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Full text of "Völkerkunde"

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Völkerkunde 


wistYoigleisWarzirdel 


HARVARD UNIVERSITY 


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TOZZER LIBRARY 


(Gift of) 


Mrs. Oric Bates 





Digitized by Google 


Völkerkunde. 


Erſter Band. 


Holzjreies Papier. 


Völkerkunde 


Von 





Dr. Friedrich Ragel. 


Eriter Band, 
Die Naturvölker Afrikas. 


Mit 494 Abbildungen im Zert, 10 Aquarelltafeln und 2 Karten 


von Rihard Budhta, Theodor Gräh, Gufav Mütel, Dr. Pechuel-Coeſche, Richard Püttner, 
Prof. €, Schmidt, Cajetan Schweiter, Adalbert Swoboda, Olof Winkler u. a. 


— 


Leipzig. 
Verlag des Bibliographiſchen Jnitituts. 


1885. 


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Alle Rechte vom Verleger vorbehalten. 


Inhalts-Verzeichnis. 


Grundzüge der Völkerkunde. 


Einleitung. 

Seile 
Begriff und Aufgabe der Bölterfunde . 3 | Aderbau und Viehudt . . . . 
Die Stellung der Naturvölfer in der Menfhhett 5 | Kleidung und Shmud . . . 
Weſen, Entitehung und — ber Kultur 14 | Die Wohnſtätten... 2 0. 
Die Sprade . 20 | Familie und ea R 
Die Religion. . . ? 80 | Der Staat. . . , 
Erfinden und Entdeden . 42 





Die Naturvölker Afrikas. 


Einleitung: aAfrilae Land und Boll. 
Das Yand. x a 
Das Voll . 


I. Südafrifaner. 


1. Landſchaft und Naturerzeugnifje Sübafrifas 
. Allgemeines über die — Süd⸗ 
afrilaner ; 

. Die Buidmänner . 
. Die Hottentotten . PTF 
. Die Zwergvöller Afrikas. 
. Allgemeines über die Neger . 

Die Negerijpraden. . . . 
7. Das Kaffernland und die Rufen . 
8, Die Zulu ; ; 
9. Die Südoſtkaffern. 
. Die Betfchuanen . 
. Das Müften- und Steppenlanb Sübafrifas 
. Die Dvaherero (Damara) und Bergbamara 
. Die Dvambo und Berwandte. 


II. Zentralafrifaner, 


14 


Fe» Be en 


14. Die innerafrifaniiche — und Ende 
bochebene . . 
15. Die Zambefiftämme . -. . - 


Seite ı 
3 
8 
20 


37 


20. 








860 
366 


16. Das Hoch⸗- und Stufenland des ee 
Ien Dftaftila. . . .» : 
17. Die Ryaffaftänme 
18, Krieger: und Hirtenvölfer vom guluſiamme 
(Matabele, Watuta) . s 
19. Arieger: und Hirtenvölter hamitiſcher Ab: 
ftammung (Galla, Somali, Wajai) . . 
Sehhafte Völker zwifchen der Oftlüfte und 
den großen Seen 
. Die Bölfer in der Region der Rilquelfeen 
(Baganda, Wanyoro; Wahuma) . 
Das Land ded oben Nil. . . . 
. Die Negerftämme des obern Nilgebietes . 
. Die hellen Bölfer des obern Nilgebietes 
(Rjam: Nam, Monbuttu) . . . : 
. Die Bölfer des innerften gentralafrifa 
. Das Reich und Volf des Muata ea 
und des Kafembe . ar. a 


III. Weſtafrikaner. 


. Die Küftenländer des tropiſchen Weftafrifa 
Die Völker der weitafrilanifchen Küfte, 
‚ Die Neger des Niger: Benue: Gebietes. 


‚ Regifter. 


Eeite 
55 
61 
73 
79 
87 


Illuſtrationen-Verzeichnis. 


Aquarelltafeln und Karten. 


Indianiſche Bilderſchrift (mit einem Textblatt) 
Einleitung 29 


Völterlarte von Afrita . . . . 0 2 2.20 
Kulturlarte von Afrila . » oo 2 2 202.80 
Eine Bufhmannfamilie er na 
Lagune in Norbloango, Beftafrita eh 192 
Schmude und Geräte ber Kaffern (mit Dedblatt) 246 
Dftafritanische Waffen und Geräte (mit Zn 428 
Waganda-Anabe, Dinla:- Mädchen 451 
Krieger und Weib der Bari. 493 
Krieger ber Njam:Njam. . . 526 
Sübmweftafrilaniihe Waffen und Geräte (mit 
Dedblatt) . . 590 
Nordweftafritanifche Geräte (mit Dedblatt) 610 


Iluftrationen im Text. 


Grundzüge ber Böllerfunde, 


Bambusrohr mit Bilberfchrift . . . . . . 28 
Eigentumözeichen ber Yino . en .. 8 
Fetiſch unbefannten Zwedes in Runde . B38 
Holzernes Götzenbild vom Niger . . . . . 34 
Fetiihhütte in Lunda. . . . 2 2 2 2. BD 
Haudgöge der Fan, Weltafrila. . . . . . 86 


Angeblihe Göpenbilder aus Ububihwa. . . 88 
Mit Gewändern umfleidete Mumie von Ancon 809 
Feuerzeug der Kaffern, Holzitöde zum Reiben 42 
Geflochtenes Trintgeichirr, mit Harz ausgepicht 46 
eilfhüge der Salomonsinjeln . . . . . 47 


Fan: Krieger, Weftafrila. . .» .» . 2... 48 


Walroßzahnſchnitzereien von Samai . . . . 49 

olynefiihe Füdangeln . - . 2 2020.50 
Waffen mit Haifiichzähnen von den Saunen 61 
Geſchnitzte Figur aus Dahomey —68 
Eine Tabalkspfeife der Monbuttu. ; b3 
Sanfe, Nufitinftrument, Süd⸗ und Dittela F 54 
Eiferne Hade aus Korbofan . . 2 689 
Hade aus Scilbfrötenlnoden . - .» . . . 60 


Ein Weib der Njam-Njam . . . . 2... 62 





Seite 
Dorfhäuptling von Loango mit Frau . . . 64 
Sandale aus Unyoro . . . . » 65 
Rleider ber Mi 66 
Eiferner Armring der Irenaa. . . . . . 6 
Dold aus Laaod .» 2 2 2 2 nn. 67 





Ruder unb Arte als 
iuptlingsfohn der Dbbo, 


tlinadzeihen . . . 68 
entralairita . . 69 


Tättowierte Neger . . . . 2 2 2 2 2. 70 
Haartradten von Lovale. . . . 71 
Weſtafrikaniſche Zahnfeitung . ». .» ... 7 
Weſtafrikaniſche Rumpftättowierung . . . . 72 
Südindiſche —— er: | 
Ein Mrua:; änbler, — 2 


Die Naturvöller Afrikas, 


Bopyrußflaude - » >: 2 2 2 2 0. I 
irjearten der Afrilaner. . . » 2 2 2.2.18 


Maniof oder Kaffave . : 13 
Früchte ber — Dum: und Sipalme. 14 
Sanga:Rind . Er a er a ana ae 


Schwarzko Bean Me 





Sandilt, König der Sala . . 2 2... 





2818 


Pringeffin von Unyoro . . . 2 2 2... 
a Babe nee 
in Somal . . . oo 2 a 0 a a 0. 
Bergbamara . — — 
Verſchiedene Geräte ber Waganda 
Holzgefäße ber Ani hanenn ee 
Waffen der Dvaherero r eh 
Junge Bujhmänner vom Ngamifee . Kar 


Roviman, ein Bufchmann der Rapfolonie. . 4 





218181818 


"35 





Zwei Namaqua . . . . 2. 2 vr 2.2. 4 

Bulhmänner . EEE ME 

Ein Buſchmann. a Bee a 

Eine Bu männin. — ee 
unge Bujhmännin vom an amifee . 56 

Bufchmannfrauen mit Karoß ıc. .- » - 2. 60 





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VIII Illuſtrationen-Verzeichnis. 





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— — Pr — — . . — 














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Ein Dorf ver Aldira. . 

Biheios beim Hüttenbau. . 

Haustiere und Hausgöge vom Gabun 

Thongefähe der Yan 

Tabatörolle der Aſchira . 

Körbe aus dem Annern Weftafritas . 

Meifingftab der DgbonisNeger von un 

Bierbeder aus Elfenbein, ; 

Mebegerät vom Niger. . 

Geihnigte Elefantenzähne 

Ruder von Benin j 

Ein Weber in Iſchogo. . . PART 

Löffel aus Gradgefldt . . . . .. 

Raffel der Fan . ce tee 

Ein Aidhira- Träger. 

Eine SHavenpeitiche 

Dorfbäuptling von ber Loangotuſie mit Frau 
und Würdenträger . : 

Ein föniglicher Geffel aus aoehob— von 
Aldhanti . 

Kiffen zu bemielben . . . . 

Aſchira⸗König Obindji in feinem Zehnftuble . 

Ein Priefter des Erdgeifted Nkifft in Loango 

Ein Zauberwebel mit Griff . —— 


Ecite 


608 


Illuſtrationen-Verzeichnis. 


| 

Farbige Holzmaſske von Dahomey. 

Begräbnisplag in Loango. 

' Schädeltrophäe in Bihe . : 

| Trommeln: von Poruba, vom Gabun, der 
Dur. . . 

Harfen ber Batalai und dee aru⸗ Mae 

Ein Biheno i F 

Typen von der Loangorufte 

Eine Kabinda. 

Ein Mpongwe vom Gabun und ein aru— ‚Neger 

Ein Mpongme:-Weib . . 

Hexenprozeß in — 

Suban-Neger. . . 

Kinnfhmud ber Margbi . . 

Meifingene Biernäpfe vom untern. Niger 

Köder und Pfeil eines Bambarra: Häuptlinges 

Thongefähe vom Niger . 36 

Geſchnitztes Holzgefäß mit Deckel aus Guinea 

Geſchnitzte Holzftühle . an An 

Ein Sole . . . 





Umbutubi, Dorf in Adamana ; — 
Neger aus Beni-Meslem. . 648. 
Neger aus Romialis . 645. 


| Ein Koto-Neger vom Niger . 


Grundzüge der Völkerkunde. 


Bölterfunde. 1. I 


Begriff und Aufgabe der Bölkerkumde. 


Inhalt: Die geographiiche Auffaffung und die gefchichtlie Erwägung in der Völferbetrahtung. — Die 
Menſchheit ein Ganzes, — Aufgabe der Völkerkunde ift Nachweis des Zufammenhanges in der Menfchheit. 


Die Menſchheit, wie fie heute ift, in allen ihren Teilen kennen zu lehren, ift die Auf: 
gabe der Völferfunde. Da man aber lange gewöhnt ift, von der Menfchheit nur die fort: 
geichrittenften Teile, die Völker, welche die höchfte Kultur tragen, eingehend zu betrachten, 
fo daß faft die ganze geichichtliche Litteratur mit allen ihren zahllofen Abzweigungen fid) 
allein mit ihnen bejchäftigt, erblüht der Völkerkunde zur Löſung jener Aufgabe die Pflicht, 
um jo treuer fih der vernadhläfligten tiefern Schichten der Menſchheit anzunehmen. 
Außerdem drängt aber hierzu auch der Wunſch, diefen Begriff Menjchheit nicht bloß ober: 
flählich zu nehmen, fo, wie er im Schatten der alles überragenden Rulturvölter ſich aus: 
gebildet, fondern eben in diejen tiefern Echichten die Durchgangspunkte fennen zu lernen, 
die zu den heutigen höhern Entwidelungen hinführten. Die Völferfunde joll uns nicht 
bloß das Sein, jondern aud das Werben der Menfchheit vermitteln, joweit diejes Werden 
in der innern Mannigfaltigfeit der legtern feine Spuren gelaffen hat. Nur jo werden wir 
die Einheit des Begriffes Menfchheit feithalten. Was den Gang diefer Betradhtung an: 
belangt, jo müſſen wir vor allem ftetö bedenken, daß die Kluft des Kulturunterfchiedes 
zweier Gruppen der Menjchheit nach Breite und Tiefe vollftändig unabhängig fein kann 
von der Größe des Unterichiedes der Begabung. An diefen Unterfchied werden wir immer 
erft in lekter, dagegen an Unterjchiede der Entwidelung und der Umftände in erfter Linie 
denken. Wir werden deshalb den äußern Umftänden der Völker eingehende Beachtung 
ſchenken und zugleich foviel wie möglich ihre heutigen Verhältniffe gefchichtlich zu entwideln 
fuchen. Die geographiſche Auffaffung (Betrachtung der äußern Umftände) und die ge: 
Ihihtlihe Erwägung (Betrachtung der Entwidelung) werden alfo Hand in Hand gehen. 
Aus beider Vereinigung allein kann gerechte Würdigung erjprießen. 

Leit überjhägen wir die Länge und das Ziel des Weges, auf dem wir in der Kultur 
voranſchreiten. Weil wir vergeffen, wie unveränderlich, folange wir Menjchen bleiben, bie 
meilten der Grundlagen unfrer anjcheinend fo hohen, fo neuen und unerhörten Entwidelung 
find, werben wir geneigt, diefe Grundlagen ganz zu vergeffen. Unjer Wachstum in Geift 
und Kultur, alles, was wir zivilifatorifhen Fortichritt nennen, ift ja aber viel eher dem 
Auffprießen einer Pflanze als dem unbeengten Auffhwingen eines Vogels zu vergleichen. 
Immer bleiben wir an die Erde und bie irdifchen Gegebenheiten gebunden, und den Zweig 
fann doc immer nur der Stamm tragen. Die Menichheit vermag ihr Haupt in den reinen 
Äther zu erheben, ihre Füße müſſen nichtsdeftoweniger immer an der Erde haften. Dies 
bedingt die Notwendigkeit der geographiſchen Betrachtung. Was aber die gefhichtliche Er: 
wägung anbetrifft, jo zeige man uns vor allem dieſe Völker, die ſeit Jahrtauſenden diefelben 

8 I* 


Begriff und Aufgabe der Völkerkunde. 


geblieben, die nicht ihren Ort, ihre Sprache, ihr förperliches Wefen, ihre Lebensweiſe, jelbit 
nur oberflädhlidy ihren Glauben und ihr Wiffen veränderten. Herodot ſpricht von einem 
Troglodytenvolfe, das nahe bei den Garamanten, den Bewohnern des heutigen Fellan, feine 
Mohnfige habe. Es ſei gewandt und fchnellfüßig, und feine Sprache fei wenig befannt , 
außerhalb der Grenzen feiner Wohnfige. Dieſe Schilderung paßt auf Nachtigals Tubu 
oder Teda volllommen. Noch heute bewohnen diefe vielfach die natürlichen Höhlungen ihrer 
Felſen, nod immer find fie weit und breit wegen ihrer Gewandtheit und Schnellfühigfeit 
berühmt, und ihre Sprade ift nur wenig über die Wälle der Felſenfeſte ihrer Wohnfige 
binausgedrungen. Alfo zum mindeiten über 2000 Jahre, und wer weiß um wieviel länger, 
leben fie in derjelben Weife. Sie find heute fo reich und fo arm, jo weife und jo unwiſſend 
wie vor Jahrtaufenden. Sie haben, wie es fheint, nichts zu Dem erworben, was fie vordem 
befaßen. Jedes Gejchleht hat dieſelbe Gejchichte wie das, weldes ihm voranging, und 
diefes wiederholte die frühern. Sie haben nicht, wie man zu jagen pflegt, Yortichritte ge: 
macht. Sie find aber immer begabte, fräftige, thätige Menfchen geweſen, mit großen Tugen: 
den und vielen Fehlern. Ein Stüd der vergangenen Zeit ftehen fie vor uns. In berjelben 
Frift hat unfer Volk ſamt Verwandten eine reiche Geſchichte gelebt, haben wir Schäge an 
Weisheit, Willen, Können und Reichtümern aufgehäuft. Wir find aus dem Dunkel der 
Mälder heraus auf die großen geſchichtlichen Schaupläße gezogen und haben in Krieg und 
Frieden unfern Namen zu einem der geehrteften und gefürchtetften unter den Bölfern ge: 
madt. Sind wir aber als einzelne Menſchen fo viel anders geworden? Sind wir unfern 
Ahnengefchlehtern viel überlegener an Kraft des Körpers und Geiftes, an Tugenden und 
Fähigkeiten als die Tubu den ihren? Dean darf zweifeln. Der größte, im Grunde der 
einzige Unterjchied liegt darin, daß wir mehr gearbeitet, mehr erworben, rafcher gelebt, vor 
allem aber, daß wir das Ermworbene bewahrt haben und es zu nügen willen. Der ethno— 
graphiiche Vergleich weit nicht bloß uns wie jenen die richtige Stellung in der Menjchheit 
an, jondern zeigt und auch, wie und warum wir geworden, was wir find, und auf welden 
Wegen wir weiterfchreiten werden. ft nicht ſolche Betrahtung am geeignetften, uns vor 
Überfhägung deffen zu bewahren, was wir haben, wollen und können, uns ben richtigen 
Maßſtab zur Beurteilung unfrer Geſchichte und Zukunft zu reichen? 

Durch die ganze Völferbeurteilung geht die unzweifelhafte Grundthatſache bes Gefühles 
individueller Überhebung, daß man lieber ungünftig als günftig über feine Nebenmenjchen 
denkt. Wir jollen wenigitens ftreben, gerecht zu fein, und dazu mag die Völferfunde uns 
verhelfen, die, indem fie uns von Volt zu Volk, Stufe auf, Stufe ab führt, den wichtigen 
Grundjag einprägt, daß bei allen Handlungen der Menſchen und der Völfer vor jeglicher 
Beurteilung zu erwägen fei, daß alles, was von ihnen gedacht, gefühlt, gethan werden kann, 
einen weſentlich abgejtuften Charakter hat. Alles kann in verfchiedenem Grade geichehen; 
nit Klüfte, jondern Gradunterfhiede trennen die Teile der Menjchheit, die 
Raffen, Völker 2c., voneinander. Aufgabe der Völkerkunde ift daher nicht zuerft der Nach— 
weis ber Unterfchiede zwiſchen biejen Beitandteilen der Menjchheit, jo, wie etwa bie Auf: 
gabe der Tier- und Pflanzenfunde lange in Auseinanderhaltung der Arten und Gattungen 
des Tier: und Pflanzenreiches erblidt wurde, fondern der Nachweis der Übergänge 
und des innigen Zuſammenhanges, denn die Menfchheit ijt ein Ganzes, wenn auch 
von mannigfaltiger Bildung. Und wenn man auch nicht oft genug betonen fann, daß ein 
Volt aus Individuen bejteht, und daß diefe bei allen Bethätigungen jenes die Grundele— 
mente find und bleiben, fo ift doch die Übereinftimmung dieſer Individuen in der Anlage 
eine jo weitgehende, daß die von einem Individuum ausgehenden Gedanken ihres Wider: 
balles in andern ficher find, wenn fie überhaupt bis zu ihnen ihren Weg finden, ebenjo 
wie derjelbe Same auf gleichem Boden gleiche Früchte trägt. 

4 


Die Stellung der Naturvölter in der Menſchheit. 


An diefem Wegfinden aber liegt außerordentlich viel. Elementare Ideen haben eine un- 
wiberftehliche Erpanfionsfraft, und es ift an ſich gar nicht abzujehen, warum diefe Halt machen 
jollte vor der Hütte oder dem Herdfeuer eines Kaffern oder Botofuden. Allein die Hinder: 
niffe, die ihre Wanderungen hemmen ober verlangjamen, find zahllos, und außerdem find 
fie, weil aus Leben geboren und von Leben getragen, veränderlich wie alles Leben. Hier 
liegt ein Hauptgrund von Unterfchieden innerhalb der Menjchheit und eine Fülle von Pro: 
blemen der Bölferfunde. Ja, man darf jagen, in der geographijchen Verbreitung einmal ber 
Völker felbit, dann aber ihrer Kulturerwerbungen und Kulturmittel vom Feuer bis zu den 
höchſten Ideen der gefchichtlihen Nationen liegt der Schlüffel zur Urgeſchichte der Menjchheit. 

Es ift eine allgemeine Kulturgejhichte denkbar, weldye die nationalen oder doc) auf 
Einen Kulturftamm beſchränkten Gefihtspunfte beifeite läßt, um einen hohen, erbbeherr: 
fchenden Standpunkt einzunehmen und von dieſem aus bie Gefchichte der Verbreitung der 
Kultur durch die ganze Menjchheit hin zu überfchauen. Eine Wiffenfchaft diefer Art wird 
tief in das hineingreifen, was man gewöhnlich als Völkerkunde oder Ethnographie bezeichnet. 
Denn je weiter der forfchende Blid in die Tiefen der vorgefchichtlichen und der außer: 
geihichtlihen Völker dringt, um jo mehr ift es wahricheinlih, daß man in allen Kultur: 
freifen und auf allen Kulturftufen weſentlich derjelben einzigen Kultur begegne, die vor 
langer Zeit, als die Bedingungen zur Entwidelung bejonderer Kulturzentren noch nicht ge: 
geben waren, von Volk zu Volk über die Erde hin fich mitteilte. Wie dem auch ei, und 
was in diefer Beziehung die Wiſſenſchaft aud) noch enthüllen möge, wir können einftweilen, 
von dem Gedanken ausgehend, daß nicht anthropologiihe, d. bh. im Baue des Menſchen 
begründete, jondern Eulturliche, d. 5. im Gange der Menfchheitsentwidelung erworbene, 
Abftufungen es hauptſächlich find, welche aus der Menfchheit das bunte, mannigfaltige 
Bild geftalten, das wir fennen, die Aufgabe der beſchreibenden Völkerkunde (Ethno: 
graphie) hauptſächlich in der Schilderung ihrer verſchiedenen Kulturverhältnifje im weiteſten 
Einne und die Aufgabe der forjchenden Völkerkunde (Ethnologie) in dem Nachweiſe der 
Urſachen diefer Verſchiedenheiten jehen. 


Die Stellung der Unturvölker in der Menſchheit. 


Inhalt: Der Begriff „Naturvolk“. — Fortbildung und Rüdbildung. — Körperliche Unterſchiede. — Der 
Begriff „Kulturraffe”. — Das Tierähnliche im Menſchen. — Worin befteht der Aulturbefig? — Gemein: 
famer Befig der Menfchheit an Vernunft, Sprade und Religion. — Im übrigen Kulturbefige gibt es 
feine abjoluten Unterfchiede, ſondern nur Verſchiedenheiten bed Grabes. 


Zuerjt ein Wort von dem Namen, den wir auf diefen Seiten fo häufig auszusprechen 
haben werben: Naturvölfer. Es läßt fid) manches gegen diefen Namen einwenden, aber 
er iſt noch immer beffer als alle andern Bezeichnungen. Wilde, peuples primitifs, lower 
races und bergleihen jagen mehr und zuviel. Naturvölfer jagt dagegen nicht andres als 
Völker, die mehr unter dem Zwange der Natur oder in der Abhängigkeit von berfelben 
ftehen als die Kulturvölier. Es ift mehr ein Unterfchied der Lebensweiſe, ber geiftigen 
Anlage, der geihichtlihen Stellung als des Körperbaues, ber in diefem Namen fi aus: 
ſpricht, und infofern diefer Name alſo nichts in diefen Richtungen präjubiziert, finden wir 
ihn gerade für uns doppelt paſſend. Denn wir werben vielleicht diefen Namen mit einem 
in mehreren Beziehungen andern Begriffe zu füllen haben, als der geneigte Leſer gewöhnt 
ift mit „Wilden‘ zu verbinden, und e3 empfiehlt fi daher, zunächſt einen möglichft neu: 
tralen Namen zu verwenden, und biejen finden wir eben im „Naturvolke“. Aber dies foll 

5 


Die Stellung ber Naturvölter in ber Menſchheit. 


nicht bedeuten ein Volk, das in den denfbar innigiten Beziehungen zur Natur fteht, jondern 
das, wenn der Ausdrud geftattet ift, unter dem Naturzwange lebt. Wenn daher wohl 
von Ethnographen die Behauptung ausgefprodhen wurde, daß die Entwidelung zur Kultur 
in einer immer weiter gehenden Loslöfung von der Natur beftehe, fo darf man betonen, daß 
der Unterfhied zwijhen Natur: und Kulturvolf nicht in dem Grade, ſondern 
in der Art des JZufammenhanges mit der Natur zu fuchen ift. Die Kultur ift Natur: 
freiheit nicht im Sinne der völligen Loslöfung, jondern in Demjenigen ber vielfältigern, brei— 
tern und weitern Verbindung. Der Bauer, der fein Korn in die Scheune ſammelt, ift vom 
Boden feines Aders endgültig ebenjo abhängig wie der Indianer, weldher im Sumpfe jeinen 
Waſſerreis erntet, den er nicht gefäet hat; aber jenem wird dieſe Abhängigkeit minder 
ſchwer, weil fie durch den Vorrat, den er weife genug war fi zu fammeln, eine lange 
Feſſel ift, die nicht leicht zu drüdend wird, während diefem jeder Sturmwind, der die Ahren 
ins Waſſer ausfchüttelt, an den Zebensnero rührt. Wir werden nicht von der Natur im 
ganzen freier, indem wir fie eingehender ausbeuten und ftudieren, wir machen uns nur 
von einzelnen Zufällen ihres Weſens oder ihres Ganges unabhängiger, indem wir bie 
Verbindungen vervielfältigen. Deswegen hängen wir, wie jede Seite der folgenden Kapitel 
zeigen wird, entgegen Ritters, Waitz' und andrer Meinungen eben wegen unjrer Kultur 
am innigften von allen Bölfern, die je gewejen, mit ihr zufammen. Berwerflid würde ung 
aber der vorwiegende Gebraud) negativer Benennungen für die Naturvölfer, wie Kultur: 
(oje, Geſchichtsloſe und ähnliche, zu fein fcheinen. Es ift zwar jehr begreiflic, daß die 
Betrahtung derjenigen Völker, welche weniger Kultur haben als wir, und denen es dazu 
auch nicht verftattet war, durch große geichichtliche Thaten das Gewicht pofitiver Leiftungen 
in die Wagfchale der Schätzung zu werfen, einen vorwiegend negativen Charakter anzu= 
nehmen geneigt ift. In der That begegnet man ja auch den Ausdrüden: Fulturlofe, kultur— 
arme Völker in den gebanfenvolliten Schriften über Völkerkunde, und das noch öfter ver- 
nommene Wort Halbfultur gehört im Grunde in biefelbe Kategorie. Solche Definitionen 
mögen jehr praktiſch fein zum Zwede einer Auseinanderhaltung des von Natur Unzuſammen— 
gehörigen, aber doch nur einer proviforifhen; denn Verneinungen jagen befanntlich nichts 
aus, jondern jegen nur einen Vergleich mit als befannt Angenommenem und lafjen im 
übrigen ganz im unklaren, ob und was demjenigen zukommt, welchem der Beſitz diejer 
als befannt angenommenen Sade (in diefem Falle der Kultur) abgejproden wird. Wir 
möchten uns aljo diefer Benennungen fo weit enthalten, als es nur immer angeht. 
Wenn die Gegenfegung von Naturvölfern und Kulturvölkern eine weite Kluft zwijchen 
beiden zu öffnen fcheint, fo werden wir uns hierbei nicht beruhigen, jondern vor allem 
andern die Frage aufmwerfen: Welches ift die Stellung, die den Naturvölfern in der ganzen 
Menſchheit zulommt? Die Antwort fcheint bereit liegen zu müfjen. Indem die Wifjen- 
ſchaft der Völkerkunde wie alle Wiffenichaften ein Erzeugnis derjenigen Völker ift, welche 
fi den Namen der Kulturvölfer beilegen, ift für diefe immer am wichtigften die Frage 
nad ihrer eignen Stellung zu jenen Teilen der Menſchheit gewejen, mit welchen fidh bie 
Völkerkunde in erfter Linie befchäftigt, zu den Naturvölfern. Jahrhunderte hindurch iſt 
diejelbe jedoch mit jener Läffigfeit behandelt worden, welche im Gefühle befriedigter Begierde 
nah Thatjahenwiffen, nad Erzählungen und Schilderungen fein Bedürfnis empfand 
nad Erforihung des Gefeglihen im Leben der „Wilden“ und ihrem Verhältniffe zur 
übrigen Menfchheit. Diefe ſchwarzen und braunen Menſchen waren fehr fremdartig, jehr 
ſonderbar, e3 war höchit intereffant, von ihnen zu Iefen: das genügte volltommen. Lächeln 
wir nit über diefen Standpunkt, unjer Vergnügen an Reijebejchreibungen entipricht ihm 
heute noch: je unzivilifierter, deſto ſpannender! Noch die in manden Beziehungen bereits 
nad tiefern Ein= und Anfihten aud des Völkerlebens ftrebenden Forſchungen eines Cook, 
6 


Der Begriff Naturvölter. Entwidelung der Auffaffung dieſer Völler. 


Foriter, Levaillant, Lichtenftein haben für die Zeitgenofien hauptjächlich ein roman: 
tiſches Intereſſe gehabt und gaben zu philofophiichen Betradhtungen jo gut wie feinen 
Anlaß. Die einzige tiefer gehende Anregung, welche von dem großen Fortjchritte in Zahl, 
Güte und Beliebtheit der Reifefchilderungen am Ende des legten Jahrhunderts erteilt 
ward, beitand in der Erichütterung des Glaubens an jenen glüdlihen Naturzuftand, 
welchem jeit Roujjeau bie ſchönen Geifter als dem wünfchenswerteften huldigten, der 
aber nur in Urmwäldereinfamfeiten und auf glüdlichen Inſeln verwirklicht fein follte. Man 
juchte ihn, aber fand ihn nicht. Welche Enttäufchung für die gefühlvollen Herzen der 
Leſer der „Indiſchen Hütte” oder ber jeit Georg Forſter landläufigen Schilderungen der 
parabiefiihen Tahitier und Tonganer! 

Langſam rüdte die Betrachtung der Naturvölfer aus der Perſpektive des Herzens in 
diejenige des Geiftes, und damit ſanken dieſe jelbit um ein gutes Stüd tiefer, um ebenjo- 
viel ungefähr, wie ihr geiftiges Leben von dem unfern weiter abliegt als ihre gemütlichen 
Verhältniffe und Äußerungen, die man bisher mit Vorliebe betrachtet hatte. Es kam die 
Idee der Entwidelung in die Welt, welche die Völker übereinander ſchichtete, wobei, wie 
man hervorheben muß, weniger auf Grund fachlicher Erwägungen als eines allgemeinen 
Gefühles die Nichtkulturvölfer zu einer Art heterogenen Fundamentes zufammengeballt 
wurden. Man begreift das faft leidenjchaftliche Bedürfnis, dem kühnen Gedankenbau der 
Entmwidelungslehre Stügen in der Welt der Thatjachen zu verfchaffen, und wenn wir mit 
dieſem Gefühle nicht überall jympathifieren, jo wäre e8 ungerecht, zu verfennen, daß es, wie 
in aller Betrachtung des Lebens, jo auch in derjenigen der Völker eine Bewegung hervor: 
gerufen hat, welde fruchtbare Wahrheiten ans Licht brachte. Auf jedem Gebiete ijt am 
ſchwierigſten die Erforſchung der Anfänge; aber gerade diejem früher wegen angeblicher Aus: 
fichtslofigfeit vernadhläffigten tiefften Probleme haben ſich die Entwidelungstheoretifer aud) 
in der Ethnographie mit einer bewundernsmwerten „Einzigfeit bes Vorjages” zugewandt. 
Negativ oder pofitiv: ihre Ergebniffe find danfenswert, und es wäre kurzſichtig, die Für: 
derungen zu verfennen, bie fie bewirkt haben. Wie ſchwach auch einige Grundgedanken 
geſtützt geweſen fein mögen, von denen geleitet fie an die Probleme bes Völkerlebens heran: 
traten, es gebührt ihnen doch das Berdienft, ein reiches Material von Thatjachen der Wiſſen— 
ſchaft zur Verfügung geftellt zu haben; und die gründliche Erforfhung deſſen, was man, wohl 
- etwas voreilig, Urzuftände der Menſchheit nennt, datiert doch erft von ihrem Eingreifen an. 

Indem wir biefen vorbereitenden Zeiftungen beiten Dank wiſſen, können wir ung 
aber um jo weniger mit den Schlußgedanten befreunden, auf welche Hinzielend diefelben 
vollbradt wurden. Sie juhen überall „Urzuftände” und „Entwidelung”. Hat man nicht 
das Recht, mit einigem Argwohn auf wiſſenſchaftlichem Gebiete ſolchem Suchen zu begegnen, 
weldes im voraus ſchon jo gut weiß, was es finden will? Die Erfahrung lehrt, daß 
dabei die Gefahr einer gewiſſen Voreingenommenheit des Urteiles oft jehr nahe ift. Von 
Einer Möglichkeit erfüllt, Schlägt man die andre zu gering an. Findet ein von der dee 
der Entwidelung recht getränfter Forjcher ein Volk, weldhes in mehreren oder ſelbſt vielen 
Beziehungen hinter feinen Nachbarn zurüditeht, fo verwandelt fi dies „hinter“ unwill— 
fürlid in ein „unter“, d. h. in eine tiefere Sprofje ber Leiter, auf welcher die Menfchheit 
vom Urzuftande zur höchſten Höhe der Kultur heraufgeftiegen ift. Das iſt das Gegenteil 
von der ebenjo einfeitigen, einft ebenſo ausfchweifenden Idee, daß der Menſch als ein 
zivilifiertes Wejen auf die Welt gefommen, daß aber alle wilden Völker feit jener Zeit 
einer Entartung unterlegen jeien, welche fie, rückwärts fortjchreitend, zu bem gemacht habe, 
was heute fälſchlich als Naturvölfer bezeichnet werde. So wie jener Entwidelungsgedanfe 
bei den Naturforſchern, hat dieſe Rüdjchrittsidee bei den Erforfhern der Religion und 
der Sprade der Völfer aus leicht erkennbaren Gründen den größten Beifall gefunden. 

7 


Die Stellung ber Naturvölker in ber Menſchheit. 


Indeſſen ift diefe legtere heute jehr weit in den Hintergrund gedrängt, unſrer Meinung 
nach wohl viel zu weit, und es ift von ihr für die Forſchung weniger Gefahr zu befürchten 
als von jener ihr am entſchiedenſten entgegengefegten Meinung, deren Auffaffung, in ab: 
ftrafter Nadtheit ausgeiproden, etwa lauten würde: Es gibt in der Menfchheit nur Auf: 
ftreben, nur Fortjchritt, nur Entwidelung, feinen Rüdgang, feinen Verfall, fein Abiterben. 
Leuchtet nit in dieſer Faſſung das Einfeitige ſolcher Betrachtungsweife jogleih ein? Es 
iſt wahr, daß nur die Radikalen diefer Richtung fo weit gehen, und Darwin, der wie 
alle großen Ideenſchöpfer jeine Gedanken jelbft immer am maßvollften faßt, gibt zu, daß 
„ohne Zweifel viele Nationen in ihrer Zivilifation rüdwärts gegangen und einige in voll- 
ftändige Barbarei verfallen fein mögen, trogdem ih“, fügt er vorfichtig hinzu, „in Bezug 
auf den legtern Punkt feine Beweiſe gefunden habe“. Aber auch er hat in feiner „Ab: 
ftammung des Menſchen“ mehr als einmal der Verfuhung nicht entgehen Fönnen, die Menſch— 
heit in fich felbft verjchiedener und mit ihren angeblich niedrigften Gliedern tiefer hinab 
gegen die Tierwelt zu reihend zu wähnen, als bei kühler Betradhtung möglich Icheint. 

Wir jehen bier die Ertreme der Auffaffung der Naturvölfer, welche wir vorhin 
erwähnten, und es begreift fich, wie grundverſchiedene Folgen daraus für die Betrachtung 
aller Seiten ihres Dajeins, für die Beurteilung ihrer Vergangenheit und Zukunft fich 
ergeben müflen. Denn was fann verfchiedener fein als eine Auffaffung, bie ihnen ihren 
Plaß tief unter uns auf einer Stufe anweift, welche durch die Unentmwideltheit aller jener 
erit auf dem langen, beichwerlichen Wege zwijchen ihrer und unſrer Stellung gereiften 
Fähigfeiten bezeichnet ift, und eine andre, welche fie jo ziemlich auf einer Linie mit uns 
erblickt, gleich oder ähnlich hoch entwidelt, aber durch ungünftige Schidjale eines großen 
Teiles ihres Kulturbefiges beraubt, dadurch verarmt, verelendet, zurüdgefommen? Möge 
es geftattet fein, beide an ber Hand ber Thatſachen einer furzen fahlihen Prüfung zu 
unterwerfen und zu verjuchen, dem mittlern Punkte, wo die Wahrheit liegt, uns vielleicht 
etwas mehr zu nähern, als es diefen Hypotheſen bis jegt verftattet war. 


Die nähjftliegende Frage ift die nad den angebornen förperliden Unterſchie— 
den, melde ja den untrüglichſten Schluß auf Art und Größe der innerhalb der Menſchheit 
zu beobadtenden allgemeinen Verſchiedenheiten maden laffen müſſen. Aber diejes ift eine 
rein anthropologiſche, d. h. anatomiſch-phyſiologiſche, Angelegenheit, die als ſolche uns 
fern liegt. Wir begnügen uns mit einigen allgemeinen Bemerkungen, indem wir für alle 
einzelnen Thatſachen und alle weitern Ausführungen auf den anthropologiſchen Teil dieſes 
Werkes verweiſen!. Bon unſerm ethnographiſchen Standpunkte aus, der ung die großen, 
folgenreihen Kulturunterfchiede der Menfchheit am deutlichſten erfennen läßt, fommen wir 
bier zuerft zu der Frage, ob e3 nicht vielleicht von Vorteil wäre, wenn man ben Begriff 
der Kulturrafje mit Rüdfiht auf die Menjchheit eingehender prüfte, als es bis jetzt 
geichehen ift, und ihm Anwendung zu Schaffen ſuchte? Man würde, jo viel läßt jich voraus: 
jagen, finden, daß zunächſt im Körperbaue der Kulturvölfer Eigenfhaften auftreten, welche 
durch die Kultur hervorgerufen find, ebenjo wie anderjeit8 ber Körper der Naturvölfer in ge: 
wiſſen Zügen beutlichit die Wirkungen einer Lebensweife aufweift, welche dur) den Mangel 
an fait allem bezeichnet wird, was wir gewohnt find, Kultur zu nennen. Guſtav Fritich, 
welder zu denjenigen Anatomen gehört, die Gelegenheit zum Studium von Naturvölfern 
mitten in ihrer Natur gehabt haben, ftellt den Sag auf, daß die harmonische Entwide: 
lung des menſchlichen Körpers nur unter dem Einfluffe der Kultur möglich fei, 
und man gewinnt aus feinen Schilderungen ber Hottentotten, Buſchmänner und felbit der 





’ Johannes Ranfe, „Der Menſch“ (Leipzig, Bibliographiſches Inſtitut, 1886). 
8 


Raſſenunterſchiede. Kulturraſſen. 


Kaffern die Überzeugung, daß gut entwickelte, plaſtiſch ſchöne Körper bei ihnen ſehr ſelten 
ſeien, viel ſeltener als bei uns angeblich abgelebten Kulturmenſchen. Er ſpricht es an einer 
Stelle deutlich aus, „daß der geſunde, normal entwickelte Germane, ſowohl was die Pro— 
portionen als die Kraft und Fülle der Formen anlangt, in der That den durchſchnittlichen 
Bau des zu den A-Bantu gehörigen Mannes übertrifft“. Dieſe Bantu aber, darf man 
hinzuſetzen, ſind in dem Zweige der Kaffern, von dem hier ſpeziell die Rede iſt, einer der 
anerfannt kräftigſten und geſtählteſten Völkerſtämme von Afrika. Wir haben in neuerer 
Zeit ähnliche Urteile öfters vernommen, und heute dürfte jener Ausſpruch eines amerikani— 
ſchen Ethnographen: der Indianer fei das befte Modell des Apollo von Belvedere, jelbit 
nicht als Nebeblume ohne Widerfprudy paffieren. Man ift tiefer eingedrungen und hat auch 
in dem Knochenbaue Unterſchiede nachgewieſen, die auf Einflüffe der Kultur einerfeits, auf 
ſolche des unziviliſierten Lebens anderjeits zurüdführen. Virchow hat Lappländer und 
Buihmänner geradezu als pathologifche, d. h. verelendete, durch Hunger und Not herunter: 
gefommene, Raflen bezeichnet. Aber das für die Beitimmung des Wertes der Raffenunter: 
ſchiede wichtigſte Erperiment, für welches die Wiffenfchaft viel zu Klein und nur die Welt: 
geſchichte jelber mächtig genug ſich erweift, das ift erft im Werden, und unſer Geſchlecht 
wird dad Ergebnis besjelben nicht mehr erleben. Die Einführung der fogenannten nie 
bern Raſſen in die Kulturfreife der höhern und die Niederwerfung der Schranken, die einft 
die Bedingung diefer Einführung gebildet hatten, ift nicht bloß der größte Ruhmestitel 
für die Menfchlichleit unfers Jahrhunderts, fondern gleichzeitig auch ein Geſchehnis vom 
tiefften wiſſenſchaftlichen Intereſſe. Zum erjtenmal werden Millionen der für am niedrig: 
ften gehaltenen Rajje, der ſchwarzen, alle Vorteile, alle Rechte und alle Pflichten der 
höchſten Kultur zugänglich gemacht, und nichts hindert fie, alle Mittel der Bildung zu 
gebrauchen, welche (bier liegt das anthropologiſch Intereſſante dieſes Vorganges) not: 
wendig eine Umbildung fein wird. Wenn wir heute mit auch nur annähernder Sicherheit 
jagen fönnten, was in einer Reihe von Menfhenaltern aus diefen 12 Millionen Neger: 
jflaven geworden jein wird, melde in ben letzten 15 Jahren in Amerika befreit worden 
find und welde im Genuffe der Freiheit und der mobdernften Kulturerrungenichaften zu 
100 Millionen fi vervielfältigt haben werben, jo würde dieje jchwierige Frage nad) den 
Kulturwirfungen in den Raffenunterfchieden fiher zu beantworten fein. So aber müljen 
wir uns mit Andeutungen und Vermutungen begnügen. 

Wir übergehen hier einige Beobachtungen, weldhe in neuerer Zeit über Umänderung 
andrer Raffenunterfchiede unter dem Einfluffe veränderter äußerer Verhältniffe gemacht 
worben find, wie das Bläfferwerden von Negern in gemäßigtem Klima und Ähnliches, 
indem wir uns begnügen, die Meinung auszusprechen, daß alle raffenvergleihenden Stu- 
dien der legten Jahre eher geeignet zu fein jcheinen, das Gewicht der herfümmlich an: 
genommenen anthropologiihen Raffenunterjchiede zu vermindern, als zu veritärfen, und 
daß fie jedenfalls der Auffafjung feine Nahrung geben, welche in ben fogenannten niedern 
Rafjen der Menfchheit einen Übergang vom Tiere zum Menſchen zu erbliden geneigt iſt. Die 
allgemeine Tierähnlichfeit des Menſchen in förperliher Beziehung ſoll damit nicht 
beitritten werden, wohl aber die Annahme, daß einzelne Teile der Menfchheit fo viel tier: 
ähnlicher ſeien als andre. Auf Züge, die tierisch zu nennen find, ftößt man beim Studium 
der Völfer aller Raffen, und zwar läßt fich dies nicht anders erwarten. Da der Menſch 
in feinem Körperbaue eine jo entſchiedene Affenähnlichfeit bewahrt hat, daß auch neuere 
Spftematifer, welche bloß hierauf Gewicht legen, auf die alte Linnefhe Zufammenftellung 
der Gattung Homo mit den Affen in einer Drdnung ber Primates zurüdfommen fonnten, 
ohne unlogiſch gefcholten zu werben, genügt eine Reduktion des Geiftigen in der Menjchen: 
natur, um in manden Richtungen die Tierifchkeit der ftofflihen Grundlage geradezu grell 

9 


Die Stellung ber Naturvöller in ber Menſchheit. 


bervortreten zu laffen. Wir alle find leider mit der Auffaffung nahe vertraut, daß im 
Menſchen eine Beftie verborgen ei, und das „tieriiche” Behagen, die Vertierung und andre 
nur zu geläufige Sprachformen beweifen, wie häufig fih unjre Phantafie zu entiprechenden 
Vergleichen aufgefordert finden muß. Wenn eine hungrige Familie auftraliicher Eingebor- 
nen ben Geiern ein Aas abjagt, das nad) allem Rechte der Natur diefen längjt zugehörte, 
um ſich wie eine Herbe neidijcher, gieriger Schakale auf die Beute zu werfen und nicht 
eher vom Freffen abzulaffen, als bis der übervolle Magen fie zum Schlafe niederwirft, 
fo beweift dies buchftäblich ihre Vertierung; denn fie leiden an Schwund der Seele, welche 
die wejentlihe Eigentümlichleit des Menfchen ausmadt. So wundert e3 uns. auch nicht, 
wenn Afrifareijende einen aufgeftörten Buſchmannſchwarm, der in jedem Fremden, fei er 
weiß oder fchwarz, einen Feind fieht, mit nichts anderm als einer Herde von fliehenden 
Schimpanſen oder Drangs vergleichen ꝛc. 

Nur follte man dabei nicht immer auf dieſe armen Naturvölfer losjchlagen, denen 
im ganzen von Natur feine jo viel größere Neigung zur Tierähnlichfeit innewohnt als uns. 
Dieje traurige Fähigkeit, tierähnlich jein oder werden zu können, ift leider allen Menſchen 
vorbehalten, den einen etwas mehr, den andern etwas weniger, und e8 hängt hauptſächlich 
vom Grade der Verftellungsfähigfeit ab, welcher allerdings oft der Kultur entjpricht, ob 
fie fih mehr oder minder häufig und deutlich äußert. Die Kultur aber iſt es allein, 
welche eine Grenze zwijchen ung und ben Naturvölfern zu ziehen im ftande if. Man muß 
e3 mit der größten Entſchiedenheit betonen, daß ber Begriff Naturvölfer nichts Anthro— 
pologijches, nichts Anatomiſch-Phyſiologiſches in fi hat, jondern ein rein ethnographilcher, 
ein Kulturbegriff ift. Naturvölfer find Eulturarme Völker, und es fönnen Völker von 
jeder Raffe, von jedem Grade natürliher Austattung entweder noch nicht zur Kultur 
fortgejchritten, oder in der Kultur zurüdgegangen fein. Die alten Deutfhen und Gallier 
traten der römiſchen Kultur verhältnismäßig nicht minder fulturarm gegenüber als uns 
die Kaffern oder Volynefier, und vieles, was ſich heute zum Kulturvolfe der Ruſſen zählt, 
war zur Zeit Peters des Großen noch reines Naturvolf, 

Sn der That ift die Kluft des Kulturunterjchiedes zweier Gruppen der Menjchheit 
nad Breite und Tiefe vollftändig unabhängig von der Größe des Unterjchiebes in ihrer 
Begabung. Man erwäge, daß in dem, was die Höhe der Kulturftufe ausmacht, in dem 
gejamten Kulturbefige eines Volkes, überhaupt eine Fülle von Zufälligfeiten wirkſam ift, 
welche uns höchſt behutſam machen follte in allen Berjuchen, aus ihnen einen Schluß auf die 
körperliche, geiftige und gemütliche Austattung des Volles zu ziehen. Hochbegabte Völker 
können kulturlich arm ausgeftattet fein und dadurd den Eindrud einer allgemein niedern 
Stellung innerhalb der Menjhheit madhen. Chinejen und Mongolen gehören derjelben 
Raffe an, und doch, welcher Unterſchied der Kultur! Noch größer ift diefer, wenn wir an 
der Stelle der Mongolen irgend einen der barbariihen Stämme nehmen, die in den Grenz 
provinzen Chinas fich wie Inſeln von der höher zivilifierten Menſchenflut abheben, welche 
fie ringsum umgibt und fie jest allerdings ſchon bald überflutet haben wird. Nach neuern 
Forſchungen möchte es jcheinen, als ob die Nino, die Urbewohner der nördlichen japanischen 
Inſeln, uns, der kaukaſiſchen Rafje, näher ftünden als der mongolifhen. Und doc find 
fie Naturmenfhen und als ſolche jogar von den Japanern angejehen, während die 
mongoliſchen und, vielleicht mit einem nicht ganz geringen Anteile ihres Blutes fogar, 
malayiihen Japaner im Bergleich mit ihnen ein ſehr hochftehendes Kulturvolf find. Man 
fieht, die Raſſe hat mit dem Kulturbefite an fich nichts zu thun. Es würde zwar thöricht 
fein, zu leugnen, daß in unjrer Zeit die höchſte Kultur jehr vorwiegend von der fogenannten 
faufafiichen oder weißen Rafje getragen wird; aber anderjeits ift e3 eine ebenjo wichtige 
und um vieles erfreulichere Thatſache, daß ſeit FJahrtaufenden in aller Kulturbewegung 

10 


Naturvölfer ein Kulturbegriff. Kulturunterſchiede. Mas trennt die Natur: und Kulturvölter? 


die Tendenz vorherrſcht, alle Raffen heranzuziehen zu ihren LZaften und Pflichten und 
dadurch Ernft zu machen mit dem großen Begriffe „Menjchheit”, deſſen Befit zwar als eine 
auszeichnende Eigenſchaft der modernen Welt von allen gerühmt, an deſſen praftiiche Ver: 
wirklihung aber von vielen noch nicht geglaubt wird. Und bliden wir über den Rahmen 
der furzen und engen Begebenheiten hinaus, die man anmaßend die Weltgeſchichte nennt, 
jo werden ald Träger ber jenfeit3 liegenden Ur: und Vorgeſchichte Glieder aller andern 
Raffen anzuerkennen fein. Schon ihre eigne Verbreitung und diejenige alter Kultur- 
jpuren ift gar nicht anders zu deuten. 

Aber was ift nun das Weſen des Unterfchiedes, welder die Natur: und Kul— 
turvölfer auseinander hält? Die Entwidelungstheoretifer treten uns bei diefer Frage 
fe entgegen und erflären fie für längft abgethan, denn wer könne zweifeln, daß die Natur: 
völfer „die älteften noch zu Tage ftehenden Schichten der Menſchheit“ feien? Sie jeien Nefte 
der Eulturlofen Perioden, über welche andre Teile der Menschheit, die im Kampfe um das 
Dajein zu höherer Begabung fich emporgerungen und reichern Kulturbefig ſich erworben, 
längft hinausgeſchritten ſeien. Diefer Annahme gegenüber erheben wir die Frage: Aus 
welden Dingen befteht denn diefer Kulturbefig? Man wird nicht darüber ftreiten, daß 
Sprade, Religion, politifhe und wirtichaftlihe Einrichtungen vier natürliche Abteilun: 
gen find, in welche alle Thätigfeiten und Dinge, welche die Kultur tragen oder aus ihr 
hervorgehen, zufammen gruppiert werden fünnen. Die Vernunft ift aber von allen die 
Grundlage, und glei ihr find fie Allgemeingut der Menſchheit. Der Sprade und 
Religion will man den Vorrang als gewiffermaßen edlern Äußerungen vor den andern 
geben und fie näher an die Vernunft anfchließen nad jenem Schönen Worte Hamanns: 
„Ohne Sprade hätten wir feine Vernunft, ohne Vernunft feine Religion und ohne dieſe 
drei wejentlihen Beitandteile unfrer Natur weder Geift noch Band der Gejellichaft”. 
Gewiß ift, daß die Sprade einen unabjehbar mädhtigen Einfluß auf die Heranbildung des 
menjchlichen Geiftes geübt hat. „Man muß”, fagt Herder, „die Sprachwerkzeuge als das 
Steuerruder unjrer Vernunft und die Nede ala den Himmelsfunfen anjehen, der unjre 
Sinne und Gedanken allmählih in Flamme brachte.” Und nicht minder ficher faßt die 
Religion der fulturarmen Völker alle Keime in fich, die ſpäter den herrlichen, blütenreichen 
Wald des Geifteslebens der Aulturvölfer bilden jollen; fie ift Kunft und Wiſſenſchaft, 
Theologie und Philofophie zugleih, jo daß es nichts von noch fo fernher auf Ideales 
Hinftrebendes in diefem einfachern Leben gibt, das nicht von ihr umfaßt würde. Bon den 
Prieftern dieſer Völker gilt es im wahrften Sinne des Wortes, daß fie Bewahrer ber 
göttlichen Geheimnifje find. Die fpätere wachſende Ausbreitung dieſer Geheimnijje durch 
das Volk hin, die Vopularifierung im weiteften Sinne, ijt aber das deutlichſte und tiefit- 
reichende Merkmal des Kulturfortichrittes. Während nun an dem allgemeinen Befige der 
Vernunft dur Menfchen jeder Raſſe und Stufe fein Mitmenjch zweifelt und das ebenjo 
allgemeine Vorhandenjein der Sprache eine Thatjache ift, deren Gewicht in neuerer Zeit 
dur die Erkenntnis vermehrt ward, daß nicht, wie man früher glaubte, die einfacher 
gebauten Spraden den niebern Völkern, die reichften den höchſtſtehenden zugehören, wird 
das Vorhandenfein der Religion bei Naturvölfern vielfach bezweifelt. Es wird eine unfrer 
Aufgaben fein, auf den folgenden Seiten die Unbegründetheit diefer Annahme an der Hand 
vieler Thatjadhen zu beweifen. Wir glauben aber feinem Widerfpruche zu begegnen, wenn 
wir bier einftweilen die Allverbreitetheit irgend eines Grades von Religion als Thatjache 
ausjprehen. Was die politifhen und wirtjhaftlihen Einrihtungen anbelangt, 
jo find offenbar in dem, was wir Naturvölfer nennen, jehr große Unterfchiede des Kul— 
turbefiges zu bemerfen, woraus wir ſchließen müffen, daß wir nicht nur die Anfänge, 
fondern auch einen jehr großen Teil der Fortentwidelung der Kultur innerhalb dieſes 

11 


Die Stellung der Naturvälfer in ber Menſchheit. 


mannigfaltig gearteten Komplexes der Naturvölfer zu juchen haben, und es ift ebenfo ficher, 
daß jene Unterfhiede weniger auf jehr abweichende Begabung als auf große Verjchiebenheit 
der Bedingungen zurücdzuführen find, unter welchen jene Naturvölfer fich entwideln. Un: 
befangenen Beobachtern ift oft angeſichts der Dinge felbft mehr die Übereinftimmung als 
der Unterfchied entgegengetreten. „Es ift erſtaunlich“, ruft Chapman bei Betradhtung der 
Sitten der Damara aus, „welche Ähnlichkeit in den Sitten und Handlungen der menſch— 
lihen Familie über die Welt hin herrſcht. Selbft hier üben die Damara Gebräude, welche 
ganz in Übereinftimmung mit denen der Neufeeländer find, wie das Ausſchlagen der Bor: 
derzähne und das Abjchneiden des feinen Fingers.” Es ift weniger erftaunlich, wenn, 
wie berjelbe Reiſende hervorhebt, die Übereinjtimmung mit den Betſchuanen jo weit geht, 
daß fie felbft minder gewöhnliche Redensarten mit ihnen teilen, fo 3. B. die Frage: „Bin 
ih ein Fluß?“, die ein Diener ftellt, wenn man ihm mehrere entgegengefeßte Gänge zu: 
gleich aufträgt, und dergleichen. Da nun das Weſen der Kultur einmal in der Anhäufung 
einer Maſſe von Erfahrungen liegt, dann in der Feſtigkeit, mit der wir und dieſe zu er: 
halten wiffen, und endlich in der Fähigkeit, diefelben fortzubilden, beziehentlich zu ver— 
mehren, jo ftellt ſich uns die erfte Frage: Wie ift es möglich, daß die erfte Grundbedingung 
ber Kultur, nämlid die Anhäufung von Kulturbefig in Form von Fertigkeiten, Willen, 
Kraft, Kapital, ſich verwirflihe? Man ift fi) längft einig darüber, daß der erite Schritt 
dazu der Übergang aus ber vollftändigen Abhängigkeit von dem, was die Natur freis 
willig darbietet, zur bewußten Ausbeutung ihrer für den Menſchen wichtigiten Früchte 
durch eigne Arbeit, befonders in Aderbau oder Viehzucht, ſei. Diefer Übergang eröffnet 
mit Einem Schlage alle die entfernteiten Möglichkeiten der Kultur, wobei allerdings zu be— 
benfen, daß es noch jehr weit von dem erjten Schritte big zu dem heute erreichten Ziele ift. 

Man fpricht ferner von geſchichtsloſen Völkern, und auch diefe Qualifikation be— 
darf der Prüfung. Der Geift des Menſchen und aljo auch der Volksgeiſt ganzer Nationen 
zeigt weites Auseinandergehen ſowohl wegen verjhiedenartiger Begabung als auch wegen 
der jehr verjchiedenen Wirkungen, welche die äußern Umftände auf ihn üben. Soweit dieſe 
Umftände der Kulturftufe angehören, unterfcheiden fie ſich hauptſächlich nach dem Grade 
des innern Zufammenhanges, der Feitigfeit oder Dauer, welche dem geiftigen Befige zu— 
fommt. Die Zufammenhangslofigkeit, das Nuseinanderfallen dieſes Befiges, charakteriſiert 
ebenſo entichieden die tiefern Kulturftufen wie jein Zufammenhalt und, damit Hand in Hand 
gehend, feine Unentäußerbarfeit und feine Wahstumskraft die höhern. Diejer Gegenſatz 
zeigt fi) in allem, anfangend von der unfteten Wohnweife, welche manche niedere Stämme 
durch den Nichtbefig feiter Wohnftätten noch unter den Zuftand mancher Tiere herabdrüdt, 
fortfchreitend in der Lebensweiſe, die jelbit in den von Natur reichſten Strihen der Erde 
den größten Abftänden von Überfluß und Mangel fi ausgefegt fieht, und abſchließend 
in der Traditionglofigfeit, welche weder diefen Völkern felbft ein Bewußtfein ihrer frühern 
Schidjale für irgend beträchtliche Dauer fich zu erhalten, noch aud) den geiftigen Befig durch 
die Erwerbungen einzelner hervorragender Geifter oder durh Aufnahme und Pflege von 
außen fommender Anregungen zu ftärfen und zu mehren gejtattet. Hier, wenn nicht alles 
trügt, liegt der Grund der größten, tiefitgehenden Verfchiedenheit der Völker. Man fcheint 
denjelben zu ftreifen, wenn man gejhichtlihe und gejchichtslofe Völker einander gegen: 
überftellt, und gewiß ift es ficher, daß die Lüden und die furze Dauer, wenn nicht gar 
der Mangel der Tradition den Naturvölfern das unmöglih machen, was wir Gejchicht- 
ſchreibung nennen. Aber Gejhichtslofigkeit ift ihnen darum doch nicht zuzuſchreiben, denn 
ihre Thaten find für die Gejchichte deshalb nicht verloren, weil die Erinnerung fie der 
Geſchichtſchreibung nit aufbewahrt. Wir würden daher diefe Unterfheidung ablehnen 
müffen, weil das Weſen der Geſchichte im Gejchehen felbit, nicht in Erinnerung und 

12 


Geſchichtsloſigleit. Bedeutung ber Tradition. Uberblid des Weſens der Aulturvölter. 


Felthaltung von Gefchehenem befteht. Es ift ja überhaupt Schwer, einen ſolchen das ganze 
Leben durchziehenden Unterfchied als Sat und Gegenſatz zu bezeichnen, zumal die Menſch— 
heit zu beweglich, zu jehr ineinander greifend ift, um fehr ſcharfe Grenzlinien in fich ſelbſt 
überhaupt zur Ausbildung zu bringen. Wir wagen aber diefe Verſchiedenheit in ben Gegen: 
fat der Worte atomifiertes und organifiertes Volkstum zurüdzuleiten, eben weil ber innere 
Zuſammenhang durd fein Fehlen dort und feinen Beſtand bier den tiefften Unterfchied 
zu bezeichnen fcheint, den e3 auf dem Gebiete gefchichtlicher That, alfo hauptfächlich auf 
dem geiftigen Gebiete, gibt. So wie die geſellſchaftliche und ftaatliche ift auch die geijtige 
Geſchichte der Menjchheit in erfter Linie ein Fortjchreiten aus dem einen Zuftande zum 
andern, und zwar iſt es die äußere Natur in erfter Linie, an welcher fich der menfchliche 
Geiſt erzieht, indem er fich zunächſt zu berfelben in ein erfennendes Verhältnis zu fegen 
ftrebt, deſſen legtes Ziel der Aufbau eines geordneten Abbildes der Natur in feinem Innern, 
d. h. die Schaffung der Kunft, der Poeſie, der Wiſſenſchaft, ift. 

