrea Wegea geben
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— 582 —
lieBen. Mich dauerte das arme Geschöpf; aber es war ihr auf keine Weise
beinkomiiiM. Sie that swir wülifir, wm ich aie UeB; doeh UUe md, VwuA-
lichkeit Heften sie gletehgüClg, und ihr Oeeklit Migte rtets demeelben lethir-
gischen Ausdruck. Manchmal war ich geneigrt, dieses Verhalten der Verstockt-
heit lind Böswilligkeit zuzuschreiben und Strenge walten zu lassen. Aber der
leise melancholische Zog um den Mond und der bekfimmerte iiiick, mit dem
Bloh das Kind imrafien anachante, wenn ich mich wieder eiBHial Teiri«iiiliili
mit ihm abgemüht und sen&end von der Sisyphnsarbeit abstand, lieBen mieh
instinctiv fühlen, dass doch ein menschlich Ffihlen unter dieser unfreundlichen
Hülle verl>org^en sein mfisse, und ein gewisses ])sychologi8che8 Gefühl sa^te
mir, daäs Strenge hier sehr ttbel angebracht wäre. Also immer heiter und
wenn aneh nur ftoBerlich; denn „Heiterkeit ist ja der Himmel, unter dem alias
gedeiht, Gift aoagenoniiMii". Wenn viela TropUm eiiMii Stein hSUen, so
mnsste doch endlich aneh meine Arbeit von Erfirif iein. Mit dieser unverwüst-
lichen Hoffnung, die mir niornals abhanden kommen nifJge, widmete ich dem
hil&bedürftigen Kinde täglich einige Minuten, erwaii«nd, dass es ihm unter
meiner Assistenz endlich glücken werde, den Stein der Weisen zu finden. Und
alehe da, mein GHanban wnrde belohnt und mein heUea Sehnoi erf&llt, wenn
auch auf ganz eigenartige Weise. Das kindliche Geistesleben offenbart sich
oft höchst merkwürdi^r. Wonach ich mit vielem Mühen solange vergeblich
gerungen, das brachte ein anderer mühelos in einer Nacht zuwege. Ein alter
Trötter und treuer Kinderfreund hatt« das große Problem, wie schon so
maaehes andere, spielend geUlst — der Sehlaf Sein milder Etagel senkte er-
barmend die Fittiche über das anne kleine Menschenkind und wiegte es iiir
Ruhe. Aber die kleine Psyche umgankelte und quälte ein hässlicher Traum.
Bärbele befand sich in der Schule und versuchte mit mir zu lesen. Ach, wenn's
doch nur einmal ginge, das dumme au, am, in, im. Doch siehe, es geht Ja!
WanderiHur, wie sieh die widerspenstigeii Gesellen, die Lante, heute so glatt
snsammenfügen, ganz so, wie beim Lehrer und bei den andeni Schftlem. Und
was das geheimnisvolle stille Weben des Traumes begonnen, das spielte sich
in den wachen Znstand hinüber. Andern Tages kommt Bärbele, ich traute
kaum meinen Augen uad Obren, mit freudestrahlendem Antlitz und der frohen
Botschaft: «Herr Sehnllehrer, i kaan'sl" „Was denn, Blrbele?" „ Jetat kann
i's a^saaune lese!" „Ei, was Du sagst, lass mal hSren!" Und sie las, anfangs
mit erregter, zitternder Stimme, die Laute zu Silben und diese nach einigen
Übungen zu Wörtern. Huna, der Knopf war gebrochen, der Kubicon über-
schritten. Mit ü^udigem Jüfer las sie jetzt Zeile um Zeile, immer fließender,
immer besser. Als ieh sie daranihin bble and ihr die ersehnte FromotieB In
idchere Aussicht stellte, da drang es wie ein erwärmender, belebender Soanan-
strahl in das verdüsterte Kinderherz. Ein nie empfundenes, beseligendes Ge-
fühl durchzuckte die junge Seele und erweckte sie zu neuem, heiterem Leben.
Wo übermächtige Freude keine Worte findet, da offenbart sie sich in Thränen,
welche die wunderbare Eigenschaft beeitsen, den Sohmers an lindem und im
Glücke zu beruhigen, immer aber das Glefahgewieht der Seele heraostsUen.
Mein Bärbele weinte vor Glück und Freude, und die ganze Classe gab ihrer
Antheilnahme an dem frohen Ereignis in solch natürlicher und rückhaltsloser
Weise Ausdruck, dass ich hiervon fast mehr gerfthrt wui'de als von dem Glücke
des Kindes. Soleh ein Blick aof den Grund der Kindussiwfa Ist ein kUsttldiar
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-.533—
Gennss, ein Lichtstrahl in das Ailerheiligste der Schöpfung, der aber nur dem
ntheil wird, dem eine gütige Fee die Gftbe Terliehen, mit heiterem Oemlltlie,
j^imbeeclirieii'* den Schleier vom Anflits der göttlichen Pqrche sn hehim.
Sdriteeren Lohn and höheren Genass für treu erfüllte Pflicht kann es nicht
gehen. — In der Seele des Kindes aber war eine wunderbare lu'ilsaine Wand-
lung vor sich gegangen. Von jener Stunde an legte es seiu scheues, ver-
sclüossenes Wesen ah and zeigte sidi h^tor nnd nthmlich gegen midi und
•eine Kameraden.
Vienehn Jahre waren verstrichen. Das Sehiltal nnd die Oberschal-
hehSrde ließen mich inzwischen durch manche Pröfunff pehen, ohne dass ich
flficklicherweise einmal das Pech gehabt hätte, zu leicht befunden zu werden.
Daeh etlichen Ühergangsstationen trieb mein LehenndiUaein unter mancherlei
FIhrten nnd Nöthen nnd Öfterer Gefahr an heimtaddaehen Klippen Havarie
TO leiden, an ein sicheres Gestade. Von da führte mich im vorigen Jahre in
der Ferienzeit mein Weg zum ersten Male wieder in jenes traute Dörflein,
wo ich einst meine pädagogischen Sporen geholt. Uit dem eigenartigen freudig-
bangen Gefühl, das ebien heschleicht, wenn man eine laogentbehrte alte Heim-
itittte nun ersten Haie wieder betritt, sog ieh die alte Dorlhtrafte hin.
„Werden nnd wollen sie dich auch noch kennen; haben sie dir ein gutes An-
denken bewahrt; was wird aus deinen Schülern geworden sein, hat der oder
jene gehalten, was sie zu werden vei'sprachen'.'"' Diese und ähnliche Fragen
nnd Gedanken beschäftigten mich beim Betreten des Dorfes, das mir zui-
sueiten Heimat geworden war. Jedes Hftnslein, Jeder Baun nnd jedes Oftrt-
chen, an dem ich einstmals gleichgiltig vorüberging, sie schienen mich wie
alte Bekannte zu grüßen, und ich grüßte sie wieder. Allenthalben fand ich
ein herzlich „ Willkommen", und das Händeschütteln und das Fragen nach
meinem Wolergehen wollte fast kein Ende nehmen. Ich bin von Natur aus
nicht mit einem übertriebenen Ehrgeis ausgestattet; aher so viele Liebe nnd
Treue that meinem Henen doch nngemein wol. Alles Schlimme, was ich
etwa einst erfahren, war vergessen, und nur Freundliches und Schönes in
meiner Erinnerung lebendig. Unter meinen ehemaligen Schülern, die sich mir
nunmehr als stattliche junge Männer und üppige Dorfschönen präsentirten,
begrfi6te mich aneh efai junges Weib, es war das Birbele, jetst ehie req^ectoble
Barbara, Hausfrau und ]\Iutter. Sie soll sehr arbeitsam und tüchtig sein und
erfreut sich deshalb auch, wie ich wahrzunehmen das Vergnügen hatte, der
Wertschätzung ihrer Nachbarn. Die Schularbeit machte ihr nach jenem be-
deatongsvoilen Tag keine sonderlichen Schwierigkeiten mehr. Später war sie
mehrere Jahre in einem gnton Banemhanse in Dieut, der auf ihre Endehnng
den besten Einfluss hatte. „Ei, wie mich's freut, Sie wieder einmal zu sehen,"
sagte sie, mir mit einem dankbaren Blicke derb die Hand schüttelnd. „Oft
habe ich daran denken müssen, wie viele ilühe und Geduld Sie mit mir gehabt,
weil ich halt eine gar so Ungeschickte gewesen bin.'* ich folgte ihrer treund-
Udien Einladung an einem Besuch und war sehr befriedigt von der bttueriieh
einftudien, aber sehr sauberen Flihmng ihres Haushaltes und erkannte an dem
vergnügten Gesicht ihres Mannes, dass ein guter Geist in ihrem Ileimwesen
walte. Nicht minder aber erfreute mich ihre aufrichtige Dankbarkeiti denn
sie ist eine seltene Fracht im Lelirerieben.
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Ans der f adipresse.
536. Der didaktische Materialismus im deutschen Sprach-
nnteiricht (Pild. Zeitung 1891, 41. 42). Ersclieinnnpen des ..did. Mat.":
t'bermaß „ortliogr, Übungen" („wie mancher Lehrer greift nicht in zweifel-
haften Fällen nach seinem Duden — man gebe doch dem Schüler ein ähnliches
Kaebselilagebiicli in die Hand; er kann daflir einige andere Blidicr sehr gnt
entbehren") — „Analysiren" — Denken über die Sprache (statt in der
Sprache) — der .,Heftecultnp'* („er ist gewissermaßen ein Moloch, dem der
Lehrei- einen großen Theil seiner Arbeitskraft, der Schüler nicht selten seine
Gesundheit opfei-n muss"). — Nlchtbefolgung der Hildebrandischen Gesetze.
(HinfliebtUeh des Lesens wünscht YerfSuser: „Das Kind sollte aneii mit etwas
kritischem Blick lesen lernen.")
.')37. Geflnnken zur Comenins-Feier (Päd. Ref.*) 1892, 12). Eine
km-ze, edler Begeisterung volle Rede von höherem als wissenschaftlich-päda-
gogischem — von social -pädagogischem (oder politischem) Standpunkte ans.
Damm nur üter die drei Bcetrebnngen des Helden: Friedliche Vereinigung
aller Stände nnd Partelen — Emchtnng der allgemeinen Volksschule —
Pflege der Muttersprache und des wirklichen Lebens in der Schule. — ..Man
könnte Comenius kein besseres Denkmal setzen, als ein Monnnient mit der
Inschrift des 29. Capitels (didactica magna) und der Zahl des Jahi-es, in dem
er dnrdi die großen Gedanken sich die Unsterblichkeit erwarb.* — I>er unge-
nannte Sprecher glaubt (nach seinen Schlussworten), dass die Verwirklichung
der „allgemeinen Volkssclmle" nicht mehr allzufem sei: «Schon verkündet
die Dilmmernnpr den anbrechenden Morgen. Die Volksseele ist mäciitig ergriffen
von den Ideen „Menschenwürde und Menschenrechf ; sie ringt, um die Bande,
welche nnn schon Jahrtansende Undnrdi ihre Kraft gefesselt haben, zu aer-
sprengen."
r)88. Die Fragepnnkte der heutigen Pädagogik narh ihrem
geschichtlichen Herkommen (E. v. Sallwürk. Rhein. Blätter**) 1892,
I, II). Als Stuten der Entwicklung (die vier Jalirlmnderte umfasst) werden
genannt nnd in der bekannten meisttffaafken Weise SallwUrk's gekennseidinet:
die Pädagogik des Hnmanismns die methodische Reaction — die Natsr»
endehnng — der Nenhumanismus und seine Ansülnfer — die Erzieher der
Besitzlosen f Rochow, Pestalozzi, Diesterweg). — Schlnssartikel über die Päda-
gogik von heute : Sie „besitzt eine vortrefflich ausgearbeitete Theorie, durch die
«ifenfliehe Schale ihre mibestrittene SteUang in Staat und GesellschaA.** HMisI^
als solche klar erkannte An^ben: sittliche Bildung nnd Erweeknni: geistiger
*) Ein/elnmmner Pfg.
**) Einzelheft 1,Ö0 Mk.
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— 585 —
Kraft" (denen die ^nützlichen Kenntnisse" nnr als Mittel dienen). „Technik
des Unterrichts'* „vortreflFlich ausgebildet". „Eine noch nicht gelüste Anfgabe
ist die Elinordnnng der BildungsstofTe in einen den höchsten pädagogischen
ZklCD «jftmmnm Lehrplan. Jr dar Verfolgung dieser Anilgrabe niMi ind
ivlrd eine AuglffitclMiiir ^ itoh gtgmtfMg noch bekSmpItadeB pidagogiMiheii
Richtungen stattfinden. Dringlich ist diese Aufgabe, weil man von der Er-
ziehung heute eine bestimmende Einwirkung auf die sittlichen Verhältnisse der
Gegenwart verlangt. Dieser Erwartung darf freilich die Pädagogik and die
Sdboie die Bedingung entgegenhalten, dev mam ihr «ngeriUimt freie «nd
selbetftndige Arbeit gewUirleiste." — In der eialettendea EriMemng der
nHdnnng und FOfKhnng in der Pädagogik" wird bemerkt: „Es gibt auf
Erden keine mächtigere AutoritAt als die des Lehrendoi} dämm kann niemand
ihn seiner Verantwortnng entbinden."
5S9. Homo aim (0. Hanffe, Repert. d. Päd.*) 1891/92, VI). Der mit
viel Wirme gesduriebeDe Antete iit reieh «a AnregiingeB bd psyeliologiaelien
vnd pUloeophischen Studien. (Nach Hanffe's Ansicht „besteht die ganze Ent-
wicklung des menschlichen Geistes nur darin, die Fremdheit der Materie zu
überwinden nnd das Band zwischen Leib und Seele, welches Gott ist, an den
bellen Tag des Bewnssteeins zu bringen." „Die Materie ist nnr ein Moment
in der Entwicklung dee Geistes seihet Der Geist ist das wahre WesAi des
Menschen, welches aa der Materie nnr die Weise seiner ftnBerlichen Erscheinung
hat." Vorangegangene Aphorismen suchen diese Behanptongen zu stützen.)
540. Die Abgötterei des Wissens (E. Fitzga, Österr, Schulz.**)
1892, 1). n^^issen ist Macht, aber nicht Allmacht. Die Gegenwart legt
zuviel Machdrack auf die Cultivimng dee Verstandes, vemacblttssigt daher
Gemflth nnd ESrper. Die Benrthettnng der Menschen sehSpft man znmetet nnr
aus Studien- nnd Prftfangszengnissen. Je mehr deren vorliegen, desto besser;
daher das heutige Wissensprotzenthum. Wichtige Eigenschaften, die in keinem
Zeugnisse stehen, wie Sparsamkeit, Treue, Genügsamkeit, Findigkeit, prak*
tischer Sinn etc., werden infolgedessen zn gering gescb&tzt." „Die einseitige
und ttbertriebene VerstandeqiAege ISrdert allznseiir den Egoismns.* ^Das
Wissen mnss aufhören, Selbstzweck zu sein, nnd sich bequemen, dem Menschen
zu dienen als Rüstzeug auf seinem Wege zur Sittlichkeit, zum Guten, zur
Vollkommenheit. Ein guter Mensch steht höher als ein blos intelligenter,
und das Ontsein eines Menschen hängt nicht von der Ausdehnung seines
Wissens ab." (Ist zwar nicht neu, also eine Wiederbolnng — aber eine
nothwendige, zeitgemäße. Es sind bisher nicht viele gewesen, die gegen den
jetzt noch in den weitesten Kreisen herrschenden Wissenschaftscnltns eifern.)
541. Die schweizerische Fortliildungssohule (E. Zingg, Schweiz,
päd. Zeitschr. ***) 1892, I). „Die Fortbildungsschule isteine nothwendige Er-
gänzung der Primarschule (deshalb für alle verbindlich, also „Obligatorium"),
und dnrch ihre Einfügung in den Schuloiganismns erhalten wir erst eine
eigentlidA Yolkssehnle, die geeignet ist, auf alle Verhlltoisse des privaten
*) Eiaseiheft 45 Pfg.
**) Einsefarammer 90 "Ptg.
***) Einzelhcft 1.20 Mk. i4 ITcftc kosten im Jahresabonnement 6 Fr., fÄr
Abonnenten der Schweizer Lchrerzeitung aber nur 2 Fr.!)
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— 586 —
und nffentliclieu Lebens t iiizuwirken." Sorge für die allgemeine Volksschule
soll als Sache des Bundes rrkllirt werden. Als Name „Bürgerschule" vor-
zuziehen, weil er die Hauptaufgabe der Schule andeutet. Schüler vom 10. bis
18. Alter^jahn in drei HsllUahr8-(Wiiiter-)Giin6ii mit mindetttna 4 ünter-
richtsstunden w9chentli4dL Errichtung von JahreaKhulen (Beftignis der Ge-
meinden) wäre zu erleiehtern Bod zu begünstigen. — Ideale Unterrichtsweise:
Vorträge und Discnssionen aus den Gebieten der Geschichte, der Landeskunde,
der Naturwissenschaften, der Volkswirtschaft und der Gewerbe. — Besondere
Lfthrer, die anMehUeinieii im Bttrgenchiddieiiit stehen (dnn ge^gnet nnr die-
jenigen, welche n^i<^ii praktischem Geschick verbinden, auch im Leben
draußen ihren Mann stellen"). Die berufliche ADibildung der Lehrer (im
Seminar; hat auf die spätere Wirksamkeit als Bürgerschollehrer Rttckaicht zu
nehmen.
542. Die eriiehliehe Aufgabe der Handwerkertelmle nnd
Mittel zu deren Lösung (Cathian, Zeitschr. f. gewerbl. Onterr.*) 1891/92,
X). Nur eine verschwindend kleine Zahl junger gewerblicher Arbeiter tindet
eine angemessene Erziehung im Eltern- oder Meisterhause. Von den durch
Behörden und Vereine geschaffenen Ersatzmitteln (Lehrlingsheim, Privatpflegej
Ter^ridit sidi VerllMser nicht viel. „Bs bleibt — meint er — Amt nor die
Sdhnle. Kann die sich der Erziehoog des Lehrlings nicht nach Krttften
annehmen, so ist die Hoffnung auf eine Bessernng der sittlichen Zustünde in
den Arbeiterkreisen nur eine sehr schwache." ,,Die erzieherische Aufgabe
der Handwerkerschule lässt sich in der Weise präcisiren, dass wir sagen: die
nni anvertrante Jugend soll fBr das Leben, ffl^ den Kampf nms DaMin vw>
bereitet werden, nicht bloe nach der wirtschaftlichen, sondern auch nach der
sittlich-religiösen nnd nach der gesellschaftlichen Seite hin.** Mittel: Wort
Schrift. Beispiel. — Einzelziele: Ehrfurcht vor der Größe, Schönheit, Gesetz-
mäßigkeit der Welt ((.Quellen: naturwissenschaftliche Fächer) — MitgefulU
Qimt sldi eraeigen durch Betrat^tong der Tagesvorgänge — BeBilmng von
Zeitangsnaehriehten!) — SelbstgefHhl; Selbotaehtnng — wahrer Mnth des
Mannes — Mnth der Erkenntnis und des Eingeständnisses — freiwilliger Ge-
horsam — Sinn für Gerechtigkeit und Recht — geistige Geweektheit
(Fähigkeit des raschen Anffassens) — Unterdrückung der Neigung zu faulem
AaAchiehen, snr UnpttnktUehkeit, aar Genoissocht, Übeiliebnng, Vornehm-
thnerei. — I>er Lehrsr feeilich „rnnss ein Mann des Volkes sein; er darf
dessen Sitten nnd Gewohnheiten nicht fkemd, kflhl nnd theilnahmloa gegen-
ftberstehen".
543. Die Nothwendigkeit der Übung im lauten, freien and
snsammenhängenden Sprechen ans der Katar unserer Sprache er-
wiesen (Fr. Tanth, Zeitschr. f. d. deutschen Unterr.*^ 1891, XII). Vorafige
des hörbaren (lebendigen, natflrlichen) Lautes vor dem sichtbaren Stödten,
künstlichen) Zeichen. Vielseitigkeit, Wärme, Unmittelbarkeit der Lautsprache
(Fähigkeit zu reichster und sorgtUltigster Gliederung) — B^s<i)iränktheit,
Äußerlichkeit der Zeichensprache. Darum hat der Mensch die Laatspraehe
als hsmehende gewlhlt, um den Eindrueic aller Sinne, sowie dfe Gebilde seines
•) Einzelnumtner hO P%.
Einzelheit 1 Mk.
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— 637 —
eigenen Denkens damit auszudrucken.'' „Die laute Sprache setzt eine durch
Yererbong überlieferte, bis ins feinste gehende Ausbildimg der Athmnngs-
organe und des 6«h9n mit aUen dam gehSrigen Oehirntlieileii Toraiu. Wenn
wir diese Organe nach ihrer Eigenart nicht benutzen nnd ansbUden, so
schädigen wir die Grundlage und Ausbildiingsfähigkeit unserer heutigen, nns
angeborent ii Spraclianlage und damit unser ganzes geistiges Leben." ^SoU
unsere Sprache wieder eine ihrer Natur entsprechende, volksthumüche Schönheit,
Wolklaag, Dordisiditigkeit» ÜberslehtUoIikeit, Sidierfaett und Eügenart erhalten,
so mfissen wir in der Schule mehr als bisher das laute, freie, zusammen-
hängende Reden mit besonderer Betonung der Kl.irlieit und Schönheit sowol
beim Lenienden wie beim Lehrenden pflegen, und zwar nicht nur in der
Einzelrede, sondern auch in Wechselrede und im gemeinsamen Sprechen, im
gemeinsanien dranatisehen Spiel, im gemeinsamen Gesang.* Hnttenpfaohe
als „Mittelpunkt unseres gesammten Jngendlinterrichts.''
544. Die verschiedenen Gattungen der Geschichtsschreibung
und ihre pädagogisclie Bedeutung (Allg. deutsche Lehrerz. 1892,
9 — 11). Verfasser erörtert eingehend die „erzählende oder referirende" —
„lebriiafte oder fvagmatlsditt'* — nontwiek^de oder graetisehe Oesehidite"
— die „physischeiif psychischen und culturellen Bedingungen" für den
„Werdeproccss der geschichtlif 1h n Ereignisse" und gelangt schließlich mit
Bezug auf die Schule zu fols^i iidem Ergebnis: ..Die Hauptaufgabe des Ge-
schichtsunterrichts in der Schule möge die sein, durch die Betrachtung der
enltorgesehiehtliehen Bntwieklnng der Menschheit nnsem Kindwn die Erkenntnis
TOD der fortschreitenden HunKinitiit der menschlichen Gesellschaft zu vermitteln
und ein Geschlecht heranzubilden, das den stetig zunehmenden Anforderungen
unseres culturellen Lebens gewachsen ist. In der Ausbreitung und Vertiefung
des humanen Priucips, in welchem schon Herder die Bedeuiung dei' Geschichts-
entwicklong erkannte, mnss aneh die Schnle ihr höchstes Ziel erblicken, nnd
wenn der Geschichtsunterricht zur Erreichung desselben ein Scherflein bei*
trftgt, so hat er olfenbar seine schönste und wichtigste Aufgabe erfüllt."
545. Kopf- und Zwitterrechnen (W. Taschek, Die Volksschule**)
1892, 1). „Kopfrechnen mit Ziffern", „schriftliches Kopfrechnen" = „Zvvitter-
reehnen." Der Eopfrech^er soll es houner nnr mit Zahlen an thnn haben.
Nachtheile des „Zwitterrechnens'* (ersengt u. a. kein „Zahlengedächtnis*),
Verf. verlangt: 1, Reines Kopfrechnen auf allen Stufen vor dem Ziflerrechnen.
2. Abschaffung der schriftlichen Darstellung mündlicher Kecheubeispiele vor
dem eigentlichen Zifferrecbnen im 1., 2. und auch theil weise noch im 3. Schul*
Jahre. (Die dritte Fotdamng „Vermehmng der Beehenstuideii'* ist keine
drtnglidm.)
*) Einzelnummer 2b Pfg.
**) Einaehrammer 90 Tfig,
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Dr. E. Wrobel, Gymnasiallehrer in Kustock, Übuogsbuch zur Arithme-
tik und Algebra für hShere Lebranstalteo. II. Thett Ar Obefseemida
und Ptima. 189 Seiten. 1.40 M.
Reenltate lucrza. 97 S. 1.25 M. Rostock, Werther.
Dea ertitea Theil dieser Sammlung haben wir uchon im vergangenen Jahre
mit (^WUender ABerkauiiiiig bequoohen, und \iit TemBgen dieselbe auch
auf diesen zweiten Thcil auszudehnen. Die Anlage steht im Einklänge mit
dem ersten Thcil, indem bei jedem Paragraph eine gedrungene Au!>einander-
setmng der einschlägigen Lehrsätze, Formeln und LQsungsmethoden Torau-
(j:eht; sodann folgt eine große .Anzahl sorgt^ltip; geordneter, d. h. vom Leichteren
zum Schwereren fortschreitender Aufgaben. Der Inhalt umfasät tiuadratische
Gleichungen mit einer ud mehreren Unbekannten, Exponentialgleichungen,
arithmetische Progressionen erster und höherer Ordnung, geometrische Pro-
gressionen, Zinseszins- und Rentenrecbnung, KcttcnbrUche, dionhantische Glei-
chungen, Combinarionslehie. WahiMiieniUeuratReelmiiag, dfltt biii(niii«ihea nnd
polniomiachen Lehrsatx.
Wir haben uns die Htthe niebt verdrieBen lassen, eine betiCdiilidie Ansahl
der AufpalH ii (lurclizurfchnon, nnd haben dabei nicht nur keinen Druckfehler
gefanden, sondern auch bemerkt, dass, wenn ein neuer Vorgang zur Lösung
erfcoderiieh wird, das Heft der Besultate bienra Anweisung gibt, die nXdist-
ftrtgenden .Vufsfabcn sodann wieder unter Fortentwicklung des ang-edeuteten
Qeoankens ihre Losung finden. Wir mUssen also auch von diesem zweiten
Tbeile sagen, diuss er der äammlung von Heis ebenbürtig zur Seite steht,
wenn nicht diescn)c an Sorgfalt der .\nlage und Durchführung übertrifft, und
können daher dioscui Buche nur die größte Verbreitung wünschen. En .scheint
ja wol ai der Zeit, dass die viclraeb bis com Überdnue durchgearbeitete
Sammlon^ von Heis durch etwas Neues enetst weide, wosu das Vorliegeode
vollste Eignung besitzt. H. E.
Dr. Franz Uocevar, Profe&sor zu Innsbruck, Lehr- und Übnngsbuch der
Geometrie für ÜBtefgyiniiMieii. 2.Aafl. 122S. 195Fiff.imTest U201tk,
Derselbe, Lehrbnch der Oeemetrle fttr ObetgTiniiasieii. 199 S. 213Fi|r«
im Text. 1.70 M.
Derselbe, iieometrische Übungsaufgaben für Obergymaasien. 1. Heft
Planimetrie and Stereometrie. 51 S. öü Pf.
2. Heft. Trlgronometrie nnd analytiscbe Geometrie. 46 S. 50 Pf.
Tng nod Wien, F. Tempsky; Leipzig, G. Freytag.
Wir haben unliiner^t in cinciti Zeitungsartikel drn X'orwurf jjclcsen, das» die
BeepTecbuiiircn neuer liücher hüulig bchwaiikend und iinbestimnil gehalten seien,
woraus si( h die unangeiebne Folge ergehe, dass, wenn ein Lelurer ein ver-
altmdes Buch durch ein neues ersetzen wolle, er nicht wisse, nach welchem
er greifen solle, ja, dass er geradezu sich in der Nothwendigkeit befinde, alle
enchienenen Lehrbücher durcbsustttdieren« ehe er ntr Wahl schreiten kttnne,
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— 689 —
womit die Beäprechuag neuer Bücher aU eine ganz Tersebliche Arbeit hinge»
stellt ist. — Diesen Fehler wollen wir nicht auf vw tuen, nnd wollen sofort
erklären, dass die vorBtchcndcn Lehrbehclfe als musterhaft zu bezeichnen sind.
Bekanntlich werden an den höheren Schulen in ( »hterreich nur Lehrbücher ver-
wendet, welche die Billignng des Unterrichtsministeriums erhalten haben.
Di(»ses System hat mm allerdins^s den Nachtheil , dass wissenschaftliche
Fortsc hritte uur ^^eh^ langsam in den LchrbUchern und des weitem auch in den
Schulen Eingang tinden; dagegen aber auch den ^rolSen Vortheil, dass nicht
nur ganz mangelhafte Bücher gar nicht in die Öffentlichkeit treten, sondern
inm nch in didaktischer Beziehung ein stetiger und höchst beachtenswerter
Fortochzitt entwickelt hat.
Wie aus der Titeluni^iibe er^iditlich, wird an den österrriclii.schen Gym-
nasien der Unterricht der Geometrie zweistufig ertheilt: dius Buch für die
Unterstufe ist zugleich Lehr- und Übungsbuch und enthält alle Theile der
Euklidischen Planimetrie und Stereometrie, jedoch weitaus nicht in der
Schwerfälligkeit jener Lehrbflcher, welche rieh nicht yom Althergebrachten zu
trennen vermögen: es wird von den Rütteln der Ausehauung durch Einftlh-
rung der Begriffe achaialer und centrischer Symmetrie auagiebig Gebrauch ge-
maekt. Eine sehr gro6e AuaU voRflgUeh entwerfaner und ausgdoitrter Figuren
mterstUtzt den Text. Man findet neneniiichte Figuren, in Bezug auf die
Lehrsätze von den ungleichen tje^enstUcken des Dreieckes, dann von den
lUttelpunkten der Dreiecken oder Vierecken nmzuschxeibendett Knise, über die
mögliche Lage congruenter Dreiecke. Rbcr die ( '«mstruction congruenter Polygone,
tlber das Verhältnis der Flächen ähnliclier Figuren u. s. w. Nur eine einzige
Figur mässen wir als minder gelungen bezeichnen, es ist dies die Abwickelung
des Mantels eines schiefen Prismas: dabei ergab sich ein so stumpfer Winkel,
dass man bei minder genauer Betrachtimg denselben für einen gc«treckten
halten wird. — Zur Berechnung der Körpcriuhaltt laiirt der Verfasser du
Princip Ton Cavalieri ein und gibt demselben fruchtbarste Verwertung.
DasBu<;)i für die Oberst ufe enthält die Lehren der Planimetrie und Stereo-
metrie in giOlerer Vertiefung und mit streng wissenschatt lieber Bcgrflndimg.
Von der neuen synthetischen Geometrie wurde nichts oder fast nichts heran-
gezogen, dagegen auch auf dieser Stufe von dem Mittel der Anschauung moglichnt
Gebrauch gemacht. Im löblichen Bemühen wnsste der Verfasser fiir dieselben
Lehrsätze auf beiden Stufen verschiedene Figuren beizubringen, wie z. B. über
die Gegenstücke ungleichseitiger Dreiecke, denen beiden achiiale Symmetrie mit
uliMrhei Aux'hauliehkeit, jedo< h in verschiedener Gestalt zu Grunde liegt. In
der Stereometrie wird das Princip der sich entsprechenden Gebilde auch äuBer-
Ueh ZOT YenuiselimdiehQng gebracht, indem die penüden Ldmltne Uber die
sich cnt!<prechcndcn Gebilde in zwei-spaltig bedruckten Seiten initgetheilt werden.
Der Satz des Oavalieri erfährt eingehende streng wissenschaftliche Begrün-
dung, sodann aber aneh anigebreitete Verwendung.
Wir hatten schon Gelegenheit, das Leihlbwdi des Verfassers für Realschulen
zn besprechen und die Vorzüge zn vtid^en, welche bei dessen Abfassung der
Trigonometrie und analy tischen Qeometm zutage traten; aOe diese Vorzüge
wusste iler Vi rt'as-i r am h seinem Buche für die Gymnasien zn bewahren, ob-
wol die eben geuanaten Theile der Mathematik für die humanistischen Anstalten
Tiel geditngter behandelt sind — so entfällt nanentlieh die sphSrisdie Trigono-
metrie t!:änzlich und von der Geometrie der Lage wird kaum etwa.s flüchtig
augedeutet. Dagegeu finden wir wieder jene wolerdachten Figuren, welche
für alle WinkelgröBen eine einheitliche Ableitung der Fonnel für die Functionen
der Summe und Piflerenz zweier Winkel gestatten, und auch jene Figuren, an
welchen die .Vnflüsnugsformeln der Dreiecke geometrisch construirt sind. —
In der anal ti «Ihii Geometrie ist die Bichtung der Drehung arithmetisch fest-
gehalten, indem die Drehung entgegengesetzt dem Uhrzeiger als die positive
angenommen wird. Diese Festsetzung gestattet die Aufstellung der Gleichung
von Winkeisymmetralen, deren Verbindung sodann avf die symbolischen
Formeln führt.
Die beiden Hefte der Übungsaufgaben sind dem Lelnbuche fllr Obeigymnasien
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derart augepasstj daiss die Aufgaben in derselben Wei^e wie das Lehrbuch ge-
ordnet iind, vnd du» Übungsheft nadi Paragraphen, Fignren und Zahlen nch
auf das Lehrbuch bezieht, so dass das rinc ohne dxs andere kaum zweckmäßig tre-
braucbt werden kannte. Die Sammlung enthält 1541 Beiapiele und ist dem-
nach eine sehr reichhaltige ni nemieB; auf Jedes der vier ^mpttheile entftüUm
nngefähr 400 Nuramern.
Die Verlagshandlung hat ihr möglichstes gethan einerseits für tiae schöne
lud sorgfältige Ausstattung, andeneits fttr einen möglichst billigen Preis;
es verdient d^er dieses Buch als ein in jeder Beaielinsg musterhaftes beste
Empfehlung. H. £.
Hr. W. KrieM, Sdraliiupeetor, Ansgangspankte und Ziele des ireo-
metrischen TTnterrichtes in der Volkuohule. 54 S. 3. Avil
Breslau, Morgenstern. 50 Pf.
Wir haben schon bei der ersten Auflage vor 5 Jahren bemerkt, dass der
Titel dee Toiiiegenden Heftes etwas ganz anderes erwarten lisst als ge-
boten wird; der Titel scheint auf eine Methodik hinzuweisen, der Inhalt
zeigt sich aber ak ein höchst elementares Lehrbuch der Geometrie. Die
„Unterstufe" soll die SchOler mit dem Oebranch von Zirkel und Lineal be*
kannt machen, will also im {janzpn ein propädeutis<bor Unterricht sein;
dabei kommen jedoch schon auf der dritten Seite Wiukei ^au" l'arallelen zur
Behandlung, — nicht ^zwischen" Parallelen, wie dort als Aufschrift unrichtig
steht. Sondtrbarcnveise iinterlässt es der Verfasser, der Erklänine: der
Winkel au Parallelen, sowie der Eiutheilung der Vierecke eine Figur bejzu-
tügen, obwol er später mit den Figuren nicht gerade sparsam ist. Wir
geben für den propftdeutiiichen Unterricht unbedingt der Darlegung der Be-
nehnngen von Linien und Fignren an KörpermodeUen den Yorsng und sind
auch der festt.n Überzeugung, dass dieser Vorj^arip: dem Schüler die Sache viel
rascher und leichter zum Verständnisse bringt^ als der vom Verfasser befolgte
Vorgang.
Die „Mittelstufe " setst den geometrischen Zeicbennnterricht fort in der
Herstellung von 31nßgtäben, in der Theilung von Strecken und Winkeln, in
der Darstellung von regelmäßigen Viele<-ken, Ellipsen u. s. w.
Die ^Oberstufe" beginnt mit der Congrucnz, brinj^t etwas Weniges über die
Ähnlichkeit and geht abbald Uber anr Berechnung des Inhalts ebener und einiger
iftamHeher Gebilde. Die Figur, welche der Vemisser cor Entwicklung des pv-
thaporilischon Lehrsatzes bringt, ist m> imliiiiolf* n, dass sir von den Schülern
als Edelsbrikcke bezeichnet wird, sie wäre daher zweckmäßig durch eine hand-
samere, (kren es sehr viele gibt, zu ersetsen. Gleichfalls nnbeholfen ist die
auf Seite 42 luicrt L-^clicnf Art, ein reffclmä Bitzes Vieleck zu zeichnen, und auch
unnöthig, nachdem schon auf iSeite 28 ein eintachcrer Vcrgang dafür gegeben
ward. Ohnehin darf angenommen werden, dass d«-r Schüler derart zusammenge-
setzte Constructionen rasch vergisst und sich bt iin thatsächlichcn Hedarff entweder
eines Trans^rteurs oder der vcrsucbsweiseu Tbeiiuug bedient. — Bonn Trapez
und beim Bingnosschnitt kommen Formeln vor, welche der algebraischen Ortho-
graphie ganz zuwider sind. Ein Verstoß gegen die mathematische Orthograp
phie ist ein viel schwererer Fehler als ein Verstoß gegen die sprachliche; letzterer
kann den Leser höchstens zu der Bemerkung voranla>sen, dass die Recht-
schreibung des Verfassers eine ungebräuchliche sei; ersterer aber veranlasst den
Leser unbedingt zu einem sachlichen Irrthnm iMsllgHch der AnsfOhrnng vnd
Itichtigkeit einer Rei bnun^j. Wenn das Büchlein trotz un riiitreii Inhaltes und
mangelhafter Auafährung es doch zur dritten Auflage gebracht hat. so sind
die Ürssehen dieser Ezsdieinung jcdenfialls wo anders za suchen, als un Werte
des Gebotenes. H. E,
Virantwortl. Kedoctcur Di. Friedrieb Dittet. BosMmckcrci Jnliua Klinkbardt, Leiptig.
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Das Gewissen und seine Fliege.
Von AvgvH Btlhm'KSm^ibtrg in Oitpveaten.
In seinem neuesten Essay: „Ansichten über Socialpolitik des
Staates'*, führt Herbert Spencer sehr treffend das Folgende aus:
„. . . . Der nienschliche Charakter ist das Kesultat einer viel tausend-
jährigen Geschichte, in der die Menschheit sich allmählich aus dem
antisocialen Zustande ewiger Kriege zu dem heutigen vergleichsweisen
socialen Zustande emporgeschwungen hat. Eine Menge von Zügen,
die in jenen vergangenen Zeiten wilder Kämpfe und ungezügelter
Leidenschaften sich ausgebildet haben und damals den Menschen zur
Behauptung im Kampfe ums Dasein geschickt machten, belasten ihn
noch heute und bilden die Quelle des meisten Elends und Unfriedens
in der Gesellschaft. —
Ein logischer Irrtham oder verbissener Pessimismus bewog ihn
aber dazu, hinzozuiligen: »Enieheii, Predigen hilft hier so gut wfo
nichts, nnd menschliche Wdsbeit ist hier ohnmächtig; wirksam ist
nur die mranteibrochene, langsame nnd grausame Zncht, die durch
die Natur der Verfafiltniräe geabt wird." — Er begeht hier offenbar
den Fehler, dass er die durch Nachlfissigkeit, Zuchtlosigkeit und
Schlaffheit der ftthreaden KSchte eines Volkes geschaffenen YerhSlt-
nisse mit den durch Um- und Vorsicht, sitüiehen Emst und aus-
harrende Treue erstrebten in einen Topf wirft und auSer acht ISsst^
wie die letzteren, wenn auch sehr langsam, doch schlieSlich den Sieg
Uber die erateren eirungen haben.
Wie viel elender würde es aber in der Welt ausseben, wenn
Familie, Schule, Kirche und Staat sich jeder Einwirkung zum Besseren
enthalten, wenn Presse, Wissenschaft und Kunst muthlos jedes ver-
edelnde Bestreben unterlassen und alle Bessergesinnten die Stimme
der Erfahrung und Vernunft auf der ganzen Linie verstummen lassen
wollten! Im Gegentheil: je emster die Zeit — und unsere ist wahrlich
PMU«a«iSB. 14. Jaliig. H«(t UL S8
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— Ö42 —
erust genug! — desto eifriger mOssen die Vorkehrungen za sittlicher
Erstarkung geprüft und nach BeAind znr Anwendung gebracht werden.
Sehr t>ch>ver ist es aber, die richtigen Jleilmittel lieraiiszufinden
in einer Zeit, in der die alten Autoritäten fast duichweg wanken,
weil ihre Stützen, die blinde Furcht und die Unfähigkeit der Menge
zu selbstständigem Denken, mit ihnen zugleich zu vei^sch winden im
Begriffe sind. — Nadidem man lange die Hilfe In einseitiger Pflege
des Intellects gesacht, alhnählich aher geftinden hat, dass die Mehr-
zahl der so Erzogenen zu herzloser Selhstsncht, sittlicher Öde,, wo
nicht gar zn rafiOnirtem Spitzhabenthmn heranreifte; nachdem man
femer den etwas schflehtemen Versuch der Znrttckschraahnog der
Menschheit in die alte knechtende Dommheit aufgegeben hat, da statt
der gewünschten bescheidenen EinfUt eine i-oh-thierische OldchgÜtig-
keit sich einstellen wollte, will man es jetzt wieder einmal mit der
Kirche ymidien, stellt reomflthig alle seit Jahren gegen die katho-
lische Geistlichkeit gebrauchten Walfen beiseite und versieht sie wie
die evangelische Kirche mit ungeahnt reichen Oeldmitteln und den
weitestgehenden Machtbefugnissen tkber die Sohule. — Ob es helfen
wird? Wii" bezweifeln es, solange die Kirche selbst nicht einen
Schritt Torwärts thut, um sich die Theilnahme aller, auch der Qe-
bildeten zn erringen. Und so bleibt denn vorläutig die abermals in
unvOTdiente Fesseln geschlagene Schule der wiclitigste Factor für die
Hebung der menschlichen Gesellschaft aus dem Sumpfe der Selbst-
sucht und Genusswuth unserer Tage. Dieser al»er ist iiierfür kein
anderes Mittel so zu empfehlen als die Kräftigung und Ausbildung
der im luneni jedes Kindes schlummeniden Autorität: des Gewissens.
Zunächst nun einige Worte über dieses selbst.
Das Wort „Gewissen" ist seinem Staninie nach von dem Worte
„wissen" abgeleitet, während seine Vorsilbe so viel wie „mif oder „zu-
sammen-' bedeutet. — Lange kannte man dies Wort gar nicht; denu
die alten Griechen sprachen nicht vom Gewissen, sondern von Erinnyen
(Furien), welche die Bösen plagen sollten. Erst kurz vor ihrem Ver-
falle kamen sie der Wahrheit naher, und ihre Sophisten lelirten: ,.Der
Mensch ist das Maß aller Dinge", während Sokrates den tiefsinnigen
Satz aussprach: „Die Tugend ist ein Wissen; nur was mit dem vollen
Bdwuastsein des sitüidifln Gesetzes geschieht, ist gut, und wer die
Tugend wirklich in Ihrem Wesen ericannt hat, der muss nothwendig
auch tugendhaft sein." — Unter den Bdmem waren es besonders
Cicero und Seneca, welche sehr treffend die innerlieh mahnende Stimme
des Gewissens durch ihre Aussprüche rerdeutlichten; denu ersterer
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«pradL das Wort: „Jeden qnfilt seiBe Bosheit'', und Seneca memte:
»Ein sacer spirittis, eine heilige Begang, ein von der Gottheit stam-
mender Zug der Seele wohnt in nns aJa ein Beobaehter and Wächter
Uber Gntee und BOses.** Aber erat dem nm ihre Zeit lebenden Apostel
Panlns kam der rechte Ansdrock dessen, iraa sie ffthlten, indem er
ans Eorinth an die Christen in Born von den Heiden schrieb, «die
das Oesetz nich^ haben und doch yon Natmr thnn des Gesetzes Weri[,
.... sintemal ihr Gewissen sie bezeuget* Und seitdem spricht
man häufig vom Gewissen, so häufig, dass man oft g:anz vergisst, sich
der Bekanntschaft mit dem Wesen desselben zu befleißigen.
Bekanntlich führt ein Wissen wollen zn jeder Seelenthätigkeit;
ohne dieses gäbe es keine Wissenschaft, keine Lust am Schönen,
keine Kunst, kein Recht, keine Sittlichkeit, keine Religion. Neben
diesem Wissenwollen geht der menschliche Grundtrieb auf ein Ver-
langen, ein Streben nach einem Gut, welches je nach der Indivi-
dualitat des Menschen von tausendfacher Art sein kann. — In dieses
oft widerstreitende Triebleben sucht ein uns angeborener Zug Ordnung
zu schaflfen, was bei den durchweg sinnlichen Bedürfnissen der Thiere
nicht der Fall ist. Bei ihnen ist daher kein innerer Conflict, er sei
denn durch Eingritfe der Menschen ihnen anerzogen. Dies Ordnen
ist neben dem logischen Denken auch das dem Menschen Charakte-
ristische. Gewöhnlich gelangt dieser Ordnungssinn bei ihm auch zui*
Herrschaft Uber alle anderen Triebe, wflrde aber, da der ordnende
Intellect an nnd fOr sich interesselos ist, noch wertlos bleiben, wenn
inr Menschen daneben nicht noch ein sittliches Princip wohnte, das
den Ausgleich der selbstischen mit den geselligen Neigungen, ein
Unterordnen der Sinnlichkeit nnter den Geist anstrebte. Dieses Princip
ist uns offenbar angeboren nnd als ein wesentliches Gattnngsmerfcmal
des Menschen anzosehen. Selbst bei den allerroheBten Völkern der
Erde, sogar bei den Menschenfressern finden wir es; denn bei ihnen
auch gilt eine Unterwerfong aller unter einen Gebraoch, anter eine
Ordnung. Anch sie verachten Feigst, Yeriogenhelt n. a. m. nnd
ehren Math, Verachtung von Schmerz, Mühe nnd Geduld bei ESn-
fibung ihrer Fertigkeiten o. dergl. — Und von diesen Anfängen an
ist, das steht fest, das sittliche Princip bildend gewesen bis auf den
heutigen Tag, bis zur G^taltang des jetzigen ästhetischen Geschmackes
in allen Künsten. Die von diesem Frindp gelenkten Triebe sind zwar
noch kein Gewissen, bilden aber seinen wichtigsten BestandtheU; denn
zu diesem Angeborenen tritt nach und nach eine Gewinnung von fest
nnd inmker fester werdenden Normen oder Gesetzen für jedes Indivi-
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duun, sngliiieb angepftsst dem jeweiligen Zeltgeiete. Dts Ganze -dieBer
dtükhen VorsteUmigen lagert sich schließlich als Richtschnnr für
unser Handeln im Oewiaaen ab. Das Gewissen ist also das Gefiihi
einer inneren NOthigong, onser Wollen und Handeln nach dem Ka6-
Stabe der Ton nns als Terpflicbtend yorgefondenen nod aaerkaanteD
Normen an prUÜBa nnd zu richten.
Bevor ich nun zu den AusfiUiningen über die' Pflege des Ge-
wissens übergehe, möchte ich noch zwei Irrthümer in Bezug auf das-
selbe widerlegen. Der eine ist der, dass man annimmt, das Gewissen
könne irren; er beruht aber entschieden darauf, dass man von einer
falschen Norm aus urtheilt oder logisch falsch schließt, und es lie^t
dann eben ein Irrthuin des Verstandes vor, der nicht überlegend
genug eingriff. Man kann also wirklich einmal die thörichtest« und
verfehlteste Handlung mit ganz ruhigem Gewissen begehen und die
vernünftigste, ja allein richtige nicht ohne vorhergängige Einrede und
Beunruhigung des Gewissens. - Einen anderen Irrthum begeht mao^
indem man einen Unterschied zwischen einem bösen und guten Ge-
wissen macht. Er hat sich jedenf alls dui'ch einen bloßen Sprachgebrauch
eingenistet; denn wenn das Gewissen nach unserer obei'flächlicheu
Meinung so recht bdse zu sein scheint, so übt es seine Fonction
gerade recht gut and ToUkmunen ana. Eb geht eben mit dem Oewiaien
irie mit der Geaindheit; dieae ist da, wenn kein Schmers geflUüt wird;
daa Gewiaaea ist gut, beaaer rnhig, wenn ea nichta BOsea an ver-
aeiaea hat Und es ist fttnigena dooh eine recht gaSdige Einrichtnng,
dass daa Gewiaaea sich aoch des Ihatitatea der Veijfthning nnd Amnestie
befleilUgt» aonat kimea wir doch wol vor ewiger Unnihe nm. —
Wol alle Jfenadwn haben em Gewiaaen; daa aahmea dean ancfa blaher
alle Geeetsgeber an, — und man rüttle, ganz besonders Charakter*
schwadiea gegenüber, aa dieser Wahrheit nicht, sonst nimmt bei ihnen
daa Eatachnidigen kein Ende — aber die im Leben allm&hlich ge-
wonnenen Normen sind offenbar sehr verschieden, je nach der Bildonga-
atafe, dem Zeitalter, dem Volk nad der ladividnalität Daa Gewiaaea
kann also ausgebildet werden.
So tröstlich diese Gewissheit auch ist: sie hält ans Emehem zu-
gleich eine Pflicht vor, wie sie schwieriger kaum gedacht werden
kann. — 0, wie athmet selbst mancher ganz gewissenhafte Lehrer
auf, wenn er bei einem Überblick des vorgeschriebenen Jalirespensums
findet, dass dem da geforderten Soll gegenüber ein ziemlicli deckendes
Haben von ihm aufgewiesen werden kann; und doch ist seine Pflicht
damit nui* dem Äußeren oach erfüllt: gerade die Hauptsache will aa8>
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dor Haitang der daase in nnd anBer der Sehale, ans der Lebena-
«ufbasDiig und Lebensbaltmig der schon Erwachsenen anter seinen
SchtUem heraosstadirt irerden. —
„Non, damit hat es gnte Wege^ meint gewiss mancher stftdtiscbe
Lehrer, der an einem Schiihuigeheiiv von «wOlf , achtMhn nnd mehr
Oiassen arbeitet and womOe^di in der HAlfte derselben an thnn
hat Und leider kann er es sagen; demi wer will da noch nach-
weisen, welches seine Schüler sind?! — Niemand, - auch der Ge-
wissenhafteste nicht, — kann da nocli eine einheitliche £inwirkang
auf die Schüler aosüben, die nach drei bis vier Schuljahren von der
tiefsten Bedeutung vor ihm auftauchen, um nach etwa einem Jahre
bereits wieder aus seinem Gesichtskreise unter den tausend und mehr
seiner Schüler für lange oder immer zu verschwinden, die gewöhnlich
10 bis 20 und mehr Lehrer gehabt haben, von denen jeder nach seiner
Weise an ihnen arbeitete!! — AUerweltsfreunde und wahre Chamäleons-
naturen können da meistens gezeitigt werden, auch wenn ein solches
Schulungethüni den tüchtigsten Rector hat, der auf ein ziemlich ein-
heitliches Verfahren sein Augenmerk richtet. — Ja, wie sieht es damit
aber in Wahrheit ans? — Und wie kann es damit aussehen in einer
Stadt von 150000 bis 300000 Einwohnern, deren Schulleitung mit
ihrem Ungeheuern Wust von Bureaukratismus und tausendtaltigen
persönlichen Bestrebungen und Wtililereien im Grunde einem Manne,
dem Stadtschulrath von „classisch-humanistischer Sorte^ in die Hand
gegeben ist?! — — Wollte man dieses Tohuwabohu einigermaßen
acharf beleuchten, so konnte man BOdier voll der sehreddiehsten
Dinge berichten. Also fort davoni Frene dkli darom, dn scheinbar
nrmsdiges Landsebidmeisterlein; denn dn hast keine Ahnung von dem,
was gerade manchem tOchtigen nnd chankterfiBsten stidtisehen Gollegen
die Seele zenreißen mnss, kannst «igen auf diesen nnd jenen deiner
ehemaligen Schiller nnd mit Fronde und Genngthvong sagen: Das ist
«iner meiner SchQler, sein Werden nach dem Geist ist mein Werk! —
Wie kann nnn aber das Oewissen des Sehltters gekräftigt nnd
gut ausgebildet werden?
Es geschieht dies einmal durch StSrioing jenes angeborenen sitt-
lichen Princips. Wer sie bewirken will, moss sich selbst auf den Boden
des Guten und Rechten stellen, sonst verletzt er täglich und stündlich
die sarten Anlagen des seelischen KeimpdJMMchens in seinen Zöglingen;
sonst verliert er mehr und mehr alle jene unsichtbaren Anknttpfungs-
ponkte nwischen sich nnd den zartbesaiteten Kinderherzen. — Wer
das veimag, der braucht sich ttber das Wie nicht ängstlich den Kopf
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zu zerbrechen: seine Schlier hiogen aa ihm mit den Augen und Herzen;
sie BteUen rieh auf seine S^, wem er das Sehlechte nm sie her
verdammt, nnd athmen dankerfOUt auf, wenn er sich Ittr das Onte
erhebt
Zorn andern hilft man dem Gewissen der Schiller dadurch &v£,
dass nun sie nach und nach daran gewohnt, auf sich selbst za merken,
wolTerstanden: der einzdne auf rieh selbst Wie delicat muss aber
diese Sache angefangen werden, wenn mau nicht mehr verderben als
gutmachen will. — Soll doch die Jugend ihre Freude, der Jüngling
seine Lust haben! Weiß man doch, wie verderblich der Jesuitenorden
gerade auf diesem Gebiete gewii-kt hat! — Und doch muss es gewagt
nnd gemacht werden; denn ohne innere Einkehr keine Auskehr der
im Innern bereits vornestelten Untugenden. — Ich sagte schon, dass
man sie nach und nach daran frewühnen muss: immer milde, aber
dringend, immer mit freudigem Hoffen auf ein gutes Gelingen, stets
mit Genugthuung über das schon Gewonnene, mit sieggewisser Stiiii-
raung dem noch zu Überwältigenden gegenüber, bis man schlieUlich
von dem Scliüler weniger als Lehrer, denn als Freund, weniger als
kühldenkender Arzt, denn als bewährter Mitkämpfer anerkannt wird.
Man muss femer das Gewissen der Scliüler dadurch auszubilden
suchen, dass man ihnen turtgesetzt aber mit Maßen richtige Normen
bietet und auf stete Beachtung derselben hält. Ein paar Stichwr»rter,
mit Beharrlichkeit an der richtigen Stelle eingesetzt, wirken mehr
als hundert langathmige Lehren und Gesetze.
Auch glaube man ja nicht, dass der Stoff und die Sache selbst
schon zwingend nnd unentwegt eine veredehide Wirkung ausüben und
allcB som Besten kehren wird! — 0, wie manches Gebotene wird
noch nicht eitMwt oder nicht hlsreiehend gewürdigt nnd oft nvr, wril
die innere Theünahme des Anbietenden keinen treffenden, packendeD
Ansdmck f&nd. Und wie oft hat man in PrllftmgslUIen keine Zeit
oder Lnst mehr dam, langwierige nnd tiefe Betrachtungen Aber die
sich aofdrftngende Angelegenheit ansostellen, nnd nnr das glftcUiche
Auftauchen eines so oft als treffend anerkannten Wortes brachte die
Rettung vor flbereilter, unbedachter That Hsn biete den Kindern
auch nur solche Nonnen, die einem ans dem Herzen kommen, und
nicht solche, welche als landläufige Redensarten bereits bis zum Über»
druss gehört shid und daher Terdftchtig oder doch abstofiend wirken
könnten.
Erst bei vorgeschritteneren Schülern wage man es, durch An-
legung eines höheren II aßstabes die sittlichen Begriffe seiner Schüler
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zu erweitern und zu verfeinern. Hierbei ist jedoch gleichfalls die
größte VoreichL zu gebrauchen, da man eben nie vergessen darf, dass
man es mit Kindern, also mit Wesen zu thim bat, denen sich meistens
erst nach dem Austritte aus der Schule der roUe Emst des Lebens
im mMeflen pflegt. Hier ist meistens ein anfrichtigeä Wort Uber
selbst erlebte dttliclie Schwierigkeiten mehr am Platze als gewisse
Warnungen, die gerade unbeabsichtigte Unterweisungen im Bösen
werden kOnnen. — Wie viel Segen wftrde in Bezug auf das eben
erwfthnte Mittel zur Gewisseuspflege euie den Zielen nach gleichai-tige^
aber nach und nach sich immer swangsloser gestaltende Fortbildungs*
schule, die sidi gleich an die regelrechte Schulzeit anschlieftt, schaffen!
Erst ebiem Jünglinge kann man mit Erfolg zurufen: «Werde ein
Charakter!** oder „Wer im Greckoiiaul^utz dnhergeht, ist eine wan-
delnde Lttge.** Und der Jungfrau: „Fnter dem I^lbweltsflitter leidet
jede Anmutl), wie jede wahre Schönheit," „Das Außere mnss mit dem
Innern, die Kleidung mit der Bildung und dem Stande Übereinstimmen."
Diesem Alter ruft man eher mit Erfolg ins Gewissen: „Jeder hat nur
einen Platz, den möge er gut ausfüllen/ „Niemand darf wähnen,
dass er in dem Mittelpunkte des Weltganzen stehe/ „Wer seine
Aifecte noch nicht beherrscht, der sitzt noch tief in der Knechtschaft/
„Nicht das Behagen des Menschen, sondern seine Pflicht ist der
Zweck, wohin alles tendirt.- „Edel .sei der Menscli, hilfreich und
gut." — Fort also mit den zu spät einsetzenden Fortbildungsschulen,
deren Besuch erst erzwungen wird, wenn eine unheilvolle Verwilde-
rung bei der Jugend eingerissen ist, und die außerdem nichts (iemüth-
biidendes bietet!
Ein ganz besonders ertolgreiches Mittel zur Pflege des (-rewisseDS
ist die Erziehung zur Pietät vor allein Großen aller Völker und
Zeiten. T>a mir das Thema niclit gestaltet, mich hierüber eingehend
zu verbreiten, so deute ich das Große nui* an mit dem Herzenswunsche:
Griechenscbönheit, keusrh und ynhr,
Küinerrech f , parteilos, klar.
BritCQiiraktik, lest und gut,
0eatiehn Wisien, dentacher Huth,
GaUteu Liebreis, geistdinditiiiikt,
dritten lieb, dvrch nichts bcschriUikt,
Xordlands anspruchsloses Wesen:
Muchct doch die Weit geuesen!
Aber auch durch Gewöhnung zui' Pietät gegen den Einzelnen
mnss das Gewissen geschärft werden; denn „die Ehrfurcht bewirkt",
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sagt Dr. Paul Gülilcld, „dass das Kind gehorsam sein will, und so wird
Gehorsam das Ziel seines ^^'ille^s und nicht dessen Geißel." Diese
Ehrfurcht vor der einzelnen Persönlidikeit ist aber heute ein gar
seltenes Ding; denn Leute, die allei; von ihnen bisher Hochgeschätzte
zusammenbrechen oder doch wanken sehen, sind sehr geneigt, auch
die achtenswerte^ste Persönlichkeit mit einem einzigen Worte gleichsam
abzuthun und den nun gar, der in eigenster Weise die Welt an-
schaut und auf eigene Weise sich mit ihr abfindet, eben weil er nicht
zu der Dutzendware und den oberflächlichen Allerweltsfreunden
gehört, zu verlachen und zu besudeln. — Auch das begabteste Kind
muss zur Achtung anderer und die Menge dahin gebracht werden, dass
aie nicht schamlos dasjenige bekrittelt, was mit Ehrfnrcht nnd Hoch-
achtung angesehen werden will, sondem umgekehrt jeden, der in
seiner Aninge etwukGroßes verspricht, in Selbstverleugnung zu heben
nnd zu halten trachtet.
Kio j*.-(lci Measch: ein einzig Wesen,
Das so zu achten ist wie du;
Br mug sich frei sein Ziel erlesen,
Fflhr* frei es der Vollendung zu.
Dem w!ril sein Werk wol nionial^i glttcken.
Der sich dabei devot rauss bUcken.
Ein jeder wttnseiit ein eignes Streben,
Weil jeder anders sieht die Wdt.
Durrh vieler eigcnart'ges "Weben
Wird Harnionic erst hergestellt.
£s ist hier keineswegs rounütheu,
Dass alle deine Wege kneten.
Willst du die Freunde stets nur lenken,
Wirrit du gefürchtet, uicht geliebt;
Indes sie dem die Führung schenken.
Der, hochbegabt, doch Demnth flbt.
Wie tc^ietlieh, wenn in Kam^lHneiten
Erprobte Ktniplsr diA begleiten!
Neben der Pietät niuss aber noch etwas als Stütze des Gewissens
gepflegt werden, was weiter hinaufweist Paul Mautegazza deutet
dieses mit dem Worte an: „Der Mensch ist nur dann ein Mensch,
wenn er etwas glaubt und hofft, was höher steht nnd länger dauert,
als er selbst."
Diese Aufgabe weist zwar zunächst auf den Religionsunterricht
hin, eine Disciplin, welcher wol jeder Lehrer, wenn er erst ihren
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ganzen Stoff beherrscht, gern, ja mit größter Verinnerlichnng
obliegt; aber gerade bei näherer Betrachtung der Stoffauswalil müssen
wir imiDor der Kirche gedenken, die die einfachen, rein ethischen
Stoflfe nur zu rücksichtslos verdrängt, um die Kinder mit Dingen zu
quälen, die nach dem Eingeständnis der Kirche selbst auch dem
glaubensfreudigsten erwachsenen Christen oft bis zum Tode hin
gründlichst zu schafteii maclien.
Schon erhebt sich der Kampf zwischen denen, die da rufen:
„Christus ist für uns ^^estoibeir*, und denen, die da sagen: „Christus
hat vor allen Dingen für uns gelebt"; — schon schreibt der Professor
und evangelische Theologe Dr. Kast an - Berlin in der Wochenschrift
„Christliche AVeit": „Es gibt kein anderes Mittel, den Widerstreit
aus der Welt zu schaflfen, als indem das Dogma aiiffrcgeben wird ....
Wir brauchen eine Umbildung der Lehre. Sie muss weit ausholen
und fordert ganze Ai'beit." Und da entsteht wol auch schier in der
Luft die Frage: Lehrer, wie wird es dir bei dem Kampfe ergehen?
Nnn der preußische VolkssehnUehrer wird sieh die Antwort anf
diese Frage angesichts des SdudgesetasentworÜBs Ton diesem Jahre*)
im stillen Ifingst mit dem Einwarf beantwortet haben: Das hSogt
ganz von der Gesinnung des Pfurers ab, der mein^ Beligionsitnter>
rieht überwachen wird. — Und so steht es leider in der That, wenn
— auch nicht ganz. Gewiss wird man an den meisten Orten wieder
die reine biblische Nomendatnr treiben, viele Psalter, Sprüche nnd
Lieder, Definitionen nnd Gebete auswendig lernen lassen mfissen, ohne
irgend welche Zeit za ebner ErlüAmng zu behalten, nnd so scheint
denn Herbert Spencer, von dem ich in dieser Arbeit aueging, recht
behalten zu sollen. Wenn aber die Lehrerschaft auf dem Platze ist —
nnd sie kann ihrem ganzen Bildungsgänge nach kaum anders — so
wird, wenn yon ihr besonnene Euhe beobaclitet wiid, die Entwicke-
lang zu einem erhabenen und schon winkenden Ziele ruhig ihren QttXkg
weiterschreiten; denn der Geist macht lebendig. — Ich kann nur
andeuten, was ich meine, und schließe daher mit der Bitte:
Druni lasst deui Volk die dichterische Sage,
Lagst ilmi der jus:(mdwouQ'geu Märchen Pracht,
Das gläubige Scheu ülierael'ger Tagej
BeUmpft den, der dies aUes wttst Teriacht!
Doch laait es ftthlen, wie im leisen Ahnen,
In einem steten, milden Übergang,
l>a.s8 die Vernunft zu Besse rm will vermahnen
Durch Uberzeugung, ohne jeden Zwans:!
*) Zum Olttck war er nur „von diesem Jahre". D. R. /'
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Für jede neue Wahrheit sichre Woge,
Voll Sinnigkeit und lockender Gewalt j
Für jeden Fortschritt treffende Beleg«
Voll Maik und Saft, in peiAender Gestalt.
Nach jedet Wendung planvolles Vertiefen,
Nach jedem Schritte vorbedachte Ruh';
Nach jedem Pact ein sicheres Verbriefen;
So fuhren wir uua der Vollendung tu.
Aas der Geschichte der Taabstammenbildang.*)
Yon Dr. IT. Morf-WinterUiur,
I.
Znr Orientirang.
Die fünf Sinne sind die Thore, dm-ch welche die Außeiuliuge
als BUdungs- und Nährstoffe des Geistes in unser Innenleben ihren
Einzug halten. Diese regen die seelisclien Kräfte zur Selbstthätig-
keit an, und aus der Wechselwirkung zwischen Receptivität und Pro-
ductivität lesultirt die allseitige geistige Bildung.
L>.t t iiies dieser fünf Thore verschlossen, d. h. ist der Nerv, der
dem Organ dient, dauernd unfähig, die Leitung nach Innen zu be-
sorgen, so entbehrt die Seele der Anregung aus demjenigen Gebiete
der Außenwelt, tür das nur der in Frage stehende Nerv empfänglich
ist. So erleidet die Seele eine Einbuße an Erkenntnis und Eutwicke-
lung, die um 80 größeren Umfang hat, je höher der Sinn ist, welcher
der Außenwelt imzug&nglich bleibt Ehieii Wenden Süm kann kein
anderer gftnzlich ersetzen.
Yen eminenter Wichtigkeit Ar die Ansbildimg des MensdMn Ist
der GehOrssinn. Seine eigentliche Würde und Herrlichkeit liegt
darin, dass er dem Menschen das Beich des Geistes aufschließt
und dadurch die entscheidende Bedingung einer fortschrei-
tenden geistigen Gnltur darbietet Durch alle Übrigen
Sinne h&ngt der Mensch nur mit der vergänglichen Welt zu-
sammen, durch das GehOr allein mit der ewigen und höheren.
Wessen Ohr von Geburt an todt ist, dem sind die Zugänge zu
den Mitteln verschlossen, deren Einfluss und Kraft allein vermag, den
Menschen zu der hohen sittlichen und geistigen Bildung, zur Humanität
*) Wir hoffen, dass diese Abbaudluug niclit bluü Taulbtuiiimcu-LelireiD,
nadeni allen Leien iinMres Blattes als lettgenlfi und khneieh endieiiieii weide.
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20 erheben, die ihm unter den flbrigen G^eschöpfen diejenige Stellung
«aweist, die ihm gebflrt Der Gehörlose, Taabe, bleibt auch zugleich
stamm, weil die Sprache nur durch SpreehenhOren sich erlernt Die
Sprachwerlusenge selbst sind bei den Tauben ebenso normid gebildet,
■wie bei den Hörenden. Die Ursache der Stummheit liegt also nicht
bei ihneOr sondern in der Taubheit Der Taube entbehrt also auch
des Gebrauchs der Sprache. Diese aber gehOrt, ide die höhere
Geistesbildung, unter die charakteristischen Unterscheidungsmerkmale
des Menschen vom Thier, aber auch unter die größten Wolthaten und
Güter der Menschen, denn sie ist nicht nur die hauiitsäclilichste Be-
dingung des menschlichen Zusammenseins, sondern auch das Mittel des
unaufhörlichen Unterrichts, so wie auch das Hauptmittel der ge-
selligen Vergnügen.
Der Taube und Stumme, der Taubstumme, ist wol unter allen
Gebrechlichen der ung-liicklichste zu nennen. Die umgebildeten) Taub-
stummen stehen im natürlichen Gebrauch ihrer FHhi<^keiten fast voll-
siniiifren Thieren nach. Sie denken nicht, wie der Hrtrende, in Worten,
in Begriffen, .sondern nur in Anschauungen und Bildern. Ein abs-
tractes Denken ist ihnen unmöglich. Auch in sittlicher Hinsicht
steht der (ungebildete) Taubstumme auf sehr niederer Stufe, besonders
wenn er in einer Umgebung aufgewachsen ist, die sich wenig um ilm
gekümmert oder gar durch Beispiel zum Bösen angereizt hat. So ist
er auch ohne Gott, ohne Religion, ohne Sitte, ohne Gesetz, eine Last
der Gesellschaft.
In früheren Zeiten stellte man diese Unglücklichen in die Reihe
der Blödsinnigen. Das Alterthum weiß nichts von Versuchen, die
Taubstummen zu bilden. Aristoteles erklSrte sie f&r jeder Bildung
nnfthige Wesen. Aneh die ehrliflidie Kirche nahm siöh dieser Un-
glQcklichen nicht an. Im Hinweis aof BOmer 10, Vers 14 und 17:
»Wie sollen sie aber anmtoi, von dem sie nichts gehOrt haben?
Wie sollen sie aber hOren ohne Predigt? 86 kommt der Ghuibe
aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes* hatte
der heil Augustinus den Sats au^sestellt: „Von Geburt aus Taab-
stumme kOnnen niemals Glauben empfangen, Glauben haben; denn
Glauben kommt aus der Predigt, aus dem, wm matt hOrt; de kOnnen
weder lesen, noch scfareibea leroen.** Seine Autorität entseUed auf
Jahrhunderte hinaus für das Verhalten der Kirche an den GehOr- und
Sprachlosen.
So überließ man die Taubstummen ihrem Schicksal und betrachtete
sie mit stummer Scheu als von Gott Gezeichnete, und der religiöse
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Wahn, man dürfe Gottes an solchen Geschöpfen knnd gethanen Willen
nicht conigiren, den Schöpfer nicht meistern wollen, war bis in unsere
Zeiten der BUdnng der Tanbetommen, ja, überhaupt ihrer gnten Be-
handlnng, hinderlieh. Die Eiiehe yergaS, dass Christas selber nach
der schOnen Enihlvng bdi Marc 7, 31 in der fleilnng eines Taab-
stnmmen mit seinem Beiq^iel Torangegangen ist, und ftthlte sieh aar
Nachfolge in solcher Thelhiahme an dem Schicksal der Unglttckllchsten
aller Unglücklichen nicht angeregt.
Wol fanden im 16. nnd 17. Jahrhundert einige sporadische Ver-
suche zur Bildung von jungen Taubsturamen statt, jedoch nur bei
Sprösslingen hoher Hftnser; die in den unteni Schichten der Gesell-
schaft blieben immer noch die Ausgestoßenen. Erst dem 18. Jahr-
hundert war es yorbebalten, in der Beurtheihing der Taubstummen
Wandel zu schaffen. Zwei Männer brachen die Bahn, ein Franzose
und ein Deutscher, de l'Epee und Samuel Hei nicke. Sie lebten
des festen Glaubens, die Taubstummen seien ebenso gut beanlagt und
t^liens(t bildungsföhig, wie die Vollsinnigen. Ihr Glaube war aber kein
todtcr; sie bethätigten denselben durch ihre Hingebung in den Dienst
einer bisher so herzlos übersehenen Menschenclasse. Nicht allein, dass
sie die ersten Taubstummenanstalten gründeten, in welchen eine
nicht unbedeutende Zahl von Zr»glingen ihre Ausbildung erhielt, sie
bildeten auch Lehrer heran, welche das Werk fortzusetzen beföhigt
wurden; sie erhoben unausgesetzt ihre Stimme zu Gunsten dieser Un-
glücklichen, vertraten mit Energie wie mit Erfolg da« Anrecht der-
selben an genügsame Mittel und Veranstaltungen zu deren rittllcheri
geistiger und leiblieber AasbQdioig uid worden nicht mttde, die Zeit^
genossen am mahnen, das an ihnen Jahrhunderte lang geübte Unrecht
nnd die ertwrmnngskMe Vemaohlissigung endlieh gnt an machen and
in Veigessenheit zu toingen.
„Einen Taubstummen bilden," so lautete ihre Devme, »heiftt
nicht weniger, als ihn zum lienschen machen."
Bis in die höchsten Kreise der G^llsehaft hinanf irarde die
Stimme der beiden Hinner gehOrt nnd dieselbe erweckte» so weit sie
drang, thfitige Theilnahme an der von ihnen vertretenen Sache.
Diese Pionire in der Taubstnmmenbildung verdienen also reichlich,
dass wir uns mit ihrem Leben nnd Wirken näher bekannt machen.
Der erste Preis aber geburt ohne Widerrede dem Franzosen;
darum wollen wir unsere Aufinerksamkeit zuerst ihm anwenden.
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Karl Michel de l Epee.
De l'Epee entstammte einer sehr angesehenen und reich be-
güterten Familie in Versailles. Sein Vater war königlicher Architekt.
Er wurde am 24. November 1712 geboren. Seine große geistige
Begabung und sein reiches Gemüth offenbarten sich schon in früher
Jugend. In den Schulkenntnissen machte er bald ungewöhnliche Fort-
schritte. Sein Lerneifer, seine Liebe zur Arbeit kannten keine Grenzen.
Wie er die Freude und der Stolz der Eltern war, so hing auch er
mit fast leidenschaftlicher Liebe an ihnen, namentlich an seiner geist-
vollen Mutter. Er ergi'iff das Studium der Theologie und bestand schon
im Alter von 17 Jahren mit Ehren die theologische Prüfung. Da er sich
aber weigerte, ein von den Jesuiten ihm voigelegtes Glaubensformular
zu unterschreiben, wurde er von jeder pfarramtlichen und kiicli-
lichen Wirksamkeit ausgeschlu^sen. Da bezog er neuerdings die hohen
Schulen und widmete sich der Bechtswissenschaft Mit 21 Jahren
wurde er Parlamentsadyocat. Allein sein neuer Beruf verleidete ihm
bald. Seinem stOlen, mildoi Wesen, seinem zarten Gemflth war, wie er
sich ansdrltokt^ der Tumult vor den Sdiranken zuwider. Er sehnte sich
nach der stillen Wirksamkeit eines Pforrers. Dieser innigen Sehnsucht
kam der tolerante Bischof von Ti'oyes entgegen. Er flU>ergab ihm eine
Pfiurrei in seinem Sprengel De r£p6e's pfiuramtUche Wirksamkeit
war von reichem Segen begleitet Seine Pfairkinder waren ihm mit
Verehrung und Liebe zugethan. Seine glinzende Beredsamkeit hatte
ihre Quelle im Herzen und drang darum wieder zum Herzen. Alle
Tugenden, die er lehrte: Liebe zu Qott und den Nftehsten, brflderlidie
Theitaiahme an dem Ergehen anderer, Sanftmuth, Wolwollen, Thätig-
keit, Bescheidenheit, Einfachheit, übte er selber. Feind jeder Un-
duldsamkeit, wiederholte er gern und oft die Worte Heinrichs IV.:
„Alle die, welche recht thun, gut sind, sind von meiner Beligion";
und erinnerte seine Amtsbr&der, wenn sie sich etwa ereifern wollten,
an die Mahnung eines frommen Bischofs: „Lasst uns alle Religion
dulden, weil Gott sie duldet!" Er hatte sich täglich mehr der Früchte
imd des Segens seiner pfan-amtlichen Thätigkeit zu erfreuen.
Aber nach dem Tode seines Gönners und Beschützers wurde er
plötzlich zu seinem und seiner Pfmrkinder großen Schmerz seines
Amtes entsetzt und von der Ertlieilung jedes Religionsunterriclites
ausgeschlossen. Diese Maßregelung ging vom Erzbischof Beaumont
auS| dessen blinde Unduldsamkeit duixh Kousseau's gewaltigen Brief
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elMDSo rerewigt ist, wie die des Hauptpastors GOse durch Leasings
StreitschrifteD.
Der Abb6 de FEpöe zog sich nach Paris sarOck und lebte
10 Jahre firei und nnbefaelligt wissenschaftlichen Stadien. Er war
Ökonomisch nnabhSngig. Seine jfthrlichen Einkünfte beliefen sich auf
Fr. 14000, nach heutigem Geldwert wol Fr. SO 000 gleich an sehfttMn.
Gegen das Ende des Jahres 1763 kam de TEpöe un eines nicht
genannten Geschäftes willen in das Hans einer Witwe in der me des
FossAi-St Victoiie. Die Haasmatter war abwesend; man führte ihn
in ein Zimmer, wo er ihre zwei TOchter — Zwillinge — traf, die
eifrig ihrer Handarbeit oblagen. Er gi-üßte sie, ohne einen Gegengraft
za erlialten. Er redete sie weiter mit etwas erhöhter Stimme an,
um eine Unterlialtun^ mit ihnen anzuknüpfm, aber ohne allen Erfolg.
Bald darauf trat die Mutter ein. Von ilir vernahm de l'Epee, dass
die beiden Mädchen taubstumm und seit dem Tode des Priesters
Vanin, der ihnen mit Hilfe von Kupferstichen einige Kenntnisse bei-
zubringen versucht habe, ohne allen Unterricht und ohne irgend welche
geistige Anregung seien. Sein Anerbieten, den Unterricht der Mäd-
chen wieder aufzunehmen und ihre geistige und religiöse Entwicklung
nach Kräften zu fördern, wurde mit heißem Dank von der Mutter
angenommen. Yun dieser Stunde an bis zum Tage seines Todes, den
2H. December 1789, lebte er der von der Voi^sehung ihm ohne sein
Zuthun zugewiesenen Aufgabe der Taubst ummenbildung mit einer
Liebe, Hingebung, aufopferungsvollen Uneigenntitzigkeit , welche das
Zeugnis einer großen Seele, einer erhabenen Gesinnung sind. A\'ie
die Sache anzufangen sei, wie ein solcher Unterricht an die Hand
genommen werden müsse, darüber konnte er sich selber keine Antwort
gehen. Seine phflosophiachen nnd theologischen Stadien hatten bis
dahin seine ganze Anftnerksamkeit, sein Sinnen nnd Denken in An-
sprach genommen. So viel schien ihm klar, dsss mit KnpfBTBtichen
nicht viel zu erreichen sei Er fragte sich, woran man den Unter-
richt hei den vollsinnigen Kindern anknüpfe, nnd ei* gab sich die
naheliegende Antwort: An die Mattetsprsche, welche die Kinder aof
dem Wege natürUeher Entwicklang sich erwerben. Anch die Taab-
stommen, sagte er sich weiter, hätten aof dem Wege natürlicher Ent-
wi^ong ehie Sprache sieh angeeignet, die bei ihnen gleichsam die
Stelle der Hnttersprache vertrete: das sei die Geberdenspraehe.
Diese müsse die erste Grundlage des Unterrichts sein.
Die Zeichensprache Qea eignes m6thodiques) bildete de l'Epöe
so weit bis ins Detail aas, dass er seine ZGglinge mittelst derselben
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auch In der idealen Welt einheimisch za machen vemuMifate. Com-
petente und unbefangene Benrtheiler bezeugen, dass dieselben bei
wiedeiiioltai OffentUehen Pmfimgen bewiesen hfttten, dass sie in der
christlichen Beligion, in der Fflichtenlefare ebenso bewandert sich ge-
zeigt hftttOD, wie von einem Vollsinnigen nicht besser zu erwarten
gewesen wflre.
Biese ünterrichtsweise ist die selbstständige Erfindung und
Scb5pfang de PEpöe's.
Seine Methode, sein Verfahren beim Unterricht machte er wieder-
holt und bis in die Einzellieiten ütfentlich bekannt und hid jedermann
ein, sich durcli den Augenschein vom Erfolij zu überzeugen.
Die Zahl seiner Zöglinge nahm rasch zu, und er entschloss sich,
(k'u Unterricht der Taubstummen zu stiiiei- einzigen Lebensaufgabe
zu machen. Im Jahre 1760 gründete er in Paris die erste Taub-
stummenanstalt der Welt; er verlegte sie als geschlossene An-
stalt nach dem Montmartre. Er nahm nicht nnr Zöglinge ans Paris»
sondern auch ans den Provinzen anf. Die Zahl der Pfleglinge hielt
sich dauernd anf 60 und darüber. Er unterhielt die Anstalt auf seine
Kosten. Er bestritt nicht nur den Unterhalt der Zöglinge, sondern
bezahlte auch die Lehrer und Lehrerinnen. Von seinen Einkflnften
brauchte der edle Mann gar wmg für seine personlichen Bedflrihisse.
Er versagte sich manche Beguemlichkeit, um seinen „lieben Ehidem"
desto mehr leisten zu kOnnen. So wollte er in dem strengen Winter
des Jahres 1788 — er zfthlte schon 76 Jahre — sein Zimmer nicht
heizen lassen, um durch den Ankauf von Heizmaterial die kleine
Summe nicht Überschreiten zu müssen, die er für seine eigenen Be-
dfirfiiisse festgesetzt hatte. Die Vorstellungen seiner Haushälterin und
seiner Freunde blieben fruchtlos. Da erschienen eines Tages äaf
seinem Zimmer seine Zöglinge und baten ihn unter heißen Thränen,
seine Wohnung zu erwirmen, seine Gesundheit nicht zu gefährden,
damit er so ihnen noch recht lange erhalten bleibe. Schließlich gab
er ihren Bitten nach. Aber noch lange nachher machte er sich Vor-
würfe, seinen geliebten Kindern die für Holz ausgelegte Summe ent-
zogen zu haben, die er fiii* sie wol li&tte ersparen können.
Er nahm am liebsten und vorzugsweise arme Zöglinge in seine
Anstalt au£ »Die Reichen**, sagte er ausdrücklich, „dulde ich
gleichsam nur. Ihnen habe ich mich nicht gewidmet, sondern den
Armen. Ohne diese letzteren würde ich niemals die Er-
ziehung der Taubstummen unternommen haben. Die Reichen
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besitzen die Mittel, um Lehrer für ihre Kinder za SDchen imd sa
bezahlen.
Da die Einkünfte zum Unterhalt der großen Familie niclit reichten,
gritr de l'Epee seine Capitalien an, trotz dem Abrathen seiner Freunde,
Diese aber bemühten sich dann mit Erfolg dafür, dass v<m ver-
schiedenen leiten namhafte Gaben in die Anstaltscasse flössen.
Dennoch blieben die Deficite nicht aus. Unter solchen Umständen ließ
de l'Epee sich dazu bewegen, die königliche Regierung um einen
jährlichen Zuschuss an die Unterhaltungskosten der Anstalt zu bitten.
Aber er erhielt blos leere Versprechungen. Ja, der König Lud-
wig XVI. sagte zu seinem Beichtvater: „Der Abb6 de l'Epee thut
Großes an seinen Zöglingen; aber es wäre denselben besser, wenn sie
taabstomm blieben, als dass ihre Ohren dem Jansenismns geöffnet
werden."
Bald aber änderte sich die Stunmong am Hofe. Es kam nftmlich
1777 Kaiser Joseph IL nach Paris zun Besnch seiner Schwester,
der EOnigÜL Unter den Merkwürdigkeiten, die Paris bot, war ihm
eine der ersten die Taubstummenanstalt von de PEp^e. Er
war mehr als einmal unter den Besuchern der Anstalt, und er verlieB
dieselbe stets tief ergiüEiBn von der Hingabe des edetn Mannes an
seinen Beruf und von den Leistungen seiner Schiller. Bei Hofe
spraek er dann unverholen sefaie Verwunderung und Missbilligung ans
über die geringe Theilnahme in den höchsten Kreisen an dieser wich-
tigen Sache. Die Anstaltscasse beschenkte er mit 50 Louisd'or und
de l'Epöe mit einer goldenen Dose. Diesem aber bot er eine Abtei
in seinen Staaten an. De l'Ep6e gab die sdiöne Antwort: „Sire^
ich bin schon alt; wenn Ew. Majestät es mit den Taubstummen wol
meinen, so verwenden Sie Ihre Wolthaten nicht an mich, der ich
schon mit einem Fuße im Grabe stehe, sondern an das Werk selbst.
Es ist eines großen Eürsten würdig, dem, was der Menschheit wahr-
haft nützlich ist, Dauer und Un Vergänglichkeit zn sicheni." Der
Kaiser tiieilte de l'Epee ferner mit, dass die Eltern eines taub-
stummen Mädchens aus den höchsten Kreisen Wiens ihrer Tocliter
gern eine gute, christliche Erziehung angedeihen lassen möcliten und
ft-agte, wie sie die Sache wol am zweckmäßigsten anstellen wüiden.
De l'Epee antwortete: „Es gibt zwei Wege zu diesem Ziel. Der
eine besteht darin, dass man das Mädchen zu mir nach Paris sendet;
ich würde mir dessen Ausbildung angelegen sein lassen, jedoch keine
persönliche Entschädigung dafür annehmen. Der andere Weg wäre,
noch der einfachere, der darin bestfinde, mir einen intelligenten jungen
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Mann von ungefähr 25 — 30 Jaliren zu senden, damit er meine ünter-
richtsweise kennen und ausüben lernt, um dann in Wien selber einer
solchen Anstalt vorstellen zu können."
Dem Kaiser leuchtete der letztere Weg als ein weiter reichender
ein. Nach Wien zurückgekehrt, sandte er den Weltpriester Stork,
einen sehr begabten Mann von 26 Jahren, nach Paris in die Schule
de l'Epee's. Nachdem Stork ein Jahr daselbst zugebracht, eröffnete
er in Wien eine TantetnmmeBanatalt nadi deradben MeChode.
Aach der KOnig von Frankreich konnte sieh nicht auf die Dauer
der ünterstatBong der Taahstiininienanstalt anf dem Montmartre ent-
ziehen. Jedodi erst manche Jahre nach seines Schwagers Joseph Be-
SDch wies er derselben eine jährliche Bente von 6000 Fr. an, sowie
einen TheQ der Einkilnfte emes aniig;ehohenen C(HestinerUo8ters mit
der Znsichemng, dass das Institut sobald als thnnUch ans der bis-
herigen Ifiethwohnnng in die bequemeren Gemächer eben dieses
Klosters yer^tzt werden solle.
Diese Übersiedlung erlebte de PEpöe nicht mdir. Der Tod über-
raschte ihn, ihm und seinen Freunden ganz unerwartet, seinen Zög-
lingen zum tiefsten Schmerz, Ende December 1789. Eine an herrlichen
Früchten reiche Wirksamkeit war damit abgeschlossen.
Welche erschöpfende Arbeitslast anf de TEp^e stets geruht hat,
entnehmen wir einem Briefe vom Juli 1783 an seinen vertrauten
Freund Keller, Pfarrer in Schlieren bei Zürich:
„Soixante-huit sourds et muets et environs trois cent
parlants (vollsinnige Besucher der Anstalt) m'assi^gent sans cesse.
Mais ces visites impoilantes de nos cont'itoj'ens et des etrangers me
d^robent les moments que je vondrais employer a m'acquitter d'autres
devoirs. ('"est ainsi que mes jonrs secoulent, me reprochant toujours
de ce que je ne fais pas ce (lue je devais faire et ne trouvant pas
n6anmoins le loisir de nry appli(iuer. La nuit est le seul temps dont
il semble que je pourrais disposer, mais ma plume tombe des mains.
Mr. Ulrich sera en 6tat de certifier ce qu'il aura vu de mes occu-
pations."
Erst vier Jahre nach seinem Tode. 1793, wurde sein Institut zur
Staatsanstalt erhoben und damit getahidrohenden Wechselfällen ent-
hoben und auf festen Boden gestellt
• Verschiedene Denkmiler erinnern an ihn. So erhebt sich in der
Kirche Saint-Boche zn Paris, wo auch seine sterblichen Oberreste
ruhen, sein Monument, und zn VersailleB ist ihm im Jahre 1843 eüie
Statue errichtet worden.
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III.
Samuel Heinicke.
Samuel Heinicke wnrde im Jahre 1727 in NaoschQtz bei
Weißenfels an der Saale als Sohn eines Bauers geboren. Auf sein
sehr bewegtes Jugendleben näher einzatreten, gestatten die Grenzen
einer kurzen Skizze uiclit.
Nach Tjährigem Dienst beim Militär, den er zu seiner allseitigen
Ausbildung eifrig benutzt hatte, wurde er im Alter von 42 Jahren
Schulmeister, Organist und Küster in der (remeinde Eppendorf bei
Hamburg. Mit Neujahr 1769 hatte er die Stelle anzutreten. An-
fänglich war er gar nicht auf Rosen gebettet. Dir Ortspfarrer,
Pastor Granau, hatte die Stelle einem Verwandten zugedacht ge-
habt. Er hatte schon vor dem Einzug des neuen ( antors in der Gemeinde
herum bieten lassen, derselbe sei ein Freimaurer, habe in Hamliurg
meist mit Comödianten und sonstigen Freigeistern Umgang gepflogen.
Am Neiyahrstag predigte der Pastor so gewaltig gegen die falschen
AofUflrer und Freimanrer, die sich nun auch in der stüleo Gemeinde
Eppendorf eingeecUichen h&tten, dass den Dorfbewolmeni angst und
bang ▼nrde und ne am liebsten den nenen Schnlmeister anun Dorf
hinam getrieben bfttten.
Nur nnvilUg schickten sie die Kinder zur Schale, und diese
kamen in einer Stimmung, die ganz der der Eltern entsprach. Aber
bald sollte ee anders kommen. Heinicke^s Unterricht war den Schfllera
so interessant, fesselte sie so, dass sie bald kräftig fDr den Lehrer
eintraten und eine bessere Stimmung Ar denselben erweckten. Doch
wollte die Lantirmethode, die Heinicke statt des geisttodtenden
Bnchstabirwesens einführte, — also lange yor Graser — den Leuten
nicht behagen. Aber als er eines Tages einige Spectakler, die lär-
mend in die Schulstube gedrungen, rasch mit kräftiger Hand und
ohne Worte vor die Thür hinaus beförderte, hörte jeder Widen^nildl
auf. Der Respect vor der körperlichen Kraft des Schnlmeisters war
nicht minder groß, als der vor seiner geistigen.
Der Pastor musste bald erfahren, dass sein Cantor und Küster,
der ihn schon äußerlich — „eine Siegfriedsgestalt" — um Kopfes-
länge überragte, auch in geistiger Beziehung nicht weniger über
ihm stand.
Die Stimmung im Dorfe sollte für Heinicke bald noch günstiger
werden. Der Pachtmüller in Eppendorf hatte einen taubstummen
Knaben. Diesen traf Heinicke auf einem Spaziergang. Er anerbot
sich, dem Sohn des Pachtmüllers Unterricht zu ertheiien. Mit dank*
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barer Freude nahm der Vater das Anerbieten an. Die Dorfl^ewohner,
obschon sie im Sinne ihrer Zeit das Unglück des Pachtmiülers als
Strafe Gottes ansahen, fühlten die Menschentreimdlichkeit ihres Lehrers
heraus und näherten sich ihm immer mehr. Nur der Ortspfarrer stand
ihm immer gleich schrotf gegenüber. Heinicke brachte den wol-
befilhigten taubstummen Knaben bald so weit, dass ihm über die
sichtbare und habere Welt viel Verständnis autging, dass er Worte
und Sätze, wenn auch noch in unvollkommener Weise, aussprechen
konnte. Das Staunen der Eppendorfer kannte keine Grenzen, als sie
den Taubstummen reden hörten. Nach einigen Jahren war dieser so
weit, dass Heinicke ihn zur Onfirmation anmelden konnte. Jetzt
glaubte der Fiastor seinen Mann ftsBen zn kOnnen. Zorn EMannen
aller predigte er jetzt Yon der Kanzel herab gegen Heinicke, wies
seinen ZohOrem nach, dass ihr Schohn^ster ein Frevler an Gottes
AUmaeht und Weisheit sei, dn Mensch, der Gott meistem nnd sa-
reehtw^sen woUe, da er die, velche der Herr gezeichnet habe,
die Taabetmnmen, reden lehre. Da ging Heinicke mit seinem tanb-
stommen ZOgUng m dem seit Lessing viel geschmähten Haaptpastor
GOze in Hamborg. Dieser examinirte den Knaben, andi in Hinsicht
auf Religionskenntnis, nnd war mit dessen Antworten so zuMeden,
dass er erklärte, der Conflrmation stehe nichts im Woge, nnd wenn
Pastor Granan dieselbe nicht vollziehen wolle, so sei er, GOze,
gern dazu bereit.
Nnn weigerte sich Granau nicht länger, um so weniger, da er
aucli vernahm, wie der Hamburger Oberp&rrei' sein Auftreten in dieser
Beziehung beurtheilt hatte.
Es konnte nicht fehlen, dass Heinicke 's Bemühungen um den
taubstummen Müllerssohn auch in weiteren Kreisen Aufsehen erregten.
Seine Freunde, Reiiiiarus. Büsching', I nzer. Klopstock, Graf
iSchimmelmann. die mit ihm stetsfort in regem personlicben Ver-
kehr gestanden und an seinen Leiden und Freuden in Eppendorf un-
nnterbrochen lebendigen Antheil genommen hatten, versäumten nicht,
von dessen glücklichen Erfolgen im Taubstummenunterricht der Welt
ötientlich Kunde zu geben. Die Folge davon war, dass ihm von ver-
schiedenen Seiten Taubstumme zur Ausbildung übergeben wurden.
Zu Anfang des Jahres 1774 hatte Heinicke bereits fünf taubstumme
Pensionäre um sich.
Heinicke's Ruhm und die Zahl .meiner taubstummen Zöglinge
wuchs immer mehr. Die Anforderung an seine Kraft überstieg bald
das znlftssige Maß. Die Dorfschule war überfüllt nnd erforderte eine
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volle Manneskraft, und doch gpalt es auch, die taubstummen Pensionäre
nach Mfiglichkeit zu fördern. Es war eine Riesenarbeit, die auf
Ileinicke lastete, die nur eine solche Persönlichkeit einige Jalne
hindurch bewältigen konnte. Auf die Dauer konnte es aber auch diest^
eiserne Natur nicht meiir aushalten. Dazu kam. dass seine Frau, die
als Pflegemutter seiner l*ensionäre einen guten Tlieil der Last zu
tragen hatte, seit ihrer Ankunft in f]p|H'ndorf fortwahrend kränkelte
und im Herbst des Jahres 177;"), nachdem sie 21 Jahre lang mit ihm
so treulich Freud und Leid getragen, ins Grab sank und ihm ner
unerzogene Kinder hinterließ. Hei nicke fühlte, dass er entweder sein
Schulamt oder sein junges Institat aufgeben müsse, und es konnte
ihm nicht ihiglich Mio, welches. Zu Ottem 1777 l^te er eeine SteUe
als SchnhneisCer, Kttoter nnd CtokUa nieder and lebte allein seinen
tanhstiimmen ZOglingen; doch hlisb er noch ein Jahr in Eppendorf.
Dann im April 1778 zog er mit seiner Familie und 9 ZOglingen nach
Leipzig und erOfihete dort seine Anstalt, die heute noch als ehrendes
Denkmal der Thatkraft und treuer Hingabe des GrOnders in schönster
Bmte steht
Zwölf Jahre flihrte Heinicke die Anstalt, wenn anch oft unter
Schwierigkeiten und Anfechtungen, mit groBem Erfolg iatt Dass er
sich in so viele, seinem Bernfe oft gar fem liegende Streitigkeiten
verwickelte — er brach mehr als eine Lanze fttr die Eantische
Philosophie und sprang mit den Gegnern dersdben, den „Dunkel-
männeiTi", arg genug am — raubte ihm viel Zeit und Stimmung,
und die unzähligen Fehden machten ihn immer händelsächtiger. Sein
Streiten, seine Zähijrkeit und Grobheit galt jedoch immer nur dem,
was er tTir schlecht und verderblich ansah.
Seine letzten Lebensjahre waren keine leichten. Zu allen Bitter-
keiten, die er durchzukosten hatte, traten ernste Gesundheitsstörungen.
l>ie (-Jicht plagte ihn. Die Anschuldi^amgen, die öftentlich erhoben
wurden, er behandle seine Zöglinge hart, scheinen auf argen Übei'-
treibungen von Seite seiner vielen Feinde zu beruhen.
„Stand auch fast alles gegen ihn in Wafien, so war doch in
seinem Hause Friede und Freude. In diesem Kreise fand er Kuhe
und Erholung. Seine Zöglinge und seine Kinder bildeten eine große
Familie, bei der Mahlzeiten, Erholung und Arbeit gemeinsam waren.
Abends aber, wenn die Zöglinge zur Kuhe gegangen waren, wurde
viel musicirt Heinicke holte die Violine herbei, die er meisterhaft
spielte, die Kinder sangen, und nun war aller Hader und Streit ver-
gessen; er war glflcklich im Kreise der Seinen.** (StOtzner.)
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Mit Beg-inn des Jahres 17'.>0 überfiel ihn die Gicht mit erneuter
Hefti(^keit-, sie verließ ihn nicht mehr; er UDterlag derselben in der
Nacht vom 29. auf den 80. April.
Heinicke hat über 100 Schüler aus aller Herren Ländern gehabt;
aber er hinterließ keine Schätze, seiner zweiten Gattin nur die Sorge
flii* 3 unerzogene Kinder und für die immerhin noch junge Anstalt.
Hei nicke 's Grabstätte ist unbekannt; in den Ki'iegsstiirmen der
folgenden Jahre ist sie vergessen worden.
Nicht aber das Andenken an den verdienten Mann. Im Jahr 1847
erließ ein Görnitz aus den ersten Kreisen Hamburgs einen „Aufruf
zur Begründung eines NationaldenkmalB für Samuel Heinicke, den
Stifter der ersten Taubstummenanstalt Deotschlands." Unter Hinwds
auf die allgemeine Verehrong, die Fnmkreicli de l'Epöe zollte, sagt
der »Aufruf*: „Aber schiddet nicht anch Dentselilaiid seinem Woi-
th&ter und dem der Menschheit» schuldet nicht namentlich Hambarg,
welches ja die Wiege des deutschen Tanbstommenunterrichtes ist, dem
um die Bfldung der unglilcklichen Taubstummen so hoch und gewiss
nicht minder als de TEp^e yerdienten Heinicke ein Denfanal der
Liebe, der Dankbarkeit und der Terehmng?*
Der Ertrag der Sammlung war jedoch ein geringfügiger und
reichte nicht zu einem Denkmal. Ein Thefl davon wurde zur Unter-
stützung einer Enkelin Heinicke's verwendet, der Bestbetrag später
an Leipzig abgegeben, wo die Lehrer und Schüler der Taubstummen-
anstalt im Anschluss an die Säcularfeier des Instituts mit Hilfe von
Freunden dem Gi-ttnder desselben, Heinicke, im August 1881 ein
Denkmal errichteten.
Das alte Schulhaus in Eppendorf, in dem Heinicke seine erste
Wirk>janikeit als Volks- und Taubstummenlehrer ausübte, ist pietätvoll
noch in seiner alten Ursprünglichkeit erhalten. Auch hat die Ge-
meinde das .\ndenken ihres einstigen Cantors, Schulmeisters und
Küsters «ladiirch geehrt, dass sie die in Ei)pendoi'f auf den Mai'kt-
platz fülirende breite Straße Heinickestraße benannt hat.
IV.
Methoden des Taubstummenunterrichts.
FQr den Taubstummenunteirieht werden zwei Hanptmethodoi
gehandbabt:
Die französische, von de PEp6e erftinden und befolgt, und
die deutsche, von Heinicke begründet.
Das Hauptonterrichtsmittel de TEp^e's war die Zeichensprache,
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die er bis ins Detail ausbildete. Mittelst derselben brachte er den
Schülern alle Kenntnisse bei, die in der Schule irgend gelehrt werden
können, Musik ausgenommen. Seine staunenswerten Erfolge sind un-
widerleglich bezeugt. An die Geberdensprache schloss er die Schrift-
sprache, das Schreiben, an. Erst in dritter Linie kam bei ihm die
Tiautsprache, die Articulation . das Si)reclien. Diesem Sprechen sei
einiger Wert für den Verkehi* mit den Menschen zuzugestehen, aber
für die geistige Ausbildung der Taubstummen leiste es nichts; es sei
ein mechanisches Thun ohne geistige Ausbeute. E> gab sich darum
geringe Muhe, seinen Zöglingen das Sprechen einzutiben.
Heinicke ging ziendieh den umgekehrten Weg. Er gründete
den TaabstnmmenonteRicht auf die Lantspraehe, die Articulation, das
Sprechen. Dieses ist ihm die Grundlage l&r die geistige Ansbildung,
wie Ar die Ebrwerbnng von Kenntnissen. Das Schreiben kommt bei
ihm in die zweite, die Geberdensprache in die dritte Linie. Zwischen
de r£p6e nnd Heinicke entspann sich bald ein scharfer Streit Aber
den Wert ihrer Methode. Heinicke hatte ihn begonnen, indem er
in einer Dmcksdirift öffentlich erklfirte, de TEp^e's nnd .anderer
Thnn sei nichts weiter als Blendwerk, Thoriieit, Betrog nnd Unsinn.
In der so begonnenen F^de erwies sich de l'Ep^e als ein edler,
ehrlicher, gerader Mann. Er legte seine Sache klar, deutlich, für
jedermann verständlich dar. Heinicke erwies sich als Meister im
polternden Absprechen. Sein Unterrichtsverfahren legte er nie öffentlich
nnd klar dar. Er behandelte es als Geheimnis, rühmte sich eines
Arcanums zur Einprä 2:ung der Vocale. Seine Kunst, seine Wissen-
schaft, sammt dem Arcanum wollte er Stork in Wien um 2(XJ(_» Louisd'or
verkaufen, de l'Epee müsste ihm K-KJIKH) Fr. bezahlen. De TEpee
lei.'-te die Streitsache unter Bcitiiguug sämratlicher Actenstücke einer
großen Zald von Akademien zur Entscheidung vor, aber nur die von
Zürich trat darauf ein, wol veranlasst durch den intimen Freund
de TEpee's, l*farrer Keller in Schlieren.
Das in lateinischer Sprache abgefasste Gutacliten der Züricher
ist eine vorzügliche Arbeit, würdig im Ton, gründlich und klar in der
Sache. Die Chorherren und Professoren fassen die Hauptpunkte des
Streites viel bestitninter auf und beweisen eine jjrößere Einsicht in
das, um was es sich handelt, als die beiden Streitenden selbst.
In der Einleitung begründen sie ihre Befugnis, ein Wort in dieser
Sache mitsprechen zu dürfen, damit, dass sie bezeugen können, nicht
nur die eingesandten Aetenstlleke, sondern aaeh die Schriften beider
Taobstnmmenlehrer „sorgfältig dorchgangcn" zn haben.
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Es sei nun zu untersuchen, ob die Behauptung? Hei nicke's richtig:
sei, „dass de l'Epee vom wahren und rechten We«:^ abgeirrt sei und
er allein das beste und vorzüglichste Vei'fahren in dieser Kunst gd-
fuaden habe und innehalte".
„Also das ist zu erörtern", wenden sie sich direct an de l'Epee,
„was er au dem Verfahren tadelt, das Du als ein theilweise von Dir
gefundenes begonnen hast und von großem Lob wieder gefeiert schaust."
Dann analysiren die Züricher Chorherren das Verfahren de TEpee's
und treten dem \'orwm*f, er habe keine rechte Grundlage, da er die
Lautsprache nicht gebrauche, mit folgenden Worten entgegen:
„Wie denn? Brauchst Du einzig das Hilftmittel der Schrift im
Untarrieht Deiner Schüler, sestiest Du gar nichts an die Stelle der
Laote (Tonsprache), damit der Übergang von den geschriebenen Wörtern
zom Fiesen der Dinge selbst eriekshtert würde? Sind also die Zeichen
nidits (ies signes möfhodiqnes), die Da methodische heißest und wo-
durch Da nicht nur die alltäglich am ans heram Hegenden Dinge
aofii genaaeste beseicfaneet, sondern anch das Verborgenei den Sinnen
ganz Unzogflngliche im einzehien, wie mit einem Körper bekleidest,
dass es dentlich mit den Aagen geschant werden kann? Und wenn
wir diese Ddne nnvergleichliche und über alles Glaubliche
hinaus ausgebildete Kunst über alles Lob erhaben heißen, so
fürchten wir nicht, dass wir irgend einem Sachkundigen und Ein-
sichtigen zu viel gelobt zu haben scheinen. So hat nun der Theü
Deines berühmten Werkes (Instruction des Sonrds et Muets par la
Toie des signes m^thodiques 1776) auf uns einen Eindruck gemacht,
dass uns, die wir vorher über manches zweifelten, nun da fürwahr
ein helles Licht hervorstrahlte, und so hal>eu wir da Deinen Scharf-
sinn und die vSorgfalt der Lehre bewundert. Die Schriftspraciie ist
Dir, Du bewährter Mann, gar nicht ein Werkzeug, wodurch Du aus
(lein Geist der Deinen die Kraft zu denken und zu scliließen erst
herausloeken möchtest. Uns Vollsinnige hat die klingende Rede
dorthin geleitet, die Deinen führt eben dahin das bewunderns-
werte Kunstwerk der methodischen Zeichen. Was wir fridier
kiiuni tür möglich hielten, das zuzugeben stehen wir gar nicht an,
dass nämlich keine der im Mund und Brauch der Menschen lebende
Sprarlie voller und reichhaltiger sei, als die, welche Du mit den
1 aubstummeu brauchst. Durch sie allein würdest Du den Deinen allen
das Wesen des Menschen wiedergeben, wenn Du nicht für durchaus
heilsam hieltest zur Geistesbildung, dass überdies das Lernen der ge-
schriebenen Buchstaben dasn komme Doch bedarf D«ine Streit-
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Sache ja gar wenig der Deckung durch Gründe; sie hat nämlich, was
mehr als alle Schlussfolgerung, die gewichtige Autorität der Zeugen
für sich, die täglich Dir zuströmen; deren Wahrhaftigkeit und Ge-
wissenhaftigkeit — diejenige Kaiser Joseph's, Linguet's, selbst
Perreire's, Deines Tadiers — mag Heinicke. wenn er es kann, zu-
Bammenreißen und zeigen, dass falsch und von Dir ersonnen sei, was
Du sagst. Wii' aber haben nicht fern von unserer Stadt Deinen ver-
trauten Freund Keller, einen trefflichen Mann, der Deinen Fuß-
* stapfen nachgehend, in der gleichen Kunst aufs schönste waltet."
Die Begutachter haben aus dem Studium von Hei nicke's Streit^
Schriften die Überzeugung gewonnen, „dass er de r£p6e's Ver&hren
nicht kenne, des letzteren oben angefilhrte Hanptsehiift nidit gelesen
und mir ans ungewissem Gerftcht gesdiOpft habe und dannach seüie
Einwendimgeii nicht znlrifSsn, sondeni dahin fielen**.
„Das ist, mhniToUer Ifaui, was mt Aber Euere Sache an Dich
glaabten schreiben za soUen, nicht am Deiner Sache Hilfe sn biingeo,
was Dn nach onserai ürtheQ nicht bednrftest, da von Dir dem Gegner
Uber genüg geantwortet worden ist, sondern nnr, am Deinem Ver-
langen nachsakommen."
„Dir aber sei beschieden, dn MedvoUes,. an jeder OlttckseUgkeit
reiches Alter so zu geriieBen, wie Da es am die Menschheit yerdient
hast. Lebe wol!"
Gegeben den 7. Februar 1783.
Der Convent der akademischen Vorsteher:
Dr. Hess, Professor der Philosophie.
Dr. Steinbrüchel, Professor der griechischen Sprache.
Dr. Schinz, Professor der Physik und ittatliematik«
Dr. Fsteri, Professor der Literatur.
Dr. Hottinger, Professor der Bereiisamkeit, dem die Ab-
fassun*,'- des Gutachtens iil)ertra<j:('n \vorden war.
Durch die Geheimniskrämej ei schadete Ji ei nicke seiner Sache
so sehr, dass sein Unterrirhti>verlalireii nach seinem Tode völlig ver-
loren ging und die französische Methode au dessen Stelle trat, selbst
in Leipzig. Wandel darin schaffte 1832 erst wieder Pfarrer Jäger,
Lehrer an der Taubstummenanstalt Gmünden in A\'ürttemberg. Kr erhob
die Lautsprache, das Sprechen, wieder zur Gi undlage des Unterrichts.
Von da aus ging dieses Verfahren in den 30er Jaluen durch Scherr
in die Taubstummenanstalt in Zürich ftber.
Der Hanptreformer aber aof dem Gebiete des Taabetonunemmta^
lichts in nnsenr Zelt war Hill, als Schriftsteller and Ldter der
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Taubstammauunstalt in Weißenfels. Nicht nur hat er die Lantsprache
(in Verbindung mit der Schriftsprache) zum Hauptunterrichtsmittel
erhoben, sondern auch den Unterrichtsstoff organisirt. Nach ihm
soll die Taubstummenschule — mutatis mutandis — der wol-
geleiteten, nach Pestalozzischen Grundsätzen geführten
Volksschule der Vollsinnigen gleich sein. Dieselbe verständige
Auswahl des Lernstoffes für das Leben, nicht lilos für die Schule zum
Abhören am Examen, dieselbe Anschaulichkeit und Liicken-
losigkcit, dieselbe Selbstthätigkeit im Auffassen und Be-
produciren.
Die von Hill angestrebte und auch ins Leben gerufene Gesammt-
organisation des Taubstummenunterrichts heißt mit vollem Recht die
deutsche Schule. Sie hat auch ftlr lange Zeit vollständigen Sieg
errangen, indem s&mnitliche Tapbstnmmwilnrtitnte^ die franzOsisehen
nicht ausgenommen, fut ohne Ansnahme ihr VerfUiren adoptirten.
Wie trafflieh der Lehrer Hill seine Sehnle sn ffihren wuntoi
davon war der Schreiber dieser Zeilen 1857 selbst Zeuge. Als er sa
Hill in die CSasse trat, glaubte er sich in eine gnt geflihrte Sehnte
VoUsinnigeir yersetzt, so frisch, fröhlich, lebendig war der ünteniehts-
veikehr in der Lantsprache. Bei wiederholten Besuchen habe idi
mich immer mehr llbeneugt, welch allseitigen Gewinn ehi Lehrer
der YoUsinnigen Kinder aus der wiederholten Anwohnung bei solchen
TJnterrichtsstnndeii davon trflge. £r würde gründlich davor bewahrt»
künftighin ttber die Köpfe der Schiller hinweg ins Wortwesen oder
— mit Pestalozzi zu reden — ins Maulbrauchen zu verfallen.
Hill war übrigens in der Anwendung seiner Unterrichtsmittel fem
von allem Pedanttsmus. So sehr er die Ausbildung der künst-
lichen Zeichensprache nach de l'Epee missbilligte und für eine Ver-
irrung erklärte, so unbefangen urtheilte er über Wert und Anwendung
der natürlichen Zeichensprache beim Unterricht. Er spricht sich
ganz entschieden ^'^egen den Ausschluss derselben aus und begründet
sein Urtheil austührlicli.
Ganz unerwartet hat sich heute nochmals ein Streit entv«ponnen
zwischen der deutschen und der französischen Methode. V.v ist bereits
wieder in ein acutes Stadium getreten, kann aber uicht mehr, wie
vor hundert Jahren, den Chorherren in Zürich zum Entscheid vorgelegt
werden. Dagegen ist nun die höchste Autorität in Deutschland, der
deutsche Kaiser, von den Taubstumnien selber als Schiedsrichter an-
gerufen. Der Streit ist hervorgerufen worden von einem Lehrer an
der Taubstummenanstalt in Breslau durch lulgeude lietbrmsclu-ift:
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— 567 —
„Der Taubstumme und seine Sprache. Erneute Unter-
snehungen ttber das methodologische Fundamentalprincip
der Taubstummen bildung. Von Heidsiek, Lehrer an der Taub-
stummenanstalt in Brealan.** Diese Kundgebung aus den Reihen deutsclier
Taubstummenlehrer macht großes Aufsehen. Heidsiek bestreitet, dass
der deutschen Methode die ansschließliclie Alleinherrschaft ge-
bttre. Er verlangt kategorisch, dass der französischen neben ihr
Raum gegönnt, und dass durch eine harmonische Vereinigiing beider
eine allgemein gülti<2:e Methode geschaffen werde.
„Dass das Votum von Heidsiek", meint Dittes, „hie und da
ziemlich schroff klinirt, und dass er an der einen Methode die
Schatten-, an der andern die Lichtseiten stäiker hervorhebt, dai'f
mau einer Reformschrift nicht allzuhoch anreclinen."
Welche Früchte diese Refurmvurschläge in den deutschen Taub-
stummenanstalten zeitigen werden, wird die näcliste Zukunft leliren.
In den jüngsten Tagen liaben die Lehrer an der Taubstummen-
anstalt in Breslau. Heidsiek's Collegen, eine scharfe Erklärung gegen
diesen in der Schlesischen Zeitung erlassen. Sie weisen darauf hiu,
dass auf den internationalen Congi'essen zn Mailand und Bi-üssel die
rdne W<nrt8^raehe als dfe allein riditige erUfirt worden.
Herrn Heidsiek aber sind die Taubstummen, die Zöglinge der
deutseben- Taubstummenanstalten, zu Hilfe gekommen. Sie treten mit
großer Entschiedenheit fUr ihn und seine Reformvorschlilge dn. Das
thut nicht nur der große Taubstummeuverein in Schlesien, sondern auch
die in Preußen, gegen welche hinwiederum die Taubstummenlehrer Ber-
lins auftreten. Die neueste Kundgebung ist eine von Taubstummen aus
allen Theilen des Deutschen Reiches unfierzeichnete Petition an den
Kaiser, worin die Petenten bitten, dass die lang ersehnte EinfUirung
der Geberdensprache neben der Lautsprache im Taubstununenunter-
rieht Thatsache werde. Unter dem jetzigen Mechanismus „ verblöde
und „veröde^ der Geist Das Weitere ist abzuwarten.
(Scbluss folgt.)
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Die Lehrer und die Presse.
Von Kector A. Oüd-KaueL
er Lehrer soll seine Thätigkeit mit der Arbeit in der Schule
selbst nicht für abgeschlossen erachten, er mxm vielmehr andi aif
die JugeBd ftber das schulpflichtige Alter binans, auf die Eltern seiner
Schiller, auf alle, die ein Interesse an der Sebule haben oder haben
sollen, einzuwirken suchen. In kleineren Orten wird ihm das durch
persönliche Unterredungen möglich sein, in größeren Orten seltener.
Da bietet sich ihm ein anderes Mittel der Einwirkung, das ist — die
Offontliche Presse, selbstverstAndllch die anstindiga Diese Art der
Einwiricnng hat den besonderen Vortheil, dass sie sich Uber grOAero
Kreise erstreckt. Wollte man einwenden, dass die durch die Tages-
presse henrorgemfenen Ehidracke sich sdinell wieder verwischen, so
ist das nicht ganz abzustreiten, es Ueibt aber doch immer etwas
hängen, wenn der richtige Ton angeschlagen wird. Die Presse be-
schäftigt sich heutzutage, wo sie die Wichtigkeit der Schule als
Cnlturfactor anerkennt, vielfach mit dieser. Nicht inuner geschieht
dies aber in einer der Schule und dem Lehrerstand ersprießlichen
Weise. Die Lehrer müssen deshalb selbst eingreifen und für die Presse
schreiben. Trli raeine nicht, dass sie Reporter für dieselbe werden
Süllen, sondern pädafrocfische Volksschriftsteller. Wenn sit' dabei nicht
das nächste eig^Mie Interesse durchblicken lassen, sondern im Jnteresse
des Volkes schreiben, so wird eine heilsame Rückwirkung auf die
Verliältnisse, das Anseben nnd die Stolliinnr des Lehrerstandes nicht
ausbleiben. Wie vielfach kommen die Bewohner größerer Stiidte in
Verlegenheit, wenn die Frage an sie herantritt: In welolie Schule
schicke ich mein Kind? Hier bietet sicli die Gelegenheit, den Leuten
fiir die ersten Schuljahre wenigstens den Besuch der Volks- und Büi'ger-
schulen zu eniiifehlen und damit für die Idee der allgemeinen Volks-
schule thatkräftig zu wirken. Tritt die Frage der Berufswahl an die
aus der Schule entlassenen Kinder und ihre Eltern heran, wer sollte
da besseren Rath ertheilen können als ein einsichtiger und erfkbrener
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— 669 —
Schulmann? Wie mancher wünscht Auf klärung über den Kindergarten,
über Jugendschriften, Fortbildungsunterricht, Taschengeld, Tanz-
stunden u. a. Der Pädagoge muss in diesen Erzieh uugstragen das
Elternhaus berathen können. Gibt er hierin guten Kath, so hilft er
sein eigenes Erziehungswerk vollenden and erwirbt sich dan Dank
und die Anerkepmimg' der Beratheneii. Die Zeitungea shid mit wenig
Ansnahmeii noch nicht danm gewöhnt, ihren Leftem Leitartikel Aber
solche Fragen m Meten. Wenn sie es thäten, so würden sie ihren
Tomehmsten Zweck, n&müeh den, der Volksaofldflrnng zu dienen, erst
erfüllen. SoUten sie jedoch ihre Leitartikel nnr den Fragen der hohen
Politik widmen wollen, so stellen sie sicherlieh den Banm anter dem
Strich ZOT Verftgvng. Es shid besonders die ProvinzialblAtter ins
Ange zn £usen, die sicherlich gern, wenn ihnen guter StofT geboten
wird, zagreifen nnd auch Honorar zahlen. Diese BUlttar snehen recht
eifrig ihre Leser in Lehrerkreisen; sie wissen, der Lehrer liest nnd
hat Einfluss. Nun beruht alles auf Gegenseitigkeit: soll der Lehrer
ein Blatt halten, dann muss ihm dasselbe auch einen Lihalt bieten,
der ihm zusagt. Die Aufnahme von kurzen Artikeln über Zeitfragen
auf dem Gebiete der Schule nnd des Lebens, über Schul- und Er-
ziehungsfragen, Volkserziehnng und Volksbildung wird heutzutage keine
Schwierigkeit mehr bereiten. lUi sind immer wieder zu erörtern die
Fragen: Weibliche Bildung, Foi tltlMiinp: der Mädchen, die öftentlirhen
Schulprüfungen, die Hausautga^eii, Furtbildungsschulen, Geseizeskunde
in der Schule, Volkswirtschaftliche Belehrung der Jugend, Knaben-
handarbeit, Schulsparcasse, Gesundheit.spfletre. Scliulaufsicht, Volks-
bildung, Volk.serziehung und Volkswolfalirt, Staats- (»der Gemeindeschule,
Allgemeine Volksschule oder Standesschule, Berechtigungswesen u. s. w.
Auch wird es sich empfehlen, gelegentlich des Schulanfangs einen
Feuilletonartikel über den ersten Schulfrang, bei der Schulentlassung
einen solchen über den letzten Schultag oder au deren Stelle an-
sprechende Gedichte, und an den Gedenktagen von Männern, die sich
am das Schul- und Emehungswesen verdient gemacht haben, kurze,
packende Lebensabrisse in die Blätter zu setzen, ich denke da an
Gomemns, Pestalozzi, FrObel, Diesterweg u. a. Auf solche Weise wird
das Öffentliche Interesse der Schale immer mehr zugewandt, es wird
yon berufener Seite und in einer der Schale und dem Lehrerstande
förderUcben Weise aber Schul- and Erziehungsfragen gesehrieben, und
wenn man erst einsieht, welches Kleinod man an der Schule, hos-
besondere der Volksschole hat, dann wird solche Einsicht nicht in
letzter Linie den Lehreni zugote kommen. Warnen möchte ich yor
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- 570 -
der zu speciellen Behandlung: d^r Gehaltsfrage der Lehrer in der '
'ragespresse. Werden die Einzelnheiten derselben mitgetheilt, so darf
man sich nicht wundern, wenn der gewünsclite Erfolg ausbleibt, viel-
mehr häufig das Gegentheil eintritt. Bei schlechter Gestellten erregt
die Lage der Lehrer vielfach noch Neid, von selten des Geldprotzen-
thimiB aber mitleldigee Aduelzacken, ja Verachtnng.
. Man hat seitens der Lehrerschaft die verschiedensten Zeitschriften
begründet, die ein einmflthiges Znsammenwirken von Sehnle nnd Hans
und AnfkUbnng über Sdiiilfragen bezweckten, der Erfolg bli^ aber
weit hinter den Erwartongen zorück. Die Lente sind nicht gewQhnt,
Artikel Aber Erziehnngs- und Schvlfragen zn lesen. Gewöhnen wir
sie daran, indem wir sie ihnen in den ölfentlichen Bl&ttem bieten.
Ich habe seit länger als einem Jahrzehnt die verschiedenen Blfttter
meines Wirkongsortes nach dieser Bichtnng hin beeinflosst nnd die
günstigsten Erfahrungen gemacht. Die ausgestreuten Samenkörner
sind oft gar bald aufgegangen nnd haben Frttchte gebracht Damm,
CoUegen, überall ans Werk.
In der preußischen Provinz Schlesien hat der Frankenstein-Peter^
witzer Lehrerverein bei*eits die Anregung zur Bildung einer „Pi'ess-
commission'^ gegeben, welche die Aufgabe hat, das Verhältnis zwischen
Schule und Haus dadurch zu f(jrdem, dass sie kleine, die Schule und
das Schülerleben betreffende Originalaufsätze den politischen und unter-
haltenden Tagesblättern zustellt. Der Schlesische Provinzial- Lehrer-
verein hat die Ausführung dem Görlitzer Lehrerverein übertragen, der
in einem längeren Aufruf an die schlesische Lehrerschaft diese auf-
fordert, ihn durch Abfa.ssun£^ und Einsendung von interessant und
populär geschriebenen Artikeln, sowie durch Gewinnung von Zeitungen,
die geneigt sind, solche Aufsätze zu verriffent liehen, zu unterstützen.
Zur Bearbeitung werden u. a. emplbhlen: öcliulversäumnisse , das
Zuspätkommen, die Hausautgalifn, Juf^endschriften, Elternzeitungen,
das Romanlesen, was soll das Kiml vor der Schulzeit lesen? etc.