Was find nun alſo die Naturvölfer? Nach Raſſenzugehörigkeit jo verfchieden 
wie möglich, bilden fie feine Völfergruppe in anatomifh-anthropologiihem Sinne. Da 
fie an den höchſten Kulturgütern der Menichheit in Sprache und teilweije Religion, Sitten, 
Erfindungen teilnehmen, fann man ihnen nicht als genealogifcher, anthropogenetijcher 
Gruppe ihre Stelle an dem Grunde des Stammbaumes der Menſchheit anmweijen und 
darf ihren Zuftand feineswegs als Urzuftand oder Kindheitszuftand auffaffen. Viktor von 
Strauß Hat jehr treffend den tiefern Sinn dieſes Wortes vom „Kindheitszuftande ber 
Menſchheit“ beleuchtet, welchen diejenigen am wenigſten innehaben, die das Wort felber 
am häufigiten im Munde führen: „Man ipricht fo gern vom Kindheitszuftande der ältejten 
Menſchheit. Gut, man ift dazu berechtigt. Aber dabei bevenfe man auch, daf ein Kind 
in ben erften Jahren jeines Lebens eine größere Entwidelung durchmacht als in ben 
ganzen jpätern achtzig Jahren, daß ein Kind, zumal ein geniales, alle Dinge rascher, eb: 
bafter und unbefangener auffaßt und innerlich verarbeitet als ein Erwachſener, und man 
vergeffe nicht, daß jene frühern Menfchen mit biefen und andern Borzügen der Kindheit 
dennoch zu Männern und Greifen anjchauend, finnend, überlegend und denfend heran: 
reiften.” Es ift ein Unterſchied zwiſchen der Unreife des Kindes und der geringen Ge- 
reiftheit des aus Beichränftheit feiner Lebensverhältniffe in manden Beziehungen ftehen 
gebliebenen Erwachſenen. Was wir Naturvölfer nennen, fteht diefem legtern nahe, jenem 
fern. Wir nennen fie fulturarme Völker, weil innere und äußere Verhältniffe fie gehin- 
dert haben, jo dauernde Entwidelungen auf dem Gebiete der Kultur zu vollenden, wie fie 
Kennzeichen der wahren Kulturvölfer und Bürgen des Kulturfortjchrittes find. Doc wür— 
den wir nicht wagen, fie fulturlos zu nennen, da die Mittel zum Aufichwunge auf höhere 
Stufen, die primitiven Rulturmittel: Sprache, Feuer, Waffen und Geräte, keinem von 
allen fehlen, und da gerade der Befik diefer Mittel und vieler andrer, unter denen bier 
nur Haustiere und Kulturpflanzen genannt fein mögen, zahlreiche und mannigfaltige Be: 
rührungen mit echten Kulturvölfern bezeugt. Der Urſachen aber, warum fie diefe Gaben 
nicht nützten, find es mancherlei. Geiftige Minderbegabung pflegt in erjter Linie genannt 
zu werden. Dies ift bequem, aber mindeftens nicht billig. Innerhalb ber heutigen Natur: 
völfer ift jedenfalls eine große Verfchiedenheit der Begabung vorhanden. Doch darf man 
es gelten laffen, daß im Laufe der Kulturentwidelung höher begabte Völfer mehr und mehr 
fih ber Kulturmittel bemädhtigt und ihrem eignen Fortſchritte Stetigkeit und Sicherheit 
angeeignet haben, während minder begabte zurüdblieben. Aber die äußern Verhältnifje 
find hinfichtlich ihrer hemmenden oder fördernden Einwirkung deutlicher zu erfennen und 
abzufchägen, und es ift gerechter und logifcher, fie zuerft zu nennen. Wir begreifen, warum 
die Wohnpläße der Naturvölfer hauptjählid in den Falten und heißen Gegenden, auf 

13 


Weſen, Entftehung und Ausbreitung der Kultur. 


abgelegenen Inſeln, in abgeſchloſſenen Gebirgen, in armen, wüftenhaften Ländern gefunden 
werden. Wir verftehen ihre Zurüdgebliebenheit in Erdteilen, melde für die Entwidelung 
des Aderbaues und der Viehzucht jo wenig Mittel darboten wie Auftralien, die Nord: 
polarländer und Teile von Amerifa. In der Unzuverläffigfeit ihrer unvolllommen ent: 
widelten Hilfsquellen jehen wir eine Kette, die ihnen ſchwer am Fuße hängt und ihre 
Bewegungen in einen engen Raum bannt. Ihre geringe Zahl folgt daraus, und aus 
diefer wieder ergibt fich die geringe Geſamtmaſſe ihrer geiftigen und körperlichen Leiftungen, 
die Seltenheit hervorragender Menjchen, die Abmwefenheit des heilſamen Drudes, welcher 
auf Thätigfeit und Vorſicht des Einzelnen von den ihn umgebenden Maſſen ausgeübt 
wird und der auch mit wirffam ift in der Schihtung der Gejelichaft in Stände und der 
Beförderung der auf diefer Stufe jo heilfamen Arbeitsteilung. Teilweife folgt aus jener 
Unzuverläffigkeit der Hilfsmittel auch die geringe Stetigfeit der Naturvölfer, der Zug von 
Nomadismus, der fie alle durchdringt, auch wenn emfiger Aderbau fie an die Scholle zu 
feifeln jcheint, andernteils ihnen aber auch die ganze Unvollkommenheit ihrer politifchen 
und wirtſchaftlichen Einrihtungen erleichtert, die alle, jo wie fie jelbit feine Gewähr der 
Dauer haben, der ganzen Lebensweiſe diejer Völker Feine Stetigfeit zu verleihen im ftande 
find. So entjteht troß der oft reichlic; zugemeffenen und wohlgepflegten Kulturmittel ein 
zufammenhangslofes, zerfplittertes, zerflüftetes, fräftevergeudenbes, unfruchtbares Leben, 
ein Dafein ohne ftarken verbindenden Faden, mit ungewilfer Zukunft, weil ohne gewifle 
Vergangenheit. Jedes Gejchleht fängt von unten an, weil der Schat der Erfahrungen 
jeiner Vorfahren mit diejen faft ganz verfiegt. Heute weiß nichts von Geftern, und Mor: 
gen lernt nit von Heute. Es ift ein Leben ohne innern Zujammenhang und darum 
auch ohne jicheres Wachstum, es ift nicht das Leben, in dem bie Kulturfeime fich heraus: 
bildeten, die wir ſchon im Beginne deſſen, was wir Geſchichte nennen, in mehrfacher Zahl 
jo herrli aufgegangen finden, es iſt vielmehr voll von Kulturabfällen und unklaren Erin: 
nerungen aus Kulturfreifen, die teilweiſe wohl weit hinter dem Anfange unfrer Gejchichte 
liegen. Wer über die Entitehung der Kultur nachdenken will, möge fi mit bejonbe: 
rer Borficht hüten, die Vorkulturvölker mit unfern heutigen Naturvölfern zu verwecjeln. 
Sollen wir zum Schluffe kurz zufammenfaffend bezeichnen, wie wir die Stellung biejer 
Völker zu denen auffaflen, weldhen wir angehören, jo fagen wir: Kulturlich bilden diefe 
Völker eine Shit unter ung, während fie nad natürlicher Bildung und Anlage zum 
Teile, joweit fi erkennen läßt, uns gleichitehen. Aber diefe Schichtung ift nicht jo zu 
verstehen, daß fie die nächſt niedern Entwidelungsftufen unter uns bildet, durch melde 
wir jelbit Hindurchgehen mußten, fondern jo, daß fie ebenſowohl aus ftehen gebliebenen 
als zur Seite gebrängten und rüdgefchrittenen Elementen beiteht. 





Weſen, GEntſtehung und Ausbreitung der Bultur, 


Inhalt: Was ift Kultur? — Bedeutung bes Zufammenfchliehens und Jneinandergreifens für bie Kultur, — 
Der Begriff „Halbkultur”,. — Verhältnis der geiftigen und materiellen Elemente der Kultur. — Die mate: 
tiellen Grundlagen. — Der geiftige Kern. — Entftehung der Kultur. — Reichtum der Natur. — Kultur 
und Aderbau. — Klimatifhe Begünftigungen. — Kultur und Nomadismus. — Die Kulturgentren ber 
Hocdebenen, — Das politifche Element in ber Kultur. — Rulturzone, 


Mit dem Worte Kultur bezeihnen wir gewöhnlihd die Summe aller geijtigen 
Errungenschaften einer Zeit. Allein es ift diefer Begriff offenbar fein ganz einfacher 
und feititehender. Wir ſprechen von Kulturftufen, von hoher und niederer Kultur, von 
Halbkultur, und vor allem jegen wir Kultur- und Naturvölfer einander gegenüber. Es 

14 


Das ift Kultur? Bedeutung des Zufammenfchliehens für bie Kultur, 


geht daraus hervor, daß wir an die verfchiedenen Kulturen, die wir bei den Völfern der 
Erde finden, einen beftimmten Maßſtab anlegen, und diefen Maßſtab nehmen wir offenbar 
von der Kulturhöhe her, die wir jelbit erreicht haben. Unſre Kultur ift für uns die 
Kultur. Nehmen wir nun an, daß in ber That die höchfte und reichjte Entfaltung diejes 
Begriffes bei ung zu finden fei, jo muß es uns für das Verftändnis der Sache jelbit am 
wichtigften erjcheinen, die Entfaltung diefer Blüte bis zum Keime zurüdzuverfolgen. Wir 
werden unjern Zwed, einen Einblid in das Weſen der Kultur zu gewinnen, nur bann 
erreichen, wenn wir die treibende Kraft verftehen, welche aus den erften kleinen Anfängen 
alles das entwidelt hat, was man furzweg Kultur nennt. 

jedes Volk hat geiftige Gaben und entwidelt Geiftiges in jeinem Leben. Jedes nennt 
eine Summe von Wiffen und Können fein, welche feine Kultur darftellt. Der Unterfchieb 
zwiichen diefen „Summen geiftiger Errungenſchaften“ liegt aber nit nur in ihrer Größe, 
jondern aud in der Verjchiedenheit ihrer Wachsſtumskraft. Um ein naheliegendes Bild 
zu gebrauchen, erfcheint ung ein Kulturvolf wie ein mächtiger Baum, ber in jahrhunderte: 
langem Wachstume fi zu Größe und Dauer über die Niedrigkeit und Vergänglichkeit 
fulturlojer Völker erhoben bat. Es gibt Pflanzen, welche hier ſchwache, alljährlich hin— 
fterbende und wieder fich erneuende Kräuter find, während fie dort zu fräftigen Bäumen 
aufwachſen. Der Unterjchied liegt in der Erhaltung der Wachstumsergebniffe jedes einzelnen 
Jahres, ihrer Anfammlung und Befeftigung. So würde auch dies vergängliche Wachstum 
der Naturvölfer, bie man nicht ganz mit Unrecht ald Völfergeftrüpp bezeichnet hat, Dauern- 
des erzeugen und damit jedes neue Geſchlecht höher der Sonne entgegentragen und feitere 
Stüten in dem vom vorhergegangenen Geleifteten ihm bieten, wenn in ihm felbjt ein Trieb 
der Erhaltung und Befeftigung wirkſam wäre. Aber diejer eben, welcher als erjte Kraft 
in aller Förderung der Kultur wirkſam it, fehlt, und durch dieſes Fehlen geichieht es, daß 
alle jene zu Größerm beftimmten Pflanzen am Boden bleiben und elend verfommen, um 
ein bißchen Luft und Licht ftreitend, das fie dort oben in reichiter Fülle genießen Fönnten. 
Die graufame Wahrheit hat Eondorcet am klarſten bezeichnet in folgenden oft nad) 
geiprochenen und doch jo jeltfam wenig weiterentwidelten Säßen, mit denen er in feiner 
„Esquisse d’un tablean historique‘“ den Naturmenjchen charakterifiert: „Die Ungewiß— 
heit und Schwierigkeit, feinen Bebürfniffen zu genügen, der notwendige Wechſel zwiichen 
äußerfter Ermüdung und abjoluter Ruhe laffen dem Menichen feine Muße, in welcher er, 
feinen Ideen fich hingebend, feinen Geift mit neuen Kombinationen bereichern kann. Die 
Mittel jelbit, mit denen er jeine Bebürfniffe befriedigen könnte, find allzuſehr vom Zufalle 
und den Jahreszeiten abhängig, um in nüglicher Weife eine Induſtrie weden zu können, 
deren Fortichritte fich überliefern liefen; und jeber beſchränkt ſich darauf, feine perjön- 
lihe Geſchicklichkeit zu entwideln.‘ 

In diejer Beſchränkung des Einzelnen, welche ebenjo räumlich wie zeitlich vorzuftellen ift, 
d. h. welche ebenjo die einzelnen Hütten, Dörfer, Völker wie die aufeinander folgenden Ge- 
ſchlechter der Menſchen ifoliert, liegt die Berneinung der Kultur; in ihrem Gegenteile, d. h. im 
Zuſammenſchluſſe der Miteinanderlebenden und dem Zufammenhange der Auf: 
einanderfolgenden, liegt die Möglichkeit ihrer Entwidelung. In der Bereinigung 
der Mitlebenden wird die Grundlage, im Zufammenhange der Generationen die Zukunft ber 
Kultur gefihert. Die Kulturentwidelung ift ein Schägefammeln. Und die Schäge, die fie an: 
häuft, wachſen von jelbft, fobald erhaltende Kräfte über fie wachen. Auf allen Gebieten menſch— 
lihen Schaffens und Wirfens werden wir im Zuſammenſchluſſe den Grund jeglicher höhern 
Entwidelung ſich legen jehen. Und fo ift eg auch nur durch mächtiges Zufammenmirken, durch 
gegenfeitige Hilfe, fei e8 unter Zeitgenoffen, ſei es von Geſchlecht zu Geſchlecht, der Menjchheit 
gelungen, die Stufe der Zivilifation zu erflimmen, auf welcher ihre höchſten Glieder jegt jtehen. 

15 


Weſen, Entftehung und Ausbreitung der Kultur. 


Wir haben im vorigen Abfchnitte die Zufammenbangslofigkeit ald das Merkmal der 
Naturvölfer gekennzeichnet, und ebenfo fünnen wir als das Wefentliche der höchiten Kultur: 
entwidelung den größtmögliden und innigftmöglihen Zufammenhang aller Mitftrebenden 
untereinander und mit den vergangenen Geſchlechtern bezeichnen. Zwiſchen diejen beiden Extre— 
men liegen alle Zwifchenftufen, die wir unter dem vieldeutigen Namen Halbfultur zufammen: 
faſſen. Diejer Begriff, der, zwijchen den Ertremen inneftehend, als „Halbwegsbegriff“ ſich 
von jelbft zu deuten fcheint, verdient dennod; einige Worte. Wenn wir in der höchften Kultur 
der energifchiten Bethätigung ſowohl der erhaltenden als der weiterbauenden und mweiterbil- 
denden Kräfte begegnen, fo find es in der Halbkultur weſentlich jene erftern, die zu größter 
Thätigfeit aufgerufen werben, während bie legtern durch ihr Zurüdbleiben die Jnferiorität 
der Halbfultur bedingen, welde in ihrem Namen ſich ausiprechen foll. Die Einjeitigfeiten 
und Unvollfommenheiten, welde die Halbkultur auszeichnen, liegen weſent— 
lih auf der Seite des geiftigen Fortjchrittes, während dagegen die wirtjchaftliche 
Seite von einer fo frühen Entwidelung ift, daß vor 200 Jahren, ala Europa und Nord: 
amerifa noch nicht durch Dampf, Eifen und Elektrizität ihren riefigen Aufihwung genommen 
hatten, der geradezu ein neues Zeitalter der Kultur begründete, China und Japan durch 
ihre Leiftungen in Aderbau, Gewerbe und Handel, ja jelbft durch ihre heute jo weit über: 
holten und teilweife in jo tiefen Verfall geratenen Kanäle und Straßen die europätichen 
Reiſenden in das größte Erftaunen verjegten und bie vorurteilöfreien unter ihnen zu lauter 
Bewunderung einer jo großen Überlegenheit Hinriffen. Die Europäer aber und die euro- 
päiſchen Tochtervölfer in Amerifa und Auftralien haben in den legten 200 Jahren den 
Boriprung, den damals in vielen Beziehungen die Dftafiaten bejaßen, nicht nur eingeholt, 
jondern fie find längft darüber hinausgegangen. Hier erkennt man, worin das Nätjel der 
chineſiſchen Kultur, ihres Höheftandes und Stillftandes und überhaupt aller Halbkultur Liegt; 
denn was andres als die Luft des freien geiftigen Schaffens hat den Weften jo weit den Dften 
überholen laffen? Die Ehinefen haben feine wiſſenſchaftliche Forfhung, in dem titanifchen 
ober prometheiihen Sinne Europas haben fie auch feine Philofophie und Feine Poefie, und 
dieſer Geift der Unfreiheit geht jelbft durch ihre Kunft: alles auf Erhaltung, nichts auf 
Fortbildung gerichtet. Voltaire trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er einmal jagt, die 
Natur habe diefer Menjchenraffe die Organe gegeben, alles auf einmal zu finden, was ihr 
nützlich jei, aber nicht, Darüber hinauszugehen. Im Nüglichen, in den Künften des praftiichen 
Lebens find fie groß geworden, während wir ihnen feine einzige Theorie, nicht einen einzigen 
tiefern Blid in den Zufammenhang und die nächſten Urfachen der Erjcheinungen verdanfen. 

Hit nun diefer Mangel einer Lüde ihrer Begabung entiprungen, oder liegt er in der 
Starrheit ihrer jozialen und politiſchen Organijation, welche das Mittelmäßige begünftigt 
und alles Geniale niederdrüdt? Da derjelbe in allen Wandlungen ihrer Organifation 
fi erhielt, müfjen wir ung für die Lüde in der Begabung entſcheiden, aus der allein ja 
auch dieſe Starrheit ihrer jozialen Gliederung zu erklären ift. Die entjcheidende Ant: 
wort kann freilich erft die Zukunft erteilen, denn es wird vor allem fich zu zeigen haben, 
ob und wie weit dieſe Völker auf den Kulturwegen fortichreiten werden, welche Europa 
und Nordamerifa ihnen zu zeigen jo eifrig beflifjen find. Denn daß fie diefelben betreten 
wollen oder müfjen, unterliegt längft feinem Zweifel. Man wird aber zur Löjung dieſer 
Frage nicht kommen, wenn man fi auf den Standpunkt der Ganzkultur ftellt, welche in 
den teilweiſen Unvollfommenheiten Chinas, Japans zc. einfach Zeichen einer durchgehends 
niebrigern Stufe des ganzen Lebens diejes Volfes und fehr häufig zugleich Zeichen einer 
vollftändigen Hoffnungslofigfeit aller Aufſchwungsverſuche erblidt. Sollten in ihnen jelbit 
nur die Fähigkeiten zur Halbfultur liegen, jo wird das Fortjchrittsbebürfnis durch Zu: 
wanderung aus Europa und Nordamerika fich Fräftigere Organe zu ſchaffen ſuchen, d. h. 

16 


Kulturentwidelung. Geiftiger und materieller Befig. Kultur bed Bobens, 


die Volksmaſſe jelbit wird fi umgeftalten, um ein höheres Maß von Begabung zu er: 
langen. Diefer Prozeß mag manches ber heutigen Kulturvölfer erft zu ber Höhe geführt 
haben, bie e3 einnimmt. Wir erinnern an die Halbmongolen unter den Europäern, an bie 
Ruſſen und Ungarn, und an bie Förderungen mancher Art, welche Millionen von deutſchen 
und andern Einmwanderern biefen geboten haben. 

Die Summe der Kulturerrungenfchaften jeber Stufe und jedes Volkes ſetzt fih aus 
materiellem und geiftigem Beſitze zufammen. Es ift, wie wir fehen, wichtig, beide 
auseinander zu halten, da fie von jehr verichiedener Bedeutung für den innern Wert ber 
Geſamtkultur und vor allem für ihre Entwidelungsfäbigfeit find. Sie werben nicht mit den 
gleihen Mitteln, nicht gleich leicht, nicht gleichzeitig erworben, find daher nicht in gleichem 
Maße vertreten. Dem geiftigen Kulturbefige liegt der materielle zu Grunde. Geiftige 
Schöpfungen fommen ald Lurus nad) der Befriebigung der körperlichen Bebürfniffe. Jede 
Frage nad der Entitehung ber Kultur löſt fich daher in die Frage auf: Was begünftigt 
die Entwidelung der materiellen Grundlagen der Kultur? Hier ift num in erfter Linie zu 
betonen, daß, nachdem in der Benugung der Mittel der Natur für die Jede des Menſchen 
der Weg zu dieſer Entwidelung gegeben ift, nicht der Reichtum der Natur an Stoffen, 
ſondern an Kräften oder, befier gefagt, an Kräfteanregungen es ift, welcher die höchſte 
Schätzung verdient. Diejenigen Gaben der Natur find daher für ben Menjden 
am wertvolliten, welche die ihm innewohnenden Quellen von Kraft zu dauern: 
der Wirfjamfeit erſchließen. Dies vermag felbftverjtändlich am wenigften der Neich- 
tum der Natur an Dingen, deren der Menſch bedarf, oder jene fogenannte Güte der Natur, 
welche ihm gewiſſe Arbeiten eripart, die unter andern Umftänden notwendig fein würden, 
wie es 3. B. die Wärme in den Tropen thut, welche den dort Mohnenden das Hütten: 
bauen und das Sichkleiden fo viel leichter macht als in der gemäßigten Zone. Rer- 
gleichen wir das, was die Natur zu bieten vermag, mit demjenigen, was an Möglichkeiten 
dem menschlichen Geifte innewohnt, fo ift der Unterfchied ein gewaltiger und liegt vor: 
züglih in folgenden Richtungen: Die Gaben der Natur find an fi in Art und Menge 
auf die Dauer unveränderlih, aber der Ertrag der notwendigften unter ihnen jchwanft 
von Jahr zu Jahr und ift daher unberehenbar. Sie find an gewiſſe äußere Umftände 
gebunden, in gewilfe Zonen, bejtimmte Höhen, an verjchiedene Bodenarten gebannt, über 
welche fie oft nicht hinausgetragen werben können. Der Macht des Menjchen über fie find 
uriprünglih enge Schranken gezogen, melde nur die Entwidelung feiner Geiftes- und 
Willenskraft zu erweitern vermag, doch zu durchbrechen nie befähigt ift. Die Kräfte des 
Menſchen anderjeit3 gehören ganz ihm; er kann nicht bloß über ihre Anwendung verfügen, 
fondern fie auch vervielfältigen und veritärfen, ohne daß diefer Möglichkeit wenigftens bis 
heute eine Grenze zu ziehen wäre. Nichts lehrt jchlagender die Abhängigkeit der Natur: 
ausnugung vom Willen des Menſchen als der Zuftand der durch Willensſchwäche und Kon: 
fequenzlofigfeit in erfter Linie bezeichneten Naturvölfer, welche über alle Teile der Erbe 
bin, durch alle Klimate, über alle Höhenftufen biejelben find, 

Nicht zufällig hat das Wort Kultur auch noch den Sinn des Aderbaues, und hier liegt 
jogar feine etymologifhe Wurzel. Auch die Wurzel der Sache, die wir im mweiteften Sinne 
unter Rultur verftehen, liegt hier: das Hineinarbeiten einer Summe von Kraft in eine 
Erdicholle it der befte, meiftveriprechende Anfang jener Unabhängigkeit von der Natur, 
welde in einem gewiſſen Grade von Beherrichung derfelben durch den Geift ihr Ziel findet. 
Am leichteften jchließt fich hier Glied an Glied der Kette der Entwidelung an, denn in 
jährlich wiederholter Arbeit auf demfelben Boden, auf welchen der Menjch nun beharr: 
lih wohnt und wirkt, fonzentriert fih fein Schaffen und feftigt ſich feine Tradition, d. h. 
werben bie Grundbedingungen der Kultur gejchaffen. 

Bölferfunde. L 17 II 


Weſen, Entftebung und Ausbreitung der Kultur, 


Diejenigen Naturbedingungen, melde die Anjammlung von Reichtum vermöge ber 
Fruchtbarkeit des Bodens und der darauf verwandten Arbeit geftatten, find aljo zweifellos 
von der größten Bedeutung für die Entwidelung ber Kultur, Aber es ift dennoch un— 
zuläffig, mit Budle zu fagen, daß es „Fein Beifpiel in der Gefchichte gäbe, daß irgend 
ein Land durch feine eigne Anftrengung zivilifiert worden wäre, wenn es nicht eine 
jener Bedingungen in einer fehr günftigen Form beſaß“. Wegen ber geringen Zahl der 
Völker mit anfcheinend ganz jelbftändig entwidelter Kultur ift es einerjeitS nicht ganz 
leicht, diefe Frage zu entfcheiden. Für die erfte Eriftenz des Menſchen waren warme, 
feuchte, mit Fruchtreihtum geſegnete Länder ohne Frage am förberlihften, und der Ur: 
mensch ift am leichteften als Tropenbewohner zu denken. Wenn aber anberfeits die Kultur 
nur als eine Entwidelung der Kräfte des Menfchen an der Natur und durch diejelbe zu 
denken ift, fo konnte fie nur durch irgend einen Zwang gejchehen, welcher ben Menjchen 
in ungünftigere Berhältniffe verjegte, wo er für ſich jelbit mehr jorgen mußte als in 
diefer jeiner weihen Wiege der Tropenmwelt. Dies führt aber notwendig zu gemäßigten 
Ländern, die wir mit derjelben Notwendigfeit al3 Wiege der Kultur anfehen, wie wir 
die tropifhen ald Wiege der Menſchheit begrüßen. Und ift es außerdem fo ficher, daß 
diefe mexikaniſchen, peruanifhen ꝛc. Kulturen ganz autochthon find? Aber wir haben 
jedenfalls 3. B. in der Hochebene von Merifo ein viel minder fruchtbare Land als in 
den umgebenden Tiefländern, und das Gleiche dürfte von Peru zu fagen fein. Dennod 
finden wir die größte Entwidelung, welche nad unſerm Wiffen in Amerika ftattgefunden 
bat, auf diefe beiden Hochebenen beſchränkt. Thatfächlich erjcheinen fie jelbft Heute bei hoch 
gefteigerter Kultur dürr und öde wie Steppen neben der ungemein üppigen und pracht— 
vollen Natur der an vielen Stellen nur eine Tagereije weit von ihnen entfernten Tief: 
länder und Stufenländer. Man kann fagen, daß in tropifchen und jubtropiichen Ländern 
die Fruchtbarkeit des Bodens im allgemeinen abnimmt mit ftarfer Erhebung besjelben, 
und daß unter jeder Art klimatiſcher Bedingungen die Hochebenen niemals fo fruchtbar 
find wie Tiefländer, Hügelländer oder Gebirgshänge Nun hatten diefe amerikanischen 
Kulturen beide ihren Sig auf Hochebenen, und der Mittelpunkt der merifanifchen, die Haupt: 
ftadt Tenodtitlan (an der Stelle des heutigen Merifo), lag in 2277 m Höhe, während 
Euzco, das dieſe Stelle im Neiche der Inka einnahn, jogar noch höher lag. Bon Hige und 
Feuchtigkeit, welche nad Budle die notwendigen Vorbedingungen der Zivilifation find, 
findet fich in diefen beiden Ländern bedeutend weniger als in dem größten Teile des übrigen 
Mittel: und Südamerika, und doch find gerade fie es, wo die reichften und jelbftändigiten 
Kulturentwidelungen der Neuen Welt erblühten. 

Es führt dies zur Erkenntnis, daß, wenn aud Kultur im allgemeinen an ihrer Wur: 
zel einen engen Zufammenhang mit der Kultur des Bodens befit, doch bei weiterer Ent- 
widelung feine notwendige Beziehung zwiſchen den beiden bejtehen bleibt. Die Kultur 
eines Volkes löſt fich, indem es wächſt, vom Boden los, auf dem fie fich entfaltet hat, und 
ſchafft fih, je weiter fie fih entwidelt, um jo mehr Organe, die mehr den Elementen der 
Bewegung als des Wurzelns dienen. Man möchte faſt jagen, daß dem Aderbauer eine 
natürlihe Schwäche innewohnte, welche durch feine Ungewohntheit der Waffen, durch feine 
den Mut, die Unternehmung ſchwächende Liebe zum Befige und zur Anfäfligfeit ſich un: 
ſchwer erflärt. Das höchſte Maß politiicher Kraftäußerung finden wir dagegen bei dem 
in vielen Beziehungen als natürlicher Antipode dem Aderbauer entgegenftehenden Jäger 
und Hirten, vor allem bei dem legtern, der mit der Beweglichkeit die Fähigkeit des maſſen— 
haften Auftretens, mit der Kraft die Disziplin vereinigt. Und auch hier find die Urſachen 
natürli und naheliegend, denn gerade das, was es dem Aderbauer jchwer macht, jene 
Kraft zu entwideln, kommt hier zur Geltung: der Mangel der Anfälligkeit, die Beweglichkeit, 

18 


Wirfungen des Klimas und des Bobens. 


die Übung der Stärke, des Mutes und der Waffengewandtheit. Und bliden wir über bie 
Erde hin, jo finden wir in der That die feiteiten ftaatlihen Drganifationen der fogenannten 
Halbkulturvölfer durch Verſchmelzung diefer Elemente hervorgebradt. Das jo entſchieden 
aderbauende Volk der Ehinefen beherrihen die Mandſchu nah den Mongolen, die Perſer 
ftehen unter turfeftanifhen Herren, die Hgypter ftanden unter Hykſos, Arabern und Türken, 
alles jchweifende Völker; in Innerafrifa find die nomadiihen Wahuma die Gründer und 
Erhalter der fefteften Staaten von Uganda und Unyoro bis vielleiht zum Kaſembe und 
Muata Jamvo hinüber, und in Merifo hatten die rauhen Toltefen das verfeinerte Ader: 
bauervolf der Aztefen unterworfen. Im Detail der Gejchichte, vorzüglich der Grenzitriche 
zwifhen Steppe und Kulturland, würde diefe Regel fi noch in einer langen Reihe von 
Fällen beftätigen, und wir wagen zu behaupten, daß fie faft ein Gefeg ift. Nicht darum 
find alſo die minder fruchtbaren Hochebenen und die den Hochebenen nächſtgelegenen Striche 
überall der Entwidelung höherer Kultur, der Bildung von Kulturftaaten fo förderlich ge— 
wejen, weil fie fühleres Klima und dadurch Nötigung zum Aderbaue bieten, ſondern weil 
die erobernde und zufammenhaltende Kraft der Nomaden hier mit der fleißigen Arbeit des 
für ſich allein nicht ftaatenbildenden Aderbauers ſich vermählte. Daß dabei die Hoc: 
ebenenfeen eine gewiſſe Rolle jpielten al Anlehnungs= und Kriftallifationspunfte ſolcher 
Staaten, wie der Titicaca in Peru, die Lagunen von Tekcoco und Chalco in Meriko, 
ber Uferewe und Tjad in Innerafrika, ift eine intereffante, aber im Vergleiche zur kultur: 
Ihaffenden Wirkjamkeit diefer Verbindung von Nomaden und Aderbauern mehr nebenjäd: 
lihe Erſcheinung. 

Über die lokalen Begünftigungen und Hemmungen der Kultur dur den Einfluß der 
geſchichtlich wirkſamen Eigenfhaften des Klimas hinaus wirken am eingreifenditen bie ver: 
jchiedenen Klimate durch die Erzeugung von großen Gebieten ähnlicher klimatiſcher Be— 
dingungen, Kulturgebieten, welche, entiprechend den Klimazonen, gürtelförmig um den Erb- 
ball angeordnet find. Man kann fie alfo Kulturzonen nennen. Bei allem Unterjchiede 
der lofalen Klimaverhältniffe fommt diefen etwas Großes, Gemeinjames zu, das einmal 
in den verjchiedenen Wirkungen der Kälte und Wärme und ihrer Kombination mit Troden- 
beit und Feuchtigkeit und zum andern in ben verjchiedenen Graben von Fruchtbarkeit 
begründet ift, welche jenen entſprechen. Die geihichtlihen Erfahrungen, über welche bis 
heute die Menſchheit verfügt, ftempeln nun ganz entichieden die gemäßigte Zone zur 
älteiten, eigentlichſten Kulturzone. Nicht bloß eine Gruppe von Thatſachen |pricht 
biefür. Die wichtigſten, organisch zufammenhängendften, in diefem Zufammenhange und 
durch denjelben am ftetigften fich fortbildenden, nach außen anregenditen geſchichtlichen Ent: 
widelungen ber legten drei Jahrtauſende gehören diefer Zone an. Und daß es nicht etwa 
eine Wirfung des Zufalles ift, welcher das Mittelmeer, das Herz der alten Geſchichte, in 
dieje Zone fallen läßt, lehrt jehr deutlich das Verharren der wirkjamften geſchichtlichen Ent- 
widelungen in ber gemäßigten Zone auch nad) der Erweiterung des Gejchichtsfreifes über 
Europa hinaus, ja ſelbſt nach der Verpflanzung der europäifchen Kultur nad) jenen neuen 
Welten, die fih in Amerika, Afrifa und Auftralien aufthaten. Nach allem, was wir von 
den Einwirfungen der falten und heißen Zone auf die einzelnen Menſchen willen, kann es 
nit wundernehmen, wenn in dieſen mittlern Zonen, die am freieften bleiben von den un- 
leugbar ſchädlichen Einflüffen der Ertreme, die ftetigite und damit die höchſte Kulturentwider 
lung ſich vollziehen fonnte. Zwar flechten ſich unendlich viele Fäden in diefes große Gewebe 
hinein; aber da jedes Volk aus Einzelmenſchen fich zufammenfegt, und da folgerichtig auch 
alles, was die Völker ſchaffen, endgültig auf dem Thun der Einzelnen beruht, jo ijt zweifellos 
das Folgenreidite von allem in diefem Prozejje einmal die Erzeugung der möglichſt 
großen Zahl möglichit leiftungsfähiger Individuen in der gemäßigten Zone und dann bie 

19 II* 


Die Sprade. 


Aneinanderreihung und Zufammenfaffung der einzelnen Kulturgebiete in einen Kulturs 
gürtel, in welchem der Verkehr, der Austausch und damit die Mehrung und Befeitigung 
der Elemente des Rulturfchages die günftigften Bedingungen fanden, in welchem mit andern 
Worten die Erhaltung und Fortentwidelung, diefe Elemente der Kultur, auf der breiteften 
Grundlage ihre Thätigfeit entfalten fonnten. 

Alte Kulturen oder, wenn man will, Halbfulturen, deren Reiten wir in den tropi- 
ichen Ländern begegnen, gehörten einer Epoche an, wo die Kulturarbeit feine jo gewaltigen 
Forderungen an bie einzelnen ftellte, wo aber auch ebendarum die Kulturblüte vorüber: 
gehender war. Das Studium der geographiichen Verbreitung alter und neuer Kulturen 
fcheint zu lehren, daß mit dem Wachſen der Kulturaufgaben der KRulturgürtel ſich not: 
wendig nad den Gebieten der größten Leiftungsfäbigfeit auf dieſer Seite, d. h. nad) 
denjenigen gemäßigter Klimate, zufammenzog. Für die Urgefchichte des Menſchengeſchlechtes, 
für die Gefchichte feiner Verbreitung, für die Deutung der Kulturrefte in Tropenländern, 
wie Merifo und Peru, ift diefe Erwägung von Wichtigkeit. 


Die Sprache. 


Inhalt: Die Sprade ift eine allgemeine Fähigkeit der heutigen Menfchheit. — Sprachenlernen bei Natur: 
völfern, — Beränderungen der Spraden. — Gibt es eine Beziehung zwifchen Raffen: und Spraceigen: 
tümlichleiten? — Entftehung, Wachstum und Verfall der Sprache, — Folfile Wörter; Dialekte und Spra- 
chen. — Beziehung zwiſchen Sprache und Kulturhöhe. — Arme und reihe Sprachen. — Die Ausdrüde für 
Zahlen und Farben. — Gebärbeniprade, — Schrift. 


Alle Völker der Erde befigen die Fähigkeit der Sprade, die uns aljo im Rahmen 
unfrer jegigen Betrachtungen als etwas Fertiges gegenübertritt. „So iſt die Begabung 
des Menichen, jo feine Umstände, feine Geichichte, daß Sprache überall und ausnahmslos 
fein Befigtum geworden. Und jo wie die Sprade allen Menjchen eigen, ift fie aud ein 
Vorreht der Menſchheit: nur der Menſch befigt Sprace.” (Herber.) Und zwar befigt er 
diefelbe im nicht wejentlich verichiedenem Grade, wie aus der Thatſache fi ergibt, daß 
jedes Volk der Erde jedes andern Volkes Sprache lernen fann. Wir jehen nit nur 
alltägliche Beilpiele von vollfommener Bemeifterung fremder Spraden, jondern wir lernen 
e3 auch bald als einen Erfahrungsjag betrachten, daß nicht angeborne Unfähigkeit, ſon— 
dern tiefwurzelnde Trägheit die Menfchen verhindert, ſelbſt die jchwerften fremden Spraden 
mit derjelben Geihidlichkeit zu gebraudhen wie ihre Mutteripradhe. Und darin find feines: 
wegs die Kulturvölfer den Naturvölfern unbedingt überlegen. Bon erftern wird zwar die 
Fähigkeit, eine oder mehrere Spraden außer ihrer Mutterſprache zu jprechen, viel häufiger 
verlangt; allein wo die Naturvölfer durch Bedürfniſſe des Handels und Verkehres ſich in 
ähnliche Notwendigkeiten verfegt ſahen, haben auch fie Ähnliches geleiftet. Viele von den 
höher geitellten Waganda ſprechen Kifuaheli, einige arabiih; zahlreihe Wanjammefi haben 
diejelbe Sprache gelernt. In den Handelsplägen der afritaniihen Weſtküſte gibt es genug 
Neger, die zwei- und jelbit dreiiprachig find, und in den Indianerſchulen Kanadas erjtaunte 
nichts jo jehr die Miffionare als die leichte Bemeifterung des Englifhen und Franzöſiſchen 
ſeitens der indianischen Jugend. 

Die Spradmittel, die Laute ebenjo wie die fie begleitenden Gebärden, find über die 
ganze Erde hin einander jehr ähnlich, und nicht jehr weit geht der innere Aufbau der 
Sprachen auseinander. Man kann jagen, die menſchliche Sprade ift eine an der Wurzel, 
welde ſie tief in die Seele des Menſchen treibt; doch iſt fie in viele, fehr verjchiedene 

20 


Bölfer und Spraden, 


Afte und Zweige auseinander gegangen. Zahlloje Spraden, die in jedem Grade von: 
einander abweichen: Dialekte, Schwefter: oder Tochteripradhen, jelbftändige Sprachſtämme, 
erfüllen mit wechjelnden Tönen die Hütten und Haine der Menſchen. Einige Völker 
fönnen fich untereinander noch annähernd verftändigen, einige, die einander nicht jo nahe 
ftehen, zeigen dennoch bei oberflächlicher Betrachtung Ähnlichkeit, bei andern liegen die Ähn— 
lichkeiten tiefer, jo daß nur noch die Wiſſenſchaft bis zu ihnen vordringt. Eine große Zahl 
endlih von Spraden ift anfcheinend völlig verfchieben, nicht bloß in den Wörtern, fondern 
in der Struftur, den Beziehungen, die fie ausbrüden, den Nebeteilen, die fie unterſcheiden. 
Dabei gehen dieſe Unterſchiede keineswegs Hand in Hand mit geiftigen Verſchiedenheiten 
der Spreder; Individuen von jeder Abart der Begabung gebrauchen denjelben Dialekt, 
und Seelen berjelben Begabung und Richtung können fich nicht verftändigen. Auch mit 
geographiſchen Verſchiedenheiten ftimmt fie nit und oft auch nicht mit Rafjenunter: 
ſchieden. Dft walten größere Raffenunterfchiede unter den Spredern Einer Sprade als 
unter denen, welde die weiteft voneinander entlegenen Sprachen gebrauchen. Um wieviel 
fteht nicht der englijch redende Neger dem fpradhverwandten Engländer ferner als ber 
Chinefe dem ſprachlich tief verfchiedenen Mifronefier! Die Bedeutung der Sprache für die 
Völkerforihung muß ganz wo anders als in dem auf Spradverwanbtichaft beruhenden 
Nachweiſe der Völferverwandtichaft gefucht werden. Die Sprache wird immer in erfter Linie 
als das hervorragendfte Werkzeug, als die Borbedingung aller andern Kulturſchätze 
der Menſchheit ericheinen, als das Mittel zu ihrem Erwerbe und ihrer Mehrung. Sie fann 
das erjte und wictigfte, ja das entjcheidende aller Werkzeuge genannt werden, bie der 
Menſch fich bereitet. Sie ift aber ebendarum jo veränderlih wie ein Werkzeug, und ein 
Wort kann im Laufe der Jahrhunderte jehr verjchiedene Bedeutungen annehmen, ganz 
verjchwinden, durch andre, eigens erfonnene oder einer andern Sprade entnommene erfegt 
werden. Sie wird abgelegt wie ein Werkzeug und wieder aufgenommen. Nicht bloß 
Einzelne verlieren ihre Mutteriprache, wie der in Auftralien mit zwölf Jahren zum Natur: 
menjhen gewordene Franzofe Narciffe Belletier, von welchem jüngſt in der Parifer Anthro: 
pologiſchen Gejellihaft eine anziehende Schilderung gegeben wurde, oder die Akka Mianis, 
welche im Anabenalter nad Italien gebracht worden waren und ihre Mutterſprache nad) 
wenigen Jahren gänzlich vergeifen hatten, jondern ganze Völker legen eine Sprade ab 
und nehmen eine andre an, wie man ein Kleid an: und ablegt. Es gibt gewifje Kultur: 
errungenſchaften, welche dauerhafter find als die Sprade, etwa die Kenntnis der Vieh: 
zucht, die, einmal erworben, weniger leicht in Verluft zu geraten fcheint als die Mutter- 
ſprache. Wir würden bei diefem Punkte, welcher für den Kenner des Völferlebens fo 
ſelbſtverſtändlich ift, nicht zu verweilen wagen, wenn nicht noch immerfort die linguiſti— 
ſchen Hlaffififationen bewußt oder unbewußt mit den anthropologiih=ethnographiichen ver: 
mischt würden. Hat doc jelbit eine ſprachwiſſenſchaftliche Autorität, R. Lepjius, es 
notwendig befunden, gegen die Auffaſſung zu proteftieren, daß ſich Völfer und Sprachen 
nah Abftammung und Zufammengehörigfeit deden, wie noch immer in viel zu hohem 
Grade vorausgejegt zu werden pflege: „Die Verbreitung und Vermiſchung der Völker geht 
ihren Weg und die der Sprachen, wenn auch ftet3 durch dieſen bedingt, den ihrigen, oft 
gänzlich verjchiedenen. Die Spraden find das individuellfte Erzeugnis der Völker und ihr 
unmittelbarfter geiftiger Ausdruck, aber fie löfen fi) häufig von ihren Erzeugern los, über: 
ziehen große fremde Völker und Raſſen oder fterben ab, während ihre frühern Träger, 
ganz andre Sprachen jprechend, fortleben.” Es verfteht ſich, dag im Lichte einer folchen 
tiefern Betrachtung Begriffe wie indogermanijche Naffe, ſemitiſche Raſſe, Banturafje nicht 
bloß wertlos, jondern verwerflich, weil irre führend, find, und daß, jo unberechenbar groß 
Wert und Einfluß der Epraden als erſte Stüge und Stab in der geiftigen Entfaltung 
21 


Die Sprade, 


der Menschheit gemweien, ihre Bedeutung für die Nachweiſung innerer Unterjchiede ber 
Menſchheit ungemein gering ift. 

Und während das echtefte Naturvolf der Bufchmänner eine fein gebaute, reihe Sprache 
fpricht, in deren Entwidelung ein unendlicher Betrag geiftiger Arbeit aufzumwenden war, 
finden wir die nad) entwicelungstheoretiichen Anfichten einfachfte Sprache, die flerionglofe 
&binefiihe mit ihren 450 wie Steine eines Geduldſpieles aneinander zu ſetzenden und 
wieder aufzulöfenden und dabei immer unverändert, eigentlih unorganiſch bleibenden 
Wurzelwörtern, bei demjenigen Volke, das bie höchfte und dauerndfte Kultur Afiens ent: 
widelt hat. Man kann unter diejen Verhältniffen wohl einen Stammbaum der Sprachen 
aufrichten, darf uns aber nicht glauben machen wollen, daß damit für den Stammbaum der 
Menjchheit irgend etwas gewonnen fei, diefer Menfchheit, in der wir die niedrigfte organi— 
fierte Sprache von einem ber höchſten Völker und eine höchft organifierte von einem ber 
niedrigften geiproden finden. Die neuere Sprachwiſſenſchaft jcheint fich übrigens auch von 
einem Stammbaume aller Sprachen, einem Welt-Spraditammbaume, nicht mehr foviel zu 
verſprechen wie einft einige ihrer Vertreter, welche in folhem Stammbaume den Fräftigiten 
Beweis für den Darwinismus erfannten. Was dort als einfilbige Sprache an der Wurzel 
be3 Stammbaumes vegetierte, erjcheint ihr jegt mehr aus Rüdgang al3 aus Berharrung 
jo arm und ftarr, und jene mit Vogelgezwiticher und andern Tierjtimmen verglichenen 
Schnalzlaute ſüdafrikaniſcher Sprachen betrachtet fie jegt nicht jo ſehr als Reſte der Tier: 
heit denn als „Harakteriftiichen Ausdrud ſprachlicher Indolenz und Verkommenheit“. Bon 
irgend einem Refte von Urſprache ift feine Rede mehr, jondern man fcheint auf dieſem Ge- 
biete nur mehr oder weniger Hocentwideltes oder Rüdwärtsgegangenes zu fehen. 

Die Univerjalität der Sprade ift das einfache Rejultat der Thatſache, daß jede 
Abteilung der Menſchheit lange genug eriltiert, um die Keime ihrer Sprachfähigkeit bis zu 
einem gewiſſen Grabe zu entfalten, wo wir fie dann als Sprache bezeichnen. Nicht bloß 
Hädels Mali ift lange, lange in die Vergeſſenheit hinabgeftiegen, auch alle, die unvoll: 
fommen redend, Lallend, nad) ihm kamen, find nicht mehr. Die Unterjchiede der Organi- 
jationshöhe find in den heutigen Sprachen gering. Die Sprache ähnelt hierin gewiſſen 
univerjellen Künften oder Werkzeugen, die bei Naturvölfern nicht beſſer find als bei den 
Kulturträgern. Iſt es nicht mit der Univerfalität der Religionsbegriffe, der Kunfttriebe, 
der Steinwaffen ähnlich beftellt? Zu Grunde liegt ber Sprache der Trieb zur Mitteilung, 
fie ift daher, wie alle andern Kulturerrungenſchaften, nicht das Produkt des einzelnen Men: 
ichen, ſondern des Menjchen in der Gejellihaft. Der Trieb zur Mitteilung ift die treibende 
Kraft in der Spradentwidelung. Für und durch fie erwerben wir unfre erften Kenntniffe, 
fie läßt die Sprade ſich entwideln und bereichern, fie Ichafft die Einheit der Sprache und 
beſchränkt das Wuchern der dialektiichen Abänderungen. Wir jprechen, um von andern ver: 
ftanden zu werben, wir hören und lernen, um andre zu verftehen, wir ſprechen nicht einfach, 
wie wir es wünſchen, und fprechen nicht, wie wir wollen, fondern wie es verjtändlich ift, 
wie andre, nicht wie wir e8 brauchen. Inſofern zeigt die Sprade am deutlichiten und 
allgemeinften, daß die das Individuelle einfchränfende Wirkung des Lebens in der Gejell- 
ichaft das folgenreichite und vielleicht frühfte foziale Erzeugnis ift. 

Die Grundlage der Sprade waren die Naturlaute der Menfchen, die ihre Gefühle 
ausdrüden und von andern verftanden werden fonnten. Gebärde und Mienenfpiel gejellten 
fich Hinzu, vielleicht verftändlicher in den erften Anfängen und überwiegend die hörbaren 
Äußerungen. Wie breit mag diefe Grundlage jein? Beſtand fie aus artikulierten Lauten, 
die inftinftiv mit gewiſſen Ideen, beftimmten Begriffen vergefellfchaftet waren? Beftand 
ein Wortſchatz ſolcher urfprünglicher Laute, von Urmörtern, von legten Sprachwurzeln? 
Dann würde die Unterfuhung der Laute der Tiere wertvoll fein. Aber die neuere 

22 


Berihiedenheiten der Sprade. Das Leben der Sprade. 


Sprachforſchung hat diefe Waumau- Theorie beifeite gelegt. Von dem beweglichen Munde 
des lebenden Menjchen getragen und der Seele, Dem Ausgangspunfte der Lebensäußerungen, 
jo nahe bleibend, trägt die Sprache das Merkmal des Lebens, nämlid die beftändige 
Veränderung und wieder im MWechjel die Beftändigfeit, aufs deutlichfte ausgeprägt an ſich. 
überlebt fie auch die Gefchlechter derer, die fie ſprachen, fo Lebt fie doch mit ihnen, indem 
fie mehr oder weniger ftarfe Veränderungen erfährt. Und endlich jterben auch die Spra— 
hen. Das Altägyptiihe jtarb noch früher als die ägyptiihe Kultur, das Altgriechifche 
überlebte nicht jehr lange die jelbftändige Eriftenz des Griechenvolfes, und mit Rom fiel 
das Lateiniſche. Die drei Spraden, die hier genannt wurden, find nicht Finderlos ge 
jtorben, fie leben im Koptiſchen, Neugriechiſchen und in den romaniſchen Tochterſprachen 
fort. Seltener find Sprachen, welche ganz geftorben find, wie das Gotiſche. Doch jelbit 
das Gotiſche wird von nahe verwandten Schweiterfprachen überlebt, die den Stamm 
erhalten. Aber das Baskiſche wird allem Anjcheine nach dereinft eins ber merkwürdigſten 
Beijpiele einer Sprade jein, die, einjam ftehend, ohne alle nähern oder fernern Verwanbt- 
ichaftsbeziehungen zu mitlebenden Spraden binftirbt. So fterben aljo ganze Spraden. 

Daneben geht im Leben jeder Sprade ein allmählihes Abfterben vor fi, das in 
mancherlei Formen fich kundgibt. Wörter veralten, fommen außer Gebraud oder finden 
nur noch im Munde von Priejtern und Dichtern eine Möglichkeit der Erhaltung. G. 8. 
Marih hat nachgewieſen, daß feit 1611 in der engliihen Sprade 388 Wörter veraltet 
find. Dazu kommen zahlreihe Änderungen der Ausiprahe, der Rechtſchreibung und des 
Sinnes. Alte Redensarten, welde immer noch fortgebraudht werden, nachdem ihr Sinn 
längſt unverjtändblic geworden, find vor allem in dem gedanfenarmen Leben der Natur: 
völfer häufig und fpielen feine Eleine Rolle. So ruft im Kampfe ber herausfordernde 
Fidſchianer jeinem Gegner zu: „Saitava! Saitava! Ka yau mai ka yavia a bure!“ 
(„Schneid' zu, fchneid’ zu, der Tempel empfängt’), aber niemand fennt den Sinn diejer 
Worte, die jedermann für jehr alt hält. Wie anderjeit3 mit neuen Dingen neue Wörter 
und Wendungen in die Sprade eingeführt werden oder beſſer fich einführen, bat das 
Zeitalter der Eifenbahnen und Dampfſchiffe wie Fein andres vor ihm gezeigt, denn bie 
Sprachen aller zivilifierten Völker find durch dasjelbe mit Hunderten von neuen Wörtern 
bereichert worden. Gewiſſermaßen unter unſern Augen ift das engliſche eth in ber En- 
digung der dritten Perjon der Zeitwörter durch es (liveth, lives), im Deutſchen das et 
durch t (lebet, lebt) erfegt worden und ift im Deutichen das e in „heute“ und ähnlichen 
Wörtern im Begriffe, abgeftoßen zu werden. Dieſe Veränderungen find in ungefchriebenen 
Spraden natürlich viel größer als dort, wo die Schrift gewiljermaßen als verjteinerndes 
Medium auf die Sprache wirkt. Und wenn wir der Behauptung der Sprachgelehrten recht 
geben müffen, daß das Leben der Sprade nicht in den Schriftijpraden, jondern 
in den Dialekten puljiere, und daß in den Dialekten die Keime neuer Spradbildungen 
ihlummern, jo verftehen wir, wie man in den Spraden ebenfo variable Organismen 
jehen mag wie in den Pflanzen oder Tieren. Während die Echrift danach ftrebt, eine 
beſtimmte Sprache zu firieren, hat der reichere, weitere Berfehr der Schriftvölfer zugleich 
die Tendenz, das Verbreitungsgebiet eines Dialeftes, beziehentlich einer Sprache zu erweitern, 
E3 würde nicht unrichtig fein, im allgemeinen zu behaupten, daß die jchriftlofen Völker 
nur Dialekte fprechen, während Spraden nur von Schriftvölfern getragen werden. Wo 
liegt aber die Grenze zwiſchen Dialeften und Spraden? Unter Sprache verjteht man 
heute einen Dialekt, der durch die Schrift firiert, durch den Verkehr weit verbreitet ift. 
Mar Müller jagt mit Net von den „litterariichen Idiomen“, daß fie mehr fünftliche 
al3 natürliche Formen der Nede darftellen. Dialekte ericheinen uns als ärmere, weniger 
bejtimmt fejtgeitellte und geregelte, daher der Veränderung, jelbit der Willfür mehr 

28 


Die Sprade. 


ausgejegte, jomit untergeordnete Sprachen. Aber jo erjcheinen fie ung nur, folange wir 
fie mit Schriftipradhen vergleihen. Welcher unter den 300 Stämmen vom vielipradigen 
Kolchis, von welden Plinius erzählt, daß die Römer zum Verkehre mit ihnen 130 Dol: 
metſchen brauchten, ſprach eine Sprade und welcher einen Dialeft? Auf diefer Stufe werben 
bloß Dialekte geiproden, jeder Stamm hat den feinen, und wenn man dem Neugriedhiichen 
70 Dialekte zugeſprochen bat, kommen uns diefe 130 der Kolchier gar nicht mehr jo eritaun: 
lih vor. Was Spraden erzeugt und was Dialekte erhält, zeigt ſehr gut der Vergleich der 
weiten Verbreitung des Birmaniichen in den dicht bevölferten, verfehrsreihen Ländern 
Birma, Pegu und Arafan mit der viel beſchränktern in den hart danebenliegenden Berg: 
ändern bes obern Irawadigebietes, wo Gordon in der Gegend von Manipur allein 12 Dia— 
lefte jammelte, und wo oft 30 oder 40 Familien einen eignen, andern Familien unver: 
ftändlicden Dialekt jprehen. An diefem Maßitabe find denn auch) die jo häufigen Angaben 
von übermäßig großer Zahl der Sprachen bei Heinen Völkern zu meſſen. Won Übertreibung 
befreit, liegt in ©. Sagard3, des Huronenmiffionars, von 1826 ftammender Angabe, daß 
jedes Huronendorf feine eigne Sprache befige und ſelbſt nicht zwei Familien in demſelben 
Dorfe die gleihe Sprade ſprächen, daß ferner diefe Sprachen äußerſt veränderlich, jo daß 
die alte Huronenfpradhe (melde von den vielen?) bereits faft gänzlich verjchieden von der 
heutigen fei, die Schilderung des Naturzuftandes der Sprache, d. h. des Lebens der Sprache 
im Zuftande der Dialekte, aus denen feiner beherrihend und befeftigt als Sprache ber: 
vortritt. Die Mannigfaltigfeit der von den Buſchmännern geſprochenen Dialekte, welche 
erhebliche Verjchiedenheiten fjelbft unter Stämmen aufmweilen, die nur durch Hügelketten 
oder einen Flußlauf voneinander getrennt find, führt Moffat ausichlieglih auf den 
Kulturzuftand zurüd, welcher feinen gemeinfamen Mittelpunkt, feine gemeinfamen Inter: 
eſſen, kurz, nichts von dem befißt oder erzeugt, was zur Befeftigung des Spradhgebrauches 
beizutragen vermöchte. Ihr Leben geht in ber Bemühung auf, „Leib und Seele zujammen- 
zuhalten“, und dies führt vor allem dazu, daß die Familien und Familienglieder ſich oft 
für lange Zeit voneinander entfernen und große Streden fern von ihrem eigentlichen 
Wohnfige durchmeſſen. Aber nah dem, was wir von Bleek über die geringen Unter: 
jchiede der Buſchmanndialekte wiffen, möchte hier wohl auch Zumifchung von Bantu= oder 
Hottentottenmworten als differenzierendes Moment anzunehmen fein. Es ift interejlant, zu 
willen, daß jene „Betihuanen-Buihmänner”, die Balala, welche als ein Pariaſtamm mit 
und unter ben Betichuanen leben (j. S. 283), genau dieſelbe Erſcheinung zeigen, denn ihr 
Eitjchuana ift ein jehr verändertes und von Stamm zu Stamm mannigfaltige Eigentüm— 
lichkeiten zeigendes Jdiom, während die Betſchuanen, ihre Herren, in öffentlihen Beratungen 
und häufigen Geſprächen, Gejängen ac. ihre Sprache rein erhalten und rein fortpflanzen. 

Aber doh muß man fich hüten, die fonfervative Macht des täglichen Spradhgebrauches 
unterſchätzend, eine allzu leichte Flüffigkeit der Sprachformen auf diefer Stufe anzunehmen. 
Gegenüber jenen Angaben Sagards fteht die beglaubigte Thatſache, daß in den legten 
200 Jahren die Huronendialekte ſich nicht verändert haben. Durch Schweinfurth wiſſen 
wir, daß Djur und Bellana trog der räumlichen Trennung die Schillukſprache faft unver: 
ändert behalten haben. Die legtern find durch die ganze Breite der Bongo von den Djur, 
dieje wieder weit von den Schilluf getrennt. Man erwäge die geringen Unterſchiede der 
entlegenften Bantubialefte und Ähnliches, Wir find daher geneigt, es auch eher aus einem 
Fehler der Beobachtung entjpringend zu betrachten, daß 3. B. ©. F. Walded, wie er 
aus der Gegend von Palenque an Jomard ſchrieb, fi) 1833 eines Wörterverzeihniffes 
nit mehr bedienen fonnte, welches erſt nach 1820 angelegt worden war. Dan weiß 
ja zur Genüge, wie nachläffig bei der Anfertigung mander Vofabulare verfahren wird. 
Selbſt in den befjern, von Engländern oder Amerikanern angelegten Wörterverzeichniffen 

24 


Hohe und niedere Spraden. Zahlmwörter. 


„wilder“ Sprachen wird wegen willfürliher Transifription für Deutjche oder Franzofen eine 
große Zahl von Wörtern im Verfehre mit den Eingebornen nicht zu brauchen fein. 

Immerhin wird man e3 aber al3 Regel feithalten fünnen, daß, je größer ein Volk, 
je inniger fein Verkehr, je feiter ausgebildet jeine foziale Gliederung, je einheitlicher feine 
Gebräuche und Anichauungen find, um fo unveränderlicher feine Sprade ift. „Es braucht 
feine gefchriebene oder klaſſiſche Literatur, um einem aus vielen Dialekten eine Überlegen: 
beit und feinen Befonderheiten eine unbeftrittene Legitimität zu verleihen. Reden in öffent: 
lihen Verſammlungen, Bolksgefänge, nationale Gejegesregeln, Orakel üben in geringerm 
Maße denjelben Einfluß. Sie halten das natürliche Auseinanderfliegen in die unzähligen 
Bäche ihrer Dialekte auf und geben gewiſſen Spradbildungen Dauer, welche ohne dieje 
äußern Einflüffe nur eines vorübergehenden Dajeins ſich erfreut haben würden.” (Mar 
Müller.) Dieſe Thatfahen zeigen klar, wo wir den wahren, den wefentlichen Unterjchied 
der Entwidelungshöhe der Sprachen zu ſuchen haben. Diejenige Sprache wird die höchfte 
Stufe der Entwidelung erreicht haben, beren Mittel jeglihem Ausdrude gewachſen find, ohne 
durch Überfülle in Unklarheit zu führen, welche den fonfreten wie den abftraften Begriffen 
bie vollitändigften, verftändlichiten, fürzeften Ausbrudsmittel bietet. Und hieraus würde 
weiter folgen, daß ein durchgehender VBarallelismus zwiſchen Sprach- und Kulturentwides 
lung walte, indem die höchſte Kultur der reihften Mittel ſprachlichen Ausdrudes 
bedarf. Unbejchadet der Unterjchiede des Sprahbaues werden alſo jene Völker, welche 
die Träger der höchſten Kulturen find, auch die reichiten, vielfeitigiten Spraden, d. h. folche 
Spraden ſprechen, welde den Namen vorzüglider Werkzeuge verdienen. Unter vorzüg: 
lichen Werkzeugen veritehen wir hier aber nicht Werkzeuge, welche aufs befte den Zweck 
erreihen, für welchen fie beſtimmt find; denn für die einfahhen Bebürfniffe der Auftralier 
find ihre Sprachen volllommen ausreichend, ja gerade durch ihre Armut vielleicht oft zweck— 
mäßiger als reich ausgebildete Litteraturjprahen. Wir betrachten vielmehr die Spraden 
auch als bejondere Organismen, welde eine eigne Entwidelungsitufe zu durchlaufen 
haben. So, wie wir in der Klafje der mechaniſchen Werkzeuge dem Pfluge einen höhern 
Hang anweiſen als der Hade, wiewohl die legtere einfachen Bebürfniffen ebenjo gut dient, 
wie jener größern Anſprüchen gereht wird, jo gelten uns auch die ebenjo biegjamen 
wie feit gegliederten, ebenjo Haren wie reihen Sprachen ber indogermaniſchen Familie 
mehr als die ärmern Idiome der Bantufamilie. 

Iſt die Sprade eines Volkes ein Maßſtab feiner Kulturhöhe, jo darf doch nur mit 
Vorfiht aus der Entwidelung jener auf dieſe geichloffen werben, denn die Sprade ift 
nur eine Äußerung unter vielen. Und am wenigiten jollte die ſprachliche Behandlung 
beftimmter Begriffe zu ſolchem Maßſtabe gemadt werden. Zählen und Rechnen find 
ficherlich jehr wichtige Dinge, von deren richtiger Ausbildung ein großer Teil der geiftigen 
und damit der Kulturentwidelung der Völker abhängig ift. . Aber doch muß angefichts 
der angeblihen Unfähigkeit vieler Naturvölker, umfaſſendere Zahlbegriffe ald 3 oder 5 
zu realifieren, einer Unfähigkeit, welche bejonders oft den Auftraliern vorgeworfen wurde, 
ganz allgemein darauf aufmerffam gemacht werden, daß die Unzulänglichkeit eines Werk: 
zeuges nicht eine entiprechende Unfähigkeit der dasjelbe in Bewegung jegenden Hand 
vorausfegen läßt. Hier wiederholt man uns beftändig: die Sprachen diefer Völker ent: 
halten feine Zahlwörter über 3, aljo zählen bieje Völker nicht höher als 3. Bleek hat 
mit Recht darauf aufmerkſam gemacht, daß diefer Schluß ganz ebenfoviel und ebenſowenig 
berechtigt fein würde wie der Schluß, daß die franzöfiihen Zahlwörter dix-sept ober 
quatre-vingt bie Unfähigkeit der Franzojen anzeigen, über 10 und 7 oder 4 und 20 
hinaus zu zählen. Uns felbjt fehlt ein befonderes Wort für 10,000, wie e3 die griechiiche, 
für 100,000 (Lak) und 10,000,000 (Kror), wie fie indiſche Sprachen bejigen. Die Nubier, 

25 


Die Sprade. 


welche nur bis 20 in ihrer Sprache zählen, gebrauchen für die höhern Zahlbegriffe ara— 
biiche Wörter, aber 100 nennen fie wieder mit dem nubifchen Worte imil. Genau dasſelbe 
gilt von den FKarbenbezeihnungen, deren Armut bei vielen Naturvölfern und Völkern 
des Altertumes man unbedenflih auf entfprehende Armut der Empfindung zurüdführte, 
Man ging hier von der unbewiejenen Annahme aus, daß der Ausdrud genau der Em: 
pfindung, fagen wir alſo in diefem Falle die Zahl der Farbenbezeihnungen genau ber 
Zahl der verfchiedenen Farbenabftufungen, entſpreche, welche hinter der Neghaut zur 
Reproduktion, zum Bemwußtfein, gelangen. So falſch die Vorausfegung ift, melde hier 
vom Wefen der Sprade gemacht ift, jo lehrreich ift für die Erkenntnis des wahren Wejens 
der Sprade die Einfiht, wie gerade in den Farbenbezeihnungen mande übrigens robe 
Naturvölfer einen ganz ungewöhnlichen Reichtum aufweiſen. Diefer Reichtum hat aber 
bie gleiche Urfache wie jene Armut, beide entfpringen der Unreife. Es laufen eben bie 
Morte no jo mangelhaft präzifiert innerhalb gewiſſer Grenzen durcheinander, daß zwar 
öfters berjelbe Name für verjchiedene Farben vorfommt, indejlen noch viel häufiger die 
verfchiedenften Namen auf die nämliche Farbe angewendet werden. Es ift dies aljo ein 
Neichtum der Verworrenheit, von dem man am mwenigften behaupten bürfte, daß er ein 
Zeihen hoher Entwidelung fei. Alfred Kirchhoff jchrieb nah einer Prüfung einiger 
Queensland: Auftralier: „Won den Hottentotten behauptet man, fie hätten 32 Ausdrücke 
für Farben; dann werden fie von dieſen Dueensland-Auftraliern reihlih um das Doppelte 
übertroffen, denn nach mehrmals wiederholten, mehrftündigen Prüfungen ergab der Katalog 
ihrer Farbennamen an die 70 Nummern” Aber indem er diefe Fülle der Wörter in 
ihre Elemente zerlegt, find es eben aud nur Wörter, die er findet. Für eine und Die 
felbe Farbe befommt man nicht jelten mehr als ein Dußend Ausdrüde genannt; leßtere 
wiederholen fi aber doch faft immer nur innerhalb gemwifjer, deutlich zu bezeichnender 
Gruppen von Farben. Gewiß ift die Thatfahe folder Überfülle von Namen nur ein 
Beweis, daß diefe Völker in ihrer täglihen Beichäftigung noch wenig Anlaß zur Feſtigung 
ihrer Farbennomenklatur fanden. Auf die Art der Entjtehung des übergroßen Reichtumes 
an Bezeichnungen für einen Gegenftand, bier aljo für eine Farbe, wirft aber die That: 
ſache ein Licht, daß die großen Viehzüchter unter den afrikaniſchen Negern, jene Herero, 
Dinfa und Genoffen, welche die Viehzucht mit Leidenſchaft betreiben, die größt denfbare Aus: 
wahl von Wörtern für die Braunen, Ylabellfarbenen, Weißen, Scheden ꝛc. in ihren Herden 
befigen. Bei den Samojeden hat man elf bis zwölf Bezeichnungen für die verfchiedenen 
Grau und Braun der Nenntiere aufzeichnen fünnen. Der Herero macht fich fein Gewiſſen 
daraus, die Farbe der Wieſe und des Himmels mit demjelben Worte zu benennen, aber 
er würde es als einen großen Beweis geiftiger Unfähigkeit betradhten, wenn jemand bie 
leiten Abftufungen des Brauns verfchiedener Kühe in Ein Wort zufammenfaßte. Ähnlich 
ift die nautische Terminologie der Malayen und Polynefier hoch entwidelt. Hart daneben 
befteht aber die durch Trägheit bedingte größte Sterilität der Sprade. Nicht bloß die 
Naturvölfer begnügen fih mit Einem Worte für verfchiedene Farben, die fie nicht näher 
intereffieren, fondern auch auf höhern Stufen fommt dieſe Unfruchtbarkeit in der Sprad: 
bildung zur Geltung. Der mitteldeutihe Bauer faßt häufig auch violett unter braun, und 
der Japaner nennt blau und grün in der Regel unterjchiedslos ao. Fühlt fi aber let: 
terer veranlaßt, genauer zu reden, jo nennt er blau ai, grün mojengi. 

Das Bedürfnis entjcheidet über den Spradreihtum. Für die zivilifierteften 
unter den heutigen Völkern Europas hat man die Regel aufgeftellt, daß ihre durchſchnittlich 
gebildeten Männer nur einen Fleinen Teil der Wörter wirklich gebrauden, welche in dem 
Mortichage der von ihnen geiprochenen Spradhen enthalten find. Die engliihe Sprade 
erhebt den Aniprud, 100,000 Wörter zu befigen, ein englifcher Feldarbeiter kommt jedoch 

26 


Farbenbezeichnungen. Sprahmifhung. Zeichenſprache. 


in der Regel mit 300 aus. Wo höher zivilifierte Völker mit niedriger ftehenden zufammen: 
treffen, wird der legtern Sprache leicht der Verarmung anheimfallen, weil fie eine Menge 
von Wörtern aus jener herübernimmt. Dann läßt aber ihre Verarmung feinen Schluß zu 
auf die Kulturhöhe des betreffenden Volkes, jondern kann nur als geichichtliche Thatſache 
im Leben diefer Sprache aufgefaßt werden, Ein gutes Beijpiel ift das ftarf mit Arabifch 
verjegte Nubifche, deifen urfprünglicher Begriffsreihtum nad Lepſius ſehr beſchränkt ift. 
Für Sonne, Mond und Sterne haben die Nubier zwar bejondere Wörter, aber die Zeit: 
bezeihnungen Jahr, Monat, Tag, Stunde entlehnen fie aus dem Arabiſchen; Waffer, 
Meer, Fluß ift ihnen alles essi; doch it es auffallend, daß fie den Nil durch ein bejon- 
deres Wort, Tossi, bezeichnen. Für alle einheimifchen zahmen und wilden Tiere haben fie 
eigne Wörter, arabifche für alles, was Hausbau und fogar Edhiffahrt betrifft. Für Dattel- 
frucht und Dattelbaum, die im Arabiſchen verjchieden bezeichnet werben, haben fie nur 
ein Wort. Bezeichnend ift es, daß fie den Sontbaum durd dasjelbe Wort bezeichnen 
wie den Baum überhaupt: g’öni. Geift, Gott, Sklave, die Verwandtichaftsbegriffe, die 
Teile des Körpers, die Waffen, die Feldfrüchte, und was zur Brotbereitung gehört, haben 
nubifhe Namen; dagegen Diener, Freund, Feind, Tempel, beten, glauben, lejen find 
arabiih. Auffallenderweije haben fie für Schrift und Buch befondere Wörter, aber nicht für 
Griffel, Tinte, Papier, Buchſtabe. Die Metalle benennen fie alle arabifh, mit Ausnahme 
des Eifens. „Reich find fie auf berberifh, arm auf arabiſch.“ 

Wie jehr gerade Sprachmiſchungen wie die eben angeführte dazu dienen können, 
Spraden zu bereihern und vor allem zwedmäßiger zu machen, lehrt wohl am beiten 
unter den europäiſchen Spraden das Englifche, welches ziemlich ebenjo viele Wörter ger: 
manijcher als romanifcher Abſtammung umjchließt. Viele der vielgefhmähten Fremdwörter 
ind doch umentbehrlih. Man denke an die Neupflanzungen und Nufpfropfungen, die im 
Garten jeder afrifanifchen, polynefiishen, amerifanifhen Sprache vorgenommen werden 
mußten, um den Miffionaren auch nur die Verbolmetichung der einfachiten biblifchen 
Geſchichte und der Grundichriften des Chriftentumes möglich zu machen. 

Nur in jehr beichränktem Maße vermögen andre Organe die Sprachorgane zu erjegen, 
und diejer Erſatz findet, eben weil er jehr unvolllommen ift, nur in Fällen der Notwen— 
digkeit oder aber in Bethätigung jenes Spieltriebes ftatt, der auch in den einfachſten Lebens: 
äußerungen nad Abwechſelung ſucht. Wir fehen dabei von der ſchweren Notwendigkeit 
ab, die ji den von Natur Spradlojen auferlegt, indem wir indeifen an die intereflante 
Thatjadhe erinnern, daß in Kafembes Reiche Livingjtone einen Taubftummen fand, der 
ganz diejelben Zeihen machte wie ungejchulte Leute feiner Art in Europa. Es iſt ſelbſt— 
verftändlih, daß die hieraus hervorgehende Zeihen: und Mienenſprache um jo eher 
zum Gebrauche einlabet, je ärmer und einfacher die eigentlihe Sprade ift, je weniger 
mannigfaltig die Ideen find, denen fie Ausdrud zu leihen hat. Wir finden fie alſo bei 
den minder zivilifierten Völkern und in den niedern Klafjen der zivilifierten am meijten 
entwidelt, vorzüglich weil bier jene Bezeichnungen für Abjtraftionen am wenigften Verwen— 
dung finden, für deren Wiedergabe der Zeicheniprache die Mittel fehlen würden. Wenn man 
uns nachweiſt, baß ein Arbeitsmann durchſchnittlich mit ein paar Qundert Wörtern feinen 
alltäglihen Redebedarf dedt, jo begreifen wir, daß die Zeichen: und Gebärdenſprache im 
ftande fein würde, einen großen Teil deſſen, wenn nicht alles zu jagen, was mit dieſen 
Mitteln zu jagen überhaupt möglich it. Um jo eher begreifen wir es, als durch dei 
häufigen Gebraud auch diefe Art von Sprache zu einer Vollkommenheit gebradht werben 
fann, von welcher wir, die mit Taufenden von Wörtern operieren, uns feine Vorftellung 
zu machen vermögen. Sn die einfachiten Winfe und Gebärden legen biefe Völker viel 
mehr, als wir zu thun pflegen. Man höre Livingjtone über das Winfen der Neger: 

27 


Die Sprade, 


„Die Afrifaner, wenn fie jemand winfen, halten den Handteller abwärts, weil fie den 
Begriff damit verbinden, die Sand auf die betreffende Perfon zu legen und an ſich zu 
ziehen. Iſt die gewünſchte Perſon in der Nähe, jo ftredt der Winfende feine Rechte in 
einer Linie mit der Bruft aus und macht die Bewegung, als ob er den andern durch 
das Schließen der Finger und Zufihheranziehen fangen wolle; ift der Betreffende weiter 
weg, wird dieſe Bewegung verjtärft dadurch, daß er die Hand jo hoch wie möglich in die 
Höhe hält, dann fährt er mit ihr abwärts, nad) dem Boden Hinftreifend, und behält die 
Hand dabei gefenft, wie vorher.” Zu einem wahren „Signaliyiteme” ift aber die Gebärden: 
ſprache nicht bei den Afrifanern, die dafür die Trommeliprache haben (j. S. 617), entwidelt, 





PBambusrohr mit Bilderfhrift aus Neulaledonien (etbnographijches Muſeum, Wien). 


fondern es jcheint diefe höchfte Ausbildung den findigen und zugleich ſchweigſamen, phleg— 
matifchen Indianern vorbehalten zu fein. Mallery bat in feinem großen Werfe über die 
Zeichen- und Gebärdensprache der Indianer eine Reihe von Hauptzeichen gegeben, aus deren 
Kombination die mannigfaltigiten Sätze gebildet werden fünnen. Dazu gehören indeflen 
auch Feuer: und Rauchjignale und Ähnliches. Yon dem Ausprude von Zahlbegriffen durd) 
Gebärden gibt Lichtenftein ein hübjches Beilpiel, indem er erzählt, wie ein Hottentott, 
der mit feinem holländiſchen Herrn im Streite über die Länge der Zeit war, welche er ihm 
noch zu dienen hatte, den Unterjchieb der beiverfeitigen Auffaflungen vor dem Richter Har 

zu machen wußte: „Mein Baas (Herr), fagte 


94 <) Xx er, „will haben, ich ſoll noch ſo lange dienen“ — 

N = bier ftredte er den linfen Arm und die Hand 

aus und legte den Kleinen Finger der rechten 

—— es Hand auf die Mitte des Unterarmes —; „ich 

x —* SER aber ſage, daß ih nur noch jo lange zu dienen 

a „N habe“ — hierbei rüdte er feinen Finger bis ans 

Eigentumszeichen der Aino (nad v. Siebold). Handgelenk vor. Außerdem brachte er als Be: 

weisjtüd ein Stüdchen Holz vor, in welches er 

bei jedem Vollmonde eine Kerbe gefchnitten hatte und eine doppelte bei dem Vollmonde 

feines Dienftantrittes. Amerifanifche Indianer tragen oft einen vollitändigen Maßſtab mit 

verfchiedenen Unterabteilungen auf einen Arm tättowiert. Dies führt uns bereits auf die 

Rudimente der Schrift hin, deren verfchiedenartigen Mitteln der Gedankenfirierung wir 
noch einige Worte zu widmen haben. 

Bei allen Völkern der Erde finden wir die einfachen Mittel zur Firierung der Begriffe, 
welche entweder in der Bilderfchrift oder in der Zeichenſchrift ſich als naheliegende Er: 
findungen barbieten. Sind doch beide auch ſelbſt der jüngern Jugend aller Völfer vertraut. 
Der eben erwähnte Hottentott gebrauchte in feinem Kerbholze eine einfache Zeihenichrift, 
indem er jeden Monat mit einem Schnitte bezeichnete; unfre Knaben bedienen ſich einer 
Bilderfchrift, indem fie einem mißliebigen Kameraden einen Ejelstopf an die Thür feines 
Haufes zeichnen. Erwachſene, denen eine höhere Form der Schrift fremd, vermögen aber 
mit Bildern, bie fie aneinander reihen, viel mehr als derartig vereinzelte Begriffe aus: 
zubrüden. Indem diefen bildlihen Verfinnlihungen durd Übereinkunft der an der Schaf: 
fung einer Schrift Jnterefjierten ein konventioneller Charakter aufgeprägt wird, der fie 
weiten Kreifen verftändlih macht, erheben fie fich zur Bilderfchrift. Die Zeichen können 
dabei nur für einen beftimmten Zwed dienen, dem fie durd Übereinkunft beftimmt find, 

28 


(1m 2ofooyag yoru) sofresodowmgay now oryedanıdoyyıg 


L318HIS83ATI8 IHISINVIONI 





[Zur Tafel Piltographie eines Wabino:Gefanges.] 





Mebenftehende Tafel ftellt einen auf eine Holztafel gefchnittenen Wabino-Gefang 


in natürlider Größe bar. 


Er gibt einen Haren Begriff von der Piltographie der 


Odſchibwä-Indianer und zeigt, wie diefe Bilderſchrift dem Gedächtniſſe zu Hilfe fommt. 
Ein in die Myfterien des Wabino eingemweihter Mann fingt das Lied. 


Figur 1. Das Bild ftellt eine zu nächtlichen 
Zanze Hergerichtete Hütte bar; fie ift mit fieben 
Kreuzen bezeichnet, welche Zeichen bedeuten, und 
mit Zauberfnochen und Federn geihmüdt. Der 
Indianer nimmt an, daß biefe Hütte fich be= 
wegen und fortkriechen könne, und fingt: 
„Reine Hütte kriecht (bewegt fich) durch die Gewalt 

bed Wabino”, 

Figur 2. Ein Indianer hält eine Schlange 
in der Hand, die er vermitteljt einer Zauberfraft 
unter der Erde gefangen hat und nun im Triumphe 
zeigt, um zu beweifen, wie gejchieft er jei. Die 
Worte des Gefanges lauten: 

„Unter ber Erbe hervor habe ich fie genommen“, 

Zwiſchen 2 und 3 befindet fich auf der pikto= 
graphifchen Zafel ein Strich, der eine Pauſe 
bedeutet. Nach derfelben fingen alle Anwefenden, 
die Muſik hebt an, und es wird getanzt. 

Figur, Ein figender Indianer, das Haupt 
mit Federn geſchmückt, Hält einen Trommel« 
jchlägel in der Hand und fingt: 

„Ich bin aud) ein Wabino; ich bin aud) ein Wabino”, 

Figur 4. Ein Geift, der auf der Hälfte bes 
Himmels tanzt. Die Hörner bezeichnen entweder 
einen Geijt ober einen Wabino, der vom Geifte 
erfüllt iſt (wie bei Figur 2). 

„I laſſe den Wabino tanzen.” 

Figur 5. Ein mit Federn verzierter Zauber: 
knochen. Er ijt ein Symbol, welcher die Macht 
und Fähigkeit, gleichjam wie mit Federn durch 
bie Luft zu fliegen, andeutet. 

„Der Himmel, der Himmel, ich fegle auf ihn.“ 


fehen zu können und fie in feinen Pfad zu ban« 
nen, damit er im ftande fei, fie zu erlegen. 
Ich arbeite mit zwei Leibern.“ 

Figur 8 Eine ſchwarze Eule, bie felten 
vorkommt. 

„Die Eule, die Eule, die große ſchwarze Eule.“ 

Figur 9. Ein Wolf, der auf dem Himmel 
fteht. Ex fucht eine Jagdbeute. Die Figur ift 
ein Sinnbild der Wachfamteit. 

Laß mich danach jagen.” 

Figur 10. Flammen. 

„Brennende Flammen, brennende Flammen.” 

Figur 11. Ein noch nicht ausgewachienes 
Kind vor der Geburt, dad nur auf einer Seite 
einen Flügel hat. 
„Mein Heines Kind, mein Kleines Kind, bu bauerft 

mic.” 

Figur 12. Ein von einem Dämon belebter 

Baum. 
„Wenn ich ftehe, drehe ich mich runbum.“ 

Figur 13. Ein Mädchen, das die Bewer—⸗ 
bungen vieler abgewiefen hat. Ein verjchmähter 
Liebhaber verfchafft fich eine myſtiſche Medizin 
und wirft ihr diejelbe auf Bruft und Füße. 
Darüber fchläft fie ein, er nimmt fie gefangen 
und entführt fie in die Wälder. 
Der Ehor ftimmt einen Triumpbgefang an. Pauſe. 

Figur 14. Gin Wabino-Geift in den Lüften, 
mit Flügeln und Schwanz wie ein Vogel. Gr 
ift mächtig auf Erden und im Simmel. 

„Wabino, laß uns ftehen.“ 

Figur 15. Ein Symbol des Mondes, das 

einen großen Wabino-Geift darftellt. Seine Macht 


‚Figur 6. Gine große Schlange, genannt | als Geift wird durch die Hörner angedeutet; die 
Kitſchi Kinabif, die immer, wie auch hier, mit | Strahfen hängen wie ein Bart herab. Das Sym—- 


Hörnern dargeftellt wird. Sie ijt das Symbol 
bes Lebens. 
„Ich bin ein Wabino:Geift. Dies ift mein Merk!“ 
Figur 7. Ein Jäger mit Bogen und Pfeil. 
Anden er fid) von Zauberkraft durchbrungen 
glaubt, vermeint er Tiere aus großer Entfernung 





| Bol ift dunkel. Der Sänger fingt bei diejer Figur: 


„Ic habe e8 gemacht mit meinem Rüden“, 
Figur 16. Ein Wabino-Knochen, verziert wie 
bei 1 und 5. 
„Ich habe gemacht, daß er um fein Leben kämpfen 
mußte,” 


digur 17. Ein Baum mit Menjchenfüßen; | 


ein Symbol der Gewalt, welche ber Wabino 
über das Pflanzenreich hat. 


„Ich tanze, bis der Morgen kommt.“ 


Figur 18. Ein Zauberfuochen; er joll an— 
denten, daß der Sänger übernatürliche Kräfte 


beſitze. 
Tanzt in ber Runde,” 


Figur 19. Ein Trommelfchlägel; er be— 
dentet einen Mann, twelcher dem andern in ber 
Wabino⸗Kunſt Hilft. 

„Und auch ich, mein Sohn.“ 


Figur 20. Ein Wabino mit einem Horne 
und einem Trommelfchlägel in der rechten Hand. 
Bedeutet ein neneingeweihtes Mitglied. 

„Ich befürchte, biejer ba fei ein Wabino.“ 

Figur 21. Ein auf der Exde ftehender Dann 
ohne Kopf. Ein Symbol wunderthätiger Macht. 
Mit Anfpielung auf Figur 1 wird gefungen: 

Ich bewirke, daß bein Leib gehe”. 


Figur 22. Ein Baum, der bis zum Hinmels- 
bogen reicht. 
„Ich male meinen Baum bis in ben Himmel.“ 


Figur 23, Eine Art menfchlicher Geftalt 
mit Hörnern und einer Keule, die Figur eines 
Wabino. 

„Ih wünſche einen Sohn.“ 


Figur 24. Der ſchwalbenſchwänzige Falke, 
welcher vorzugsweiſe von Schlangen lebt; er ift 
ein Sinnbild der Stärke im Kriege. 

„Mein Wabino: Himmel!“ 

Diele Worte werden viermal wiederholt. Dann 
Baufe. Die Tänzer ruhen ein wenig aus; nachher 
beginnen fie wieber. 


Figur 25. Ein Obermeifter in der Wabino- 
Genoſſenſchaft mit einem umgefehrten Horne und 
nur einem Arme. Dadurch joll angedeutet wer— 
den, wie groß troßdem feine Gewalt fei. Das 
Herz zeigt, daß er fich auch auf den Meda (gehei- 
mer Zauber) verjtehe. 

„Mein Leib ift ein großer Wabino.“ 








Figur 26. Ein Vogel von böſer Vorbedeu— 
tung. 
„Meines Sohnes Knochen, ber gehende Anochen.“ 


Figur 27. Ein menschlicher Körper mit Kopf 


und Flügeln vom Vogel. 


„Er wird in die Höhe fliegen, mein Freund.” 

Figur 238. Ein Miffiffai, Puter; Eymbol 
des Rühmens, welches der Sänger für ſich in 
Anfpruch nimmt. 

„Den Puter gebrauche ich.” 

Figur29. Ein Wolf, hier Symbol des Auf— 
fpilrens. 

„Ich habe einen Wolf, eine Wolfshaut.“ 

Figur 30. Fliegende Eidechſe. Die angebliche 
Kraft des Aufſpürens wird in Zweifel gezogen. 
„Dort ift fein Geift, bort ift fein Geift; Wabino:Geift!” 

Figur 31. Ein Wubino-Geift, der fliegen 
kann. 

„Großer Wabino, großer Wabino, id; made ben 
Wabino.“ 

Längere Pauſe in Tanz und Geſang. 

Figur 32. Eine Tabakspfeife, die bei den 
Wabino⸗Feierlichkeiten benußt wird. Sie ift ein 
Sinnbild des Friedens, und der Sänger raucht 
fie, um fich guten Erfolg zu fichern. 

„Was fiehft du, Meda, mein Geifterbruber?” 

Figur 83 und 34. Symbol des Mondes 
mit Strahlen ıc. 

„In der Nacht komme ich und füge dir Schaden zu.” 

Figur 35. Ein Wabino. Offenbar ein Syme 
bol der Sonne. 

„Sc fie im Oſten.“ 

Figur 36. Eine Art von Drache, ein Un— 
geheuer. Bezeichnet große Gewalt über Leben 
und Zub. 

„Mit meinem Körper, Bruber, werbe ich bich nieder: 
ſchlagen.“ 

Figur 37. Ein Wolf mit einem bezauberten 
Herzen; die Figur ſoll die Zanbergewalt bes 
Meda andeuten. 

„Kenne, laufe, Wolf, dein Leib gehört mir.” 

Figur 38. Ein Hauberknochen, dad Symbol 
der Zauberkunft. 


Bilderſchrift. 


wie z. B. die Eigentumszeichen, welche, losgelöſt von aller Schrift, die etwa neben ihnen vor— 
handen iſt, einfach die Thatſache ausſprechen, daß der Gegenſtand, dem ſie aufgemalt oder 
eingeſchnitten werden, den und den beſtimmten Mann zum Eigentümer hat. Mancherlei Zei— 
chen, die oft unter dem ornamentalen Charakter, den ſie annahmen, kaum mehr zu erkennen 
find, mögen aus derartigen Eigentumsmarken hervorgegangen fein, oder fie können die Ver— 
deutlihung eines Gegenftandes oder eines Begriffes zum Zwede haben, wie ein nad) einer 
Richtung gehender Fuß oder eine deutende Hand den Weg zeigt. Dann ftehen jie aber jchon 
an der Grenze, welche Durch ihre Aneinanderreihung zu einer höhern Entwidelungsitufe führt. 
Der auf der beigehefteten Tafel „Indianiſche Bilderſchrift“ dargeftellte „Wabino-Gejang der 
Odſchibwä-Indianer“ gibt eine Vorjtellung von der Art, wie mit einfahen Mitteln, ſobald 
fie mit beftimmtem Sinne ausgeftattet find, nicht nur ein Begriff, Jondern eine ganze Kette 
von Darjtellungen ausgebrüdt wird. Ahnliche Bilderfhriften finden ſich ungemein häufig 
bei Völkern jeden Stammes und jeder Kulturftufe. Alle höhern Schriften find aber aus 
ſolchen Bilderfchriften hervorgegangen. Dieje Abjtammung ift in nod) erfennbarer Form in 
der merifaniihen und ägyptiihen Hieroglyphenichrift vorhanden, während fie in der chine— 
ſiſchen verwilcht it. Die Spuren find aber noch überall zu erfennen. Selbit in der Keil- 
ichrift findet man die Anklänge an die Bilderfchrift, aus der fie entjprungen. In der 
ägyptiihen Hieroglyphenichrift bezeichnet ein Ochs, ein Stern den betreffenden Gegenftand, 
daneben bezeichnen aber dieje Hieroglyphenbilder auch ſchon in den älteften, bi3 auf 3000 
v. Ehr. zurüdgehenden Inſchriften bejtimmte Laute, wirken ald Lautzeihen. Ähnlich waren 
in der merifanifchen Bilderfchrift Sachzeichen und Lautzeichen gemifcht. Eine einfilbige 
Sprade, wie das Chineſiſche, weldhe mit einer und derjelben Silbe verfchiebene Wörter be— 
zeichnet, macht von freilich faum mehr kenntlichen Sachzeichen Gebrauch, um die phonetifchen 
Silbenzeihen näher zu bejtimmen. Die Japaner machten dagegen für ihre mehrjilbige, der 
phonetiſchen Schreibung zugänglidere Sprade eine eigentlich phonetiiche Schrift aus den 
hinefiihen Buchltaben zurecht. In entichiebenerer Weife thaten das Gleiche die Phönizier, 
indem fie die überflüffigen Sachzeichen der Ägypter fallen ließen und nur die zum Schreiben 
der Laute notwendigiten Hieroglyphen herübernahmen. Die phönizifchen Namen der Buch: 
ftaben finden ſich bei den Griechen und gingen in alle abendländifchen „Alphabete” über. 
Noch heute kann man von manden Buchſtaben des lateinischen und deutichen Alphabetes 
den Uriprung bis in das Sachbild der Hieroglyphenfchrift verfolgen. Die weltweite Ver: 
breitung dieſer Schrift hat ſich aber nicht ohne beitändig fortichreitende Umſetzung bes 
Zeichenichages volljogen. Auf dem Wege von den Phöniziern zu den Griechen wurde bie 
urfprüngliche Bofalarmut überwunden; während legtere im Laufe ihrer Sprad) und Schrift: 
entwidelung das jogen. Digamma (F) verloren, fügten die weftlihen Nordvölker ihr W 
dem Lateinischen Hinzu und entwidelten die Projelgten griechiſch-katholiſcher Miflionare 
eine eigne Abart von Alphabet aus dem Griehiichen. So erwuchs aus offenbar mannig- 
faltigen Anfängen der Bilderfchrift an nur einer Stelle der Erde eins der vorzüglichiten 
Werkzeuge des menſchlichen Denkens, die gelentigite, allen Spraden anzupaflende, in der 
Entwidelung zur Telegraphen: und Stenographenichrift den höchſten Möglichkeiten voll- 
ftändig adäquaten Gedanfenausdrudes erreihende Buchſtabenſchrift. Der Menjchheit war 
damit ein für ihre Fortentwidelung außerordentlich bedeutfamer Schritt gelungen, denn 
die Schrift, indem fie die Tradition befejtigte und ficherte, befeftigte und ſicherte die Kultur 
jelbit, in deren Wefen wir ben auf Tradition begründeten Zuſammenhang der Gejchledhter 
al3 den lebendigen, jozufagen jeelenhaften Kern wirkſam gefunden haben. 


Die Religion. 


Die Religion. 

Inhalt: Schwierigkeit bed Gegenftandes. — Haben die Naturvölfer Religion? — Sind ihre religiöfen Vor: 
ftellungen Refte höherer Gedankenkreiſe oder Keime fpäterer Entwidelungen? — Hawaiiſche Habed: Sage, — 
Der Urfprung aller Religion liegt im Suchen nad Urſachen. — Erjcheinungen, melde dieſes Suden an- 
regen: große Naturerſcheinungen. — Tieraberglaube. — Mächtiger als die Naturerfcheinungen wirken Krant: 
heit, Traum und Tod. — Allbefeelung. — Fetiſche. — Götzen. — Tempel. — Begräbniämweije. — Die Idee 
bes Fortlebens. — Die Moral in der Religion. — Klaffifitation und Verbreitung ber Religionen. — Die 
Miffionsthätigfeit, 

Manche Umftände erjchweren die Erforihung des religiöfen Lebens und Denkens 
der Naturvölker. Man begreift, daß diefelben nur zaudernd und dann vielleicht unvolljtändig 
ober mit der Abficht, zu täufhen, Auskunft geben über ihre Vorftellungen vom Höchſten. 
Man verfteht noch eher, daß es ihnen oft nicht leicht fallen mag, ſolche Auskunft zu geben, 
weil fie fich ſelbſt nicht Har über ihre betreffenden Gedanken find. Merensky erzählt 
eine in biefer Richtung jehr bezeichnende Antwort, welche er einſt von hriftlihen Bajuto 
erhielt, als er jie fragte, was fie denn von Gott gedacht hätten, als fie noch Heiden geweſen 
ſeien. „Gedacht von Gott haben wir gar nichts”, antworteten fie ihm, „aber geträumt 
von Gott haben wir.” Es darf wohl behauptet werden, daß überhaupt religiöie Ideen 
von der Klarheit derer, wie die Chriften, Juden oder Moslemin fie befigen, bei Natur: 
völfern gar nicht vorfommen; denn nicht nur ift das gefamte Gedanfenleben diejer Völker 
ein träumerifh=unbeftimmtes, infonjequentes und zufammenhangslojes, jondern es fehlt 
auch das läuternde, fortbildende Weitergeben der Gedanken von einer Generation zur 
andern, das einen organischen Zujammenhang zwiſchen dem Denken der Vor: und der 
Jetztwelt ſchafft. Was aber von religiöjen Ideen vorhanden ift, das ift jehr oft nur wenigen 
Altern eines Volkes befannt, von melden es mit eiferfüchtiger Sorgfalt gehütet wird. 
Und jelbft, wo dies nicht zutrifft, herrſcht fat allgemein eine Scheu vor dem Preisgeben 
der religiöfen Geheimniffe. Höchitens Verſtümmeltes oder Bruchftüde find zu erfahren. 

Deswegen muß man jfih aud hüten, zu gering von den religiöfen Ahnungen 
und Vorftellungen der Naturvölfer zu denken, denn eins ift bei denfelben ſtets feft- 
zubalten: daß alles nicht auf die unmittelbar praftiichen Zwede des Lebens gerichtete geiftige 
Regen und Streben in ihnen zum Ausdrude kommt, daß Neligion in diefen Regionen Philo- 
ſophie, Wiſſenſchaft, hiſtoriſche Tradition, Poeſie ift, daß alſo unter allen Umftänden viel in 
derjelben zu vermuten, zu juchen bleibt. Aber auch im eigentlichen Religiöfen darf man nicht 
von der Anficht ausgehen, daß alles, was in den Tiefen vorhanden, auch glei) an der Ober: 
fläche fich zeigen müſſe. Die ungeredhteiten Beurteilungen, innerer Widerfprüche voll, ent: 
fließen diefem Vorurteile. Ein fehr guter Kenner der Namaqua:Hottentotten (dev Mifjionar 
Tindall) hat den Ausſpruch gethan: „In Bezug auf Religion jcheinen ihre Gemüter ein 
faft unbefchriebenes Blatt geweſen zu fein“, welcher wohl fo verftanden worden it, daß 
fie überhaupt kaum eine Ahnung von religiöjen Dingen gehabt hätten. Diefe Annahme 
würbe aber ein jtarfes Mikverftändnis einjchließen, denn es ift in der Seele der Namaqua 
allerdings Feine deutliche Schrift zu lefen, die irgend welche religiöje, flar zu ihrem Bes 
wußtjein gelangte Botichaft verkündete; aber es fehlt nicht an manderlei Zeichen, die als 
verwijchte Reſte einer deutlihen Schrift erfcheinen. So ſchränkt auch der genannte Urteiler 
jeinen Ausſpruch jelbft wieder ein, indem er jagt: „Die Thatjache, daß ihre Sprache Be: 
nennungen enthält für Gott, Geijter und aud für den Böjen, jcheint anzuzeigen, daß fie 
in diefen Dingen nicht ganz unwiſſend waren, obgleich nichts weiter in den Ausdrüden 
der Sprade oder in zeremoniellen Gebräucdhen und Aberglauben vorhanden ift, was den 


Univerjalität der Religion. 


Beweis brädte von etwas mehr als einer rohen Borftellung einer geiftigen Welt. Ich 
glaube, daß die abergläubiihen Geſchichten, welche von Reijenden ihnen abgelaufcht und 
als religiöfe Erinnerungen vorgetragen wurden, von den Eingebornen jelbft nur als Fabeln 
aufgefaßt werden, weldhe man entweder zur Unterhaltung erzählt, ober welche dazu dienen, 
die Gewohnheiten und Eigentümlichkeiten der milden Tiere zu veranihaulichen. Sie 
haben viel mehr Vertrauen zu Zauberfräften al3 zur Religion.” Man hat mit Recht 
darauf aufmerffam gemacht, daß wir e3 hier mit einer individuellen, etwas engen Faj- 
fung des Begriffes Religion zu thun haben, und in der That, wenn diefe Gebräuche und 
Sagen feine Religion find, fo gehören fie doch zu den Elementen, aus benen ſich mit fort- 
ſchreitender Kulturentwidelung der Kriftall des geläuterten Glaubens bildet. Wir wer: 
den im Laufe unfrer Schilderungen öfters vor die Frage geftellt werden: Iſt Religion 
in biefen Gebräuchen, Anjhauungen, Sagen zu jehen? Um gerecht zu fein, werben wir 
dann immer die Gegenfrage ftellen müfjen: Iſt Religion nur als fertiger Begriff zu fallen, 
oder iſt nicht vielmehr diejenige Auffaffung die wahrere und gerechtere, daß Elemente der 
Religion in allem zu erkennen find, was an Gebanfen und Gefühlen der Menichen über 
bie Dinge des täglihen Lebens und über dies ganze Förperliche Dafein hinaus in das 
Neih unbekannter Urſachen fich erhebt? Indem wir uns zu diefer legtern befennen, werben 
wir zwar jelten Religion in jenem engen Sinne bei Naturvöltern finden, werden aber 
wohl aud nicht eine einzige Volksſeele analyfieren, ohne legte Wurzelfafern der Religiofität 
bloßzulegen. Wir werben aus wiffenfchaftliher Überzeugung rüdhaltlos dem Urteile 
zuftimmen müſſen, welches aus religiöjer Empfindung heraus diefem Streben nad) unten 
entgegengerufen ward: „Völlige Religionglofigfeit, wahrer Atheismus ift wohl das Ergebnis 
einer aushöhlenden, gemütsabftumpfenden Überkultur, niemals aber die Wirkung roher 
Unkultur. Bei dieſer bleibt auch in der tiefften Verfommenheit immer noch das Religions: 
bedürfnis, dem ein Religionsvermögen entipricht, möge fi dieſes auch noch jo fehlerhaft 
und verworren bethätigen.” (B. von Strauß.) 

Die Ethnographie kennt feine religionslojen Völker, ſondern nur verfchieden 
hohe Entwidelung religiöjer Ideen, die bei einigen wie im Keime ober, beffer, wie in einer 
Berpuppung Hein und unfcheinbar liegen, während fie bei andern zu einem herrlichen Reid): 
tume von Mythen und Sagen fich entfaltet haben. Das Beifpiel der Sprade muß uns ſehr 
vorfihtig mahen. Wir dürfen nicht in den Unvolllommenheiten fofort immer Urzuftände 
fehen wollen, am wenigften gerade hier. Liegt es nicht nahe, angefichts der auf dieſem 
Gebiete oft ins Unfenntliche gehenden VBerfümmerungen großer religiöfer Gedanken (erinnern 
wir uns nur an das abejfiniiche oder Thomaschriftentum oder den mongoliſchen Bubbhis- 
mus) jelbft in dem Fetifchdienfte ber Neger ober dem Gefpenfterglauben der Hottentotten 
nicht3 andres als Nüdbildungen höherer Glaubensformen zu jehen? Die Propagationstraft 
religiöfer Ideen ift ebenfo groß wie die Sicherheit, daß fie da verfümmern werben, wo fie 
vereinzelt, Tosgelöft von dem organischen Zufammenhange mit einer großen lebendigen My— 
thologie oder einem geijtgetränften Lehrgebäude in die MWüftenei des materiellen Lebens 
der Naturvölfer hinausgeworfen werden. Schon heute findet man forrumpierte Stüde 
chriſtlicher Vorftellungen in den indianifchen und polynefiihen Mythen; ahnten wir nicht 
die Geſchichte ihrer Verpflanzung, jo würden fie dem Anhänger der Entwidelungslehre 
zum Bemweife dienen, daß dort die Keime des bei uns jo herrlich aufgegangenen Ehrijten- 
glaubens lägen. Aud die in den legten 20 Jahren mit jehr danfenswerter Emfigfeit und 
Liebe gefammelten Volksdichtungen der Naturvölfer erweden an manchen Stellen den Ver: 
dacht, daß irgend ein Zweig europäifcher Märchen, Fabeln 2c. dort zufällig zu Boden ge— 
fallen jei und mit der Vermehrungskraft, die diefen Gebilden der Phantafie ihrer Natur 
nad eigen ift, fogleich in der fremden Erde Ausläufer getrieben habe. Mar Müller bat 

31 


Die Religion. 


in feiner Anzeige von Callaways „Nursery tales of the Zulus‘ (1866) einen tiefern 
Gedanken an fie geknüpft, indem er hervorhob, daß fie ebenfo wie die unfrigen, wenigftens 
fomweit fie von Geiftern, Feen und Niefen handeln, auf eine entlegene Zivilifation oder 
mwenigftens auf einen lange fortvauernden Wachstumsprozeß deuten. „Wie die Anomalien 
der Spradhe, zeigen fie gerade durch ihre Eigenartigfeit, daß hinreichende Zeit zur Konjoliba- 
tion rein überlieferter Gebilde vorhanden war, und daß es eine Epoche gab, wo das heute 
Regel: oder Sinnlofe mit einem beftimmten Zwede und gejegmäßig fich bildete.‘ 

Diefer Gedanke ift unfrer Auffaffung des geiftigen Lebens der Naturvölfer als eines 
eher verfümmerten, rüdwärt3 gegangenen al3 der Entwidelung zujtrebenden nur günftig. 
Mir wagen fogar vorauszufagen, daß in der religiöfen Sphäre der entfernteften afrikanischen 
und auftralifchen Völker Spuren indifcher oder ägyptifcher Überlieferungen zu finden fein 
werben, jo, wie man mit Ausſicht auf Erfolg wagen kann, diefelben in ihrem übrigen Kultur: 
befige zu juchen. Die indifchen Elemente im malayijchen Glauben gehören ſchon heute zu 
den feſt bewiefenen Thatjahen und reichen vielleicht bis nach Hawai hinaus. 

Auch hier darf die Unvolllommenheit des Ausdrudes, die ſchwache Fähigfeit, einen 
Gedanken in Worte zu faſſen, nicht als Maßſtab für die Tiefe diefes Gedanfens genommen 
werden. Diejelbe Anſchauung eines überfinnlichen Verhältniſſes wird fich viel eindruds- 
voller in der Pergamenthandichrift eines griechifchen Dichters als in der mündlichen Über: 
lieferung eines polynefiihen oder afrikaniſchen Priefters oder Zauberers darftellen. Sucht 
man aber die verftändlihern Süße aus dem Stammeln des Naturmenfchen heraus, jo 
gewinnt man ein Bild, welches im Weſen nicht viel jenem poetiſch ausgeſchmückten nachſteht. 
Nehmen wir 3. B. folgende hawaiiſche Hades-Sage, die mit entiprechenden Sagen der Griechen 
verglichen werden kann: Ein Häuptling, der über den Tod feiner Frau tiefbetrübt war, 
erhielt auf feine Bitten von jeinem Priefter den Kane-i-kon-alii (Gott der Häuptlinge) als 
Führer in Milus Reiche. Beide wanderten bis an der Welt Ende, wo fie an einen Baum 
gelangten, der ſich jpaltete; auf ihm glitten fie in die Tiefe hinab. Der Gott verbarg ſich 
dort hinter einem Felſen und ließ den Häuptling, den er vorher mit einem ftinfenden Öle 
eingeichmiert hatte, allein vorausgehen. Im Palafte Milus angelangt, fand er deſſen Hof 
mit einer großen Menge von Akua (Geiftern) angefüllt, die jo vertieft in ihre Spiele waren, 
daß er fih unbemerkt unter fie miſchen konnte. ALS fie ihn aber bemerften, hielten fie ihn 
für eine neuangefommene Seele (Uhane) und höhnten ihn als Afua=pilan (ſtinkenden Geift) 
wegen jeines zu langen Verweilens beim verwejenden Körper. Als nun nad) allerlei Spielen 
ein neues ausgedacht werden jollte, da jchlug der Häuptling vor, daß ſich alle die Augen 
ausreißen und diefe auf einen Haufen zufammenwerfen jollten. Jeder war raſch dabei, doch 
ber Häuptling merkte wohl, wohin Milus Augen fielen, ergriff fie im Fluge und verbarg 
fie in jeinem Kokosbecher. Da nun alle blind waren, gelang es ihm, nad) dem Neiche 
Wakeas zu gelangen, das Milus Scharen nicht betreten dürfen. Nach längerm Verhandeln 
mit dem unter Wakeas Schuge ftehenden Häuptlinge erlangte Milu feine Augen nur dadurch 
wieder, daß er die Seele der Häuptlingsfrau losgab, welche nad) der Erde zurüdfehrte 
und mit dem Körper wieder vereinigt ward. 

Die Religion hängt überall mit dem tiefen Bebürfniffe des Menjchen zufammen, für 
jedes Geſchehen eine Urſache oder einen Urheber zu eripähen. Ihre tiefiten Wurzeln 
berühren fi mit denjenigen der Wiffenichaft. Dieſem Bedürfniffe fommt nun jehr paſſend 
die Neigung entgegen, alle Naturericheinungen in einem gewiſſen Grade zu vermenjch- 
lichen, d. h. denjelben eine Seele beizulegen, welche einmal ihre eignen Bewegungen und 
Veränderungen, dann aber auch ihre Beziehungen zur nähern und fernern Umgebung leitet. 
Die Dajaken legen, ähnlich wie dem Menſchen, auch der Pflanze eine Seele bei. Kränfelt 
die Pflanze, jo ift die Seele zeitweilig entwichen; verfault der Reis, fo ift feine Seele ganz 

34 


Fetiſchglaube. Aberglaube. Furchtgebilde. 


fort. Eine falſche Anwendung des Geſetzes von Urſache und Wirkung führt dazu, Be— 
ziehungen zwiſchen dieſen Seelen und derjenigen des Menſchen anzunehmen, welche letztern 
zuletzt in ein dichtes Netz von Kauſalitätsfäden einſpinnen. Oft iſt die Geſchichte des Koſa— 
Häuptlinges erzählt, welcher ſtarb, nachdem er kurz vorher ein Stück eines geſtrandeten 
Ankers hatte abbrechen laſſen. Von der Zeit an wurden bei den Koſa dieſem Anker ſogar 
Ehrfurchtsbezeigungen erwieſen. So knüpfen ſich tauſend Fäden, deren keiner vergeſſen 
wird, und in dieſem Netze der Tradition zappelt der naive Sohn der Natur wie die Fliege 
im Spinnengewebe und verwickelt ſich mit jedem Verſuche, den wahren Faden zu finden, 
nur noch immer mehr. Daher die Angſt vor den Phantomen ſeiner Einbildungskraft, einer 
der bezeichnendſten Züge des Naturmenſchen, der mehr als gut ſein Thun und Treiben 


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Ein Fetiſch unbelannten Zwedes (Blikfetijh?) in Lunda (nad Mar Buchner). Val. Tert, Einleitung S. 80. 


beherrſcht. Der Naturmenſch fürchtet ſich mehr vor der Nacht als ein ſchlecht erzogenes 
Kind. Er ſcheut Nachtmärſche auch da, wo ein lebhafter Verkehr ihn über manche Vorurteile 
hinausgehoben hat. Felkin ſchreibt vom obern Nil: „Bei Nacht wollen die Eingebornen 
aus Furcht vor wilden Tieren und dem ſchlimmen Einfluſſe des Mondes durchaus nicht 
marſchieren. Indeſſen fühlen ſie ſich die ganze Hälfte des Jahres hindurch auch bei Tage 
nicht ganz wohl und ſuchen ſich im beſtändigen Gefühle ihrer Bedrohtheit durch unſicht— 
bare Mächte wenigſtens dadurch einigermaßen zu ſichern, daß ſie die allgemein menſchliche 
Anſchauung von Unglüdstagen ins Unſinnige ausdehnen. Hier find nur Montag, Donners- 
tag und Samstag gute Neifetage; Mittwoch ift weder bejonders gut noch jchlecht, aber 
Sonntag, Dienstag und Freitag find Unglüdstage. Wenn die Reife nicht unumgänglid) 
nötig ift, thut man am beften, ſich dem Vorurteile zu fügen oder mindeftens erft nad) den 
Mittagsgebeten abzumarfchieren.” Die weißen Leute werden wie alles Ungewohnte, Neue 
in diefen Aberglauben faſt unvermeidlich hineingezogen. Manche traurige Epifode in ber 
Entdedungsgefhichte des dunfeln Erdteiles erklärt fich durch diefe Verbindung, die in dem 
II 


Böltertunde. I. 33 


Die Religion. 


geipenfterihwangern Geifte des Negers eine ganz natürliche ift. Draſtiſch ſchildert Living: 
ftone in feinen „Miſſionsreiſen“ die Angft, welche er, als erfter Weißer in ihr Land kom— 
mend, den Negern einjagte: „Der Anblid eines weißen Mannes flößt immer einen Schreden 
in ihre ſchwarze Bruft, und in jedem Falle der Art jchienen fie unendlich erleichtert, wenn 
ich glüclich vorüber war, ohne auf fie losgegangen zu fein. Die Frauen guden hinter den 
Mauern hervor, bis id ihnen nahe fomme, und 
huſchen dann eiligft in das Haus. Wenn ein Feines 
Kind mir, unbewußt der Gefahr, in den Straßen 
begegnet, jo bricht e8 in ein Gefchrei aus.” Nicht 
minder find auch die Dinge, die der weiße Mann 
befigt oder benußt, jogleih in die Sphäre des 
Wundermwirkenden, Fetiihhaften erhoben. Die Weſt— 
afrifaner halten namentlich bejchriebenes Papier 
für einen Fetifch: es ift für fie bares Herenwerf, 
Zauberhieroglyphen. Als Buchholz einmal einen 
ſchwerverwundeten Kranfen verband, war ihm ein 
Stüdhen Papier aus der Tajche gefallen, ohne 
daß er es merkte. ALS er jpäter den Kranken be: 
ſuchen wollte, fand er ihn ausquartiert, weil das 
Haus bezaubert fei. Ihm aber wurde das Stüdchen 
Papier feierlihjt wieder übergeben. An dem Be: 
gräbnistage einer Frau aus Mapania im Gebiete 
der Bafhwiri wurde derjelbe Reifende durch einen 
von den Negern abgejandten Boten in bejonderer 
Anſprache dringend gebeten, auf feinen Spazier: 
gängen doch nicht Papierftüdchen zu verftreuen, 
weil fie jonft diefe Wege und Orte meiden müßten. 
Chapman hat uns die Wirkungen diejer Furcht 
aus Unficherheit in der Ngamiregion treffend ge: 
ſchildert. Als er in der ungefunden Zeit des Hoch: 
jommers (November) Letſchulatebes Stadt bejuchte, 
war bie Sterblichkeit an Fiebern dafelbft eine ſehr 
ftarfe, und ber Häuptling war in großer Angft 
und Aufregung über den, wie er fi ausdrüdte, 
„überall umberwandelnden Tod“. Er zeigte ſich 
faft nie außer feiner Hütte, ließ feine Weiber und 
Kinder zahlreihen Wafchungen unterwerfen und 
Ein hölgernes Gohenbild vom Niger hielt jeine Doktoren in beftändiger Arbeit, indem er 
(Dufeum der Church Miesionary Society, London), unaufhörlic mit Kräuterablodhungen feine Schwelle 
ra A bejprengen ließ. Die Angehörigen von Berftorbenen 
wurden langwierigen Reinigungsprozeffen unterworfen, ehe ihnen gejtattet ward, fich der 
Gemeinſchaft der andern wieder anzujchließen. Auch bei Eleinern Anläffen zeigte Letſchula— 
tebe jeine Todesfurdt, indem er 3. B. nad dem Tode feiner Lieblingsfflavin die weh- 
Hagenden Weiber, welche ihm zu Gefallen zu heulen glaubten, jamt der Toten verfluchte 
und fie wegjagte. Er zog e8 vor, gegen eine der geheiligtiten Sitten feines Volkes zu ver: 
ftoßen, ftatt an den Tod erinnert zu werden. 
Wo aber nehmen dieje Völker die Seelen her, mit denen fie die ganze Natur freigebig 
bevölfern? Dieje Frage führt uns auf die wohl tiefite, ftärkite Quelle des Glaubens, welder 
34 





Aberglaube. Geifterglaube. Wirkung von Krankheit und Tod. Fetiſchglaube. 


Seelen, Geifter, Gejpenfter in Millionen unaufhörlich entjteigen. Wenn wir uns ganz all: 
gemein bie Frage vorlegen: Welche Eindrüde werden die Dauernditen fein bei leicht empfäng- 
lichen, aber gleichzeitig auch mit nur loderm Zufammenhange und geringer Dauer ihrer 
Eindrüde und Ideen begabten Menſchen? jo wird die Antwort immer lauten: Diejenigen, 
welche die eingreifendfte Anderung in ihnen felbft oder ihren nächiten Verhältniffen hervor: 
rufen. Das find Krankheit und Tod, denen Hunger und Durft als förperliche Affektio- 
nen, gewifjermaßen als vorübergehende Krankheiten, anzureihen find. Die legtern kehren 
häufig wieder, fehlen fie doch befanntlich jelbft den von Natur am reichſten ausgeftatteten 
Naturvöltern nicht, während jene die tiefiten Spuren, die empfindlichſten Lücken lafjen. Daher 





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Gine Fetifhhütte in Lunda (nah Mar Buchner). Bgl. Tert, Einleitung ©. 39. 


ift es nicht die Furcht vor der Natur, welche uns als der erſte Grund des Aberglaubens ent: 
gegentritt, fondern diejenige vor dem Tode und vor den Toten. Das Gejhäft der Schamanen, 
Medizinmänner, Koradſchi, und wie diefe Zauberer jonft heißen mögen, ift in erfter Linie 
überall das Aufſuchen von Todes- und Krankheitsurfahen und dann der Verkehr mit den 
Geiftern der Berftorbenen, vor weldhen deren Angehörigen überall eine tiefe Scheu innewohnt. 

Zunächſt geht hieraus der Fetiſchglaube hervor, der auf den verworrenften Wegen 
Beziehungen zwiſchen den unzähligen Seelen und allen mögliden Dingen jchafft, in denen 
diefe ihre Wohnung auffhlagen. Am deutlichſten zeigt es fich hier, daß nicht die geraden 
Wege von dem Gegenftande der Außennatur zu der Seele des Menſchen, welche von jenem 
erregt wird, die Grundlinien primitiver Glaubensfyiteme bilden, denn man würde vergeblich 
nad) einem direkten Berhältniffe zwischen deren Lehren und dem Maße der Größe und Wirt: 
jamfeit jener ſuchen, ſondern daß es vielmehr die nad irgend welchen Stüßen irgendwo 
in der Umgebung ängftlih umherſuchende Phantafie ift, welche mit der Launenhaftigfeit, 
die zu den bezeichnenden Außerungen furdhtiamer Aufregung gehört, fih an beliebige Gegen: 
jtände hängt, welche des Zwedes, zu dem fie beftimmt fein jollen, oft in hohem Grade 

35 III* 


Die Religion, 


unwürdig erjcheinen. Warum verfallen alle Neger in der ganzen Breite und Länge Afrifas 
mit Vorliebe auf Hörner, mit denen ihre Zauberer ſich maffenhaft behängen, und in denen 
ihre Erzpriefter, d. h. ihre Könige, die Mannigfaltigfeit ihrer gefürchteten Medizinen auf: 
bewahren? Woher die fat fomijche Topfverehrung der Dajafen und Alfuren? Was es 
Auffallendes gibt, findet Raum in dem Wufte von Seltjamfeiten, welche um Hals und 
Gürtel eines Kaffernzauberers herumhängen. Durd ein merkwürdiges Zufammentreffen 
wurde der erfte große Diamantenfund am Kap in dem Ledertäſchchen am Halfe eines Zau— 
berer3 gemacht. Die Steinverehrung ift weitverbreitet, bezieht ſich aber in der Regel auf 
große, anftehende Felsitüde. Fetiſch kann jedoch in Afrika jeder Stein werden, der in einen 
bunten Feen gewidelt und um den Hals gehängt 
wird. Bei den Musgu werden lange Stangen, 
bei den Sandeh unförmliche Klöge aus Holz, in 
welche Nägel eingejchlagen find, zu Gößen. Man 
dürfte faum einen Afrikaner finden, ber nicht 
einen Fetifh um den Hals hängen hat, und da 
viele Wünſche, Thätigfeiten 2c. ihre beſondern 
Fetiiche haben, ift mancher Mann ſchwer mit fol: 
chen heilfamen Dingen beladen. Jede Eskimowaffe 
trägt ihren kleinen Schußgott am Bande. Nur 
eine Gradabjtufung trennt von ihm die Gößen 
in Menjchengejtalt, welche vielleicht aus den Ab- 
bildern DVerftorbener hervorgegangen find, wie 
man fie bei den Malayen und in Afrifa in den 
Grabhütten oder um die Gräber herum aufftellt. 
Beieelt jind beide, nur it des legtern Seele eine 
beitimmte, die einen befannten Körper bejeelte 
und nun in diefe Puppe übergegangen ift. Wel— 
her Art Seele aber ein Gößenbild umſchließen 
mag, wie wir e8 nebenjtehend und ©. 34 von der 
Weſtküſte Afrifas abbilden, ob einen Gott, muß 
ut = > dahingeſtellt bleiben. Uns intereffiert diefes Bild 
Ein Hausgöte der Yan, Wellafrita hauptſächlich wegen der Deutlichfeit, mit der es 
(nah Du Ghaillu). die ungeheuerlihe Phantaftif ausprägt, in welche 
der Naturmenſch feine Vorftellung vom Überfinn: 
lihen Eleidet. Mit der Schaffung folder fichtbarer Seelenabbilder ift auch ſchon die Grün: 
dung bejonderer Stätten der Seelenverehrung in Form der Fetifchhütten Afrifas, der 
tabuierten Stätten der Malayen und Polynefier und endlich der Tempel gegeben. Indem 
biejelben häufig an die Grabjtätten, die Wohnftätten der Seelen Heimgegangener, ſich an: 
ſchließen, zeigen fie genau wie unfre Kirchhöfe, die um die Kirchen angelegt find, unbewußt 
den engen Zufammenhang, der zwilchen der Sorge für die Seelen der Toten und ber 
Gottesverehrung waltet. Nur daß jene primitiven Tempel häufiger aus dem Kirchhofe er— 
wachſen, als diejer fich ihnen anlehnt. 

Die Begräbnisweijen aller Völker, jo verſchieden fie find, find auch ein Stüd Re: 
ligion. Allen liegt der Gedanfe zu Grunde, daß der Leichnam nicht jogleich von der Seele 
verlajjen werde, oder daß er wenigftens eine gewiſſe Bedeutung für diefelbe noch behalte. 
Die Polynefier ſprechen es deutlich aus, daß die Seele nah dem Tode noch einige Zeit in 
der Nähe des Grabes umberirre, bis fie endgültig in Milus oder Wakeas Reich hinabiteige. 
Bei Malayen und Nordweitamerifanern ift dieſe Vorftellung ebenſo flar. Daher wird 

36 





Begräbnismeife, 


vielfach der Leichnam einige Zeit hindurch unbegraben gelafjen, bei den Negern einige Tage, 
bei den Indianern Ehiriquis ein volles Jahr. Und jelbit dann zeigt die weite Verbreitung 
der Grabmitgaben und der mumienartigen Zurichtung der Leiche (j. Abb., Einl. ©. 39), der 
Kenntlichmachung des Grabhügels, der ſelbſt bei gewillen Negerftämmen (Bongo) den Cha: 
rafter eines monumentalen Baues annimmt, der Gründung und Erhaltung wahrer Maujoleen 
von Häuptlingsgräbern, wie wenig auch der nach ihren Begriffen vollkommen entjeelte Leich— 
nam bloß ein Gegenftand geworden ift. Bei manden Völkern wird die zeitweilige Rückkehr 
der Seele in ihr der Verweſung verfallenes Haus vorgejehen, zu diefem Zwede eine Öffnung in 
der Gruft gelaffen oder von Zeit zu Zeit neue Speife und Tranf neben den Leichnam geſtellt. 