In derselben Weise sollten alle Provinzialvereine voi^ehen. Auch
für den von Berlin aus geplanten Deutschen Lehi-er-Schriftsteller-Bund
wäre das eine entsprechende Aufgabe, er könnte eine literarische
Sammelstelle bilden, von wo ans die dentsche Presse sich mit Stoif
versorgen konnte.
Doch das eine thun nnd das andere nicht lassen; bevor soldie
Gentralstellen geschaifen sind, mnss der Lehrer-Schriftsteller in seinem
nächsten Gebiete die Presse beeinflnssen.
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Lehrers Erdenwallfahrt
Suig von Laid Lust dei Lehreriebew ▼(« JE. Albmi*
Widmung.
Euch allon. dio ein ganzes Leben
Im Dienst der Menschenbildun^ stehn,
Die oft. von Sorgenschwall uragebea,
Verkannt in dunkler Tiefe gelin,
Die Fetadesmiuid des aehnSden SlnneBr
Ach, wie so häufig! Iftsternd zeiht:
Der Sacht des Ehr- nnd Geldgewinnes —
£ach allen sei dies Lied geweiht!
Ee redet oieht von Prankpalästen,
Es singt nicht hoher Helden Preis
Und führt Euch nicht zu stolzen Feflt6B —
Nein, in des eignen Lebens Kreis,
In jenen stillen Kreis, darinnen
Our Mlber werdeti lebt und aehafll,
Der MenicUieit Segen sn gewinnen
In T^mnen ringt mit Enwt nnd Kraft.
Manch Bildchen wird Erinn'rong wecken,
Das eine trllb^ das andre froh,
Gedenken arger Domenbeeken
Und schöner Anen sonnig-ftoh.
Manch Verslein wird Eneh herzlieb mahnen:
„Ihr Brüder, überseht es nie,
Wie reich anch Enre stillen Bahnen
An eehter, reiner Poeste!"
Die Frendf. die in stillen Standen
Vielleicht ein Lehrerherz beglüekt,
Das solch Erkennen hier gefunden —
Sie ist der Lohn, der midi entaaciktl
Sie wird die Kräfte neu beleben,
Ein Himmelslicht in AUtag-snnth!
So nehmet denn, was ich gegeben,
So freondlich an, wie ich's Euch bot!
- 572 —
Erster Gesaug.
In Prüfiinarsnoth.
Frisclior, klarer Früliling^morgen!
Kein und krättig kam sein Odem
Von den waldgekrSnten HShen.
If ajeBtfttiBch robig nigten,
Hell vom Glanz der Morgenaonne
Überflutet, die verklärten
Gipfel, flammeuden Altären
Zn vergleichen. U&cht'ge Sftlden
lachten Nebels sdiwebten achimmenid
Wie der BtMk von Opferbränden
Droben langnun bimmelwftrts.
ThaofHscb lag die weite Ebne,
Da nnd dort noch kalil nnd braun, docb
Meistens üppig prantrcnd in dem
Lenzgewand von jungem Grün, drin
Liebelnd sdion znweflen Uchte
Blnmennogen lockend blinkten.
Lnstig sprangen jetzt die Hilslein,
Frei von Wintemoth und Sorge,
Durcli die üpp gen \Veidegrtinde.
Wirbelnd, wie beransebt yon Wonne,
SAwang die Lerche eich znm Himmel
Durch die feuchten Wiesengründe
Scliritt der Burprlierr von dem Schornstein,
Scliritt Freund Storch, der rothbestrumpfte,
Langbebeinte, achnabellcrftft'ge,
Würdig wie ein Herr Gehelmrath
Gravitätisch nnd bedächtig
Und der Froschjagd ernst beflissen. •
Traulich saß die goldgeschmückte
Liebe Ammer nnf den BInmefaen,
Die am Band der breiten Strafie
Eben BlütenknSaplein trieben.
Melancholisch und doch seltsam
Herzeniuickend klang ihr Lockruf
Über die bethaaten Flüren
An das Ohr des jnngen Wandrers,
Der an Vogleins luft'gem Sitze
BfiBtig dicht vorttberschritt.
Keddsch balb nnd halb verdriefllidi
Sah der schmächtig aufgeschosa'ne,
Kaum den Knabeiischuh'n entwachsne
Jüngling auf das liebe Thierchen.
- 673 —
„Du hast's freilich besser, kleiner
Lnfit'ger. lieber Freund des Landinann«!'*
Sprach er mit besorgten Mienen.
„Ohne Kvamsit idtwiirrt dn seligr
Von dem enten ICorfragnuieii
Bis zum Untergang der Sonne
Dnrch die reinen Frühlingslnfte,
Sclimaasest, treibst init deinesgleichen
Konwett aller Art und pftlftt so,
Wie der Schnäbel dir gewadiMn.
Glöcklich bist du! Was Bzanen
HeiBet, da erfährst es nie!**
Und das \ üglein blickte tdiweigend,
Schier verwondert nnf den jnngUng,
Fast, als wollt' es zn ihm sagen:
^Eia, Menschenkind, wie thöricht,
Dass du an solch schönem Morgen
Gar so grämlich in die Welt schanstt
Zwar dein RSeklein ist ein wenig
Abgeschabt, besonders an den
Nähten und den KlU iibogen;
Allzukarz ist auch da» HUslein,
Wie gemacht fdr einen andern,
Wen'ger nsch getriebnen SehOSsUng.
Selbst das Hütlein ist nicht Y9Uig
Ohne Spuren höhern Alters,
Und die derben Schuhe künden,
Dass du nicht von hohem Adel.
Doch was dint das? Im Gebirge,
Zwischen Wiese, Wald nnd Heide
Bist du ja gesnnd erwachsen I
Deines Blutes reine Welle
Kreist gar lastig durch die Adern,
Und dein Antlite, deine Angen
Können wol recht fröhlich leuchten.
Fasse Mut! Wie ottmals denkt man:
jWilre doch nur das und jenes,
Was mich jetzt so quält und ängstigt,
Endlieb, endlich aneh vorllber!*
So vertrauert man die Tage,
Statt sie freudig zu genießen.
Und ist das, was man solange
Unter Zittern, anter Zagen
Nahen sah, vorbeigegangen,
Denkt man mdstens leise lächelnd:
wHm, es war aneh weiter nix!**
P»dacogium. U. J*brg. Be|t IX.
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— 674 —
l'nil dor Jüiiprling mit dem frischen
Antliu uud deu hellen Augen
Sehiea des VOgleiiis ungesproohne
Milde Mahnung za vereteheD,
Hob den Kopf mit festem Willen,
Schwang sein Kuotenstöcklein muthig
Und betrachtete die ferne
Stolze Stadt mit ihren Thttrmen,
Direm hochgelegnen, alten
Schlosse, iliroin Meer von Dächen
Mit ganz andern Hlirken. Rüstig
Schritt er weiter und gelaugte
Zeitig in die firtthbelebtea
LärmerfUlteD säubern Straßen.
Welche Welt von Pracht und Wandern
Für das schlichte Kind des Waldes,
jüas wie träumend au deu Läden
Voller OlluiE vnd Toller Sehitie
Und voll niegesehner Dinge
Langsam still vortiberwallte !
Welche Lnst, inmitten solrlier
Herrlichkeiten air die küntt'gen
Tage frQhlioii m verleben!
Welches Glfick, die frischen Krieger
Kfinftig immer schaun zn können,
Die soeben flott und schneidig
Bei dem Klange rauschend lauter,
Feuriger Musik an nnserm
Jungen Freund vornberschritten!
Also denkend, kam er endliehf
Müde von dem vielen Fragen,
Nach dem Sitz der Lehrerbildung,
Vor das alte, dfisteremste,
Schwangran angehanehte Kloster,
Drin voreinst die Franeiscaner
Ihre Tage still beschaulich.
Manches Mal auch tapfer zechend
Zugebracht. Mit dumpfem Dröhnen
Rief die Klostengloeke eben
Hoch herab die achte Stunde.
Arp erschrak das Kind der Berge,
Denn genau zur achten Stunde
Sollte^ es im Seminare
Sich snr Prttfüng stellen; also
Stand es in dem großen Briefe
Ymi <lei- h;>rliston Schulbehörde
Dürr und kalt mit strengen Worten.
Hurtig, wie verfolgt von Häschern,
— 676 —
Flog der JangÜDg: durch Me»
Döstere Portal, darüber,
Hell in goldnen Lettern leuchtend,
Staud geschrieben „Seminar*'.
Eilig trat «r la die Schauer
Feuchter, damp&r, hodigewdlblflr
Klosterräume. Harrend vor der
Ausgetretnen Wendeltreppe
Stand der hag re, kiilmbeuaüte,
mt den fltanren llänieaiigeii
RastloB spfth'nde Anstaltediener,
Den die flbermüt'ge Jugend
Unter sich mit zähem Frevel
„Cerberus'' zu nennen pflegte.
TMelnd prüfte der Gestrenge
Vnieni Spätling; aof der Stime
Schwere Falten, leise hüstelnd
Wie das schleichende Verhängnis,
Wies er wortlos anfwärts. Zagend,
In der Hand die FederbttdiBe^,
An die Brut gepreiit die eben
'.Erst erstandenen nnschuldweißen
Blätter, die sein bisslein Wissen
Darthun sollten, stand der Jüngling
Vor der Thttre, drauf in großen,
'Grausen Zügen stand gesduleben
^Prüfnngssaal". Er pochte leise,
Öffnete und schritt in Sorgen
In den Ranm, so leis, so zagend,
•Gleich als gelte es an wandern
Durch das grause Thor des Todes.
Düster schwärtlich standen schon die
Sehr gestrengen Herrn Magister
A'or der bangenden Coix)ua,
Die wie eine stumme Horde
Ansedtomer Opfiuthlere
Auf den Blaken harrte. Fragend
Schaute nun der Herr Director
Auf den eben Eingetretnen,
Hielt ihm schweigend seine Uhr hin,
'Sagte fSsierlieh gemessen:
„Pünktlichkeit ist hohe Tugend,
■Ganz besondtrs kiinft'ger Lehrer!**
Wies dann leise lilchelnd nach den
B&nken, also ruhig wehrend
AU' den stammelnd yorgebrachten
^Worten der Entschuldigung.
Nun begann der Prüfungsreigen.
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— 576 —
All' die Lentchen, die da hockteB,
Hergeschneit ans allen Winden,
Mauten auf den unschnldweißen
Blättern daithun, wa« an Künnea
Und «n WlaMii sdMm •rrangeii.
So von früh bis Sonnensinken
Durch zwei lanerp, lanpe Ta^e
All die klingenden und stummen
Himregister aufzuziehen,
TFami, das iat kein KineheiitiMiit
Entlieh galt's, der Heimat BeiM
Klar und fesselnd darznleg'en ;
Dann in nachgexchriebnen Sätzen
Nachzuweisen, dass man mit den
OiMMo Regeln richtigen Sehrefben»
Wol vertrant sei und nicht etwa
(iar auf oftnein Knegsfnß stehe.
I>ann, o Grausen! mussten alle
Mit der Tenfelsknnst des Kechnens,
Hit dar u^pui Fotmeolelare
Stundenlang lich weidlidk plagen.
Mancher saß da wie vernagelt,
Rathlog an der Feder kauend.
Weiter hatten sich die Lentchen
Hit d«r Weltgetdiicbte HaUeii,
Hit den Hanen fremder VSlker
Gründlich noch herumznschlagen,
HuMten ohne Karten kühnlich
Anf ^tdeckungsreisen ansziehn,
Hit diD BfltHen der Wildnli,
Hit dan LelienweMn allon,
Die in Wäldern und in Feldern,
In der Lnft und in der Erde
Ihr vergnüglich Dasein führen,
Einen argen Stranß beatehen.
Hit dem BHts md mit dem Donner,
Mit dem Wunderban dei Angee,
Mit des Hebels arg verzwickten
Manclierlei Gesetzen mussten
Sie vertraut sein. Als dies alles
Und noeh nanelies, manehes andre
Endlich war vorbeigegangen.
Kam Fran Mnsica als Abnchlass.
Hei, wie tastete so mancher
Wunderliche Harmonleen!
Hei, ide teilst«, qnlkte, knisehta
Hanchmal da die Violine,
Wie Tom bOsen Geist beseiwn!
— 677 —
Und doch war e» eiue echte,
Alte, köstliche Amati,
Iii den reohten Hladen tearig,
Schniel/oiul, seelenvoll erklingend.
Schaudernd hielt der würd'ge alte
Musikmeister sich die Ohren
■^fter zu mit beiden Händen,
Wenn die Gute unterm Striche
Eines Stümpers «liO klagte.
Auch beim Singen war's nicht ohne;
Manche ki'ähten wie die Hiihnlein,
ächea, mit halbgebrochner Stimme,
ünd mit aorgenToller Sllme
Hörte stumm der Meister zu.
Als nun scliriftlich so wie mttndlieh
Alles nach Gebär vollendet.
Zogen sich die Lehrer ernsthaft,
Das Ergebnis am beraten,
Aas dem Prüfangssaal nirtlek.
Leise plauderten die armen,
Vielgeplagten jungen Leute
Und besahen sich genauer.
Haneher war gar seltsam btariseh,
•Ungelenk nnd träg von Worten,
Sommersprossig:, ja der eine
Leuchtete im Schmucke feurig
fiothen Haares wie ein Brandfuchs.
Dodi gerade diese jungen
Dorfbewohner waren alle
Unverdorben, harmlos-schüchtern.
Andre, die in feiner Kleidung
Prangten, traten keck und sicher
Anf wie ftsefae Ifodelunrlein.
Und doch hatte numeher dnmter
Wenig Grnnd zu solchem Wesen,
Denn nachdem er lange Jahre
Fruchtlos in den höhem Schalen
Bttnke wand gescheuert hatte,
War er Jetso abgesohlenkert,
Und das ernste Lehramt sollte,
Ob er's früher gleich verachtet,
Nun zu Brot verhelfen. Leise
Planschte, plauderte die Jagend
Von den Sehreeken dea Examens,
Den gemachten Fehlem und den
Uncezilhlten bösen Fragen;
Von der Lehrer Weise, von dem
2u erwartenden Ergebnis
— 678 —
Sprach man schtu in Furcht und Eoftaangr...
Mancher blähte sich gewaltig
Wie dir Oocik«! auf dem Kirchtlionii;
Andre wagten, bla« vor Soiige,
Kaum zu athmen: wieder andre
Bargen ihres Herzens Ängste
Hinter schlechten Witzen; nur der
Levehtende Gennanei\jttngling
BUeb, gebebnnisTolles Liebeln
Auf dem sommerspross'gen AntUtKy
Unbewegt sich völlig gleich.
Endlich nahte die Eutscheidong !
Wfirdig, wie sieh'e für die Lebrar
Kttnft'ger Lebrer will gebfiren,
Traton jetzt die scbwarzlich-düsteni'
Herren wieder ein. Gewaltig
Redete das Haupt der Anstalt
Von des Lebnunta bober Wttrde^
Yen dem Segw, den ein guter
Lebmr, wirkend Obers Grab noch^
In der Menschheit stiften könne;
Von den ernsten Forderungen,
Die man lientintage aebon an
Jene jnngen Lente, die aiob
Diesem herrlichen Berufe
Widmen wollten, stellen müsse.
Und nun las er unbarmherzig
Ab nach alphabet'scher Ordnung,
Wer beatanden, wer gefbUen.
Heil wie lenchteten die Blicke
Jener nun in heller Freude!
Hu, wie schauten diese düster,
Da sie, bärtig abwftrta polternd^
Alao gllnaend dnrehgeraaaelt!
Kaneber von den feinen Henrleinr
Die so hoch einhergefahren
Und die „dummen Bauernjnngen"
Ganz von oben her betrachtet.
War darunter nnd adiUeb trolsig^
Ein verächtlich Läcbeln nm die
Festg^ekniff'nen Lippen, aus der
Erst so kühl und Uberlegen
AngesGliautcn Anstalt, die sich
Flaekt mit Wlaaenaelemetttea,
Mit der Kunst des Lesenlehrens
Und mit andern schlechten Dingen»
Selig erlänzten auch die Augen
Unsers jungen Freundes aus dem
— 579 —
Waldgebirge, denn gar gütig
Hatte des Direktors Stimme
Ihm verkftndigt: „Walter Ehrlieh
Hat bestanden und wird wegen
Ganz besonders gnter Leistung
In die kUnft'ge Classe als der
Zweite Schüler aufgenommen.''
Wie ein ftmes, wnnderreicbes
Land voU Sonnenschein nnd Wonne
Sah er seiner Zukunft Tage
Vor den tmnknen Blicken litgen,
Dasü ihm fast begann zu schwindeln.
Waa Moit noefa gMCihah, er merkte
Nichte davon in seiner Freude,
Nichts vom r^rinim der Durihgefalineo,
Von dem Gliicke Mitbeglückter.
Immer wieder dacht' er fruhUch
An der gnten Eltom, an dea
Trenen Lehrers und des wackem
Pfarrhemi Freude über aolehea
Vuerwartetes Gelingen.
Doch als nun der Anstalt Führer
Milde Worte der Ermahnong
An die vom Erfolg Gekrönten
Richtete und ernste Weisung
("'her manolie iluß're Dinge
Gab, da spitzte er die Obren,
Fngte tieh die Worte soffglich
Ins Gedächtnis, in das Herz nnd
Gab sich selber das Gelöbnis,
Allezeit ein treuer, frommer
Thätei* solchen Worts zu sein.
Jetzt mit Segenawnnaeh entlassen,
Flog hebend die Jagend abwirtSf
Flog vorbei an dem Gestrengen,
Der noch immer am Portale
Wache hielt mit wunderbarem,
Unbagreiflich hohem Enste.
Wie sie hergekommen, stehen
Dann geschwind nach allen Winden
Unsre jungen Prüfüngsopfer
Anseinander. Walter Ehrlich
Schritt arit fkrohgehobnem Herzen
GlllekUeh llehelnd, selig träamend,
Pfeifend, singend und sdn Stttekleln
Ab und zn verwegen schwingend, ^
Gar geschwinde heiiuatwärts.
(Foi-tsetznng folgt.)
Pädagogische Kuudschau.
Dentsehes Reich. Im Aprilhefte (S. 446—47) bnchte daa „Paedag."
eine Übersicht, welche ein Bild des gegenwärtigen Besuchs der deutschen
Universitäten entwirft. Heute möge dasselbe noch vervollständigt werden,
iiideiu wir nach Aschersons Kaleoder die Zahl der Professoren mittheilen,
miete an den Hodttefanlen DeotBcUiads (sowie Österreich! und der Schweiz)
wirken: Nach der Zotammenstellnng in Proftesor AscherMHis UniTersittts-
kal ender hat Jetzt die Univeraitftt Berlin die meisten Lehrer, nSmlich
356, während Wien 320 hat. Es folgen Leipzig mit 195, ^lünchen 1H5,
Halle 139, Breslau 138, Bonn 126, Straßburg 122, Gttttingen und Heidel-
berg 120, Zürich 119, Bern 113, Prag 108, Freibnrg i. Br. und Graz 106,
KSnigsberg 95, Jena 94, Harburg 98, Tftblngen 91, Kiel 88, OniCiwald 84,
Lmsbmck 80, Würzburg 74, Gießen und Erlangen 64, Rostock 45, die Akademie
Münster 43, C'zernowitz (3 Fakultäten) 39, Freiburg in der Scliweiz 38, Lyceum
Hoseauum in Brauusberg 9; zusammen 3674 Lehrer. Berlin hat auch die
meisten außerordentlichen Firofeasoren, nämlich 87; es ist überhaupt die einzige
Vniveraltftt, wo die Zahl der aoBerordentlichen Profeesoren die der ordentlichen
ttbersteigt; von letsteren gibt ee in Berlin nur 83, während die meisten Wien
mit 91 hat. Im ganzen gibt es auf den deutschen Universitäten zur Zeit 1476
ordentliche Professoren, davon in München IH), Leipzig H4, Göttingen 63,
Breslau 62, Bonn und Straßburg 60, Prag 54, Halle öl, Tübingen 50, Königs-
berg nnd Heidelberg 45, TnAbwrg i. B. und Gretftwald 44 n. t. w. Aa0er>
ordentliche Professoren gibt e^ im ganzen 685, nächst Berlin die meisten (51)
in Leipzig. Leijizig hat auch die meisten Honorarprofessoren, nämlich 13,
und übertrifft damit auch Berlin, das einschließlich der lehrenden Mitglieder
der Akademie der Wissenjschaften 10 Honorarprofessoren zählt. Heidelberg
und Jena haben je 8, Mlindien 6, Frelbni^ I. B. 4, Wien nnr 3. Die meiaten
PrlTatdocenten , lesende Assistenten, hat wiederum Wien, wo deren nicht
weniger als 1 12 Ichren, während Berlin den zweiten Platz mit 156 einnimmt.
Es folgen München mit 67, Züricli mit 57, Bern mit 50, Halle mit 42 ii. s w.
Im ganzen gibt es 1123 Privatdoceuteu. Wenn mau die Lehrer de« urienta-
liidien Semhiars hinzorecfanety bat Berlin aneh die meleten Spiaeh- und Ezer-
eitienmeister (20), Wien hat 13, Halle ind Heldelbeiv 10, Breelan 8, Oreife-
wald, Harburg aind Httniter 7 n. s. w.
Ans äachsen. (Febr. hisMai 1892.) Während unsere CoUegen in Preußen
weder ein Sehnl-, noch ein Scbnldotationsgesetz begrfiften dorften, ist ans
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die Frende widerfaliren, dass sowol nnser PenBions-, als aach nnaer Dota-
tionsgesetz wesentlich verbessert wurden.
A. Beide Eammern des im April d. J. geschlossenen Landtages haben das
Pensionsgesets flr Lehrer md GeistUdie, doreh wekdies dieselben den
CivllstaatilleBtrn gliieligsitellt werden, einstimmig angenommen. Wir be-
gnügen uns, diesen versöhnenden Art der Gesetzgebung, den die Lehrer schon
seit mehr als 7 Jahren wünschten (s. Paedag. VIII, 8. 475), an dieser Stelle
einfach mit Dank zn verzeiehnen, indem wir die geehrten Leser auf nnsem
Torlg«n Beriebt hinweiien. (S. Xirsheft d. J., S. 891—98.)
B. Das Gesetz Uber die OebaltSTerhUltnisse der Volksschul-
Lehrer ist g-iinstiger geworden, als es anftlnglich scheinen wollte. (März-
heft S. 392 — 93.) Die Staatsregierung hat anfangs Februiu- das Decret Nr. 14
snrückgezogen und den Ständen mittels Decrets Nr. 38 einen neuen Gesetz-
entwnrf Aber die Lehrergeihaltsfwfalltnisse nnterbreltet. Se. Ei. der Minlslw
V. Seydewitz erklärte, dass die Regierung bei Beginn des Landtages nicht
habe weiter gehen können, als in dem Entwnrfe, den sein Vorgänger Dr. v. Gerber
vorgeleert. Inzwischen habe die Finanzlage des Staates gestattet, dass dtr
Dispositionsfonds füi- das Volksscbolwesen um jährlich 300000 Mk. erhöht und
SO die Ffigliehkelt gegeben werde, die HinimalgteaM für die Lehrergehalte m
erweitern. Daher sei der modificirte Entwnrf unterbreitet worden;
nicht aber sei fiir die Regierung bestimmend gewesen die Agitation, die sich
in letzter Zeit kunde:egeben habe. Die Regierung sei ernstlich bestrebt, die
Finanzlage der Lehrer zu verbessern, soweit es ohne Verletzung anderer, eben-
fsUt bereehtigtep Interessen mügUeb sei Asch er, der lOnister, werde immer
ein warmes Hws für die Bedürfnisse des Lehrerstandes haben nnd es gern
bethätigon! — Das neue Gesotz bestimmt fulg-t^iules:
§. 1. (Schon mitgetlieilt S. 392.) Das jUhrl. Einkommen eines ständigen
Lehrers beträgt mindestens 1000 Mk. — Es ist also bei der ursprünglichen
Festsetzung geblieben, ohwoi von nwd Seiten eine Erhöhung des Anfisngs-
gehaltes gewünscht wurde: Für eine Erhöhung wat 1100 Mk., wdehe die
badischen Collegen erhalten (s. Märzheft d. J.!). spradt sich der (conservative)
Abg. Conimerzienrath Haensel aus; für eine Erhöhung auf 1200 Mk. nnd fiir
Erfüllung der Wünsche des Allg. S&chs. L.-V. traten die — sodaldemokratischeu
Abgg. dal Nen nnd Ahr die Oantoren („Eircbseliiillehrer") Tortheilhaft
ist die Bestimmung des §. 1, dass das Kircheneinkommen nnr insoweit in das
Schnlelnkommen eingerechnet werden darf, als es 900 Mk. (früher blos 000 Mk.)
jährlich über.-iteigt. §. 2. Den Schuldirectoren, welchen weniger als 10 Lehr-
kräfte unterstellt sind, ist neben freier Wohnung (oder Wohnnngsentschftdigung)
ein jittirliehet GMialt vwi miiHliwtons SSÖOlfk. n gewihren, allen fibrigen ein
solches von mindestens 2700 Ifk. §. 3 setst das Oehah eiaet niehtstlüidigen
Lehrers anf mindestens 720 Mk. fest. (S. 392.) §. 4. Das Einkommen stän-
diger Lehrer und Lehrerinnen an Volksschulen ist durch Zulagen, welche die
Schuigemeiude zn gewähren hat, folgendermaßen zu erhöhen-, nach einer vom
erflllltea 25. Lebensjahre des Lehrers an zn rechnenden st&ndigen Dienstoeit
▼on 6 Jaliren Mi nf IfiOO Ifk.
n 10 „ r n 1850 „
„16 . 1500 „
„ 20 „ „ „ 1600 „
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von 25 Jahren bis auf 17U0 Mk.
>» 30 „ II f» 1800 n
In diewm wie im zweiten §. bat miui die Untencheidong der Lehrer und
Diroctoren nach der Größe der Orte wegfallen lassen, desgleiclien hielt man
die Scheidung der Lehrer nach Schulen mit 40 oder weniger Kindern und
nach Scholen mit mehr als 40 Kindern nicht weiter für angezeigt, und dies
ua to weniger als unter den vorhandenen 1905 Sdiulgeineinden nnr 49 tind,
wdebe 40 oder weniger Kinder haben. (Vergl. S. 892 1)
Die Vergleichung dieser gesetzlichen Bestimmungen mit den anfHnerlich
geplanten bestätigt unsere Angabe, dass das Dotationsgesetz besser ge-
worden ist, als wir dachten oder vielmehr — fürchteten. Seit 1874 war in
Saehwn keine Änflwawnug der Ldirergehalter erfolgt; die Regierang hat
gethan, waa aie nieht linger nntwianen m dflrfen glanbte; in der Tfarairedep
mit welcher KQnig Albert die Stände verabadiiedete^ winl dies aneh ans-
drttcklich anerkannt durch folgenden Passus:
„Durch die Bewilligung der Mittel zur Erhöhung der FensioneQ von in
den Ruhestand getreteneo Staatsbeamten, sowie von GeistUclisii md Lebrera
nnd der Witwen und Waisen von solchen Bediensteten liaben Sie Meine
Begieraog in den Stand gesetzt, in vielen F&llen langersehnte Hilfe za
bringen und wahre Noth zu lindem.
Ihre Fürsorge für das Gedeihen und die Fortentwicklung der Universität.,
sowie für die Kirche und Sdrale wird zur Hebung und Förderung der culturellen
Interessen des Landes dienen.
Besonders angenehm hat es Mich berilirt, dass es mOglieh geworden ist,
die Pensionen der Geistlichen und Lehrer wesentlich aafznbesRern und durch
angemessene Erweiterungen der Grenzen der Minimalgehalte der Volksschul-
lehrer, sowie durch Gewährung dauernder Staatsbeihüfen zu dem Einkommen
derselben sowol den Lehrern eine erwünschte Verbessernng ihrer Lage
als den Schulgemeinden eine wertvolle Erleichterung zutheil wcfdsii zu lassen."
Die Lehrer freuen sich dankbar des Erreichten. Denn wahrscheinlich
wird dieses Jahrzehnt und mit ihm das Jahrhundert zu Ende gehen, ehe wieder
einmal eine Besserstellung statthnden wird. Durch dieselbe werden dann viel-
leioht die Wttnsehe beMedigt wevden, die beteits ausgesprochen and vorhin
mit angeführt worden sind. Interim praeceptores ernnt content!. Aber wir
müssen auch stets eingedenk sein des Wortes Fr. Rfiekerts: ],£twas wfinsch^
und verlangen, etwas hoffen muss das Herz!" —
Von Schaivorstäuden waren an den Landtag zahlreiche Petitionen ein-
gereicht werden, hi welchen gebeten wnrde^ dais ein and dieselbea Sehal-
bücher, wenn nicht im ganzen Königreiche, so doch wenigstens in jedem
Schulbezirk zur Einführung kommen m9chten. Aus den von der Regiernng
gegebenen Mittheilungen ergibt sich, dass zur Zeit 22 Saramlung^en biblischer
Geschichten, 8 Katechismen mit Spruchbüchern, 20 Fibeln, 10 Lesebücher,
12 Beeheahefte, 16 LcitlMen flir Beslanterricht» 14 Atlaatea and S2 Lieder^
bücher eingeführt siad, eine Fülle und Mannigfaltigkeit» deren Einschränkung aar
Vermeidung einer nnnöthigen Belastung der minder bemittelten Bevölkemngs-
dassen als erstrebenswert bezeichnet wurde. Bei der Berathung dieser und
einer Anzahl ähnlicher Petitionen kennzeichnete der ünterrichtsminister
Seydewitz dea Standpnakt der Regierung in eiaer hiterssesntea Bede,
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deren InhaltaangaVe den Schlnss unseres heutigen Berichtes bilden möge:
V. Seydewitz machte daranf anfmerksam, dass vor Erlass des Schulgesetzes
von 1878 eine viel größere Mannigfaltigkeit der Lehrbüclier im Lande be-
standen babe. Nadi den Entwürfe des ScliidfeaetEe« aoUte die Auswahl
der Scbnlbücher in die Hände der obersten Scbulbehörde gelegt werden; die
Deimtation der Zweiten Kammer habe aber damals beantragt, diese Auswahl
dtn S( hulvorständen im Einvernehmen mit dem Bezirksschulinspector zu über-
lassen, und diese Bestinuuung sei schließlich Gesetz geworden unter £inräa>
nnng der Fflgliebkeit an die oberste SehnlbebSrde, die geeigneten SohnU
b flehe r zu bezeichnen. Von der Venammlnng der BezirkBecbulinspeetoreii
sei es als Aufgabe der letzteren festgesetzt worden, möglichste Einlu itliclikeit
der Schulbücher in ihren Bezirken und möglichsten Anschluss an die Xachbar-
bezirke anzubahnen; gleichwol habe er anzuerkennen, d&ss eine Mannigfaltig-
keit der Lehrmittel bestehe, deren Einsehrlnknngr crwBnscht sei nnd wol aneh
ohne Sdiidigung des Schalwesens geschehen könne. Eine zwangsweise Ein-
führung: einheitlicher Srliulbücher halte er für praktisch unmöglich,
weil die verschiedenen Schulen sich ganz verschieden entwickelt liiUten; mau
könne dies höchstens für die einfache evangelisch-latherische Volksschule deutscher
Sprache ins Auge fasten. Er mflsse deh aber aneh gegen eine Uniformi-
rnng in diesem beschränkten Umfange erklären, denn es würde dadurch der
ciiifarhen Volksfchule ein großer Theil der freiheitlichen Entwicklungsmöglich-
keit genommen werden, dem die Scliule ihren Aufschwung wesentlich mit ver-
danke. Für die Einheitlichkeit komme im wesentlichen nur in Betracht der
finansleile Gesichtspunkt, nnd dieser besitne nieht die Wichtigkeit, die
ihm TOD den PstNiten beigemessNi werde. Wenn jetst einheitlidie Schnlbflcher
festgesetzt wärden, so würde mit einem Schlage den Erziehnngspflichtigen eiff
großer Aufwand erwachsen. Es wüide aber das Verzeichnis der Lehrmittel
auch von Zeit zu Zeit revidirt werden müssen, wodurch den Erziehnngs-
pflichtigen Bene Ausgaben aufgelegt werden. Dodi ilnme er ein, dass Hlss-
stlnde Torhaaden seten, nnd er sei gern bereit, sa deren Beoeitlgiag die Hand
zn bieten. Freilich werde er damit nicht den Beifall aUer Schulvorstände
finden. — Zur Frage des Schulgeldes sei die Stellung der Regierung die-
selbe wie früher. Die Ausführung des Antrages auf Aufhebung desselben
würde einen Anftraad von etwa 22 IQlIianen jährlich TemrsaoheD, und die
Finandage sei nicht derart, eine solche nene Last ta flbemehmen. Dies wflrde
sich nur dann rechtfertigen lassen, wenn es sich um die BeseiUgang wirklich
schreiender NothstUnde handelte, und deren Vorhandensein könne er nicht an-
erkennen. Durch die Ausführungsbestimmungen zu der Schuldotation sei jeden-
fUls fttr Sachsen dem Schulgelde der Charakter einer drückenden Last ge-
nommen worden. (VergL Paedag. Xn, 8. 601.)
B. Vom deutschen Ostseestrand, Gegen den Strom ist schwer
schwimmen, und doch sollen in nachfolgenden Zeilen unsem Lesern einige
Oedanken gegen eine Zeitströmung in der deutschen Nation vor die Seele
geführt werden. Schon tansendlhch sind in der politischen Preise, in Sehnten
und Vereinen die glonreichen Srmngenschaftöi der Jahre 1861, 1866, 1870
und 1871 besungen worden; sie gipfeln in dem weithin über die Meere strahlen-
den deutschen Kaiserthrone. Aber nicht Uberall ist auf die Schattenfolge jener
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glänzenden Zeitepoche liin{>-ewiesen worden. Als Rolche sei zunächst in materieller
Beziehung das bis auf 200ÜOÜ Mano \'ergrößeruug geschätzte Vaganteuheer
erwähnt. Ferner lind tob Jalir ra Jahr g«tteig<ert6 Kriegirtstnngen,
Ton denen Feldnavedudl fön Moltke sagt«, daie ale für die Daoer mit gegea-
Vtrtlgen Geldopfem kein Land ertragen könne, den europäischen Völkern
anferleg:t worden. Drittens schließt eine mittelalterliche Zollgrenze All-
dentschlaud wie eine chinesische Mauer gegen den freien Weltverkehr in der
Zeit des Dampfes und der Elektricität ein. In geistiger Bextehong brachte nos
jene denkwUHIge Z«lt den Cnltnrkampf vnd mit ihm ein Ganosia. Das
war eine Kraftprobe nnd siehe, die schwersten Kanzlergeschosse erstickten
in den schwarzen Kutten römiRcher Mönche. Statt einer fortsclireitend-'U
Aufklärung erlebten wir einen Kückscliiag, und tausendjährige Heilige erschienen
anf Ahorn- und Bimbänmen, das Wasser gewisser Dorfteiche Terrichtete Wunder-
4siiren, blntendeHidehen sogen viele tausend Wallfkhrer an, nnd die Weit worde
mit neuen Dogmen begläckt. Als die Marodeure der Gidtorlclaipfbr sind die
Antisemiten oder die Feinde der schwarzen Haare anzusehen. Von der
Reliierion sind wir auf die Sprache gekommen, und so ist eine der neuesten
Strömungen, und zwar die, welche hier besonders ins Auge gefasst werden
soll, die Bildung tob „Allgemeinen deutsehen Sprachvereinen.''
So weit die deutsche Zunge kliugt,
Und Gott im Himnicl Lieder singt,
Das soU es sein!
Gewiss! Das soll des Deutschen Vaterland sein und ttberall, wo sieh
sonst auf der weiten Gotteserde noch Deutsche finden, mögen sie zusammen-
treten und sich erfreuen an den lieblichen Tönen der Mutter8i)raclie. Wie
mancher Landsmann in der Fremde jubelte laut auf, wenn diese Heimat-
hUnge an eein Ohr sehlugeu. Die Pflege der Muttersprache ist Pflicht jedes
Deutschen, ihre Ausbreitung ein frommer Wunsch desselboL
Mit den Besti-ebungen des „Allgemeinen deutschen Sprachvereins" kann
sich der Verfasser jedoch insnfera nicht ein vei . -standen erklären, als der Verein
etwas anstrebt, was unzeitgemäß und zwecklos ist.
. Der „Allgemeine d«BlMfae Spraehverefn^ wül die dentaohe Spnushe
von allen Fremdwörtern leiaigen. Anerkannt ist jedoch von vfsleB Selten,
dass die benutzten Fremdwörter die Sache oft am kürzesten und treffendsten
bezeiehnen. Also, warum nicht alle Vortheile gelten lassen? — Die Fi-emd-
Wörter sind auch keineswegs durch einen großen Sünder und Deutächl'eind
in der Pelzmfitee in unsere Sprache getragen woi-den. Sie sind durch den
Studenten, durch den Krieger, durch den Wandrer schon seit Jahrhunderten,
iMSonders reiclilich jedoch durch den enormen Aufschwung des Verkehrs der
Völker ans den verschiedensten fremden Spraolien in die deutsche Sprache
übergegangen. Wer darin eine bedenkliche Schädigung, wol gar ein Attentat
anf seine angestammte Nationalität erblickt, muss sich auch gegen die Über-
oaiime fkemdlindiseher Sitten, Gebriluehe, Erflndnngen, KOnste eto. energiseh
verwahren. Ob dieses v^Saftig wäre, wollen wir den Lesern zu beurtheilen
überlassen. Wir halten ein solches Beginnen nicht blos fiir unzeitgemäß,
sondern für ebensi^ uninöfjlich, als wenn jemand einen mit zwei Looomo-
tlven bespannten Eisenbalmzug in t>eiuem Laute mit einem Spazierstocke
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Ö85 —
aufhalten wollte. Kecht viele Freiudwöi-tev sind so tief in die Volkssprache ein-
gebiirfreiT. das«; der T.aie sc hon lange nicht mehr die ausländische Abstamninng'
erkennt. O&n/. bPHniiieis thöricht ist es, sich über die französischen Ein-
dringlinge aufzuregen und gegen dieselben wüthende Reden zu halten und
Beiteapoetel in die Welt zn sehieken; denn eie haben vir doch nicht etwa dee-
halb, weil sie von den Franzosen kommen, Mndetn nnr deshalb, weil sie
dnreh die physische Lage des Frankenreiches zu Alldentschland, durch eine
frtihzeitiiar dort blühende Literatur, duich den Handel mit Wein und Seide mehr
als andere Gäste freundliche Aufnahme fanden. Würde Gallien durch Italiener
bewohnt, so hlltten wir vielleicht noch mehr italienisehe Fremdwörter in
unserer Sprache, als wir heute französische haben. So wenig sieh die denteche
Spraclie gegen fremde Elemente hat schützen können, so wenig werden es auch
andere Sprachen haben thnn können, und nirgends ist bei den betrett'enden
Völkern eine allgemeine Mobilmachung gegen Fremdwörter — als zu fürch-
tende Keicht- nnd Nationalittttafeinde — in Scene geeetit worden.
Wenn unsere geredite Sache nadi drei blntigen Kriegen mit Hilfe unserer
vorzüglichen Feldherren und eines ausgezeichneten Heeres siegte, sind wir
noch nicht berechtigt, allen nnsern sonstigen Besitz der Mitwelt als allein selig-
machende Ueiligthümer aufzudrängen oder darzustellen. Nicht die todtgeborne,
künatUche VolapOk wird Weltsprache werden, sondern eine natürliche,
lebende Völkersprache; nnsere traute, deutsche Sprache nur dann, wenn de
Eigenschaften besitzt, welche sie den chaotisch durcheinander strömenden
Völkern annehmbar machen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird keine
der herrschenden Sprachen zur Universalsp räche erkoren werden, sondern
ans diesen wird letztere hervorg eben. Alle Untwnehmnngen gegen die
nnanfbaltsamen sprachlichen Entwickelnngen im groBen Völkertoben er6cheine&
als ohnmftchtige Bndertchllge gegen den „gewaltigen Strom der Zeit**.
Aoa Prenlien. Wann «rilte Itih wcÜ mdir Gnmd daan haben, Ihnen
mein Hers anmacthtttten, als jetst, in dieier trttben Z^! Daa neue Schul-
gesetz!*) Ich bin nicht im Zweifel, wie Sie sich hierzu im allgemeinen
stellen. Preußen, das Land der Schulen und Casernen, hat doch schon manche
Blüten der verschiedenartigsten Blumen gezeitigt, so da&s wii' über den Gesetz-
entwurf uns nicht zu wundem brauchen. Aber erwartet haben wir ihn nicht.
Kommt ea nna nicht tot, ala halte man sich die Augen au, um den Abgrund
nicht zu sehen, dem man zusteuert? Rom ist es gelungen, eitn n Keil in unser
Vaterland zn schieben, der nach der Haltung der hohen und höchsten maß-
gebenden Kreise bei uns wol so bald nicht herausgetrieben werden kann. Der
deutsche Einheitsgedanke ist durchbrochen. Hie Luther! Hie Rom! Die geringe
Innigkeit dea Verkehrs swisehen bdden Conlbssionen unseres Vaterlandes wird
noch geringer werden. Hören wir nicht schon klingen: „Luther war ein Schuft,
Selbstmörder, Eidbrüchiger!" nnd: Die Katholiken sind Narren, und der I'apst
ist ihr Gott aul' Erden Der Staat wird auf zwei Grundlagen gestellt;
jedenfalls bat der Gesetzgeber die Nothwendigkeit dazu aus gewissenhafter
*) ftbwol inzwischen die SacUagc dac indenng eifidnen hat«, ist dieser Brief
noch iouner lesenswert. D. R.
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Beobachtung der Natur g^elernt. Wie der Mensch ein reclites und ein linkes
Bein hat. so mass der Staat, der doch eine Summe von Menschen darstellt,
auch auf zwei Beine gesteilt werden. Der ganze daraas vielleicht entstehende
Streit ItSmM ileh hSehstant darom haadebk, wM» Bdn das nehte and welches
dae Unke witre. Doch dieae Frage wäre ja fOr die Entwickelong dw Staates
unwesentlich. Was wird nun die Schule? Vermuthlich ein Saninielbocken für
zweibeinigen Unralh. (Entschuldigen Sie die Härte!) An Stelle der Freiheit
des Lehrers tritt der Befehl des Geistlichen, an Stelle der nach Wahrheit ringen-
d«! Pldagogik die sovveiiiw BessorwlaseDheit (nicht Unwiüeidieit) jedes Pftpst-
leins. Für letitere Art weht sdion das FrilhUiigBlttftleia. Sein UebUdiea
Wehen hat aach unsere Vericttndiger des Evangeliums aas dem Schlafe
«rweckt. — Erziehung der Kinder zu selbstständigen Menschen soll nicht be-
zweckt werden, es genügt ja, wenn sie voll christlichen Geistes (d. b. „Wissens**^
sind, die 10 Gebote auswendig wissen, das Gesangbach nud das ErdAlatt
lesen können.
Unser Vaterland ist wol noch nicht oft genug nngliicklich gewesen?!
Welches Volk kann auf einen 30jährigen Krieg, auf eine Erniedrigung wie
1806 a. 7 zarückblickenV Starres Festhalten an Dogmen und Menschensatzungen,
veraltete Einrichtungen; Glaubensliochmuth und Glaubenshass, Edelmanns- und
Heeresdllnkel nnd Frelheftshaas! Was war die Folge des SQfilirigen Krieges?
Man mnaste sich gegenseitig dulden — aus Sehwiehe. Dazu kam, dass man
zulassen rausste, dass die Nachbarn in unsere Töpfe guckten, uns die Kost
vorschrieben, wenn sie es nicht gar vorzogen, die schmackhaften Gerichte selber
zu schlucken. Als 1807 letzterer Fall wieder eintrat, da war der Demokrat
nnd Athdst gat genvg, den yerrannten Staatskarren aus dem Snmpf an holen.
Glauben Sie nicht, verehrter Herr, dass ich von Erbitterung vollgesogen
*;ei, ich bin meist Optimist. Das bisschen, das ich dazu beitragen kann,
trübe Zeiten von uns abzuwenden, werde ich redlich thun, sonst käme ich mir
Vor, wie einer, der zu seiner unverbesserlichen Umgebung sagt: „Macht, was
ihr wollt! Ich helfe, dass ihr nileh noch lehen lawt"
Ans Westfalen. Hie frei — hie römisch; hie deutscher Lehrerverein —
hie katholischer Lehrerverband! Das war das Felde:eschrei, die Signatur »ler
verflossenen Ustertage für die westfälische Lehrerschaft. Wie bedauerlich
auch die durch hlerarehlseh-poUtlsche Rinke herheigeflihrte Trennnng der
westfälischen Lehrer in zwei feindliche Heerlager sein mag, so ist eine
,,reinliche Scheidung"* immerhin für alle Theile besser, als wenn sich so wider-
strebende Kräfte in einem Vereine bekämpfen, wenn die einen die l'ferde hiiitei-
den Vereinswagen spannen, während die anderen ihm die fortschreitende Bewe-
gung geben mSehten. Wer sich nidit'mehr mit ans eins fühlt in dem großen
und heiligen Werke der Jngenderziehnng nach den hohen Idealen dnes
<'nmenius und Pestalozzi, wer sich in trauriger Verblendung abwendet von
den auf die Hebung des Lehrerstandes gerichteten Bestrebungen, wer sich zum
willenlosen Knechte jener macht, die den frei aufstrebeoden Menschengeist
in die Fesseln des Unstern Mittelalters schlagen mSchten, der sdieide sich
getrost von uns; fOr uns und unsere Verdnignng kann das nur ein Gewinn sein.
Während dei- katholische Lehrerverband in Neheim tagte, war
der westfälische Provinziallehrerverein in der alten Metropole West-
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faleot, der bertthmten ündnstrie- und Bierstadt Dortmund, der ehrwordigen
Tremonia, festlich versammelt. Als liöfliclie Leute berichten wir zuerst überdOB
katholischen Lehrerverband; die Fremden haben ja stets den Vortritt.
Über die \'eräammlaD^ in Neheim berichten oltramontane Zeitungen, daas.
die DeleglrteiiTemmnliiiig am ■ swdteD Ottertage dnreh Vertreter am 80
Einzelverdnen mit etwa 700 Mltfl^ledem besacht gewesen sei. Wieviel von
diesen 700 indes Lehrer sind, iJtsst sich nicht feststellen, vielleicht die Hälfte?
An diesem Tage zog auch der Hiscliof Siniar in Neheim ein, begrüßt von einer
großen Volksmenge. In der Delegirteuvei'samnilttng gelangte n. a. eine Resolution
sor Annalune, deren 2. Tbeil fblgenden Wortlaut hat: ,,In Erwägung, dass
der k^licdisehe Lehrerrerband schon in sefner enten OMMralTersammlang
eine Regelung der LehrergehRlter fdr dringend nothwendig erklärt hat,
spriolit der westfälische Provinzialverein des katholischen Lehrerverbandes
sein Bedauern darüber aus, dass auch die die^äUrige Tagung des Landtages
kein seinen Bestrebungen entsj^wchendes Scbnlgeaets gebracht hat nnd «faneht
den Vorstand des ProTinslalvereittB, nnnmehr Ar mOglicfatt balfUge geietaUche
Regelung der Lehrergehälter einzutreten." Wie wird sieh die eigene Partei
der Herren zn dieser Forderung stellen':' Das ist jedenfalls die Hauptfrage.
Wissen die Delegirteu nichts über die Stellung der maßgebenden Organe der
Centmmspartei gegenttber dem dentaeli4feisinnigen Antrage anf Eriaas eines
Dotationagesetses? Hakan aie denn nicht gelesen, wie „Oermaaia'', „EOlnieche
Volkszeitnng'* n. a. höhnend erklären: ,.Entweder das Oanse, oder nichts!'*
und dass das Centrura niemals die Hand dazu bieten werde, einzelne Sonder-
fragen ans dem Gesetzentwürfe, auf deren schnelle Lösung die Liberak-u dringen,
wie beispielsweise die Oehaltsfrage, herauszuheben and gesetzlich zu regeln?
ES, freiUdi wissen de es ganz genan . aber die große Masse krandit es doch
nicht zn erfUiren. Man sieht, was die II rren den von ihnen Irregellthrten
Jeu bieten wagen. Hätte nicht die katholische I'riesterschaft einen nngemessenen
Einfluss auf die Gemüther der einzelnen, so könnte das Spiel nicht lange dauern,
es müsste an seiner eigenen Unwahrhaftigkeit zu Grande gehen. In der
Hanptyersammlnng am Dienstag war der Bischof aogegen. Bei dem vorher*
gehenden Hochamte hatte er mit Stab nnd Mitra assistirt. In der Er-
öflfnungsrede bat ihn der Vorsitzende um seinen obprliirtHclieii Segen. Der
Bischof entsi>rach diesem Wunsche. In seiner Ansprache redete er von der hohen
Bedeutung des Lehrerberofs, die von niemand bestritten werde. „Am wenigsten
geschehe das honte, wo eine so tieljpreiftnde Seheidong der Oelster doreh die
Frage nach den höchsten Zwecken und Aufgaben der Schule eingeleitet ist nnd
demgemäß eine klare nnd entschiedene Lösung jener Frage nicht mehr um-
gangen werden k;iiiii. Für Sie. meine Herren, ist diese Frage endgültig
gdOst. Sie betrachten es als Ihre von Gott gesetzte Aufgabe, die Ihnen au-
vertrante Jugend fttr Christus an eraiehen. Daas aie ehristliebe Lehrer nnd
Erzieher der Jugend sein wollen, das und nichts anders ist der Grundgedanke,
welcher in dem katholischen Lehrerverbande seinen Ausdruck gefunden hat.
Piese Veifamniluiii;: ist ein offenes nnd entscliiedenes Zengnis dafür, dass
Sie die christliche Weltanschauung in Ilirem Berufe muthig und kraftvoll
▼ertreten wdlen, Im Oegensatae an dem vidgestaltigen modernen Vn-
glauben nnd Atheismus." — Die Verdächtigung dernicht zum kattioliaehai
Lehrerverbande gehörenden Lehrer, die der Bischof dorch die Betmmng der
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— 688 —
Gegensätze, unter der abgeschmackten AatVHnnaQg des alten Kohls l&ngst
abgegriffener Schlagwörter offenbar beabsichtigt, richtet sich selbst: sie mag
alles sein, eins, dem Gebote des Herrn entsprechend, christlich, ist sie nicht.
.,,Dara«f*, w beriditet die ESlidsdie Viriktnitimg, „empfing die Ver-
sftmmliiBg, wftlelie den herrlielieii Worten ihres thenreii Oberhirten
stehend sngehört hatte, knieend den bischoflichen Segen." Zwei
Vorträge bepchaftigten sodann noch die Verpammlnng: 1) Die Sittenlosigkeit
eines Theiles unserer Jagend und ihre Gründe, and 2) Die Verbindung der
yaterlftndischen Geschichte mit der Geographie.
In Dortmimd, aaf d«r DelegirtenTeffsuBmlnng des westfilisclien Pro-
vinsiallehrervereins, gab der Vorsitzende Rector Knhlo-Bielefeld in seinem
.Tahreeberichte der Genngthnung über das Scheitern des Zedlitz'schen Schnlgesetz»
entwurfs Ausdruck, stellte ein Vorgehen des Landesvereins der preuBisdien Volks-
sehnllebrer behnfs gesetzlicher Regelang der Lehrerdotetion in Aussicht and
coDStatirte mit BeMedignag, dass der Verein, trote der Feinde ringranif in
erfrenliehem Waclisthume begriffen sei, seine Mitgliederzahl sei im verflossenen
Jahre von 13i)9 auf 1592, und die Zahl der Einzelverbäude von 45 auf 50
gestiegen. Aus dem Vorstande ist einer der beiden katholischen Collegen —
man sagt, infolge eines Gelübdes — ausgeschieden. Da die Ikrathungen der
Vereinsangelegenheiten hier nieht weiter interesiiren, so sei danras nar mit*
getlieOt, dass der nächs^llhrige westfälische Lehrortsg in dem im äußersten
Osten der Provinz gelegenen blinden abgehalten werden soll. Dir Antrag-,
den 17. Lehrertag nach Hagen zu bemfen und ihm den Charakter eicer
Harkortfeier zn verleihen, da Friedrich Harkort, „Westfalens Fritz",
der „Tribnn der preaMsehen Volkssehale'*, geb. im Febrnar 1793, in der
Mark, in Hagen, Her<lecke etc. gdebt nnd gewirkt habe, fand leider nicht
die Mehrheit. Der Einwand, dass man dsn großen Todten auch in Minden
feiern könne, würe wnl besser nieht erhoben wttrden. Man konnte ja den IS.
westtiUibcheu Lehrertag iu Minden abhalten. Hoffentlich ist das letzte Wort
in dieser Saehe noch nieht gesprochen; wenn aber — so wird der mSildsche
Ganverband wisien, was ihm Ehre nnd Pflicht gebieten.
Die Hauptversammlung am Dienstag: fand in dem großen Saale des
„Fredenbanms" bei Dortmund statt und war von ungefähr 2000 Lehrern und
Lehrerinneu besucht. Oherbürgermeibter Schmieding wies in seiner Ht^rüßungs-
rsde anf die Bedentong der SeIhstTerwaltnng flir die gedeiUidie Entwiiddnng
des Schalwesens hin nnd hob hervor, wie unser Volksleben seit Einffihrnng der
Verfassung auf viel breiterer Grundlage in allen öffentlichen Angelegenheiten
ein intensiveres geworden sei. Indem er so. wenn auch unausgesprochen, der
Tendenz der letzten Schulgeset^voriage entgegentrat, wandte er sich anderseits
gegen die Feinde der Lehrer and die Verlditer ihrer Yenammlnngeu, insoümi
als er die hriftige Mitarbeit der Lehrer an dar FBrdening des Schulwesens
rtthmte und insbesondere den Segen nnd die Bedeutung der Lehrertage betonte.
Rector van Ekeris, der Vorsitzende des Dortmunder Lehrorvereins, flocht
in seine Begrüßung die Gedächtnisrede auf Arnos Comenius ein, und verstand
es, die grofle Versaaualang in eine weihevolle Stimmung zn versetien.
Den ersten Vortrag Uber ,Die Jngend- and VcUmUtsratar" hielt
Linneweber-Hagen. College Schepp-Berlin sprach in anregender Weiss
über „Die Orthographiereform'*. £r trat Ar die Dnrchfabrong des phone-
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— 689 —
tischen Princips in der Rechtachreibniie: ein und empfahl den Anschlass all
den von Dr. Wilh. Fricke bpgrriuidetcn \ erein für vereinfachte Orthographie.
Bector Stückmunn-Dortmaud hielt einen Vortrag über „Die Fürsorge für
dto vwwalirlMto Jugend".
Mit ebem dnrch fröhliche aemUtUiidikflit g«wtiiilMi FeBtotMn Huden die
arbeitreichen Tage ihren AbBchloas.
Aas Hamborg. Seit dem Jahre 1887 Ist in Hamborg ein merklicher
B&<^cgang der VoIkaachnUebrergehlUter sa verzeichaeD, da das Anfrficken in
die feste Anstellung und in die erste Gehaltsciasse später als früher erfolgt.
Dies wird um so schmerzlicher empfunden, als seit 1888 durch den Zoll-
anschluss Hamborgs eine bedeutende Vertheuerung fast aller Lebensbedürfnisse
eingetreten iat. Bis 1887 wurden die im Hamburger Seminar anagebfldetMi
Lehrer nach 5 Dienstjahren feet angeatellt; 1887 stellte man zun ersten Mal
nur die Hälfte der FünfjUhrigen an und ließ die andere Hillfte noch ein Jahr
warten; jetzt sind 6 Dienstjahre bis zur festen Anstellung bereits die Regel
geworden. Bis 1887 erfolgte die Beförderung in die erste Altersdasse in
der Regel 4 Jahre nadi der Ibeten Anetellang, nnamehr aber ent 6 odmr 6
Jahre nach derselben. Für Lehrer dagegen, die von answirta eintreten, haben
sich die AnstellnngsverhJlItnisse in den letzten Jahren frf'bessert; in den
Jahren 1887 und 88 wurden sie erst nach 7 — 8 Dienstjahren (seit dem Seminar-
abgang) fest angestellt, gegenwärtig schon nach 6 Dienstjahreu. — Seit dem
ZoHaaeehlnss Hambnigs avlieitet eine Commiision, beaCebend ans Mitgliedern des
Senats und der Bfirgerschaft, an einem aeven Gehaitsgeseta für die Beamten.
Bei dieser Gehaltsregelung sind indes die Lehrer noch immer nicht an die
Reihe gekommen; zwar gewährt man den Beamten, deren Gehalt noch nicht
geregelt ist, inzwischen eine Theaerongszolage, beispielsweise den festange-
steUten Lsfarem 160 H» den iddit ftstangesteUtsB, soAni dieselbeB das aweite
lEiamen bestanden haben, 100 M. jlhrUeh. Da aber der Hsnshalt einer
Lehrerfamilie mit 2 oder 3 Kindern jetzt etwa 400 — 500 M. theurer zu
stehen kommt als vor dem Zollanscliluss, so ist jene Zulage nur sehr dürftig.
Dazu kommt noch, dass di^ Theuemngszolage nicht erhält: 1) wer ein
Gehalt von 3000 M. oder mehr besieht, 2) wer in eine andere BeemtensfeBUnng
gelsagt^ d. h. flr insem Fall; mr fbst angestellt oder in die erste Qehalts-
dasse beAidert wird. So wird die Zahl derer, denen die Zulage satheU
wird, von Jahr zu Jahr geringer.
Ein recht merklicher Unterschied besteht zwischen dem Gehalt der Lehrer
and dem der Hauptlehrer, wie folgende Übersicht zeigt:
nioht ftst angesteOte Lehrer: 1200^1800 H.,
Hast angestellte Lehrer:
2. Gehaltsdaise: 1750—2500 M.,
1. „ 2250—3500 M.,
(nach je 3 Jahren 250 H steigend).
Haaptlebrer: 9000—4400 M.
(nach je 3 Jahren 350 M. steifsnA).
Die Hauptlehrer beziehen ferner 750 M. Wohnnngsgeld! Das Gehalt
der Hanptlehrer ist nun für hiesige Verhältnisse dorchaos nicht zn hoch; um
Pedago^iiun. lt. Jahrg. Heft IX, 41
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— 690 —
80 weniger genügt das Gehalt der Lehrer, namentlich der jüngeren. — Dem
neuen (iehalta^^esetz sehen die Lehrer zum Theil mit kühnen Hofihongen ent-
gegen. Wie wird et «ufUlen?
In HanlMiif bestehen z. Z. 3 groAe Ldurerreniiie: die ^GeMllMdnft der
IVennde des vaterländischen Schal- und Erziehongswesene" («nd der reichste
Lehrerverein Deutschlands mit vorzüglichen Casseneinrichtnngen: Witwen-,
Pensions-, Kranken-, Vorf^chuss-, Unterstützongscasse und Diesterwegstiftnng ;
rand 650 MÜTe imd «JilffiWie uiterttfttseDde Mitglieder), der „admlwiaaen-
tchaftlicheBfldiiigtTeteiii*' (behndelt namentlich edudwIaeemciiaftMche Vngm't
mnd 250 MitgL) und der „Verein Hamburger Volksschnllehrer" (behandelt
vorzugsweise schulpolitische und ähnliche Fragen, rund 7of) Mitgl. ). Im vorigen
Jahre berieth eine Commission ans lütgliedem dieser drei Vereine über eine
Vereinigung, bezw. ein Znsammengehen der Vereine in wichtigen Angelegen-
heiteo. Die Verhandlungen dieeer Gommiedon schienen einen recht erfiftnlichen
Ausgang nehmen zu wollen; schließlich aber ging die Commission, ebne that-
sächliche Ergebnisse erzielt zu haben, auseinander, da die allerdings recht
verschiedenartigen Vereine nicht gewillt waren, ein entsprechendes Stück ihrer
Sondereinrichtnngen und Sonderinteressen zu opfern. Es ist das um so betrübender,
als schon ohnedies das Ghewicfat der Lehrerschaft in unserm doroli und durch
aristokratisch regierten Staate kein allzu großes ist, um so beMbender, als
man seit einigen Jahren damit umgeht, den Lehrern (genauer der Schul-
synode, bestehend aus den \orstehern und lestaiigestellten Lehrern der
öffentlichen — höhereu und niederen — und den Vorstehern der nicht
Sflnitliehen Schulen) das Becht cn nehmen, swei Abgeordnete in die ObenG]inl>
behSrde zu wälilen. Allerdings steht den Lehrern dieses Recht vorderhand
noch zn, und sie haben neuerdings zwei Vertreter in die Obprschulbehörde ge-
sandt, die oft f?f'mig ihr warnies Herz für di*^ Schule bekundet und mit ebenso
viel Mnth wie Geschick die Interessen der Schule und der Lehrerschaft
wahrgenonunen haben: Hai^tlehrer Fridce nnd Sehuldireetor Dr. BeinmtUler.
Solange solche Männer nns ▼ertreten und solange die Leitang des Hamburger
Volksschulwesens einem Manne anvertraut ist, der, wie unser Schulrath Mahrann,
die innigste Hegeisternng für die hohen Ideale wahrer Menschenbildnng mit
einer so sicheren Hand für die Praxis der Schulverwaltung verbindet, so lange
branehen wir nidit um die gesunde Entwiekhmg des Hamburger VollDnehn]-
wesens besorgt zu sein. — Gleichwol ist nnd bleibt es sehr bedauerlich, dass
ein Znsammenschluss der großen Lehrervereine, der über das bisherige bloße
Freundschaftsverhältnis hinausgeht, nicht zustande gebracht ist. Min Bild
des leider urdeutschen Particularismus im kleinen!
Zum Entwurf des iirenlUschen VdlkssehnlgesetBes hat die Hamburger VoHu-
sdraUehrersehaft entschieden Stellung genmomen und swar Qffentlieh in einer
von mehreren hundert CoUegen und Colleginnen besuchten Versammlung am
20. März, in welcher Hauptlehrer Fricke (wie oben erwähnt Mitglied der Ober-
schulbehörde) einen von tiefer Begeisterung durchglühten Vorti'ag hielt.
Dfo Yemnmlung nahm fblgende vom Bedner vorgeschlagene BesolntioD ein-
stimmig an:
,Die am 20. März 1892 in Hamburg tagende allgemeine Versammlung
hamburgischer T^ehrer und Lehrerinnen erblickt in der Annahme des preu-
ßischen Schulgesetzentwurfs ein Unglück für das ganze deutsche Vaterland.
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— 591 —
Sie missbilligt die räckschrittliche Tendenz dM Batwui-fis, welche darch die
Hervorhebung der Confessionalität im Religionsnnterricht, dnrch den Gewissens-
zwang und durch die Ansliefening der Staatshoheit an die Kirche bekannt wird.
Sie luiBsbilligt das geplante Scbolgesetz femer, weil durch dasselbe die Schule
polittoehea Ftofedsweeken dieufbar gemadit w«rd«a loll, dagegen bereehtigle
ForderaDgen oiiier gMondeii Ftdagogik in demMlbeii vnlMrttekaiGhtigt gdaMen
werden.«
Za einem besonders großartigen Feste gestaltete sich die Hamburger
Comeniaafeier, veranstaltet von den 3 obeugunaunten Vereinen und dem Verein
Hambarfer LaadachiiUehrer (26. lUn). Die Olenspiuikte der Ton nmd
3000 Personen (Herren und Damen) besachten Festveraammlongr bildeten,
von den herrlichen Chören des Hamburger Lehrergesangvereins abgesehen, ein
Prolog, gedichtet und meisterhaft vorj^etragen von unserem in dieser Zeitschrift
schon mehrfach genannten Otto Ernst, und namentlich die begeisterte and
begeisternde Festrede dee Herrn Schalrath ICahrann. Heryorgehobeii an werdna
verdient, dass der Herr Schnhrath sich mit dem Altaeirter Comüilna anf den
Boden der allgemeinen Volksschule nnd eines Religionsnnterrichtes stellte,
der in erster Linie die religiös-sittlichen Ideale pflegt, nicht aber sich
auf die confessionellen Dogmen steift.
Wann wird man liberall in dentsehen Landen wie hier aolelie Worte
von oben herab liSren?
Aus Bayern. Seit Wochen freue ich mich auf die Stunde, wo ich — an
der Hand des Landtagsberichtes — dem geneigten Leser etwas Erfreuliches mit-
theilen dai£ Und nun hat wirkUdi di« beispieUoa schwerfällig arbeitende
Landtagemasehine am Beginne dea WnuMmonaia das Ergebnis der Gehalta-
aafbesserungsfrage der bayrischen Volksschallehrer (ich bitte wegen der Wort-
schachtelei um Vei*zeihung) ausgespien. Diese Gehaltsaufbesserung mit ins-
gesammt 891 000 Mk. hat eine lange und gar seltsam anzuhörende Vorgeschichte.
Als rttsiBnli dem Landtag die Regiemngsvorlagen zugingen, war trotz eifrigen
Sndiena nichts von Gehattsanfbessemng der Beamten und Lehrer an finden;
die Presse nnd die Linke mnrrten, und da ericUbTte der Finanzminister, iUls
die Kammer einen Antrag einbrachte, wolle er nnd die Regierung zusehen,
was sich machen ließe. Der Antrag lief ein — und die Regierung verkündete
Dinge, mit denen die Beamten sich nur halb und die Lehrer gar nicht zu-
frieden gaben. Wieder ein llniren in der Presse — bei den Lehrern Protest-
versammlungen und scharfe Worte, die dem Cnltusminister nicht gefielen
nnd die Regierung bot einen fetteren Bissen; d. h. der fette Bissen fiel den
Ministem zu, die bis dahin keinen Finger geregt, und bei deiu n sich mit dem
besten Willen kein Grund für die Zehntausende von Mark entdecken lässt, die
man ihneii in den SchoB gesehttttet Danach kamen die Beamtem — immer
dem physikalischen Satze getreu: dass ein großer Kßrper wiederum große
Brocken anzieht, wilhrend an kleineren nur etzliche Splitter haften bleiben.
Zuletzt kamen die Lehrer und dann nichts melir. Allerdings wartete
hinter den Lehrern noch das unabsehbare Heer der nichtpragmatischen Beamten
* mit dem Beamtbnelend In nnansgesproehenster Form ; — allein das bekam nichts^
Nidlt einmal schöne Worte.
Was aber die Aufbesserung der Lehrer anlangt, so kam die folgender-
li*
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~ 692 —
maßen zustande. Bisher wnrde die erste Altersznlage 10 Jahre nach dem
Seminaranstritt gegeben; in Znkunft wird sie schon nach 5 Jahren gereicht
und zwar mit 90 Mk. für Lehrer and 72 Mk. für unständige Lelirer und
Lehnrimen. (Dfo Begfenair ^^tte Je 45 Hk. weniger beuitngt.) Dm meht
764 280 Mk. -f 126 57f) Mk. = 890 856 Mk. oder abgerundet mit Rücksicht
auf die HeimlUlle 865000 Mk. Zum andern wnrde ein Antrag des liberalen
Abgeordnett-n Schnliert (des ernten Vorstandos vom Bayr. Lehrerverein) an-
genommen, die künftige 4. Aitei-szuiage statt nach 16 schon uacli 15 Jahren
m gewähren, macht In ¥ark 26000, woniu deh ndetast die obeiuulgellihrle
Geiammtsumme von 891 000 Mk. zusammenklaubt.
Ein Abgeordneter der Linken meinte, diese Regelung sei keine end^iltige,
ein streitbarer Centrumsmann behauptete: ja, — der CultUBniinister versprach,
die einzelnen Kreise zu Erhöhung des Kreiszuschusses anzureizen und Uberall
die eUigatoritehe Verpflegung der Schulgehilfen durch die stlndigeB Lehrer
efaunllhreD, der CentrumsfUhrer Daller — er ist Gymnasialrector in Freisiof
— meinte, H50 Mk. Barbesoldung wäre für 18 — ^ 22jährige Schulgehilfen
eigentlich nicht zu wenig, — das Haus klatschte zu den Abgangsworten des
Cultusministers: „Ich hoffe, dass mit der Aufbesserung Freude und Zufrieden-
heit in die Lehrerkrelee einziehty die Beruftfrendigkelt eriilHit wird somWole
nnierer Kinder, unser» Sehlde nnd des Staates!" — Bei&Il und der
Yerhaag fiel fiber dieses parlamenrarische Spiel.
Es versteht sich, dass die Aufbesserung nicht ohne einige böse Worte
seitens der CleriJtalen gereicht wurde. Während der lierathung des Capitels
YollDMdiiile fute der Miiwane See, ud die Opfer, das er dienud haben
wollte, war die ^B^. Lehnneitoiig". Die Bayr. Lehremttimg wird
nämlich seit Neujahr jedem Vereinsmitgliede gegeben und entlädt auf diese
Weise ihren gefährlichen Inhalt in Schnlhäuser, die bislang von liberalen
Ansichten nichts wnssten. Unsere Clericalen, welche die Gefahr erkannt,
rttitetea beizeiten mm Feldzag nnd begannen die Lehreneitnng als katho-
likenftlndlich aasosehwlnen. Und wahihaftigt Manch einer, würden drohende
peeaniftre Verluste (an den Wolthaten des Lehrerwaisenstiftes) ihn nicht dft>
von abgehalten haben, wäre fahnenflüchtig geworden. Wir haben in Bayern
in jenen Wochen ein Satirspiel erlebt — das Spiel ist nicht einmal aus nnd
hat sogar innerhalb der protestantischen Mauern Nttmbergs eine lustige Blase
gewoiliBn — , ein 8atirs|iiel, das einen betrBbenden Eünbliek in die Maeht dea
Ultramontanismns gewährte. Für die Sache der IMchreitenden Schule in
Bayern aber wäre es nicht von Schaden gewesen, wenn jene Vereinsmitglieder
ausgetreten wären; denn sie, die geistig Armen, sind doch nur Hemmschuh
gewesen nnd werden es noch lange bleiben. Der Abgeordnete Schubert aber
hat naeh meinem Olaoben nieht die gliaiendste BoUe gespielt; er hielt efai
paar schSnstilisirte Reden, und befolgte im übrigen die Taktik nnsercr Kammer»
liberalen: das Centrnm durch keine Principienfrage zu reizen — so trefflich,
dass er schließlich selbst mit in die Verurtheilung der Lehrerzeitung, des
Vereinsorgans einstimmte, indem er sich so oft und nicht stets erforderlicher-
weise CBm Wert meldele. EÜn Abgeordneter aber sollte am wenigstSB dasBe-
ilürfnis fühlen, in den de- und wehmUthigen Sats auszubrechen: einnins indsr
Frage der Aufbesserung durch die Presse veröffentlichte Auslassungen un-
geeigneter Art nicht auf Bechnung der ganzen Lehrerschaft zu setzen i Wäh-
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— öü3 —
raul Clittuetel-Beimfkmigr venoehten die CSariealM wkdflr eiMD VonloS
gegen die Sininltanschale, jedoch ohne Erfolg. Der neue Cnltasminister führte
sogar den verwegensten Kämpen — es ist ein Gymnasialrrofessor ans der
Rheinpfalz — eigenhändig und sehr elegant ab nnd die ätadt Nürnberg
bflseUoM, gleichaftn ab Anlrnnt anf jenoi Kriegsruf, in Zakmift nur noch
SimiiltBiiMhideD m eniehUni. BlMer erftvoHclieii Mittheilwig kann ich iwei
weitere hlnznfQgren: eine Reihe mittelfiHnkischer Städte richtete an die Regie*
mng die Bitte um Beschneidnng des üppig- ins Kraut schießenden rpli^ösen
Gedächtnisstoffes, — nnd eine ziemliche Anzahl bayrischer Städte beschloss,
dem Lehrer in der Schnloommission nicht allein eine berathende, sondern auch
eine beaeUieBoide Sttamie suagtatdiAiL Ja, die rnttteUMakiBclie Stadt Sdiwa*
bach beabsichtigt, an die Spitze ihres Schnlwesena im bestqualificirtea ihrer
yolksschiillelirer .ca atellen, fidls ea t<hi der Begiemng erlaabt wird.
Aus Österreich. Der „Deutsch-österreichische Mittelschul tag", welcher
in der vergangeneu Charwoche zu Wien abgehalten wurde, beschäftigte sich
IL a. sehr eingehend mit der pädagogischen Vorbildung der Uittel-
schnllehrer, d« h. der Lelirer an Gymnasien nnd coordinirten Anstalten. Als
Referenten über dieses Thema flmgirten Professor Dr. Maiß und Prof. Dr. Höfler.
An der sehr lebhaften Dehatte betheiligten sich außerdem namentlich Dr. von
Math, Dr. Singer, Prof. Hoppe, Prof. Martinagg, Prof. Dr. Smolle. Zur An-
nahme gelangten folgende 2 Thesen: 1) gDie weaentlldie Vorbedingung eines
Fortaehrittea In dur pftdagogischoi Vorbfldnng der IfittelBdivIlehrar ist die
Pflege pliilosophischer, speciell psychologischer, logischer und ethischer Studien
der Lehramts-Canditaten" (Hüfler). 2) „Für die pädagogische Ausbildung
der Lehramts-Candidaten ist neben der theoretisch -pädagogischen Ausbildung
an der Universitftt das Probejahr der Candidaten nothwendig nnd hin-
reichend; die Einffihmng pidagogiadier Seminare nnd Übnngaschnlen Ist
nicht anzustreben* (UaiB).
Aus der Schweiz. Am .SO. Januar d. J. starb zu Baden (Aargan)
Franz Dula, ein Schnlmann, wie er eben nur in der Schweiz möglich ist. Des-
halb wellen wir hier von aeinem Lebensgange knrz berichten. — Dala wordeam
10. Wtn 1814 im Ganton Lnaem geboren, beaoehte die niederen nnd hSheren
Sehttlen der heimatlichen Hauptstadt und seliloss seine Studien an der Uni-
versitHt Jena ab (die ihn später, bei der Feier ihres "ÖOO jährigen Bestandes,
zum Ehrendoctor ernannte). 1836 trat er in den Schuldienst als Secundar-
lehrer in Lozem, fiel aber bei der Regiei-nng in Ungnade, da er seine libe-
ralen Gesinnnngea nicht verhehlte nnd im beoondem der Bflekbernfting der
Jesuiten entgegenarbeiteta. Er nahm deshalb 1842 eine ähnliche Lehrstelle
im Nachbarcanton Aargau an, wo er sich auch einen eigenen Hansstaiui grün-
dete. Infolge des „Sonderbuudkrieges" *) (welchen er als Schützencorporal
mitmachte), kehrte er in seine Heimat zurück, wurde Mitglied des neuen
Regierangwathea nnd bradite ala aolehea ein nenea UnterriehtsgeietB soatande.
widrigen, particularistisch- jesuitischen BSonderbnnd" der 7 Cantone: Luzern, Uri,
Scfawjs, unterwaldea, Zog, Freibaxg, waUls (1847).
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1849 übernabm D. die Leitnnp: des Lehrerseminars in Rathansen (Luzem),
wo er eine andere, d. i. freisinnige Lehrergeneration heranbildete und durch
die That wie durch Wort und Schrift für die Hebung der Volksschule und des
LchnnrtaadM nadi jeder Blditiuig hin wirkte;- zadem wwaib er sicii herrer-
ragende Verdienste anf dem Gebiete der GemeinnUtziglteit (war zeitweili|r
Präsident der Schweis. Gemeinnutz. Gesellschaft), z, B. durch seine Betheiligung
an der Gründung der großen Kettungsanstalt Sonnenberg bei Luzern. Doch im
Laufe der Sechziger Jahre gelaugte die ultramontane Partei abermals zur Herr»
Mhaft, «od M folgte Diila den Bafi der aarganiaeiMii Begieraiig in die
Direcüon des Seminan Wettingen (1867). Bis 1886 behielt er die Leitimir
dieser Lehrerbildungsanstalt, bis Herbst 1891 gehörte er ihr noch als Lehrer
(der Pädagogik) an. Dass ein Mann von solcher Gesinnungstüchtigkeit und
Thatkraft einen tiefen erzieherischen EinHuss auf seine Schüler ausübte, be-
darf kaum der Erwihniing.
Wenn wir aber D. gleich anfugs all eine gerade der Schweiz eigen*
thümliche Erscheinung bezeichneten, so hatten wir hauptsächlich die Art der
Ämter, welche er bekleidete, den Amtswechsel im Auge. Diese Möglichkeit,
und nicht seltene Wirklichkeit des Stellenwechsels ist in der That für die
Bdiwelaariaehe Lehrerschaft chankterlttiMli. Hier nedi einige Beispiele (ans
denen man freüicb sieht, dMe ee sich fiwt anMchlieUidi om „hOhere** V(dka-
schnllehrer handelt): ein Secundarlehrer wird Stadtrath, ein anderer Staats-
schreiber (Vorsteher der Regierungskanzleii, ein dritter Kegierungsstatthalter
(Bezirkshauptmann). Oder: der Assistent in einem Laboratorium der Universit&t
(Doctor) deht die Stelle eines Ldurers (fHr welche er allerdings die Wahl-
fthigkelt besitzt) an der Mldehemeeudanehnle vor, ein BedrksschnUnspeetor
desgleichen; der Leiter eines staatlichen Lehrerseminars übernimmt dieDirection
einer städtischen MUdchenschule. Oder die Wandlung des Herrn F.: Real-
scbulletirer — Bedacteur einer politischen Zeitung — Übuugsschnllehrer am
Seninlr ^ etldtiacher Mftdchenschnllehrer. Herr 6. — und mit ihm schließen
wir die Reihe — war erat Secnndariehrer, flbemahm dann das Bectorat einer
höheren TSchtersolmle nnd iit jetst SecretSr der Brsielrangsdirectieii in seinen
Hefanatcant^n.
Was wir hier angeführt, dtbfte deutschen und österreichischen Lehrern
im allgemeinen noch unbekannt sein — anbekannt wie manche andere Zustände
und VerhUtnisse im Schnlwesen der Schweis, und wie manche T^ateaehe der
schweizerischen ünterrichtsgeschichte. Darüber hat man sich hierzulande
mehrfach beschwert. 8o z. B. jüngst gelegentlich der Comeninsfeier, Dass
Comenins auch zu namliaften Schweizern in wesentlichen Beziehungen ge-
standen (man wird bald Näheres darüber hören), davon wisse man „im
Beiehe dranBen" nichts. Aneh scheine man hie nnd da immer noch Gomenios
fther Pestalozzi stellen zn wollen (was aus mehreren Festschriften zu ersehen
sei\ nnd dies beweise, dass man die wahrhafte Bedeutung Pestalozzi's in ihrem
Kern noch nicht allenthalben erfasst habe, auch wol mit seiner Lebensgeschichte
noch nicht genügend vertraut sei. Des weiteren wurde kürzlich bemerkt: die
deutschen Verihseer Ton „Geschichten der Hetiiodik" seheinen die Verdienste
der Schweizer um die Entwicklnng des erdkundlichen Unterrichts nicht zn
kennen. Und in der Schweiz. Lehrerztg. vom 2. April d. .T. schließt die An-
zeige der „Geschichte des deatscb. Tomonterrichts" von Prof. Dr. Eoler (Kelu*,
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— 595 —
Gesch. d. Meth. V) mit den "Worten: „Das Turnen in der Schweiz Iit aloht
behandelt. Der Verfasser führt blos die diesbezüglichen Bestreb ung-en von
Zwingli nnd Pestalozzi an and erwähnt, dass Spieß und Maul in der Schweiz
in hervorragender Weise thätig waren. Wir andern glauben, das Tarnen bei
0118 dlirfe lidk M fQt seiieii Imnb wie das ao nanclieii Sttdteliena ,,eiiiiet dcv
Bliyn'^, nnd der Name des Tarn vaters Niggeler Wire der Geschichte der MeUiodik
des deutschen Volksschalnnterrichts so gut angrestanden , wie der mancher an-
dern Streiter." — Hier handelt es sich im wesentlichen um die Vergangenheit;
häufiger begegnet man Belegen für das Nichtwissen der Gegenwart. Nun sind
wir zwar lelbetverstftndlioii keineawegt so eingebildet an fordern, der deatsehe
oder (Memidiiaobe Lehrer müsse in dem vielgestaltigen Unterrichtsweeea
aller unserer 25 Länder und Ländchen bewandert sein, und noch weniger
möchten wir uns zu der mehr als kühnen Behauptung versteigen, die Schule
der vorgeschrittenen Cantone sei die Erziehuugsschule im Öinne Pestalozzi's,
Dieaterweg'aT Hildelnraiid'a*) and darnm dam grlbidlielMii Stadimi jedea am-
Iftndischen BemfiBgenossen dringend za empfehlen — aber dodi dHrftn wir
wünschen, dass man jenseits des Rheins unsere Schuleinrichtungen wenigstens
ihren Grundzügeu und ihren Eigenthämlichkeiten nach kenne; soviel steht
fest: di^enige Beachtung, welche unsere kleine pädagogische Welt von Seite
der grOßenii Naebban wifkUeli verdieBt, hat aia noch nicht gcflmden.
Woran liegt das? — Man kann nicht bdumpten, daia an wenig ver*
öflfcntlicht werde, oder dass die Veröffentlichungen schwer zugänglich seien.
In dem gegenwärtig von A. Richter (Leipzig) herausgegebenen „Pädagogischen
Jahresbericht" ist stets anch der Schweiz ein Abschnitt gewidmet (dessen Be-
arbeitang in guten Hladen liegt) — leit 1887 enchelnt flbeidiea (bd Onll
Füssli in Zürich) ein „Jahrbnch des Schweiz. Untenrichtsweaeos" — die
Schweiz. Lehrerzeitung kostet jährlich nur 5 Fr. — das zwar schon 1883 heraus-
gegebene, aber immer noch recht brauchbare „Handbuch der Schweiz. Schul-
gesetzgebnng", von 0. üunziker ist jetzt beim Pestalozziaunm in Zürich za
dem Spottpreiae von 50 Rappen an haben. Sonach konnten Bich wenifttena
die Lehrerbibliotheken grSBerer Sohnlen nnd die Erdabibliotheken mit gnten
Anfklilningsschriften versehen. Für den Einzelnen aber könnten das Beste
die größeren Fachblätter leisten. Denn es gehört gewiss zu deren vielseitigem
Berof, ihren Lesern zu zeigen, wie und in welchen Kreisen das pädagogische
Leben jenaeito der Landeagrensen aleh abapielt. Mit einer Reihe klar und
knapp gehaltener Artikel wlre dto Avtgtlt» gelltet**) Aber aaeh die QneUe,
oder vielmehr die große Sammelstelle der zahlreichen, mehr oder weniger stark
sprudelnden Einzelqnellen ist jedem (wenigstens auf dem Postwege) zugänglich
— wir meinen das nArciiivboreaa" des Pestalozzianoms in Zürich.**'^) Wenn
•) Davon sind wir noch meilenweit entfernt!
*•) Eine solche Artikelreihe bat bereit« 1889/90 die firtthete BedacÜon der
Pädag. Zeitung (Berlin) begonnen; sie lortsiuetaen, scheint die gegeawirtige Lei-
tang nicht gewillt an sein.
***) Hieriier sollteB sveist immer anoh diejenigen kommen, vrelehe peiOBBÜdi
In Schwei zeriaehen Schulen Umschau halten und sich dazu so gut als möglich vor-
bereiten wollen, wie es im vergangenen Jahre zwei deutsche Herren gethan (aus-
gosandt von der Dieaterwegstiftung in Berlin und von da Stadt Flanea i. TogtL).
Der Entgeaanato hat Uber seine Beobaehtongen zu Zflrieh nnd anderen Sehwaaar-
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— 696 —
"wir uns — wie es im Folgenden gpeschehen soll — über diese für die Schweiz
hochbedeatsame AniUlt einlftariich ftnflexn, so dür&e daa sachlich gerechtfertigt
erscheinen.
Das Pestalozzianom amfasst eine wolgefüllte oud trefflich geordnete Aus-
ttellmg von SelndgeriUlMii md Lehrmittehi (mit efner betooderai, tut ver-
schwenderiseh ausgestatteten Abtheilang für Zeichen- und gewerblichen Unter-
richt) — ein Lesezimmer mit rnnd 70 unmittelbar nach ihrem Erscheinen anf-
liegenden Zeitschriften — das an wertvollen Reliqnien reiche, wiirdig und
sinnig gehaltene „Pestalozzistübchen" — namhafte Büchereien — das bereits
erwlhnte Andihr ala SamBebtelle lllr alle mOgUcbea Mamieoripte und DmclC'
tadieii, weldie Ton dem MGuitUcheii und privsten Schnlleben des In- nnd Aus-
landes Zeagnis ablegen. Das Archiv bnrean besorgt die Verwaltung: des Archivs
(anch des „Schweiz. Centraiarchivs fiir Gemeinnützigkeit") und der Biblio-
theken; aui^erdem aber ist es die wissenschaftliche WerksÜLtte des Pestaloz-
aiaamiw. Als boIcImb flüirt es ais: efneatbeflt die grOBerai, meist snr Ver-
MtaitUdiiiiig bestimmteil Arbeften (imd die Uterarische Thfttigkeit ist dne
vielseitige), andemtheils die verschiedenartigen kleineren Geschäfte, welche
hauptsächlich darin bestehen, für studirende Lehrer nach deren al1ß:emein ge-
haltenen Angaben und Wünschen aus den Archiven and Bibliotheken der An-
stalt das geeignete Material ftvamriüüen, oder IBr soldia Zwecke bei BehSrden
und SehnUeitem briefliehe Avskniilt, AeteosUielLe a.&. einnlioleii. Im Jahre 1891
worden 38 „größere Arbeiten" geliefert, darunter: Mittheilnngen über das
Schweiz. Schulwesen im Jahre 1890 für Richter's Pädag. Jahresbericht — Be-
richt über Entstehung und Entwicklung der Schweiz, permanenten Schnlaus-
stellnngen fttr die nMittheilangen der Gesellschaft für deutsche Erziehnngs-
uid Sehalgesehichte'' (Jahrg. I» Hefl 2) — Beitrag snr QeseUchte der Sefaul-
geographie in der Schweiz (Monographie, dem international«! geogr. Congress
in Bern vorgelegt, wo dem P. ein „erster Preis" zufiel) — Skizzen in die
„Allgemeine deutsche Biographie" — Beiträge zur Geschichte des Schweiz.
Fortbildungsschulwesens (Zeitschr. f. Schweiz. Statistik) — Vorarbeiten zu
einer Statistik der einheimlsehen Fortbildnngsanstalten für MSddien nndFranen
— Sammlangen für eine schweizerische Landeskunde, Abtheilnng Unterrichts-
wesen. — Die „kleineren Geschäfte" (1891: IBH) sind zuweilen im Berichte
übersichtlich nach den Hauptgebieten geordnet, auf welche sie sich erstrecken,
und zwar enthält der Bericht über das Jahr 1891 folgende Zusammenstellung
(die ZUKem in Klammem beliehnen die Zahlen der betreffend«! Ansknnfls-
nnd Andeihbegehren) : Gesetzgebung und Verwaltung, Schulwesen im all-
gemeinen (35) — Einzelne Schularten im besondem (23) — Lehrerverhält-
nisse (10) — Geschichte der Pädagogik (10)*) — Allgemeine Pädagogik (22)
— Methodik (30) — Verschiedenes (8).
Städten in einem Sehriftchcn berichtet, welches durchzusehen wir nod! nicht Ge-
legenlieit fmidi'n. Soltlie Studienreisen diirih fremde iSchuIen sind nun ohne
Zweitcl aui> wiirmste anzuratben; allein da sie .sicli in der Kegel nur auf wenige
Tage und (gröllere) Orte erstrecken können, so ist dus Ergebnis weit davon ent-
.femt, das Bild vom Schulwesen des Landes daausteUen und sa allgemeinen Uitheilen
zn bcrerhtigen.
*! Darunter KW«! Bdnwdigungen nach der Ldiws- nnd AibeUagesehiehts des
Uenn Dr. Dittes.
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— 697 —
Es lenditet dn: unsere Anstalt kann darch die erwähnten verschiedenen
Einrichtnrgen sehr viel Gntes stiften, nnd stiftet es wirklich; sie hat sich un-
entbehrlich gemacht. Aber die hohe Aufgabe eines „Pestalozziannms" ist
damit nicht erfüllt, aach damit noch nicht, dass es — selbstverständlich! —
dMn „Mittdpimkt fSr die PwtalooiAinehniff imd Pwtalotdlciiiid«* bildet.
Seinem höchsten Ziele wird er sich erst dann nähern, wenn es sich — seinem
Namen entsprechend — als „pädagogisches Nationalinstitut" flUilt. Es mus
erstreben, was noch nicht vorhanden ist: die allgemeine Volksschule als Schnlc
Peetalozzi's — die naturgemäße Erziehung zur reinen Menschlichkeit und Vater- .
ludstreae. Aber lo wenig die denteche Litontvgeediidite ndt dem 22. Wkn
1832 zu Ende gegangen, so wenig bezt idinet der Tod Peetaloflri'e den Schliue*
stein der Erziehnngsgeschichte. Man ist weiter geschritten, ganz besonders
auf dem Gebiete der Pädagogik. Und wenn anch Pestalozzi's Grundgedanken
— NaturgemäÜheit, Wahrhaftigkeit, Lebenstüchtigkeit — unverkiimmert für
aUe Zeiten gelten irerden: das Perttlo— lannm wm deeh mitten im „bonten,
blühenden, ewigbewegten Leben" stehen (allerdittg* anf hober Warte) nnd
für die vaterländische Schule zu gewinnen nnd zu verwerten suchen, was die
Nachfulger Pestalozzi's — mögen sie wo immer zu Hanse sein — Gutes er-
sinnen und schaffen.
All FiehiHrMM.
546. Comenius nnd Pestalozzi*) (Preiaarbeit, Allg. d. Lehrerz. 1892,
12. 13.). Eine nüchterne, unparteiische (wenn auch nicht durchaus ßTinidlidie,
nchlich genaue), „hauptsächlich auf eine Reihe von Gegensiltzen" f?:» ri< htete
Yergleichnng, für deren Ergebnisse gern mehr oder weniger sinnliche Schlag-
fpQrter geendit werden. Dieoe Brgebntee sind: „VSm tieH» Khift trennt C.
von P. hinsichtlich des Grades ihrer (wissenschaftlichen) Bildung, ihrer Welt-
und Menschenkenntnis." „C. war mehr Lehrer als Erzieher, 1'. mehr Erzieher
als Lehrer." ,.C. war durch seinen Kupf. P. durch sein Herz, was er war'*;
C. ein Apostel — P. der Leiter eines Missionshauses, freilich ohne Leitnngs-
takat, welebea C. in ebento bobem Kaße beoaS wie die P. gSnaUdi mangelnde
Ueisterschaft in der Systematik. C.'s Uattersdinle den Eltern, P.'s ähnliches
Werk nur der Mutter gewidmet; jenes verdient vor diesem bei weitem den
Vorzug. C. verfolgt „praktisch-reale", P. im wesentlichen „formale" Zwecke,
daher bei jenem i'flege, bei diesem Vernachlässigung der „Realien". Als
banpteacbUcfaer 8cbnlerf<dg ?on <X inteUeetnelle^ too P. »OfaliMbe FQrdemng
erwartet.
547. Comenius und Pestalozzi (0. Hunziker, Pestalozziblatter**)
1892, II). Rede zur Comenius-Feier in Zürich. Nach dem Bericht über die
„ftuAeren Schicksale'' und Schriften des C. folgt die Vergleich uug: Verschieden-
beiten in ibmn Lebensgang nnd Xartjrtbnm (C. Märtyrer der Sache, P. lOr-
*) Von besonderen .\ufsiitzcn (il)cr C. führe ich no<'h an dic||eiüsen der: lihein.
Bhitter 1, II — Schweiz. Lehieizeitung 13 (.C-Numnier"), U ~ Deutsche Blätter
10, 11 („C. der Apostel des Friedens") — Päd. Zeitung (16 Urtbeile Aber den Orbis
pictus, darunter die Empfehlungen einer Magdeburcfr Si luilordnung von 1T)58 und
einer Brannschweiger toq 1738, und lobende Anerkenn uuicfu durch Leibniz, Basedow,
Goetb^ Herder).
**) Um dea Pteii von 80 PI m belieben beim PestaloBiaanm in Zflrieb.
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— 5Ö8 —
lyrer seiner eigenartigen IndividnalitÄt) — „Comenins wird stets ein leuch-
tender Steru unter den Weisen aller Zeiten sein; Pestaioz;;&i'8 Bild wird tiefer
im Henen aller derar hafton, denen nlehts MeoMkliehea fremd tot** — GL
Scbnl- und Eirchenmann, P. Mensch und Bürger, deshalb aneh FoUtUur.*)
— „Comenius legte überzeugend dar, waa für die Erziehung gethan werden
mnsste; P. wirkte die Begeisterung, da«8 es gethan wurde." — Gemeinsame
Forderungen: Unterricht auf die Anschauung zu gründen — Natargemäßheit
an die l^tee aller EnrfelnngignindaStM an stellen — aUgemelneVolkmdiila
. (aber P. wueete nichts von C, ,,den theoretischen Hintergrund seiner Be-
strebungen bot itini Koussean's Emil"). Beide glaubten an die allein selig-
machende, unbedingte ilacht der Methode (Ziel: Unterricht und Erziehung zu
„mechaniairen''). Doch die Volksschale ist für C. Haaptbildangsmittel, für P.
nur „Snirogat", NotlibekeUL C. Imnte Torxttglieli an der Oigaaitation dar
Schole; P. legte die „psjoiiologjsdie Baiia aller Scholbildvng''. C. arbeitete
im Dienste des „Universums", P. im Dienste des Volkes, des einzelnen und
jedes ^Menschen, deshalb geht er von diesem selbst, C. von der Bestimmnag
des Menschen aus. — Schluss: Pestalozzi's innerste Eigenart.
548. Psychologisches ans der Didactica magna (Päd. Ret 1892,
12). „Qo ist in den Bewegungen der Seele das BanpbnA der WlUe; die
träbeiiden Gewichte sind die Gefühle, die dem Willen eine Neigung nach der
einen oder anderen Seite hin geben. Das Peri)endikel. wflches die Bewegungen
Sffnet und schlielit, ist die Vernunft, welche ausmisst und festsetzt, was, wo,
wie weit festgehalten und geflohen werden soll. Wenn daher den Wünschen
vaä QefUileB nidiit ein alisa groies Gtewidit angehängt ist, und das Petpett-
dikel, die Vemnnfty redit q»errt nnd Ofibet, so kann es nieht anders sein, als
dass die Harmonie nnd die Übereinstimmung der Tugenden folgt. — Einsender
bezeichnet diese Stelle als „von entscheidender Bedeutung für das ganze Er-
ziehungswerk" und üudet darin eine Aufforderung des Comenius zu vertiefter
GemtttbsbUdnng.
649. Des Comenins Bedentvng für den Zeiehennnterrieht ^Me
Kreide^) 1892, m). HittSESflliilA: «Bs soUen aneli die Kinder som XaleB
angeltthn werden, dass sie bald Im dlltlen nnd vierten Jahre mit Kreide oder
Kohlf Punkt»», Linien. Krcnz»'. Ringlein malen, wie sie wollen, was man ihnen
allmählich und spielenderweise zeigen kann. Denn also werden die Händleia
fähig, die Kreide an halten nnd Zfige an maehen, nnd sie begreifen, waa «in
Paakt oder Linie sei, was den Priceptoren hemaehmals an hllbsdiem VorliMil
gedeilmn wird.** — Orbis pictns: Indem man die Kinder sam «iMalen" anhält,
werden sie gewöhnt, „einem Ding recht nachzusinnen und scharf darauf
Achtung zu geben, auch abzumerken die Ebenmaße d4>r Dinge in Gegen»
einanderhaltung derselben." — Weiter werden einschlägige Stellen aus der
IMdaotloa magna aagefUut, nnd am Sehhus das snsamnenftMende ürtheil,
dem wir folgenden Satz entnehmen: „Wir wollen, dass bei jeder Kunst von
MÜpm, was in derstlb^'n gtlfistet werden soll, Ideen oder Vorbilder, voll-
ständige und vollkommene, aufgestellt werden, mit Beifügung von Erinnerungen
*) Ob die ÜTsaehe dieses Oegensataes nur in den Peisonen, nieht aaoh (riel-
leieht zumeist) in den Zeiten liegt?
**) Einzelnummer 26 Ff.
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— 599 —
und Regeln, welclie die Gründe des Geschehenen nnd des Tliuns aufdecken,
den Nachahnningsversach leiten, Verirrangen verhäten, nnd wo solche vor-
gekommen, bessern."
550. Baumgarten*) gegen Diesterweg (E. v. Sallwürk, Deutsche
Blfttter**) 1892, 12). Eiiie Scbntsrede für Diestarw«gB Stenum mm Kindieii-
thnm — nnd wenn avch der Meister ihrer nicht bedarf, so vernehmen sie
doch seine Jünger gem. S. thut übrigens mehr: er vertheidigt mit Nach-
druck die Selbstständigkeit nnd Freiheit der modernen Pädagogik überhaupt
und ihrer Diener. „Die Erziehung ist die grösste Gewalt, die über einen
UeuMdun nn«gettbt werden kann; daher kann de nnr ihrai eigenen Geeetaen
lUgen tmd keines fremden Herrn Magd sein, nnd nnr von einem ganzen Hann
ausgeübt werden." „Die Religion ist blos eine Seite unserer Cnltnr, und die
religiöse Unterweisung der ganzen und einheitlichen Erziehung unterzuordnen."
Mit dem „Anctoritäteglanben" hat die Erziehung nichts zu schafifen. „Ja
der Lehrer idlMt darf dem Kinde keine Anetoritit sein w<dlen: erat sein
Oiarakter, sein hSheres Wissen mnss dem ZOgling den Beweis liefern, dass er
der Leitung des Unterichtenden sich liin^^eben dürfe, und dieser darf das ihm
entgegenkommende Vertrauen nur dazu benutzen, in dem Kinde die heitere
Bnhe des Gemnthes hervorzurufen, welche den Organen des Geistes Regsam-
keit md Stetigkeit veileOit*
651. Über Elternabende (0. Sdralae, Deatsehe Blätter 1892, 11).
Verfasser will dieses neu gefundene, in Lehrerkreisen jetzt viel besprochene
Bindemittel zwischen Schule und Haus höheren Zwecken als denjenigen, die
man ihm gewöhnlich bestimmt, dienstbar gemacht wissen. — Den Eltern-
abenden soll (von den Lehrern) nicht blos eine „schnlpftdagogische", sondern
andi dne soeialB Aufgabe gestellt werden; namentUeh sollen sie rar Wadi*
samkeit fiber die der Schule entlassene Jngend anregen. Überhaupt sei —
entgegen der herrschenden Meinung — in dar Begel die Schule der gebende,
das Haus der empfangende Tlieil.
552. Kritik und Kritiker (R. Seyfert, Pildag. Führer***) 1892, 1—2).
Ein mit Ernst und Feuer geschriebener Aufsatz, dem man um der redlicbea
Absieht willen allrastarices Pathoa nnd zu große Breite gern nachsieht.
L Theil: Allgemeines („Nicht nmftssende Kenntnisse, nicht durchdringender
Seharftinn und schlagende Urtheilskraft sind das Erste und Wichtig^ste, was
wir vom Kritiker verlangen, sondern — (3pferwilligkeit, Selbstverleug^nung."
Auch n bares, wirkliches Geld" — nämlich Zeit — mnss er zu „opfern^ bereit
sein.) n. TheQ: AnsfBhrlieher Plan filr Becendonen «methodisch-praktiteheir"
Welke «mit ftchwissensehaltUdiem Inhalt" (hier ehie ErlelchtMiing durch den
Verleger zu wünschen: dieser soll jeweilen „einen Fachgelehrten gewinnen,
der mit seinem Namen für die sachliche Richtigkeit des Inhaltes bürgt").
Wenn S. in dem von ihm geleiteten Blatte hält, was er verspricht, so wird
«r in dar Hut zur Besserung der BecensionsTerh<nisse Wesentliches bd-
tragen.
*) VoIksBobulc und Kirche, auch eine eooialeFnge. EinBeitxag sur Diesterweg-
feier. Leipzig, Grunow 1890.
**) Einzelnummer 20 Pf.
***) Beilage aar Deutachea Schalpiaxis. Eiuselaammer 20 Ff.
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— 600 -
553. Der Gebrauch der Karte im erdkundlichen Unterricht
(P. Weigeldt, Prakt. Schulmann*) 1892, I.). Karte im Mittelpunkt; Einftth-
rong üu EartenventändniB naoli und musb, aut jeder Untenichtastofe, alio
EnlJuttmg der Uotentoft; Slobemn^ dai VtnliiidiiliMi «wid ab nSjslich in
jeder Stunde. (Der Atlas verdient eine größere Rolle, als sie ihm Verfasser
zuweist; er ist an unterrichtlichem Wert der Wandkarte so ziemlich gleich
zu achten, wenn er gut ist; und gegenwärtig besitzen wir in der That etliche
gute Atlanten, z. B. von Sehsoidt, Weltetein.)
5&4. Bemerknngen ttber den Unterrleht in der Phjsik nnd
Chemie (R. Schulze, Deutsche Schulpraxis 1892, 7). Lehrgang für den
„Physikunterricht": Schwerkraft (Mechanik fester Körper — „^ii'r braucht
man so wenig als möglich vorauszusetzen; dabei sind sämmtliche anzustellende
Versnche derart, dass sie nie missliiigen'^) — Kolecolarkräfte, Mechanik der
flUnfgen «nd farfttSnnlgen Ktoper, Optik (oder letelere «nneh der Heehmiik
der flfissigen Körper, der günstigeren Beleuchtung wegen ; jedenfalls die Lehre
vom Licht in der Zeit vom Juni bis August oder Anfang SeptMaber") — im
Winterhalbjahr: Schall. Wärme, Magnetismus, Elektricität.
555. Beiträge zum deutscheu l^nterricht (K. Strobel, Deutsche
Sebobeltang 1891, 46. 46). 1. OrnndgeeetB: Vergletehnng nwiaeken Sehrift-
deatsch und Mundart. Bedentang der Mundart für den Untwridit (daa erito
Wort darüber von Rud. v. Raumer; dessen Gedanken 1858 auszuführen ver-
sucht von Burgwardt). — 2. Syntax, Lehre vom Gebrauch der Wortclassen nnd
Wertformen in der Rede (Rectionsübuugen an Redensarten). — 3. In den
Iflteten Sehn^ahren „Übungen, die einmal naammeniSuaen, waa der geaammte
Unterricht an sprachlichen Belehrungen tflglidi eigeben hat, etwa eine Stunde
im Monat" ^namentlich Hervorholen der Redensarten, welche in den Stunden
vorgekommen und die Kinder aufgeschrieben). — 4. Der deutsche Unterricht
im Seminar: „Das Seminar sollte der Mittelpunkt sein, wo sich alles Volks-
nnd Alterthflmlidie der ganzen Landackalt aammelt nnd wo ea TerariMÜtet wird."
— Zorn ScUnese meint Yeifiwaer: „ Wenn erst anf dem Gebiete der dentechen
Grammatik ein Besinnen einträte, das ihre fehlerhafte Behandlung klarlegte,
so würde diese Einsicht alle anderen (dringlichen) Verbesserungen und Erneue-
ningeu ohne weiteres nach sich ziehen." (Natürlich kommt in dieser Arbeit
aaeh Hildebrand gebflrend n Worte.)
656. Zum dentachen Anfaatn in den nnteren nnd mittleren
Classen (K. Koch, ZeitBchr. f. d. dentachen ünterr. 1891, VUI). Vom „Auf-
satzelend" und wie es zn heilen — vornehmlich in den unteren Classen der
höheren, also in den obersten Classen der Volksschule. „Wir betrachten von
Anfang an den Aa£satz za sehr als etwas Abgesondertes, fttr sich Bestehendea,
als eine Anljginbe, die mit den ibrlgen Lelatnngen der Sohnle wenig za achalBMi
hat. Danun steht ihm auch der kleine Schüler mit einem ganz eigenartigen
Gefühle gegenüber." Die Sprache, die da auf dem Papier stehen soll, erscheint
ihm von vornherein als etwas ganz anderes." „Die gesprochene und die ge-
schriebene Sprache bleiben für seine Empfindung zwei völlig verschiedene Dinge.
Daa mnm doek wo! Sdmld der Schale aein. Ikre Pflicht wSre ea aber, ibra
Zöglinge ao zeitig als mOglieb die Wahrheit in dieaer Sache — nicht za lehren.
*} Etnselbeft 1.60 Mk.
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— 601 —
sondern erfahren zu lassen: dass das geschriebene Wort nur ein Bild des
lebendigen, gesprochenen ist nnd dämm von Eocht« wegen ihm Zng um Zag
gleichen sollte; dass wir nur die Nachl&ssigkeiten der mündlichen Rede nicht
Mif die geecluriebene fibeitrag^ dürfen, schon deshalb nicht, weil das ge-
•ehriebene Wort Tm uu gvtrHniit und yoa. aadefen geleMa wird, ohne da«
wir ftrtwibrend erglDsend nnd berichtigend dabei st«hen kOnnen." Die Schnle
soll lehren: „Was man gehört, erfahren, gelernt hat, kann man mündlich und
schriftlich wiederholen. Beides ist im Grunde so ziemlich dasselbe."
bb7. Ein Wort Uber Aufsätze (F. Meli, Schweiz. Lehrerztg. 1891, 43).
Der YoraeUaff des Verf., die Anftatsttbuigen einiosehrttnken and daffir «stille
Beschäftigung mit geeignetem Lesestoff** (natürlich auch selbststäudige Ver-
arbeitang und freie Wiedergabe) einzuführen, ist beachtenswert. Das geringe
schätzige Urtheil über die AufsatzUbung trifft aber keineswegs diese an sich,
sondern den verkehrten, ungeschickten, mit seiner Muttersprache nicht ver-
tnaten Lehrer-Mechnniker. (Der „Anftats" als Niederaehrift ist nnd bleibt
neben der Redeübung ein notliwendiges Hauptmittel sprachlicher Bildung und
derSelbstzncht.) — Die gewünschten „Lesestofft " aufzutreiben hält sehr schwer;
denn sie sind sehr seltt-n. Die Dichtungen von J. Spvri wären wol in erster
Linie auszunützen; alsdann wären Stücke — uni' Stücke (die allerdings für
sich ein kleines Game bflden mflssen) — ansLienhard nnd Oertrnd, ans Ben-
teir^s und Rosegger's Schriften auszuwählen nnd meist ein wenig umzuarbeiten:
dazu gehören aber wieder — abgesehen von gründlicher Kenntnis der Kindes-
seele — tiefe sprachliche Einsiolit und ein feines (Tcfühl. f „Volksschriften",
auch gute und mustergültige, eignen sich tlir Schulkinder selbstverständlich nicht.)
Herr Prorector Dr. Juling in Sch5nberg-Mecklenburg hat ein „Taschen*
buch der höheren Schulen Deutschlands*' (Auslieferung bei Ed. Kummer
in Leipzig, Preis Mk. 1. 50) veröffentlicht. Der I. Theil umfasst das Königreich
Preußen, der II. die übrigen deutschen Staaten. Da ein solches „Nachschlage-
bnch flr akademisdi gebfldete Lebrer** lingst erwünscht war, so yerdient das
üntetnehmen allseitige Unterstützung von selten der Interessenten, damit die
dem ersten \'ersuche noch anhaftenden Mftngel in den folgenden Jahi^glngen
anageglichen werden.
Der wunderbare Aufschwung Berlins von einem Stidtchen, das
sor Zeit des Oroßen Eorfürsten 6000 Einwohner zählte, zn dem Riesengemein-
wesen von hente zeigt sich an seiner jetzigen Einwohnerzahl von 1 (524 3 1 3 Köpfen.
Dass Brockhaus' Conversations-Lexikon, dessen soeben erschiRncnem
zweiten Bande wir dies entnehmen, schon heute die Bevölkerungsziffer vom
1. Janoar 1892 mittheilt, ist ein Beweis, dass darin stets die neuesten Daten
gegeben werden. Die Bedaction mnss TorsBglidie Beriehnngen zu den Behörden
haben, um statistische Zahlen aus dem eben erst vergangenen Jahre 1891 zn
benutzen, wie die Steuererträge von Berlin (ca. 130 Millionen Mark gegen ca.
90 Millionen Mark, welche das ganze Königreich Belgien nur aufbringen kann),
oder die Bierprodaetion nnd •Consnmtion n. dergl. m. München allein hat naeh
dem Brockhaas im Jahre 1890 178860000 Liter Bier getmnken, oder den
Inhalt eines etwa 300 Meter im Durchmesser großen, 10 Meter tiefen Bier-
sees! Wir sind erstannt, Tliatsachen bereits berücksichtigt zu finden, die eist
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— eo2 —
den letzten WocIhmi angehören, z. B. das Gesetz über den Belagemng-sznstand
in Elsass-Lothringen, oder gar Begriffe, die erst im Entstehen sind, wie ^.Bernfs-
vereine". Was sind Berufsvereine? Selbst mancher Jurist kann das nicht
iag«ii. Sie Bind dw Oegenstead einer OeeeliTwiage vea großer sodalpoUtiMlier
Wichtigkeit, welche den Beichstag erst in der nichsten Session beschäftigot
wird. In der gnten alten Zeit pflegten die Conversations-Lexica dem Fachmann
und selbst dem Laien nft nicht viel Neu«>R zu bieten. Das ist nun freilich beim
„neuesten Brockhaus"* anders. Auf allen (iebieten enthalten die Stichwurte
dieees Bandes, die wol Uber 6000 betragen, enchSpfende DanteÜnngen dea
Wifliene werten; man vergleiche die Artikel Berlin, Banken, Beeita, Bakterien,
Bahnh(1fe, Bantaxe, Banmwolle, Bier, wie wir sie gerade herausgreifen. Die
Biograjihien sind augenselieinlich von den Lebenden selbst durchgesehen. Nach
dem Artikel Beost sind wir gespannt auf den Artikel Bismarck, der leider
nodi nieht in diesem Bsnde entlalften ist
Mit besonderer Genagtlinniv lieben wir hervor, dass auch der zweite
Band des Brockhans (">sterreich-üngarn volle Berücksichtigung zutheil
werden lasst. Dies beweisen nicht nur Artikel wie Baden, Bilin. Auersperg,
Batthyanyi, Benedek, Biancbi, auch io den Artikeln allgemeineren Interesses
tritt es IQ Tage. So ist bei den jurisdeehen ühI immer die IMerreidüsehe Ga*
Betagebnng mit angefttlurt, and bei anderen Artikeln, wie Bidar, BabnhAfe a. s. w.,
ist in Wort und Bild Heimisches als Muster mit herangezogen.
Was die unübertroffene Eleganz der äußeren Ausstattung des Werkes be-
trifft, so haben wir nnserm Urtheil über den ersten Band nichts hinzuzufügen.
Übenasehffld ist wieder die Fttlle oorrecter Karten, Plttne nnd interessanter Ab>
büduigen auf 58 TafUn, an denen noch 222 Ttetbilder kommen. Die bnntea
Tafeln sind ein hervorragender Schmuck.
Alles in allem genommen: das Werk ist ein unentbehrlicher Hansschats
für jeden, der aaf Bildang Anspruch macht.
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Recensionen.
Anleitung zu botanischen Beobaclituno^en und pflanzenphysiolo-
giscben Experimenten. Ein Hilfsbuch für den Lehrer bojm botanischen
SchaluDterridit. Unter ZugrundelegODg von Detmer's „püaiizenphysiolo-
giiehem Fnktieiim'' bearbeitet von Frans Schlei chert, Lehrer in Jena.
Hit 52 Abbfldongen im Text Langensalza 1891, Druck nnd Verla« von
Hermann Beyer & Söhne. VIII and 152 Selten. Preis 2 M.
Heutzutage wird in der Botanik, wie auch in der Zonlog^ic, mit Recht
ein besonderes Gewicht auf die Lebenserscheinungcu der Licbcwesen gelegt.
Soll nun in der Schule dies Ton Nutzen sein, so muss wenig^stens hie und da
der Erklärung mit dem Experimente nachgeholfen werden. Freilich lanscn
•ich viele derselben nicht vor den Augen der Sehttler durchführen, da sie Tagt;
und längere Zeiträume in An.spruch nehmen, sollen sie ein sichtbares Resultat
liefern. Die Durchführung kann oft mit den einfachsten Mitteln gemacht
irorden, aber dasn bedarf es einet Anleitnnitr, vnd eine solche gibt in gcoiflgener
Weist' d;i.s uns vorliegemle Buch. V.a sind in demselben Versuche über die
Ernährung der Pflanzen vurgotuhrt, welche aus den verschiedensten Onippea
des Pflanzenreiches Emährungserscheinungen beleuchten, so z. B. Wasserciutiir,
Assimilation, insectcnfressende Pflanzen, Transspiration, Athmung der Pflanzen,
Nebcnproducte des Stoö"wech8el8 u. s. w. Der zweite Abschnitt handelt vom
Wachsthnm und den Reizbewegungen der Pflanzen and sind in demselben
höchst intorcssante Veisncbe über Gpo- und Heliotropismus der Pflanzen, das
Winden und andere Bewegungen enthalten. Das dritte Capitcl bespricht die
vegetative Vennchrung und geschlechtliche Fortpflanzung der Gewächse und
fttburt auch hier eine große Zahl hOchst belehrender Experimente und Beob-
aohtnngen tot. Der Vortbeil des Buches liegt darin, dass es geradezu nur das
fttr die Schuir "Wichtige licspricht, denn Neues will der Verfasser nicht bieten,
sondern nur das Brauchbare zusammenstellen, und das ist ihm vollständig
gelungoi. Kdn Lehrer wird das Buch ohne Nntsen aus der Hand legen,
zumal die Vezsnche so klar erläutert sind und mit so einfariirn Mitteln
femacht werden können, dass alle als leicht durchführbar bezeichnet werden
Snnen. Die beigegebenen niostrationen, sumeist anderen gediegenen Welken
entnommen, erleichtern da« Verständnis ungemein. Wir omi>fehlen das Werk,
das auch vorzüglich aui^gcstattet ist, auf das angelegentlichste. C. R. R.
Lehrbj^ch der Mineralogie und Chemie in zwei Theilen, für höhere Lehr-
awtaltwi md nun Selbststudium von Professor Dr. L. Weiß, Beal-Gym-
aatiallehrer. Eriter Theil: Allgemeine Chemie nnd Mineralogrie.
VII und 298 Seiten. Preis 2 M. 80 Pf. Zweiter Tlieil: Elemente und
Verbindungen. VIII und 240 Seiten. Preis 2M. 60Ft Bremen 1891,
Verlag von M. Heinsins Naclifolger.
Die Vereinigung von Mineralogie und Chemie beginnt immer allgemeiner
SU werden, und es sind auch in der That viele Beriihrungspunkte vorhanden,
welehe dieiMn Vorgang rechtfertigen. In diesem Lehrbuch ist auch Auf gaas
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— 604 —
bedeutende Abschnitte der Physik EUckgicht genommen, wie es fUr ein ein-
gehendem Studium der Mineralogie nothwendig; iit. Aue der Inhaltsangabe
wird dies klar werden. T)( n ullixcnicinoii Erkläriincfon folgen Capitel über die
Massenanziehung, die Cohä.sion.sturmen, die physikalischen Erscheinungen des
Lichtes und der Wftrme, die Änderungen der Cohäsion, das chemische Ver-
halten der Wärme und des Lichtes, und die Elektricität; sodann folß:t die
chemische Anziehung (^Aftinitätj, besondere Ursachen chemischer \'orgänge,
Stofflbiderung durch Theilung, Mischungen und Verbindungen und die anderen
dwmischen Verhältnisse. Hierauf folgen Belehrungen Uber das Vorkommen
und die Bildung der Mineralien und die Ehithellung derselben. Der Schluss
des ersten Buches ist wieder rein chemischer Natur, er enthält die Classcn
und Gruppen der Elemente. Im «weiten Buche des ersten Theilee werden die
IGneralien nach einer ebeminhen Eintheilung bebandelt, bierauf die Oestetoe
und die Gebirgsformationi n. Der zwi itc Th( il ist rrin chemischer Natur, indem
ia demselben die Elemente und Verbindungen iu systematischer Beihenfolge
beschrieben werden. Aus dieser Skisurung ergibt sieb, wie reich der Ijihidt
des Buches ist. Sehen wir die einzelnen Abschnitte durch, so finden wir auch
hier eine Keicbhultigkeit des Stoffes, wie man sie bei dem bescheidenen Um-
fange des Buches kaum vemuthen kann. Als einen besonderen Vorzug des
Werkes möchten wir anführen, dass den einzelnen Stoffen historische Ab-
schnitte vorangestellt sind, und dass ferner die praktische Seite der Verwen-
dung überall in ausreichender Weise dmdkgefllhrt ist. Der Methode nach iat
das Buch nicht inductiv, sondern es gebt vom Allgemeinen aus, was bei einer
mineralogischen Chemie (man Tersceihe den Ausdruck) passend erscheinen mag.
Den Experimenten ist überall Rechnung getragen, jedocli fohlen alle Abbil-
dungen von Apparaten, was der Verfasser damit rechtfertigt, dass er ein Buch
IBr liemende nnd nicnt ein Experimentirbucb fDr Lehm sdnrdben woUto.
Die Darstellunc: i>t überall in irrößter Klarheit durrhcrcffilirt, ja manche Partien
bilden geradezu einen mastergiltigen Lesestoff. Durch Vencliiedenheit in der
Gi96e der Sehrift wird dentndi das Wesmiiliehe Ton dem NebenelehliehaB
getrennt. Wir empfehlen das ausgezeichnete Werk, das auch mu8tei|;Ut^
ausgestattet ist, der allgemeinen Beachtung und eitriger Benutzung.
Homert Odyiiee fttr Schnle vnd Haut. Hemugegeben yoii WiedatcK
2. Aufl. Stuttgart, Metzler. Preis 1 H. 40 Pf.
Dass die Odyssee, fast möchte einer sagen, wie die Bibel zu den Büchern
gehört, die der Jugend nicht vorenthalten werden sollen und zu denen auch
der Mann immer wieder zurückkehren kann, ist so unbestritten, wie freilich
auch das, dass beide Bücher der Jugend nicht in unverkOnter Gestalt geboten
werden dVrten. IMe Odyssee enthiit manche Stdle, die anstößig, ver^nglich
zum mindesten genannt werden niuss. Wiedasch hat sie in seiner Kiunilien-
Ausgabe ausgeschieden, aber auch sonst den alten Homer gekürzt, theiis dort»
m die HiiNmer>Ferfldinng Einsehiebed entdeckt bat, theOs dort, wo aaeh
nnaeiem oder seinem (losdimackc die Beden zu lang ausgesponnen sind oder
eine Nebenliandlung den Fortgaug der Haupthandlung zu lange aufhält. Da
bat der Heiaaqgeber daa Wort ergtifliBB nnd in Kttnw die E^ode enihlt.
Ernst Keller, Lehrbuch für den erzählenden Geschichtsnnterricht
an Mittelschulen. Freibarg i. B. 1891, Wag-ner. Preis 2 M. 80-Pf.
Der Referent freut sich, ein Lehrbuch anzeigen zu können, das ähnlich
wie das öchsU'sche aus dem Vollen heraus geschrieben ist und dem man es
ansiebt, dass an ihm ein tüchtiger Fachmann mit Lust und Liebe gearbeitet
bat. Nur wer die Oescbichte ganz beherrscht, w^eiß so die Worte zu wSblen
und so den Stoff zu grupiiireu. Da ist nichts von dein niechanischf u Anein-
andeneihen der Begentenreihen und dürr und trocken erz&hlter Thatsachen an
•dien, das so viele LeitfUen vngenieBbar madit, doM sie einem Torkommen
wie das Inhaltsverzeichnis einer umfanj^reichen Weltgeschichte. Abge-
rundete Bilder und plastisch gehaltene Porträts der leitend^ Persönlichkeiten,
a B. R.
— r.
— 805 —
ein kräftiges Nationalbewusstscin und eine tolerante Gesinnung in kinhliclien
Fragen, das Bestroben, die Gesohichte zu einem „Btlrgerhuch" zu machen, also
neben der IJegenteu- und Kriegs<?C8chichtc auch die Culturgeschichte, die (ic-
Bchiclite des Bürger- und Bauernstandes zu Worte kommen zu lassen ^ all
das iseicfanet den KeOer'selien Leftfiiden nus. Dabei wXhlt er eorgsam die
Zahlen und sdn idt't Unwesentliches aus (nur sollte er Sagcnhaftrs öfter noch
als solches bezcidinea oder streichen) j er rUckt das leitcude Motiv und die
führende P«n5nlichkeit, oft tchon in dem Titel, in den Vordergrund nnd bringt
gar manches Detail, das jenes Motiv nnd die Gestalt recht scharf heraustreten
lässt und das gar nieht su allgemein bekannt ist. Kurz, das 13 — löjäbrige
Völklein als ^nfltser den Leitfadens kann daran seine Lust haben. Wir
wünschten, der Verfasser schriebe nun in demselben Geiste auch ein Handbuch
der (ü'.schicbte. Er hat das Zeug dazu, und das Buch wäre ein Bediirfuiii.
Ohler, Bilderatlas so Cftsars Bftebern de bello gallieo. Leipzig,
Schmidt & Günther.