Gin Damara:Grab (nad Anderſſon) 


Die zwangsmweife Zurücdzauberung der Seele in ihren Leihnam wird für ebenjo möglich 
gehalten wie ihre Herauszauberung bei lebendigem Leibe und die Übertragung in irgend 
ein Tier, welch legtere eine mit Vorliebe geübte Spezialität afrikaniſcher Zauberer iſt. 
Überhaupt fieht fi die auf Ausdenkung der Möglichkeiten einer Seelenwanderung gerichtete 
Phantafie bei der Annahme einer Allbefeelung feine Schranken gezogen, wenn auch aus 
naheliegenden Gründen die Tierwelt dabei immer in erjter Linie tributär gehalten wird. 

Die Furcht gefellt fich als ftarfes Motiv zu den in der Seelenlehre gelegenen Gründen 
für die verehrungsvolle Behandlung der Leihen. Die Behandlung einer Songoleidhe be: 
fchreibt Mar Buchner folgendermaßen: „Am zweiten Tage nad) dem Tode fand die Beerdi— 
gung ftatt. Die Leiche wurde in einen friſchen Panno gewidelt und in Matten eingejchnürt, 
fo daß fie vom Kopfe bis zum Fuße vollftändig verhüllt war, an eine Stange gebunden 
und wie in der Tipoia hinausgetragen, nicht durch die gewöhnliche Thür des Yagerzaunes, 

87 


Die Religion. 


fondern durch eine eigens geöffnete Lücke desjelben, die danach wieder verſchloſſen wurde. 
Das Grab war weitlid von uns am Wege, der nad) der Heimat führte, hergeftellt worben. 
Dort jharrten fie die Verwandten ohne weitere Zeremonie ein.” Bei dieſer Bejchreibung 
gewinnt man den Eindrud, daß die Einhüllung, das Tragen an der Stange, die Vermeidung 
der Thür, das Einſcharren weit von der Hütte, alles, wenn nicht von Furcht eingegebene, 
jo doch mit Furcht getränfte Handlungen ſeien. Seltfamerweife fommen gerade in diefer 
Beziehung die ftärkiten Widerfprühe vor, denn wenn auf der einen Seite die Kaffern ihre 
Leichname oft einfach in den Wald tragen, um fie den Hyänen zu übergeben, begraben einige 
Stämme der Malayen, Auftralier, Nilneger diefelben in ihren Gehöften. Daß die Hütte 
des Verftorbenen verlaſſen oder zerjtört, jein Hausrat zertrümmert wird, ja daß oft jogar 
feine Sklaven und Herden getötet wer: 
= — — den, daß ſelbſt ſein Name der Vergeſſen— 
een. heit geweiht wird, ift alles als Ausflug 
re der Geſpenſterfurcht zu betradten. 
ee Deuten alfo viele mit dem Begräb: 
- — — niſſe zuſammenhängende Gebräuche auf 
die Annahme einer Seele hin, die nach 
dem Tode früher oder ſpäter den Körper 
verläßt, um entweder nach unbeſtimm— 
ter Zeit wieder in denſelben zurückzukeh— 
ren, oder ſich völlig von ihm zu trennen, 
ſo iſt die Vorſtellung von dem Orte, wo 
dieſe vom Körper losgelöſten Seelen ver: 
weilen, eine viel weniger notwendige 
Das kurze und lüdenhafte Denken ber 
Naturvölfer geftattet uns die Annahme, 
daß ein tiefer Glaube an die Bejeelung 
m des menschlichen Körpers vorhanden fein 
u, \ könne, ohne daß jene darum fich genötigt 
N, DRIN N: „ fehen, über die Stätte, wo die Seelen 
NN N I Ya NT) 3% NN verweilen, ſich Rechenſchaft abzulegen. 
SAN I IN RZ N) * Dagegen verjchafft jener Glaube ohne 
a A Zweifel der Idee von einem Jenſeits be: 
Angeblide a nn aus Ubudſchwa reitwilligere Aufnahme, und wenn dieſe 
———— Idee bei Alteuropäern, Polyneſiern und 
Indianern eine merkwürdige Ähnlichkeit aufweiſt, ſo mögen wir darin eher eine in anthropo— 
geographiſcher als völkerpſychologiſcher Beziehung merkwürdige Thatſache erblicken. Der 
oben mitgeteilte Mythus von dem ſeelenraubenden hawaiiſchen Häuptlinge zeigt deutlich, 
wie weit dieſe Ähnlichkeit geht. In den Grundzügen des Hinabfteigens, der Täufchung, 
welcher der Beherricher der Unterwelt unterliegt, der Eiferfucht der übrigen Seelen findet 
Übereinftimmung über fait alle Völker hin ftatt, welche überhaupt die Idee vom Jenſeits 
aufgegriffen haben. Gerade diefe Jdee mag uns aber veranlaffen, darauf hinzumweifen, daf 
ein jehr wejentlicher Unterfchied zu machen ift zwifchen Vorftellungen, denen als unmittel: 
baren Spiegelbildern der Wirklichkeit eine gemiffe Notwendigkeit innewohnt, und jenen an 
dieje erft in zweiter oder fpäterer Reihe fi anknüpfenden Gedanken, die in den einfachen 
Denkprozeſſen der Naturmenjchen feinen Grund der Notwendigkeit finden. Jene entitehen 
leichter jpontan, diefe werden immer bejonders gründlich auf ihren Urſprung in höhern 
und fernern Gedanfenfreifen zu prüfen fein. 
38 















Seelenglaube. Seelenbilber. 


Dieſen Borftellungen vom Fortleben ift nun auf höherer Stufe der Entwidelung noch 
ein weiteres, höheres Element zugewadhien in Geftalt der Lehre von Lohn und Strafe 
im Jenjeit3. Für uns ift diefe Lehre mit der dee des Jenſeits unzertrennlich verbunden, 
viele Völfer haben aber jene ohne eine Spur von diejer. Die Naturvölfer machen wohl 
auch Sonderungen im jenjeitigen Zeben, fo 3. B. die Polynefier zwifhen Milus und Wakeas 
Reiche: jenes ift das geräufchvolle, wo die Seelen der Niedern haufen, die mit Spiel und 
Geſchrei fi) vergnügen; in diefem hingegen herrichen Ruhe und Würde, den Häuptlingen 
entiprechend, deren Seelen hier wohnen. So hat der Indianer feinen bevorzugten Himmel, 
ähnlich der Walhalla, für die mutigen und im Kampfe gefallenen Krieger. Ein Richter aber 
über Gut und Böfe ſetzt in den Religionen mehr moraliſches Element voraus, als auf diefer 
Stufe fi findet. Es ift wejentlid) 
zu betonen, daß die Morallehren kein 
notwendige erſtes Ingrediens ber 
Religion, fondern eine erft auf höhern 
Stufen erfolgende Zumifchung find. 

Zwei Klaffen von Naturerfdei: 
nungen find noch zu nennen, welche 
die tieffte Wirkung auf diefes ange: 
borne Gefühl der Unficherheit aus: 
üben, und zu denen daher der Menſch 
am entihiedenften Stellung zu neh: 
men fich gezwungen fieht. Angefichts 
mächtiger Bethätigungen der Natur: 
gewalten vergleicht ſich der Menſch 
mit der Gewalt und Majeftät der 
Natur und gewinnt das peinliche Ge— 
fühl feiner eignen Unbedeutendheit. 
Ein Bemwußtfein feiner Unterordnung 
fommt über ihn. Von allen Seiten — — — — 
ſchränken ihn unzählige Hinderniſſe — — 
ein und hemmen feinen Willen. Sein re Wit ν— 
Geift erfchridt vor dem Unendlichen 
und Unergründlihen und bemüht fih faum noch um das Einzelne, woraus jene erhabene 
Größe befteht. Stürme, Erdbeben, Vulfanausbrühe werden durch das Unerwartete und 
Betäubende ihres Hervorbrechens wirkſam (die phantaftifchen Gößenbilder, von denen Wäl- 
der und Felder im Afrika der Neger wimmeln, find wohl häufig nur Denkmäler von Blit- 
ſchlägen ac.; ſ. Abbildungen, ©. 33 u. 35 [Einl.], 181 u. 188), während die Erfheinungen 
des gejtirnten Himmels im Gegenteile durch die majeftätiiche Ruhe und Regelmäßigkeit 
ihres Verlaufes den tiefften Eindrud hinterlaffen. Das Daſein diefer jeltfamen, von irdifchen 
Dingen jo weit abweichenden Erfcheinungen, ihr Leuchten, die große Zahl der Sterne übten 
notwendig einen Einfluß auf den Geift auch der urfprünglichften Menſchen. Selbſt Buſch— 
männer und Auftralier benennen Sternbilder. Die erwärmende Wirkung der Sonne mußte 
mit Danfgefühl empfunden werden, und Mond und Sterne find mit ihrer Erhellung dop— 
velt willlommene Erjcheinungen den Naturvölfern, welche in beftändiger kindiſcher Angſt vor 
Geiftern und Gejpenjtern leben. Die Sorge, mit der viele von ihnen bei Mondfinfterniffen 
ben verfinfternden böfen Geift wegzuzaubern juchen, die Vorliebe, mit der die Sagenbildung 
fih an den Mond geheftet hat, vor allem aber die hohe Stelle, weldhe dem Monde in den 
religiöfen Vorftellungen der Völker zu teil ward, jprechen dafür. Neligiöfe Verehrung der 

39 


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Die Religion. 


Geftirne und vor allen ber Sonne ift bald deutlich ausgeprägt, bald nur in Spuren bei ſehr 
zahlreihen Völfern verbreitet, fo daß man fagen konnte: „Die Sonne ift als Lichtipenderin 
von allen Nationen als ein göttliches Wefen, als die allgemeine Wohlthäterin verehrt wor- 
den“, Dies ift zu viel. Aber Sonnendienfte find ſehr weit verbreitet und zwar am meijten 
in den höher entwidelten Borftellungsfreifen. Weit befannt find befonders gewiſſe Sagen, 
welche an die verfchievenen Stellungen der Sonne zur Erde und an den dadurd bedingten 
Wechſel der Jahreszeiten anfnüpfen. Gemeinfam mit der Erde jchafft die Sonne alles Le: 
bendige, auch alle Sterne. Die Seelen abgefhiedener Helden ziehen oft ber Abendjonne zu. 

Die Witterungserfheinungen drängen ſich durch die Unmittelbarkeit ihrer Wirkun— 
gen auf Wohl und Wehe des Menſchen feiner Beachtung auf. Sie greifen zu tief in fein 
wirtichaftliches Gedeihen ein. Ihre darum fehr begreifliche Nolle im Glauben oder Aber: 
glauben des Menjchen zeigt die allgemeine Verbreitung der Regen- oder Sonnenſcheinmacher, 
der Herbeiführer von Fruchtbarkeit. Darüber hinaus liegt aber das Gebiet der Erſchei— 
nungen, welde nicht mehr oder felten in unmittelbare Beziehungen zu den Intereſſen des 
Menſchen treten und daher von ihm nur beachtet werden, wenn fie fich ihm aufdrängen. 
Nicht ganz ohne Eindrud geht jelbit der Naturmenſch, das vorurteilsvollite Geſchöpf menſch— 
liher Gattung, der Menſch mit dem engiten Gefichtskreife, am Rauſchen des Meeres, am 
Braufen des Waldes, am Sprudeln der Quelle vorüber. Dieſe Erjcheinungen werben 
in den Kreis abergläubifcher VBorjtellungen mit hineingezogen, welche ihrerſeits von nähern 
Urſachen hervorgerufen find. 

Ganz anders find die Früchte feines innigen Zufammenlebeng mit ber zugänglidern 
Natur. Die Poeſie verflicht bier mit der Religion ihre Wurzeln. Bezeichnenderweije 
wird dabei die Tierwelt am allermeijten angefproden. Tier: und Pflanzenjagen find ein 
Hauptteil der Litteratur primitiver Völfer. Tiere finden ſogar eine Stelle am Grunde 
der Genealogien der Stämme und Häuptlinge. Außerdem drängen fich diejelben durch 
Augen und Schaden in einer nicht zurücdzumeifenden Art auf. Menſchenfreſſende Raub: 
tiere find an und für fi den der Menfchenfrefjerei ſelber nicht fern ftehenden Wilden 
verwandt, und vielleicht hängt die weitverbreitete abergläubifche Furcht vor dem Töten 
der Hyänen und ber Krofodile, beides in hohem Grade menjchenfreffende Tiere, mit einem 
ähnlich begründeten Abjcheue zufammen. Der Schonung diefer Tiere (bei Malayen, aber 
auch bei den Joloffen Senegambiens werden fogar Krofodile in heiligen Teichen gehegt) 
mag dann eine andre Wendung gegeben werden, jo wenn Lobengula, der Matabelefönig, 
jeinen Unterthanen Krofodile zu töten bei Todesſtrafe verbietet, zumal mit dem toten Kro— 
fodile verderblicher Zauber geübt werben könnte. Der Tierglaube fann dann gleihjam eine 
indirefte Form annehmen, wenn aud jene Grundmotive immer wieder burchicheinen. 

Um einen allgemeinen Überblid über die Verbreitung der verfjhiedenen Re: 
ligionen über die Erde zu erhalten, pflegt man fie in wenige große Gruppen zu tei- 
len, deren Statiftit ih, da man nur Schägungszahlen anftrebt, annähernd erlangen läßt. 
Man kann nichts gegen diejes Verfahren einwenden, zumal die Religionsbefenntniffe, ab: 
gejehen von dem eignen ihnen innewohnenden Intereſſe, Kulturmerfmale von großer Be: 
deutung darjtellen. Aber es muß vorausgejegt werben, daß die Gruppierung ſich joviel 
wie möglich auf die tiefitgehenden Unterjchiede gründe, damit die Menjchheit nicht in zu— 
fällige Stüde zerſchlagen, ſondern nad) der wahren Höhe und Tiefe der Entwidelung ihrer 
Religionsbekenntniffe unterjchieden werde. Man fönnte nicht jagen, daß diefe Voraus: 
jegung in bisherigen Verſuchen dieſer Art ſich verwirkliche, fondern man fieht im Gegen: 
teile immer nur herfönmliche, äußerliche Momente in Betracht gezogen, wie Ehriftentum, 
Heidentum, Monotheismus, Polytheismus und dergleichen. Überblidt man aber die reli- 


giöfe Entwidelung der Menjhheit im Zufammenhange mit ihrer Gefamtentwidelung, fo 
40 


Naturgeifter. 


erfennt man, daß dieſes nicht bie großen Markfteine ber religiöjen Entwidelung fein 
können, jondern daß deren natürliche Abſchnitte viel tiefer liegen müſſen. Man hat wohl 
am treffendften und umfaffendften die Religion definiert als ein bejahendes Verhältnis 
des menſchlichen Bewußtſeins zu etwas als gegenftändlid Empfundenem, das die Dinge 
zuböchft beftimmt, und zu dem ber Menſch in perjönlicher Beziehung fteht. Dieje Be: 
ziehung hat fih nun nirgends in reiner Form ausgebildet, ſondern immer nur gebrochen, 
unzulänglih und unter mannigfaltig fehlgreifender Geftaltung. Auch ift fie im Laufe ihrer 
Entfaltung nicht allein geblieben, jondern fie trat mehr und mehr in die innigite Verbin- 
dung mit andern Beitrebungen bes menſchlichen Geiſtes und vor allen mit Regungen und 
Bedürfniffen feines Gewiſſens. Dadurch erhielt fie Die wichtigite Zufügung, welde in 
dem moralijhen Elemente beiteht. Durch diefes aber erlangt die Religion den größten 
Einfluß auf die allgemeine Kultur, denn während auf rohern Stufen der Religionsentwide: 
lung der Menſch faft nur als der Fordernde auftritt, der an die Geifter, Fetiſche ac. mit 
feinen Wünfchen oder gar Befehlen herantommt, für deren Erfüllung fie dann ihre Opfer er: 
halten, wird nun umgefehrt das Geiftige zur Macht, die, mit Lohn und Strafe ausgerüftet, 
über ihm waltet und nicht nur zu leiten, fondern oft genug zu zwingen vermag. Dieje durch 
mande Stufen zu verfolgende jchärfere Herausbildung des moraliichen Elementes in der 
Religion geht aber Hand in Hand mit einer Läuterung der legtern von einer Mafje von 
Elementen, die ohne tiefere innere VBerwandtichaft mit ihr verbunden zu fein pflegen, wie 
denn auf niedern Stufen nicht bloß der Dienft des außermenſchlichen Geiftigen, jondern 
auch die Pflege des Geijtes im Menſchen, d. h. alle Rudimente von Wiſſenſchaft, Kunft und 
Dichtung, Sache der Zauberer, Priefter und dergleihen zu fein pflegen. Man pflegt dieje 
Stufe als Naturreligion zu bezeichnen, was wir indefjen nicht nachahmenswert finden, 
da diejer Name allzu leicht die Vorftellung erwedt, als jei fie eine Herausbildung aus dem 
Katurzuftande und ftehe mit der Natur in bejonders inniger Verbindung. Manche Reli: 
gionen, welche weit in der Vergöttlihung der Natur gegangen find, würden viel eher 
diefen Namen verdienen, 3. B. die griechiſche. Wir würden folgende Klaſſifikation der Neli- 
gionen al3 dem Weſen und der Entwidelung derjelben am meijten entiprechend vorfchlagen: 
I. Religionen ohne hohe Erhebung des Göttlichen über Menjchliches und ohne ftarkes 
moralifches Element. Diejelben ruhen durhaus auf Seelen: und Geipenfterglauben, mit 
welhem Wahrfagung, Heilfunde, Regenzauber und andrer Aberglaube verbunden find. 

a) Ohne feite Anknüpfung an irgend eine Gruppe von Naturericheinungen, baber 
mit jtarfer Neigung zum Fetiſchismus: viele Negervölfer. 

b) Derjelbe Grundzug, aber mit höherer Entwidelung kosmogoniſcher und my- 
thologiſcher Vorftellungen, welche zu ganzen Syftemen auswachſen: PBolynefier. 

II. Religionen, welche das Göttliche hoch über die menſchliche Sphäre erheben und 

von der Vermifhung mit andern geiftigen Beftrebungen wiſſenſchaftlicher, dichteriicher 
Art 2c. fortichreitend loslöfen, Dafür aber immer mehr das moralifhe Element, meift geſtützt 
auf Annahme Fünftigen Lebens mit Lohn und Strafe, in welcher der Seelenglaube (von 
I.) geläutert wiederfehrt, zur Ausbildung bringen. 

a) Polytheismus oder PVielgötterei, die aber Einem Gotte eine herrichende 
Stellung einzuräumen pflegt, ohne ihm ſelbſt immer etwas fittlich Überragendes 
zuzuerfennen: Brahmagläubige, Inder, Griechen. 

b) Monotheismus in verjchiedenem Grade der Entwidelung, je nah Zahl und 
Bedeutung der zwiichen dem Einen Gotte und den Menfchen fich einjchiebenden 
Gotteöverwandten, Heiligen ꝛc. Der eine Gott ericheint in höchſter moralijcher 
Volllommenheit: Juden, Chriften, Mohammedaner. 





4l 


Erfinden und Entdeden. 


Erfinden und Entderken. 


Inhalt: Weſen des Erfindens. — Primitive Wiffenihaft. — Finden und Fefthalten. — Schwierigfeit ber 
Tradition auf niedern Stufen. — Berlorengehen von Erfindungen. — Töpferei in Polynefien. — Widtig: 
feit einzelner Erfindungen in primitiven Verhältniffen. — Tapa. — Dunkle Abftammung der Rulturbefit: 
tümer der Naturvölfer. — Beifpiele von Nahahmungen und andern Anklängen. — Es gibt feine be 
ziehungslofen Völler. — Ethnographifhe Armut und Berarmung. — Unterſchiede der Entwidelungshöhe. — 
Monbuttu. — Merkwürbige Einzelentfaltungen. — Gilbertinfeln. — Schwierigkeit der Beftimmung der 
Kulturböhe der Völker, 


Die Vorgänge, welche zufammen das ausmachen, was man den Fortjchritt der Menſch— 
heit nennt, beruhen auf einem immer mehr fich vertiefenden und ermweiternden Studium 
der Naturerfcheinungen, aus welchem eine entjprechend wachjende Bereicherung der Mittel 
hervorgeht, die der Menſch zur Verbefferung und Berfhönerung feines Lebens aus feinen 
natürlihen Umgebungen heraus ſich aneignet. Ganz ebenjo muß es in den Urzeiten ge- 
weſen jein. Die Erfindung des Feuermadens dur Reibung war eine geiftige That, welche 





Feuerzeug der Kaffern, Holzfiöde zum Reiben (Mujeum des Berliner Miffionshaufes). "« wirtl, Größe. 


mindejtens ebenjoviel Beobachtung und ausdauernde Denffraft erforderte wie die Erfindung 
der Dampfmaſchine. Der Erfinder des Bogens und der Pfeile oder der Harpune muß 
ein Genie unter feinen Zeitgenoffen gemweien fein. Ind damals wie heute mußte das, was 
durch Naturanregung geiftig erworben ward, jeinen Weg durch den einzelnen Geift nehmen, 
um dann unter günftigen Umftänden von hier aus zu mehreren oder vielen fich weiter Bahn 
zu brechen. Nur Anregungen niedern, d. h. unentwideltern, Grades, die wir ganz all: 
gemein Stimmungen nennen können, entitehen wie epidemijch gleichzeitig in vielen und ver: 
mögen jo die geiftige Phyfiognomie eines Volfes mitzubeftimmen. Die geiftigen Erwerbungen 
find Einzelleiftungen, und die Geſchichte aud der einfachſten Entdedungen ift ein 
Stüd Geiftesgefhihte der Menſchheit. Denken wir ung den Menſchen der erſten 
Urzeit, der nadt in die Welt hineingeitellt ift, jo fommt für ihn alles darauf an, ſich aus 
den von ber Natur gebotenen Mitteln dasjenige herauszunehmen, was feine Bedürfniffe 
befriedigen kann. Auf zwei Wegen fommt ihm dabei die Natur entgegen: fie liefert ihm bie 
Stoffe zur Nahrung, Bekleidung, zu Waffen ꝛc. und bietet ihm die Anregung zur paffenditen 
Verwertung diejer Stoffe. Mit diefen Anregungen haben wir uns hier zu bejchäftigen. 

Im Erfinden fpielt, wie in allem Geiftigen des Menſchen, die in feiner Seele ſich 
jpiegelnde Außenwelt eine Rolle. Man fann nicht zweifeln, daß ihr viel abgejehen wird, 
wiewohl man natürlich nie im ftande fein wird, ganz genau zu beftimmen, wieviel durch 
Naturnahahmung gewonnen wird, und wie weit diefelbe geht. Oft fcheint die Übereinftim- 
mung zwiſchen Borbild und Abbild jehr nahe zu liegen, jo 3. B. wenn Livingftone in 
der Sitte der Araber, ihre Kamele durch einen Drud auf den Naden zum Niederfnieen zu 

42 


Das Weſen bed Erfindend. Ausbreitung. Finden und Fefthalten. 


veranlaſſen, eine Nahahmung des Drudes fieht, den zu demjelben Zmwede die Gazelle mit 
dem Hufe auf ihr Junges ausübt, oder wenn, wie Peter Kolb erzählt, die Hottentotten 
nur nad) jenen Wurzeln und Knollen ſuchen, welde von Pavianen und Wildſchweinen 
gefreifen werben. Wir werden bei der Betrachtung der Entwidelung des Aderbaues mehrere 
Fälle derartiger Anregungen kennen lernen, die oft unbewußt ſich aud) auf andern Gebieten 
zur Geltung bringen mochten. Man wird auch daran denken bürfen, daß auf niedern 
Kulturftufen der Menſch jelbft dem Tiere näher fteht, daher auch leichter von ihm lernt, 
mehr teilhat am tieriſchen Inſtinkte. 

Allein jelbft diefe Gewinne find immer zunäcdhft von dem Individuum und für das 
Individuum gemadt. E3 gehört mehr dazu, um fie zu Erfindungen im fulturgefchichtlichen 
Sinne, d. 5. zu Bereiherungen des Kulturbefiges, zu ſtempeln. Denn zwiefach ift die Art 
der Anjammlung geiftiger Errungenjchaften, und beide find von ſehr verfchiedener geſchicht— 
liher Wirkung und Bedeutung. Einmal haben wir bie fonzentrierte Schöpferfraft 
genialer Einzelnen, welche Beſitz auf Befig in die Schatfammern der Menſchheit ein: 
trägt, dann aber außerdem die Verbreitung durch die Majfen hin. Und zwar ver: 
breitet fi ein großer Teil dieſes Befiges in Form von Einzelfenntnifjen, wobei die Erhaltung 
des Befiges dadurch allein ſchon gemwährleiftet ift, daß die Maife ſich beftändig erneut. Die 
Erfindung, bie ber Einzelmenfch für fich behalten, ftirbt mit demſelben, nur in der Tradition 
ift das Fortleben der Ideen möglich. Das Maß der Lebenskraft der Erfindungen und Ent: 
dedungen hängt aber von der Traditionskraft des Volkes ab, welche ihrerfeits eine Funktion 
des innern organifhen Zufammenhanges der Generationen genannt werden darf. Da 
diefer Zufammenhang am ſtärkſten in jenen Schichten eines Volfes ift, welchen die Muße 
gegeben oder die Aufgabe geftellt ift, Geiltiges, wenn aud) in primitivfter Geftalt, zu pflegen, 
jo ift die Kraft der Erhaltung geiftigen Erwerbes auch von der innern Gliederung eines 
Volkes abhängig. Und da endlich eine Anfammlung geiftigen Befiges wieder anregend auf 
ichöpferiiche Geifter wirft, welche ohne diejelbe nad) andern Richtungen fich bethätigen oder 
mindeftens verdammt jein würden, immer wieber von vorn zu beginnen, jo wird alles, was 
darauf hinwirkt, die Traditionskraft eines Bolfes zu verftärfen, günftig auf die Bereiche: 
rung feines Bejiges an Ideen, Entdedungen, Erfindungen einwirken. E3 dürften demnach 
al3 mittelbar begünftigende Naturbedingungen der geiftigen Entwidelung der Menfchheit 
bauptjächlich jene betrachtet werden, welche auf Dichtigfeit der Gefamtbevölferungen, auf 
fruchtbringende Thätigfeit der Einzelnen und damit auf Bereicherung ber Gejamtheit hin- 
wirken. Aber auch das, was unter ſolchen Vorausjegungen weite Ausbreitung eines Volkes 
und reichliche Möglichkeiten des Austauſches begünftigt, it in diefer Richtung wirffam. Wenn 
man beachtet, daß zum Erfinden nit nur das Finden gehört, an weldem Nach— 
denfen und Einbildungsfraft beide beteiligt find, fondern aud das Feithalten biejes 
Gefundenen durch feine Ausbreitung in weite Kreife zu praftiider Benugung und zum 
Nahahmen und damit zur Einreihung in den bleibenden Kulturbefig, jo begreift fih, daß 
nit auf allen Kulturftufen diefe für den Kulturfortichritt jo hochwichtige Funktion des 
Erfindeng zu gleich wirffamer Ausprägung gelangen wird. Alles zielt darauf hin, die Wirk— 
ſamkeit diefer Funktion auf ben niedern Stufen einzufchränten, ja faft ganz zu nichte zu 
machen. Der Fortjchritt der Kultur hat ein bejchleunigtes Tempo. 

Wie viele Erfindungen der Menfhen mögen in den langen Yahrtaufenden verloren 
gegangen fein, welche der Bildung größerer Gemeinfchaften, der Herausbildung bes Ge- 
jellungstriebes vorangingen! Sehen wir body nod) heute jo manche Erfindung mit ihrem 
Träger in Vergefjenheit geraten oder im günftigften Falle mühjelig wieder ausgegraben 
und fonjerviert werden! Und wer ermißt die fchwere Maſſe der Trägheit, des zähen 
Miderjtandes, die der Neufhöpfung von been fich entgegenftellt! Wir erinnern uns 

43 


Erfinden und Entbeden. 


bier an eine Schilderung, welche Cook im Berichte feiner zweiten Reife von den Neuſee— 
ländern entwirft: „Die Neufeeländer feinen vollftändig zufrieden mit dem bißchen Kenntnis 
zu fein, das fie befigen, ohne im geringften den Trieb zu zeigen, biefelbe zu verbefjern. 
Auch find fie nicht befonders neugierig, weder in ihren Fragen noch ihren Beobachtungen. 
Neue Dinge überrafhen fie nicht jo, wie man vorausfegen würde, ja biefelben feſſeln oft 
ihre Aufmerkſamkeit nicht einen Augenblid. Dmai (der tahitifche Begleiter Cooks), den 
fie fehr gern hatten, bildete manchmal einen Kreis um fi; aber fie fchienen feinen Reden 
wie Menſchen zu laufen, welche weder veritanden, noch zu verftehen juchten, was fie 
hörten.” Welche Perſpektive von immer wieder vergeblichen Anläufen eröffnet ſich ange: 
fichts einer geiftigen Schwerbeweglichkeit, wie fie hier geichildert wird, und wie fie mehr 
oder weniger für alle Naturvölfer gilt! Man befommt den Eindrud, daß aller Schweiß, 
den unſer Zeitalter der Erfindungen im Ringen nad) immer neuen Berbeiferungen vergießt, 
nur wie ein Tropfen zu dem Meere der Mühen fich verhält, in dem die Erfinder der Urzeit 
untergingen. Noch in der heutigen Welt, die ja auch für die Naturvölfer eine Welt des 
Verfehres, des Zufammenhanges, der Beziehungen it, find die Fälle des Verloren: 
gehens widhtiger Erfindungen keineswegs jelten. Die Kulturkeime gedeihen nicht 
in jedem Boden ohne Unterjchied. Es fteht vielmehr die Mafle der Kulturmittel, welche 
ein Volk aufnimmt, ftet3 in einem geraden Berhältniffe zu feinem gejamten Kulturitande. 
Diejer bejtimmt die Grenze jeiner Aufnahmsfähigfeit. Was darüber hinaus geboten wird, 
bleibt, wenn auch äußerlicd aufgenommen, für das Leben dieſes Volkes bebeutungslos und 
gerät mit der Zeit in Vergeſſenheit oder Erftarrung. Hierauf führt der größte Teil der 
ethnographiichen Armut in den niedern Schichten ethnographiſch reicher Völker zurüd. 
Bei den Schlüffen, weldhe man aus gewiſſen Kulturerrungenichaften, die in Geftalt 
von Kulturpflanzen, Haustieren, Geräten und dergleichen bei einem Volke fich finden, auf 
deſſen Berührung mit einem andern zieht, vergißt man leicht diefen einfachen, aber jehr 
einflußreihen Umftand. Manche Einrihtungen unfrer Gebirgsbewohner verraten nichts 
davon, daß dieſe feit Jahrtauſenden in der Nachbarſchaft einer hohen Kultur leben, und 
die Bufhmänner haben auffallend wenig aus dem reihen Schage der Waffen, Geräte und 
Fertigkeiten fi zugeeignet, welden die Betichuanen befigen. Wie einerjeits die Fortbil— 
dung der Dinge und Vorftellungen, welde man als Kulturbeſitz zuſammenfaſſen kann, jo 
iſt anderjeit3 die Nüdbildung oder mindeftens die Stagnation, in welche diefe von Natur 
offenbar nicht ftarfe Bewegung leicht gerät, eine lehrreidhe Erfcheinung, und bejonders 
anziehend ift der Vergleich zwiſchen den verfdhiedenen Graben ſolchen Stehenbleibens. 
Wer von der Anficht ausgeht, daß die Töpferei eine höchft primitive, dem natürlichen 
Menſchen wie wenig andre nahegelegte Erfindung fei, der wird in Polynefien mit Erftaunen 
wahrnehmen, wie inmitten eines Lebens von nicht unbedeutenden Anjprüchen ein begabtes 
Volk fih völlig ohne diefe Kunft zu behelfen weiß, und wie auch nicht einmal Anläufe zu 
jehen find, welche etwa als Keime derjelben zu betrachten jein möchten. Und er wird viel: 
leicht, indem er um fi blidt und nur auf der einen Heinen Dfterinfel im äußerften Oſten 
Polynefiens diejer Kunft wieder begegnet, ahnen, wieviel mehr der wenn aud) jeltene und 
oft unterbrochene Verkehr zwiſchen Ländern und Inſeln als die unabhängige Erfindung zur 
Bereiherung des Kulturſchatzes der Menfchheit beigetragen hat. Daß aber gerade diejer 
Verkehr auch wieder jehr launenhaft in feiner vermittelnden, ausbreitenden Funktion fei, 
das lehrt die Nichtübertragung diefer bei den Fidſchi-Inſulanern hervorragend entwidelten 
Kunft nad dem jo nahen, mit Fidſchi in fo vielen innigen Beziehungen ftehenden Archipel 
von Tonga oder das Fehlen derjelben bei den Affiniboin Nordamerikas hart neben den 
gerade hierin ausgezeichneten Mandanen. Man lernt bier, daß die Erfindungen fich nicht 
ausbreiten wie das Feuer auf einer Steppe, welches jo weit fortbrennt, als es noch 
44 


Verbreitung der Töpferei und ber Tapabereitung. 


brennbares Material findet, ſondern daß der menſchliche Wille mit ins Spiel fommt, der nicht 
ohne Laune manches träge ablehnt, um andres wieder um jo bereitwilliger aufzunehmen. 
Und dieſe Neigung zum Stehenbleiben auf einer einmal erreichten Stufe ift offenbar, wie 
zahlreiche Beifpiele in der Einzelbetrahtung ung beweifen werden, um fo größer, je niedriger 
die allgemeine Kulturftufe ift. Man thut das eben Hinlängliche und nichts darüber. Zum 
Beifpiele jollte man wohl glauben, daß, wenn die Töpferei einmal nicht geübt wurde, 
irgend welche Mittel geſucht worden fein würden, um für die über Feuer zu ſetzenden 
Speiſen Gefäße zu ſchaffen; aber alle Bolynefier, mit Ausnahme der armen Ofterinfulaner, 
erhigen Flüffigkeiten, indem fie glühende Steine in diejelben werfen, und würden ohne 
fremdes Zuthun allem Anſcheine nad über dieje Stufe nicht hinausgefchritten fein. Man 
muß fi aljo hüten, von ber Notwendigkeit gewiſſer ſelbſt jehr einfacher Erfindungen ſich 
allzu bejtimmte Vorjtellungen zu machen. Vielmehr jcheint es richtig, dem Geifte der Natur: 
völfer eine weitgehende Sterilität in allem zuzutrauen, was nicht auf die nächiten Zwede 
de3 Lebens, bejonders aber immer auf Verſchönerung, Erheiterung des Lebens fich bezieht. 
Wanderungen, um diefe auch hier nicht zu überjehen, mochten zu manchen Berluften Anlaß 
geben, da zu vielerlei Künften das natürliche Material nur in beſchränktem Maße vorkommt 
und außerdem jede größere Wanderung einen Riß in den Überlieferungen bedingt. Th. 
Williams erzählt, daß Tapa oder Mafi einft auch in Neufeeland bereitet ward, daß aber 
die Kunft dort verloren ging. Und welde Rolle jpielt Tapa bei allen andern Polynefiern! 
Biel mehr al3 auf höhern Kulturftufen hängt auf diefer niedern das ganze foziale Leben 
von der Schöpfung ſowohl als auch vom BVerlufte einer einfachen Erfindung ab. Ye näher 
das Leben der Natur fteht, je bünner, wenn man fo jagen darf, die Kulturjchicht, in welcher 
dasjelbe wurzelt, je einfacher, je kürzer die Fafern, die es big zum Naturboden hinabtreibt, 
um fo eingreifender, um jo weiter reichend ift natürlich jede Änderung, welde in diefem 
Boden ftatthat. Wenn man nad einer Jluftration diefer Aufftellung fucht, kann vielleicht 
an jene freilich etwas übertreibende Behauptung erinnert werden, daß die Einführung des 
Pferdes in den Haushalt der Völker weſentlich zur Herausbildung einer real begründeten 
Ariftofratie beigetragen habe, indem fie einem Rittertume, fei e8 von Wagenfämpfern oder 
Eifenreitern, Urfprung gab, welches den anders vielfach nicht mehr haltbaren Zuftand einer 
Kriegerfafte befeftigte. Die Erfindung der Zubereitung von Gewandftoffen, ſei es in Form 
von gewebten Zeugen ober von gefhlagenem Bajte, ift eine gewiß nicht minder folgenreiche, 
auch wenn man alle ihre modernen Entwidelungen außer acht läßt, die ja bis zu den höchſten 
Spigen unfrer induftriellen Entwidelung fortführen. Jene ganze Verfeinerung des Da— 
feins polynefifcher Naturvölfer, welche auf zwei biefer Stufe jonit vielfach fremden Ges 
wohnheiten, der NReinlichkeit und der Schambaftigfeit, beruht und die allein ſchon genügt, 
denjelben die höchſte Stelle unter ihren Genofjen anzuweijen, ift ohne jenes unſcheinbare 
Baſtzeug, die Tapa, welches als weißgelbe ober braun gefärbte zunderartige Fegen in unfern 
ethnographifchen Sammlungen liegt, nicht denkbar. Durch Klopfen des erweichten Baltes 
von den dünnen Stämmcdhen ber Broussonetia papyrifera werben vieredige, dünne Blätter 
bergeftellt, die zu drei Lagen aufeinander befeftigt und in ber Länge zu Streifen von 
40 bis 50 Ellen durch Kleben verbunden werden. So einfad; erhalten die Tonganer, Fid— 
ſchianer, Tahitier und andre eine Menge Kleidungsftoff, der nit nur eine ausgiebige Um: 
hüllung des Körpers, ſondern auch einen gewiſſen Lurus im häufigen Wechfel des Kleides, 
eine Sorgfalt in der Art, dasfelbe zu tragen, in der Auswahl der Farben und Mufter 
und dergleihen, endlich eine Kapitalanfammlung durch Aufbewahrung jederzeit umfeßbarer 
Maſſen diefes Stoffes geftattet. Man denke fi) auf der andern Seite, um den Unterfchied zu 
ermefjen, das Fellkleid eines Eskimo oder den Lederſchurz einer Negerin, weldhe Generationen 
hindurch mit dem Schmuße von Generationen beladen getragen werden! Die Tonganer, 
45 


Erfinden und Entbeden. 


welche freilich auch in ber Tapabereitung am fortgefchrittenften find, find höchſt wähleriſch 
in ihrer Kleidung, ſie brauchen, Männer und Weiber, immer geraume Zeit, um dieſelbe 
zur Zufriedenheit zu ordnen, wobei der Faltenwurf einen Gegenſtand ihrer beſondern 
Beachtung bildet. Wiewohl die Kinder unter zwei Jahren im Hauſe nackt gehen, werden 
ſie doch immer in Tapa gewickelt, wenn ſie mit ihrer Mutter das Haus verlaſſen. Selbſt 
beim Baden legen die Tonganer ihre Kleidung nicht ganz ab, ſondern behalten eine kleine 
Schürze aus Matten oder Blättern um. Wer möchte nun die Bedeutung leugnen, welche der 
Tapa in ſolch ungewöhnlicher Entwickelung des Scham: und Schönheitsgefühles zulommt? 
Die Thatfahe, daß die notwendigften Kenntnifje und Fertigkeiten über Die ganze 
Menſchheit hin verbreitet find, jo daß der Gejamteindrud des Kulturbefiges der Natur: 
völfer der einer fundamentalen Einförmigfeit ift, läßt den Eindrud entitehen, daß diejer 
ärmlihe Rulturbefig nur der NReft einer größern Summe von Befigtümern ſei, 
aus welder alles nicht abjolut Notwendige nad und nad) ausgefallen ſei. Oder jollte die 
Kunft des Feuerma: 
chens dur Reibung 
für fi allein ihren 
Weg durch die Welt 
gemacht haben? Oder 
die Kunft der Herftel: 
lung des Bogens und 
der Pfeile? Dieſe frage 
zu erörtern, ift wichtig 
nit nur zur Abjchä- 
Kung des Maßes der 
Erfindungsgabe ber 
Naturvölfer, jondern 
— = Ze u auch zur Gewinnung 
— — a der richtigen Perſpek— 
Ein geflohtened Trintgefhirr, mit Harz audgepicht. "s twirfl, Größe. tive in die Urgeſchichte 
a Zeil des Geflechtes, wirtl. Größe. der Menf heit. Denn 
im Kulturbefige, wenn irgendwo, muß zu lejen fein, aus welchen Elementen und auf welchen 
Wegen die heutige Menjchheit geworden, was fie if. Muftert man nun den Befi der Natur: 
völfer an Kunftgriffen, Geräten, Waffen 2c. und nimmt dabei dasjenige aus, was jegt zum 
Teile ſchon mafjenhaft durch den Handel mit den modernen Kulturvölfern ihnen zugeführt 
wird und wurde, jo glaubt man einen hohen Begriff von ihrer Erfindungsgabe zu erhalten 
(j. obenftehende Abbildung). Aber wo liegt die Gewähr für die felbjtändige Erfindung aller 
diefer Dinge? Ohne Zweifel hat es vor den Beziehungen zu den Europäern aud andre 
Völferbeziehungen gegeben, die bis zu dieſen tiefern Schichten reichten, und fo manche 
Brofame vom reichbeſetzten Tiſche der alten Kulturen Agyptens, Mefopotamiens, Indiens, 
Hinterindiens, Chinas und Japans ift hier herabgefallen und hat ſich in verfümmerter, 
dem urjprüngliden Gebraude vielleicht ſogar entfremdeter Geftalt erhalten! Der Ethno: 
graph, dem praktiſche Einfiht in den Befig an Geräten, Waffen u. dgl. und vor allem 
auch an Ideen der Naturvölfer nicht fehlt, Fennt genug Fälle folder Entlehnungen. 
Jedes einzelne Volk zeigt uns deren. Auch ijt die Einficht in ihr Weſen und ihre Bedeu: 
tung nichts Neues. Es möge vor allem an eine originelle Bemerkung Livingftones 
erinnert werden, die, auf ein andres Ziel gerichtet, doch jo recht hierher gehört: „Das 
Dajein der mannigfachen Werkzeuge, die unter den Afrifanern und andern teilweife zivili- 
jierten Völkern üblich find, weift auf die Mitteilung einer Belehrung hin, die zu irgend 
46 





Züden im Kulturſchatze. Verbreitung von Geräten ıc. 


einer Zeit von einem über dem Menjchen felbit ftehenden Weſen ausging”. Mag man 
von dem Schluffe diejer Bemerkung denken, wie man wolle, ihr Kern ift vollberechtigt als 
Oppofition gegen die font weitverbreitete Annahme, daß alles, was die Naturvölfer Eigen: 
artiges aufzuweifen haben, hier an dieſem Orte, wo man es heute fieht, entitanden, von 
den Naturvölfern jelbft erfunden fei. Hier wollen auf einmal diefen angeblich jo tief 
jtehenden Menfchenfindern Fähigkeiten 
zugejchrieben werben, welche bei ruhiger 
Erwägung faum zu ihrem allgemeinen 
Status paſſen. Wenn 3.8. in Afrika 
alle Völker, von den Maroffanern bis 
hinunter zu den Hottentotten, Eifen nad) 
derjelben Methode erzeugen und verar: 
beiten, jo ift es doch viel wahrjcheinlicher, 
daß dieſe Kunft aus irgend einer ge- 
meinfamen Quelle ihnen allen zu— 
geflofien, als daß fie da und dort von 
ihnen jelbftändig entdedt worden jei. 
Wenn die Norbamerifaner, die faft durch: 
aus dem Typus der Jägervölker ange: 
hören, durch ihre Weiber Mais und 
Tabak pflanzen laffen, jo hat man glüd: 
licherweiſe durch botanifche Beftimmung 
die Möglichkeit, den mexikaniſchen oder 
überhaupt jüdlihen Urjprung Diejer 
Dinge mindeftens wahrjcheinlich zu ma— 
hen. Man verwies einft triumphierend 
auf den Truthahn als ein von Natur: 
völfern bomeftiziertes Tier, bis Spen— 
cer Baird den Stammvater diejes 
mürrifhen Herrſchers der Hühnerhöfe 
in Merifo nachwies. Bei Geräten it 
die Kulturentlehnung natürlich ſchwerer 
nachzuweiſen, denn dieſe tragen nicht, 
wie Pflanzen und Tiere, Urfprungszeug- 
niffe, wenn auch verwifchte, an fich. Aber 
man follte meinen, daß größte Vorficht 
geboten ſei, um nicht ähnlichen Enttäu- wer ke u 2 N 
jungen auch hier ausgeſetzt zu ſein, wie n Pie e der Salomonsdinjeln (nad dem Album 
jene Spra fo d er fie erfuhren, mei che des Mufeum Godeffroy, Hamburg). 

den Naturvölkern friſchweg die niedrigſten Sprachen imputierten. Der Buſchmann, der eine 
möglicherweiſe hamitiſche Sprache ſpricht, ſollte er nicht ſeinen freilich kindlich einfachen 
Bogen nach hamitiſchem Muſter machen? Und der Indianer, der aus Mexiko den Mais 
erhielt, ſollte er nicht vielleicht die Kunſt der Steindurchbohrung von ebendaher gelernt 
haben? Uns will ſolche Herleitung nebſt ihrer Folge möglichſt weiter Verpflanzung natür— 
licher ſcheinen als die ſelbſtändige Erfindung eines und desſelben Gerätes oder Kunſtgriffes 
an einem Dutzend verſchiedener Orte. Es iſt in neueſter Zeit die Aufmerkſamkeit darauf 
gelenkt worden, daß die Salomonsinſulaner Bogen und Pfeil haben, die Neubritannier 
und andre nit, und da war man nun flug bei der Hand, jene mit der Erfindung diefer 

47 





Erfinden und Entdeden. 


finnreihen Waffe zu beehren. Wie wir ſchon hervorhoben, ift man hierin von wunderbarer 
Inkonſequenz: auf der einen Seite drüdt man die Naturvölfer auf die Stufe der Tierifch- 
feit herab, auf der andern mutet man ihnen Erfindungen zu, welche mindeftens nicht zu 
den leichten gehören. Immer wieder denkt man ſich das Erfinden etwas zu leicht, weil 
man nur an bie für einen genialen Kopf geringen Schwierigfeiten des Findens denft. Und 
geniale Köpfe gibt es auch unter Naturvölfern. Aber wie anders it es mit dem Fefthalten 
des Gefundenen! Hier liegt die große Kluft. Die Schwierigkeit der Fefthaltung wächft mit 
dem Sinfen der Kulturftufe, welches immer ein Lodern der geiftigen Kontinuität der Ge 


— — en 
— — 


Fan Krieger, Weſtafrila (nach Du Ehaillu). S. auch Fig. 39, S. 170. Bgl. Tert, Einleitung ©. 49. 


Schlechter bedeutet. In einigen Fällen gelang es, zu dem höher gelegenen Urjprunge von 
anfcheinend ganz eigenartigen Erzeugniffen der Naturvölfer vorzudringen. Baftian hat eine 
große Anzahl folder ſchematiſcher Nahahmungen gewiſſer Beitandteile des Kulturſchatzes 
der Europäer zufammengeftellt. Es gehört hierher die für Fidſchi mehr als andre bezeich- 
nende Keulenform, welche eine Nahahmung des Blunderbuß-Gemehres bes vorigen Jahr: 
hunderts ift. Da es auf andre Weiſe nicht möglich war, fo wollten diefe Wilden die ge- 
fürdtete Waffe wenigftens in Holz befigen und ſchufen nun eine Keule, die als folche 
jehr wenig zwedmäßig ift. Hierher gehört wohl auch die Sitte neuguineiſcher Papua, den 
europäiſchen Schiffen aus Blaferohren dampfartige Wolfen von Sand und Aſche entgegen: 
zublajen, um den Pulverdampf nachzuahmen. Ein auf den Neuen Hebriden gebräudlicher 
Kopfpug zeigt eine folojjale Übertreibung des Stürmerhutes eines Admirals, da derjelbe 
al8 dem angejeheniten unter den fremden Befuchern eigen vor andern imponieren mußte. 
48 





Berbreitung von Kulturmerfmalen. Rüdbilbung. 


Etwas näher dem Zwede fommt die merkwürdige Armbruft der Fan. Die fpanifchen und 
portugiefiihen Entdeder an der Weftfüfte benugten vielfach diefe Waffe, von ihnen gelangte 
fie ins Innere zu den Fan, und diefe bewahrten fie oder vielmehr ihre Form, während 
an der Küfte das Feuergewehr gleihwie in Europa jelbft fi ausbreitete. Nun kehrt 
nach vier Jahrhunderten die Armbruft wieder zurüd, aber einem ganz andern Zwecke 
angepaßt. Denn zur Herftellung eines Schlofjes, wie es zur Abjchnellung des Bolzens 
notwendig, fehlen den Yan Geduld und Werkzeuge, und jo jchligen fie den Schaft auf 
und verfenden von der Armbruft vergiftete Pfeildhen, die ganz ebenjowohl von einem leich- 
ten Bogen abzufhießen wären (j. Abbildung, Einleitung, ©. 48). 

Wären die Hußerungen des geiftigen Lebens der niedern Völker nicht fo ſchwer faßbar, 
jo würde unter ihnen reichere Ernte zu halten fein. Die indiſchen Spuren gehen durch 
die Religion der Malayen und reichen vielleicht bis zu den Melanefiern 
und Polynefiern. Es gibt fo ſchlagende Übereinftimmungen, bejonders 
in den fosmogonifhen Sagen 3. B. der Bufchmänner und Auftralier 
(vgl. ©. 30) oder der Bolynefier und Nordamerifaner, daß nichts andres 
als Tradition zur Erklärung übrigbleibtl. So fehren auch Anflänge 
auf politiihem Gebiete wieder. In den Einrichtungen, welche Lacerda 
und Livingftone aus Kajembes, Pogge und Buchner aus Muata 
Jamvos Reihe beſchreiben, merkt man unjchwer die Anklänge teild an 
Indiſches, teild an Altägyptiihes. Es find die Gemeinſamkeiten auf 
dem Gebiete der fozialen und politiihen Borjtellungen und Einrich— 
tungen auffallend groß. Je tiefer man in dieſe Dinge eindringt, um 
jo mehr überzeugt man ſich von der Nichtigkeit einer Außerung, die 
Baftian zu einer Zeit gethan, wo die jchärfite Völferfonderung ein 
Evangelium, die Einheit der Menjchheit verpönt war. Er jagt näm— 
lich in feiner Reife nah San Salvador: „Selbjt zu den auf des Stillen 
Ozeanes Bujen Shlummernden Inſeln jcheinen Meeresitröme die Boten 
abjtrafterer Errungenſchaften getrieben zu haben, vielleicht bis an die ps ee 
Geftade des amerifanifchen Kontinentes“. Wir geftatten uns, den Schluß nographiiges Wufeum, 
binzuzufügen, daß niemand die Naturvölfer verfteht, der nicht ihren gr a. Ein, 
manchmal freilich verhüllten Verkehr und Zufammenhang unter: ned 
einander und mit den Kulturvölfern würdigt. Es gibt und gab unter ihnen mehr 
Verkehr, ald man beim oberflählihem Hinſchauen glaubt. So gelangten, ehe die Nilftraße 
dem Verkehre geöffnet war, Waren europäifchen Urjprunges, bejonders Perlen, bereits tief 
in das weftlihe Obernilgebiet. Man date an den Weg von der Suahelifüfte einwärts 
oder durch die Berri aus den Gallaländern. Aber in Wirklichkeit gingen dieſe Dinge aus 
Dar Fur über Hofrat el Nahas. Heuglin erfuhr 1863 im Bongolande, daß lange vor 
den Chartumer Händlern Karawanen von Sklavenhändlern auf diefem Wege bis zu den 
Njam-Njam vorgedrungen feien. Sie gründeten Stationen zwijchen dem Kupferlande und 
Dar Dika und taufchten Sklaven und Elfenbein gegen blaues Baummollzeug, Glasperlen, 
Salz, Natron und Kupfer. Schon 1854 erzählte ihm ein alter Neger in Djelaben, daß er 
30—40 Tagereijen füblid von Kordofan bis zu einem Handelsplage Telgauna (djelabiſch: 
Telgaun) gefommen jei. Auf diefem Wege mögen auch die Bari ihren Glasihmud über 
Njam-Njam erhalten haben. Wo ftarfe Ähnlichkeiten auftraten, möchte immer in eriter 
Linie die Frage des Berkehres, der Mitteilung von außen aufzuwerfen fein, oft vielleicht 
eines jehr mittelbaren Verkehres. Wir halten die Frage für berechtigt, ob nicht die Boto— 
fuden durch Negerjklaven aus dem füdäquatorialen Afrifa, wo 5. B. die Manganja Zippens 
pflöde tragen, foldhe angenommen haben. Und es mag überhaupt dahingeftellt bleiben, ob 

Boltertunde. L 49 IV 





Erfinden und Entdeden. 


nicht flüchtige Sklaven jo mandes Element des afrikaniſchen Kulturbefiges durh Süd— 
amerifa verbreitet haben. Die Japaner verkehren feit Jahrhunderten jehr wenig mit den 
Völkern des nördlichen Stillen Ozeanes, doch müſſen die Stäbchenpanzer der Tſchuktſchen, 
welhe den japanifhen Panzern jo ähnlich find, auf einen ſolchen Verkehr zurüdführen. 
Schnigereien in Walroßzahn tragen auf Hawai einen mehr hinefiihen oder japanischen 
als polynefifhen Charakter (j. Abbildung, Einleitung, S. 49). 

Immer erſt in zweiter Linie wird die Hypothefe jpontaner Entftehung gleicher Pro- 
dukte an entlegenen Orten zuläffig fein. Denn wenn es auch wahr jein jollte, daß, um 
mit einem neuern Ethnographen zu reden, „ein naturgemäßes Denken uns befähigen wird, 
zu erfennen, daß, wie wir überall die Naturvölfer jchlafen, eifen und trinken jehen, wie 
fie jtet8 die Füße zum Gehen und die Ohren zum Hören benugen, jo auch überall eine 
zwingende Notwendigkeit in ihrem Seelenleben die gleihen Grundformen urjprünglicher 
Entwidelung hervorgerufen bat”, jo lehrt doch im Gegenfage zu dieſem Poſtulate aprio- 





Polynefiihe Fiſchangeln, aus Mufchelihalen und Knochen gefertigt (ethnographifhes Mufeum, Wien). Bol. Tert, 
Einleitung, S. 59. 
riſchen Denkens alle Erfahrung in ethnographifchen Dingen die große Bedeutung der Ver: 
breitung der Kulturerrungenfhaften von Ort zu Ort und von Volk zu Voll. Wo wir 
binbliden, jehen wir ſelbſt heute diefe Thätigfeit an der Arbeit. Unendlich jelten find 
Beijpiele von Neufhöpfungen bei Naturvölfern, ungemein ausgedehnt wirkt die Auf: 
nahme des Fremden, jo daß die alten einheimifchen Induſtrien überall zurüdgehen, wo 
die Fabrifate Europas oder Amerikas hindringen. Davon find felbft die entlegeniten, 
unberührtejten Inſeln nicht frei. Als Hamilton 1790 Car Nikobar bejuchte, trugen die 
Weiber eine Art kurzen Unterrodes, aus aneinander gereihten Büſcheln Gras und Schilf 
gebildet, die einfach herabhingen. Jetzt haben fie allgemein Tücher aus Zeug, mit denen 
fie den Leib verhüllen. So befteht alfo der Fortichritt von hundert Jahren in der Er: 
jegung des Grasunterrodes durch Gewebe. Die heimische Induftrie ftirbt damit ab, und 
feine neue fertigfeit tritt an ihre Stelle. Am untern Kongo findet man heute nidht3 mehr 
von den Rindenzeugen und feinen Geweben, die Lopez und andre NReifende des 16. Jahr: 
hunderts jo jehr priefen. Und wo iſt die Kunft des Edelftein- und Obfidianfchliffes, welche 
im alten Mexiko jo Hervorragendes leiftete, wo die Goldſchmiedekunſt und Weberei der 
alten Peruaner? Aber jo hingen auch ſchon früher die Völker zufammen, und jo wenig 
wie heute gab es im Bereiche unſers geſchichtlichen Wiffens auf der Erde jemals eine 
Menjchengruppe, welche man beziehungslos nennen konnte. Überallhin fieht man Überein- 
jtimmungen, Ähnlichkeiten, Verwandtihaften ausftrahlen, die ein dichtes Net über die Erde 
50 


Ethnographiicher Neihtum und Armut. 


ziehen, und felbft die entlegeniten Inſelbewohner fann man nur veritehen, indem man 
ihre Nahbarn mit in Betracht zieht, die nahen und die fernen. 

Nichts ift für die Schägung der Bedeutung der äußern Anregungen lehrreicher als die 
Betrachtung der ethnographiſch ärmften Völker, von welchen man jagen fann, dafs fie 
immer aud) die verfehrsärmften waren. Warum denn find die entlegenften Völker an den 
Spitzen der Kontinente oder auf den ſchwerſt 
erreihbaren Inſeln die ärmjten? Die 
ethnographifche Armut ift nur zum Teile 
Folge der Not, der allgemeinen Armut, un: 
ter deren Drude ein Volk lebt. Man hat 
dies für mande Völker bereitwillig zuge: 
geben, jo 3. B. für die Auftralier, welche 
in ihrem fteppenhaft bürren, an nugbaren 
Pflanzen und Tieren armen Kontinente im 
allgemeinen eins der ärmften, bebrängteften 
Leben führen, das irgend einem Volke der 
Erde zugemiejen ift. Und befanntlich ftehen 
fie auf einer tiefen Stufe der Kultur, ſelbſt 
in den begünftigtften Strichen des tropi- 
ihen Nordens, und find vor allem der bei 
ihren papuaniſchen Nahbarn jo üppig 
aufgeblühten Neigung zum fünftlerifchen 
Schmude des Dafeins, welcher den Lurus 
der Naturvölfer ausmacht, faft gänzlich bar. 
Man hat gerade in diefem Falle nicht- weit 
nad den Urjachen der ethnographiſchen Ar- 
mut zu juchen, denn jeder Blid in die Le- 
bensbedingungen und Lebensweije dieſer 
Völker zeigt die Schärfe ihres Kampfes um 
die Erhaltung des nadten Lebens und die 
verarmenden Wirkungen der Abgelegenheit 
von den großen Strömen des Verkehrs. Die 
Sorge um das täglich Notwendige erftict 
die geiftigen Regungen, es fehlt das behag- 
liche, jorgenlofe Ausruhen, dem der Wunſch DIN JJ—— 6 
nach heiterer Lebensausſchmückung entkeimt, Mer 
und mit ihm die in heitern, traumhaften Waffen mit Haififhzähnen von den Gilbertinfeln 
Arabesken die Tage umfchlingende Ahnung (rast Muſeum, vita, 6 5 — — 
von Schönem. Die exzentriſche Lage Auſtra— 
liens, des ſüdlichſten Südamerika, des Innern von Südafrika und des öſtlichen Polyneſien 
übt auf die dort einheimiſchen Völker überall den gleichen verarmenden Einfluß, in welchem 
man aber außer dem unmittelbaren Drucke, der aus dem großen Mangel an Hilfsmitteln 
entſteht, auch eine Art von Anſteckung der Armut erkennen will, welche auf eine geringere 
Menge geiſtiger Anregungen namentlich der Phantaſie in dieſer Natur zurückführt. Bei dieſem 
letztern Punkte muß man aber die allergrößte Vorſicht anwenden, denn die Fallſtricke über— 
eilter Schlüſſe liegen nirgends ſo nahe wie hier. Wir meinen, daß ſogar der vorſichtige 
Schmeltz in ſeinem unſchätzbaren Kataloge der ethnographiſch-anthropologiſchen Abteilung 
des Muſeum Godeffroy ſchon etwas zu viel ſagt, wenn er, den Formenreichtum und die 

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Erfinden und Entdeden. 