In jüngster Zeit hat man auch dadurch den Unterricht in den cla.«»sischen
Sprachen zu beleben ■resiiclit, dass man die .\u8gal)en der SeliriftÄteller iliustrirte,
natürlich nicht durch Phantasiebilder, sondern nach archiiologischer äeite hin
durch VorfBhrung von GoBtOmbildem. Abbildungen ron CKsrStmchaften, Relieft
und BfMten, wie < lebe sich in iin-( n n Museen finden, von Baulichkeiten,
Plänen u. dgl. Diesem Kefornigcdanken dient auch das im Titel genannte
Werk, das Uber 100 lUustratiotten auf 29 Tafeln bringt ^ die auf 78 Seiten
(gr. H") knap}! und unter Hinweis auf die betrcftende .«teile in Otean gallischem
Krieg beschrieben werden. Ein stets der Zeichnung bcigesetster Becftstabe
gibt dem Leser Kunde, woher rie entnommen. Zumeist sind es' Bilder aus
Duruy's römischer Geschichte. — r.
V^lf, Unsere Colonien. Land und Leute. Leipzig: IHÜl, llmrklians.
Bei dem regen luteresse, das wir unseren Culonieu cutgegeubringeu und
den Tersehiedenartigsten ürtbeilen, die Aber ihren Wert gehSrt werden,
wird es nicht wundernehmen, dass ben its eine stattliclie Reihe Schrift in er-
schienen ist, die alle sich die Aut'gabe setzen, Land und Leute zu si'hilderu.
8ie tiinn es zum Tbeil auf Grund eigener .\ns( itauuncr, zum größeren Theil
aber auf Grund der freilich sich oft widersprechenden. holTnungsfreudigen oder
entmuthigeuden Berichte, die Missionäre, lleichscomniissäre. gelehrte Forst^her
und Schiffscapitäne von ihrem Standpnidtte aus vcröfTentlidit haben. Auf solch
Material baut sich auch das oben genannte Buch auf. Es hat das (juellen-
inaterial grflndlich durchgearbeitet und gesie'itet und in dankenswerter Weise
dem größeren Lesepublicum, zuvörderst unserer Jugend, bequem zugänglich
geuiacbt. Dass es dieser letzteren zusagen wird, ist keine Frage, da alles,
was ihr an Schilderungen fremder Völker und fremder Länder zu gefallen
pflegt, ja sie fesselt, hier zu linden ist. Urwaldbilder, Savannenscenerien,
»Schilderungen des Verkehrslebens, T^pen aus dem Treiben, Glauben und Qt-
bräuchen des Negers, Pa])uas etc. in friedltcber oder kriegerischer Zelt, ans
dem Leben des Deutscheu in der Haudelsfactorei, in der Plantage oder Mis-
sionsanstalt, und ebensolch prächtige Schilderungen der eigenartigen Fauna
der Tersdiielenen Colonialgebiete machen die Leetfire anziehend nnd lehrreidi
/iiirleich. 71 Abbildungen und 2 Karten illu^triri n das Geschilderte und orien-
tircu den Leser über die Lage der im Buch beschriebenen ( )rt.scbal'ten und
Reisewege und die .Sitze der zahlreichen Volksstämme. Als Jugendschrift kann
darum das \ cd/ sehe Buch bestens emj^lden werden. Es eignet sich für das
Krenzel-Weude, Deutschlands Colonien. Hannover, Meyer. Preis 2 H.
50 Pf.
Älinlich wie das Volz'sche Bin Ii wendet sich das Büchlein von Krenzel-
Wende an die Jugend. Ist es auch an malerischen .Natursciulderungen, die
das erstgenannte auszeichnen, nicht reich, so ist es doch anschaulich und vor
allem übersichtlieh und nicht gar zu optimistisch gehalten. Ks hat mehr die
W.
reifere Jugendalter.
— r.
Padagociiun. 14. Jthtg. Heft IX.
42
— 606 —
Form eines Lehrbuches und beschreibt dem^emBB nach einer streng ( in^^i baltenen
Disposition in ein« r Reihe von Paragraphen 1. das Land n:uh l-ui^c, Aus-
dehnung, JBodenform, Bewässerui^, Klima, Pflanzen- und ThierwelL, 2. die
Bewohner nach der Rasse und ^h1, ihre Wohnung, Kleidungr, Nahmng, Er-
werbsquellen, Sitten, Sprache und Religion, (ndlidi die Art der ErwerlninLr
und Verwaltung durch das Reich. Dadurch erleichtert die Kinpräguag ütu»
Stoffes und die Anffindungr vnd ermöglicht es auBerdem, den Inhalt von ge-
wissen fiesichtspunkten aus bequem zu hetniehten. Seiner Stilir-irung und
•einem Inhalte nach mehr eine Jugendsclirift lür die mittlere Alteräätut'e, iät
CS wie Tob mit tahlTdchen (44) i^blldungen «nd einer Karte geschmftckt.
— r.
Seeger, Deutsche Scbalgrammatik für die Classen Sexta bis Tertia.
"Wismar 1891, Hinstorff.
Die genannte (trammatik ist für die Classen Sexta bis Tertia bestimmt
und stellt den Inhalt (im Anschluss an die Satzlehre die Formenlehre) in
systematischer Anordnung dar, so dass der Lehrer den Unterrichtsstoff für die
einzelnen Clausen selbst wird auswählen müssen. Und das ist kein Hangel
des Buches, da das Pensum jeder Olasse durch die Lehrpl&ne zur Genüge fest-
gestellt ist Fflr manche Sennlen wird aber das sehwerer ins Gewicht faOen,
dass die SeeeiT'sehe nrammatik nur wenig Musterheispiele und gar keine
Übungsaufgaben bietet, also ein eigenes Übungsbuch erfordert, das natürlich
mit ^m Gange dieser Grammatik nidbt übereinstimmen kann. Die Herein-
zichung einer Anzahl neuer Termini halten wir filr nicht unbedingt nßthig.
Wenn auch die Stilisirung im allgemeinen zweekeutsprechend ist, so ist doch
noch mancher Ausdruck zu bemängeln (z. B. die Präposition regiert den
Dativ und Accusativ; oder die Fassung der Regel, z. B. „In gewissen Fällen
ist es möglieb, sich auf zwei verscüiedciie Standpunkte zu stelleu." Der
Schüler wird aus dieser Fassung nicht eiitu> jtmen wauu er sagen man: Kurl
starb im Jahre 814 oder Karl ist im Jahre 8U gestorben. Ebensowenig
wird er sich über die Anwendung des Präsens historicum auf Orund des
S. 25 Gesagten klar werden). — Lob verdient die Sceger'sche Grammatik wegen
ihrer Hinweise auf Dialect- und ältere Sprachformen, die sie im I. Theil
gelegentlich, im II. Theil, der At die Tertia bestimmt ist, systematisdi heran-
sieht. Die Lautlehre auf physiologischer Grundhitrc, insbesondere die Behand-
lung des Lautwandels (mit Ausnahme der „Brechung", die nach der älteren
Qrimm'sehen Aofhasung gegeben wird) ist so. dass sie die Scbfller spielend in
ein interessantes Capitel der deutschen Sprachgeschichte einftihrt. W.
}[. Jahn, Methodik der epischen und dramatischen Lectäre. Leipzig
1891, Dürr. Preis 2 M. 25 Pf.
Jahn erörtert sein Thema mit der Voraussetzung, daSB dem Lebrer des
Deutsehen vier Stunden wöchentlich zur V( rlVitruni; stehen. Das Ist nun in
den Schulen der meisten Staaten nicht der l- all; lu den österreichischen Alittel-
scbulen z. B. mvss sieh der Unterricht im Deutschen mit drei Stunden der
Woche begnügen und diese drei Stunden kann er selhstver-täiidüch nicht aus-
schließlich der episeben und dramatischen Lcctüre witlmou. MaucLe der Kurde-
rungen Jahns mögen also schon aus diesem rein äußerlichen Grunde fallen; andere,
daruiter das Lesen mit vertheilten Rollen, aber auch aus inneren Gründen.
Wir wandern uns, dass ein erfahrener Lehrer — und das ist nach der ganzen
Art des Buches der Verfasser — nach Klaucke's viT-t;indigen Bemerkungen
noch diese Forderung festhalten kann. Das mochte für ältere Uerren rocht
bequem gewesen sein, besonders an heifien Nadunittagen , Seene Ar Seene
herunterlesen zu lassen, aher Xurzi n hat es den Schülern nicht gebracht. Wir
würden gar nicht solange bei die^iem Capitel der Schulpraxis einer „guten
alten* Zdt Terweilen, wenn wir nidit fürchteten, ein jüngerer Ldirer künnte,
bestochen durch das viele Hute, das Jahns Methodik bietet, auch das als Aus-
fluss erprobter Pädagogik ansehen und nachahmen.- Was au Jahns Darstellung
beeonden ge0tllt, i^ die Verwertung der Literatur mit kritischem Sinne, das
Heranziehen concreter Fälle zur Beleuchtung und zum Beweise des Ges;\gten
und die philosophiüche Betrachtungsweise. Der jüngere Lehrer ündet außerdem
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im Aohang beinahe die j^anzc Literatur ilhcr das Iteljandclte Thema zusammen-
gestellt, aUo das in bequemer Vorm mitgctbeilt, was man sich früher lange
Jahie hindnfeh mttheToll nnunetn mitaBte. W.
Tk«lUl, Das Drama. Gotha 1891, TJiieiiemann.
DieMi kleine Heft verspricht, was der weitere Titel sagt: es ist eine
gemeinverständliche Darstellung de» Wesens und Baues des Dramas. Es
bringt das für die Schule Nothwcndige in einer leicht fasslichon Form, erläutert
durch Beispiele aus unsere a chissischen Dramen und schöpft aus guten Quellen,
unter denen natürlich Frey tags „Technik des Dramas" ohenan steht. Vielleicht
liiifto PS fjjch enipfüblen, eine ,-(heiiiati>rIie Darstp'iiiiitj des Aufbaues eines
bestimmten Dramas, wie sie Unbescheid bis ins Detail ausgeführt, einzu-
reihen. Das «in von gfttlerem praktisehen Nutzen als die doch sehr dürftige
Lflimaiiii, Das K ai teiizelchnen im K(''>^^^I :U>hischeu Unterricht. Halle
a. d. Saalo \S\)i, Tausch & (Jrusse. M.
Im Mittelpunkte der Discussion üLer den geogniiiliisi hen Unterricht steht
erotronwiirtitr das Kartenzeiohnen. Viel weniger Freunde als Feinde und Wider-
^a(ilcr sind ihui in der Lehrerwi It erstanden; die Freunde selbst sind über die
geeignetste Methode in Zwietracht und uneius geworden. Bei dieser Sarlil ige
thnt vor allem Klärung Uber die Zwecke des Kortcnzciehnens noth und dann
eine objective Absohätung des bisher Geleisteten. Beides versucht Lehmann,
Professor der Erdkunde an der Akademie /.u Münster, in dem obrngeaannten
Bache, einem etwas veränderten Abdrucke der Itetreffenden Partie seiner „Vor*
lesungen über Hilftoittel und Methode des geographischen ünterriehtes". Dort,
wo rr die Beile ii t ii n des Kartenzi i* lim ns i rüiutert, k.'iiiipft er liesonders
gegen die bekannte Schritt Bottcher's, der dum K.artunzeichneu in der i)chulo wenig
Wert bdraiBBt und Ar das besdireibende Verfahren eine Lanze bricht. Der
iraujittheil seiner Arbeit ist aber d«'r Methodik des Karfenzeichnens n;c-
widn>et. Er bespricht zuerst das J?ituations- und dann das Terrain/.eichnen,
führt die einzelnen Methoden des erstereo vor (die Einzeichnung iu gegebene
Grundlagen, die Skizzen mit Zugrundeloijung des Quadrat- oder des Gnid-
netzes oder eines Gerüstes bloßer Hilt'slinicu), erläutert sie, zumeist mit den
Worten ihrer Vei&sser, an einem concretcn Beispiele und — das Wertvollste
und Lehrreichste — schätzt sie auch nach ihren Vorzügen und Fehlern ab.
Denn das ist das Eigentbümliche, das» jede der bisher aufgestellten Methoden
für gewisse Zwecke des geegraphischeu Unterrichtes eine besondere Bedeutung
gewinnen kann und darum nicht kurzerhand verworfen werden darf, wenn
sie auch als ünivemalmethode sich nitilit bewährt. — In Ihnticher Weise be-
handelt Lehinaiin am h die Methoden dCS Terrainzeiehnens. Als die geeignetfite
fUr beide Arten des Zeichnens erklärt er mit wolerwogeneu Gründen — unter
denen nicht der letzte die Rftcksicht auf den gewiHinlieh zeiehneriseh nidit
besonders veranlagten uud tresehulten Lehrer der Geschielite uiul der Sprachen
ist, in dessen Hand ja bekanntlich gegenwärtig der geographische Unterricht
an den höheren Schulen liegt — die KirchhofTsche (Zugrundelegung einet
geradlinigen Gradnetzes") , beziehungsweise <Iie in Debes' Zeichenatlas ver-
wendete. So eifritr tritt er liir dieselbe ein, dass sich sein Buch wie eine
Apologie dieser Methode liest; immer und immer kehrt er zu ihr bei der Er-
örterung der anderen Metho<len zurück. Trotzdem ist er aber gegen die
letzteren nicht ungerecht, nur will er sie auf ganz bestimmte Zwecke be-
schränkt wissen, über die er in einem Bttekblick, S. 122 ff., sich kurzgefasst aus-
spricht Auf zwei Umstände wollen wir doch hinweisen, die vielleicht das
Buch hätte auch in Erwägung ziehen können. Der eine ist die Auswahl der
Kartenskizzen, beziehungsweise ihr Inhalt. Da .scheint uns Kauf'mann-.'ilajer's
Verdienst nicht gebttrend hervorgehoben. Der andere ist die Art, wie Matzat
in seiner Erdkunde (1. Aufl.) die Kilsten-, Fluas- und Gebirgslinien zum Zwecke
des Extemporales in Theile zerlegt. Per Referent kann aus einer langjährigen
Erfahrung bestätigen, dass diese Zerlegung deu ächUleru die Arbeit bedeutend
erleichtert, die SehVler selbst dien Zerugung in den idtMiBten Fällen gesduokt
treffen und lhtMt*& Art nieht nllen Lehrern bekniint Ist (S. 91 ist — nebenlMi
w.
4a*
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bemerkt - eine .^töreude Anordnung des Druckes.) Was man l^'Uniaun';» Buch
aber unbedingt naobritbmcn niuss, ist die (iründliebkeit und der Emst, mit
dem die Frage bcbandelt wird. E» ist eine erschöpfende Darstellung des
auf dem bezeichneten Gelnete Geleisteten; zugleich eine krUisehe Ohenchau
niid — nicht als das letzte nint hton wir das bcrvorhebcn, eine Lehlung, die
das in der Praxis Erreichbare nie aus den Augen verliert und darum an
praktiaehen Winken es nirgends fehlen lisst W.
K. Jftrz, Kartenzeichnen und Kartenskizzen im ersten geographi*
BChen Fnterricht. Znaiui, Fournior iiml Habcrlcr. 40 l'f.
Dieses Helirhcn ist ein etwas umgearbeiteter Aufsatz, den der Verfasser in
der Zeitschrift für Srbulgeograpbie (188S) TerOffentlicht hat. Seine Methode des
• Kartenzt'ichneus (Orientirungskrou/,, gegeben durcb den Meridian und
Parallel, weKlur das zu skizzinndc Gebiet in seiner gmßtou Breiton-, be-
«iehungsweisc Läugenausdelinuni: lunhgchneidet, Fixirung bestimmter Jlerk-
punktc innerhall) der Viercike; al> Maßeinheit dient das Stiii-k des MeridiJins,
welehe« vom Durchkreuzuugspunkte mit dem Parallel bis zum Nord- oder Süd-
randc des zu zeichnenden (Jebictes reicht) erläuterte er dort an einer Skizze
von Afrika, hier an der Mährens. Lehmann hat in seinem Buche „Das Karten-
zeichnen" die Mängel, die auch dieser Methode ankleben, des ansfnhrlichen
besprochen: der wcKOiitlii hsli' ^( Iii int uns der, dass die Zciithnmifr >i<'b in vier
Felder thciit, dio jedesmal auf zwei aneinander anstofiendcn äciteu offen sind,
80 doss Ar Tiele Fixpunkte die Lage nur sehr allgemein bestimmt werden
kann und dir ra^ciiaffciir Zcichcnhiife liesonders hei schwierigeren Objecten
darum nur eine geringe .sein wird. Unseren ganzen Beifall dagegen hat die
Einleitung und der zweite Theil des Heftchens, der die Kartenskixcen im
Schulbuehe bespricht. Da iflt wirklidi keine Seite, die nidit den erfahrenen
Schulmann vcrriethe. W.
Josef Sekran, Profenor, und Rudolf Schllssler, Doetor, Vonchole der
Mathematik fdi- östeir. Uut^ngyninaneiL Hit 384 Fig^. (in besonderem
Hefte). 219 Seiten. 2.48 M.
Hierzu Übungsstoff in 4 Heften flir die 1. — 4. Chasse. Zusammen 240
Seiten. Jedes Heft 80 bis 90 Pf. Wien, Alfred Heilder.
„ In der Instruction für den mathematischen ünterricbt an den Gymnasien in
Österreich wird die Fonlcrunsj ausgesprochen, „das« das Lehrbuch dem Schilh r
den ganzen Lehrstoff wolgcgliedert und ge<ir(lnet mit sei neu Erklärungen und Lehr-
sätzen vortUhre". Mit anderen Worten, e> soll der Lehrstoff nicht jahrgangsweise
in Heften iretrennt. sondern in einem Lehrburh für das ganze Untergvninasium
vereint si» h in den 1 landen des Schülers bctinden. Dieser Weisung wurden
die Verfas.scr mit der vorliegenden Arlieit gerecht, und dieselbe hat die Zn-
laasung für den Untcrrichtsgebraueh von Seite des Ministeriums erhalten.
Der Inhalt ist in vier Theile gegliedert mit den Überschriften: Besondere
.\ri11n)H tik, allgemeine Arithmetik, Planimetrie und .Stereometrie. !•< r (Tste
Theil umfasst dasKechnen mit ganzen Zahlen, gemeinen und DecimaibrUchen,
dann das Beehnen mit mehrfach benannten Zal^n, die Proportionen, die, ein-
fache Sehlus{?rcchnung und die einfachen Ecehnungf n des \'( rkehrs. Über
dieses Gebiet liegen so ausgezeichnete Bearbeituxigen des Lehistodes vor, dass
es kaum mög^ch ist. Neues und Besseres zu sdudnn; und die YerfSuser haben
ganz wol {jethan, sich im allgemeinen an die vorhandenen ausgezeicliiicten
Muster zu halten; dennoch ist es ihnen gelungen, an verschiedenen titeilen
Verbesserungen anzubringen. So linden wir eine besondere Darstellung zur
Erklärung der entscheidenden Folge, welche der Gebrauch der Ziffer „Null"
flir da.s Zahleusehreiben hatte. Auch für die Begründung der Theilbarkeits-
Begeln finden wir tine eii^eaarti^e Ableitung, welche das bisher Bekannte
womöglich noch an ansehanlirht r l»i dtlichkeit ühertrifft.
Weniger zusagend als die „bLMuulcre " war uns die ^allgemeine Arithmetik" ;
besonders bezüglich der für den iSehüler so schvitfigeii Einführung in die
Buchstabenrechnung scheint eine Anzahl von Sätzen, wenn nicht erschwerend,
BO zum mindesten unnöthig. Die Ycreinigungssätze der Operationen erster
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Stu£B und der allgemeinen Textauachungssätee (140 und 142) wären leicht in
^Bfochexer Form zu geben. Bei ien Operationen zweiter Stnfe findet sieh die
Weisung, die Null mit besonderer Vorsicht zu behandeln; In sser am Platze
schiene una die Erklärung, dass die Hall als Verneinung der Zahl, Überhaupt
keine Zahl ist, daher mit denelben aneb nicht trie mit Zahlen gerechnet
worden k:inn. Weiter lesen wir: ,,Die ErlflRrungcn der besonderen Arithmetik
für gniUtes Muß und kleinstes Vielfaches sind für allgemeine Zahlen ungeeignet,"
Diese Behauptung ist viUlig unrichtig, die Erklärungen, welche diosbc züglich
für die allircnioinfn Zahlen (im Punkte 106) gegeben werden, halten für die
besonderen Zahlen ihre volle Giltigkeit; es tritt nur fur letztere ein besonderes
Verfahren der Auffindung hinzu, wodurch aber die Giltigkeit der allgemeinen
Pefinition keine Einbuße erleidet. Im übrigen verbreitet sich die allgemeine
Arithmetik über die vier Reehuungsarten mit ganzen und gebrochenen allge-
meinen Zalüen, das Anasiehen der Quadrat- und Kubikwurzel, die Pro|)ortionen-
Lehre, die zusammengeseUte Schlussrechnung, die einfache Zinsrechnung, die
ZinseszinsTechnung und die Gleichungen ersten Grades mit einer und mehraxen
Ünbekannten, und bäh sidi dabei im u .srntlichen an das Hergeliraehtc, wie
man es in den anderen zugelassenen österreichischen Lehrbüchern Üudet.
An Dmekfehlem haben wir nur swei bemerkt: einmal avf Seite 86, wo TOn
der Addition der Brüche mit verschiedenen Nennern t^ehandelt wird. 7X'\<i;i die
Formel doch zweimal denselben Nenner; und auf Seite 107 bat die Antwort
des ersten Beispiel eine NvU zn wenig.
Die rManiiiietrie nnd Stereometrie enthalten in gedrängter Form, jedoch mit
klarem Vortrage alles, was aus diesem (icbiete in der Unterstufe geboten
werden kann; aas ist nach den einleiteuden Begrifl'cn das Wiehtigstc ttber die
Lehre von Congruenz, Ähnlichkeit, Fliiehengleichbeit und Fliieheumessung,
aus der .Stereometrie einiges über die Lage von Linien und Ebenen im Räume,
sodann die Berechnung der am häufigsten vorkommenden Körper, wobei uns
besonders das etwas nähere Eingeben auf sphärische Beziehungen gefallen hat,
und endlich die Erläuterung der Kegelschnittlinien.
Die Verfasser haben sieh aller llilfsmittd bedient, welrhe die neue Literatur
bietet, um dem Schüler die eehwierigen Aniangsgründe der Geometrie nach
ThunUehkeit aneehanKch nnd Ätttidi zu madien. Eb wird nbbeld der Begriff
der Symnictnilen eiun-efülirt und mit deren Hilfe die BoidlVDp: /wischen den
Gegenstücken der Dreiecke dargelegt. Zur Grundlwe der einheitlichen Durch-
führung der Ranmbefechnung vrurm der fttts des (^yalieri bointart, nachdem
er in einfacher Weise klargelegt ist. Der Unterricht in der riemtietrio wird
ganz besonders durch das Figurenheft gefördert, welches nahe an 4()U Figuren
Ui hOehst gelungener Anlage und Ausführung enthält. Wir tindcn mehrilMdi
Fieuren, welche den Grundsatz der Beweirliehkeit. der auch im Texte ge-
bUrcnde Beachtung findet, zur Anschauung bringen. Auch das Erfassen
flSchoigleicber Gestalten ist durch die Art der Darstellung fördemai lilfte»-
stützt. Die Figuren auf der Sphäre müssen wir im V eigleijch mit d«Mil andersr
Lehrbücher wahrhaft mustergiltig nennen.
Von den Heften mit Übungw»toff ist je eines für Je eine ('lasse des Unter-
gymnasiumB bestimmt. Man sieht aul' den ersten Blick, dass der ÜhungsstiOff
ra reicfalidter Menge geboten ist, und wenn man femer beachtet, eine wie
mannigfiüt^ Fassung ganz besonders die Fragen (b r (itumetrie erhalten
haben, so mnss man diesen Übungsstofl' völlig erschöpfend nennen, wenigstens
in dem Sinne, dass ein Bedarf fHr mehr daron nidit Toriianden ist Die Anf>
gaben sind in ihrer Aufeinanderfolge vom Leiehteren zum Sehwereren wol-
geordnet und haben uns auch in der Weise befriedigt, dass Gleichartiges nicht
nur nebeneinander steht, sondern in devtlidi abgetlimheii Gruppen geordnet ist.
Dieses Buch, welches den Instrnetionen der UnterrichtsTerwwtung cntsprirht,
wird ohne Zweifel seinen Weg in Österreich machen; doch auch außerhalb
seiner Heimat wäre dessen Beachtung höchst empfehlenswert. Die geringen
Bedenken, welche einige Stellen der allgemeinen Arithmetik uns errpcrten,
können melu verhindoru, da&s wir das(ianze als eine Mustcrleistung bozciclinen,
der nur wenig Gleichwertiges an die Seite gestellt werden kann,
Nioiit ttberuhen darf audi weiden, dass die Yerlagshandlong das mSgliditto
— 610 —
pofhan hat, um sowol den Text, als tjanz hosonders die Fij^urcn srhön au8su-
Brnchrechnniif^. 46 S. Duodezformat.
Desselben. Arithmetisches QaelUalz. Wesientaachenfonnat. Wismar,
Es sind die vorstehenden Yerlaffswerke beinahe nfleiehlftatend, und wahi^
Rcheinlifli nur der licquemeren Hiindhahnnt!; wpcf'ii wurden dicsf? zweierlei
Formate beliebt. Auf der ersten Seite steht des Verfassers (jebrauchsanweisung,
jedem Schüler eine der im Bnehe TOTkommenden mit Buchstaben (Iberschriebenen
Zahlengruppen jmzuthoilen, sodann erhalten nllc penicinschaftlieh eine zweite
Zahlengruppe, welche mit der ersten durch eiuo der vier Griindoperationen
7,n verbinden ist. Mit Buchstaben Uberschrieboni' Z ilileupruppeu linden «ich
filnfziL', man kann also fiinl'ziij SchnitTii versehicdene Aufjfaben zuweisen ; ferner
gibt CS je zwanzig (truppcn, welelie mit jenen erster Art durch Addition,
beziehungsweise Subtraction, und je 30, welche mittels Multiplieation oder
Division zu verbinden sind, wobei filnfziffmal dasselbe Ergebnis eintritt. Die
Verbindung der fünfzig (inippen erster Art mit den 1 CK) Gruppen zweiter Art
ciht in der That 5000 versebiedene Aufgaben. Es ist wnl kaum nüthig hervor-
zuheben, eine wie große Erleichterung dem Lehrer bei der beschwerlichen
Arbeit des Anfgaben-Corrigirens dareh diese Bfnrtchtnng enHhdiit. Es Ifisst
sich auch leif'bt vermeiden, dsi-ss alle Schüler da,ssflho Krijcbnis erhalten, da
dvnh die zweite Gruppe der gegebenen Zahlen eine 20- bis SOfhche Ab-
weehslang geboten ist.
Der Verf:i<sfT unterliisst auch nicht mitziifheilen , auf welche .\rt er zur
.\usführung dieses gewiss schoa längst empfundenen Vcilungcns nach Ver-
einfachung der Oometer unter Vermeidung des gegenseitigen Abschreibena
der Schtilerarbeiten gelangte. E!r stellt eine cranz allgemeine Hleithnng
zwischen vier unbestimmten und sechs voriindcrlichon Zahlen auf, woraus sich
unter Hinzufflgung gewisser Bedingiinafen ergibt, dass von den sechs ver-
Snderlichen zwei vollständig abhän^-itr sind. Sonach ist es mJ^glich, nicht nur
die beschränkte .\n/.alil der vom Verfasser gebildeten Beispiele, sundeni, wenn
eben die unbestimmten Werte verändert werden, unzählige Aufgi^ben dieser
Art zu bilden. Wir niUssen also dem Verfa.sser danken, nicht nur für den
von ihm ausgearbeiteten, sehr netten Lehrstoff, sondern ganz besonders fUr
die Wegweisung, wie überhaupt solche Aufgaben henostelien sind. H. B.
J. Schanze, Rector, und Th. .Tll;?er, Lehrer in Eschwege, fb nngsbficher
für Handwerker- und Fortbildungsschulen, in Heften vonöO — 75S.
zu Bf) — 50 Pf. Wittenberg, Herrose.
Das erste Heft, schon in der Vierten Auflage erschienen, enthält das
Eechnen nebst dem Wichtigsten aus der Wechsellehre und scheint uns ein
recht guter Lehrbebelf für Handwerker- und Fortbildungsschulen zu sein, da
es neben einer Reihe von Aufgaben für Wiederholung (\r< I{c( hnens in ganzen
ZaUen und Decimalbrflcben noch eine betrftchüiche Menge eingekleideter Auf«
gaben fttr bürgerliche Bechnungsarten enthMt.
Die B-Ausgabe dieses Heftes ist für liindliche Fortbililiini^sscliiilen bestimmt;
darin wird unter Weglassung der Erklärungen aus der Wcchsellebre der Lehr-
stoff von 64 anf 4S Seiten znsaiiimengesogen.
Das zweite Heft führt die Überschrift: Praktische r.enmctric und ist
schon in der dritten Auflage erschienen. Es enthält die wichtigsten. Eigen-
schaften der Dreiecke, einige Auseinaadeisetaangen über Congruenz, Ähnlich-
keit, Flächen- und Inhaltsberechnung erläutert durch IHö Fhungsaufgaben
und endlich die an.<4führliche Behandlung eines Kostenanschlages zu einem
kleinen AN'ubnhause.
Das dritte Heft, die c;ewerbliche Buchführuntr enthaltend, hat es auch
schon zur zweiten Auflage gebracht; wir finden in demselben nach einer
ziemlich kurzen Erwähnung der nothwt mlitren ( reschäftsbflcher ein auf zwei
Monate ansgedehntee und ausgeführtes Beispiel der einfachen Bachführung
Hinstorff. 176 S. 50 Pf.
— 611 —
eines Schlossers mit Invtüitur, Tajithiirli, l'ai^dbucli, Meiiiurial- und Hauptbuchj
dann folgen noch Geschiilt^vortalle für /.ehu weitere Buchunio^Bbeispiele ver-
schiedener Handwerker. Da der Berichterstatter seit zehn Jahren an einer
Gewerbeschule im Rechnen und in der Buchföhrnng unterrichtet, so darf er
wol nach seiner cic:cnen Krfahrung ein l'rtheil ülicr den vorstehenden Lehr-
behelf abgehen, welches durchaus gttnätig lautet. Das Interesse dieser Schiller-
gattung wird nur rege gehalten durch ErBTternnsren , bei welchen sie einen
umnitlelljaren Zu>amitionliaiiij mit ihrer Erwerhsthätifrkeit seli. n Da aber
diese eben nach den Gewerben verschieden ist, su ist eine iurtgesct/te, mannig-
faltige Abwechslnng in der Einkleidung sowol der Rechnungs- als auch der
Buchfilhrungsaufirahen erforderlich, welrher zieralit Ii s( !i\vieriQ:eu Bedingung
die Verfasser des Vorliei,'eii(len vollständig (teniiije <j;t !( isti t haben. H. E.
karl Jacubi, Director der iiandelsschale iaüüttiugeu, Leitfaden der Handels-
lehre. GSttingen, VaDdenbceck. 141 S. 1.80 H.
Dieses Handbuch erkliirt zuerst das Wesen des Hamli Is, soJann die Tflii hteu
der Uandelspersonen, Handelsgesellschal teu und der übrigen beim Handel be-
theiligten Personen. Es folgt dne Übersicht nber Mafle und Gewichte, die
Natur von Geld und Credit, das WiehtisTSte d( s Wechselrecht es und die ver-
schiedenen Arten von Wertpapieren. Voa den Einrichtungen zur Erleichte-
rung ded Handels werden die Waren-Auctionen, Märkte und Börsen, sodann
das Zollwesen, dl«; llaudelsverrräu'i, die Cunsulate, Handelskanuiiern und
Handelsgerichte, endlich die Transport- und Verkehrsmittel besprochen. Es
liegen diesen Erörterungen wesentlich die Ge.«etze, Einrichtungen und Ge-
bräuche des Deutschen Kciches zu Grunde und werden dieselben in einer völlig
modernen Auffa.s.sung durcbgefilhrt. Obwol der Verfasser zunächst nur seinen
Schülern der Handelsschule ein Lehrbuch bieten wollte, ist es ihm doch ge-
lungen, vermöge eines klaren und faasiichen Vortrages ein Werk zu schaffen,
welches nach aa6erhalb der Schule, sowol tarn SelMtuntecricht ab auch als
Nachschlagcbuch recht gute Dienste zu leisten Tenoag Und daher der Be-
achtung bestens empfohlen zu werden verdient. U. £.
Neil «nebieneM BSeher.
KtHtl Kehrbach, Mittheiluugen der CieselUchaiL für deutsche Erziehuugs- und
Schnlgeaehlchte. 1. Jahrgang, 3. Heft. Berlin, Hermaiui HiUler. III S.
Anton Vrbka, Leben und Schickaale des Johann Amoe Comenive. Znaim,
Fonrnier & Haberler (Karl Bomentann). 160 S.
Kail 1>ornemaiin, ComeDiu» ala Kartograph seines Vaterlandes. Znain,
Fuuruier & Haberler (Karl Bornemann). 48 Seiten and 1 Karte.
F. (irniidi^, Johaun Amoe Comenins nach seinem Leben und Wirken. Gotha,
Thieneinann. 89 S.
Dr. Paul Stötzner, KatichianiscUe Schriften I. Leipzig, Richter. 88 S.
80 Pf.
Dr. K. Marold, Hartmann von Aoe, Wolfram von Eschenbach ond Gottfried
YOD Straßbnrg. Stuttgart» GQechen'sche Verlagshandlnng. 160 S. 80 Pf.
Prtf. 0. Glntter, Walther Ton der Vogelweide. Stnttgart, GQochen'sche
Verlagshandlung. 152 S. 80 Pf.
Dr. Karl Walcker, Grundriss der Weltgeschichte und der Quellenkunde für
Historiker, Lehrer, Examinanden und andere Gebildete. Karlsruhe, Mack-
lot'sche Buchhandlung. 315 S. 10 Mk. Kann auch in 10 Lieferungen
m 1 Mk. bezogen werden.
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— 612 —
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III. Heft. 5. Schuljahr. 64 S. 25 Pf. IV. Heft. 6. Schuljahr. 80 S.
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Jacob Paulli, Heligiüse Betrachtungen, übersetzt von Bai^m. Verlag
▼OB A. Wohknberg in Apenrade. 85 S.
Chr. Bamain, Friedrich Schiller als Mensch nnd Dichter, ein volktthttmUeh
dai^tellteB Lebensbild. Hambnrg, Herold. 178 S. Geb. 1.25 M.
I
VenntworU. B«dMt«mr Dr. Friedricb Dittea. Bucbdnickerei Julia* Klinkhardt, Leipiig.
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Bemerkungeii Aber die Frohaehammemhe Philosophie, ins-
beseidere über ihre Bedebingen zur PSdagogik.
Vortrag, gehalten im Pftdagogisehen Vereine zu Dresden Ton
Am StegiUai-DrmkH.
Hochverelute Versammlung l
e allgemeine nnd eine besondere Bedentang hat fUr
den Pädagogen die Philosophie.
Wie Ihnen bekannt, ist Aber die specielle Wichtigkeit, welche
dieser großen Wissenschaft für die Pädagogik ankommt, ond welche
Ton niemand in Abrede gestellt werden kann, neuerdings wieder im
„Pflsdagoginm" (Juniheft 1891) eine klare nnd treff«ide Auseinander-
Setzung von sach- und fachkundiger Seite erschienen. — Unsere An-
sicht über die doppelte Bedeutung der Philosophie für den
Lehrerbe ruf können wir kurz in folgende zwei Sätze zusammen-
fassen, die für den, welcher die allgemeine und die pädagogische
Literatur halbwegs kennt, keiner weiteren Begründung beilürfen:
a) Auf (las Geistesleben des deutsclien Volkes hat von je, nameut-
lich aber seit Leibniz, Lessing nnd Kant, die Philosophie einen mäch-
tigen Einrtuss geübt. Trotz geL'^Mit hei liger Stn'nnnngen zeiu^t auch in
der (Gegenwart „das Volk der Dichter und Denker ' n(tch Nt'i;^aing,
den P]rscheinangen der philosophischen Literatui* Beachtung zu
schenken.
b) Die Pädagogik ist iihiloso{)hischen Charakters; ist doch ein
großer Philosoph selbst (Aristoteles) der Vater der Pädagogik als
Wissenschaft! Ihre Hilfswissenschaften Logik, Psychologie und Kthik
sind philosophische Disciplinen. Daher befindet sich der Lehrer mit
seiner Beiiifswissenschaft bereits auf dem Boden der Philosophie.
Der Lehrer sei Bildner des Volkes! Daher für ihn die all-
gemeine Bedentang der philosophischen Wissenschaft Der Lehrer
sei Bildner des Volkes! Daher f&r ihn die specielle Wichtigkeit
der Philosophie. Wenn also der Lehrer nnd Erzieher sich mit philo*
sophischen Dingen befiust, so erfüllt er nur den Bath Diesterw^:
Hache deinen Beruf auch zum Mittelpunkte deiner Lectttre!*)
') „Wegweiser." 5. AuH. Bd. I. S. 66,
Paiiagosiom. 14. Jahxg. Heft X. y
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— 614 —
Nun entsteht aber die Frage! Mit welcher Philosophie soll sich
der Lelirer bescbäftigea?
Von Diesterweg wurden in den „Rlieinischen Blättern"') den
Lehrern mit vollem Rechte die Schriften Schleiermachers und Benekes
znm Studium empfohlen; sie verdienen auch lieute noch vollste Beach-
tung. Neben ihnen und den älteren Philosoplien dürfen wir Fichte
und Herbart nicht vergessen; denn jener hat die Erziehung und die
Erziel) uügswissenschaft vom politisch-nationalen, dieser vom rein wissen-
schaftlichen (theoretisclien) Standpunkte aus zu fördern gesucht und
zu fordern verstanden. Unter den neueren Pliilosophen sind beson-
ders Schopenliauer und Hart mann zur Berühmtheit gelangt Soli auch
der Lehrer sich ihnen zuwenden?
Schopenhauer, der den Willen als Grundprincip aufstellt, defi-
nirt denselben so, dass aus ihm nothwendig die pessimistische
Charak terisiruug des Lebens und eine wunderliclie Ktliik 'i folgt,
welche uns in das Nirwana der Buddhisten führt und somit im prak-
tischen Nihilismus endigt. Auch Hart mann, der bewusste Philosoph
des Unbewussten, ist Pessimist wie Schopenhauer, ja er vertritt den
Pessimismus noch energischer als dieser.*) Es leuchtet aber ein, dass
eine pessimistische und nihilistische Philosophie und Denkungsart am
"wenigsten geeignet ist, unserer Zeit da, wo es fehlt, aufzuhelfen.
Denn gerade die Gegenwart erfordert allseitig thatkräftiges Streben
und verlangt, wie Bismarck einst gesagt, die Bethätigung „praktischen
Ghiistenfhimui*. HImi aber ist der Pessimismns, den dine Phfloso-
phen vertreten, das untaoglichste HO&mitteL (I<di spreehe nur vom
ethischen, nicht vom wisBengchaftlichen Werte ihrer Werke.) Zu einem
actionsfthigen Streben im Dienste des Oanzen, wie solches nnser
oberstes sittliches Prindp sein soU, beflUiigt nns nicht der krankhafte
Pessimismas*), sondern lediglidi der gesnnde Idealismus!
Den beiden pessunistischen Philosophen stellen wir swei andere
neuere Denker gegenftber, die eine ungleich höhere Beachtung ver^
dienen, weil sie dem Idealismus Bedeutung zu erkennen und TJnter-
-1 Rhein. Blätter. 1834, Heft h u. 0; 1836, Heft 1; 1886, Heft 6; 1886^
Heft 5. Vgl. auch „Piedagogiuni", ^liir/.hift 1SS8.
•) Lic. th. Dr. Fricdr. Kirdiuer: „Über daa Grundprincip des Weitproccssea."
Wt bet. Berfiekiichtigung J. Mnduunmen. (Kathen 1889, P. Schettler.) & 870.
J. Stern: »Schweglei« Gcechichte d. PhikMophie.'' (Leipiig, Ph. Sedaa.)
& 49a
.1. Frobschammer: „Über die Oiganiiation und Cuitur der GeeelUcheft"
(Manchen 1885, Ackermaao.) S. 291.
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— 615 —
stfttznng gewfthren: Es sind dies: Herrn. Ulrici und mehr noch
Dr. Jacob Frohschammer, Professor der Philosophie an der k. üni-
yersitAt zn Mflncben, ein Mann, auf welchen ich Ihre Blicke lenken
möchte durch den folgenden, allerdings nur flüchtig orientirenden Vor-
trag. — Der Name dieses Mannes ist Ihnen nicht unbekannt; denn ab-
gesehen davon, dass Fr. durch eine Beihe interessanter ArtOral in den
letzten Jahrgingen des «Piedagoginm'' der Lehrerschaft selbst nlher-
getreten ist, wurde sein Name schon früher öfter genannt. Einmal
spielte Fr. in dem vor 20 und mehr Jahren geführten römischen
Kirchenstreite infolge seiner literarischen Thätigkeit eine wichtige
Holle, ebenso bedeutsam wie diejenige des Stiftspropstes Ign. y.
Döllinger; zum andern stellte sich Fr. in dem nunmehr beendeten
„Calturkampfe" mannhaft und entschieden auf die Seite des deutschen
Reiches, wie seine hierauf bezüglichen Schriften beweisen/) Über
diese seine Wirksamkeit, welche in mehrfacher Hinsicht an diejenige
Luthers erinnert, linden Sic näheren Aufschluss in bekannten Werken'),
weshalb ich dieselbe im weiteren unberührt lasse. — In den letzten
Jahrzehnten hat Frohschammer ein philosopliisches Original-
sy Stern aufgestellt, auf welches, wie es sclieint, erst verhältnismäßig
wenige aufmerksam geworden sind, obsdion einige gewichtige Stimmen
auf dasselbe empfehlend hinj^e wiesen liaben.'i
Fr. ist, wie schon an^'-rileufet, einer der hervorragenden und
hoftenilich erfolgreichen Vertreter derjenigen Richtung: in der Philo-
sophie, welche eine Vereinigung und Versöhnung des Realismus mit
dem Idealismus anstrebt. Die Philosophie in allen ihren Ver-
zweigungen hat nach Fr. hauptsächlich den Zweck, die „ideale Wahr-
heit** zu suchen, während die übrigen Wissenschaften, z. B. Natur-
wissenschaft, Geographie u. s, w., es mit der reinen Wirklichkeit, mit
der „realen Wahrheit" zu tliun haben. Fr. geht daher auch in seinen
Untersuchungen meist von der Wirklichkeit, von der realen Wahr-
heit aus, aber er prOft, ob diese Wahrheit auch der Idee entspreche.
Über die Aufgabe, welche er der Philosophie im allgemeinen und ins-
*) »über die xdigkiMii nmd kiidi«npolitiMh«ii Fngea der Oeg«iwart* „1^0
walire Bedeutung dos Culturkampfes." Elberfeld 1875, 1H7«^ ]>. Ed. LolL
') Jroyers Convere.-Lex. 3. Aufl. Bd, VU (1876), S. 2ö4. Brockheua* Conv.-Lez.
13. Aufl. Bd. VH (1884), S. 371.
*) Kirchner: „Über das Grundpriacip etc.- Kothen :;clietiler, —
Dr. E. Beioh: „BetnM!btiaiig«B Uber die PUloeophie FrobscbaiDraeiB.'' Oxolenlvun
u. Leipzig 1884, Baumert Bonge. — „Pssdag^^nm" YII, 8. 72 fg., Vni, S. 68,
S. 261 fg.iXn,B.iUs.
48*
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— 616 —
besondere seiner Philosophie stellt^ sagt er selbst: «Es wird wol als
selbstverständlich betraclittt werden dürfen, dass auch das Gebiet
des Idealen, dass auch die höheren Ziele, Güter und Weisen des
Daseins fiir die erkennende Kraft des Menschen feistes Gegenstand
unablässiger Prüfung und Forschung seien. Da die Menschen wie die
Völker ohne dieses Ideal doch nicht leben und wirken können . . ., so
hieße es nichts anderes, als gerade den höheren, besseren Tlieil des
menschlichen Daseins dem Zufall und der Willkür, der Unwissenheit,
dem Wahn, Tru{? und Aberglauben überlassen und schutzlos preis-
geben, wollte man der menschlichen Erkenntniskraft und wissenschaft-
lichen Forschunp: es versagen, auch in diesem Gebiete unablässig thätig
zu sein."") Wie der pragmatische Geschichtschreiber, so soll auch
der Philosoph sein, nämlich stets „die reale Thatsache am idealen
Maßstabe messend und beurtlieilend." Da die Ideale für das Geistes-
leben der Menschen ilberliaupt und demnach auch für die Pädagogik
von giüßt-r liagNveite sind, so muss auch die Wissenschaft des
Idealen für jeden, namentlich für den Pädagogen von Wichtigkeit
und Interesse sein!
Aber nicht nur ,.ldeahvissenschaft'' ist die Frohschamniersche
Philosophie, sondern auch Erklärung des Weltvorgan<:^es aus einem
einheitlichen Princip, also System. Als „Urundprincip des Welt-
processes" stellt Fr. „die Phantasie" auf, das Wort im weiteren als
dem gewöhnlichen Sinne gedacht — Wenn wir „Phantasie" mit »Ein-
faUduugskraft'* llbersetien, so sprecbeE "wir es aus, dass sie ttberhaopt
eine Büdungskraft ist Als solche macht sie sich auch reichlich im
Leben der Renschen geltend, wo wir sie als „subjective Phanta-
sie" bezeichnen. Die »subjeetiTe Phantasie'' beheirscht das Kindesalter;
sie tritt bei der Entwickelung des kindlichen Geistes deutlich hervor,
bis endlich der Verstand die Oberhand gewinnt — Wenn der Knabe
als Bdter erscheint, das Mftdchen mit der Puppe spielt« so hat ihnen
den Plan dazu ihre «subJectiTe Phantasie" eingegeben; ohne Einbil-
dungskraft wflrden ale gar kein Gefidlen an solchem Thun finden.
Wenn wir irgend ein Gut, einen Genuss, ein Ziel erstreben, so ist
unsere Einbildungskraft die Urheberin dieses Strebens; sie malt uns
die (zukünftigen) Güter und Genüsse in rosigen Farben. Jedes Ge-
schäitsuntemehmen ezistirt, ehe es ausgeführt wird, bereits in der
„Die PhiloMphie ah Idealwissenschaft u. Sjatem.** Mfliuhen 1884, A. Acker-
inaun. S. 67.
») Ebd. S. 24.
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— 617 —
„sabjectLTen Phantasie" der UnterDehmer; wenn der Kuabe die Schule
bezieht, so erblicken ihn die sorgenden Eltern schon als das, was er
werden soll; wenn ein anderer Knabe zum Meister in die Lehre
koiTimt. 80 malt ihm seine Phantasie schon das Bild, wie er selbst als
Meister schalten und walten wird. So sehen wir, dass alle Zwecke,
alle Ziele (Ideale) menschlichen Handelns von der Phantasie ein-
gegeben und bestimmt werden. Der Verstand, die Urtheilskraft,
hat sodann zu bemessen, ob die von der Phantasie an^e.^tellten Ziele
erreichbar sind oder nicht. Sind sie unerreichbar, so .sprechen wir
von Luftschlössern, von fixen Ideen, von Illusionen"), durch welche
gleich wol viele Menschen beherrscht werden. Der Wille endlich,
den Schopenhauer als Urundiirincip autt'asst, ist beim Menschen eine
secundäre Erscheinung; denn erst wenn die Phantasie ein Ziel auf-
gestellt und der Verstand beuitheilt hat, ob es erreichbar sei, erst
dann entsteht der Wille, der das Ziel erstrebt, bezw. davon abliast
(Yemeinung). Erst ein Ziel, dann ein Willet — Wir mflssen dem-
nach die «satgectiTO Phantasie" die prodnctiye Grundkraft im Menschen
nennen.
Als diese erweist sie sich wie im Leben flberhanpt, so yorzngs-
weise in der Kunst**) Die Phantasie ist es, von welcher alle
Meister aller Eflnste den Antrieb nun Schaffen und Gestalten em-
pfangen, durch welche sie ihre Werke gleichsam schöpferisch henror-
bringea
Die größte Eflnstlerin ist die Natur. Sie erzeugt unerschöpflich
neues und — was hier betont sein möge — vielgestaltiges Leben.
Betrachten wir die Bäume des Waldes, wir werden nicht zwei gewahren,
die einander nach Form und Größe völlig gleichen; beschauen wir die
Wolkenbildang am Himmel, sie ist jeden Tag eine andere; bewundem
wir die Felson des Gebirges, — wir finden die verschiedensten Größen-
und Formenverh<nisse, weshalb wir ja von „phantastischen" Fels-
bildungen sprechen; mustern wir die tausend Menschen einer Ver-
sammlung, — nie wird trotz der oft täuschenden Ähnlichkeit ein
Gesicht dem andern völlig gleich sein. Über die Mannigfaltigkeit in
der Fülle der Erscheinungen schrieb vor fast 120 Jahren Lavater in
seinen „Fhysiognomischeu Fragmenten" also^^): „Es ist keine Eose
u) 8. FfohMhammer: .Über d. Orguiiaat v. Cultor etc.« 8. 278 tg.
S. Fruhschammcr: „Die Phantasie «Is Ortuidpxilicip d«S Wel^nOMMS.*
München 1877, Th. Ackermann. S. 31—36.
") Wintcrthur 1775, 1. Versuch, S. 45. — Yor?l. Kehr u. Kriebitzsch: „Lese-
baoh t deutsche Lehierbildungsaastalteo." Bd. lY, 2. Aud. (Gotha 1877.) S. 223.
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— 618 —
einer Rose, kein Ei einem Ei, kein Aal einem Aal, kein Löwe einem
Löwen, kein Adler einem Adler, kein Mensch einem andern Menseben
ToUkommen fthnlich . . . Bei alter Analogie mid Oleichfönnigkeit der
unzähligen menschliehen Gestalten kOnnen nicht zwo gefondem werden,
die, nebeneinaiidergestellt und genau veis^cheD, nicht merkhor yei>
schieden wfiim'' Hfttte ein EQnstler an all dem, was geschaffen
ist, doi Plan, die Skizse entwerfen sollen, wie ein Baumeister den
Grundriss zu einem neuen Gehäude entwirft, — der KQnstler hfttte
mttssen eine immense Phantasie au eigen haben. Die Natur
besitzt diese unermessliche Phantasie, welche wir als »objective
Phantasie" beoeicbnen im Gegensatze zu der begrenzten nsubjectiven
Phantasie** des Menschen.
Diese „objective Phantasie" ist das in der Natur waltende
staltungs- und Organisationsprincip; sie ist die Quelle aller Gesetz-
mäßigkeit und Einheit bei aller Verschiedenheit in der Organi-
sation im einzelnen. Ein solches Princip muss wol in der Natur
gelten, obgleich wir es nicht zu entdecken vermögen. Bei der Zer-
legung einer Uhr, die der Techniker durch Kunst hervorgebracht hat,
finden wir auch keine treibende Kraft, kein teleologisches Princip,
welches darin waltet; und dennoch liegt der Uhr ein Princip zu
Grunde.") So mag auch der Natur, „der großen Weltcnuhr",
wie sie Schiller nennt, ein Princip innewohnen, welches unser Philo-
soph eben als „objective Phantasie" charakterisirt. Die ,,ol)jective
Phantasie" wird von ihm nur als solch immanentes Princip aufge-
fasst und dargestellt, nicht als Princip oder Macht über oder hinter
der Welt, also nicht etwa als absolutes Wesen.''") In welchem Ver-
hältnisse dieses der AN'elt innewohnende Form princip zu der über der
Welt thronenden Gottheit stehe, das hat Fr. letzthin in einem beson-
deren Werke „über das große Geheiuinis des Daseins" genauer unter-
snclit, einem \\'erke, welches in daü Gebiet der Metaphysik und ratio-
nalen Theologie gehört
Eine anfinerksame Betrachtung der menschlichen und der
kosmischen Natur, ein verweilender BUek anf den Bdchthum und
die Yielgestaltigkeit der Welterschehrangen macht die Bichtigkeit der
AuÜBteilungen des Mfindmer Philosophen sehr wahrscheinlich, und wir
dürfen auf sein System vielleicht das Wort des geistreichen MpfiA
**) S. „Phantasie als Grundprincip des Weltproccsses", S. 176 fg.
„Phantasie als Grundprincip etc." S. V, S. 17.
**) „Über das uiystexiim magnum deaDaseha." Leipzig 1891, F. A. Brookhana.
Vgl „Pfedagogium" Xni, 8. 660.
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— 619
anwenden: „Niemals waren Natur und Philosophie sich entgegen:
Nunquam aliud natura, aliud sapientia dicit''.'^
Nach diesen knappen Andeutungen über das neue System im
allgemeinen wenden wir uns zu eini^^en Punkten, durch welche das-
selbe von Wert und Bedeutung für die Pädagogik ist. — Die
Frohschammersche Philosophie erscheint als eine Bereicherung unserer
Bemfswissenschaft zunächst durch ihre Psychologie.
Frohachammer betrachtet die Menscheneeele als einen Orga-
nismusi wie der Leib ein Orgamamus iat Wie der „physische
Organismiis^diirdiSelbstthätigkeit zur Selbatatändigkeit gelangt
und dififle alsdann behauptet, „in solcher Weise mag es sich auch mit
dem psychischen Qrganismna verhalten**. Und unser Philosoph
führt diese Parallele oonseqoent nnd erfolgreich durch, womit er
zugleich viele frachtbare Anregungen fllr die Pädagogik gewinnt, nnd
darbietet'*). Denn es lenditet ein, dass sich ans dieser Anflhssnng
der Seele ganz andere pädagogische Maßnahmen ergeben, als ans der
Annahme, dass die Seele ein Hechanismns oder eine tabula rasa oder
sonst etwas seL Freilich muss zugegeben werden, was man oft be-
hauptet, dass sich in der empirischen Psychologie, von welcher der
Erziehungskunst die meisten Fingerzeige kommen, sehr vieles er-
mitteln und feststellen lässt auch ohne jede metaphysische Grund-
ansicht über das Wesen der Seele. Trotz dieses Zugeständnisses ist es
aber sicher, dass eine solche speculative Ansicht zur Vertiefung der
psychologischen Forschung dienen muss, zumal wenn diese Ansicht
so von der Wahrscheinlichkeit gestützt wird, wie bei der in Rede
stehenden es der Fall ist. Zudem bewegen sich die psychologischen
Untersuchungen unseres Philosophen keineswegs blus in metaphysischer
Sphäre, sondern sie sind zum guten Theil Erfahrungsseelenlehre
wie diejenige Benekes und fußen auf dem Boden der modernen Natur-
wissenschaft. Wer sich davon überzeugen \vill, der lese besonders
das 3. Buch des Werkes über „die Phantasie als (irundprincip des
AVeltprocesses". — Bis jetzt fehlt allerdings noch eine genaue An-
w^endung der Frohschammerschen Psychologie auf die Pädagogik
als „Kunstlehre", eine Scluift, welche die (vorhin erwähnten) päda-
»') „über die Ehe." Leipzig, Ph. Eeclam. S. 20.
*') „Über die Orc^anisntion und Ctiltur etc," S. 329.
„Die i'bautasie ala Grundpriucip etc." S. 398 ff. MPsdAgogiom" 1886
(Aprilbeft), S. 409 ff.
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— 620 —
go^sclien Conseqnenzen zieht; es mangelt noch — kurz gesagt —
an der Bearbeitung einer sog. ^pädagogischen Psychologie", wie sie
Dörjiteld im Herbartschen und Dr. Bartels im Lotze'schen Sinne unter-
nommen hat.-'^) Für philosophisch p-escluilte Pädagogen ist hier ein
reiches Feld literarischer Thätigkeit otien, und es ist die Kloi>stock-
Mahnung am Platze: Noch viel Verdienst ist übrig. Aul', hab'
es nur!
Auch die Logik erhält und erfähi t durch die Frohschamracrsche
Philosophie eine Stütze und BereicheruTig, wie umgekehrt die von der
Logik bisher schon festgehaltenen Lehi-eu füi* die lüchligkeit der
Aulia^>ung des Philosoi)hen sprechen. —
Im Erkenn tnisprocess des menschlichen Geistes spielt die „sub-
jective Phantasie*' eine ausschlaggebende Rolle.'') Ich brauche nur
an Bekanntes zu erinnern: Schon der Wortbedeutung nach ist die
Einbildungskraft das innere Bildungsvermögen der Seele, ihre schöpfe-
rische Energie, ihre Productivität. --) Demnach ist diese Kraft bei
allem Bilden, das in der Seele stattfindet, im Spiele, bei dem Bilden
von Begriffen, Urtbeüen, Schlüssen, bei Gedächtnisacten n. 8. t Die
Phantasie ist schöpferisch bildend, jedoch nur in formaler Hinsicht.**)
Die Logik nun Ist die Lehre Ton den Formen des Denkens.*^
Somit erhellt von selbst die Wichtigkeit der „subjectiven Phantasie**
für die menschliche Erkenntnis nnd fUr die Erkenntniswissenschaft
Ja, man kann sagen: Ein Henschf der keine Phantasie besüBe, ▼Qrde
aneh nicht denken kSnnen. Ein Mensch aber, bei dem die Fhantade
ttbeiiriegt, wird meist — wie wir sagen — unlogisch denken. Daher
richtet anf eine rechte Pflege der Phantasie auch die Erzielinng ihr
Augenmerk; ich weise hierbei nnr hin anf die Pädagogik FrObels!
Wenden wir uns zu Frohscbammers Ethik! —
Man hat oft gemeint, die Pädagogik sei keine wahre Wissen-
schaft; denn sie entbehre der sicheren ethischen (wie psychologischen)
Basis; als Ziel der Erziehung sei bald dies, bald jenes hingestellt
worden. Noch auf der jüngsten „Allg. Deutschen Lehrerversammlung**
-■^'^ ..Beiträge zur pädagogischcQ IXvchologie" von F. W. Pirriifold. Ciitcr.sloh.
Bertclsmanu. „Pädag. Psychologie nach üeriu. Lotze in ihrer Anwendung u. b. w.**
TOS Dr. Fr. Bartflb. Jena 1890.
„Phantasie ak Gnmdpiilioip etc.'* S. 79 IL
^ T)T. F. Dütes: Lehrbudi der Psychologie n. Logik. (Oeaammtaiugftbe.)
Wien 1874. § 25. S. 130.
Dittea, ebd. S. 132.
«*) Ebd. S. 171.
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zu Mannheim an Pfinc^sten 1891 hat Herr Kreisschulrath Dr. Weygoldt
in seinem Vortrage-") die Fragen gestellt: „Auf welche Ethik soll
sich denn die Pädagogik stützen? Auf welche von den verschiedenen
Ethiken? Auf die philosophische oder theologische?" M. H. Diese
Fragen sind für uns — keine Fragen! Als christliche Lehrer, und
Erzieher halten wir es mit der Ansicht, welche Dr. Dittes am Schlüsse
seiner gründlichen Kritik der Ethik Hcrl>arts ausspricht, indem er
sagt"): „Als Leitsteni des Lebens und als Richtschnur der Pädagogik
kann sie (die Ethik Herbartvs) nach meiner Überzeugung nicht dienen.
Wo man nach solcher Leuchte oder Kegel ausblickt, da wende man
Bich an die Sittenlehre dessen, von dem gesagt ist: Er predigte ge-
waltig und nicht wie die Scbnftgelehrteu/ Diese Sittenlehre Jesu
ist es, welche nnser Philosoph andi als die seinige prociamirt, weil
er in ihr die wahre „praktische Philosophie* erkennt — Die Ideale,
welche die Sittlichkeit bedingen, werden tob der „subjectiyoi Phan-
tasie" der Menschen heryorgebracht nnd yon der Vemmift erkannt
mid gelftntert"). In ihrer ganzen GrOBe, Dentlichkeit nnd Beinheit
sind nns die (sittlichen) Ideale aufgezeigt^ „geoifenbart^ in der Ldire
Jesu. Das Ldbea des Hemi mit seiner Gottinnigk^t ist die yoU-
kommenste BeaUsJrmig des Sittlich-Idealen („in ihm wohnte die Ffllle
der Gottheit leibhaftig^) nnd daher ein „höchstes, ewig wahres Yor-
bild^") Das Wichtigste für die christliche Gemeinde ist es nnd
bleibt es darum, dass Jesu Lehre tren yerkflndet und „die Belebung
seines Gteistes durch klare Darstellung seines religiösen und ethischen
Wirkens und Lebens" -") angestrebt werde. Den Mittelpunkt seiner
Lehre bilden die Gebote der Gottes- und der Nächstenliebe, welche
als der eigentliche Kern des Christenthums Christi anzusehen sind.**)
„Das Christenthum Christi!" Dies ist eine Bezeichnung, welche sich
oft in den Werken Frohsclianmiers vorfindet; er ist auch — wenn ich
recht unterrichtet bin — nächst Lesaiug deijeoige deutsche Denker,
*") ,4)ie Pädagogik als Eungtlehre." AIlgem.DeaticlieIie]iX8BBeitii]ig. (Leipzig,
KUnUundtlSai, Nr.22,a216. — Vgl dam: „P»dagoginm**XIV, S.111. (Nor. 1891}
IL „Paed." VII, S. 1 «. „Über Pädai,'ogik als Wissenachaft'*!
") „Pädagogium'* VII, S. fioi. (Juiiiheft 18S5.)
") Frohschammer: „tjber die Urganisution und Cultur'', S. 283. — „Über die
QenesU der Menschheit und deren geistige Entwickeluag in Religion, Sittlichkeit
«. Spcaebe." (Uflnoh. 1883)» m. ThdL — »«Phantasie ala Gnuidprindp etc*< ai47— 167.
*") Frohschammer: „Du neue Wiiaeii und der nrae Olanhe." (Leijpeig 1873^
Brockhaus.) S. 188.
«») Ebd. S. 186.
S. „Pajdagogium" XUI, S. ööy, 5(3Ü.
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welcher diesen Begriff ganz besonders präcisirt und in der phÜoso*
phischen Literatur zur Geltung gebracht hat Hat er doch eigens
eine Schrift, die xwar noch polemisdier Art Ist, unter diesem Titel
geechiieben*^) und einem Theüe eines andern Werkes*^ diese
Überschrift gegeben: »Das Christenthom Christi**! Des Philosophen
Urtheil ttber diesen Punkt geht dahin: „Das Ghristenthum Christi
scheint nns die 'wahre Wiederbelebong und Emeaomng des rdigifleen
Olaubens za gewähren, und es wieder in dem Bewosstsein, in dem
Gkaben des Volkes hersusteUen, eine der großen Aufgaben der Zeit
zu sein, ebenso wichtig fllr das religiöse Leben, wie fitar Staat, Wissen^
Schaft und sociale Ordnung**.*^ Das „Christenthom Christi** ist die
wahre Ethik, welche ebenso wissenschaftlich wie volksthamlieh ist"*)
In dieser Ethik haben wir auch die wahre wissenschaftliche Grund-
lage der Pädagogik — neben der psychologischen — zu erblidran;
wir brauchen nach keinem andern ethischen Fundamente der Erziehongs-
Eunst und -Lehre zn suchen und dürfen sagen: Einen andern Grund
kann hier niemand legen aufier dem, der gelegt ist durch Christum
Jesum!
Die Sittlichkeit, sagt Fr., ist bei der Erziehung als Aufgabe des
Menschendaseins geltend zu machen.^*) Wenn nun die Menschen
die Gebote der Sittlichkeit, die Jesus gegeben, thatsächlich
erfüllen werden, dann werden sie auch zur Glückseligkeit gelangen,
sowül die einzelnen als die Gesammtheit. Als höchstes Princip der
Eraiehung glaubte unser Denker daher die Glückseligkeit hinstellen
zu sollen, allerdings ,.so, dass darin alle anderen Ziele und Princijjien
der Erziehung eingeschlossen erscheinen als Mittel oder Nebenzwecke"/")
Das Streben, die Idee der Divini tat oder wenigstens die der Huma-
nität zu verwirklichen; die Entfaltung aller Anlagen und Kräfte
des Menschen u. s. f. — alles soll dazu dienen, „die Glückselig-
keit oder wahre irdische Beglückung"*") zu fördern. Das Wort
„Glttckseligkeit" will „allerdings richtig verstanden, in höherem, idea-
lem Sinne" aufgefasst sein, wie Fr. selbst henrorbebt.**) Ein rich-
^) „Das Cbruteuthuju Christi etc." Elb erleid 1876, £d. Lolis Verlag.
„WiflMii nnd Glaube.*' Leipzig 1878, F. A. BrocUiai». IV. Thefl.
") Ebd. S. 201.
•*) Ebd. S. 187.
•*) „Über die Organisation und Cultur etc." S. 365. — Vergl. hierzu: „Das
Cthriatenthum Christi und die Beligion der Liebe." Ein Votum etc. von Th. Schultze,
OberpiisidMlTatli a. D. Leipog 1891, Wilh. fricdiidi. ^ S. ferner: „Fesd." XIV,
8. 12 fg. (Oet. 1891): Ton Frohschammer anaflUirlich begrttndete Gedanken nnd
Ansichten!
^) „Organisation und Cultur etc.'* 373.
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tiges Verständnis dieses Begriffes finden wir ja bekanntlich nicht
einmal bei Schopenhauer. Zur Gewinnung dieses richtigen Verständ-
nisses wird jedem des Philosophen eigene Darstellung am besten
dienen können; deshalb und vor allem der hier gebotenen £Urze
wegen sei auf dieselbe angelegentlichst hingewiesen
Aber nicht nur mit dem Ziel der Erziehung befassen sich die
Schriften des Münchener Philosophen, sondern auch mit dem Ver-
fahren derselben, mit ihrer Methode. — Fr. hat es unternommen,
zu zeigen, „in welcher Weise die Phantasie als Grundprincip des
Wdtproeesses sich auch auf dem praktischen Gebiete** bewähre.
Dieser Veranch ist ausgeführt in dem hoehinteressaiiteii Werke M^ber
die Organisation and Cnltor der menschlichen GfeBeUsehaft", welches
aach beaeichnet wird als »philosophische Untersnehongen ttber Becht
nnd Staat, sociales Leben nnd Eniehnng^ nnd in welchem ^^11«^^-
halben die idealen Momente** der menschlichen Thfttigkeit hervor-
gehoben werden^. Dieses dritte Haaptwerk der Frohschammerschen
Philosophie mnss aia eine groBe Bereicherang der Literator der
Pftdagogik angesehen werden, als welche es freilich noch in sehr ge-
ringem Grade bekannt geworden an sein scfaehit. Das dritte Bndi
der Schrift handelt allein von der Erziehang, nnd zwar „Aber
den Gegenstand derselben**, die menschliche Natur in leiblicher und
geistiger Beziehung, sowie „über das Princip der Erziehung". Es er*
örtert also im ümriss die anthropologischen und ethischen Grundlagen
der Pädagogik und gibt somit eine ^pädagogische Fundamental-
lehre" (a). Auf diese folgt sodann die Methodenlehie, die eigene
liehe Erzieh ungslebre (b), welche handelt „von der Methode'* und
„von den Organen der Erziehung*", sowie von der Schul- und Er-
ziehungsorganisation. Diese Erziehungslehre bezweckt, AVinke zu
ertheilen für eine „richtige Einwirkung der mündigen Generation auf
die noch unmündige, um diese in allen (iebieten des socialen Lebens
und Berufes daiiir bereit und tüchtig zu uiacheu Und man wird
») „OiguiiMtioii «. Ciilt«v etc.** m. Bich, 8. Capitd, & 847^76. 7eigL
dazu: „Pfedag." Vm, S. 252— 253! ( Januar 1886.) — Anm. In obiger Skizze konnte
nur die Bethätigung der ,.su bjcctiTen Phantasie" auf dem Gebiete der Sittlichkeit
kurz angedeutet werden. Wie die Macht der „objectiven Pbantaaio" die sitt-
liohen YeihiltaiHe der Mensdieii llbediaupt begründete nnd bMtindir aafieeht
erhllt, naMte (leider) ttbergaBgen werd»; es ist anigefUirt ia des Pliiloeopben
Werk Uber „die Genesis der Menschheit und deren geistige Bntwidnlnng in Bdigion,
Sittlichkeit und Sprache". (München 188;5.)
„Organisation und Cultur etc." S. 1.
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gestehen müssen, dass dies in übernns {glücklicher Weise gelungen
ist; Fr.'s Werk ist in hohem Giade belelireiul! Es wäre daher sehr
interessant, würde aber hiei- jedenfalls zu weit führen, auf den In-
halt dieser instructiven Abhandlungen einzugehen. Das wäre Stotf
zu einem besonderen Vortrage. Es mag tür heute genügen, dieser
Untersuchungt-n Erwähnung gethan und damit auf eine Irische (Quelle
der Erziehungswissenschaft hingewiesen zu haben *'^)!
M. H. Wenn es heute sich herausstellte, dass ein Modephflosoph
wie etwa Schopenhauer, den jetzt sogar die Frauen studiren wollen^'),
eine EniehnngBlehre geschriehen hahe, ioh glaube, Hnnderte würden
sie eifrig lesen. Nim aber Frohschammer, welcher nicht (wie jener)
eine negatiTe» sondern eine positive Ethik vertritt^ eine Ersiehnngs-
lehre geboten hat, wird man dieselbe hoffentlich mehr nnd mehr nach
ihrer Bedentmig nnd Tragweite za würdigen yersnehen. Hieiza sollte
uns auch noch der Umstand anspornen, dass sich in den Schriften
dieses Philosophen eine große Wertschfttznng des Lehrerstandes ans-
spricht, wie nach dem Angedenteten schon vermnthet werden kann.
Fr. lehrt: Der moderne Staat soll nicht nnr ein Bechts-, sondern
auch und hauptsächlich ein Culturstaat sein! Im „Culturstaate" aber
hat der Lehrerstand eine hohe Aufgabe zu erfüllen, und demnach darf
und soll er anch eine hohe (sociale) Stellung einnehmen^^. Die
Hochachtung vor dem Lehrerstande, die sich in den Werken unseres
Denkers kundgibt, ist sonach nicht eine gelegentliche Versicherung
herzlichen Wolwollens, sondern eine Consequenz seiner philo-
sophischen Lehren. Und je mehr dieselben verbreitet werden,
desto mehr wird auch in unserem Volke das Verständnis für die Auf-
gaben des Staates, des ..('ulturstaates" wachsen, desto mehr dann
auch die Wertschätzung der Schule und des Lehn istandes zunehmen.
Wir dürfen sonach in der Verbreitung der Werke Fiohschammers ein
wirksames Mittel zur Hebung des Lehrerstandes erblicken.
Endlich ist hervorzuheben, dass das letztgenannte Hauptwerk
des Philosophen auch eine ausgesprochen social pädagogische
Tendenz hat. Unser Altmeister Diestcrweg führt uns in seinem Weg-
weiser*^) untei' den empfehlenswerten Schiiften über Pädagogik auch
^ TeigL hienu: «Paedagogiiim'' Vnr, & 861 fg, u. Jahig. XIV, 8. III IL
S. „Gaitenlaabe*' 1891, Nr. 87 (Briefkuten).
*^ S. die Abhanilliiii<r< n : „Der rulturstant" („Orgfanisation h. Cultur etc.'*
S. 112 tf.) uud: „Cultuistaat und Lehrexstaad" („Psedagogiam*' IX, 1: October-
hclt J8«6, S. 1 ff.)!
**} 6. Avfl. Bd. I. 8. 158.
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eine Reihe von „Schriften über Social-Pädagogik" vor. Er selbst
schrieb vor 55 Jahren seine „Beiträge zur Lösung der Lebensfrage
der rivilisation", deren erster betitelt ist: „Über die Erziehung der
unlereu ('lassen der Gesellschaft".'^) Es "wird ja gerade gegenwär-
tig, insbesondere seit der Thronbesteigung Kaiser Wilhelms II., selir
viel über die sociale Frage geschrieben: Wertvolles, Minderwertiges und
Linnützes! Das dritte Hauptwerk der Frohschanunerschen Philosophie
gehört ohne Zweifel zu dem Wertvollsten, was auf diesem Gebiete existirt.
Und es ist bereits 1885 erschienen. Die materielle Seite der Frage
muss bei einer philosophischen Erörterung selbstverständlich aus-
geschlossen bleiben. Aber die ideelle, die geistige Seite des Lebens
der Menschheit wird von Fr. allseitig betrachtet und erwogen. Seine Auf-
gabe in dieser Hinsicht deutet er mit den Worten au: Das sociale
Leben „ist nim ebenfSüte unter dem Gesichtspoiücte unseres allgemeinen
Frindpes zn betrachten. Es sind dabei insbesondere die brennenden
socialen Fragen der Gegenwart in ErOrtemng zu ziehen und es ist
zn untersuchen, wie sich die Losung derselben unter dem Gesichts*
punkt unseres Principes und der idealen Lebensauffassung gestalten
möchte, was also die Philosophie in unserer Auffiissung beitragen
könne zur Lösung des schwierigen Problenis.'***) Bei dieser Betrach-
tung zeigt es sich, welche Macht im Gesellschaftsleben die „subjective
Phantasie** ist Als eine solche erkennt man sie ja anch an, wenn
man z. R von der „erhitzten Phantasie der Massen" spricht. — Es
ist, m. H., wit^dei um nicht möglich, den reichen Inhalt der Froh-
schanimersclien Untersuchungen jetzt näher zu beleuchten. Das wäre
Stoff für den Vortrag eines Social[K)litikers. Ich muss mich darauf
bescliränken, die Überschriften der hierhergehörigen Abhandlungen
anzuführen: Der „geschichtliche Entwickelungsgang" der Gesell-
schaft und ihr gegenwärtiger ,. Zustand", „Socialismus und Commu-
uismus", „Staats-Socialisnuis", „die R^'lii^iou als sociales Gut'', „ideale
Güter für das sociale Leben", „Illusionen und Ideale", „der Pessimis-
mus und die sociale Frage."' In der letztgenannten Abhandlung
ist nachgewiesen, wie gerade der Pessimismus die Lösung der socialen
Fragen ungemein eisi-liwere und wie derselbe dureh eine ideale Lebens-
autfassung ersetzt werden müsse, wenn die Kntwiekelung iles moder-
nen Staats- und Gesellschaftslebens zu einem glücklichen Abschlüsse
gelangen soll. Diese von unserm Philosophen vor Jahren daigelegten
**) Essen 1836, bei G. D. Bädeker.
„Über die Organisation und Cultur etc." S. 2—3.
Vergl. „Fwdagogium- VIU, Ö. 251—253! (Januarheft im.) ,
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— 626 —
Ansichten scheinen mehr nnd mehr auch die Überzeugung hervor-
ragender Staatsmänner zn werden.*') Und man darf vielleicht mit
Recht behaupten, dass pferade das 3. Hauptwerk der Fr.'schen
Philosophie die größte Beachtung verdient sowol von selten der
Social Politiker und Staatsmänner, wie von selten der Kechtsgelehrten
und der Lehrer in Kirche und Schule. Man wird nach der Leetüre
dieses Werkes und nach Kenntnisnahme von den Schriften, die uns
Diesterwegs Wegweiser nennt**), kaum noch der Meinung Lindners
sein können, welcher in seinem ,,Handbuche der Erziehungskunde"
(1884, S. 228) das Gebiet der Socialpädagogik als unausgebaut be-
zeichnete. — Vor kurzer Zeit feierten wir den lOÜjährigen Geburts-
tag Th. Kürner.s, der das Wort gesprochen: „Es ist so schön, die
Menschen zu beglücken!" Dieses Wort können wir als Motto der
Frohscbammei-schen Philosophie betrachten. Nur diesem Zwecke will
diese neue Schöpfung deutschen Geistes dienen.
M. H. Durch eine Reihe kurzer Bemerkungen über die Froh-
schammcrsche Philosophie und ihre Beziehungen zur Pädagogik habe
ich die Wichtigkeit dei-selben andeuten wollen, aber auch nur andeuten
können. Wichtig und wertvoll ist in der That diese Geistesschöpfung. *•)
Hoffentlich wird sie einmal für das Geistesleben nnseres Volkes frucht-
bar und förderlich werden, wie es einst die Eantsche Philosophie ge-
worden istt deren Hauptwerk — wie nach ihm auch dasjenige Froh-
schanuners — erst im 67. Lehensjahre seines YeifasBerB erschien.
Die Anzeichen fttr die Berechtigung einer solchen Hoffnung mehren
sich.«»)
Anderseits freilich muss es fast Verwonderung erregen, dass dieses
.Orginalsystem nicht schon mehr Beachtang nnd Anklang gefanden
„El llsst sich nidit wogleognen, es geht dnreh daa Laad ein Pesrimtemni,
dor mir im höchsten Oiade bedenklich ist. Solange deutsche Philosophen allein
sich iliiiiiit l)e3ehäftiG:ton . mochte es ja eine für mancho finzinhoiule Bcschiiftipfung
sein. Weim aber diese geistige Eichtung auf weite Kreise übergeht, die auf Uaudel
und Arbeiten angewiesen sind, dann wird dieselbe gefthdich; dnuL idi wflMte
nieht, warum, wenn doch allea eitel ist nnd bei niebta etwaa heianskommt, man sich
überbau])t dann noch qnftlen boU." Beiebskanstef von Oaprivi am 87. Nor. 1891 im
deutschen Keiehstasro.
*«) 5. Aufl. Bd. I, S. 153 fg.
„Deutsche Denker und iiire GeisteesdiSpfungen.*' Heft 2—3: J. Froh-
flohammer. (Beriin 1888, Verlag des lit DeutecUand.) Heianigeg. Ad. Hinrichflen.
S. „Allgemeine Pcut.sche Lebrcrzeitung" (Leipzig, Klinkhardt i, 1887,
Nr. 27, S. 260—261; 1888, Nr. 37—38, S.366, 376; 1881, Nr. 19. ^ilohs. Scbulctg.'*
1891, Nr. 5.
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— 627 —
hat) als es thatsichUcli der FaU ist Aber die Erscheiiiimg, dase nene
Gedanken und Ideen Widerstand finden, ja schroiT und selbst ohne
Prttfhng abgewiesen werden, ist bekanntlich nicht seltoB. Je neaer
und fremdartiger sie den herrschenden VorsteUnngen gegenüber stehen,
desto mehr haben sie solches Schicksal zu erwarten. Weder ihre
Wahrheit, noch ihre Heilsamkeit, noch auch der strengste Beweis
yennag sie dagegen zu schützen, während umgekehrt halb Wahres
oder absolut Falsches und Verderbliches gläubige Anerkennung findet.
Wir stehen in einem leider allzu bewegten Zeitalter; auf dem Bücher-
markte, wo alljährlich eine prroüe Überschwemmung eintritt, bleibt oft
das Beste unbeachtet! Angesichts der kühlen Aufnahme der Froh-
schammersclien Philosophie und im Gegensätze zu der Heriilinitheit
mancher anderen, recht oberflächlichen Geistesproduete ist es schwer,
den Gedanken zu unterdrücken, den der große Humorist Lichtenberg
ausgesprochen hat: „Wir leben in einer Welt, in welcher zwar ein
Nan- viele NaiTen, aber ein weiser Mann nur wenige Weise macht".'*')
Dennoch dürfen wir überzeugt sein, dass treue Arbeit im Dienste de^
Fortschrittes der Menschheit nie ganz verloren ist; und so schließe
ich mit dem Urtheile, welches bereits vor Jahren Dittes aussprach*^*)
und welchem ich zustimme: „Unbedingt ist Referent davon Uberzeugt,
dass in dem Werke Frohschammers eine in hohem Matte beachtens^
werte Leistong echter Wissenschaft und genialer Schöpferkraft vor-
liegt, und dass, falls der deutschen Nation noch ein neuer Aufschwung
des G^teslebens beschieden ist, das System Frohschammers eine
segensreiche und ruhmvolle Zukunft hat**
Leitsätze.
I. Allgemeine und besondere Grflnde sprechen dalBr, daas der Lelirer ftueh
der Philosophie ernste Aufnierksanikpit zn widmen habe.
II. Eine besondere Beachtung verdient die Philosophie FrohschannuerB,
weil sie als „Idealwissenschaft" fOr das Geistesleben überhaupt und für die
Pädagogik im beBondcren Ten gioSer Bedentnng endraint (,J)ie niiloaopliie ala
Idealwissenscbaft und System." MltiMiheii 1884.)
III. Das System Frohschammers stellt „die Phantasif al^ rrrimdprincip des
Weltprocessea" auf, welche als „objective Phanta.sie" in der Natur, als „sub-
jeotive Phantasie" im Leben des Menschen und der Menschheit wirksam ist.
(jDie nutttaaie als OnrndpriMip des Wettpfoeeaaea.** „Ober die Geneaia der Mensch-
heit und deren geistige Entwickclung in Religion, Sittlichkeit und Sprache". „Über
die Organisation und Ciiltttr (CuItiTirang) der menachlichen Gesellflcluift." Mflncheii
1877, 1883, 1885.)
IV. Die Frohschammersche Philosophie ist für die Pädagogik von Wichtig-
»') Lichtenbergs vermischte Schriften. Göttingen 1801, Bd. II, 8. 444.
»«) .^SMUgogiom" VU» 8. 74. (Octoberheft 1884.)
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kcit durch ihre Pgycholog^ic und Lofifik, durch ihre Ethik imdilmder Elemott-
tar- und Social-Pädagogik gewidmeten Uutersuchungem
A. Pbyohologie, Gegenflbei dm fmcMeäeam. Aadehtoii Uber daa Wesen der
Seele („HeehaniBmiu", tabula naa ete.) betrachtet die FrohBchammenohe Fhiloeopbie
die Mcnschensecle als den „psychischen Organismus", wie man den Leib alfl
den iihvsischeu ürp^anismus hinstellt. Diese Auffassuntr des Geistes, welche — wie
Frohächuiumer sagt — „die Möglichkeit gibt, die Einheit des Geistes und die
Vielheit der geistigen Vermögen zugleich zn behaupten und zu erklären", niuss
SU andern pidagogiachen Halnahmeii (Oonseqnenaen) ftthfen ala die Annahme tines
fjMgrehischcn Mechanismus". („Die Phantasie als Grundprincip% HI. Buch. fJDtX
peyebiBcbc Organismus.'' IVdagojj^ium, Aprilhoft 1SS(i.'
B. Loj^ik. Alles Erkennen und Denken sind psychische Functionen, bei
welchen stets die „subjective Phantasie das mitwirkende, ermöglichende Moment
bildete*. — Die Eniehnng bat die Pbantaaie in rechter Weise la leitCB} Fidagogüc
FrObels. i,,Phantasic iüs Grundprindp", I. Bnch, 8^ CttpiteL — „Oiganlaation nnd
Cultur", III. liu. h, 3. Capitcl.)
(.'. Etiiik. Die ..objective Phantasie" ist die Bcgriiuilcrin der sittlichen
Oeueinschatteu; die „tubjective Phantasie" die Bildnerin der menschlichen
Ideale, irelehe weaentUch die Sittlichkeit bedingen, die Ihre he«diste ßitwieke-
Inngsstufe im Christenthune, wie es Christus gelehrt, erreicht hat. — Mit dem
,,Christenthumc Christi" ist zugleich die wahre ethische Grundlai^e aller Piidaiioi^ik
gegeben. (,,Genesi3 der Menschheit uud (Iltlii (reistir^e EntwickLluntr in lieligion
und Sittlichkeit." „Das Christeuihuia Cliristi etc." (ElbcrlelU 1876.) „^\ issen u. Glaube.'*
(Leipzig 1873, BrocUuuM. IV. Baeb.)
D. EtoMiteivFIiacafik« Wie die Frohschammersobe Fhiloflophie durch ihre
Psychologie und Ethik eine pädagogische Fundamentallehre darstellt, so
euthiilt sie auch eine Erziehungslehre, welche Audeutung:en pebcn will für eine
„richtige Einwirkung der mündigen Generation auf die noch unuiiludige, um diese
in allen Gebieten des socialen Lebens nnd Berufes dafilr bereit nnd tflchtig sa
machen''.*) („Über die Organisation nnd Cultnr der menschlichen GeseDsebatt^.
m. Buch.)
E. Soelal-Piiduarosrlk. i>ie Fnih<rliainiiiersche Philosophie zeii^t .das Strehen»
auch dem Vulke uud damit der Menschheit überhaupt in ihrer lebendigen Eutwjcke-
luug einen Dienst tu leisten****); sie aidit daher in den B^ch ihrer Unter-
sttchnngen anch das soeiale Leben der Gegenwart, welches durch einen krank-
haft, u l'< ssiralsmns und durch den rm-^tand sehr geschftdigt wird, daf5S vielfach
als Ideal trilt, was nur llliisiuu ist. Es müssen (aht^esehen von Anwendung
materieller Mittelj die „idealen Güter lür das sociale Leben" eine erhühte Wert-
schätzung und bedeutung erlangen. Dass dies geschehe, dazu kann die Froh-
•cfaammeESche Philosophie in hohem Haie beitragen, („über die Organisation nnd
Cultnr d. m. Gesellachaft.** DL Buch.)
*) aOtgtaiMtioB und ddtu." S. 4.
•*) .üb«r die rsligiSiaii Fn«en der Qvgwmxt* EUmbAU 1S7S. 8. Tl.
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Ava der Geschichte der Taubstaninenbildnng.
Von Dr. H. Morf-Winterfkur.
(SehlttflB.)
V.
Staatliche F&rsorge fflr die Bildung der Taabstammen.
£ine genaue Statistik Aber die Zahl der Tanbetommen in den
Terschiedenen Ländern seheint nicht zn hestehen. Man nimmt an»
dass anf je 1500 Menschen ein Taubstummer komme. FQr die Volk»>
Zählung scheint eine besondere Rubrik fikr dieselben nicht vorgesehen
worden zu sem. ünsers Wissens hat in der Schweis nur der Kanton
Graubftnden Erhebungen gemacht Herr 'Pfarrer Grubenmann
theilt mit, dass dieselben 49 Taubstumme im schulpflichtigen
Alter — also nur bis zum 16^ Jahr — bei einer Eüiwohnerzahl von
96^1 ergeben haben. Die G^mmtzahl der Taubstummen betrflge
nach dem oben angenommenen Procentsatz circa 64; es miissten so-
mit 15 mehr als lü Jahre zählen. Von den 49 Schulpflichtigen ?:ei
ungeföhr die Hälfte bildungsunfähig, von den bildnngsfiihigen seien 17
in Terschiedenen Anstalten untergebracht.
Auch im Großherzogthum Hessen wurde 1)^87 eine Statistik „der
im schulpflichtigen Alter stehenden bildungstahigen Taubstummeir'
aufgenommen. Nach derselben gab es dereu 12<), wovon U9 in Anstalten
iinterg( l)ia('lit seien.*) Die Zalil der bildungsunfähigen in diesem Alter
und derjenigen, dit^ iiltcr 10 Jahre zählen, ist nicht angegeben.
Es gibt bereits Staaten, in denen der Schulzwang für die
Taubstummen gesetzlich eingefülirt ist und ebenso streng gehand-
habt wird, wie gegenüber den Vollsinnigen; nur werden die Taub-
stummen nicht in die gewöhnlichen Schulen eingewiesen, sondern sie
sind der für sie ausschließlich bestimmten Bildungsschule zuzuführen,
wo sie durciischnittlicli 8 Jahre zu bleiben haben.**)
Voran ging König Christian IV. von Dänemark. Am
8. NoTember 1805 verordnete er, dass sämmtliche nnvermOgende
*) Vert;]. Rouscbcrt. Kalender für TaatutiimmeiildiTer pio 1891, S. 236.
SicliQ a. a. 0., Seite 221 fif.
Ptodagogiam. 14. Jahrg. Haft X. 44
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Tiiubstumme unter 15 Jahren in den Herzoffthiimern Schleswig und
Holstein der Taubstununenanstalt in Kiel zu übergeben .seien. ^Die
Absendung in das Institut und die Ausriistunjr mit den nöthigen
Kleidern hat auf Kosten der Gemeinde zu geschelien; der Unterhalt
in der Anstalt fällt zu Lasten des Staates Für das Fort-
kommen der Taub.stuiinnen nach vollendeter Bilduügszeit sorgt der
Staat noch in besonderer Weise."
Durch Circularverorduung vom 21. Mai 1807 wird dieses Obli-
gatorium auch auf die Taubstummen ausgedehnt, deren Eltern nicht
ganz vermögenslos sind, sondern einen Theil der Kosten sa tragen
wmflgen. »Das Fehlende ist yom ganzen Lande zn tragen."
Dnreh königliches Patent Tom 30. Jftnner 1813 werden aneh die
yermögenden Eltern nnd Angehörigen von Taubstummen
unter das nämliche Gesetz gestellt nnd verpflichtet, ihre betreffenden
Einder nnd Verwandten der Taubstummenanstalt zuzuführen. Wieder-
holt werden .Obrigkeiten nnd Prediger** der beiden Herzogthllmer
alles Ernstes aufgefordert, die schulpflichtigen Taubstummen gehörigen
Orts anzumelden; den Predigern wird insbesondere eine Bufie von
6 Thalem für jede daherige VersSumnis angedroht.
Dem schonen Vorbild folgte, wenn auch erst fast 70 Jahre später,
das Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach. Das betreffende
Gesetz vom 28. Mai 1874 verordnet:
„Der Regel nach soll jedes taubstumme (und blinde) Kind der
Taubstummenanstalt übergeben werden, insoweit nicht a) der geistige
oder körperliche Zustand des Kindes dasselbe als für die Anstalt
ungeeignet erscheinen lässt oder b) nachweislich für die besondere
Erzieliun<r und Ausbildung, deren das Kind wegen seines Sinnesmangels
bedarf, anderweit genügend gesorgt ist."
,.T^>ei- Aufenthalt der Kinder in der Anstalt dauert in der Begel
8 Jahre.
„AVird ein taubstummes Kind von seinen Eltern oder Erziehern
ohne genügenden Urund der Anstalt vorenthalten, so sind dieselben
mit Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder mit Haftstrafe zu belegen."
Die Kosten für die Zutührung in die Anstalt, für die Kleider, für
den Unterhalt in der Anstalt während der 8 Jahre haben die Eltern
oder sonstige alinientationspflichtige Verwandte zu tragen.
Sind sie unvermögend, so hat die Gemeinde einzutreten. Würde
diese durch die ihr auferlegte Leistung ftberlastet, so flbemimmt je
nach Umstftnden die Staatscasse die Kosten theilweise oder ganz.
Durch Oesetz vom 18. Jänner 1876 wird der Schulzwang fftr
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— 681 —
die taub stammen Kinder nach denselben Bestimmungen auch im
Herzogthum Sachsen- Coburg -Gotha eingeführt und mit dem
1. April 1884 folgte das Herzogthum Anhalt-Dessau.
Das Schulgesetz des Königreichs Sachsen vom April 1873
«nthält Paragraphen, die dem Schulzwang der Taubstummen ent-
sprechen, aber consequent durchgeführt wie in den obengenannten
Staaten ist es bislang nicht.
In der großherzoglich-hessischen zweiten Kammer stellte
der Abgeordnete Vogt den Antrag „auf Einführung eines obli-
gatorischen Besuches der Taubstummenanstalten durch alle
taubstummen Kinder des Landes und einer s jährigen Schul-
zeit''. Mit 16 gegen 13 Stimmen wurde dieser Antrag fUr einstweilen
abgelehnt.
Auch im preußischen Abgeordnetenhause wurde die Frage
der Taubstummenbildung wiederholt discutirt. Das letzte Mal in der
Sitzung vom 1. Decembei- 1877. Miquel, nunmehr preußischer
Minister, damals Oberbürgermeister in Osnabrück, trat tür Einführung
des Schulzwanges für die Taubstummen ein. Sein treffliches Votum
in der Sadie ist wahrhaft ergreifend.
In der Discussion wurden von dem Abgeordneten Kickert so
viele Schwierigkeiten hervorgehoben, die einer solchen Maßregel entgegen-
ständen, dass Miquel, bei der Aussichtslosigkeit, zu einem bestimmten
Resultat zu gelangen, seine Erwiderung also schloss:
„Mir genügt es, wenn nur die allgemeine Überzeugung sich bUdet,
dass man unbedingt das Ziel anstreben muss und dass man sich
auch dazu nicht sdieiien änt, erhebliehe Mittel ftafirawenden, um
gerade hier anzusetzen und alle taabstommen Kinder zu wirklieh
menschliehen Wesen zn machen!"*)
Damit waren die Verhandlungen geschlossen. Mit dem Rücktritt
des Ministers von Gossler ist auch das von Miquel erhoffte Schal-
geeetz vertagt worden; somit wird der Schnlzwang fttr Tanbstnmme
in Prenfien noch aof sich warten hissen.
In allen fibrigen dentsehen Lftndem ist eine solche staatliche Fflr-
aotge anch noch der Zukunft Torbehalten.
Der um das bayerische nnd das deutsche Schulwesen flbeihaupt
hochTerdiente Graser kam auf den Gedanken, den Taubstummen-
Unterricht zu Terallgemeinem dadurch, dass die Z5glinge der Lefaier-
bilduDgsanstalten in diese Kunst eingeweiht werden und so in jedem
*) 8. Bea^chcrt, Kalender L Taubstummenluhrer pro lÖUl, :3. 238 ff.
44»
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— 632 —
Dorf solchen Unglücklichen Hülfe gebracht werden könne. Die
Eef^iening unterstützte diesen Vorschlag und beauftragte Graser*
eine Anleitung zu diesem Zweck zu verfassen und der Behörde zur
Prüfung vorzulegen. Die.se fand die Arbeit trefflich und ordnete deren
Veröffentlichung an. Sie erscliien 1H29 und führte den Titel: „Der
durch Gesicht und Tonsprache der Menschheit wiedergegebene
Taubstumme." Welche gi'oße Hoffnungen Gräser auf seina ein-
gehende Anleitung setzte, sagte er im Vorwort selber:
„Indem sie nun ans Licht tritt, wird die Besclniinkung des Unter-
richts durch ausschließende eigne Taubstummeninstitute aut-
hören, das Vorurtheil von einem ganz besonderen Kunstunterricht
schwinden, und somit der auf wenige Unglückliche beschränkte Taub-
stummenunterricht nicht mehr statt haben."
„Bald wird jeder Schuldienstpräpsrand ans seinem Seminar auch
als Taabstanunenlebrer heranstreten, und kein Vater nnd keine Gemeinde
mehr nOÜiig haben, ihre unglücklichen Kinder in entfernte Anstalten
zom Unterricht za senden, sondern sie werden sie nnter ihren Angen
und zu ihrer Freude, gleich den hörenden Schlllem, heranbilden sehen. —
„Aber, was noch das Wichtigste ist, die Eltern solcher Unglücklichen
werden in der Znknnft, mit dem Taabstnmmennnterricht in der Schule
bekannt, ihr taubstummes Kind schon vor dem Eintritte in die Schule
im Sprechensehen und Sprechen unteirichten können."
Aber diese Hofihungen erfüllten sich nicht Der Versuch, den
Taubstummenunterricht im Sinne Grasers zu verallgemeinern^
brachte keine nennenswerten Resultate, Die Sache war zu schwierig.
Und bei uns in der Schweiz? Unsers Wissens ist noch in keiner
gesetzgebenden Vei-sammlung, weder in einer cantonalen, noch in der
eidgenössischen, die Taubstummenbildung in grundsätzliche Ver-
handlung genommen worden.
VI.
Zur Geschichte der Taubstummenbildung in der Schweiz.
Der erste Taubstummenlehrer in der Schweiz war Pfarrer
Heinrich Keller (1728—1802) in Schlieren bei Zürich. Die Anregung
zu (1 ieser meuschenfreundlichenllifttigkeitTerdankt er oflfenbar d e r E p^e.
Es ist nicht durchaus erwiesen, aber sein vertrautes Freundschafts-
verhältnis zu diesem Manne lässt es als sehr wahrscheinlich erscheinen,
dass er denselben auf einer Reise in Paris aufgesucht und ihn in
seiner lehrenden Wirksamkeit gesehen und bewundert hat. Die Pfarrei
Schlieren, die ihm 1759 übertragen worden, zählte nur 500 Seelen. Die
Amtsgescbäfte füllten also seine Zeit nicht aus. Die Muße benuzte er zu
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— 63S —
jisyehologischeD, philosophischen und physiologischen Studien. Geleitet
von seiner menschenfreundlichen Gesinnung übernahm er im Jahre 1777
die Bildung zweier taubstummer Brüder von 6 und 8 Jahren, Söhne einer
vornehmen und reichen zürcherischen Familie. Er gesellte ihnen noch
einige andere taubstiiinme Kinder bei, und so entstand im Pfarrhaus
Schlieren ein kleines Taubstuninieninstitut, das erste in der Schweiz.
Uber die segensreiche Wirksamkeit desselben gab Chorherr Usteri
— der Vater von Paul Usteri — im „Helvetischen Kalender" in
den Jahrgängen 1780 und 1781 in zwei Abschnitten: „Vom Unterricht
gehörloser Kinder" einem weitern Publikum ausführliche Kunde und
erweckte in gebildeten Kreisen für die noch neue Sache das höchste
Interesse.
Den besten Aufschluss über Verfahren und Erfolge gibt Keller
selbst in seiner Schrift: „Versuch über die beste Lehrart,
Taubstumme zu unterrichten. Zürich bei Orell, Gessner,
Füssli und Comp. 178ö,"
Er legt nun in seiner 119 Seiten zählenden Schi'ift sein Verfahren
ausführlich dar und fügt bescheiden hinzu:
„Übrigens bin ich weit davon entfernt, mir zu schmeicheln, dass
diese Methode nach allen Tlieilen ilu-e völlige Reife erlaugt habe. Ich
Imbe nichts anderes als eigene Erfahrungen niedergeschrieben und dem
Publicum mittlieilen wollen. Zu wünschen wäre es, dass mehrere
Gelehrte ihre Erfahrungen in diesem Fach der Welt bekannt machen
wollten; so wäre zu hutien, dass aus der Kunst, Taubstumme zu
unterricliten, zuletzt ein Ganzes herauskommen werde."
Unter den Verdiensten Kellers ist das nicht das kleinste, dass
er eiueu Taubstummeulelirer herangebildet hat: Johann Konrad
Ulrich.
Ulrich war Zögling des Waisenhauses in Zürich. Lavater
4^rkannte seine große Begabung und brachte ihn im Frühjahr 1779 zu
Pfarrer Keller als Schüler. Während seines dreijährigen Aufenthaltes
daselbst rechtfertigte er in seltenem Grade das auf ihn gesetzte Ver-
trauen. Seine Gönner, vorab Lavater und Keller, beschlossen, ihn
zu seiner weitem Ausbildung in dem „wundersamen Unterricht" zu
de TEpee nach Paris zu schicken. Mit Empfehlungsbriefen von
Lavater und Keller in der Tasche reiste er im Jahre 1782 dahin
ab imd wurde aufs freundlichste von dem berühmten Manne auf-
geiMMDiiieiL mJ'u 1^ vsL bean präsent de Mr. Layater, et de yous»"
schrieb de TEpöe an Keller, „k qui j'en ferai mes remerdments
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rordiiuure prochain. Assorez-vons, que je donnerai toute mon attention
an jenne homme qni m'est venu de sa pari et de la vdtre."
Nach einjährigem Aufenthalte in Paris kehrte Ulrich nach Zürich
zurück voll guten Willens und voll schöner Hoflfnung, in seiner Vater-
stadt Handreichung für seine Zwecke zu finden. Durch Versuche in
meiner Kunst wollte er sich jedoch zuerst ausweisen. Von zwei taub-
stummen Knaben, die ihm dazu dienten, war der eine (in Züi'ich)
„schwachsinnig bei felilerhaftem Sprachorgau'', musste also als unbild-
sam aufgegeben werden; der andere abei- in Meilen\ ein lebhafter,
lUhiger, lieblicher Knabe, machte rasch erfreuliche Fortschritte.
Nun glaubten Freunde und Gönner Ulrichs, es sei au der Zeit,
durch einen öffentlichen Aufruf ,,edle Menscheufreunde einzuladen, durch
milde Gaben die Errichtung einer Privatanstalt zom Unterricht taub-
stummer Personen'' zu eiinöglichen.
Der Aufruf trägt das Datiun vom 28. März 1785 und ist unter-
zeichnet von: Rathsherr Usteri, Dr. Rahn, Diacon Lavater,
Pfr. Keller, Prof Breitinger, Piui. Hottinger, Dr. Hirzel,
Hauptmann von Orell, Director Cramer und Chorherr Rahn.
Der Anfrof war ohne nennenswerten Erfolg, bot bei weitem nicht
die Mittel znr Errichtung einer Anstalt. Bald darauf erhielt Ulrich
— 1786 — einen Bnf nach Genf in ein PriTathans als Lehrer eine»
7jährigen taabstnmmen ]Iädclien& Er blieb 9 Jahre in diesem Dienst»
der ihm grofie Offentlicbe Anerkennung, ja Yerehrong brachte. Was
ihm aber wol noch größere Befriedigung gewährte, war das aafler-
ordentlich schOne Besoltat seines Unterrichts bei der reiehbegabten
Tochter, die er n^nm denkenden, nützlichen, sich selbst nnd andere
erfreuenden Wesen nmgeschalTen hatte." Ihrem Lehrer blieb «ie lebens-
lang in nnanssprechlicher Dankbarkeit zogethan.
Von Genf kehrte Ulrich wieder nach Zflrich zurück. Es wurden
neuerdings Anstrengungen zur Gründung einer Taubstummenanstalt
in seiner Vaterstadt gemacht Dieselben schienen den besten Erfolg
zu versprechen. Aber die bald darauf eintretende Staatsumw&lznncr
zerstörte diese Hoffiinngen. Ulrich wnrde in den Staatsdienst gezogen;
er bekleidete nach einander verschiedene wichtige Stellen und wirkte
in allen bei seiner Gewissenhaftigkeit, seiner Treue und Einsicht mit
großem Segen. Seine Ämter füllten seine Zeit fast ganz aus, doch
verlor er sein Lieblingsfach nicht ganz aus den Augen. Er ertheiite
einzelnen taubstummen Kindern Unterricht und bemühte sich für Heran-
bildung von Lehrkräften für diesen Unterrichtszweig. Er starb 1828.
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Der Gedanke an die Pflicht, den unglücklichen Taubstommen su
Hülfe zn kommeD, sie durch Bildung aus ihrem Elend zu erlösen,
einmal weit herum geweckt, erlosch nicht wieder. Die nächste
Anregung ging von Stapfer aus, dem helvetischen Minister der Künste
und Wissenschaften, der selbst durcli die ärgsten Sturmzeiten sich
nicht irre machen ließ, Behörden und Volk auf die hödisten Cultur-
an^aben eines Staates immer mit neuem Nachdruck hinzuweisen.
Von Luzern aus erließ er am 26. April 1790 ein Kreisschreibeu
an die Regierungsstatthalter dei* einzelnen Cantone.
Er beauftragte diese Cantonsvoi-steher, durch die Ortspfarrer eine
genaue Statistik aller Taubstummen in ihren Gemeinden aufnehmen
zu lassen und in zwei Monaten einzusenden.
Nach dem beigefügten Schema BoUen die Pfarrherren AufscblusB
geben: über die Zahl der Taubstummen in jeder Gemeinde, über deren
Geschlecht, Alter, köi-perliche und geistige Beschaffenheit, über ihre
Vermögensverhältnisse, über die Geneigtheit der Gemeinde, für den
angegebenen Zweck Opfer zu bringen, über allfällige BüdungSTerauche,
die da oder dort angestellt worden etc. etc.
Die äußerst aufgeregten, kiiegerfftllteii Zeiten waren nicht dazu
angethau, solchen Bestrehungen Vorschub zu leisten. Nur wenige
Antworten gingen ein. Es scheint, dass nur aus dem Canton Bern
etliche der Centralbehfirde zukamen; doch finden sieh dieselben nach
einer ge£ Mittheilnng im eidgenössischen Archiv nicht mehr vor.
In dem zürcherischen Staatsarchiv liegen zwei Berichte, die mir zur
JBmsicht freundlich zugestellt worden sind. Sie lauten nicht ermunternd.
Der euie stammt ans der Feder von Pfiurer Denzler in Stamm*
heim. Nach demselben zählte die Gemeinde 6 Taubstumme: 7 weiblichen
nnd'l männlichen Oeschlechts; 7 über 18 Jahre, 1 8 Jahre alt
Diesen Angaben fügt Denkler folgende Bemerkungen bei:
„Beineben lässt sich von keiner aller dieser Personen dnige
Neigung oder wirkliche Geschicklichkeit zu mechanischen Künsten
merken. Ich weiß von keinen besondem Versuchen, die mit den einen
oder andern wäien gemacht worden, außer dass vor kürzerer oder
längerer Zeit mit ihnen medicinirt worden ist und dass auch die einen
vor den andern eine bessere Auferziehung genossen. Ob aber bei
jetzigen Zeitumständen die Gemeinde für sie freiwillig etwas thäte,
bezweifle ich sehr, um so viel mehr, als schlechten Glauben, Hoffnung,
Vertrauen ich bei ihnen und ihren Vorstehern schon gefunden." Von
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einem Institut weiß Denzler niclits, er hat ^nur gehört, dass ünter-
statthalter Ulrich seit mehreren Jaliren in diesem seltsamen Fach
arbeitet; mit wie viel Erfolp: weiß ich nicht-.
Pfarrer Bosshart in Trüllikon berichtet:
„In (lieser Gemeinde sind zwei Taubstumme männlichen Geschlechts,
23 und 22 Jahre alt. Beide sind gesund, äußei-n aber nicht die
geiingsten Verstandesföhigkeiten. Hieraus lässt sich leicht schließen,
was fiir eine Beschaftenheit es mit ihrem sittlichen Charakter habe,
und dass sie zu keinen Arbeiten, besonders zu solchen, die Verstand
erfordern, gebraucht werden können. Holz trag'en, dann Vieh Futter
geben und es weiden ist alles, was sie können. Und da sie von Geburt
an taubstumm gewesen, so wtirde nach der Eltern selbsteigenen Über-
zeugung alle Bemühung, sie zu etwas anzuhalten, ganz fruchtlos und
vergeblich sein. Und gesetzt auch, ([ass etwas mit ihnen erzielt werden
könnte, so würden doch weder die Eltern, deren häosliche Umstände
nieht die besten sind, noch anch die Gemeinde, die dermalen mit sicli
selbst genug zn tbnn hat, imstande sein» etwas für ihre Erdehung
za bezahlen.**
Diese beiden Berichte mögen so ziemlich der Stimmung entsprechen,
die anf der Landschaft überhaupt herrschte. Es fehlte nicht nnr an
den pecnniSren Mitteln, sondern anch am Verständnis einer Sache, die
«elbst in mafigebenden Kreisen noch nicht die verdiente Aufmerk-
samkeit gefunden hatte.
Was Ulrich umsonst angestrebt hatte: Gründung einer Öffent-
lichen Taubstummenanstalt, das erreichte sein Schüler Eonrad Nä£
Er hatte sich zu diesem Zweck in dem damaligen pftdagogischen
Hauptquartier der Schweiz, in Tverdon, niedergelassen.
Im Protokoll der „Versammlung der Schweizerischen Gesellschaft
für Endehnng'* vom 7. August 1811 lesen wir:
„Herr Präsident Pestalozzi machte die G^esellschaft anf Herrn
Näf von Zürich aufmerksam, welcher mit außerordentlichem C^bick
jetzt in Yverdon seine Bildung zum Taubstnmmenlehrer fortsetzt,
nachdem er den des Heri-n Präsidenten Ulrich in ZUi-ich während
lAngerer Zeit genossen. Eine Taubstummenanstalt sei mit Gewissheit
zu erwarten, und überhaupt verdiene der Unterricht der Taubstummen
darum die größte Aufmerksamkeit, weil in demselben gleichsam das
Vorbild des Unterrichts enthalten sei; es binde derselbe an die
genaueste Stufenfolge und immer scheine klar, was von dem Gegebenen
Auch durch den Schüler begritten sei."
Koch vor Jahresschluss 1811 konnte Näf mit Bewilligung und
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unter Vorschnb der waadtläBdüchen Begienmg seine Anstolt mit
einigen ZOgUngen beginnen. Von kleinen Anfingen erhob sieb dieselbe
rasch zn schöner Blttte. Doch erst 1828 wurden Taubstamme auf
Staatskosten in derselben untergebracht. Nach Näfs Tode bedurfte
die Anstalt zu ihrer Fortexistenz die Staatshilfe. Es wurden ihr
j&hrlich Fr. 5000 gewährt 1841 ging sie ganz an den Staat über
und wnrde nach Mondon verlegt
Die Taubstummenanstalt in Yverdon war die äußere Veranlassung
zur Gründung einer solchen im Lantou Bern. Die Anregung dazu
ging von dem menschenfreundlichen Spital Verwalter Otth aus. Der
Kii'chenrath, an den die Sache geleitet wurde, billigte den G^edanken
und Teranlasste die Begierung, bei einem Versuche für das erste
Prob^ahr eine Untersttttzung von 300 Fr. zuzusichern. Über das
▼eitere Vorgehen gibt der erste Verwaltnngsbericht folgenden Anf-
schluss:
„Man suchte nun einen Mann aus, dem man den Unterricht an-
Tertranen konnte. Auf die Empfehlung von Wehrli in Hofwyl und
aaeh einigeii abgelegten Proben wad» ein für die Volkabfldung eifrig
bemühter Landmann gewählt: Johannes Bfirki, gewesener Schul-
meister in Tiienstein, Kirchgemeinde HOnsingen, dann in Bremgarten
(bei Bern). Man schickte ihn auf 5 Monate nach Yverdon za Herrn
Näf, der dort yor mehreren Jahren eine rOhmlichBt bekamite Tanb-
stnmmenanstalt errichtet hat und ihm die nothwendige Anleitnng zur
Behandlang dieser Unglücklichen ertheilte. Dann wnrde eine Behansnng
gemietet in einem stillen, abgesonderten Landsitz: der Bftchtelen
bei Wabern, eine halbe Stande von Ben, und im Aprü 1822 fing die
Haushaltung an mit Bflrki, einer Hanshftlterin and 2—3 Zöglingen.
Im Brachmonat kam ein junger Mann, Johann Stucki aus Erlenbach,
frisch aus Heirn Carles Normalanstalt fUr Schulmeister in Boitingen
zu uns und bot sich freiwillig an, ohne Besoldung da zu bleiben, theils
als Leimender, theils als Gehülfe. Mit Freuden namcn wir ihn als
Unterlehrer auf, und der Erfolg rechtfertigte unser Zutrauen!
Man legte sich die Frage vor, ob man als Hanptmittel beim
Unterricht die kflnstliche Zeichensprache (nach de TEp^e), „wie
es sonst überall geschieht", oder die Tonsprache oder die Schrift-
sprache wählen solle. Auf Ausbildung der künstlichen Zeichenqpraehe
wurde verzichtet, die Tonsprache für später in Aussicht genommen —
immerhin mit der Uoffiüung, dass bald das Ablesen von den Lippen
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der Sprechenden mit etwelchem Erfolg geübt werden könne — , das
Hauptgewicht aber auf die Schriftspraclie gelegt. Die Zahl der Zög-
linge stieg bald bis auf 25, welche Zahl eine verhältnismäßig gar
geringe ist, wenn der Kanton Bern, wie die Verwaltung nach un-
getährer Schätzuog glaubt, wirklich 1000 Taubstumme zählte. Der
Gang der jungen Anstalt war immerhin etwas mühsam. „Aller Anfang
ist schwer/ Im Herbst 1826, nach 4'/2jähriger Wirksamkeit an der
Anstalt, llbernalim Bürki wieder eine Tiehrstelle an der Prunarschule
in Münsingen, und die Leitung des Instituts fiel Joh. Stucki zu.
Im Herbst 1834 wurde dasselbe vom Staat übernommen und nach
dem Kloster Frienisber^ bei Aarberg verlegt. Mit rastloser Hingebung,
mit großem Geschick und unwandelbarer Treue waltete der bescheidene,
edle Stucki, der seinen Zöglingen stets ein innig liebender und
geliebter Vater war, seines schönen aber schweren Amtes bis zu
seinem Tode im Deceraber 1864, also über 42 Jahre. In demselben
Geiste und mit demselben Segen leitet seither dessen Mherer Hit*
arbeiter, Friedrich Übersax, nun bald 27 Jabre die Anstalt, die
mit ihren 62 Knaben im Jahre 1890 nach dem Kloster Mflnchenbnchsee
dem froheren Sitz des Lehrerseminars, &ber8ie4elte.
An die Tanbstommenanstalten in Tyerdon nnd Bern reihte sieh
bald die in Z&rich als dritte an. Es bestand daselbst seit 1809 eine
Blindenanstalt. Nach dem Tode ihres Stifters Hirsel im Jahre 1817
wurde Ulrich zun Präsidenten der StiftungsgeseUschaft (Hilfisgesell-
schaft) gewählt Bald brachte er die Bildung der Taubstummen wieder
in Anregung. Im Jahre 1825 wurde J. Th. Scherr, Lehrer an der
Taubstummenanstalt in Gmttnd, em Schüler Jägers (s. t. S. 566) als
Lehrer an die Blindenanstalt nach Zürich berufen. „Was war natür-
licher, als dass Ulrich jetzt die Blicke der Hitvorsteher auf die ver-
lassenen Taubstummen richtete. Am 1. Mai 1826 trat der ei-ste Taub-
stumme in die Anstalt ein. Im folgenden Jahre wurden w ieder 6
derselben aufgenommen, und so sah Ulrich noch vor seinem Tode eine
Anstalt erblühen, fiü* deren Gründung er in früherer Zeit sich erfolg-
los bemüht hatte." (J. H. von Orell.) Seit 1832, also fast 60 Jahre,
steht die Anstalt unter der bewährten Leitung des allverehrten
Herrn Director Schibel, der trotz seiner hohen Jahre seines
schweren Amtes mit jugendlicher Frische und Begeisterung waltet.
Möge iliin gestattet sein, noch lange solch seltener, mit Liebesfülle
gesegneter Kraft zu erfreuen. An diese di-ei ei'sten Taubstummeu-
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anstalten reihten sich bald andere an. Heate sflhlt die Schweis deren 16.
3 sind cantonale Anstalten: Hlinchenbnchsee im Ganton Bem^
Hohenrain im Canton Lozem, Monden im Canton Waadt;
1 gehört der Gemeinde Genf;
3 sind Eigenthnm ihrer Vorsteher: Bettingen bei Basel, Hephata^
die auch Schwerhörende aufnimmt, in Bern; Petit-Saconn ex-Genf;
2 sind gegründet und geleitet von Schwestern yom heil. Kreuz zn
Ingenbohl: Locarno» Canton Tessin, und Greierz, Canton Freiburg;
7 stehen unter wolthätigen Vereinen und erhalten Staatsunter-
stütziing: Zürich, St. Gallen, Zofingen, Landenhof bei Aaran,
Liebenfels bei Baden, Wabern bei Bern, Riehen bei Basel.
Diese 16 Anstalten beherbergen 490 Zöglinge, 265 Knaben und
225 Mädchen.
Nacli dem allgemein geltenden Procentverhältnis (1 : 150)) zählt
die Schweiz ca. 2000 Taubstumme; davon mögen 757o» also 15(X),
im schulpflichtigen Alter stehen; mithin haben 1000 dieser Unglücklichen
in unsere für Milderung ilirer Gebrechen organisirten Anstalten noch
keine Unterkunft gefunden.
Wol dürfen wir annehmen, dass vielleicht 100 davon, durch Ver-
hältnisse begünstigt, anderweitig die nöthige Handreichung zu ilner
Erhebung aus dem Elend in ein menschenwürdiges Dasein linden;
aber auch bei dieser günstigen Annahme und nach Abzug der bildungs-
unfUbigen bleiben immer noch wol 6—700 schulpflichtige, bildungs-
fähige Tanbatomme ihrem traurigen Sehickaal llherlasaen.
Wäre es nnter solchen Umständen nicht an der Zeit
nnd ist es nicht nnaasweichliche Henschenpflicht, nach dem
ruhmreichen Vorgänge der oben angeführten deutschen
Staaten anch bei uns in der Schweiz den Schulzwang ffir die
Taubstummen, an den sie mindestens ein ebenso gutes An-
recht haben wie die YoUsinnigen, gesetzlich festzustellen
und mit Strenge dnrchzufttbren?
Heil der Stunde, in der in unserm Lande den ünglfick-
lichsten der Unglttcklichen ihr ToUes Recht wird!
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Der Lehrer Lenmuud und ein Geheimer Justizrath.
Yom HeravBgeber.
y
AJu den charakteristischen Züi^en unseres Zeitalters gehört die
starke Betonung und eifrige PHege dt r .Interessen". Es gilt als
Regel, dass ein jeder vor allem sein persönliches Interesse wahre und
fördere. Dazu kommt dann eine ganze Legion anderer Interessen,
als da sind die Interessen zahlloser Vereine, Genossenschaften und Hinge,
die Interessen der GesehSftsleiite und GnmdbesitMr, der Arbeiter nnd
Oapitalisten, der Beamten, Kflnstler, Schriftsteller n. s. w., kurz der StSnde
und BerofiBdasBen, ferner die Interessen der Frauen, der poUtMien
Parteien, der Nationalitäten, Gonfessionen, £irchen u. s. w. Immer und
überall ist die Bede von Interessen und spielt der Kampf um Interessen.
Selbst in richterlichen Erkenntnissen begegnet man hftuflg dem Aus-
spruche, der Beklagte habe gehandelt „in Wahrung berechtigter Inter-
essen"; nnd auf dem Gebiete der Pädagogik, wo Tordem das Interesse
sidi dandt b^Qgen mnsste, neben anderen glelchberechtigtai Factoren
die gebflrende Stelle einsunebmen, hat sich eine Partei gebildet, die
mit ihren , Juteressen** alles andere an die Wand drildcea mochte.
Während vormals, als der Geist eines Kant, Lessing, Schiller und
anderer Heroen unseres Volkes noch lebendig fortwirkte in unserem
Culturleben, Moral, Pflicht, Gewissen, Recht und Gesetz die liörhstcn
Normen und Triebfedern fikr jedermann und für alle menschliche Ge-
meinschaft waren, treibt unser Zeitalter einen förmlichen Interessen-
cultus und eine systematische Interessenwirtscbaft, deren Kern allent-
halben die liebe Selbstsucht ist, indem ein jeder immer in erster Linie
sein wertes Ich im Auge hat, möge er nun von den Interessen seiner
Person, oder von den Interessen seines Standes, seiner Partei, seiner
Nation, seiner Kirche u. s. w. reden. Und während die alte Moral
auf Einigung und Frieden ausging, tendirt die neue auf Zersetzung
und Streit.
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— 641 —
Unter solchen VerhAltnissen ist es nicht zu yerwnndeni, dass
auch der Lehrerstand in den allgemeinen Interessenkampf hinein-
gezogen wird und so wie alle anderen Gesellschaftsclassen fOr seinen
Nutzen und sein Ansehen zu Felde zieht Andere Leute und Stände
glauben ihren Interessen zu dienen, wenn sie den Lehrer und den
Lehrerstand niederhalten und herabsetzen und thun dies bei jeder
Gelegenheit, bald unter heuchlerischer Maske, bald mit offener Bruta-
lität. So wird es begreiflich, dass sich aus der Lehrerschaft zahl-
reiche Stimmen erheben, welche zur Abwehr solcher Unbill auffordern
und Waffen zu dieser Ali wehr anbieten. Es handelt sich da vor
allem darum, die vielfachen Anklagen des Lehrerstandes in die
Schranken des bereclitig-teu Maßes zurückzuweisen und die wahren
Ursachen vorhandener Missstände klarzulej^en, aber auch unlu^treit-
bare Vorzüge und Verdienste zur Greltunf}^ zu brin^-^en. Hiermit be-
fasst sich nicht nur der gelegentliche Gedankenaustausch im Privat-
verkehr, sondern auch ein erheblicher Theil der Vereinst hätigkeit mit
ilu'en Voi t ragen, liesulutionen und Eingaben an Behörden, ingleichen
die literarische Arbeit, wie sie in Zeitschritten, Broschüren und
Büchern zu Tage tritt, um den guten Ruf des Lehrerstandes zu
wahren, seine sociale Stellung zu verbessern, bösen Leumund und
feindseligen Druck von ihm abzuwehren.
Bisweilen erweist sich diese Intention als mitwirkender Factor
selbst bei solchen literarischen Unternehmungen, welche an sich niidit
dem Tagesstreite, sondern dem Frieden des Hanses nnd Gemttthes ge-
widmet sind. So erschien unlängst ein firenndlich ansprechendes Bach
anter dem Titel: „Dichterstimmen ans der deutschen Lehrer-
weif von J. Pawleckl (Hamborg, Verlagsanstalt and Druckerei
A.-a^ 382 a, Preis 3 Mark, geb. 3,50 M.), welches yon 125 deutschen
Lehrern poetische Eizeugnisse ihrer Muftestonden bringt, die in erster
Linie genommen sein wollen, wie sie sich geben, aber doch nicht ohne
Rftcksicht auf das Los des Standes ihrer Verfiisser gesammelt sind.
Der Herausgeber bemerkt, dass er mit dem Werke «dem deutschen
Lehrerstande eüie Lanze bredien wollte", was er auch in folgenden
Strophen seines Widmungsgedichtes andeutet:
..Vt rknndf't, dftSS in Lchrorlierzrn
£iii ew'ger j^wuien Bahn sicJi bricht,
Daas fie in Winlentimi mid Darbm
YeneblosBen sich dem FmhUiig nicht.