Vollkommenheit der menſchlichen Artefakte jowie die üppig zu nennende Ausihmüdung der: 
jelben, die man in Melanefien findet, mit der verhältnismäßigen Armut des fernern Poly: 
nefien einer- und Auftraliens anderjeits vergleihend, als einen der Gründe für dieſen Unter: 
ſchied die größere Üppigkeit der Natur auf den melaneſiſchen Inſeln anführt, welche anregender 
auf die Bewohner wirkte. Wir wagen einem folhen Kenner gegenüber nichts als eine Ver: 
mutung. Aber es ift doch jehr auffallend, daß diefe nad) Dften oder dem fernern Polyneſien 
hin zunehmende Armut ſich auch in der Tier: und Pflanzenwelt findet, und daß fie eine ſtufen— 
weije, eine ſich vorbereitende, feineswegs eine plöglihe Erſcheinung ift. Wenn die Ver: 
armung nad Often zu in der Tier» und Pflanzenwelt unzweifelhaft eine Folge der zu: 
nehmenden Schwierigkeit der geographiihen Ausbreitung ift, jo hat man einiges Recht, 
mindeftens die Frage aufzumwerfen, ob nicht auch für die Menfchenwelt Ähnliches möglich wäre. 
Wir wien, wie die Geräte und Waffen der zivilifierten Völker fich zu den Völkern, die vor: 
her feine Ahnung von ihnen bejaßen, 
gleihlam ftufenweife verbreitet haben 
und noch immer weiter fich verbreiten. 
Als Stanley auf feiner wunderbaren 
Kongofahrt den dunfeln Kontinent 
durchquerte, verließ er die legten Feuer: 
gewehre in den Händen von Eingebor: 
nen im Often in dem berühmten Marft: 
fleden von Nyangmwe, um fie im Weiten 
bei Nubunga, 6° nördlich von Nyangmwe, 
in Geftalt jener vier alten portugiefi- 
ſchen Musketen zuerft wiederzufinden, 
welche hiſtoriſch bleiben werden, weil 
fie in der kritiſchſten Zeit diefer großen 
Reiſe feiner Mannſchaft die erften gu: 
nn — ten Zeichen waren, „daß wir die Straße 
Eine geſchnigte Figur aus Dahomey, farbig bemalt nicht verfehlt hätten, daß ber große 
(etpnogr. Mufeum, Berlin) Y«wirtl.Gröhe. Bal.Tert, Einleitung, 5.53. Strom wirklich die See erreidhe, und 
daß ihr Herr fie nicht hintergangen 
habe, wenn er jagte, daß fie eines Tages das Meer jehen würden”. Nyangwe und Ru: 
bunga begrenzen einen Flächenraum von 10,000 bis 12,000 DMeilen, wo Feuergemwehre, 
welche ſchon vor 400 Jahren Afrifas Küften erdröhnen machten, vor 8 Jahren unbekannt 
waren. Und das bei all der unendlichen Regſamkeit und rückſichtsloſen Gewinnſucht und 
Schacherleidenſchaft europäifcher und arabifcher Händler! Es ift wahr, daß andre Dinge ſich 
raſcher verbreitet haben, wie z. B. die erjt jeit dem 16. Jahrhundert hierher gebrachten 
Sprößlinge Amerikas: Tabak, Mais und Maniof. Aber auch fie haben Etappen gemad)t, 
und die Damara haben 3. B. den Tabak erft vor einigen Jahrzehnten kennen gelernt. 
Dem Verkehre der Völker jehreiben wir es zu, wenn die Motive der ethnographijchen 
Erzeugniffe auch in reihen Gebieten jo auffallend einförmig find, wenn jelbjt Melanejiens 
und Bolynefiens Inſelwelt in Bezug auf die Verbreitung der Geräte und Waffen das 
Bild einer Wieje bieten, wo diejelben Grundelemente der Vegetation überall hervorjprießen, 
jedoch bier dünner, dort dichter beiſammenwachſend, hier höhern, dort niedern Stand 
zeigend und nur da und dort mit eigentümlichen Gewächſen untermifcht, welche, an diejer 
Stelle und feiner andern vorfommend, das Bild merkwürdig beleben. Und wie wir nun 
oft auf fterilem Boden mitten in dem einförmigen Graswuchſe einer Steppe plötzlich eine 
Pflanze vor andern fich üppig entfalten jehen, jo ift es auch hier. Der in der Verfolgung 
52 





Größere und fleinere Kulturkreiſe. Abftufungen der Kultur. 


des Überfommenen fo ftarre Geift der Völker erhält plöglich eine An- 
regung zur freiern Entfaltung nad) irgend einer Seite, und es ijt von 
großem Werte, gerade diefe Sonderentwidelungen zu ftudieren. Welche 
Mannigfaltigkeit der Formen in den Sortimenten von polynefischen 
Fiihangeln in unjern ethnographiſchen Mufeen (ſ. Abbildung, Einlei- 
tung, S. 50). Unter den vielen anziehenden Erfheinungen, welche die 
Ethnographie Polyneſiens bietet, ift es im höchſten Grade interefjant, 
zu jehen, wie die Bevölferung einer fleinen Gruppe durch fonjequentes 
Fortichreiten in einer beftimmten Richtung fich oft für die Herftellung 
von Waffen einen Stil zu eigen gemacht und in bemerfenswertem 
Maße ausgebildet hat, welcher zu den eigentümlichften und am meijten 
Fleiß und Geſchick erfordernden gehört. Derfelbe bejteht in der Aus: 
rüftung der Waffen mit Haifiſchzähnen (ſ. Abbildung, Einleitung, S.51), 
die in foldher Ausdehnung, Sorgfalt und Mannigfaltigfeit gepflegt 
wird, daß man glauben fünnte, es mit einem in beftändigen Kriegen 
lebenden, weder an Zahl noch Macht geringen Volke zu thun zu haben, 
Statt deſſen meffen die Gilbert: oder Kingsmillinjeln insgefamt 7,s 
DMeilen und zählen wohl nicht über 35,000 Einwohner. Aber dieje 
Waffen übertreffen an Graufamfeit die jedes andern Volkes in Poly: 
nejien, und ihnen entjprechen Rüftungen, wie fie jo ausgebildet nur 
wieder in Japan an den Grenzen dieſes Gebietes ſich wiederfinden. 
Aber jo birgt fait jede Inſelgruppe unter der Einförmigfeit der 
Grundmotive ihre mehr oder weniger ausgebildeten Eigentümlichkei- 
ten, und wenn es auch nur jene unvermeidliche Eleine, leicht zu über: 
jehende menſchliche Figur auf tonganifhem Schnigwerfe wäre. Bei 
den fontinentalen Völkern find derartige Erfcheinungen felbitverftänd- 
lid) von befhränfterm Vorkommen. Aber doch hat auch hier jeder Kul- 
turfreis, jo eng er ift, feine Eleinen Bejonderheiten, welche mit einer 
gewiffen Konjequenz ſich auf den verjchiedenften Gebieten einftellen. 
Wie man bei den Weftafrifanern die Vorliebe für die Darftellung des 
Häßlichen als ein ſolches Charafteriftitum bezeichnen kann (f. Abbildung, 
Einleitung, S. 52), jo bei den Monbuttu die häufige Verwendung 
der Bananenblätter an Stelle von Leder, Fell oder Zeugen. Letzteres 
it ein Motiv, über welches die Monbuttu unendlihe Variationen 
machen. Diejes Volk bietet gleichzeitig ein intereffantes Beiſpiel all- 
gemein hoher Entwidelung der Jnduftrie, welche bei allen Nachbarn 
anerfannt ift. Weit reicht ihr Ruhm in Afrifa. Yhrer eigentlichen 
Entdedung durch Schweinfurth waren bis nah Europa Gerüchte 
vorausgegangen, welche außer ihrer braunen Farbe bejonders den 
hohen Grad ihrer Zivilifation hervorhoben, und diefer Reiſende be- 
richtet jelbit, daß, als er das Gebiet des Gazellenfluffes erreicht hatte, 
er aus den Geſprächen mit den Elfenbeinhändlern entnahm, daß die 
Monbuttu als ein eigentümliches und hervorragendes Volk angejehen 
wurden. Nie verfehlte man, ihr Land mit dem höchſten Lobe zu nen: 
nen. Vor allem wurde aber die Gejchidlichfeit der Bevölkerung in der 
Herftellung von Kriegswaffen und von Geräten friedlichen Gebrauches 
gepriejfen, die man nur mit jener der Völker des Weſtens verglich. 
Sie lieferten endlojen Stoff rühmender Schilderungen. Dabei bleibt 
53 


3 ‘dunmapug "az dR aı® m or, (uoquoz uonootloo Kysuyy) Maylara Murqujanyg wm qun zhrutplab Focy ano 'nyınquoyg a9q allaldsjoguzg au 


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Erfinden und Entdeden. 


aber die Monbuttuinduftrie immer Negerinduftrie oft mit denjelben Motiven, wie fie bei 
Nilnegern und Kaffern vorfommen (j. Abbildung, Einleitung, ©. 53). 

Eine der ſchwierigſten Aufgaben liegt vor, wo es fi, wie hier, um die Beltimmung 
einer Gradabftufung in der Höhe der Vollendung irgend eines Zweiges menſchlicher Thätig: 
feit handelt, und gleichzeitig gehören folche Aufgaben zu den verantwortungsvolliten, wenn 
aus der Abftufung ein genealogifher Schluß gezogen werden jol. Wir bemerfen 5. 8. 
einen Unterfchied der Entwidelung des Schiffbaues zwiſchen den einander jo nahewohnenden 
Fidſchianern und Tonganern in der Richtung, daß legtere, welche polynefiihen Stammes 
find, die zu den Melanefiern zu rechnenden Fidfchianer darin um ein Merkliches übertreffen. 
Der Unterſchied ift nicht groß, aber jehr wichtig, weil er dazu beiträgt, unfre Anficht zu 





Sanfa, Mufifinftrument, in einem großen Zeile von Sud- und Mittelafrita gebräuchlich 
(ethnographifches Muſeum, Etodholm). "« wirll, Größe. 


befeftigen, daß die länger anſäſſigen Melanefier die hohe Entwidelung ihres Schiffbaues 
und ihrer Schiffahrtskunſt von den jpäter einwandernden Polynefiern empfingen und 
nicht umgekehrt. Aber doch ift es jelbitverftändlich immer jchwer, in ſolchem Falle mit 
großer Sicherheit zu urteilen, und dies um jo mehr, als ein in der Gejamtkultur höher 
jtehendes Volk gerade in Bezug auf Kenntnifje und Fertigkeiten hinter ſolchen zurückſtehen 
fan, welche im ganzen einer tiefern Stufe angehören. Auf den eriten Blick erjcheint 
die Überlegenheit der Djur im Eijenfchmieden über die Nubier oder der offenbare Vor: 
iprung, den die Musgu als Aderbauer vor ihren ſudaniſchen Herren befigen, oder der 
hohe Stand der Anfertigung höchſt mannigfaltiger muſikaliſcher Inſtrumente bei den Negern 
Afrikas (ſ. obenjtehende Abbildung) als eine Anomalie; aber haben nicht die Neger dur) 
ihre Geſchicklichkeit in dieſen beiden Richtungen ſelbſt Europäer in Erftaunen gefegt? Wenn 
nicht die Thatjachen jo Elar vorlägen, würde wohl jeder von vornherein geneigt fein, den 
im übrigen mit jo manden Kulturüberlegenheiten ausgeftatteten Arabern, Bornuanern ıc. 
auch die Erziehung der Neger zur Überlegenheit in diefen Künften zuzufchreiben. 


54 


Die Entwidelung des Aderbaued, 


Arkerbau und Viehzucht. 


Inhalt: Urfprung des Aderbaued. — Borftufen. — Naturnahahmung. — Züchtung ber Tiere. — Tier: 
befreundung. — Einfluß der Viehzucht auf dad Schidjal der Völfer. — Nomadismus. — Einfluß des 
Aderbaues, — Berhältnismäßig niederer Stand bed Aderbaues bei ben meiften Naturvölkern. — Afrifaner 
und Auftralier. 


Unter allen Anregungen, welche von der Natur auf den Menjchen geübt werben, 
müſſen bei feiner notwendigen und tiefgehenden Abhängigkeit von der organischen Natur 
am heilfamften diejenigen fein, melde dieje Abhängigkeit dadurch mildern, daß fie foviel 
wie möglih von dem unvermeidlichen Bande, das ihn mit der übrigen Lebewelt verknüpft, 
in feine Hand geben. Er muß joviel wie möglich von jeinem Denken und feiner Thätigkeit 
in basfelbe hineinweben. Der Weg dazu liegt in der feften Aneignung nüglicher 
Pflanzen und Tiere durch Aderbau und Viehzucht, welde die größte Befeftigung 
und Mehrung des Kulturbejiges bedeuten. 

Zwar völlig mühelos erwarb fih auch vorher der auf die fogenannten freiwilligen 
Gaben der Natur angemwiefene Menjch feine Nahrung, fein Obdach, fein Leben nicht. Die 
Natur, welche unter diefen Verhältnifien alles aus ihren Schätzen darzubieten hat, was 
der Menſch nötig braucht, bringt ihm felten die Nahrung bis an die Lippen und wölbt 
ihm nie völlig paſſend die Hütte über fein Haupt. Ihre Gaben find nicht jo ganz freiwillig. 
Bringt der Auftralier zu feinem Nahrungserwerbe auch nicht mehr hinzu, als daß er ſich 
einen jpigen oder auch jpatelförmigen Stod zurechtmacht, mit weldem er Wurzeln aus: 
gräbt, wobei er aber bis zu einer Vervolllommnung dieſes urjprünglichen Werkzeuges, 
welche der Buſchmann dur die Anbringung des Schwerfteines erreicht, noch nicht einmal 
fortgefchritten ift; oder daß er mit dem Beile Kerben in die Bäume baut, die ihm beim 
Auffteigen zur Stüße ber Füße dienen; oder daß er feine Waffen, feine Filchgabeln, Netze, 
Angeln, feine Fallen für Fleinere Tiere und Fanggruben für höhere herjtellt: immer hat er 
von eigner Leiftung etwas dazuzubringen und nicht bloß von körperlicher; denn es ift nicht 
zu leugnen, daß er in einigen Fällen außerordentlich finnreich und geduldig vorgeht, um feinen 
Zwed des Nahrungsermwerbes zu erreihen. Hüber erzählt 3. B., daß die Auftralier Bienen: 
nefter dadurch auffinden, daf fie eine Biene fangen, ihr ein weißes Federchen anfleben und 
fie dann fliegen laffen, um, ähnlich wie die nordamerifaniihen Trapper, der gewöhnlich jehr 
geraden „beeline‘ zu folgen, in welcher das Infekt feinen Heimmeg madt. Ihr Fiihfang 
mit zwei= bis vierzinfigen Speeren, wobei fie jtundenlang auf dem Anftande liegen, oder 
der CS childfrötenfang der Kap York: Indianer mittels eines Saugfiſches und andres lehrt 
eine gewiſſe Entwidelung ber Fähigkeiten kennen, vermittelit deren man bie freiwilligen 
Gaben der Natur möglichit ausbeutet. Doch geſchieht diefe Ausbeutung Feineswegs in 
einer recht- und gefeglofen Weife. Die Auftralier und alle andern Jagdvölker find an 
beftimmte Jagdgründe gebunden. So hat ein neuerer Beobachter auch von den Eskimo 
hervorgehoben, daß fie eigentlich gar fein echtes Nomadenvolf jeien, da fie durch fich von 
Generation zu Generation fortpflanzende Satzungen an eine gewiſſe Refervation gebunden 
find und die Grenzen diefer nur mit Einwilligung ihrer Nachbarn überjchreiten dürfen. Nur 
innerhalb ihrer eignen Jagdgründe wechjeln fie mit den verfchiedenen Jahreszeiten und dem 
damit wechjelnden Tierreichtume des Landes ihre Wohnfige. 

Aber es ift dennoch ein wenig frucdhtendes Kapital, das in allen diefen Fertigkeiten 
und Vorrichtungen angelegt ift, die alle nur dem Augenblide dienen, aus denen feine blei: 
bende Kulturerwerbung, fein Kulturanjag, nichts herauswädit, was dem Menfchen feiten 
Rüdhalt an der Natur gewährte. Aus diefer wenn aud) jehr unfihern, abhängigen, aber 

55 


Aderbau und Viehzucht. 


dennoch gerade wegen der Abhängigkeit bequemen Lage erhebt fih der Menſch zu einer 
höhern Stufe, indem er zunädft die Natur unterftügt in gewiſſen Richtungen, wo fie 
ihm nüßlich ift, um fie zu reihern Gaben, zu dauerhaftern Leiſtungen zu veranlafien, ohne 
daß er doch damit ſchon fo weit ginge, einzelne Naturgefchöpfe fi) anzueignen, d.h. nad) Maß: 
gabe jeiner Bedürfniffe oder feiner Bequemlichkeit fie anzupflanzen, zu vervielfältigen, aufzu: 
bewahren. In manchen Beziehungen fommt ihm dabei die Natur zu Hilfe. Wie verjchieden 
von vornherein die Länder mit Gewächſen ausgeftattet find, die dem Aderbaue bienftbar ge- 
macht werden können, wird ihre Einzelbetrachtung lehren. Aber diefe Unterfchiede fommen 
erit in zweiter Linie in Betracht. Nicht jene tropifche Natur ift hierfür die beite, von welcher 
Cook bewundernd ausruft: „Wenn in unferm rauhen Klima ein Mann das ganze Jahr 
hindurch adert, pflügt und erntet, um fi und feine Kinder zu ernähren und mit Mübe 
etwas Geld zu erjparen, jo hat er die Pflichten gegen feine Familie doch nicht vollftändiger 
erfüllt als ein Südſee-Inſulaner, der zehn Brotfruchtbäume gepflanzt und jonft nichts 
gethan hat“. Denn das, worauf es bier anfommt, ift nicht der möglichft leichte Erwerb 
der Nahrung, fondern die Wedung beftimmter Neigungen, Gewohnheiten und endlich 
Bebürfniffe im Menſchen ſelbſt. Ein nicht bis zum Erbrüden gehendes Maß von Not 
ift diefer Aufrüttelung und Wedung günftiger als der Überfluß. Man wird vielleicht als 
ganz bejonders günftig jene mit Scharf entgegengejegten Jahreszeiten ausgeftatteten Gegen: 
den betrachten dürfen, in denen die Natur in reichſtem Maße jchöpferifch in der einen 
auftritt, um in der andern tot, eritarrt, ſei es in Trodenheit oder Kälte, zu liegen. Und 
in ihnen find e8 wohl wieder die Steppen, welche die günftigften Bedingungen darbieten. 
Mit der Steppe tritt nun der Menſch allerdings nur gezwungen in Beziehung, da fie 
ihm jelten die Möglichkeit bietet, fich leicht von ihr zu nähren. Diefe Möglichkeit wird 
deshalb großenteild gar nicht ausgenugt von jenen Naturvöllern, welche entweder die 
Steppen vermeiden, wie in Norbamerifa, jolange ihnen Pferde zu ihrer rafhen Durch— 
eilung fehlen, oder nur gezwungen fie betreten, um bei der Verdrängung aus beijern 
MWohnfigen hier, wohin ihnen niemand folgt, ihr nadtes Leben zu retten. Einige Steppen- 
länder umfchließen aber eine nicht geringe Anzahl von Nahrungsgewädhien, indem die 
Natur in dem Beftreben, Nährftoffe und Feuchtigkeit für die Entwidelung der künftigen 
Keime aufzufparen, gerade das in Körnern, Knollen, Zwiebeln, Kürbiffen zc. angefammelt 
hat, was auch der Menſch am beiten brauchen kann. Dieſe Länder geben ihm dann das 
Beiſpiel der Anfammlung, der Aufipeicherung, und bieten ihm zugleich die dazu paſſendſten 
Gewächſe. Unſre Getreidearten bürften großenteild aus diejen Regionen ftammen. 
Wenn der Aderbau auf den nieberjten Stufen als Nahahmung der Natur erjcheint, 
fo ergeben fich bie erften Schritte in der Richtung auf Schonung und Unterftügung diefer 
gütigen, vieles darbietenden Mutter von felbit. Wenn überhaupt das Problem des Kultur: 
anfanges darin bejteht, daß der Menjch fich endlich ermanne, um aus eigner Kraft etwas 
zu dem zu thun, was die Natur für ihn leiftet, jo wird das Problem in einfachſter, an— 
fänglichfter Weiſe dort gelöft, wo der Menjch dieje Quellen feiner Ernährung gleichſam 
zu fallen ſucht. Das geſchieht ſchon bei vielen Völkern Auftraliens, welhe man auf der 
unteriten Stufe ber Kultur ftehend glaubt, durch ftrenge Verbote, bie mit eßbaren Früchten 
gejegneten Pflanzen auszuraufen oder die VBogelnefter zu vernichten, deren Eier man ſpäter 
ausheben wird. Man läßt die Natur wohl auch einfach für fich arbeiten, indem man 
nur darauf bedacht ift, fie nicht zu jtören. Wilde Bienenftöde werden oft jo regelmäßig 
entleert, ohne zerjtört zu werden, daß daraus eine primitive Bienenzucht entiteht. Chap- 
man jah im Ngamigebiete einen Bienenftod 40 Fuß hoch in einem Baobab, an welchem 
Pflöcke ftatt einer Leiter hinaufführten. Es waren alte Pflöde vorhanden, die diefer wil- 
den Zucht ein Alter von vielen Jahren zumiefen. So läßt der Menjch auch andre Tiere 
56 


Sehhaftigleit und Nomadismus. 


Vorräte anlegen, welde er ihnen dann wegnimmt, und dies führt ihn in andrer Richtung 
bi3 an die Grenze des Getreidebaues. Drege führt Arthratherum brevifolium, ein 
Gras des Namaqualandes, al3 ein förnertragendes auf, deifen Früchte die Bufhmänner 
gewilfen Ameifen abzujagen pflegen, welde große Vorräte davon anlegen. 

Hier Ihafft die Natur dem Menfchen einen Rüdhalt und lehrt ihn ſparſam fein. 
Auf der andern Seite nähert fie auf ähnliche Weife feine Inftinkte ber Seßhaftigkeit. 
Wo große Vorräte von Früchten ſich finden, laſſen fi in der Zeit der Ernte ganze Stämme 
nieder, die von allen Seiten fommen, und vertaufchen jo lange ihr nomadiſches Weſen 
mit der Anjäfligfeit, als die Nahrung dauert, die fi ihnen bier bietet. So ziehen noch 
heute die Sanbilleros in Merifo, die Melonenindianer, zur Zeit der Melonenreife in die 
Niederungen des Goatocoalco, um Monate hindurch von diejer Frucht zu leben, die dort 
in gewaltiger Menge auf den fandigen Ufern wählt. So verfammeln fich die Chippeway 
zur Zeit der Reife der Zizania, des Waflerreifes, um die Sümpfe, wo diejer gedeiht, und fo 
halten die Auftralier eine Art Erntefeft in der Nähe ihrer Eörnerfpendenden Marfiliaceen. 
Don zwei Seiten her ift auf dieje Weile Breſche gebrochen in die wilde Natur des Sohnes 
der Wildnis, Er wird vorforglih und wird anfäffig. Von hier bis zu der großen, epocdhe: 
machenden Erfindung, daß er den Samen ber Erde anvertraute, um der Natur gemifjer: 
maßen unter die Arme zu greifen, fie zu reichern Leiftungen anzuregen, mag es zeitlich 
jehr lang geweſen fein, aber unjern Gedanken erjcheint der Schritt nicht mehr groß. 

Die eriten Anfänge der Viehzucht, um dieje gleich heranzuziehen, zeigen wohl noch 
eine weitere Richtung, in welcher der Menſch dazu Fam, ein wichtiges Stüd Natur mit 
jeinen eignen Schidjalen zu verfnüpfen. Der umbherfchweifende Naturmenih, der Menſch— 
lihem zeitweilig ganz entrüdt ift, jucht in der Natur dasjenige heraus, was entweder ihm 
jelbit am ähnlichften oder was am mwenigjten geeignet jcheint, feine eigne Schwäche und 
Kleinheit ihm zur Empfindung zu bringen. Die Tierwelt nun, wenn aud durch eine tiefe 
Kluft getrennt vom Menfchen, wie er heute ift, umfchließt in ihren fanftern, bildfamern 
Gliedern diejenigen Naturerzeugniffe, welche er in der außermenſchlichen Natur fich jelbft 
am ähnlichſten findet, und mit denen er daher am liebiten fich gejellt. Bekannt ift die 
große Vorliebe, mit der ſüdamerikaniſche Raturvölfer, auch die Dajaken, Nilneger und andre, 
fih mit Tieren der verfchiedenften Art umgeben, welche fie zähmen. Pöppig nennt fie 
Meifter in der Kunft der Zähmung, hebt aber befonders hervor, daß fie diejelbe am liebſten 
Affen, Papageien und andern Spielgenoffen angedeihen laſſen. Mit ſolchen Tieren find ihre 
Hütten angefüllt. Wir hören Ähnliches von den Njam-Njam und Monbuttu. Überhaupt 
it anzunehmen, daß der mächtige Gejelligfeitstrieb des Menſchen beim erften folgenreichen 
Schritte zur Gewinnung von Haustieren mächtiger wirkte als die Rückſicht auf den Nutzen, 
der erit jpäter jich zeigen mochte. Man darf ja im allgemeinen behaupten, daß der Menſch, 
wo er auf der niederſten Stufe der Kultur jteht, immer erft das thut, was ihm gefällt, 
das Nütliche aber in der Regel nur aufnimmt, wenn eine Notwendigkeit ihn dazu drängt. 
Und jo ſehen wir denn in der That ſowohl bei den niedrigititehenden Völkern der heutigen 
Menichheit als aud in den Kulturrejten einer vor der Einführung der Haustiere und 
Kulturpflanzen nad) Europa gelegenen Periode den Hund als einzigen dauernden Gefährten 
des Menſchen. Und gerade auf diejer Kulturftufe ijt der Nugen des Hundes ein geringer, 
wo er nicht, wie im hohen Norden, al3 Zugtier benugt wird. Überhaupt ift e3 ſchwer, 
aus dem Zwede, dem inmitten unjrer hoch entwidelten Kultur ein Tier dient, einen fichern 
Schluß zu machen auf denjenigen, zu welchem es zuerft der Menſch an fich feffelte. Man 
fann ſich denken, daß das Pferd und das Kamel nicht von Anfang an wegen ihrer Schnellig: 
feit, fondern vielmehr, um die Mil ihrer Stuten zu erhalten, gezähmt wurden, und daß 
erit jpäter jener Zwed alle andern überwog. Eine gewiſſe Tierfreundjchaft verbindet auch 

67 


Aderbau und Viehzucht. 


auf höhern Stufen der Kultur noch immer den Hirten mit den Gliedern feiner Herbe, 
die feinem Herzen fait näher ftehen als die Glieder feiner Familie. Die Viehzucht wird 
daher leidenfchaftliher betrieben als der Aderbau, iſt häufiger Sadhe der Männer und 
beeinflußt in viel tiefer greifender Weiſe alle privaten und öffentlichen Verhältniffe. Nies 
mal3 werden irgendwo in Afrika die Früchte des Feldes in ſolchem Maße wie die geliebten 
Rinder Grundlage des Lebens, Quelle der Freuden, Maß des Befiges, Mittel zum Erwerbe 
aller andern wünfchenswerten Dinge, vor allen der Weiber, und endlich jogar Geld 
(pecunia). Ja, wir finden manche Fälle, in welden die Ausnugung eines ſolchen Tieres 
den Menjchen jelbft immer mehr und mehr in eine beftimmte Richtung big zur Einfeitig- 
feit weiterführte, um zulegt in geradezu gefährlihem Übermaße feine Eriftenz mit der feines 
liebften Haustieres zu verſchwiſtern. Auch bei vorgejchrittener Kultur leiden diefe Vieh: 
zuchtvölfer immer an dem, was man eine ſchmale Bafis nennen könnte. Jeder thut das, 
was alle thun, und wenn nun diefes Thun geftört oder die Grundlage desjelben jogar zer: 
ftört wird, gerät das ganze Volk ins Schwanfen und nicht felten ins Fallen. Die Bafuto 
find alles in allem der befte Zweig des großen Betſchuanenſtammes, aber es brauchte nur 
des Raubes ihrer Rinder, um fie ohnmädtig zu machen. So find die ähnlich einjeitigen 
Dinka hauptſächlich dadurch zum Falle gebracht worden, daß die Nubier fie ihrer Herden be- 
raubten. Dadurch, daß die Herden die Gier der Nachbarn reizen, führen fie Kriege herbei, 
welde ganze Völker, wie die Makalaka, verwüfteten, zertrümmerten und andre am untern 
Zambeſi nötigten, ftatt der Ninder Hunde zu züchten und zu efjen, welde den Neid ber 
räuberifchen Matabele nicht erregten. 

Aber den tiefiten Einfluß übt die Viehzucht Dadurch auf die ihr ſich widmenden Völker, 
daß fie diefelben unftet macht. Der Nomadismus ift faft notwendige Folge und Begleitung 
der überwiegenden Viehzucht. Nomaden- und Hirtenleben find daher faft gleichbedeutend 
und mit Necht. Sit doch felbit noch unfre Alpenwirtichaft mit ihrem Wechjel der Thal: und 
Bergweide ein Stüd Nomadentum. Mehr als gut und notwendig, wird das unftete, nad) 
weiten Näumen verlangende Hirtenleben auf die Epite getrieben, weil es ohnehin unfteten 
Neigungen primitiver Völker zufagt. Die Wüfte wird dem fruchtbaren Lande vorgezogen, 
wenn fie mehr Raum bietet als dieſes. Frucdhtbare Duelloafen des Namaqualandes, doppelt 
foftbar in folder Umgebung, liegen einfam, werden von den Bewohnern des Landes gemie- 
den, welche ihnen die Dürre Steppe vorziehen. Die rheiniſchen Miffionare haben es fich ge: 
radezu zur Aufgabe machen müffen, einige Stämme der Namaqua an diejen Quellen in 
ihrem eigenften Intereſſe anzufiebeln; dieſe jelber würden die Wüſte vorgezogen haben. Wie 
wenig den Nomaden an einer tiefer gehenden Ausnugung der Naturſchätze liegt, lehrt die 
Thatſache, daß fie in der Regel feine Wintervorräte einfammeln. In der Umgebung von 
Gobabis am Nufopfluffe fand Chapman das Gras meterhoch und jo dicht, daß Heumachen 
hier eine leichte und ausgiebige Sadhe wäre, während die Namaqua das Gras in der Regel 
ungenugt abbrennen laffen. Durch ſolche Gleichgültigkeit wird aber der Gegenjaß zwifchen 
Nomadismus und Aderbau immer ftärfer und nimmt den Charakter eines großen Kultur: 
gegenjaßes an, der von tiefgehenden geihichtlihen Folgen fein fann. Prſchewalskij hat in 
jeinem erften Reijewerfe dieſe jo ſcharfe Natur: und Kulturgrenze zwiſchen Steppe und 
Anbauland, zwiichen „der falten und wüften Hochebene und der warmen, fruchtbaren, reich: 
bewäflerten und von Gebirgen durchſchnittenen chineſiſchen Ebene” als eine ungemein ſcharf 
ausgeprägte geſchildert. Er ftimmt mit Ritter überein, daß diefe Lage das hiftorifche 
Geſchick der Völker entſchied, welche die beiden hart aneinander grenzenden Gegenden be— 
wohnen. Es ift von Intereſſe, die Worte zu wiederholen, die er bei feinem Eintritte in das 
Ordosland, jenes geſchichtlich ſo wichtige Steppengebiet in der obern Schlinge des Hoangho, 
über die Völker jener Regionen ausſpricht: „Einander unähnlich, ſowohl der Lebensweile 

58 


Stufen des Aderbaued. Aderbaumerkzeuge, 


als dem Charakter nad, waren fie von der Natur bejtimmt, einander fremd zu bleiben und 
fich gegenfeitig zu haſſen. Wie für den Chinefen ein ruhelojes Leben voller Entbehrungen, 
ein Nomadenleben, unbegreiflicd und verädtlid war, jo mußte auch der Nomade feinerfeits 
verächtlich auf das Leben voller Sorgen und Mühen des benadhbarten Aderbauers bliden 
und jeine wilde Freiheit ald das höchſte Glüd auf Erden ſchätzen. Dies ift aud) die eigent- 
lihe Quelle des Kontraftes im Charakter beider Völker: der arbeitfame Chineſe, welcher feit 
unvorbenflihen Zeiten eine vergleihsmweije hohe, wenn aud) eigenartige Zivilifation er- 
reicht hatte, floh immer den Krieg und hielt ihn für das größte Übel, wogegen der rührige, 
wilde und gegen phyſiſche Einflüffe abgehärtete Bewohner der falten Wüſte der Mongolei 
immer bereit zu Angriffen und Raubzügen war. Beim Mißlingen verlor er nur wenig, 
aber im Falle eines Erfolges gewann er Reichtümer, welche durch die Arbeit vieler Geſchlechter 
angejammelt waren.” Und wie tiefe Spuren diejer Gegenjtand läßt, hat uns jüngft Kapitän 
W. J. Gill gezeigt, welcher 1877 die Dftgrenze von China bereifte und auf den tiefgreifen- 
den Unterjchied aufmerkſam macht, der noch immer jo mande Sitten und Gebräuche der 
erit in jüngerer Zeit jeßhaft gewor— 
denen Tibetaner, Mante und andrer 
von denen der altanjäjfigen Chinefen 
trennt. In dem Leben jener ift immer 
eine Spur und mandmal mehr als 
eine Spur vom Nomadenleben vorhan— 
den, während unter den Chinejen alles 
die hohe Entwidelung ihrer alten Kul- 
tur bezeugt, welche Wurzel im Boden 
gefaßt hat. In jeder Stadt und fait 
in jedem Dorfe Chinas, jagt Gill, fin: 
det man Gajthäufer, Zeugniffe eines 
Volkes, das gewohnt ift, in Häufern - 
zu leben und auf der Reije ein Dad Eine eiferne Hade aus Kordofan, deren Alinge aud als 
über fi zu wifjen. Selbit die armen Münze benugt wird (Christy Collection, London). ?, wirfl. Größe. 
Kulis, jo ſchlecht fie bezahlt fein mögen, Dal. Text, Einleitung, ©. 61. 

fchlafen nie unter offenem Himmel, jondern verwenden ein Teilen ihres Fleinen Zohnes für 
Bezahlung der Unterkunft. Bei den Tibetanern, Mange und andern Stämmen Weſtchinas, 
welche von den Ehinejen ald Barbaren bezeichnet werden, ift dies nicht der Fall. Ein Tibe- 
taner jucht feine Ruheſtätte jehr oft auf dem flachen Dache jeines Hauſes, und auf der Reife 
ſchläft er köftlich mit halb abgelegten Kleidern und bloßen Schultern im Schnee. In China 
ift fein Haus volljtändig ohne Tiſch, Stühle und Bettftellen, wie roh und plump fie auch oft 
fein mögen; in Tibet find diefe dem jeßhaften Leben unentbehrlihen Möbel nicht befannt. 
Der Vorliebe der Mongolen und Tibetaner für Fleifchkoft fteht die vorwiegende Pflanzenkoſt 
der Chineſen als die Nahrung des Aderbauers gegenüber. Die Leidenjchaft des Mongolen 
für ein Fettſchwanzſchaf ift ſprichwörtlich, den chineſiſchen Aderbauern aber widerjtrebt die 
Schlachtung eines Ochſen, nicht weil es ihrem Gejchmade entgegen iſt, ſondern weil fie es für 
undanfbar halten, einem Tiere das Leben zu nehmen, welches den Pflug zieht. In der 
That find die Fleifher in den großen Städten vorwiegend Tataren. Den Chineſen find 
Milch und Butter nahezu unbefannt, während Tibet als das Land bezeichnet werden kann, 
wo Mil und Butter fließen. Die Menge Butter, welche die Tibetaner in ihrem Thee 
und ihrer Hafergrüge (tsanba) verzehren, ift geradezu erftaunlih. Sie trinken außerdem 
Milh und jauren Rahm und eſſen Käfe. Im Vergleiche mit diefer rein animalifchen und 
zugleich einförmigen Koft ift die mehr vegetabilifche des Chinefen gleichzeitig ſehr mannigfaltig. 

59 





Aderbau und Viehzucht. 


Dies ift nun ber Gegenfaß des ausgeprägteiten Wandervolkes zum jeßhafteiten Ader- 
bauer, ein Gegenſatz, deffen gejchichtliche Folgen wir auf Schritt und Tritt in den folgen: 
den völferjchildernden Kapiteln begegnen werden. Allein wir dürfen nicht vergeflen, daß 
diefer Grad febentären Lebens bei einem alten Rulturvolfe gefunden wird. Anders ift es 
bei den Naturvölfern. Bei Betrachtung der Zuftände aderbauender Naturvölfer wird man 
oft jogar geneigt, geringeres Gewicht auf die jonft ethnographiſch jo wichtig gehaltene 
Unterſcheidung nomadifcher und jeßhafter Völker zu legen, denn was will fedentäre Lebens— 
weife viel bedeuten, wenn ihr großer Kulturvorteil, die Stetig- 
keit, die Sicherheit des Lebens und womöglich des Fortichrittes, 
ausfält? Thatſächlich find ja felbit die beiten Aderbauer unter 
den afrikaniſchen Völkern von erftaunlicer Beweglichkeit, und 
die meiften Dörfer wie auch kleinere Völfer dürften in der Regel 
nicht länger als ein Menſchenalter an einer und berfelben Stelle 
bleiben. Da wird der Unterjchieb zwiſchen Hirten= und Ader: 
bauerleben viel Heiner. Der afrifanijche Neger ift der vortreff: 
lichfte Aderbauer unter allen Naturvölfern, vielleicht mit Aus- 
nahme malayifcher Stämme, wie der Batta. Er kämpft gegen 
eine überwuchernde Natur, fällt Bäume und verbrennt das 
Didiht, um Raum für Aderland zu gewinnen. Unter dem Ein- 
drucke ſolcher Thätigfeit jchrieb Livingftone in Kaſeh (Unjam: 
jembe) in fein Tagebud: „Zufammenhängende Bemwaldung ijt 
das Zeichen eines jungfräulichen Landes. Die Zivilijation der 
Menſchen fegt der Ausbreitung der Wälder Schranken.” Die 
Afrikaner bauen urfprünglid; drei eigne Getreidearten (Sorghum, 
Penicillaria, Eleusine), dazu find noch Reis, Weizen und Mais 
in großer Ausdehnung gefommen. Sie bauen die verfchiedeniten 
Knollen: und Wurzelgewächſe, Bananen, Zuderrohr, Baumwolle, 
Gewürze, Tabak. Man findet um eine Hütte bei den Bongo 
oder Musgu mehr verichiebene Kulturgewächſe ald auf den Fel- 
dern und in ben Gärten eines deutjchen Dorfes. Auch bauen 
die Afrifaner mehr, als fie brauden, und bewahren den Reft 
in eignen Kornkammern über oder unter der Erde, und dieſer 
ee Gebrauch ift in einer ober ber andern Form in ganz Afrita zu 
infeln (Britifhes Mufeum, London). finden und zeigt, wie hoch der Aderbau entwidelt ift. 
u Und doch wie wenig weiß der Naturmenſch mit all diefem 

. i Können Dauerndes zu Schaffen! Auch die thätigften Aderbauer 
unter ihnen entbehren der Sicherung gegen erfte Wechfelfälle, welche das Ziel vorfichtiger 
Wirtſchaft nad) Befriedigung von des Leibes Nahrung und Notdurft ift. Unberehenbare 
Elementarereigniffe, vor allen Dürre oder ihr Gegenteil, verſchonen auch die parabiefifchen 
Tropenländer nit, und dazu kommt die Häufigfeit von Raub und Krieg, jo daß Hungers: 
nöte felbft in den fruchtbarften Gegenden eine nicht felten wiederkehrende Geißel der Bevöl: 
ferung bilden, Sie allein ſchon find im ftande, diefe Völfer nicht über eine gewiſſe Linie 
hinauskommen zu laffen, diesjeit welcher eine Entwidelung zu höherer Kultur niemals möglich 
iſt. Alles Gute der guten Jahre zertritt ein Hungerjahr mit feinen bis zum Kannibalismus 
und zum Rinderverfaufe gehenden Folgen. Das Klima erfehwert in den Tropen die Anfamm: 
lung der Vorräte, ſelbſt wo es feineswegs exzeſſiv auftritt. Auch die Verwüftungen des Korn— 
wurmes laffen in Afrifa das Getreide der Eingebornen, die Hirfe, ſchwer fo lange erhal: 
ten, bis die nächite Ernte heranfommt. Wieviel fie auch bauen, und wie reichlich die Ernte 

80 





Aderbaumerkzeuge. 


ausfallen möge, alles muß in einem einzigen Jahre aufgezehrt werben. Dies ijt ein Grund, 
warum bie Neger jo große Duantitäten von Bier brauen. Unzweifelhaft liegt hier aber, jo: 
viel auch das Klima mit ſchuld fein mag, eine der Unvolllommenheiten vor, mit welchen ber 
Aderbau notwendig unter einem Volke behaftet fein wird, in deſſen Sitten die faum ent: 
widelte Vorficht und Ausdauer nicht mit einem ftarken Faden notwendigen Zuſammenhanges 
die einzelnen Thätigkeiten und die Thätigkeit der einzelnen Tage aneinander zu reihen ver: 
mag. Und die menſchlichen Feinde, die allen Befig ausgleihenden „Naturfommuniften“, 
fommen auch hier in den Vordergrund und forgen dafür, daß das ftetige Gebeihen bes 
Aderbaues feine allzu große Kluft zwiſchen den Aderbauern und den Nomaden jchaffe. 

Am meiften ift aber endlih aud hier als Hemmungsfaltor die eigne Trägheit des 
Menſchen wirkſam. Nicht nur, daß der Mann überhaupt in vielen Fällen fich nicht dem 
Aderbaue widmet, fondern legterer ift jchon durch die Unvollfommenheit ber Werf: 
zeuge auf niederer Stufe feitgehalten. Die Weiber und Kinder mit ihren unpraftijchen 
Haden (j. Abbildungen, Einleitung, S. 59 und 60), welche bei eifenlojen Völkern zu Grab: 
ſtöcken zuſammenſchrumpfen, rigen den Boden nur oberflählich auf. Der Pflug ift nirgends 
bei eigentlihen Naturvölfern üblich geweien, geichweige denn die Egge, ebenjowenig die 
Düngung, mit Ausnahme derjenigen mit ber Aſche des verbrannten Geftrüppes. Häufiger 
begegnet man der Fünftlihen Bewäſſerung. 

Wie in den Tropen durch feindliche Naturgewalten, fo ift im gemäßigten Klima der 
Aderbau dadurch eingejchränkt, daß der Boden minder ergiebig und das Klima weniger 
günftig ift. Der Aderbau wird dafelbft nicht in der Ausdehnung betrieben wie unter den 
Tropen, fondern bildet mehr einen nur nebenfädlichen Zweig der Wirtichaft, fällt meiſt 
ganz den Frauen anheim und forgt gewöhnlich nur für die äußerjte Notdurft. Im Ge: 
genjage zu der raſchen Verbreitung, welche bei den Afrifanern neueingeführte Kultur: 
pflanzen fanden, iſt es jehr bezeichnend, daß die Neufeeländer, trogdem fie von Anfang 
an große Liebhaber der Kartoffeln waren, die Kapitän Furneaur vom Kap der Guten 
Hoffnung nad) ihrer Inſel gebracht hatte, freiwillig doc) feine einzige davon anpflanzten, 
jondern im Gegenteile faft das ganze Feld ausrodeten, wo Furneaux fie zu ihrem Beſten 
angebaut hatte. So find vor allem auch die meiſten Nordamerifaner ſchwache Aderbauer ge: 
wejen. Allein auf allen Stufen find bei längerer Dauer höhere Entwidelungen aus ihm 
wie aus ber Viehzucht möglich. Doc; jegt das Nomadentum denjelben früher eine Grenze. 
Im Rahmen des Aderbaues find unter allen Umftänden die Kapitalanfammlung und die 
Entwidelung der Induftrie und des Handels leichter möglich al8 in dem des Nomaden: 
tumes. Wichtig ift daneben, daß mit beiden die Anläffe zu reicherer Gliederung der 
Stände gegeben find. 


Kleidung und Schmuck. 


Inhalt: Böllige Unbeffeivetheit als Sitte Fommt nirgends vor, — Launenhaftigfeit in Bekleidung und 
Richtbefleidung. — Beffere Belleidung iſt kein abfolutes Kulturmerkmal. — Die Mode. — Hervorgehen 
der Kleidung aus Schmud. — Natürliche Kleidungsftoffe. — Das Klima übt wenig Einfluß auf die Klei— 
dung. — Beifpiel der Feuerländer. — Eskimo. — Allgemeinheit des Schmudes. — Ähnlichkeit der Schmud: 
motive, — Schmud und Waffen. — Berftümmelungen. — Verſchiedenheit bed Schmudes nad) den Ge- 
ſchlechtern. — Material des Schmudes, — Der Schmud und der Handel, — Edle Metalle. — Glas: 
perlen. — Reinlichkeit. 


Man jpridt davon, daß es Völker gebe, denen die Bekleidung unbekannt jei, aber 
die Beobachtung beftätigt nicht dieſe dergeftalt viel zu allgemein aufgeitellte Behauptung. 


Wer unter einen Stamm von „Wilden“ tritt und fieht Männer und Weiber fi nadt 
61 


Kleidung und Shmud. 


durdeinander bewegen, der wird doch bei näherm Zufehen Kleidungsftüde, wenn auch kärg— 
liche, in der oder jener Hütte treffen. So ift es bei den Bari des obern Nil, deren Nadt- 
heit bei den Nubiern ſprichwörtlich, jo bei den nadten Völkern des tropifchen Südamerika. 
Man wird aber vor allem die zeitweilig fehlende Kleidung durch anderweitige Attribute 
erjegt finden. Beibedıeh oft wird der Körper gejalbt oder mit Farbe beſchmiert oder durch 
Tättomwierung verziert 
fein, und mandmal 
mit täufchender Wir: 
fung. Ein tättowier: 
ter Markeſas-Inſula— 
ner macht den Eindrud, 
in einen Trifot gehüllt 
zu jein, weldher mit den 
feinften Ornamenten 
durchwoben ift. Dazu 
fommt die bunfle, matt 
glänzende Haut der 
farbigen Menſchen, von 
der man mit Recht ge- 
jagt hat, daß allein 
ihre Farbe und ihr Ton 
genügen, die Nadtheit 
erträgliher, minder 
hervortretend erjchei- 
nen zu laffen. Die 
Zwede der Kleidung 
Icheinen einmal in dem 
Schutze, dann in ber 
ſchamhaften Bededung 
und drittens in ber 
Ermwedung eines Ein: 
drudes gefälliger Man: 
nigfaltigfeit zu liegen. 
Beide kombinieren ſich 
zu der Gejamtheit dej- 
fen, was wir Tradt 
nennen, und dabei zeigt 
fich, wie in allem Thun 
s\ der Naturvölfer, auch 
Ein Weib der Njam:Njam (nad eigner ——— von Richard Budta). bier die Hintanfegung 
Bgl. Test, Einleitung, ©. 63. des Notwendigen im 
Vergleihe zum Angenehmen. Schmudjachen fehlen nie, während die Schambededung bei 
jüngern Kindern in der Regel, bei den Erwachſenen mandmal ausfällt. 

In diefem Ausfallen ift indefjen fein Zeichen allgemein niedrigen Kulturftandes, fondern 
einfah nur eine Nachläfjigkeit zu erkennen. Wollte man daraus auf den Mangel des 
Schamgefühles ſchließen, jo würde dies ebenfowenig berechtigt fein, wie wenn man einen 
ähnlichen Schluß aus gelegentlihen VBerlegungen des Schamgefühles auf die Kultur unfrer 
Bevölferungen ziehen wollte. Einzelnen Fällen mangelnder Schambedeckung ftehen viele 

62 





Schamgefühl und Gefallfucht. 


entgegen, in welchen gerade dieſe mit der größten Sorgfalt feftgehalten wird, und fie tritt 
jelbft bei fonft nicht hoch ftehenden Völkern, wie z.B. den Hottentotten, jogar in doppelter 
Form, als innere und äußere Schürze, auf. Die Vollftändigfeit der Kleidung fteht in feinem 
Verhältniffe zur Höhe der Kulturftufe. Die mit peinlicher Sorafalt in ihr Rindenzeug fid) 
büllende Waganda- oder Wanyorofrau fteht im allgemeinen nicht höher als die Njam-Njam— 
Negerin, welche ihre Blöße fümmerlich mit einem Pflanzenblatte bededt (ſ. Abbildung, ©. 62). 
Und jene, welche die Entblößung in der Öffentlichkeit als todeswürdiges Verbrechen auf: 
faffen, ſtehen keineswegs höher als die Dualla, welche bei der Arbeit am Meere alle Hüllen 
abmwerfen. Endlid finden wir nirgends in dieſer Beziehung ftarke nationale Unterfchiebe. 
Indem wir dies alles erwägen, dürfen wir jagen: das Schamgefühl ift allgemein in 
der heutigen Menſchheit; wo es aber zu fehlen jcheint, ift fein Mangel ein zufälliger 
oder vorübergehender Zuftand. 

Aber diejes Gefühl ift nicht das erjte, welches der einfache Menſch zu befriedigen ftrebt, 
wenn er jeinen Körper Heidet. In erfter Linie fteht die Befriedigung der Gefallfudt. 
Das eritere wird als Gebot der Sitte, als unangenehme Notwendigkeit möglichſt raſch ab: 
gemadt, die andre wird mit dem größten Aufwande an Mühe und Koften zu erreichen ge 
jucht, und von vielen Völkern kann man jagen, ohne der Übertreibung beſchuldigt zu werden, 
daß der größte Teil ihrer Gedanken und ihrer Arbeit auf die Verzierung ihres Körpers aus: 
geht. Diefe Völker find in ihren Kreifen größere Modenarren, als es die in der Kultur 
hödhitftehenden find. Die Kaufleute, welche mit diefen einfahen Menſchen Handel treiben, 
wiſſen, wie ungemein rafch die Moden bei denjelben wechjeln. Und endlich, welche Laften 
legen die Naturmenjchen fih auf, um das Höchſte in ihrem Kreife an Schmud zu leiften! 

Offenbar würde es alſo ungerecht fein, wenn man die Mangelhaftigfeit oder das 
Fehlen der Kleidung ohne Rückſicht auf die übrigen Attribute beurteilen wollte, welche bie 
Katurvölfer ihrem Körper zufügen. Faßt man fie alle zufammen, fo gewinnt man aud) 
hier den Eindrud des Vorherrſchens des Spieltriebes, der fich in der Weile äußert, 
daß das Notwendige hinter dem zurüdtritt, was wir Lurus nennen müffen, wie jehr das: 
jelbe uns auch ärmlich, ja fait bedauernerregend erjcheinen mag. Der ärmfte Bufchmann 
macht fi ein Armband aus einem Streifen Fell, das er nie vergißt anzuziehen; es kann 
aber wohl vorkommen, daß derjelbe gelegentlich fein Schurzfell umzuthun überfieht, oder 
daß er basjelbe in einem jo durchlöcherten Zuftande anzieht, daß der Zwed der Scham: 
bededung völlig vereitelt wird. Im Vergleiche zu dem wenigen, was er befigt, treibt der 
fulturarme Menſch viel mehr Lurus als der höchititehende Kulturträger. So ſehr tritt der 
Schmud in ben Vordergrund, daß einige Völkerforjcher jogar alle Bekleidung aus Schmud 
entjpringen ließen, indem fie e8 al3 unmöglich bezeichneten, zwilchen beiden eine Grenz: 
linie zu ziehen. Alle Kleidung jcheint ihnen aus Abmwandlungen des Schmudes hervor: 
gegangen zu jein, und fie meinen, die Ehambaftigfeit habe in der frühften Entwidelung 
der Belleidung gar feine Rolle geipielt. Mojeley jagt: „Der Humboldtbaibewohner mit 
Schmudjahen aller Art von funftvoller Arbeit an Leib, Beinen und Armen läßt ganz ge 
wöhnlich feine Geſchlechtsorgane vollftändig unbededt. Der viel tiefer ftehende Kap York— 
Auftralier hat gar nichts an fi, weder Kleidung noch Schmuck, mit Ausnahme der Narben 
und gelegentliher Bemalung. Selbit in zivilifiertern Ländern jcheint die Kleidung jehr oft 
mehr unter dem Gefichtspunfte des Schmudes oder der Schauftellung betrachtet zu werden 
als unter dem der Bededung gegen Kälte oder der Shambaftigfeit. So fieht man auf den 
Philippinen unter Tagalen und Vifayern nichts gewöhnlicher als Kinder beiden Gefchlechtes 
mit bunten Hembchen, welde nicht über den Nabel hinausreihen!” Wir fließen uns 
diefer Verallgemeinerung nicht an, da wir feine Möglichkeit jehen, die Priorität eines der 
beiden hier in Frage fommenden Gefühle, des Schamgefühles oder der Luft zum Schmude, 

63 


Kleidung und Shmud. 


zweifellos feftzuftellen. Sicher ergibt fich aus den Thatjachen das Übergewicht der legtern 
über das erftere, aber daraus folgt nicht auch das höhere Alter derjelben. 

Sollte übrigens dieſe Frage ernfthaft aufgeworfen werden, jo würden auch noch andre 
Punkte zur Erwägung fommen, die wir hier nur erwähnen wollen. Die Schambaftigfeit 
nimmt vor allem beim Weibe etwas von Kofetterie in fich auf, wofür wir angefichtS der 





— Io 
Gin Dorfhäuptling von Loango mit Frau (nach Photographie von Dr. Fallenſtein). 


Delolletierung der Ballkleidver nicht weit nad) Beijpielen zu ſuchen brauchen. Unmerklich 
verliert dadurch felbft die Schamhülle ihren Charakter des Notwendigen, um durch Ber: 
franjung, Behängung mit Flingenden und Elirrenden Schellen, Ketten ꝛc. fih dem Schmude 
zu nähern. Und hierher wäre wohl au, wenigftens zum Teile, die Sitte zu rechnen, den 
Penis in einer Muſchel oder ſonſt einer Hülle zu tragen, welche diefen Teil weniger verbirgt, 
als fihtbar macht. Und endlich ift der Aberglaube nicht zu vergejfen, der, wie für jo viele 


minder wichtige Dinge, auch für diefe Teile des Körpers von einem böſen Blide fürchten mag. 
64 


Die Rolle der Gefallſucht in der Belleidung. 


Die Art und Bollftändigfeit der Kleidung hängt natürlich in großem Maße von dem 
ab, was Natur oder eigne Arbeit an Stoffen zu derfelben darbietet. Nicht alle Länder 
der Erde find in dieſer Hinſicht jo mohlthätig ausgeitattet wie das tropifche Brafilien, 
wo ber „Hembenbaun“, eine Lecythis-Art, eine jo ſchmiegſame und leicht abzuziehende 
Rinde befigt, daß die Indianer einfach den Stamm in 4—5 Fuß lange Stüde teilen, 
deren Rinde ganz abziehen, einweichen und weich Hopfen, worauf die zwei Löcher für die 
Arme eingejhnitten werben und das Hemd fertig ift. Diefelben Wälder bieten in einer 
Palme eine noch leichter zu gewinnende bequeme Müte, zu welcher die Blattjcheide einfach, 
wie fie ift, ohne jede weitere Präparation Verwendung findet. Das paradiefische Feigen: 
blatt findet fi in taufenderlei Variationen wieder und feiert feine Auferftehung in ver- 
‚vielfältiger Erfheinung fogar in dem Schilfmantel der Japaner. 

Die Verwendung der Rinde als Kleidungsitoff it oder war von Polynefien big 
zum Kongo verbreitet und findet fich dann jelbit in Amerika wieder, jo daß diefer Gebrauch 
alfo in allen Ländern der Tropenzone wiederfehrt. In Indien ſchreibt Manus Gejeg dem 





E — — — * 
— — — 


Eine Sandale aus Unyoro (nah Baker). Bol. Text, Einleitung, ©. 67. 


Brahmanen, der das Ende jeines Lebens in religiöjer Betradhtung inmitten des Urwaldes 
erwarten will, Kleid aus Rinde oder Fellen vor. Wahrfcheinlich wurde hier wie in Afrika die 
Rinde einer Ficus-Art zum Rindenkleide benugt. In Polynefien aber wurde die Heritellung 
eines biegjamen Stoffes aus der Rinde des Papiermaulbeerbaumes zur höchſten Vollendung 
gebradt (vgl. Einleitung, S. 45). Wunderbar ift e3, wie bei befondern Gelegenheiten folche 
Völker, die dieſer Stoffe fich nicht mehr bedienen, diefelben hervorſuchen. So werfen bie 
Kayan von Borneo ihre Baumwollſarongs ab, wenn fie trauern, um fid) in das früher ge: 
bräuchliche Rindenkleid zu hüllen, und fo entkleiden fich alljährlich bei einem Fefte in Madras 
die Leute niederer Kafte, um ſich mit belaubten Zweigen zu umgürten. Auch an der weitafri: 
kaniſchen Küſte werden bei gewiſſen Seitlichkeiten, die mit dem dortigen Fetifchdienfte zuſam— 
menbängen, ftatt ber eingeführten Kleider nur Felle getragen. Es ift, als ob diefe Menſchen 
das richtige Gefühl hätten, daf diefen jelbfterfundenen, unmittelbar der Natur entlehnten 
Gewändern ein höherer Wert, etwas Edleres innewohne als dem Abfalle europäischen Trödel: 
frames, durch defjen Eindringen eine gewiſſe Willfür und mit ihr eine Erniedrigung in die 
Kleidung diejer Naturvölfer gekommen ift, indem diefelben mit Begierde jeden europäiſchen 
Fegen annahmen und anzogen, deſſen fie habhaft werden Fonnten, daher die Häuptlinge 
mit Weiberröden, Schlafröden, Offiziersuniformen, Schellengürteln ꝛc. prangen. 

Wie wenig die große Lehrmeijterin Not den Naturvölfern jenen Ernft einprägen kann, 
der die Gebote härterer Umſtände ſich Mar macht und denjelben gemäß handelt, zeigt am 
beiten der Vergleich der in rauhem Klima Lebenden mit den Bewohnern milderer Himmels: 
ftriche. So find 3. B. urfprünglic die Südauftralier und Tasmanier faum mehr befleidet 

Bölterfunde. I. 65 V 


Kleidung und Schmud. 


geweien als die Papua. Die Armlichkeit der Kleidung, die bei dem Tierreichtume des Landes 
zu vermeiden war, iſt nur auf Trägheit zurüdzuführen. Die äußerlich bejtausgeftatteten 
Feuerländer, die der Dftküfte, tragen Guanafomäntel glei den Patagoniern, und die der 
Meftküfte haben wenigftens Robbenfelle. Aber bei den Stämmen in der Nachbarſchaft der 
Wollaftoninfel bildet ein oft kaum tajchentuchgroßes Fell von Ottern oder jonjtigen Heinen 
Tieren den einzigen Schuß gegen das hier nicht minder raube Klima. Duer über der Bruft 
durch Schnüre feitgehalten, wird es, je nachdem der Wind bläft, von einer Seite auf die andre 
geſchoben. Aber viele entbehren jelbjt diejes minimalen Schutzes. Darwin jah hier in ihren 
Kähnen Feuerländer, die gänzlich) nadt waren, darunter eine erwachjene Frau. „Es regnete 
ftart”, jo bejchreibt er die Szene, „und das Süßwaſſer zufammen mit dem Spritzwaſſer der 





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Kleider der Nino, aus Pelz und Bogelbalg gefertigt (Sammlung des Herrn v. Siebold in Wien). 


Ruder riejelte an ihrem Körper hinab.” An einem andern Yandungsplage diejer Gegend ſah 
er eines Tages eine Frau, welche ein vor furzem gebornes Kind ftillte, wie fie bloß aus Neu: 
gier an die Seite des Schiffes fam, während die Schloßen herabfielen und auf ihrer nadten 
Bruft und auf der Haut ihres nadten Säuglinges tauten. Und doch jcheint ihre Haut, die 
gegen Kälte und Näfje jo gefeftet ift, jehr empfindlich gegen die Einwirkungen der Wärme 
zu fein. Man hat oft die Erzählung Darwins citiert, wie eine Gruppe Feuerländer, mit 
welchen er im Beaglefanale zufammentraf, mit ihm und feinen Gefährten ums Feuer jaß, 
und wie es ben warm befleideten Weißen nahe beim Feuer Feineswegs zu warm war, 
während jene, die weiter davon faßen und halbnadt waren, bald von Schweiß übergofjen 
wurden. Auch hier ift eine Notwendigkeit, fi) die Entbehrung warmer Kleidung aufzulegen, 
nicht gegeben. Man denke an die aus den dünnen Eingemweidehäuten der Seetiere gefertigten 
Negenkleider der Alduten, deren Robjtoff den Feuerländern ebenjo zugänglid war. 

Nur die Hyperboreer find, findig und finnreid wie immer, auch hierin den Forderungen 
ihrer Umgebungen, ihres Klimas befjer nachgekommen, und ihre Pelz: und Vogelbalgkleider 
gehören jedenfall® zu den finnreichjten und zwecdmäßigiten Erfindungen auf diefem Gebiete 
(j. obenftehende Abbildung). Man darf wohl jagen, daß fie die einzigen Naturvölfer der 
gemäßigten oder Falten Zone find, welche ihre Kleidung vollitändig zweckmäßig geftaltet haben. 
Ihre Ausläufer im nördlichen Stillen Ozeane (Bewohner von König Wilhelms: Sund und 
andre) erfennt man daher auch in ihrer Kleidung als echte Hyperboreer. Die Kleidung der 

66 


Kleider und Kleidungsſtoffe. Schmud. 


Eskimo, welche den Körper ganz einhüllt, ſchränkt felbftverftändlidy auch den Gebrauch der 
Ornamente in hohem Grabe ein, jo daß wir Arm= oder Beinringe niemals, Halsfetten aus 
Tierzähnen oder europäifhen Perlen jelten finden, wogegen manjchettenfnopfartige Knöpfe 
aus Stein oder Knochen, im letztern Materiale mit fonzentrifchen Kreifen verziert, in den 
Lippen nicht felten find. Ähnliche Gegenftände werden auch in den Ohren getragen. Zahlreiche 
Tier: und Menfhenfigürchen dienen als Amulette und als Anhängfel für Waffen und Geräte. 