Verscheucht den Schritt der Lttgpxopheten,
Der LäetcrzuDjOfe Priesterschar;
Der Wahrheit brechet eine Giisse,
Hebt sie zum Lichte sonuenklar.**
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— 642 —
Wenn nämlicli den Lehrern u. a. bisweilen auch materialistischer
Sinn und Gleichgilt igkoit gegen höhere Bestrebungen vorgeworfen
wird, 80 dienen allerdings die hier vorgeführten Proben idealer
Lebensanschauung in schönem poetischem Gewände zu kräftiger Wider-
legung dieses bösen Leumunds und somit dem guten Rufe des Lehrer-
standes. Möge daher das schöne Buch recht viele Freunde finden, es
enthält in der 'J'hat zahlreiche Blüten echt dichterischen Geistes.
Direkt auf die Lehrerfrage geht Hans Trunk ein mit seiner
bereits in einer zweiten Sonderausgabe vorliegenden gekrönten Preis-
schrift: „Der VolkssclinlUhrer stand im Spiegel der Hitwelt''
(Graz, lieoBcbiier & La1>eD8ky, 66 S.). Der VedSuser zeigt zonachst,
•wie man in yerschiedttien Kreisen über die Lehrer und ihre Be-
strebungen urtfaeflt, femer, woher es kommt» dass man gerade am
Lehrerstande eine ungewöhnlich herbe Kritik übt» wobei er auf die
materielle Stellung dieses Standes, seine Bildung, sein Terhiltnis zur
Schulau&icht, zur bürgerlichen Gesellschaft und Politik, aber auch auf
die innerhalb des Standes selbst vorhandenen Fehler und Gebrechen
zu sprechen kommt und sehliefilieh die Mittel zur Anbahnung besserer
Zustande darlegt Wenn auch diese Themata bereits oft und viel-
seitig behandelt worden sind, so yerdient doch die zasammeoftssende,
klare und freimüthige, anch manchen neuen Zug bietende Schrift von
Haas Trunk, der sich als wackerer Beruftgenosse langst bewährt hat,
aligemeine Beachtung.
Ein ganz eigenartiges Buch hat jüngst Herr Wilhelm Meyer-
Markau in Duisburg herausgegeben. Es führt den Titel: „Der
Lehrer Leumund. Urschriftliche Worte zeitbürtiger deutscher
Schriftsteller, Dichter und Gelehrten über Lehrer und Schule" (216 S.,
2,50 Mark, geb. 3 Mark, Selbstverlag). Die Entstehungsgeschichte
des Buches hat der Herausgeber selbst in einem Vortrage geschildert,
welcher den Titel führt: ,.l)as eiitsclileierte Bild des Volkssihiil-
lehrers", uud bei Helmich in l^ieleteld zum Pieise von 40 Pfg. zu
haben ist. Wir fiiliren aus dieser Entsteh ungsgescliichte die wich-
tigsten Dateu an. Um zu erfahren, wie die „öffentliche Meinung'*
über den Lehrerstand urtheile, wandte sich Herr Meyer in einem Kund-
schreiben an ca. 1000 deutsche Schriftsteller. Dichter und Gelehrte
(nicht blus in Deutschland, sondern aucii in osterreich, der Schweiz,
Italien, Kussland und Nordamerika) mit der Bitte, ihre bezüglichen
Anschauungen kundzugeben, indem er eben in den Personen dieser
Kategorie die berufenen Vertreter und Organe der „üfleutlichen
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Meinung** erblickte. Um denselben einen Leitfaden für ihre Äußerungen
zu bieten, bezeichnete Herr Meyer eine Reihe von Punkten, welche
in Betracht gezogen werden möchten, nämlich die Vorbildung der
Volksschullehrer, die gesellschaftliche Stellung derselben, ihre Be-
soldung; ferner die Vorschnifrage. die Bekämpfung der SociaMemo-
kratie durch die Schule, die Scliülerzahl, den Heeresdienst der Lelirer,
<lie Fachaufsicht, die Trennung der Schule von der Kirche, die Simul-
tan- und die Confessionsscliule, die Befreiung der Lehrer vom niederen
Küsterdienste, die Versorgung der Witwen und Waisen der Lehrer,
den Mangel eines Volksschulgesetzes in manchen Ländern, die Ver-
wendung der Person des Volksschuliehrcrs in literarischen Erzeug-
nissen (meist als Caricatur). — Da nun das Auschreiben des Herrn
Meyer zuerst keinen genügendfin Erfolg^ hftttei aaadte er demselben
ein Mahnwort mii einer ermonternden Beigabe naeb, und nim stieg
die Zahl der Aassprachen auf 166, welche denn den Inhalt des vor«
liegenden Bnches bilden. Aaßei'dem kamen noch eine Anzahl Briefe
und Postkarten, welche das Nichteingehen anf die Angelogenheit ent^
scfanldigten. Werden diese mitgerechnet» so hat nngeOhr Jeder fünfte
Briefempftnger" Herrn Meyer, wie er selbst sagt, „einer Antwort
gewürdigte Mit diesem Ergebnis ist er sehr zofineden, so dass er
sich Jm Interesse der Sache gar nicht dankbar genug auszudrücken
vermag**. Diese Freude wurde noch dadurch erhöht, dass in den
eingelaufenen Aussprachen „beinahe durchgängig der Ton größter
Anerkennung, ja. Hochachtung über die Volksschule und deren Lehrer
angeschlagen wird^', weshalb Herr Meyer schließlich das zu Stande
gekommene Buch „ein Hoheslied auf den Leiirerstand." nennt.
Dieser Optimismus durfte kaum in vollem Maße gerechtfertigt
sein, und man kann sogar die Frage aufwerfen, ob der von Herrn
Meyer eingeschlagene Weg zur Feststellung des Leumundes der Volks-
schullehrer ein ganz zuverlässiger sei. Nur an solche Zeitgenossen
(Männer und Frauen) hat er sich gewendet, welche sich durch schrift-
stellerische Thätigkeit, überwiegend belletristischer Art, bekannt
gemacht haben. Dass dabei solche Personen, welche in eigner
Sache reden würden, also die Volkssehullehrer selbst, sowie Seminar-
Directoren und -Lelirer, ingleiclien die Vorgesetzten derselben, prin-
cipiell ausgeschlossen, hingegen bezüglich der übrigen Lebensstellungen,
der politischen und confessionellen Parteistandpunkte u. s. w. keinerhu
Schranken gezogen wurden, wird man für zweckmäßig ansehen müssen.
Die Hauptfrage ist aber die: Sind denn wirklich gerade die Schrift-
steller die besteu, d. h. die einsichtsvollsten und gerechtesten Kichter
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des Lehrerstamles, und kommt ibuen als iStimmfülirern der „öfFent-
lichen >rfMnuii2:" wirklich jene jrroße Autoiität zu, welche ihnen Herr
Meyer beilegt? Gewiss lial>en eiue Anzahl seiner Gewährsmänner das
in sie gesetzte Vertrauen durch ihre gediegenen und wolmeinenden
Ausführungen bestens gerechtfertigt; aber daneben finrlen sich auch
nicht wenige, welche mit recht schwacher oder zweifelhaft tr Weisheit
und sehr mangelhafter Unbefangenheit raisonniren. Jedenfalls sind
in solcher Allgemeinheit, wie Herr Meyer glaubt, die „Schrift-
steller" nicht berufen, das Forum des Lehrerstandes zu bilden. Unter
den Tausenden, die sich heute als solche aufspielen, gibt es gar viele
problematische Existenzen, und selbst unter den gefeiertsten ihrer
Sippe begegnet man recht seichten, verschrobenen und aufgeblähten
Schwätzern; wenn sie auch mit ihrer Ihssenproduction immer reich-
Uehe Nachfrage und diieii lohnenden Markt finden, so beweist dies in
▼ielen Fällen nur, dass es einen großen Haufen leses&chtiger, aber
nrtheilswnfthiger Menschen gibt, die ohne einen bedeutenden Gonsnm
bedruckten Papiers ihre Oden Geister nicht yor gänzlichem ErKischen
zu bewahren vermögen. Und anderseits gibt es nicht schriftstellemde
Leute genug» gelehrte und nngelebrte, deren Urtheil mehr inneren
Wert hat, als das vieler Herren und Damen von der Feder. Selbst
im eigenen Hause, im Bereiche des Lehrerstandes, kann man fragen,
ob der schriftsteltemde Tbeü gerade der bessere seL Es gibt viele
schriftstellemde Lehrer, die in keiner Weise berufen sind, ihre Col-
legen zu erleuchten und zu bessern, und viele nicht. schriftstellemde,
die an Geist, Charakter, Tüchtigkeit und Treue im Amte ihren Be-
rufrgenossen aJs Muster dienen können. Die Schriftstellerei hat in
Deutschland so ungeheuer, man kann sagen epidemisch um sich ge-
griffen, dass sie bald aufhören wird, ein ehrenwertes Metier zu sein,
zn dessen zeitweiligem Betrieb gerade die Besten der Nation sich nur
noch mit Widerstreben entschließen, weil sie nicht mit dem Heere
aufdringlicher Sudler concurriren wollen und zu der Meinung kommen,
dass das Sprichwort: „Reden ist Silber, Schweigen Gold — " auch
auf «iem Buchermarkte eine gewisse Bereclitignng habe.
Was sodann die eroße Befriedigung des Herrn Meyer über den
Erfolg seines Anschreibens betrifft, so steht ilir leider die Thatsache
ircirenüber, dass (trotz der Wiederholung desselben nebst ennuntern-
tler Beigabe) von 1000 Angesprochenen 800 ihn nicht ciiiinal „einer
Antwort gewürdigt"* haben. Nimmt man hinzu, ilass von ilen übrigen
200 ein Theil nur eine Entscliuldigung ihrer Niclitbetheiligung ein-
schickte, ein anderer Theil sich auf eine kurze und in der Leumunds-
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frage g:anz neutrale Sentenz beschränkte, ein dritter halb j^ünsti^ halb
ungünstig urtheilte, ein vierter endlich oliene Feindseligkeit kundgab,
so bleiben von KXXi höchstens 1(» Stimmen übrig, welche das er-
wähnte „Hohelied" singen. Die vier Fünftel der Angespi'ochenen,
welclie hartnäckig schwiegen, darf man jedenfalls mit mehr Grund
auf die feindliche als auf die freumlliche Seite stellen. Denn der
Umstand, dass sie trotz der ihnen erwiesenen Ehre und wiederholten
warmen Zuspräche den freiwilligen Anwalt des Lebrerstandes nicht
einmal ..einer Antwort würdigten", macht einen üblen Eindruck, da
man sich sagen muss, dass wirkliche Lehrerfreunde eine so beiiueme
Gelegenheit zur Kundgebung ihrer Gesinnung nicht abgewiesen haben
würden. Was wären denn das für Freunde, die nicht einmal ein
gutes Wort von sich zu geben Lust hätten?
Doch — das Buch ist nun da, und die LehrerschAft kaxm nichts
besseres thim, «te es gehörig auszonfttsen. Der Heransgeber hat un-
streitig die gute Absicht gehabt, seinem Stande einen erspriefilicben
Dienst zu erweisen; zu diesem Zwecke hat er viel Iftthe und Arbeit,
flberdies bedeutende Kosten anij^wendet DaiOr verdient er die Sym-
pathie und thätige ünterstfltznng von Seiten seiner Kollegen, also eine
freundliche Auftaahme seines Buches. Hierzu kommt aber, dass das-
selbe in der That ein sehr lehrreiches ist und mit vollem Rechte der
gesammten Lehrerschaft und allen, die mit der Volksschule in Be-
rfthrung stehen, zu eingehendem Studium empfohlen werden kann.
Wie ein Lied, das in einheitlichem und leicht ansprechendem
Tone von Anfang bis Ende dahin iiiefit, kann es freilich nicht ge-
nossen werden. Ich habe das Buch vollständig und anfinerksam durch-
gelesen, musste mir aber dieses Geschäft auf circa 20 Tage vertheilen,
da ich nicht anders allen 166 Stimmen in demselben gerecht werden
zu können glaubte. Herr Meyer hat nämlich die Äußerungen seiner
Vertrauenspersonen in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Namen
vorgeführt, damit eine jede selbstständig und ohne Unterbrechung
gehört werde. Diese Anordnung hat ihr Gutes und war in Räcksicht
auf die befragten Personen und nach dem Plan des ganzen Unternehmens
die allein gebotene; für den Leser hat sie aber den Nachtheil, dass
nun die Discussion über die aufgestellten Fragepunkte nicht in logi-
scher P'olge, nicht nach dem Gesichtspunkte innerer Zusamniengehürig-
keit, sondern in stetiger Zersplitterung und Abwechst luiig des Stoft'es
geführt wird, was ihn ermüdet und, wenn er nicht Otters eine Ruhe-
luiuse macht, außer Stand setzt, den letzten Rednern dieselbe Auf-
merksamkeit zu widmen, wie den ersten. Ohnehin bleibt es dem
Pwdagogioiu. 14. Jahrg. Ueft X.
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Leser übel•la^^^en, sich die einzelnen Stiieke des Buches nach Maßgabe
der inneren Verwandtschaft zu ordnen, um so melir, da nur wenige
derselben nach den aufs^estellten Fiagepunklen oder sunst einer Dis-
position angelegt sind. Ihre Bedeutsamkeit war eben mitbedingt durch
die den Autoren gelassene volle Freilieit bezüglich der Grenzen, des
Umfanges, der Anlage und des Tones ihrer Meinungsäußerungen, falls
sie nur Überhaupt zum Thema, zui* Lehrer- und Schnlfrage sprächen.
Eine Anzahl derselben hat dies nnn in so sachgemäßer, einsichtsyoller
und gründlicher Weise getban, andere haben wenigstens einzelne
Punkte durdi so interessante Bemerknngen beleuchtet^ dass das Buch,
ganz abgesehen von der Personalfrage, eben durch die Discussion der
vom Herausgeber aufgestellten Fragen, einen unverkennbaren Wert
erhalten hat. Und gerade hierin liegt für mich der Hauptnutzen des
Buches und das Motiv, es allgemeiner Beachtung zu empfehlen.
Doch wir mflssen zur Haupttendenz desselben zurftekkehren, also
zu dem Versuche, durch dasselbe den Leumund des Lehrerstandes
festzustellen. Diese Intention ist sovol durch den Titel des Buches,
als durch den oben erwähnten Vortrag des Herausgebers unzweideutig
bezeugt Dass nnn in dieser Hinsicht, wie schon nachgewiesen, kein
so erfreuliches Ergebnis erreicht ist, wie der Heransgeber annimmt,
möge noch durch einige Beispiele belegt Averden. Auf Seite 41 thut
ein Herr Doctor die ganze Angelegenheit mit folgender Auslassung ab:
„Meine zahlreichen Erfahrungen mit Dienstmädchen, Handwerkern,
kleinen Händlern und Personen ähnlicher Berufe haben mir die feste
Überzeugung beigebracht^ dass unsere Volksschule weder im Lesen
noch im Schreiben eine dem Aufwände von 8 Unterriclitsjahren an-
nähernd entsprechende Gewandtheit erzeugt. Eine Schule, die diese
wichtigsten Künste so schlecht lehrt, steht schwerlich auf der Höhe,
die ihr nacligei ühmt wird."
Das ht alles, was der Herr Doctor zu sagen hat: in der That,
ein sehr bescheidener Aufwand von Geist und Schai'fblick für einen
bei'ufenen Stimmführer der öffentliclien Meinung!
Und ein schriftstellernder Herr Baron lässt sich auf iSeite 131
folgendermaßen verneliinen:
„Die Dorfsehulmeister, mit denen ich Gelegenheit hatte, wieder-
holt in intensiven Verkehr zu treten, zeichneten sich vorzugsweise
durch eine stark ausgeprägte Ansicht über die Wichtigkeit ihrer
Persönlichkeiten, durch eine unangenehm berührende Blasirtheit aus,
welche namentlich nur halbgebildeten Menschen eigen ist — kein
Wunder meiner Ansicht nach, denn gerade den Vulksschuliehrein
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wird vou allen Seiten" viel zu viel ,weißgemacht'! und lialb;,^el)ildete
Menschen vertragen es nun einmal nicht, wenn sie allzuschuell aas
einer bis dahin gedrückten Sphäre emporgehoben werd^.**
Wieder die ganze Summe der Weisheit eines bemfenen Richters
aber den Lebrerstand! Von UnbefangenlieLt, besonnener Umsicht und
hochherzigem Wolwollen wird man da schwerlich eine Spnr entdecken
können.
Die edelste Perle des ganzen Buches hat aber ein preufiischer
Geheimer Justizrath, Namens L. Passarge, geliefert Aas Lana
4L d. Etsch, wo er zur Erholung weflte, hat er sie Herrn Heyer in
Duisburg eingesendet
„Sie haben sich jedenfiills^, so beginnt Herr Passarge, ,,an eine
ungeeignete Adresse gewandt, wenn Sie von mir eine warme, oder
auch nur sachliche Beurtheilung der angeregten Frage erwarten. Ich
habe wenig Gelegenheit geliabt, mit Yolksschullehrem persönlich in Ver-
hindung zu treten." — Man sollte nnn meinen, dass hier die Rede aussein
m&sse, oder wenigstens nicht den Leumund des Lehrei*standes betreffen
könne. Denn es ist doch die elementarste Bogel der Gerechtigkeit,
dass man nicht über Dinge und Personen absprechen soll, die man
nicht genügend kennt, oder, wie der Jui-ist sagt, dass man kein Ur-
tli* il lallen soll, solange man mit der («»uaestio facti, mit dem That-
bestand, nicht gehörig vertraut ist Der Hen- Geheime Justizrath
Passarge aber fiilirt fort: „Wo es geschelien, habe ich oft sehr eln-en-
werte Leute kennen gelernt, aber auch sehr zwcifellialte Persönlich-
keiten." Nun könnte num erwarten, dass er, wenn er weiter ledeii
will, dorh auch dm ..st-lir elnvnwerten Leuten", die er ..oft kennen
gelei-iit hat"*, die geliiueiide Bei iu'ksiichtigung', iiidit aber blos ein paar
Phrasen widmcu wei\le. .Allein für sein l'rtheil hal)en, wie sich
zeigen wird, die „sehr ehrenwerleu Leute*' wenig Gewicht, und die
«clKinen Redensarten scheinen nur deu Zweck zu haben, bittere
Pillen zu umiiüllen und zu be.sehönigen.
„Der Stand", so lautet Herrn l'assarges Votum. ,.liat mir fa.st
überall Missbehagen venusacht. so dass ich einem ^^dksschullelll•er
noch oft mit Misstrauen gegen übertrete. Der Stand als solcher leidet,
ähnlich wie der der Apotheker, Künstler. Buchhändler u. a. au dem
Fluche der Halbbildung, ein Fluch, der in der Sache selbst liegt und
daher nicht zu vermeiden ist. Das Volk fühlt das iustinctiv heraus
und stempelt einen Landscliullehrer leicht entweder zu einer gehassten
oder lächerlichen Person. Nur sehr wenigen gelingt es, sich in dieser
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prekären Stellung zu behaupten. Der Schullehrer hat in seiner Classe
eine dominirende Stellung; indem er diese auch dem ländlichen Publi-
cum gegenüber geltend machen möchte, wird er einfach zum Gespött.
Aus meiner juristischen Praxis, die sich über einen Zeitraum von
vierzig Jahren erstreckt, habe ich in betreff der Lehi'er meist nur
peinliche Erinnerungen. Ja, in Litauen ging 68 so weit, dass wir
Richtei* der höheren Instanz bei besonders, schmatzigen Processen zu
fragen pflegten, weldier Lehrer dahinter stecka Denn dort sind sie
oft sehr fragwürdige Winkelconsaleiiteii und hetzen die Leute an-
einander. Gewöhnlich entschuldigen sich solche Lehrer damit, dass
sie zu schlecht gestellt wären. leh gebe darauf nichts. Es geht
ihnen hierin, wie den heutigen Fabrikarbeitern: je mehr sie haben,
um so mehr verlangen sie. Meiner Ansicht nach sind die Lehrer in
Preufien bereits so gestellt» dass sie nothwendig flbermüthig werden
müssen. Ihre Gehftlter erhöhen , hieße den Stand noch mehr dis-
creditiren."
Hier mflssen wir eine Pause machen, um uns von diesen be-
täubenden Schlägen za erholen. Und wenn es uns gelingt, unsem
Blick Yon den gebrandmarkten Delinqnenten abzuwenden, nm uns zum
Anschanen menschlicher Vollkommenheit zu erheben, dann mögen wir
ausrufen: Selig der Mann, welcher so erhaben in seiner Bildung und
Stellung ist, dass er auf alle Halbgebildeten, als da sind Volksschul-
lehrer, Apotheker, Künstler, Buchhändler u. s. w., sowie auf alle Prole-
tarier, wie Volksscliullehrer und Fabrikarbeiter, mit souveräner Ver-
achtung herabblicken kann! Gewiss besitzt er nicht blos eine ganze,
sondern mindestens eine Fünfviertelsbildung, und sicherlich hat er in
seiner „juristischen Praxis, die sich' über einen Zeitraum von vierzig
Jahren erstreckt", so unermessliches Heil über die Menschheit ver-
breitet, dass er Volksschullehrer (und Fabrikarbeiter) als eine veirufene
Mensrhenclasse behandeln kann, die nicht einmal einen kärglichen 'i'ag-
lohn wert ist. Heil dem Wackeren, der g-rau wurde oder die Haare
verlor in Ehren und Wolstandl Schmach dem armen Schlucker, den
schon im ^lannesalter die NotU und böse Menschen zum Staube
niederbeugen! —
Doch bevor wir uns mit Herrn Passarge genauer auseinainler-
setzen, wollen wir ihn erst weiter hören. „Als ich noch ein Kind
war und auf dem Lande wohnte, war der Stand im allgemeinen ge-
achteter als jetzt, und zwar darum, weil die Lehrer sich nicht dem
Luxus ergaben, und -weil sie ihre Aufgabe sehr ernst nahmen und
sich nicht überhoben." — Das war vor ungefähr 60 Jahren; die
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heutigen Lehrer mögen sich in diesem Spiegel beschatten und flieh
bessern, zu ▼eLchem Behnfe ihnen Herr Passarge die Anveisong gibt:
„IMe Lehrer mflssen damit an&Bgen, wieder bedOifhisIoser za werden,
nicht aber höhere Gehftlter zu verlangen. Letzteres ist aber der
Kernpunkt der ganzen Frage, wie sehr man dieselbe auch
sonst aufbauschen nnd drapiren mag." (Diese Stelle ist auch im
Buche gesperrt gedruckt)
Welter sagt Herr Passarge: „Noch Eines. Ich kenne keine mehr
alberne Redensart als die vom J8kg&r von Eöniggrätz*. Das Tüchtige
steckt entweder schon in einem Volke oder nicht. Wissen thut gar
nichts hinzu. Die Tiroler, in deren Mitte ich hier lebe, sind im
höchsten Grade bigott, einiäUtig und unwissend, aber trotzdem ein
kräftiger, tflchtiger und liebenswürdiger Volksstamm, der an Bildung
des Gemflthes und an Charakter viele gebildete Classen in Nord-
deutschland weit übertrifif — Eine prächtige Theorie, aus welcher
man begreifen kann, warum Herr Passarge so schlecht auf die Lehrer
zu sprechen ist. Wissen tlmt gar nichts hinzu (zur Tilchtigkeit).
Der höchste Grad von Bigotterie, EinMt und Unwissenheit macht
Herrn Passarge keinen Kummer. Drum wünscht er auch, dass seine
landsmännischen (preußischen) T^ehrer etwa so gehalten werden, wie
bisher ihre Collegen in Tirol, denen es freilich oft recht schwer fallen
musste, gegen Bigotterie, Einfalt und Unwissenheit anzukämpfen.
Hätte uns nur Herr Passar<re auch gesagt, welches die „vielen gebil-
deten riasseu in Xorddeutscliland" sind, die von den biederen Tirolern
an Bildung des Gemüthes und Charakters übertrotlen werden. Zum
Olück sind es niclit die Volksschullehrer nebst Apothekern, Künst-
lern u. s. w.; denn die sind nur ,,hall)" gebildet, während Herr Pas-
sarge von gebildeten Classen schlechthin spricht. Und da es „viele"
sind, so könnten darunter wol auch Geheime Justizräthe sein, wie
wir da einen vor uns haben! — Noch hält dieser Herr den deutschen
Lehrern ihie. Collegeu in Norwegen und in der Schweiz als ^fuster
vor, an denen er rühmliche Sitten mit eigenen Augen beobachtet
haben will; er ist ja auch Reisender. Nur schade, dass von compe-
tenten Personen in Norwegen und der Schweiz die Beobachtungen des
Henm Passarge als sehr oberflächlich nnd seine Baisonnements als
voreilig und schief nadigewiesen werden! (^he das Buch.)
Nun noch das Schlusswort des Herrn Passarge: „Sie sehen aus
allem diesem, dass ich den Volksschullehrem eine besondere Bedeutung
f&r unser deutsches Leben nicht beilegen kann. Dass es in diesem
^Stande viele bedeutende, ja bewundernswerte Ausnahmen gibt, versteht
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sich von selbst^* (.Ansnahmen*, welche die Regel nicht umstoßen
und sich Überdies »von selbst yerstehen", also fllr das ürtheil fiber
den ganzen Stand nicht ins Gewicht fStUent so meint Herr Passarge);
„mein Urtheil betrifft — wie schon erwähnt) — den Stand, nicht die
Personen". (Ich denke, wenn es den Stand betrifft, so betrifft es
auch die Personen, die diesen Stand bilden. Dieser Geheime Jnstiz-
rath hat eine ganz absonderliche Logik!) „Nicht anf den Lehrer
kommt es in erster Beihe an, sondern auf den Schiller, das heiSt anf
das Volk. Freom wir nns, dass das deutsche Volk ein solches ist»
welches einen Vergleich mit seinen Nachbarn nicht scheuen äaxfi**
Nun ist Herr Passarge fertig, und wir freuen uns, selnier Schluss-
bemerknng im Hinblick anf den letzten preußischen Schnlkrieg bei-
stimmen zu k5nnen, in welchem sich das deutsche Volk in der That
yemttnftiger zeigte, als jene Sorte der sui>erfoin Gebildeteo, von der
Herr Passarge ein gelungenes Exemplar ist. Es sind last durchaus
Leute, die niemals unter der Zucht der Volksschule und des Volks-
schullehrers gestanden haben, weil es ihnen die Mittel ihrer Eltern
erlaubten, sich von Kindesbeinen an vom Pöbel abzusondern.
In der Tliat: das Zeitalter des Interessenkampfes treibt merk-
würdige, leider sehr betrübende und besorgniserregende Blüten, so
dass die Hoünunj? auf eine triedlidie und heilsame Lösung der socialen
Fragen mehr und mehr schwinden, und die Aussicht auf die Zukunft
iiiiuiei- trüber werden muss. Die auf den Höhen sitzenden Stände
Wüllen niemanden mehr hinauflassen, weil ilinen sonst der Platz zu
eng und der Brotkorb zu klein werden könnte. Daher vertheidii^eU
sie ihre privilegirte Stellung mit allen möigliclien Watten, nur nicht
mit denen der Vernunft und ^foral. Nackter Kgoisn.us. bodenloser
Hochmutli, rücksichtslose Verachtung und Schmähung der Wehrlosen,
das sind die Tugenden, die leider nur allzuoft von den „besseren
Ständen" geübt werden. Da wirft man täglich den Socialdemokrateu
vor, dass sie den Classenhass schüren. Arger aber, wie dies der
Herr Geheime Justizrath Passarge thut, lässt es sich schwerlicli
treiben. Welchen Anlass hatte er denn, in seine aufreizende Kritik
auch die Apotheker, Kttnstler, Buchhändler u. s. w. einzubezichen,
Uber die ihn ja niemand befragt hatte? Und was wollte er sagen,
wenn nun di^ mit dem „Fluche der Halbbildung" — einem Fluche,
,4er in der Sache selbst liegt und daher nicht zu vermeiden ist" —
beladenen Glassen sich mit gleicher Brutalität gegen den Stand des
Herrn Geheimen Justizrathes wendeten? Er selbst hat ihnen ja Blößen
genug geboten. Denn wer die Welt so oberflächlich beobachtet, wer
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80 leichtfertig ortheilt, so knabenhaft generalisirt) so lieblos richtet,
die einfachsten Gesetze des gesunden MenschenTerstandes nnd der
Billigkeit so hart verletzt, wie Herr Passarge, der sollte steh doch
hüten, anderen Leuten die Fenster einzuwerfen. Hätte er in seiner
juristischen Praxis denselben Geist bethätigt, den er hier als Schrift-
steller an den Tag legt, so wttrde er viel Unheil angerichtet haben.
Gewiss ist, dass mit solchem Geiste niemand ein leidlicher Apotheker,
Künstler oder Yolksschullehrer sein kann, geschweige denn ein an-
ständiger Geheimer Schulrath oder etwas tlMirriMi.hen. Aber Herr
Passarge war offenbar yon einem so blinden Lelirerhass getrieben,
dass er sich nicht nur zu Ausbrüchen des Classcnhasses hinreißen
ließ, sondern auch sich selbst und den eigenen Stand compromittirte.
Leider machen es unsere socialen Verhältnisse in Verbindung mit
unseren Schnleinnchtungen möglich, dass gar mancher, der an Schätzen
des Geistes und Gemütlies recht leicht zu trufren hat, mit der Marke der
classischeu und akademischen Bildung eiiihei\stolziren und anderen das
Brandmal der HalMiihlniifr aul'driicken darf, wenn sie ihm aiicli an Ein-
sicht, Besonnenheit. Zartfrefühl, ( 'liarakter und Verdienst weit überlegen
sind. In unserer Zeit, Itesonders in Deutschland, qrilt in Sachen der
BiMunc- der innere Gehalt und der reale Besitz wenig, die amtliche
Abstempehmg und der papierne Schein alles. Daher kommt es, dass
gar oft die innere Verfassung und die Manieren der Menschen nicht
in Einklang stehen mit den ?]tiketten. die ihnen ex olticio aufgeklebt
sind. Mir ist unter den von Herrn Bassarge so verächtlich be-
handelten Apothekern , Künstlern. Buchhändlern, Schulmeistern und
sonstigen Halbgebildeten" bisher niemand begegnet, welcher ein so
unverständiges 'und rolies Urtheil über ganze Stände gefällt hätte,
wie der Herr Geheime Justizratli. Dies mag avoI daher kommen, dass
die „Halbgebildeten" oft mit gutem Erfolg unablässig nach Vervoll-
kommnung streben, während Lente, die schon als unreife Buben mit
dem Wahne der Auserwählten erfüllt werden, lebenslang ihren Dünkel
behalten, wahre Durchbildung aber niemals erlangen. Beides zeigt
sich deutlich in dem Schmähartikel des Herrn Passarge. Ihm ist es
eine ausgemachte Sache, dass der ganze Stand der Volksschullehrer
dem Haas und Gespött des Volkes anheimfklle; er stellt dies als
natflrlich und unvermeidlich, als ein Ergebnis des richtigen Instincta
der öffentlichen Meinung dar und scheint daran sein Vergnügen zu
finden, wie ihm denn die ganze Mission des Volksschullehrers als eine
äußerst geringfQgjge erscheint, die daher auch keine anständige Ent-
lohnung verdiene. In Preußen hatten nach offlciellen Angaben Anno
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1886 mehr als 3000 YolksscluiUehrer weniger als 600 Mark Jahres-
einkommen, mehr als 30UO0 weniger als 900 Mark, und seitdem ist
eine gründliche Verbesserung dieser Verhältnisse nicht erfolgt. Und
da liat Herr Passarge die Stini, zu sajren: ,,Es geht ihnen hierin wie
den heutif^^en Fabrikarbeitern: je mehr sie haben, um so melir ver-
langen sie. Meiner Ansieht nueh sind die Lehrer in Preußen bereits
so gestellt, dass sie iiotliwendig übermiit hig werden müssen.
Ihre Gehälter erhöhen hieße den Stand nocli melir discre-
ditiren." — Man würde einen so lierzlosen und brutalen Ausfall
nimmermehr einem Geheimen Justizratli zutrauen, wenn man ihn niclit
scliwarz auf weiß vor sich hätte. Die Liebenswürdigkeiten, welche er
noch speciell den Lehrern in Litauen ei weist, mögen diese selbst
würdigen; wahrscheinlich beruhen sie auf derselben o1»jectiven Auf-
fassung des Thatbestandes, wie die oben erwähnten Kaisouuemenis
über die Lehrer in der vSchweiz und in Norwegen.
Wenn man nun bedenkt, dass Herr Passarge jedenfalls viele ge-
heime Gesinnungsgenossen hat, und wenn man die vielen anderen
hochmögenden Herren hinzurechnet, welche längst als geschworene
Lehrerfeinde bdcannt »Dd, weil sie ihrem Hasse bei jeder Gelegenheit
Öffentlich den schärfsten Ausdruck geben: so begreift man, warum es
den deutschen, besonders den preußischen Lehrern so schwer wird,
sich eine bessere Stellung in der OeseUschaft zu erringen. Unter
solchen Verhältnissen wird man es aber auch billig finden, wenn end-
lich einmal ein Ezempel statuirt wird an den Lästerern des
Lehrerstandes.
Nun noch ein Wort an die deutschen Lehrer selbst. Ich bitte
sie, mir einige Bathschllge zu gestatten und dieselben vorurtheilslos
zu prttfen.
1. Wenn uns hier in den Auslassungen des Herrn Fassarge eme
sehr abschreckende Probe dassischer und akademischer Bildung ent-
gegentritt, so wolle sich doch niemand zu jener voreiligen Generali-
sirung verleiten lassen, welche ein untrügliches Merkmal der Halb-
bildung ist, und eben in dem Gerede des Herrn Passarge eine hervoi'^
ragende Rolle spielt. Man darf aus diesem Specimen keineswegs
schließen, dass die classische und akademische Bildung an sich zu
solcher Missgestalt tendii'e und in der Begel so kläglich auf der
Obert1a< he sitze, wie bei Herrn Passarge und "vielen andern. Zum
Glück entliält das Buch des Herrn Meyer zahlreiche Belege gegen-
theiliger Art. Man lese z. B. die im Buche enthaltenen Ausführungen
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von anderen Juristen, femer von Hedicinern, Pldlologen (Mftnnem ^
des höheren Scholamtes) und Theologen (Geistlichen), nnd man wird •
da Ust durchgängig schOne Frohen wahrer Bildung finden.
2. Lasst euch nicht verbittern und niederschlagen von bdsem und
falschem Leumund! Wenn Herr Passarge darauf aussngehen scheint,
den liefarerbemf verächtlich zu machen nnd den Lehrerstand anfe
äußerste zu demaihigen, so lasst euch nicht das Bewusstsein rauben,
dass ihr eine hohe nnd ehrenvolle Mission an eurem Volke zu er-
füllen habt!
3. Gebt aber auch den Stimmen von gerade entgegengesetzter
Art kein Gehüi l P^inen schroffen Contrast zu Passarge's Kapuzinade
bildet z. B. folgender Aussprach eines andern auf S. 169 des Mej-er-
schen Buches: „Nur eine Untugend besitzt der deutsche Lehrer: die
Bescheidenheit. Dalicr kommt es auch, dass man ihn so stiefmütter-
lich behandelt. Es fehlt ihm die Unverschämtheit des Juristen, die
Praxis des Bürsenniannes und die Brutalität des feudalen Grund-
besitzers, im allgfmeiiit'n das selbstbewusste Auftreten, durch welches
er sich Geltung erzwingt. Freilich, Bescheideiiiieii ist der Stempel
tiefen Wissens und edlen Herzens; aber wer sie übt, gilt nichts in
der Welt und wird in ihr stets und überall zurückgesetzt werden.
0 deutsche Lehrer, seid etwas weniger bescheiden, damit ihr etwas
mehr von dem erhaltet, was euch gebürt!" — Da haben wir's. Den
einen sind die Lehrer zu hochmUthig, den andern zu demütliig; aut
beiden Seiten aber .spricht sich der generalisireude und rücksichtslose
Classenhass und Interesseukampf aus, welcher gegenwärtig die deutsche
Nation zerrüttet. Da heißt es denn für den Lehrerstand: Vorsicht,
Besouiienheit, Ruhe! Stimme nicht ein in dieses wüste Geschrei; sei
überzengt, dass das jetzt herrschende Sittensystem kläglich scheitern
nnd wieder den Moralgesetzen der Väter unserer Cultur weichen
wird! Inzwischen aber lass dir den .Stempel tiefen Wissens und
edlen Herzens" besser gefallen, sJs die „Unverschämtheit" nnd „Bru-
talität", womit andere ihr Glftck begrOnden!
4. Wenn wir Hännem, welche von so bomirten Vomrtheilen nnd
von so blinder Feindschaft gegen den Lehrerstand getrieben werden,
wie Herr Passarge, jeden Beruf zur Kritik des Lehrerstandes schlecht-
hin absprechen mttssen, selbst wenn dieser an tausend Sünden litte,
so darf dies niemanden dazu verleiten, jeden fttr ehien Feind des
Lehrerstandes zn halten, der Überhaupt Ausstellungen an ihm zu
machen unternimmt Es gibt auch Tadel, welcher eben so gerecht
als wolgemeint ist. Den soll man sich zu Herzen nehmen, nnd die
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ihn aussprechen, soll man als gnte Freunde achten. Meyers Bach
gibt hierza genllgende Gelegenheit
5. Die Lehrer sollen bezfiglich ihrer Bepntation nicht allzu em-
pfindlich sein nnd sich ihrerwegen nicht allzusehr erhitzen. Sie
mögen bedenken, dass es auch noch verständige und gerecht denkende
Leute gibt» welche sich nicht von bösen Zangen dictiren lassen, was
sie vom Lefarerstande zu halten haben. Nur in den dringendsten
Fällen soll er sich zu einer besonderen Action ffir seine Ehre be-
stimmen lassen; oft wird die stille Verachtung der Lästerer und die
Gelassenheit reclitschaffenen Verhaltens die beste Waflfe sein, und oft
auch kann der Lehrerstand die Vertheidigung getrost seinen Freunden
überlassen« Keinesfalls darf nochmals eine Enquete unternommen
werden, wie sie Herr Meyer angestellt hat. Diese eine sei ihm ver-
ziehen; denn sie war gut geroeint, brachte viel Lehrreiches mit sich
und war überdies der erste Versuch ihrer Art, bei welchem über die
Schattenseiten des Unternehmens noch keine Erfahrun£»^en vorlagen.
Nun aber stehen sie fest, und daher sei es genuf^ mit dem Gebotenen.
Denn einerseits kami der Zweck, den „Leumund der Lelirer" zuver-
la-ssig festzustellen, auf diesem Wepfe überhaiiiit iiidit erreicht werden,
weil die Schriftsteller im allgemt^inen erstens gar nicht berufen sind, die
aufgeworfene Frage unter sicli zu (:'iits<-heideii, zweitens abt-r die Mehr-
zahl derselben gar kt'in Vutum ab<.'ibr: aiulerseits li^-gt in besagter
Enquete manches, was mit der Selbstachtung des Lehrerstandes nicht
vereinbar ist. Derselbe wird überhaui)t gut thun, weniger auf die
Meinung der Welt, als auf die Stimme seines Gewissens zu hören;
nicht sowol darnach zu fragen, was dem oder jenem Schriftsteller be-
liebt, als darnacli, was ihm Khre und Pllicht gebietet.
6. Der Lehrerstand soll sich gerechten Tadel zu Nutze machen,
soll achtsam auf alle Fehler und Gebrechen sein, die in seinem Scholie
vorkommen, und soll sich täglich bemühen, sie abzustellen; er soll
rastlos an seiner SelbstvervoUkommnnng arbeiten, sowol in allgemein
menschlicher als in beruflicher Beziehung; böswilligen Angriffen auf
seinen Leumund aber soll er in erater Linie die stets und überall
wirksamsten Mittel entgegensetzen: ehrenhaften Wandel und uner-
schütterliche Treue im Dienst!
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ndagogisehe Biindseluiii.
Der IX. I)rnts( lir Lehr» rtag. (Halle, Pfingstwoche 1892.) Alao
einen niöirliclist knai'pen Ht-richt wünschen Sie diesmal, hochgeschätzter Herr
Redacteur? Gut, hier haben Sie ihn!
Ans den Verhandlungen der VorTersammlnng am Abend des 7. Juni
bebe ich hervor, das« anSer FeststeUnng der Tagesordnung für die Havpt-
versainmlung zum Vorstande bestimmt wurden die Lelirer Clausnitzer,
Berlin, Bakkes, Dannstadt, und Dr. Schnieil. Halle. Warm eiii|it'niiden,
inlialtlich wol aV>gerundet war eine längere Begrüßungsrtde, die der llalhsche
Lehrer Dr. Sc hm eil mit zündender Begeisterung vortrug, und worin be-
sonders der Segen der Lehrervereinignngen betoni nnd mit Nadidmck darauf
verwiesen wurde, wie der IX, Deutsche Lehrertag wiederum unter dem Zeichen
eines großen rildago^en. d«.s Conienius. stehe, gleich wie der VIII. in
Diest«'rweg seinen bestimmenden Ansdrnck gefunden habe. Trotz Be-
fleiüigung größtmöglicher Kürze kann ich nicht umhin, ein Hoch von Lehrer
Oallee auf den Nestor der deutschen Lehrerschaft, den „Großvater" der
hessischen Lelirer. Johann Schnitt, Dannstadt, zu verzeichnen. Letzterer,
der seinen 78. Geburtsta? feierte, warf in seiner Erwiderung einen Rückblick
auf die LehrerlM wognng in den letzteu ÜO Jaiireu, an deueu er stets regen
persönlichen Antheil genommen hat.
Die L Hauptversammlung am folgenden Morgen wurde durch einen
CliorgesaugHallescher Lehrer (Httul: „H5runs, Gott, Herr der Welt!") eröffnet,
worauf der 1. Vorsitzende die zahlreiche Vei-sammlung (es waren 182G Gäste
in die Theilnehmerliste eingetragen) in kurzer Ansprache begrüßte. Ein paar
Sätze daraus zu verzeichnen, möge gestattet sein: „Ein eisiger Reif drohte
die EntWickelung des Volksschnlwesens im giüCten deutschen Bundesstaate, in
Preufieo, zu hemmen. Allein das Volk wollte sich sein herrliehstee Kleinod nicht
verkümmern lassen. Ein Sturm der Entrüstung brauste durch das Land und
zerstreute die dr-r A'olks^chulf dnilionden t Jefahren." Nach einem Ilocii auf
den Kaiser des l>i iir-rhen Kt iclis wurde sudann ein IJcgrüßungstelegramm an
„den obersten Schiuuherru des Reichs und den obersten Schutzherrn auch der
Schule** beschlossen. Kit stfirmis^em Beifall wurde die BegrüBungsrede des
OLerbürgermelBters von Halle, Staude, entgegengenommen. Auch hier wieder
einen die Stimmung in Preußen und im Reich kennzeichnenden Satz! „Die
stiültisclien Uehiirden in Halle seien stets bemüht gewesen, die Volksschule zu
vermehren und zn verbessern, nnd nachdem es gelungen sei, den Zedlitz'.scheu
Schul-Gesetzentwnrf zu beseitigen, werde es in Halle hoffentlich gelingen, ein
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Schniwesen zu srliaftVn. das dtT hentijfen fortstrebenden Entwitkelung' in jeder
Beziehung zur Ehr.- p:ereichen werde." Auch Schulrath Dr. Xiälie und der
Lehrer veterau Tang er mann (letzterer uaiueus der gastgebeuden Lehrer-
schaft) BpracheD Worte der B^^rttßnng. Die Fettrede rar Comeninsfeier
hatte Pastor primatiu Seyffarth, Liegnitz, ttbemommen, der eben so grfind-
lieh wie anziehend die ErzieliunjETSgrundsätze des großen Schulmannes anf die
Forderungen der modernen Pädagogik anzuwenden verstand. Comeniusreden
sind im letzten Jahre viele gehalten, der gedankeureichsteu eine dürfte die
SeyiKurlhache gewesen sein. Wir legen den Fipger wiederam anf einen Satz,
n&mlich auf den folgenden : „Comenins wire selhttTerständlidi nicht fthig gewesen,
einen Schnlgesctzentwnrf aosznarbeiten wie den, der jilngst glücklicherweise
wieder zu Grabe getragen ist." DasR der Redner als Theologe sicli gegen
die confessionelle Schule erklärte, dass er für die Befreiung der Schule von
kirclilicher Bevormundung, für Einführung eines Unterrichts* statt Cultus-
Ministeriums, für die allgemeine Volksschule, für eine sorgenfreie Lebens-
stellung der Lehrer U. s. w. eintrat, soll ihm von uns Lehrern mit Dank in
unseren Herzen „gut gesclirieben" werden. Moehte die Kede auch zu lang
geiiitlien sein, sie hatte dt-n s^tiiiinischen Beifall, namentlich am .Sclilusse, wol
verdient. — Den folgenden \ (Ji trag hielt der durch seiue liberale Auffassung
der Sclinl* und Erziehnngsangelegenheiten unter Deutschlands Lehrern vor-
theilliaft bekannte Wormser Stadtschnlinspector Scherer über „Die all-
gemeine Volksschule in Rücksicht auf die .sociale Frage." Aus-
gehend von Comenius' Fordening, dass die Kinder einer Gemeinde gemein-
sam die Mutterschule vom 0. bis 12. Leben^ahre besuchen sollen, damit sie
sich gegenseitig anregen und alle zu allen Tagenden — Bescheidenheit, Ein-
tracht, gegenseitiger Dienstharkelt — enogm werden, bevor sie zum Hand-
werk oder Stadium fibergehen, — hinweisend atif Pestalozzi, der zu denselben
Forderungen kam, stellte Redner die Forderung auf, dnss der Mensch heute
als Glied des nationalen Staates aufzufassen und zu ei ziehen sei, da sich die
Individaalerziehnng zur Socialerziehong za erweitem habe. In einem sich
aascblieBenden geschichtlichen Bttckblicke erinnerte Scherer daran, dass es in
dem V. Süvernschen preußischen Unterrichtsge.sotzentwurfe von 1819 heiße:
„Die Schule gliedert sich bis dahin, wo die 'J'hätigkeit der rniversitilt V»eginnt.
in die allgemeine Volksschule, die allgemeine Stadt.scliule und das Gymnasium;
diese drei sind als eine einzige Anstalt zur Natioualschulerziehuug zu be-
trachten." Auf die Entstehung und Entwickelang der Socialdemokratie über-
gehend, äuBert Bedner seine Meinung dahin, dass der junge Mensch, der ihr
anheimfalle, aus seiner kirchlich dogmatischen Schulbildung keine le.ste .sittlich«'
Weltanschauung, die sein Gemiith und sein Denken befriedige, mitltringe. Das
machen sich die Fiihrer der Socialdemokratie zu nutze, sie bieten ihm die
Weltansehaunng des atheistischen Materialismus. Der junge Mensch werfe
nun seine alte UreUich-dogmatisdie Weltanschauung, welche er mit dem Ge-
dächtnisse aufgenommen habe, beiseite, damit zugleich aber auch die ewig
wahren, religiösen und sittlichen Wahrheiten, die man ihm nur in Verbindung
mit der kii'chlich-dogmatischen \N eltanschauung geboten habe. Die atheistische
Weltansehanung kQnne dem Menschen die innere Befriedigung auch nicht
geben. So wachse ein Mensch heran, dem. die religite sittlichen Ideale fehlen,
der nur seine Sinneslust zu befriedigen sucht, der mit Hass und Neid gegen
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die besitzenden Classen erfüllt sei, die vviedcram ängstlich sich von ihm zu-
rückzögen, tür seine Lebeusbedingungeu kein Verständnis hätten, von denen
er und Beine Kinder schon vom ersten Schnltage an getrennt würden. Damm
sei die allgemeine Volksschule eines der Heilmittel gegen die Ursachen der
Socialdemokratie. Die nationale Einigung des deutschen Volkes müsse zur
wahren Homogenität desselben ausgebildet werden, und diese bestehe nicht in
Uulieren Dingen, sondern in der (iemeinschaft der geistigen und sittlichen
Qmndlagen. Die Trennung der Kinder vom ersten Schuljahre an nach
Stttnden und Ckmfessionen sei eine kfinstliche, denn alle Moiisehen sind in
ihrem Wesen gleich und allgemeine Emporbildung zu reinem Menschenthum
ist Zweck und Aufgabt^ der Erziehung bei allen Menschen." Durch die all-
gemeine Volksscbule werde der Mensch za einem religiös-sittlichen Charakter,
der sein Eigenwol dem Wole des Ganzen unterordnen und sich, wenn auch
die Bildungs- und Bemftwege auseinandergehen, doch als OUed dee nationalen
Ganzen fühle. Durch sie werde der Classenhass verbannt nnd edler Gemein-
sinn unter den Gliedern der Nation erzeugt. Es werde durch sie zwischen
reich und arm ein Band gegenseitiger Liebe und Wertschätzung geknüpft,
das Verständnis der Lebensverhältnisse der verschiedenen Stände unterein-
ander, vor allem aber der vertrauliche Verkehr von Person zu Person ange-
hahnt. Auch die besitzend« n ('lassen würden mehr Literesse an der Volks-
schule gewinnen, man werde kleinere Klassen bilden u. s. w. Auch werde
man Volkskindergärten einrichten. Ebenso werde sich mehr Verständnis für
die äußere Lage der Lehrer herausbildeu. Keduer geht danu zur Organi-
sationsfirage der deutschen Nationalsehule fiber, deren Unterbau die allge-
meine Volksschule zu bilden habe. Des Näheren begründet er dann noch die
folgenden Leitsätze:
I. I>ie Schule kann an der Lösung der socialen Erage dadurch mitarbeiten,
dass sie, soweit es die ilir zu Gebote stehenden Mittel gestatten, alle Glieder
der Nation zu mSgliehst vollkommener Entwiekelung ihrer körperlichen,
geistigen und sittlichen Kräfte im nationalen Sinn und Geist bringt und eine
Jugend erzieht, die frei ist von Standesvorurtheilen und erfüllt ist v(m edlem
Gemeinsinn und echter Vaterlandsliebe.
IL Die pädagogischen Vorbedingungen einer so gearteten Schulerziehung
künnen am vollkommeniteo crfUlt werden durch eine SchulorganisatiOBy durch
welche die AngehSrigen aller Stände naehlfltglichkeit zusammengeftthrt werden
und für den Übertritt aus den niederen Stufen in die hOheren durch den
organischen Zusammenhang aller Scliulanstalten Sorge getragen wird.
III. Aus diesen Gründen erhebt der IX. Deutsche Lehrertag folgende
Forderangen:
1. a) Staat und Gemeinde sollen für die gemeinsamen Bildungsbedürf-
nisse auch nur gemeinsame, allen in gleicher Weise zugäng^che Bildungs-
aostalten errichten.
b) Insbesondtr»' soll für den allen Kindern uothwendigen Elementar-
unterricht nur eine Art vou öti'entlicheu Schulen vorhanden sein nnd sollen
daneben auf Kosten des Staates oder der Gemeinde besondre Vorsdiul«!
für höhere Lehranstalten, Mittel- und höhere Mädchenschulen nicht errichtet
noch organisch damit verbunden werden. Die bestehenden Vorschulen sind
au&uheben.
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2. Auf diesem gemeinsamen Unterbau, der „allgemeinen yolksscbnle**^
bauen sich auf:
a) die BUrgerscbnle (niedere) nnd deren fji>rt8etxnng» die ForkbUdang»*
schale;
b) die liühere Biirgtischule (^Mittel-, lital- uud höhere Mädcheiifchule);
c) die bSheren Lehranstalten (Oben-ealschule, Gymnasiom n. s. w.).
S. Die Torhandenen EinriehtiiDgen, welche begabten tamema Kindern
den Besuch der höheren Lehranstalten ermöglichen (Befreiung von Schul-
geld, kostenfroio Alumnate u, s. w.) bedürfen einer weiteren Ausdehnung
und weiden der üÖenÜicUen und privaten Fürsorge empfohlen.
Der Vortrag wurde oft von stQrmisdiem Beifall unterbrochen uud zum
Sdilosse langanhaltend damit ansgeseichnet. (Wir bemerken, daas derselbe
zum Preise von 40 Pfennig in der Mejer-Markan sehen .Sammlung päda-
gogischcr \'orträge** [ Hit letVldJ erschienen ist.) Den von Scherer aufgestellten
Leitsätzen wurde ohne weitere Besprecliung zugestimmt.
Auch die IL Hauptversammlung aia Vormittag des 8. Juni wurde
mit dem Gesang einer Motette („UnermeasUch ewig ist Gott") o^ffhet. ^Die
Vorbildun^r der Volksschullehrer" liieß der erste Verhandlungsgegen»
stand, Rektor R. Rissmann, Berlin, der KNdntr. In bekannter klarer nnd
wissenschaftlich ruhiger Vortragsweise begründete dei'selbe die folgenden
Leitsätze:
1. Die gegenwärtige VorbUdnog des VolkssehuIIehren kann gegen-
über dra heutigen Anfordemngen an den Lehrerbemf nldit als geniigend
anerkannt werden.
2. Behufs einer zweckmäßigen Gestaltung derselben erscheint in erster
Linie eine solche Organisation der Lehi erbildnngsanstalten notbw endig, dass
dieselben im wesentliche nur der pUdagogischen Fachbildung zu dienen
haben.
3. Die als Grundlage der letzteren unerlässliche allgemeine Bildung ist
am zweckmäßigsten durch Absolvirung einer der bestehenden höheren
Büdungsaufitalten, vorzugsweise der Oberrealschule zu erwerben.
4. Es ist unerlässlich, daas die an Seminaren wirkenden Lehrer neben
der erforderlichen wissenschaftlichen Bildung andi eine durch eigene Er-
li&hrung gewonnene genügende Kenntnia des Volkaachulwesens besitzen.
5. Kino Sonderung der Seminare nach der Confession ihrer Znsrlinge
ist aus der Eigenart dieser Schulgattung nicht zu begründen. \ iehnehr
folgt aus der Auffassung des Seuüuai's als einer Fachschule die Einrichtung
paritätischer Anstalten.
6. Es em])lielilt sich, die Seminare an größeren Orten oder doch in
deren Nähe anzulegen, damit die an solchen vorliandenen mannigfachen
Bildungsmittel den Zöglingen nutzbar gemacht wcrdi ii kimiien.
7. Das Internat ist nicht als eine für die Erziehung der künftigen
Lehrer nnentbehrliehe Einrichtung, sondern lediglich als eine Veranstaltung
zur Unterstützung bedürftiger Zöglinge zu betrachten. In keinem Falle
darf die Hausordnung desselben eine solche sein, welche die Zöglinge von
der Außen w^-lt abschließen und die Entwickelung selbststäudiger Charaktere
hiudein würde.
8. Dem Volksschullehrer ist auf Grund seiner SeminarUldong unter
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Voraassetzuiig liervorragender praktischer Leistungen die Befähigung zur
Bekleidnng eines Schnlaiifiichtsainte« nuaerkennen.
Der Vortrag wurde äußerst bt ifullig auf^eoommeD; die Besprechung ge-
staltete sich ebenfalls selir li bliaft. Wir kfinnen nur ein paar der Redner
herausg:reifen: Hanptlelirer (.iressler, Hannen, der bekanntlich mit 5<) ilark
Urduuugsstrafe belegt wurde, weil er gegen den Zedlitz'scheu Schulgesetz-
entworf mehrmale Sffentlieh aafgetreten ist. Dieser Uraadie entsprang sonder
Zweifel auch der großartige BegrttBangsstunn, mit dem derBedner empfangen
wurde. Landtag:sabß:eordneter Lehrer Kalb, Gera, verwahrt die Schule
davor, immer und immer mit der Socialdemokratie in \'erbiii(hing gebracht zu
werden. Univemtätaprofeasor Dr. Rein, Jena, btimmt den Forderungen des
Vortragenden nicht nnr ans pädagogischeD, sondern aneb ans eocialpolitisolien
Gründen zn. Schnlinspector S c h e r e r , Worms, will als Vorbereitnngsaaatalt fBr
da« Seminar die Oberrealschnlo statt der von Rissmann ursprünglich genatinten
höheren Bürgerschule aneikannt wissen. Reg.- und Sriiulratli Soliöjijja. Map^de-
borg, hält an der Vorbildung der Seminaristen auf Präparanden-Austalteu test,
deren VerlwsBenuig er firdlieh für nOthig eraehtet. — Aodi beim sweiten Gegen-
stande der Tagesordnung, „DieBehandlnng der verwahrlosten nnd sitt-
lich gefährdeten Jogend" von Lehrer und Redactenr Helmcke, Magde-
burg, müssen wir uns vorgeschriebener Küree halber begnügen mit Wieder-
gabe der Leitsätze, die keine Besprechung, wol aber im allgemeinen Zu-
stimmung erfuhren. Sie lauteten:
1. Nnr eine sorgsame Erziehung, nicht aber eine einzdne Strafe, die
bloa ein Glied in der Kette der Eniehnngsmaßnahmen sein kann, vermag
einem sittlich verdorbenen oder peflUirdeten Jui^tMKlli'hPu diejenige sittliche
Reife und ( harukterstftrke zu verleihen, welche alleiu auf die Dauer von
Strafthateu abhält.
2. Ans mehrfachen erziehlichen GrSnden mnss die Straftmmfindigkeit
mindestens bis zum 14. Lebensjahre ausgedehnt werden.
B. Snwn] ülier bereits sittlich verwahrloste Kinder unter 14 Jahren,
ganz fjh'icli. oh iliie Verwahrlosung bereits in einer Stratthat Ausdruck ge-
funden hat oder nicht, als auch über solche Kinder, deren sittliche Ver-
wahrlosnng zu befOrdliten steht, weil bereits AnflUige derselben deutlich
erkennbar sind oder die Persönlichkeit der Poltern oder sonstige VerlklUtnisse
eine solche herbcifilhren müssen, ist staatlich ftberwachte Erziehnog zn ver-
hängen.
4. Die Aufgabe jeder, also auch der staatlich überwachten Krziehung
ist die Heranbildnng eines sittlich toten Charakters. £• mnss daher mUg'
lieh sein, diese Erziehung, felis nicht Mher die Gewtthr einer weitermi guten
Führung voihanden ist, bis zum 20. oder 21. Lebanyahre, der Heeres-
pilichtigkeit der miliinlichen Jufr< nd, auszudelnien.
5. Auch für jugendliche \'<'i \valulo8te zwischen 14 und 18 Jahren ist
die staatlich uberwachte Erziehung als erstes Mittel zu ihi'er Besserung ins
Auge zn fassen.
6. Eine gerichtliche Freiheitsstrafe als Zntatzstrafe ist bei den mit
derselben verknüpff- n lifibMikr-n allein dann empfehlenswert , wenn nur
durch eine voranjjehende bedeutende Erschütterung des Gemüths ein Ein-
gehen auf eine erziehliche Einwirkung ermöglicht odei- duich die Aussicht
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anf einen Ei iaßs der nachfolgenden Strafe die Wirksamkeit der erzielüichea
Uaflnahmen nntenttttst wefta kann.
7. Da das Beispiel den naeUialtigsteB EinfliiM antttbt» so mnss die
Strafhaft auf jeden Fall so gestaltet werden, daaa nachtheilige Einwirknngen
femgehalten werden.
8. Die staatlich überwachte Erziehung mnss im allgemeinen Anstalts-
erziehong und kann nnr aasnahmsweise In bestimmten leichteren Fällen
FamilienerEiehnng sein, weil solche nicht in aosreieheodeni Kalle beschafft
werden, weniger Sicherheit für einen Erfolg bieten nnd schwerer überwacht
werden kann.
0. Um dem ('bei der sittliclien Verwilderung' so viel als möglich auch
die ersten Quellen zu verschließen, ist die obligatorische Einführung von
Krippen, Kinderbewahraostalten nnd Einderhorten erforderlich.
10. Die Erziehung der Jugend, welche verwahrlost ist oder sittlich
geHlhrdet t rsdieint, mnss durch ein Reichsgeseta in den oben beseichneten
Umrissen geregelt werden.
Damit war die l'agesordnuDg erledigt und der 1. Vorsitzende schloss die
Verhandinngen mit dMi fiblichen Daokesworten.
Soll ich diesem kurzen Berichte ein Urtheil ttber den Verlauf der Ver-
sammlnng anhängen, so kann ich dasselbe nur daliin znsammenfMsen, dass sich
der deutsche Lehrertag suwol in ßezng auf die Verhandinngen, wie auch im
äußeren Verlauf durchaus würdig gestaltete.
M Sge er reichen S^en fttr Schnle and Lehrerstaad Im Oelblge haben !
Wilhelm Heyer, Duisburg.
Ans Preußen. "^Vir blieben nicht in Canossa! Ein Flüarelschlag des
Hoheuzollern-Aars wehte das dunkelste Blatt unserer Zeitgescliiclite fort und
trug uns über die düsteren Mauern hinweg, welche das deutsche Volk ein-
schlieAen soUtoi. Der Cultnsminister von Zedlits verschwand ssmml sehiem
Unterrichtsgesetz wie in einer Versenkung; wir aber athmeten erleichtert anf.
Wie tröstlich und wie traurig zugleich! Da?s es erst eines Wortes aus des
Kaisers Munde bedurfte, um das Machwerk hiei arclii.si her nnd reactionürer
Mächte zu beseitigen, ist nicht so schmerzlich, als dass dieses Machwerk unter
den Augen des Kaisers ttberhaupt das Licht der Welt erblicken konnte. Trtetlich
aber war es, dass das Kaiserwort gesprochen wurde, ehe die Sonne diesen
Gesetzentwurf, den die Blitsstrahlen der Volksstimmnng versengt hatten,
beschien.
Dürfen wir nun ruhig sein und sorgloser Beschaulichkeit uns hingeben?
Nichts wBre thSiichter nnd verderblicher! Der traurigste Oesetsentwnrf, der
je aus den Bäumen ^es deutschen ünterrichtsministeriums hervorgegangen,
ist zwar gefallen und hat in dieser Form auf keine Auferstehung zu hoffen.
Aher die Kräfte, denen er sein kurzes und rnhmlopos Dasein verdankte, sind
geblieben und suchen unaufhörlich nach den Punkten, wo sie mit Aussicht auf
Erfolg ihre Hebel ansetzen können. Freilich werden sie entschlossenem Wldtr^
Stande begegnen bei einem Bfirgerthum, das, aufgerüttelt aus triger und trO-
gerischer Ruhe, mehr als sonst seiner Pflicht und Kraft sich bewusst geworden
ist, bei einem Lehrerstande, welcher mit Ausnahme der unter hierarchisclier
Vormundschaft Stehenden und einiger geistig oder sittlich verlotterter Creaturen
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nidits wissen will von einer Knehelnng ä la Windthorst-Stöcker; aber sie
linden andererseits auch treffliche Stützen in einer GesellBchaft, die vielfach
von moralischer ITäaluis benagt, vom Parteizwist durchwühlt, von roher Grenoss-
•idit mumrwt, von bUSder Knnioiillgkeit belluigai itt. D» wird m tat
dfHger und «diilltiidflr Thfttigkelt bedflrfeo, w«zm
unserer Zustände tewfrlct, eine Wiederkehr Zedlitz'scher Vorschläge in anderer
Gestalt und Einkleidung- verhindert werden soll. Mf5g-e daher die Lehrerschaft
wachsam und besorgt sein, dass die Vertheidiger der freien Schule ihr Ol auf
der Lampe haben!
llu hat in der prenSlMhen Lehrer preeso den Aueprodi fethu, es lel
nunmehr auf den Erlass eines Dotationsgesetzes mit aUen KfIfteB hin-
zuarbeiten. Wir sind damit e^anz einverstanden. Die VorhesseruDg und gesetz-
liehe Sicherung des Lehrer-Einkommens ist in Preußen eine der allerdring-
lichsten Angelegenheiten. Und dass es nicht möglich ist, ein vollständiges
Unterrichtsgeeets mit einemmnl teaitig m bringen, wird wd «idlieh all-
gemein zugestanden werden. Diese Ansicht ist so verbreitet, dass sie bereite
in der Formel Ausdruck gefunden hat: „Jeder prenßisclie Cultusminister, der
sich an ein Unterrichtsgesetz heranwagt, muss seinen Abschied nehmen." So
sagt der trefiflicbe L. Clausnitzer iu der „Preui}. Lehrerztg.'', und er nennt
das ein Natnrgeaete, gegen welehee niemand ankämpfen icftnne. Ea liegt danm
nahe genug, die stäckweise Ldsung der Aufgabe za verlangen und die Erledi-
gung der Dotationsfrage als nächstes Ziel anzusehen. Aber was kann die
preußische Lehrerechafr von einem Dotationsg-esetz erwarten, das bei der
jetzigen Zusammensetzung des Landtages zu stände käme? Sollten die Par-
teien, welche für den Zedliti'aefaen Bntwnif einsntreten entaefaloaaen waren,
den Lehrern ihre Haltung gegenftber jenem Entwarf veneihen? W&rden sie
nicht vielmehr in ein Dotationsgeeets ihre Quittung und ihren Dank mit
Lapidarziigen einschreiben, so dass den Lehrern die Freude verginge?
Nach unserem Dafürhalten müssen die preußischen Lehrer weiter warten,
wie aie bisher warten nraaaten. Es ist eine eiserne Nothwendigkeit, welehe
nur dnreh groSe Ereignisse beseitigt werden kann und — beseitigt werden
wird. Durch den gegenwärtigen Landtag werden, dank der clerlcal-conser-
vativen Mehrheit, die Wünsche der Lehrerschaft niemals Befriedigung finden,
üb es bei einem zukünftigen, anders zusammengesetzten, Landtag anders sein
wird, wollen wir nicht vorhersagen. Dass aber dann, wenn anscheinend unaos-
Ueibliche, heftige Stflrme nnser Lend nnd Volk ersdittttert haben — Gett
verhüte es! — und wenn die Nation sich daran macht, wied. i aufzubauen,
was des Wetters Wnth zerknickt — dass dann unser Xolk des Lehrers Wert
und Lehrers Arbeit besser als heute .schiltzen, dass es dann seine alten Schulden
dem Lehrerstaude bezahlen wird, ist unsere felsenfeste Überzeugung!
Was kann also die Lehrersehaft bot Zeit thnn? Soll sie hoffen nnd harren?
Nein, sie hat keine andere Wahl, sie kann nur warten nnd arbeiten! Arbeiten
wie bisher in pflichtgetrener Weise, ausdauernd, selbstlos. Jeden Anliiss be-
nutzend, welcher der Schule und ihr selbst förderlich sein kann, soll sie
lebendigen Antheil nehmen an allen Bestrebungen, die den idealen Gütern
unseres Onltnr- und Tolkdebetts dienen wdlen. Wir denken dabei besonders
an die lUtarbeit in den Vereinigungen, welehe die Veredelnnf nnd Bildung
des Volkes snm Zweck haben« ünanfhSrlich soll die Lehrersehaft aber aueh
FlidiiofluB. 14. Jabif . Heft Z. 46
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bestrebt sein, das Volk und seine Vertreter iilur das, was das wahre Wol
der Schule erheischt, aufzuklären. Die diei^älirige Erinnemngsfeier an J. A.
Oomenint bot in ^eaer HiMidit eines treffUcfaen Anlcnfipfangspunkt, und wenn
die Lehfer ibenll eine eo gvte Gdegenbeit za benutzen ventenden haben,
80 werden sie manches Samenkorn in fruchtbares Erdreicli gestreut haben.
Ebenso nützlich kann auch durch Veranstaltung von Versammlungen, pädago-
gischeu AussteUnng^n, geeignete Abhandlungen über pädagogische Fragen von
allgemeinem Interesse gewirkt weirdeo. Unter dieeem Geaiiditqninkte Atfeea
wir VerOffentUchnngen wie di^enigen Aber den prenBieelien UnterrieiitegeeetB-
entwnrf (Tews), über Beobachtungen in pädagogisch fortgeschrittenen Lindem
(Ewald's Bericht über eine Studienreise nach der Schweiz) u, a. auf.
Die Stimmung der preußischen Lehrer, soweit dieselben am öffentlichen
Leben Antheil nehmen, ist augenblicklich nicht so trfibe, wie tonst. Hatte
flinen edion der Fall der „lex Zedlits** die tieftte TTnmntlislUte von der Stirn
gescheucht, so riefen zwei andere VorkommniBie auch noch ein paar freund-
liche Linien in ilirem Gesichte liers'or. Der neue Cnltusminister Dr. Bosse
ist ein Freund der allgemeinen Volksschule! In dem Augenblicke, in
welchem die deutsche Lehrerschaft sich anschickte, in größerer Versammlaug
sn dieeer Frage Stellmig zn nehmen (uf dem Leiirertage in Halle), benntcte
der Minister eine Verhandlung über die GehaltsTerhUtnlsse der Lelirer an
nichtstaatlichen höheren Lehranstalten, um sich ganz unzweideutig gegen die
Vorschulen und für die allgemeine Volksschule auszuspreclieu. Ganz die-
selben Gründe, welche die Lehrerschaft für letztere geltend macht, spricht
der MiniBtor aaa. Wae aber die Lehreneliaft nidit TcmMdit liat» aneh nieiit
mit ffilfe eines der Iterverragendsten Pariamentarier der G^nwart — nämlich
des Abgeordneten Bickert, der in der Commission zur Vorberathung des
Zedlitz'schen Entwurfes einen Antrag auf Einschränkung des Vorschulwesens
stellte — : weitere Kreise zur Besprechung und Klärung des Gegenstandes zu
▼eranlassen, das haben wenige Worte des Uinistera Temedit Eine in neuerer
Zeit ersehienene Schrift Uber die allgemeine Velkaaehnle, dnrdi Kflcw nnd
über8iclitlic]ie Zusammenstellung des einschlägigen Materials zur Einführung
in die Sache namentlich für Niclitlehrer geeignet, war sehr vielen TagfsblJtttem
zugestellt worden; sie wurde im großen und ganzen todtgeschwiegen. Die
Worte des preußischen Unterrichtsmiuisters wird man nicht todtschweigen!
Allenthalben erhebt sieh die DlMoasion über die allgemdne Yolksschnle. Die
Beschlüsse des Halle'schen Lehrertages werden hoffentlich ein lebhaltea "BdlO
finden. Diese Erwartung nnd der Verlauf der ebenerwähnten Versammlung
können wol als lichtv<dle Augenblicke in dem sorgenreichen Dasein der Tit hrer-
schatc angesehen werden. In Halle war wiederum der Kern des deutschen
Lehrentandes vertreten, nnd wiederam leigte es sieh, dass die planmäBige,
stetige Arbeit in unseren Lehrervereinen das vorzüglichste Mittel ist, um die
Meinungen und Bestrebungen der Mehrheit zu einem deutlichen und klaren
Gesammtausdrnck durchzubilden. Map: imuierhin noch manches daran zu be-
mängeln sein: dem aufmerksamen Beobachter wird ein sicherer, wenn auch
langsamer Fortschritt nieht entgehenl Wie fein nnd doch wie wiriisam war
die Abwehr, wdche der diei^fthrige Lehrertag den aaf Herabdrttcknng der
Lehrerbildung gerichteten Bestrebungen zu theil werden ließ! Welch klag-
liche BoUe spielen gegenüber der lichtvollen, überzeugenden und auf die H^en
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des menschlichen Denkens hinaufführenden Rede über die Lehrerbildung (R.
Rissmann- Berlin) jene Männer, die in kurzsichtiger oder boshafter Ver-
leundang des beutigen Lehrerstandes and Verschiechterong des Lehrerbildangs-
wetens ihre AdSptb» «ffdiokenl Und mit genehter BeWedigung konnte et
wol Jeden Thdinehmer erflillen, wenn erZenge wer, in welcber dnidHäUngen-
den nnd geradezu vornehmen Weise einer der höchsten und einflnssreichsten
Schnlbeamten Preußens durch den einfachen Volksschullehrer berichtigt wurde.
Denn kein Geringerer als der Wirkliche Geheime Ober-Regierongsrath Dr.
Sehneider, Mitarbeiter Falk'« und Verftuser der „Allgemeinen Bestimmungen*
Ton 1872, hatte vor wenigen Wochen im Ahgeordnelenlianae Änfierungen lUUen
lassen, welche die Befürchtung hervorriefen, es kOnne in hohen Regionen eine
Verringerung der Lehrerbildiinpr in Preußen geplant werden. Ein reactionär-
conservativer Landrath liatte im preußischen Abgeordnetenhause seiner Auf-
üusang über Lehrerbildung in einer Weise Aasdruck gegeben, dass jedem
Leiurer die BBthe des Zoniee nnd der Entrllstang ins Angesicht steigen mnsste,
und — der anwesende Vertreter der Königl. Staatsregierun^, der Wirkliche
Geheime Ober-Regierungsrath Dr. Schneider, von dem die Lehrerschaft eine
ernste Zurückweisung derartiger Äußerungen erwarten durfte, trat dem
Redner nicht nur nicht entgegen, sondern bestätigte bis zu einem gewissen
Umfange dessen Anschauungen. Er beceldmete „das Haß des poeitiyen Wissens,
was auf dem Wege znm Lehramt erreicht werden scdl" , als „nicht sehr wesent-
lich über das Maß des Wissens" hinausgehend, „was in einer guten mehr-
classigen Volksschule schon erworben werden kann.** Mehr konnten die
Treitschke, Gerlich und Genossen von einem Eegierungsvertreter nicht ver-
langen! Die Lehrerschaft ahw war in ihrem tieftten Innern getroflim. Olfick-
liehmvelse ftthlte Herr Dr. Schneider nachtrSglich,- was et angerichtet hntte,
und in einer ErkKlrnng des „ Reichsanzeigers " wurde den ans seiner Auslassung
hervorgegangenen Befürclitungen, freilich etwa 2*/ , Monate verspätet, mit der
Versicherung entgegengetreten, „dass an eine Änderung der allgemeinen Be«
•tinimangen tou 15. Octoher 1872, sowie ttheriumpt an eine HemhdrSehong
der Lehierhüdnng nicht im entAmteaten gedacht wird* . Der Halle'sehe Lehrer^
tag hat hierauf die Antwort gegeben. Sie geht dahin, dtiB die bisherige Art
der Vorbildung des Volksschtillehrers den heutigen Anforderungen an den
Lehrerberuf nicht mehr genügt und dass eine zweckmäßigei'e Organisation
des Lehrerbildangswesens nothwendig ist.
Wird BIssmann's wirkungsvoller ICahnmf, den der 9. deutsche Lehrertag
sich za eigen machte, ebenso nachhaltig und erfolgroich für das Lelirerbildun ge-
wesen in Preußen sein, wie es einst ein ähnlicher Ruf des Herausgebers dieser
Blätter f&r das Königreich Sachsen gewesen ist? -S«
Ans OstprenBen. Am 9. Hai Merte der KOstpreoAische Provinaial-
lehrerverein das 50jährige Amt^'ubiläum seines liebenswürdigen und hoch-
verdienten Vorsitzenden, des Herrn Hanptlehrers R. Meier in Hufen bei
Königsberg. Von allen Seiten, nicht nur aus der nikhsten Umgebnnyr, sondern
auch aus weiter Ferne erhielt der wackere Jubilar Uberaus zahlreiche Zeichen
nnd Knndgebangen warmer Anericennnng nnd aofriehtiger Hodiachtnng, nnd
das Fest verlief in würdigster nnd erhebendster Weise. Um nnn dem Eindruck
nnd geistigen Qehalt desselben Dnner nnd weitere Verbreitang cn verleiheD,
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hat der Vorstand des Ostpr. Prov.-Lehrervereins nnter dem Titel „Meier-
Albom'^ eine Festschrift beraasgegebeD, welche das Bildiüs des Jabilars, die
Biographie deanlbeDf teuer eioe Wttrdignng seiner Verdienate «m den Lelirer-
■tend, eine Darvtellnng seiner Wirinamlieit als Bedactenr nnd pädagogliclier
■Schriftsteller, sowie die demselben zum Jnbilänm gewidmeten Huldi^nnpen
enthSlt. Dieser wertvolle und schöne Inhalt der Festschrift einerseits, der
wolthätige Zweck, dem der Ertrag desselben gewidmet ist, anderseits lassen
hoffen tmd wünschen, dass sie recht viele Frennde und Abnehmer finden mOge.
ICtn erhalt dne „Heier-Albnm*' portoftel gegen Kark 1,20 ▼om Oeaiirsr den
Ostpr. LehrerverelnB, Henn Lehrer Oimbotb in KiBnigiberg.
Aas Sachsen. In nnserm letzten Berichte des Juniheftes ist leider ein
Irrthnm enthalten, der liiermit richtiggesteUt werden mOge: Das Gesetz über
,,dle OehaltsveriiUtniBae der Lehrer an den Volkasehnlen'*, datirt vom 4.]lai 1892,
ist — nebst den Pensionsgesetzen — vor kurzem im „Verordnungsblatt für
das Königreich Sachsen" veröffentlicht worden, und wir sehen (mit Er-
staunen!), dass §. 4, welcher die Alterszulagen regelt, zweierlei Bestim-
mungen über dieselben trifft. Die Normirong der Dienstalterszulagen, wie
sie Seite 581 — 82 dieses Jahrg. daigeateUt iat, gilt nimlich nur für „sttadlge
Ldirer an Volksschulen, welche mehr als 40 Kinder zAlden"; denn §. 4
enthält sodann folgondin Passns: „Der Gehalt ständig-er Lehrer an Volksschulen
von 40 nnd weniger Kindern ist in jedem der angegebenen sechs Abschnitte
ihrer Dienstzeit um 75 Mark zu erhöhen." Dieser Absatz war, wie Seite 582
-angegeben, in dMi Lnndtagsverhandlangen bek&mpft wordra anf Grand der
-Tiiatsache, dass es z. Z. nur 49 solclier Schulen im Lande gibt, in diesen 49
Orten aber nur 30 ständige Lehrer angestellt sind, während in den 19 übrigen
Hilfslehrer den Schnldienst versehen, die nach Avenigen Jahren in andere
Stellen übergehen, woraus sich ergibt, dass infolge der bisherigen geringeren
Ausstattung dieser 49 Schnlstellen ni^t genug geeignete LehiMfte für sie
En find«! gewesen sind. Dennoeh Ist nicht der Meliriieitsantrag der Finanz-
deputation, der den Passns streichen wollte, sondern der Antrag der Minderheit
angenommen worden. — Es ist schade, dass diese Berichtigung nothwendig war,
nnd dass man also — einen Unterschied mehr hat bestehen lassen! Doch
mnss ja nnseren Wttnschen etwas fihrig bleiben I Noch will ich bemerken, dasa
mir der Irrthnm nicht nnterlantei wire, wenn mich nicht das sonst v5Uig an-
vwUssige Amtsblatt der Residenz ausnahmsweise falsch unterrichtet hätte.
Im übrigen war unser Bericht vollstÄndig wahrheitsgetreu, und es bleibt nnr noch
hinzuzufügen, dass sowol das I'ensions- als das Gehaltsgesetz (rückwirkend) be-
veitM mit 1. Januar 1892 in Kraft getreten und neuerdings auch von einigen pft-
dagogischen Blftttem ihrem vollen WorUante nach abgedruckt ist: „Skdis. Schul*
seitung* Nr. 21 und 22. ^Pädag. Revue" (Wurzen-Leipzig, Ad. Thiele) Nr. 86.
Dem Gesetz, wie es nun im Verordnungsblatte steht, sieht man es nicht
an, dass es viel Kani]»f gekostet hat, dessen ich keine weitere Erwähnung
gethan habe, weil die geehrten Leser des ^.Piedagogiums" längst wissen, dass
nichts, wenigstens nichts Gutes ohne Kam])f gewonnen wird. Da ich Jedoch
einmal am Schreiben bin, will ich hierüber noch ein Wort nachtragen: Ver-
hältnismäßig nobel ging es in der zweiten Kammer her bei den Berathnngen
über die nLehrervorlagen."^ Wir haben aber auch eine erste Kammer^
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welche dem preußischen Herrenhanse mit seinen Junkern gleicht, und in dit^ser
wurde bei der Schlussberathung am 31. März etwas Erkleckliches geleistet
an anmotivirbaren Augriffen auf den Lehrentand. Es traten drei Kammer-
bemii Mf, d«nii erster doreh eine i^endeni nnbtndige nnd banale Bede die
Lelinr zfthmen wollte; ee wurde diesen Rednern aber wenigstens von einem
sehr vernünftig, wenn auch zu maßvoll nnd zartfühlend entgegnet — vom
Herrn ünterrichtsminister. Von den drei Kammerherren könnte man, Uhland
varürend, sagen: So standen sie da „and sprachen, die drei'', doch kam nichts
GeididtM hemoB dabeil Damm wäten wir uns andi nieht weiter damit be-
fiwsen, sondern blos noch bemerken, daM ilire Namen, die jedenfalls in „kein
Lied, kein Heldenbuch" übergehen werden, sowie ihre Worte, die sich von
selbst richten, schon durch die „Allgem. Deutsche Lehrerzeitung" (92, Nr. 18,
Seite 175 — 76) der Öffentlichkeit unterbreitet worden sind.
Naeh den Ergebniseen der Abgangsprüfungen der hSberen Lehran-
stalten Sachsens ist der Besuch der (lateinlosen) Realschalen in stetigem
Wachsen begriffen. Es zeigt sich, dass der Besuch der Gymnasien, während
die Frequenz der Kealanstalten ununterbrochen zunimmt, seit 1886 in stetem
Rückgang begriffen ist, sowie dass die Schülerzahl beider Arten von Real-
amtalten zosammengoiommen die SditUenahl der Gymnasien aHflihrIloh flbeiv
flteigt and dieses Übergewicht der Bealanstalten in finrtwUirendem Waidisea
ist. Hitthf'ilungen aus Preußen besagen, dass man von der einseitigen Forde-
rung des humanistischen Unterrichts jetzt auch dort zurückkommt und bestrebt
ist, die der Vorbereitung filr den praktischen Lebenslauf dienenden iateiulosen
BentaohvIeB n vermehren.
AnflUlend ist die Thatsaehe, dass in keinem Jahre ein so anBerordent-
licher Zudrang za den sächsischen Lehrerseminaren stattfand, wie Ostern
1892. (S. „Pfedagogium" Februarheft 1888 und Jnniheft 1890, Rundschau!)
Die Ursachen dieses Andranges mögen jedenfalls folgende sein: Der z. Zt.
«toekende Geseh&ftsgang in Handel und Gewerbe; die von der Regierung und
den Standen besehlossene materielle BessersteUnng der Lehrer, ihrer Witwen
and Waisen; ein genaueres Bekanntworden dsrYortheile und Vergünstigungen,
die durch die Einrichtangen der Seminare g-ewilhrt sind; der Umstand, dass
die Seminare wenigstens zu den höheren Lehranstalten gerechnet
werden (Gesetz über die Gymnasien, Realschulen und Seminaie von 1876),
■ obgleich ihr Abf anirss^nsrnis nicht nun Einj&hrig-FreiwUligendienst berech-
tigt nnd also dem der übrigen höheren Schalen nicht volkommen gkidiwertig
erachtet wird; endlich die Möglichkeit, unter gewissen Bedingungen (wenn die
1. oder die „IL Censur mit Empfehlung'^ erlangt wird) zam Besoche der
Landesaniyersität überzugehen u. a. m.
Aas dem GroBhernogthnm Baden. (Ende KaL) Ein alter Sata, der
sich auf Erfahrung gründet, besagt, dass man die Culturhöhe der Leiter von
Staats- und Gemeindewesen an dem Interesse, das sie dem Schulwesen ent-
gegenbrächten, mit fast apodiktischer Sicherheit erkennen könne. Dieser Satz,
Mf Beden angewandt, iteUt ihm das gttnstigste Zengnis ans. An 6. Hai nahm
die I. badische Kammer den tob der H. Kammer benthenen nnd einstimmig
angenommenen neuen Schnlgesetzentworf ebciifhlls einstimmig an, ohne
irgendwelche Ändemngen an demselben votgenommen an haben. Die Sanction
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dieses Gesetzes durch den schal- und lehrerfreundlichen Landesherrn, welcher
vor wenigen Tagen (am 29. April) auf eine reicljpesegnete vierzigjährige
HegieruQg zurückblicken konnte und dem ohne Unterschied der Parteien alle
Heraen BehNrUoterfhaneii in dankbanr liabe «Bd Venimiiig entgegenachlagen,
•teht unmittelbar bevor. Der Berichterstatter der Commission der I. Kammer
betonte in seinem Schlnsswort, dass das Gesetz, welches die rechtliche und
finanzielle Lage der Lehrer regele, eines der wichtigsten der ganzen Tagung
Bei; wer die Schale habe, dem gehöre die Zukunft. Die Wünsche der Lehrer
würden durch das Ocaete, soweit es mOglleh gewesen, erflUlt. — Wir stimmen
dietoi Worten bei und bekennen mit Frende^ dass die badiaehe Lehrerschaft
— angeachtet einer verschwindenden Ausnahme deijenlgen Eateg:orie, die ihren
Verstand nicht durch Nachdenken zu beHlstigen pflegt — mit dem neuen Gesetz
zufrieden and den Factoren, die am Zastaadekommen desselben mitwirkten,
im Daaka *?ifpllidktet lat Waui anoii ludi Bkht «IIa bsnchtigten Wfinaehe
der Lehrer in dem In Bede stehenden Qesetse erfUlt sind, ao moas doch an-
erkannt werden, dass dasselbe einen colossalen Fortschritt bedeutet, insonder-
heit in Bezug auf die „rechtliche und finanzielle T/age" der Lehrer. Uns ist
kein deutscher Staat bekannt, der in gleicher Weise seine Schalgesetzgebung
in zeitgemäBer Richtung so gestaltet h&tte, wie, um mit Hem yon Zedlitz zu
reden, der wUberala Hnatentaat Baden*. (Waa indeaaen diaaa BcseiefanuBg
betrifft, so wtm eonstatirt werden, dass sie — den oitpreußischen Kraut- und
Schlotjunkern rnnservativer und muckerischer Sippe zum Trotz — bezüglich
des neugeordneten Volksschnlwesens vollkommen zutreffend ist.) Vor allem
müssen wir den noblen Ton, die würdige und wolwollende Art der Abgeord-
neten beidw Kammern wihiend der Bemthung dea OeaetMs lobmd erwUinen;
stets wurde die Arbeit der Lehrer, das Verhalten derselben, ihre in Petitionen
niedergelegten Wünsche etc. in freundlicher, ja zustimmender W^eise be-
sprochen; die einzelnen l'arteien wetteiferten geradezu, einander zuvorzu-
kommen. Dies war früher nicht immer zu constatiren. Wenn auclt einzelne
Parteien (namentUeh die ultnmontane) dieamal vielleieht Nebenahaiditen ge-
habt haben mOgen, so indert dica an dior Thatsache nichts. Dem einmUthigen
Wol wollen der Abgeordneten ist es auch wesentlich zu danken, dass die Begie-
rnner, die anfangs aus finanziellen Rücksichten hartnäckig eine von der II. Kammer
gestellte bedeutende Mehrforderang nicht bewilligen zn kdnnen meinte, doch
endlieh nachgab. Wlenachtrilgliehbekannt wird, war der HanptgegnerFinanx< '
■riniafeer Dr. EUatttter, weldier troti Steuerfiberaohfttaen «kein ehrlatUdi Hers
im Busen fShlte" ; einem on dit sufelge, wurde ihm doch zuletzt „das Herz
bezwungen", als der (Tinßhorzncr seinen lehrerfrenndlichen Wunsch und Willen
geäußert und sämmtliche Abgeordneten energisch auf ihrer Forderung beharrten.
— Die definitiv angestellten Lehrer erhalten sonach 1100 Mark Aufangsgehalt
■nd stdgen Yon drei au drei weiteren Diensljahren um Je 100 Hark Ua cum
Höchstgehalt von 2000 Mark. (Der Begiemngsentwurf — vergl. „Paedagogium**
VI. Heft, Seite 387 flf. — hatte nur 1000 Mark Anfangs-, 180()Mark Höchst-
geh.'ilt und ein Vorrücken von vier zu vier Jahren um je 100 Mark gefordert.)
Außer diesem Gehalt hat der Lehrer freie Dienstwohnung oder einen pensions*
ikhigen „Woiinnngageldsnsohun'', welcher — Je naeh den drei Ortaelaieen —
860, 210 oder 155 Mark betrftgt, zu beanspruchen. Die Vergütung Ar Ver»
aekuag dea Organistendienstes, daa Honorar filr die drei FortUldungiachnl-
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Btnnden (ä Stunde p. a. 50 Mark), die Bezüge für jede über die g^esetzliche
Höchstatahl hinaoa ertheilte wöchentUdie Unterrichtsstunde, ausgenommen Turn-
imd ArbeitMintenieht, fllr waldie jfthrlieh nur 26 Hark — Ar SohideD, in
deaai l«r TBnimtarrlBht nicht auf das ganze Jahr sich erstreckt, nnr 15 Mark
ffir jede Wochenstunde — vergütet wird, bilden das nichtpensionsfuhige Neben-
einkommen. Definitive LfChrerinnen, sowie die nicht etatmälligen Lehrer
(Lehrerinnen) erhalten die in dem Eegierungsentwurf vorgesehene „ Verg^tang".
(Kein „Gehalt" ; „Gehalte" beziehen nur die etatmAttgw Beunton; „Beioldanff'*
hekanmen nnr die vom Qftothmog ernuinten Beamten [Minitter ete.]; »Ah-
wechselnng ergOtzt") Alle tttvigen, im Schnigesetzentwnrf auf das Einkomnen
bezüglichen Propositionen erhielten Gesetzeskraft, ausgenommen die „t?l)er-
gang^bestimmungen". Letztere wurden auf Antrag der Abgeordneten-CommiBsion
so geregelt, dass definitive Lehrer mit 15 Dienstjahren sofort 1300, mit 20
Dlene^ahren 1400, and mit je weiteren 5 Dleae((iahrea 100 Mark mehr bis
zu 2000 Hark erhalten. Die nnatlndigen Lehrer treten sofort in den nenen
Gehaltsbezng ein. — Die Pensinns- nnd Witwenbezüge (cfr. „Psedagogium"
S. 388!) richten sich nach den Bestiniiiiungen des „ Beamtengesetzes", welchem
die Lehrer als ordentliche Staatsbeamten unterstehen. Zur Ergänzung sei noch
angefügt, daai die deflnitiTe Anetellong eines Lehrers nnr naoh erfUgfeiclier
Ablegung der „Dienstprüfnng für einfache oder erweiterte Schulen" mdgüeh
ist; diese Prüfung kann nach Verlauf von drei Jahren nach der Entlassnng
aus dem Seminar gemacht, muss aber nach Verfluss von sechs Jahren mit Er-
folg bestanden werden, wenn nicht die Streichung des Candidaten aus der
Candidatenliste erfolgen soll. — Die definitive AnstelUng riehtet lieh
nach dem jeweiligen Bedarf, d. h, nach den ▼orhandenen vacant gewordenen
oder neu errichteten Stellen; nach bestandener Dienstprnfnng hat jeder Lehrer
das Recht, sich um eine — zur Bewerbung: ausgeschriebene — etatmäßige
Stelle zu bewerben; „jedoch kann mit Zustimmung der betreffenden Ortsschnl-
behSrde aaeh eine fiesetning ohne Aossohrelbea statlündan". Vor der etat*
mifligen Beeetzong jeder dieser Stellen „ist der OrtsaohnlbehBrde Gelegenheit
zn geben, ihre etwaigen Bedenken oder besondere Wünsche zn Anfiern. Zn
diesem Zwecke wird der Ortsschulbehörde ein nach dem Dienstalter geordnetes
Verzeichnis der als Bewerber aufgetretenen oder sonst in Betracht kommenden
Lehrer (Lehrerinnen) mitgetheilt". (Das Durchschnittsalter der Lehrer bei der
definitiven Anstelhmg ist, wie das der übrigen Staatsbeamten, 26 bis 28 Jahre.)
In Bezug auf Versetzung der Lehrer bestimmt das Gesetz: „Anßer dem
Falle der .Strafversetzung kann die Versetzung eines etatmäßigen Lehrers ohne
dessen Zustimmung (Beamtengesetz §. 5) nur stattfinden, nachdem auch die
Ortsschulbehörde der Stelle, von welcher der Lehrer entfernt werden soll,
darüber vemonunen worden ist. Lehrer, gegen welche wegen unzAchtiger
Handlangen mit Schnlkindern, oder nach erlittener gerichtlicher Vernrthellnng
wegen eines die öffentliche Achtung entziehenden Vergehens Dienstentlassung
aasgesprochen worden, dürfen im Schuldienste nicht wieder verwendet werden."
Was die Benatzung der Schulgüter seitens der Lehrer betrifft, so
kann dieser sie in »Selbstbewirtsehaftong" nelimen, verliert aber dadoreh die
je nadi dreQihrigem Verflnss Allig werdenden Znlagen; beim Verzicht auf die
Benntznng der Schalgfiter steht es dem Lehrer zu, dieselben von dei- n< meinde
in Pacht zn nehmen. Hierdurch tritt das nnzweideatige nnd darchaus gerecht*
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fertigte Bestreben der Behörde zutage, den Lehrer lediglich auf die Thätig-
keit in seinem Berufe zu beschränken. (Die Pflege etc. des Schulgartens wird
nldit als SehnlgiitelMiiiitiiuig aii^i;elSutt)
Die neugesetzlichen Bestimmungen äber die Beaafsichtlgang der
Schulen und Lehrer haben in der badischen Lehrerschaft eine sogenannte
„gemischte Aufnahrae" gefunden. Das Gesetz kennt nur die „Fachaufsicht".
Dieselbe wurde aber bisher fast ausschließlich von Nichtfachmännern, nament-
Udi yon Theologen (soger von jungen CapUaen oder Vicaren), ausgeübt Wenn
eneh in neuester Zeit eine Änderung zum Beunein dednrch eingetreten ist, den
man „Reallehrer** zu Schulaufsichtsbeamten ernannte, so ist damit noch nicht
die Faclmufsicht als solche durch- und eingeführt. Wir meinen, dieselbe würde
nur dann thatsächlich stattfinden, wenn tüchtige und erfahrene, in der Volks-
eehvlpraxis etehende Lehrer so Beetarai und Ereimlielilthiii bemfui
Wirdes. Wir hegrfiflee daher trotz yielaeitiger und gegenthelUger Ansieht in
Lehrerkreisen die Bestimmang des neaen Gesetzes, wonaeh „fOr Volksschulen
mit mehreren definitiven Lehrern durch die OberschulbehSrde in stets wider-
mflicher Weise bestimmt wird, welcher der einzelnen dieser Lehrer die Stelle
des „ersten Lehrers** (Oberlehrers) einiDDehmen hat**. Dieser „erste Lehrer*
hat reetoratUche BeAigidaae und äte nnd Stimme im Örtlichen Sehiüvorataad.
(Der Schulvorstand besteht ans dem Bürgermeister — als Vorsitzendem — ,
dem „ersten Lehrer", aus je einem Pfarrer (Rabbiner und freireligiösen Pre-
diger; der im Orte vertretenen Confession und aus 2 oder 3 vom Gemeinde-
rath gewählten Bürgern.) Der „erste Lehrer" erhält eine Vergütung von 100,
besw. 200 Mark (vergl. „Fmdagogivm«, S. 3381). Mit dieser Bestimmnog ist
wenigstens — unserer Ansicht nach — der Anfang der Fachaufsiclit de facto
gemacht; aus der Zahl der „Oberlehrer" dürfte es dem Oberschulrathe leicht
werden, tüchtige Kreisschulrilthe auszuwählen, ohne eine Anleihe bei Fach-
lehrern (Reallehrern), die der Volksscbulpraxis durch Anstellung an Mittel«
■eholea entfremdet worden, oder bei Philologen nnd Theologen m machen.
Hoffen wir für die Zukunft von dieoer Einrichtung das Beste! Becht betrübend
ist es jedoch, dass man die Lehrer in denjenigen Städten, welche der „Städte-
ordnong** unterstehen, nicht für befähigt erklärt, eine Rectoratsstelle zu be-
kleiden; diese Befähigung wird nur akademisch gebildeten Leuten (dazu ge-
hören andibekanntliieli die Theologen) neikannt (cfr. „Pädagogium", S. 3891) — ,
mit welchem Becht freilich, — das Ist eine andere Frage, die wir Jedoch dies-
mal nicht näher erörtern wollen. Thatsache ist, dass diese Bestimmnag den
städtischen Lehrern ein testimoninm paupertatis ausstellt nnd in diesen Kreisen,
sowie in Bürgerkreisen Verstimmung bezw. berechtigtes Aufsehen erregte.
Anch in anderer Beziehung behandelt das neos Gesets die Lehrer in den
grMeren Städten stielhilltterlieh; snmeist ttberlMast es den hetnffBuden Stldten,
die nicht alle so schul- und lehrerfreundlich abid Wie Mwnhfil Und Carla-
ruhe, die Hesel dungrs Verhältnisse ihrer Lehrer zu regeln, f:o dass mindestens
das Gehalt, welches das (resetz uormirt, bezahlt werden muss; — es setzt,
wie die Petition des Lehrervereinsvorstandes (leider vergeblich) erbat, keinen
Höchstgehalt fest Fenier Ilsst das Oeeets es nicht m, daas — entgegen dem
Beamtengeseta — das von dem Lehrer bezogene Oehalt in diesen Städten voll
zur Anrechnung bei der Pensionimng kommt. Wenn die betreffenden Städte,
kraft des Gesetzes» Iceine Pensionszoschüsae gewähren, so müssen alte, seit
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Decennien in diesen Städten lebende ond wirkende Lehrer an ihren Lebens-
abenden die liebgewordene Stätte ihres jahrelaDgen Wirkens verlassen und
■leh Mf dflB Lande »mtedeln, da ea mmlig'Ueh ist, dan aie mit dam geaats-
lichen PeatioiisbeiDg ia den SUdtem bei den aUerbaaelieidanaten AnqRriUdiaa
leben können. Wir wollen indessen hoffen, dass die betreffenden St&dte, welche
80 rücksichtsvoll für ihre ((xeineinde-) Bediensteten gesorg^t haben, ihre verdienten
Lehrer nicht wie einen Mohren, der „seine Schuldigkeit gethan", behandeln
werden. Daa einzige Gate, welehea daa nenaOeaeta danliduim in den grSBeren
Sttdtoi bringt, iat die MUhnng daa Witwen- nnd WaiaengeldeB, wogegen ate
aber auch erhöhte Beitr&ge znr Witwencasse leisten mflssen. In dem Bewnsst*
sein aber, dass das ganze Lehrertbum durch das Gesetz g'efördert wurde, werden
die Stadtlehrer sich, so hoöen wir, nicht verbittern lassen, znmal die Städte,
besondera Hannheim, den Impols zu der Bezahlung der Lehrer nach dem Dienst-
alter gaben nnd aleheriieli aaeh die etwihnte, effsnbare Hlite dea Oeaetaea
anagleicben werden.
Über die Schulpflicht der Kinder bestimmt das Gesetz (§. 2): „Das
schulpflichtige Alter dauert vom ß. bis zum 14. Jalire. Es begrinnt und endigt
jeweils an Ostern gleichzeitig mit dem Anfang bezw. dem Schluss des Schal-
jabiea für Knaben m>wo1 ala Midehea, wenn aie bia avn nidiallblgenden
80. Juni (einschlieBlich) ihr 6. bezw. 14. Leben^^jalir zurücklegen.
Für Kinder, die schwäclilich oder in der Entwlckolnng zurückgeblieben
sind, kann hinsichtlich des Anfangstermins ihrer Schulpflicht Nachsicht ertheilt
werden.
mdehen müaaen asf Verlangen ibrer EHern oder der StdlTertreter der^
aelben am SdUntte dea Schnlljahres schon dann aus der Schule entlassen werden,
wenn sie bis zum nächstfolgenden 81. December (einaehliefllich) ihr 14^ Leiiena-
jähr vollenden werden."
Letztere Bestimmung ist eine Concession an die Ultramontanen, die aogar
beantragt hatten, daa aehte Scbaljahr flr mdehen aliiiianliaftii, wanun, —
weiß jeder Eindditige. — Kraft des vorstdienden Geaetaea nrilwen aneh die>
jenigen Kinder, welche zu Anfang des Sommers ans Österreich nnd der Schweiz
in das südliche Baden kommen, um Hütedienste großer Hofbestände während
des Sommers nnd Herbstes zu besorgen, die badische Schule besuchen, was
biaber niebt dar Fall war. —
„Znr Anflnringnng dea naeh der ZaU der Scbnlkinder ddi richtenden
Oemeindebeitrages ist als „Schulgeld" für jedes Kind, wekhea die Yelto-
schule besucht, ein Vorausbeitrag von 3 M. 20 Pf. jährlich von dem zur Er-
nährung des Kindes Verpflichteten an die Gemeinde zu entrichten. Besuchen
mehrere Kinder einer Familie gleichzeitig die nämliche Volksschule, so ist nur
für daa erste der Teile Betrag, für daa zweite, dritte und vierte dagegen nur
die Hälfte und f&r die übrigen Kinder kein Schulgeld an aablen" . . . ^.Dardi
einen mit zwei Drittheilen der Stimmen gefaseten, von der Staatsbehörde ge-
nehmigten Gemeindebeschlüss kann auf die Erhebung des der Gemeinde
zukommenden Schulgeldes verzichtet werden. Von dieser Bestimmung
werden awellUloa viele Gemeinden Gebraaofa macben. Wie wir bOmi, bat
Mannheim auch hierin wiadear den beiapielgebenden, rühmlichen Anfang geaMdit
„Die Befreiung von der Schnlgeldzahlung gilt niclit als Armenunter-
attttaung.'^ Diese Bestimmung wurde, wenn wir nicht irren, vor zwei Jahren,
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als die Landta^j^sab^eordneten Mannheims den Antrag anf Aufhebung des
Schalgeldes im Landtage einbrachten, aber keinen Erfolg erzielten, getro£fen.
Die betreffende Bestimmnng beseitigt eine große Hftrte, die m so empflnd-
licher war» als der Scholgeldbefreite dadurch aneh sein Wahlrecht verlor.
Zar Bestreitang der Gehalte nnd ilderer BezQge der Volkaschnl-
lehrer hat jede Schulgemeinde in die Staatscasse als Paaschbetrag einzozahlen :
1. Einen Jahresbeitrag für jede an der Volkssehale der Gemeinde errich-
tete ständige Lehrerstelle, und zwar:
a) mr definitive Lehrentellen in Oeneinden von nidht Aber 600 Ein-
wohnern 780 M., von 501 bis 1000 Hnwohnem 840 M., von 1001
bis 2500 Einwohnern 9(iO IL, von mehr als 2Ö0O Einwohnan
1080 Mark;
b) für jede nicht etatmäßige Lehrerstelle in Gemeinden von nicht
Aber 2500 Elnwohttam 660 IL, von mehr als 2600 Binwohnem
700 Mark.
Für Lehrerstellen, welche über die gesetzlich vorgeschriebene Zahl hinaoS'
errichtet sind, ist von der Gemeinde jSllirlicli zu zahlen: für jede solche etat-
mäßige Stelle 1450, für nicht etatmäßige Stellen 8öO Mark."
2. Einen weiteren Jaliresbeitraf, wehdier — nach einer DttNhsehnitts-
berechnnng von emer aehii^Uizigen Periode — für jedes Sehnlkind 23 Marii
in Anrechnnng bringt.
In jeder Volksschnle sind so viele Lehrerstellen zu errichten, dass auf
einen Lehrer dauernd nicht mehr als hnndert Schalkinder kommen. Mit provi-
sorischen Lehrern sind an Volkaschnlen mit 2 bis 5 Lehrstellen eine, bei 6
bis 10 Lehrentellen swei, bei 11 bis 16 drei Stellen n. s. f. ni besetnen;
beträgt jedoch die Zahl der Schulkinder daaernd mehr als 180 oder als 280»
60 sind zwei, bezw, drei definitive Lehrer anzustellen. An Schalen mit einer
größeren gesetzlich vorgeschriebenen Zahl von Lehrern darf die Zahl der
provisorischen Lehrer ^/^ der Gesammtzahl daaernd nicht übersteigen. — Die
Sehlllenahl einer FortbUdnngBsehnle darf, auf einen Lehrer befeehnet, 40
nicht fibenchrdten. Die Dordisehnittssahl der Schiller in den grOteen Stftdten
beträg^t pro Classe circa 50.
Die Handarbeitslehrerinnen werden nur in provisorisclier Eigenschaft von
den Gemeinden angestellt, jedoch kann eine solche in etatmäßiger Weise an-
gestellt werden, wenn die Gemeinde ihre Znstimmnng dasn gibt and die niheren,
im Gesetz angegebenen Bedingungen erfUlt werden. Die Indostrielehrerinnen
erhalten ihre Ausbildung in der „Schale fBr Arbeitslehrerinnen in Garlamhe*
(fünfuionatlicher, einclassig:er Cursus).
Die Bestimmuugen über Lehrgegenstände, Stundenzahl etc., wie dies im
VL Heft des „Peedag.'' S. 388 ff. als Bxcerpt des Schulgesetnntwnrfr mit-
gethefit wurde, erhielten, wie wir sehon anfongs bemerkten, Gesetaeskraft
Zn erwfthnen ist noch aas der Landtagsverhandlnng, dass ein conservativ-
adli^er Herr eine vierte fwnchentliche) Reli^ionsstnnde verlangte; da jedoch
kein Bedürfnis dafür erkannt wurde, so blieb sein Verlangen ein „frommer
Wonsch**. Die socialdemokratischen Abgeordneten, zwei an der Zahl, im Verein
mit den demolcratiseh-freisinnigen Abgecnrdneten, traten für die aeitgenriUle
Forderung ein, an Stelle des confessionellen Eeligionsanterrichtes in
den Schalen einen confessionslosen, allgemein sittlich - religiösen
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Unterricht einzuführen; trotz vorzüglicher Begründung blieben die betreffen-
den Abgeordneten in der Minderheit. Da sich die gesunden, fortschrittlichen
Ideen nicht aaf die Dauer ignoriren lassen, so darf mit Sicherheit angenommen
werden, daat aneh die in Bede itelMinde Idee, TieUeicht in nidit n ferner Zeit«
verwirklicht wird.
Schließlich mtifssen wir bcdatiern, dass die Bitte in <lor Petition des
wacken n nnd rührigen Lehrervereins-Vorstandes in Bezug anf die Lehrer-
bilduugstrage nnerörtert nnd alles beim alten blieb, wonach znr Ausbildung
eines Lehrers eine iwe^Unlge, aaf privatem Wege oder in einer Prftparanden«
selnile erlangte Vorbereitung für das Seminar und ein dreijähriger Seminar»
besnch verlangt wird. Es wird die Aufgabe des Lehrervereins sein, die För*
derung der Lehrerbildnngsfrage nicht ans dem Auge zn verlieren. Hoffentlich
wird auch hierin Baden es sich nicht nehmen lassen, zuerst die initiative zn
ergreifen, wie es — wir sagen nidit zn viel! — ea dnreh edn nenes SdnA^
geseti die Frage der Stellung und Bezahlung der Lehrer im ganzen und
großen glücklich und beispielgebend für andere Staaten, namentlich für den
größten deutschen Staat, gegeben hat. — Endlich sei noch darauf hingewiesen,
dass der erlangte £Irfolg durch die Einigkeit und Sammlung der Lehrer im
Lehrerrerein, dnrdi welche die Lehrerschaft ein bedentender Factor geworden,
emngen worde. Auch hierin dfirfte Baden ala »Kostentaat'* nur Nach-
ahmung empfohlen werden. —
Fassen wir unser Urtheil über das neue badische Schulgesetz zusammen
nnd bedenken wir, dass der Staat Baden mit seinen 1^/, Millionen Einwohnern
1200000 Hark fBr YolkMohnlswecke opfert, daneben 14 Gymnasien, 4 Pro-,
2 Bealgymnaiien, 1 Bealpiegyninasiam, 6 Bealsehnlen, 26 höhere Bilrge^
nnd 9 höhere Mädchenschulen, 1 Lelirerinnenseminar, 3 Lehrerseminare mit
3 Präparandenschnlen und 3 Hochschulen von bewährtem Rufe unterhält, ausser-
dem eine Kunstgewerbe- und eine Baugewerkschule, 54 Gewerbeschulen, 2
Taubstummen- und eine Blindenanstalt subventionirt, so zeugt dies wol genug
Hir die ,GoltiiriiOhe der Leiter wueree Staatewesens*. Wir wVnichen den
hadiiehen SdiiilweMa aneh femeriiln eine glttcUidke Ansgeetaltnngl -r.
Erinnert man sich jetzt in Baden auch des Mannes, der s. Z. (188ß— 18HH) in
seinem Blatte die Fordemngen stellte, die, bis auf die Lehrerbildongs- und die
SdralauiMehtsfrage, durch das neue Gesets «rflUlt wurden? Bs ist Dr. Adolf Heuser
in ^liiiinhciin. Da wir seinen Namen bis jezt in dm hey-ilgliohcn Berichten nicht
gefunden haben, su sei er an dieser Stelle genannt. Meuser hat für die nunmehr
emeltcn Eifidge ledüeh gestritten und gebtten, weslialb es dne Ehieufdieht der
badiseh«! Lehxexsehaft is^ ihn in gutem Andenken an behalten. D. B.
Ana der Schweiz. (G. S.) Unseren schweizerischen Volksschulen
ist besonders bei Anläse der denteehen Volksschnldebatte die seltene Ehre un-
parteiischer und sehr gftnstiger Benrtheflnng im Analand, sogar in „oberen"
Kreisen zutheil geworden, indem man in Wort und Schrift auf die Vors^üge
des „Volksschulwesens in der kleinen Schweiz", auf ihre «vortreflFlichen Ein-
richtungen nnd Institutionen'' auf allen Gebieten des Jugendunterrichtes —
trots „der vcnchiedenen Confessionen und Parteien" — hinwies, hanptsflehlidi
▼ennliiMt dnreh eine jnat im reebten Momente etaohleaeBe Bvoechfire dei
BtSdtieehen Lehrers Ernst Ewald, der im Auftrage der Berliner Diesttiweg-
Stiftnng eine Studienrdse nach Berni Zttrich nnd Basel nntemonunea nnd
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die Er(?ebni8se derselben in einem sommaiischen Berichte niedergelejzrt hat.
Auch die Fresse nahm liiervon Notiz. So schreibt das „Berliner Tageblatt**:
„Die nlir torgflltig abgeikaste DanteUung der Organiiation des SdudweMDS
Todient in den weitesten &eisen bekannt zu werden. Wir sind ja bei nns
in Prenßen jetzt mitten in der Arbeit, unser Volksschnlwesen auf neue, gesetz-
liche Grundlagen zu stellen; da ist es denn nur um so lehrreicher, einmal
seinen Blick auf ein kleines bedeutsames Colturgebiet in unserer onmittel-
baven Naebbanobalt adiweffen sb laesen. Ein nener preußischer Coltns-
■iniiter konnte fiberdiee manebe sebfttabare Anregung Ar die Neogeetaltnng
teinea Beformwerkes ans dem Schulwesen jenes Landes gewinnen." Die fol-
genden Schhisssätze des EwaMscht ii Berichtes verdienen als objectivea Urtheil
eines Fachmannes wol in weitesten Kreisen volle Beachtung:
„1. Trotzdem das Frincip der allgemeinen Volksschale (in allen drei
Stidten) ToltoMndig dorc^peAbrt ist, so kann doch von einem Überwn ehern
dea PriTatschnlwesens nicht die Rede sein.
2. Die Vereinigung beider Geschlechter in derselben Classe
hat sich in Bern so bewährt, dass sie in allen l'rimarschnlen eingeführt wer*
den soll, obgleich die Schulpflicht bis zum 15. Lebensjahre dauert.
8. Einer der Hanptvorzllge dea VolkasehnlweeMui in den fenannten Stidten
irt die m&ßige Schülerzahl in den einzelnen Classen.
4. Die Ausscheidung der sehr schwach begabten Schüler aus der
allgemeinen Volksschule i>.t ein anerkennenswerter Versuch, diesen Kindern
nnterrichtlich ganz besonders zu Hilfe zu kommen; doch ist zugleich auch vor*
geaoigt, das» luin Miasbraneh mit dieser Mafiregel getriaben werden kann.
5. In allen drei Stftdten werden den Eindetn der Frimaneliale, in Basel
auch denjenigen der Secnndarschule alle obligatorischen Lehrmittel,
sowie Schreib- und Zeichenmaterialien unentgeltlich geliefert."
Die Schweiz scheint mehr nnd mehr, auch von anderen Staaten aas, das
Endiiel pädagogischer Exknrsionen werden zn wollen. So beraehte kfinlieh
Mr. Ifason ans Boaton die Sehulen vieler Sehweiaerstldte. Es wSre nnr sn
wünschen, dass anch schweizerische Pidagogen durcli praktische Bemfereisen
mm Vortheil ihrer und anderer Wirksamkeit ähnliche Studien unternähmen.
Der Gesundheitspflege schenkt man in der Schule (praktisch und
theoretisch) je länger je mehr Aufmerksamkeit, indem von berafener Seite mit
Becbt betont wird, die Sdinle yerfehle den Zweek des Staates, wenn sie dnreh
einseitige Entfaltung der geistigen Anlagen und Fähigkeiten das Gleichmaft
mit den korpf-rlichen stc^irt. Nicht nur, bemerkte z. B. Dr. Deuz im Jahres-
bericht des bündne rischen Lehrerveroins, müssen Schuliiiiuser und deren
innere Einrichtungen den sanitahscheu Anforderungen entsprechen, sondern
anch der Unterrieht seibat trttgt sehr viel bei znr Ocanndbeit der Soknier, ja
anch der kommenden Generationen, so dass alle Änte and Pftdagogen Hand
in Hand die Schulhygiene zu fördern haben.
,.Wo das Blut frisch kreist, die Wangen blühend und rund sind," föhrt
der objective Berichterstatter fort, „da wohnt auch ein reger, lebendiger Geist,
welcher leicht das Gegebene anltaimmt nnd ▼erarbeitet Geaunde Kinder
machen dem Lehrer halbe Arbeit, waU da mit Anflnerksamkeit dem Vor-
tragenden folgen. Schon bei der Schnlpflichtigkeit sollten Lehrer nnd Arzt
gemeinschaftlich ihre Ansicht darfiber änßem, ob das Kind geistig and körper-
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lieh 80 entwickelt ist, dass es zum Schulbesuch zugelassen werden kann. Der
endgültige Beschloss darüber f&llt dann in die Competenz des Öcholratbes.
Vkde Xindor lekeiiien im Mdiiiliifliohtigen Alter afihalfllhlg imd ichnlreif,
wlhrand lie « in der Tiwt nidit sind.'* Soweit der Ant, dessen ürtheil ynA
dasjenige yon tausend nnd tauend seiner Collogcn ist. Die Ärzte nehmen
je länger je mehr activen Antheil am praktischen Schulleben; sie werden in
weit größerer Zahl als früher in die Comites und Behörden gewählt vom Kinder-
garten bis hinauf zum Verwaltangsratli einer HodacitiilB. Maa dehi AatoritMen
unter ihnen bei zu den wichtigsten Bersthnngen heim Bau neaer Sdnlhäoaer,
zum Entwurf von Schnlorganisationen, wie z. B. in Zürich, wo Dr. G.Giuter
schon oft um sein entscheidendes Wort ersucht wurde. So ventilirt« man die
Schularztfrage im Schulverein und nahm folgende Besolution Dr. Güsters an:
1. Dar Sch.-V. erklärt rieh mit der in dem Entwarf zur neuen Gemeinde-
ovdnvng TOigeBeheneaEnienniuig eines Stadtarctes besonders in derVorans-
setaang einverstanden, dass letzterer auch als Schularzt nach spedellen
Anweisnnß:en seines Dienstreglementes functioniren werde.
Der Sch.-Verein hält es für wünschenswert, dass anch der Ccntralschul-
pflege im neuen (iemeindewesen Zürich der Stadtarzt als berathendes Mitglied
für Vertretung und Begutachtung schulbygienischer Fragen beigegeben werde.
3. In jedem der fünf Schulkreise sollte ein Arzt bezeichnet werden, der
sich nnter der Leitung dt s .'^tadtarztes mit der Controle der schulhygienischen
Einrichtungen (anch in iüeinkinderschuien, Kindergärten and Privatschnlen)
zu befassen hätte.
Dem Che werbesohnl Wesen wird vm Jahr sa Jahr meiir Vertranen
entgegengebracht, wie die Ten Prof. Pnpikofer (St. Gallen) redigirten
„Blätter für den Zeichen- nnd gewerblichen Berufsnnterriclit" dies anschaulich,
überzeugend und chronologisch-lückenlos beweisen; spendet ja doch der Bund
Jahr für Jahr höhere Subventionen. Mit gutem Beispiel gehen die Städte,
imltesondera Basel and ZArleh* yoran. ^m^&xkk niliert sieh aaf diesem Ge-
biete dem Ideal der alten Stadt seit dem Verdidgaiigsact weit mehr, als man
erwarten durfte. Dies zeigte auch eine Ansstellnng mannigfacher Modelle in
Thon und Gips, in Zeichnungen der Mechaniker, Schlosser, Möbel- und Bau-
Bchreiner, der Tapezierer, Maler, Spengler und Schuster, sowie in 1 reihaud-
aeiclmnngen.
Da derBesudi derOewerbeschalen ein freiwilliger ist (an splten Abenden
oder Sonntag-Morgen), so sind die Leistungen, ob sie auch da und dort den
Mangel an technischer Fertigkeit, die scliwidige, schwer«- Hand etc. verrathen,
doch sehr hoch zu taxirt u; sie bilden mit der steigenden Frequenz (85 Schüler
im Jahre 1873/74, 563 im Jahre 1883;84 und 748 im Vorjahre} den un-
trOgliehsten Bele? für das waehsende Bildongsbedtirfliis der Jungen Leute.
Voranssichtlich leistet die nene Stadt als ein Ganzes in Zukunft noch mehr
als bisher (schon im Jahre 1890 unterstützte die Stadt die Gewerbeschulen
mit h. 9'i50. dor Caiiton und Bund zusammen mit fs. 19 000); gehören doch
50^/0 der Bevölkerung dem Handwerks- und Gewerbestand an.
Die natnrgemlfle Kleinkinderersiehvng tritt, dank der Energie
nnd Aasdauer des schweizerischen KinderKarten-Yereins (Prtaident: HerrSchul-
director Küttel-Zürich) in ein nenes Stadium der scliönsten Entwickelung.
Das Central-Comit6 hat in einer seiner letzten Sitzungen mehrere Fragen grnnd»
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aätzlich in entachiedeii fortschrittlichem Sinne g-elöst und mehrere Beschlüsse
gefafist (z. B. betreffend Übersetznng der Vereiosstatateu ins Französische,
Ytsfenitiiiig dendben mit Elnladimgen lom Beitritt andi in der fruuOiifdten
Sdiweiz), die eine nnmerische ErMkaag det jetit KiiMi lelir TtrhraitateD,
Mgensreich wirkenden Vereins bedeuten.
Obwol die Kinderj!:artenbe«trebungen mit Ausnahme von Genf und Neuen-
borg nur Privatsache sind, dringen doch die gesunden Fröbelschen Grundsätze
MÜMt in der FaniUeMnieliiuiff and in „Kltinkindenoliiilai'' >WinlhH«ii dweb,
nnd manchenorts bedfirfte m nur einiger einflussreicber und energiaelier Frtbel-
fi^unde in den obentan Behörden, um die Eindergirten wenigsUni indireet
unter staatliche Aufsicht und Leitung zu stellen.
Im abgelaufenen Schuljahre wurde in St. Gallen (abwecbslnngsweise mit
Zflilflli) ein Kindergarten-CoTB abgehalten, nnd ibamtlichett Theilnefame-
linnfin konnten Bchweizeriadie Diplome ertbeilt werden. Einige lehr tfichtige
Schfilerinnen werden, da sie sich beeooders für Familienerziehnng eignen,
mit Vorliebe Privatstellen annehmen. Pie Nachfrage nach solch allseitig
tüchtig vorgebildeten Kindergärtnerinnen ist anch in der Schweiz im Wachsen
begriffen.
Unter den nldreiehen InstitationeB mit gcandnniltiif-pldagogiseher
Tendmiz nimmt das Pestalozziannm in Zürich eine der onten Stellen ein.
Schon ist dessen 17. Jahresbericht (ehemals Schweiz, permanente Schulaus-
stellnng) erschienen. Man hofft, in nicht allzufenier Zukunft für das Pesta-
lozzianum in Verbindung mit einer andern Anstalt ein eigenes Heim zu schafl'en.
Zu diesem Zwecke ist die Ldtnnff mit der Gewerbeechile in VeAindnng ge-
treten und das gemeinsame Projekt zielt ab auf die ErOfflinog eines der Stadt
Zürich wttrdig-rn Pestalozzianums mit LeseriUen im Jahre 1896^ dem 150^
jährigen Geburtsjahre Pestalozzis.
Als Mittelpunkt der Pestalozziforscluing und -künde (im Pestalozzistübchen),
aber aaeh als&Mtitat» in welchem allseitige pädagogische Anregung eine Stitte
haben seil im Sinn nnd Gelite PeetaleniB, wird ea dnrek seine sehr reiehhaltige
Sammlung, seine Bibliothek nnd sein Archiv der Erziehung nnd der Schule
große Dienste leisten und reiche Geisteszinsen abwerfen vom sicher angelegten
Capital der Mühe und Arbeit, Umsicht nnd Sorge seiner Leiter, sowie auch
aas den beträchtlichen Subventionen des Bundes (fe. 1900), des Gantons
(ft. 3000) nnd der Stadt ZUricfa (Ib. 1860). Im weiteren floasen Beitrilge
Ton 40 Primär- nnd Secnndarschnlpflegen dea Outons Zürich, von den Ver-
einsmit^liedern und anderen Privaten. Voraussichtlich wird das Pesta-
lozzianum in Zukunft noch allseitiger unterstützt nnd noch mehr von allen
denen benutzt, welche bloße Anregung oder billige Gelegenheit zu erfolgreichen
Qaellenstndien wflnadien.
Für zahlreiche Culturzwecke gibt der Bund alljährlich große Summen
aus. Damit nun auch auf dem litterarisch-iiUdago^isclien Gebiete nicht vieler-
lei Kräfte veri iii/.elt nur einen halben Effect erzielen, hat das Central-Comite
füi' schweizerische Landeskunde das Project des genialen Minister Stapfer, eine
eidgenOesiaehe Nationalbibliothek an grflnden, wieder aufi^nommea,
und die Bealisimng desselben dürfte nm so eher gelingen, als die Centrai-
bibliothek in Bern, die schon längst über den Rahmen einer eigentlichen \'er-
waitungsbibliothek hinansgewachsen, den Grundstock zu einer solchen bilden
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könnte. Auf dem Gebiete der Schweizergeschichte , der Landeskunde etc.
häufte sich nämlich recht viel Material auf, das mit anderem schon an und
fdr sich eine reichhaltige Sunmlong ausmacht. Und obwol man auf den Er-
werb oeoMler oatloiutlAr Werke dnidi Snnf und uf Scbeiilrangen angewlMen
sein wird, dürfte die nOtUge Summe von ca. &. 10000 jährlich, die zum Be-
zug- sllmmtlicher in unserem Lande in und außer (km Buchhandel enchei-
senden Druckschriften erforderlich ist, aufgebracht weiden können.
Dadurch würden viele Schalbücher, Zeitungen, pädag. ZeitschriftCD, Flog-
blltter, BroMbflniii Bfidicr mit einer elnsfgen Anflagei als getreoe Spiegel
einer coltnrell interessanten, politischen oder pädagogischen Bewegung für Ge-
lehrte, Forscher und Pädagogen Jlußerst wichtig, eine reiclie Fundgrube des
fruchtbarsten Wissens auf einem Spezialgebiete, während solche und ähnliche
literarische Producte bisher unbarmherzig dem Untergange geweiht waren.
Das BedllrAile des freien Ideenanstansehes gibt siefa anter der
schweizerischen Lehrerschaft melir als je kund, in kleineren Cirkeln, KränzdiMi,
Special- und Hanptmnferenzen sowol, als auch in größeren Versammlungen,
und tieißig wird besonders aus dem Canton Zürich, aber auch aus anderen
Gegenden hierüber berichtet, meistens sammarisch an den Heraasgeber des
JalolHidlis lllr das üntenlcbtswesen der Schweiz, C. Gfn»b in Zfliicbr der aneh
dieses Frül^ahr Lebier» Sdinl- and andere Jngendfreonde mit einein redit In-
srnctiven Bericht hierüber, wie über zahlreiche andere OegenstSnde nnd
brennende, die Schule betreffende Fragen überrascht bat.
In dem geistig regsamen und sehr strebsamen Basel ist seither eine frei-
willige Sohnlsynode gegründet worden, da eine obligatorische Organi-
satienr wie sie in Bern, Zflrieh, Thnxgan ete. besteht, einen besttglichen Artikel
des Sidralgesetzes nothwendig grameht hätte. Sie bezweckt zunächst die
Einigung der LeJirerschaft aller unserer «öffentlichen Schulanstalten, um im
ferneren Schulfragen in den Kreis ihrer Beratliungen zu ziehen, welche das
ganze baselstädtische Schulwesen gemeinsam betreffen. Um die Mitwirkung
aller Elemente der so heterogenen fAdagogischen Welt m ermöglichen, sind
▼erlftoflg politisdie und religiöse T'arteifragen von den Traktanden ausge-
schlossen. Wenn man bedenkt, da.ss jetzt schon jeder der drei pädagogischen
Vereine, der „Allgeni. Lehrerverein'', der „Freisinnige Schul verein" und der
„Evang. Schulvereiü" für sich allein sehr Schönes geleistet, in nachhaltigster
Weise gearbeitet nnd bei den OberbehSrden Blnflnss erlsogt hat, Tersprieht
man sich schon nach dieser Richtung hin mit Becht maneb eine Errungen-
schaft zum Wole der Schule und des Lehrkörpers, naeb der sieh die CoUegen
anderer Stäidte mul Cantone vergeblich sehnen.
Allein auch in Bern, Ölten etc. fanden vor und nach Schloss des Wintercurses
freie LehrerTersammlnngen statt, dort anf die InitiatiTe des Herrn
Seendariebrers Ortbüng hin, der die Fnge erörterte, wie der sehweiz. Volks-
schale durch Bandessabvention (besonders in den finanziell ungünstig
situirten Bergkantonen) beholfen werden könnte. Ein Initiativ-Coniite lud so-
dann auf den 1. Mai Delegirte verschiedener Lehrervereine nach Ölten ein,
wo nnter dem Vorsitze von Secundarlehrer Gass (in Basel), der schon vor fBnf
Jsbren das gleiebe llieaia mit sUseitiger Znsttnumag in demselben Sinne be-
handelt hatte, eine Versammlung von nahezu 200 Lehrern ans den meisten
•Cantonen nach dnrchseblagenden Voten der Herren Orttning-Ben, der Schal-
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inspectoren Weingartner-Bein, Dr. Largiad^r-Basel, Heer-Glarus, Scharf-
Neuenbarg and Fritschi-Zürich den einstimmigen Beschlnss fasste, der
Gentral-AiiMchnM des Schweiz. Lehrervenlns sei n ersndieii, die Frage der
TTnterstfltzang des Volkitelmlweseiit diireli den Bund unter Znsng
von geeigneten Persönlichkeiten «n prUfen mnd in dieaer Sache
das weitere zu veranlassen."
Auf der Bildtläche der freien Discnssion ist schon vor mehrere Jahren
aach die Frage der liilitärpflicht der Lehrer wieder anfgetancht and
TOT knrzem richtete der Centralanasohass des Schweix. LehiemteinB eine Ein»
gäbe an das eidgenössische Militlidqpartement um Oleichstellang der
Lehrer mit den anderen B&rgern, in welcher n. a. folgender Passas
vorkommt:
„Es erscheint uns als weseutlicii, dass der Lehrer in Hechten und Pflichten
andezen Bürgern gleich geetellt werde. In den G&nton«f wo dieser Gmndp
satz zur völligen Geltuig gekommen ist^ befindet man sich gut dabei und
wünscht keine Änderung.
Es ist wünschbar, dass die Lehrer nicht in besonderen Recrutenschnlen,
sondern vermischt mit den anderen Jungen Bürgern zum Militärdienst einbe-
rofbn werdeni immerhin Toransgesetzt, dass Ar sie, wie für Angehörige uderer
•Stinde, die Lebensstellong bei Auswahl der Wa^e and bei Festsetaong der
Binbernfong^stermine in billige Berücksiclitig-nng falle. Die Abschliefiang der
Lehrer v«n den anderen Ständen ist weder für den Lehrer noch für die Schale
von Nutzen.
Anch dem Avaacem^Bt der Lehrer sollte nadi onieier AmkAt kein
Hindernis in den Weg gelegt werden. Es kann die Lost an der ErfBllnng
der Militärpflicht nicht fördern, wenn der Lehrer sich anderen Rechtes sieht
als andere Bürger. Andererseits würde die Zulassung der Lehrer znm
Officiercorps diesem eine gewiss nur wolthätige Stärkung bringen." Man er-
wartet allgemein, dass das IQlitftrdepartement diesen gewiss berechtigten
Wttnschen entaprechen werde.
Einer besonderen Blüte erfk-euen sich in der Schweiz diePrivatanstalten,
nicht etwa blns die Kindt rf^rirten und Mädchen-, sondern vor allem anch die
Knabeninstitute der Üstschweiz. Offenbar liegt die innere Ursache hiervon
in der gewissenhaften, vorzüglichen Führung derselben, aber auch in der ge-
nauen GontroUmng ihrer Wirksamkeit von Seite des Staatea. So a. B. ist
mit der Cantonschale Trogen (Canton Appenaell) ein bewfthrtes Internat
verbunden, das Zöglinge, ans fremden Cantonen und Ländern aufnimmt und
dieselben nach einem Vorbereitnngscurs auf die Universität, das Polytechnicum
und die commerzielle Carh^re ganz individuell vorbereitet und zwar in Classeu
mit mSfiiger SehülersahL — Ebenso genleBt das noch jnnge Institut Dr. Schmidt
In St. Oallen selbst im Auslande den besten Raf, da darin, wie in obge-
nanntem Convict anf Gesundheit des Leibes und der Seele ein Hauptgewicht
gelegt und alles das gewissenhaft beobachtet wird, was zur lianunnischen Aus-
bildung des Charakters und Gemüthea wesentlich mitheileu kaun. Bei aller
Pflege des religiOe>Bittlichen Lebraa finden wir aneh da jcM VMheit dea
Geiatea, verbunden mit einer Arbeitafrendigkeit» die in Zukunft Tortnffliohe
Beaaltate erwarten lässt.
Geradezu als einUnicnm unter den internationalen Lehr^ undEcziehuDga-
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antUltea endteiBt dUgenife ▼o« Dr. Bertsch in Neumtinater^Zdrieh,
indem daiellMt dnrchschnittlich Jalir nm Jahr onter 25 — 30 Nationen 10 U«
13 Sprachen und Classen von der Stnfe des vorbereitenden Unterrichts für
Zöglinge ganz verschiedener Ifatterspracheu bis zur Schwelle der akade-
mischen Stadien vertreten sind.
Audi hier wechaeln nUreielie oflIcieUe Besuche (fon Seite der obereteD
Erziehnngsbehörden) mit privaten stets ab and alljährUeh wird vom Directi^r
(zugleich Besitzer dieses Institutes mit einer ca. lOOknpfigen Familie) zu
Händen der Zürcherischen Erziehnngsdirection ein ganz einlässlicher Bt rlcht
abgegeben Uber das Personal, die Studiencommission, den Lehrkörper und die
Zaglinge.
Eigenartig ist schon die Entslehung und großartige, ungeahnte Ent-
wickelung: dieser Anstalt, und wenn auch die außergewöhnliche Frequenz in
Verbindung mit der Mannigfaltigkeit der Sprachidionie das Individualisiren
bei jedem einzelnen Zöglinge — nicht Schüler — erschweren, so düi'fte doch
die treffUehe OigulBatioii, die anf Jahnehote laogen «DnnterbrodieBeii Kr-
fiüinuigen dee Direeton bmiht, sowie dessen Oesehick in der gMeklichen
Übersetzung gesunder Krziehungsgrnndsiltze in die Praxis selbst denjenigen
beruhigen, der, der Massenerziehung zum voraus abhold, unter die Berichte
der bestorganisirten Erziehongsanstalten en gros sonat sein Fragezeichen setzt.
Gharakteristiach isfc hier iMMBden aneh die Thstaaehe, dasa die rOnisohe
Clerlsei schon seit mehr als swanzl; Jahren ihre giftigen Pfeile gegen dlesss
nicht nur internationale, sondern auch interconfessionelle Institut,
und zwar immer vergeblich, abgeschossen hat, wahrscheinlich deshalb, weil
der Direclor religiöse Gesinnung als Grundpfeiler jeder wahrhaften iiruteii)
Erziehung betrachtet und offenbar auch dem Grundsätze huldigt: „Eine
Privatanstalt mnss mehr leisten als eine öffentliche SohnlCi wenn
sie mit Erfolg concnrriren will.*
Österreich. Der Vorstand des Allgemeinen niederösterreichischen Volks-
bildnnpsvpreiiis, Zwei^ „Wien und T'mtrebnng" hat auf den niederösterreichi-
sclien Volksl)il(luiiL;st;iirfii zu St, l'iilttii imd Wiener-Neustadt den Auftiag
erhalten und überuummen, die Gründung eiiieti Centraiverbandes sämmtllcher
dentseh-Ssterreichisehen Volksbildangsvereine (Vereine fBr Volksendehang, fdr
Verbreitung gemeinnütziger [landwirtschaftlicher] Kenntnisse, für Volksbihlia-
theken etc.) ins Werk zu setzen. Die Aufgabe dieses Verbandes hätte zu be-
stehen in der Anbahnung und Pfieffe regen Verkehrs aller verwandten Vereine,
in der gegenseitigen geistigen Fördeiung derselben und vurnehmlich in d^
Sffentlichen Berathnng aller die Hebung des Volksbildungswesens hetreffen^^e^
Fingen sammt Beschlassfessang hierSber. Zu diesem Bel^afe bedarf es einer
vollstftndigen Liste aller derarti^'en Vereine, ihrer Satzungen und Berichte,
sowie der Angabe ihres Mitf^liederstandes. Es wird nun ersucht, die bezüg-
lichen Nachrichten möglichst bald einzusenden an den Obmann stell Vertreter des
Zweig Vereins „Wien und Umgebung" Herrn Dr. Edaard Leisching inWien,
I. Tegetthoffiitrafle 4. Im Herbete soll dann eine allgemeine Bdegirten-Ver'
sammlang in Wliw stattfinden.
FadigORim. 14. Jakis. H«ll X.
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Die Lelirmittelsammolstj'lle Petorsdorf bei Trautenan in
Böhmen bietet Schulen and Lehrern den \'«rtheil, das» sie einfache L<'hr-
behelfe, besonders Mineralien-, i'etrefacteu-, Küfer-, Schmetterling-, i'Üauzen-
woA OonchylieihSaouBliiiigen, ferner EntwicUiiBgattadieii von den mdston nUti-
liehen and schädlichen Insecten and Amphibien zusammenstellt and diese (Amt
jeden Verdienst, daher ilnßerst oillip. an bedürftige Schulen aber sogar unent-
geltlich abgibt und alle \'orkoinnini8se bestimmter Gegenden gegen diese Lehr-
mittel auch in Tausch nimmt, weshalb Lehrern, welche einigermaßen Gegen-
illiMle Umr Bemflatation mnfliiBBBtragen, die Erwwbung von Kn^unUeB der
Tereehiedensten Art ebne groBe Analagen mOgUeh gemaeht ist Kleine Hine-
ralien-Sammlnngen, enthaltend: Bergkrystall, Milchquarz, Rosenquarz; Amethyst,
Cameol, Achat, Jaspis, Chalcedon, Feuerstein, Probirstein, Kiesel, Holzstein,
Kieselschiefer-, Porcellanijaspis; Speckstein, Talk, Granat, Turmalin, Opal, Mond-
stein, Katzenauge, AnÜiracit, Torf, Pechstein, Bernstein, Braunkohle; Kalkstein,
Kalkapnt, GMps» Oolitb, Flnsaspat» IVopfttein, Ealktnii; Aragonit, Dolomit»
Sprudelstein, Marmor; Eotheisenerz, Branneisenerz, Miigneteisenerz, Bleiglanz,
Kupferkies, Eisenspat, Schwerspat. Zinkblende, Schwefelkie«; Steinsalz; Granit,
Feldspat, Glimmer, Gneis, Orthoklas, Hornblende, Diorit. Augit, Porphyr,
Helaphyr, Trachyt, Phonollth, Basalt, Glimmerschiefer, Eoth- und Weiss-
liegendes, Qaader, Gmnwadie, Conglomerat, Brecde, Zechttdn n. a^ w., sn-
sammen 80 St&ck werden am blos 1 fl. = 1 Mk. 80 Pfg. geliefert, and bei
Abnahme von 10 Stüek wird noch eine Saimnlung gratis gegeben. Samm-
lungen zu 100 Stück mit größeren Exemplaren kosten blos 1 H, 80 kr. =
3 Mk., noch größere Sammlungen nach diesem Verhältnisse im Preise höher.
Aneh Binielii-Xinenüieii und sogenannte Gabinetstfteke sind billig m haben,
vnd bei Bednif braneht nnr der Name nnd die nngeffthre CMMe des gewQnaebten
Exemplares angegeben zu werden, worauf die denkbar niedrigste PreissteUang
gemacht wird. Sammlungen nachgeahmter Edelsteine, 20 Stück in einem
schönen Etui mit Glasdeckel, kosten 2 fl. 50 kr. — 4 Mk. 20 Pfg. Sodann
gibt die SammelsteUe auch einzelne Petrefacten aus den verschiedensten For-
mationen, besonders aber Soloholbr Vorkommnisse, als: FrOsche, Krebse, In-
secten u. dgl. sehr billig ab. Besonderen Anklang finden die l'ilzmodelle aus
Papiermache (20 Stück, täuschend iUinlich) für blos 5 fl. 8 Mk. 75 I'fg.
Die Sammlung von Seetliieren. 20 Exi)l., blos 2 fl 50 kr. =r 4 Mk. 20 Pfg.
Das Pr¶t des Borkeukiifers 75 kr. ^ 1 Mk. 30 Pfg., der Biene 1 fl. =
1 Mk. 80 Pfir., der Wespe 60 kr. = 1 Mk., der Motte 60 kr. = 1 Mk.,
des Seidenspinners 75 kr. r- 1 Mk. 30 Pfg., des chinesischen nnd Ailanthns-
spinners je 1 fl. 80 kr. - 3 Mk. Schmetterling- und Küfer-Sammlungen von
1 fl. 20 kr. -~ 2 Mk. angefangen u. v. a. Man verlange gegen Einsendung
einer gewöhnlichen Briefmarke des Landes das jeweilige ausführliche Vorraths-
Veneielinii tod Gnstav Settmadiw, Obttlehrer, Vontand.
Giebich enstein. Den geehrten Herren, welche mir von dort am 8.Jnni
einen freundlichen Gruß sandten, sage ich meinen herzlichen Dank mit der
Veraicherang, dass mich Ihre theilnehmende Zuspräche hocherfreut hat, and
dasi mir Ihre Namen stets in angenehmer Erinnerung bleiben werden.
Dittea.
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— 679 —
AiB d«r Faohprease.
558. Comenius und seine pädagogische Bedentung für unsere
Zeit (C. AndreiL Neue Bahnen 1892, III*'). Vielleicht die nützlichste unter
allen anUisslich der Comenius- Feier g>liotenen Leistungen unserer Fachpresse.
— Absicht: „\oü dem Standort der Gegenwart rückwärts blickend, diejenigen
Seiten (der pädagogischen PenSnlidikelt dee C.) henronEokelirMi, wddie in
sonderlichem Maße geeignet erscheinen, unsere pädagogische Lage kritisch zu
beleuchten und damit die Pnnkte und Stellen zu bezeichnen, :in welchen die
Schal- und Lebensverhältnisse unserer Tage das Bild einer theihveise krank-
haften Entartung bieten.^ Diese Vergleichung und Kritik wird denn in allen
Ahschnitten kräftig durchgefttlurl — L Kenueidiniinff miaerer Zeit (der alU
gemeinen und der pädagogischen GeeeUsehaft), ihrer Lebensanflfiissnng, ihrer
Schulen. („Bei unsem Zeitgenossen besteht vielleicht für keine Einwirkung' so
wenig Entgregenkommen, als für eine pädagogische in großem Stile. Schon die
ersten Bedingungen datUr, gemüthlicbe Kuhe und contemplative Stimmung, sind
fir mite KreiM nnTentfindliehe Zamathimgra." Li OBaenn „imposanten Bil-
dangsitSrper" feUt „die pSdagogiBche Seele**. Man aneht vengeblieh ,,die
pKdagogische Tapferkeit and Begeisterung im Dienste einer Idee". Die ver-
schiedenen Schularten stehen „vielfach in fast feindlicher Haltung einander
gegenüber, und man hat Mühe, sich gegenseitig zu verstehen.") — ü. Des
Comenius Wesenheit. — UL Comenins als Haßstab: „Kein Pädagoge der. Ver-
gangenheit ist in gleichem MaSe wttrdig, an einer Prilfling im groBen Stffle die
Maßstäbe zu liefern, wie Comenius." — TV. Die „fonchtenden Seiten" seiner
praktischen Pädagogik: „ Vielseititrkeit seines Interes.«!e — seelsorgerlicher Zug
seiner Arbeit — Kncyclopädi.'^um.s seiner didaktischen Bestrebungen." —
V. Einzelne Hauptgrundsätze des C. (unbedingte Nothwendigkeit sinnlicher
Anaehannng nnd Übnng — „Die Volkaspfachen mttssen den gelehrten Toranf
geschickt werden" — „Allgemeiner Unterricht aller, die als Menschen geboren
sind, zu allem Men.schlichcn" — „Die Lehrer sollen Menschenbildner, aber nicht
Bildschnitzer sein" ) und die entsprechende (oder vielmehr nicht entsprechende)
Praxis unserer Tage. — (Treti liehe Eandbemerkungen: „Jede (iedenkfeier
erhalt nur dadnreh ihre innere Berechtigung nnd hShere Bedentong, daaa aie
Anlaaa wird zu einer PrOfling im groBen Stile.** „Thatsachen lehren nur, indem
sie antreiben, neue, andere zu schaffen." „Alle pädagogische Thatigkeit entspringt
ihrem tiefsten Grunde nach dem Mitleid und Wol wollen." ,,Wo es mit rechten
Dingen zugeht, da verdichtet sich stets pädagogisches Thun zu einer Art von
pädagogischer Stimmung." „Jene pädagogische Stimmung ist nnr da, wo man
«na dem Bewnaatsetai unbegrenzter Venatwoitnng aneh nnter Versieht nnd
Opfern bereit ist, den geistig und sittlich Bed&rftigen beizustehen, wo das Gle-
fnhl einer die Gesammtlieit umfa-sgenden solidiirischen Verpflichtung also in der
Gesellschaft lebendig wird, dass man gerade diese Art des WolwoUens als die
höchste Form edler Menschlichkeit übt und ehrt.")
559. Comenins nnd Katke (J. Meyer, Nene Bahnen 1882, m). Be-
antwortung ißr Fhige: „Worin lieget es begründet, dass die Bestrebungen dee
A. C. größeren Einfluss auf Erziehung und I nttTricht ausgeübt haben und noch
ausüben als die Batke's?" Vergleichung der beiden „nach ihrer Geistes* und
*) „Oomeninifaelt'', mit dem Bildnis dm Meisten, Preis 75 F%.
11*
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680 —
Charaktertüchtigkeit — ihrem Wirken in Theorie und Praxis — den äoBeren
Umstunden, die ihr Wirken beeinflnssten."
560. beuerknngen snm badtschen Volksschnlgesetis (E. ▼. Sali*
wflrk, Rhein. Bl. 1892, III). „Die badischen Volksschnllehrer sind Staatsdiener
geworden." Kano man einerseits „befürchten, dass das Interesse der Gemeinden
für ihre Schnlen sich mindern werde, so ist andeistita ganz gewiss, dass das
Interesse des »Staates an der Schule mit der neuen Einrichtung sich erhöhen
wird. Es ist ja eine alte Erftibrnng, daas man die Xenscben oft nicht darum
liöher bezahlt, weil man m- liölier schätst) aondmi dass man sie für wertvoller
hJllt, je mehr man fiir sie aufwenden mnss. Das wird dem badischen Staate
auch nicht anders gehen. Er hat sich die Volksschule näher gertickt, als je
ein Staat es bis jetzt gewagt hat; er wird die Folgen daraus ziehen, nnd sie
werden Ar die Bildnng des Volkes nur heilsam sein." „Wir sehen in der Nen-
gestaltang der badischen Volksschale viel verheißende Anfinge zur Besserung
und zum Aufschwung auf dorn wichtigsten Gebiete der Bildung und Gesittung
und zwar, wie wir lioffen, nicht blos in den Grenzen des kleinen badischen
Landes." „Die wesentlichen inneren Eigenheiten der badischen Volksschule —
der simultane Charakter «nd die dnrchans weltliche Beanftichtigung — sind
geblieben. * Die Lehrer wflnschen nnr aacb eine Erhöhung (oder Votleflmg)
ihrer beruflichen Vorbildung, um die Aufsichts- und Verwaltongsstellen, die
ihnen offenstehen, in ei^prießliclier Weise ausfüllen zu können.
561. Der Vormittags- bezw. Übermittagsunterricht (B. Ofenloch,
Kepfiri. d.P&d. 1891/92, VII). Gegen das iu jüngsten Tagen an verschiedeneu
Orten anfgetancbte, als „Zeitfrage" beaehtensworte Begehren, den gesammten
Unterrieht (besonders an höheren Schulen) auf die Zeit von 7 oder 8 bis 1 Uhr
zn verlegen, hegt Verfasser folgende erheblicbe Bedenken: Auf Seite des
Sdiiilei-s wie des Lehrers gesundheitliche Nachtheile (des langen Sitzens, des
Athiiicns in verdorbener Luft), körperliche Übermüdung, geistige und gemüth-
liche Abspannung, Hänfling der Vorbereitnngsarbeiten; Überladung des Schi-
lers mit Wiasensnahrung (,Jede Lust zum Lernen wird ihm f&r die ersten
Stunden nach Schulschluss vergangen sein") — daher der „freie Nachmittag"
eine Illusion. Überdies: Stornng der häuslichen Tagesordnung.
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Reeensionei.
Dr. Friedrich Dittes, Über die sittliche Freiheit mit beßonderer Be-
rücksichtigang der Systeme von Spinoza, Leibniz, Kant. 6e-
krtnte PreiBSchrift. Nebat einer Abhandlnng llb«r den Endftnumismiu.
Zweite^ nea dnrchgeeeliene Avflage. Ldpclgrii.'\l^e& 1892, JdL EUnkhardt.
146 Seiten. 2 H.
Die in diesem Bache vereinigten swei Abhandlwigen sind den swei Qmnd-
fragen der Ethik gewidmet: Wie kann der Kensen In sittü^er Beriehung,
und was soll t^r'' (»der: wie weit reicht sein moralisches Vermögen, und
was ist seine moralische Aufgabe? Oder: welches ist die Fornu nnd was
iet der Inhalt des sittliehen Willens? — Seit langen Jahien im Bnchhandel
TeMrifFen, tritt diese Schrift jotzt nochmalt; an die Öffentlichkeit, da sich wieder
mehr Interesse für ethische Untersuchungen zeigt, als in den letzten Jabr-
iflhnteii. In weitnen Kreisen biidit eieh wieder die Übenengnng Bahn, dass
die bisher vorwieg^end gfcpflegtcn Geistcssf rihmintron zur Begründung der
menschlichen Wolfahrt tbeilü ungeeignet, tbeiLs ungenügend sind, durchaus
aber einer festen Richtschnur bedürfen, welche nur in der Ethik gefunden
werden kann. Ob nun das vorliegende Buch hierzu eine hrauchbare Weg-
weisung biete, dies mögen die Leser entscheiden; Verfasser kann nur sagen,
dass er es eüiat mit giMser Liebe geaohriehen hat nnd nooh hente mit Yei^
gnügen liest. D.
K. G. Lntz. Nene Wandtafeln zum Unterricht in der Naturgeschichte.
30 Blätter, Preis 24 M. Im Selbstverlag von K. ü. Lutz in Stattgart,
Hohenheimerstr. 79.
Endlich liegt dieses vortreffliche Lehrmittel, ein Werk hervorragender
Tüchti|dieit und auedauexnden Fleißes, vollendet vor nas. In seinem Vater-
kuide Württemberg ist der Antor l&ngst als gewiegter Kenner nnd Förderer
der Naturgeschichte wol bekannt, insbesondere auch dimh dir (Jründung des
^liehiervereins für Naturkunde", welcher bereits gegen 2öU0 Mitglieder zählt.
IMhmr erkllrt es sieh, dass sein neneeWerk, welehee aveh die sdralbehSrdlicbe
Anerkennung gefunden bat, bereits von nalu zu 7(X) württembergischcn Schulen
angeschafl't worden ist. Die Anlage und Ausführung desselben ist jedoch derart,
dass es flidi keiaeiwegi hioe flir ein einselnes Land, aondem rar alle Yolks-
acbnlen im deutschen Sprachgebiete vorzüglich eignet.
Unter dem Titel „Präparat ioueu zum Unterricht in der Naturg^hichte"
hat HenLutz seinen Wandtafeln eine Dnioksehrift von 74 Seiten beigegeben,
welche zugleich als » rliiuternder Text zu diesem Lehrmittel und als Leitfaden
für den naturgeschichtlichen Lehrgang treffliche Dienste leistet. Er bemerkt
da, dass er bei Herstellung i^eines Werkes zunächst einfache Schulverhiiltnisse
im Auge hatte, was jedoch die Verwendbarkeit desselben in gehobenen Schulen
nicht ausschließt, und sagt weiter: „Aus dem FHanzenrcich sind nur einige
charakteristische Vertreti r, aus dem Mineralreich nur eine Anzahl fossiler
Thiere und ein idealer Durchschnitt durch ein Stttck der Erdrinde geboten.
Das auf den Tattän für diese beiden Beiche noch Fehlende gehört in die
Sdinl'Naturalieaiammluig, oder der Lehrer holt es aaoh Bedan in dcv fteien
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— 682 —
Natni." Denn Naturköiper, welche ohne bedeutende MUhe und Kosten ge-
Bammelt werden kOnnen und auch präparirt nodi ^te Dienst« leitten, bnracht
man nicht abzubildfn ; das Hauptgewicht ist sonach auf das ThitTroich gelegt,
von den iiuiecten sind aber nur einige ganze Entwiokelungen gegeben. Be<
sondere BerQeludditigunff ist soldien YffidHWiauBiMan gewidmet, weldw ridi in
der Natur nur selten beobaohteii leimen, die aber im Leben der Tbiere
ebaiakteristiscb sind.
Nachdem wir das Torliegende Werk genau geprttft haben, mflnen wir es
als ein höchst gelungenes, seinem Zweck bestens entsprechendes bezeichnen.
Selbst die mäßige Grüße der Tafeln ist eher ein Vorzug als ein Fehler, da sie
den aebr billigen Prei»> des Werkes ermöglichte und, geschickte Handhabung
TOnniagesetzt , den Zweck der Abbildungen keineswegs beeinträchtigt. Die
ZuBnmmensteliung , sowie die zeichnerisclie und colorutive Äusftthrung der
Bilder ist durchaus aller Anerkennung wert, und wir stimmen gern dem be-
reits von anderer Seite geHUlten Urtheile zu: „In Bezug: auf Zeichnung, Colorit,
künstlerische und natürliche Anordnung kommt das Werk den allerbesten der
bisher vorhandenen Schultal'eln gleich; es übertrifft aber fast alle in Bezug
auf naturwieaenachaftliche Genauigkeit und sorgfältige AusfiUinuig auch des
Kleinsten und sdieinbar KebensftcUüchNi.'' M. M.
SrIbDBer, Dentscblands Helden in der deatscben Dicbtnng. Stutt-
gart, Greiner & Pfeifer. 0 M.
Eine deutsche Geschichte in Gedichten i.st das obengenannte Sammelwerk.
Unter den ca. 750 Gedichten sind ca. 250 hier zum erstenmal in die Dienste
des Unterrichtes gestellt. Nur einem Manne wie Brflmmer, der durch seine
biographischen uud bililiographischen Werke mit der neuesten Literatur Fühlung
lint, war es möglich, ein so umladendes Material zusammenzubringen. Wie
viel der Voiaibett mag sich dem Sammler bei näherem Zusdwn üb niobt
brauchbar erwiesen haben und musste beiseite gelassen worden. Was man
wolgesichtet zusammengetragen sieht, ist vielleicht nur der kleinere Theil des
von Brüminer Gele.senen und Gesammelten. Ist somit der Fleiß und die auf
dies Werk verwandte Mühe aller Anerkennung wert, so auch die Art der Zu-
sammenstennng. Die Gedichte sind mit Rücksicht auf das verherrlichte Er-
eignis chrnnrilogiseh geordnet. Dsis erste (iedicht schildert den ( 'inilerneinfall,
eines der letzton iUoltke's Tod. Eine recht praktische Zusammenstellung gibt
das InhaltsyeTseiehnis, das snerst die Gedichte in der genamotten Ordnung auf-
zählt nud dann sie nach ihrem Inhalt ordnet in solche, die z.B. die Geschichte
Brandenburgs oder der österreichischen Länder oder Badens oder der anderen
deutschen Laadscbalten ereShlen. So dient das Buch auch der Localgesddehte.
Naturgemäß findet sich neben Vollwichtici in am h mancher Lückenbüfer; ja
manche Perle deutscher Dichtung (z. B. Joseis II. Denkmal v. Zedlits, Lenau's
Schlacht bei Aqpem) wurde gegenüber mehr erzählenden Oediehten minderen
Wertes zurückgesetzt. Das Buch ist ein Werk filr die reifere Tugend, und
da die Ausstattung wirklich gediegen ist, eines, das sich zu einem Ueschenke
▼ortvefllieh mgnet. W.
BQtticber und Kinzel, Denkmäler der ftlteren dentsehen Literatur.
(I. 1. 2. Die deutsche Heldensage, ni. 3. llutiii LutheTi Venniachte Sdirifteii
weltlichen Inhalts.) Halle, Waisenhang.
Die „Denkmäler" stellen sich die Aufgabe, im Sinne des preuß. Ministerial-
erlasses vom 31. Härs 1882, in eharakteristiM in n möglichst vollständigen
Werken gewisse Oentren zu bieten für den literaturgcschichtlichen l'nter-
richt. Drei solche Centren: die deut.nche Heldensage in der vordassischen Zeit
(a. Hildebrandslied, b. Waltharilied, c. die Zaubersprüche, d. Huspilli — Heft 1. 1)
nnd in der classischen Zeit (Gudrun, Heft I, 2), sowie Luthers weltliche
Schriften in Auswahl (Heft HI. 3) liegen uns zur Begutaclitung vor. I. 1 und
I. 2 bieten den Text in einer Übertragung ins Neuhochdeutsche, I. 1 mit
ge^ttberstehendem Originaltext für die Gedichte a, c, d, mit Proben des
Originaltextes ftr b und die Ondmm (12). Lathers Schriften sind in der ur>
spfflnaJiehen Fassung abgedntokt. Die Übeaeteimg seblieBt sieh eng an dw
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683 —
Tf-xt an, lici^t siih trotzdem b'irlit uml ix'iht dm Charakter des Originals crut
wieder. Sprachlich oder sachlich dunkle Sti llen sind uuti r dem Text erläutert;
Einleitungen klären zur (icuüge Uher die literarfjeschiehlliehe Stellung des
Werkes auf. Die Ctudrun ist, al8 Sehulau»gabe gedacht, in gekürzter Form
aufgenommen und der erste Thcil, Spiclmannspoesie, nur in Form einer Nacb-
cr/.äliliuig tjeijeben. Bei der Kürzung waren in erster Linie ästhetische Rüek-
sichten maligebend. Dass zahllose Interpolationen gerade bei diesem Werke
▼orgenommen worden sind, ist ja keine Frage, freilieh die betreffenden Strophen
als solehc zu i-rkcuiK n uns noch wcnifi^cr niiifflidi als etwa die unechten
Strophen des Nibelungenliedes. Jcde&talls gibt die Küisuug, wie sie die
.DenkmUer" bieten, dies Gedicht in genieSharer Form, mag sie es anch immer'
hin nidlt in der iirs[irüngliehen Gestalt hcrausffesrhält haben. ~ Die Auswahl
ans Luthers weltlichen Schriften — darunter Fabeln, Sprüche, Dichtungen,
Briefe, Aphorismen — befriedigt aufieroidentlich. Luther taritt da sb der
Welt weise und Weltkluge, als der Berather seines Volkes auf allen Gebieten
des Lebens recht schart vor unsere Seele. Und wie bündig, klar und treffend
ist da nicht alles erläutert! Selbst der graniniutischc Anhang, eine Überaidkt
über die Sjiracbn Luthers (S. 217 — 252) mit seinem Hinweis auf die alten
Furinen, wie sie noi-h heute in Gedichten unserer Moderneu vereinzelt fort-
leben, ist, 80 knapp er auch gehalten ist, ein kleines Meisterstück. Wir em-
pfehlen das ganze Sanunelwerk. insbesondere aber diesen letstgenaanten Band
recht eindringlich der Privatlee tiirc unserer Seminaristen. W.
Monatshefte der Comenins- Gesellschaft, 1. Jahrgang, 1. Heft. 135 S.
Leipzig, R. Voigtländers Verlag. Jährlich 10 Alk. Kinzelne Hefte 2' « Mk.
Prof. Dr. Esch Weiler. Haus und Schule. Kin Mahn- und Trostbüclilein in
Briefen an die Eltern unserer stndirenden Jagend. Bielefeld, Aug. Uelmich.
78 S. 1.25 Mk.. eleg. geb. 2 Mk.
G. Uelmke, Die Behandlung jugendlicber Verwahrloster und solcher Jugend-
liehen, welehe in GelMir sind za verwahrloien. Halle a. d. S., Hermann
SehiMeL 70 S. 1.25 Mk.
Anpis't Weiß, Die Fran nach ihrem Wesen and ihrer Beetimmnng. Leipaigr
Kdssbergsche Buchhandlung. 85 S. 1.50 Mk.
Otto Suterraeister, Dichten und Lügen. Vortrae^. Fraaenfeld, Hnber. 38 S.
Hans Trank, Der Volksschullehrerstand im Siiie^fel der Mitwelt. Gekrönte
l'reissclirift. Zweite Auflage. Graz, Leuschuer <!t, Lubeusky. 66 S,
Heyer-Markau, Der Lehrer Leamond. Urschriftliche Worte zeitbürtiger
dentBcher Sehriftateller, Diehter vnd Getehrten ftber Lehrer und Sdiiile.
DniBlmrff a. Bh. Za besielien Tom Verftaeer. -209 S.
J. PAWlecki, Dichterstimraen ans der deutschen Lehrerwelt. Hamborg, Ver-
lagsanatalt A.'&, (J. F. fiichter). 382 S. Geb. 4.50 Mk., hntOL 3 Mk.
J. W. Dörpfeld, Das Fundamentstttek einer gei eehten, gesunden, freien und
friedlichen Schulverfassung. 1. Lieferung. HilcheJibach, L. Wiegand. 63 S.
75 Pf. Vollständig in 4 Lieferungen.
Hofmiller, Kösch uud Königbauer, Schemata und Leiir])iuben. Nach den
sechs psychologischen Stufen f&r Volkeschulen bearbeitet. Bamberg, C.
Bnehner. 198 S.
Hans Sfnert, Methodik det dentsohen SpraehnnterriehtB. 2. AniL Wien,
Fiehler. 224 S. 1,401
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— 684 —
Adalbert Maxa, Rede-, Schreib- und SUlübnngeii. 2. AbtheUang. Wien,
Pichler. 159 S. 1 fl.
Uttttich and Yelter, AlpUabetbehM Nachsclilagebuch für deutsche Recht-
lehreibang. Nach der für Sekalen in Österreich amtlich festgesteliteD
BeehtMlureibniicr. 2. verbeaserte Aull. Wien und Fing, F. Tempaky.
166 8. 80 kr.
B. Stecke! . Allgemeine Hetmatafcnnde mit Berficksichtigimg der Caltar-
gesclüchte als Vorbereitung ftir den weUkundlichen Unterricht, namentlidi
als Vorschule der Geographie. Zwei Ciiinge (für Mittel- and Oberstufe).
Mit 17 Holzschnitten. Halle a. d. S., Hermann Schrödel. 108 S. 1.35 Mk.
Buley und Vogt, Das Tuiuea in der Volks- und Biii-gerschule tiir Knaben
und Mädchen, sowie in den Unterclassen der MittelBohalen. 2. Theil. W^len,
PleUer. 185 8. 1 H
FrmBi Schindler, Natorlehre für Volkssehaleo. IQt 112 Abbildongeo. Wien
ond Pirag, F.T^paky. LeipdgfO. Freytag. 118 S. Geh. 40 kr., geb. 55 kr.
Alton Gindelys Lehibncfa der Geschichte für Bfirgenchnlen. Bearbeitet von
Kraft und Rothaug. Ausgabe für Knaben-BHrgerschnlen. 1. TheiL 37
Abbildnng^en. 4 Karten. 11. Aufl. Wien nnd Prag, F. Tempsky. Leipzig,
G. Frey tag. 125 S. Geh. 55 kr., geb. 70 kr. — 2. Theil. 25 Abbüdun-
gen. 3 Karten. Kennte Anfl. 109 S. Geh. 50 kr., geb. 65 kr.
— Danelbe, Ausgabe für Uädehen-Bfirgenchnlen. 1. Theil. 38 Abbildungen.
4 Karten. Zwmfte Aufl. 119 S. Geb. 55 kr., geb. 70 kr.
Rudolf Bautz, Formeuf;tudien. Musterzeichoungen für Sehnle mid Bbm». 500
Muster. Frankfurt a. M., August Frey. 3.50 Mk.
Emil Franke. Holz-schrift-Monogramme. Zürich, Oiell Füssli. 2 Mk.
nie, Die Erde und die Ei-scheiuungen ihrer Oberfläche nach Reclus. I.Liefe-
rung. Vollständig in 15 Lieferungen & 60 Pf .
Knbach, Einftthrnngin den geographischen Unterricht. Dfisseldorf, Schwann. 18S.
Uietlein-Schumann, Deutsches Lesebuch für sechs- und mehrclasäige Schulen.
Gera, Hoflnann.
GoldMhmitt» Die deutsche Ballade. Programm der Talmnd Ton. Hamborg.
Tasehek, YoraeUlge nur Yereinliuhmig des grammatischen üntenichts in der
Volkssehnle. Wien, N.-O. Landedehnrrerein.
Znrbonsen, Literatnrfconde. Berlin, Nicolai.
PrOlI, Sind die Reichsdeutschen beit ( litigt und verpflichtet, das Dentadkthum
im Aaslande an stiitaen? Kiel und Leipoig, Tiacher.
Vwantima. BMlMltat Dr. Friadrieli Dittet. BuMtuktfai Jallat KlittkhArdt, LeipiSir.
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Jeam Panl's ,Jjeyaiia odw Enieblehre**
BMh Plan und Onndgedaakeii daigosteUt und ▼<« dem Staadpiuikte der heut^jw
PldagogOc beleaehtet toh JP. IT*
I.
Nicht mit Unrecht hat man das achtzehnte Jahrhundert, jenes
Jahrhundert der Völker- nnd Geistesbewegung, des Eriegsgetflmmels
und der emsigen Cnltnrarbeit, jenes Jahrhnndert» das in nnaofhalt-
samem Bingen nach , Anfkiflmng, Fortschritt nnd socialer wie reli-
giöser Befreiung, sowie auch im Strehen nach Tollstandiger Populaii-
simng der Freiheitsideen wol you keinem Zeitalter ühertroffen wird,
seiner Vielseitigkeit wegen bewundert Die großen Männer, welche
jenem vielbewegten Jahrhundert den Stempel ihres Gfeistes aufdrftckten,
waren schaffend und wirkend nach allen Bichtungen hin thfttig. Keine
Provinz des großen G^tesgebietes blieb nnangebant von ihrer be-
freienden nnd erlösenden Arbeit. Im Sti*eben, das morsch gewordene
Alte zu stttrsen und der aus den Fluten einer trüben Vergangenheit
emporsteigenden neuen Zeit feste Grundlagen zu sclmffen, wandte man
sich an alle Volksdassen. Ja, jedes Geschlecht und jede Altersstufe
sollte theilhaben an den Errungenschaften der neu aufblühenden
Periode. Daher konnte es nicht ausbleiben, dass man auch einer
Wissenschaft und Kunst, deren Aufgabe es ist, die neu gewonnenen
Schätze einer tiefer grabenden und forschenden Gemeinde von geistes-
großen Männern dem Gesammtvolke nahe zu l)ringen und das jung-
aufwaclisende Gesclilecht seiner Zeit würdig zu machen, rege Be-
achtung zollte. Diese Wissenschaft mit ihrer Anwendung als so
bedeutungsvolle Kunst ist die i'ädagogik. Darum darf es uns nicht
auffallen, wenn im erwähnten Jahrhunderte auf ihrem (lebiete eine
iebliafte Strömung eintrat, wenn zur Darstellung pädagogisclier Wissen-
schaft und pädagogischer Kunst Männer hervortraten, deren eigent-
liches Gel)iet im Reiche mannigfaltiger anderer Künste und Wissen-
schaften zu suchen ist. Aus nahe liegenden Gründen nahmen sich
vur allem Philosophen und Dichter der pädagogischen Sache an,
PnJagogiaa. U. Jabrg. Heft XL 48
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— 686 —
und Tonflglieh auch durch ihre Bemfihmigeii wnrde eine heOsame
Umgestaltang derselben herbdgeftihrt Selbstverständlich ist, dnss
jeder ins Bereich der yon ihm behandelten Wissenschaft seine eigene,
längst gewohnte Sprache ttbertmg, nnd so kam es, dass wir ans jener
Zeit philosophische Bearbeitungen der PAdagogik nnd poetische
Darstellungen derselben besitzen.
Das bedeutungsvollste unter den Werken letztgenannter Art ist
nun die „Levana'' oder ^.Erziehlehre'' von Jean Paul Friedrich
Richter. Zwar fUIlt die Heransgabe derselben nicht mehr ins
achtzehnte Jahrhundert, da ihre erste Auflage erst im Jahre 1806
erschien; aber die Grundgedanken des Werkes, sowie die empirische
Unterlage desselben lagen sidicrlich schon Jahrzehnte vorher im
Geiste ihres Verfassers; die Antriebe, welche unseren Dichter zur
Abfassung seines Buches drängten, sind schon in jüngeren Jahren
Jean Pauls wirkend gewesen. Und so glauben wir durcliaus keinen
Anstoß zu erregen, wenn wir die „Levana" zu den i)ädagogischen
Erzeugnissen des aclit zelint en Jalnhunderts rechnen. Hiermit liaben
wir zugleicli einem sehr wichtigen Zuge zur Charakterisirung des ge-
nannten Krzieliungsbuches Ausdruck verliehen. Jean Pauls „Levana"
ist nämlicli in holiem Grade ein Kind ilires Zeitalters, sie ist das in
iliren Vorzüiren wie in iiireu Fehlern, im Inlialte wie in der Form.
Wenn zudem der Verfasser eines Werkes eine so scharf ausgeprägte
Individualität und eine so subjective Natur wie Jean Paul ist, so er-
scheint es als selbstverständlich, dass für das Buch auch hierin eine
Quelle zahlreicher Eigenthflmlichkeiten liegt. So ist es denn ge-
kommen, dass der „Levana** unseres Dichters ein reiches Ma0 von
sehr diarakteristischen Merkmalen anhaftet, der^ Ursprung theils in
dem Standpunkte der damaligen Wissenschaft, namentlich der pftda-
gogischen, theüs in der ganzen Persönlichkeit ihres Verfhssers und
dem Leserkreise, für den er sein Buch bestimmte, zu suchen ist
Jean Paul ist im eminenten Süone Humorist; als solchem musste ihm
ein feines Gefühl eigen sein für alle jene Kleinheiten und Eleuiigw
keiten des menschlichen und namentlich auch des kindlichen Lebens,
die er als Dichter in poetisch durchhauditer Form zu schildm vusstSL
Er war aber nSherhin vorzugsweise ein Lieblingsdichter der höheren,
d. h. vornehmen Stände, nnd dieser Umstand konnte ebenfalls nicht
ohne Einfluss auf die Art seiner Darstellung sein. Die letztere ist
allzu charakteristisch, als dass wir nicht hier einige Bemerkungen
darüber machen möchten, da namentlich auch in dieser Hinsiclit die
nLevana" eine gänzlich isolirte Stellung in der pädagogischen Lite-
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— 687 —
ratiir einnimmt. Wie .lean Paul als Schriftsteller überhaupt das
Wirkende seiner Geisteserzeu^isse mehr im Sonderbaren, Über-
rasclienden, darum aber auch Einseitigen und Regellosen, als in der
makellusen Reinheit des Schönen gesucht zu haben scheint, wie das
Bestechende seiner Bilder mehr in ihrer überraschenden Seltsamkeit
und Häufung, als in ihrer Anschaulichkeit und poetisch feinen Ge-
staltung zu suchen ist, so schreibt auch Jean Paul der Pädagog.
Stellenweise fesselnd und die poetische wie die pädagogische Theil-
nabme aufs höchste steigernd, ist sein Werk anderseits zuweilen breit
Ub znr LangweiligkeSt und sonderbar bis zur Geschmacklosigkeit
Dennoch ist die „Levana" ein vielgenanntes, wenn auch nicht in
gleichem UmfiNige bekanntes GHied der pidagogischen Literatar, nnd
ihr anter znweilen so wenig ansprechender HtUle geborgener Kern
wertvoll genng, um unsere Beachtung auf sich zu ziehen und eine
eingehendere Beschäftigung mit dem Werke zu rechtfertigen.
Bei unserer Betrachtang von Jean Paols Eiziehlehre wollen wir
znnAdist in den Plan und die ftuBere Gliederung derselben eingehen,
um sodann die Grundgedanken des Werkes in flbersichtlicher Weise
zu entwickeln und schießlich eine kritische Beleuchtnng derselben
nach Maßgabe des heutigen Standpunktes der pädagogischen Wissen-
schaft zu versudien.
n.
Es ist eine bekannte, oft getadelte fUgenthümlichkeit Jean Pauls,
dass er in seinen Werken nie nach einem bestimmten feststehenden
Plane arbeitete, sondern seine Gedanken in bunter Mannigfaltigkeit,
wie sie ihm der Augenblick eingab, der Leserwelt darbietet. Die
anmutigsten Bilder malt er uns, die liebliclisten Zaubertrme weiß er
zum Ausdruck zu biingen, nnt ^leisterscliaft bringt er jede Saite des
Gemütslebens zum Erklingen-, al>»'r iinnici- sind es einzelne, sich von
der Umgebung abhebende, schimmernde Krystalle und duftende, auch
von Unkraut nmwucherte Blumen, die den Genuss bereiten, und dein
Leser bleibt es überlassen, in angenehmer Erinnerung der reichlich
gebotenen Genüsse die kostbaren Edelsteine zu einer Schnur zu
sammeln und die lieblichen Pflanzen zu einem duftenden Blumen-
strauße zu winden. Nach einem geschlossenen Gedaiikengang, eint r
auf einheitlicher Grundlage sich entwickelnden Ideenfolge wird man
jedoch vergeblich in seinen Werken suchen: es ist ihm eben, wie er
selbst gesteht, nie ganz gelungen, den „ungebundenen Geist in
gebundene Form zu bringen." Auch in seinem f&r den Päda-
gogen wichtigsten und interessantesten Werke, der „Levana", tritt
48*
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dieser Mangel zutage, auch hier vermisst man bei aller Fülle g:eist-
reicher und origineller Gedanken eine logische Verknüpfung der ein-
zelnen Theile zu einem organischen Ganzen. Anfangs scheint Jean
Paul sich allerdings einen bestimmten Plan vorgesetzt zu haben. Nach
Feststellung des Zweckes der Eraehung finden sich in genetischer
Folge die Gattungs- und die individuellen Eigenschaften, sowie die
Entwickelungsgeselze des P>ziehuogsobjektes dargestellt, und es
scheint fast, als wolle der Verfasser, von der ersten Erziehung aus-
gehend, eine Theorie der gesammten Erziehungsthätigkeit nach ein-
heitlichen Grundgedanken aufbauen. Bald jedoch verlflsst er ToIl-
ständig den eingeschlagenen Weg und behandelt in ziemlich unge-
regelter Anfeinandarfolge die vichtigsten Eniehungsfragen, wodurch
das Werk bei aller Qedankentiefe und Ideenf&lle doch den Eindruck
eines wohlgegliederten, widerspruchsfreien Gamsen nicht aufkommen
lässt Dessen war sidi jedoch niemand besser als der Autor selbst
▼ollstftndig bewnsst Schon die Überschriften der einzelnen Capitel
wie i^BrucfastQck'', „Nachschrift", ,,Traum", „Ergfinzungsblatf* lassen
erkennen, dass er kein System im strengen Sinne des Wortes zu
liefern gedenkt Verschiedene in den Text eingedruckte Bekenntnisse
beweisen dies noch klarer. .Dem ersten und zweiten (Theile) hätte
eine frühere Stelle gebUrt .... wenn es Uberhaupt in diesem £r-
fiihmngswerkchen darauf ankäme, die Stellen der Materien nach
strenger Bangordnung zu vergeben", sagt Jean Paul in der Ein-
leitung zur weiblichen liirziehung. und ein andermal bittet der Dichter
gar den Leser um Verzeihung „ob der wilden Anordnung des Stoffes!''
Wäre es auch noch so sehr zu wQnschen gewesen, dass Jean Paul
bei seinem psychologisch so interessanten Lebensgang und seiner der
Pädagogik nie ganz entfremdeten Thätigkeit einen Ingisrli durch-
sichtigen Plan eingehalten und die wertvollen Beobachtungen, welche
er als denkender Familienvater und zeitweise i)raktisclier Lehrer ge-
macht hatte, unter einheitliche Gesichtspunkte gebracht hätte, so ist
nun einmal nicht zu leugnen, dass der Plan der ,.Levana", besonders
wenn wir ihn mit dem unserer modernen Erziehungslnicher ver-
gleichen, in geradezu vollständiger Planlosigkeit besteht, und dass
in der ganzen Anordnung des JStoÜes ^der Dichter zu sehr hinter
dem Pädagogen durchblickt". Nicht zu übersehen ist allerdings, dass
diese der inneren 1 ogi>clien Anordnung- entbeiirende, unvcrknüiifte
Nebeneinanderstellung der einzelnen Gedanken in dem eigenartigen
Naturell des Dichters begründet und auf vollständig bewusster Igno-
rirung eines streng geschloäseneu Systems zurükzufuhren ist; dies
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gebt auch ans dem Umstände hervor, dass Jean Paul mit damaligen
systematischgearbeitetenlleisterdaratellaDgeii der pädagogischeiiWisBen-
Schaft doFchauB nicht anbekannt war. Der Ver&sser der ,»LeTana'*
mochte die vielseitigen Schwächen seiner sonst so reichbagabten
Dichtematnr zor Genfige gekannt haben, am die Wahl einer Fenn
bd Seite zn lassen, bei deren Anwendnng er, aller Yoranasetzong
nach, jedenfiüls ehien hervorragend hohen Grad der Vollkommenheit
nicht erreicht hfttte. Das sporadische Ansammeln seiner oft so ttber-
raschend schönen nnd dnrch Anwendung lichtvoller Bilder im höchsten
Orade wirkungsvoll gemachten Gedanken war ihm aar Gewohnheit
geworden. Man vergleiche damit, um diese Behanptong richtig zu
finden, seine beiden anderen Werke, die ihrer ganzen Materie nach be-
stimmt zu sein scheinen, in ihrer Darstellung einen wissenschaftlichen
Charakter zu tra^^en, die „Yorschnle der Ästhetik" und die „Seiina**!
Nicht minder mochte er aber auch mit dem Geschmacke seiner so
zahlreichen Leserwelt, die jedes neue Buch aus seiner Feder mit Jabel
begrüßte und sich an die vielfach zerhackte Darstellungsweise ihres
Lieblingsdichters gewöhnt hatte, gewissermaßen in stillem Einver-
ständnisse gearbeitet haben. Fand doch seine „Levana" Aufnahme
und lebhafte Benutzung in Kreisen, denen eine emstwissenschiiftliche
Sprache fremd war! Aus diesen Gründen ist es leicht begi-eiflich,
warum Jean Paul einer Sprache, wie sie z. B. Herbart ftthite, aus
dem Wege pfing.
Die „Allgemeine Pädagogik" des letztgenannten Philosophen fiihrt
der Verfasser in der Vorrede zur 2. Auflage (1811) an und kunimt
bei dieser Gelegenheit auch auf den speciüative Grundlage und streng
wissenschaftliche Methode vereinigenden Charakter dieses Werkes zu
sprechen. Hier, wie bei der Erwähnung von Grasers ^Divinität der
Menschenbildung" nimmt er Gelegenheit, unumwunden seine Abneigung
gegen Anwendung eines pädagogischen Systems auszudrücken. Er
meinte „dass Herhart das Titel-Vorrecht „allgemeine** nicht möchte so
allgemein benntzt haben and durchgefühlt,** and mehrmals erfthrt
der Leser, dass die »Leyana" nnr dne Blutenlese von pädagogischen
Urtheilen sei, etwa in dem Smne, wie ihr Yerfiuser z. B. hei Er-
wähnung Ton Schwarz „Erziehnngslehre den Aosdrack Blnmen-
kataloge von Kinderseekn" gehrancht hat So ist es denn gekommen,
dass die „Lerana", den Ansichten ihres Ver&ssers entsprechend, der
inneren Gliedernng, wie sie eine erschöpfende DarsteUnng des Stoffes
nöthig gemacht hätte, fast gänzlich entbehrt Betrachten wir die
änlSere Gliedernng des Werkes nun etwas nähert
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m.
Dasselbe serfiUlt in drei „Bändchen*', in 'widchen nenn „Brneh-
stUcke** nntergebracht sind, von denen Jedes wieder ans einzelnen
„Capitetn" besteht Das „erste BrnGhstück" behandelt im ersten
GapiteL die Wichtiglrait der Erziehnng. Schon im zweiten nnd
dritten Capitel wird jedoch der Flnss der Ansemandersetzong nnter-
brochen dnrch zwei in höchst sonderbarem Oesehmack gehaltene
,,SchiUreden'', von denen die erste in allerdings hnmoiistischer Form»
Gründe gegen die Wirksamkeit der Erziehung vorbringt, während
die zweite in ernster Weise letztere darzathan sucht. Das zweite
„Bmchstttck" beschäftigt sich sodann im ersten Capitel mit „Geist
nnd Grandsatz der Erziehung" nnd entwickelt im zweiten Capitel,
hiervon aasgehend, die Individualität des Idealmenschen. Man sieht,
bis hierher hat Jean Paul, abgesehen von den „zwei Scliulreden",
deren Einfügung wo! nur stattfand, um den Charakter eines Lehr-
Imches zu vemieiclen und der „Levanji" ein mehr dichterisches
Gepräge zu geben, seinen Stoff mit ziemlicher Folf^erichtigkeit der
sich aneinander schließenden Ideen behandelt. Auch das dritte
Capitel „über den Geist der Zeit" und das vierte Capitel von der
Bildung zur Religion stehen in ihrem Gedankeninhalt nicht allzu
fremd den vorhergegangenen Ausführungen gegenüber. Dagegen
bringt das erste Capitel des „dritten Bruchstückes** schon eine „Ab-
schweifung über den Anfang des Menschen und der Erziehung", wel-
cher jede Verbindung mit den Schlussbenierkungen des zweiten
„Bruchstückes" fehlt. Hieran schließen sich in ungeordneter Auf-
einanderfolge Ausführungen über verschiedene wichtige Punkte des
Kindeslebens. So beschäftigen sich Capitel 2 und 3 mit der Freudig-
keit dar Kinder nnd mit dem Spiel derselben. In Capitel 4, 5, ü, 7
nnd 8 finden sich Gedanken Uber das Tanzen, die Hnsik, Gebieten
nnd Verbieten, das Strafen nnd das Schrei-Weinen der Kinder. Von
besonderer Wichtigkeit ist noch das nennte Capitel, worin sich Jean
Panl „über den Kinderglanben'* aasspricht. Nun folgen wieder zwei
Unterbrechungen des vorherrschenden Ganges in der ftnSeren Glie-
demng. Ein „Anhang zum dritten Bmchstück'* handelt Aber die
physische Erziehnng, während ein „komisi^er Anhang nnd Epilog**
ein „getrftnmtes Schreiben an den sei. ProH Geliert, worin der Ver-
Jhsser nm einen Hofineister bittet**, enthftlt
Das nnn folgende „vierte Bmchstack** schemt den abgebrochenen
Faden der pädagogischen AusfÜhmng wieder anknüpfen zn wollen;
es handelt (in ö Capiteln) „von der weiblichen Erziehung**. Aber
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wieder ist von keiner Ordnung der dargebotenen Gedanken die Rede,
und Jean Paul muss dies wol gefühlt haben, wenn er sagt, dass
man in seinem Bruchstück über Mädchen die systematische Ordnung
vermissen und „nur eine für Weiber systematische Anordnung" an-
treffen könne. Das erste Capitel des neuen Bruchstückes bescliäftigt
sich mit den Fehlem in der weiblichen Erziehung, denen in der Form
einer „Beichte Jaqueliuens ' Ausdruck gegeben ist. Die drei folgen-
den Capitel handeln von der Bestimmung des weiblichen Geschlechts,
der Natur der Mädchen, der Bildung der Mädchen in Hinsicht der
mannigfaltigsten Angaben, Gewohnheiten und Eigenschaften des
liehen Qeaehleehtes. Das fiknfte (Schliuscapitel) wird gebildet durch
eine „geheüne Instruction eines Ftkraten an die Oherhofineisterin
seiner Tochter". Das JItadto Bruchstfick'* ist der FtIrstenerziehuDg ge-
widmet Neben allgemeinen AusfÜhruDgen Aber die Bildung eines
Fürsten enthfilt es emen Brief au den „Prinzen-Hoflneister, Herrn
Hofrath Adelhard, Uber Flirsteaerziehung". Außer jeglichem Zusam-
menhang mit dem Inhalte dieses Bniehstackes stehen die Ausführungen
des sechsten Bruchst&ckes. Dasselbe trftgt die Überschrift ^Sittliche
Bildung des Knaben'*, handelt jedoch in seinem ganzen YerUnfe von
sittlicher Bildung überhaupt und ist deshalb namentlich im letzten
Theile seinem Inhalte nach für beide Geschlechter bestimmt. Der
sittlichen Stärke soll nach den Ausführungen des ersten Capitels die
körperliche vorausgehen. Darum enthält dieses Gedanken über „Ver-
wandspiel," „Schädlichkeit der Furcht und des Schrecks", „Lebenslust",
„Unzolängiichkeit der Leidenschaftlichkeit", „Nothwendigkeit der
Jugendideale". Das zweite Capitel handelt von der Bildung zur
Wahrhaftigkeit, das dritte von der Bildung zur Liebe, die nicht nur
alle Menschen umlassen, sondern sich auch auf die Thiere erstrecken
soll. Das vierte Capitel wird gebildet durcli einen „Ergäuzanhang
zui* sittüclien Bildung", welcher „vermischte tröstliche Regeln'- ent-
hält, über „Geschichte der Eltern für ihre eigenen Kinder, über
Kinderreisen", über die „Misslichkeit voreiliger Schanilehre*' und „über
die Kinderkeuschheit" handelt. Das siebente Bruchstück enthält Aus-
führungen „iiber die Entwickelung des geistigen Bildungstriebes".
Nach einer näheren Bestimmung desselben im ersten Capitel behnden
sich im zweiten Capitel „Gedanken über Sprache und Schrift"', im
dritten „über Aufmerksamkeit imd Yorläldungskraft'-, „Pestalozzi",
„Unterschied der Mathematik von der Philosophie"; das vierte Capitel
behandelt die Bildung zum Witze, das fünfte die „Bildung zu Re-
flexion, Abstraction, Selbstbewusstsein" und enthält einen „Anhang*
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Paragraphen über That- oder Weltsinn". Im sechsten Caidtel spricht
sich Jean Paul aus „Über die Ausbildung der Ennnenmg, nicht des
Gedächtnisses". Das achte Brachstück enthält Betrachtungen über
die Ausbildung des Schönheitssinnes und handelt im ersten Capitel
über die „duich den äußeren und inneren Sinn bedingten Schönheiten",
das zweite Capitel ist Erwägungen über classische Bildung gewidmet.
Den folgenden Abschnitt der „Levana" bezeichnet Jean Paul selbst
als „Neuntes Bruclistückchen oder Schlussstein". In demselben kommt
der Verfasser u. a. auch auf das Unterrichten zu sprechen, „welches
übcrluiupt in späteren Jahren immer mehr mit dem Erziehen zu-
saiimientallt". Als drei Classen der Wissenschaft, die dem „Drei-
klang der Bildung entsprechen", bezeichnet er die lateinische Sprache,
die Messkunst und die Geschichte. Außerdem enthält das letzte
Bruchstück aphoristische Gledanken Uber die verschiedensten Theile
der Erziehung. Mit einem sehr edeln Schlussaccorde klingt die
„Levana ' aus. Jean Paul schließt mit einer „Dichtung vom jüngsten
Tage und deu zwei letzten Kindern": „Sie wurden geboren, als eben
die Welt yoU Sünden unterging und blieben allein; sie griffen mit
spielenden Hftnden nach den Flammen nnd endlich wurden sie auch
davon mit Adam mid £ya aasgetrieben, nnd mit dem lrifidH«hwi
Paradiese heschloss die Welt" —
Findet sich also, wie wir zu beweisen gesacht haben, in der
„Levana** kein streng eingehaltener Plan, noch weniger ein festge-
schlossenes System der gesammten Erziehnngswissenschaft, so ist das
Werk doch fiberaas reich an trefflichen Gedanken Aber die mannig-
faltigsten Anijsaben der Erziehung, nnd die in ihm niedergelegten
Ideen nnd Yorschlftge Ar HerbeifBhrang einer besseren Jagend- nnd
Henschenbüdong werden so lange der Beachtung gewiss sein, so lange
' es dne Wissenschaft von der Erzidmng gibt and sich Menschen finden,
welche die Bildnng der heranwachsenden Jagend als die yornehmste
Aufgabe der Familie und des Staates betrachten. „In wenigen
Bücliern" sagt Grube, „ist in die allgemeine Menschennatur, bis za
ihren Elementen herab, so klar hineingeleuchtet, die Kinderseelc so
innig und allseitig belauscht, sind so viele zai'te Seiten derselben be-
rührt worden, so viele Hämmer zn ihrer richtigen Stimmung gogeben."
IV.
^^'elclles sind nun die in der „Levana" enthaltenen Grundge-
danken der Jean Panischen Pädagogik? Um die bedeutungsvollsten
derselben kennen zu lernen, erscheint es in erster Linie von Wichtig-
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kdt, sieh Klariieit darttber m Tenchaifeii, irelehe Anaicht Jean Paul
von dem Geiste und der Aufgabe der Erziehang ftberhanpt hatte;
denn je nach der Idee, die der EnieheBde sich Aber daa Wesen und
die Ziele der von ihm vertretenen Wissenschaft gebildet hat» wird er
die zur VerwirklichnDg dieser Idee nöthigen YeranstaltuDgen treffen.
„Zum Ziele der Erziehungskunst, das uns vorher klar nnd
groß vorstehen muss, ehe wir die bestimmten Weg:e dazu messen, ge-
hört die Erhebung ftber d&a. Zeitgeist: Nicht für die Gegenwart ist
das Kind zu erziehen, sondern für die Zukunft.'' Spriflit schon ans
diesen Worten Jean Pauls ein hohes ideales Ziel, zu dem der junge
Mensch der „leidenschaftlichen Begehrkraft" eines „schwankenden
Zeitgeistes" gegenüber erzogen weiden soll, so erläutert er es in dem
weiteren Verlaufe des Werkes an verschiedenen Stellen iiodi näher.
.,Ge<jfeu die Zukunft, ja gegen die eindringende Zeit ist das Kind mit
einem Gegengewicht dreier Kräfte auszurüsten, wider die drei Ent-
kräftungen des Willens, der Liebe, der Religion".
Und wenn er bei der Betrachtung von Geist und Grundsatz der
Erziehung „den gewöhnlichen Eltern" vorwirft, dass sie statt „eines
Urbildes" ein „ganzes Bildercabinet von Idealen den Kindern vor-
stellten", so erkennt man daraus, wie ernst es Jean Paul mit der
Einheitlichkeit aller Erziehungszwecke iiinunl und mit welcher Ent-
schiedenheit er auf ihre Verknüpfung und ihren harmonischen Zu-
sammenschluss zn einer einheitlichen Lebensanifkssung dringt. „Einen
festen ind reinen Charakter", mit diesen Worten bezeichnet er das
Ziel der Erziehnng, wenn;,er von der MBildnng eines Forsten" spricht,
nnd den durch Qe3>nrt nnd Bestimmung „anf der Menschheit Höhen**
stehenden jungen Menschen irollte der Dichter gewiss die reifsten
Früchte seiner p&dagogischen LebenseriUimng angeddhen lassen!
Boch nnterlässt es Jean Panl in dem weiteren Verlaofe des Werkes,
an dieser Ansicht ^tznhalten nnd in wissenschaftlicher Strenge
ihre äußersten Conseqnenaen zn ziehen. Der kritische Blick des Ge-
lehrten weicht in seiner Ansicht bald dem durch ein ftnßerst lebhaftes
Spiel der manniglSsltigsten Empflndungm gelenkten ürtheile des
Dichters. Überhaupt tritt in der „Levana**, wie in den meisten ande-
ren Werken Jean Pauls, wieder h(ksbst charakteristisch für die Poeten-
nator ihres Verfassers, der Gedanke von der großen Erziehungsmacht
der uns umgebenden Natur, und dem das Individuum treffenden Lebens-
schicksale stark hervor, und Jean Paul ist sehr geneigt, diesen beiden
Erziehern des Menschen eine allzugroße Macht einzurftumen, was ja
sdion an und ftU* sich einem einheitlichen Erziehnngsprincipe, dessen
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Verwirklichong nur durch die Hand eines denkfinden Erziehers, eines
Menschen, erreicht werden kann, entgegen sein würde. Aber der
Verfasser der „Levana" erinnert anderseits fortwährend an die Wkli-
tigkeit eines Ideals, das dem Erzieher bei seinem Geseb&fle voran-
leuchten soll, bei näherer Bestimmung desselben bleibt er sieb jedoch
durchaus nicht gleich-, darum darf es uns nicht wundern, wenn Jean
Paul seine anfangs innegehaltene Stelhmf? verlässt und bei der Wahl
eines Erzieluinf^sideals seinen Blick nicht nach der fernen Zukunft üet
zur Erreichung: fref;:ebeneu Erziehungsaufgabe leukt, sondern die Natur
und BeschaÖ'enheit des Objectes, das die Erziehung bei Beginn ihres
Geschäftes vorfindet, in den Brennpunkt seiner pädagogischen Auf-
fassung rückt. Durch die P^rforscluing der Natur des Erziehungs-
objectes, das die Erziehung bei Beginn ihres Geschältes vortiudet, die
bei der Geburt des Ivindcs bereits vollständig ausgeprägt sei, glaubt
Jean Paul schon die ganz bestimmten Zwecke der Erziehung ge-
geben, wahrend ihm diese Erkenntnis doch eigentlich nur dazu dienen
sollte, eine klare Einsicht über Art, Anwendbarkeit und Wirk-
samkeit der Erziehungsmittel zu erlangen. Betrachten wir nun
die Ansichten der „Levana" über die Natur des Kindes etwas näher!
„Der innere Henseli irirät wie der Neger, weiß geboren und TOm
Leben snm schvaizen gefiirbt** Spricht schon ans diesen Worten die
Übensengung von einer angeborenen Gflte der Menschennator, so er^
scheint sie bei Jean Paul in Toller Gewissheit, wenn er weiter sagt:
»Ein erstes Kind auf der Erde wQrde vns als ein wunderbarer aus-
ländischer Engel erscheinen, der nngewChnt nnserar fremden Sprache,
Miene nnd Lnft, ans sprachlos nnd scharf, aber himmlisch rein an-
blickte, wie ein Baphaeliaches Jesuskind ^ werden täglich
ms der stummen, unbekannten Weit diese reinen Wesen auf die wilde
Erde geschidLt'* An gleichem Orte heißt es: „Nur die Angewöh-
nungen an sie (die Kinder) und ihre uns oft bedrängenden BedOrfiiisse
verhüllen den Beiz dieser Seelengestalten, welche man nicht weiß
schön genug zu benennen, BlQten, Thautropfen, Sternchen, Schmetter-
linge " In den Grundsätzen, auf welchen diese Äußerungen
ruhen, finden wir den Vei-fiisser der „Levana" in Übereinstimmung
mit J. J. Rousseau, einem Manne, der durch seine originellen, von
den früheren Ansichten über Erziehung abweichenden Gedanken über-
haupt eine mächtige Anregung gegeben hatte, und der durch die
Macht seiner Ideen — um mit Jean Paul zu reden — „in Europa
die Schulgebäude bis zu den Kinderstul)cn herab erschütterte und
reinigte''. Gleich ihm liäit unser Dichter den Menschen von Natur
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ans für gut, wie Bonssean, so schreibt Jean Paul die spfttere Ehit-
artoog des IndiTidwuns .einer falschen Einwirkung Ton außen m.
Doch unterscheidet sich wieder der dentsche Dichter von dem fran-
sOsischen Pliilosophen dnrch den geringeren Grad der Schflife^ mit
der er seine Ansicht vertheidigt, wie anch dnrch die Art nnd Weise,
wie ihm die angeborene Ottte des jongen Menschen erscheint. Ist
nach Bonssean der neu geborene Mensch ehiem weilten Blatte ^eich,
das der Erzieher mit Schriftzflgen bedecken kann, so dass letzterer
„eine schöpferische Personbfldniig aus dem Nichts" als seine Aufgabe
betraditen muss, so bringt nach Jean Paul jeder Mensch schon eine
ganze Anzahl angeborener Geiatesscli&tae nnd Eigen thümlichkeiten mit^
die anf sein späteres Leben von ganz entschiedenem Einflüsse sind.
Diesen „inneren Menschen", der in jedem Kinde noch umhüllt liegt,
nennt er „Idealmensch". Bei dem großen Einflüsse, welchen die An-
sicht eines Pädagof^en von der angeborenen Natur des Erziebuiif^s-
objectes auf den weiteren Auf- und Ausbau seiner Wissenschaft aus-
übt, lialten wir es für nüthig, diesen „Idealinenschen," wie er Jean
Paul vorscliwebte, auf Grund der in der „Levana" über ihn ent-
halteneu Bemerkungen nälier zu bestimmen, ...Jeder von uns hat
seinen idealen Preismenschen in sicli, den er heimlich von Jugend auf
frei und ruhig zu machen strebt. .\m hellsten schauet jeder diesen
heiligen Seelen-Geist an in der Blütezeit aller Kräfte, im Jünglings-
alter; später verwelkt bei der Menge der Idealmensch von Tag zu
Tage — und der Mensch wird, fallend und überwältigt, lauter Gegen-
wart, Geburt der Noth und Nachbai'schaft. Aber die Klage eines
Jeden: was hätt' ich nicht werden können, bekennt das Dasein oder
Dagewesensein eines ältesten paradiesischen Adams neben und vor
dem alten Adam" „Sollte man übrigens den Preis- nnd Ideal-
menschen in Worten ftbersetaen, so konnte man etwa sagen, er sei
das harmonische Maximum aller individnellen Anlagen znsammenge-
nommen.^ Doch nicht „das Maximum" dieser ,,indiTidnellen Anlagen"
allein ist ihm der „Idealmensch**, er ist anch Ideal des an erziehenden
Kindes, Yoranssetznng nnd Ziel der Erziehnng zugleich: „Das Snbject
trügt sein Ideal in sichi bringt es mit anf die Welt, das Ideal ist die
innerste Persönlichkeit des Menschen 8elbet*< Also das, was die Er-
ziehnng einestheils als gegeben voranssetzen dari; was ihr aber wieder
als zn erreichendes Ziel yorschweben kann, Jier innere Mensch^ der
.yon dem Ton seiner Zeit nnd seinem Jahrhundert verschliflfenen
Sftcular-Menschen so rein und gleichförmig abliegt, wie der Roussean'-
sche Natur-Mensch«, das ist nach Jean Paul der »Jdeahnensch**, den
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das Kind „ate Morgengabe setnem Erzieher darbietet". Sehr ent-
schieden verwahrt sich unser Antor gegen den Glauben, als nehme
er den Preis- oder Idealmenschen, der ,4n jedem Eünselwesen wohnen
und athmen muss", als bei sämmtlichen Tndividnen nur in einer be*
Stimmten Form auftretend an; er ist vielmehr nach seiner Auffassung
so sehr von dem eines jeden audeien Mensdien verschieden, dass
selbst die scheinbarste Ähnlichkeit, die man entdecken möchte, im
Grunde nur eine Täuschung wäre: „Der Idealmensch Fenelons —
so voll Liebe und voll Stärke — der Idealmensch Cato's — so voll
Stärke und voll Liebe — könnten gleichwohl sich nie j^e^^on einander
ohne Geisterselbstmord auswechseln oder seelenwandern". Steht also
Jean Paul in seiner Ansicht von der angeborenen Güte der mensch-
lichen Natur auf Seite Rousseau's. so erinnert er in der Auffassung
und Erklärung von seinem ..Tdealmenschen" lebhaft an Plato und
seine Lehre „von den angeborenen Ideen". „Nach der Ansicht des ge-
nannten griechischen W eltweisen liegen nämlich übersinnliche \\'ahr-
heiten (Ideen) ursprünglich im Menschen, bereits vor Vereinigung
mit dem Leibe hat die Seele diese Ideen besessen, durch Verbindung
mit dem (unvollkommenen j Leibe verliüllt, müssen sie (huch richtige
Erziehung frei gemacht und von der Seele reproducirt werden.
Ist es also nach Jean Pauls wiederholt angeführten Worten seine
Überzeugung, dass der Idealmensch dem Kinde angeboren, außerdem
sein Ideal, ja seine innerste Persönlichkeit selbst ist, so mnss in Hin-
blick anf den hohen Wert der Individnalitftt ee Hauptaufgabe des
Erziehers sein, Soiige zn tragen, dass dieser Idealmensch ungehindert
znr Entwickelnng gelangen kann; ja das nichste Ziel aller endeh-
Hehen Veranstaltungen mnss darauf gerichtet sein, „den Idealmenschen,
der in jedem Kinde unhOUt liegt, frei zu machen durch einen Frei-
gewordenen*'. Dasselbe meint Jean Panl, wenn er an einem anderen
Orte sagt: „In einem Anthropolithen (yersteinerten Kenschen) kommt
der Idealmensch anf der Erde an; ihm nnn von so vielen Oliedem
die Steinrinde wegznbrechen, dass sich die flbrigen selber befreien
können, dies ist oder sei Erziehung.** Schonende Beachtung des
Ideals, „ohne welches der llensch auf vier Thierklauen niedersinke'V
erscheint nmsomehr geboten, „als jetzo die meisten Cnltnrmenschen
ein Feuerwerk sind, das untei' einem Regen abbrennt, nnverbunden
mit zerrissenen Gestalten glänzend halbe Namenz&ge malend**. Mit
Becht wendet sich deshalb auch die „Lewa** gegen jene Erzieher,
welche diese Individualität nicht zu schonen wissen, sondern „stark
darauf hinarbeiten, „dass das Kind nichts werde, als ,4hr Stief- und
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Kel)s-Ich". Düch wäre es irrifi^, anzunehmen, der „Levana" schwebe
der rein abwehrende Modus der Erziehung als Ideal vor und ihr Ver-
fasser rede der negativen Erziehung, wie sie Rousseau in seinem „Emil"
predigt, das Wort. Gestützt auf längere Beobachtungen, die er als prak-
tischer Erzieher machte, wusste Jean Paul allzuwol, dass es eben nur
das erste Kind wäre, das als „wunderbarer, ausländischer Engel" er-
scheinen würde; die nicht zu ignorirende Wirklichkeit belehrte ihn,
m welch nnendlicher Mannigfaltigkeit, auch nach der seblimiiieii Seite
hin, die in dem Kinde wohnenden Keime sich entwickeln kOnnen, und
so war es ein Tribut^ den er der auf jeden Erzieher eindringenden
Tbatsächlichkeit brachte, wenn er sagt: „ein jedor liegt, so leicht
blähend er sich nach oben anschane, noch belastet mit einer Wurzel
in der finsteren Erde." Deshalb hat der Erzieher, von der Indi-
Tidnalitat, die er wachsen Itest» eine andere zn trennen, die er beu-
gen oder lenken mnss. Die Antwort auf die Frage, welche Indi-
vidnalitftt der Erzieher wachsen lassen und welche andere er beogen
oder lenken muss, gibt Jean Paul nun allerdings in eigenthftmlicher
Weise, wenn er hinzusetzt: „jene ist die des Kopfos, diese ist die des
Herzens". Einer intdlectuellen Veranlagung, die zum Beispiel einer
kttnstlerisclien Individualität anhaften könnte, darf der Ei-zieher „nicht
den Schlaftrunk schon am Morgen des Lebens geben — „Aber ganz
anders ist die sittliche zn behandeln; denn ist jene Melodie, so ist
diese Harmonie. Einen Euler darfst du nicht durch einen einge^
impften Petrarca entkräften oder diesen durch jenen, denn keine
intellectuelle Kraft kann zu gi(ȧ werden und kein Maler ein zu
großer Maler; aber jede sittliche Ei^'^entliihiilichkeit bedai f ihrer Oreiiz-
berichtigung durch Ausbilduii^^ des entgegengesetzten Kniftpols. und
Friedrich der Einzige soll die Flöte nehmen und Napoleon den Ossian.
Hier darf die Erziehung z. B. an dem Heldencharakter Friedens-
predigten halten, sowie <len Siegwarts-Ciiarakter mit ein i)aar elek-
trischen Donnerwettern laden, . . , ,,l übrigens bleib' es Gesetz, da
jede Kraft heilig ist, keine an sich zu schwächen, sondern nur ilir
gegenüber die andere zu erwecken, durch welche sie sich harmonisch
dem Ganzen zufügt."
Heute würde ein Pädagoge diese Frage natürlich anders beant-
worten; denn die Psychologie lehrt uns so viele Berührungspunkte
zwischen dem intellectaellen und ethischen Elemente der Menschen-
natur, dass der Grundsatz einer durchaus harmonischen Aus-
bildung beider bei aller EMehnng leitend sein muss.
(Schlus folgt)
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ReBerkuDgen zur Fraidwörterfrage.
Von Alfred von ESkrmann-'Baäm h. Wim.
TT
n ^->^nfi<ne toutsche Sprach ist nicht dergestalt arm und bawtällig,
wie sie etliche naßweise nunmehr machen, die sie mit frantzösischen
und italiftniBehen Plttsen abo flidran, dasB aie auch nicht eyn kleines
Brioflein fürtäcliickcn, es eeye denn mit anderen Sprachen dermaßen
durchspiokt, doss einer, der es will vcr^t' hn, fast in iiUou Sprachen der
Christonlioit bediirflft Erkiuiutnus.s iialten, zu großer .S<'liande und Xarh-
theil unserer teutschcn Sprach, die in jbr solch voUkomnicuheit hat,
daas eie aneh alles, was da könnte fVifallen, |^ wol kaaa andeuten
und verBtftndlieh gang ohne snthnn anderer Sprachen an venteben
geben."
(Fabricius von Hilden um 1600.)
Vorstehendes Citat aus einem tdAi verschollenen Schiiftsteller de«
XVII. Jahrliunderts vui e wol ganz geeignet, das Alter jener phflo-
logischen Streitfrapfe, welche neuerdings wieder zu einer brennenden
geworden ist, aufs deutlichste zu beweisen. Aber niclit aus diesem
Grunde habe ich es nicinen Ausfiilirunijen voranf^esetzt. Dass die
Fremdwörterfra2:e nicht von diesem Jahrzehnt herrührt, ja, dass nicht
einmal unser .lahrlmndert den Vorzug in Anspruch nehmen darf, sie
zuerst aufgeworfen zu liaben, ist wol zur Genüge bekannt. Wenn
noch Beweise angeführt werden müssten, so gäbe es viel ältere als
es der (»Vien citirte ist.
Was mir aber in dem wolgemeinten, wenngleich unglaublich
schwerfälligen Satze des Herrn von Hilden ganz besonders beachtens-
wert scheint, ist die schlagende Ähnlichkeit seiner Ausdrncksweise
mit derjenigen unserer Sprachreiniger von heute. Die Malinworte
und Aufrufe dieser letzteren .sind genau auf den Ton gestimmt, wel-
chen jener Zeitgenosse des üppigsten Jb'rauzosenthums iu Deutschland
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amebUgt Dieisr Umstand gibt za denkea. DasB die Klagen Hfldena
ToUbereebtigt waren, darOber kann kein Zweifel bestellen. In jenen
nnglftckseligen Zeiten, ans denen sein Ruf zn nns dringt, ging Sprach-
yerwildenmg mit wirtsehaftlicher nnd sittlicher Verwildemng Hand
in Hand. Soldtnippen der versdiiedensten Nationen hatten im heiL
römischen Bdcha gewirtschaftet und in manchem Gau die Pest za-
rflckgelassen; die Sprache war dnrch sie nicht minder verseucht
worden. Hildens Rügemf klingt noch maßvoll gegenüber der trost-
losen Entartung, welche er thatsächlich voriüuid. Unsere berufenen
Spi-achwächter (kr jüngsten Zeit führen dagegen manchmal eine weit
schftrfere Sprache. Daraus mttsste nun füglich geschlossen werden,
dass der Übelstand noch in demselben Maße fortbestehe, wie vor
300 Jahren, da er heute eben so heftig gerügt wird wie damals.
Dies scheint uns aber kaum denkbar. Sollte es wiiklich nach all den
siegreich beendeten Kämpfen auf nationalem und literarischem Gebiete
noch immer nicht besser stehen um die Reinheit und Selbstständigkeit
unserer Sprache? Luthers große That hätte ihre Fruchte getia(,'en,
die Nacliwelien des dreißigjährigen Krieges wären überwunden, eine
blühende Literatur wäre erstanden, auf die wir jetzt schon wieder als
auf eine khissische Ki)Oche zurückblicken, und unsere Sprache hätte
sich noch immer nicht von Irt uuler l^evormundung befreien können?
Deutschland wäre einig geworden und das Deutsche stünde noch nicht
auf eigenen Füßen? —
Wer die Texte aus jenen unruhigen Zeiten nur einigermaßen
kennt und sie mit einer Probe aus unserem Schriftthum vergleicht,
wird Uber diesen Punkt beruhigt sein.*) Wenn man die Biesenarbeit
ftberblickt, die seither sowol von den wenigen großen Banmeistem
der Sprache, als anch von den Tausenden literarischer Handlanger
in unverdrossenem Znsammentragen geleistet worden ist, so wird man
sich sagen mttssen, dass nns kaum der zehnte Theil dieser Arbeit
noch zu leisten fibtig bleiben kann. Dass die Sprache sich aus der
damaligen Verwälschnng nnd Entnationalisimng nur langsam und mit
*) Der Meikwflfdiglieit halber leim hier die — wie ich §^be — eehr wenig
bekannten Verse wiedergegeben, in denen damals ein «dentsdier'* Dichter die Dame
Beines Uenens besang: Rovcrierto Dame
Phönix meiner dme
Gebt mir Audienz
Emer Gunst meriten
Machen zum CdUteii
Heine Patiens.
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— 700 —
Mühe befi-eien konnte, ist selbstverständlich; wie sie geschul meistert
und oft pedantisch genug zur Eeinlichkeit erzogen wurde, wissen wir
ja aas der Geschichte der Binmen-, Palmen-, Schwanenorden und ähn-
Uehflii S^acbmnigungsgeselladiaflteii mit botanischen und zoologischen
Namen! Es mur ein langer nnd beschwerlidier Weg, den unsere
Sprache yon da bis Klopstock und Lessing znrHekzDlegen hatte! Eäii
nicht mi untersehätsendes Hindenus erstand ihr dabei noch aoBerdem
in dem flbermichtigen Einflösse, den gerade zu jener Zeit Frankreich
mid seine unter Ludwig XIV. blühende Literatur auf das ganze da-
malige Europa, in erster Linie natürlich wieder auf Deutsehland aus-
zuftben begann. Von den größeren und kleineren deutschen FQrateo,
Ton denen die meisten, geblendet durch die Herrlichkeit des Pariser
Ho£bs, in eine sklavische Nachahmung desselben Terfidlen waren»
konnte natHrlieh eine Forderung deutscher Art und Poesie auch nicht
erwartet weitlen. Manche unter diesen Miniaturdespoten und Nach-
äffem des Sonnenkönigs warfen sich in ihren Residenzen, die sie zu
einem Klein-Paris umgestaltet hatten, und auf ihren Landhäusern,
welche als After- Versailles mit dem Schweiß und Blut ihres Volkes
oder gar mit den Ertra^rgeldem des schändlichsten Untertbanei^
Schachers erbaut waren, viel eher zu Mäcenen wälscher Tanzmeister
und Komödianten, als zu Beschützern heimischer Poeten auf. Kann
ja doch sogai* dem gi'oßen Friedrich der Vorwurf nicht erspart wer-
den, dass er die Bedeutung des Deutschen als Staats- und Literatur-
sprache vollkommen verkannt hat! —
Ihr Ent wickelungsgang konnte jedoch durch all diese Heiiimnisse
nur auf kurze Zeit aufgehalten werden. J)Lun derselbe isi auch in
der Messiade und in der bahnbrechenden Prosa Lessings kein abge-
schlossener. Über Goetlie und seine Epigonen hinaus setzte, wenigstens
im Schritfthuni, die Sprache ilire Bestrebungen fort, sich zu bereichern,
zu klären, zu liiutern. Französische Wörter kehren von da an seltener
wieder, und auch in der Anwendung jener gelehrt scheinensollenden
Zwitterbildungen aus griechischen und lateinischen Stämmen mit
deutscher Ableitungssilbe ist man sparsamer geworden. Für alle diese
verlassenen Wörter lag nun aber der entsprechende deutsche Aus-
druck nicht immer bequem bei der Hand. Manchmal hieß es ein
wenig suchen, aus der Bedeweise der Väter Einiges herflbemehmen,
einen Griff in die Yolksmundart thun, vielleicht sogar bilden oder
wenigstens umbilden. Daraus eben erwuchs der Sprache ein neuer
Segen: Sie bereicherte sich, lernte die eigenen HiÜ^uellen kennen
und aus ihnen schöpfen. Nicht alles, was auf diese Weise gewonnen
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— 701 -
wurde, fand von den Bttchera ms den Weg in die lebendige Umgaags-
aprache; und nicht alles, was sich ÜBSteasetEen wnsste, ist anch ein
xmbedingter Gewinn für die letztere gewesen. Aber selbet minder ^re-
schickte Übertragungen oder NeubUdnngen sollten da nicht allzu
streng beurtheilt werden: das Verdienst, einen fremden Eindringling,
der laiif^e geherrscht hatte und vielleicht für unabsetzbar ^alt, ent-
thront zu haben, darf es uns allenfalls übersehen lassen, wenn der
Verdränger selbst von etwas fraglicher Herkunft oder nicht ganz
regelrechter Bildung wäre — abgesehen davon, dass es der Theorie
(locli niemals etwas nützen würde, einer sprachlichen Einführung, die
bereits in die Praxis übergegangen ist, böse Augen zu machen. Dem
Götzen des Erfolges muss widerwillig auch die Sprachwissenschaft
opfern. —
Dass hinwiederum gerade die wissenschaftliche Forschung die
Entwickelnng imd Reinigung unserer Sprache ungemein gefordert hat,
ist nicht zu leugnen. Ihr Eintiuss war allerdings kein direkter. Der
Gelehrte steht der großen Masse des Volkes denn docli zu fern, um
von selbst und ohne vermittelnde Factoreu auf dasselbe einwirken zu
können. Auf die Hunderte, die an seinen Arbeiten Antheil nehmen
können, kommen Hunderttausende, denen es entweder mangelnde oder
in gftnzlieli yencUedeiie Richtung geleitete Bildung unmöglich macht,
auch mir die -wichtigsten Beenltate dieser Forsdraagen keanea sa
lernen. Zorn Glück besteht aber in der Dichtaag and im SehriA*
thom eine Vennittlungsstene swischea dem Gkdefartea and dem
Pahlicnm. Und gerade die dentsehea Dichter — aater weldiei ja
80 yiele selbst sattelfeste Phflologea siad — haben sich vm jeher dea
Vortheil nicht eatgehen lassea, die Eigebaisse der Aibeitsik aaf philo-
logischem Gebiete Ar sich anssaafttaen. Genaue Kenntnis des Stoffes,
in welchem sie bilden, mnsste ihnen Ja immer ein Haaptltirdemags-
mitCel in ihrer Eaast seia. Die Sprache ist aan aber ia dem ang»>
hearen AnAchwange^ den die vergleichende Sprachwissenschaft im
Verlanfe des XTX. Jahrimaderts genoauaea, nidht nur genauer er-
kannt und bis auf die Quellen erforscht, sie ist aaf demselben sieg^
reichen Entdeckungsznge auch bereichert worden. Bereichert in-
sofern, als mancher wertvolle Ausdruck gehoben wurde aus dem
uralten Sprachschatze, nach welchem ein Grimm, ein Uhland und ihre
Mit- und Nacharbeiter in alten Handschriften und Sagenbüchern eifHgst
schärften. Solche Ausdrücke setzten sich oft mit merkwürdiger
Schnelligkeit im schriftlichen und wol auch im mündlichen Gebrauche
fest Es waren aber nicht künstliche, gezwungene Neubildungen,
Padigof iam. 14. Jahtg. Heft XI. 49
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— 702 —
sondern eigentlich nur Wiedererweckungen längst verschollener Aus-
dmcksweisen, gleiclisain alte Münzen, die lange außer Kurs gewesen,
an deren Form und Wert sich aber eine dunkle, ahnungsvolle Er-
innerung im Gedächtnis des Volkes erhalten hat. War doch unter die-
sen neu in Umlauf gesetzten Goldstücken urdeutscher Ausdrucksweise
so manches, das eigentlich nur in den Büchern und im Verkehr der
Vornehmen seine Giltigkeit eingebüßt, unter dem Volke aber unver-
ändert weiter gegolten hatte und auf dem tlachen Lande noch jetzt
— wenngleich vielfach entstellt, sozusagen mit verwischter Prägung —
als unscheinbare Scheidemünze von Hand zu Hand geht! —
Bei der vergleichenden Methode der heutigen Sprachwissi^nschaft
wurde auch der Dialekt in das erweiterte Forschungsgebiet einbe-
zogen. Nieraals früher war ihm so viel Aufmerksamkeit geschenkt
worden, als gerade jetzt geschieht. Und auch hierüber hat sich das
Hochdeutsche nicht ziv beklagen. Ein besond«re8 Merkmal unserer
neneren nnd neuesten schöngeistigen Literatur ist, wie schon gesagt
wurde, ihr Bestreben, sich die Ergebnisse der wissenschaftlicben
Forschung zunutze zu machen. Die Sprache soll fortwfthrend be-
reichertk sie soll immer aasdmcksffthiger gemacht werden: Ansbeutong
der lebenden Himdarten gewährt hierzu ein ebenso unentbehrliches
Mittd, wie die fleißige Benfltzung der alten Quellen.
Hierin, besonders in Bezng auf den Dialekt^ haben die Öster-
reicher unter den Lebenden z. B. Bosegger, manches Erwähnenswerte
geleistet Berliner Schriftsteller, meist der modern-realistischen Lite-
raturstrOmong angehörend, schöpfen nicht ohne Geschick ans der
eigenen QneUe, dem Plattdeutschen, welches ihnen nur leider nicht
immer aus erster Hand, sondern oft schon getrübt durch den Strom
des großstädtischen Lebens, als Berlinerisch, zu Gebote steht Auch
die Schweizer Keller und Mayer, haben manchen kernigen Ausdruck
ans dem allemannischen Sprachgebiete in ihr im ganzen etwas alter-
thfimlich und dialektisch gefärbtes Hochdeutsch aufgenommen. Man
betrachte aufmerksam einen solchen Text, etwa eine Stelle aus den
„Sieben Legenden" oder aus den „Züricher Novellen" Kellers, und
es wird jedermann auffallen, wie spärlich darin das Fremdwort wird.
Ks ist — um ein kühnes Bild zu wagen — als ob der fremde Ein-
di'ingling sich in seiner welschen Tracht inmitten all dieser urdeutschen
Umgebung unbehaglich fühle und sich gleichsam von selbst zuriickzieli«'.
Nach alledem erschiene es also, als stünde es um die Reinheit
unseier geliebten Muttersprache in diesen gegen wärtiL'-en Tagen denn
doch nicht allzu schlimm. Will man nun die Eichtigkeit der Thal-
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Bachen, welche im Voi>Telieuden in Erinneriinf>- prebraclit wurden, zu-
geben, 80 entsteht die Frage: wie stimmen liier/u die steten Klagen
über diesen Pnnkt ? Sind sie nicht einsth&ft zu nehmen? iCi-scbeinen
sie übertrieben? oder verspätet?
Um darauf antworten zu können, werden wir allerding.s die ganze
Fremdwörterangelegenheit von einer anderen Seite betrachten müssen,
als dies bisher geschehen. In den vorstehenden Andeutungen über
den Entwickelungsgang des Deutschen war eben einseitig nur die
Literatursprache ins Auge gefasst. Aber das Organ von einigen
Hunderten Auserwählter darf fi'eilich niclit als Malistab für jenen aus-
gedehnten Begriff genommen werden: die Sprache eines Millionen-
volkes. Die Masse spricht eben durchaus nicht „wie ein Buch** —
in gewisser Hinsicht ist dies nicht eininal zu bedsaem — and es gibt
gewisse breite Schichten der Berölkening, aal welche das Bodi Uber-
haupt noch keinerlei Einfluss aosgeftbt bat Die Zeitung debnt ihre
Herrschaft schon eher bis zu jenen Begionen ans; ob aber ihr Ein-
floss anf das sprachliche Oeittbl ihrer. Leser immer ein gflnstiger ist,
wAre wol erst genauer sn untersuchen.
Im ganzen genommen, lässt sich nicht leugnen, dass die Sprache
des gewöhnlichen Lebens arg mit fremden Elementen durchseist ist Sie
bat erstlich Vieles, was ihr von früher anhing, noch immer nicht ab-
schfttteln können; und anderseits wird sie in unserem Zeitalter, dem
Zeitalter der großen Industriebetriebe und des erhöhten Verkehres
mit dem Aushmde noch fortwährend gezwungen, neu aufzunehmen«
Dass die Reinheit der Sprache im modernen Lebensgetriebe gefährdet
ist, bleibt eine Thatsache, der man sicli nicht verschließen darf. Der
Zusammenstoß der verschiedensten Nationen in den Welthandels-
plätzen, welche oft zugleich geistige Mittelpunkte für große Bezirke
bilden, der Jb'ortschritt der Wissenschaft, der Technik, welche für neu
gewonnene Begriffe neue Ausdrücke braucht, das in Deutschland be-
sonders eifrig betriebene Studium fremder Sprachen und Literaturen,
ausliindisclie Moden, Zeitungslectüre — alle diese und einige andere
Ursachen wirken zusammen, um schließlich in der Spraclie des täg-
lichen Verkehrs zwischen (rebildeten und Ungebildeten eine gewisse
Duldsamkeit gegen das Fremdwort zu erzeu«:en.
Dieser Duldsamkeit setzt nun seit einij^er Zeit eine trt wisse
Partei von Fachniännern wie Laien die äußerste I nduldsjimkeit ent-
gegen. In Autsätzen und Broschüren wird da jedes Wort, weldies
niclit auf den ersten Blick die germanisclie Abstammung vcrräth»
einzeln bekämpft, in Vcrdeutscüungs- Wörterbüchern und -büchelchen
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— 70i —
werden Vorschläge zur geeigneten Abhilfe gegeben. Der Standpunkt,
welcher hierbei angenommen wird, ist nicht so sehr der sprachwissen-
schaftliche, als vielmehr der nationale. Gehobenes Nationalgeffthl
ist ja überhaupt eine der wirksamsten Triebfedern der jüngeren
SprachreiniguDgsbewegiing', Seit dem ruhmvollen Ausgange des
deutsch-französischen Krieges ist in Deutschland zugleich mit dem
BeMTusstsein von der politischen Bedeutung des neuen, proßen, einigen
Vaterlandes wol auch das Gefühl für die Grüße und Sclir»nheit der
deutschen Sprache in größerer Deutlichkeit erwacht. Dieselbe rein
zu erhalten oder, war sie es nicht mehr, sie vom Fremden zu säubern,
mnsste von diesem Standpunkte aus ein verdienstliches Streben sein.
Leider wird die Sache vielfach übertrieben. So gewiss man seit
den 70er Jahren von einem deutschen Chauvinismus sprechen
kann, so gewi.ss hat diej!»er Chauvinismus aucli einen großen Antheil an
dem erstaunlichen Eifer, mit welchem die Fremdwörterhetze von Sprach-
vereinen und einzelnen Deutschthümlern hie und da betrieben wird.
So scbÖD aber auch die Sache wftre, um die sieh jene bemüben,
sie wird nicht eireicht irarden. Die Sprache des tägliehen Yerkelin
irird sich nioBals ganz des fremden Beiwerks entledigen kOnnen, ob
dasselbe s»di noch so msehOn, und scheinbar noch so leicht ducfa
Besseres ans dem Eigenen za ersetzen wftre. Und ich halte es flir
gewiss, dass die Ueranf ferwendeten Erttfte warn grOfiten TheO mtts-
los Tersplittert werden — d. h. wenn ich lediglich die Ümgaogs«,
Geschfilks- vnd Verkehrssprache ins Auge fiBMse, also diejenige, welche
rein prakttschen Zwecken za dienen hat. Das NfltzUchkeitsprincip
ist hier maigebender als das fethetische. Hier kann die Sprache sich
nicht Selbstzweck sein, wie sie es in der Dichtung allen&lls werden
darf. Und darum ghmbe ich , dass der Versuch ein vergeblieher wire»
den Millionen, welche in der Sprache nichts als ein VerstSndigangs-
mittel sehen, ästhetische Grundsätze für den Gebrauch derselben auf-
zwingen zu wollen. Was nicht das natlkriiche, in der Volksseele
mhende Sprachgefühl zu reguliren yermag, wird durcli alles Drängen
von außen nidit gebessert werden. An das Bleibende, das ewig
Wertvolle, an unsere Literatursprache mag die Kritik ihre ästhetischen
Forderungen stellen; hier wird sie manches durchsetzen können, weil
das Feld noch übersehbar ist. Aber der stetige Verftuderungsprocess,
dem eine lebende Sprache unterworfen ist, wird nie und nimmer
durch Einzelne beeinflusst werden. Das Organ eines ganzen lebenden
und strebenden, um die gewöhnlichsten Bedürfnisse des Daseins, um
die gemeine leibliche Nothdurft kämpfenden Volkes wird sich auf
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seinem Entwickelungsgaiige nicht durch schöngeistige Bedenken auf-
halten lassen. Es wird den Zwecken, denen es dien^ soll, zu ent-
spreclien suchen. Dabei können Auswüchse entstehen, Bildungsfehler,
Verletzungen der grammatischen Grundgesetze. Auch massenhafte
und unnöthige Neueinführungen von jenseits der Grenze können hier-
bei einreißen. Aber gleichwie die Hand des Arbeiters Schwielen auf-
weist, und man schlanke Finger und wohlgepflegte Nägel nur in den
Salons iindt n wird, so darf man in den Werkstätten und im Gewühl
des Marktes ebensowenig eine gewählte und mit Bewusstseiu correcte
Hedeweise fordeiii.
Übiigeos haben wir Deutsche den modernen Entartungen unserei*
Volkssprache gegenüber wenigstens den einen Trost, dass wir dieBmal
nicht die allein Betroffenen sind. Ein Blick anf . daa AnalaBd, eine
Vergleichung nnserer sprachliclien IfiaBStfinde mit JUmlidien Vorgängen
in Sprache und liteialiiir der GhreDsnacfabaxn kann nna den Beweis er-
bringen, da» ivir nm nicht aUza vieles ftbler daran sind als sie.*)
B^x«chten wir einmal kors den St«nd des Franztaiaehen, nnd
zwar des FhmzOsischen von hente.**) Da kannten nun wir Deutsche,
wenn wir schadenfroh wären, es mit einer gewissen Befriedigung he-
aeikeo, wie die fianaOsische Sprache, die seit Isnger Zeit für fertig
nnd feststehend galt nnd sich unter den Fittigen der Aoademie vor
jeder Obemunpelnng sicher wihnte, nnn aoeh dem Zeitgeist ihren
Tribut entrichten nmas nnd wie sie im Verkehr mit sller Welt neoer-
dings Aller weit smanieren anzunehmen droht. Man nehme nur eine
französische Tageszeitung zur Hand and man wird erstannt sein zn
sehen, wie da manche Artikel mit Wörtern, die sich einer franzö-
sischen Aussprache durchaus nicht anbequemen wollen, förmlich ge-
spickt sind. Das Englische scheint hierin den Haupta&theü zu haben.
Ausdrücke ihr Jagd- und Bennsport, &t Maschinenwesen, für Henenr
*) fline gründliche Arbeit über diesen Gegenstand könnte überhaupt der
gaasen Fitmdwttrterangclcgcnheit sehr zu statten kommen. Jetst, da sdiön bei-
nahe alle Wissenaduift Mvergleiehend" sein mnss, fUIt es ordentlich au^ dass nicht
auch die Frenidwörtcrfrage eine umfas-sendere Behanfflnng von diesem Standpunkte
aus frtahreri hat; ich wcnig;8tcns forschte vergebens nach einer solchen. Was im
Kachi'olgeiukii an Beispielen in ütu Text aufgenommeu wurde, ist natürlich nur
eine Kostprobe, eine kaige AuswaU ans dem AHernlehsten nnd AngenfUligsten.
**) Ein BlleUiek anf die nicht nnbedeutende Krisle, wdehe die Sprache sdion
früher einmal, un 16. Jahrhundert, zur Zeit der Katharina von Medici durch mausen-
hafte Einschleppung italienis^cher Wiirter zu « rleideu hatte, wiire zwar bei dieser
Gel) <7cnbeit auch sehr lehrreich gewesen. Interessanteres bieten aber jedenfalls die
gegenwärtigen Zustände.
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— 706 —
moden und ähnliche Dinge, in denen Albion tonangebend ist, kommen
meist von jenseits des Kanals. Sport, turf, jockey, clown, grooni,
steeple-cliase, cottage, Smoking, dann wagon, sleeping car, tender,
tunnel sind in Frankreich ebensogut heimisch wie bei uns. Daneben
kommen aber bemerkenswerter Weise noch eine ganze Menge anderer
Benennungen, für welche wir den guten deutsclien Ausdruck noch
immer beibelialten liaben, in den französischen Texten vor. Manchmal
■wird durch solche Anglicismen sogar ein gut franzcisisches Wort ver-
drängt oder am Aufkommen gehindert. Das englische ,,rail" ist z. B.
das in Frankreich allein giltige Wort für (Eisenbahn-) Schiene; und
MFabrkai'te'* wird ganz allgemein mit „ticket" bezeichnet — - viel-
leicht eine Vergeltung für das „billet** welches wir von den FhasoMn
anaehmen nnssten.
ElgenthfimKeh steht es mit einigen FaehausdrQcken wie budget,
jiiry, drainage, wagon, tannel, tonriste, die wir dem FransOeischen
entlehnt haben nnd auch mit französischer Aosspraehe gebrauchen,
obwol de in dieser Sprache ebensowol fremd als in nnserer nnd ein-
fiwh rein englisch sind.
Aber anch deutsche Brocken entdeckt man in den fraasSsischeii
Texten immer hftuflger und es scheint, als ob das Studium unserer
Sprache in Frankreich ein allgemeineres würde, denn die WOrter wer-
den jetzt weniger Terballhonit als filther. Ich will hier nur zwei
oder drei Beispiele, welche durch Heiicw&rdigkeit herrorstechen, an-
führen. „L' Alpenstock'' findet sich bei Daudet und Theuriet, vielleicht
anch bei Andern. Ebenso bat der Verfasser des »Tartarin** mit köst-
licher Unbefangenheit das Zeitwort «yodler" aus unserem ^jodeln"
gebildet. Chope, bock (nicht mehr „un verre de bidre", sondern
kurzweg un bock), Kui-saal mögen als Muster für eine ganze Reihe
ähnlicher Ausdrücke deutschen Ursprungs dienen, deren Einführung
es bestätigt, dass man jetzt auch in Frankreich hie und da für fremde
Dinge und Verhältnisse den eigenthümlichen Ausdruck der betreÖ'en-
den S])rache unverändert einsetzt, statt matte Übertragungen zu geben.
In diesem Sinne liaben auch die Kugländer die Bezeiclmimg „Kinder-
garten-Scliools" tiir die trefiliclie Fröbelsche Kiurichtung angenommen.
Weniger sclniieichelliaft ist jedoch für uns die Einführung des Wortes
Krach (,.le Krach") ins Franzosisclie: als ob dipse nnany-encliniste Er-
rungenscliaft des XIX. ■laliihundeits eine deutsche Kitindung wäre!
Als ganz iuteiuational imiss aber die Art bezeichnet werden,
mit welcher das Publicum der drei Hauptnationen Europas im
Cüucertsaale und Theater seineu lieilail und den Wunsch nach Wieder-
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— 707 —
holung kuiulgibt. ^\'ir Deutsclie rufen italienisch da capo, der Fran-
zose gebrauciit das lateinische bis und bildet davon bisser „zur
Wiederholung verlangen", der Engländer das französische encore,
■woraus das Zeitwort to encore. — Man sieht, hier bat Keiner dem
Andern etwas vorzuwerfen. —
Was an den obenstehenden Beispielen gezeigt werden soll, das
ist die Ei*schcinung, dass für eine von auswärts eingeführte Erfindung,
für einen Gebrauchsgegenstand u. dergl. nur allzuleicht auch die Be-
nennung aus der betrefi'enden fremden Sprache sich festzusetzen weiß.
Im Deutschen ebenso wie anderswo. Beispielsweise hat für das aus
England eingeführte Bicycle die gunz vortretlliche Übertragung
„Zweirad, Reitrad oder Fahiiad" noch immer nicht rasch genug zur
Stelle sein kOnnen, um die englische Bezeichnung ganz aus dem Felde
zu schlagen. Wie viel ist nicht an dem armen „Gensdannes" hmm-
ftbwsetzt worden, ohne dass irgend eine der Torgeschlagenen Über-
setzungen yermocht hätte das, noch dazu unsinnige, Fremdwort su
verdrängen. Und wie sollte man wol jenes in kehiem dentschen Hanse
fehlende Polstermöbel, die „Chaiselongue^ yerdentsehen? Etwa mit
„DiYan*', oder mit .Sopha", oder nCanapö" oder „Ottomane*^? —
Wenn weiter oben die Vergleichung uns^wr Sprache mit dem
Französischen und Englischen in Hinsicht auf die Fremdwörter em-
pfohlen wurde, so ist noch hinzuzofllgen, dass wir ja nicht einmal so
weit zu gehen brauchen, sondern schon in unseren Mundarten reiches
Material fttr solche Vergleiche aufbringen konnten. Denn auch diese
enthalten fremdsprachliche Einsprengungen, und zwar kaum dnen ge-
ringeren Procentsatz davon, als das Hochdeutsche — abgesehen natflr-
licb von den zahllosen Fremdwörtern aus der maschinen-technischen
Sprache, welche bis jetzt noch immer auf die großen Industriemittel-
punkte beschränkt blieben. Im oberbayerischen Dialekt und speciell
im obderennsischen kann man gar manches Fremdwort entdecken,
weiches im Schriftdeutschen entweder nie existirt hat oder längst
daraus entfenit worden ist. Akkrat, extra, kamot, Profit, Kegaixl
(Beachtung, Ansehen), Plarament geluTen hierher; für sie und eine
Menge ähnlicher wird der entsprechende deutsche Ausdruck nie oder
fast nie gebraucht. An einigen solcher Eindringlinge hat sich der
volksthümliche Sprachgeist wenigstens insofern wirksam erwiesen, als
er sie umgemodelt, dem idiomatischen Lautbestande angepasst uud da-
dui'ch oft bis zur Unkenntlichkeit verändert hat*). Das Obderenn-
*) Solche Veründtrunpcn werden häufig in tadelndem Sinne „Entstellungen"
gcnaimt. Aber gerade sie sind eine Eischeinung, ttber welche wir uns eigentlich
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sische bietet besondere schlagende i^'i^piele hierfür. Progrjldä (ans
Procurator) Hochzeitsbitter, und Päschän, Person, klingen gewiss eben
SO unverfälscht breit bayerisch, als nur irgend ein mittelhochdeutsches
Praehtwort, wie sich deren so viele im Obdei eunsischen erhalten
haben. — Bei manclieni BVcmdworl ist ein Waadel der Bedeutung
10 beobachteii, welehen es bei seiner Hüiflbemabme in d«i Dialekt
dmebranadien hatte. „SoM** beaidchnst aof dem flachen Lande
llngst nicht MSbr ateffliche Festigkeit, sondern Bestindi^i^ des
Charakters; „rar" ist nicht ^aelten**, sondeam Tielmahr »gnt", vielkicht
in lichtiger WQrdlgaag des ümstaades, daas alles Gute selten an sein
pflegt — „Koraschi* ist der im QsterreiohiBchen Dentsch einsig und
allein ilbtidie Ausdruck ftr den Begriff »persönlicher Ifolfa*'. Es gibt
awar im Obdersnnsischen ebi Wort .Moath", dieses aber hat beaeich-
nender Weise genan dieselbe Bedentang; irie das mittelhochdeatsohe
Worzelwort» also nicht ^Tapferkeit", sondern „Sinn*', »Oemttth". —
Interessant an betraditea ist auch jene imganaenoberdeatschenSprsch-
gebiet Terbrdtete Beaeichnnng für ein zom Formen seiner Mehlspeisen
oder zum Butterformen bentttates Efichengeräth, die „Model"; hoch-
deutsch sprechende Hausfrauen werden sich versucht fühlen, sie für
eine Verdrehung aus „Modell" zu halten nnd yieUsicht der £<tohin
das Fremdwort statt des Dialectausdrockes angewöhnen wollen. In
diesem Falle aber h&tte die Hausfrau unrecht, denn „Model ^ ist eine
gut deutsche, ganz regelrecht gebildete Form, dem das lateinische
„modulus" entspricht, während „Modell'' höchstens aus einer Zwischen-
form von „modus" hergeleitet werden könnte. Bezeichnender Weise
haben die Italiener und Franzosen neben den gelehrten Bildungen
„modells" und „modele" auch die volksthünilichen „modulo" nnd
„moüle", genau in derselben Bedeutung wie unser „Model". — Be-
säße nur unser Wortschatz recht viele solcher umgebildeter Fremd-
wörter, so wären es eben keine Frem(hvr»rter mehr, sondern Lelin-
wörter und die Frenidwörlerfrage wäre dann bei uns ebensuwenig
— oder ebensoviel — berechtigt, als sie es in den anderen Cultui-
sprachen ist —
TO Itoueii baben, deu es erweist sieh in ihnen die treibende nnd bildende Eiaft
der Mienden Spradie^ welche sich das Fremde, wenn es dasselbe schon nirbt absu-
stoleu vcnnac. wenigstens assimilirt. Das EnirHschc verdankt Bolchen „EntstelluniJ^n"
ms (dem Normannisdi-FnuutöBischen) eine starke Hälfte seines riesigen Wortschatses!
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Miclit ud Arbeit in Aren BildnngsekmnteB.*)
D ie Macht ist nur eine kalte Grfiße.
Sie wirkt nicht dnrch die Qualität ihres Inhaltes: sie zwingt sich
auf durch die bloße Thatsache ihrer Existenz. Man achtet sie, weil
sie da ist; aber man schätzt sie nicht wie das wirklich Edle.
Der Mächtige hat viele Sclaven und wenig Freunde; denn die
Macht blendet ohne zu wärmen; man unterwirft sich ihr ohne die
bessere Einsicht, die der zweckmäßigen und würdigen Unterordnung
vorausgehen soll; sie kann für den Augenblick selbst zur Bewunde-
rung hinreißen, aber nur schwer in der Prüfung bestehen, die der
eherne Griffel der Geschichte über sie verhängt. Die Gescliichte,
welche die Daseinsformen der Macht auf ihre Berechtigung und ihren
Wert für die Entwickelung der Menschheit hin untei*sucht, pflegt sehr
kühl dabei zu verfahren; das zornige Dichterwort: „Wenn sich die
Großen nicht scheuen zu liandeln, was sollte den gemeinen Mann ab-
halten, diese Handlangen zu beortheilen?*' ist ihr längst zum wissen-
schafUichen Gnmdsatz geworden. Was ist ans der von einer Welt
liewnnderteii, toh Dichtern gepriesenen OMtergestalt Ludwigs des
Yienelniten geworden? Wie viel kleiner erscheint der „groSe Corse**,
wenn ihn die kritische Hand ans dem Schimmer der Bijonnette nnd
der blutigen Bomantik seiner Schlachtfelder heranssehAlt! Wo ist sein
Eriegsrahm hingerathen, sdt die unerbittliche Forschmig die gewal-
tige Kraft des französischen, anf dem Beomsitionssystem bemhenden
Yolksheeres» dessen Keime wiederom Im BYeiheitskampfiB der Ameri-
kaner liegen, der lahmen Taktik der gegnerischen, an die Magazin-
Terpflegnng halb geketteten Armeen gegenübergestellt hat?
Gleichwol hat die Macht ihre geschichtliche Berechtigong.
Sie kann die Hasse flbr einen gegebenen Zweck organisiren, in-
dem sie Torgeftindene, dem Einzelnen kamn merkliche Bedingungen
**) Ein tre£flicher Beitrag zur Eefurm des Uuterrichtcii in der Wcltgcscliichte. D.
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geschickt zusammenfasst: in dieser Th&tigkeit ruht die geschichtliche
Größe Friedrichs des Zweiten und seine Bedentung iur den preußi-
schen Staat.
Sie kann, obgleich seltener und nicht immer ersprießlicli, Land
und Volk aus barbarischer Verf^anf!:enlieit in die plützliclie Helle einer
fortgesrhritteuen Cultur schleudern und damit einen Zustand er-
zwingen, der — ohne ein wirklicher Fortschritt zu sein — doch
künftige Bewegungen ei zeugen wird: unter diesem Gesichtspunkte
wird Peter der Große fast ein nationaler Held.
Sie kann endlich die heri sehenden geistigen, sittliclien und wirt-
schaftlicben Strüimingen eines Zeitalters in ilnem (iebote verdichten
und damit in wahjhaft staatsmännischer Weisheit einem thatsäch-
lichera Bedürfnisse gerecht werden: Dies ist die hinreißendste Form
der Maclit, denn ihre Träger erscheinen als die Verkörperung des
Nützlichen und Guten, und die Geschichte segnet ihre Thaten; — in
diesem Rahmen leuchten die hehren Gestalten Josefs U. und seiner
großen Mutter.
Die Betrachtung der Macht nach ihrer besonderen Form, ihrem
Einflösse, ihrem Werden und Veigehen ist in hohem Grade betehre&d;
man kann in gewissem Sinne sogar yon einer „Philosophie der Macht'
sprechen. Das Lehrbuch dieser Philosophie erschien 1&82 im Drucke:
es ist der nFärst" von MaochiaveUi. In diesem merkwürdigen Buche
sind die Grundlagen und Grundsätze der Macht mit mathematischer
Schftrfe auf eine nackte Formel abgezogen: es ist eine Grammatik
der Macht» zu der die Geschidite aller Zeiten die erkUienden und
beweisenden Beispiele liefern muss. Der Yerfittser sagt dies ana-
drficklich in der Widmung an Lorenzo von Medici: «... ich finde
nidits in meinem Vorrathe, was mir werter wäre oder ich höher
sch&tzte, als die Kenntnis und das Verständnis der Handlungen großer
Männer, die ich durch lange Erfahining der neuern Zeit und unab-
lässiges Lesen der alten erworben. Diese habe ich mit großem Fleiße
lange durchdacht und geprüft und jetzt in ein kleines Buch zusammen-
gefasst, welches ich Euch überreiche, großmächtiger Herr!" Das
klingt fast wie ein Satz ans der Vorrede zu einem Lchrbuche der
Methodik, das ein im Dienste ergrauter Scliuhnann, der seine reiche
Erfahrung der ^Velt erhalten will, seinen jüngeren Collegen zueignet.
Was Macchiavelli unter ,.großcn" Männern versteht, darüber lassen
die angezogenen Beispiele nicht den kleinsten Zweifel aufkommen. Es
hat nidit viel zu bedeuten, dass das Buch zahlreiclie Feinde fand;
es verliei sogar dem veidammenden Urtbeile des Papstes. Der Wider-
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sprach erschien mehr in der Form eines Ärgers über den Frelmntli
des Verfassers: Macchiavelli sprach wahr, aber unvorsichtig. Mit
Recht bemerkt ein Übersetxer, das» das Buch am laatesten yon denen
angeklagt sei, die am meisten daraus gelernt hatten.
Der „Principe*' von Macchiavelli ist noch ans einem anderen
Grunde der genauesten Beachtung wert: er zeigt die Verwendbarkeit
einer gewissen Gruppe historischer Stoffe in Hinsicht der darin ent-
haltenen Bildungselemente.
Eine planvolle Betrachtung der Formen, in die sich die Macht
kleidet; der Handlungen, welche ilire 'Iniger begehen; der Motive, die
jene Handlungen hervorrufen; der persönlichen Eigenart, welcher diese
Motive entspringen; — wirkt aufklärend und belehi*end; wendet sich
als reine Verstandesthätigkeit zunächst an den Verstand; schärft das
geschichtliche Urtheil; wird unter Umständen zu einer für den spe-
ciellen Fall höchst ersprießlichen Dressur.
Kann eine ausschließliche Betrachtung der Macht und ihrev
Formen, der Handlungen ihrer Träger in dem Sinne, wie sie uns die
landläutige Geschichtsschreibung überliefert, auch erziehend wirken?