Fußbefleidung ift auf Märfchen allgemein, meiftens aus Fellen, jeltener aus Holz oder 
Baft hergeftellt. Merfwürdigermeife geht die übliche Befeftigungsmeife der Sandalen durch die 
ganze Welt (j. Abbildung, Einleitung, ©. 65). 

Wir haben von ber Allgemeinheit des Shmudes bei 
den Naturvölfern gefprodhen. In der That ift bei ihnen 
niemand ungefhmüdt. Wie viele Menjchen wären dagegen un: 
ter Armen und Reichen der zivilifierten Völker zu finden, welche 
jowohl am Körper als in ihrer Kleidung jeden Schmud ver: 
meiden? Doch ift hier zu erwägen, daß die Allverbreitung des 
Schmuckes nicht wenig dadurch erleichtert wird, daß manche Ne: 
benzwede bequem mit dem legtern verbunden werden können. 
Zuerjt nehmen die faft nie fehlenden Amulette die Geftalt von 
Schmudjahen an. 3. M. Hildebrandt fagt in feiner jchö- 
nen Abhandlung über die 
Wakamba: „Die Amulette 
werben als eine Schutzwaffe 
angejehen, verdienen aljo 
in einer ethnographiichen 
Abhandlung den Platz zwi: 
ſchen Schmud und Waffe”. 
Sie find, man fann jagen, 
mehr Schmud als Waffe. 
Aber e3 gibt Schmuckſachen 
genug, bie in erjter Linie 
Waffen find und in zweiter 
zur Zierde Des Körpers bie: 
nen. Die mafjenhaften ei- Gin Dolch aus Lagos, am Ober: 
Ein eiferner Armring der Irenga fernen Armringe,mit denen arm — —— —— 

(eihnogt. Muſeum, Wien). . wirtl Größe. Neger ſich bede den, find zum ) be. 
Parieren und Schlagen fehr geihidt. Die Jrenga im obern Nilgebiete tragen Armringe von 
Meſſerſchärfe, die im Frieden mit Zederfcheiden umgeben werden, um im Kampfe als Schlag: 
ringe zu dienen (j. obenftehende Abbildung). Ähnlich find die mit einem Paare Stacheln ver: 
jehenen Armringe der Djur (f. Abbildung, S. 500, Fig. 4) in derfelben Region. Der verzierte 
Dold am Oberarme (ſ. obenftehende Abbildung) oder um den Hals iſt halb und halb Schmud. 
Zu den eigentlihen Zierwaffen rechnen wir aber die ſchön geſchnitzten Keulen der Melanefier 
und Neger, die Kommandoſtäbe, die verzierten Ruder. Gehört doch Schmud zu jedem wilden 
Krieger jo gut wie die Waffe! Und hat doch dieſe Verbindung eine jo tiefe pſychologiſche Be: 
gründung in der Erregung des Selbitgefühles und Mutes durch äußern Glanz, daf fie durch 
die ganze Menjchheit bis in die Spitzen der Zivilifation ſich erftredt! In gewiſſem Sinne darf 
hierher wohl aud) ein merfwürdiger Armſchmuck der Maſai gerechnet werden, welcher aus 
zwei aus Büffelhorn geichnigten Spigbogen befteht, die an der Baſis zuſammenhängen, nad) 
der Epige aber auseinander laufen. In die dadurch gebildete Gabel wird der Mausmuskel 

67 





V* 


Kleidung und Shmud, 


eingezwängt, um ihn zu fräftigen. Die freien Enden der Gabel ftehen etwas über der Schul: 
ter hervor. So werden auch Lederriemen dicht um Arme und Beine gelegt, um die Musfeln 
zu ftärfen. Auf Märſchen legt man fie oft an, um rafch der Ermübung Herr zu werden. 
Shmud und Auszeihnung gehen auf allen Stufen der Kultur Hand in 
Hand. Nicht immer braudt es hierzu äußern Glanzes oder großer Koftbarfeit. In der 
Tanganifaregion tragen die Häuptlinge Arm: und Beinringe aus den Schwanzhaaren der 
Giraffe, in Weitafrifa Müten aus dem Felle 
einer beftimmten Antilope, in Tonga find 
die Halsbänder aus Pottwalzähnen zugleich 
Shmud, Auszeihnung und Geld, vielleicht 
fogar Amulett. Daß Shmud und Geld 
leicht zufammenfallen, ift auf niedern Stu— 
fen der Zivilifation, mo auch große Kapita- 
litten ihren Befig no am Körper tragen 
fönnen, jelbftverjtändlih. Es gibt feinen 
fiherern Plag und feinen, mo das Auszeich- 
nende des Befiges jo unmittelbar zur Wir: 
fung fommt, als der eigne Körper des Be— 
figenden. Zum Gelde eignet ſich ſtets am 
beiten etwas Wertvolles und doch nicht Not- 
wendiges, und dies ift der Schmud. Daher 
die weite Verbreitung von Wertzeichen, die 
gleichzeitig als Schmud dienen können: 
Kauri-, Dentalium= und andre Mufcheln, 
Rottwalzähne, Eifen- und Kupferringe, 
durhbohrte Münzen. Silber- und Gold- 
währung find diefem Boden entwadjen. 
Und endlich erwägen wir, wie beredt für 
einen Naturmenjchen die tumme Sprade 
der förperliden Verſtümmelungen 
und Berunftaltungen ift. Tättowierung 
ift Stammes und Familienzeihen, bezeich- 
net oft zugleich die fiegreihen Feldzüge, de— 
nen ihr Träger beigewohnt, und jagt aus, 
daß er in mannbares Alter getreten; ähnlich 
die verſchiedenen Zahnverftümmelungen und 
fünftlihen Narben. Der legtern bedienen 
Ruder und Ärzte als Häuptlingsgeidhen; Hervey-Inſeln ſich auch manche Völker als Trauerzeichen 
(ethnographiſches Muſeum, Münden). *% wirkt. Größe. oder berauben fi wohl gar zu diefem 
Zwede eines Fingergliedes. Die ftrahlen- 
förmigen oder parallelen Narbenlinien auf Stirn oder Wangen, die von den Auftraliern ohne 
andern anjcheinenden Zwed als den der Verzierung angebradht werden, bezeichnen bei den 
Schilluk, Tibbu und andern Zentralafrifanern den Verluft naher Angehörigen. Wenn man 
auch im Abjchneiden eines Fingers, in der Befchneidung oder in der Erzifion einer Hode 
feinen Verſuch jehen wird, den Körper zu verſchönern, fo find doch in allen diefen Dingen 
CS hmud, Auszeihnung und Erfüllung religiöfer oder jozialer Gebote nicht ftreng auseinan- 
der zu halten. Ohne Frage gehören manche der Verzierungen, die am Körper vorgenommen 
werden, zu denjenigen Äußerungen des primitiven Kunjttriebes, auf welde am meiften 
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Schmud. Tättowierungen und Friſuren. 


Sorgfalt verwendet wird, und fo find denn in der That die in jahrelanger Arbeit, unter 
vielen Mühen und Schmerzen ausgeführten Tättowierungen der Neufeeländer zu den her: 
vorragendften Leiftungen des Kunftfinnes und der Kunftfertigfeit diejes Volkes zu rechnen. 
Die beften Zeugnifje ftellt aber wohl die Tättowierung dem Kunftfinne der Naturvölfer aus, 
und es iſt bezeihnend, daß bie in andern Leiftungen hochſtehenden Malayen und Polyneſier 
auch hierin das Ausgezeichnetfte leiften. Die Indianer zeihnen fi) gerade darin weniger 
aus, und unter den Negern find wenige, die dieſem Kunftzweige jo große Aufmerkfamteit 
widmeten wie ihren Frijuren, in denen fie freilich alle Völker übertreffen, weil die fteife 
Beichaffenheit ihrer Perüde fie da- 
rin weſentlich unterftügt. 

Wie in aller primitiven Indu— 
jtrie, tritt uns auch hier die endlofe 
Variation eines begrenzten Motives 
als charakteriſtiſche Erjcheinung ent: 
gegen. So werfen fich denn gemilje 
Völker auf Bemalung, andre auf 
Tättowierung, wieder andre auf 
Frifur. Die Durhbohrung der Un— 
ter= oder Oberlippe oder beider zu: 
gleih, die man bei Madi-Schuli 
und andern Obernilftämmen findet, 
wächſt bei den Bongo⸗Frauen zu einer 
Durhbohrung der Nafe und der gan 
zen Ohrläppchen, die mit Mefjing- 
draht geradezu durchflochten werden. 
Ähnliches bieten die Dajafen. Eit: 
ten, welche auf diejelbe Körper: 
gegend fich beziehen, mögen oft in 
einer verwandtichaftlichen Beziehung 
jtehen. So ſchlagen ſich die Batofa 
die obern Vorderzähne aus, wodurch 
die untern hervorwadjen und die Gin Häuptlingsfohn der Obbo; Zentralafrita (nad Bater). 
Unterlippe vordrängen. Ihre öſt— 
lihen Nachbarn, die Manganja, tragen einen Pflod in der Dber-, oft auch in der Unterlippe 
und erreihen damit eine ähnliche Entitellung. Dieje üppigen Entwidelungen des Schmuck— 
triebe3 zeigen den angebornen Kunftfinn der Völker in oft erftaunlicher Entfaltung, und 
es ift nicht ohne Intereſſe, denfelben von den roheften Bewährungen an zu verfolgen. Die 
Kontraftwirfungen ftehen natürlich allen voran. Mit Recht macht Mojeley darauf auf: 
merfjam, daß die Schmudjadhen der meijten „Wilden“ beftimmt find, von einer dunflern 
Haut ſich abzuheben, als die unfre ift. Weiße Schalen, Zähne und dergleichen machen auf 
ſolchem Grunde einen ganz andern Effeft al in unfern blaffen Händen oder in trüben 
Sammlungsihränfen. Daher finden wir Bemalung mit Weiß und Not, Bededung des 
dunfeln Haares mit weißen Kalkmaſſen und dergleichen weit verbreitet. Den höchſten Gipfel 
der Bemalungskunft haben aber wohl die Monbuttu erreicht, welche in ihren vielmufterigen 
Körperbemalungen die grellen Farben und die primitiven Strihe und Flede vermeiden. 

Man hat fih vor der Verfuhung zu hüten, zu viel Bewußtes in dieje vielartigen 
Ornamente hineinzulegen, mit denen der Sohn der Natur ſich ſchmückt. Gegenüber 
der Tendenz ber vorgefchichtlihen Forſchung, beſtimmte Ornamentmotive gleihjam zur 

69 





Kleidung und Shmud, 





Tättomierte Neger (nad Handzeihnungen von Rugendas in der Rupferfiidfammlung zu Münden). 
70 


Schmudmotive. Schmud und Kulturftufe. 


Signatur der betreffenden Völker zu machen, ift der Spielraum der Willkür in dieſen 
Dingen ganz bejonders zu betonen. Es ift wahr, daß man eine tonganijche Keule 
immer an den menjchlihen Figürhen erfennt, welche aus dem mofaifartigen Schniß: 
mufter bervortreten; aber hier handelt es fih um einen eng bejchränften Kulturkreis, in 
dem leicht eine große Feltigfeit der Tradition erzielt werden fann. Würde man aber das 
Kreuzmotiv, das jo ungemein nahe liegt, 3. B. jo, wie es auf den ſchön geflodhtenen Schil- 
den der Njam-Njam (ſ. Abbildung, ©. 533, Fig. 2) vorfommt, für eine Nahahmung 


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Haartrachten von Lovale (nah Cameronh. 


des chriſtlichen Symboles halten oder den Halbmond auf polyneſiſchen Schnitzwerken auf 
islamitiſchen Einfluß zurückführen? Bei einem und demſelben Volke werden gewöhnlich 
beſtimmte Schmuckmotive mit großer Zähigkeit feſtgehalten und innerhalb enger Grenzen 
variiert. Daß dies in Afrika manchmal von dem innerhalb eines einzigen Stammes un— 
gemein variabeln Haarſchmucke nicht gilt, ſcheint anzudeuten, daß dieſer durch keine tie— 
fere Sitte oder Herkommen an beſtimmte Normen gebunden iſt. 

Die Männer pflegen auch darin bevorzugt zu ſein, daß ſie —— F 
alle Arten Schmuck mehr kultivieren, mehr Zeit darauf ver— — — 
wenden. Bei den niedriger ſtehenden Gruppen der Wilden folgt 
der Schmuck dem Geſetze, welches bei andern Tieren faſt allge- Wehaftilaniſche Zahnfeilung 
mein ift. Es iſt der Mann, ber reich geſchmückt iſt, während Ch, Fenue 
das Weib des reihen Schmudes entbehrt. Die Zivilifation hat 
befanntli dieſes Verhältnis nahezu umgekehrt, und ber Grab der Fortgejchrittenheit 
eines Volkes mag zum Teile an der Höhe der Dpfer gemefjen werben, welche die Männer 
bereit find für den Schmud ihrer Weiber zu bringen. Die Männer fehren zur Sitte des 
reihen Schmudes in hochzivilifierten Gemeinſchaften in der Regel nur als Krieger, Beamte 
oder Höflinge zurück. 

Eine praktiſche Konjequenz der Yurusneigungen mitten im Elende ift die Beihränfung 
des Handels mit den Naturvölfern auf eine geringe Summe von Gegenjtänden, deren 
Mannigfaltigkeit fait ganz innerhalb der Grenzen des Schmud= und Spielzjwedes und des 
finnlihen Genufjes liegt. Sehen wir von den einigermaßen zivilifiertern Bewohnern der 
Küjten und der europäifchen Kolonien in Afrifa ab, fo bleiben hier als wichtige Gegenftände 

71 


Kleidung und Shmud. 


des Handels mit den Eingebornen Perlen, Meffingdraht, meffingene und eijerne Ringe, 
Branntwein, Tabak; die zwei einzigen nicht in dieſe Kategorie gehörigen Gegenftände, welche 
eine erhebliche Bedeutung für diefen Handel gewonnen haben, find Baummwollzeuge, die als 
Merikani bekanntlich in großer Ausdehnung ſogar Taufchmittel geworben find, und Gewehre. 

Endlich mögen auch noch in diefem Abjchnitte jene Toilettenwerkzeuge eine Stelle fin- 
den, mit denen alle die Kunftftüde verübt werden, auf die der primitive Menſch, hierin dem 
zivilifierten nicht nachſtehend, feine Hoffnung, zu gefallen und zu fiegen, gründet. Hören 
wir, wie Shweinfurth den „Bijouteriefram” einer Bongo-Frau fhildert: „Zum Ausraufen 
der Wimpern und Augenbrauen bedienen fie ſich Heiner Pinzetten. Ausſchließlich bei den 
Frauen der Bongo finden fich die eigentümlichen elliptiſchen Mefjerhen, ‚Tibah‘ genannt, 
welche, oben und unten in einen Stiel 
auslaufend, an beiden Rändern gejchärfte 
Schneiden haben und mit vielmufteriger 
Strichelung verziert find. Soldier Meſſer 
bedienen fich die Bongo-Frauen bei allen 
wirtſchaftlichen Arbeiten, namentlich die 
nen fie zum Schälen der Knollen, zum 
Zerfchneiden der Kürbiffe, Gurken und 
dergleihen. Ringe, Schellen, Glödchen, 
Klammern und Knöpfe, welde in die 
durchlöcherten Lippen und Ohrränder ge: 
ftedt werden, ferner lanzettförmige Haar: 
nadeln, welche zum Scheiteln und Abtei- 
len der Flechten notwendig ericheinen, 
vervollftändigen den Bijouteriefram der 
Bongo: Frauen.” Ein Zängelchen für 
Dornen ꝛc. gehört faft durch ganz Afrifa 
zur Ausrüftung, e8 befindet ſich gewöhnlich 
in eignem Behälter an der Dolchſcheide. 
Eine Stachelſchweinborſte oder eine El: 
fenbeinnadel tragen viele zum Schlich— 





Befafritanifhe Rumpftättowierung ten ing Haar geitedt. Kämme find 
(nad) einer Photographie von Dr. PehuelsLoefde). Polyneſiern, Hyperboreern und Negern 
wobhlbefannt. 


Während dem Kulturmenjchen Reinlichfeit als der befte Schmud gilt, ift der Natur: 
menjch weit davon entfernt, die Neinlichkeit jo hoch zu ftellen. Er übt fie, wo fie ihm Feine 
allzu große Mühe verurfacht, und fie kann nad) gewiſſen Richtungen hin fo weit Sitte werden, 
daß 3. B. in Bezug auf das Neinhalten der Zähne, welches durch ein zerfajertes Stückchen 
Holz gejhieht, die Neger höher ftehen als der Durchſchnitt der Europäer. Der Abjcheu vor 
Erfrementen ijt oft wahrhaft abergläubiſch und trägt dann dazu bei, die Umgebungen der 
Hütten reinlich zu erhalten. Mit Erjtaunen ſpricht Furneaux von Aborten bei den Maori. 
Was aber die Reinlichkeit in befonders hohem Grade fördert, ift der Mangel der Bekleidung 
oder wenigftens ihre Geringfügigfeit. Im allgemeinen wird man den Schmutz hauptjächlich 
bei ſolchen Völkern antreffen, wo das ſchon veränderlichere Klima eine fonftante Bededung 
des Körpers erfordert, an deren tägliches Wechſeln gar nicht zu denken ift, da dies eine raſche 
Abnugung verurfachen würde. Gewöhnlich trägt man fie deshalb Dſchengischans Vorſchrif— 
ten gemäß, wie einmal Baftian fagt, d. h. bis fie in Fetzen vom Leibe fallen. Anderjeits 
darf man Fühnlich jagen, daf die fait nadt gehenden, in mildem Klima lebenden und von 

72 


Primitiver Hüttenbau. 


Waſſer umgebenen Polynefier überhaupt zu den reinlichiten Völkern der Erde gehören. Mit 
Peinlichkeit wird wie ein eifernes Gefeß die Enthaltung des Mannes in der Reinigungsperiode 
des Weibes eingehalten. Die Polygamie erleichtert die Befolgung ſolcher Gefege. Aber aud) 
fonft herrſcht vielfach bei Naturvölfern im intimften Familienleben eine Zurüdhaltung, 
welche bochzivilifierte beihämt. Wir erinnern an die bei Negern, Malayen und Indianern 
gleihweit verbreitete Sitte, daß Eltern und Kinder nicht in demſelben Raume ſchlafen. 


Die Wohnftätten. 


Inhalt: Die erften Hütten. — Keime bed Holz: und bes Steinbaued. — Flüchtiger Charakter ber 
meiften Hüttenbauten. — Geſchichtlicher Wert des dauerhaften Bauens. — Alaffififation der Natur: 
völfer nad) ihren Bauten. — Dad Schutzmotiv. — Pfahlbauten. — Zufammendrängung ber Mohn: 
ftätten, — Die ethnographifche Bebeutung der Städte, — PVerfchiebene Gattungen von Städten. — 
Stäbteruinen und Kulturruinen. 


Den Keim der Baufunft, die erfte Hütte, rief da3 Bebürfnis hervor, welches primitiv 
und allgemein ift. Kein Volk lebt auf die Dauer in hohlen Bäumen, wie zu Cooks Zeit 
gemwiffe Gruppen ber Tasmanier, oder in Felfenipalten, wie die verfprengten Betichuanen 
im Matabelereihe. Diefe Hütten find freilich demgemäß in der Negel ſehr einfad und 
vergänglid, und was eigentlihe Baufunft ift, d. h. dauerhaftes und dann verziertes Bauen, 
liegt viel näher ber eptzeit zu. Man kann der etwas vagen Behauptung de Laprades: 
„Die Geburt der Architektur, die Erbauung des erften Tempels bezeichnen den Beginn 
der geichichtlichen Zeit” nicht eine gewiſſe Berehtigung abjpredhen, wenn man eben unter 
Architektur die für die Dauer beftimmte monumentale Baufunft verfteht. Der Ethnograph 
wird freilich angeſichts der Fetifchhütten der Innerafrikaner oder Melanefier ben Begriff 
des Tempels bier etwas eng gezogen finden, und für ihn beginnt der Schritt über den 
primitivften Hüttenbau hinaus viel früher. Das Schußgbebürfnis, weldhes Schon bei Tieren 
durch Ummwandung und Bebedung des Wohnplages der Natur nachzuhelfen bejtrebt ift, 
legt den erften Keim, aus bem fpäter die naturvergeiftigende Herrlichfeit der Baukunſt 
fi entfaltete. Wir erwähnen zuerft jener unmittelbaren Anlehnungen an die Natur, zu 
welchen eben diefes Bedürfnis zwingt. Wir werben von ber nahezu tierifchen, ficherlich 
am wenigſten menſchlichen Sitte de3 Baummohnens bei mehreren Völkern zu ſprechen 
haben. Die Benugung herabhängender Zweige von Bäumen oder Sträuchern, die flüchtig 
verflodhten und befeftigt werben, wie es halbnomadiſche Buſchmänner üben, fteht ihr noch 
nahe. Das Abhauen von Zweigen oder Stämmchen, das Einfteden in den Boden im 
Kreife, das Verbinden der obern Enden und bag Bebeden dieſes flüchtigen Baues mit 
Zweigen ober Fellen ift der nächſte Schritt zum primitioften Hüttenbaue, wie wir ihn 
bei Feuerländern und Hottentotten, aber auch bei Galla und Somali finden. Und von 
bier aus führt num eine lange Reihe von zunächft immer bauerhaftern und nad) und nad) 
verziertern Bauten bis zu den Spigen der Holzardjiteftur in den reichverzierten Holzhäufern 
der Papua und Malayen, der Palau-Inſulaner, in den fteinlofen Paläften der Monbuttu: 
oder Waganda:Könige. Den Schweiterfeim, der entjprechend zur höchſt entwidelten Stein: 
baufunft heraufführt, legte das Höhlenwohnen, in der Urzeit weitverbreitet und auch in 
der Jetztzeit noch vielfadh geübt. Einen hochwichtigen Vorzug hat diejes vor jenem in ber 
Dauerhaftigfeit des Materiales voraus, während dasſelbe Material den Nachteil hat, der 
Berzierung, der Ornamentierung viel weniger entgegenzufommen. Aber e8 überwiegt jener 
Vorzug diefen Nadteil, denn das Schöne ift, jobald es angeftrebt wird, hier im Ebenmaße, 
der Grundbedingung aller ardhiteftonifchen Schönheit, leichter zu finden. 

73 


Die Mohnftätten. 


Wie wenig der harte Drud der Notwendigkeit im ftande ift, eine größere Thätigfeit 
zur Befriedigung des mit dem raubern Klima, der ärmern Pflanzen: und Tierwelt ungün: 
ftiger Erdſtriche immer gebieterifcher auftretenden Schuß: und Nahrungsbebürfniffes hervor: 
zurufen, bemweifen die Feuerländer, von denen man, jo unglaublich es Elingen mag, 
behaupten fann, daß fie nicht mehr, jondern weniger thun als andre Völker, welde weniger 
ungünftig geftellt find. Dan höre, wie ein fo guter Beobachter wie Darwin ihre Hütten 
beichreibt: „Der Wigwam der Feuerländer ift in Größe und Dimenfion einem Heufchober 
ähnlich. Er befteht einfah aus einigen wenigen abgebrodenen, in die Erbe geftedten 
Äften und ift an der einen Seite fehr unvolllommen mit ein paar Gras: und Binjen- 
ſchichten bedeckt. Das Ganze kann nicht mehr als die Arbeit einer Stunde fein und wird 
nur für einige Tage benugt.” Er fügt jpäter hinzu, daß an der Weftküjte die Wigwams im 
ganzen beſſer jeien, indem fie mit Robbenfellen bedeckt feien. Anderſeits ſchildert er aber 
die Lagerftätte eines allein lebenden Mannes, ber vielleicht ein Ausgeftoßener war, mit 
folgenden Worten: „Sie bot abjolut nicht mehr Schuß dar als das Lager eines Hafen“. 
Eo durften auch wohl die Tasmanier mit Bezug auf Hüttenbau als die rückſtändigſten aller 
Auftralier bezeichnet werden. Und in Auftralien, wo eine von Natur ähnlich geartete, im 
wejentlihen auf gleich niedriger Stufe der Kultur ftehende Bevölkerung den ganzen Kon 
tinent von äquatorialen bis tief in gemäßigte Breiten bin in fpärlicher Verteilung bewohnt, 
ift es ebenfo intereffant wie belehrend, zu jehen, wie gerade in den wärmften Teilen der 
Hüttenbau ſich am weiteften vorgefchritten, in ben Fälteften am fümmerlichften zeigt. Wenn 
eine ſolche Thatjache fi auch anderwärt3 wiederholt, wie wir es thatſächlich in Südamerika 
und Südafrika finden, wo die Menſchen fih mit um jo elendern Schumaßregeln umgeben, 
je rauber Lage und Klima ihrer Wohnpläge find, jo gewinnt diejelbe den Wert eines 
Erperimentes, und dieſes Erperiment dient ung zur Beitätigung einer Annahme, der wir 
von vornherein aus Kenntnis der menfchlihen Natur ung zuwenden möchten: daß nicht 
die dura necessitas, die Lehrmeiſterin Not, es fei, welche den wichtigen Fortihritt vom 
Naturmenjchentume zur Kultur erzwinge, fondern daß nur in ber ruhigen Entwidelung, 
welche Friede und Überfluß gewähren, aud) im Hütten: und Häuferbaue höhere Stu: 
fen erftiegen werden. Was vor allem andern gefordert werben muß, ift die Stetigfeit. 
Tiefer, als man glaubt, greift der Nomadismus in das Leben auch der aderbauendben Völker 
ein, Die vielgerühmte Kunft der rajchen Herftellung von Wohnftätten im Bienenkforbftile, jener 
Hüttenform der Hottentotten und Betfchuanen, welche die biegfamen, halbdiden Stämmchen 
der Mimoſen, dieſer häufigften baumartigen Gewächſe Sübafrifas und des Sudan, vor: 
ausfegt, zeigt eben nur, daß zwifchen diefen Hütten und dem Zelte der Unterſchied ſich 
noch nicht jehr tief herausgebildet hat. So erſtaunlich rafch diefe Gebilde entitehen, fo 
raſch vergehen fie auch wieder. Cook ſchildert uns aud) von den Maori einen jolchen 
Augenblidsbau. „Es ift wunderbar, zu fehen”, jagt er in feiner zweiten Reije, „mit 
welcher Leichtigfeit fie diefe gelegentlihen Hütten bauen. Auf einem Boden, der eine 
Stunde vorher nur mit Gefträuh und Gras bebedt war, habe ich mehr als zwanzig der: 
jelben in diefer kurzen Zeit errichten fehen. Gewöhnlich bringen fie einen Teil der Bau: 
materialien mit, und ben Reſt finden fie an Ort und Stelle. Ich war gegenwärtig, wie 
ein Trupp landete und eins diejer Dörfer baute. Im Augenblide, wo die Kähne ans 
Ufer ftießen, fprangen die Männer heraus und ergriffen Befig von einem Stüde Land, 
indem fie e3 von Gejträud) befreiten und ein Paar Gerüjtpfähle zu einer Hütte einpflanzten., 
Dann fehrten fie zu ihren Kähnen zurüd und brachten ihre Waffen in fihere Nähe, indem 
fie diefelben an Bäume lehnten oder überhaupt in eine Lage brachten, wo fie jeden Augen: 
blid zur Hand waren. Keiner verfäumte diefe Vorfiht. Während die Männer arbeiteten, 


waren die Weiber nicht müßig. Einige blieben in den Kähnen, um diefe zu bewachen, andre 
74 


Vergänglichleit und Dauer im Bauftile. Klaffififation der Baumeife, 


braten Nahrungsmittel und die wenigen Geräte herbei, welche in ihrem Belige waren, 
und die übrigen jammelten trodnes Reifig zum Feuermachen.“ 

Auch die ebenmäßigften und zierlichſten Hütten der Neger, bie 3. B. im obern Nilgebiete 
von Stamm zu Stamm andre Formen des Grundrifjes, der Dachform, der Größenverhält- 
niſſe aufmweifen, find doch immer ziemlich flüdhtig aus Rohr und Gras aufgebaut, und allein 
ihon ihre Vergänglichkeit hindert die Anwendung der größtmöglihen Sorgfalt und die 
Entfaltung eines Kunftftiles, der, an Vorbilder fi anlehnend, neue Werke auf Grund der 
ältern ſchaffte. Zu der Hinfälligfeit des Baues felbit kommt die Zerftörungsfraft der Natur. 
Überall in tropiſchen Breiten jind die leichten Behaufungen raſchem Verfalle unterworfen. 
Bohrfäfer, Termitenfraß, die tropiichen Gewitter find Hauptagenzien diefer raſch vor fid) 
gehenden Zerftörung. Außerdem Fleben ihre menschlichen Bewohner feineswegs am Boden, 
fondern fie haben im Gegenteile ihre Lebensweile ganz im Sinne diefer Natur geregelt, 
in ber „alles fließt”, und ftatt zu renovieren, verlegen fie ihre Wohnungen ſchon, um 
bequem jungfräulihen Boden für ihre Kulturen zu gewinnen. Junker fand z. B. im 
Bahr el Ghajal-Gebiete faſt feine der von Schweinfurth einft fo ficher niebergelegten 
Seriben mehr. Nach einigen Jahren ſchon bezeichnen den Platz einer früher wohlgeorbneten 
Kiederlaffung höchſtens einige aus der Erde aufragende, im Kreife geftellte Pfähle und 
immer wieder friich aufichiegende Samenkörner einiger Kulturpflanzen, die aber mit der 
Zeit auch ihre Triebfraft im üppigen tropiihen Graswuchſe erſtickt jehen. 

Schweinfurt) jpricht einmal von der Steinlofigkeit des Landes der Dinfa am obern 
Nil und folgert aus diefer Eigenihaft den Mangel der Häuptlinge und der Monumente in 
diefem Volke. Tiefgreifend und nicht ohne innern Zufammenhang find beide Mängel, 
aber das Monumentale fehlt der Architektur der Neger auch in ben jtein= und feljen- 
reichiten Gebieten. Gerade dadurch tritt hier in diefem Lande des nomabenhaften Bauens 
die Bedeutung der Dauerhaftigfeit doppelt jhharf hervor. Der Granit von Syene, 
der ſchwarze Kalkftein von Perjepolis, Steine, die zu den bauerhafteflen gehören, die man 
fennt, und welde die feinften Skulpturen und bie glattefte Politur bis auf unfre Zeit herab 
erhalten haben, find al3 zuverläfjige Stügen und Träger der Überlieferung von hoher 
geichichtliher Bedeutung. Sie bezeugen die Wahrheit eines tiefen Wortes von Herder in 
den „Denfmalen der Vorwelt“: „Kein Kunftwerf fteht tot in der Geſchichte der 
Menſchheit“. Welchen Einfluß bat jhon auf uns die Thatfache geübt, daß dieje Reſte, 
die räumlich und zeitlich der Kultur des Nilthales jo fern ftehen, jo unbeſchädigt ung über: 
liefert werden fonnten! Aber wieviel größer war der Wert diejer jteinernen Zeugen ber 
Größe, der Thaten, des Glaubens, des Wiſſens der Nation für das Volk felbft, das unter 
diefen Dentmälern wandelte! Diefer harte Stein gab der Tradition gleihjam ein Knochen: 
gerüft, das vorzeitigen Verfall hintanhielt. Man darf wohl den Gedanken anregen, ob bie 
bis zur Haltlofigfeit gehende Beweglichkeit der Japaner nicht eine Wurzel in ihrem baltlofen, 
jeder Veränderung ſich leicht anjchmiegenden Wohnen habe; und man darf mit Sicherheit den 
Schluß ziehen, daß die jo jehr häufigen verheerenden Feuersbrünfte, welche dieſe Wohnart 
mit ſich bringt, ihren Einfluß in der Richtung der Lockerung der Lebensgrundlagen der Ja— 
paner faum verfehlen werden. Jedenfalls ift, wenn man Anſäſſigkeit und Nomadismus als 
grundverfhiedene Wohn: und Lebensftufen einander entgegenftellt, der Thatſache Rechnung 
zu tragen, daß die Anfäffigkeit in Banıbus: und Reifighütten eine bedeutend anders wirkende ift 
als die Anjäjfigkeit in fteinernen Häufern, die an Feltigfeit mit „der Erde Grund” wetteifern. 

In einer Klajjifilation der Völker nad) ihrer Baumweije würden an der unter: 
ften Stufe die nomadiihen Jäger: und Filchervölfer vom Typus der Feuerländer, Boto: 
kuden, Bufhmänner, Tasmanier und vieler Auftralier ftehen, welche feine Hütten nad) 
heftimmtem Plane und in regelmäßiger Zufammenftellung zu Dörfern bewohnen, jondern 

75 


Die Wohnftätten. 


ſich zufällige Schupftätten aus Neifig oder Röhricht bauen, zeitweilig aber aud ohne 
ſolche fich begnügen. Die zeltbewohnenden Nomaden, jeien ihre Zelte die Lederzelte ber 
Araber oder die Filzjurten der Mongolen, Sifan ꝛc., erheben fi wenig über fie. Ihnen 
würden ſich alle jene teils nomadiſchen, teils aderbauenden Neger anſchließen, welche Hütten 
von Bienenkorb- oder Kegelform in ben verfchiedenften Stadien der Vollendung bauen. 
Sene Neger Zentralafrifas, welche von den Manyema bis hinüber zu den Fan und Dualla 
rechtedige Häufer mit mehreren Gemächern und mit ormamentierten Thüren bauen, bilden 
den Übergang zu den Malayen Madagaskars und des Indischen Archipels und den Völkern 
des Stillen Ozeanes, deren reich ornamentierte, mannigfaltige, oft auch fehr große Häufer 
fo ziemlich das Vollkommenſte leiften, was im Holzbaue bei Naturvölfern vorfommt, bei 
denen aber gleichzeitig Anfänge von Steinbau im Zufammenhange mit monumentalen 
Werken der Bildhauerkfunft (Dfterinfel und andre) fi finden. In Steinbauten oder in 
Hütten, bei welchen Schnee an die Stelle des Gteines tritt, wohnen die Polarvölfer. 
Eine Zone mehrftödiger Steinbauten zieht fih durch Indien, Arabien und das berberifche 
Afrifa. Zufammenhängende Steinhäufer für Hunderte von Familien fommen bei den India: 
nern Neumerifos und Arizonas vor. Und an diefe Schließen ſich Dann die Errichter der größ: 
ten Monumentalbauten unter den außerhalb der altweltlichen Kulturkreiſe ftehenden Völkern, 
die Merifaner, Mittelamerifaner und Bewohner der ſüdamerikaniſchen Hochebenen, an. 

Unabhängig von allen diefen Mobififationen, entfalten fich eigenartige Wohn: und 
Bauarten auf Grund des Schutzmotives, welches die Menfchen zu den entlegenften Mitteln 
greifen ließ, um fihere Wohnftätten zu gewinnen. Zur Begründung dauernder Wohn: 
ftätten im Waffer, welche aber nie im Meere ftattfindet, das für diefen Zwed allzu unzu— 
verläffig und gewaltthätig ift, fondern ftetS nur in ruhigen Landſeen oder langſam ftrömen 
den Flüffen, trieb den Menfchen offenbar hauptſächlich der Wunſch an, fich zu ſchützen 
vor den auf dem Lande haufenden Raubtieren und vielleicht noch mehr vor Feinden und 
Näubern des eignen Geſchlechtes, und dann auf viel höhern Kulturftufen der Zwang und 
Drang großer Menfhenanfammlungen auf verhältnismäßig beſchränktem Naume, wie wir 
es bejonders in dem übermäßig dicht bevölferten China und aud an einigen Punkten 
in Hinterinbien finden. Im erftern Falle find Pfahl: und Stodwerfbauten das beliebte 
Mittel, ſich mit dem ſchützenden Waſſer zu umgeben, im andern dienen breite Flöße, abge: 
dankte Kanalſchiffe und dergleichen, die eng aneinander gelegt find, zu Wohnftätten, oder 
es entwideln fi daraus ebenfalls Pfahlbauten, aber in größerm Maßftabe als auf jener 
Ihugbedürftigen Stufe, die mehr durch Vereinzelung als Zufammendrängung der Menjchen 
gekennzeichnet ift. Prahlbauten werden auch in unjrer Zeit noch zahlreich bewohnt, die 
meiften Völker des Indiſchen Archipels und Melanefiens find Pfahlbauer, die meiften Nord: 
weftamerifaner, einzelne Stämme Afrifas, Mittel: und Südamerifas, und man hat bier 
Gelegenheit, ſich zu überzeugen, daß dies eine nicht eben feltene und vor allem eine fehr 
natürliche Erſcheinung ift, welche Fünftlicher Hypothejen von eignen Pfahlbauvölfern, phöni— 
zifchen oder etruskiſchen Handelspfahlbauten zu Warenniederlagen im Norden und derglei: 
chen in feiner Weife bedarf. Einer ber erfindungsreichiten Triebe, nämlich das Schutbebürf- 
nis, it in erfter Linie wirffam geweſen. Oft mag jpäter diefer Schu überflüffig geworben, 
in Vergeſſenheit geraten fein, während die Sitte beftehen blieb. Aber er war das ur: 
iprünglihe Motiv, und die Pfahlbauten find nur auf den erjten Blid auffallend; im Grunde 
find fie ein Fall unter vielen andern, die jenem mächtigen Bebürfniffe entjpringen, welches 
Lage und Beichaffenheit menſchlicher Wohnftätten überall am tiefiten beeinflußt hat. Es 
braucht eben nicht immer der Pfähle, um ſolche Wohnungen aufzubauen, viele andre Mittel 
werden angewandt, wenn fie nur dem Zwecke dienen, die Wohnftätte und Die Vorräte zu 
ifolieren, zu jchügen. Die Beijpiele liegen nahe, denn in allen waflerreihen Ländern, 


76 


Pfahlbauten. Gefhügte Lagen. Anfammlung von Wohnftätten an Verkehrsmittelpunkten. 


vorzüglich der Tropen, hat man „Pfahlbau: oder Flopftädte”. Wir erinnern an die floßbewoh— 
nenden Bevölferungen Südchinas, an die Pfahlbauvorjtädte Bangkoks, an unſre Pfahlroft- 
ſtädte Amfterdam, St. Petersburg und Venedig. Dem Streben nad) möglichiter Sicherheit 
zugleich mit dem nach gefünderer Lage entjpringt auch die Sitte der an fremden Küften an: 
fäffigen fremden Kaufleute, ihre Wohnung auf den Schiffen zu nehmen, welche in ben 
Flüffen oder Häfen verankert find und zugleich ihre Warenlager umfchließen. 

Demjelben Zwede dient in geringerm Maße die Pfahlwohnung im Trodnen, bei 
den Malayen jehr allgemein, befonders häufig überall bei Vorratshütten angewandt. Li: 
vingftone erzählt von den Batofa am 
untern Zambefi, die ihre Hütten inmitten 
ihrer Gärten auf hohen Geftellen erbaut 
haben, um ſich vor Raubtieren, befonders 
vor der jehr gefürchteten gefledten Hyäne, 
zu jhüßen. Das Baummwohnen ber 
Batta auf Sumatra, vieler Melanefier, 
ſüdindiſcher Stämme (j. nebenjtehende 
Abbildung) ſchließt ſich hier an, denn es 
iſt nicht etwa eine primitive Stufe des 
Wohnens, die dem Baumbewohnen des 
Orang-Utan nahejtünde, ſondern bie 
Bäume dienen einfach als Pfähle; bie 
Hütten aber, welche auf ihnen fich erhe- 
ben, jind feineswegs primitiv, fondern 
gehören zu den bejjern Werken ihrer Art. 

Die Wirfung des Schugbedürfnifjes 
geht weder weit noch tief, wo e3, wie 
bier, wejentlich ifolierend wirkt; e3 regt 
aber ganz andre Folgen, Entwidelungen 
von gewaltiger Tragweite an, wo es die 
Mohnftätten der Menſchen zuſammen— 
drängt. Die großen Städte, welde zu 
den merfwürdigiten Entwidelungen ber 
Kultur gehören, ftehen am Ende diejer 
die Menjchen mit ihren Mohnftätten um 
einen Punkt vereinigenden, zuſammen— 
drängenden Wirkungen. Am Anfange 
finden wir viel minder bedeutende Erjchei- 
nungen, wie etwa bie befejtigten Dörfer auf den Gipfeln der Berge des fehdenreichen Innern 
von Madagaskar oder die auf Inſeln, in Flußbiegungen, auf Landzungen zufammengedräng: 
ten Dörfer, die man überall findet, wo überhaupt dichtere Bevölferungen ihre Wohnfige ha— 
ben. Aber e3 genügt ein Blid auf die Städtelagen, um die Macht des Schutzmotives zu erfennen. 

Da die Anlage der meilten Wohnpläge in Zeiten erjt beginnender Ausbreitung einer 
dünnern Bevölkerung ftattfindet, wo die Gefahr feindlicher Überfälle noch beiteht oder leb— 
haft vor Augen ift, jo findet ſich die Rüdficht auf den Schutz der Lage häufig ſtark ausgeprägt. 
Man erinnere fih an die Lage fait aller ältern Städte Griechenlands und Jtaliens auf oder 
an Hügeln oder jogar Bergen, an die Thatſache, daß fait alle ältern Handelsjtädte auf In— 
jeln liegen, die allerdings jpäter teilweije mit dem Lande verbunden wurden, wie Tyrus 
und Berbera. Die Zufammendrängung mag zulegt ins Ertrem gehen, wie bei jenen bald 

77 





Die Wohnftätten. 


höhlen-, bald Faftellartigen Wohnftätten der Indianer im Südweſten Nordamerikas, welche 
auf engftmöglihem Raume zahlreihe Menſchen beherbergen und oft nur vermittelt einer 
einzigen Felstreppe oder ſogar nur einer von oben herabgelaffenen Leiter zugänglich find. 

Als dritter Grund fommen aber gemeinjfame Intereſſen der Arbeit in Frage, welche 
Suftus Möfer in feiner „Dsnabrüdifhen Gefchichte” hervorhebt, indem er jagt: „Die 
gemeinfhaftlihe Nutzung eines Waldes, Weidegrundes, Moores oder Gebirges, wovon ein 
jeder feinen nötigen Anteil nicht im Zaune halten Fonnte, vereinigte dem Anſcheine nad) 
zuerft ihrer einige in unfern Gegenden”. Gerade diefer Grund wächſt mit fortichreitender 
wirtfchaftlicher Arbeitsteilung immer weiter aus, bis er der wichtigfte für die Beltimmung 
der Lage eines Wohnortes wird. Schon auf primitiven Kulturftufen fammeln fich größere 
Bevölkerungen zeitweilig an Stellen, wo Dinge, die ihnen nüglich, in größerer Menge vor: 
fommen. Die Indianer eines großen Teiles von Nordamerika wallfahrten nach den Pfeifen: 
fteinlagern, andre verfammeln fich alljährlich zur Ernte bei den Zizaniafümpfen der nord: 
weitlihen Seen, bie fo zerjtreut lebenden Auftralier des Barkugebietes fommen von allen 
Seiten, um eine Art von Erntefeſt in der Nähe der dort häufigen Förnertragenden Mar: 
filiaceen zu feiern. Das find vorübergehende Anfammlungen; ift aber einmal der Schritt 
vom jchweifenden Leben zur Anfälligkeit gemacht, jo werden gerade derartige Stellen am 
jrühftengewählt werben; und wenn, in Konfequenz des feßhaften Lebens, die Bevölkerung 
fih vermehrt und die wirtſchaftliche Arbeitsteilung Pla greift, werden größere Mohn: 
ſtätten an ihnen ſich herausbilden, bis fie, d. b. die von Natur mit irgend einem befondern 
Reihtume ausgeftatteten Erditellen, auf den höchſten Stufen der Kultur jene ungewöhnlich 
dichten Bevölferungen von 10,000 auf der QDuadratmeile aufmweilen, welchen wir in den 
fruchtbaren Niederungen des Nil und Ganges, in den Kohlen: und Eifenrevieren Nord: 
europas, in den Goldfeldern Auftraliens oder Kaliforniens begegnen. 

Aber diefe Anregungen Schaffen zunächſt nur dichte Bevölferungen über mehr oder 
weniger weite Räume bin; vereinzelte Anhäufungen erzeugen fich dagegen bort, wo 
beftimmte Punkte diefelben veranlaffen, und folde Punkte werden in erfter Linie durch 
den Verkehr aufgejucht oder bezeichnet, der diejelben zu Mittelpunften, Kreuzungspunften 
oder Wechſelpunkten feiner Strömungen madt. Erft der Wunsch nah Austausch ſchafft das 
Bedürfnis der möglichften Annäherung: der Verkehr Schafft Städte. Und damit ift eine 
große Mannigfaltigfeit von natürlichen Gegebenheiten menjchliher Wohnpläge eröffnet, 
denn überall, wo die Natur den Verkehr in hervorragendem Maße erleichtert ober verjtärkt, 
da entjtehen verhältnismäßig größere Anfammlungen von Menfchen, feien es nun Melt: 
täbte wie London oder Marktfleden wie Nyangwe. 

Gewiffermaßen inftinktiv nehmen wir einen gewiffen Zuſammenhang zwiſchen 
Städten und höherer Kultur an und nicht ganz ohne Net, da ja in den Städten 
unsre höchſte Kulturblüte fi Fundgibt. Aber daß auch weniger kultivierte Völker, wie die 
Chinefen, dennoch gerade in der Städteentwidelung jo bedeutend find, beweift die Unab— 
bängigfeit einer gewiſſen materiellen Kultur von der wirklichen geiftigen Kulturhöhe und 
lehrt bejonders eindringlih, wie wejentlic die Städte dem von der Kultur viel weniger 
abhängigen Verfehrsleben dienen helfen, ja ihm meift entipringen. Wenn die Städte 
organische Produkte des Völferlebens find, find fie Doch nicht immer bedingt durch die Kräfte, 
die in dem Volke wohnen, welchem fie felber angehören. Es gibt internationale Handels: 
ftädte, wie 5. B. Cingapur oder in Feinerm Mafe die Araber: und Suahelipläge an der 
Küfte Madagasfars, oder Kolonialftädte, die diefen nahe verwandt find, wie Batavia, 
Zanzibar oder Mombas. So mächtig ift der Verkehr, daß er mitten in ein fremdes Volks— 
tum hinein die Organifation trägt, die er nötig hat. Darum tragen aber auch wieder ganze 
Völker, die Organe des Verfehres geworden, den Stempel des Städtetumes an der Etirn. 

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Gejellichaftlihe Entwidelungen. Die Ehe, 


Man kann jagen, daß es Völfer gibt, die, unabhängig von ber Kulturftufe, auf der 
fie ftehen, verfchiedene Grade von Neigung zum Wohnen in Städten haben. Die Phönizier 
und Israeliten jcheinen ſolche Städtevölfer geweſen zu fein, und noch find es die Chinefen. 
Solche Völker wohnen nicht bloß gern in Städten, fondern machen au) ihre nichtftäbti- 
ſchen Mohnorte foviel wie möglich ftäbteähnlih. Am allermeiften find wohl die Wüften- 
bewohner Städtevölfer, denn die Natur ihrer Wohnftätten drängt fie um die Quellen und 
zum Schuge zufammen und zwingt fie zu dauerhafterm Bauen, als es mit Holz oder Neifig 
möglih wäre. Auch macht die weite Zerftreuung der Dafen faft jede Anfammlung von 
Wohnftätten zu einem Berfehrsmittelpunfte in dem weitmafchigen Nebe ber Wüſtenwege. 
Zum Stäbtewohnen find aud oft die erften Eroberer eines bevölferten Landes gezwungen, 
unabhängig vom Verkehre, da fie nur in dichten und geſchützten Anfiedelungen fich ficher 
rühlen mögen. Später haben dann diefe Zwingftädte, den natürlihen Bedürfniffen des 
Verfehres folgend, ihre Lage verändert, wie es denn aus der Gefchichte Sibiriens befannt 
it, daß die meiften Städte namentlih Weftfibiriens im Laufe der paar Jahrhunderte, 
während welcher fie ftehen, ihren Plat mitunter breis bis viermal wechfeln mußten. Vor: 
eilige Städtegründungen find überhaupt ein Merkmal der jungen Kolonifationen, und wir 
finden daher ſchon Stäbteruinen in Nord: und Mittelamerika. Auch im hinefifchen Kolonial- 
gebiete find bie zahlreihen Stäbteruinen auf der Grenze der Nomaden und Chinefen, 3. B. 
am obern Hoangho, ſehr harakteriftiih. Überall, wo Halbkultur und Halbwildheit fich be- 
rühren, wird es ähnlich fein. 


Zamilie und Gefellfcyaft. 


Inhalt: Herbe und Familie. — Die Familie ald gejellfchaftliche, politifhe und wirtſchaftliche Einheit. — 
Eheſchließung. — Polygamie. — Stellung des Weibes. — Gynätofratie. — Mutterredt. — Erogamie. — 
BWeiberraub. — Eltern und Kinder. — Sittlichleit. — Die Geſellſchaft. — Die fozialen Ungleichheiten. — 
Sklaverei. — Dienende Raffen. — Unterſchied des Befiges, — Größe des Unterfchiebes in tropifchen 
Ländern. — Grundbeſitz. — Beifpiele für bie Verfchiebenheit bed Eigentumsbegriffes. — Kulturzeugende 
Macht des Befiges. — Armut der Naturvölfer. — Arbeit ber Naturvöffer, 

Mit großer Wahrfcheinlichkeit darf behauptet werden, daß der Menſch ſchon in frühern 
Stadien feiner Entwidelung nicht völlig ifoliert gelebt hat. Das „animal sociale“ 
Linnés bürfte hiftorifch berechtigt fein, denn es fcheint in der Natur felbft feine Begrün: 
dung zu haben, wo herbenhaftes Leben gerade unter den ben Menjchen näherftehenden 
höhern Säugetieren öfters vorfommt. Jedenfalls war jeder Schritt zu höherer Entwidelung 
an Bergejellihaftung gebunden. Der Urſprung aller größern Glieder der menjchlichen 
Gejellihaft wäre aber dennoch unerflärlih, wenn wir nicht, in den Entwidelungsreihen 
zurüdgehend, die Familie fänden. Bon ihr jheint die Entwidelung alles gejellihaftlichen 
und jtaatlihen Lebens auszugehen, das wir heute fennen. Wenn es eine Vereinigung 
mehrerer gab vor ber Familie, jo war es eine Herde, aber fein Staat. Etwas Staats: 
artiges fann ſich daraus entwideln, wird aber nicht weiterfcdhreiten, denn die Herbe löſt 
jih immer wieder in fich felber auf. Die Stabilität, welche jeder politifchen Geftaltung von 
Entwidelungsfähigfeit zufommen muß, ift erft gegeben mit der Familie, und auf der Damit 
Hand in Hand gehenden Sicherung der wirtſchaftlichen Verhältniffe ruht alle höhere Kultur, 

Die Bafis der Familie ift das ſtillſchweigende oder vertragsmäßig formulierte Über: 
einfommen zwiijhen Mann und Weib, einen gemeinfamen Hausftand zu begründen und 
in bemfelben ihre Kinder aufzuziehen. Innerhalb dieſer weiten Grenzen ift die Ehe bei 
allen Völkern zu finden. Wo man den Mangel folhen Übereintommens, alfo der Ehe 

79 


Familie und Gefellfgaft. 


im weiteften Sinne, behauptet hat, wie bei den Bufhmännern, den Lubu Sumatras, den 
Ut Borneos, hat fid ihr Vorhandenfein jpäter überall herausgeſtellt. Wiewohl die Viel- 
weiberei außerordentlich verbreitet und bis zur Aufnahme von Taufenden von Weibern 
ausgedehnt ift, beginnt Doc in der Regel die Gründung der Familie mit der Aufnahme 
Eines Weibes in das Haus bes Mannes. Diejes Weib bleibt in der Regel auch das im 
Range erfte, und jeine Kinder haben das Erftgeburtsreht. Irgend eine Art von Entgelt, 
das der Gründer einer Familie dem Schwiegervater dbarreicht, ftempelt ben Eheſchluß bei 
faft allen Naturvölfern zum Kaufe, der Spuren von Brautraub nicht ausſchließt. Der 
Kauf der Frau findet häufig ſchon ftatt, wenn dieſelbe noch ein Kind, mitunter jogar 
ion, wenn fie noch im Mutterleibe it. Es fommt zwar öfters vor, daß auch die Neigung 
des Mädchens mit in Betracht gezogen wird, aber die unbeſchränkte Verfügung der Eltern 
ift die Regel. Der Freier gibt feinen Wunſch meiftens durch ein Geſchenk zu erkennen, 
welches er den Eltern feiner Erfornen darbringt. Annahme oder Nichtannahme entjcheibdet 
über die Aufnahme feines Geſuches. Zwiſchenperſonen als Werber find vielfah üblich. 
Auch ift die Probeehe eine häufig zu findende Einrichtung, in welcher bei günftigem Aus- 
gange nach Verabreihung von Gejchenken an das Mädchen der Hüttenbau und die Ein: 
rihtung des Hausftandes vorgenommen werden, nach deren Vollendung die Morgengabe 
an die Eltern der Braut erfolgt. Die Vermählung wird darauf durch den Priefter oder 
bie Eltern oder die Großmütter der beiden jungen Leute oder, wenn diefe fehlen, durch 
andre ältere Verwandte vollzogen. Die Feierlichkeit umſchließt Iymbolifche Andeutungen des 
Verluftes der Sreiheit der Braut, des Verlafjens des Elternhaufes, des zu erwartenden 
Kinderjegens ꝛc., beſteht aber hauptfählid aus Luftbarkeiten. Das religiöfe Element ift 
in der Regel ganz ausgejchloffen. Wiewohl Blutsverwandtichaft bei den meiften Völkern 
als Ehehindernis gilt, übernimmt doch der Erbjohn, 5. B. bei den Kaffern, die Weiber feines 
Daters. Leicht, wie die Schließung dieſer Chebündniffe, pflegt auch die Löfung zu fein, beren 
größtes Hindernis gewöhnlich nur in der Schwierigkeit liegt, den Kaufpreis zurüdzuerhalten. 
Ye größere Ausdehnung die Vielweiberei nimmt, deſto loderer wird natürlich das eheliche 
Verhältnis. Wohl nicht mit Unrecht hat man von den Polynefiern gejagt, daß der großen 
Loderheit der Yamilienbande ſelbſt eine Rolle in den Wanderungen dieſer Völker zu: 
zufchreiben fei. Von vielen gilt, was Cook von dem Vater eines neufeeländifchen Knaben 
jagte, der diefen ohne Hoffnung auf Wiederkehr verlafjen wollte: „Er würde jich mit 
größerer Bewegung von feinem Hunde getrennt haben”. Auch den Sklavenhandel dürfte 
die Leichtigkeit gefördert haben, mit welcher jo mandes Band zwiſchen Mann und Weib, 
Eltern und Kindern gelöft werden konnte. 

Das Weib nimmt in der primitiven Gejellfchaft eine Stellung ein, die ganz ebenjo 
voll Widerfprüche it wie feine Stellung bei den hödhitzivilifierten Völfern. Nur treten 
die Ungerechtigkeiten oder Unbilligfeiten, welche die natürliche Folge feiner Schwäche find, 
bier viel unverhüllter hervor. Die Polygamie erflärt nicht volllommen die niedere Stellung, 
welche das Weib faft bei allen Naturvölfern einnimmt, denn die legtere folgt in feiner 
Meife notwendig aus der erſtern. Auch wo Monogamie verbreitet ift, die, wenn auch nie: 
mals ausnahmslos, bei Negern und Malayen, Indianern und Hyperboreern vorfommt, ift 
es Gebrauch, daß die Weiber in gejonderten Abteilungen der Häufer wohnen, in der Regel 
nicht mit dem Manne aus Einer Schüffel effen, in jeder Beziehung erſt nad) ihm fommen 
und vorzüglid nur dazufein jcheinen, um feinem Behagen zu dienen. Die höhere Kultur hat 
wohl, indem fie die rohen Inſtinkte, die Gewaltthätigfeit und Ungerechtigkeit befonders beim 
Manne milderte, diefe Stellung des Weibes verbejjert. Hat aber nicht vielleiht diejelbe 
Kultur, indem fie eine Arbeitsteilung begünftigte, die dem Weibe die leichtere, beſchränktere, 
an Ehren minder reiche Arbeit zumies, fie von Krieg, Fehde, Jagd ausſchloß, dasjelbe 

80 


Die Stellung der Frau. Erbredt. Erogamie, Meiberraub, 


noch ungünftiger gejtellt, als die Natur es ſchon beabfichtigte? Wir finden, wenn wir bie 
Kulturftufen von den oberjten an hinabfteigen, das Weib auf den untern dem Manne 
förperlih und gemütlich ähnlicher werden. Könnte nicht die Macht: oder vielmehr Kraft: 
frage, um die es fich hier handelt, einft etwas anders geftanden haben? Es gibt jo mande 
Anzeihen dafür, daß gerade auf den Stufen der Kultur, mit denen wir ung hier zu 
beichäftigen haben, es in feiner Weije jchwer hält, dem Weibe eine herrichende Stellung 
zuzueignen. Wir erinnern an die einflußreichen weiblichen Priefterinnen bei den Dialayen, 
an bie weiblihen Truppen in manden Ländern und an die Häufigfeit weiblicher Herr: 
icherinnen. In Dahomey, wo die weiblihen Regimenter ftärker und wafjenfundiger als 
die männlichen find und alle Beratungen nad) ihren Launen entfcheiden, können fie jeden 
Augenblid die Herrihaft an ſich reifen, und dann würde die lange dauernde Sklaverei in 
vollem Maße entgolten werden. Auch bei den Aſchanti ähnelt die Autorität, welche die 
Schweiter des Königs über feine weiblihen Unterthanen ausübt, in einigen Punkten einer 
unabhängigen Stellung. Deipoten haben vielfach, wie noch jegt der König von Siam, ihre 
Zeibgarde aus Frauen gebildet, da fie der Treue weibliher Sklaven ficherer zu fein glaubten. 
Hat die Natur jelbit dem Weibe Elemente von Schwäche in feine Körperorganifation 
gelegt, welche durch alle Kultur nicht befeitigt, ja vielleicht nur noch mehr entwidelt werben 
fonnten, jo iſt doch unftreitig die Thatjache des Gebärens und des Kinderaufziehens ein 
Grund von Stärke, der immer groß dajtehen wird. Nicht zu allen Zeiten war es wie 
heute, daß die Kinder dem Vater folgen und demgemäß auch den väterlichen Namen tragen. 
Als Herodot bei den Lyfiern die Sitte fand, daß die Kinder den Namen der Mutter 
annahmen, und daß ber Stammbaum in der weiblichen Linie geführt warb, meinte er, 
dieſes Volk fei allen andern unähnlid. Nun wiſſen wir aber, daß diefe Sitte, offen geübt 
oder nur in Spuren, bei einer großen Anzahl von Völkern wiederfehrt. Bei den meiften 
Auftraliern gehört das Kind dem mütterlichen Stamme an, Jo daß bei den dort jo gewöhn— 
lihen Stammesfehden jehr leicht Vater und Sohn auf verjchiedenen Seiten fechten. Die 
Vererbung der Häuptlingſchaft in der mütterlihen Linie hat ſich bei Völkern aller Raſſen 
erhalten. Man hat hierin den Neft einer ehelofen Zeit ſehen wollen, aber e8 kann ebenfo 
gut die Ausgeburt einer ſpätern juriftiichen Tüftelei fein, wie fie gerade den mit Rechts: 
fragen fich jehr gern bejchäftigenden Negern oder Indianern nicht fern liegt. Ebenfowenig 
allgemein wie der väterlihe Stammbaum ift das Vorrecht des Erftgebornen. Dasjelbe ift 
zwar bei den meiften Völkern jehr ftark ausgeprägt, fo daß felbft die alternden Eltern dem 
älteften Sohne gehorhen, während feine Geſchwiſter wie Sflaven für ihn arbeiten müffen. 
Aber es befteht ebenjowohl das Gegenteil, nämlich das Vorrecht des Jüngftgebornen, in 
welchem man eine Bevorzugung der Intereſſen der Mutter und des Haufes fehen fönnte, 
da dieje beiden den meijten Gewinn von der Herrichaft des jüngiten, am längften in 
ihrer Hut verbleibenden Kindes ziehen fünnen. Die „patria potestas‘ ift überall, wo 
das Familienband nicht ſehr gelodert ift, Schon einfach nach dem Rechte des Stärkern jehr 
beträchtlich. Kinder laffen ſich in Afrifa ruhig von ihrem Vater verkaufen. Gerade bei den 
Negern ift dann aber auch wieder die Kindesliebe ungemein entwidelt, und dieſe Völker, 
welche angeblich zu den tieftftehenden gehören follen, haben manchmal ein durch väterliche 
Gewalt und findliche Liebe fo feit gefittetes Familienleben, daß es 3. B. bei den Djur die 
Bewunderung eines jo Fritii den Beobadhterd wie Shweinfurth hervorrufen konnte. 
Zwei merkwürdige Sitten, mit der Eheſchließung verfnüpft, ragen wie Ruinen der Bar: 
barei in unsre Zeit herein: die Erogamie und der Weiberraub. Mande Stämme verbieten 
ihren jungen Männern die Heirat eines Mädchens aus ihrer Mitte, zwingen fie alfo, aus 
einem andern Stamme zu heiraten. So feſte gefegliche Geftalt nimmt diefe merkwürdige 
Sitte an, daß die auftraliihen Stämme ihre eignen betreffenden „Weiberftämme” haben, 
Völterfunde, 1. 81 VI 


Familie und Geſellſchaft. 


aus denen ein beſtimmter Stamm immer wieder heiratet. Bis zu den brahmanifchen Jndern 
herauf zieht ſich dieſe Sitte, denn es ift den Brahmanen verboten, Weiber ihres eignen Stanım: 
namens zu nehmen; als Aberglaube findet fie ſich auch noch bei den Chinefen, und jo tief 
geht fie, daß felbft die Sprache eines Volkes nach väterlier und mütterliher Herftammung 
getrennt fein kann. Nach 2. Adam ift das Karibifche eine Miſchſprache, welche väterlicher: 
jeit3 vom Galibi, mütterlicherjeits vom Arauafi ftammt. Die Bilinguität beiteht darin, daß 
Männer wie Frauen gewiſſe Formen und Wörter nur im Gejprädhe unter ihresgleihen ver: 
wenden, Auf dem neutralen Gebiete aber ift der arauakiſche Einfluß der Mütter überwiegend! 