Denn das, was die Lehrbücher der Geschichte bis auf diese Stunde
der Jugend feilbieten, siud die Lebensäußerungen der Macht; die per-
sönlichen Vorbilder, die sie dem jugendlich erregbaren Gemüthe der
Leser vorstellen, sind ISut anssehlielHidi die MSnner der Madit» nidit
selten die Trflger der rohesten Gewalt Nidit selten auch steigert
sieh diese Auswahl zur planmftfiig^ Einseitigkeit ; es ist hundert
gegen eins zu wetten, dass die grelle Schilderung, die in den meisten
F&llen dem rauhen Vorgehen eines Cortez und Pizarro zutheil wird,
ein Interesse an der müderen Entdeckergestalt eines Vasco da Guma
gar nicht aufkommen lässt Schon Heine spricht tou Gorte^ der den
frechen Namen einschreibt ins Buch der Weltgeschichte, einschreibt
neben dem Namen Golumbus, — und
Der Sohttlbub' auf der Scbalbaak
Lernt auswendig beide Namen.
Die Geschichte des Alterthums, des Mittelalter und der meisten
Vorgftnge der neueren Zeiten ist die Geschichte der Macht. Die Tliat-
sache, dass ein löbliches Streben die Darstellung einer Epoche zu-
weil^ mit der summarischen Betrachtung einiger ( 'ulturfornien be-
schließt, fällt nicht sonderlich ins Gewicht. Dass diese Darbietung
des historischen Stoffes auf den ältesten Vorbildern ruht, ist angen-
scheinlich, aber ohne Belang; dass diese ^lethdde für bestimmte Zeiten
und gegebene Verhältnisse von Wert sein konnte, wird sich wahr-
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scheinlich bewei^^en lassen, — hebt aber die Frage nicht auf, ob sie
noch der (it'ofeuwart mit ilirem durchaus veränderten Inhalte frommt.
Nacli einem bekannten Dichterworte, dessen tliatsächliche Be-
deutung sich mit dem Umfiiiif^c seines Gebrauches keineswegs deckt,
ist das Beste an der üeschichte der Enthusiasmus, den sie erregt.
Allein der Enthusiasnms ist - wie das Mitleid — eine sehr gewöhn-
liche Äußerung der Seele; die Mittel, ihn zu eriegen, sind die denk-
bar wolfeiJsteu. Weit mehr Aiigenblicksrausch, denn werkthätige Folge
eines seelischen Piocesses, ist er — wie das Mitleid — rasch zur
Haud, steigert sich leicht zu hoher Intensität und zeigt dabei alle
Schattenseiten des Affects: ein wahres Strobfeuei* der Seele. Das
Beste, was die Geschichte erregen sollte, mfiflste eine gesunde, ruhige,
nachdenkliche Bewunderung sein. Die Geschielite sollte neigen, was
sich durch geduldigen Fleiß, dardi eiserne Ansdaner, dnrcli MftAigkeit
nnd Sparsamkeit, durch Unterordnung unter ein Gemeinnfttziges —
die geschichtlich so flberaas nothwendige Fonn der Selbstwleognung
erreiefaen Iftsst Es ^hlt den Lebensftnfiemngen der Macht nicht
an Erscheinungen, die lum jOnthnsiasmus hinreifien: Jene mallTolle und
nachhaltige Bewunderung erzeugt nur die Betrachtung einer schlichten
Große.
Die Macht — rein ftnfierlich genonunen — vermag das Indi-
Tidunm nicht in eraiehen, denn sie knebelt es; ihr gewOhnliehster
Lohn ist der scheue Seitenblick der Erbitterung.
. . . . der Mann
Ist nun zum Gott erhöht, und Cassiiis int
Ein arm Gcschiiiit' iinil muss den EUckc-a beugen.
Nickt Cäsar nur iim hlässig p^f^gcn ihn.
Aber auch der Träger der Macht, insofern er als ein Vorbild
angesehen werden kann, muss es sich gefallen lassen, dass man ihn
der Hülle seiner Gewalt entkleidet; denn, wie beim jüngsten Gerichte,
so wird ihm auch beim Unterrichte nur das angerechnet, was von
ihm als Mensch übrig geblieben ist.
Die schlichte Größe, die darum vorzugsweise die vorbildliche
Größe ist, ruht nur in der Arbeit, und auch die Männer der Macht
sind blos insoweit geschichtlich groß, als sie zugleich Männer der
Arbeit waren. Ludwig der Vierzehnte geg-en Joseph den Zweiten.
Damit aber erglänzt neben der Gr>ttiu in Purpur und Krone das
irdische Weib im härenen Gewände in ganz eigener Beleuchtung, und
das Auge des Zuschauers schweift mit Wolgefallen von der dämo-
nischen Figur des corsischen Eroberers nach der stillen Gestalt Georg
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Stepbensons. Zwei ZeitgwiOMi: der ScUacliteiikaifler gogen den
Eieenbahnkönig.
Die Geschichte schafft znweilen sonderbare Analog-ien.
Es war im Spätherbst 1796, als die Welt durch die ersten Nach-
richten über die beispiellose Siegeslaulbahn Bonaparte's in Italien aus
einer Bewunderung in die andere fiel; damals saß der fünfzehnjährige
Stephenson im Werkbause zu Water Kow auf einem Kohlenhaufen
und suchte beim Scheine des Maschinenfeuers die einfachen arith-
metischen Beispiele zu lösen, die ihm Rohin Oowens, sein erster
Lehrer, der im Dorfe für die Griibeiileute eine Abendschule hielt,
gegen eine Entschädigung von drei Pence auf eine Schiefertafel zu
schreiben pflegte. Und als Napoleon, der es vortreflflich verstanden
hatte, sich die geschicktesten administrativen Talente Frankreichs
botmäßig zu machen, von dem gebildeten Europa als Gesetzgeber und
Organisator gepriesen wurde, da erwarb sich der junge Bremser zu
Black Callcrton durch seine Verbcsserangen an den Pumpmascbinen
der ganzen Grafechalt die begeisterte Dankbarkeit seiner schwer-
arbeitenden Kameraden.
Wer kennt ntckt dne kObne Wagstttck des Conen bei Areole?
Wie er, vom Pferde springend, die Felnie ergreift; an der Spitze der
proTenQaliMhen Grenadiere nach der Brfteke Btttrmt; beim Getftnunel
ins Wasser ftUt; nieder anf dem Platze eraefaeint; endUcb den Sieg
gewinnt?
Aber es gibt noch einen anderen Heldenmntk. Die That Stepben-
sons, der in KilUngworth in den im Feuer stehenden Schacht einüBhrt,
durch seine nmsiehtigen Anordnongen einige hundert Gmbenleate
rettet, indes die Menge der Frauen nnd Kinder, die den kUmen Hann
in maftlosem Erstannen in den Flammen Tersebwinden sieht, angst»
Uch der Dinge wartet; — diese That ist auch der Erwihnnng wert
Man pflegt mit einem gewissen Behagen za berichten, wie es
Bonaparte verstanden habe, durch seine nnerschrockene Haltung gegen-
ftber den Pestkranken den Muth seiner Soldaten aufrecht zu erlialten;
dm Mmster der älteren französisclien Malemhule nahm sogar Veran-
lassung, dies wenig kiastlerische Motiv zu einem historischen Ge*
milde zu yenrenden.
Aber das Leben Stepbensons enthält noch einen weit größeren
Zng. An der (rrube zu KilUngworth erfand er — lange vor Sir
Ilnmphry Davy - seine Sicherheitslampe. Nächtlicherweile steigt er,
die Erfindung zu erproben, mit zwei beherzten Männern in die Tiefe,
indes seine Frau und sein Knabe in Todesangst seiner Heimkehr
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harren, entzündet den Doclit und nähert sicli furchtlos der Stelle, wo
das gefährliche Gas zischend ausströmt. Seine beiden Begleiter er-
greifen angstvoll die Flucht, während sie ihn mit brennendem Lichte
verschwinden sehen. Da flanomt das Licht plötzlich auf, dann erlischt
es; das kühne Experiment war gelungen. Einer der Biographen, des
Ebenbafankünigs, der diesen YorfoU eizlUt, maeht dam die dnreh-
aos treffende Bemerkung: „Indem Stephenaon mit größter Robe sein
eigenes Leben anüs Spiel setate, am ein Veiikbren zu entdecken, wo-
dnreh das Leben Vieler gerettet nnd in diesen verbingnisrollen Höblen
der Tod entwaffnet werden mOditei bot er dn Beispiel mftmdichen
Hathes dar, der noch edler und glorreicher war als der, welcher in
der Anfregnng der Sehlacht nnd im Storme eines Angrifb einen Sol-
daten dem fenerspeienden Schlonde einer Kanone entgegenfOhrt.*'
Es bedarf femer kanm der FragOv wer nnserem Herzen näher
stehen sollte — der unersättliche Schlachtenlenker, der die jnnge
Kraft seines Volkes erbarmnngalos dem eisigen Hanche der russischen
Schneestürme aussetzt; oder der menschenfreundliche Ingenieur, der
die Arbeit seines Lebens auf die Erfindung einer Maschine richtet,
die mehr als irgend ein anderes dazu berufen ist, die allgemeine
Verbrüderung der Nationen anzubalinen.
Man schwelgt gern in der Komantik eines von Bonaparte ge-
leiteten Alpenübetganges oder dem Zauber der Überlegenheit, die der
Franzosenkaiser den diplomatischen Taschenspielereien seiner Wider-
sacher entgegensetzt. Aber der ebenso sinnreich erdachte als kühn
ansgeführte Damm, der das schnaubende Maschinenross des En<;län-
ders über das tückische Chat-^fitor trä^4; die classisch rulii2:e Haltung
Stephensuus vor dem superklugen Comite des Hauses der Gemeinen, —
das alles ist so überaus groß, so menschlich wahr, dass jenes andere,
in diesem Lichte besehen, nur etwa wie die stilvoll-romantische Deco-
ration zu einem Drama oder wie der gefällige Dialog eines Scribe-
schen itolitisclien Lustspieles zu wirken vermag.
Wahrscheinlich hat die Gestalt Bonaparte's für die Jugend der
Gegenwart so viel — oder so wenig Bildungswert als die Gestalten
der Römer; es ist die Gefühlskälte, die den Corsen zum Römer stem-
pelt und darum in einen Gegensatz stellt zu dem, was den luhalt der
modernen Persönlichkeit ausuiadit ; es ist die Verkennung der Größe
dei' büi'gerlichen Arbeit, die den gewöhnlichsten Menschen adelt, zu
Gunsten der auf die Spitze getriebenen Idee der Macht, was G^talten
dieser Art zu vorbildlicher Wirkung ungeeignet erscheinen Iftsst Die
Sehnsucht der Gegenwart ist der Staat, in dem dar Einzelne nach
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Maßjjabe seiner Fähigkeiten Geltung hat. Darum hatte die Begeiste-
rung für Napoleon nur den Wert eines Augenblicksi-ausches. Einer
seiner Hauptanbeter heißt Heinrich Heine; aber das Buch „le Grand''
entstammt einer Feder, die ebenso leicht für den Spott als für das
Lob zu haben war. Immerhin bleibt die Erscheinung lehrreich, dass
unter denjenigen, welche die historische Grüße Napoleons leugneten,
der vornehme Walter Scott und der ehrlich-hai'te Grillparzer anzu-
trefien sind.
Um so höher kann der Typus, den Stephenson vertritt, im Preise
steigen. Nicht nur verkörpert er die Regungen der Gegenwart nach
der rein menschlichen Seite^ — er ist vor allem auch das klassische
Beispiel für den Weit and die schlichte GrOBe, die in der Arbeit liegt.
Auch anter den Trftgern der Maeht sind die MAnner der AxMt zu
Ibiden; aber die Jugend soll erfohren, dass sie dort nicht ansschliefi-
lich gefimden werden. Uan begegnet hier leicht den Ideen, die der
nnermOdliche Bichl verkttndet
„Wert nnd Wfirde der Arbeit ist nicht nach der zufilUigen socialen
Stellang der Arbeitenden za messen, sondern nach dem in der Arbeit
seihst mhenden Gehalte der Thatkraft nnd des Erfolges. Dieser Ge-
danke hat die Arbeit ttberhanpt frei gemacht nnd die mittelalteriichen
Stände als sodale Bechtskreise gebrochen.** (Bichl „Die deutsche
Arbeit**.)
Dies zeigt nns den Weg, auf dem die krftitigsten Bildnngs-
elemente gefunden werden könnten. Die Geschichte, in der Art wie
sie zur Zeit fUr die Jugend extrahirt wird, gibt keineswegs die Ent-
wickelung der Menschheit, sondern eine Darstellung der Thätigkeiten
einer bestimmten Mensch enclasse. Man kann beinahe den Eindruck
gewinnen, als ob einem Fürstensohne die Geschichte seines Hauses vor-
gestellt werden solle. Eine solche Einseitigkeit birgt die Gefahr der
Hdnnng in sich, dass nur die Arbeit der Mächtigen den Fortschritt
der Menschen gefördert hätte; die Wahrheit aber ist, dass die hohe
Thätigkeit des Zimmermannssohnes von Nazareth den stolzen Bau des
römischen Weltreiches überdauert hat.
Es kann kein Zweifel darüber sein, dass die Männer der Arbeit
in der Reihe der Fürstenbilder, welche der Jn^rend ti:ewr,!inlich y:e-
boten wird, in weit größerer Zahl vorkommen niiissten, als die.s gegen-
wärtig der Fall ist, und dass der Jugend gerade beim Geschichts-
unterrichte gezeigt werden sollte, wie der ^lann mit Schürze und
Hammer dem Helden mit Schwert und Marschallsstab unter Um-
ständen vollkommen ebenbürtig ist.
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— 7ie -
Die Geschichte erschiene dann als eine Gallene wirklich er-
ziehender Vorbilder; manch edle Fürstengestalt würde neben dem
Helden der Arbeit und des Gedankens um so heniicher erglänzen:
der Schüler stünde vor einer wahren Rubmeshalle. Vor allem könnte
dann das Hauptgewicht gelegt werden auf jene Thatsachen, denen die
Gt^genwart ihre Existenz und ihren Inhalt verdankt.
Der Blick der Jugend würde sich — nicht zum Schaden der
Zukunft — abwenden von den marmorkalten Gestalten unt^rge-
gangener Culturformen und sich an dem Feuer des Vorhandenen ent-
zünden. Ein Wort Pestalozzi'», des größten Schulmeisters der moder-
nen Welt — ein wahrer Stephenson der Pädagogik — verwirklichte
sich, — das Wort: „Suchet euren Lehrstoli nicht tausend Jahre rück-
wärts, ihr habt ihn um euch!"
Freilich gäbe es wieder einen Kampf gegen das Imperium roma-
num; der deutsche Geist schweift gerne Über die Alpen und wOhlt in
den dassischen Trümmern nach Vorbildern für die yaterlindiacktt
Jugend.
Aber die ronumtische Zeit der HoheuBtaiifeii fimd dnrdi einen
Scbweteer Grafen ein Tolluthttmliehes Ende, und es konnte sein, daei
die Hahnnng des Schweizer Schnlmeisten endlich anch hier einen
kräftigen Willen entsQndete.
Wo aber ein Wille ist, da findet eich leicht ein Weg.
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])ie Waffen nieder l
Von O, B,-Str.
68 ErdgDiBse gibt, die sich luiaaBtilgbar fest dem Gedichfe-
nisse emprägen, so gibt es auch Bttcher, die dem, der sie einmal ge-
lesen, ewig nnvergeealich sind.
Anf ein solcfaes Bnch mochten wir die AnfinolaMmkeit der Lelnw
— gleichviel, welcher Confession nnd IfationaMtfit — hinlenken; es
heiSt: «Die Waffen nieder!" Eine Lehensgesehichte von Bertha von
Snttner (E. Pierson, Dresden nnd Leipzig. 2. AniL 1890). Ein
Buch, das eine dentsehe Zeitnng „ein Ereignis** nannte; von dem ein
Berliner Schriftsteller (Hans Land) sagte: „Von Hand zn Hand will
ich es reichen! Wie ein Evangelinm soll es Jünger finden, die es
in die Welt tragenl" — ein Buch, auf das der österreichische Finanz-
minister V. Dunajewski im Abgeordnetenbause (18. April 1890) hin-
wies mit den Worten: „Ich bitte 8ie, einige Stunden diesem er-
schütternden Werke zu widmen, und wer dann noch Passion für den
Krieg hat, den bedauere ich wirklich."
Die in Xiederösterrcich wohnende Verfasserin, von Geburt eine
Gräfin Kinsky, ist in Prag 184H geboren und erzählt diese „Lebens-
geschiehte*', deren Tendenz schon der Titel freimüthig ausspricht,
augenseheiulicli auf Grund eigenster Lebenserfahrung und tiefster
Kenntnis dessen, was sie schildert. Vielleicht ist sie nicht nur inner-
lich verwandt, sondern sogar identisch der jungen (iriitin Dotzky, der
Heldin des Buches, der durcli den Krieg zwei geliebte Gatten, der
\erehite Vater, die blühenden Geschwister geraubt werden. Durch
diese Scliiksalsschhiire aus ihrer vornehmen Kuhe, aus dem gedanken-
losen Dahinleben der Haute-volee autgerüttelt, beginnt die unglück-
liche Frau, die Lebensanschauungen und Standesvorurtheile jener
höchsten Adelskieise, denen sie durch ihre Geburt angehört, auf ihren
wahren W ert zu prüfen. Vorzüglicli ist es die Frage des Krieges
und der in Militärkreisen üblichen Kriegsvergütterung, die ihre Seele
mächtig bewegt. Im Verein mit ihrem zweiten Gatten, der 1870 in
IMhfogiaB* U. Jahrg. Hell XL 60
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Paris der Spionage verdächtigt und standrechtlich erschossen wird,
ist sie fortan bestrebt, dem wahren "Wesen des Krieges nadizuspüren,
seine geheimsten Ursachen zu entdecken, und den Völkerhass, dessen
Ausfluss er ist, zu bekämpfen. Die Briefe ilires Gemahls vom Kriegs-
schanplatze bestätigen iinnier wieder, dass der „Schlachteneifer nichts
Übennenschliches, sondern — Untermenschliches ist, eine Reminiscenz
aus dem Reiche der Thierheit — ein Wiedererwachen der Bestialität**
.... „Merkwürdig", schreibt er aus den böhmischeiL SchlachtfelderD,
„wie blind die Menschen sind! Anlässlich der einst „zur größeren
Ehre Gottes" entflammten Scheiterhanfen hredien sie in Verwün-
schungen Aber blinden und grmsamen, sinnlosen FaBatiamas ans, und
ftr die Iddienbesfielen Sdiladitfelder der Gegenwart sind toU
Bewunderung. Die Folterkammern des finsteren Mittelalters flöfien
ihnen Abscheu ein — auf ihre Arsenale aber sind sie stolz** Sie
durchschauen die Hohlheit und Hinfälligkeit der Motive, welche das uner-
meesliche Tausende und abermals Tanseade von Ezistenaen vernichtende
Unglück immer und immer wieder heraufbeschwören ; die poUtisehe
Phrase, die verherrlicht, was das ungeheuerlichste Verbrechen unter
der Sonne ist; die religiöse Phrase, die dieses Verbrechoi als den
Wülen des „Herrn der Heerscharen** darstellt; sie erkennen, dass
„die Potentaten und Diplomaten den Krieg wollen. Aber das Volk?
Man frage es nur, bei ihm ist der Friedeaswonsch glühend und wahr" . . .
Und sie kommen zu dem Besultat: „Es kann keine Logik und Ge-
rechtigkeit geben in jenem Nationalgefühl, dessen oberster Grundsatz
der ist: Wir sind wir — das heißt die Ersten, die Andern sind Bar-
baren .... Der Kriegsgeist und der patriotische Egoismus ist die
Verneinung aller Gerechtigkeit." —
Doch dies genüge, um die Tendenz und den tiefen ethischen Kern
des Werkes anzudeuten. Für den Lehrer gewinnt es noch einen, be-
sonderen Wert durch seinen pädagogischen Gehalt.
Selbstverständlich denkt die Gräfin Dotzky auch darüber nach,
woher die Begeisterung fiir den Militarismus und die Kriegsvergötte-
rung stammen. Sie selbst hat als Siebzehnjährij^^e für kriecrerische
Heldenthaten geschwärmt und oft bedauert, nicht als Knabe geboren
zu sein. Für Gelelirte, Dichter, Länderentdecker konnte sie wol
einige Hochachtung empfinden; aber eigentliche Bewundenuiir iir>ßten
ihr nur die Schlachtengewinner ein. Das waren ihrem kindlichen
Verstände „die vorzüglichen Traijer der Gesciiichte, die Lenker der
Länderschicksale; die waren doch an Wichtigkeit, an Erhabenheit —
an Göttlichkeit beinahe — über alles andere Volk so erhaben, wie
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Alpen- und Hiiiuüayagipfel über Gräser und Blümlein des Thals.*
Sie erblickt in dieser falschen Schwärmerei die Folge einer ver-
kehrten Erziehung. Was sie über diesen Punkt sagt, erscheint uns
80 treffend und überzeugend, dass wir es auszugsweise wiedergeben:
„Die Geschichte ist, so wie sie der Jugend gelehrt wird, die
Hauptqofille der KriegBbewimderuDg. Da prägt sich schon dem Kin-
dersimie ein, dass der Herr der Heerscharen nnaafhOilicli Scfalaehten
anordnet; dass diese sozosagen das Vehikel sind; auf welchem die
VOUcergeachicke durch die Zeiten fortrollen; dass sie die EMUnng
eines nnansweichliehen Naturgesetiea sind and von Zeit za Zeit immer
kommen mfkssen, yrie IfeeresstOime nnd Erdbeben; dass wol Schrecken
nnd Greuel damit verbunden sind, letztere aber voll aufgewogen wer^
4en: fOr die Gesammtheit dnrdi die Wichtigkeit der Besultate, für
den Einzehien durch den dabei zu erreichenden Bnhmesglanz, oder
doch durdi das Bewusstsein der erhabensten FfiiehterfUIung. Gibt
es denn eben schöneren Tod, als den auf dem Felde der Ehre — eine
edlere Unsterblichkeit, als die des Helden? Das alles geht klar und
einhellig aus allen Lehr- und Lesebüchern „für den Schulgebraudi*'
heryor, wo nebst der eigentlichen Geschichte, die nur als eine
lange Kette von Kriegsereignissen dargestellt wird, auch die
Terschiedenen Erzählungen un l Gedichte immer nur von helden-
müthigen Waffenthaten zu berichten wissen. Das gehört so znm
patriotischen Erziehungssystem. Da aus jedem Schüler ein Vater-
landsvertheidiger herangebildet werden soll, so muss doch schon des
Kindes Begeisterong für diese seine erste Bürgerpflicht «geweiht wer-
den. Man muss seinen Geist abhärten gegen den natürlichen Abscheu,
den die Schrecken des Krieges hervorrufen könnten, indem man von
den furchtbarsten Blutbädern und Metzeleien, wie von etwas
Gewöhnlichem, Nothweiidigem so unbefangen als möglich
erzählt, dabei nur allen Xai hilruck auf die ideale Seite dieses alten
Völkerbrauches legend — und auf diese Art gelingt es, ein kampfes-
mathiges und kriegslustiges Geschlecht zu bilden."
„Die Mädchen — welche zwar nicht ins Feld ziehen sollen —
werden aus denselben Büchern unterrichtet, die auf die Soldaten-
züchtung der Knaben angelegt sind, und .so entsteht bei der weib-
lichen Jugend dieselbe Auffassung, die sich in Neid, nicht mitthun
zu dürfen, und in Bewunderung für den Militärstand auflöst.
Was uns zarten Jungfräulein, die wir doch in allem Übrigen zu Sanft-
muth und Milde ermahnt werden, füi- Schauderbilder aus allen
Schlachtoi der Erde, von den biblischen, macedonischen und pnnischen
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talB zu deu dreißigjährigen und napoleunisclien Kriegen vorgeführt
werden, wie wir da die Städte brennen und die P^inwohner „über die
Klinge springen^ und die Besiegten scliinden sehen — das ist ein
wahres Vergnügen .... Natürlich wird durch diese Aufhäufung
und Wiederholung der Greuel das Verständnis, dass es
•Greuel sind, abgestumpft. Alles, was in die Rubrik Krieg
gehört, wird nicht mehr yom Standpunkte der Henaehlich-
keit betrachtet — und erbAlt dne ganz besondere, mystisdi-Usto»
risch-politisehe Weihe. Es mnss sein — es ist die Quelle der höchsten
Würden und Ehren — das sehen die Ifädchen ganz gut ein: haben
sie doch die kri^Yerherrlichenden Gedichte und Tiraden auch aas»
waldig leinen mflssen. ünd so entstehen die spartanischen Mlltter
und die — Fahnenmtttter und die zahbeichen, dem Offldercorps ge-
. spendeten Cotülonorden wfthrend der Damenwahl."
Es liegt ohne Frage eine tiefe psychologische Wahrheit in diesen
Ansf&hnmgen. Die Vorwürfe, welche hier erhoben werden, treffen
nicht etwa allein das Gymnasium und die höhere Töchterschule, son-
dern, wennschon vielleicht nicht in demselben ümfSuige — auch die
Volksschule. Zwar hat die pädagogische Theorie schon seit Jahren die
Forderang erhoben: der Geschichtsunterricht berücksichtige die Cultur-
geschichte in weitestem Umfange; und wenn in Preußen die Aller-
höchste Ordre vom 1. Mai 1890 und die dieselbe auslegenden Mini-
sterialerlasse mit Genugthuung und Freude begrüßt wurden, so war
es nicht darum, weil in ihnen bahnbrechende Elemente vorhanden
waren, sondeiTi weil man hoffen durfte, dass durch diese amtlichen
Kundgebungen die Aufmerksamkeit der Aufsichtsorgane, der Schnl-
rätlie und Inspectoren, die ja leider der frei schaffenden und vor-
wärtsstrel)enden Pädagogik zu selten Gehör sclienken, auf die in Rode
Ftelicnde wiclitige Reformfrage <:,^elenkt werden würde. Ob sicli diese
llotViiung erfüllen wird, muss die Zeit lehren. Vorläulig wird in der
Praxis noch immer kaum etwas anderes als Kriegs- und Fürsten-
geschiclite gelehrt. Das ist die Regel — lobenswerte Ausnalimen
mögen ja immerhin vorkommen — , und es wäre l'horheit, diese That-
sache zu verhehlen oder den Blick von ihr wegzuwenden. Die Ver-
antwortung dafür tragen die Lehrer durcliaus nicht allein. Nicht nur,
dass ihre eigene .lugeuderzieliung sich in diesen liahnen bewegt und
ihnen die traditionelle Auffassung der Geschichte eingeimpft liat: auch
in den Seminaren mag — bisher weuiu^stens — selten eine Allt^.i^sung
der Geschichte von einem höheren Standpunkte den jungen Leuten
beigebracht worden sein; auch hier wird uicht:^ wesentlich anderes
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getrieben, als Krieg»- und FOrstengesohichte, und wo der Seminar*
Unterricht den.Bahmen des in den Yorbereitangsaiistiilten — mOgen
sie nnn Yolksechnle und Mparande oder Bealscbnle oder wie sonst
noch heißen — beigebrachten Geschichtswissens ftbenchreitety da
handelt es sich im großen und ganzen nm eine qnantitatiTe Erwei*
terong des Stoffes; das Princip des Unterrichts bleibt dasselbe. Hat
es sich doch jüngst ereignet, dass bei einer Lehrerinnenpi'Qfung in
Stettin eine Unmenge Fragen rdn militärischer und strategischer
Nator (z. B. Wie standen die lYuppen bei Mollwitz? — Nach welcher
Hinmielsrichtung sahen die Preußen? — welche Tmppentheile siegten bei
Zorndorf? u. s. w.) an die jungen Mädchen gerichtet wurden — Fragen,
über die der Kaiser geurtheilt hat, sie möchten vielleicht in ein
Officiersexamen gehören, nimmer aber in eine Lehrerinnen prüf iing.
Höchst charakteristisch ist der Umstand, dass gerade diuch den er-
wähnten kaiserlichen Erlass, der ii. a. die Wichtigkeit der vater-
ländischen Gescliichte (im engeren Sinne) betont, diese Übertreibung
veranlasst wurden ist! —
Die üblichen Leitfäden und Lehrbücher, die mit verschwindenden
Ausnahmen in der von B. von iSuttner charaktcrisirten Weise ange-
legt und ausgearbeitet sind, sorgen dafür, dass der Lehrer, besonders
derjenige, dem die umtasseuden Werke unserer classischen Geschichts-
schreiber nicht zu Gebote stehen, sich beim besten Willen nicht von
den Fesseln der Tradition befreien kann. Was soll man dazu sagen,
wenn in den für die Mittelstufe bestimmten, im übrigen ausgezeich-
neten „Geschichtsbildern'' von Albert Richter (Leipzig, Ricli. Richter,
1890), ein Werkchen, in dem die Culturgeschichte in einer ganz
eigenartigen, anziehenden Weise dargestellt ist, der neuesten
schichte (seit 1815) nnr 4Vt von 114 Sdten eingeariomt werden, nnd
dass der anf diesen Seiten behanddte Abschnitt sich — abgesehen
yon ein paar anf den Kaiser Friedrich hinweisenden Zeilen — ledig-
lich mit dem Kriege Ton 1870 nnd 1871 beschäftigt? — Wenn einem
so tflchtigen P&dagogen, wie dem Verfesser des Qnellenbnches für den
Oeschichtsnnterricht, so ein FehlgrUf begegnen konnte, was darf man
dann von den nach alten, abgegriffenen Becepten gemachten Lehr-
und Hüföbttchem erwarten? — Wie sehr das flUiche Anfnchtssjstem,
die sahlreiehen Revisionen nnd SchnlprOfiingen das Itppige Indmtnt-
schießen des Notizenkrams der Kriegsgeschichte begOnstigen, darauf
ist so oft hingewiesen worden, dass dn Verweilen bei diesem Gegen-
stande überflüssig erscheint.
Man konnte sich vorstellen, dass es mOglich wäre, alle Binder-
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nisse, die dem yanflnfltigai und gedeililirhen Betriebe des Geschicbts-
nnterrichts entgegenstehen, mit einem Schlage zn beseitigen: der Stoff
konnte nach neuen Gesichtspunkten ausgewählt, die Lehrbücher könnten
verbessert, der Schulaufsichtsapparat könnte vereinfacht werden u. s. w.
Ob durch diese Maßnahmen eine Neugestaltung des Unterrichtes in
unserem Sinne herbeigeführt werden würde? — Schwerlich! — Den
stärksten Druck übt hier wie überall der Geist der Zeit aus. Wir
stehen eben in einer Periode grenzenloser Überschätzung des
Militarismus. Dafür zeugen die unerhörten Lasten, die der Unter-
halt der stehenden Heere den V(ilkein auferlegt, Toasten, die kaum
noch zu ertragen sind; zeugt die einseitige Überschätzung derer, welche
die Officiersuniform tragen, resp. getragen haben — gilt doch der
Titel „Reserveofficier" auch im bürgerlichen Leben iür eine ganz be-
sondere Ehre und Auszeichnung! ^^'er noch weiterer Bestätigung be-
darf, der durchwandere die Hauptstadt des deutschen Reiches und
lenke seinen Blick auf die Kunst, die ja immer den Geist einer Zeit
am treuesten zurückstrahlt: überall wird er den Standbildern von
Fürsten und Kriegern begegnen, selten, sehr selten aber der Statue
eines Geisteshelden, eines Künstlers. Auch in der häuslichen Er-
ziehung treibt der Militarismns seine schönsten Blüten. Gibt es ein
beliebteres S^idseDg für Knaltenf als Bleisoldaten, als SSbel und Ge-
wehr? Und wtm dann der kldiie mit aller Gewalt zum MiUtftr ge-
stempelte Mann seinen kriegerischen Math zunächst an harmlosen
FrOschen, Kaninehen und Katzen aoslässt» indem er sie misshandelt»
bis sie unter seinen nnbarmherzigen Streichen erliegen, darf man ihm
deshalb zSmen? — Er hielt sie in seiner Phantasie fOr Fehide, ftr
Franzosen! Er folgte nnr den gransamen Instincten seiner Zeit; un-
möglich dflift ihr ihn allein f&r seine Hoheit verantworflich machen!*)
*) Die Hilit&rraigOttcruniB: hat besonders in Pfeil6en die sonderbarste-a Blüten
fifetriebcn. Hält man es doch in Preußen für eine cranz be.^omli rc Khre, Kcserve-
nfrttitr zu sein. Der Titel „Lieutenant <ler Reserve" jiran(,M ja mit besonderem
tilanze auf Visitenkarten und in der Rubrik „Familien-Nachrichten" der Zeitungen.
Besonden schneidige Gvttbesitsei, die einmal OfAdemmiforai gingen haboi, laMm
eich mit Yoriiebe von ihrai üntefgebenen „Herr Lieutenant" betiteln. Der lUrufn-
officier nun ga,T nimmt eine c^anz exccptionelle Stellunjr in der Ge^-ellschaft ein.
Der jilng^ste S'rondelieutenaut dünkt sich durrb sein rorte<|)ce unendlich erhaben
über alles übrige Volk. Diese grenzenlose L bcrhebung führt zu Ausschreitungen,
die an das Faustiecht der ehemaligen Stranclnritter eiinnetn. Geschah es doch —
um nnr ein Beispiel anxaftthren — im Frfihling dieses Jahres, daas ein Seconde-
Uentenant der Husaren in Main?., der Sohn des eheniali$;en preuBischcn Landwirt-
sfthafteminiaters t. Lucius, einem stttdUachen Foliieibeamtea, der eine Strafanaeige
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Der Lehrer befreie zunächst sich selbst von der Heri-schaft der
üblichen Militär- und Kriegsverherrlichung-, vom politischen Phi*asen-
thum; er breche mit der traditionellen Auffassung der Geschichte! —
Das Werk einer echten Dichterin, einer yon glühender Meusciieuliebe
beseelten Frau helfe uns, diese That zu vollbringen. Lernen wir von
ihr das weltumfassende Mitleid, das nach Abschaffung alles Elends
begehrt; lernen wir den VOlkerhass; der in der That noch beute einen
Theil der bilrgerliehen Endehong bildet« in der eigeueoTBriist beelegent
Prägen yfir unserem Qeiste die erscbftttemden Bflder graosigenKriegs-
elends ein, die B. t. Snttner mit genialen Zügen oitwiift, Bilder, die
in ibrer packenden Katnrwabrbeit entBetsUcfaer sind, ala die aiia-
eehweifendsto Pbantasie sie zn malen TermOchta Wer wire imstande,
folgende Scene — die Verftsseiin bat dem Vorgänge selbst beige-
wobnt — je zu yergesaen: Am Aüei-aeelentage des Jahres 1866, als
Hunderte and abennals Hnnderte nach den böhmischen Schlacht-
feldern walUhhren, nm den geliebten Toten nahe an sein, enohehit
ohne jede Begleitung aof dem Schlachtfelde von Sadowa Kaiser Franz
Josef. Aach er fühlt das BedOrfbis, fBr die Oebllenen zn beton.
Lange steht er, „anbedeckten, gebeugten .Hauptes, in schmerzerfüllter
Ehrerbietung vor der Mi^estftt des Todes" .... Welche Gedanken,
welche Empfindungen mögen durch seine Seele gehen! — Endlich
bedeckt er sein Gesicht mit beiden Händen, und, nicht mehr Herr
seines Schmerzes, bricht er in lautes, heftiges Weinen aus .... Was
können seine Thränen bedeuten, als ein: Flach dem Kriege!
„Schon stehen wir an der Pforte einer nenen Zeit", schreibt
B. von Suttner, „die Blicke sind nach vorwärts gerichtet, alles drängt
mächtig zn anderer, zu höherer Gestaltung. Die Wildheit mit ihren
Götzen und ihren ^\';lffen — schon schleudern .sie Viele von sich.
\\'enn wir der Barbarei mich noch näher sind, als die meisten glauben,
so sind vir vielleicht auch der Veredlun«; nälier, als Viele hoffen.
Schon leltt violleiclit der Fürst oder der Staatsmann, der die in aller
künftigen Oeüchichte als die ruhiiireichste, leuchtendste der Thaten
geltende That vollbringen wird, der die allgemeine Abrüstung durch-
setzt .... Schon haben wir die «Schwelle eines Zeitalters betreten,
gegen fim genuMbt, den Sftbd auf die Brost setzte mit der Drolraiig, Om „msammen-
MStechrn", wenn er rtie Anzeigte nicht sofort als unrichtig snrttckneluDeii würde! —
Dieser Fall \<t typisch. Die Gesellschaft hat kaum das Recht, sich Uber dergleichen
Hobeiteu besonders zu entrüsten; denn sie trägt durch ihre blinde, kritiklose Vei-
gOttening des HUitaiismiis die Eauptsdnild an solchen Yinftllen. D. V.
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wo die Monscheit sich zur Menschlichkeit erhebt» zur Edel-
menschlichkeit" ....
Wer aber wäre mehr berufen, dieses Zeitalter heraufführen zu
helfen, an dem Werke echter Uumanität mitzuarbeiten, als der
Lehrer? —
Zusatz TOB Seiten der Bedaetion. Da man ücSi Uber die Lasten
und moralischen Scbftden des Hilitarismus in der Regel damit tröstet, dass er
wenigstens ein fester Schutz des Vaterlandes sei, so gestatten wir uns hier
ein Wort von John Locke, den hoffentlich auch unser hochweises Zeitalter
noch ein wenig respectiren wird, den obigeu Ausführungen anzofügen:
„Wenn ein zftgelloses Leben erst das Gelfihl fOr wahre Ehre vor-
scheucht hat, 80 pilegt die Tapferkeit selten noch lange zu verweilen. leh
glanbe gewiss, man wird koin Beispiel einer Nation aufweison können, so
berühmt sie ihrer Tapferkeit wegen sein mag, welche ihren kriegerischen
(h«dit erhalten and sich ihren Nachbaiu furchtbar gemacht hätte, nach-
dein daa Verderben der Sitten nntor ihnen efaigeriMen and den Dainm der
Ordnnng und der Gesetze durchbrochen, nnd naehdem das Laster dergestalt
sdn Haupt erhoben, dass es ohne Scheu sein Angeateht unverhfillt nmher-
tragen durfte."
Und bezüglich der kriegerisciien Verrohung, welche so häufig im welt-
gesohiehtlichen Unterrichte gepflegt wird, sagt derselbe Welse:
„Lloft doch das ganze Gesehwtta, womit die Gesdilchte uns bewirtet,
ftot auf nichts anderes, als auf Fechten und Totschlagen hinaus. Und
muRB nicht die Ehre, die wir den Erriberern (die doch meist nichts anderes,
ails die großen Schlächter des Menschengeschlechts sind) so freigebig aus-
q>enden, den heranwachsenden Jüngling auf dem falschen Wege weiter fort-
leiten? Huss er nicht dahin kommen, dass er Mord IBr ein loboiswfirdiges
Geschäft des Menschen und für die erste der hsioischen Tugenden hält?
Dadurch wird unnatürliche Grausamkeit m unsere Seele gepflanzt; und
was die Menschlichkeit verabscheut, da.'^s macht uns die Gewohnheit niolit
nur erträglich, sondern sie empfiehlt es uns dadurch, da»s sie es uns auf
den Weg der Ehie stelltl"
Ww Ohren hat, zu bSrea, der hSrel D.
1
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Meister und Jünger des Lehrerbemfs.
Un, ilngst feierte das Lolirerseminar zu Annaberg" in Sachsen das fünfzig-
jährige Jubiläum seines Bestehens. Unter den bei dieser Gelegenheit gehalte-
nen Ansprachen fand besonders ein im Namen der Mberai Zöglinge verfimtee
Begrtttimgflgedicht von Herrn Schiildireefcor Horits Eleinert in Dreedelk (m-
gleich Bedactenr der «Angern, deutsch. Lehrerzeitnng") groBen Beifall. Wir
tlieilen nns demselben naphstehcnd einige Strophen mit, von denen die drei
ersten die Aufgabe der Seminarlehrer skizziren, die übrigen den Seminaristen
dne Wegleitnng bieten.
Und euch, wttrd'ge Männer alle, die ilir schaflft am edlen Werke,
Räste Gott stets aus mit Weisheit und mit seines Geistes Stärke!
Welch ein Amt und welche Schätze sind in eure Hand gegeben!
SoUt dem JOngling Leben spenden, dass er wieder wec^e Leben;
Sollt ihn, wie ikr »Icist der Pfingsten, zu der Wahrheit Quelle leiten,
Ihm voran die schmalen Gleise strenger äelbstverleugaung schxeitenf
Oin dttteii emnr Yeibild spornen, lidi tarn Sonnenlicht so redten,
Dass dereinit aueh »eine Schttler sidi mit Kraft naoh eben streisen.
Wen ward gleieher Sendung Würde, wer soll hOh'res Ziel erreichen?
Wahrlich, eures Amts Bedeutung hat im Staat kaum ihresgleichen!
Wenn nicht der Begeistrung Feuer euch in üerz und Seele lohte —
Eure Arbeit wSr^ Tergeblidi, wir' nun Leben nicht, — sam Tode.
Kuu an euch, ihr jungen Freunde, sei mein Wort zuletzt gerichtet.
Glaubt es, alte Heizen fühlen, was ein junges Herze dichtet,
I'nd wie's auf der Zukunfr Wfifjpn wt (]rr Stein noch Domen ahnet,
Wie s im Kausche jungen i'riüiliügs himmelwärts den Weg sich bahnet.
Glück zum Traume, (>lück zum Leben, Glück zum Streben, junger Schwftimer!
An Erfahrung wirst du reicher, doch an Hoffnung wirst du Ixmer.
Nur, diiss dir ein Lenz tieflnnen ewig grüne, knosii«', blühe!
Nur, dass dir das heii'ge Feuer nie im Busen je verglühe!
r';izu läse' dich hier am Herde unscrs Seminars entzünden,
Dazu magst du mit den edelsten der Freuode dich verbünden:
Daes die Sdrakeit deiner Jugend durch dein gamses Leben lendite,
Dass im Alter die Erinnmag oft dir nodi des Ange fencfate.
Wenn zv nnster einia mater du nach aber fUnfsig Jahren,
Wo wir hingst im Grabe ruhen, froh des Weges komni-;t geÜEkhren,
Um zu zollen dieser Stätte deines Dankes goidne Khluze: —
Dass ein Sdiein von ew'ger Jugend dir nodi von dem Ange gllnsel
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Pftdagogisohe Kimdiseliaa.
Oniversitäten. Im VU. Jahrgänge (Märzheft 1885, S. 394—423)
brühte das „Psedagoginm* eine lehr Intennante Abhandlnogr tob Pratoor
J. Schuhmaiin-Rom über das Öffentliche ünterrichtswesen in Italien, deren
vierter Abschnitt sich mit den Universitäten der Apcnninon-Halbinsel be-
fasste. In der letzten Zeit ist nun vielfach die Kede davon gewesen, dass
Italien zu viel Universitäten habe und im Interesse einer sparsameren Ver-
waltmig mehrere abeehaffen mfiBse.*) Etnen EinbUek in die Gnmdlagen dieaee
Verlangens gewährt uns die von Dr. Richard Kuknla in der Zeitschrift
„Akademische Tagesfragen" veröffentlichte Weltstatistik der Univer-
sitäten. Sie stützt sich auf das Wintersemester 1890/91 und berück-
sichtigt uui* die matrikulirten Stadenten. Wir entnehmen ihr die auf Italien
beafiglidien Angaben, indem wir zngleleh die übrigen Lftnder, inbcflendere
Dentschland, znm Vergleiche bnanzlehen. Mit diesen Angaben woUe der ge-
ehrte Leser auch die Mittheilungen vergleichen, welche sich im Aprilhefte
(S. 446 — 47) und im Junihefte (S. 580) dieses Jahrganges vorfinden, aber
auf das Winterhaltgahr 91/92 sich beziehen. —
ItaUen hat von alten Undem die meiaten üniTCuittteBy nlmlieh 21,
«ihrend daa Dentaohe Bdch, daa 20 IfüUonen mehr Einwdiner hat, nur
20 Universitäten besitzt (Außerhalb dea Deutschen Reiche« gibt es noch 8
[H. D. R.] Universitäten, auf denen in deutscher Sprache gelehrt wird,
nämlich: Wien, Prag, Graz, Innsbruck, Czernowitz, Basel, Zürich**) nnd
Dorpat.) In Italien gab es in dem gedachten Semester 17 558, in Deutsch-
land 29569 Studenten; in Italien lehrten 1522, in Deutschland 2406 Pro-
fessoren. Das Verhältnis der Lehrer zu den Studenten war in Italien 1 an
11,5, in Deutschland 1 zu 12,3; das Verhältnis d» r Studenten zu der ganzen
Bevölkerung in Italien 1 zu 1705, in Deutschland 1 zn 1584. Pas würen
keine allzn groUen \'erschiedeuheiten. Auffalleuder ist, dass in Deutschland
auf einer Univeraitlt durehsehnittlieh 1478i in Italien nur 836 Studenten Bind.
Daa ist die niedrigste Ziffer von allen Lündem, Holland nnd die Schweis ana-
genonimen. wo nicht alle Universitäten sJlnnnt liehe Facultäten be.sitzen. Im
einzelnen wird der Unterschied noch drastischer. Die kleinste deutsche Uni-
versität, Rostock, zählt 371 Studenten, dann kommen Kiel mit 489, QieAen
mit 549, Jena mit 675, EOnigaberg mit 682 u. a. w.; DentaeUand hat über-
hnnpt nur 9 üniTenitftten mit weniger ala 1000 Studenten. Italien aber hat
solcher 12, darunter fSolgende 10 mit weniger ala 400 Studenten: ][odena819,
•) ,,Italirn In darf der ;>tärkung seiner wissenschaftlichen Mittelpunkte, nicht
einer Vemjchrung dcrsi lben.'* Paadagogium VII, S. 413.
**} Hier hätte noch Bern, genannt werden soUen. D. £.
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Messina 310, Ferraral<n, Siena 183. Perugia 178, Cagliaril57. Lassari 132,
Macerata 115, Caniprino 96 nnd Urbino 93 Studenten. Acht Universitäten,
also mehr als der dritte Theil, haben überhaupt weniger als 200 Studenten.
Da ist natflrlieb ueh te YwUltalt der Stadenten n den Lehrern ein un-
richtiges. Unter den deutschen Universitäten hat verhältnismäBIg; am metaten
Lehrer Kiel, nämlich 89, so dass dort 5 Studenten auf eitifii T-clirer kommen.
In Knnigsberg- nnd Jena kommen 7, in Göttinpon 8, in Straüburg und in
Rostock 9, in Heidelberg, Marburg, üieflen und Breslau 10 Studenten auf
einen Lehrer n. t. w. IMe gifßte VcriiiltnjHÜfor haben lOnchen nndWüi»
barg: 22 zu 1; dann koanen Erlangen (19:1), Leipzig (18: IX TftUngea
(17 : 1 K Berlin (U\ : 1) u. s. w. So hohe Ziffern bat Italien äbexbanpt nicht;
die höcliste hat Turin (Ui). dann kommen (lenua und Favia fl3\ Talermo
und Neapel (11), Padaa und Horn (10), Ferrara Pisa (i), l'erugia (6),
Urbino (5), «ndlkli haben tat XaMina, Cagliari, Modna, Laüttl «nd Siena je
4 Stndenten die Ehra, einen Prafenor m haben, nnd in Camerino haben aogar
schon 3 Studenten diese Ehre. Hier ist offenbar der wnnde Punkt, wo die
italienische IJniversitiitsrelorm, wenn es zu einer solchen kommen soll, ansetzen
moae. — Der erwähnten Statistik entnehmen wir noch folgende Angaben:
Oetarnkh-Ungam dLhlt 11 Universitäten mit 19 669 Studenten nnd 994
Lehrern, England 10 Univenittten mit 19 264 Studenten nnd 696 Lehffwn,
Russland 0 Universitäten mit 13809 Studenten und 739 Lehrern^ Spanien
hat 11, die Schweiz 6, Belgien und Holland je 4 Universitäten. Die besuch-
teste Universität ist Paris mit 9215 Studenten; sie ist dafür auch die einzige
vollständige Universität in Frankreich. Dann kommt Wien mit 6220. Berlin
mit 6527, Neapd 4328, Hflnehen 3661, Bndapest 3633, Athen 3600, Edin-
borg 3488, Moekan 3473, Leipzig 3458, Madrid 3182 n. s. w. Eine eigen-
thümliche Stellung nimmt Prag ein, das zwei Universitäten hat, eine deutsche
und eine tschechische: erstere ist von 1580, letztere von 2361 Studenten be-
sucht; die (iesammtzalii beträgt also 3941. — Im allgemeinen muss man mit
SchltiflMn ana der vergleiehenden ünivenltftttitatietJk ▼ortiehtig da die
Organisation nnd der XJmbag der ünivereitMen nicht ftbanll gleich dnd.
Barlin. Vom Dentaehen Lehr er* Verain. Bechtesebats. , Aas
einem Bericbte des geschiftsfBhrenden Aasedinseea dea Deatscban Lehrer>Var^
eins über das Geschäftsjahr 1891 theilen wir Folgendea mit. Die in dem
Diesterwegjahre 1890 in allen größeren und kleineren Lehrer- Vereinen ver-
anstalteten Gedächtnisfeiern zum Andenken des Vaters und Schätzers der freien
Vereine sind nicht ohne Wirkung geblieben, nnd die in allen Festreden, Fest-
artikeln nnd Festschriften idederkehrenden, ehidringlichen Hahnworte des ge-
feierlMi Meisters: „Lebe im Ganzen^', „Schließ an ein Ganzes Dich an", sind
nicht erfolglos verhallt, denn die Erliölmn^ der Mitf!:liederzahl, welche der
Deutsche Lehrer-Verein sowol durch das erfreuliche W.u hsthum der älteren
Zweigverbäude als auch durch Uiuzatritt einer ganzen Aazuiil neuer Vereine
erfahren liat, mnss als eine gans bedentende beieiehnet wo^n. Wihrend
nach unserem Jetaten Geschäftsberichte 44449 Mitglieder in 1257 Verbunden
dem Vereine angehörten, ist der gegenwSrtige Bestand aof 49 636 Mitglieder
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gestiegen, so dass eine Zanahme von 5187 Mitgliedern stattgefunden liat*)
Dieses Wachstham ist am so erfrenlicber, als man von verschiedeneD Seiten
gerade im Antehlnn an die hervorragendste^ beim VIEL Deatsdien Lehrertage
veranstaltete, Dieaterweg-Fslar bemüht war, Zwietracht in die Reihen der
Lchrei-schaft hineinzntragen nnd durch planmäßiges \'orpehen die Zersetznng
des Deutschen T,ehrer-\' ereins anzustreben. Wurden doch selbst von der
l'ribäne der Laudesvertretung des grüßten deutschen Staates in Anknüpfung
w die Dieiterweg geltende Festrede auf den Lelirertage die inerhSrteiten
Angriffe gegen die Tendenz des Deatschen Lehrer- Vereins nnd gegen die
„radicalen Führer" desselben geschleudert, nnd schreckte man in einer ge-
wissen Presse doch selbst vor Verdrehungen, Entstellungen und wissentlich
falschen Anschuldigungen nicht zurück, um den Verein zu discreditiren, wie
das in der von einigen Mitgliedern des gesehftftnfllhrenden Anasehvsses ver-
fimten Sdintuchrift: „Der Vm. Deutsche Lehrertng nnd seine Gegner" «ir
Genüge gekennzeichnet worden ist. Aber wie diese maßlosen Ang^riffe die
deutsche Lehrerschaft nur noch mehr in dem GefBhl ihivr ensren Zusammen-
gehörigkeit bestärken konnten, so vermochten auch jene ungeheueren Anstren-
gungen, die Lehrerschaft durch Grfindung eines katholischen Yerbnndes anoli
OonÜBSsionen in spalten, dem Dentsehen Ldmrvereine keinen neanenswerlu
Abbruch zu thun, denn gerade in den vorwiegend katholischen Landestheilen,
wie Westpreußen, Rheinland, Westfalen etc. ist seine Mitgliederzalil bedeutend
gewachsen. Die Mitglieder des Deutschen l^ehrer- Vereins jedoch, welche sich
der im Dienste politischer und kirchlicher Parteien stehenden Gründung an-
schlössen, geb9rten innerlidi Itngst nicht mehr nn denndben nnd beflpeiten den
Verein durch ihren Anstritt nnr vom einem unnützen, die zielbewusste Thfttigw
keit lähmenden Ballast. — Dass nun auch das innere Leben in den Vereinen
ein pesnndes, dass für die Thäti^keit derselben nur treues und ernstes Streben
nach den vorgesteckten Zielen maßgebend wai*, kann der geschäftsfülirende
Ansschnss infolge der ihm m Gebote stehenden Infbrmationen nnd inlUge
seines Verkehrs mit den Vereinen mit Genngthnnng hervorheben. Der Ans-
schnss wurde von dem Herliner Lehrer- Vereine, welcher durch die Vertreter-
Versammlung: wiederum zum Vornrt bestimmt war. p:ew;ihlt, verstärkte sich
durch Zu wähl auf 17 Mitglieder und nahm bald nach dem Lehrertage seine
regelmiflige Thttlgfceit anf. Leider war der langjährige, nm den Dentsdien
Lehrer-Verein so hochverdiente Vmiitiende Tierich dnrdi seinen Oesnndlieits-
zustand gezwungen, eine Wiederwahl zu diesem Amte ablehnen zu müssen.
.\n seiner Stelle wurde Clausnitzer srewilhlt. — In Erledis-nng der ihm von
der 13. Vertreterversammlung ji^ewordenen Aufträge traf der Ausachuss zu-
nächst die nöthigen Vorbereitungen zur Auswahl der Verbandethemen durch
*) Neu haben sieh angeschlossen der Verein Cftemnits mit .S57 Mitgliedern
und einige Verbände in den Kle.instiUitcn Deutschlands. Erheblicher jedoch ist die
Zunahme durch das Waclisthum der Provinzial-Vereine in l'reußcn. Sie beträfirt
3898 Mitglieder. Es stieg die Mitgliederzahl dieser Verbände in Sachsen um W.\
auf :J876, in Ostpreußen um ö2l> auf 3020, in Pommern um 450 auf '21bO, in «ier
Rheinprovinz um 43H auf 2816, in Schlesien um 4()U auf H0<>0, in Brandenliurir um
»Ki» auf 4007, in Schleswig-Holstein und Haanover um je 2(X) anf 'Ji'ub resp. :i26ö,
in Westpreußen um 170 üuf 19,50, in Posen um 1(51 auf 17 IK und in Westfalen
und Heüseu um Je lOU auf 1400 resp. 2000. — Anm. des Kefcreutta.
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den Gesainnitvorstand. Auf Vorschlag' des Aussclmsses wurden aus don zalil-
reich uauiliaft geuiachteu Themen nur zwei für die Berathongen in den Lehrer-
Vereinen ausgewählt, und zwar erklärte sich die Mehrheit der G«8ammtvor-
staadsmitgUeder 1. iffir „Die allgemeioe Volkatehide in Bflekaicht anf die
sociale Frage" und 2. für die „Lehrerbildnog". Wie in den früheren Jahren,
so veröffentlichte der Ausschuss auch diesmal, nachdem er sich mit vorstellen-
den Fragen selbst eing'ehend bescliilfligt, die bekannte einschlägige Literatur,
anch brachten die lieterenten dt& Ausschusses im Vereinsorgan längere orien>
tirende Artikel. Hit Genngthnong kSnnen wir die erftenliobe Thatsaehe her-
vorheboit dass diese Themen in der grSfitea Mehrzahl der Vereine und \'er-
bJlnde zur gründliclieii Dnrchberathung gelangt sind, — Ferner trat der Aus-
schuss seint-m Auftrage gemäß mit der Versicherungsgesellschatt I'rovidentia
in Verhandlungen wegen Verlängerung des Feuerversicherungsvertrages und
nnterbreitete den von ihm mit der Providentia vereinbarten nenen Vertrag
den Gesammtvorstandsmitgliedem, welche denselben einstimmig genehmigtwi.
— Bezüglich der auf der Vt-rtreterversammlnng nicht zur Erledigung ge-
langten Militärfrage rof^te der Ausschuss die einzelnen Landesvercine zur Ab-
sendung von Petitionen an die betr. Minister um üewährung der Berechtigung
mm Einjährig-FreiwUligendieiiete aa. — Die aitf dem VIIL Dentseken Ldirer-
tage veikandelte Frage über die „Befreiung deeLdirerB vom niederen Efiater^
dlmste'* gab dem Ansschnsse Veranlassnng, sich in einem beeonderai Schreiben
an die Vorstände der Zweigverbiinde des Deutschen Lehrervereins zu wenden
nnd sie zu einem zielbewussten \ orgehen in dieser Frage aufzufordern. — Die
Kasse des Deutschen Lehrer» Vereins hatte pro 1890 im ganzen 6091,80 Mk.
Einnahme. Davon wurden verausgabt: für Dmckaachen 296, 55 Mk., Fahr-
kosten für Delegirte nach Berlin 3528,30 Mk., Reisekosten für Ansschussmit- •
g-lieder ^Ofi.öO Mk.. Diäten für Ausschussmitglieder beim Lehrertatre H78 Mk.,
für 113 Exemplare der Pädagogischen Zeitung 452 Mk. n. a. Im ganzen be-
trug die Au^-gabe 5114,01 Mk.
Die Inanspmchnahme des Reehtsschntaes steigert sich von Jahr m Jahr.
Während sich bis znm Jahre IMS«) die Bewilligungen, wenn auch allmfthlidl
steigend, doch immer mir in solcher Höhe hielten, dass es möglich war, einen
nothwendigen IfesiTvetunds von älter 3000 Mk. zu bilden, so .stiegen dieselben
18110 auf ca. ITuOMk., also fast zu der Höhe der Einnahmen, und haben in den
ersten 9 Monaten des Jahres 1891 bertits die Summe von 2100 Mk. erreicht
Die Ursache dieser Steigerang liegt darin, dass der Deutsche Lehrer- Verein
in den letzten 2 Jahren um fast 25 Procent seiner Mitglieder gewachsen ist,
und dass die Einrichtung- dfs Rechtsschutzes erst jetzt vielen Vereinsmit-
gliedem zur Kenntnis bezw. zum Verstünduis kommt. Die Einrichtung dos
Bechtssehntses hat steh in der Lehrerschaft eine solche Anerkennung er-
worben, dass anch andere Vereine, wie der Badische Lehrerverein, nnter enger
Anlehnung an das Statut des Deutschen Lehrer-Vereins eine derartige Ein-
richtung ins Leben gerufen haben. Es ist aber zu er\väs:en, dass leisten,
welche ein großer Verein leicht trägt, von kleinereu Gemeinschaften nur schwer
getragen werden kennen. So haben verschiedene Zweigverebie des Dentschen
Lehiw-VereinB grSflere Summen ans der Bechtsschntakasse erhalten, als sie
an BeitiSgen an derMlben geaahlt haben. — Von den Fftllen, in welchen der
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Bechtsschutz des Deutscbea Lebrer-VereiAS iA letzter Zeit eingetretea ist, er-
wähnen wir fulgende:
1. Dm Landgvrieht sa L. io Oitpraaflai Temiliflilte ciii«i 27 Jaiire
alten Lebnr wegen Obenehraitimff des ZIditigwigireelitet m teehs KonatM
Gteftognb nnd Unfthigkeit znr Bekleidung öffentlicher Amter auf die Daner
von einem Jahre. Das Eeichsgericht hob auf eingeleprte Revision das UrtlieU
anf und verwies es an die erste Instanz zorück Hier erfolgte nun eine Ver-
urtheilnng zu 60 lüurk Geldstrafe. Die Kosten mit 402,37 Hark trag der
Beohtsschnts.
2. Ein Lehrer aus Schierfan war des Verbrechens gegen die Sittlichkeit,
begangen an Schulmädchen, angeklagt, jedoch freigesprochen worden. Die
Kosten fielen der Staatskasse zur Last; die iiersönlichen Auslagen im Betrage
von 74,10 Mark musste der Lehrer ti-ageu. Dieselben wurden ihm von dor
Bechtssehotskaase «netat
3. Eine Arbeiterfran wurde von einem Lehrer in Pommern wag«n Be»
leidignng im Amte verklag-t und zu 20 Mark nobst den dem Kläger erwach-
senen Kosten verurtheilt. Die \'erurtheilte war aber besitzlos und die Exe-
cution laut Attest des Gerichtsvollziehers fruchtlos. Diese Kosten im Betiage
von 12,95 Kark worden dem Lefarar aas der Beditsselitttakassa «netsL
4. Wegen Beschimpftiog eines Erwaehsenen anf der Strafle nnd wegen
fteeher Beden sfichtigte ein Lehrer in Schlesien einen Knaben mit einer Ohr-
feige und einigen Stockhieben, Die Eltern des Knaben behaupteten nun, der
Knahe sei von der Ohrfeige schwerhörig geworden, und es fand sich in der
That ein Arzt, der dies bescheinigte. Da aber die Annahme begründet er-
schien, dass der Knabe nnr simnlire, nnd der Ant das Attest nadi gaas ober-
' flftcblicher Untersuchung ausgestellt habe, begab sich der Lehrer nnter fremdem
Namen zu demselben Arzt, gab vor, dass er infol^^e einer am Tag-e vorher er-
haltenen Ohrfeige scliwerlKirifr f^eworden sei und bat um ein entsiuet lieiides
Attest. Dies wurde ihm nach ganz oberfläclüicher Untersuchung sofurt aus-
gestellt; anAerdem eiliielt er noch awei Medikamente, eins snm Einspritaen
in das vumeintüch kranke Olir, dnes snr j^BemhigUDg*'. Als der Lehrer, nm
zu beweisen, welchen Wert ein Attest von diesem Arzte habe, dasselbe dem
Gerichtshofe vorlegte, beantragte selbst der Staatsanwalt, der die Anklage
wegen Körperverletzung erhoben hatte, die Freisprechung, die aucli erfolgte.
Dieser Fall lehrt» welcher Wert nnter Umständen dnem Sntliclien Atteste
beianlegen ist.
5. Ein Lehrer in Schleswig-Holstein wurde von einem Vater wegen aa-
geblicher Misshandlung seines Kindrs verkhiirt, I>ie Kegierung lehnte den
Compotenzcontlict vorläufig ab, um zunäciist das Ergebnis der Verhandlung
in der ersten Listanz abzuwarten. Der Veiklagte wurde freigesprochen. Da
der Ellger aber mit Armntsattest geklagt hatte, konnte der Lehrer von ilim
Eraata seiner Ansingen nioht erlangen. Diese ersetate ihm die Bechts-
sehntakasse.
Von der Weichsel. Andrang zum Lelirerbemfe. Kesultatc der
zweiten Prüfungen. Petition zur Einführung des Litauischen als
Sehnlspraehe.
Der Andrang mm Lehrerberafe in der Provinz WestprenBen ist jetzt
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«rlMiUteli idiwldier als aaüuigs der acbtslger Jahre. So eneliifliMii ni den
Anfiiahinepriifaiigen an den sechs Seminaren 1881: 358 and 1882: 324 jonge
Leute. Damals war die Zahl der zum Eintritt ins Seminar reif befniidenen
Präparanden so groß, dass nicht alle Bestandenen Anfnalimc finden konnten;
1881 worden 10 Procent und 1882 sogar 18 Proceut derselben zurück-
gewiesen. In den ünlgenden Jahren Teningerte sich die Zahl der Prttpa-
raaden stetig, so dass hald nur der jedesnalige Bedarf gedeckt worde. Im
Jahre 1888 dagegen reichte die Zahl der Lebraratsaspiranten nicht mehr aus;
etwa 80 mnssten den Seminaren aus anderen Provinzen zugewiesen werden.
Durch diese Abnahme des Andranges zum Lehrerberufe sah sich die Schul-
hehSrde Teranlaast, swei neue königliche Präparanden- Anstalten, zu Schwetz and
sn Dent8ch-&one^ an den bereits Torhandenoi awei dnmrlditen. Dadurch ei^
scheint der Bedarf an Schnlamtspräparanden für die Seminare zurZeit gedAert.
Im Jahre 1891 haben die vier staatlichen Präparanden-Anstalten dnnsi Ihm zusam-
men 97 jnnge Leute zugeführt. Zu den Aufnahmeprüfungen bei den Semi-
naren fanden sich 232 privatim vorgebildete Präparanden ein und von diesen
worden 127 anfjsenommen. Es sind also im ganien 224 jange Lente im
Jahre 1891 nen in die Seminare getreten, welche sich auf sechs Hauptcnrse and
einen Nebencursus (zn Marienbnrg) vertheilen. Dass di ' Vorbildung derjenigen
Aspiranten, welche keine Präparanden - Anstalt besucht haben, gegenwärtig zu
wünschen übrig lässt, ersieht man daraas, dass von den 232 Präparanden nur
127 oder 55 Proeent «iftiahmiMiig waren nnd in Grandau von 25 nur 0,
in Berent von 17 nnr 6, in Kariebnrg von 27 nur 12 nnd in LSban von
30 nur 14 bestanden. — Bei den .Xufnahmeprüfungen an den 4 kSnigUchen
Präparanden-Anstalten trat im Jahre 1890 ein Mangel an genügend vor-
gebildeten Präparanden zutage. Im Jahre 1891 konnte der Bedarf gerade
gedeckt werden. Im ganzen stellten sich zur Aufnahme 159 junge Leute und
von diesen liatten 101 die erforderlichen Kenntnisse.
Die zweite Lehrerprüfung machten in Westpreußen 1891 im i^anzoi
194 Lehrer gegen 219 im Jahre zuvor. Von ihnen bestanden 144 und er-
langten das Recht zur definitiven Anstellung, außerdem wurden sieben Lehrern die
Lehrbefähigang für Uuterclassen von Mittel- und höheren Töchterschulen zu-
erkannt. 1890 Helen bei der sweiten Lehrerprilfling 26 Proeent der geprüften
Lehrer dnrch, 1891 dagegen 25 Frocent. Demnach Irnben sich die Ergeb-
nisse der zweiten Prüfung etwas gebessert, stehen aber noch immer znrttck
hinter denen der letzten Jahre ; denn es bestanden 1890= 73,97 Procent, 1889
= 75,74 Procent, 1888 = 82,63 Procent, 1887 = 77,77 Procent, 1886
=5 79,09 Frocent nnd 1885 = 80,9 Procent — Die Besnltate der zweiten
Prttftangm an den Icatholiscben Seminaren sind erheblich nngllnstiger als an
den evangelischen; denn bei den 3 evangelisrlim Seminaren bestanden von 98
Lehrern 81 oder 82,6 Procent und bei den 3 katholischen von 96 Lehrern
nur 63 oder 65,6 Procent. Der Unterschied beträgt also 17 Procent. Diese
Erscheinung tritt übrigens schon länger, seit 1885 zutage, wie folgende Über-
sicht neigt. Es bestanden:
A. An tlcu evangelischen .Seminaren: B. .\n den katholischen Seminaren:
1885 von 115 Lehrern 95 = 82,70 « von 105 Lehrern 83= 79,10 »»/o.
1886 „ 117 ^ 103 = 88,03 „; „ 103 „ 71 = 68,90 «
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1887
von
107
Lebrem 94
—
87,85 7o;
von
100 Lehiern
67 =
67,00 %
1888
R
110
n 96
87,27 „ ;
82,85 , ;
n
108 „
80=
1889
t)
105
n 87
II
97 „
66 =
67,83 ,
1890
n
137
n 110
80,29 „ ;
1)
82 ^
52 =
63,41 ,
1891
»
98
n 81
82,60 „ ;
1*
96 ,
63 =
65,60 .
Eanm waren die den Polen seitens des frfiheren Cnltusministers gemachten
Zugeständnisse bf'ziiglich Anwendung der polnischen Pjjrache im Unterricht
bekannt geworden, als auch von heißspornischen Litauern recht eifrig die Werbe-
trommel gerührt wurde zor Sammlung von Unterschriiten für eine Petition, die
ffir die Litauer nicht nur dM den Polen Zogestandene, aonden noch bedeutend
mehr Tcrlnngt. Dfe Petition ist snstande gekommen nnd hat gegen 20000
Untersdiriften gefunden. Sollte es nach den Wünschen der Petition gehen,
80 würde in Ostpreußen nicht nur das mit Mühe Wurzel fassende Dentsch-
thum aus den ganz litauischen, sondern auch das Deutsche aus den gemischt-
sprachigen Gegenden verschwinden. Freilich ist zwischen Wnnsoh nnd Er^
fUllnng eine weite Klnlt, nnd es ist wol Innm zn erwarten, dass irgend eine
prenBilche ünterrichtsverwaltung sich dazu hov^ben wird, das Litauische in
dem gewünschten Umfanp: in den Volksschulen zu gestatten und so die in allen
Kreisen erfreulicli fortschreitende Verdeutschung anfznheben. Die Litauer ver-
langen nicht nur den bereits geätatteten Eeligiousuutcrricht in der Mutter-
sprache, sondern anch Utanisohen Unterricht in sftnuntlidien Fächern, nnd rar
Bemäntelung ihrer kaum zu begrttndaiden Forderung swar auch deutschen
Unterricht, doch so, dass beispielsweise die deutschen Lesestücke in litauischer
Sprache erklärt werden, d. h. mit anderen Worten: Auch die in der Schule
befindlichen deutschen Kinder soUen litauisch lernen und litauisch werden.
Wer sind denn nun die Leute, die so die Wiedereinffihrung des Litauischen
erstreben? Eltern, die ihre Ehider cur Schule schicken? Nur zum Ideinen
Theil. In der Regel sind es solche Leute, die keine Kinder haben oder deren
Kinder bereits der Schule entwachsen sind. Die Litauer wissen sehr wol den
^Vert der deutsclien Bildung für ihre Kinder zn würdigen. Wolhalieudo Li-
tauer in großer Zahl schicken Sühne und Töchter auf höhere städtische Schulen
und dann die ersteren auf Universitäten, wo das Litauische Ton Amts wegen
nirgends gelehrt wird. Dass solche Leute ihre Uuttei-sprache nicht liebeUi
soll damit nicht gesagt werden. Im Gegentheil, gerade diese einflussrcichen
Litauer sind, wenn ihre Kinder erst der Schule entwachsen sind, die eifrigsten
Verfechter des Litauerthums. Und so begegnet man auch unter den Unter-
schriften der Petition nicht wenigen Namen , deren Trflger erst eifrige Ver-
fechte des Litauischen als Schulsprache geworden sind, nachdem Ihre Kinder
bereits der Schule entwachsen waren. Andere der Petenten würden, wenn
sie den wirklichen Zweck der l'etition in seiner ganzen Tragweite kennen
mSchten, sich wol hüicn, unter ein solches Schriftstück, das aufs neue von
der Großmauussucht der Litauer Zeugnis ablegt, iliren Namen zu setzen.
XI. Congress für erziehliche Knabt nhandarbeit zu Frank-
furt a. i[. Nach einer Bf pri üßungssitznng am Abt ud des 10. Juni fand am
11. Juni zunächst eine Versammlung der Werkstiittlehrer und -Leiter und eine
Sitzung des Gesammtausschusses statt, worauf Herr v. Schenkendorff-Görlitz,
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da der 1. Vorsitzende A. Laramers-Bremen erkrankt ist, die 6. Hanptver-
Bammlang des Dentschen Vereins für erzieliliclH' Knabenhandarbeit eröffnete.
Das Wort nimmt alsdsuin Herr Dr. Götze -Leipzig, der Direktor der Lehrer-
liildiiiigflaiMtaH dM Vereins, ni seinem Vortrag^e: „Soll die Ensbenhudarbeit
vornehmlich in den Dienst der Erziehung, oder des Sehnhmttrriehtes gestellt
werden?" Die Freunde der Handarbeit, so führt Dr. Götze ans, spalten sich
in zwei Richtungen. Die einen verlangen einen Unterricht, der einen selbsttsän-
digen, dorch die technischen Schwierigkeiten bestimmten methodischen Gang
sialiitt; der Emptvertnür dlsMr Igt Lslmr Oroppler-Bolin. Dte andetoi
wcillai einen Ünterrielkt, der Im engsten Zosammenheng mit den übrigen Fldiem,
besonders mit Banmlehre nnd Zeichnen ertheilt wird. Dieser Standpunkt wird
nenerdings mit besonderem Geschick von Schul inspector Sehe rer- Worms ver-
treten. Redner hat auf Grund seiner praktischen Erfahrung die Überzeugung
gewonnen, daas sich beide Anschannngen gegenseitig ergänzen und korrigiren
nnd danim sn ▼erblnden sind. Kein theotetiseh betnditet liat der SchnlliMid-
arbeitwmterricht vieles für sich, er entspricht vOllig den psychologischen Ge-
setzen und will thatsächlich das Wissen in Können fiberftthren, die Begriffe
verkörpern. Allein, solange der Schüler nicht die Elemente der Technik be-
herrscht, ist er undurchführbar. Deshalb mnss der Gang der Handarbeit durch
die Tecbnik nnd nidit dnreh den üntenrieiit bestimmt werden, die Gegenstlnde
aber mOgen dem Unterricht entnommen werden. Doch ist andi hierbei nicht
zu vei^essen, dass das Wertvolle nicht das Produkt der Arbeit, sondern die
daranf verwandte Thätigkeit ist. So wird die Durchführung des Schulhand-
arbeitsunterrichts erst durch den reinen Arbeitsunterricht ermöglicht und wir
entgehen der bd der S<dittlerwerkstatt naheliegenden Gefahr, in technisdie
Einseitigkeiten nnd handwerksm&Uges Thun zu verfkllen. — An den Vortrag
kntlpfte sich eine ziemlich lange Debatte, die an dem großen Fehler litt, dass
sie sieh in Sachen verlor, die mit dem Vortrag gar nichts zn thnn liab^n Ich
hebe daraus nur hervor, dass Groppler seine volle tlbereinstiinimm^^ mit dem
Bedner feststellte und Scherer ausführlichere Mittheilungen über seine Versuche
in den Wormser Sdralen machte, die anf den theoretlsehen Darlegnngen des
Prof. Humpa- Darmstadt bemhen nnd keine besonderen VITerkstätten erfordern.
Nach Scherers Überzeugung lassen sie schon jetzt auf gute Erfolge lioffen.
Scherer versteht auch nicht, dass der Verein sich mit der Forderung eines wahl-
freien UnterrichtB begnügt, da er dem Unterrichte eine so groAe Bedeutung
beilegt, und meint, der Sdiwerpnnkt der Bewegung mOsse sieh auf die Gestal-
tong des Lehrlingswesens riditen. Fdgendw Sats, Tom Stadtschnlrath
Pfundtner-Breslau beantrag^, wird mit einem Znsatz von Groppler ange-
nommen: „Die Knabenhandarbeit soll in erster Linie in den Dienst der allge-
meinen Erziehung, aber auch in den Dienst der Schule gestellt werden. Für
die gegenwärtige Entwickelnng der Sache ist die Thfttigkeit der Schülerwerk-
stitten neben der Sehnte nothwendig; jeder Versach aber, den Arbeitsontenrlcht
bereits jetzt mit der Schule zu verbinden, ist mit Freude zu begrüßen." —
Den zweiten Vortras^ hielt vStadtschulrath Dr. Rohmeder-München: „Wer
soll den erziehlichen Handarbeitsunterricht leiten, der Handwerksmeister oder
der Lehrer? Bedner fasste seine Ausführungen in folgenden Sätzen zusammen:
„Der Untenleht in der Enabeohandarbeit verfolgt vor allem erziehliche Zwecke,
obgleich die Ergebnisse desselben mittelbar dem praktischen Leben zugute
FMaacosiaa. u. Mtos» HUI ZI. 51
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kommen. System und Methode diewfl TTnten-ichts müssen deslialb nach päda-
gogischen Oceichtepiuikteii anegebildet werden. Dum wird die Handarbeit sa
eioem wertvollen, zeitgemäßen Erziehaogsmittel der Schale werden. Hierana
ergiVit si(']i, dass die unmittelbare lieituiig- deH Handarbeitsunterrichts dem
berufsmäßigen Erzieher, d, i. dtm Lehrer, zukommt. Die unterstützende und
berathende Mitwirkang der Vertreter des Gewerbes — je nach den besonderen
aitUdun Verhftltainen und BedHrfiiiiBBen — wird seitena der Schule dankbar
begrftBt" Dieee Sttae wurden en bloc angenommen. — Aas dem Eaasenbericht
des Schatzmeisters Dir. Nögg erat Ii -Hirschberg ergab sich die Nothwenidgkeit,
die ^litf^liederbeitrU^e etwas zu erhöhen, da ein kleiner Fehlbetrag entetanden
ist. Gegen 2 ühr wurde der \'erein8tag geschlossen.
Deröffentliche Congress, derdieweiterenKreisefdrdie Vereüubesü-ebungen
erwärmen eoll, wnrde am 12. Joni nm 11 Uhr dorch einen HSnnerehor eingdeitet
nnd dnrch v. Schenkendorff mit einem Berichte über die Fffirtschritte der
Bewe^un? in den beiden letzten Jaliren eröffnet. Nach einer wahrscheinlich
unvollkouinienen Statistik bestehen im deutschen Reiche 208 Srhülerwerkstätten;
davon entfallen aaf Preußen 143, auf Sachsen 53, auf Bayern 15, aut Sachsen-
Weimar 9, anf Württemberg, Bremen nnd Elsan-Lothringen je 6. . Im Namen
flirer Schidbehörden begrüßen den Congress: Geh. Reg. Rath Brandi-Berlin,
Oberschulrath Wallraff-Karlsrube, Geh. Oberschulrath Greim -Darmstadt
(„Wo die Fahne des Fortschritts entrollt wird, da werden wir Hessen nicht
zurückbleiben"), Reg. u. Schulrath Dr. Schlemmer -Straßburg. Vom Auslände
waren officiell vertreten die Erziehuugsdirektion Basel-Stadt, das Luxemburgische
nnd das Belgische Ministerium. Herr Schenkendorff legte dann in einem
mit großem Beifalle aufgenommenen Vortrat: „i'her die sociale Frage und die
Erziehung zur Arbeit in .Tus:end und Volk" die idin llcn Ziel»' der Handfertig-
keitsbewegung und ihre Berechtigung dar. Die Gediieiitnisrede auf Comenius
musste ausfallen, da der Redner R. Riss mann leider durch Krankheit zu
erseheinen verhindert war. Der Name des Redners hatte gerade aahlreiche
Lehrer herbeigeaogen. Schlnss gegen 1 Uhr.
Mit dem Congress war eine sehr umfangreiche Ausstellung von Schüler-
arbeiten verbunden. Sind auch die einzelnen Arbeiten von ungleichem Werte,
weil das Alter der Schüler zwischen 10 und 17 Jahren und ihre Betheiliguug
an der Arbeit swftKhen 1 und 5 Jahren schwankt, so sind es doch ohne Aus-
nahme durchaus anerkennenswerte Leistungen, einzelne Anstalten haben
geradecu hervoiragende Arbeiten autgestellt.
Aus Bayern. Das IX. Heft des „B.edagogium'* ist mir sehr verspätet, erst
vor einigen Tagen zugekommen, ich mosste dasselbe reclamiren. Dort findet
sich auf Seite 591 — 693 eine Correspondenn „Aus Bayern'*, die zu einer ein-
gehenden Erwiderung nnd Richtigstellung verschiedener Mittheilnnffen nnd Be-
flexionen geradezu herausfordert. Wollte ich die eingreifenden Fragen zusammen-
fassen und sie etwa unter dem gemeinsamen Thema „Schule, Lehrerstand und
Lehrerauf besser ung in der bayrischen Abgeordnetenkammer" so behandeln, dass
auch Niöhtbajem eine lilare Binslcht erschlossen werde, so wBrde hieraus ein
ftofldieher Anftots werden, wozu mir augenblicklich die nBthige Zeit nicht snr
YerfVgung steht, weshalb ich mich auf einige Bemerkinigren beschränke.
Die pttdagogische Jonmalistik Itat bislang das Trincip, ohne es förmlich
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verkündet und iliren Vertretern zur Pfliclit gemacht zu haben, sogenannte
Stimmungs- und Umschauberichte aus dem Gesichtspunkte allseitiger Würdigung
«Uer eiiitehlägigen VeriiiltiiiHe henuu entstdien m. lanm, hocligtlialtai und
«ich hierdarch you der oft tendenziösen Mache der politiiehSD Prase whr
vortheilhaft ausgezeichnet Wenn bayrisclie Lehrer den angezogenen Coir^
spondenzartikel im „Pa-dagogium * vururtheilslos lesen — und das thua sie — ,
80 wird jeder sagen, dass die Mittheilongea auf S. 592 Abs. 3 nicht mehr
aacUieh gegeben «Isd. Warm dem BaichtentaUer des «Pädagogium*' die
VerhUtaiaae dee Bayriadieii VoDnaehnUehrenrereina and die Veigaoge in der
bayrischen Abgeordnetenkammer bekannt, dann konnte er nicht so schreiben,
wie hier zu lesen ist; waren ihm die Dinge unbekannt, dann sollte er über-
haupt über die fragliclie Sache nicht schreiben, und die Leser des „Paedagogium"
wären nicht zu kurz gekommen, wenn er die Feder nicht eingetaucht hätte.
Nachdem letiterea aber gaadiehen and der Fadaraehiiabel bia anf den Onmd
.des Tintenfasses gestossen worden ist, so gebietet schon die Rücksichtnahme
auf den Bayrischen Lehrerverein, dessen Vorstand zu sein ich die Ehre habe,
dann aber auch diejenige auf meine Freunde in deutschen Landen, des Corre-
spondenten Artikel an jeuer Stelle, die sicli mit dem genannten Vereine, der
„Bayriaehen Xjehreneitiuiflr'' und meiiier Peraon befiust, zn berichtigeii.
Das „Pssdagogiam** iat nicht der Ort, wo über innere VerhSltniase des
Ba3rri8chen Volksschullehrervereins von mir, dem Vorstande dieses Vereins,
gesprochen werden könnte, Nnr so viel sei bemerkt, dass unser Verein, wie
wol alle Lelirerverciue, sich mit Politik nicht befasst; sein 2Siel ist: Förderung
des Volkschnlwesena und Kräftigung des Lehrerstandee. Unter dieser Fahne
konnten und haben sich nahezn alle Lehrer Bayerns zusammengesohart. Wie
wir keines unserer Mitglieder nach seiner Confession fragen, so auch nicht nadl
seinem politischen Cilaubensbekenntnissc. Die Folge ist die, dass in anserm
Vereine Männer der verschiedenen Confessiouen und der verschiedensten poli-
tischen Bichtungen anzutreffen sind. Es ist wol eine ausgemachte Sache, dass
■der Vorstand eines solchen Vereins in allen jenen Handlungen, wo er als
aolebar auftritt und betrachtet wird, auf dieee Verhältnisse Rücksicht zn
nehmen und sich hilnfig da Reserve aufzuerlegen hat, wo jedes andere Vereina>
.mitglied seiner Meimni^^ gemäss „frisch von der Leber" sprechen kann.
Den „Vorstand des Bayrischen Lehrervereins" konnte ich auch als Ab-
geordneter des bayrischen Landtags nicht zn Hanse lassen, sorgten doch die
poUtiaohen Gagnar dafür, dass mehr der erstere als letsterer in den nm*
fangrdchen Schuldebatten des jüngsten bayrischen Landtages aufgerufen wurde.
Mit mir werden, was ohne Übertreibung gesagt werden darf, viele tausende
von bayrischen Amtsbrüdern und viele politische Freunde und Feiude gefühlt
haben, wie schwierig meine Stellung in der bayrischen Abgeordnetenkammer
war. Davon und daaa die ülbtunontaaMi im bayriachen Landtage die If^Jo-
rität bilden, scheint der Conespondent des „Psedagogiam" kein VorsteUnn|r
und keine Kenntnis gehabt zu haben, als er Folgendes schiieb: „Der Abgeord-
nete Schubert aber hat nach meinem Glauben nicht die glänzendste Rolle
gespielt; er Iiielt ein paar schönstilisirte Reden und befolgte im Übrigen
die Taktik onierer Kammerliberalen: Das Centmm durch keine Prindpienfrage
na reisen — 'so trefflich, daiM er scUleaalich aelbat mit In die Venirliheilttng
der Lehreneitong, dea Vereinaorgaaa, einstimmte, indem er sich so oft. nnd
61»
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nicht stets erforderlicherweise zum Worte meldete.** Den letzen Theil dieses
Satzes verstehe ich nicht; im übrigen hndet die Erwartung Aoadmck, dass ich das
„Centnun* Uttto „zetaBn" MiUflB. FBr Hiehi der Mi dag «il«Bal einer p«r-
lameiitarlaeheii HStpmtdtait angthnrte, lag keine NdtUgnng vor, den politi-
schen Gegner zn «refnen". Als dieser aber aaf dem Plane erschien nnd das
Gefecht eröffnete, war ich anch da nnd vertheidigt« Schale, Lehrerstand nnd
den Bayerischen Schnllelirer verein. Nicht um zu „reizen", ergriflF ich „so oft"
das Wort, sondern Angriffe abzuweisen und AnfklAnmg zu verbreiten. Die
Art nnd Weite, wie das gesoiiali, war swar nieht nacb dem Geedmaoke den
Correspondenten des „Psedagogintn", wird aber von dem vomrtheilsloe Prü-
fenden als der Ansflnss der Erwägung unserer Vereins- nnd anderer Verhält-
nisse erkannt und gewürdigt. Die Behauptung, dass ich „schließlich mit in die
Verortheilong der Lebrerzeitnng, des Vereinsoigans, eingestimmt" habe, ist
eine starke Unverfrorenbett In efaien nieittbajriaol»en pädagogischen Blatte
Wflfde Idi nienals Vereinaangelegenheiten, am allerwenigsten tieflw liegende»
analysiren. Der Correspondent würde von seinem „Glanben" nicht bekehrt,
auch wenn der Kedakteur unseres Vereinsoigans hier Zeugnis ablegen würde.
Die mit der nächstjährigen Hauptversanmünng verbundene Delegirten Ver-
sammlung des bayrischen Lehrervereins ist der Ort, wo ttber alle Vereins-
angelegenheiten melir gesproeheo, als hier geadurieben werden kann. Dort
•m erscheinen zur Rede nnd Gegenrede, möchte ich heute schon den Gorre-
spondenten des „Psedagogium" einladen. Dann wird er möglicherweise auch
einsehen lernen, dass der ,,.\bgeordnete Schubert" weder ,,de- noch wehmüthig"
war, wenn er nicht alle Presserzengnisse in Sache der Lehreraufbessemng
In Sehvta nahm. Ein Vereinavorstand wird aber, wenn jeder, «neli der
albernste Zeitnagaartikel dem ganzen Vereine anfgemntzt werden will, berechtigt
sein, den Verein gegen solches Unterfangen frei zu halten. Würde der „Glaube"
des Correspondenten sicli mit der Ansicht des ganzen bayrischen Lehrer-
vereius decken, dann wäre dem Vorstände die nächste Aufgabe gezeigt; da
Jedoeh In genuintem Vereine die Aniidift die berrsidiende ist, daaa die Prin-
eipien deiaelben dnreh die AbgeordnetentfaBUgkait deaVontandee lieht Terletnt
worden sind, wird letzterer auf dem Wege beharren, den er fftr Schale vnd
Lehrer als gut befunden hat. Sollte der mehrfach angezogene Artikel zu dem
Zwecke veröffentlicht worden sein, micli dem deutschen Lehrerstande als finste-
ren Eeactionär anzuzeigen, so muss ich meine Zufriedenheit in meiner anver^
Inderten Überzengnng soeben nnd finden nnd mieh damit triteten, daaa ea m-
mOglich ist, ee allen Leuten recht zu machen. Für meinen Gegner Im „Faeda-
gogium" empfinde ich den aufrichtigen W'nnsch, dass er znr Zeit der Schul-
debatten nur einen Tag meine Stellung in der bayrischen Abgeordneten-
kammer eingenommen haben möchte.
SehUeSHdi mSgoi die Leaer des „Paedagogiom* mir traandlieb TenellMB,
daaa die Erwiderung langer geworden lit, als beabaiditigt war, nnd daaa ick
zn Tlel in der ersten Person gesprochen habe. Das klingt freilich nicht schön,
allein es g-ibt Fülle, wo beides, die Länge und das „Ich", nicht vermieden
werden kann; ein sulcher Fall liegt in dem IX. Heft des „Peedagoginm" vor.
Angsburg, 4. Juli 1892. J. B. Schubert
P. 8. Daaa .elBa Ansah! baTfiadiflr SOIdte beaehkaa, dem Lebrer in
darSehnlcommiaaifla nickt nnr eine betnthende, aondem anck «ine beaehUeSende
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Stimme ztumg^estehen", ist auf VeranlasBimg des baiyriflchaii Staatmioistarinms
des Innern für Kirclien- und Schulanpelegenheiten geschehen nnd kann als
Erfolg de« fiaaptoaäftdiasäes des bayrischen Lehrervoraiiia bezeichnet werdea.
Aafrnf. Anfang SeptealMr «. e. tagt in BarÜB die Vit Konfareas
fttr das liiotanwataB. — loh MMichtige, Ua dahin aioe Statirtüc «hör
die in DartMhland, der Schweiz nnd Österreich bestehenden Schnlen fSr
ach wachsinnige, schwachbeßlhigte Elinder (Hilfsschnlen, Hilfisklassen, Nach-
hilfsklassen) aufzostellen. Die werten Collegen, welche an solchen Schnlen
arbeiten, bitte ich, mir das Material fttr diese Statistik gütigst zokommen za
laaMB. — NaaenÜldi koamt aa aof Baantwortnof Mgwdar Fragw an: SMt
wann besteht die betr. Einrichtung nnd nnter welchem Naman? Wie viel
Klassen? Wie viel Lehrer? Oberleitung? Erhalten die betr. Lehrer persönliche
Zulage und in welcher Höhe? ünterrichtslocal (ob in eigenem Gebilude)?
UnterrichtsfSU^er und wöchentliche Standenzahl derselben? Anzahl der Schüler?
Aaah BlMibuiige, EpUeptische, VerwabrUato? Ist eine Anstalt in der NUia
der Stadt? Wohin kommen die ganz BISdainnigen, die epileptischen Kinder
der Stadt, des Bezirkes? In welchan Stftdten wird die Erriohtang einer Büb-
schale geplant? u. s. w. u. s. w.
Je ansföhrlicher die Mittheilnngen, welche ich mir bis zum 20. Angost
erbitte^ sind, bb io aweckentsprechender können sie varwertet werden. Die
Statistik wird yoo mir in dar „Zeitschrift für dieBehaadlnng Schwaehstnaigear
and Epileptischer" (Dresden) veröffentlicht werden.
Die pädagogische Presse wird im Interesse der Sache am Abdrnek diesea
Aofrufes höflichst gebeten.
Gera, Renß j. L., den 30./6. 1892. M. Weniger,
Afnea^. 46. Lehrer fttr adhwaehsliiBiga Kinder.
Fortschritte in Bosnien und der Herzegowina. Kaiser Franz
Josef hat an Herrn von Kailay zur zehnten Jahreswende seiner Betrauung mit
der obersten Leitung der bosnisch^herzegowinischen Angele^nheiten am 4. Juni
«inTeiesfaflni ahgesendet, in wdehaaft die AMriunniiog Ulr dsMSD isluyährigea
Wirken ansgaspraclien wird. Es dfirftcn — iai drninhliss ktataa — für die
Entwickelang von Bosnien nnd der Herzegowina in dieser Epoche folgende
aiffermäßige Angaben sprechen: Die Bevölkerung der occupirten Provinzen
liat sich seit dem Jahre 1S8Ö durchschnittlich um 1,09% im Jahre und im
ganzen am 102 OSö Personen vermehrt Diese Thätsache zeigt, wie wenig
iva den aeitweise anftaaehendan Mddaagen Über eine llasssDasswaadeniBir
ans Bosnien und der Herzegowina zu halten ist. Im Jahre 1882 bestanden
42 Schulen mit 3844 Schülern, im Jahre 1892 137 Schulen mit 11273
Schülern, zu we lchen noch 87 confessionelle Schulen mit 6100 Schülern und
4 Privatschaieu mit 187 Schülern hinzukommen. Überdies worden in diesem
Zeitraana erriehtet; ein Ohargynrnsalam ait 251 Sditlem, 9 Handelssohnlen
mit 436 Schülern nnd eine teohaische Mittelsebnle mit 56 Schfllem. Mit diesen
halbamtlichen Mittheilaosen vetglslehe man den OrigtaaUMriebt io^ „Pwdag.'*
(Mi&rzheft d. J.).
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Aus Bulgarien. In dem vidaagefochtenen Bnlcrarien macht lieh ein
erfrenlicher Aufschwung im Schulwesen bemerkbar, wie dies ans einer vor
kurzer Zeit veröffentlichten Statistik des Untcrriclitsministerinms ersichtlich ist.
Im letzten Scbo^ahre 1890/91 zählte Bulgai ieu im ganzen 4193 Scholen gegen
8844 in dem Jahn 1888/89. Untdr diesen Sehnlen aind 2747 Indgatiaehe,
1327 türfciaehe» 46 grieohiBohe, 89 iaraditiMdie, 11 armenische, 11 kaihoUadie,
11 protestantische und 1 rumänische. Diese Anstalten wurden besacht von
269 314 Schülern gegen 172183 im Jahre 1888/89; davon fallen 196 779
Schüler auf die bulgarischen, 61 510 auf die türkischen, 4681 auf die griechi-
schen, 2924 auf die jüdischen, 1378 auf die kAthollaehen, 628 die amenischenr
266 anf die proteetantiaehai nnd 86 anf die nnnftniaehe& Sehnlen.
Ans der Fnehprease.
562. Der Begriff des Gemüthes (zur Prcisbewerbung, Deutsche
Schnlpr. 1892, 15). „Keine andere Sprache der Welt hat ein Wort, mit dem
sie allea das aamdrücken vennag, was die deutsche Sprache unter Oemfith
versteht oder verstanden hat." — Das Wesentliche aus der Geschiqhte des
Wortes. „Wir verstehen jetzt unter Gemüth vorzugsweise die Gesammtheit
der einzelnen Seelenatimmungen." — Der BegrilT bei Phil(»ophen und Psycho-
logen. (Kant: Glelehietzung desOemflliiM mit der Seele; ähnlich Hegel, FiBhte.
Bei ScheUing nnd den Katnrphiloeephen: Gemflith = Quelle nnd Wnnel alle»
Geisteslebens, das eigentlich Menschliche im Menschen. In der Herbart'schen
Schule untergeordnete Rolle [Hauptrolle dem Vorstellen zugetheilt]: „die Seele
ist Gemüth, sofern sie fühlt und begehrt." Ed. v. Hartmann: Gemüth — der
unbewuBSte Grund des Gefühls, der ihm die Stetigkeit verbürgt.) — Nach dem
Pqrchiatriker L. Wille (Basel) aind die Bedin8;nng;en fflr die Entwiddnng de*
Gemfitbs: ein empfindungafthiger Organirau» — Art nnd Weise seiner Reao-
tionen und Reize (angeborene, wnl auch anererbte Elemente des Gemiiths) —
PIntstehung von Gefühlen und Vorstellungen — deren Haften innerhalb des
Bewusstseins und fortwährende Bewegung infolge äui^erer und innerer Reize
— Erregung zahlreicher nnd mannigfiiltigerNervencentren anf Grand der leh-
haften GeAhlsTorgftnge. Wesen: G. nnr eine weitne Itetwicklnngsfiinn p^-
chischer, von organischen Vorgängen abhängiger Elementarerscheinungen
(vSpencer) — G. die Art und Weise, in der unser Bewnsstsein in Bezog auf
Beinen Inhalt an Gefühlen und Vorstellungen auf Reize zurückwirkt. „Dieses
Gemfith ist es, das als Grundlage des individuellen Seelenlebens, wie der Volks»
Seele — sei's im engen Rahmen des hilnsUchen nnd FamilienlebenB, sei'b im
öffentlichen und staatlichen Leben — in Konat nnd Poesie wie in Religion
und Politik die edelsten Früchte treibt, aber aneh za den erschüttemdstMi
Ereignissen drängt."
563. Kranke Kinder (Ed. S., Schule und Haus*; 1892, V). Ein „zeit-
gemftßee**, nnd von der Echtheit des «Sehnlniannea^, der es ansspricht, sen-
gendes Wort: ,,Eb kann nicht oft nnd eindringlich genng gepredigt werden,
dass die körperliche Erziehung der Kinder die Sorge der Eltern in erster Reihe
in Anspruch nehmen moss, and dass die BüclLsicht auf das körperliche Wol
♦) Einzelheft 40 Pfg.
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— 730 —
der Kinder hüher steht als die KückBicht aaf deren geistige Entwicklung.
Denn was in Hinsicht auf die gedeihliche leibllehe Horanliildiiiig des Kindes
«nterlaiaeii wird, ist spftter «neiiiliriBgUch, rad ein kranker Hensdi ist ein
unglücklicher Mensch, er mag anWissen nnd Gelehrsamkeit alle in den Schatten
stellen. Etwaige Mängel in der geistigen Ansbüdong der Kinder aber lassen
sich später fast immer ausgleichen."
5Ü4. BeurtheiluDg und Behandlung symptomatischer Fehler
oder Unarten (0. A. Kretachmar, Cornelia*) 1892, II). ErUSrnng: Fehler
oder Unarten, die sehr verschiedene moralische Ursachen hahen kSnnen, daher
jeder einzelne Fall auf seine Ursache hin untersucht und nur mit besonderer
Vorsicht bestraft werden muss. — Erörtert werden Diebstahl. Unaufmerksam-
keit, Neignng zu Neckereien, Streitsucht, Unbändigkeit, Widersetzlichkeit.
Falaehe Bevrtbeilung nnd Behiuidliing hanptsäcfalieh deshalb, wen man beim
Kinde dieselbe «gleichsdUHfo noralisehe* Einsteht Tonnittetst, wie sie der
sittlich gebildete Erwachsene hat. — Gute Winke fSr das erzieherische Ein-
schreiten in Diebstahlsfilllen und bei Neck-, Streit-, Lärmlust.
565. Begründung der sechs psychologischen Stufen des Unter-
richts (AUg. deutsche Lehrerz. 1892, 4**). Die sechs (von den beliannten
Znier'sehen nieht nnwesenflieh abweiehcnden) Stnfen: L Betbitigvng der Sinne
a) ohne, b) mit Hilfe des Lehrers f. selbstständiges Sehen, HOren, 8|irechen,
Hantiren der Kinder" ; erst wenn sie nichts mehr vorzubringen wissen, „macht
der Lehrer nach einem gewissen Plane noch auf das aufmerksam, was den
ungeübten Sinnen entging"). IL Ordnen des Stoffes zur Vorstellung i,„der
Lelirer ttbemimmt die FUhmng nnd stellt eine Reihe Kernfragen naeh he-
stinunten Gesichtspunkten"). III. Sicherung des gewonnenen Stoffes dnrch
zusammenhängende Wiedergabe und Begründung desselben. IV. Verknüpfung
mit Ahnlichem f.,das Kind hat nun eine klare Vorstellung des neuen Gegen-
standes''). V. Ableitung des Begriffes, des Gesetzes oder Grundgedankens.
VL Yerwertnog des Gegenstandes im mensehUehen Leben,- nnd iwar in Bezug
anf Nntaen oder Schaden, anf Poesie, Sittlichkeit, Beligion. — Begrttndnnir
einfach und sicher.
566, Über Stil im Unterricht und Leben (K. Wehrmann, Zeitschr.
f. d. deutsch. Unt. 1892, I). Man soll fremden Stil nicht nachahmen. Immer
erwerbe man sich guten Ausdruck in der Muttersprache, am besten durch
«Übung im freien Oebraneh derselbeD, ohne Nachstreben naeh irgend einem
Vorbild bei innigster Vertiefung in den Stoff mit ernstestem Streben nach
Klarheit und Ordnung der Gedanken." Den Lehrern wird empfohlen: ,,öfters
Prosa auswendig lernen zu laR.«!en, oft freie Sprechübungen vorzunehmen, bild-
lichen Redensarten und Kede Wendungen nachzugehen." — Wesentliche sprach-
liehe FSrdemiig durch das Interesse fürs SifentUche Leben: es erregt den
Wnnsdiy sich mündlich nnd schriftlich gewandt anadrücken m künnen, nnd
damit ein allgemeineres nnd stärkeres Interesse an der Hnttersprache. So bei
*) Einzelheft 60 Pig. — Wir empfehlen tücr noch aus lieft 1 und U der
Oondia: Zwei Briefe an Uhland Ton winer Mutter — Eraestiae Voss — Ein Tage-
bnch ttber das Kind — Kindt-rfracrcn.
**) Einer Arbeit des iSeminariaäpectors Küuigbauer im Jahresbericht der bair.
LehreibildungsaBstalt an Laaingen (für 1890/1) mtnommea. Audi im Bep. d. Pid.
1809, Vit abgedroefct
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— 740 —
den Franzosen und naoientlich bei den Engländern, in deren politischen Ver-
sammlongen „ganz einfache Männer ohne Vorbereitung im ZoBammenhang Über
Tagdfragen mit der grMten Rabe und ßkMM^k ipnahflii, taSeiit gewandt
and klag fai Debattiren elad and jede SchwSche des Oegnen aofnt entdecken".
Anch in Dentschland werde „die Sicherheit nnd Fertigkeit des mündlichen and
schriftlichen Änsdrnckes mit d» m Rosteigeiten Intereüe am öffentlichen Leben
(das hier noch za jung ist) zuneltnien.''
567. Der Altmeister Diesterweg im Liebte der Beformbe-
strebangen aaf dem Gebiete dee Unteiriehte und der Grdehang ia dar
Gegenwart (F. Bartels, Rhein. Blätter 1892, I— III). Verf. sucht mittelst
Citaten nachzuweisen, dass der deutsche Kaiser Wilhelm II. als „Schul-
reformator'* („unser thatkrilfti^er Kaiser, der in Wahrheit ein Pädagoge
unter den Fürsten and ein Fürst unter den Pädagogen der Gegenwart
lat") nnd Adolf Diesterweg gans dasselbe wollen! Aas Dlesterwef
»webt derselbe Geist» der liente vom erhabenen Throne des Ealsus in die
stillen Bäume der Volksschule und der höheren Schale hineingetragen wird.''
Mit den Worten: „Ich bin entschlossen, neue Bahnen zu betreten" will Wil-
helm II. nichts anderes sagen, als dass er „die Bahnen wieder wandeln will,
die unser Altmeister Diesterweg der deutschen Schule als Prophet nnd Seher
gewiesen hat" Der Erlass des Kaisers tob 1. Ifai 1891 ist ^gaas im Siane
Diesterwegs" verfasst. Beide „Pädagogen'* raHm die Sdinle „zum Kampfe
gegen die socialistist hon Utoii" auf. Kurz: Diesterweg und Wilhelm II.
sind infolge innigster Seelenverwandtschaft Gesinnnngs- und
Bundesgenossen — und durum: „Heute am Ende des Jahrhunderts
ist die Zeit der Beactioa ▼orttber* — !
568. „Der rechte Lehrer (A. Dodel, Schweis, pid. Zeitschr. 1892, II:
„Die Volks.schule und die Pflanzenwelt") ist vor allem ein rechter Mensch;
er ist t ili wissender, ein ästhetisch betrachtender Weltbürger; er ist ein Freund
der Natur, ein hirkenneuder ihrer Gesetze und Erscheinungen; er weiß die
Baaptresaltate aller Diadplinen in einen natürlichen Zuaammenhang an setzen
nnd steht dem Wdtganaen nicht mehr wie ein Unwissend« oder wie ein Kind
als einem absoluten Geheimnis gegenüber. Aus dem Schatze seines Wissens
fließt die Erkenntnis in hundert Kinderseelen, und seine Art des Betrachtens
der äußeren Welt pflanzt sich in die Herzen seiner Schüler unvermerkt uud
uncontrolirbar, aber glücklich machend uud befähigend, im Genuss der W'abr-
heit nnd Schönheit an wachsen, nach wean der SohlUer die vier Wftnde der
Scbalstabe für inuner veilassen hat^
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Recensionen.
SftMmllUlg (löschen, Heft 16: Griechische Alterthamskunde von Dr.
Maisch. Heft 17: Anfsatzentwürfe von Dr. Straub. Stattgart,
. Göschen. Preis des Bündchens in elegantem Leinwandband 80 Pf.
Die beiden Bändchen verdienen es, dass wir die Aufmerksamkeit mnertr
Leser auf sie hinlenken. Nur wer den Stoff vollständig bchcrr'rht, vermncr so
zu schreiben, wie die beiden Autoren. Maisch behandelt seinen geschickt aus-
gewählten Moff so klar» dui «• ein Vergnügen ist ihn zu leiwi, selbst fttr
den, dem er nichts Neues zu sai^en hat. Als Einfiihruno; in die fTriechiscbe
Alterthumskunde mochte cswol der beste Leitladen sein, den wir derzeit haben,
ja es ist auch das ente Bächlein, das die neuesten Ausgrabungen in Tiryna
und die erst vor kurzem entdeckte Schrift des Aristoteles „ttber das Staats-
w^n der Athener", die eine von der bisher üblichen so verschiedene Auf«
fassung der Athenischen Verfassungspe^ihichte gibt, für den Unterricht ver-
wertet.— Scbttlertubliotlieken sei aaoh das andern Heftchen bestens empfohlen.
Bin 80 Mnflflilendler SdiriflitdleT wie Stnrab entwickelt in eigenartiger Weise
die ausgewählten Themen, die ?irh etwa für eine Sccunda oder Prima als
AafsatsUbungen eignen. Das sind nicht Themen, deren Titel schon sasl, wie
sie in beaibeiten aind, toidflni Fingen, die snm Kaehdeakti, mm Ufthdl
innigen. — r.
Dr. Gurl Spitz, Lehrbach der Stereometrie mit 350 Übungsaufgaben für
höhere Lehranstalten und zum Selbststudium. 201 S. 114 Fig^. im Text.
6. verb. Auflage. Hierzu ein Anhang der Resultate der Aufgaben and An-
deutungen zu deren Lösung. Leipzig, Winter. 3 M. 80 Pf.
Die erste Auflage dieses Buches Ist schon vor mehr als 30 Jahien erschienen,
und srither war der Verfasser fortwährend bemüht durch Verbesserungen desselben
dem Fortschritte der Wissenschaft Eechnung zu trafen. Es wurde das Prism&toid
Ton Wittitein und die Definition der Ähnlichkeit nadi Oergonni nea inf-
genommen ; dann wurden gewssc ParaQfraphe, welche ohne den Zusammenhang
des (tanzen zu stüren auch wegbleiben können, mit Kennzeichen veisehen, end-
lich die Aufgaben in der Richtung verbessert, dus DraekMüiv Tenmieden und
die Ergebnisse möglichst abgerundet wurden.
Der grössere Theil des Buches wird eingenommen von den Erörterungen
über die Lage gerader Linien und Ebenen im Räume, von den Lehrsätzen über
• die körpexücfae Bcke und von der Beschreibung der geometrischen Köiperi der
Ueinere Theil, etwa swd Fünftel desselben, entmilt sodann «nf die Berech-
nungen von Oberflächen und Rauminhalt. Wol mit Rücksicht auf die
Bestimmung des Baches fttr das Seibetstudium ist besonders der erste Theil etwas
weitlinfig gehalten. LefffsitBe wie: „Zwei Kdle Teriudten sieh wie ihn
Neigungswinkel"; oder jene von der Gn'iße der Sehnenkreise der Potenzliaien
der Kugeln mit ihren sehr ausftlhrlichen Beweisen erscheinen beinahe als nn-
nltthig. Dagegen hilMtt wir den Sati Aber die Batfemang und den Winkel
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sich kxeuzendex Geradeo im Lebitexte vorgeblicli gesucht, und eist unter den
Aufgaben eine etwas sehwerlUligeLOsiuig gefiinden; wünead doch diese Dinge,
welche zu den Grundvorstellungen über räumliche Gebilde gehören, in neueren
Lehrbüchern sonst eine «ehr einfache und fassliche Lösung erfahren. Auch der
Lehrsatz des Cavalieri Teidiente eine allgemdnere Fassang und Anwendung.
Dan die Übun£rsaiifp:al>rn in hinreichender Menge vorhanden sind, ergibt sich
schon aus deren oben angeführter Anzahl; es ist aber außerdem noch zu sagen,
dass ifie mit Sorgfalt aufgestellt nnd geordnet lind. Besonders hat uns gefallen
die Übertracrung der BerUhrung^problcmp auf räumlirhe Gebilde and die Be-
rechnung des lubaltes von Tetraedern aus deren Kanten.
Um das Buch völlig zu kennaeiehnen, fügen wir hinzu^ dass es allen An-
forderungen fpfsjuicht , welche man an einen Lehrbchelt zum Zwecke des
Öclbstätudiums stellen kanu, da&s es uns dagegen scheint, es werde beim Schul-
gebrauche der Lehrer häufig in die Lage kommen, auf verschiedene umfang-
reiche und nebensächliche Taragraphe zu yerzichten. Da dies Lehrmittel aber
zu den vcrbrcitctsten an den höheren Schulen Deutschlands gehört, so scheint
es, dass die Lehrer weniger Wort darauf legen, ihren Schillern ein kurzes,
fibersichtlicb zusammenfassendes Buch, gleichsam eine Gedächtnisbrtkcke in die
Hand zu geben, als Tielmebr ein Lelmnittel, ans welchem die Sohfller den
t nililangencn Unterricht in voller Weitläufigkeit zu wiederholen vernMiren,
und Ton diesem Gesichtspunkte aus verdient das vorliegende allerdings beste
Empfehlung. H. B.
Allton Brenner, Prftparandenlehrer, 300 algebraische Aufgaben zur
LOeoDg mittelat einfacher Schlfisee. 4. Aull. 48 8. Frelslsg, Datterer.
60 Pf.
Oberlehrer T. Müller in München bestätigte dem Verfasser schon im Vor-
worte der ersten Auflage, dass er eine dankenswerte Arbeit geschaffen habe.
El gibt nun liente wol keinen Mangel an verschiedenartigen Aufgabensamm-
lungen, aber es ist auch kein Zweifel, dass ein Seminarlehrer zunä<lipt in der
Lage ist, den Bedürfnissen angehender Lehrer entsprechend die SanimiuDg zu-
sammenzustellen. Wir zweifeln auch nicht, dass der Verfasser dieses Bedttifiiifl
richtig beurtheilt hat, da seine Arbeit schon die dritte Auflage erlebte; nur
gegen die Bemerkung im Titel, .,zur Lösung mittelst einfacher Schlüsse",
müssen wir uns insofern wenden, als es scheinen könnte, diese Aufgaben
wären durchgehends mittelst Kopfirecbnen zu lOsen. Im Gegentheile müssen
wir sie fthr die Stufe von Seminaristen als verwickelte Textgleichungcn be-
zeichnen; die Schlüsse allein in ihrer .\ufeinandcrfolge im Kopfe zu behalten,
würde schon Bechenkllnstler eriordem, umsomehr erst deren Durchführung mit
drei- bii ftnlkifferigen 2SaUen. Im Hbrigen aber eehdnt uns das Heftehen för
Seminare, Bürgerschulen, Gewcrbesiin)Ien uml verwandte Lehranstalten sehr
brauchbar zu sein und auch wegen seines geringen Preises Beachtuiig zu ver-
dloien« H. B.
SnU HmfliUUü, BtrgencbnlMlirar, BeitrUge zur BavmgrOflenrechnang
für die VolknclMile. 77 Fig. Im Teart. 48 S. Btldienberg, Zuinaaeb.
70 Pf.
Der Verfasser hat sich mit dieser Aufgabensammlung dem in den öster-
reichischen Bürgerschulen gebräuchlichen Lehrbuche von Moöuik angeschlossen;
zunächst hat er für sich und seine nächsten Collegen die übungsbeispicle
Mo&iuks ausgerechnet, sodann aber weitere Aufgaben gesammelt und beigefügt
und ist schliefilicb der Aufforderung der Collegen gefolgt, seine Arbeit durch
den Druck zu veröffeut liehen, um sie — natürlich nur ..für die Hand des
Lehrers*" — allen Standesgenossen zugänglich zu machen. Die Aufgaben,
welche sich lowol auf Flfteben-, als andi auf Baumberechnung beziehen, sind
in der That zum großen Theilc den Verkchrsl>e/.irhungen entnommen, und
daher wolgeeignet, auf den Unterricht belebend und anregend einzuwirken;
«brigens kann es jüngeren Lehrern gewiia nor erwttnieht iän, eine BeOie vmi
Multen IBr knne und bflndige LOenngen in erhalten. H. B.
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— 743 —
Franz Villicus, Professor in Wien, Lehr- und Übungsbuch der Arithmetik
für Unterrealschulen. III. Theil mit 623 Aufgaben Ar die lU. Claase*
6. Anfl. 143 S. Wien, Pichler. 1 M. 30 Pf.
In der dritten Olasse der Realschulen sind die Schiller in das Reebnen mit
allgemeinen Zahlen einzuführen; dementsprechend enthält das Bu<h die vier
Orundzechnangsarten mit aUgemeinen Zahlen. Der Schüler begegnet beim
Eintritte in m aUgemefne Zuilenlelun nicht Mm den Bndietaben, als Zahlen
nrdcher leieht nr den Sehlller inr Klippe werden kann, wenn der Lehrer nfeht
der Leitung vollkommen gewachsen ist. Das vorliegende Lehrbuch verdient
aber die größte Beachtung, weil es die Schwierigkeiten der Einführung in die
allgemeine Zahlenldure Ton den uns bekannten Lehnnittehi am besten llbei^
winden hilft. Wir waren und sind noch in der Lage, nach verschiedenen
Lehrbttcbcrn unterrichten zu müssen, haben jedoch bei keinem anderen Lehr-
bnehe gefunden, dass der Lehrer so leicht mit dem Buche im Einklänge bleiben
kßnnc und diibt i so gut von dem Schüler ver>*tan<len werde, wie bei diesem.
Denn der Vorfas&er versteht einerseits die wisi>ent»chaftlichen Grundsätze fest-
zuhalten, während er es andcrseiti nieht verabsäumt, durch Vorführung ntdie-
liegender Bei?«iiielo die Beprriffe zu popularisiren und dem Verständniss*« des
Schülers nahe zu bringen. Es sind schon Bücher durch unsere Häudc ge-
gangen, wo die Erklärung d( r Cirundbcgriffe geradezu wie ein Selbstverständ-
lich^ übergangen wurde, während ihre Anwendung sofort vom Anbeginn eine
vielseitige war. Dagegen finden wir im vorliegenden 18 Seiten der Erklärung
und Einübung der neuen mit der Buchstabenrechnung verbundenen Formen
gewidmet; dann erst folgen die vier Grundrechnungsarten in allgemeinen
Zahlen, das Quadriren und Cubiren und Ausziehen der Quadrat» und Cubik-
wnnel. Den »Scbluss marben die Anwcisune: zum Gtbraueh der Tabellen zur
Sänaeanns-Berecbnung, Beispiele darüber und Übungsaufgaben aus dem Gebiete
der bttrgeilichen Reennnngsarten.
Es kann wol nicht erwartet werden, dass rin derartiges Schulbuch über
die Grenzen iencs Gebietes, für welches es geschrieben wurde, hinaus große
Verbrritung finde; aber wir ftthlen uns gedrungen, aUen geehrten Pnehgenossen,
welche sich selbst an die Verfassung von Lehrbtichem wagen, dieses in Bezug
aui die Einführung in die allgemeine Arithmetik gewiss musterhafte Buch,
borteas nur Beachtung m empfehlen. H. S.
Hemann Mflller, Leitfiiden der etementaren V Atkematik mit Sanmiiing'
von Aufgaben. 6 Aufl. Bearbeitet von Dr. Max Zwerg er, Studienlehrer,
1. Abth. Arithmetik. 171 S. 2 M. 40 Pf. 2. und 3. Abth. Geometrie
und Trigonometrie. 171 Fig. im Text. 215 S. 3 M. Mönchen, Lindaner.
Diefler Leitfaden gehört sn den beliehten Lehrbflchem Bayerns, und e»
ist durchaus nicht zu verkennen, dass sownl der er^tc Verfasser als auch der
nätere Bearbeiter fortgesetzt bemüht waren, das Werk nach moderner Auf-
rasenng zu Terbeesem. Der erste Theil nmÜMSt anAer den sieben Reehnnnge»
arten noch die Lehre von den Gleichungen bis zu jenen zweiton (Jrades mit
mehreren Unbekannten, sodann Progressionen, Zinscszins-Rechnung, (Jombinations-
lebre, den binomischen Lehrsatz und die Wahrscheinlichkeitsrechnung, nebst
mehr als 900 zweckmäßig ausgewählten, den einzelueu Abschnitten zugcordnc- ,
ten Au&aben — sammt deren Lösungen. Obwol daü Vorgctrugcne richtig
und fasuich geg^en wird, so können wir doeh mit verschiedenem bei den
RechnungrJartcn vorkommenden nicht ganz einverstanden sein. \'on Paragraph
sieben bis fünfzehn, d. i. auf fünf Seiten hudcn sich eine Menge da.s Gedächt-
nis UbeiiaBtender und an sieh nutsloser Lehrsätze, welche alle durch zwei sn
ersetaen wären. Eine Summe sowol als eine Differenz ist an sich wieder eine'
Zahl; es ist daher ganz unniUhig, Lehrsätze über das Rechnen mit Summen und
Differenzen auficustell< n. insofern dies bei den Rechnungsarten ersten Range»
leicht vermieden werden kann ; es genügt vollständig ein Lehrsatz für die Aus-
führung einer Addition mit allgemeinen Zahlen, und ebenso ein Ldusats für
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— 744 —
<lie Subtraction; alle mß^lichen Variationen, welche hierbei vorkommen
können, kann der »Schüler unter Anwendung; dieses einen Lehrsatzes zu be-
handeln leidit angeleitet werden. — Filr die Multiplication empfiehlt sich
au0er der im Paragraph achtzehn vorfindlichen Tafel positiver Einheiten aoch
noch eine solche negativer Einheiten; endlich auch zum Satze über die Multi-
plication eines angezeigten Productes eine solche Tafel mit einer aUvemeinen
Zahl an Stelle der Einheit. Gans Teraltel und Terunglftckt ist die Begriliidttiig
der Zeichenregel mit Hilfe der Null, welche nichts zu beweisen wmtg, da
sie ja die Vemeiniin? drr Zahl ist. — Auch die Sätze Ober Verbindung von
SuoUenten und Producteu wären der Vereinfachung fähig nnd bedürftig; end-
bIi man nuni dl« Dsntellniig 4m WmieiMMAdMiii unbeholfHi mmmu, da
•doch der Piviflor iiloht iwisdwB die atandelnndeii Pötten UiMiBgeiohobeii
'worden kann.
Dagegen dürfen wir mit vatumm Lohe nicht surSekhalten, iosoftni in to
.^toffvcrticfung hinroichnnd wdt ceglOgen wird, wie sich dies zum Beispiel
aus der eing^enden Behandlong dei Factorenserlegens ergibt, welches andere
IiOiiiMdier wenigstenv ia Besag anf PolyBome nit Stillschweigen ttbereehen.
— Sehr gefallen h:it es uns auch, dass das Rechnen mit BrU<'tn.'Ti irolehrt wird
bdnahe ohne den Namen „Bruch", der eben als angezeigter (Quotient benannt
und behandelt wird. Ebenso einfach als anschaulich ist ferner die Binfllhiuiig
in das Rechnen mit Wurzeln, nnd nicht minder verdient es Anerkennnng, dass
•die Au%aben in hinreichender Menge und mit entsprechender Schwierigkeit
be^poordBet sind.
Der zweite Theil enthalt Planimetrie, Stereometrie, ebene und sphärische
Trigonometrie. Am Schlüsse jedes Capitels fol^ eine große Zahl von Con-
structiouoid^bcn in systeiittäieher Beibenf«ls:e. Ks wurde den neueren Aa-
sebauungen insofern Bechnung getragen, als durch Stelluus: von Constructions-
aufgaben und Anleitung zu deren Lösung nicht bloa das Erlernen vuu Lehr-
sätzen, sondern auch deren Anwendung als Beweis des Könnens von Seite des
Schillers als Noth wendigkeit hingestellt wird. Es hätte aber nicht geschadet,
wenn diesen neueren Anschauungen noch mehr Rechnung getragen worden
wäre; ganz besonders eine frühzeitige Einführung- des Begriffes der Symmetrie-
achse erleichtert etheblioh das Erfassen der Lehis&Ue Über die wesentlichen
E^nsehaften tob Dreiecken. Im Dbrigen ist ja nfc^t so Tericennen, dass
dieses Buch ein sehr reichhaltiges Lehrmittel ist, in welchem man viele recht
interessante und dem Buche eigenartige Lehrsätze findet, so die Darlegung
Uber das TbeilTerfaältais der Schweiliniett, Aber die Lage der meikwflrmgen
Punkte in einer Geraden und nhvr den Neun-Punkte-Kreis. Manches allerdings
scheint uns in einer schwierigeren Fassung gegeben, als es nothwendig und
wünschenswert ist, s. B. die Theilnng naeh dem „goldenen Schnitt*. — Eigen-
artig, aber wenig berechtigt ist die Benennung der Winkel an T'arallelen: was
ivir Gegenwinkel, nennt der Verfasser Correspondirende, und seine Gegenwinkel
nennen wir Anwinkel; am meisten zu bedauern ist aber die mangelhafte Ans-
führung der Figuren. In der 27. Figur sollten fünf gleiche Strecken vor-
kommen, leider ist aber keine mit der anderen gleich laug; ebenso wird an
4er Figur 29 ein einigermaßen geübtes Auge sofort erkennen, das die Drei-
ecke welche congrucnt sein sollen, es nicht sind. Dieser Übelstand setzt sich
auch lu der Stereometrie fort Die descriptive Geometrie lehrt, dass seitlich
angeseht ue Kreise als Ellipsen erscheinen; anstatt dessen zeigen die Figuren
des Buchen durchaus ZweieckOt ▼on doion noch die 169. Vigai an einer be-
sonderen Missgestalt leidet.
In der Trigonometrie geht sachgemäB die Oonionietrie der Dreiecks-
auflösung voraus, auch hier fanden wir manches eigenartige und interessante.
Das rechtwinklige sphärische Dreieck wird als ein besonderer Fall des schief-
winkligen behandelt: dadurch w^erden allerdings die Ableitungen weitläufiger
und wenig ttbexsichtüch. Unrichtig ist es, die Formeln von Oauß und Moll-
weidena Terwechseln; letztere beziehen sich ausschließlich auf das ebene Dreieck.
Im ganzen iiius8 man sagen, das« das vorliegende Buch naeh seiner Reich-
haltigkeit und Stoffvertiefung gewiss ein höchst brauchbares Lehrbuch bildet,
«doheo wolgeeignet ist, dem SeUUsr «ine grUndlielio BOdung zu ttemittdn;
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da« es Jedoch wttisdMuimt irtre, bei Men-AiUhigen VexbeaeeruDgeii eiuta'
bringen. U. E.
Constatin Rossmanithf weil. Prof. in Bielitz. Die Elemente der Geometrie
in Verbindung mit dem geometrischen Zeichnen. 2. vermehrte und ver-
benorte Anllafe. Bearbeitet Ton Karl Sehober: Prof. in Imiabnick»
204 157 Flg. im Text. PicUler in Wien. 2 M. 20 Pf.
Das vorliegcude Lehrmittel ist für die 2., 3. u. 4. Hasse der österreichi-
schen Realschulen bestimmt und für diesen Zweck vom Unterrichtbmiuisterium
fenehmigt. Den Instructionen dieser Behörde gemäß wird auf die „innige-
erbindunt: der Geometrie und des econietrischcn Zeichnens" der größte Wert
gelegt und zur Ausbildung der Auäciiuuung bei Herleitung der geometrischen
Wahrheiten Uber Bewegung, Drehung, Yerachieben und Umklappen vieMli^
Gebrauch gemacht. Nicht minder wurden nach Möglichkeit die Lehren von
der ccntrischen und achsialcn Symmetrie in Anwendung gebracht. — Die Ver-
besserungen, welche der Bearbeiter der zweiten Auflage an dem Werke des
urgprUnglichea VerfaBseis angebracht hat, beziehen sich hanptsädilich ant ein»
gröfiere Genauigkeit des Aosdruckes vnd anf Termehrte Kfnbelt der Defina*
UOBCn. Die Vermehrung der Auflage besteht in Veriiielirung des übungsmateriales.
In der Planimetrie werden nach den einleitenden Erklärungen die Con-
gmemdehre, Flidtenverwandliingnnd Ansmessung, ÄhnHchkeitslehre, Anwendttnir
der Algebra auf die Geometrie und die Kegelschnittslinien abgehandelt. Die
Stereometrie erörtert zuerst die möglichen Lagen von Ebenen und Oeraden im
Baume; dann Iblfft ein Mdnreres Iber orthogonale Pnrfeetion der einfbchen
Grundgebilde; en^ich die Besehreibung, DarsteÜunß: und Messung der einfachsten
geometrischen Körper. Sowol nach dem Titel als nach der Vorrede ist zu er-
warten, dass anf die AnsfUirong der Figuren groSer Wert gelegt werde.
Und in der That muss man sagen, dass dieselben mit Sorgfalt entworfen und
ausgearbeitet sind, so dass sie wol den Sehiilern als Muster zu dienen ver-
mögen. Ganz besonders schön erdacht sind die Figuren, welche die ccntrische
und achsiale Symmetrie zur Darstellung bringen; nicht minder zweckmäßig ist
Ton Schraäiruug zur Darlegung der Fläcbcugieichheic und bei Schnittflächen
itvmlieher Gebilde Gebrauch gemacht. — Die Sfttze Uber Sehnen und Tan-
gentenvierecke sind zur Hervorhebung der Gegenseitigkeit zweispaltig angeord-
net. — Selbst solche Figuren, welche, wie bei den Kegelschnittslinien, der
Natur der Sache nach überladen sein müssen, erscheinen der sehr sorgfaltigen
Ausführung zufolge noch immer verständlich. Kurz, es wurde von Seite des
Verfassers sowol als des Verlegers alles aufgeboten, um diesem Lchrbehelfe
eine möglichst schime Atisstattung zu geben. Wenn wir also nach dieser Rich-
tung hin nur das Beste zu sagen haben, so scheinen uns doch noch einige Be-
merkungen nöthig in Beiog anf ^e StoffVettiefung. An den Bsterreidm^ien
Realschulen wird der Unterricht in der Geometrie zweistufig ertheilt; auf der
Unterstufe ist er in nahe Verbindung mit dem Zeichenunterrichte gesetzt und
•oll in der BeweisAhrnng mehr anscEanlich als abetract Terfkhren, erst in der
Oberstufe witd. ein streng wissen.sehaftl icher Unterricht der Geometrie ertheilt.
DemgemAss Utet sich das Vorliegende allerdings nicht mit Lehrbüchern ver-
l^eicuen, wie Jene von Wiegand, Wittstein, Henrici und Treutlein,
doch haben wir schon manche Lehrbücher ftir höhere Schulen Deutschkinds in
Schönheit der Fignren dem TozUegenden nachstehen, ao dass wir es als ein gau
Qtvrg Paysen Petersen, Reinhart Rothfnchs, Die deutsche Thiersage fSr
jung nnd alt erzählt. Mit 6 Vollbildern von An^t Dreasel. Leipzig 1892»
Spamer. 289 S. 3 M., geb. 4 IL
In 62 CSapiteln ensfthlt dies Bneh die bekannte uralte Thiersage und «war
in der ungebundenen Sprache des taglichen Leben.s; nur die Inhaltmingaben der
einzelnen Abschnitte, hie und da auch lehrhafte äeuteuzcn, sind in Verse ge-
kleidet, was den Vortrag hebt nnd belebt. Das Oanae hat eineneita «ue
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Erweiterung erfahren, indem verschiedene Züt;*' der deutschen Thierdichtung,
welche seit langer Zeit in Vergessenheit gerathen waren, geschickt in den
B«ineke verflochten worden sind, anderseits eine Kürzung, indem alles, was
gegen Anstand und gute Sitte verstösst, entfernt worden ist. Der Verfasser
sah sich hierzu yeranlasst, weil er die alte Dichtung in tadelloser Reinheit
Als Volks- und Jugcndscbrit't neu beleben wollte.
Diese Absicht hat ihn auch zu einer noch bedeutenderen Abänderung ge-
ftthrt. Da nimlieh in aUen Wsherifpen Bearbdtniigen Rehieke, dieser Ansbrnid
Titii Hinterlist und Bosheit, obwol er sii h mit allen nur denkbaren Schandthaten
bedeckt und bis ans Ende ohne jede Besserung in seiner Niedertracht verhant,
dennoch allen selbatTenehnldeten BedrSnffnfMen gllleklich entlnmiint und fchliet«
lieh auch aus dem Kampfe mit dem Wolf triumphirend hcrvorgoht: so cri-cheint
die ganze Dichtung zweifellos als eine Verherrlicbnug der Schlauheit im Bunde
mit monJiflcher VerwoinfeBlMit Und es ist daher der Ärgste Widenpnidi und
Faustscbliig cccren die Wahrheit, den eine Dichtung leisten kann, wenn es
z. B. bei Goethe am Ende seiner Bearbeitung heißt: „Hochgeehrt ist Reineke
Bvn. Zur WeliÄeit bekehre bald sich jeder und meide das Böse, verehre die
Tugend! Dieses ist der Sinn des Gesangs." Nein, das ist er nicht; vielmehr
ist sein Sinn der: Sei möglichst schlau, verachte rücksichtslos alle Tugend und
ergib dich gans und gar dem Bösen, denn dies allein bringt Glttck und Ehre.
— Um nun diesem triumphirenden Umsturz der ganzen sittlichen Staat«- und
Weltorduung einen Riegel vorzuschieben, hat Herr Petersen den Nimbus des
Beineke ein wenig abgedunkelt. Im Kampfe mit dem Wolfe bleibt er keines«
wcgs Sieger, wird er vielmehr übel zugerichtet und vom Tode nur durch einen
uufregendcu Zwisebenlall gerettet. Schließlich muss Keiiieke selbst durch Hei-
lung des kranken K'üiii:.'^ die Wiederherstellung von Ge.ietz und Ordnung an-
bahnen, damit die wüde Anarchie mit ihrem Rauben und Morden, dem eigent-
lichen Metier des Faches, ein Ende nehme. Freilich war dies alles keine
freiwillige und innere Besserung des Frevlers, .sondern ein Werk der Not zur
eigenen Bettung. Aber eben damit wird gezeigt, das« mit der Moral de«
Fuchses kein Reieh bestehen und gedeihen kann, und selbst der Einselne nicht
für immer geborgen ist. Und nun gelangt nniu zu dem vers ländlichen und
versöhnlichen Schluss: „Seine Bosheit schuf ihm nur Leid^ aber sein Verstand
half ihm aus aller Not. HSget auch ihr die Klagbeit des Fnehses bewundern
und ihr naiheifern. doch seine Tiieke und Arglist hassen, möget ihr mch frei-
willig und freudig des Guten befleißen, das Beinhart nur gezwungen und
wUeratrebend that. Hahnen will euch dies Buch, dass ihr euch sar Wds-
heit bekehrt, das Laster meidet uml die Tiitrend llht."
Sprache und 6ül des Buches zeichnen sich aus durch Reinheit, Correctheit
und WoUaut, was wir um so lieber hervorheben, als in der modernen Literatur
diese Merkmale immer seltener, bin<rt!rin Liederlichkeit und Unarten immer häufiger
werden. IMe dem Buche beigegebenen Bilder sind von feiustem Geschmack
und machen einen herzerfreuenden Eindruck; audi die sonstige Ausstattung
in Papier, Dmok und Einband verdient alles Lob. B.
Dr. W. Neurath, Prof. an der k. k. Hochschule für Bodencultnr in Wien,
Elemente der Volkswirtschaftslehre. Zweite Auflage (großenteils neu
bearbeitet und vermehrt). Wien bei Manz nud Leipzig bei Jol. Klinkhardt,
1Ö92. 487 Seiten. 2 M. 50 Pf.
Heutzutage sind die Grundhegriffe der Volkswirtschaftslehre für jeden Ge-
' bildeten, besonders auch für den Pädagogen ein Bedürfnis, und mit Ke<;lit sagt
Prof. Neurath: „Immer weitere Kreise des Volkes treten heran oder werden
herangezogen zur Besprechung, Beratung und Beurtheilung volkswirtschaft-
licher Fragen; eine rein negirende Kritik der bestehenden (irundlageu unseres
socialen Aufbaues dringt in alle Schichten der Bevölkerung und selbst in die
EApfe und Henen der Jitgend ein. Alles Mit sidi ttr bef&hlgt und berech-
tigt, über den Aufl)au nnscres Social- und Wirtschaftsleben-! alizinirtlieilen.
Unter solchen VerhiUtnissen muss, wenn wir vor den schümmsteu Gefahren
bewahrt weiden sollen, Volk und Jugend mit den hSoiistMi Wahrhtit» der
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— 747 —
Volkswirtschaft und der sorialen Ethik hekaunt creiiiacht und mit social-ethi-
Bchem Idealismus beseelt weideu." — Diese Unidtäudc vcr!iiihis«iten uns schon
beim erstmaligen Bnehetnen des hier angezeidrten Buchen, dciäsclbc der Auf-
merksanikeit unserer Leser zu empfehlen und seine Vorzüge hervorzuheben.
Iq dieser neuen, sorgfältig überarbeiteten und bedeutend vermehrten Auflage
verdient es in noch weit höhcrem Maße die Beachtung aller derer, welche sich
mit den Hauptpunkten der Nationalökonomie vertraut machen wollen, besonders
auch derer, welche diese Wissenschaft nicht gerade als Specialfach betreiben,
sondern in ihr nur eine ( iriciitieruni; über die bcuti^r- s x iiile Lage suchen.
Denn bei aller Wisaenachattüchkei t des Inhaltes und der Anlage zeichnet sich
dtt Nennitbsehe Weilt dmeb tnfebanliche, leichtfanliche, bflndige vnd Uaie
Darstellung derart aus, dass es auch für doii Selbstunterricht höchst geeignet
ist. Ohne weitläufiges Baisonniren führt Verfasser den Leser stets direct und
etnlenehtend in die Sache selbst, in das wiiklidie Leben ein, und wer ihm
achtsam folgt, wird sich an seinen lehrreichen Ausführungen ein selbstständigea
Urtheil über die Fragen des wirtschaftUchen Lebens zu bilden vermögen.
Ken erschienene Bfteher.
Dr. 0* Deeebmann, Führer dnrch ötterreiehs Scholen. Eine systematische
DarstelluDg der Unterrichts- und Erziehungsanstalten der Unter- nnd Mittel-
stufe für die männliche Jngetid. Pilsen, Steinhanser. 180 S. 1 fl.
Prof. Dr. W. Clasen, Führer durch die Lehr- und Erziehungsanstalten Dentsch-
lands für Angehürige der besseren (resellschaftskreise. Berlin, Adolf Hein.
116 S. Gratis nnd franco.
Sehnlrath Dr. Jnl. Rothinchs, BelmiBtnlne ans d«r Arbelt des ersiehenden
Unterrichtes. Das Übenetsen In das Deutsche nnd manches Andere. Mar-
burg, Elwert. 173 S.
F. W. DörpfeUl, D«is Fnndamenti?tnck einer gerechten, gesanden, freien nnd
iriedlichen Schulverfassung. 2. Lieferung. Hilchenbach, Wiegand. 65. bis
157. 8. Das ganze Werk erscheint in 4 Lieferungen und kostet 8 M. 50 Pf.
Otto Znci^ Die Evangelien des christlichen Kirchenjahres. Eine Handreicliung
rar Oewinnang eifaiseb-relifiSser Oedanken ans den Evangelien. Zweiter
Theil: Von Ostern bis Advent Dresden, Eflhünann. 146 S. 3 M.
• — f Die biblischen Oeschiehten des alten nnd nenen Testamentes. Fllr eyaa-
gelische Schnlen züsammengestellt. 3. Anfl. 173 S. Mit einer Karte yon
Palästina. Dresden, Ktthtmann.
Director 0. Schaarschmidt, Biblische Geschichten im Zu.sammenhange mit
dem Bibel lesen zu Lebens- und Geschichtsbildern zusammengestellt. 0. Aufl.
Braunschweig, Appelhans & Pfenningstorff. 156 S. 1 M.
Herrn. Radeker nnd Wilhelm P&tz, Der Oesinnnngsnnterricht im ersten und
sweiten Schn^jahre oder: Vorbereitnngsknrsns für den BeUgionsonterrieht.
MOlheim a. d. Ruhr, Baedeker. 168 S.
'Prof* Dr. J. W. Otto Richter, Die Ahnen der [preußischen Könige. Volks-
thümliche Lehensbilder der hohenznllernschen Bnr^'<rrafen von Nürnberg nnd
Kurfiirsteu von Brandenburg. Hannover und Leipzig, Leopold Ost. 350 S.
4 Mark.
G. Krause nnd F. Wöllinaill, Oeschichtsbilder aus der allgemeinen, der
dentschen nnd ln«ndenbnrgisch-prenßischen Oeschichte für Volks- nnd Bttrger>
schalen. Mit zahlreichen Abb. nnd Karten. 3. Anfl. Leipzig, Bmdt 120 S.
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— 748 —
Hfinrich Ijewin, Unsere Kaiser und ihr Haus, nebst dem Wichtigsten aus dem
Leben unserer YorfahreD. Gescliiclitsbilder für die Schüler der Mittel- und
Oberstufe. 2. Aull. Hilchenbach, Wiegand. 160 S. 60 PI
Dr. W. Sommer, Zar Methodik im HtanMcDidUdMii Untenichto an Volks-,
lEitld- vnd hSkeren Ittdehettiehiileii. BtSüttng mir TMiienag einer iitttio*
salen Jagendentdnuig. Frenzlan, BlUer. 94 S. 1 K. 20 Pfl
Dr. W. Jütting, Die deutsche Sprache. Methodisch behandelt fOr Bürger-,
höhere Mädchen-, Mittelschulen und Präparandenanstalten. 3. Anfl. bearb.
von Dr. H. Zimmermann. Hannover, Karl Meyer. 141 S. 80 Tf.
R. (jottesleben, Der Unterricht im Deutschen auf der Mittelstufe. Eine An-
leitung ZOT Behandlang des Lesebaches in Mittelklaaseo. 3. Aafl. Straß-
borg, Fdedrich Boll. 264 S.
J. F. HithBann, Dentsehea Sprachbneb. Methodisch geordnete Beispiele^
Lehrsätze und Aufgaben für den Sprachunterricht in Elementar- und Fort-
bildungsschulen. Erster Theil. 20. Aufl. Stade, Schaamburg. 80 S. 50 Ff.
Karl Martens, Deutsche Sprachübungen. Methodisch geordnete Übungen Im
richtigen Sprechen und Schreiben. Für Volks- und Bürgerschulen. 2. Heft
(Mittelstufe). Honnover-Linden, Manz& Lange. 5(3 S. 40 Pf.
Enianael Keinelt, Sprachbnch für österreichische allgemeine Volksschalen.
4 Hefte & 23^ 32, 88 o. 80 Sotten, Preis 10, 15, 26 n. 25 Ereiisv. Wton
nnd Prag, Tempsky.
£. RSmermann, Ausführliche und vollständige Sprachlehre zum Gebrauch in
Volksschnlen 2 Hefte, 30 v. 48 Seiten. 2. AniL Büchenbach, Wiagand.
Gesammtpreis 40 Pf.
Friedr. Franke, .Schulwörterbuch. Als Hilfsbuch für den deutschen Unterricht
nach Keihen und Familien geordnet und mit einem Begelbache versehen.
Ldpaig, Emst Hoppe. 104 S.
Br. Panl Htm, HMftngeln der lalalniachmi Fcnnenldin. 54 S. 50 Ff.
Berlin, Weidmanmebe Boohhandlmg.
Hermann Perthes, Lateinische Formenlehre zum wörtlichen Answendigtamen.
5 Aufl. besorgt von Prof. W. Gillhansen 75 S. 80 Pf. Ebenda.
Max Engelhardt, Die Stammzeiten der lateinischen Conjugation wissenschaft-
lich und pädagogisch geordnet. Handbach für Lateinlehrer. 47 S. 1 IL
20 Pf. Ebenda.
Hermann Perthes, Grammatisch-etymologisches Vocabnlariom im Anschluss
an Perthes lateinisches Leseboeh IBr Sexta. Mit Beseichnonff ilmnitliehw
langer Vokale von Dr. Gustav Löwe. 5. Aufl. heransgeg. von Prof. W. GUI-
haosen. 96 S. Ebenda.
— , Lateinisches Lesebuch für die Sexta der Gymnasien und RealgynuiaaiMl.
5. Aufl. herausgegeben von Prof. W. Gillhansen. 55 S. Ebenda.
Ph. i*lattner, Elementarbuch der französischen Sprache. 3. Aafl. Karlsrahe^
J. Bielefeld. 264 S. 1 M. 80 Pf.
V«iutwertL BedMtew Dr. Fri»dtiek DitUs. Bwhinukenl Jiliat Kltakhardt, Laipdf.
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Jean Paars f^rana oder Erzieblehre**
nach Plan und Gnudgedanlcen dargestellt und von dem Standpunkte der hentigm
Pidago|^ beleuchtet von P. H*
V.
Na
(acli Betrachtung der allgemeinen Ansichten Jean E'aiils über
(Ttist und Grundsatz der Erziehung, Natur des Kindes und Indivi-
dualität des Idealmenschen, in denen offenbar der Schwerpunkt der
^Levana'' liegt, wollen wir zunächst untersuchen, welche <7rundsätze
in dem weiteren Verlauf der Darstellung sich über das Einzelne der
Erziehung vorfinden. Mit besonderer Wäime wird die Wichtigkeit
der Erziehung in den drei ersten Lebensjahren, dieser ,,l)änimer-
periode der aufkeimenden Menschheit", betont. „Wie die Eier der
Sing- und der liaubvögel und wie das neugeborene Küchlein der
Taube und des Taubengeiers, so verlangen anfangs alle nur Wärme
und was ist Wärme für das Menschenküchleiu? — Freudigkeit!"
Sie l&88t die jungen KrSlte wie Morgenstralileii aufgehen, sie ist der
Himmel unter dem alles gedeiht, Gift ausgenommen/ Die Wichtig-
keit der ersten Eindrücke hetont Jean Paul mit besonderem Nach-
dm<^. Er sagt: „Alles Erste bleibt ewig im Kinde, die erste Farbe,
die erste Musik, die erste Blnme malen den Vorgnmd des Lebens
ans; noch aber kennen wir dabei kein Gesetz als dieses: ^beschirmt
das Kind vor allen heftigen nnd starken , sogar vor sttfien Empfin-
dnngenP Nicht sie machen den Menschen nnd das Kind «heiter nnd
selig," sondern die Tfa&tigkeit. „Die gewöhnlichen Spiele der Kinder
sind nnn nichts als die Änfierangen emster Thatigkelt, aber in leich-
testen Flllgelkleideni,'' zugleich aber auch „die erste Poesie des
Menschen." Als Spielsachen sind jedoch nicht herausgeputzte Puppen
nnd andere zierliche Gegenstande am Platze, denn „an reichet Wirk-
lichkeit yerwelkt und verarmt die Phantasie." Jede Spiel-
puppe und Spielwelt sei „nur ein Flachsrocken, an welchem die Seele
ein buntes Gewand abspinnt." Als bestes Spielni Ittel wird in der
„Levana** der Sand empfohlen; ihn vermag das Kind auf das Mannig-
fiichste zu verwenden. „Philosophen 1 streuet Sand weniger in als
F«di««Sfam. 14.Jakqr. H«ftZn. 62
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— 750 —
vor die Augen in den Vogelbauer eurer Kiuder." Diejenige Eigen-
schaft, welche den Charakter des Kindes ganz besonders liebenswert
macht, die unbefangene, rückhaltlose Hingabe an unsere Führung,
mit einem Wort, den Kind ergla üben, oline den es gar keine
Erziehung gäbe", betniclitet Jean Paul als Haui)thebel der Erzie-
hung. Eine nothwendige C'onseciuenz aus den humanen Grundsätzen
unseres Dichters ist es, dass derselbe sich über Belohnung und
Bestrafung in der mildesten Weise äußert. ..Habt keine Freude'',
sairt er, ..am Gebieten und Verbieten, sondern am kindliclien Frei-
liandeln^; ist aber einmal ein Gebot oder Verbot als unumgänglich
nothwendig erachtet worden, dann sei es „unabänderlich" und ,,ein-
silbig". .le jünger das Kind, desto mehr ist Einsilbigkeit nothwendig.
„Erst später sagt mit sanfter JStimme Gründe, blos um durch die
schönen Zeichen der Liebe den Gehorsam sanfter herbeizuführen u. s. w."
Mit Achtung und liiebe betrachte das Kind .'^eine Eltern, mit Pünkt-
lichkeit gewöhne es sich daran, ihr Wort zu erfüllen, aber sein Wille
werde nicht durch zu vieles Gebieten und Verbieten geknickt, die
ganze frei empoi-strebende Persönlichkeit nicht zn einer willigen Ma-
schine in der Hand des Erziehers erniedrigt; nie erfolge ein Gtobot
oder Terbot, wenn nicht du höherar Beweggrund dazu antreibt!
Also auch in diesem Punkte findet der Gnmdgedanke der »freien
Entwickelung des Individiiams", Überhaupt „das Princip der Libera-
li tftt in Erziehnngssachen" seine Betonung und Vertheidigung, auch
hier f,krftftigen und Kraft lassen" das „erste und letzte Erziehungs-
vort" Überzeugt von der angeborenen Gftte der Eindesnatnr konnte
unser Autor es nicht gestatten, dass mit rauher Hand „der blinkende
tforgentanschimmer*' von der „Mensehen-Blume" abgestreift und durch
eine verkehrte Behandlungswdse das »helldunkele Einderaein durch
voreiliges Hineinleuchten mit der nackten Wirklichkeit verkQizt werde."
So hat Jean Paul, — um mit Grube zn [reden — „in sdner tLevana*
das christliche Jjtaeet die Kindlein zn mir kommen* mit wahrhaft
p^chologischer Meisterschaft commentirt" Auch die speciell weib-
liche Einziehung findet in Jean Paul einen geistreichen Benrtheiler
und erfahrungsreichen Fi*ennd. Ja, man kann mit allem Recht behaup-
ten, dass kein Schriftsteller aber diesen Punkt schönere und richtigere
Regeln aufgestellt hat, wie unser Autor. Von besonderer Wichtig-
keit erscheint ihm dieselbe, „denn in weiblicher, in Mutterhand ruht
die Erziehung der ersten Hälfte des ersten Ijebens-Jahrzehnts"
„Vergesset dainim, Mütter, die heiligste Aufgabe nicht, deren Lösung
zugleich den schönsten Lohn bringt." „Verächtlich ist eine
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- 751 —
Frau, die Langeweile liaben kann, wenn sie Kinder hat." Zwar ist
nach Jean Paul das Weib, wie aucli Rousseau annimmt, von der
Nator snr Gattin und Matter bestimmt; doch wäre es nach der
,,Levana" yerkehrt, wollte man das Mädchen nnr för ihre Bestimmung
als Mutter erziehen; „die mtitterliche Bestimmung kann nicht die
•menschliche überwiegen oder ersetzen, sondern sie ranss das Mittel,
nicht der Zweck derselben sein. Sowie über dem Künstler, über
dem Dichter, über dem Helden, so steht über der Mutter der Mensch."
Und wenn die Natur in scheinbarem Gegensatz zu dieser Ansicht die
„Weiblichkeit" einseitig: zur „Mütterlichkeit" hinzuarbeiten scheint, so
ninss der Erzieher nacii dem Princip der lieilighaltuno: jedei- Kraft,
diesen Zweck wenn nicht bestreiten, so doch erf^änzen, indem er „die
unterdrückende Kraft durch die waf^ehaltenden Kräfte müdert. reinigt
und einstimmt." Sehr entschieden wendet sich die „Levana" gegen
<lie früiie Entwickelung der (refühle bei der Mädchenerziehung;
die Mutter „schone und erwarte jedes zarte und warme Gefühl, das
die Jahre von selber bringen und bilden" und „schwelge nicht etwa
an der Empfindsamkeit ilirer Tochter." Versündigt euch nicht," —
ruft unser Dichter den Müttern zu — „dass ihr den Töchtern das
Heilige des Herzens auch nur von weitem als Männer-Köder, als
Jagdzeug zum Gattenfange geist- und gottlästernd zeigt und anem-
pfehlt Der Sittlichkeit beste Stütze ist das gute Bei-
spiel. Da aber Mädchen mit gleichjährigen Mädchen verbanden in
einem „Tansehhandel weniger ilirar Vonttge als SehwAehen** steben,
sollen sich dieselben „mehr in GeseUschaft von Männern , ja selbst
von Jünglingen bewegen." So kann es ans nicht wandern, wenn in
der nLevana" Uber die Hädchen-Pengionsanstalten ein sebr hartes
Urtheil gefiült wird: „Das höchste, was ein AUdchen in einer Pension
wiederfinden konnte, wäre eine Matter, aber doch würde der Vater
mangeln.** Aehtang nnd Liebe gegen das eigene Geschlecht,
ünterdrftcknng der Heftigkeit nnd Leidenschaftlichkeit,
Lebens- nnd Arbbitsgymnastlk sind die drei wichtigsten Gebote,
die nach Jean Panl eine Mutter ihrer Tochter mit anf den Lebens-
weg geben kann. Besttglich des letaten Punktes warnt die „Levajia*'
besonders vor der sog. JPraaensimmerarbeit'*, dorch welche „der mflSig
gelassene Gdst verroste nnd den Wogen der Phantasie übergeben
sei." Die Elemente der BeaUfteher nnd Mathematik, sollten nnsem
Mädchen nicht fremd bleiben; das Hanptangenmerk aber ist su
richten auf die nöthige Kenntnis nnd Geschicklichkeit zar
f abrang der vielseitigen Geschäfte des Haaswesens.
62*
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— 762 —
VI.
An diese kui'ze Dai'stellung der allgemeinsten Grundsätze Ton
Jean Pauls Pädagogik, die in ihrer AUgemeinlieit auch eine gene-
relle Bedeutung in der praktischen £rziehung haben, wollen wir die
Betrachtung der specielleren Momente der Erzielmng, welche ihrer-
seits den verschiedenen Seiten der Persönlichkeit des Erziehungs-
objectes entsprechen, anschließen. Es handelt sich also hier um die
Darstellung der Grundsätze, welche für Jean Paul bei Anwendung der
Erziehungsthätigkeit auf die verschiedenen Theile der Menschennatur
maßgebend sind. Schon oben wurde erwähnt, dass Jean Paul in der
Individualität des Zöglings zwei Seiten streng in der erziehlichen
Behandlung unterschieden wissen will, die intellectuellc und die mora-
lische. Für erstere gilt ihm das Princip ungestörter Selbstent-
faltung. Der geistige Bildungstrieb, der in jedem Menschen schlum-
mert und durch die Mittel der Erziehung zu nachhaltiger Kraftent-
faltung sich entwickeln soll, werde — so verlangt es Jean Paul —
schon im frühesten Kindesalter auf die denkbar vielfachste Weise
augeregt, dem jungen Menschen, der mit ungetrübtem Auge die lebens-
und gestaltenreiche Welt betritt, soll vor allem ein freiwaltendes
Interesse für die der Gesammtheit seiner Sinne zunächst liegenden
Erscheinungen angebildet werden. Mit schrankenloser Thätigkeit
wende er sich deshalb den bunten Gestalten der Außenwelt zu, ihren
Bildern verschaffe er eine sichere Stätte im Baume seines Bewusstseins.
Damm mnss denn anch vor allem darauf gedrungen werden, dass dem
Indiyidaum die nOthige Freiheit der Geistesentfaltnng gewahrt
IMht» wodurch der sich entwickehide Mmseh in die Lage kommt^
als nniunschrftnkter Qebieter ttber die seinem Geiste eingepflanzt^i
Vorstellangen zu schalten, sie mit einander zn yerg^eichen, sa Ter-
knüpfen, nnd er anf diese Weise znm Ansban einer reichen Gedanken-
welt die BeflUiigang erlangt Die Erringong dieser gefistigen Kraft
nnd ArbeitsfiUiigkeit glanbt nnn Jean Panl am wirksamsten .durch
Übungen des Witzes erreichen zu können. Und in der Tbat ist
der Witz diejenige Geisteskrafl;^ deren Änfienmg darin besteht, die
verschiedensten GegenstSnde nnd Erscheinungen unter Bezugnahme
auf die Gleichartigkeit gewisser Merkmale mit einander zu vergleichen
und zu verknöpfen. Schon dem Kinde ftUen bei Betrachtung der
Außenwelt an den Gliedern derselben, die ihm entgegentreten, Über-
einstimmung und Verschiedenheit ihrer Merkmale auf, wenn auch an-
fangs nur in gröbster Form. Je mehr es nun durch Ausbildung der
genannten Geisteskraft befähigt ist, die ÜBineren und tiefer liegenden
«
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— 758 —
Beziehungen der Anschaunngsobjecte erkennen zn lernen, desto mehr
werden die hervorgerufenen Denkgehüde den Charakter wirklicher
Geistesarbeit an sich tragen; ja gerade auf diese Weise gelangt das
Kind zur Bildung der ersten Begriffe, deren Entstehung ausschließ-
lich durch Vergleichung mehrerer Anschauungen und durch Vereini-
gung derselben unter die Einheit eines höheren Vorstellungsgebildes
beding-t wird. Freilich wird der jugendliche Geist in seinen Ver-
suchen mit den f^ewonnenen Bildern der Erscheinungen zu arbeiten,
durchaus nicht den Weg strenger Denkprocesse einlialten. Die Sonder-
barkeit und Ungeregeltheit der entstandenen I)enk<j:ebil(le wird uns
vielmehr berechtigen, der im jugendlichen Alter besonders unumschränkt
waltenden Einbildungskraft einen hervorragenden Antheil an ilirer
Bildung zuzuschreiben. Allein Jean Paul hielt die oben angt^dtniteten
Thätigkeiten des Witzes und der Einbildungskraft für so wichtig zur
Grundlage der intellectuellen Bildung, dass er ihnen einen sehr
weiten Spielraum gewährte. Er suchte, durch eigene Beispiele
anregend, seinen Schülern witzige Einfälle zu entlocken und schiieb
dieselben sorgfältig auf, da er sie als wichtiges Moment in der
geistigen Bildungsgeschichte des Individuiims ansah. An die Bildung
YAim Witze anschließend, behandelt Jean Paul die Bildung zur Reflexion,
Abstraction und zum Selbstbewusstsein. Sie ist ihm zu orreichen
dorch Lenkung der Aotmerksamkeit auf die Innenwelt, was ein gleich-
wertiger Gegensats zmr Sinnestlifttigkfiit nach anften sein nnd die
Harmonie der Braiehnng aufrecht erlialtea soll. Was die Bfldung
der Erinnerung und des Ged&chtnisses anbelangt, so weist unser
.Autor auf die Wichtigkeit derselben nachdrücklich hin. Ihm ist die
Lebendigkeit, die Jene GeisteskrSfte erreichen sollen, bedingt durch
den Beiz des Oegnisatses. Das Interesse ist ihm tonangebend fllr die
Festigkeit des Auijsenommenen — „daher hat kein Mensch fOr alles
ein Qedfichtnis, weil kehier für alles ein Interesse hat" — Zur Aus-
bildung der intellectuellen Seite des Menschenwesens, welche ja die
Kräfte der Erkenntnis, der Embiidungskraft und der Erinnerung in
sich fi&sst, weist nun Jean Paul auch auf Beschäftigung mit den ver-
schiedenen Wissenschaften hin. Da es ihm aber nicht darum zu
thun ist, ebie ünterrichtslehre zn geben, sondern seine „Levana"
auf das Gebiet der Erziehung ausschliefilich beschränkt bleiben soll,
80 dürfen wir keine genaueren Darlegungen in dieser Beziehung er-
warten. Ebenso ist es begreiflich, dass der Dichter bei dem dama-
ligen Stande der Methodik die formal bildende Kraft der Realien
gänzlich verkannte. Die Naturgeschichte ist ihm beispielsweise „das
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— 764 —
Zauberbrot", welclies der Lehrer den Kindern vor der Lehrstunde
gibt, um ihre Aufmerksamkeit für seinen fnl<reiiden Unterricht zu
gewinnen. Sie ist ihm also nur wirksam durcli die Neuheit und lia*
Fesselnde ihrer Thatsachen, nicht aber durcli das Bildende, welclies
die in ihr gegebenen Beziehungen der Naturwesen und Naturkräfte
darbieten. Von der Geographie kennt er nur einen praktischen
Nutzen. Von besonderer Schönheit sind jedoch die Austiihrun};en»
welche die „Levana" über Bildung zur Sprache enthält. Ihrem Ver-
fasser war die große Wirkung, welche namentlich das gesprochene
Wort auf den (ieist des Menschen ausübt, vollständig klar, außerdem
ist ihm die Sprache in ihrem Gesammtorganisnius ein formales Bil-
dungsmittel von unvergleichlicher Wichtigkeit. „Sprachenlernen ist
etwas Höheres als Sprechenleinen, und alles Lob, das man den altea
Sprachen als Bildungsmittel ertheilt, fällt doppelt der Muttersprache
anheim, welche noch richtiger die Sprachmutter hieße **
„Die Muttersprache ist die unschuldigste Philosophie und Besomieii-
heitsflbimg fUr Kinder," „Sprecht recht viel und recht bestimmt und
haltet sie selber im gemeinen Leben zur Bestimmtheit an
„Sogar kleine Kinder strengt znweilen durch Widerspmchsräthsel der
Bede an." Die Sprachlehre ist ihm „als Logik der Zunge" die erste
Philosophie der Beflezion, und der Umgang mit ihr »nnter den früheren
Übungen der Denkkraft die gesündeste.** Mit Becht gilt ihm die
Sprache als Mittel, dem Geiste einen Schatz von Vorstellungen zuzu-
führen; denn „durch Benennung wird das Äufiere wie eine Insel
erobert." Dem Aufnehmen des sprachlichen Materials mit seinem Un-
tei'grunde von klaren VorsteUnngen soll jedoch stets producirende
Thätigkeit Ton Seiten des Zöglings parallel gehen. Ihm dflnkt
das geklärte und geordnete Darstellen der eigenen Oedanken durch
die Sprache und namentlich durch die Schrift als Bildungsmittel so
wichtig, dass er sagt: „Ein Blatt schreiben- regt den Bildungstrieb
mfichtiger an als ein Buch lesen." — Als zu verwirklichendes Ideal
der sittlichen Bildung des Knaben nennt unser Autor „sittliche
Stärke und sittliche Schönheit'', und die Art und W'eise, wie er
diese Ansicht darlegt, geschieht in einer Fülle der zutreflfendsteu Aus-
sprüche. Die sittliche Stärke wird nach ihm am besten durch das
Beispiel erzielt; deshalb gebe man dem aufstrehenden Kind eine da»
Herz durchwurzelndc Idee, etwa die dei* Ehre. Auch der „Erweckung
der Vaterlandsliebe" und dem -Aufwecken des Eintriebst wird in
der „Levana** in ausführlicher Begründung das Wort geredet. Soll
der Knabe zu einem brauchbaren Manne erstarken, so „erfülle mau
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— 755
ihn mit der verklärten Helden weit, mit lieblich ausgemalten Groß-
mensclien der verschiedensten Art und mit einem i)oetis(.hen Ideale."
Auch Hi<>fre der Knabe so viel als möglich in die stoische Schule hin-
ein hürtiil ..Lasset ihn sehen, dass das Kenileuer der Brust gerade
in jenen Männern glühe, welche ein durch das ganze Leben reichen-
des Wollen, nicht aber, wie der LeidfUschaftliche, einzelne Wollungen
und W allungen haben. Und da Jean Paul als genauer Menschen-
kenner nur allzu wol weiß, wie gewaltig die Hindeniisse oft sind, die
sich der im Erstarken begriffenen Männlichkeit entgegenstellen, ver-
langt er mit dem ganzen Feuer seiner Begeisterung Belebung der
Idealität; nicht stark genug kann er seinen Gegensatz za denen
helonen, die in unbegreiflkher Unkenntnis von der wahren Bestimmung
des llensehen das IdeaJisiren der Tugend verdammen nnd bei all
ihrem Thon nnd Lassen das reine Ntttzliehkeitsprincip in den Vorder-
grund treten lassen. Zn diesen Bildungsmitteln der sittlichen Stärkung
trete dann noch die Wahrhaftigkeit, eine Zierde der Jugend und
auch in späteren Jahren noch die Blttte der sittlichen Mannesstärka
Das Ideal der sittlichen Schönheit findet er im Reiche der Liebe, der
Müde und der Wolthätigkeit Seiner Grundanschaunng von der mensch-
lichen Natur entsprechend, findet sich die Liebe, die „eigentliche posi-
tive Sittenlehre**, schon bei der Geburt in Kinderherzen, und deshalb
ist es nicht nOthig, „die Blutenknospe der Liebe einzuimpfen,** sondern
nur, „das Moos nnd Gestrüpp des Ich wegzunehmen, welches der Liebe
die Simne verdeekt.*' ,3ringet dem Kinde'* — so ruft er aus — „das
fremde Leben und das fremde Ich lebendig und genug vor das seinige,
so wird es lieben." Auch das thierische Leben halte es heilig;
darum „gebet ihm das Herz eines Hindu, statt des Herzens eines car-
tesischcn Philosophen/' Endlich lasse der lM/i< her durch eigenes
Thun das Kind die Liebe kennen lernen. — „Lehrt lieben, sag* ich,
das heißt liebt Mit diesen Worten schließt Jean Panl seine von
feiner psychologischer iieobachtnngsgabe und einem warmfuhlenden
Herzen zeugenden Ausführungen über diesen in der Erziehung so
wichtigen Punkt. Auch in Bezug auf die Ausbildung des Schönheits-
sinnes entwickelt die .Levana" eine Fülle h<»clist beachtenswerter
Ansichten. Eines der wirksamsten Mittel zur liildunc- des Schönheits-
sinnes ist allerdings die Betrachtung der Natur in ihren ewit^^cii. un-
verfänglichen Reizen. Weil jedoch diese neigen dein Vollküunueiieii
auch das Unvollkommene, neben dem Vullt-ndeten vieles Unferii^re
und Verküinnierte bieten, so fordert unser Dichter die Betraclitiing
der verschiedeuäten Kunbtweike, und zwar in der Weise, dass das
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Kind früher in das Kunstreich der durcli äußore Sinne bedingten
Schönheiten, der Malerei, Musik, Baukunst eiiizutiihren sei, als ,.in das
Reich der durch den inneren Sinn bedingten, das der Dichtkunst.'-
„Fangt an mit Raphael und mit Gluck, allein nicht mit Sophokles."
Erst dann, wenn die „Mann- und Weibbaikeit sich ent-
zündet haben" and „alle Kräfte Einheit oDd Zukunft suchen", trete
der Dichter auf und „sei dei* Orplieus", „der tote Körper so gat belebt,
als wttde Tbiere beafthmt.*' Unter den poetischen HeisterwerkeD,
deren Stadium anf den jugendlichen Geist Yeredelnd einwirken soll,
soll jedoch nach Jean Paul in der Weise eine Aaswahl getroffen
werden, dass vornehmlich die Erzeugnisse der Nationalliter ata r
berttcksichtigt werden. Was die eigene Nation schnf, das steht dem
Einaehien, dessen Denken, Fflhlen nnd Wollen ja so viel^Mh im Bann-
kreise der nationalen Bildongsverh<nisse liegen, jedenfalls näher als
Fremdes. Aus diesem Gronde mnss es aber auch einen viel nachhal-
tigeren Einflass auf die ftsthetische- und Charaktert>ildQng dmr heran-
wachsenden Jagend bewirken; denn wenn Bekannte, deren Stimme
wir kennen, deren innerliches FOhlen nnd Denken ans so nahe liegt
nnd Tielfkch selbst bewegt^ an nns reden, so verstehen wir ihre Worte
nnd sie werden ans viel fester im Geiste haften* Diesen großen Ge-
danken von der Gemüths- und Herzensbfldnng dorch nationale Kunst
fasste Jean Paul in seiner ganzen Tragweite auf und gibt ihm viel-
fach Aasdruck. In mehreren Capiteln verbreitet sich sodann die
„Levana" ausführlich über die religiöse Bildung des Zollings, ihre
Nothwendigkeit und den Zeitpunkt ihres Beginnens. Dem jeder kalten
Verständigkeit tief abholden Naturell unseres Dichters, der die großen
Angelegenheiten des Menschengeschlechts und die Unzahl ihrer ver-
worrenen Fragen viel mehr in beschaulicher Innerlichkeit des Ge-
fühls erwägte, als mit der Schärfe des Verstandes prüfte, war es
jedenfalls sehr entsprechend, dass er den Antheil des Geraüthes und
der Gefühle an der Religiosität des Menschen besonders stark betont
und auch in der P>ziehui);2: besonders hervorgehoben wissen wollte.
Sciiarf wendet er sich gegen den Glauben, als hänge die religiöse
Bildung des Z(>glings von der Anzahl der Keligionsstunden und der
Menge des dargebotenen Stoffes ab. Solche Ansichten kann sein
klarer Geist l'ur das Zeitalter der Humanität nicht mehr als praktisch
verwendbar ansehen. Für unser .Tahriiuudert. in dem ,.die geborstenen
Kirchenglocken nur noch dumpf den Volksmarkt zu Kirchenstille
rul'en." verlangt er eine mehr auf das sittlich religiöse Leben des
Menschen abzielende Thätigkeit des Erziehers. Unpassend erscheint
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es ihm weiter, „das Kind durch Beweise in die Welt der Beligion
einführen zu wollen." ,^Jede Sprosse der endlichen Erkenntnis", — so
führt er aus — „wird durch Allmähliclikeit erstiegen; aber das Un-
endliche kann nur auf einmal angeschaut werden, nur auf Flügeln,
nicht auf Stufen kommt man dahin." Steht in dieser Auffassung die
„Levana" im Gep:enj;atz zu den Ansichten Rousseau's und der Philan-
thropist en, die bekanntlich bei der religiösen Unterweisung Vernunft-
gründe als ausschlaggebend betrachteten, so glaubt Jean Paul auch
hinsichtlich des Zeitpunktes, zu welchem der Unterricht in der Keli-
gion beginnen soll, nicht den f>enannten Pädagojren beistimmen zu
können. Denn will Rousseau die Eulwickelung dei- relif2:ir)sen Welt-
anschauung bei seinem Zögling erst mit dem Alter der Verminft be-
ginnen, so kann Jean Paul mit ihr nicht frühe genug anfangen. Die
Religion ist ihm ein Lebenselement, dessen Noth wendigkeit für alle
Altersstufen gleichmäßig ist. Ihrer bedarf auch das Herz des Kindes,
und die schönste Aufgabe des Erziehers bleibt es, ihm die tröstlichen
und das denkende Sein des Menschen in sich beruhigenden Wahr-
heiten dersell)en einzuflößen.
Noch bleibt uns übrig, die Ansichten .Tean Pauls über die phy-
sische Erziehung zu betrachten. Außer der Bedeutung, welche die-
selbe ais Bildung und Entwickdung der leiblichen Seite des Menschen-
wesens schon in skk selbst hat, Bchfttst er diesslbe als Hebd der
geistigen, namentlich moralischen Erziehung. Der Körper ist ihm der
„Panier nnd Kttrass der Seele** und „körperliehe Abhfirtong ist, da
der Körper der Ankerplatz des Mathes ist, schon geistig nOthig.*' „Oir
Zweck und Erfolg ist nicht sowolGesnndheitsanstalt nnd Veilingenmg
des Lebens, als Ans- nnd Znritotnng desselben wider das Ungemach
nnd für Heiterkeit nnd Thfttigkeit'' DnrchdnmgBn also wie Bonsseau
nnd die Phüanthropisten von der Wichtigkeit dieses Theiles der Er-
ziehung, widmet er ihm ehie TerhAltnism&ßig genane, in die Oestalt
eines Briefes „an einen Neayermfthlten" gekleidete Darstellnng, wobei
er auf Kleidung, Wohnnng nnd andere Angelegenheiten der leiblichen
Endehnng zn sprechen kommt, nnd in diesen Dingen sich mit seinen
Ansfllhnuigen ganz den Omndsätzen der oben genannten M&nner an-
schließt Abhftrtnng des Körpers gegen Kälte und Hitze, die Fähig-
keit desselben zum Ertragen von Anstrengungen und Schmerzen, Stär-
kung der Glieder und Übung des Leibes, das sind ihm die Ziele der
physischen Erziehnng. „Jeder Vater baue um sein Haus ein kleines
gj'mnastisches Schnepfenthal I " mit dieser Forderung dringt er darauf, dass
alle Eltern die erw&hnte Seite der Erziehung aufs möglichste nnterstütien.
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— 768 —
VII.
Nachdem wir nunmehr den Plan der „Levana" und die wiclitig-
sten der in ihr niedergelegten pädagogischen Grundgedanken kurz zu
entwickeln versucht haben, bleibt uns noch übrig, die Hauptsätze der
Jean Panischen Pädagogik von dein Standpunkt der heutigen Kr-
ziehungswissenschaft aus zu beleuchten und dieselben auf ihren Wert
oder Unwert zu prüfen. Es liegt in der Natur der Sache, dass be-
reits bei der p]ntvvickelung des Planes der „Levana" unrl ihrer Grund-
gedanken öfters, wenn auch nur kurz, auf die Ansichten älterer Päda-
gogen und auch mitunter auf die Gegenwart hingewiesen wurde, und
schon in der P^inleitung erwähnten wir die Einflüsse, welche das
Naturell des Dichtei-s, die damaligen Zeitverhältnisse und der Stand
der Pädagogik überliaupt auf den Geist der „Levana" hatten. Aus
diesen Gründen düifeii wir wol auf eine ins Einzelne geiu ii lt- Beiir-
theiliing verzichten und wollen nur die wichtigsten der in bestimmter
Form auftretenden und die Kritik besonders herausfordernden päda-
gogischeu Leitgedanken in gediängter Kürze einer Beleuchtung unter-
ziehen.
SdiOQ als wii' den Jean Paiüsclieii Grundsatz von der Gttte der
Kindesnatnr dancnateUen yersneliten, Viesen wir darauf hin, dass er
diese Ansicht mit Rousseau theile. Durch die pAdagogischen Schriften
des letzteren wurde sie in die Eraehnngswisseaschaft eingeführt und
namentlich von den Philanthropisten aufgenommen und aufis nachdrttck-
iichste vertreten. Die meisten pädagogischen Schriftsteller zu Jean
Pauls .Zeit huldigten ihr und bis in unsece Tage £uid sie begeisterte
Vertreter. Dem gegenüber hielt die traditionelle Pädagogik nach wie
vor, gestützt auf die Lehre von der nErbsünde»** an einer angeborenen
Verderbtheit der menschlichen Natur fest Selbstverständlich ist das
Überwiegen der einen oder der anderen Anschauung stets von weit-
gehendem Einflnss auf die pftdagogische Pknzis gewesen. Nach der
auch von Jean Paul vertretenen Anschauung hat die Erziehung den
neugeborenen Menschen nicht nur als ein von allen sittlichen Mängeln
reines, sondern auch mit den höchsten Vorzügen ausgestattetes Wesen
zu betrachten. Demgemäß wird ihre ßehandlungsweise in einer sorg-
fältigen Abhaltung der ihm etwa v<»n außen zustrOmenden üblen Ein-
flüsse bestehen, da nur hierdurch der Meusch die unbefleckte Reinheit
seines Wesens, wie sie die Natur in ihn legte, beibehalten und zui*
höchsten Ausbildung bringen kann. Die gegentheilige Ansicht dagegen
wird den Menschen als unter dem Einflüsse nrsjn tiiiLrlicher Verderbnis
stehend betrachten, die ihm hauptsächlich durch das Gebundensein
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an seine sinnliche Natur anhatte. Diese verwerflichen Eigenthümlich-
keiten der Menschennatur wird demnach die Erziehung nach Möglich-
keit zu unterdrücken haben, um einem von außen her dem Menschen
gesetzten Ideal Raum zu verscluift'en und demselben die Herrschaft
über die natürliche Verderbtheit zu erringen. Dass die Befolgung dieser
beiden einander gegenüber stehenden Ansichten in der pädagogischen
Praxis zu Unzuträglirhkeilen führen müsse, ersclieint bei näherer
Betraditung als selbst verständlicli; denn die erstere besteht in einer
Überscliätzung der mensclilicheu Veranlagungen, während die letztere
eine Unterschätzung derselben in sich schließt. Auf Grundlage der
Erruugeuscliaften unserer modernen Psychologie ist die neuere päda-
gogische Wissenschaft in dieser Frage zu einer selbstständigen Stellung
gelangt, wodurch die Übertreibungen der beiden angeführten Anschau-
ungen glücklich vermieden werden. Lassen wir einen berufenen Ver-
treter derselben hierüber sprechenl Diesterweg gibt, wenn er die
Hauptgegensätze der traditionellen und der modernen Pädagogik ein-
ander gegenüber stellt, den Standpunkt der letzteren in den WorteQ
an: „Die menschliche Natur ist zu Anfang ungebildet (roh), sie trägt
die Emaa zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit in sich, durch Er-
zfehoDg vird sie gebildet und yeredeit" Das natürliehe Waebsthum
der im Menschen liegenden Keime f&hrt demnach weder ausschliefiUch
zum Gnten noch ansschließlich zum Schlimmen. Nach beiden Seiten
hin kann vielmefar je nach den Bedingungen, anter welchen die Er-
ziehung steht, eine Entfiiltnng stattfinden. Au^be einer gut^ Er-
ziehung wird es natflrlich sein, die dem Menschen yon der Natur ver-
liehenen Kräfte und Fähigkeiten harmonisch zn entwickeln und sie so
in den Dienst des Wahren, Guten und SchOnen zu stellen.
Was die Ansichten der „Leyana" Uber den »Idealmenschen" und
dessen Natur betrifft, so wurde schon oben angegeben, dass dieselben
mit den idealistischen Lehren Plato's Aber die angeborenen Ideen im
Zusammenhange stehen. Der wissenschaftliche Realismus, gestützt auf
die Ergebnisse einer möglichst exacten Psychologie, hat sich gegen
eine derartige Auffassung der Menschennatur jederzeit ablehnend yer-
haiten müssen, da sie nicht nur jeder unbefangenen Ei-wägung, sondern
auch namentlich der Erfahrung gänzlich widerspriclit. Nach der er-
wähnten Ansicht sind nämlich alle wesentlichen Verhältnisse der aus-
gebildeten Menschennatur schon in der unausgebildeten derart gegeben,
dass die Erziehung nichts weiter thun kann, als das auf dem Grunde
der Seele schlummernde zu wecken und ihm etwa nur in unwesent-
lichen Einzelheiten eine besondere fiichtung zu geben. Zur näheren
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Ausfülirun;^ dieser Gedanken und zur Wideilegung derselben wollen
wir ebenfalls einen berufenen Vertreter. F. E. Beneke, sich aus-
sprechen lassen. ,.'Wie es eine durchaus unhaltbare Erdichtung ist,"
sagt er. ,.dass der Marmor schon die Züge der IMldsäule irgendwie
in sich tragen soll, so aucli die Anwendung auf die Erziehung. Die
menschliche Seele besitzt keiueilei ursprüngliche Aulagen von solcher
Bestimmtheit und Ausliilduug, und der Erzieher hat also keineswegs
nur auseinander zu wickeln, oder das Schlummernde zu wecken, sondern
was er einst in Zukunft finden will, muss er erst in sich, und dann
in der Seele des Kindes mit Liebe und Sorgfalt und nicht selten mit
selbstverleugnender Anstrengung begründen,"
Jean Paul selbst widerspricht denn auch der im Anfang von ihm
festgestellten Theorie, wenn er sagt, ,.dass der Erzieher von einer
Individualität, die er wachsen lassen muss, eine andere zu trennen
hat, die er beugen oder lenken soll.*' Erstere ist ihm die intellec-
taelle, letztere die sittliche. Mit ganz richtigem Geffthle tritt er also
zunächst in der sittlichen Erziehung seinem anfangs gelehrten Qrand-
satze entgegen, dass der im Idealmenschen enthaltenen Individnalität
angehindertes Wachsthnm zn gewfthren sei Aber aneh in Betreff der
intellectuellen Büdnng hätte er seine Onmdansicht in ihrer Aniren.
dang als verfehlt betra<diten mflssen. Das folgt schon ans dem engen
Zusammenhang, in welchem die intelleetuelle and die moralische Seite
des Menschen Wesens stehen; aber schon der Grandsatz einer harmo-
nischen Aosblldang aller Kräfte verlangt es, dass sich das beogende
and lenkende Element der Erziehung auf sämtliche Leibes- und
Seelenkräfte zu erstrecken hat
Zu den Eigenthflmlichkeiten der Jean Paul'schen Pädagogik,
welche von jeher den laatesten Widersprach erfehren haben, g^ören
namentlich auch die Ansichten, welche er Über die Büdang znm
Witze entwickelt. Wenn der Verfasser der „Levana" der Übung
jener Geisteskraft eine große Bedeutung, namentlich für die erste
Entwickelang des kindlichen Geistes zaerkennt, so wird ihm dies
nicht geradezu abgestritten werden können. Wenn er aber den
Übungen in witzigen Einfällen und Gedanken allzu großen Spielraum
gewährt; wenn er einen besonderen Theil der Unterrichtszeit darauf
verwendet wissen will; wenn er diesen ersten kindlichen Versuchen
im Witzspiele alle Gegenstände fast ohne Auswahl überlässt und so-
gar die Person des Lehrei*s denselben aussetzt: so dürfte dies doch
weit über die Grenze des pädagogisch Erlaubten hinausgehen. Ver-
mehrt werden diese Bedenken noch, wenn man überlegt, dass Jean
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Paul diese um-eifen Erzeugnisse des kindlichen Geistes sogar aufzu-
schreiben empfielilt. Hierin liegt ganz gewiss eine Überschätzung
dieser regellosen Einfalle, welche aiit .Seiten des Kindes gar leiclit zu
Eitelkeit, Einbildung und Dünkel führen kann. Vielleicht ist die
Maßlosigkeit der Jean Paulschen Ansiciiten in diesem Punkte zurück-
zuführen auf seine Hinneigung zu Ideen der Philantliropisten, die sich
bekanntlich angelegen sein ließen, „das Lernen nur in lauter Sonnen-
schein zu betreiben" und dasselbe dem Kinde nicht zu einer Kraft
heischenden Arbeit, sondern zu einem angenehmen Spiele des Gciätes
zu gestalten.
Obschon es nicht möglich ist, in einem kritischen Überblick über
die hauptsächlichsten pädagogischen Gruudan^i^•llte^ der „Levana"
auf alle Einzelheiten einzugehen, so ist es deiiiKich von Interesse,
eine besonders auffallende Erscheinung hervorzuheben, nämlich die
Rangordnung, welche Jean Paul den einzelnen Unteirichtsfächern
nach Maligabe ihrer erziehlichen Kräfte zutheilt. Besonders merk-
würdig ist in dieser Hinsicht, dass Jean Paul die Kealfächer ganz in
den Hintergnmd treten lässt und von ihrem formalbildenden Einflüsse
eine so sehr geringe Meinimg hegt. Dr. E. Lange, der eine neae
Ausgabe der „LeTana" besorgt hat, spricht sich hierüber Uk folgenden
Worten ans: „Wenn heutzutage schwerlich jemand diese befremdliche
Ansicht theilen und den sogenannten KRealien** mit Jean Paul einen
so geringen Bildungsgrad beflegen wird, so ist das ein erfreuliches
Zeichen dafür, dass seit dem AnfEuig dieses Jahrhunderts Theorie
und Praxis des Unterrichts wesentliche Fortschritte gemacht
haben. Zur Zeit, da der Yerfiisser der «Levana** unterrichtete, be-
stand der Sachunterricht allerdings zum guten Theil aus einem „an-
hftufenden Vorlehren** von Baiitäten und bunt zusammengewttrliBlten
nützlichen Kenntnissen; von geistiger Durchdringung und Belebung
des heterogenen StoffeSi von einer Auffassung des Natur- und Menschen-
lebens als eines organischen Ganzen konnte damals bei der UnyoU-
kommenheit der betreffenden Fachwissenschaften nicht die Bede sein.
Und so darf uns nicht wundem, dass Richter die Bedeutung der
Realien für die Bildung der Intelligenz, ja für das gesammte geistige
Leben übersieht und ihnen die Fähigkeit, den Büdnngstrieb zu wecken
und zu fördern, abspricht."
VIII.
Wir sind am Schlüsse unserer Betrachtungen über Jean Pauls
„Levana" angelangt. Bei der Kürze unserer Arbeit konnte es uns
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unmöglich gelingen, dieselben erschöpfend zu gestalten. Aber selbst
bei Anhäufung von viel unitassenderem Material würde es schwer
fallen, dem eigenartigen und interessanten Buche gerecht zu werden.
Die Fülle des Geistes und der sinnigen Beobachtungen, welche die
„Levana" in ihrem weiten Rahmen birgt, lässt sich nur durch lange
Beschäftigung und inniges Vertrautsein mit diesem AVerke völlig er-
gründen und dem eigenen Gedanki nkreise nutzbar machen. Ein Buch,
an dem einer nnserer fruchtbarsten und schreibgewandtesten Dichter
nach eigenem Oeständnisse 10000 Stunden arbeitete, muss der Rätlisel
Tide bieten und dem Oeiste Stoff za langdaneradtf Aibeit gebm.
Tiefgrflndig, wie Jean Pauls Erziehlebre ist, wird sie stets dem tiefer
Denkenden und Grabenden eine Quelle zaUreicher Oedankenkeime
sein, die sich im Oemttthe des emsig weiter Forsdienden nnd die
Aufgaben seiner Wissenschaft vertiefenden Erziehers zn einer FAlle
der herrlichsten Oedankenblftten entfiUten. Und doch sehen wir, wie
das schfttzbare Werk des poesiereichsten nnserer Pftdagogen immer
mehr vereinsamt und der großen Mehrheit nnserer Zeitgenossen zum
bloBen Namen herabzusinken droht Wie audkUend ist diese That-
Sache, wenn wir bei ihrer Benrtheflung an die Zustände in den Tagen
Jean Panls denken!
Damals war seine „LeTana" eines der meist gelesenen Werke
nnserer Literatur, und in höheren Ständen, wo man die Oberzahl der
übrigen Erziehungsbttcher als langweQige Leetttre aus der Familien-
bibliothek ausschloss, galt es als nothwendige Bedingung fflr jede ge-
liildote Mutter, die „Levana" gelesen zu haben. So verpflanzte dieses
Buch einen reichen Schatz pädagogischer Gedanken und Erfahrungen
in die Angehörigen jener Stände, an welchen bis dabin die Uochtlut
pädagogischer Beformbestrebungen spurlos vorübergeranscht war. Aui
diese Weise wurde unser Dichter mit seinem gehalt- und erfolgreichen
Buche ein wirksamer Seitenkämpfer und eine sehr bedeutungsvolle
Ergänzung Pestalozzi's, der zu jener Zeit im Sohweizerlande mit
begeisterter und aufopfernder Thätigkeit für Mensclienheil durch .lup-end-
bildiing wirkte. Das ist, wie gesagt, im Laufe der letzten .lahrzehnte
anders geworden. Als Familienl)uch wird die ..Levana" nur höchst
selten noch gefunden, und selbst in pädagogisclien Kreisen ist man
groL)t'ntheils mit Jean Pauls Erziehlehre ni^'ht sehr bekannt. Ja,
die Tlieilnahme für unser Buch ist nachgerade fast zum bhts histo-
rischen Interesse herabgesunken! Citirt werden die goldenen Worte
des Werkes zwar allenthalben, und einzelne seiner gehaltreichsten
Sätze wandern von Mund zu Mund. An rückhaltloser Bewunderung
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für Jean Pauls pädagogische Schi-ift hat man niemals gespart, aber
mit dem T.esen derselben ist es in unseren 'J'ügen schleclit bestellt.
Es kann uns nicht scll^ver fallen, für diesen anscheinend auftalligen
Umstand eine ausreichende Erklärung zu finden. Den Zeitgenossen
Jean Pauls war die ..LHYanii"* wie die übrigen Schritten dieses
Dichters eine LieblingslectUre; denn sie fanden in diesen Werken
Spiegelbilder ihres eigenen Denkens und Fuhlens. Ganz wie jenes
Zeitalter, in welchem unsere ,,Levana" das Licht der Welt erblickte,
dachte und fülilte ihr Autor. Sein Werk ist ein Austluss all jener
Ideen, welche .seine Zeit bewegten, abgespiegelt und moditicirt durch
die Persönlichkeit eines Dichters, der sich getragen fühlte von dem
Gedankt!!, den besten seiner Mitlebenden genug gethan zu haben.
Die Humanität, jener wunderthätige „(Tral unserer classischen Tafel-
runde" (Gottschall), der Philanthropismus mit seinem eifrigen und
nicht selten fibereilten Streben nach einer möglichst rationellen Jugend-
hildang, diese Kichtungcn gaben unserem Dichter die Leitgedanken
ZOT »Levana". Dass kam noch ein atarfc ausgeprägter Zag von
Sentimentalität als peraöalidie Zugabe ihres VeifSusm Damm kann
es nicht Wunder nehmen, wenn Jean Panls Werk eine so weitgehende
Verbreitnng nnd begeisterte Anftaahme fand. Da aber nnser Jahr-
hundert gerade mit den hervorragendsten der damaligen Streit- nnd
Zeitgedanken ziemlich zum Abschlnss gekommen ist, oder dieselben
doch wenigstens in veränderter Form vertritt, so mosste auch die
Theilnahme fftr ein Werk, das in der Art der «Levana* durch die-
selbe beeinflusst ist, allmählich erkalten. Außerdem ist nicht zu ver-
kennen, dass ffir unser Buch in jetziger Zeit Ersatz gegeben ist
durch pädagogische Werke, welche in ihrer Darstellung den Fortp
schritten und Interessen der Gegenwart in höherem Malle Rechnung
tragen. Was aber die „Levana" wirkte und pflegte zur
Blfitezeit ihres Bestandes, was sie an Theilnahme und Be-
geisterung zum Nutzen der pädagogischen Kunst und Wissen-
schaft erweckte, das kann nie entschieden genug betont
werden, und das in dieser Bichtung Erzielte bildet ein
schönes Blatt im Lorberkranze ihres Dichters. Auch heute
noch liest sein Werk, wer die mitunter schwer zu durchbrechende
HiUle nicht scheut, um ins Heiligthum einer reichen Fülle i>ädago-
gischer Gedanke n zu gelangen, mit hohem G^USS, und die Ernte an
wirksamen Antiieben und begeisternden Hinweisen auf die edlen Ziele
unserer Wissenschaft ist nicht gering. Namentlich die große Zahl
der Pädagogen im engeren Sinne sollte an dem gehaltreichen Erzeug-
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nisse ihres gioßen Mitstrebenden nicht theilnahmslos vorübergehen;
denn wie ein Feuer auf dem Berge den Wanderern im Thale die
- Pfade erhellt mä dm Weg za liOhereii Begionen ihrai Blicken ent-
hfUlt, 80 lenditea die edlea Gtedanken der «Levana'' als taghelle
G^eistesbütse in jedes Erziehers Gemfltb, es erwSrmend nnd b^eistemd
fttr das Heilige seiner Aufgabe, nnd ihm in fernem goldenen Schim-
mer zeigend das höchste Frindp seines Denkens, das Ideal seines
Berufes.
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Uber den (lebnrtsort des Comenios.
Vom Herawgeber.
ßekAnntlich hat der dreihimdertste Geburtstag des Comemus
eine grofie BereieheroDg der diesen berühmten Schulmann betreffenden
Literator mit sich gebracht. Doch sind noch keineswegs alle Einzel-
heiten seines Lebens und Wirkens vOUig gekUlrt« So wird z. B. noch
eiftig gestritten nm seinen Geburtsort.. Wenn dieser nun auch an
dem geistigen Bilde und der inneren Bedeutung des grollen Mannes
nichts ändern kann, so ist es doch stOrend und zeitraubend, in Bttchem,
Beden und Lehrvorträgen immer und immer wieder langen Untere
Buchungen und Controyersen über diesen Gegenstand zu begegnen;
noch weniger aber kann es befriedigen, liierüber nnr mit unzuver-
lässigen Notizen abgespeist zu werden. Gewiss wäre es also von Vor-
theil, warn endlich die so viel umstrittene Frage durch ein sicheres
Ergebnis zum Abschluss gebracht werden könnte. Und in der That
glaube ich, dass Uber den Geburtsort des Comenius heute kein
Zweifel mehr bestehen kann. •
Bekanntlich sind im Laufe der Zeit von verschiedenen Schrift-
stellern drei Orte als Geburtsstätten des Comenius bezeichnet worden,
die sämtlich im südöstlichen Mähren und nicht weit von einander ent-
fernt liegen: nämlich Komna (oder Komnia), Niwnitz und Ungarisch-
Brod. Für die mit den Ürtlichkeiten nicht Vertrauten sei kurz folf,'en-
des bemerkt. Die Stadt Ungarisch-Brod findet sich in jedem nicht
allzudiü'ftigen Atlas. P]twa 5 Kilometer südlich davon liegt der Markt-
flecken Niwnitz; ungefähr doppelt so weit von rnj,^arisch-Brod entfernt
liegt in der Mitte zwisclien dieser Stadt und Trciitschin an der Waag
das Dorf Komna (Kouinia), hart an der nngarischeii (kreuze. Dasselbe
wird in folgendem nicht weiter in Betracht koumieu, da gegenwärtig
Pniiagogium. U. Jahrg. Heft XII. Ö3
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feststehtt dass es nickt Hat Geburtsort des CknneniiiB, sondern nnr
der Stammort seiner Familie ist, indem entweder die Eltern des Pä-
dagogen oder schon frAhere Vorfahren desselben ans Eomnia ans*
wanderten, nm sich in Üngarisch-Brod (nicht in Niwnitz) niederzulassen.
Der Streit dreht sich also derzeit nur noch um Un^.-Brod und Niwnitz.
Da ich schon längst gewünscht hatte, die Heimat des Comenios
zu sehen, so begab ich mich im September vorigen Jahres dorthin,
begleitet von dem verdienten Vorsitzenden der Wiener Pädagogisehen
Gesellschaft, Herrn M. Zens; als freundlicher und kundiger Führer
schloss sich uns Herr Bürgerschullehrer Fr. Lang in Ung.-Brod an.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten wir natürlich u. a. den zwei
Mühlen, deren geg:enwärtif^e Besitzer nebst vielen anderen Personen
mit Entschiedenheit, man kann sagen mit Stolz und Begeisterung be-
haupten, dass daselbst Arnos Comenius das Licht der Welt erblickt
habe. Die eine dieser Mühlen liegt in Niwnitz. die andere gehört zu
Brod, liegt aber außerlialb der nocli mit l"estunj,'sin;iuein umgebenen
Stadt, in der Kichtuug nach Niwnitz. Natürlich kunnten die Argu-
mente, welche wir in diesen Mühlen hörten, uns weder für die eine
noch für die andere Tradition gewinnen, da ihnen keine urkundliche
Beweiskraft zur Seite stand. Es ist nicht einmal sicher bezeugt, dass
Comenius der Sohn eines Müllers war, wenn audi diese Überlieferung
— trotz der neuerlich gegen sie vorgebrachten Zweifel — wegen ihres
huhen Alters und ihrer Beständigkeit im Volksmunde die W^ahrschein-
lichkeit für sich hat.
Die bisherige Unsiclierheit über den Geburtsort des Comenius
beruhte in erster Liuie darauf, dass die älteste und wichtigste Urkunde
hierüber verloren gegangen ist, wie es scheint für immer: es sind
nämlich weder in Ung.-Brod noch in Niwnitz Geburtsregister aus
der hier in Betracht kommendoi 2eit erhalten; wahrscheinlich hat da,
wie in yielen anderen FftUen, der 30jährige Krieg vernichtend gewirkt
In zweiter Linie ist die Unsicherheit dalier gekommen, dass die etwas
späteren und erhaltenen Nachrichten tther die vorliegende Frage .
sich widersprechen, indem sie teils anf Niwnitz, teils auf Ung.-Brod
laaten. Daher erklärt es sich anch, weshalb noch unter den neuesten
Biographen des Ck>menius gerade diejenigen zwei, welche am gründ-
lichsten auf die Quellen eingehen, nämlich Kvacsala und Vrbka, be-
züglich des fraglichen Geburtsortes entgegengesetzter Ifeinung sind,
indem jener für Niwnitz, dieser für Ung.-Brod eintritt, obwol jeder
von beiden noch einen schwachen Zweifel gegen seine Annahme zn-
lässt. Wer hat nun Becht?
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Die Nachrichten, auf welche Kvacsala und Vrbka sich stützen,
lind auf welche wir derzeit ausschiießlich angewiesen sind, rühren
theils dii*ect von Arnos Comenius selbst her, theils von solchen Pei*sonen,
die aller \\'ahr.scheinlichkeit nach ihre Informationen eben auch von
Arnos Comeiiius — mittelbar oder unmittelbar — erhalten hatten.
Weil nun diese Nachrichten von unanfechtbarer Echtheit, keineswegs
aber so unvereinbar sind, wie es nach ihrem Wortlaute scheinen
konnte, so sind sie meines Erachtens in der vorliegenden Frage
völlig entscheidend, da man nicht bezweifeln kann, dass
Arnos Comenius selbst gewusst habe, wo er geboren war.
Die in Betracht kommenden Nachrichten nun ergeben, dass Co-
menius in seinen jüngeren Jahren immer Niwnitz als seinen Geburts-
ort bezeiclinet hat, dass jedoch später von anderen Personen und auch
einmal von ihm selbst Ung.-Brod als seine Heimat bezeichnet worden
ist. Bevor wir auf die Lösung dieses Widerspruches eingehen, wollen
wir ihn erst deutlicher darstellen.
I. Comenius nennt sich: Niwnioensis, Niwnicenns, Arnos Nivanus
Joh. Arnos e Marcomannis NiyvniceniiB, also immer so, dass er zweifel-
los Niwnitz als seinen Gebortsort beseiclmet und zwar namentlich
bet folgenden Anlässen: 1. bei seiner Inseription an der Hochadrale
in Herbom (1611), 3. bei ünterzeichnmig seiner ersten (erhaltenen)
literarischen Arbeit, eines lateinischen Gedichtes (1612), 3. bei seiner
Inseription an der ünirersitit Heidelberg (1613), 4. beim Anfcanf einer
Handschrift von Copemiciis, indem er anf dieselbe seinen Namen
setzte (1614).
IL Zn Elbing, wo sieh Comenins bekanntUcfa 1642—1648 aofhielt,
wurde er in den BathsprotokoUen »Johannes Amos Comenins Hnnno-
brodensis^ genannt*), ebenso nannte er sich selbet in einer in der
Schule za Saros-Fatak yon ihm gehaltenen Bede (1660), endlich be-
findet sich im British Mnsenm za London ein Mannscript, welches den
Text zn einer Grabschrift fttr Comenins enthält» in der n. a. folgende
Stelle vorkommt: Natns die 28 Ifartii MDXCH Hnnnobrodae.
Nnn halte ich die erste Gruppe von Zeugnissen ttber den Ge-
burtsort des Comenius für unbedingt entscheidend und alle an ihnen
yersuchten Deutungen für ganz willkürlich und belanglos. Was die
zweite Gruppe derselben betrifft, so können sie nur daraus erklärt
werden, dass Comenius die seinem Geburtsort benachbarte Stadt
deshalb als seine Heimat bezeichnete, weil in der Feme vOn dem
*) Siehe Monatshefte der Comeiiiii»^(e8eU8chaffc 1. Jhig. S. 66.
58» ^
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kleinen Niwnitz niemand etwas wusste, während Un^.-Brod immerhin
eine nicht unbedeutende Stadt war und in jener Zeit, sowie schon
früher, als Festung eine Rolle in der Kriegsgeschichte spielte und oft
genannt wurde. Auch war ja diese Stadt der Wohnort seiner Eltern
und sein eigener in seinen 12 ersten Lebensjahren, nur eben nicht
sein (Teburtsort. In Herborn und Heidelberg durfte sich Comenius
mit dieser ungefähren, weniger genauen Bezeichnung seines Ge-
burtsortes nicht begnügen, weil dies in allen officiellen Verhältnissen,
besonders auch bei Aufnahme in Schulen, nicht statthaft ist; denn
in solchen Fällen ist volle Genauigkeit Voi*schrift und allgemeiner
Usus. Auch kann man sich gar keinen Grund denken, weshalb Co-
menius einen unbedeutenden Flecken als seinen Geburtsort bezeichnet
haben sollte , wenn er in dt r benachbai'ten ansehnlichen Stadt zui*
Welt gekommen wäre. Gerade das Rangverhältnis zwischen Niwnitz
und Ung.-ßrod ist insofern von erheblichem Belang, als man dem
Comeoins ein widersinniges Vorgehen zuscbrefben müsstei wenn er statt
Honnobrodengis „Niwnicenns** geschrieben hfttte, wilirend es nicht
yerwondem kann, wenn er gelegentlich statt Niwnieeiiais „Hnnno-
brodeosis'' sagte, was dann auch von sefaien Zeitgenossen (in England,
Schweden, Elbing, Amsterdam o« s. w.) angenommen wnrde. Nun stoßt
man sich aber besonders an der erwähnten Grabschrifit*) nnd swar
hauptsächlich deshalb, weQ man als ihren VerfSuser des Comeoins leib*
liehen Sohn Daniel ansieht, der doch wol das Bichtlg« gewosst haben
mOsse. Diese Antorschaft ist nun zwar nicht sicher erwiesen, wie
man anch nicht weiß, ob die besagte Inschrift wirklich auf des Co-
menius Grab gesetzt worden ist Geben wir aber beide UmstSnde
bereitwillig zn, was folgt dann? Etwa, dass Comenius wirklich in
l7ng.-Biod geboren wftre? Mit nickten, sondern höchstens, dass dies
der Yerfasser der Grabscfarift geglaubt hat. War dieser YeriSuser
des Comenius Sohn Daniel, der seüien Vater in der That Überlebte»
so stand er eben unter der nfimlichen Überlieferung, wie andere Leute,
da Comenius in seinen sp&teren Jahren und in der Fremde jedenfiiUs
die Gewohnlieit angenommen hatte, als seine Heimat kurzweg Ung.-
Brod zu bezeichnen, um weitläufigen Angaben überhoben zn sein.
Dass aber auch sein Sohn Daniel das Genauere nicht wusste, kann
«leshalb nicht sehr auffallen, weil dieser fem von Comenius' Heimat
(n&mlich in Elbing) geboren war und diese nie gesehen hat
Nun legt Vrbka (auf Grund archivalischer Forschungen von Kuöera)
*) Sellwt Kvacsala ist lon ihr in Verlegenheit geietat.
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besonderes Gewicht darauf, dass die Eltern des Cbmenius bis zu ihrem
Tode (1604) wirklich in Ung.-Brod ansässig waren und nirgends er-
sichtlich ist, dass sie diesen Wohnort einmal mit einem anderen, etwa
mit Niwnitz vertauscht hätten. Aber können sie uicht vorüber-
gehend, auf kurze Zeit im nahen Niwnitz gewesen sein? Jedenfalls
hat sich wenigstens die Mutter des Comenius am 28. März 1592
daselbst befunden, sei es in der von der Volkssage bezeichneten Mühle
oder in einem anderen Hanse, sei es zum Besuche bei Vei wandten
oder aus einem andeni, vielleicht dringlichen Anlass. Denn dass Arnos
€omenius an jenem Tage in Niwnitz geboren wurde, rauss als der
einzige Grund angesehen werden, weshalb dieser Ort überhaupt in
der Lebensgeschiclite des großen Pädagogen Erwähnung und Bedeutung
erlangt hat, weil ein anderer (-irund liierfür nicht besteht. Gönnen
wir dem Orte also ohne weitere Anfechtung seinen in der That wol-
begründeten Ruhm, zumal der unansehnliche Markt sonst nichts auf-
zuweisen hat, was seinem Namen eine historische Bedeutung sichern
könnte. Ung.-Brod aber möge sich damit begnügen, dass es die Eltern
des Comenius und auch diesen selbst zwölf Jahre lang Ijeherbergt, ihm
auch den ersten Sehulunterricht geboten hat. Bei alledem ist übrigens
nicht ansgeeddoflsen, dass der Täter des Gomenins, obwol er in der
Stadt selbst ein Hans besaß, auch Eigenthttmer der oben erwShnten
Mflhie außerhalb der Stadtmauern gewesen sein kann.
Und liegt denn in der Thatsache, dass Ckimenins nicht im Wohn-
ort seiner Eltern, sondern eben in Niwnits geboren wnrde, etwas
80 gar Seltsames, das man schwer glauben konnte? Keineswegs; ähn-
liche Fälle kommen Öfters vor, nnd es smd deren auch allgemein be-
kannt. Ich erwfthne namentlich zwei, an die man gerade bei Comeniu
sich leicht erinnert Die Eltern Jesn wohnten in Nazareth nnd doch
Wörde er selbst in Bethlehem geboren; nnd obwol Bethlehem sein
Geimrtsort war, hieß er dennoch Jesus „yon Nazareth** („Nazarenns").
Wamm konnte also Comenios, obwol Niwnitz sein Geburtsort ist» nicht
Hunnobrodensis heißen? — Martin Lnther ferner, obwol seine Eltern
in Mansfeld wohnten, wurde doch in Eisleben geboren. Und wenn
er auswärts, etwa in Magdeburg, Ei^ftirt oder sonstwo yon anderen
oder von sich selbst ein ^^Mansfelder** genannt worden wäre — was
ich weder behaupten noch bestreiten kann — so wttrde trotzdem sein
Geburtsort Eisleben bleiben. — Der oben erwähnten Grabschrift
zuliebe möge nnn noch ein interessantes Analogen angefilhrt sein. 1 )er
berühmte Dichter Yergilius war, als Sohn eines Bauern, zu Andes
in der Gegend von Mantua geboren. Im Alter Ton 12 Jahren ver-
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ließ er die Heimat, um die Schule von Cremona zu besuchen; von da
ging er, um sich weiter auszubilden, nach Mailand, dann nach Rom.
Als er ein berühmter Mann geworden wai-, nannte man ihn den ,.Man-
tuaner", und wahrscheinlich nannte er sich selbst so; denn seine Grab-
schrift, die von ihm selbst dictirt sein soll, jedenfalls von sicherer
Hand stammt, beginnt mit den Worten: ,.Mantua me genuit". Warum
stiißt man sich also an dem „Natus Hunnobrodae"? — So gewiss Jesus
in Bethlehem, Luther in Eisleben, Vergil in Andes geboren war: eben
so gewiss war meines Erachtens der berühmte Pädagog, welcher in
seinem späteren Leben den Zunamen Hunnobrodensis führte, in
Niwnitz geboren.
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Die Bezirkssehnlinspection.
Eine ungelöste Frage des österreichischen Volks^rbulweieBt.
Buprochen von Wilh, XUäcliek-Vöäau.
ßakanntlich sind die BezirksBcbnlinspectorak in Östendcli seit
dem Bestände des BeicbsTolksschnlgesetzes proTisoiische Schnllieamte
gewesen. Sie wurden ans dem Stande der Volks- und BOrgersehnl-
lebier oder jenem der Mittelschnlprofessoren anf Y orschlsg des BezirloB-
sdudrathes vom Unterriehtsmimster für die Dauer einiger Jabre er-
nannt, nach deren Ablauf ein nenerlieher Vorschlag erstattet werden
mnsste.
Dieser Znstand danerto bis 1892, wo insofern eine Änderung des-
selben eintrat, sls mittelst Beichsratfasbeschlnss das DefinitiYum der
Beziriuschnlinspectoren tta Galizien zum Gesetz erhoben wnrde, wSh-
rend fttr die flbrigen cisleithanischen Länder das Proyisorinm YerbUeK
Dieses Provisonum nun bHdet seit vielen Jahren den Gegenstand
der ErOrtemng in der Fachpresse. Es stehen sich nämlich zwei An-
sichten gegenüber; die eine hält das Provisorium, die andere das De-
finitivum der Inspectoren für das bessere.
Als im Jahre 188ii der Herr Unterrichtsminister dem Hermhause
einen Gesetzentwarf vorlegte, in den auch die fixe Anstellung der
Bezirksschulinspectoren mit einbezogen war, bat dieser Antrag der
obersten Schulverwaltung die Zustimmung der gi-oßen Mehrheit der
Lehrerschaft erfahren; denn die Gründe für die Stabilität der Bezirks-
schulinspectoren gegenüber ihrem Provisorium sind so in die Augen
springend, dass es nur wunder nehmen miiss, wie die Lehrerschaft
nicht schon eindringlicher und in Form größerer Kundgebungen für
das Definitivum der Inspectoren eingetreten ist. Wie die Sachen
liegen, bedeutet der Schritt vom Provisorium zum Definitivum dieser
Schulaufsichtsorgane durchaus keine einsdineidende Umwälzung be-
stehender Verhältnisse; denn gewählt wurde bis jetzt noch kein
Inspector; es gibt keine Schulbehörde in Osterreich, die das Recht
hätte, den Inspector zu wählen. Der Bezirksschulrath schlägt ihn
blos vor (aber nicht in jedem Falle); eiiiannt wird dei' geuauute
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Functionär immer vom Minister, der an den Vorschlag des Bezirks-
schiiliatlies selbstverständlich .nicht gebunden ist. Also von einer
Wahl des Inspectors kann keine Rede sein; bleibt nur das Proviso-
rium desselben, das etwa vertheidigt werden könnte, übrig. Mit wel-
chen Gründen will man dies aber vertheidigen? Dass er nach drei
Jahren, sulern ihm das Amt nicht zusagt, wieder in seine frühere
Stellung zurückkehi-en kann, ist richtig, aber als Grund für das
Provisorium gewiss nicht ausschlaggebend; denn, Hand aufs Herz —
wie viel tausend Mensehen gibt es, die neben den Freuden des Be-
rufes nicht auch seine Leiden tiefer empfänden, als sie es voraus-
gesehen? Und wer sagt uns, ob nicht in vielen Fällen gerade das
Provisorium daran schuld ist, wenn hie und da ein Inspector sein
Amt zurücklegt? Hat die Übernahme eines Amtes ^auf Zeit" denn
gar so ^"iel Verlockendes au sich? Übrigens beweisen ja die That-
sachen, dass es bei der Anstellung der luspectoren irgend ein Häk-
chen geben muss! Dafür spricht der stai'ke Wechsel dieser Beamten.
Es gibt Schulbezirke, die seit dem Inslebentreten des neuen Sebnl-
gesetases fünf und noch mehr Inspectoren absorbirten. Ditter immer-
währende Wechsel ist aber weder ein Yorthdl ftlr die Schalen, noch
einQ Annehmlichkeit fttr die Lehrerschaft Nebst der fochmännischen
Befähigung, die der Inspector mit ins Amt bringen mnss, ist es die
genaue Bekanntschaft mit den Scholen des Bezirkes nnd die nach-
haltige, gute Einwirkong auf sdiwächere Lehrkräfte, wovon sich
dne ersprieBliche Wirksamkeit des Inspectors erwarten lässt Nun
liegt es doch klar auf der Hand, dass sich eine genaue Kenntnis der
Schnlzustände und der Lehreradiaft eines Schulbeziikes, sowie eine
gewisse, Ton jedem Amte geforderte Boutine nur erwarten lässt, wenn
man sich in seinen Wirknngflkreis eingelebt hat, d. h. wenn man
immer dabei ist Sobald aber ein Inspector dem anderen rasch im
Amte folgt, so mnss selbstrerständlich jeder die ganze Scak der Er-
fahi-ungen immer wieder ron vom an&ngen. Das schafft nun fttr die
Lehrer keine begelu enswerte Lage; denn jeder neue Bispector bnngt
auch seine eigenthümlichen Ansichten und Ansprüche mit ins Amt;
dieselben müssen nicht unrichtig, bezw. überspannt sein; es genügt,
dass sie in vielfacher Beziehung andere sind als jene seines Vor*
gängers. Die Lehrer müssen Mher geltende Gesichtspunkte teilen
lassen und sich den neueren anbequemen — nnd dies kann unter,
Umständen so oft c^pschehen, dass die Lehrerschaft dieser Unbeständig-
keit gegenüber fürnilich in Gleichgiltigkeit verfällt, nicht im Berufs-
eifer, sondern in Berücksichtigung des obigen Umstandes.
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— 77S —
Dies tritt am auffälligsten zu Beginn der Amtswirksamkeit eines
neuen Inspectors zutage, indem er, von lobonswertem Eifer getrieben,
etwas Tüchtiges zu leisten, sich zu der regsten Thätigkeit angesjxirnt
füldt. Erst nach und nacli, sowie er sich in sein Amt melir einlebt,
einen t'berblick von größerer Sicherheit und damit einen Regulator
seiner Anforderungen gewinnt, schlägt er ein ruhigeres Tempo ein,
die Hauptsache fest im Auge behaltend, ohne der Nebenumstände zu
vergessen. Das ist durchaus keine tadelnswerte, vielmehr eine gute
Seite der menschlichen Natur, beziehungsweise eines pflichttreuen, iu
seinem Berufe aufgehenden Charakters.
Daher empfehlen wir definitiv angestellte Bezirksschulinspectoren;
Männer, die nicht nach Verlauf einiger Jahre vom Schauplatze ihrer
Wirksamkeit abtreten müssen. Allein auch der freiwillige Rücktritt
in den Kreis der Lehrerschaft, der man einmal vorgesetzt war, dürfte
eher unangenehme Gefühle als andere zu erwecken geeignet sein —
denn jedem recht thun, d. h. allen Wünschen entsprechen, ist un-
möglich!
Die Verfechter des Provisoriums beförchten von definitiven Be-
zirksschulinspectoren als Regierungsbeamten eine Änderung des
Verhältnisses zur Lehrerschaft; ja sie verlangen sogar, der Inspector
möge im praktischen Schuldienste verbleiben, um die Fühlung
mit der Schule nicht zu verlieren. Wir fragen dagegen: Ist der In-
spector gegenwärtig nicht schon ein provisorischer Kegierungsbeamter?
Was ist er denn sonst?
Noch weniger kGonen wir einsehen, warum sich Min Verhältnis
zur Lehrerschaft dann, wenn er aJs Begierungsbeamter eine definitive
Stellung erlangt, im schlimmen Sinne ändern sollte. Ein Mann, der
seiner Lehrerschaft anders als mit Gerechtigkeit und Wolwollen ent-
gegenzukommen imstande ist, wäre wol — ob definitiv oder provi-
sorisch — nicht auf seinem Platze. Übrigens geht die S:\ge, dass es
auch schon provisorische Inspectoren gegeben haben soll, tue des con-
cilianten Tones im Verkehre mit den Tjehiern vergaßen und das har-
monische Zusammenwirken mit denselben unterließen.
Und im praktischen Schuldienst verbleiben! Ein idealer Stand-
punkt, aber nicht durchführbar! „Woher nähme der vielbeschAftigte,
vielschreibende Inspector die Zeit, eine Schülerabtheilung zu unter-
richten? Er findet kaum Zeit genug, sich seinem eigentlichen Amte,
der Inspection, in dem Maße sn widmen, um im Laufe eines Jahres
sämmtliche Schulen seines Beziilces zn besochen." Die Schalbezirke
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— 774 —
sind viel zu groß, als daß sie nickt die ganze Kraft eines Mannes
in Anspruch nehmen sollten. —
Haben wir im Voranstehenden unsern Standpunkt zur Inspectoren-
frage in der Hauptsache präcisii't, so wollen wir nun zwei gfewichtigen
Stimmen das Wort ertheilen, die bei Gelegenheit des diesjährigen
deutsch-österreichischen Lehrertages in Liuz ihre Ansichten einander
entgegenstellten ; es sind dies: der Ausschuss des deutsch-österreichi-
schen Lehrerbundes, und der deutsche Landeslehrerverein in Böhmen.
Der erstere stellte folgende Leitsätze auf:
1. Durch definitive Anstellang und Einreihung in die Kategorie
dar Staatsbeamten steigt das Ansehen des Inspectors bei der Beyölke-
mng and eriiläit sidi damit sein EinioflS.
2. Eine deflnitire Anstellong enfhebt den Inspector der. Besorgnis,
sein Amt zu Terlieren nnd gibt ibm daher eine gewisse Bewegungs-
freiheit;
aber auf das Inspectoramt allein angewiesen nnd der Bttckzngs-
linie zum Lehramte yerlnstig, TerfiUlt er in bedeokliehem Grade der
Beamtendisdplin.
3. Die definitive Anstellung macht das Inspectoramt zum Lebens-
bemf nnd ermöglicht die Sammlung der ganzen Kraft für dasselbe;
aber das Bewnsstsein, im Ihspectoramte den Lebensbemf gefimden
zu haben, birgt die Ge&hr einer Abkehr von der lebendigen Gemein-
schaft mit den Lehrern in sich und fllhrt leicht zu ehier Yerkennung
nnd Missachtnng der Interessengemeinschaft beider Theüe.
4. Das DefinitiTum mehrt die zu einer ersprießlichen Amtsführung
nOthige ErlUimng, Personenkenntnis nnd Kenntnis specieller Ver-
h<nisse;
aber der provisorische Inspector, der bei tüchtiger Amtsffihnmg
in der Regel wieder ernannt wird, ist gleicherweise in der Lage, sich
die erwähnten Erfahningen nnd Kenntnisse zu sammeln.
5. Da^ Definitivum scliließt die Gefahr geistiger Erst&rrang, des
Verfalles an das Schablonenthum, der Verbureaukratisirung in sich.
6. Eine definitive Anstellung stabilisirt ungeeignete Kräfte.
7. Der definitive Inspector, der nicht mehr als College in den
Kreis der Lehi'er zurückkehren wird, stellt in Gefahr, den concilianten
Ton im Verkelire mit den Lehrern zu verlieren und das harmonische
Zusammenwirken mit ihnen zum Schaden der Schule zu unterlassen.
8. ]m Provisorium liegt, eine gerechte Beurtheilung des Wirkens
vorausgesetzt, ein Ansporn zur treuesten Amtsführung, da nur so eine
Wiedereinennung zu erreichen ist.
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— 775 —
Der Aiisschuss des deutsch-böhraischen Lehrerveieins, der sohon
vor zwei Jahren eine Petition an das Unterrichtsministerium für das
Definitivum der Inspectoreu gerichtet hatte, vertrat seine Ansichten
in folgenden Leitsätzen:
1. Durch definitive Anstellung und Einreihung in die Kategorie
der Staatsbeamten steigt das Ansehen des Inspectors bei der Bevöl-
kerung, und es erhöht sich damit sein Einfluss.
Es ist der Würde und dem Ansehen der staatlichen Schulinspecto-
ren in hohem Grade abträglich, dass der provisorische Bezirks-
schulinspector aus den Kreisen der Volks- und Bürgerschullehrer nicht
vom Staate besoldet wird, sondern nach wie vor seine Bezüge als
Lehrer aus den Mitteln der Gemeinde, des Scliulbezirkes und des
Landes erhalten muss, sowie auch der labile Zustand seiner Stellung
nicht geeignet ist, zur Erhöhung seines Ansehens beizutragen.
2. Eine definitive Anstellung enthebt den Inspector der Besorg-
nis, sein Amt zu verlieren, verleiht ihm daher eine gewisse Bewegungs-
fineiheit, erhöht sehie BeroMreodigkeit, nnd das Bewusstsein von der
Sidierheit seiner Stellung wirkt ISrderiid auf seine Chanktetfestig-
keh ein.
Der proTisorische Inspeetor hat bestlndig mit der Enthebung
za rechnen, die anch ans Gründen erfolgen kann, die mit seiner Amts-
fthmng nicht in Yerbindong an bringen aind, ja sogar schon dann in
drohende Erscheinmig tritt, wenn die Mittel dee Normalschnlfonds f&r
die Dotinmg der Personalnnterldirer^teUe nicht mehr ansreicfaen.
8. Die definitiTe Anstellnng macht das Inspectoramt snm Lebena-
bemf nnd ermöglicht die ftunmlmg der ganzen Kraft für dasselbe.
Das ProTisorinm Tsrldht dem SchnUnapectorate den Charakter
einee Nebenbemfes, denn nnr der eigentliche Beruf als Lehrer bleibt
dem Beairksschnlinspector gesichert Überdies wird der Lehrer an
Volks- nnd Bflrgen^nlen durch die Annahme eines provisorischen
Inspectorpostens in seinem berechtigten Streben nach EIrreichnng einer
leitenden Stellung gehemmt, nnd endlich wirft jede ans was immer
fttr einem Grunde erfolgte Enthebung einen düstem Schatten auf sein
ferneres Wirken, da die große Menge eine Einsicht in den eigent-
lichen Sachverhalt nicht haben kann.
4. Das Definitivum mehrt infolge der Stabilität der Stellung
die zu einer ei-sprießlichen Amtsführung nüthigc Erfahrung, Personen*
kenntnis und Kenntnis besonderer localer Verhältnisse.
Das Provisorium schafit nicht nur exemte Schulen als Hinder-
nis fttr die gleichförmige pädsgogische rühmng innerhalb desselben
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Schulbezirkes, sondern die nur auf eine beschi-änkte Anzahl von Jahren
in Aussicht genommene Verwendung von provisonschen Bezirkss( liul-
inspectoren bringt die Schule und die Lehrer beständig in die Gefalir
des verderblichen Wechsels in den leitenden Grundsätzen hinsichtlich
der pädagogischeu und administrativen Führung.
5. Das Definitivum bewahrt den Bezirksschulinspector infolge
seiner gesicherten Stellung vor einem allzu großen Nachgeben in
Sachen der bureaukratischen Verwaltung und des Schablonenthums.
6. Das Definitivum des Schulinspectorats sichert infolge der
freien Concurrenz die Auswahl der geeignetsten Bewerber.
Das Provisorium bietet nicht den Weg der freien Concurrenz,
sondern ist derzeit nur auf dem Wege der Bernfung erreichbar, sodass
Mifisgriffe viel leichter ermöglicht sind.
7. Das DefinitiTum wird im Gefolge haben, dass das Straboi
der Lebreraehaft nach der Eiiuetzung von Bezirkaaehiiliiiapectoreii
ans den Kreisen der Volke* und Bilrgensehnllehrer yerwirklicht wird.
Solange das Proyisorinm besteht, ist an eine Erftillnng dieser
berechtigten Fcnrdening nicht zn denken.
8. Durch das Deftnitivnm werden viele Stellen an Volks- nnd
Bfirgerschnlen für Torwflrts strebende Berofi^genossen frei, zadem stellt
das DefimtiTom auch die Eneichimg einer weiteren Stnfe auf der be-
ruflichen Laufbahn des Lebrers in Aussicht
Das Provisorium bietet dem betreffenden Inspector aus dem
Kreise der Volks- und Bflrgerschullehrer bei der kaigen Bemessung
des Beisekosten- und Diätenpansefaales und bei dem Wogüidl des
Natuialinartiiffes» besiehungsweise der Quartiergeldentschlldigung nicht
nur keine Vermdirung des Einkommens, sondem hat eine solch un-
gleiche materielle Stellung der Inspectoren hinsichtlich der Oebalte-
bezttge im Oefolge, wie sie in kemer anderen Beamtenkategorie vor-
kommt
9. Durch das Definitiv um entfallen die Supplirungen des In-
speetors an der Schule, der er als Lehrperson angehört
Durch die für die Dauer der Function als provisorischer
Bezirksschulinspector bedingte Beurlaubung einer tüchtigen Lehr-
person vom Lehramte werden sowol der Unterricht, als auch die
Disciplin an der betreffenden Schule geschädigt, da die Supplirung
insbesondere an Volks- und Bürgerschulen von jungen, unerfahrenen,
oft vorläufig nicht entsprechend lehrbefähigten Personalunterlehrern
besorgt wird.
Dies die gegneiischen Ansichten. Welcher von den beiden Theilen
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hat um Recht? Da sie in einigen Punkten vollkommen übereinstimmen,
während sie in anderen gänzlich auseinandergehen wie Nacht und Tag:
80 empfiingt man den Eindruck, dass die Inspectoreiifrage entweder
an und tür sich noch nicht spruchreif ist, oder aber dass beide Theile
ihre Thesen auf Grund ganz entgegengesetzter Erfahrungen aufgestellt
haben.
Wir stehen ganz entschieden auf Seite des Deutschen Lehrer-
vereins in Böhmen. Wir haben dessen .Standi)unkt schon früher ein-
genommen und sind durch seine Thesen darin nur bestärkt worden.
Dieselben erscheinen uns in allen Theilen beweiskräftiger und über-
zeugender als jene des Bundesausschusses. Denn wenn die definitive
Anstellung das Ansehen des Inspectors hebt und ihm eine gi'ößere
Bewegungsfreiheit gibt; wenn sie ihm die Sammlung der ganzen
Kraft für sein Amt ermügliclit und seine Erfahrung, Personenkenntnis
und Kenntnis specieller Verhältnisse mehrt, was doch von beiden
Theilen zugegeben wird: so dürften schon diese Umstände schwer-
wiegend genug sein, um die Wagschale fttr das Definitivum zam SinkeD
zu bringen. Aber aach die vom Band^aosschnss gänzlich bestrittenen •
oder gar nicht erwähnten Thesen des deutschen Lehrervereins in
Bjflunai enthalten ganz jmtreflfende Argumente; denn es ist nnbestreit*
bar, dass der definitive Inspector mehr Aussieht hätte, durch Bei-
stellung ehies Hilfebeamten vom Bnreaudienst entiastet zu werden;
dass bei freier Concurrenz die Auswahl der geeignetsten Bewerber
viel leichter wäre, und dass endlich der Stand der Volks- und Bfirger-
schnllehrer eher ein. Inspectorat erreichen kdnnte als dermalen.
AUes in allem betrachtet, stehen die VortheUe auf Seite des De-
finitivums der Ihspectoren und wird trotz des Beschlusses des dies-
jährigen Lehrertages, demzufolge sich derselbe nach einem von Jessen
erstatteten Beferate für das Provisorium entschied, dennoch Ton einer
Mehrheit der Lehrerschaft angestrebt werden, bis das Ziel erreicht
sein wird. Es hängt ttbrigens diese Frage ziemlich eng mit der Idee
der Staatsschnle zusammen. Sollte daher die Stfindigkeit der Bezii'ks-
schulinspectoren zum Gesetze erhoben werden, so würde dies einen
weiteren Schritt zur Verstaatlichung der Volksschule bedeuten.
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Hygiene nnd Erziehung.
Ihre Anwendung zur wirksamen Bekämpfnng des Idiotismas.
Von Eector O. Hintz-Berlin.
er Idiotismus ist eine Abnonnitftt des menschliclien Geistes, die ent-
weder Ton Gebiirl an besteht oder als Folge eines abgelaufenen Krankheits-
processes angesolioji wordon mnss. Er ist eine GeistessoliNvIicho und nicht zu
verwechseln mit Geisteskiankheit. dem Irrsinn. Dieser ist unter Umständen
heilbar, während Geistesschwäche niemals vollständig beseitigt, sondern nur
durch ein heilpftdagogisefaes VeilUireB gemildert werden kann; denn nnr die
vorhandenen geringen Geisteskräfte kihinen bis zu einem w issen Grade ent-
wickelt und auserebildet werden. Diese Entwickelung wird weder normal sein,
noch kann sie ganz zur Nurnialitüt führen. Oft ist eine gei.stie:e Ausbildung
auch ganz unmöglich, wie ja auch manche Geisteskrankheit unheilbar ist.
Die diesen Estegorieen angehSrenden Unglttekliehen stehen demnach auf
gleicher Stufe» wenn aneh die Ursachen der abnormen GeisteszostKade ver-
schiedener Art sind.
Während der Irrsinnige bisweilen dem Geistesschwachen proironüber inso-
fern im Vortheil ist, als tlir ihn die HoiVnung einer vollständigen Genesung
besteht, ist man betreflii der Bekftmpfong des Lminns in seiner Entstehnng
gann nnd gar machtlos. Wer kennt nnd erkennt im voraus alle Übelsthide
im Leben des Einzelnen, welche die Zerrüttung des menschlichen Geistes ver-
anlassen, und wie sollte man sie alle beseitigen? Unsere Lebensgewohnheiten
sind derartige, dass sie sehr hiliiHg den geistigen Ruin herbeizuführen ver-
mögen, wenn der einzelne Mensch nicht selbst mit seiner ganzen sittlichen
Kraft dagegen snkftmpft. Die Gesellschaft kann in solchem Falle nicht hel-
fend eintreten; sie wird nnr dra für sie unbrauchbar, vielleicht s i^^ar gefähr-
lich gewordenen Unglücklichen ans ihrer Mitte entfernen und einer Anstalt
zu etwaiger Heilung übergeben. Damit glaubt sie ihre Aufgabe erfüllt zu
haben. Anders verhält es sich mit dem Idiotismus. Dieser lässt sich erfolg-
reich bekämpfen nnd wird aneh vielfech mit Erfolg bekämpft. NatnrgemSt
mnss sich die Zahl der Idioten verringern, während — seltsame Einrichtung
menschlichen Geschickes! — die Zahl der Irrsinnigen sich stetig vermehrt.
So bedaur-rlich die letztere Thatsache ist, so erfn ulieh ist die erstere. Jene
lässt sich leider — wenigstens unter den bestehenden Verhältnissen — nicht
aas der Welt schaffen; nmsomehr sollten wir Soige tragen, den Idfiottsmus
mit allen uns zur VerfBgung stehenden Mitteln ansngreifen und zu beseitigen.
Dass das mSglioh ist, hat die Erfehrung gelehrt und ist sogar statistisch fest-
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gestellt worden, und die Erfolge würden noch weit größer sein, wenn man der
Hygiene im socialen Leben einen größeren Einfloss als bisher auszuüben ge-
statten wollte.
Noeh ist das, was für die Bdtimpfting des Idiotismus gescfadiesi ist,
taterst gering, daher die Zslil der Idioten nnd Kretinen ungemein groß. Für
Deutschland lässt sich diese nnr ntiffenau feststellen, weil bisher keine specielle
Statistik darüber geführt worden ist. Wol haben die allgemeinen Volks-
zählungen annäherungsweise eine Schätzung ermöglicht, Aach lässt sich nach
der antlieiieD Statistik über „das gesanunte VoUcsseliiilweseii im prenJUseheik
Staate im Jalire 1866** nngeftiir die ZaU der in preußischen EndeliuigB-
anstalten untergebrachten Schwachsinnigen bestimmen; doch kann uns das nur
einen geringen Anhalt für die richtige Feststellung der Zahl geben. !M. .Taoger,
Pfarrer und Districtsschulinspector in Kirchmohr (Rheinpfalz) ist der Ansicht,
dasa in Deutschland nach ungefährer Schätzung etwa 40000 Idioten und
Sdiwaelisinnige Torhaaden seien*). Madi Dr. 6. May?**) kommen auf 10000
Einwohner in Preußen ungefähr 14, in Bayern \b, in Württemberg 15, in
Sachsen 14, in Hessen 10, in Sachsen-Weimar 23, in Braunschweig 12, in
Sachsen-Meiningen 22, in Sachsen- Altenburg 25 u. s. w. Blöd- und Schwach-
sinnige. Im ganzen ergibt die ZusammensteUung 54519 Idioten, wobei jedoch
MeekIenbarg''Seliwwin, Mecklenbnrg>^treHtB, Sehanm1nirg«-Lippe nnd B^mbni^
nidlt in Betracht gezogen worden sind. Nehmen wir als Durchschnittszahl 15
an, so dürften in Deutschland auf Grund jener Erhebungen cirka (»OOOO Idi-
oten leben. Diese Sanitäts-Statistik mag keinen Aiispnich auf K*'nuue l\ichtig-
keit haben, moss aber wol der Wirklichkeit nahe kummeu, weil die statistischen
Beriehte aus anderen Staaten zn ähnlichen Ergebnissen gefBhrt haben. Beeh-
net man alle Geistesschwachen leichteren Grades hinzu , dann stellt sieh neeh
ein weit ungünstigeres Resultat heraus. Nach G. Kielhoni***) kommt auf je
1000 Einwohner ein schwachbefähigtes Kind, m dass Deutschland hiernach
ungefiihr 450U0 geistesschwache Kinder besitzen muss; die Zahl aller Geistes»
schwachen dflrfte sldi hiemadh anf nngeffthr 100000 besilfem. Nach
Dr. 0. Mayr reehnet msii ftr die Sehweis anf 10000 Ehiwohner 29 Idioten
und Irrsitinige. Sie hat nämlich nach der in seinem vorhin angeführten
Werke enthaltenen Zusainmenstellung 7764 Idioten und Irrsinnige. Wenn
man die letzteren in Abzug bringt, so dürfte das Ergebnis den Mittheilnngen
entsprechen, die der Präsident der ersten Schweizerischen Conferenz fiir das
Idiotenwesen, A. Bitter, Pfturer in Nenmttnster, bei der Er5i&inng der Ver»
sammlunir am 3. Juni 1889 in Zürich machtet). Hiernach beläuft sich die
Zahl dei' Idioten in der Schweiz auf .5150; dabei sind die Schwachbefähigten
nicht mitgerechnet werden. Neuere Zählungen haben, wie er erwiihnt, sogai*
ergeben, dass auf 2UU normal veranlagte Kinder ein blöd -oder schwachäinniges
*) Idioti.^iniis uud Schwaclisiiiu. Ein Wort au f n iatliche, Lehrer und Eltern
von 31. .Jaegcr, s. Zeitschrüt iür die Behandlung ^Schwachsinniger und Epileptiicher,
Vn. (XI.) Jahrg. Nr. 1 «. 2, 8. 11 ff.
**) Dr. (t. Mayi', I^ii- Vrrltri'it iiiic: dor Blindheit, der Taub>(iinmihcit. dos Blöd-
sinns, des Irrsiniiä, herausgegeben vom Küoigl. Bavr. statistiächeu Bureau, XXXV. Heft,
Httnchen 1877.
***) Predagogiuni, 8. .Tahi!:?.. 0. Heft,
t) Zeitschrift für die Bchandiuns Schwachsinniger und Epileptischer, Y. (IX.)
Jahigaag, Nr. 2. In Gommission bei waniats & Lcutmianu au Dresden.
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oder 2 — 4 schwachbefkbigte Kinder kommen, so dass die Berechnungen Dr. Birchers,
welcher auf Grund der Becrntenprüfungen za dem Besoltat gelangte, daiis in
der Sdiweis nngefthr 30000 Idioten im weiterai Sinne des Wortes leben, an
Wahrscheinlichkeit gewinnen. Betreffs der Begabung Londoner SchoHunder
haben, wie die Zeitschrift für Schulgesundheitspflege angibt, genaue Unter-
suchungen zu dem Ergebnis geführt, dass etwa 1" „ der 8cbnlbevülkernnjtj. d.h.
circa 6500 Kinder der ütientlichen Schulen Londons zu den geistig schwach
Teranlagten Schfllem gezahlt werden mÜMen*).
Diese nackten Zahlen haben nns einen Blick in die Tiefen des menseh-
lichen Elends thun lassen nnd veranlassen uns zu der Frage, welche hygie-
nischen Maßregeln zur Bekämpfung der Idiotie getroften werden könnten. Ob-
wol hier ausschließlich die Verhältnisse einer Großstadt ins Auge gefasst
weiden sollen, lassen sich daraos doch leleht etwaige aadera Malnahmen fdr
jeden beliebigen Ort herleiten.
Betreffs der Wohnnngs Verhältnis se ist in den letzten zwanzig Jaliren
viel Gutes geschaffen worden; trotzdem bleibt noch viel zu leisten übrig-. Ob-
wol in jeder Großstadt alljiihrlich herrliche Trachtbauten erstehen, gibt i s in
den sogenannten „Miethskasernen^ doch noch viele Wohnungen, deren Be-
wohner an Baun, Lieht nnd Lnft groflen ICangel leiden. Ein einsiges Wohn-
zimmer, durch Ereidestriche auf dem Fußboden in verschiedene Abtheilungen
getheilt, behcrbcitrt oft mehrere Familien mit großer Kinderachar. Die Mög-
lichkeit freier Bewegung iu einem solchen Räume ist den armen Kindern vtill-
ständig genommen. Auf dem Hofe dürfen sie auch selten verweilea. Das ver-
bieten in der Regel die HansbeoitKer, und nraerdings sind sogar Stiauneii in
der Presse laut geworden, der Jngend aneh aof den Trottoin das Spielen nnd
Umhertummeln nidit m gestatten, weil die Erwaehsenen dadurch bellstigt
werden.
Was helfen da wol Vei-fügungen einsichtsvoller Behörden, der Jugend
recht viel freie Körperbewegung zu verschafien nnd zu gewäliren, wenn
diesen Mahnungen in solcher Weise seitens Erwachsener entgegengetreten
wird! ^[aneher Vater, manche Matter möchte zwar dem eigenen Elnde jede
freie Bewegung gönnen, aber sie allen anderen Kindern untersagen. Den hu-
manen, so natürlichen Gedanken, dass diesen doch dieselben Rechte gewährt
werden müssen wie dem eigenen Kinde, können solche Eltern iu ihrem Egois-
mns gar nicht fitssen. Viele verbieten sogar ihren eigenen Kindern das freie
Bewegen und Umhertnmmeln anf den Straßen und Spielplätzen, um sie vor
Versuchungen zum Bösen zu bewahren. AVrli hes Re.sultat erzielt aber solche
Elteniliebe? Mag dadurch auch ein Kind wirklich vor dem Kennenlernen
gewisser Untugenden bewahrt bleiben, was noch immer zweifelhaft sein dürfte,
da es ja doeh nicht hermetisch von Jedem Verkehr mit andern Kinden ab-
geaddossen w^en kann, so lernt es andererseits auch viele gnte Charakterrilge
nicht kennen, die im Kindesleben hervortreten. Seine CMstesbildnng wird ein-
seitig werden, ganz abersehen davon, das.s eine solche Abgeschlossenheit auch
in moruli-rli. r Beziehung nachtheilig wirken muss. Auch werden das Gemüth
und die Gesundheit des Kindes darunter zu leiden liaben, was wol erklärlich
*) Zeitschrift für die Behsadlnng Schwachsinniger und Epileptischer, VIII.
(XIL) Jshig., Nr. 1.
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ist, da eine solche Erziehung den Nttnrgesetzen widerspricht. Einen Aus-
gleich zwischen geistiger und körperlichor Anstrengung zu schaffen, ist zu
keiner Zeit so wichtig als im Kindesalter. Wenn Haus, Schule, Gemeinde und
Staat nicht mit ganzer Energie für diesen Ausgleich Sorge tragen, kann nur
ein migctimdM Gtaacbleeht Iwranwaobsen, das den Eelm der Idiotie auf die
naehfolgendeD Geeohleebter vererbt
Sind die Kinder noch aehr jnng, vielldeht noch im ersten oder zweiten
Lehensjahre, dann wird aich der Einfluss nngesnnder Woiinräume sogar durch
allerlei Krankheitserscheinungen geltend raachen, zu denen häufig' auch Er-
krankungen (h'B Gehirns oder gewisser Hirnpartien gehören. Sonne und gute
Luft braucht der werdende Mensch ebenso sehr wie die Pflanze, wenn er sich
entwickeln nnd gedeihen aoO. Anch darf nicht Tergeaaen werden,' daaa daa
enge Zusammenwohnen der armen Bevölkerang moralische Folgen nach sich
zieht, die zur Vermehrung des Idiotismus führen können. Wenn viele Kinder
mit Eltern und Schlafburschen in einem engen Räume wohnen, kann die Sitt-
lichkeit nicht gedeihen; denn die Wolanstäudigkeit, welche den sinnlichen
Leidenaohaften elnea gebildeten Kenaehen Zttgel anlegt, kennen aolche Eltern
oft nicht nnd tragen daan bei, daaa ihre Kinder Sittlichkeitarerbreoher werden,
die das Wachsthum des Idiotismus fördern. So kVnnen Amnt nnd Sitten-
losigkeit. ja jedes sociale l!lend eine Quelle seiner Vermehrung nnd Ausbrei-
tung werden. Gesundheitsschädlich sind jedoch nicht allein die engen, finsteren
Hofwohniingen mancher Häuser, sondern auch viele Kellerwohnungen. In
Berlin s. B. iat die Sitte demlich allgemein verbreitet, die Keller an menaefa-
lichen Wohmlnmen einzuricliton . uml sie werden sogar sehr geancht, na-
mentlich von armen, den Kleinhandel treibenden Leuten. In neu erbauten
Häusern sind die Kellerwohnungen sogar in der Regel zuerst bezogen, und
häufig sind diese so feucht und dumpfig, dass sie sehr bald furchterregende
Krankheitdierde fllr Kinder nnd Erwachsene werden. Erflrenlicher Weise entp
halt die in Berlin seit dem 1. Januar 1888 in Kraft getretene nene Bauord-
nung einige wichtige sanitäre Vorschriften, die früher nicht immer zur An-
wendung kamen, z. B. betreflfs der Anlage von Closetts, von Badeeinrichtungen,
Hädchengelassen u. dgl. m. Leider bringen solche Maßnahmen den ärmeren
Volkadasaen nnr wenig Gewinn; denn ea ist natlrUeh, daaa die Mi«thspieli6
der so ywschriftsaiKAig eingerichteten nenen Wolinnngen nnd mit flmoi anch
vielfach die der alten sich erheblich steigern, dass daher der arme Hann sich
desto größere Beschränkungen in Betreff der Größe seiner Wohnung auferlegen
muss. Daher thnt es dringend noth, mehr als bisher für gesunde Arbeiter-
Wohnungen zu sorgen. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, dass man
nenerdinga diesen Bestrebongen grtMierea Interesse an schenken beginnt.
üm die ErnihrnngsTerhftltnisae einer GvoAstadt hjilenkeh sb
beaaem, mflaste die Axmenvetwaltnng vieneicht weniger ünterstfttanngen an'
Geld als an Naturalien gewähren, da es nicht selten vorkommt, dass das von
ihr gespendete Geld in die Branntweinschänken getragen wird, während die
Familie des Unterstützten Noth leidet. Untersuchungen, die in London an
ÖOOOO Kindern angestellt worden sind, haben gelehrt, dass gerade die Armut
nnd dw damit im Zaaammenhang stehende Mangel an Licht, Luft nnd ana-
reichender EmBhmng nicht nnr nngenilgende körperliche Entwickelnng» sondern
PMtCoc^an. 14. Jtbrf . Heft ZU. 54
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auch als eine Folge deraelben Unfftbigkeit m angeepaimter gebtiger Boachäf-
tigoüg: veranlassen*).
Damit es der Jugend nicht an genügender Körperbewegung in
MMiher, gesunder Lnft mangelt, empfiehlt M itdi sthTf die Zahl SÜBStUdier
Anlagen, namentlich der Spielpl&tze, an^remeaten an vennehren. Der Erlass
Sr. Excellenz des früheren Cultusmioisters von Gossler vom 27. October 1882,
welcher auf die Nothwendigkeit einer größeren Körperpflege hinweist, hat
vielen Städten eine dankenswerte Anregung gegeben, nicht nur für Spielplätze,
sondern auch für eine methodische Leitung des Jugendspiels za sorgen. Auch
in Berlin hat man seit Jahren die Einrichtang getroffra, im Sommor yeisehie-
dene Öffentliche Plätze für gewisse Tagesstunden der Jugend zum Stielen
zu überlassen; doch die Anzahl derselben, wie auch die Zahl der aneresetzten
Spielst nndcn kann im Vergleich zu der jngendlichen Bevölkerung Berlins noch
keineswegs als ausreichend bezeichnet werden.
Welt mehr ala für gerftnmige Arbeiterwohnnngen nnd geeignete Spiel«
plfttse Borgt man verhBltnismäßig neuerdings für die Einrichtang von Kinder-
gftrten nnd Kinderhorten. Die Zweckmäßigkeit Fröbelscher Kindergärten
ist ja von plldagogischer Seite anerkannt worden; doch alle Theorie ist „grau".
Wie steht's denn heutzutage mit der praktis<;hen Durchführung der Fröbel-
schen Ideen? Mir encheint der kleine Artikel in SchoierB FamilienbJatt**),
betitelt: „l^d Kindergirtoii ein Segen?" aefar bMditeiiawert Ea kommt
weniger auf die große Zahl der Kindergärten als vielmehr darauf an, dass
ihre Organisation und der in ihnen liorrschende Geist der lieben Kinderwelt
zum Segen gereichen. Dass dies heutzutage immer geschieht, möchte ich be-
sweifdn. So kann ich beispielsweise ans eigener Ei-fahrung anfüliren, dass
die Schfiler, welche mir ana Eindergttrten rageftthrt worden, einen Ballaat
von "Wlaaeiiskram in ihren jungen Köpfen aufgespeichert hatten, der mir er-
staunlich groß schien. Sie konnten u. a. zahllose Bibelsprüche, zahllose Gedichte
hersagen, sogar nothdiirftig lesen und schreiben. Das Lesen war in der Regel
ein unklares Gemisch von Lautireu und Buchstabiren. Das Denkvermögen
war nicht entwickelter als bei anderen Kindern gleichen Altera ohne beaondere
Vorbereitong. Auf die Ausbildung des Zahlensinnea achien gar keine Bflckaicht
genommen worden zu sein . kurz, die Kinder kamen viel ungleichmäßiger vor-
gebildet zur Schule als diejenigen, mit denen sich ausschließlich das elterliche
Haus beschäftigt hatte. Sie machten daher auch in der Regel geringere lort-
schritte ala die letzteren. Die Ursachen dieser Eracheinnng sind nnachwer za
eirathen. Die Kindergftrten, denen jene SchtUer «itatammten, hattra keinen
Wert darauf gelegt, die Phantasie der Kleinen annvegen, ihren jugendlichen
Qtiat zu beleben, ihren zarten Körper m kriit'ti^en. sondern nur darauf, ihr
mechanisches Gedächtnis übermäßig anzustn^iiiren und zu überladen. Sollen
Kindergärten wirklich segensreich wirken, dann dürfen sie meiner Ansicht
nach dem Eltemhanae nnr einen Th^ der Bndehnng abnehmen, nnd der
Mittelpunkt ihrer erzieherischen Thätigkdt mnaa daa Spiel der Kleinen sein.
Jeder I ntorricht ist aus ihren Räumen zu verbannen. Welche Gefahren
ein eigentlicher Unterricht in Kindergärten in sich schließt, ersehen wir bei-
*) Zeitschrift für die Behandlung Schwaehsinniger etc., VnL(XIL) Jahxgang,
Nr. 1, Februar 1892.