Der Weiberraub wird als einziges Mittel zur Gewinnung von Frauen, zur Grün: 
dung von Familien heute nicht mehr geübt, wiewohl bei allen Kriegen wilder Völfer die 
jüngern Weiber verfhont und als Beute der Sieger, jo wie einft Andromade, in die 
Häufer der Sieger geführt werben. Aber ſolche Sagen wie der Raub der Sabinerinnen 
oder der Raub der Töchter Schilos durch Benjamins Leute jprechen deutlich aus, daß es 
einft anber3 war. Und wenn noch heute jelbft bei Arabern, Südflawen und andern die 
Braut fich den Anjchein gibt, als folge fie nur dem Zwange, nicht dem eignen Triebe, indem 
fie des Bräutigams Haus betritt, oder wenn den Hochzeitszug ein Gefecht zwifchen den Leuten 
der Braut und de3 Bräutigams verfchönt, welches in der Wegnahme der Braut durch legtern 
oipfelt, jo haben wir darin offenbar Spuren eines einft anders gearteten Zuftandes. 

Das Schamgefühl ift in mehr oder minder hohem Grade, wie wir gefehen haben, bei 
allen wilden Völkern nachzuweiſen, wogegen die Anfichten über geſchlechtliche Sittlid- 
keit jehr verihieden find, bemerfenswerterweife aber in der Regel am loderften bort ſich 
zeigen, wo ein häufiger Verkehr mit den niedern Klaſſen der Kulturvölfer ftattfindet. Die 
großen Unterjchiede, die man gerade in biefer Hinficht zwijchen den Völkern findet, indem 
die einen den gefchlechtlichen Verkehr in buntefter Mifchung als ein Recht der Ehelofen 
betradhten und es vielleicht fogar für ehrenvoll halten, wenn ein Mädchen recht viele Lieb: 
haber und Kinder hat, oder auch ihre Weiber bereitwillig an Gaftfreunde oder gegen Entgelt 
abtreten, während andre ein Mädchen töten, welches ein uneheliches Kind gebiert, find 
ebenjo jchwer zu erflären wie die Unterjchiede, die bei uns in Bezug auf die ſittliche Er— 
ziehung der Kinder in verfchiedenen Familien beftehen. Thatſache ift nur, daß der Einfluß 
der moraliſchen Ideen überall bei Völkern diefer Stufe gering ift, und daß bie Sittlichkeit 
jeltener als Erfüllung einer Forderung des Gefühles für Sitte und Recht als vielmehr als 
eine Vermeidung von Berlegungen des Privatrehtes erfcheint, welches ein Vater auf 
feine Kinder oder ein Ehemann auf feine Frau hat. Speziell der Ehebruch wird allgemein 
als ein Eingriff in das mit dem Weiberfaufe erworbene Recht betrachtet. Deswegen verftößt 
der Mann, welder fein Weib proftituiert, nicht gegen die Sitte. Die gewerbsmäßige 
Proftitution erfcheint unter diefen Verhältniffen als ein Mittel, der drohenden Loderung 
der Familienbande vorzubeugen, und darf darum in der Form, wie fie z. B. bei den Njam: 
Njam erjcheint, als ein Zeichen höherer fozialer Entwidelung betrachtet werden. 


Die Gejellfhaft hängt nicht dDurdaus, aber in hohem Grade von der Familie ab, 
Lebten die Menſchen einft in Herden, jo hatten dieſe Herden ihre ftarfen Führer, und 
damit war eine gejellihaftliche Gliederung angebahnt, welche, als auf dem Grundjaße des 
Nechtes des Stärfern (Befigendern, Weifern) beruhend, neben der Familiengliederung ber: 
geht. Die jogenannten Mesalliancen lehren, daß das Familienprinzip nicht ohne Schwie— 
rigfeit auch bei den hödhftftehenden Völkern die Schranken diejer Gejellihaftsgliederung 
durchbricht. Die Sonderung auf Grund des Nechtes des Stärkern hat eine ftarfe Ten: 
denz zur Ausbreitung und Verftärfung. Der Kräftigere wird über den Schwachen do— 
minieren, und von dem Schweiße des legtern lebend, wird jener immer noch kräftiger, 

& 


Meiberraud. Sklaverei, 


biefer um jo ſchwächer werden. So bilden fich verfchiedene Klaffen, und gerade durch ihre 
Bildung wird ſich die ſcheidende Kluft mehr und mehr erweitern. Findet diefer Prozeß 
eine Schranfe in der Gleichheit der Abftammung aller Glieder desjelben Stammes, fo forgt 
die Aufnahme ber Kriegsgefangenen in den Stanım dafür, daß Ungleichheiten dennoch 
entjtehen und beftehen fünnen. Die Kriegägefangenen zu Sflaven zu maden, wenn man 
jie nicht töten mag, was allein von dem Grade ihrer Verwendbarkeit abhängt, ift eine welt: 
weite Sitte, die nur bei den hödhftzivilifierten Nationen aufgegeben ift. Hirtenvölfer, welche 
von Herden einer beftimmten Größe leben und weber Arbeit noch Nahrung genug für Sfla- 
ven haben, töten ihre Gefangenen, wie 3. B. die Mafai in Oftafrifa. Ihre Nachbarn, die 
Aderbau und Handel treibenden Wakamba, können Sklaven gebrauchen, töten fie alfo nicht. 
Die Wanjamwefi, ein drittes Nachbarvolk, haben durch ihre rege Verbindung mit den Ara: 
bern an der Küfte guten Abſatz für Sklaven, fie führen aljo Krieg, um Sklaven zu erwerben, 
und verfaufen biejelben großenteil® an die Küfte. Iſt nun aud die Sklaverei eine bei nie- 
dern Völfern allgemein anerfannte Inftitution, jo bedingt doch die geringere Entwidelung 
des ganzen wirtjchaftlichen Lebens eine bei weiten nicht jo ftarfe Ausnugung und Belaftung 
ihrer Kräfte, wie wir fie dort finden, wo der Sklave nur ein Räblein in einem mächtigen 
Arbeit3mehanismus ift. Der nach unten nivellierende Zug der primitiven Geſellſchaft zeigt 
ſich nirgends ftärfer als in der vergleichsweiſe freien Stellung, deren die Sflaven ſich er: 
freuen. Etwas andres iſt freilich die ſogar überragende Stellung, welche die Gunft eines 
fürftlichen Herrn ihnen im Vertrauen auf ihren blinden Gehorfam in Haus und Staat ein: 
räumt. Man erinnere fich der Macht der Eunuchen und ber Thatjache, daß in den moham: 
medaniſchen Subdanftaaten die höchſten Palaft: und Staatsämter in Sklavenhänden find. 

Den Sklaven nahe verwandt find jene niedrig geadhteten und niedrig gehalte- 
nen Bevölferungsteile, welche wie tiefere Schichten das herrſchende Volk unterlagern. 
Faft jedes zu etwas höherer Entwidelung vorgefchrittene Volk Afrikas (befonders deutlich 
die Somali und Galla) umfchließt jolde Schichten. Da nicht immer ethnifche Unterfchiede 
vorhanden find, wird die foziale Differenz um fo jchärfer feitgehalten und führt häufig 
genug felbit wieder zu Sonderungen innerhalb diefer niedern Klaffen. So unterjcheiden fich 
die Parias Südarabiend, nah Maltzan, nit von den Arabern, mwiewohl einige fie als 
befreite Negerjflaven, als Abeffinier ꝛc. geichildert Haben. Man unterfcheidet dort in einigen 
Teilen vier, in andern zwei Klaſſen, von welchen die eritern geborne, die andern durch un: 
reine Gewerbe erniedrigte Parias find. Abwechjelnd gehören in dieje Klaffen die verfchieden- 
jten Gewerbe, am häufigften natürlich Scharfrichter, aber auch Yäger, Schmiede, Haufierer, 
Schufter und andre. Eine befondere Form ſolcher Ungleichheit ift wieder die Unterwerfung 
ganzer Völker unter eine erobernde, ausbeutende Schar. Diejes Verhältnis nimmt wahrhaft 
draftifche Formen in jenen Teilen der Sahara an, wo die Araber und Tibbu gewiſſe 
Dafen ſamt deren Bewohnern als ihr Eigentum betrachten. Sie erfcheinen in denjelben 
zur Ernte, um ihren Tribut einzutreiben, d. h. zu plündern und zu rauben, und überlaffen 
in ber Zmwifchenzeit die Unterworfenen ihrem Elende und ihrer Pflicht, für fie zu pflanzen. 

Iſt die häufigfte Urſache der Sklaverei Gefangenschaft im Kriege, jo fommt wirt: 
Ihaftlihe Abhängigkeit im Frieden fpäter als eine wohl nicht viel minder mächtige hinzu, 
denn bei Völfern hoher und niederer Kulturftufe ift der Verluft der Freiheit das äußerjte 
Dpfer, das der Gläubiger feinem Schuldner, der Verlegte feinem Beſchädiger abfordern 
fann. Eine bizarre Ausnahme iſt es nur, wenn bei den Emweern den zahlungsunfähigen 
Schuldner die Todesftrafe trifft. Zwiſchen der Echuldjflaverei aber und der Freiheit des 
Herrn liegt die Abhängigkeit aller derer, die in Wirklichkeit aus Armut fait zu Sflaven 
geworben find, während ihnen doch die Form der freiheit bewahrt bleibt. Auf diefe findet 


der Saß feine Anwendung, daß die endlihe Aufhebung der Sklaverei im größern Sinne 
83 VI* 


Familie und Geſellſchaft. 


zu danken fei der Schaffung beweglicher Werte durch Arbeit, d. h. der Kapitalſchaffung, und 
daß in diefem Sinne das Kapital die Schwefter der Freiheit fei. 

Der Unterſchied des Beſſitzes liegt den tiefiten jozialen Verichiedenheiten zu Grunde. 
Er kann nidt von Anfang an geweien fein, fondern er ift eine fpätere Entwidelung, 
welche hauptjächlich damit zufammenhängt, daß mehr Menichen geboren wurben, ald Raum 
auf dem Boden hatten, den ihr Volk bewohnte. Je rascher dieſes Mifverhältnis wuchs, 
defto größer wurde die Kluft zwiſchen Befigenden und Befiglofen, zmiihen Reichen und 
Armen. In beißen Ländern, wo der Menjd weniger Nahrung bedarf und doch die Pro: 
duktion derſelben leichter ift als in falten, wird die Bevölferung rafcher zunehmen und 
befonders jene Klaffe, welche nicht viel arbeitet, fondern nur das eben Genügende thut, 
um im übrigen ber klimatiſch bedingten Trägbeit zu leben, Der Menjchen find es viele, 
der Arbeit ift e8 wenig; darum find die Arbeitslöhne abnorm gering, das Leben ärmlich, 
das Elend groß. In den Fältern Zonen braucht der Menſch Fräftigere Nahrung, das Land 
erzeugt nicht ſoviel Nahrung wie dort, ernährt nicht joviel Menſchen, der einzelne muß 
mehr arbeiten: die Folge ift der höhere Arbeitslohn. Der Parallelismus zwiichen angeſtreng— 
terer Arbeit und höherm Lohne ift geeignet, den Unterſchied zwiſchen Arbeitenden und Be: 
figenden zu verringern, während umgekehrt die Indolenz der Tropenbewohner diefen Unter: 
jchied, wo jeine Entwidelung einmal angefangen hat, ins Ungeheure fteigert. 

Gehen wir aber zurüd auf den Urjprung des Befites, jo finden wir, daß bie 
Grundlage von allem Befige, nämlich das Grundeigentum, urfprünglic offenbar auf das 
Recht des Stärkern oder bes Erjten hin ermorben wurde. Juſtus Möſer jagt von ben 
alten Deutſchen: „Jeder jcheint fi im Anfange jo viel genommen zu haben, al3 er hat 
nötig gehabt und gewinnen fönnen; da, wo ihm ein Bach, Gehölz oder Feld gefallen. Und 
jo ift gemeiniglic die erjte Anlage der Natur.” Wir jehen das alles in der Befiedelungs: 
aeihichte Amerikas, Nordaliens und Auftraliens fich wiederholen; einzelne nehmen fich 
Königreihe, Gejellicaften von wenigen, wie die der Hudſonsbai, halbe Erdteile. Aber 
natürlich zerfällt jpäter folcher Beſitz, dem fein Machttitel Sicherheit oder Weihe gibt, die 
unverfälichte Menfchennatur macht mit uneingeſchränktem Eigentumstriebe ſich in diefen 
urſprünglichen Verhältniffen geltend. Selbit die in gejellihaftlicher und politiſcher Beziehung 
fo tief ftehenden Auftralier und ſogar die Esfimo, von denen jeder auf ein paar Hundert 
Quadratmeilen kommt, nehmen ſtamm- oder familienweife gewiſſe Landftrihe für ſich in 
Anſpruch und betrachten den als Feind, der ohne Erlaubnis diefe ihre Gebiete betritt oder 
benugt. Das Ziehen engerer oder weiterer Grenzen hängt von dem Maße der Nahrung 
ab, die ein Land bietet, und von ber Fähigkeit feiner Bewohner, diejelbe auszunutzen. Die 
eritere Wirkung zeigen zur Genüge alle Falten und trodnen Länder, die arm an Pflanzen, 
deshalb auch an Tieren find und infolge beider Umftände nur eine geringe Zahl von 
Menſchen ernähren oder, wie viele Inſeln der beiden Polarregionen und große Wüften: 
Kreden, ganz menjchenleer find. Die andre tritt uns in der unverhältnismäßigen Dünnbeit 
der urſprünglichen Bevölkerung der fruchtbariten Präriegegenden Südrußlands oder Nord: 
amerifa3 entgegen, wo nur ber Kulturzuftand, in feiner Weife aber die Natur dem 
Anwachſen der Bevölferung fich entgegenitellte. E3 liegt auf der Hand, daß eine Familie, 
welche von der Jagd ſich nährt, mehr Boden braucht als eine den Aderbau pflegende, und 
ebenjo, daß die nontadifierenden Hirten weitere Flähen beanſpruchen müffen als anfäffige 
Viehzüchter. Zu allen Zeiten und in allen Ländern haben diefe Gegenjäge fich geltend ge: 
macht, und wir werden bei der Betrahtung der Steppenvölfer große gefchichtliche Folgen, 
ipeziell des Gegenfages zwiſchen nomadifierenden Hirten und anfäffigen Aderbauern, fi 
vor ung aufthun jehen und werden diejelben in der Gegenwart, wo fie bewußt gepflegt 
und verjchärft werden, in ebenſolcher Wirkfamfeit erbliden wie im graueſten Altertume, 

84 


Kulturbebeutung des Befiked. Kapitalbildung. 


wiewohl fie feine blutigen Kämpfe mehr hervorrufen, dafür aber in der Erzeugung enblofer 
Reibungen, denen das zerfegende Gift unftillbaren Hafjes entfließt, um fo fruchtbarer find. 
E3 gibt fein fommuniftifches Volk, doch ift befonders bei nomabdifierenden und 
daher dünn wohnenden Naturvölfern der Eigentumsbegriff nicht nad) allen Richtungen hin 
gleich entwidelt. Sie pflegen bis zum Geige an ihren Herden zu halten, während fie auf 
dem Grunbbefige nur jo weit beftehen, als er zur Weide notwendig ift, ihn daher leicht 
wechſeln. Diele refpektieren das Eigentum in verfchloffenen Truben, während das frei 
liegende ihnen vogelfrei if. Was dem Europäer bei den Hirtenvölfern Afrifas und den 
Jägern Nordamerikas fofort aufftößt und ihm ſogleich beim Eintritte in jene Länderftreden 
deutlich macht, daß er nicht mehr im Zwange europäifcher Kultur fich befindet, ift das 
Totliegen ber Eigentumsredhte in gemwiffen Richtungen. „Wohl“, jagt Miffionar Büttner 
vom Damaralande, „hat der Fuß des Wanberers oder der fchwere Ochjfenwagen manchen 
Meg dur das Didiht gebahnt, zumal wo zwifchen den Hauptorten eine Art Landſtraße 
hergejtellt it. Aber niemand ift gehalten, diefelben länger zu benugen oder einzuhalten, als 
er e3 felbit für nötig findet. Sie haben nicht mehr Bedeutung als die Pfade der Zebras, 
die breiten Wege der Hhinozeroffe, die ſchon vor dem Erjcheinen des Menſchen in diefem 
Zande zu den Waflerftellen führten. Getraue ich mich, auch ohne den gebahnten Weg 
dorthin zu fommen, wohin meine Abficht mich führt, nun wohl, nichts hindert mich, nad 
recht3 oder links abzulenken und mir, jo gut es geht, einen neuen Weg zu ſchaffen. Sit 
mein Zugvieh vom Reifen müde, fo wird ausgejpannt, wo ich will; ich laſſe meine Ochien 
weiden, wo ich Gras für fie gefunden zu haben meine, mit dem nächſten Holze koche ich mir 
meine Mahlzeit, ohne irgend jemand darum zu fragen, und aud ohne daß irgend jemand es 
für einen Eingriff in feine Rechte, für eine Schmälerung feines Befigtumes hielte. Gefällt 
mir nun der Ort, wo ich ausgefpannt, finde ich bort etwas, was mich befonders anzieht, eine 
reichlich fliegende Quelle, ein gutes Weidefeld, ein fruchtbares Stüd Gartenland, fo fann id) 
ja dort bleiben, ſolange ih will, fann mir auch ein Haus bauen, fo groß und jo weit ich 
will. Allerdings muß ih, wenn ich mich an einem beftimmten Orte nieberlaffe, geitatten, 
daß auch andre die Duelle waſſerreich und das Weidefeld üppig finden, daß auch fie mit ihren 
Herden anfommen; und bie Praris der Herero, um einem einen Platz troß alles Kommunismus 
zu verleiben, befteht meiſtens darin, daß fie jo viele Herden und Viehpoften an den Wohnort 
des mißliebigen Einwanderers heranbringen, bis diefer der vielfahen Störungen überdrüffig 
wird und, weil der Drt faktiſch verwüftet ift, den Pla räumen muß.” Ganz im Gegenfage 
hierzu werden im dicht bevölferten Gebiete des obern Nil die Seen und Weiher, welche man 
in biefen ungeheuern Moräften findet, ebenfo al3 wertvolles Eigentum refpektiert wie bei uns 
Ländereien und Weinberge, denn fie liefern im Überfluffe Fifche und Lotuskörner, faft die 
einzige Nahrung diefer Fiſchervölker. Wir willen ebenfo, daß bei Jagdvölkern oft auch das 
Recht auf beftimmte Jagdgebiete feitgeitellt und abgegrenzt if. Die büffeljagenden India— 
ner auf den nordamerifanifhen Prärien hielten fi an beftimmte natürliche Grengmarfen. 
Die Betſchuanen zollen noch heute den Buſchmännern von ihrem Jagdertrage, angeblich, weil 
dieje die ältern Eigentümer des Jagdgrundes find. Der Häuptling eines Diftriktes ver: 
langt einen beitimmten Teil des Jagdertrages. Diejelben Herero, von deren unentwidel: 
tem Eigentumsfinne in Bezug auf Grund und Boden vorhin einige Beilpiele gegeben wur: 
den, hüten fich jehr, dies Eigentum an Fremde förmlich abzutreten. Der befannte Jäger 
und Händler Anderfon hatte fi jogar von einigen Häuptlingen die wertvollften und be: 
deutendften Pläge und Streden im Damaralande jchriftlih verjchreiben laffen. Daß aber 
ein folches Dokument nad) der Meinung der Eingebornen und nad) den damaligen Sitten 
des Landes mehr Wert hat, als da es eben Anderjon erlaubte, das Land nad der Weiſe 
der andern Herero mitzubenugen, kann für den Landesfundigen nicht zweifelhaft fein. 
85 


Familie und Gefelligaft. 


Durch Befruchtung des Bodens mit Arbeit entitcht der feite, dauernde Befit, der 
feinerfeit3 mit befruchtenden Adern das Leben ber Völfer durchzieht. Je nachdem ſich die 
Arbeit aber an den Boden heftet oder nur leicht über ihn bingeht, ift fie grunbverfchieben 
in Bezug auf ihre Ergebnilfe. Die große Bedeutung des Aderbaues als der an den Boden 
fich heftenden Arbeit haben wir gefennzeichnet (ſ. Einleitung, ©. 17 und 56); was hinter 
ihr liegt: Jagd, Filcherei, nomadiſches Hirtenleben, jchafft meiſt nur raſch vergänglichen 
Befig, der nicht die Quelle faßt und fchont, aus der er ſchöpft. Im Aderbaue liegt dagegen 
Befeftigung, Vertiefung, die nicht am wenigiten mächtig dadurd wirft, daß fie auch andre 
Zweige menſchlicher Thätigfeit zur Stetigfeit erzieht. Es ruht auf diefer ftetigen Arbeit 
und der Anhäufung ihrer Früchte alle höhere Entwidelung der Kräfte der Menjchheit. Ge: 
rade auf tiefern Stufen der Kulturentwidelung ift die Anfammlung des Reichtumes eine 
Sache von der größten Wichtigkeit, denn ohne Reihtum gibt e8 Feine Muße und ohne 
Muße feine Veredelung der Lebensformen und feinen geiftigen Fortſchritt. Erjt bei einem 
erheblihen und dauernden Überjhuffe der Produktion über die Konſumtion entfteht ein 
Überſchuß an Befig, der nach den Gefegen der Wirtſchaftslehre ſich felber vermehrt und 
das Auffommen einer intelligenten Klafje ermöglidt. Ein armes Wolf entwidelt feine 
Kultur, und die relativ armen Kulturvölfer ftehen noch immer hoch über den unfultivierten, 
die von ber Hand zum Munde leben. Wir jehen diefe Wirkungen, wenn wir betrachten, wie 
die Zivilifation in Ajien fih immer auf die reihen Tieflandgebiete, vom Dften Südchinas 
bis zu den fruchtbaren Weftabhängen Kleinafiens, Phönizien und Paläftina, beſchränkt. 
Nördli von diefem Gürtel ſaßen ſtets arme, rohe Nomadenhorden, denen e8 nicht an 
Begabung fehlte. Sobald fie in die Tieflandgebiete hinabitiegen, find fie tüchtige Mit- 
arbeiter an der Kultur geworden. Agypten war und ift Kulturoafe, gleihwie es Daſe 
der Vegetation und bes Klimas ift. Boden und Klima haben hier zufammengewirkt. In 
Europa bat fich Ähnliches vollzogen, aber wir fehen hier die günftigen Wirkungen des 
Bodens und Klimas übertroffen von der ausgezeichneten Dispofition der arbeitenden Men- 
chen, deren Thatkraft einen ficherern Fortſchritt der Kultur gewäbhrleiftet als der Reichtum 
der Natur, Die Naturfraft ift ihrem Weſen nad bei aller Großartigfeit be— 
grenzt und ftationär, die geiftige Kraft des Menſchen ift unerfhöpflid. Der 
beite Boden wird zulegt erfhöpft, während an bie Stelle einer erjchöpften Menſchengene— 
ration eine fräftige tritt. Auf dieſer Grundlage ward die Kultur der Bewohner gemäßig- 
ter Zonen die entwidelungsfähigfte von allen. Dieje Kraft aber mußte in langjamer, 
beftändiger Arbeit entwidelt werden, und bie Kulturentwidelung ift unter anderm auch 
eine fortſchreitende Erziehung zur Arbeit. Wir betonen hier gerade die wirtfchaftliche Arbeit, 
die Arbeit, deren Ziel der Erwerb irdiſcher Güter ift. Denn wenn jchon bei den höchft- 
zivilifierten Völkern die Frage nad) ihrer Arbeit, ihrem Erwerbe, ihrem Befige, ihrer Nah— 
rung und Kleidung, endlich ihrem Lurus eine außerordentlich wichtige und bei ihrer Beur— 
teilung noch vor bie geiftigen Leiftungen zu fegen ift, wieviel eingreifender muß fie da 
fein, wo die geiftigen Erwerbungen noch gering find und die Anfammlung von Weisheit 
nur von einem Geſchlechte zum andern möglich ift! 

Es muß zweifellos jeder Menſch arbeiten, um zu leben; allein er kann elend leben, 
um wenig arbeiten zu müflen, und gerade das trifft bei vielen Naturvölfern zu, deren 
ganze Eriltenz zu oft nur ein Leben von der Hand in den Mund ift. Der Naturmenſch 
leiftet, im ganzen genommen, oft ein nicht geringeres Maß von Arbeit als der Kulturmenjch, 
aber er leiftet fie nicht in regelmäßiger Weife, fondern gewiffermaßen ſprungweiſe. Das Leben 
des Buſchmannes ift Wechſel zwifhen Jagd, die ihn oft tagelang mit aller Mühe den 
Herden folgen läßt, dann Aufzehrung des Erjagten und zum Schluffe Faulenzen, bis die Not 


zu neuer Anftrengung zwingt. Die regelmäßige Arbeit ift das, was der Naturmenich 
86 


Rolitiihe Entmwidelungeu und Umbildungen. 


ſcheut. Er will nad) Belieben träge fein fünnen und nur in der äußerften Not arbeiten. 
Daher der Zug unbezwingliher Apathie in feiner Phyfiognomie, den man oft geradezu 
al3 jeine Signatur bezeichnen fan. Da man aus der indianiſch-franzöſiſch-ſchottiſchen Mi— 
ihung den Indianer gar nicht mehr herausfenne, empfahl einer der Begleiter des Marquis 
of Zorne auf feiner Reife im Norbweiten Kanadas, die unbefiegliche Apathie als Unter: 
iheidungsmerfmal des echten vom falihen Indianer anzunehmen; diefes ſei untrüglich! 
Durch alle Entwidelungen, die er durchſchritten, verfolgt ihn diefer Zug der Scheu vor 
ftetiger, regelmäßiger Arbeit. Ein Freund und Kenner des Weltafrifaners fagte jüngft: 
„Ich babe niemals den Neger abgeneigt gefunden, zu arbeiten, wenn er ben Lohn der 
Arbeit in ficherer Ausfiht hatte; allein er befigt nicht die Geduld, um auf den Erfolg 
zu warten”. Daher ſcheut er auch das Erlernen eines Handwerkes. Sein Handelätrieb, 
den bie Thatſache illuftriert, daß nahezu ein Fünftel der Bevölkerung Sierra Leones aus 
Kaufleuten, beziehentlich Krämern beiteht, wurzelt qutenteils in der gleichen Abneigung. 


Der Stant. 


Inhalt: Alle Völker Ieben in Staatdverbänden. — Entwidelung der Staaten, — Aderbauer und Hirten ala 
Staatenbildner, — Kennzeichen der primitiven Staatenbildungen. — Urfache ber Willkürherrſchaft. — Stärke 
ber Häuptlinge. — Der Krieg. — Urſachen feiner Häufigkeit. — Berberbliche Wirkungen bes beftändigen 
Kriegäzuftandes. — Allgemeines Mißtrauen. — Seltenheit der Allianzen, — Berfchiebene Grade berfelben. — 
Scheinkriege. — Die Grenzen. — Lockerer Zufammenhang primitiver Staaten. 


Kein Volk, das wir kennen, ift ganz ohne politifhe Organifation, diefelbe mag eine 
jo lodere jein wie bei den Bufchmännern, deren Heine, zu Jagd oder Raub ſich zufammen: 
ſchließende Trupps zeitweilig ohne Führer find, oder wie bei andern heruntergefommenen, 
verfprengten Stämmen, bei denen oft nur Aberglaube und Gewohnheit noch die Stänme 
zufammenhalten. Aber das, was die Soziologen „Individualismus” nennen, hat man noch 
nirgends auf der Welt anders denn als Einzelerfcheinung gefunden; es ijt im Gegenteile 
merkwürdig, wie raſch aus dem Zerfalle alter Völker immer wieder neue fich bilden. Stets 
ift diefer Prozeß im Gange. Treffend ſprach es ſchon Lichtenftein aus: „Überhaupt 
ändern fich bei einem nomadiſchen Wolfe, das noch dazu fat immer in bürgerlichen Kriegen 
begriffen ift, zu oft die Wohnplätze der Völfer, ihr ganzer fittliher Zuftand und mit beiden 
die Namen, als daß es möglich wäre, fie als wirklich beftehende Volksmaſſen voneinander 
zu unteriheiden. Jeder einzelne Stamm it gemwiffermaßen nur eine vorübergehende Er- 
iheinung, er wird in der Folge entweder von einem andern mächtigern verichlungen, oder 
zeripaltet jih im glüdlihern Falle in mehrere Fleinere Horden, von denen die eine hierhin, 
die andre dorthin zieht, und die nunmehr nad einigen Generationen nicht mehr von: 
einander willen.” Wie tief dabei aber doch das Prinzip der politifchen Organifation ein- 
gedrungen ift, zeigt die Thatſache, daß dieſe politifchen Veränderungen ſtets den Charakter 
einer Umfriftallifierung, nicht einer formlofen Zerfegung tragen. Die Organifation, 
welche beiteht, ift nur jelten von langer Dauer, denn je feiter die Dauer fie macht, beito 
unerträglicher erfcheint fie. E83 gehört zu den Merkmalen des Kulturmenſchen, daß er an 
den Drud der Gejege jich gewöhnt. Anders der Naturmenſch, der nichts ſchwerer empfin: 
det als Geſetze. Die Sage, welche den Keim der Römermadt in einer Räuberbande ent: 
jtehen läßt, findet bei den Naturvölfern noch oft genug Bewährung. Man fann wohl mit 
einiger Sicherheit behaupten, daß, wenn dort ein verhältnismäßig geordnetes Staatsweien 
von Eingebornen begründet wird, an jeinen Grenzen immer auch bald ein andres Gemein: 
weſen fi aufthut, aus Angehörigen desjelben Stanımes bejtehend, welche die Ordnung 

87 


Der Staat. 


nicht ertragen fönnen oder nicht mit ihren Intereſſen vereinbar finden; und diefer geſetzloſe 
Ausmwurf zieht oft genug eben aus der Freiheit von jedem gefeglihen Bande und jeder Rück— 
ficht auf Stamm: und Familienbeziehungen und felbit aus der Ächtung, die ihm die Kühn: 
ften und die Bejiglofen von allen Nahbarftämmen zuführt, eine Kraft, die feine Raubzüge 
zu politifchen Eroberungszügen erweitern, aus dem Räuberftamme ein Volk von Eroberern 
und Herrfhern machen fann. Raub und Eroberung gehen leicht ineinander über. In allen 
Ländern, wo die Naturvölfer freien Raum zur Entfaltung ihrer Tendenzen finden, haben 
immer jolche Räuberſtämme eine geſchichtlich bedeutfame Rolle gejpielt. Wir erinnern hier 
an den räuberifhen Zuluftamın der Watuta, der feit 20 Jahren ein Gebiet von über 20,000 
DMeilen faft unaufhörlich beunruhigt und durch die Verflechtung feiner Thaten und Unthaten 
mit der Entwidelung ber europäifchen Forſchungen und des arabifchen Handels im Nyafla- 
und Tanganifagebiete eine traurige Berühmtheit erlangt hat. Es ift höchſt wahrjcheinlich, 
daß fein gej&hicter Häuptling Mirambo, wenn er nit vorher von den Arabern zu Tode ge- 
hegt wird, eine feite Herrfchaft und Dynaftie zu gründen verſuchen wird, welche im beiten 
Falle einige Generationen andauern könnte, um dann in neuen Kämpfen unterzugehen. 
Ahnlich, nur noch weiter ausgreifend, ift die Thätigkeit der malayifchen Seeräuberftämme. 

Iſt nicht dieſer beitändige Kampf der Urzuftand in niedrigfter Erſcheinung? Man 
fann hierauf antworten, daß bis heute ja auch die Kulturvölfer die Kämpfe untereinander 
nicht vermeiden können und unfer Friede, joweit menjchliches Erinnern geht, immer nur 
ein bewaffneter gewejen ift. Der Unterſchied liegt darin, daß bei uns heftige Ausbrüche 
des Kampftriebes längere Ruhepauſen unterbrechen, welche durch die Kulturverhältniffe ge 
boten find, während dort jehr oft ein unferm mittelalterlihen Fauftrechte ähnlicher Zuftand 
der dauernde wird. Dabei darf aber doch wohl hervorgehoben werben, daß es auch fried: 
liche Völfer und friebliebende Herricher unter Naturvölfern gibt. Sie prägen eben aud) hier 
etwas allgemein Gültiges nur unverhohlener aus als wir. Wer möchte einen Stein auf fie 
werfen gerade im Hinblide auf Kampf und Krieg, die wir jo jehr beflagen, ohne fie bejei- 
tigen zu können? Und ift nicht der Sat, daß niemand Freiheit verdient, der nicht für bie: 
jelbe fämpft, ein allgemein anerfannter Grundjaß, der nur nirgends jo zäh und gründlich 
bethätigt wird wie auf diefer Stufe? Vergeſſen wir endlich nicht, daß bie blutigiten und 
verberblihiten Kriege der Naturvölfer nicht diejenigen waren, welche fie untereinander, 
jondern die, welde fie mit den Europäern führten, und daß nichts Gewaltthätigfeit und 
Grauſamkeit in jo hohem Grade unter ihnen angefadht hat als der durch die Gewinnfucht 
höher zivilifierter Fremden, meijt Europäer, angeregte Sklavenhandel mit feinem ſchauder— 
haften Gefolge von Sklavenjagden. Wenn der liebevoll gerechtefte aller Beurteiler der 
Naturvölfer, David Livingitone, in fein letztes Neifetagebuh die Worte jchreiben 
fonnte: „Der Grundjag des unbedingten Friedens führt zu Unwürdigkeit und Unrecht. . .. 
Der Kampfgeift iſt eine der Notwendigkeiten des Lebens. Wenn Menſchen wenig oder 
nicht8 davon haben, jo find fie unwürdiger Behandlung und Schädigungen ausgeſetzt“, 
fo jehen wir, daß die Unvermeidlichkeit des Kampfes zwiſchen Menſchen eine große ſich 
aufbrängende Thatjadhe fein muß. Denn diefer große Miffionar erkannte fich jelbft feinen 
höhern Beruf zu, als den Frieden in die Fampfreichen Gefilde Afrifas zu tragen. 

Aber diejer Kampfzuftand ſchließt ftaatlihe Ordnungen nit aus, jondern ſetzt fie 
voraus. Er ijt nicht bellum omnium contra omnes, jondern er ftellt vielmehr eine Ent: 
wickelungsphaſe des längjt ſchon ftaatenbildend gewordenen Wölferlebens dar. Der wid): 
tigjte Schritt aus der Hoheit zur Kultur it die Loslöſung der Einzelmenfdhen aus 
der gänzlidhen oder zeitweiligen Vereinzelung oder Bereinfamung, melde mit 
den niedern Stufen des Naturmenfchentumes ungertrennlich verbunden ift. Alles, was darauf 
hinwirkt, Geſellſchaften zu ſchaffen, war von großartigiter Wichtigkeit in den frühſten 

83 


Politiſche Entwidelungen und Umbildungen. Räubervölker. Aderbauftaaten und Hirtenftaaten, 


Stadien der Kulturentwidelung. Und bier bot die bedeutenditen Anregungen ber Kampf 
mit der Natur im weiteften Sinne. Der Erwerb der Nahrung mochte in erfter Linie Verbin: 
dungen ſchaffen, wie wir in ber gemeinjamen Jagd und wohl noch mehr im gemeinjfamen 
Fifchfange fie begrüßen. Bei legterm ift die Disziplinierung der Mannſchaften, die ſich in 
den größern Fifcherbooten einen Anführer wählen, weldhem unbedingt zu gehorchen ift, da 
vom Gehorfame jeglicher Erfolg abhängt, als eine Vorbedingung der Regierung des Schiffes 
nicht der letzte Vorteil; denn die Regierung des Schiffes erleichtert dann die des Staates. 
Im Leben eines gewöhnlich völlig zu den Wilden gerechneten Volkes wie ber Salomonginfu: 
laner ift unzweifelhaft das einzige in hohem Grabe bisziplinierende, Fräftezufammenfaffenbe 
Element ihres Lebens eben die Schiffahrt. Das Rudern im Takte in den großen Kähnen, bie 
mehrere Dugend Menſchen fallen, das Zufammenhalten einer Flottille, die vom vorauf: 
fahrenden Boote angeführt wird, die Reifen von Hunderten auf diefe Weije zurüdgelegter 
Seemeilen, das alles find Anfänge größerer gef&hichtlicher Bethätigung durch Kräftezufam: 
menfaffung und Unterordnung. Der Aderbauer wird wohl nie einen jo großen Antrieb 
zur Vereinigung in ſich empfinden, da er ifoliert lebt. Allein auch er hat Motive der Zu: 
ſammenſchließung. Er hat ein Befigtum, und in diefem Befigtume ftedt ein Kapital von 
Arbeit. Da diefe Arbeit nicht wieder verrichtet zu werben braudt von dem, ber biejes 
Befigtum erbt, fo ergibt fi) die Kontinuität des Beſitzes und damit die Wichtigkeit der 
Blutsverwandtfhaft von felbit. Wir finden zweitens mit dem Aderbaue die Tendenz zu 
dichterer Bevölkerung verknüpft. Indem nun diefe Bevölkerung einander näher rüdt, fich 
abgrenzt, erwirbt fie, wie jede Anzahl von Menſchen, die auf demfelben Flede Erde lebt, 
gemeinjame Intereſſen. Es entftehen Heine, embryonale Staatsbilder, die man als Keime 
von Aderbauftaaten betradhten darf. Beim Hirten, beim Nomaden geht aber die Staats: 
bildung viel raſcher vorwärts, in demjelben Maße rajcher, als das Bebürfnis nah Zu: 
ſammenſchluß ein regeres ift. Sie liegt ja im Weſen feiner Beihäftigung. Während aljo 
bier fofort die Familie von viel größerer Wichtigkeit als dort wird, ift dagegen die Mög: 
lichkeit dichterer Bevölkerung geringer, wenn nicht gar ausgefchloffen. Der Hirt braucht 
großes Areal; dünne Bevölkerung ift mit dem Hirtenleben faft immer verfnüpft. Aber der 
Beſitz braucht Hier größern Schuß, und ihn gewährt der Zuſammenſchluß zunächſt der Familie, 
Es ift wirtſchaftlich vernünftiger, wenn viele von einer großen Herbe leben, als wenn 
dieje Herde in viele Teile zerteilt wird; benn das legtere erſchwert den Schuß und erzeugt 
zugleich Streitigfeiten. Eine Herde ift leicht zu zertreuen, man muß fie mit Macht zu: 
fammenhalten. Es ift daher fein Zufall, daß nirgends die Familie zu fo großer politischer 
Bedeutung gelangt wie bei den Nomaden. Das patriarchaliſche Element der Stammes: 
und Staatenbildung findet hier feine entfchiedenfte Ausprägung, und wie im ZJägerftaate 
der Stärffte der Mittelpunkt ift, fo wird es im Hirtenftaate der Älteſte. 

Man ift geneigt, dem Deſpotismus als einer im Vergleiche zum Rechtsſtaate nie: 
drigern Entwidelungsform des Staates ein fehr hohes Alter zuzumeifen, und glaubt wohl 
gar die Anfänge ftaatlichen Lebens in feinen Formen fich bilden zu jehen. Dem wideripricht 
aber von vornherein die Thatjache, daß nur das geringite Maß von Laften und Pflichten 
vom primitiven Menjchen getragen werden will, und daß alle äußern Umftände, unter 
denen dieſe Staaten fih bilden, der Entwidelung einer feiten Herrſchermacht ſich eher 
ungünftig erweifen. Der Defpotismus fteht vor allem im Gegenfage zu dem patriarchalijchen 
Ausgangspunfte diefer Staatenbildungen. Die nächſten Angehörigen des Häuptlinges 
ſtehen nicht tief genug umter legterm, um unterſchiedslos in ber Mafje der beberrichten 
Bevölkerung aufzugehen. Sie allein Schon drängen auf einen mehr oligardifchen Charakter 
der Regierung hin. Die Willfürherrfchaft, deren Spuren wir dennoch überall bei Völkern auf 
niederer Stufe begegnen, auch wo die Regierungsform republifanifch ift, hat ihren Grund 

ss 


Der Staat. 


nicht in der Stärke des Staates oder Häuptlinges, fondern in der moraliihen Schwäche 
des Einzelnen, der machtlos der über ihm ftehenden Willfür anheimfällt und zum Sklaven 
wird, weil er frei jein wollte, ohne den moralifhen Mut zu befigen, fich die zum Beſten 
der Gejamtheit erforderlihen Beichränfungen aufzuerlegen. Seinen Nächſten fennt er nur 
als feinen Feind. Das Phantom allgemeiner Gleichberechtigung fteht am allerfernften dem 
Milden und dem Naturzuftande. Daher geht, fobald die Einzelnen zu individueller Stärke 
erwachlen, eine unerwartete Ahnung von Freiheit durch ein Naturvolf, die freilich Ahnung 
bleibt, aber darum nicht minder auffallend ift. Man hat das Gefühl, als ob bei rubigerm 
Ausreifen auch diefer Keim fich entfalten und individuelle Kräfte von größerer Bedeutung 
zu gunften der Zivilifation ins Spiel bringen würde. Die geringe Bedeutung, welche dem 
Häuptlinge der Maori, der Zulu und andrer als ſolchem zufommt, wenn er nicht ſelbſt 
ein tapferer Krieger war, nicht wenigſtens einmal die Führung im Kriege hatte; die Frei- 
willigfeit im Kriegsdienfte, die feinen Zwang, fondern nur moralifche Verpflichtung kannte; 
die Unbefangenheit der Meinungsäußerung, vor allem aber die Geringfügigfeit der wir: 
lihen Machtmittel eines Häuptlinges; endlich die Häufigkeit der 3. B. bei den nordamerifa- 
niſchen Indianern jo oft vorfommenden, gegen den Häuptling gerichteten Revolutionen: fie 
alle laſſen bie Dejpotie weitab von diefen Völkern liegend erfcheinen. Nicht aber auch die 
Ungerechtigfeit, denn zu deren Einfchränkung fehlt die Stetigfeit des Nechtsgefühles. 

Rechtsſatzungen hat jedes Volk, und zwar fchwanfen fie bei den meiften Natur: 
völfern, die wir fennen, auf der Grenze ber Selbithilfe und des Abkaufes der Schuld. Von 
der Majeftät des Geſetzes ift nicht die Rede, jondern von der Entjchädigung des durch das 
Verbrechen zu Schaden Gebrachten. Im malayifchen Rechte gilt 3. B. die Selbfthilfe überall 
bei Ertappang auf frifcher That, wo felbit die Tötung des Diebes gejtattet ift, während 
darüber hinaus der Abfauf, d. h. die Gelbitrafe, geboten ift; ähnlich bei den Negervölkern. 
Die Blutrache ift in verfchiedenen Graben der Ausbildung bei der Mehrzahl der Naturvölfer 
zu finden. Die Schranken, welche die Geſetze ziehen, find indefjen viel zu weit bei den 
niedrig ftehenden Völkern, weil das Rechtsgefühl der Einzelnen nicht ftarf genug ift. So 
ift der Gemaltthätigfeit ein großer Raum gelaffen, bei Niedern wie Höhern, und je nad) 
dem Widerſtande, der Abwehr, die fie findet, engt fie die Einzeljphären ein. 

Eine mädtige Stärkung erfährt aber die Herrfchermadt dur die Verbindung mit 
dem Prieftertume, Mehr oder weniger ausgeſprochene Neigung zur Theofratie iſt allen 
Staatenbildungen eigen, und jehr oft übertrifft die Bebeutung des Priefters diejenige des 
Regenten im Häuptlinge. Die ſchwachen Häuptlinge Melanefiens ftellen das myſtiſche Duk— 
Duk-Syſtem in ihre Dienfte, um nicht ganz machtlos zu werden, und in Afrika gehört es 
zu den Funktionen des Häuptlinges, durch Zauber fein Vol zu entfühnen, wenn der Zorn 
überirdiicher Mächte es getroffen, ihm Vorteile jeder Art herbeizubeten 2c., was nicht ver: 
hindert, daß ein im Befige großer Fetiſche ftehender Priefter den Einfluß des Häuptlinges 
in den Schatten ftellt. 

Mit der Zauberfraft verbindet fich zur Steigerung der Macht des Häuptlinges das 
Monopol des Handels. Indem der Häuptling der Vermittler des Handels ijt, bringt er 
alles in feine Hand, was feinen Unterthanen begehrenswert ift, und wird der Spender 
guter Gaben, der Erfüller der heißeſten Wunſche. Diejes Syitem findet in Afrifa feine 
höchſte Entwidelung. In ihm liegt fihherlih eine Quelle großer Macht und auch wohl: 
thätiger Wirkungen. Denn gerade hier ift nicht zu überfehen, daß eine der hervortretend- 
iten Anregungen zu Fortichritten oder, jagen wir vorfichtiger, zunächſt zu Änderungen in 
den Gegenjtänden des Kulturbefiges eines Volkes im Willen hervorragender Einzelnen zu 
ſuchen iſt. Treffend hebt in diefer Beziehung Lubbod hervor, daß „Kriegswaffen, indem 
fie jehr von der Laune des Häuptlinges abhängen, wahrjcheinlich größerm Wechſel unterworfen 

”“ 


Die urfprünglihen Regierungdformen, Theofratifche Elemente. Der Krieg. 


find als Jagdwaffen“. Als hiſtoriſchen Beleg hierzu heben wir nur die Veränderung 
hervor, welche durch Tihafa, den Zulu-König, in der Form der Affagaie, der Hauptwaffe 
der Zulu, bewirft wurde. Wir finden aber auch Häuptlinge, die ihre Macht auf der Grund: 
lage einer überragenden Kenntnis oder Fertigkeit befeftigen. Der von Livingftone fo 
anziehend gefchilderte Manyema=Häuptling Moenefuß ließ feine Söhne eifrig das Schmiede: 
handwerk lernen, und der Namaqua:Häuptling Lamert war felbit der tüchtigfte Schmied 
feines Volles. Selbſtverſtändlich ift es aber die Kriegskunſt, deren Verftändnis am höchſten 
bei einem Häuptlinge gefhätt wird. Salomonifcher Weisheit der Rechtſprechung bebarf er 
viel weniger, weil die Schuldigen in allen ſchwereren Rlagefällen in ber Regel durch Zauber 
ermittelt werben, und weil gewöhnlich in der Rechtfprechung der Volfsrat, das Palaver, 
oder wie man e$ nennen mag, mitwirft. Wie indeſſen aud die Stellung der Häuptlinge 
fein mag, vergleihbar mit der aus dem Kulturreichtume eines europäifchen Volkes her: 
vorgehenden Macht ift niemals die der Herrſcher barbarifcher Nationen. Und es wäre zu 
wünfchen, daß viele Reifebeichreiber die Diskretion des alten Robert Morris gehabt 
haben möchten, der in ber Einleitung zu feiner Beſchreibung Dahomeys jagt: „Ich konnte 
in meiner Beichreibung nicht. vermeiden, Ausdrüde wie König, General, Palaft ꝛc. zu 
gebrauden. Man möge aber nicht vergeffen, wenn folhe Ausdrüde vortommen, daß fie 
feineswegs beftimmt find, die Ideen auszudrüden, welche man mit ihnen in der zivilifier: 
ten menſchlichen Gefellihaft verbindet, und ich hoffe, man wird es als eine entihulbbare 
Burlesfe auffaffen, wenn ein brutaler Barbar König oder fein Haus, das wenig befjer 
als ein Hundezwinger, Palaft genannt wird.“ 

Die Kriege der Naturvölfer find fehr oft viel weniger blutig als die unfrigen, und 
häufig arten fie zu Karikaturen bes ernſthaften Kriegsweſens aus. Der durch fie ver: 
urſachte Menfchenverluft ift indeffen doch nicht zu unterfchägen, da fie von langer Dauer 
find, und da die von Naturvölfern bewohnten Länder ohnehin nur geringe Menfchen- 
zahlen aufzuweiſen haben. Bon Überfällen abgejehen, welche ganze Gemeinden in bie 
Hände der unbarmherzigen Sieger geben, find die Verlufte an Menfchenleben z. B. in den 
beitändigen Kriegen der Fidfchianer gering. Th. Williams jehägt fie für die barbarifchen 
Zeiten auf 1500-2000 pro Jahr, „ohne die Witwen, welche auf die Nachricht vom Tode 
ihres Gatten erwürgt werden”. Immerhin ift diefe Zahl hinreichend, um zum Rückgange 
der Bevölferung erheblich beizutragen. Das Feuergewehr hat hier wie überall die Kriege 
vermindert, ficherlich gerade, weil e8 die Verlufte vergrößerte. Aber zu dieſem dauernden 
Kriege, den man als „Heinen Krieg” bezeichnen könnte, gefellen fich jene Kataftrophen ber 
Überfälle, in denen große Zerftörungen von Menſchenleben den elementaren Ausbruch krie— 
gerifcher Leidenjchaft begleiten. Das legte Ziel eines ernften Krieges ift bei den Natur: 
völfern nicht die Befiegung, fondern die Ausrottung des Gegners, Kann man nicht bie 
Männer erreihen, jo wirft man fi) auf Weiber und Kinder. „Würde ich dem Nate unſrer 
angeblichen Freunde (der Maori) gefolgt jein“, jagt Cook in ber zweiten Reife, „ſo hätte 
ich das ganze Wolf ausgerottet, denn die Bevölkerung jedes Dorfes ging uns an, die des 
andern zu töten.” So gingen jelbit Angehörige des von dem Häuptlinge Kahura befehligten 
Stammes jo weit, Coof um die Beifeitefhaffung diefes von ihnen gefürdteten und als 
ſchlecht geichilderten Mannes zu bitten. Unter den Eingebornen Südafrikas ift von alters 
ber der Grundſatz der Ausrottung in Thätigfeit. Gegenden, welde heute ftill und ver: 
laſſen find, umſchloſſen einft eine geichäftige Menge, deren Zahl und Macht allmählich durch 
Krieg und Mangel herabgebracht worden find. „Ganze Stämme find mitjant den Wurzeln 
aus ihren Sitzen herausgeriffen worden und find entweder von der Erde verichwunden, 
oder durchwandern, getrieben von dem unerbittlihen knochigen Arme des Hungers, unter 
wechjelnden Schidjalen ungemeffene Streden. Hunderte von Meilen grüßt daher dort 

9 


Der Staat. 


feine Spur einheimifcher Induftrie unjer Auge, noch irgend eine menſchliche Wohnſtätte; 
endlofe Streden bieten das Bild einer einzigen menfchenleeren Wildnis.” (Harris.) 
Zum Morde gefellt fih Naub, um ein Kriegselend zu ſchaffen, wie e3 die zivilifierten 
Völker kaum erdenten können. Den Gipfel diefer verheerenden Macht bildet aber freilich 
das Auftreten höher begabter oder mindeitens befjer organifierter Krieger= oder Räuberhor: 
den, die eine Übung im Morden 
— — — und in der Grauſamkeit ſich er— 
Ei worben haben. Won dieſer Art 
find außer den oben genannten 
Watuta vor allen die hellfar— 
bigen Hirtenftämme Dftafrifas 
(Gala, Majai und Genofien) 
und die berittenen Indianer 
Nordamerikas. Selbft die hrift: 
lihen Abeffinier find im Kriege 
von berücdhtigter Graujamleit, 
und andre werden durch bie 
Endlofigfeit der Kriege ihnen 
ähnlich. So werden ald un: 
glaublich die Grauſamkeiten ge: 
ichildert, deren fich die Namaqua 
gegen die Herero und Buſchmän— 
ner jhuldig machten. Das Ab: 
hauen der Hände und Füße und 
das Abjchneiden von Naje und 
Obren find gewöhnlich. Dft ha- 
ben die Mißhandlungen den Ne- 
benzwed, einen Gefangenen zu 
‚zeichnen‘, was für dieſen freilich 
häufig mit Todesgefahr verbun: 
den ilt. Dahin gehört vor allem 
das Tättowieren der Kriegsge— 
fangenen. Lichtenſtein ſah 
einen Hottentott vom Stamme 
ber Groß: Namaqua, den die Da: 
mara als Gefangenen bejchnitten 
Em und der mittlern obern Vorder: 
Gin Mruasifhbändier; Yentrafafrita (nad Cameron). Val. Text, zähne beraubt hatten. „Er zeigte 
— —— uns das“, erzählt Lichtenſtein, 
„md fügte hinzu, daß, wenn er zum zweitenmal von ihnen gefangen genommen wäre, dieſe 
jehr kenntlichen Zeichen ihm unfehlbar den Verluft feines Lebens zugezogen haben würden.” 
Die Verlufte an Leben und Gejundheit und die Summe von Qualen, denen eine unter: 
worfene Bevölkerung ausgeſetzt ift, heilt die Zeit; aber was bleibt, ift die tiefe moraliſche Nach— 
wirkung. Jenen Schaden fönnten einige Generationen des Friedens ausgleichen, wenn nicht 
ein andrer Nachteil, moralijcher Art, ihnen folgte, welcher viel tiefer einfchneidet. Es iſt dies 
die Erjhütterung alles Vertrauens in die Nebenmenfchen und in die Wirkffamfeit 
moralijcher Mächte, wie der Friedensliebe und der Heiligkeit des verpfändeten Wortes. Hit 
die Politif der Kulturvölfer nicht dur Treue und Vertrauen ausgezeichnet, jo ijt die der 
92 





Rolitifche Verhältniſſe. Kriegszuftand, 


Naturvölfer der Ausdrud der niedrigen Eigenichaften des Miftrauens, der Untreue, der 
Nücfichtslofigkeit. Man fucht durch nichts andres als durch Überliftung oder Schreden 
zu wirken. Daher allgemeines Miftrauen, beffen fulturfeindlihe Wirkungen nicht befchrieben 
zu werden brauden. Unendlich traurig ift ein Wort, das Livingftone von den Maravi 
am MWeftufer des Nyafla fagt: daß fie im allgemeinen die Flüffe und Nebenflüffe gut, die 
Anwohner derjelben aber fchlecht kennen, weil die Natur neutral bleibt, aber die Menjchen 
einander faft immer nur feindlich gefinnt find. Für die europäische Politik gegenüber den 
Naturvölfern hat dies den großen Vorteil gehabt, höchft jelten einer ftarfen Vereinigung 
eingeborner Kräfte gegenübertreten zu müffen. Vielleicht ift das einzige fehr bemerkens— 
werte Beijpiel diefer Art die Allianz der „ſechs Nationen’ norbamerifanifcher Indianer 
vom Stamme der Srofefen, welche im 17. und 18. Jahrhundert mehr als einmal ben 
Europäern gefährlich wurde. Ein Verſuch einer Allianz, der fehr bedenklich hätte werden 
fönnen, wurde nad) dem jogenannten Sand River:Vertrage von 1852 (zwifchen der Kap: 
regierung und den Bauernfreiftaaten) zwiſchen Griqua, Bajuto, Bakwena und andern 
Betichuanenitämmen gemacht, fam aber nicht zur Vollendung, und die legten Jahre haben 
zur Genüge wieder gezeigt, wie wenig die jüdafrifanifhen Stämme mit ihrer Überzahl 
und ihrer zum Teile hervorragenden Kriegstüchtigfeit vermögen, weil ihnen das moralifche 
und geijtige Selbjtvertrauen fehlt, das fie jelbit zu einigen und ihren Betrebungen Feftig- 
feit zu geben im ftande wäre. Immer fommen wir daher wieder auf denfelben Punkt zurüd: 
geringe Stärfe der moraliſchen und geiltigen Mächte und deshalb Mangel fait allen Zu- 
fammenbanges und aller Konjequenz in ihrem Handeln. 

Biihof Crowther hebt in feiner Nigerfahrt mit Necht hervor, wie übel die europäi- 
ichen Reifenden thun, wenn fie die beftändige Furcht und Unficherheit der Eingebornen über: 
jehen, die ein notwendiges Refultat des jo häufigen Verrates ihrer Feinde ift. „Sie ilt 
Urſache, daß fie ihre Bogen und Pfeile nicht mehr ablegen und jeden Augenblid bereit 
find, auf das geringite Zeichen ihre tödlichen Waffen abzuſchießen.“ Er empfiehlt das frieb- 
lichite und zugleich offenjte Borgehen, um die überall wuchernde Pflanze des Mißtrauens, den 
Wurm im Leben diefer Völker, zu erftiden. Es ift in der That jehr bezeichnend, daf die 
große Mehrzahl der Naturvölfer nie ohne Waffen geht (ſ. Abbildung, Einleitung, S. 92), und 
nichts bezeichnet beijer den höhern Stand der Zivilifation in Uganda, als daß dort Spazierftöde 
an die Stelle der Waffen treten. Schließlich möchte hier noch darauf hinzuweiſen fein, daß 
die Blutradhe eine wohl allgemein verbreitete Inftitution niederer Völker ift. Sie erreicht 
eine fürdhterliche Ausdehnung bei den Polynefiern und Melanefiern, von denen allen gilt, 
was Eoof von den Neufeeländern jagt: „Es ſcheint mir, daß die Neujeeländer in beitän- 
diger Furcht vor wechjeljeitigen Angriffen leben. Wenige Stämme find, die nicht glauben, 
von irgend einem andern Stamme Unrecht erlitten zu haben, und welche nun beftändig 
auf Rache denken.” Dffenbar gehört fie zu den primitiven Nechtseinrichtungen. 

Wenn man von jenen Völkern abjieht, wie Galla oder Apaches, deren Gewohnheiten 
Krieg und Raub find, jo fteht der Grad ihrer Unficherheit offenbar in einem gewiſſen 
Zujfammenhange mit den allgemeinen Lebensverhältniffen. Jeder Beobachter hebt das 
mißtrauifh Lauernde im Wejen des Bujchmannes hervor, und die Auftralier find von 
Neid, Hab und Furcht gegen ihre Nachbarn beſeelt. So verbindet fi mit der elendeften 
Lage eine beftändige mißtrauifche Streitbereitichaft, welche das Elend noch verſchlimmert. 
Man möchte glauben, nicht jelten treffe Cooks Meinung zu, daß der Wunſch nad) einem 
fetten Mahle feiner der geringiten Gründe zu den Feindjeligfeiten der Neufeeländer ei. 

Es ift bezeichnend für die Härte des Dafeinsfampfes unter diefen Verhältniffen, daß bei 
feinem Naturvolfe der Inſtinkt der Befämpfung, womöglich der Ausrottung jedes Fremden, 


der feinen Boden betreten, von feinen Früchten effen, von jeinem Waſſer trinfen will, fo 
93 


Der Staat. 


ſehr entwidelt iſt als gerade bei dieſem jonft jo gedrüdten, ſchwachen und ſcheuen. 
Hierin ift fein Unterjchied zwiihen dem Norden und dem Süden. Wir erinnern uns 
feiner Erpebition ins Innere Auftraliens, die nicht Kämpfe mit den Eingebornen zu be: 
ftehen gehabt hätte, und es ift gewiß das fo raſche Ausfterben der Auftralier zum guten 
Teile diefer Charaftereigenfchaft zuzufchreiben, die an das Zähnezeigen des Raubtieres erin: 
nert, das fein Lager und feine Beute bedroht fieht. 