**) Sohorsn FamiUenblatt, Jahrgang 1887, Nr. 10.
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spiele weise aus einem Bericht über „Schweizeriiche Volksschulen und Kinder-
gärten," worin der Verfasser u. a. antührt: „Die Sprechübungen halte ich
für den weitaus schwierigsten Unterricht in Eöndergärten , schon hinsichtlich
4er Wahl des Stoffes. Es dürften ferade die leblagfertigeii Antworten der
besonders regsamen Kinder sein, welche die LeJirerinnen bei der Wahl den
Gegenstandes in Gefahr brino:en, das Gebiet des wirklich für die Kinder An-
schanbaren zu verlassen und dennoch im Unterricht so zu verfahren, freilich
unbewosst, als ob die Kinder wirkliche Anschauungen gewonnen hätten. Der
Sehaden nniss lange, vielleicht für die ganse Sehnlaeit nadiwirken* ^. Es
darf nidit die Aal||abe der Kindergärten sein, recht viele ftnflerlich sichtbare
Besnltate zu erzielen, weil es nur auf Kraftblldnng ankommt, auf Stärkung
4er schwachen Körper und Wecknng der schlummernden Geisteskräfte. Diese
Gymnastik des Körpers und Geistes soll erst in der Schule ihre segeubringenden
Wirkungen offoibuea. Daas fiele Kindergärten ihre eigentliche Anfgabe
ganz verkennen, liegt o. a. an der nnibrtigen pädagogischen Blldong vieler
Kindei^rtnerinnen, die in einem Alter von 16 — 17 Jahren, in welchem sie
aelbst oft noch nicht die völlige Reife der Erziehung erlangt haben, schon
Heister in der Erziehung vorstellen wollen. Es erscheint mir wichtig, meinen
Standpunkt iu dieser Frage scharf zu kennzeichnen und die Aufmerksamkeit
«of die problematiaehen Leistongen aaUielcher Kindergärten m licbteii, da
man fBr eine allgemeinere Einführung derselben Propaganda zu machen sucht.
In einem Aufsatz, betitelt: „Kindergärten und Fortbildnngsschulwesen"**),
bricht 'l'li. Landmann, Reotor zu Schwetz a. W., eine Lanze für die Einführung
obligatorischer Kindergärten. £r ist der Ansicht, dass durch sie die Kinder
für den Besuch der Volksschnle so voibereitet werden kannten, dass die be-
«tehend«! Fortbildnngaschnlen ganz zu entbehren iribrea. Diese sollen seiner
Meinung nach nur die Ergänzung nnd Erweiterung der mangelnden Schulbil-
dung bewirken, damit der normale Grad der Bildung erzielt werde; sie sind
hiernach nur für diejenigen bestimmt, weiche das Ziel der Volksschule nicht
erreichen. Er glanbt nun, dnreh obligatMlsdie Kindergärten kOnne die Jagend
im vorscholplUchtigen Alter so weit gefördert werden, dass „sie im aUgemeiaen
das der Volksschale gesteckte Ziel zu erreichen imstande »än dürfte." Es be*
darf aber wol keines Beweises, dass der Verfasser sich einer Täuschung hin-
gibt; denn man darf nicht vergessen , dass die Erfolge nicht nur von Unter-
richt und Erziehung, sondern auch von der individuellen Begabung des Kindes
abhängig sind. Den Anfang der rationellen geistigen Entwiekeinng in dieser
obligatorischen Form in dfe früheste Blindheit m verlegen, halte ich psycho-
logisch nicht nur für nn gerechtfertigt, sondern geradezu für schädlich. Solche
frühe Treibhauscultiu des kindlichen Geistes kann eine g^oße Gefahr für das
ganze Leben des Kindes heraufbeschwören; denn die praktische Erfahrung hat
vidfikch gelehrt, dass eine sehr Mhe nnd schnelle Entwiekilviig eine vonet-
tige geistige Erschlaffimg aar Folge gehabt hat, nnd schon manche sogenann-
ten Wunderkinder sind in wenigen Jahren fast Idioten geworden. Eher ließe
es sich rechtfertigen, für den Abschluss der elementaren Ausbildung eine
•) Schweizerische Volksschulen und Kindere^iirten. Bericht über eine Studien-
TPiso nach den Städten Bern, Zürich und BaseL im Auftrage der Diesterwog-Stif-
tuug zu Berlin ausgeführt von Ernst Ewald. (Als Mauu^icript gedruckt. Berlin 1892.)
**) PaBdagoginm, XL Jahig, 12, Heft.
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höhere Altersgrenze, vielleicht das fünfzehnte oder sechzehnte Lebensjahrr
festzusetzen. Ob das aber aasfüUrbar und überhaupt noth wendig ist, will ich
dahingestellt sein lassen. ThatsSchlieh beschftfUgt man sich scImmi seit Jabren
Teeht dngdieiid mit Frojecteiit welche dne Erwelterang der Ziele der VoUcs*
schule im Auge haben. Man will u. a. der Yolksscinile eine zweicnrsige
hobene Bürg^erschule als Kopf aufsetzen, die den Lehrstoff befestig-t und er-
weitert und dabei die Bedürfnisse des geschäftlichen und gewerblichen Lebens
besonders heräcksichtigt. Dieser Gedanke, dem ich schon vor 12 Jahren in
«ioer pftdagoginlieii ZeitMhvIft Aosdniek gegeben*), ist anch anf der XXVIIL
Allgemeinen deutschen Lehrerversammlung zu Augsburg im Jahre 1889 dnrch
einen von A. Weichsel ans "Würzburg^ gehaltenen Vortrag**) angeregt worden***).
Unsere heutigen Kindergarten wollen mir gar nicht so nothwendig
scheinen, da sie ihre Wirksamkeit selten auf diejenigen Kinder ausdehnen,
deren IHttar des Broterwerbes wegen aii6erftande sind, der Kindfireniehnnff
die n5thige Zeit and SorgfUt ro widmen, sondern grSfltenUieils von Kindeni
wolhabender Eltern besucht werden, für deren Erziehung diese auch in anderer
Weise zu sorgen vermögen; dagegen kannten Volks-KindergÄrten großen
Segen stiften, wenn sie in der von mir vorhin angedeuteten, dem Fröbelschen
Geiste entsprechenden Weise geleitet würden.
Für die obligatorisehe EinflUuong Ton Eindergirten aber kann ich
mich nicht begeistern, und ich halte sie schon deshalb f&r bedenkliel^ Jl^
geradezu für unmöglich, weil die körperliche Constitution der Kleinen vom
3. — 6. Lebensjahre sehr oft so beschaffen ist, dass es unbillig wäre, von ihnen
zu verlangen, vielleicht weit entfernt liegende Kindergärten aufzusuchen und
darin sich tiglich 3 — 4 Standen anftahalten. IMe Veriilltnisse anf dem
Lande sind heataatage oft noch so ungünstig, dass selbst die schulpflichtigen
Kinder sehr weite Wege zurückznlogon haben. Nach der amtlichen Statistik
über „das gesammte Volksschulwesen im preußischen Staate im Jahre 1886"
haben noch 131000 Kinder einen über 3 Kilometer langen Schulweg; für
einige beträgt er aogar Uber 7 Kilometer. Wie kannte man da wol den
armen Kleinen im Torscholpfliefatigen Alter aolcfae Tagesmärsche soniathen.
Außerdem dürfte dieses Project schon an der Kostenfrage scheitern. In einer
Zeit, wö noch in Preußen mehr als eine Million Kinder sich mit halbem An-
recht auf einen Unterrichtsraum begnügen muss, kann wol von einer Ein-
ftthrnng obligatorischer Kindergärten keine Bede sein. Man wird Bich daher
mit ÜscnltatiTen VolkaUndei^^ürten begnflgen müssen, and es wäre wlhmdiens-
wert, dass in ihnen vorzugsweise die ärmsten Kinder Aufnahme fänden,
deren Eltern genöthigt sind, tagüber ihrem Broterwerb naohzu gehen, und die
doshalb zu Hanse unbeaufsichtigt und unheKch.'lftigt verweilen, weil gerade sie
das größte Contingent der schwachbefähigten Schüler stellen.
Aach die neaerdings ins Leben gerafenen Kinderhorte leisten noch
*; „Die Mittelschulen"; siehe Lehrerzeitung für dieProrinaOstprsiiBenf Organ
des Fcstnlozzivercins, 1880, 11. Jahrgang, Nr. 9, 10, 11.
**) ,.l>er Au.sbau der deutschen Volksschule": siehe Piedaeogium, XI. Jahrgang
unter dem Titel: „Die XXVHI. AUgemdne Dentsehe Lenrerrenammlong von
Wilhelm Meyer-Duisburg.
***) In der Schweiz ist dieser Gedanke zur That geworden; ioh verweise aof die
doTtlgtti SeovndaiBcbulen.
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lang« Bidit daa, was ti» eigentUdi entreben. In ihnea werden Kinder während
ihrer schulfreien Zeit täglich mehrere Stunden beaufsichtigt und mit Anfer-
tigun{? von Handarbeiten oder häuslichen Schulaufgaben beschäftigt. Gewisse
Stunden werden durch Wanderungen ins Freie ausgetollt oder dienen dem
Oesang und Jogendspiel. Die Kinder gehören grOBtenthflflg Witwen oder
EheYerlaaaemen an oder aoldien armen Elteni, die den Tag Über aoiler dem
Hause thätig sind, und sollen in der schalfreien Zeit YOn aacliyerständigen
Pflegern überwacht, gepfloe^t und vor sehiidlicheii Einflüssen geschützt werden,
damit sie nicht der VerwiMi iun^ und Verwahrlosung und somit dem jugend-
lichen Verbrecherthnm anheimtaiien. lu Berliu sind die Kinderhorte von dem
Stad^SehoUnspeetor Dr. Zwiek ins Leben g«mfen worden, der sieh anch un
ihren bisherigen Anaban sehr verdient gemacht hat. Da sie fast anaichliefllicli,
dem Wohlthätigkeitssinn der städtischen Bevölkerung? ilir Bestehen zu verdanken
haben, sind sie leider noch nicht so gut fundirt, dass jedem Kinderhorte ein
großer Saal und ein Garten zui- Verfügung steht, wie es eigeutlich der Fall
sein mttsste, wenn sie ihrem Zweck Toükommen entsprechen sollten.
Der so nothwendige Aufenthalt der Kinder im Freien kann nur ein be-
schränkter sein, und auch die heutzutage so sehr empfohlenen Jagendspiele
können in den Kinderborten noch nicht ganz zu ihrem Rechte kommen. Dass
man den Handfertigkeitsonterricht in diesen Anstalten eingefUlirt iiat, ist sehr
erfrenlich; doch so sehr ich anch den Segen der Arbeit sohltxe and ihren Ein-
flnsa auf die Willensbüdiing der Kinder, nnd so sehr ich flbeneogt bin, daaa
in der manuellen Beschäftigung starke Wnrzeln ihrer einstigen sittlichen
Kraft liegen, halte ich doch eine weise Beschr&nkong, ein rechtes Maßhalten
für angebracht.
Wfthrend ich sonach den Kindergärten und Kinderhorten vom pädago*
gisohen nnd hygienischen Standpunkte nur bedingungswebe ihre Ebdatens und
ihren weiteren Ausbau im Dienste der Jngendbildung gestatten mSdite, halte
ich die Krii>pen und Kiuderbe wahranstalten fiir ganz unschätzbare In-
stitutionen zur Bekämpfung des Idiotismus. Für den Säugling, für das Kind
in den ersten Leben^ahren kann die arme Mutter oft wenig thun, da sie gleich
dem Vater dem Broterwerb nachgehen mnss, obwol das Ebd gerade in der
ersten Zeit vorzugsweise der Pflege und Wartung bedarf, wenn es gesund
bleiben und gedeihen soll. Weit mehr als in anderen größeren Städten sind
die Frauen der Arbeiterbevölkerung Berlins darauf angewiesen, den Mann in
der Sorge tur die Existenz der Familie thatkräl'tig zu unterstützen. Bisweilen
releht der Verdienst des Mannes nicht bin, seine zahlreiche Familie an er-
nähren; bisweilen — nnd daa ist leider keine seltene Erseheinnng « yer-
braneht er den Verdienst ausschließlich für seine eigene Perton nnd überlässt
es der armen Frau, sicli die Mittel fiir den Unterhalt allein zu erwerben. Oft
wird diese noch durch Scheit worte und Schläge gezwungen, einen Theil ihrer
sauer verdienten Pfennige, für die sie den Kindern Brot kaufen wollte, dem
ICanne zn gebent damit er dem Latter des lYonket frOhnen kfone, oder er
verlässt die Familie in der Erwartung, dass die AnnenTerwaltung für seine
Kinder sorgen werde. Soll man sich da wumlerii, wenn die Sünden der Väter
sich an den Kindern rächen? — Wo das Haus in so unverantwortlicher Weise
seine Pflicht vernachlässigt, da müssen Gemeinde und Staat mit alier islnergie
heUirad einschreiten, damit das Übel nicht ein schlimmeret aeitigt Hin iiat
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neuerdings grofie Einderhospitttler eniditei ^ und jeder gute Mensch und
Kinderfrennd wird sich darüber frenen — ; man Borgt für GefUngnisse, die
in liygieniscbpr Hinsicht oft geradezu musterhaft ausgestattet sind; docli noch
weit wichtiger erscheint mir die Sorge für Institationeiii welche zur Ver-
mindenuig tob EinderiLrankbeiten und zor Anarottnng des Vagabonden- und
Yerbreehertlmiiis TreieDtUch lMitng«n. Dasa g<eli0r«ii wdorgaaiairte Siippcn
und Kinderbewabranstalten. Die Mittel für solche Institute werden aicherlich
productiv angelegt ; denn was man für dieselben veransgabt, wird reichlich er-
setzt und aufgewogen durch Verringerung der Ausgaben für Krankenhäuser
nnd Ge^gnisse. Jene Institute sind mir auch darum viel wichtiger al»
Eind«ri^UtHi nnd Kinderiioite, weil aie unmittelbar, die letEfteren jedoeh im
gttmtigBten Falle nur mittelbar zur Bekämpfung des Idiotismus beizutragen ver-
mf^gen. Leider lia>)f'n sie ihr Bestehen bisher fast ausscliließlich der Privat-
wolthätigkeit zu verdanken; auch tragen sie fast durcligehends ein kirchliche»
Gepräge. Sie werden erst als Gemeinde- oder Staatsanstalten, im Sinne der
modemoi ErEtebnngawiMenaclialt geleitet» ihre segenareiehe Wiiksamkeit enut-
lieh bethfttigen k&nnen.
Da die Pflege eines Kindes reicher Eltern häufig einer Amme obliegt und
bisweilen noch von einem Arzte controlirt wird, so hftngt oft von der Wahl
dieser Personen die ganze Zukunft des jungen Weltbürgers ab. Wie selbst
durch falsche ttrstUche Behandlung ans einem normal geborenen Kinde ein
idiotiBcfaea werden kann, daIHr liefert folgendes Beispiel dnen Beleg. Dan
Sind einer mir bekannten Faniilie war circa sechs Wochen alt. Der Amme
desselben waren zu ihrer Pflege täglich verschiedene Weinsorten zur Verfügung
gestellt worden. Eines Tages hatte sie nicht nur sich, sondern auch ihren
kleinen Schützling durch Wein in einen aufgeregten Zustand versetzt. Das
Sind schien iebeilcrank an sein. Man holte den Arst Auf seine Anordnnnflr
erhielt das Sind EisumschlSge, die in kurzen Zwisehenrftomen wiederholt
werden raussten, und die der Amme weit dienlicher gewesen wftren. Dadurch
wurde binnen kurzer Zeit nicht nur eine Liihinung der Anne und Beine,
sondern auch des Gehirns hervorgerufen, und das arme Kind ist ein blödsin-
niger Kretin geworden.
Wie Behörden durch sanitäre Einrichtungen, so kSnnen Ante, Lehrer
nnd sonstige Menschenfreunde durch Belehrungen, gute Bathschläge, durch
Vorträge in Vereinen, durch Petitionen betreffs Beseitigung gesundheitsschäd-
licher Übelstände viel Gutes schaffen und zur Bekämpfung des Idiotismus
wesentlicli beitragen. Namentlich bietet sich dem Arzt ein großes Feld erfolg-
reicher, dankenswerter Thttigfceit. Bedaneiiieher Weise richtet sich diese
heutzutage noch vielfach nur darauf, entstandene Übel zu heilen, statt die Ur»
Sachen der Krankheiten zu bekämpfen. Jeder Arzt niüsste zugleich Pädagoge
und Volksredner sein nnd durch Lehre und Ermahnung auf eine geregelte
Lebensweise, die dem hygienischen Standpunkt entspricht, hinzuwirken bestrebt
setai. WSbraid man jetat fai der Bogel den Ant nnr aufimchtt wenn die
grOBte Gefahr im \'crzuge ist nnd h&ufig auch dann noch erst Eur Medicin-
l)fuscherei seine Zuflucht nimmt, würde man, auf die unscheinbarsten Krankheits-
Symptome aufmerksam gemacht, sich so frülizeitig wie möglich an den iirztlichea
Hatligeber wenden. (Wird lortgcscUt.)
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Pädagogische Kuiulseliau.
Österreich. Am 18. nnd 19. Juli wurde in Linz die vierte Voll-
versamralunfT des Deutsch-östt rreicliischen Lehrerbundes abgelialten. Wer der-
selben als objectiver Beobachter beiwohnte, um sie als einen Spiegel des Zeit-
geistM und der heutigen SchnlsiistlDde anfenfusen, der konnte ans manchen
Anzeichen einereeita erkennen, daas gegenwärtig keineswegs eine allgemeine
Frische, Freudigkeit, Zuversichtlichkeit und Harmonie in der deutsch -öster-
reichischen Lehrerschaft herrscht, dass aber anderseits der Kern derselben
sich gesund und tbatkräftig erhalten hat, daher mit unentwegter Treue und
Entadiiedenbeit die Fahne des Beichsvolksschnlgesetses lieitUdt.
Die Tagesordnung war, wie bei solehen Versanunlongen gewShnUdi, eine
fiberreiche, nämlich 1. eine Gedenkrede auf den ersten allgemeinen öster-
reichischen Lehrertag im Jaliro LSfiT; 2. das Thema: ,.Wa8 wir wollen";
8. Verhandlang über die Frage: „Ist die definitive Anstellung der Bezirks-
bcLulinspectoren ihrer provisorischen Berufung vurzuzieben?" — Hierzu Icam
noeh die Besfireehnng des Planes, dnrch Enrichtong einer Hasner^Stiftnng dw
Schöpfer des österr. Schulgesetzes in bleibender Erinnerung zu erhalten, wor-
über sogleich bemerkt sei. dass die Versammlung dem bfziiq-liclien Antrag
des Eeferenten, Oberlehrers Höh za)»ek-\Vien, mit Begeisterung zustimmte.
Die Berichterstattung über die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung war
den Herren Karl Hiller-Tralskirclien und Christian Jessen-Wien übertragen.
Beide erledigten sich ihrer Änlisabe in klaren, saehgemlBen nnd alle ein-
schlagenden Verhältnisse berücksichtigenden Auseinandersetzungen, welche
freilich nicht auf Originalitlit und zündende Kraft Anspruch machen konnten,
sondern einen mehr geschäftsmäßigen, ruhig abwägenden Charakter annehmen
mnasten, da die Themata bereite lange vorher vom Bundesausscbuss, von
DelegirtMiversammlnngen , BesIrksconliBrenzen n. s. w., ebenso von den pftda-
gogischen Blättern vielfach nnd eingehend erörtert worden waren; auch sind
diese Themata, namentlich dns unter Nr, 2, so viel umfassend, dass sie in
einer Sitzung nicht wol genügend durchgeführt werden können, wi«- denn
auch eine eigentliche Debatte über dieselben nicht stattfand. Es möge daher
hier nur erwfthnt werden: 1. dass die von Herrn Hflber formnllrten, sehr zahl-
reichen Resolutionen hauptsächlich daa nnverbrüchliche Festhalten an den
Grundsätzen des österr. Schulgesetzes vom 14. Mai 1869, demgemäß die
stetige Verbesserung der Volksschuleinrichtungen, sowie die Hebung der Bil-
dung, der amtlichen, rechtlichen und socialen Stellung des Lehrerstaudes be-
tonten nnd die Wiederherstellang der ursprünglichen Intentionen der Schnl-
reform in Anssidit nahmcii, weldben Fordwongen die Versammlnng za-
stimmte; 2. dass bezüglich der Schuünspectoren die Versammlung im Sinne
Jessens sich mit groBer Majorität für die provisorisehe Berufung ansspraeb,
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indem nur 20 Stimnien für die Ständigkeit abgegeben wurden (womit aber der
Streit kaum beigelegt sein d&rfte, vgl den obigen Aufsatz von Taschek).
Den grSßten Erfolg auf dem dieijUirigen Lehrertag ersielte Herr Eduard
Jordan- Wien mit seiner Gedenkrede auf den ersten allgem. österr. Lehrertag,
welcher vor 25 Jahren n8ß7) zu Wien in der kaiserlichen Burg abgehalten
wurde. Der dankbare Stoff wurde vom Redner in so plastisclier , schwung-
voller und herzergreifender Weise behandelt, dass die Versammlung von all-
gemeiner Begefsternng bewegt, «iederbolt ond beaonden am Schlnsse in
stürmischen und lang anhaltenden Beifall aosbrach. Jedenfalls wird die Kede
aiuli in dem bald zw erwartenden stenograplilschen Versammlungsbericht
recht viele zustimmende Leser finden. Wir bemerken hier nur, dass Jordan
vor allem ein lebendiges Bild der Zeit vor 25 Jahren und der damaligen
LehrerTenammloBg entwarf^ dann beaonders hervorhob elneneita, was aeitdem
eneidit, aadetaeits, was nieht errdeht, becBgUeh wieder Terloren werden ist
Und leider ist auch des letzteren nicht wenig. Das Gesetz vom 14. Mai
18Ü9 ist nicht nn-hr in voller Kraft. Die gegenwärtige Situation lässt sich
kurz so bezeichnen: Die Neuschule, geschaffen durch die Gesetze von 18li8
und 1869, und die alte Schule, d. i. die clericale, wie sie auf dem Concordat
von 1855 bemhte, bestehen derzeit nebeneinander, jene von Rechts wegen,
diese thatsllchlich , anf Gmnd besonderer Errungenschaften, Abmachungeni
corporativer Agitationen und administrativer Maßregehi. Über dem Ganzen
schwebt das Motto: „Lasset beide miteinander wachsen," welches frei-
lich recht unparteiisch klingt, in diesem Falle aber sehr bedenklich und an-
feehtbar ist. Wir haben kein DeAnitivnm mehr, sondern einen Zwischen-
instand, der ohne Zweifel in einigen Jahren wieder zn einem Entscheidungs-
kämpfe führen wird. Vorläufig wächst die alte (clericale) Schule, während
die neue (liberale) abnimmt; es ist ein Waffenstillstand, der zur Rüstung be-
nutzt wird: aber dieses Geschäft, die Büstuug, wird nur auf einer Seite, uäm-
lieh bei den Ciericalen, mit Eifer, klarem Blick und großem Erfolg betrieben,
indem sie fortwährend neue HeerlianliBn sammeln, nene Bollwerke anlegen und
neue Waffen schmieden. Dem gegenttber versinken die Liberalen mehr und
mehr in Opportunismus und Schlummer, indem sie sich stellen, als gebe es
keine Gefahr. Nim. snbald die Gegenpartei sich stark genug fühlen wird,
wird sie einen ^auüeu Feldzug eröffnen und auch die förmliche Aufhebung
der ihr verhassten Gesetze fordern, nnd das dürften wir qAtestais in 5 Jahren
erleben. H.
Ans Bayern. In Erlangen erfolgte am 17. Juli im \'orgarten des
Knabeuhort „Sonnenblume"* die feierliche Enthüllung der Frzbüste Schmid-
Schwarzenbergs, des Begründers der Enabenhorte. Außer dem Gesammtvor-
stande des Vereins fttr Volkserziehnng nnd den Knaben der Sonnenblume
waren viele enges* hene Ilenen und Corporationen der Stadt sowie Männer
und Frauen aus alh n S( hichten der Bevölkerung ei"schienen. Herr Commerzien-
rath Drossbach liielt .iir Festrede. Nach herzlicher Begrüßung der Festver-
Bammlung entrollte er ein Bild des Lebens und Wirkens Schmid'Schwarzen-
bergs, dem wir Nachstehendes entnehmen. Dr. F. Schmid-Schwarsenberg
wurde am 22. October 1819 zu Schwanenberg am Drelsesselberg geboren.
Seine Kindheit war reich an Entbehrongen nnd Anstrengongeo. Im Benedic-
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- 789 —
tinerkloster Kremsmünster herangebildet, beendete er seine Oymnasialstndien
zu Salzburg. Hierauf widmete er sich dem Studium der Theologie und später
dem der Philosophie. 1850 habilltirte er sich an der £rlanger Universität für
Philoeophie. 1862. wurde er zim Frotoor emaimt, in welcher Stellung er
bis ra aemem Lebenaende Terblieb. Von seinen Volkssebriften lind za er-
wähnen „Quellwasser fOr das dentsehe Tolk", nBeataiibte Blfttter", „HimmeLs-
ling", ..Freie deutsche Herzen" n. p. w.
Von den sechziger Jahren an wendete er sich vornehmlich der Pädagojs^ik
m. Die Armut und die Notii der uiedereu \ ulksclassea kannte er aus
eigener Erfahmng. Insbesondere gelangte er sni der Überaengnng, dass vor
allem eine bessere Erziehung der Kinder der Arbeiter ein Mittel sei, die sociale
Noth zu heben. Dnrch Vorlesungen über Plidagogik niul durch pädagogische
.Schriften — „Briefe über vernünftige Erziehung", ..Iber Volkserziehung
„Klytia'' — sachte er verwandte Geister für sich zu gewinnen, im Verein
mit solchen grttndete er am 3L Mfln 1871 den Verein fttr VoIkseRielinnflr
und die „SonnenUiuw*. In knner Zeit traten ihnliche Vereine nnd Anstalten
in Bänmenheim, Augsburg, München, Bamberg, Fürth, Nürnberg, Wftrzburg,
Kempten, Lauf u. s. w. ins Leben. Aufgabe dieser Knabenhorte ist es, den
schulptlichtigen Kindern derjenigen armen Eltern oder i'degeeltem , welche
dsrch täglichen Broterwerb gezwungen sind, den ganzen Tag über in oder
anSer dem Hanse an arbeiten, nnd deshalb ihre Kinder nieht selbet beaniUch*
tigen und erziehen kOnnen, während der schulfreien Stunden eine Heimstätte
zu bieten, in welcher dieselben im Anschluss an Familie nnd Schule erzogen
werden. Leider sollte Sclimid-Schwarzenberg die Fruclite j;einer pädagogischen
Thätigkeit nicht lange schauen. Im November 1883 erkrankte er und starb
am 28. d. M.
Auf dem Syenitsookel des ihm nun gesetzten Denkmals befindet sich die
Inschrift: „ Schmid-Schwanenberg, Begrftnder des 1. deutschen KnabenhorteSy
1Ö19. 1883.«
Elsass-Lothringen. Es ist ja wo! iOr Altdeatachland von einem ge-
wissen biteresse, gelegentlich aneh etwas ans dem Schul- nnd Lehrerleben
Elsass-Lothringens zu hören. Im großen ganzen freilich herrscht hier zu
Lande viel Ruhe, sowol im höheren als im niederen Unterrichtsbereiche. Im
Elementarlehrerstand, der nicht besonders hervortritt und last nur in amtlichen
Conferenzen znaammenkommt, bat in deu letzten Jahren die Zahl der jungen
Lehrer, die sich dem Hittelsehnlp nnd dem Reetoratsexamen nnteraiehen, in
erfreulicherweise zugenommen. Diese Examina sind nach preußischem Muster
eingerichtet nnd ursprünglich dazu bestimmt, Seminarlehrer und Kreisschul-
inspectoren lienuizuinlden. Es erwachst aber den so vorgebildeten Leuten
neuerdings eine bedeutende Concurrenz durch katholische Priester und junge
Philologen, abgesehen davon, dass die evangelischen Lehrer ttberhaupt kaum
Aussicht haben anzukommen. Denn seit des seligen Herrn v. Manteuffehs Zeit
sind die Seminare confessionell getrennt, und von den 0 vorhandenen sind nur
zwei evangelisch, wovon eines, das Lehrerinneuseminar, nur eine männliche
Lehrkraft besitzt. Unter den 24 Ki'eisschuliuspectionen aber sind nur etwa
ein halbes Dutzend mit Protestanten besetzt. So bleiben mir die in einnlnen
Stidten bestehenden Hittelschnlen, eine Art gehobener Elementarschulen mit
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— 790 —
französischem Unterricht. — Das Elementarschulwesen wird noch von den
drei Bezirken selbststämlig^ verwaltet, da die alten französischen Departementa
Haut-Khiu als Oberelsass, Bas-Iihin als Unterelsass und Loiraine als Lotliringen
aneh in dieaeni Verwaltiiignweig' lidbehalten worte Bind und Jedem Be-
zirkspräsidenten ein odtf zwei Schnlrftthe, welche simtlich katholisch sind,
zur Seite stehen. So nimmt es sich gelegentlich seltsam ans, wenn man liest,
dass ein Lehrer aus dem Schuldienst des Unterelsasscs entlassen worden sei,
um in den des Oberelsasses oder in den höheren Schuldienst, der dem Uber-
sehnlmth fir ElsaBS-Lotiiiingpen nntenteht, Anzutreten. Es werden daher
jfthrlich aneh drei Tenchiedeiie Lehrvrtage abgehalten, nnd ea bestellen drei
Unterstfitzongscassen fUr die 3000 Lehrer der Elementarschulen den fieichs-
landes. Ein gemeinsames Band bildet das vor einig-en Jahren gegründete
elsass-lothringisclie Lehrerwaisenstift, dessen Vermögen bereits die stattliche
Summe von 85000 Mark aufweist, und an dessen Spitze ein Oberschulrath
alt PiStident steht, iilUirend AmmtUehe &eiMehnlin8peob»eii des Landes
ihm als Ehrenmitglieder angehören. — Der Schnlzwang ist, wie bekannt, erst
durch die deutsche Verwaltung, im Jahre 1872, eingeführt worden und hat
bis jetzt den erfreulichen Erfolg gehabt, dass bei der letzten Recrutonaus-
hebung nur 0,37 Procent ohne Scholbildong wai'en and nur d'/s Procent
franzSsisehe Schnlbildong besaSen. — Sehr nngttnstig stdit ▼eriiäUiilHmmg
bezflglieh des Elementanuiterrichts die Hauptstadt des Landes, da sieh die
Schulbeviilkerung so vermehrt, dass seit der übernähme dnrch die dentsche
Verwaltung die Zahl der Classen sich mehr als verdoppelt hat, und in einer
Classe immer noch mindestens sechzig Schüler sitzen. Da sich die Stadt anch
sonst hedentend entwickelt und filr Bauten aller Art, Straßen, Brücken, Hftfen
▼iel Geld n9th!g Ist, so sind die Volkssdinlldiiiser mm TheÜ in efanem nichto
weniger als zeitgemäßen Zustand. In letzter Zeit wird besonders dem Zeichnen
viel Aufmerksamkeit zugewandt und aach der Ilandfertigkeitsunterricht, über
dessen Nutzen und Berechtigung allerdings auch hier die Ansichten noch ge-
theilt sind, ist in einigen Orten facultativ eingeführt worden. Die katholischen
Schüler sind seit einigen Jahren nicht mehr, wie anfänglich, nach den Schnl-
bezirken der Stadt den Schnlen zngetheilt, sondern es sind sog. Pfarrscholen
errichtet worden, in welche die Schüler nach der jeweiligen Zugehörigkeit zn
einer Pfarrei eingereiht sind. Diese Einrichtung ist auf Wunsch der katho-
lischen Geistlichkeit getroffen worden; wie sie sich vom Uuterrichtsstandpunkt
bewihrt, wird die Znknnft noch lehren mflsseo. — So ist denn der Znknnft der
Stadt StnSkmtg hinsichtlich des gesanunten Volksschnlwesens nodi eine sehlfne
Angabe vorbehalten. Hoffen wir, dass sie znm Segen des Landes, des Deutsch-
thums und des gegenw.'irtigen wie des zukünf tigen Geschlechtes gelöst werde.* —
Das nächste Mal etwas übei' das höhere und höchste Unterrichtswesens.
E. W.
Comenius-Gesellschaft. Der aus Anlass der Jahrhundertfeier be-
gründeten Comenius - Gesellschaft hat der K. Preuß. Cultusminister, Herr
Dr. Bosse, einen Beitrag von ÖOO XI. ülterwiesen und die Städte Prag,
Amsterdam und Dauzig haben ihr je öOO, lö5 uud 100 M. bewilligt; es ist
Anasicht yorhanden, dass die Qbrigen Linder nnd Stftdto, deren Geschichte
mit der bahnbrechenden Thätigkeit des Comenios yerknllpft ist, vor allem
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— 791 —
ÖBtemich>üiigarn, OroBtnitaniiieii, die Iffitedwlande, Schweden a.
gegebenen Beispiel folgen werden. Die soeben zarAnsgabe gelangte Lieferung
der „Monatshefte der ComeninB-Gresellschaft'* (R. Voig^tländers Verlag, Leipzig-
Gohlis) enthält einen Aufsatz von K. Mämpel-Eisenach Uber die interconfessio«
MUenFiriedeiiaideale dee Comenios, worin die philosophlidk-reUgiOM Seite seines
Wiriuos in BfiekiiGlit nnf ▼eBgaagene nnd gegenwirfcige Zdteo nnter neuen
Gesichtspunkten betrachtet wird. Die QeieUfclinft, die sich die Aufgabe ge-
stellt hat, dem Geist des Comenias unter uns von neuem lebendige Verbreitung
zu verschaffen, hat rasch viele Freunde gefunden und zählt schon jetzt in
Belgien, Dänemark, Deutschland, EIngland, Frankreich, Italien, den Nieder-
landen, Norwegen, Otteireieli'Ungaiii, Rnmftnient Bnidand, Sdiweden, der
Schwei/, Serbien und den Vereinigten Staaten hohe Beamte, bekannte Gelehrte
und freigebige Gönner — im ganzen 845 Personen — zu Mitgliedern. An-
meldungen nehmen für i ).utschland das Piankliaus Molenaar u. Co., Berlin C,
Burgstraße, für Österreich-Ungarn A. Picblers Witwe und »Sohn, Wien V, Marga-
rethenpl. 2, llbr Frankreich die Bnehhandlnng Fiicfabacber, Parier Bne de
Seine 33, Ar Schweden C. E. Fritie's Hoflmchhandlnng, Stoddiolm, entgegen.
Ans der Fachpresse.
569. Das Gesicht des Lehrers (Schles. Scholz.*) 1892, 17). Eine
anmnthige humoristisch-satirische Leistung. Nachdem Verf. die bekannten
Phrasen, welche fordern, das Auge, der Blick u. s. w. des Lehrers solle den
Einzelnen wie die Classe bezähmen und bezanbern, gebärend gewürdigt, fährt
er fort: »Wer wett, wie knne Zeit ein Blieit eine daase ongesogener md
nneraogener Kinder bannt, wie ungefährlich denselben das Gewitter erscheint,
das nur um die umwcilkte Stirne droht, wie leicht sie sich an die zornig in die
Höhe gezogenen Brauen, den streng zusammengekniffenen Mund gewöhnen —
ja dass sie in kindlicher Freude über all diese symbolischen Strafen zu fragen
gesonnsD wiren: Heir Lehrer, kSnnen Sie anch mit den Ohren wackeln? ^
der wird jene salhnngaroHen Worte ffir recht schOn (?), aber flb> herzlich un-
praktisch halten. Und wenn die Angen des Lehrers ein ganzes Arsenal von
Dolchblitzen wären nnd der Mund ein Himmel voll Hagelwettern: das Gesicht
des Lehrers reicht zur Aufrechterhaltung einer strammen Schul zucht nicht ans.**
570. Arbeitsslele (J. Meyer, Nene Bahnen 1892, I: „Zur Einfüh-
mng*): „Erwcitemng mserer Individnaleniehvng snr Sooialerdehang —
Ansseheidnng aller althergebrachten Stoffe, die für das Leben der Gegenwart
wertlos sind — Rorgsame Pflege der religiösen und der patriotischen Erziehung
— «elbstständige Stellung der Schule gegenüber Staat und KIk lie — eine
Organisation der Schule, welche die Charakterbildung der Jugend ermöglicht
— eine der eoltnrellen Bedeutung der Schale Mitsprechende Stellnng, Be-
soldung und Bildung der Lehrer. „Nichts coli uns fremd bleiben, was auf die
Entwickelnng der Scholerziehong Einflnss haben kann (Hans- nnd Qesellschafta-
erziehung)."
Pnis der eiaielnen Nmmner 16 Pl!g.
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— 792 —
571. Zur Frage der allgempint^ii Volksschule (Deutsche Schul-
praxis 1892, 18\ Verf. erinnert an einen Aufsatz vom Jahre 1806 in der
, Zeitschrift für Pädagogik'' (Herausgeber: Guts Mutiisj, wo sich ein Super-
iDtentleiit und CoutotorialnilliZiegrenbeiii folgendermaflea ioBert: |,Wlr woUeii
hier nicht unbemerkt laasen, dass gende die VenniMiiang der Kinder von
allen Klassen und Ständen wolthätjg auf die änBere Bildung der Kinder aas
den niederen Stünden zurückwirkt, ohne den Kindern der Honomtioren nach-
tbeilig zu werden; die ersten werdeu nielu* hnmanisirt und civilisirt, indes man
gewiss überall finden wird, dass die letzteren — wenn sie sich anders nicht
in den Bedienten- nnd Kinderstoben sn viel mnhergetrieben nnd daaelbst
schlechte Sitten angenommen li il f n — durch diese Vermifldrang an Humani-
tät und Civilisation nicht vi i lit i eii. Möchte man doch immer mehr einsehen
nnd bthtTzij^en. dass die Kiiiiier der niederen wie der vornehmen Stände
bis zum vierzehnten Jahre nur einerlei Bildungsbedürfnis haben, und dass
alle woleingerichteten StaataverfiuHongen künftig mehr als Msher dafftr Sorge
tragen müssen, dass sich fiberall gemeinsame gute ElementarMhnlen finden."
Als Gleichgesinnte werden zwei andere Consistorialräthe citirt.
572. Cretrübter Kinderhimme] (C. Pilz, Cornelia 1892, III*). Von
den (Jedem Erzieher lekauuteuj verschiedenen Arten „Wolken". Hr. P. em-
pfiehlt den BItein, welche ihren Kindern einen „ungetrfibten Lebenshtanmel''
aiehem wollen, die Befolgnng der wol nicht a]lg«mein bekannten fünf Begeln
Lavaters (in dem Briefe an eine Freundin): „die Kinder stets in guter Laune
erhalten; sie an Ordnung gewöhnen: unerlaubte Dinge bestimmt abschlae:<'n ;
soviel wie irgend zulässig gestatten und nicht am Verbieten Freude haben;
sie immer in Beschäftigung erhalten".
573. Das Qemttth nnd dessen Ersiehnng (QiMhey, Bayr. Lehrer«
zeitnn^**) 1892, 7), Das Gemüth hängt ab von den Bmährungs Verhältnissen
des Gehirns. Voraussetzung der Gemüthserziehung: normal ernährtes Gehirn.
Aufg-abe der (ieniüthserziehung: „zwischen die beiden Extreme des Gefühls
(Afiecte des Schmerzes und der Freude) die übrigen Afi'ecte, alle die feinen
Nuancen der Oemflthsempflndangen einsnsohalten — die Affecte, welche an
nnd ffir sich etwas Rohes sind, nach nnd nach sa veredehL* „Denn nnr der
kann tugendhaft handeln, welcher grelernt hat, tugendhaft zu fühlen : erst das
Gefühl gibt uns die Kraft zum Handeln." („Winke von iiit dioiiii.scher Seite, die
nicht am Schreibtische gemacht, sondern ans der Prax.is geschöpft sind'*).
674. Vom Verknüpfen nnd Verweben der Unterriehtuioffe
(H. Weber, AUg. dentsche Lehrers. 1892, 14 — 16). Oegensata anr Herbart-
Zillerschen Theorie: „Sie sucht in Märchen, auf wüsten Inseln, bei den Rich-
tern Israels n. s. w. Mittelpunkte für die Gedankenkreise, während wir uns
unmittelbar an das uns umflutende Leben haltt n." Darum hat „das Gedeihen
eines auf VcrknüpfuDg und ^'erwebung ausgehenden Unterrichtes zur Yoraas-
setanng": ,fdas8 im ersten nnd zweiten Schnyahre der Ansehanonginntenicht
wieder mehr auf seine ursprüngliche Bestioimung, die Schärfung der Sinne,
die Übnng im Anf&ssen nnd die Bereicherang der Sprache anriickkonune —
*) Anßcrdi ni l^^i^enswert : Über Lntbeis bftnsliche Sniehung» — Ans den Auf«
zcichDuugcQ eines Uumündigen.
**) Preis der einielnen Aummer 15 P%.
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dass im dritten und vierten Scliuljahre die Heiraatskunde als der gemeiBsame
Wurzelstock aller realen Lehrfächer betrachtet werde — dass im fünften bis
aehten Schuljahre (Sachsen) die eimelneii Lehrftcher wdl ihm eigenen Weg
gehen, aber alle die Knude der Heimat» von welcher oft aumgehen nnd n
welcher oft znrQckznkehren ist, noch mit enthalten." (Daran achlieften sich
etliche selbstverstAndliclie Fordemnpen an den einzelnen Lehrer, an das Col-
leffiom und an den ^'erein an). — Beispiele hauptsächlich fiir den „Religions-
unterricht" des letzten Schuljahres, für „Verwertung literarischer Unterrichts»
ttollh* (im bewmderen dea Liedes Ton dmr Glocke).
575. Der deutsche Unterricht und die Reform der höheren
Schulen in Preußen (R. Lehmann, Zeitschr. f. d. deutsdien Unterr. 1892,11.)
Das Charakteristisclie der „Lelirpliine und Lehrant'gaben" "*) eine Anzahl
Widersprüche: Streben nach weitgehender Erleichterung und ohne Noth ver-
mehrte Belastong ^ansanljgraben); grundsataHdw Goneentration nnd thatslch-
liche Zersplitterung; einerseits Venioht anf systonatiiehe Grundsätze, ander-
seits Versncb, die Einzelheiten des Unterrichts reglementmäßig: festzulegen;
Gegensatz zwiscJien der Bedeutung, die dem Fache beigelegt, und dem Räume,
der ihm gewährt wird (füi* das gesammte Gymnasium eine Yenuehrang von
drei Stmidai wOefaentUdi: »ebi Abalaiid iwiieheii Worten nad That, zwiseheii
Zweck nnd Mittel, wie er stirker nicht gedacht werden kann*!) „Von den
neuen Lehrplänen Ist ein neuer AnfiHshwung des deutschen Unterrichts nicht
zn erwarten." Sie sind — kurz gesagt, ein phrasenvolles Pfu8cherw»'rk. und
können nichts anderes sein. (Man weiß ja, wes Geistes Kind ihr „geistiger
Vater" ist!)
576. Bedenken gegen den nenen Lehrplan für den erdknnd-
liehen Unterricht an den preußischen höheren Lehranstalten (Zeit-
schrift für Schulgeogr. IV. Wl). Resultate der „Reform": Beseitigung
der Erdkunde aus den Oberflassen nnd aus der Abiturientenprüfung — in
den Abschlussprülungen der Untersecunda können ungenügende geographisclie
Leftstangen dnrch jedes andere Fach ausgeglichen werden — Ertheilnng der
praktischen facultas docendi dnreh die Directoren (denen die Einsicht in die
einschlägigen Verhltltnippo fpblt!i, nnd zwar voraussichtlich an die „Altphilo-
logen'* (! weil sie an Stunden und damit an Besoldung eingebüßt haben), unter
denen nur eine ganz geringe Zahl geographische Studien gemacht hat.
577. Die Phantasie vnd ihre Bildung dnrch den Zeichenunter-
richt (D. IStschen, Zeltsidir. d. Vereinvdentscher Zeichenlehrer 1892, 11^14).
„Regeln" fiir die „Bildung der Phantasie durch den Zeichenunterricht":
1. Sorge dafür, dass das Kind vor dem Zeichnen eine klare Vorstellung des
zu zeichnenden Ubjects bekommt". („Erst wenn die Kinder imstande sind,
sich klar und deutlich über die Aufgabe auszusprechen, kann man mit dem
Zdchnen beginnen.*^ 2. ,,Gib dnrch passende Ani^ben den Kindern Gelegeii>
heit, dasGklemite in freier Weise zn üben nnd anzuwenden." (An^FB'^^nf „deren
Form zn erfinden innerhalb gewisser (Jrfnzen dfm Kinde ganz allein über-
lassen wird", z. B. ,,au8 einer Figur durcli Hineinlegen einiger Linien eine
neue zu bilden"; schwieriger: Einzeichnen von Blättern in bestimmte geo-
netilsche Figuren; fttr Mftdchen: Verwendung von „Kanten".) 3. „Sorge für
*) LefaipUne und LehianiiBiBben für die hfiheren Schulen. Berlin 1881. Wilh. Berts.
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äußere uud sittliche Reinheit iu allem, was du dem Kinde im Unterrichte dar-
bietest; nnr solche Anschaaungen und Vorstellimgen sollen dem Kinde geboten
werden, am denen dttUdi reine, edle PhantMlebüder entstehen klhmen**. (linn
ist VOl ein wenig eretannt, diese „Regel" ^ei ade hier zu finden.)
578. Charakter und Cliaraktorl.ildung (Päd. Ref. 1892, 29.)
Die Schule sorgt für Charakterbildung, indem sie in deu Zöglingen die Fähig-
keit entwickelt, „stets logisch zu denken uud nach sittlichen Grundsätzen zu
hudeln." („h^flaeli denk«i heUt vor sllen Dingen, die Oedanken von
SchdnheitspflSstercheu und Anstandseduninke rein lialten nnd jeden Gedanken
ordentlich ausdenken bis zu den letzten Consequenzen, und sittlich handeln
heißt, sich zur größtmöglichen Vollkommenheit emporschwingen, dabei aber
niemals die berechtigten Interessen seiner Mitmenschen schmiUern, auch stets
Min eigenes Wol dem Wole des Oansen onterordnen"). Unter der dsntiohen
Lehrenehnft henrseht viel Hangel aaOiarakter, was sieh aneh wieder aaf dem tots-
ten Deniachen Lehrertag in verschiedenen, vom Verfasser theil weise angefahrten
Äußerungen gezeigt. („In der Lehrerschaft tritt reichlich stark hervor die
Missachtnng der eigenen Menschenwürde, die Speculation auf die Eitelkeit der
Höherstehenden, das Bestreben, stets einen guten Schein zu wahren, besonders
auf groBen LdtreryerBammlangen. " — Diese berechtigten Vorwürfe sind noeh
lange nicht oft genng erhoben worden.)
579. Schäden auf dem Gebiete des modernen Jngendunter-
richts 'K. A. Geil, Rejiert, d. I'iid. lHi>2, VIII.) Grundiibel im heutigen
Schulwesen: „Große Forderungen an das Wissen, geringe Ausbildung der
selhetthitigen freien Arbeitskraft.* (Folgen: „Unklarheit über das Wesen
der Arbeit, geringer Bespeet vor geistiger Thätigkeit, Unlnst zor Arbeit."
Nothwendiges Gegengewicht als Mittel, Lost sir Arbeit na erwecken nnd an
steigern: Handarbeit.)
580. Über Individualitätsbilder (K Brinkmann, Neue Bahnen 1892,
IV. V). Eine grflndllehe^ nmHusende Arbeit, 47 Seiten 8^ — BegrilT — Ge-
schichte) Pestaloasi: Nenbof, Iftrten; Herbart: Handebrerthfttigkelt, Umiiss
p&dagogischer Vorlesnngen; Baabes Haus in Hamburg; akademisch-pOdago-
gische Seminarien in Leipzig und .Jena) — Wert (Nachweis überflüssig;
Verfasser bringt ihn aber doch, da bisher ^nur kleinere Kreise die theore-
tischen Forderungen in die Praxis übertragen haben ") — Inhalt (Vermögens'
yeririUtnlsse der Eltern, Ansahl der Familioiglieder, WohnnngsTerlilltnlsse,
Beruf des Vaters. Bildung und Interesse der Eltern an der Schule, Charakter-
eigenschaften und ..Moral'* der Eltern. Körperliche, ^speciell gesundheitliche'"
Verhältnisse des Kindes; Gaben und Fähigkeiten", geistiger Entwickelungs-
gang; Leistungen in den einzelnen ünterrichtsfächern; Temperament; „Tugen-
den nnd Fehler in nnterrichtUcher Besiehong''; Verhalten gegen Eltern nnd
Lehrer, Hitschttler und Fremde; „bescmdere Yetkommnisse" im Leben des
Kindes) — Quellen oder Mittel für die Beobachtnngen (allgemein bekannt). —
F'in Schlusswort spricht von den Schwierigkeiten der Arbeit, besonders in
schülerreichen Classen. Erleichterung: „Das Individualitätenbuch, das die ge-
sammelten Beobachtungen enthält, begleitet eJnfikoh die Schüler voä CSlasse an
dasse; Ar die Zorllckbleibenden*) werden die betreffonden BlEtter herans-
*) Veil spricht ron «^rOdcUeibeiiden Bemanenten**!!
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■geUtot (llmlfaii Mm Übergang eines Kindee in eine andere Schule). Noch ein-
fiMsher: itatt des IndtTidnalitjtenlweha eine Mappe mit losen Blittam. Für
jeden Schttkr wIrde ein Blatt bestimmt sdn, welches ihm mitgegeben wird,
wenn er in eine andere Classe oder Schule tibere:eht. Ein eigentliches, ans-
lührlicheres Individualitätsbild würde dann nur von einigen psychologisch be-
sonders interessanten oder schwer zu behandelnden Kindern anzufertigen sein,
wihraid sieh der neue Lehrer betreffii der flbrigen SehtDer mit den elnselnen
Notizen des Individualitätenbaches begnügen müsste."
581. Die Logik des Sprachgeistes (R. Hildebrand, Zeitschr. f. d.
deutsch. Unt. 1892, III.) ^Logik des Sprachgeistes" kein ,.formales Arbeiten/"
sondern „Walten der Sache, des Inlialis, des Lebens selber ~ (die uns von
aoBen kimmeii vnd sich in nns sosnsagen selber weiter verarbeiten'*). Der
Sprachgeist „ist wie der Sachgeist selber". Das ^Schnldenken" gebt der
(Rußeren) Wirklichkeit, der Sprachgeist der 'inneren) Wahrheit nach. —
Zu der Thatsache, dass Auge und Uhr in gewissen Fällen nur in der Einzahl,
in anderen nur in der Mehrzahl gebraucht werden, bemerkt Meister Hildebrand:
,,Pa liegt eüie doppdte Art sa denken vor; die eine, kann man sagen, erHust
die Wirkliehkeit (denn wir haben ja in WirkUehkfft swei Angm und Ohren),
die andere aber die Wahrheit; denn die zwei Augen sind in Wahrhdt dodi
wie eins. Die eine Art zu denken fasst das Ding in seinem Außen, die andere
in seinem Innen, die eine von der den Sinnen vorliegenden Oberfläche, die
andere in seiner den Gedanken sich erschließenden Tiefe. Dieser Untersehied
des Av8en vnd Innen in ihrer Venehiedenheit fBr das Erfusen md Denken
ist aber überhaupt von der höchsten Wichtigkeit für die letaiten SSIele
unseres Daseins, und dem jugendlichen Geisto schon kann an den
gegebenen Beispielen der Zugang zu dieser Erkenntnis leicht geöffnet werden.
Das ist um so brauchbarer oder nöthiger, als der Zeitgeist von heute, in dessen
Lnft sie (die Schiller) doch nnn einmal anfvraehaen, einseitig dem AnSen sa*
gekehrt ist nnd dem Innen, in dem doch alles walure Leben wohnt and wnr^
zeit, gern den Rücken kehrt oder es gar 2D lengnen bestimmt ist, nnd zwar
alles das in dem Wahne, endlich den rechten Weg der Wahrheit gefanden za
haben."
682. Das Studium spraohlicher Entwiekelungen (B. Dietrich,
Zeitschr. t d. deutsch, ünt 1892| IV.) „Von Beruft wegen m Wanderungen
in die Sprachgeschichte genöthigt" : Fsychologen, Philosophen, Erzieher (letztere
am meisten). „Weil aber die Wörter Schöpfungen der Volksseele sind, nnd
weil es eine Pflicht der \'aterland8treue ist, die Volksseele zu kennen nnd zu
▼erstehen, so hat jeder Bürger die Aulgabe, sich wenigstens mit den Aus-
drücken inhaltsToIler Haipibegriffe, welche die Begdn der elnfhehen Lebens-
flUirang bestimmen, vertraut zu machen." (Darstellungen solcher Entwicke-
lungsgeschichten für „Volksblätter-' sind stilistischo Jieisterstücke.) — Wie
das Studium zu betreiben ist: an den Hochschulen (Lehrbuch: Grimms Wörter-
buch — „sprachgeschichtUche Übungen" am „deutschen Seminar"), Mittel-
sehalen (im GesehiehtsunteRicht mindeatens ein Jahr langEntwickelangsgänge
namentlich solcher Begriffe, die sich auf die staatUdien, gesellschaltliehen
und Verkehrsverhilltnisse beziehen: die Schüler legen sich für gewisse Haupt-
Worte des Volkslebens Sammelhefte an), Volksschulen (zunäohst gilt es nur —
nach der in Hildebrands Sprachunterricht gebotenen Anleitung — W ortsippen,
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— 796 —
Einzelzüge aas dem EntwickeluDgsgang eines bestimmten AUtagewortee, Spraeh-
bilder m gewinnen und eo „den Boden m bereiten. ") Im gnnsen luuin die
Yolksschnle „nur eine geringe Anzahl LebeDSgeschiditen deutscher WOiter
bieten. Da wäre es denn ein hohes Vei dienst der Jagendzeitschriften, wenn
sie hier reichlich erpänzend einspringen wollten.-* Wie dies geschehen kann,
wird au drei Beispielen (Kaafmaon, Krämer, Kuappsack) gezeigt, von denen
die beiden ersten bereits in der „Denteehen Jugend" (Oct./Nov. 1888) Anf*
nabme gefunden haben. — Anhangsweise ist der Arbeit beigefGgt ^eine
siirachgeschichtlich-pädagogisclie Studie" des Beirriflfe« Kunst, zngleidi als
Cluster für die im deatadien Seminar der Hociuchule anzufertigenden „ Lebens-
bilder."
58a Geld („Zar Prdibeweibvig", Deotsdie Sduilprazis 1892, 29).
„Bas Geld ist ein so nngemein wichtiges Bing „da draoAen in der Welt",
dass es ohne Zweifel einmal in der Schnle (die ja „förs Leben" bilden tmXL
nnd will) einer näheren Betrachtung unterzogen werden mnss. Das könnte auf
der Oberstufe der N'olksschule, etwa während des letzten Jahres, in zwei, drei
Bedienstnnden oder im Deutschen (Aufsatz) oder erst in der Fortbildungs-
schule (VoUEswirtschaftslehre) geschehen. Mvn Ist es aber klar, dass das
Interesse ein lebhafteres und die Einsicht eine tiefere sein wird, wenn wir die
Schüler in die Entwickelnngsgeschichte des Begriffs einführen/ Zeit nnd
Fassungskraft der Schüler erlauben es, wenigstens das Wesentliche aus dieser
Geschichte lebendig vorzuführen. — (Der Aufsatz ist durch Nachlässigkeit
des Correctors ftnUerilch benaehtheiligt worden. Er aeriSUt eifonbar in drei
Theile. Die „m" springt sofort ins Auge, die „I" übersieht man leicht
nnd die ^11" sieht man gar nicht. Dazu eine Menge Dmclcfeliler!)
584. Über Zeichnen nnd Anschauungsunterricht (C. Gurlltt,
ZSeitschr. f. d. gewerbl. Unten.'"; 1892/93, I). Im wesentlichen ein Referat
ftber die „Aufgaben der Kanstpsychologie* von G. Birth (2 TheUe Mltaiohen
1891), der in diesem seinem Bnche ^nUt Heisterhand die GrondÜBhler unseres
Unterrichts unischrieben." — Aus den Einleitungs- nnd Schlussworten Gnrlitts:
„Was soll dem Kinde das Bild der Kuh, des Schafes, des Hahnes, wenn es
nicht im Gedächtnis die Vorstellung des lebenden Thieres findet; was hilft die
vollendetste Kunst des Zeichners und Erklärers, wenn sie doch nur in der Ab-
straetion gegeben wird, d. h. ohne lebendige Ansehanong. Es ist ein Zng von
Unwahrheit, von Phrasenthum in dieser Form der Belehrung. Das Kind be-
kommt ein vorbereitetes Bild der Natur, schafft sich nicht selbst ein solches.
Es lernt erst die Darstellung und dann die Wahrheit kennen: es misst die
Darstellung nicht an der \Vahrheit, sondern die Wahrheit an dt- r Darstellung.
Ein Monat anf einem Gntshofe scheint mir Idirreicher als die ganze Brehm'
sehe Naturgeschichte mit ihren lahUosen Bildem; denn nicht das Viel erhSht
die Anschauung, sondern die intensive Art des Sehens, das vollkommene Ein-
dringen in die einzelnen wechselnden Formen, nnd dies ist zunächst nur an
wenigen oft gesehenen belebten Gegenständen möglich." — „Unser Zeichen-
unterricht ist vor lanter i^Btematischem Geist der Lehrer der geistloseste ge-
worden. Er will den Eindem nach nnlUilbarem Stystem Handfertigkeit im
Zeichnen geben nnd entwShnt sie vom Zweck, nftmlich von der bildli<dienBar-
*) Einzelheit üO l'lg.
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— 797 —
Stellung' ciiU'S in Jas Gedächtnis au^enommenen Gegenstandes. Was würde
man von t in* m Lelin r des Schreibens sag-en, der die Boebstaben zu schönen
Keihaugeii zusammenfügte, aber die Kinder nicht Worte, Sätze schreiben
lleBe; dar de die Schrift lehrat wollte, ohne doi Zweck der Sehrifti den Ant-
drnck von Gedanken I**
585. Malendes Zeichnen (A. Küppers, Monatsbl. f. d. Zeichenunterr.
i. d. Volkssch,*) 1892, VII.) -Trotz der anerkennenswerten Fortschritte, die
der Zeichenunterricht in den letzten Jahren sowol in Bezug auf Methode als
anf Lehrmittel nndLiterator gemacht, ist sein Abschlnas noch Immer nicht be-
friedigend.** Er wird es naeh der Ansicht des Verf., weuD. neben dem „eneteo
Zeichnen" (Üben der Elemente, geistiges Erfassen der FormeD) ein „angewandtes,
malendes Zeichnen oder Skizziren" hergeht, beide sich gegenseitig unter-
stützen. Malendes Zeichnen von Anfang, d. h. vom ersten Schuljahre an ein
Zeichnen nach der Natur. „Die zeichnerischen Formen werden ähnlich wie die
Sehriltformen bis nr grifßten Fertigkeit geübt.** Das Üb«i der Blattformen,
Schnabel-, Zehen- n. ä. Linien eifolgt wie Veini Schreiben im Takte („das
gibt der s:anz(^n Thätigkeit Schneid, Lebendigkeit und Interesse; und bei
richtig« r Consequenz und Energie sind die Erfolge überraschend" ). Lelirplan,
Stoß Verlheilung, Unterrichtsbeispiele. — „Ein Schüler, welcher regelmäilig
(8 Jahre lang) die Volksschnle besncht hat, mnss bei seinem Abgange befähigt
sein, die Bilder von Dingoi, wdcbe in seinem Anschannngskreise liegen, mit
einer gewissen Fertigkeit entwerfen (skissiren) m kttanen."
Unter den neuen Broschüren möge besonders und mit warmen Em-
pfehlungen herrorgehobm werden: „Zum religiösen Frieden von J. Froh-
sehaBuner^ (26 Seit«!, Breelan bei Bdnard 'Drewendt). Als Probe ans
dieser bedentraden Abhandlung sei folgende Stelle mitgetheilt:
„Der moderne Staat lässt verschiedene Confessionen zu, gewährt Beken-
nem verschiedener Eeligionen staatsbürgerliche Kechto, — während die
Kirche deren Vertreibung oder Ausschließung fordert. £r duldet und übt
nicht mehr Anwendung plijslscher Gewalt gegen Ezeommnnizirte nnd Ketzer—
was die päpstliche Kirche noch im sogenannten Sfyllabns ausdrücklich fordert;
CT schützt die freie wissenschaftliche Forschnng, während diese Kirche und auch
andere Orthodoxien dieselbe unterdrücken, in Unterwerfung halten wollen; er
hebt die Immunität des Clerus auf und unterwirft denselben seineu Gerichten
in Widerspraeh mit dem eaaoiiiseheB Bedite n. s. w. Wollte der Staat sieh
in allem den Fordenmgen der Kirche fügen, nm nicht in ihr Gebiet einmi-
greifen, dessen Gremun die kirchliche Autorität selbst bestimmt, so müsste er
sich selbst und die ganze Wissensc liaft und Civilisation der modernen Gesell-
schaft aufgeben und auf Ktalisirung der Humanitätsidee verzichten. Allein
der Staat hat ein Recht, auch bezüglich der Religion aligemeine Bestimmungen
im Interesse der Sittlichkeit (des sittlichen Gewissens — oft im Gegensats
gegen das religiüse resp. kirchliche Gewissen) und der wirklich christlichen
Gottesverehrnng zu geben. Das Cliristenthum ist nicht Eigenthuni eines
Standes, des l'lerus, das derselbe nwv unter seinen Bedingungen niittheilen
oder versagen könnte, sondern ist Aligemeingut der Menschheit und insofern
*) Binselnammer 40 Pfg.
PndaffosiuB* M. Ahig. H«fl ZU. 55
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— 7Ö8 —
auch des (christlichen) Staates das dieser der Jiiß:pnd und dem Volke kann
mittheiien lassen, ohne erst vom Clerus oder einer Kirche um Erlaubnis dazu
betteln zu müssen, die ihm etwa nur gegeben werden soll unter der Bedingung,
dMs er aof Mine widitigtten Rechte yersicfate nnd es «ieli nnmOgUck madie,
seine Rechts- und Caltnraufgaben za erfüllen.
Wir verhehlen uns nicht, daas es wol noch geraume Zeit dauern mag", ehe
dieses I'ro^ramm zur Herstellung des religiösen Friedens zur Ausführung
kommen wird. Ja gegenwärtig erschienen die Verhältnisse so geartet, als ob
Tielmehr dit Qegentbeil d»Toh nir Ansfllbning kommen sollte. Der Staat
wdeht Üut allenthalben, besondere in Deutschland, vor den AngriÜBn nnd
Forderungen der Orthodoxien und besonders der päpstlichen Kirche zurück nnd
sucht durch Concessionen nnd Compromisse zu beschwichtigen oder zu befrie-
digen, und kaum irgend ein Vertreter der Staatsregternngen wagt es mehr,
entschieden den kirchlichen Prätensionen entgegen za treten, sondern allent>
. halben verhSlt man sieh nnr Tertheidlgangswelse nm des Heben Friedens willen, ~
den erregten Fanatismus des ungebildeten Volkes nnd seiner zelotischen Führer
fürchtend. So gewinnt der Clericalisraus immer mehr Boden nnd Macht, und
wenn die Staatsmänner noch so sehr Friede! Friede! ruftrn, wird doch kein
Friede sein, ehe nicht volle Unterwerfung des Staates unter die iürche er-
reicht Ist. Wraigstens bezBgUch der päpstlichen Kirche gilt dies, da diese
absolute Herrschaft und directe Göttlichkeit oder Stellvertretung Oottes aof
Erden beansprucht und daher von Völkern und Fürsten unbedinp^te Unterwer-
fung fordert in allem, was sie fdr kirchliche Angelegenheit erklärt. Diese
Forderung wird seit Jahrhunderten gestellt und durchzuführen gesucht £s
gelang dies aneh in firttherer Zeit vlelfiufa in hohem Orade bei der Olinbigkeit
des Volkes nnd bd der sIlgemeineB Unwiswidielt nnd ünkenntnis in kirehUdien,
insbesondere in kirchengeschichtlichen Dingen. Nun aber, nach so vieler
wissenschafdicher Forschung im Gebiete der Natur nnd (Tescliichte, sind der-
gleichen Ansprüche nicht mehr aufrecht zu erhalten und anzuerkennen. Man
hat die Entstehung der sich als absolut gebenden kirchlichen Antoiit&t erkannt
nnd die sllmfthUdie Entstehnng der 01anbenstatznng«n nSher erfiirsoht nnd
deren mensehlidien Ursprung Bl^ Charakter genugsam erkannt , so dass man
die Forderungen ihrtT 'lYiij^er und .*^achwalter nicht mehr für absoint gültig
halten kann, als kämen sie von Göttern gf^enüber den bloßen Menschen — wie
man dies bisher geltend gemacht hat. Wozu wäre z. B. insbesondere die Ge-
sdiiehtsforschnng, wom historische Oommissioiien, Vereine und wissenschaftliche
Institute aller Art, wenn man zuletzt doch die erforechte historische Wahrheit
nicht kundgeben und im Interesse der Wahrheit und des Rechtes geltend
machen dürfte V Das wirkliche Christenthum selbst wird dadurcii keineswegs
zerstört oder irgendwie beeinträchtigt; es ist ein Kampf zwischen dem theolo-
gischen nnd hierarchischen oder theokraüschen (Aitatenthim nnd dem Christen-
thnm Christi; die Wissensehafk, die Oesehichte nnd I^ilosophie insbesondere,
stehen dabei auf selten des letzteren in seiner einfachen, reUgUMttUehen
Form. — Es ist freilich ein undankbares Beginnen, dergleichen auszusprechen
und der Wahrheit Zeugnis zu geben gegenüber der [lußerlichen, auch weltlichen
Macht der Kirchen und Confessionen, und es ist wenigstens vorläufig noch ein
vei^ebliches Bemtthen, dies ins Bewnsstsein der VBlker einznfllhreii nnd anr
Überzeugung derselben zn machen; aber der Verlauf der geschichtlichen Ent-
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— 799 —
■Wickelung- wird schließlich doch zur Ausfuhrang', zur Realisirnng: des skiz-
zirten Programms führen, wie schon so manches besonders in der neaeren
Zeit zur AoBführuDg kam, was man für unstatthaft oder anmöglicli hielt."
Nürnberger Rechenbrett. Diesen Nameii fährt ein Apparat, welchen
Herr Ernst Tnilltscli, Lehrer in Nürnberg:, vor einiget Jahren erfunden
hat, und der dazu dient, sämmtliche Rechenoperationen im Z ihlenraum von
1 — 20 zu veranschaulichen. Da derselbe nach und nach in einer Reihe von
- 4eatscli«ii Staaten amtlich genehmigt nnd empfohlen nnd von einer greSenAa-
■lahl von Schulmännern hdchst lobend beartheilt worden ist» bo iknden wir ans
Teranlaset) denselben einer praktischen Prüfung zu unterziehen, welche zu
dem Ergebnis führte, dass der erwähnte Apparat in der That den ihm gespen*
deten Beifall und daher weitere Verbreitung iu vollem Maße verdient.
«6*
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Reeensionen.
Comenins-Literatur.
Bevor wir diesen Jahi^^uig des nPaedaffogiums" schließen, müssen wir noch
einen Blick auf etliche Schriften werfen, welche sich mit dem ^oßen Schulmann
befassen, der in dem jüngsten Zeitabschnitt mit Recht so viel gefeiert worden ist
und gewissermaßen der pädagogiscJie Begent des Jahres 1892 genannt weiden kann.
Sdion im Mänshefte hemerkten wir tther eines der hierher gehiirigen Werke, das
damals zu erscheinen begann, da.«.« cs „\vol die umfassendste und gründlichste aller
lushengen Arbeiten über Comenius werden dürfte." Seit einigen ILonaten liegt ea
nnn unter folgendem Titel YoUeadet vor:
Johann Arnos Comenins. Sein Lflliea und seine Schriften von Dr. Jo-
hann Kvucsala, Prof. am ev. Lyceura in Pressburg. Berlin, Leipzig und
Wien bei Julius Klinkhardt. 480 und 89 Seiten. Preis 4 Mark 80 Pf.
Unsere Voraussagung hat bereits eine gewichtige BestÄtigung erhalten.
Anton Giudely, der hier gewiss i-onipetent ist, sagt näniluh: „T'on ganzen
Iiebenslauf und die gesammte liteiahfidie Thätigkeit des Comenius hat Kvacsala
nm Gegenstmid der eingehendtten IJnteimiehnngen gemaeht und anf deren
Grandlago eben ein Werk veröffentlicht, divs den ersten IMatz unter den bis-
beiigen Biographien des Comenius und den ikurtheilungen seiner literarischen
ThStigkeit einnimmt.* ^iehe „Pädagogiseher Literatnrbericht'' Jahrgang II,
Nr. 10, Znaini hei Foumier «S: Haberlf^r.» Erst aus dem Werke Kvacsala's
tritt uns der ganse Comenius, wie er mit allen Bewegungen seiner Zeit em-
pftmgend und wiilund Terwacbsen war und fast alle Lftndor unseres Erdteil»
umspannte und beeinflnnte, lebenstreu und hol! bolenrhtet entgegen. Das vor-
liegende Buch fai^t nicht nur die Krgebnissc der bisherigen Comeniusforscbungen
msammen, sondern bereichert sie auch betrSchtlich durch Ausbeutung bisher
unbenutzter Quellen. So erscheint nun t'omenius, indem besonders auch seine
kirchliche und politische Wirksamkeit eingehend dargelegt wird, als eine weit
nicheve, vielseitigere und ai tiv« re Persönlichkeit, als bisher, zum Theil in
anderer Gestillt als bei frühtTcn Biojjraj'hen. Natur! ii h mugstcn da auch seine
Verirrungcn und Misa^rift'c dcutlicii hervortreten, zui;leich aber ihre genetische
ErUftmng finden. Seme Vorläufer und Zeitgenossen sind weit voltstAudiger
und ||[enauer dargestellt, als in anderen Schnfteu, und selbst über die weit-
geschichtlichen Ereignisse seiner Zeit enthSIt Kvae«ala's Werk neue Auf-
8ch]Us.«c. - I'ios alles konnte nur erzielt werden durch « ingeliendt s Studium
eins höchst umläoglichen Quellcnmaterials, wie es in großen Bibliotheken,
Archiven, Muteen nnd sonstigen Sammlungen — sn Prag, Budapest, Wien,
Dresden, Hannover, ll rrntiut. Li.ssa, London u. >. w. — sich findet und de.s.scn
erfolgreiche Verwertung nur bei so ausgebreiteten äprachkentnisseo, wie sio
Herrn Kvacsala zu Gem>te stehen, gelingen konnte.
(iern wird man in Erwägung alle.s dessen einicrc Miingel entschuldigen,
welche dem Werke anhaften. Dass es hie und da „sprachliche Unebenheiten**
avfweisnn wttide» sali du Hen YeifMMev MllMt Tnaos, da dM Deatselie nicht
aeine Hntterq^mdie ist} indessen sind dieselben geiinger, als man wol hfttt«
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— 801 ~
erwarten können, und kaum irgendwo stören sie den Sinn. Die Darstellung*
möchte man im ganzen frischer, plastischer und übersichtlicher wünschen; die
eigentlichen biographischen Data treten oft nicht genügend scharf aus den
überwuchernden theologischen, kirchlichen und politiscnen Händeln hervor.
Ungern vermisst man ein Inhaltsverzeichnis, und auch ein Index wäre sehr
erwünscht, da das umfang- und stoffreiche Buch durch solche Behelfe leichter
genießbar werden würde. Indessen werden sich diese Mängel in einer neuen
Auflage des Werkes, die wir ihm recht bald wünschen, abstellen lassen; schon
jetzt aber ist es, wie gesagt, die bedeutendste und wertvollste Arbeit ihrer
Art, die zwar keinen Massenabsatz zu erwarten hat, wol aber Aufnahme in
jede cinigermassen ansehnliche Bibliothek beanspruchen darf.
Hieran reihen wir ein mehr populäres Buch, nämlich:
Leben and Schicksale des Johann Amos Comenins. Mit Benutzung
der besten Quellen dargestellt von Anton Vrbka. Mit einem Verzeichnis
der neueren Coraenius-Literatur und II Abbildungen. Znaim, Fournier &
Haberler. 16Q und ]A Seiten. 2 Mark.
Eine schöne, t^elbstständige, sorgfältig und mit edler Begeisterung ver>
fasste Schrift, die unter den Werken ähnlicher Bestimmung mit Ehren be-
stehen kann. Zwar können wir dem Verfasser bezüglich des Geburtsortes des
C!ouicnius nicht zustimmen (s. oben), auch lässt er hie und da eine merkliche
Lücke, wie er z. B. den wichtigen Schulbesuch in Prerau gar nicht erwähnt;
dagegen bringt er auch wertvolle Ergänzungen zu dem bisher Bekannten und
selbst Berichtigungen alter Irrtümer. So wird man ihm z. B, Recht geben
müssen, wenn er den Tod der Eltern des Comenius in das Jahr 1604 verlegt,
obgleich noch Kvacsala an der älteren Tradition, die auf 1602 lautet, festhält,
allerdings in Übereinstimmung mit Comenius selbst, dem aber hier jedenfalls
ein Gedächtnisfehler unterlaufen ist. Hervorheben wollen wir auch, dass Vrbka
den bchOncn Ausspruch von Comenius bringt: „Gewissen und Freiheit, die kost-
barsten Güter, verkauft man um kein (feld." — Auch die dem Buche einver-
leibten Bilder sind sehr schätzenswert, und überhaupt gehört dasselbe zu den-
jenigen Schriftwerken, denen man mit Nutzen und Vergnügen vollen Antbeil
widmet. — Hieran reiht sich ehrenvoll an:
Comenius als Kartograph seines Vaterlandes. Nach der böhmischen
Abhandlung von Josef ^rnaha, mit einem Neudruck der Karte des Comenins
deutsch herausgegeben von Karl Bornemann. Znaim, Fournier & Haberler.
4S Seiten Text. 1 fl.
Eine nicht voluminöse, aber höchst dankenswerte Gabe. Denn gewiss
werden aus diesem Beitrag zur Comenius-Literatur viele, selbst sehr belesene
Schulmänner den jjroßen Pädagogen von einer neuen Seite kennen und schätzen
lernen. Als er niiuilich, aus Amt und Heimat vertrieben, sich im Exil ver-
bergen musste, beschäftigte er sich u. a. damit, sein Vaterland Mähren karto-
graphisch darzustellen, und Anno 1627 war die Zeichnung vollendet. Mit
vielem Vergnügen sehen wir dieses für jene Zeit vorzügliche Werk — Moraviae
nova et post omnes priores accuratissima delineatio, auctore J. A. Comenio —
der verbesserten Originalausgabe von 1645 vollständig getreu nachgedruckt vor
uns liegen. Die Textbeigaben enthalten alles, was man nur immer zur Be-
leuchtung des kartographischen Werkes wünschen kann.
Nun seien noch zwei Bücher angeführt, welche zwar nichts Neues bringen^
immerhin aber wegen ihrer im ganzen guten Darstellung des Bekannten ge-
nannt zu werden verdienen:
Johann Amos Comenius. Sein Leben und seine Werke. Von W. Kaiser.
Mit Brustbild. Hannover-Linden, Manz & Lange. 148 Seiten. 2 M.
Johann Amos Comenius nach seinem Leben und Wirken. Eine Jubilänms-
gabe zu seiner 300 jährigen Geburtstagsfeier von F. Gr und ig. Gotha,
Thienemann. 92 Seiten. 1 M.
— 802 —
In biographischer Hinsicht lassen beide Schriften zu wUoscben übrig, ent-
halten sie auch manche Fehler: so sagt Kaiserz. B.: Comeniussei ^zufällig^
nun Stadium der lateinischen Spradie gelangt, während er ne doch ab-
ordentlicher Zögling einer liiteiuischen Schule repclrecht erlernte; femer spricht
er von den „müßig" verlebten Jahren der Kindheit des Comenius, wa» doch
unrichtig ist; die Angabe, dass Conieniui bis 1667inSaros-Patak geblieben sei,
ist wol ein Druckfehler. Grundig sjiricht von dem ..fine Stunde von Niwnitz
gelegenen Dorfe Ungarisch Brod" und sagt, Comenius' Vater sei von Kiuiuia
nach Niwnits gengen u. dgl. IndeKea sind beide Schriften, beionders für
Volksschullehrer, aus dem Hninde zu empfehlen, weil sie genauer und im
ganzen richtig in die Püdu^ugik, besonders in die Untcrrichtslehre des Come>
niiM, einfuhren (Kaiser hnngt tthiigens Mandies, ww ttber sdne Avfgab»
hlmiisgeht).
Doch wir mtlsscn abbrechen, da es vmnQglich ist, in einer allgemeinen
pädagog. Zeitschrift die buchst umfängliche C'omenius-Literatur, die ia selbst
poetische Erzeugnisse — und darunter recht gute — aufzuweisen hat, nur
annähernd vollständig anzufahren. Wir yerweisen daher nur noch auf di»
j^iedalschrift
.]f onatsbefte der Comenins-Getell-echaft (Jahrgang 10 Mark| ein
Monatsheft 2 M. 50 Vf.), Leipzig bei R. Voigtländer,
welche sehr wertvolle und zuverlässsige Beiträge und auch eine voll-
■tiadigo Bibliogiaphie der Gooienins-Literatnr darbietet.
Dr. Julius Roihfuchs, Provinzialschulrat zu Münster in Westfalen, Be-
kenntnisse aus der Arbeit des erziehenden Unterrichtes. Da&
Ubenetsen in das Dentsehe und manches andere. Harburg 1892, ElwarL
178 S. 8K.
Ein schönes Stück Gymnasialpädagogik. Ausgehend von den vielfach er-
hobenen und, von Cbcrtreibungen abgesehen, nicht unberechti|>ten Klagen
fiber die Schädigung des deutsäien Stils durch das Übersetzen aus den alt-
claiascben Sp''»'^!'*'"» besonders aus dem Lateini8<-hcn, eine Schädigung, welche
sidk nameDtluh iu Latinismen und sogenannten „StilblQten" kund gibt, macht
YerfMscr dieses übersetzen, eine Hauptbeschäftigung in den Gymnasien, zum
Gegenstande eingehender Untersuchung, Prüfung und pädagogischer Berathung.
Wenn dabei sein Hauptzweck war, zu zeigen, wie einerseits der Gefahr, durch
das Obersetzen das GeflSbl für die Eigenart der Mattenpracbe zu trüben, vor-
subeugen sei, anderseits eben dieses Mittel gerade im Gegentheil dazu dienen
hOnne, den deutschen GedankenrasdradE zu b^chem und su verfeinem:
so bat doch Dr. Edtlifuehs, un» sein Thema allseitig zu beleuchten, auch die
demselben verwandten Uaterien in Betiacht gesogen. liamentlich gilt diea
Ton der Leetftre ebuNdseher Sdiriftweilce in Ihrer Ausdehnung, Anlage und
Einrichtung, sanimt den hierzu gebrtrigen Präparationen, ihren Beziehungen tn
Lexikon und Grammatik, ihrer Bedeutung für Nährung und Veredelung dea
Geistee, ihrer disciplinarischen Kraft v. s. w. Dabei konnte natflrlieh aadi die
Besprechung allgemeiner Scbulfrngen, wie die über Methode und Methodik,
Uber Persönlichkeit und Stellung di s Lebrers, Uber Überbilrdung der Schiller,.
Aber Ghafakter und Wert der griechisc h - römischen Literatur a. s. w. nicht
umgangen werden, und auch in dieser Hin-icht bringt das Buch höchst
schätzenswerte Ausführungen, wie z, B. die kurze aber tretYtnde Parallele
zwischen Demosthcnes und Cicero auf Seite 101 f., oder die kernige Skizze ttber
..Methode und Persönlichkeit" iu)f Seite 15ßf. — Hei iilledeni bleibt aber „das-
Uebersetzen in das Deutsche" das liauptthemu des Buches, und ist dieses mit
^er solcben monographischen Gründlichkeit und AUseitigkeit bebanddt, wie-
unseres Wissens bisner nirgends. Fügen wir hinzu, dass sich in dem ganzen
Buche eine reiche fachmännische Erfahrung, ein feiner, freier, allem schablonen-
haften, eigensinnigen und rechthaberischen Pedantismus abgeneigter Geist,,
endlich warme Liebe zur Jugend und mm Erziehnngsberuf ausspridit^ so babea
wir gesagt, welchen Eiadmek des Baeh auf uns gemacht bat.
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— 803 —
Dr* Ralnmnd OeU«r, ClatsiBches Bilderbuch mit weit Uber 100 Tafeln,
enthaltend 8ber 200 Abbildungen nebst 6 Plänen nnd 1 bnntfarbigen Tatel.
Leipzig, Schmidt und Günther. Preis 1 M. 80 Pf., greb. 2 M. 50 Pi.
£m sehr sch&tsenswertea Lehr- und Lernmittel für den Gyuinaäialuütcr-
rieht zu Händen der Sehflier. Abg|ebildet rind GOtter, historische PersoneD, Bau*
nnd Kunstwerke, Waffen. Kriegs- und TTausgeräthe, Schmucksachen. Städte,
LandBcbat'tcn a. s. w., wie sie in der classi.scbcn Lecttiro und im hiHtorischen
Unterricht des Gymnasiums vorkommen. Den einzelnen Bildern ist ein er-
lüiifornder Text bi iiri ^cben. Es war ein sehr glücklicher Gedanke, ein solches
Werk zu entwerten, und die Ausführung kann als gelungen bezeichnet werden.
Hier ist in der Tbat, wie man bisweilen ohne Berechtigung sagt, einem
wirklichen nnd längst gefUüten fiedfkzfnifiae abgeholfen, und das Werk wird
seinen Weg machen.
Hermann Masins. Bnnte Blätter. Altes und Neues. Halle a/S., 1892,
Buchhandlung des Waisenhauses. 384 S.
Bine reichhaltige Sammlung kleiner Heisterstflcke des geistigen Sdialliena
und der stilistischen Darstellung, peunlntt in die drei Abthcilunfren : Reden,
Biographische Charakteristiken und Naturskizzen. Von cr^teren erwähnen wir
die Festreden auf Schiller, Fichte, Francke und die Lehrvortrftge über den
Humanismus in seinen Einwirkunjyon auf die deutschen Gelehrtenschulen und
und über den Erzbischof Bruno vou Köln; von den .\rbeiten der zweiten Kate-
gorie: Gennaniciis, ein Bruchstück römischer Geschichte. Ulrich Zwingli, be-
sonders als Humanist und Pädaffog. Fiiedrich August Eckstein, die Natur-
anschauung Luthers, Erasmus als .Sittenmaler. Wenn alle diese Essays ver-
möge ihrer eleganten und fas«lichen Darstellungsform den Leser leicht an-
sprechen nnd gewinnen, so muthen sie ihm doch auch zur Bew&itigung des
in ihnen aufgespeicherten Schatzes vielseitiger Gelehrsamkeit und anregender
Gedanken eine stete I^pannung der Aufmerksamkeit zu, wofllr ihm daim die
dritte Abtheüung des Boches mit ihren aNaturskisien" wie zur Erholung eine
leiebtere, snmn&fge nnd dennoch immer lehrreiche ünteihsltung gewilirt.
Wem die sinnige Art der Naturbctraclitung, die fi inc l^ezichUDg des nicnsdi-
lichen Daseins auf seine physischen Umgebungen, oder die geistreiche Behandlung
des scheinbar ünbedentenden nnd andere Zflge dieses gewicq^en Beobachters
und Darstellers nicht bekannt sind, der lese in diestm dritten Theile z. B.
„Marder und Sperling'', „Aus dem Leben der Katze'', „Das Haar', „Der Mond
in Sage und Diditnng".
Dr. G. DeschmauD, Führer durch Österreichs Schulen. Eine sjstema-
tiiehe DuBtdlmig der ünterrlehte- und ErdehnngBanatalteD der Vüttt* nod
Hittelstufe für die mSonliche Jngend in den im Beichsrathe vertretenen
Königreichen nnd Ländern. Pilsen 1892, Steinhauser. 180 8. 1 Fl.
Das Buch bringt zur Darstellung: die iünderg&rten und verwandte An-
stalten, die Tolks- nnd Bfirgerschnlen, die Leluerbudungsanstalten, BeschRfti-
gung.-anstalten, Internate für Volks- und Bürgerschükr, Waisen- und Rettur.ffs-
häuser, Anstalten für nicht normal beanlagte lunder; femer die Mittelschulen
(Gymnasiea, Bealsehnlen etc.), die geisUiehen Seminare und IhnÜdie Anstalten,
die militärischen, commercicllcn, gcwer!>lif h( n, land- und forstwirtschaftlichen
Bildungsanstalten, diu Anstalten für bildende, musikalische und dramatische
Kunst, sowie die Fachschulen für Thierheilkunde, Schifbüurt, Bergwesen, Phar-
macie. Überall sind die pcset/Iichen Grundlagen, die Zwecke, Einri« htnntjen
und der tbatsächliche Bestund der Bildungsanstalten klar und übersichtlich
vorgeführt, so da.ss das Buch Eltern als Rathgeher bei der Unterbringung
ihrer .'^iihne in geeignete Schulen oder Internate gute Dienste leisten kann
und auch den Pädagogen von Fach zur Orientirung über die weiten Gebiete
seines Berufs willkommen sein wird. Die Tom Herausgeber aufgewendete
Mühe und Sorgfalt verdient alle Anerkennunc die wir ihm um so mehr
wünschen, als von der Autuahme dieses Buches die Fortsetzung desselben,
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— 804 —
nSralirb eine annloge DaratcIIuiiG: der Bildungsanstalten für das weibliche
Geschlecht, endlich der verschiedenen Hochschulen, abhängig ist.
Franz Villicas, die Geschichte der Kechenknnst vom Alterthunie bis zani
XVIII. Jahrhundert mit besonderer Kiicksicht auf Deutschland und Öster-
reich. Kit Illustrationen u. s. w. Wien, Karl Gerolds Sohn. 2. verb. und
▼erm. Aufl. 110 8. 8^.
Ein mit iiii?u:(hrcitftrr Fiiichkonntnis und großer Sorgftit bearbeitete«
Werk, mit welchem sich der Vcrlasser, als Mathematiker wie all Methodilter
längst ehreBTOlI bekaimt, ein nevee Veidienst um die 'l^niMBachaft und war
gleich um die Untcrricht>praxis erworben hat; denn die Geschichte der Rechen-
kunst gehört nicht nur zu den interessantesten Phänomenen der menscbheit-
lichen Culturcntwickelung , sondern gewährt auch der Lehrkunst widitige
Gesichtspunkte und Wiiäe. Du Toniegende Werk sei daher bestens em-
pfohlen. J. S.
Hertn. Redeker und Wilh. Pütz, Der GesinnunKsunterricht im ersteiv
und zweiten Schuljahre oder: Vorbereitungscursus für den Religionsiinter*
rieht Mfihlheim a. d. Rahr, Hogo Baedeker. 165 8.
Die Verfn*ser dieses Buches sind der Ansicht, da.'^s die l)ibli»chen Geschich-
ten weder in Bezug auf den Inhalt noch in Bezug auf die t onn dem Stand-
pnnkt sech^ihiiger Kinder entsprechen, daher, mit Ausnahme der Jugend-
geaehichte Jesu, nicht in die Anfangpchiüsc gehören und ihnen ein vorbereitender
CuTsus vorangehen müsse. Der letztere könne aber weder im Anschauungs-
unterrichte oder der Heimatkunde, wie manclie Pädagogen wt^ea, nedi in
Märchen, wie Xiller vorschlug, mit geboten werden, sondern es würden sich
hierzu besonders Kinder- und Thiergeschichten eignen. Ihr Lehrstoft für den
elementaren Religionsunterricht ist nun folgender: Erstes Schuljahr: Ue.v'sche
Fabeln. Krummachersclie rarii))eln, .Tugendgeschichte Je."3U: zweites Schuljahr:
Geschichte von der fronuueu iiuth, Geschichte Josephs, .fesus als Kinder- und
Menschenfreund. Das Bnch ftihrt den hier bezeichneten Lehrstoff vollständig
vor und zeigt dann in einer Reihe von Lehrbeispielen die methodische Be-
handlung desselben. Die Sache bedarf der Prüfung. Jedenfalls aber zeigen
die Verfasser eifrige Hingebung an die vorliegende Aufgabe und didaktis(he
Gewandtheit, weshalb ihr Versuch der Beachtung wert ist und jedem Elementar-
lehrer nQtdiche Anregungen bieten wird.
Berthelt, Geographie in Bildern. 5. Aull., neu bearbeitet von Schill-
mann. Leipzig, JnL Klhikhardt. (Fr. 6 IL)
Berthelts Charakterbilder liegen in dieser fünften Aufhige vollständig neu
bearbeitet vor. Insbesondere die „ätädtebilder" sind den Umgestaltungen
unserer Großstädte in der jüngsten Vergangenheit gemäß in dieser neuen Anf-
I.igc um£roarbcitet : cinicre weniger anschauliche Schilderungen sind durch ge-
lungenere ersetzt, die seit der 4. Aufl. erschienen sind. Der Herausgeber
begnügte Heb zumeist nicht mit dem UoBea Abdmek, sondern gestaltete die
Schilderungen mit Rüeknirlit auf seinen iiiidaijogisrhen Zweck um, kürzte sie
oder vereinigte auih zwei oder mehrere .Schilderungen zu einem (ianzen, aus
der einen das, aus der anderen jenes auswählend, wie es eben sein Ziel ver-
langte. Hie und da griflF er selbst zur Feder, um ein Stück Land oder eine
Stadt, für die keine geeignete Schilderung vorlag, dem jugendlichen Leser vor
Augen nt führen*). Eamn eine Gegend, besonden nniem Vateilaadet, die
*) Die Artikel ..T'ulofaricn" und ..Montenegro" verdienten eine Umarbeitung
denn hier finden sich manche ungehörige Hyperbeln und auch sachlich Unrichtiges,
a. B. Man konnte Balgurien eine natflriiehe Feitnng aeanea, weil ee ton hohen Ge-
birLTcn luiistarrt i^t , (leren Engpässe unUbersteiglich sind. I>ie höchsten et»
hebcu .sich steiler gegen den Himmel als selbst die schroffsten Gipfel der Alpen ...
Anf diesen OeUrgikettea befladea sich ungeheure Wieien, die lieh ia den
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— 805 —
nicht hcsrhrieben wäre. Es sind im ß:anzen 216 Bilder, darunter 125 Bilder
ins Eurupa; IIU Holzschnitte, sauber ausgeführt und gut ausgewählt, iUn-
■triefen den Text. Oegenüber anderen Charakterbildern tragen sie in der
Darstelluuc: das EigenthQmliclie an eioli, daai de ftz die Volks- und Bürger*
schuUtule berechnet sind. W.
Karte der Yerbreitang der Deatschen in Europa, III. und IV. Sectioo.
Verlag Flemming' in Glogan. Preis der Sectlon 3 M .
^ Die dritte und vierte Sei ti üi veranschaulichen die Verbreitung der Deutschen
in Österreich-Ungarn ^bis zur Theißiiuie) und in Sudwestdeutschland, der Schweis
und Oberitalien. Da diese beiden Sectionen auch die Verthellung der nieiht-
deutschen Tülkcr anheben, so sind sie zugleich ethnoc^raphische Karten der
oben genauuten Gebiete überhaupt und, was Ausfuhrung und Genauigkeit im
Detail anlangt, wahre Prachtblätter. Wir wenigstens erinnern niu nicht,
etwas 80 Übersichtliches und trotz des vielen Details so Klares rniter den
ethnographischen Karten Österreich-Ungarns gesehen zu haben, und auf dciu
jüngsten Geograpbentage zu Wien war doch manches Outo ausgestellt. Fflr
die neutschen in der Diasp<na ist die Karte ein Augentrost und eine Hers-
btärke. W.
Metlxüdik des naturgescbichtlicUen Unterrichtes von Prof. Dr. Carl
Rothe, Zweite verbesserte Auflage. Wien 1891, Verlag von Fiehlers
Witwe und Sobn. 124 Seiten. Preis 1 M. 60 Pf
Der Verf. dieser Methodik ist als Verf. vieler methodischer Lehrbücher fttr
Naturgeschichte bekannt, die große Verbreitung besitzen. £s lässt sich daher
▼on Tomberein erwarten, dass er avdi in diesem Werke das Riclitio;e treffen
und den Lohrern mnnrhen nutzbringenden Wink geben wird. Lud so i-d, es
auch. In den Abschnitten Ziel und Zweck, Lehrtorm, LehrstoÖ, Lehrmittel.
Geschichtliche Kntwickelunc: der Naturgeschichte und eines methodischen Unter-
richtes in derselben und endlich Vertheilung des Lehrstoffes auf einzelne
Stufen folgt er zum Theile den behonllichen Anordnungen, zum Theile gibt
er eigene beherzigenswerte Anschauungen kund. Besonders den Artikel: Lehr-
mittel möchten wir der größten Beachtung empfehlen, da unsere eigene Er-
fahrung uns Überzeugt hat, dass in dieser Hinsicht am meisten gesttndigt wird.
Den Lehrem jeder £itegorie sei du Bflelüein anb Wirmste empfohlen.
C. R. K.
Der Zweck und Umfang des rnterrichtes in der Naturgeschichte
am Gymuasiam. Vortrag gehalten in der Versammlung des Vereins
Sdiweis. GymnaiiBllehrer in Baden von ]>r. F. HttUlierg. Asran, Draek
nnd Verlag von H, R. Saaerländer.
In sehr gelungener Weise setzt der Verfasser die Verbältnisse des natur-
wissenschaftlichen Unterrichtes auseinander, Deutschland und die Schweis, das
Einst und Jetzt mit einander vergleichend und gibt methodische Winke, wie
der natnrfaistorische Untenicht nicbt nur die Wissensmenge fördernd beein-
flnsst , sondern wie derselbe Hen nnd Verstand in einer Weise bilden kann,
wie kaum eine andere Disciplin. Der Verf. spricht viele Wahrheiten aus,
wofür man ihm nur dankbar sein kann. Das Wcrkchen Icann allerseits, auch
den Gegnern der natvrwissensdiaftiidien Disdplin, bestens mm Stndiwa em-
pfohlen werden. G. B. B.
Ans meinem naturgeschichtlichen Tagebuche. Beobachtungen and
Aufzeii Imnngen für einen fruchtbaren natargeschichtlichen Unterriclit von
II. Ii. (irotb, Lehrer in Kiel. Langensalza, Druck und Verlag von Hermann
Beyer & Söhne. 1891. IV und 158 S. Preis 1 M. 60 Pf., geb. 2 M. 40 Pf.
Wolken verlieren . . . Bulgarien stößt an zwei Meere etc. etc. I>ie Montene-
griner sprechen noch die alte Sprache, die vom Ararat stammt. Die West-
seite der Beige Montenegiw ist sebwirn •? als Kolila ete. ete.
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— 806 —
An den verBchiedcnstcn Orten werden Studien darüber gemacht, nach
welcher Methode man am nutzbringendsten de« naturgeachichtlichen Unter«
rieht gestalten soll und natürlich diese Stadien — veröffentlicht. Ontee und
8chlechtCB liiuft in diesem Genre auf dem Büchermärkte herum, jeder, auch
mancher dazu ^ilnzlich unberufene Lehrer, der einige i^üanzen gesammelt und
bettimmt, einige Sc-liinetteilinge oder Käfer gefangt^n und angespießt hat und
deien letzte Todrszuckungen ?ah. kramt seine Weisheit aus. Eine ehrenvolle
Autnahme macht unter diesen Methodikern (? !) der Verf. dieses Werkes, dem
man es in jeder Zeile ansieht, dosd jahrelanges Beobachten und Studium der
NaturkRrper j!u den Ideen geführt hat, welche hier niedergelegt sind. Den
Grund.satz, auf welchem seine Methode beruht, bespricht er in dem ersten
Artikel: der Lehrer lege kein Herbarium an, sor.dem er führe ein natur-
geschichtliches Tagebuch. Möchten wir auch nicht jede seiner Sentenzen
unterschreiben oder yertheidigen, so liegt doch dem Ganzen ein beherzigens-
werter Gedanke zngruntlo. der sich insbesondere in den zwei Thosi n ausspricht:
In dem Tacebncb sind ToizuASweiae die Besoltate Ton Beobachtungen des
Lebens der Pfltnsen und der Thiere sn notiren, nnd sweftens: Ein solches
Tsgebuch ist dem Lehrer eine Stütze sowol bei der Vertheilung des natur-
geschichtlichen Stoffes als auch bei der naturge8chichtli( hcn Behandlnng; jene
vird dann dieThierwelt im Sommer nicht vemachUbisigen, and diese wird die
Bntwickelungsstufcn der Pflanzen und Thicro mclir als bisher geschieht berück-
di^tigen. Die verschiedenen Beobachtungsnotizen Uber Pflanzen und Thiere
wtAgen, wie der Lehrer Torgehen soll, um, freilich mandunal eist nach ttnge-
rer Zeit, alle Daten, welche notwendig sind, zusammenzubringen. Wir wollen
hier nicht das Verzeichnis der 18 Aufsätze, welche auf Grund solcher Notizen
▼evfust und für den Vortrag bestimmt sind, wiedCffehen, sondern bemerken
nur, da^s die Mehrzahl derselben f»chr interessant und für die Schüler auf-
munternd sind. Manchmal ist wul Unbedeutendes zu sehr in die Breite ge-
sogen, und was wir seiaenceit über Junge's „Dorfteich" bemerltten, müssen
wir hier wiederholen: es scheint uns eine solche Methode — mit dem Endziel
einer richtigen Zusammenfassung der Gemeinschaft der unter ähnlichen Be-
dilgnngen existirenden Lebewesen — für den Lehrer in der Stadt kaum oder
«ST nicht durchführbar, da er wegen Zeitmangeln uud wegen zu großer Ent-
nninng vom Naturlebeu kaum dazu konimen kann, im Freien regelmäßige
Beohachtungen zu machen, um sie in der Schule xu verwerten. Er wird Ein-
seines, was im Buche vorgeschlagen ist, befolgen können: er soll das Keimen
der Pflanze demonstriren , einen Schmetterling durch Zucht heranbilden, die
Entwickelung der Spinne den Kindern zeigen; aber den Reiz der Wiese, die
Schönheit des Lebens im Walde, das Thun und Treiben im Wasser wird er
seihet nicht zu jeder Zeit des Jahres ausgiebig beohaditen vad so den Schalem
lebhaft vortragen können, weil ihm Zeit und — Geld dazu mangelt. Dessen-
ungeachtet muss man immer solchen Aaregangen dankbar gegenüberstehen
nnd ans denseiben, was ansfllhibar ist, au^ ixmldieh eotnehmen. Wahrhirft
erhebend und nutzbring< nd kann der naturgeschichtliche rnterricht nur duri^h
lebendige Demonstrationen werden, welche uns das In- und Durcheinanderlebeu
und die Wechsetbesiebnngen der Lebewesen seigm — gegenflber dem starren
Doctrinarismus einer systematischen Naturgeschichte — , und de.«halb empfehlen
wir nicht nur Volksschullehrern, sondern auch Lehrern der Naturgeschichte
an böherm Anstalten Grotbs Bach anf daa aagelegantliehste. MOgen sie
soviel Vergnügen und offen gesagt — Belehmng aas demselben schöpfen, als
wir in ihm gefunden lialicn. C. R. R,
Seholbotanik. Tabellen zum leichten Bestimmen der in Norddeatechland
hftnflg wüdwacbacndeii nnd aogebanten Pflanz«i mit besonderer Bwftck-
aichtigruig der Ziergewftcbse und der wichtigsten ansländischen Cnltnr»
pflanzen nelst den Ginndzügen der allgemeinen Botanik bearbeitet von
W. Bertrclin, Pastor zu St. Catharinen in Braunschweig. Dritte Auflage.
Mit 200 in den Text eingedruckten AbbUdongen. Braimschweig, Bruhns
Verlag. VH n. 180 Seiten. Fxda 1 H. 20 Ff.
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— 807 —
Wir haben die frilbore Aufla^o eingebend besprochen und mftssen hier
nur unser Urtheil wiederholen, dasa in Bertrams Büchlein ein rerht praktisches
Bestimmungsbuch geboten wini, zuiiiiil das.xclhe auoh ttber den Rahmen hinaus-
geht, der sonst Bestimmunpsbücher finenct, ind» in es auch ZiergewSchse und
in- und ausländische C'ulturptiHnzcn in bciuen Bereich zieht. Dass bei der ge-
lingen Ausdehnung des Werkchens nicht alle Speeles oder Varietäten anfg«-
ittlvt Bind, luüten wir itti keinen 2<aohtheU im prakÜBcbea Qebxaucbe.
C. R. R.
MflUer-Pilliug, Deatache Schalflora, zaiu Gebrauch für die Schule und
ta Siltotimtwtklit Bitter Th«il, Verlag von Tb. HoHnann in Gen.
48 T$ma, Preis 4 M. 20 PH
Fait alUahrlich ersoheinen auf dem BUdiemiarkte Pflanzenabbildungen,
welche denUDtenrirht in der Botanik unterttfltsen und tördem sollen. Die-
selben sind meistens systematisch geordnet und enthalten schon ans diesem
Grunde, wenn sie nicht sehr reichhaltig sind, manche der gewiihnlichsten
Pflanzen nicht, dafür aber Überflüssige Daistelluogen. Die vorliegende Schul-
flora geht anf einem anderen Wege Torwlrts. Im ersten TheTle sind nur
solche Pflanzen abgebildet, welche zu den gewöhnlichsten pdiörcn und die
Möglichkeit bieten, die Hauptformen der Wurzel-, Stengel-, filätter- und BlUten-
«bilde zu erlftntem und den Be^n'iff ^on Gattung und Art zu festigen.
Nebenbei soll damit die Anlegung eines Herbariums, welches ja doch stets das
Endziel sein soll, erleichtert werden. Im nachfolgenden zweiten und dritten
Theile soll fieoe Kenntnis erweitert nnd auf die Hauptfamilien der Blatt* und
Spitzkeimer ausgedehnt und der Übergang za den Ordnungen gcschafl'cn wer-
den; der vierte Theil soll endlich einen ergänzenden Abschluss bilden. In
einem Anhange wird, wenn sich das Bedfirfhis dslllr zeigt, Uber die Krypto-
gamen und ausländische Zier- und Kulturiiflanzen gehandelt werden. — Die
Abbildungen sind, wenn auch mitunter etwas .steif und in den Farben zu
wenig frisch, als naturgetreu und gelungen /u bezeichnen, besonders sind die
Durchschnitte und DetaiteergliederuDgcn höchst anerkennenswerte Beigaben,
wodurch die Charakteristik der Pflanzen ungemein gut iUustrirt erscheint.
Für die Schule und den Selbstunterricht, besonders für die Hand des Lehrers,
wird daa Werk vorzügliche Dienste leisten, da dem letzteren dadurch leicht
die Möglichkeit geboten wird, Einxdheiten, die er sonst nnr mtthsam den
Scblllem in natura zeigen kennte, in vcrgrOfiertor Fum auf der Tafel vo|w
zuzeigen. I>er Preis ist ein relativ hilliger, C. R. R.
Bäiher, Heinrich, Theorie and Praxis des Rechennnterrichtes. I. Theil.
Die Zahlreihe bis 100. 108 S. 1 M. 20 Pf. — II. Theil. Die Zahlreihe
bis 1.000.000. 310 S. Breslaii 1891, Morgenstern. 2 H.
Der Yeffiuser hat unser Interesse gleich zu Anfang des Bnehes in hohem
Grade gewonnen, da er die sittliche Bedeutung des Rechenunterrichtes hervor-
hebt. Die Ausnuhmslosigkeit der Gesetze der Mathematik, gleich wie die
BeAhigung deqenigen, der sie beherrscht, an die Lösung schwieriger Fragen
heranzutreten, heben einerseits das Selbstbewusstsein, während sie andererseits
die Grundlage einer Weltanschauung bilden, die wir ausschließlich als modern
zu bezeichnen vermögen. Der Verfasser geht sodann Uber zur Feststellung des
Zahlenbegriffes, welchen er als Ergebnis einer recht ausfuhrlichen und klaren
Darlegung ein Abstractum nennt. Ganz einverstanden sind wir auch mit
seiner Empfehlung der Methode Grube 's fUr den Zablenraum bis zehn, sowie
mit der Hervorhebung der groBen Wichtigkeit, welche der Zahlreihe 10—20
zukommt; dagegen sind wir nicht einverstanden mit der Empfehlung de«
Tillichschen Rechenka.Hten3, weil die russische Rechenmaschine ein weit
▼orzüglicheres Anschauungsmittel bildet; auch sind wir nicht damit einver-
standen, schon im Zahlenraume 100 den Unterricht nach Rechnungsarten zu
gliedern. Es tritt in diesem Zahlenraume als wichtigste und schwierigste
Aufgabe die Erlernung des Einmaleins an den Schüler heran; soll nun das
Qedlebtnis niebt Ubeusden, nnd dsdnieb Yenvirrung herrorgeniite weiden,
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— 808 —
so empfiehlt sich der allm&hliche Vorgang nach Docaden, welcher eine w«it
•ioherere Bttrgsehaft des Erftmens und Bwalteiu p;ewftlirt.
Zu Bee;^inn des zwoiton Tlioilc^ faiul^^n wir eine recht gute Auseinander«
setsUDg über die sogeuauutun algebraischen Autgaben. Sie sind in der Vulks-
echnle Ai^j^Aen dei Kopfreoinmie «nd von sehr erbeblicbem formellen Bil-
dungswerte, setzen jedoch voraus, dass die Seminarbildung des Lehrers in
diesem Zweige eine hinreichend weitgehende war; denn ungleich der schrift-
lichen Lftsung von Gleichungsaufgabcn , bei welcher immer derselbe Vorgang
bcfolETt wird, erfordert deren mündliche Lösunp: fast für jedes Beispiel eine
andere liehandlung. — Im folgenden Paragraph werden die im Eechenunter-
ricbte Torkonuenden Fremdwörter verdeutscht; dabei führt der Verfasser
selbst an, aus welcher Ursache die Verdeutschung von „plus" durch „und"
unzulässig ist, doch will er sich unter Berufung auf ein österreichisches Lehr-
buch von dem geliebten „T^nd" nicht treuneu. Kr hat Unrecht mit der Be-
rufung auf jenen Österreicher, denn hier wie dort wird durch die, nicht
akademisch gebildeten Seminarlehrer Verwirrung in den Recbenuntenieht
hineingetrageu, und es sind hier wie dort nur die akademisch gebildeten
Lehrer, welche gegen derlei Mifisbrauch Stellung nehmen. — Der Yerfasfler
empfiehlt tu unserer großen Freude die Einftthmng des Österreichischen Divf-
sions-Verfahreus; natürlich setzt dasselbe voraus, dass die Subtraction mittelst
Ergänzung gelehrt werde, und dass man, um das leidige Umlernen zu er-
«Mven, «eich von Beginn der sdiriftliehen Divisicn dat Anftchreiben der
Verfahrens unkundig waren; der Heiterlceitserfolg bei ihren IfitschAlem ge-
nflgte, um ünu n dasselbe iu a<'ht Tagen vollkommen (jcliiufig zn machen.
Dqt Verliisäcr bemerkt des Fernern selbst, dass ein wesentlicher Unter-
schied zwischen „Theilen" und ,^nthaltensein'* nicht besteht, wenn aber
dennoch dieser Unterschied fortgesetzt aufrecht erlialteu wird, so können wir
dies nur als ein unnöthiges Erschwernis einer thatsuchlich eiufachcu Sache
beieichnen. Wenn die Regel aufgestellt wird: Beim Enthaltensein mOseen die
gegebenen Zahli n zun^t >,'lrii huami<? cremacht werden, so kommt uns uhwill-
Ettrlieh der Fall m Enun run^, dass Quadratmeter durch Längenmeter zu
dividirm seien, und wir müssen fragen, ist dieses ein Theilen oder Messen?
Darauf antwortet die Geometrie, dass es keines von beiden sei, sondern, dass
der Schiuss auf die Benennung des Quotienten, ein vom rechnungsmäßigen
Vurgange ganz unabhängiges Urtheil erfordere, so wie auch in allen anderen
Fällen. Wenn man z. B. drei Äpfel mit drei Pfennigen multiplicirt, so kann
das Prednct neun ÄpM oder nenn Pfennige heißen, je naehdem Torausgcsetst
wurde, dass ein Apfel drei Pfenni)j:e kostet, oder da.s.s man um einen Pfennig
drei Äpfel erhält. — Bei der Addition empfiehlt der Verfasser zur Probe die
Addenden in nmgekehrter Beihenfbige snsamnennnllileii, dabei entgeht es
ihm aber, dass bri der Mnltiplieation eine ganz übcreinstunmende Fxobe mOg»
lieh ist, nämlich durch Vertauschnng der Factoren.
Wir stimmen mit Bedanem m, dass dnreh das Gesetz nur bei einem
Theile der Maße und (Jcwichte das metrische System volIstAndig durchgeführt
erscheint, milsseu es jedoch der Schule zur Last legen, nicht mit größerem
Naohdruene auf die tbatsftchliche Dniehibhrung des metrischen Systems hin-
eearbeitet zu haben. — Auf die Frage, was ein Decimalbruch sei, und ob das
Kechnen mit denselben vur oder nach dem Rechnen mit gemeinen liriieheu zu
Idiren sei, haben wir die Antwort: Ein Decimalbruch ist ein Systembruch,
welcher an Pfennigen und Millimetern ein sehr vortheilhaftes Anschauungn-
mittel findet. Wogegen ein Anschauungsmittel für Drittel, Sechstel, Siebentel,
sich thatsächlich nicht findet. — Recht interessant fiuiden wir auch die ge-
schichtlichen Nachrichten, besonders die Erörterung: vom Übergänge des Rech-
nens am römischen Abacus zum I inienabacus mit der nachfolgenden Ein-
führung der Null. Dagegen erscheint es als überflüssig, Bilder ursprünglicher
Ziffern SU entwerfen, welche in Wirklichkeit niemals vorgekommen sind.
Wenn wir uns mit dem Torliegenden Werice etwas ausfUhriicker beschäf-
tigt haben, so geschah diea deshalb, weil wur im ganien mit demselben wol
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— 809 —
einverstaoden sind und nur wünschen, es mOge der VtrÜMei bei einer zweiten
Auflage die beregten MäoKol der Verbeuerung fUr Wert halten; im übrigen
Tifdieit dM Boca mnexe beste BmpMüimg. H. £.
IfitteBlwey, L., Dir. in Leipzig: Die Darstellnngiformen im Bechnen
nebet methodischen Andeutungen. 103 S. Gotha 1891, Behrend. 1 M. 60 Pf.
Im Vonvi>rto beklagt der Verfassfr den Schaden, welchen gewisse Sehlag-
worte im liechouuutcrrichte angerichtet haben. Kr führt aus, datss djis Rech-
nen nicht nur ein Wissen, sondern auch ein Können von Seite des Schülers
erfordere, und letzteres kann einer Anzahl verschieden begabter Scbttler nicht
rascher und verständlicher beigebracht werden als durch ein Normalverfahren.
Es gibt jedoch Schulmänner, wrUlio immerfort gegen dt n Mechani.^mus don-
nem,(dabei aber gans abeisehen, wie sehr ein verleitender Ansäte geeignet
ist, uberBiehtlichkeft und Klaiteit In efne Sache in hringen. WTr fHiiTen zn
Gunsten dieser AiiMiht des Verfassers an, dnss Dr. Theodor "Walter dio
Lösung der schwierigsten algebraischen Aufgaben lediglich durch einen mit
Gesoludc auBgefBhrten, Torbereitenden Ansats den Sdittlem flbermittdt. Anclt
darin stiriinien wir dem Verfasser bei, dass er die Ursache des mangelhaften
Erfolges im Kechenunterrichte in der ungenügenden mathematischen Aus-
bildung der Ldtrer auf dem Seminare findet.
Überhaujit sind wir den Atisführungen des Verfassers mit großem Intr ri ssc
gefolgt und haben uns an denselben erfreut, ebensowol, weil sie mit verstän-
diger Klarheit vorgetragen aind, ab weil sie mit miwren eigenen Erfahmngen
und t'berlogiincfcn zusammentreffen. So hat es uns ganz besonders angenehm
berührt, die zwecklose Unterscheidung von Messen und Theilen vcrurtheilt zu
linden; ebenso löblich ist es, thunlichsten Anschluss des fiedienunterrichtes an
die wissenschaftliche Behandlung der Mathematik zu suchen. Nur an riuigen
Stellen hubtn wir die Angaben des Verfassers von unserer Ertahrung ab-
weichend gefunden. Der Verfuser will die Subtnetion mittelst ErgliniBg
nicht im dritten ächu^uhre vornehmen, sondern einer späteren Klasse Tor-
behalten; wir machen es umgekehrt, wir lehren zuerst die Subtraction mittelst
Ergänzung und das Borgen kommt nur vor In im Rechnen mit Sorten oder
ß Bmiachten Zahlen. Darum erscheint dem Vertasäcr auch das österreichiacbe
iyisioosrerfSahren fttr die Volksschnle nicht geeignet, während wir von An-
beginn des schriftlichen Rechnens kein anderes Vcrtahren kenm n und üben,
und damit eine sehr beträchtliche Zeitersparnis erzielen. — Zur Vermeidung
dee Umlemens empflehlt es lieh, nndi in der Volknefanle das AdditiomBelchen
mit „mehr" und das Qlefclüieitszoichen mit ^ist gleich* in lesen.
Wir stimmen dem Veriksser bei, dass jene Art von Brächen zuerst zu
lehren sei, welche dem YerständnisBe des Srattlers näher liei^n; wir meinen
aber, dass dies die Decimalbrncho seien, und zwar in der Form der hundert
Pfennige einer Mark, denen aUbald die tausend Millimeter eines Meters folgen.
Ausserdem spricht zu Gunsten der Decinialbriiche, dass sich das Rechnen mit
denselben fast ohne ninzuthnn neuer Köcheln au das Rechnen mit den ganzen
Zahlen anschließt; während doch dem Rechnen mit gemeinen Brüchen, wenn
es belehrenden Inhalt gewianen soll, die TheilbarkeitsregeUi und dssAnfftnden
TOm Maß und Vielfachen vorausgehen müssen.
Wie schwer Verbesserungen durchdringen, und wie sehr wir vom alt-
gewohnten beherrscht werden, dafür hat uns der Verftmier selbst ein Beispiel
gec^eben: obwol er vorher ausdrücklich betont, dass man > durch" oder „in"
dividirt, so finden wir doch auf Seite 42 in tünf Zeilen nacheinander dreimal,
dass „mit" einem Divisor dividirt wird. Doch das Beste ist der Feind des
Guten, nnd so können wir nur wünschen, dass dieses gute Bach recht viel
Boden gewinne. H. E.
Maier, J. G., Oberl. za Künzelsau, Lehrbuch der Elementar- Arithmetik
für LehrerbildangMastalten ete. I. Tlieil. Das Beebnen mit absolnten
ZaUengrijssen. 2. Teim nnd reib. ÄnfL 264 S. Stuttgart 1892, D. Qnn-
dert. 4M.
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— 810 —
Der VerlBmer gebt von der Notbwendigkeit au«, dass der Lehrer mehr
können niiRe, als der SdilUer; er bietet eonaeh den Scirainaristen mit Vev-
liegendem ein sehr ausführlii lies Lebrbiioh dor Arithmetik besonderer 7MMmm.
Wir loben daran besonder» die richtige Stoffrertheilunff, welche an die vier
Orundreobnangsarten die Tkeflbaric^kennieklMn anw»lie6t, an traMie sieh
das Aufsuchen von Maß und Vielfachen und da-s Rechncu mit den Brüchen
folgerichtig anreiht. Die bllrgorlicben Kechnungtsarten werden nach verschie-
denen Seiten betrachtet und mehrfadie LOsungavorgioge dafttr angegeben, um
dem Lehrer möglichste Einsicht und gründliches Erfassen des Wesens dieser
Aufgaben zu vermitteln. Nach der ausführlichen formellen Erörterung fol{?t
eine gleich eingehende sachliehe Auaeinandersetmng Uber alles, was zum Ge-
biete der bürgerlichen Rechnungsarten und der sogenannten altrcbrai sehen Auf-
Saben für diese Stufe erforderlich ist. An sehr zahlreieheu Beispielen werden
i6 AvseinanderMtmingen erlüutert und sind nocii mehr derselben zur Übung
beigegeben, so dass die Anführung der Resultate eiueu cu^; bedruckten Druck-
bogen in Anspruch nimmt. — Wir bedauern nur, tla^b der Verfasser sich noch
nicht entschließen honntc, nach dem üsterreichischen Verfahren anf dM An«
schreiben der Thcilproducte bei der Multiplication zu verzichten.
Die erste Auflage dieses Buches ist schon vor nahezu zehn Jahren er-
schienen, und wir haben schon damals dessen Vorzüge mit Anerkennung her-
vorgehoben; seither bat es der Verfasser nicht unterlassen, sein Werk in den
inederliolten Auflagen zu Terbeflsem imd ni ▼errollkommnen. Wir mftssen ea
daher als ein ausgezeichnetes Lehrmittel fBr Seninariflten beseieluien und ei
denselben auf das wärmste empfehlen. U. £.
Neu erschienene Bllcher.
Chr. Hamum, Friedrich SchOier als Menech nnd Dichter. Ein ToUuthHolich
dargestelltee LebeniUld. Hamborg, fiefold. 178 S. Geb. 1 H. 26 P£
Fritz Jonas, Schillers Briefe. Kritische Gesammtaasgabe in der Sehrdbweise
der Originale und mit Anmerkungen. Stuttgart, Leipzig, Berlin nnd Wien,
Deutsche Verlagsanstalt. 1. Lieferung, Bogen 1 — 3. 2ö Pf. ^Soll in circa
95 Lieferungen ä 25 Pf. erscheinen.)
£. Kueneu und M. Evei*», Die deutschen Classiker, erläutert und gewürdigt
für hShere Lehranstalten, sowie mm Sdbststndiam. 8. Bündchen, Schülers
Wallenstein, 2. Teil Leipelg, Heinrich Bredt 124 S. 1 H.
Jnlins Hensel, Makrobiotik oder unsere Krankheiten und unsere Heilmittd.
Fttr ])rakti«elie Är/te und gebildete Lente. 2. Aufl. Pliiladelphia nnd Leipog.
Anslieferung bei K. F. Köliler in Leipzig. 208 S. 5 M.
Anglist W'eiiS, Die Frau nach ilirem Wesen und ilirer Bestimmung. Leipzig,
Rossberg. 85 S. 1 M. 50 Pf.
A.8prockhoff, Gmndzfige der Anthropologie für höhere Lehranstalten, Lehrer-
seminare nnd Lehrer. 2. AnfL 290 S. mit 158 Abhildongen. 3 H.
Br. Franz Kiessliig nnd Egnont Pfals, Methodisehes Handbuch fDr den ge-
samten natorwissenschaftlichen Unterricht in Volks- nnd höheren Mädchen-
schulen. In sechs Cursen bearbeitet. Cnrsns V, zwoito Abteilung. Der
Menscli in Beziehung zur orgauiäciien und unorganischen Matur. Metho-
disches Handbuch für den Unterricht in der Anthropologie, Physik, Chemie
and Technologie. Brannschweig, Appelhans & Pfenningstorff. XXX nnd
262 Seiten mit zahlreichen Holzschnitten. Preis für Cnrsns V/TI 7 Hk.
(Einzeln wird Kursus V nicht abgegeben.)
Heinrich Walther, Schnl-Natorlehre. Lehrstoffe zn einer schnlgemilßen Be-
Digitized by Google
— 811 —
handlang des Wiihtigrstf-n ans Naturlehre und Chemie. Für LebrUT an
Volkssohnlen. Hilchenbach, ^Vie^?aad. 119 S. 1 M. 20 Vf.
Prof, Dr. Otto Wünsche, Schultloia von Dentsohland. II. Theil. Die höherea
Pflanzen. 0. Aufl. Leipzig:, Tenbner. 472 S. Geb. 4 M. 60 Pf.
Dr. Woldemar Götze, Katecliismas des Kuabenhandarbeits-Unterrichts. Leipzig*,
J.J.Weber. 245 S. alt 69 Abbadnngen. Geb. 3 M.
JiliiiB S]>eilgel» Hebntimiiiige Lieder and Gesänge flbr Torgeaehrtttene Chor-
classen an Länerisneo-Seminaren und MftdehenieliQlen. Hamborg, Boyien.
204 S.
Alfred Böttcher, Lehrgang für da.s Knahenturnea in Volksschulen. Aas-
führungtm zum Lehrplane für den Turnunterricht an den Bürgerschulen in
HannoYer. 143 Seiten mit III Abbildungen. Haanoveri Karl M^er.
Karl Richter, Über die Verbindung der Koch- nnd HanshaltoBgaschalen mit
der UädchenvolkBschnle. Gekrttnte Preiaecbrift. Leipzig, Vax Hesie. 76 S.
1 M. 20 Pf.
Franz Frisch. Schnl»^ der Rundschrift. Für dm Schul- und Selbstuntf rriclit
bearbeitet. In drei Heften. Prag, Wien oud Leipzig, Tempsky nnd Freitag.
18, 18 u. 25 Pf.
Fr. Koch, Die Steilschrift nnd deren Anwendung in der Kanzlei, der Schule
nnd im Sffentlieben Leben. Ein LeitAiden lUr jedermann cum SdbstBtodlnm.
13 Seiten nnd 8 lithogr. Tafeln. Kaiseralautem, Ootthold. 1 M.
E. Merkel, Methodische und praktische Anleitung zum D« nkreclinen. l. Ab-
theilung: das Normalrechnen. Selbstverlag: Mttnohen, Isarthorplats la.
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