Daß bei jenen Naturvölfern, welche feine auf Krieg und Raub gerichtete und mehr oder 
weniger vom Kriege lebende Organifation, wie etwa die Zulu oder Watuta, darftellen, die 
Ausfehtung der Fehden nicht immer gerade in der blutigiten Weife ftattfindet, ergibt fich 
von jelbit aus der häufigen Wieberfehr der Kämpfe. Man fucht ganz natürlich die Heftig- 
feit derjelben abzuſchwächen. Die Wortgefechte nehmen einen breiten Raum ein. So 
fagt Schweinfurth von den Bongo: „Bei Paufen im Gefechte werden in fidherer Ent: 
fernung alle fi) darbietenden Terrainhöhen, vorzüglich die 10—15 Fuß hohen Termiten: 
haufen, beftiegen, und die feindlihen Parteien rufen fih alsdann ftundenlang die lächer: 
lichſten Schimpfreden und Herausforderungen zu. ALS wir ander Südgrenze des Uandofchen 
Gebietes uns einige Tage in einem Verhaue gegen die Angriffe der Eingebornen zu ver: 
teidigen hatten, hörte man foldhe Rufe ftündlih. ‚Alle Türfen‘ (fo Iaffen fi die Nubier 
in den Negerländern allgemein nennen), ſchrieen fie, ‚jollen umfommen, feiner joll aus 
dem Lande hinaus, fie jollen nie wiederfommen, in den Kochtopf mit den Türken! Fleisch! 
Fleiſch!““ Die Kriege nehmen natürlich auch an Bedeutung ab mit der Größe der Mädhte, 
welche fie ins Spiel bringen. Daher find heute die Dorffriege der ohnehin fchlaffen und 
mwohllebigen Weftafrifaner bei weiten nicht mehr fo blutig wie zu Lopez’ Zeit, welcher Kongo 
und Angola fich mit vielen Taufenden befehden läßt. Der Krieg wird von diefen leichtlebigen 
Naturfindern mit einer gewiſſen formellen Allgemeinheit behandelt, welche fich mehr an die 
ungefährlihen Hußerlichfeiten als an das blutige Wefen diefer Geißel der Menſchheit hält. 
Er ift in ihren Händen eine ftumpf gewordene Waffe. Dem, was fie Feindjeligkeiten 
nennen, gehen lange Demonftrationen zu Land und zu Waffer voran, welden in der That 
oft etwas Imponierendes innewohnt. Wenn diefe Demonstrationen nicht? nugen, und 
wenn ebenfo die unzähligen, meijt branntweingetränften „Palavers“ oder Beiprehungen 
erfolglos bleiben, fo beginnen endlich die eigentlichen Feindfeligkeiten, deren Opfer in der 
großen Mehrzahl wehrlofe Leute find, welche dem Feinde in die Hände fallen. Zu eigent: 
lichen Gefechten fommt es faum jemals, vor allem aber nicht zu Handgemengen; die Käm— 
pfenden halten fi vielmehr möglichft außer Schußweite und entwideln in der Benugung 
von Dedungen eine Vorfiht und Findigfeit, welche einem modernen Truppenführer wahr: 
haft beneidenswert erjcheinen müſſen. Diefe Kriegführung bringt zwar dem Feinde Feine 
ſchweren Verlufte bei, fie hat aber dafür den Vorteil, von beiden Teilen leicht und lang 
ertragen zu werden. Sie kämpfen Monate hindurch, ohne daß ihre Verlufte an Toten und 
Derwundeten fi über ein Dugend erhöben, Aber doch wird mit der Zeit ein Teil mürbe, 
wenn auch halb aus Langeweile, und der Erfolg ift am Ende derielbe wie bei unjrer 
„wiſſenſchaftlichen“ Kriegführung bes 19. Jahrhunderts. 

Wer jollte nicht in diefem latenten Kriegszuftande eine große Urfache des Zurüdbleibeng 
der Naturvölfer erfennen? Die Bedeutung der Kulturftaaten, die ſich zu einer freien Höhe 
der Entwidelung hinaufgearbeitet haben, liegt darin, daf fie Durch gegenfeitige Anregung auf: 
einander wirken und jo immer vollfommnere Erzeugnifje hervorbringen. Aber gerade die ge: 
genjeitige Anregung fehlt im dauernden Kriegszuftande, die von innen und außen wirkenden 
Kulturmächte werden gleihmäßig geihwächt, und die Folge ift Stillftand, wenn nicht Rückgang. 

Im Wejen der Staatenbildungen der Naturvölfer liegt aus zwei Gründen Unbe: 
timmtheit der Grenze. Einmal, weil der Kriegszuftand beitändige Verſchiebungen der 

4 





Unbeftimmtheit der Grenzen. Unhaltbarkeit größerer Staaten. 


Mohnfige und Machtſphären bewirkt, und dann, weil die vom Mittelpunfte aus den Staat 
regierende, zufammenhaltende Macht den MWechfel ihrer Stärke gerade in den peripherifchen, 
d. h. den Grenzftrichen durch wechfelnde Kraft der Anziehung und des Zufammenhaltes kund 
werben läßt. Was einmal Schlatter von den Nogaiern fagt, daß ihr Land urfprünglich 
feine beſtimmten Grenzen gehabt habe, fondern daß dieje erit durch das Vorrüden der 
deutfchen und ruffiichen Aderbaueranfiedelungen ihnen gezogen worden feien, gilt im Grunde 
von allen Naturvölfern und vor allem von den Nomaden. Scharfe Grenzbeftimmungen 
mögen am eheften fich dort ausgebildet haben, wo die beiden jo grundverſchiedenen Kultur- 
und Lebensarten des Nomadismus und Aderbaues aufeinander treffen. Hier werben ben 
Steppenvölfern mit Notwendigkeit fcharfe Grenzen gezogen, aber auch bier genügt nicht 
die Natur allein, wie ſcharf fid) immer der Gegenjag von Ader= und Steppenland erweijen 
möge; die Kunft ſucht nachzubelfen, indem fie Wälle und Mauern baut. Die Steppengebiete 
find die Länder der chineſiſchen Mauern und der Kojafenwälle, deren Vorkommen, nad) 
Mitteleuropa herein, die einftige Verbreitung nomabdijcher Barbaren anzeigt. Deutjchland 
weift Werke diefer Art aus der Römerzeit auf, aber im innern Rußland begegnet man ſchon 
bei Penſa einem Grenzwalle, der bis Tambow läuft und fid) mit einem von Simbirsf bis 
Kursf ziehenden Freuzt. Diefe merkwürdigen Wälle und Mauern find dann eine gewöhn— 
lie Erſcheinung, bis man jenem berühmten größten und unwirkſamſten Beifpiele berfelben, 
der großen Mauer Chinas, begegnet, die von Sutſcheu bis Girin das größte ſeßhafte 
Kulturvolf Afiens von dem größten Nomadenvolfe fcheiden fol. Noch in unferm Jahr: 
hundert find, 3. B. unter Perowski, Schugmwälle von großer Ausdehnung gegen die Noma- 
deneinbrüde in der Kirgifenfteppe auf der Grenze Europas und Afiens erbaut worden. 

Schon dieſe Schwierigkeit der Abgrenzung läßt die Bildung großer Staaten in 
primitiven Kulturverhältnijjen nit von Dauer fein. Mit Recht hat Leopold 
v. Ranfe es als einen Erfahrungsjat ausgeiproden, daß einer allgemeinen Gejchichtsbetradh- 
tung fidh überhaupt anfangs nicht große Monardien, fondern Feine Stammesbezirke oder 
ſtaatenähnliche Genoſſenſchaften darftellen. Dies zeigt Die Geſchichte aller großen Reiche, ſelbſt 
das chineſiſche kann auf Heinere Anfänge zurüdgeführt werden. Freilich find die großen von 
geringer Dauer geweſen, mit einziger Ausnahme des römijchen. Auch das chineſiſche hat 
befanntlic) Perioden des Zerfalles mehrfach durchgemacht. Es ift, als ob am römischen Reiche 
die Völker gelernt hätten, wie große Länder verwaltet werden müfjen, um fie (wenigjtens 
räumlich) groß zu erhalten; denn ſeitdem hat die Geſchichte vorwaltend Neiche, die oft das 
römijche an Größe noch überragten, ſich erheben und durch Jahrhunderte fich erhalten ſehen. 
Außer der Beherzigung geihichtlicher Lehren hat dazu ohne Frage die wachſende Zahl der 
Bevölferungen und das damit zunehmende Gewicht ihrer materiellen Intereſſen beigetragen. 

Das volkreichſte aller der Kultur entbehrenden Länder, das Afrifa der Neger, um: 
ihließt feinen einzigen wirklichen Großitaat. Je größer dort ein Neich, deſto Fürzer ift feine 
Dauer, bejto loderer jein Zufammenbang. Es bedarf der größern Organiſations- und 
Zujammenhaltsfraft, wie fie uns in den Fulbe oder Galla-Wahuma entgegentritt, um 
Reihe wie Sofoto oder Uganda nit bloß zu gründen, fondern auch zu erhalten. Sogar 
die in kriegeriſcher Organiſation jo hochitehenden Zulu haben nie dauernd über ihre Natur: 
grenzen hinaus fi ausbreiten und dabei im Zufammenhange mit ihrem Lande bleiben 
fönnen. Es fehlt ihnen die Fähigkeit der friedlihen Organijation, welche natürlicherweiſe 
eine höhere iſt ald die der friegeriichen. Diefer Mangel eines feiten innern Zufammen: 
hanges tritt uns jelbjt in den mohammedaniſchen Staaten des Sudan entgegen und ift 
nicht minder der Grund der Schwäche, an welcher die Staaten Mittel- und Südamerifas 
zu Grunde gingen. Se näher man das wahre Wejen Altmerifos erkennt, deſto weniger 
ift man geneigt, auf diefen lodern Bund der Häuptlinge von Anahuac Namen wie Reid) 

95 


Der Staat. 


und Kaifer anzuwenden. Im Malayiihen Archipel fcheint erft mit dem Eindringen des 
Islam die Staatenbildung fih über die Abglieverung von Dorfihaften erhoben zu haben. 
Klarheit und Beftimmtheit in Sahen der politifhen Zufammengebörigfeit mangeln jelbit 
den großen Mächten Süd- und Oftafiens, der größten, China, am allermeilten. Sie find 
ein Vorrecht der höchſten Kulturftufe. 

An die Stelle der Erweiterung eines Staates tritt die Gründung neuer dur Aus— 
wanderung und Eroberung. Es ift auffallend, wie oft diefelbe Sage oder Überlieferung 
in Afrifa und anderwärts wiederfehrt: ein Herricher jendet einen Trupp Krieger aus, um 
ein Yand oder eine Stadt zu erobern, was diefen nicht gelingt, worauf fie ſich ruhig nieder: 
laffen und ſich mit den Töchtern derer verheiraten, welche fie unterwerfen wollten. So ift der 
Ursprung der Matabele, fo ift es angeblich jener der Mazitu, fo werden Fulbe:Nieder- 
lafjungen am untern Niger (wie Gandiko und Zhibu) erklärt, jo chineſiſche Daſen in den 
Schanländern und andre. Man braucht nicht alle diefe Überlieferungen zu glauben und 
fann doch in ihnen einen Beweis einmal für die große Nolle jehen, welche in den Völker— 
mifchungen bes Altertumes dem Kriege zugewieſen war, und andernfalls für die Schwierig: 
feit, zufammenhängende Staaten zu gründen, an deren Stelle die Loslöfung von Kolonien 
in friegerifcher oder friedlicher Weife tritt. Die Alfuren der öſtlichen Inſeln des Malayi- 
ſchen Archipels haben beftimmte Regeln für die Verwaltung ihrer Kolonien, und bie 
Koloniengründung muß im alten Polyneſien ganz ebenfo ein Zweig der Staatsverwaltung 
geweſen fein wie einft in Hellas. 

Weit zurüd tritt natürlich bei Völkern auf niederer Stufe jene verfittende Kraft im 
Kampfe gegen Naturgefahren, deren Drohung die Gejamtheit eines Volkes oder einen 
größern Teil beöfelben zu gemeinfamer Abwehr verbindet. In ihnen wirft eine ftarfe 
vereinigende, die Schätzung gemeinfamer Antereffen fördernde Macht günftig auf die Ge 
jamtfultur. Eins der hervorragenditen Beifpiele bieten die tief gelegenen Küjtenftreden 
der Nordjee in Deutſchland und den Niederlanden dar, wo durd) die allgemeine Gefahr des 
Dammbruches und der Überſchwemmung durch wütende Sturmfluten ein nach verfchiedenen 
Richtungen hin folgenreiches Zufammenftehen der Menſchen hervorgerufen wird. Mit tiefem 
Sinne hat der Mythus den Kampf gegen dieſe Naturgewalten der vielföpfigen Hydren und 
der greulichen, vom Meere and Land friechenden Seeungeheuer mit der Erringung der höchiten 
Güter der Völker in Staatengründung und Kulturerwerb innig verbunden, bei feinem Volke 
mehr als dem chineſiſchen, das in jeinem ftrom= und ſumpfreichen Lande feinen dämmenden 
und austrodnenden Schem, Schun, Jao und dergleichen freilich mehr al3 genügende Arbeit 
darzubieten hatte. In Agppten liegt eine derartige Wirfung, welche der Sorge für die 
jährlihe Bewäſſerung und Neuabgrenzung des Landes entipringt, hiſtoriſch offen. 

Kulturförbdernd müſſen aber des weitern überall gemeinſame Bedürfniffe wirken, welche 
die Menjchen aus der unfruchtbaren Iſolierung herausreißen, die ihr natürlicher Zuftand 
zu ſein jcheint. Sie befejtigen vor allem auch das Staatswejen, das die Leiftungen zur 
Befriedigung dieſer Bedürfniffe organifiert. Gemeinjame Beherrihung und gemein- 
jame Interefjen jhaffen Staaten. Das Bewußtſein der nationalen Zufammenge 
hörigkeit bricht fich als jtaatenbildende Kraft erit jpäter Bahn, wenn bie geiftigen Interefjen 
der Völker mit ins Gewicht fallen. In fat allen Ländern der Erde, welche größere poli- 
tiiche Einheiten darftellen, finden wir ja von jeher verjchiedene Nationalitäten nebeneinander. 
Nur in Heinen Staaten findet man einen einzigen Volksſtamm. Non den größern euro: 
päiſchen Reichen ift Italien, das jüngfte, auch das einzige, deifen ganzes Land vorwiegend 
von einer einzigen Bevölkerung bewohnt iſt. 


96 


Die Maturvölker Afrikas. 


Voltertunde. L 


Ginleitung: Afrikas Land und Volk, 


Das Land. 
„Afrita ift eine Halbinfel der öftlichen Erdfeſte.“ 
D. Peſchel. 


Inhalt: Lage und Geftalt Afrikas. — Halbinfelnatur Afrilas. — Mangelhafte Küftengliederung. — 
Geringe Sciffbarkeit der Ströme. — Bodengeftaltung und Bemwäfferung. — Einfluß ber Natur Afrikas 
auf feine Bewohner. — Klima. — Die Pflanzenwelt Afritad. — Die Tierwelt Afrikas. 


Mir müſſen Afrifa ins Auge faffen, ehe wir die Afrifaner verftehen wollen. Die 
Geſchicke der Völker werben immer mitbebingt fein durch den Boden, auf dem fie wandeln, 
aus dem fie ihre Nahrung ziehen, der fie bejchränft oder die Möglichkeit weiter Aus: 
breitung darbietet; ferner durch den Himmel, der ihnen das Maß der zum Leben unent- 
behrlihen Wärme und Feuchtigkeit bejtimmt, je nachdem die Sonne fi höher an ihm 
erhebt, je nad) dem er fich blauer oder ummölfter über fie wölbt; durch die Mitgift an 
Pflanzen und Tieren, welche ihr Land empfangen hat, und aus deren Zahl fie ſich nicht 
bloß wertvolle Mittel der Nahrung, Bekleidung, des Schmudes, jondern auch Freunde, 
Helfer, Gefährten zu gewinnen vermögen, wie aber freilich auf der andern Seite auch ver- 
berblide, oft faum zu überwindende Feinde aus ihrer Mitte erwachſen fünnen. Das 
Maß diefer Bedingung haben wir hier nicht zu unterfuchen. Unſre Aufgabe befteht in 
diefem Augenblide nur darin, uns ein Bild zu machen von dem Erbteile Afrifa als 
einer Wohnftätte des Menſchen, zu erkennen, was er jeinen Bewohnern darbietet und 
was er verjagt, und in welchen Beziehungen diefe hierdurch anders geftellt find als bie 
Völker andrer Erbteile. 

Indem wir die fünf Erdteile vergleichend betrachten, hebt fich jogleich Afrifa als der 
am wenigiten weit nah Norden und Süden zu reichende, aljo am meilten nad bein 
warmen Raume innerhalb der zwei Wendefreife zufammengedrängte, hervor. Der nörd— 
lihfte Punkt, Kap Blanco, liegt in 37° nördlicher, der jüdlichite, das Nadelkap, in 35° 
fübliher Breite. Das macht eine Ausdehnung von rund 1100 Meilen zwiſchen Norden 
und Süden. Faft ebenfo weit, nämlich etwa 1000 Meilen, ftredt fih das Land zwiſchen 
Dften und Weften aus, indem ber weſtlichſte Punkt, das Grüne Vorgebirge, zum 17.9 
weftliher und der öftlichjte, das Kap Gardafui, zum 51.° öftliher Länge von Greenwid 
reiht. Dieſer Erdteil ift aljo faft ebenfo lang wie breit. Da er nun nahezu in 
feiner Mitte vom Aquator geſchnitten wird, fallen von feiner ganzen Oberfläche 410,000 
DMeilen oder fat drei Viertel in die beiden Tropengürtel, welche 23'/2° füdlich 


und nörblih vom Äquator durd; die Wendekreife oder Tropen begrenzt werden. 
1* 


4 Afrifad Land und Boll. 


Wenn e3 auch wohl nit immer zutrifft, daß nur innerhalb dieſes Gürtels bie 
heißeften Länder der Erbe liegen, fo ift doch durch den höchſten Sonnenftand in dem— 
felben bie Hauptbedingung der größten Erwärmung überall gegeben, und wir dürfen ohne 
Bedenken Afrifa Schon nad) feiner Lage al3 den heißeiten ber Kontinente bezeichnen. 
Bon Amerika fällt nur wenig über ein Viertel, von Afien nur ein Achtel in den Tropen: 
gürtel. E3 find aber in diefer Hinfiht noch mande andre Punkte von Einfluß, von 
denen hier zunähft nur bie Geftalt Afrifas erwähnt fei, welche im ganzen ſich als bie 
eines nah Süden hin verjchmälerten Dreiedes barftellt. Die Nordhalbkugel ift jedoch 
unter gleichen Breiten wärmer als die Sübhalbfugel, und da auf jener ber verbreiterte, 
auf diefer aber der ſchmale Teil des afrifaniihen Dreiedes oder Keiles liegt, jo trägt 
auch diefer Umftand dazu bei, Afrifa der Maffe nad wärmer zu machen. 

Bleiben wir noch einen Augenblid bei Lage und Geftalt ftehen. Afrika ift nicht ein 
ganz jelbftändiger Erbteil wie die rings vom Meere umfloffenen Weltinfeln Amerika und 
Auftralien, jondern es hängt mit Ajien durch die 15 Meilen breite Landenge von Suez 
zufammen. Nad) ftrenger geographifcher Terminologie wäre e8 aljo eine Halbinjel zu 
nennen. Man bat in der That, indem man auf ben ähnlihen, wenn auch breitern 
Zufammenhang Europas mit Afien hinwies, Afrifa als bie jübmweitlihe und Europa als 
bie nordweſtliche Halbinjel des großen Erbteiles Ajien bezeichnet. Welche Benennung 
man auch immer wählen möge, ftetS wird diefer Zufammenhang als eine ber widhtigften 
Thatjachen in der Geographie des dunkeln Erbteiles erjcheinen. St er auch ſchmal, fo iſt 
er al3 Brüde noch immer breit genug, und kaum ift es zweifelhaft, daß manches Volk 
auf feiner Wanderung dieſe Brüde befchritt. 

Indeſſen ift mit biefer Landenge die Verbindung Afrikas mit der übrigen Alten Welt 
nicht abgeichloffen. Das Note Meer mißt in feinen breiteften Streden faum 50 Meilen 
vom arabiihen zum afrifaniichen Ufer, es ift infelreih, und in der Meerenge von Bab el 
Mandeb tritt Arabien bis auf eine Entfernung von 4 Meilen an das gegenüberliegende 
Abejlinien heran. Noch enger ift aber die Meeresftraße, welche in der Meerenge von 
Gibraltar Afrifa von Europa fcheidet; fie mißt nur 2 Meilen. Dazu kommt endlich noch eine 
Reihe größerer Inſeln, von Eypern bis Malta, welche gleichjam als verbindende Mittel: 
glieder in das erbteilfondernde Mittelmeer eingefchaltet find und von Afrika einerfeits nad 
Kleinafien, anderfeit3 nad) Europa hin gleichfalls Brüden fchlagen, zu deren Überjchreitung 
e3 in diefem friedlichen Binnenmeere feiner hohen Vervolllommnung der Schiffahrt jemals 
bedurfte. Man kann wohl jagen: Afrika ift ber übrigen Alten Welt, alfo Ajien und Europa, 
nicht bloß jehr nahe gerüdt, fondern außer einer Landenge auch durch Inſeln und durch 
mehr verfnüpfende als ſondernde jchmale Meeresteile verbunden. Sehr oft werden wir 
ben Wirkungen diefer Verbindung mit Arabien, Syrien und den Mittelmeerländern in den 
Geſchicken der Völker Afrifas wieder begegnen. Wir werben in Gefchiden und Geſchichte 
ber Norboftafritaner einen arabiihen Zug und in denen der Norbafritaner einen mittel: 
ländiſchen Charakter finden. 

Am Weiten, Süden und Süboften aber ift diefer Erdteil ebenfo weit von allen andern 
entfernt, wie er an jenen eben betrachteten Stellen ihnen genäbert it. Vom Grünen 
Vorgebirge nad) dem nädhftgelegenen ſüdamerikaniſchen Punkte, dem Kap Noque in Süd: 
amerika, find es 300 Meilen, von der Dftipige Afrifas nad der Südfpige Indiens 350 
und von Madagaskar nad) Auftralien 900 Meilen. Bon allen dieſen Seiten ber ift Afrika 
nur vermittelt gut gebauter Schiffe zu erreichen, wie fie den hier wohnenden Afrifanern 
in gefhichtliher Zeit niemals zur Verfügung ftanden. 

Indem man die Möglichkeit erwägt, zu Schiffe die entferntern Küften dieſes Erb: 
teiles zu erreichen oder von denjelben nah andern Erdteilen zu fhiffen, Ienft ſich der 


Halbinfelnatur Afrilas. Geringe Schiffbarkeit der Ströme, 5 


Gedanke von felbft auf die Geftalt Afrifad. Eine reihe Glieberung durch Golfe und 
Meeresbuchten, Halbinjeln und Inſeln ift offenbar der Schiffahrt günftig. Der afrita- 
niſchen Küfte fehlt dieje Gliederung in hohem Grade. Afrika wird an Geringfügigkeit der 
Gliederung nur von Südamerika übertroffen. Dies fällt nicht bloß etwa dem theoretifchen 
Kartenbetradhter auf. Hebt doch ſchon der in biefer Frage ficherlih unbefangene 
givingftone hervor: „Da dieſer Kontinent ohne Meeresarme und Förden ift, jo find 
die Stämme des Innern ftet3 vom Verkehre mit den Europäern abgehalten worden durch 
bie allgemeine Herrſchaft des Grundjages bei ben Stämmen der Küfte, die binnenmwärts 
Wohnenden außer Sit zu halten und als Zwifchenhändler fi zwiſchen fie und die 
Europäer zu ftellen”. 

Hier einige Maßangaben. Bergleiht man den Flähenraum des Feftlandfernes mit 
dem jeiner Glieder oder Abzweigungen, nämlich der Halbinfeln und Inſeln, jo erhält 
man das Verhältnis von 4,7:1, während in Europa 2:1, in Aſien 3:1 erreicht wird, 
Vergleidt man aber die Kiüftenlänge diejes Erdteiles mit derjenigen Europas, indem 
man legtere = 1 jegt, jo erhält man nur 0,22. Die große Gliederung in Halbinfeln 
und ausgedehnte Inſeln oder Inſelgruppen, wie man fie in Aſien findet, würde bie 
Möglichkeit der Entwidelung abgejhloffener, jelbftändiger Kulturen bieten. Aber auch 
dieje fehlt infolge jener geringen Gliederung biefes Erbteiles, der vor allen den Namen 
des plumpen verdient. Einzig der Norboften und der Norden, joweit fie an das Rote 
Meer und das Mittelmeer grenzen, weifen etwas mehr Mannigfaltigkeit der Gliederung 
auf. Aber ihr tritt hier ein andrer Umſtand in ungünftigem Sinne entgegen: ihre 
klimatiſchen Berhältniffe geftatten der MWüftenbildung, an vielen Punkten bis an bie 
Meeresküfte fih auszubreiten. Madagaskar, die einzige große Inſel des Erbteiles, hat 
ein Sonderleben für fich geführt. Dies ſcheint zu beweijen, daß noch andre Momente 
al3 die Gliederung hemmend auf die Kulturentwidelung Afrikas einzumwirfen im ftande 
waren. 

Was einem größern Stüde Erde an Zugänglichkeit durch mangelhafte Gliederung 
entzogen wird, kann ihm bis zu einem gewiſſen Grabe durch tief in fein inneres ein- 
greifende Flüſſe erjegt werden. So iſt Sübamerifas geringe Zugänglichkeit gemindert 
durch die ausgedehnte Schiffbarfeit der beiden großartigen Flußiyiteme bes Amazonen— 
ftromes und bes La Plata. An Afrika läßt die Bobengeftaltung auch diefen Erſatz nicht 
in genügender Weife zur Geltung fommen, indem das Innere des Landes in weiter 
Ausdehnung ein bergumkfränztes Hochland ift, das die Flüffe durch Stromfchnellen nad) 
den viel beſchränktern Tieflandteilen abftürzen läßt. Nil, Kongo, Zambefi, Oranje 
find nur in befchränftem Maße unterhalb dieſer Abftürze jhiffbar, und nur der Niger 
geftattet da8 Eindringen in das Innere des Erdteiles, aber freilich nur auf einem allzu 
gewundenen Wege. 

Auf ihren weiten Wegen durch das Hochland bes Innern find einige afrifanifche 
Flüffe in Verbindung mit den großen dort fi ausbreitenden Binnenfeen wohl im ftande, 
wichtige Hilfsmittel des Verfehres zu werden, und fie find e3 in gewiſſem Maße für ben 
einheimifchen Bedarf; aber die Wege nad dem Meere find ihnen abgefchnitten. Übrigens 
entbehrt, mit einziger Ausnahme des tief aus dem Innern fommenden Nil, Afrika nörblid 
vom Wendefreife des Krebſes nennenswerter fließender Gewäſſer, während in der ent- 
fprechenden Region Südafrikas diefelben ihre Thäler in hohe Tafelländer tief eingefchnitten 
und fi damit der Benugung durch den Menſchen in den meiften Beziehungen entzogen 
haben. Statt aljo die in der Umrißgeftalt mit ihrer geringen Gliederung gegebene Ab: 
geſchloſſenheit des Erbteiles erheblich zu mindern, trägt die Natur feiner Flüffe eher dazu 
bei, biejelbe noch zu veritärfen. 


6 Afrifas Land und Bolt, 


Flüffe und Seen find nad Geftalt und Verbreitung im höchſten Grade abhängig 
von der Geftaltung des Bodens, auf und in weldem fie fließen, beziehentlih ruhen. 
Auch die eben erwähnten, für die Aufſchließung Afrifas jo bedeutſamen Eigentümlichkeiten 
jeiner großen Gemäfler ftellen fih als ein Spiegelbild feiner Bodengeftalt dar, Afrika 
kann furzweg der Erbteil der Tafelländer oder Plateaus genannt werden, denn nir- 
gends ift diefe Erhebungsform bes Erdfeften fo weit verbreitet, jo ohne Lüde ausgebreitet 
wie in Afrifa. Wir werden das bei der Betrachtung ber einzelnen Landichaften oft her: 
vorzuheben haben. Hier handelt e8 fih um ben Gejamtüberblid, für welhen Afrika ein 
einziges großes Hochland ift, d. h. ein Land, das fait durchgehends über 300 m liegt. 
Nicht unzutreffend hat es einer ber für die Erforjchung der afrikaniſchen Geographie ver: 
dientejten Reijenden, Spefe, mit einer umgeftürzten Platte verglihen. Der Boden ift 
das innere Hochland, ber erhöhte Rand bebeutet die Gebirgszüge den Küften entlang und 
der Abſturz die allmählich nad den Küften zu fi) abdachenden Tieflandftreifen. Die Geo- 
graphen teilen e8 wohl in mehrere Tafelländer ein, welche indeffen burch feine fcharfen, 
durchgehenden Grenzen gefchieden find. Tiefland, d. 5. Land unter 300 m, ift nur ein 
verhältnismäßig Heiner Teil von Afrifa, an den Küften und in ben Unterläufen ber 
großen Flüffe. Dasfelbe ift gemwiffermaßen nur zufällig ba und bort dem Rande bes 
zufammenhängenden Hoclandes angefügt oder in gewiſſe Lücken besjelben eingejchaltet. 

Was das Hochland betrifft, fo ift diefes im allgemeinen am höchſten im Süden 
und Oſten des Erbteiles, um nad Welten und Norden hin in oft gewaltigen Stufen zu 
vergleihenden Abfägen ſich nieberzujenfen. Ein nur an wenigen Stellen unter 1000 m 
herabgehender Hochlandzug durchzieht den Dften und Süden vom abeffinifchen Hochlande 
bis zum Kap der Guten Hoffnung und zur Mündung des Cunene. Die größte Lüde 
legt in benfelben eine Senke, in welder nad Oſten der Limpopo und nad Weiten ber 
Cunene abfließt, während zwijchen beiden der Tioge fid) in den abflußlofen Ngami ergießt. 
Dieje Senke kann als die Naturgrenze zwijchen Süd: und Mittelafrifa betrachtet werben. 
Nördlih von ihr erhebt fi ein andres Hochland, von welchem ſich mafjerreihe Flüffe 
nad allen Himmelsrihtungen, hauptſächlich aber nach Norden und Süden, ergießen. 
Diefe ſammelt großenteild der an der Oſtküſte mundende Zambefi, während jene in das 
größte afrifaniihe Stromfyften, das des Kongo, münden. Beide Flüffe haben den 
größten Teil ihres Laufes auf dem Hochlande, von welchem fie wie über Stufen mit 
einer Anzahl von Stromjchnellen in das Tiefland hinabgehen, das fie aber alle beide 
nur in ben allerlegten Teilen ihres Laufes erreihen. Bon demjelben Hoclande aber 
empfängt auch der Nil feine oberiten Zuflüffe, welche, in noch größern Seen als die bes 
Kongo und Zambefi fi ſammelnd, nah Norden abfliegen. Weſtlich von ihnen fommen, 
ebenfalld nordwärts fließend, aus noch unerforjchter Region die Zuflüffe des Tſadſees, 
welcher wiederum in einer großen Senke gelegen ift, deren Nordrand ungefähr durch die 
Lage Timbuktus an der nördlichſten Stelle des Niger bezeichnet ift, und welche als bie 
natürliche Grenze zwiſchen Mittel: und Nordafrika betrachtet werden fann. Der Raum 
nördlid) von hier wird dur das Wüſtenhochland Norbafrifas ausgefüllt, welches nad) 
der größten Wüftenbildung in jeinen Grenzen wohl auch Hodland der Sahara genannt 
wird. In feinem öftlichften Teile durchbricht es der Nil, in feinem nordweſtlichen ift 
das Atlasgebirge ihm aufgejegt; aber dazwijchen gibt e8 nur kleinere, im Sande ber 
Wüſte verrinnende Flüffe, vereinzelte Gebirgsgruppen, Senken von geringem Umfange: 
der Hauptzug bleiben immer bie welligen Hocebenen, welde durch ihre Waffer- und 
Pflanzenarmut den Namen Wüften verdienen. 

Wir haben alfo drei große, natürlich gefchiedene Hodhlandgruppen: Südafrika, die 
höchſte, 1000— 1800 m; in Mittelafrika liegen die Nil-, Kongo: und Zambefifeen bei 


Dodengeftaltung. Bewäfferung. Gebirgsbildung. 7 


500—1500 (Dilolo 1445, Ufereme 1150, Tanganifa 823, Nyafja 464 m), währent 
fein nordöftliher Ausläufer, das abeffiniihe Hochland, in feiner mittlern Höhe jogar 
2000 m überfteigt. Nordafrika endlich ift in feinem mittlern und öftlihen Teile 300— 
600 m hoch, während im Norbweiten zwijchen Niger und Atlas ein Tiefland von 150 m 
und weniger ſich ausbreitet. 

Die Gebirge, welde dieſen weiten Hodländern aufgejegt find, treten weder nach 
Breite noh im allgemeinen nah Höhe jo mächtig aus denfelben hervor wie die der 
nädjtgrößern Erbteile Afien und Amerika. Es find vereinzelte Ketten oder Gruppen, oft 
nur höher gehobene Stüde hoc; gelegener Tafelländer oder wenig ausgedehnte Gruppen 
vulfanijcher Berge. Südafrifa hat Randgebirge, die im Often und Weiten jein Hochland 
umfaffen (Kompaßberg in den Schneebergen 2600 m, Eathlin Peak in den Drafenbergen 
3160 m [?], Omatofo im Damaraland 2700 m). In Mittelafrifa jollen am Norbufer 
de3 Nyaſſa Höhen von 4000 m liegen, während Höhen von 2000 — 2500 m in ber 
Seenregion nicht felten find. Zwiſchen dem Ukerewe und dem Indiſchen Ozeane erheben 
fih die Vulkane Kilimandfharo und Kenia zu 5700 und 5500 m, und dem abeffinischen 
Hochlande entfteigen Gipfel von alpiner Höhe (Daſchan 4620 m). Gleichfalld vul- 
faniih ift das am MWeftrande bed Guineabufens vereinzelt zu 4000 m auffteigende 
Camerungebirge, und ebenjo ijoliert tritt im obern Nigergebiete das niebrigere Kong- 
gebirge (etwa 1000 m) auf. Der Atlas (3500 m) erhebt fi an dem Nord: und Nord- 
weitrande Afrikas als ein mächtiges, aber wiederum vereinzelte Gebirgsland, und 
ebenjo treten wie Inſeln aus dem Meere der Hocebenen und Hügelländer der Wüſte 
die Gebirge von Tibefti (2500 m), Air (1600 m) und andre hervor. In all diefen 
Gebirgsbildungen befteht Fein andres Band als das Hochland, auf dem fie fidh befinden, 
fein beherrſchender Zug wie in Amerika, fein gemeinfames Anlehnen an den Rand eines 
zentralen Hochlandes wie in Afien. Die Signatur des Gebirgsbaues von Afrika ift viel: 
mehr die Zerfplitterung, und als eine gemeinfame Eigenfchaft tritt nur in einer Anzahl 
von ihnen die peripheriiche, dem Meere genäherte Lage hervor, welche weite Streden im 
Innern arm an Gebirgen fein läßt. Es fehlen die großen Gegenfäge von Tiefland und 
Hochgebirgen oder mächtigen Hochebenen, denen wir in Amerika und Afien begegnen. Der 
Tiefländer find es fehr wenige, die Hochebenen find mäßig, die Hochgebirge auseinander 
gezogen, da und borthin verteilt. 


Welche Wirkungen kann nun ein derartig geftaltetes Land auf die Völker üben, welche 
dasfelbe bewohnen? Zunächſt ift es nicht im ftande, jene Gegenfäge in der Kultur: 
entwidelung zu ſchaffen oder auh nur zu erhalten, welche ber Natur feines eignen 
Bodens verjagt find, Keine Schranke der Wanderungen, wie Anden und Korbilleren fie 
mitten im Tieflande aufrihten, fein unvermittelte8 Nebeneinanderlagern der üppigften 
Fruchtbarkeit, die den Aderbau geradezu aufzwingt, und ber ebenjo entjchieden zum 
Nomadismus zwingenden Bobenarmut und Nauheit ded Klimas, wie wir fie in 
Indien und China auf der einen, in ber Mongolei und Tibet auf der andern Seite 
erbliden. Afrita hat feine Wüjten, aber dieje find nur zum geringften Teile bewohnbar, 
find feine geſchichtlichen Schaupläge. Seine Steppen, welche geeignet wären, weit 
jchweifende, erobernde Nomabenvölfer nah dem Mufter ber Mongolen aufmachen zu 
laffen, find räumlich bejchränft, bilden überall nur den Saum der Müften und ihren 
Übergang zum Waldlande. 

Es ift ein Unterſchied zwijchen fchweifenden und wandernden Völkern. Jene kennt man 
im Steppen= und Wüftengebiete Nordafrifas, wo die Natur des Landes ihnen enge Grenzen 
zieht; diefen aber gehört die große Mehrzahl der afrikaniſchen Völker an, denn bem Wandern, 


8 Afrikas Land und Volk, 


jei e8 Heiner Gruppen ober großer Völfermaffen, leiſtet das Land Vorſchub durch feinen 
Mangel an ftreng fcheidenden Schranken. Nur ber äußerfte Norden und Norbojten find 
durch Schwerer zu durchmeſſende Wüftenftrihe abgefondert, und hier haben ſich im Nilthale 
und am Mittelmeergeftade früh Kulturen entwidelt, welche das Höchſte darjtellen, was 
auf afritanifhem Boden gewachſen ift. Freilihd waren auch diefe zum Teile herrlichen 
Schöpfungen wohl alle fremdem Samen entfeimt, der von mweither aus Afien gebracht 
worden fein mag, und mit Recht betont es Griſebach, daf in Afrifa die Natur einen 
Schauplag eigenfter Selbftänbigkeit bewahren wolle, was ſich ſchon darin zeige, daß die 
Berührungen der Zivilifation der Alten Welt feit dem fernften Altertume beftanden und, 
weber durch Meere noch Gebirge gehemmt, doch jo wenig gewirkt haben. 

Überfchauen wir alles, fo erftaunen wir nicht, wenn eine allgemeine Umſchau über 
Afrikas Beziehung zur übrigen Welt uns in alter und neuer Zeit nur brei Angriffspunfte 
zeigt, die der Erbteil den Völkern bietet, welche, von außen her kommend, feinen Boden 
betreten, nämlich einen im Norboften, wo e8 an Arabien grenzt, einen im Norden an ber 
Stelle, wo Europa am nächſten an dasfelbe herantritt, und einen im Süden, wo das ge: 
mäßigte Klima dem Europäer die Anpflanzung von Kolonien mit ſelbſtändiger Kulturent- 
widelung verftattet. Jene erjtern beiden Stellen tragen im ganzen den Charakter von Dafen 
zwifchen Meer und Wüſte und find zur Anſammlung einer jehr zahlreihen Bevölkerung und 
damit zur Pflanzung jelbftändiger Kulturableger mohlgeeignet, nicht aber ebenjojehr zur 
Entwidelung inniger Beziehungen zum Innerſten des Erdteiles und zu ben eigentlich 
afrikaniſchen Völkern, welche, ſoweit unſre Kenntnis geht, erft feit einer verhältnismäßig 
furzen Reihe von Jahrhunderten mit der nihtafrifanischen Welt in unmittelbare Berührung 
traten und zwar am ſtärkſten zuerft im Often, viel jpäter au im Welten und Süden. 


* 


Afrifa iſt durch Lage und Bodenbeichaffenheit nicht zu großen Gegenfägen bes 
Klimas beanlagt. Das fchließt nicht aus, daß auf Südafrifas Hocebenen ein rauhes Klima 
einen guten Teil des Jahres herrichen mag, teils wegen ber hohen Lage, teils auch infolge 
der Nähe Falter Strömungen, bie hier aus dem weiten Beden des falten Sübmeeres gegen 
die Südſpitze bes Erbteiles treiben und weit an feiner Weftküfte hinauf ganz wie an der— 
jenigen Sübamerifas eine abkühlende Wirfung üben. Aber heiße Sommer maden aud) 
hier die unvermeiblihe Wärme eines Breitengrabes geltend, der Dem von Algerien ent- 
ſpricht. Und e8 find immer nur die äußerfte Nord: und Südfpige, welche unter 20° C. durch— 
Ichnittlihe Jahrestemperatur herabfinfen. Der größte Teil Afrikas liegt in den Tropen, 
d. h. 23%/° nörblih und füblih vom Aquator. Zweimal in jedem Jahre kommt alfo 
hier die Sonne in ihrem Wandel von Wendefreis zu Wendefreis in den Zenith und damit 
jenkrecht über die Häupter der Menſchen zu ftehen, weldhe dann Schattenlofe, Askii, find, 
während, wie jchon ber alte Herobot, jelber es kaum glaublich findend, berichtet, ihr 
Schatten vorher und nachher nad) entgegengejegten Seiten fällt. 

Den durch ſolche Stellung der Sonne bedingten ftarfen und dauernden Wärmeerguß 
fann bezüglich feiner Wirkung auf das Klima nur die Erhebung des Bodens bis zu einem 
gewiffen Grabe mildern, und da durchſchnittlich mit jeden 150 m Erhebung die Temperatur 
um 1°. abnimmt, jo erfährt bie tropische Hiße jener auf weite Erftredungen bei 800 — 1000 m 
Meereshöhe verharrenden Hochebenen gerade des äquatorialen Afrika eine nicht unbeträdt: 
liche Milderung. Kalte Nächte unterbreden dazu tief im Herzen Afrifas mit empfindlicher 
Schärfe die drüdende Tageshige. Auch fie find eine Folge ber in der höhern Lage flarern 
Luft. Overbed und Richardſon fahen die Fluren um den Tjadfee ſich mit Reif bededen, 
und die nächtliche Kühle zwang Livingftone unter 10° füdlicher Breite, fi unter Dad und 


Raturmwirkungen. Klima. Regenzeiten. 9 


Fach vor jener plölichen Störung ber ftärfern Hautthätigkeit zu ſchützen, welche ohne Zweifel 
eine Haupturfahe der Ungefundheit des afrifanishen Tropenklimas if. Reichliche 
Betauung ift allen Tropengegenben eigen, aber keinen fo fehr wie den afrifanijchen, in 
welden bie hellen, klaren Nächte, deren Vorbedingung, zugleih auch fühl und bamit der 
Taubildung doppelt günftig find. Indeſſen weift außer ber beträchtlichen Erhebung aud 
die Beipülung der Weftfüfte duch einen falten Strom von der Südſpitze bis hinauf zum 
Aquator auf Abkühlung hin, während die im Süben und Norden das eigentlich tropifche 
Afrifa umgürtenden Steppen zwar warme, aber zugleich auch trodne und damit auf: 
färende Winde über jenes hinſenden. 

Alle diefe Urſachen bewirken eine Art von Erwärmung des Kontinentes, welche der 
Geograph als Fontinentalen Typus bezeichnen wird, weil rafher Wechſel zwiſchen 
Tageswärme und Nachtkühle und daneben auch eine allgemeine Tendenz zu 
vorwaltender Trodenheit fie hauptſächlich charakteriſieren. Diefe Neigung zur 
Trodenheit fommt zwar zu einer entjchiedenen Entwidelung nur in den jogenannten Paſſat— 
regionen, welche jahraus jahrein falt nur von den trodnen Oſt-, beziehentlih Südoſt— 
und Norboftwinden überweht werden, den trodnen und trodnenden Kindern der Polar: 
feiten ber Erbe; aber fie gehört nicht minder im großen und ganzen aud den außerhalb 
diefer dur Sahara und Kalahari bezeichneten Paffatgürtel gelegenen tropifchen und 
ſubtropiſchen Strihen an. 

Afrifa befigt von den zwei großen Elementen des Tropenklimas mehr die Wärme 
als die Feuchtigkeit, und fein Klima prägt daher die Folgen der tropiſchen Lage nur 
einfeitig im Bergleiche zu andern Tropenländern aus. Seine Niederihläge find im Ber: 
gleiche zur Wärme im Ganzen des Erbteiles nicht beträchtlich, nur ihre Verteilung über das 
Jahr ift faft überall tropifh. Die Regenzeiten folgen der Sonne. Wenn die Sonne in 
ihrem Jahreswandel am höchſten am Himmel emporfteigt, tritt da3 Marimum des Regens 
ein. In den Tropen bildet deſſen Eintreten eine Jahresſcheide, welche die Regenzeit ber 
Zeit der Dürre entgegenjeßt. Dies find die Jahreszeiten der Tropen. Am nördlichen 
Wendefreife erjcheint die Sonne im Zenithe zu derjelben Zeit, wo fie auch bei uns den 
höchften Stand erreiht, alfo im Sommer; dann geht fie nah Süden, um im Sep: 
tember ſenkrecht über dem Aquator zu ftehen und im Dezember denjelben Stand für 
die Südhalbkugel einzunehmen, in welchem wir Norbbewohner fie im Sommer jehen. 
Zurüdfehrend fteht fie im März wieder genau über dem Aquator, um, nad Norden 
mwandernd, im uni ihren jährlichen Kreislauf am nördlichen Wendefreife abzufchließen 
und zugleih neu wieder zu beginnen. Damit ift die Regel des Eintretens der Regen- 
zeiten gegeben. Nördlih vom Aquator haben wir nahe beim Wendekreiſe eine Regen: 
zeit im Sommer, in der biefer entjprechenden füdlihen Gegend in der Jahreszeit, die für 
uns Winter it, und dazwiſchen liegen mit zwei auf Frühling und Herbit entfallenden 
Regenzeiten, melde oft zu einer einzigen verlängerten zufammenfließen, die eigentlichen 
Aquatorialz oder Aquinoktialgegenden. 

Indeſſen ift dies zunächſt nur die Regel, gemwilfermaßen der Grundplan. Zahlreiche 
Umftände ändern benfelben im einzelnen ab, und zwar ift am allermeiften die Bodengeftalt 
in diefer Beziehung wirkfam. Am Uferewe fällt Regen zu allen Yahreszeiten und ebenfo in 
manchen andern Teilen des innerafrilaniichen Hochlandes. Urſache ift das Aufiteigen warmer 
und feuchter Quftftröme aus den tiefern Teilen, die hier, an den Mondgebirgen fich abkühlend, 
eines Teiles ihrer Feuchtigkeit fi entäußern müffen. An den Küften von Natal und Guinea 
find e8 feuchte, monfunartige, d. h. von der fühlern See nad dem erhigten Lande gezogene, 
Seewinde, die, an den Küftengebirgen auffteigend, dasſelbe Schidjal erfahren und damit 
die Regenzeiten verlängern. Landeinwärts von folden das Übermaß der Luftfeuchtigkeit 


10 Afritas Land und Volk. 


gleihjam abjtreifenden Gebirgen liegen dann oft weite Striche im „Regenſchatten“, die 
zu wenig erhalten, weil jene zu viel an fi ziehen. Aber ein viel mächtigerer Faktor, 
ber unmwilllommene Dürre im Innern verbreitet, ift die nördliche Paſſatſtrömung, 
welche, über die Sahara her mwehend, bis tief in das Kongogebiet hinein fein Hindernis 
der Ausbreitung findet als nur ihre eigne mit der Entfernung zunehmende Schwäche. 
Wenn daher auch der mwüftenhafte Charakter Nordafrifas in folder Schärfe nicht wieder 
in biefem Erbteile wiederkehrt, denn auch die mit einiger Übertreibung „Wüſte“ genannte 
Kalahari des Südens ift doch nur Steppe, jo finden fi dagegen regenarme Striche, 
in denen ber Aderbau und die Viehzucht nur mit fehr ungewiſſem Erfolge betrieben 
werden können, über ganz Afrifa Hin verteilt, vorzüglih häufig aber in dem ſüdlich 
vom Wendekreiſe des Steinbodes gelegenen eigentlichen Südafrika. Sehr unregelmäßig 
bewäſſert und baher nur fteppenhaften Pflanzenwuchs tragend find z. B. Landſchaften 
zwiihen Sanfibar und Tanganifa, wie das Tafelland von Ufagara. 


Die Pflanzenwelt Afritas trägt im ganzen viel mehr die Merkmale der tropijchen 
Hiße als der tropiſchen Feuchtigkeit an fih, und Spuren der Dürre, der Wafferarmut find 
e3 daher, welche, bei großen innern Unterjchieden, der afrifanifchen Flora einen Stempel 
von Gemeinjamkeit, von Ffontinentaler Zujammengehörigfeit aufprägen. Die Pflanzen: 
geographen machen aus Afrika fünf oder ſechs natürliche Florengebiete oder pflanzen: 
geographiihe Provinzen. Davon gehört das nördliche, welches den Mittelmeerrand 
größtenteil8 umfaßt, zu ber mittelmeeriihen Provinz, deren Schwerpunft in Südeuropa 
und Weſtaſien zu juchen iſt. Bezeichnend ift für diefe ein großer Reichtum an, immer: 
grünen Sträuchern, gegen melde die mitteleuropäilchen Wegetationsformen des Waldes 
und der Wiejen zurüdtreten. Haine find hier bereits häufiger als Wälder, weil bei lange 
dauernder Trodenheit die für die legtern unentbehrliche anhaltende Wafferzufuhr ausbleibt. 
Das wüſtenhafte Gebiet der Sahara jchließt fi an und reicht füdwärts bis zum 20. nörd: 
licher Breite. Es ift das entſchiedenſte Wüftenland der Erde, auf weite Streden pflanzenlos 
und felbft in den Dafen arm an Bäumen; die an Zahl und Größe geringen Gewächſe 
find fteppenhaft faftlos. 

Das eigentlich zentralafrifanifche, den größten Teil des SKontinentes einnehmende 
Sudangebiet reiht fih an und zieht vom 20.° nördlicher Breite bis 20.0 füdlicher Breite, 
mit einem jchmalen Zipfel an der Sübdoftküfte darüber hinaus bis zum 30. Hier waltet 
die Form hochgrafiger Savannen vor, über welche vereinzelt ftehende Bäume fi erheben, 
die jeltener zu eigentlichen Wäldern als zu Hainen fich vereinigen. Es entjteht jo eine 
Art von offener Parklandſchaft, welche ihre typiſche Entwidelung im eigentlihen Sudan 
findet, wo über harhgrafige Savannen Mimojen von bald phantaftifchem, bald fümmer: 
lichem Wuchfe Ioder hin zerftreut find. In den feuchten Tiefländern nehmen auch bie 
eigentlichen Urmwälder einen großen Naum ein, aber ihr Pflanzenreihtum ift ein ungleich 
viel geringerer als in den jüdamerifanifchen oder füdafiatifhen. Das ganze Gebiet hat 
überhaupt (nad einer Schägung Griſebachs) nur etwa die Hälfte der Arten der ent: 
Iprechenden, aber räumlich viel kleinern Gebiete Aſiens oder Amerikas, es ift, mit andern 
Worten, viel einförmiger. Auch jelbit in den üppigften Urwäldern fehlen nicht die 
laubabwerfenden Bäume, die ftacheligen und fleifchigen Formen der Aloen und kaktus— 
ähnliden Euphorbien, die Mimoſen, um Kunde zu geben von dem Zuge der Trodenbeit, 
der durch dieſe ganze Natur geht. 

Im Süden jchließen fich die fteppenhaften und ftellenweife fogar mwüjtenhaften Gebiete 
der Kalahari und des Kaplandes an, von denen jened eine verarmte, vorwiegend durch 
Dürre reduzierte Sudanflora in Geftalt weiter Gras- oder Gefträudfteppen umſchließt, 


Müften. Pflanzenwelt, Botanische Provinzen. Kulturgewächfe, 11 


während biejes auf engem Raume außerordentlich artenreich, beiſpiellos mannigfaltig ift, 
aber gleihhfall3 vorwiegend nur die Form der Straudjvegetation, mit vielen Merkmalen der 
Dürre, zur Erjheinung bringt. Merkwürdig ift es, daß, während die Verwandtſchaften 
der nordafrifaniihen Flora mehr nad) Europa und die der ſudaniſchen nad) Afien hinweifen, 


wir hier den einzigen led der 
Erde haben, auf welchem die 
Erinnerungen an das fo eigen= 
artige, vereinzelte Auſtralien 
ſehr auffallend hervortreten. 

Mas bieten nun dieſe 
Provinzen des Gewächsreiches 
dem Menſchen für alle jene 
vielfältigen Zmwede, zu deren 
Dienfte er von der erjten Ur: 
zeit an die Pflanzen heran: 
ziehen mußte? Wenn Afrika 
botanijch nicht reich ift, kann 
e3 doch vielleiht dem Kultur: 
geographen minder arm er: 
ſcheinen. Wir werden in je 
der einzelnen der natürlichen 
Provinzen, in welche wir den 
Erdteil zerlegen, eine große 
Anzahl von Gewächſen finden, 
welche in dieſer oder jener 
Rihtung dem Menſchen nütz— 
li geworden find; aber jol- 
her, die im höhern Sinne 
Kulturgewächſe genannt zu 
werden verdienen, weil jie 
nämlich nicht bloß der Befrie: 
digung augenblidliher Not: 
durft dienen, jondern eine 
Stüge für ftetige, auf Anbau 
des Bodens ſich gründende 
Entwidelung oder jogar einen 
Stab beim allmählihen Fort: 
Ihreiten zu höhern Zielen dar- 
bieten fönnen, gibt es nicht 
übermäßig viele, und gerade 
bei ihnen ift es oft ſchwer zu 
beftimmen, ob fie urfprünglich 





Die Papyrusflaude (Cyperus Papyrus). Bl. Text, ©. 15. 


afrifanifch, oder ob fie in fremden Kulturländern der Natur abgewonnen mwurben, um 
erit durch wandernde Völker oder durch den Handel hierher verpflanzt zu werben. 

Vor allem für die afrikaniſchen Getreidearten müffen wir noch immer die Klage wieder: 
holen, welhe D. Peſchel in feiner „Völkerkunde“ anjtimmte, daß „leider die Pflanzen: 
geographie noch immer uns ihren Beiftand verfagt, um entjcheiden zu können, ob jene 
jegt durch und durch afrifanifchen Getreidearten in Afrika jelbft zu Kulturpflanzen veredelt 


12 Afrifad Land und Bolt, 





Die drei hauptfachlichſſen Hirfearten der Mfrifaner: a Panicum, b Sorghum und c Eleusine. Val. Xert, ©. 18. 


oder nur eingeführt worben find”. Zweifellos find aber die Hirfegattungen Negerbirfe 
oder Dochn und Kafferforn (Panicum oder Pennisetum distichum und Holcus sorghum 


Aulturgewächle. 13 


oder Sorghum vulgare, ſ. Abbildungen, S. 12) infofern echt afrikaniſch, als fie vom 
ſüdlichſten Betſchuanen bis zum Fellah des untern Nil den Hauptgegenftand des Ader: 
baues und die Grundlage der Ernährung bilden; auch haben fie eine große Anzahl von 
Varietäten gebildet, welche andeu: 
ten, daß fie lange Zeit an Ort 
und Stelle unter Kultur geftan= 
den find. Hauptjächlich durch fie 
erhält der afrikaniſche Aderbau 
eine Ausdehnung, wie fie vergeb: 
lid bei einem andern Naturvolfe 
von gleiher Kulturftufe gefucht 
würde. Dur ganz Afrika trifft 
man Nderbauer und Anſäſſige, 
im Gegenjage zu Amerifa, wo in 
voreuropäiicher Zeit fih nur um 
einige Zentren der Aderbau kri— 
ftallifierte, aber dann auch glei) 
mit einer ganz andern Kultur: 
höhe Hand in Hand gegangen war. 
Nächſt den Hirjearten ift wohl bie 
Kaſſave die allgemeinft verbrei- 
tete und wichtigſte Kulturpflanze, 
bejonder8® im ganzen Weiten. 
Erdnüfje, Bohnen und Erb: 
fen verjchiedener Art, Melonen, 
Kürbijje ergänzen den Grund: 
ftod der vegetabilifchen Ernährung. 
Von den nördlichften und ſüdlich— 
ften Gegenden her find durch ägyp: 
tiſchen und europäiihen Einfluß 
Weizen, Gerfte, Mais, Tabak 
und in neuerer Zeit auch) die Kar— 
toffel vorgejchritten. Schwein: 
furth ſah Maisfelder bei ben 
Bongonegern am Weißen Nil und 
den Anbau des amerifanifchen 
Maniok (j. nebenftehende Abbil: 
dung) jogar bei den Monbuttu am 
elle, alfo im eigentlichften Herzen 
von Afrifa. Der Tabaksbau ſcheint 
ſogar durch den ganzen Kontinent 
hindurch verbreitet zu fein, jo daß 
ernfthafte Pflanzengeographen ſich Maniot oder Kafſave (Jatropha Manihot). 

bewogen gejehen haben, die Frage 

aufzumwerfen, ob nicht der Tabak eine urſprünglich afrifanifhe Pflanze ſei, da e3 nicht 
denkbar jei, daß er fich feit der Entdeckung Amerikas fo weit verbreitet und jo tiefe Wurzeln 
in den Sitten des Volkes gefhlagen habe. Bon andern Genußmitteln find der Hanf oder 
Dada in Süd: und Dftafrita, die Gurunuß (Stereulia) im Weftjudan verbreitet. 





14 Afrifa® Land und Volk. 


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Früchte a der Dattel⸗, b der Tume, e der OÄOlpalme. Bol. Tert, ©. 15. 


ſKulturgewächſe. Nuktiere, 15 


Für den Reichtum des äquatorialen Afrika an Nugpflanzen ift es entjchieden ungünftig, 
daß diejenige Pflanzenfamilie, die von allen vielleicht am vielfeitigften nüglich ift, bie ber 
Palmen, hier viel weniger ftarf vertreten ift al3 in Ajien und Amerifa. Die Zahl der 
afrikaniſchen Palmen erreicht faum den zehnten Teil von ber der amerifanifchen. Aller: 
dings befinden ſich aber zwei darunter, welche zu den wichtigſten Pflanzen des Erbteiles 
gehören: die Dattelpalme, welde den wüftenhaften Norden erft bewohnbar madıt, und 
die Olpalme (f. Abbildungen, ©. 14), welche bis heute den einzigen wichtigen, mit den 
Eflaven und dem Elfenbeine mwetteifernden Ausfuhrgegenftand aus Mittelafrifa bietet. 
Von wichtigen einheimifhen Kulturpflanzen nennen wir noch den Papyrus (f. Abbil: 
dung, ©. 11), der die Altwaffer des Nil nicht minder als die Buchten der großen 
äquatorialen Seen erfüllt, und den Kaffee, als deffen eigentliche Heimat zwar gewöhnlich 
Arabien genannt wird, von dem aber beide angebaute Arten, die eine in Abejfinien, 
die andre in Weſtafrika, heimisch find. Zahlreiche Nußpflanzen von mehr örtliher Be: 
deutung wird die Betradhtung der einzelnen Stämme und ihrer Wohnpläge uns kennen 
lehren. Hier genügt die Hervorhebung der allgemeinen Thatſache, daß Aſien nachweisbar 
einen bereichernden Einfluß in verfchiedenen Richtungen auf Afrika geübt hat, was Ent: 
lehnungen auch in diefem Gebiete wahrjcheinlih macht, um jo mehr, als Afritas Pflanzen: 
reich im allgemeinen ärmer und befonders fein Schag an Nußpflanzen irgend welder Art 
geringer iſt als jener der zwei vergleichbaren Erbteile Ajien und Amerifa. Die Armut 
Südafrifas bis zum Wendefreife ſowie Nordafrifas und des ganzen Sudan an Kultur: 
pflanzen ift eine auffallende und mehrfah von Erforſchern diefer Länder regiitrierte 
Thatfahe. Es bleibt das äquatoriale Gebiet, welches die größere Hälfte des Erbteiles 
umfaßt, und beffen eingehendere Erforihung in fulturbotanifcher Beziehung abzumarten 
it. Allein dieſes Gebiet ift weder jo pflanzenreich noch jo ausgedehnt wie jene andern 
vorhin genannten, und unfre Erwartungen haben daher Urjache, befcheiden zu fein. 


Die Tierwelt Afrikas hat im allgemeinen einen entjchieden altweltliden Typus, 
der in engen Grenzen an Europa, in weitern an Ajien anklingt. Im Verhältniſſe zu 
jeiner Größe ift e8 das fäugetierreichite Land der Welt, und es jcheint aljo, da die 
widtigften Haustiere der Klafje der Säugetiere entnommen find, daß die Bedingungen 
für den Erwerb folder dur die hier wohnenden Völker außerordentlich günftige jeien. 
Aber die Haustiere, melden wir in Afrika begegnen, find der Mehrzahl nad) außerafrita- 
nifhen Urfprunges. Die Afrikaner züchten Rinder, Schafe (ſ. Abbildungen, S. 16 u. 17), 
Ziegen, Schweine, Kamele, Pferde und Hühner und halten auh Hunde und Hagen. 
Da es nun zu den Merkmalen der äthiopiſchen Tierprovinz gehört (unter welder die 
Tiergeographen Afrifa und Arabien ſüdlich vom Wendekreije des Krebjes jamt Madagaskar 
und den Masfarenen begreifen), daß Rinder, Schweine, Ziegen, Schafe und Kamele jowie 
auch die Nächſtverwandten in wilden Zuftande gänzlich fehlen, jo fieht man leicht, daß von 
Natur hier gerade jene Gattungen ausfielen, welche dazu beftimmt waren, die treueften 
und nüglichften Gefährten des Menſchen zu werden. Nur der Ejel (j. Abbildung, ©. 18) 
führt unter allen unfern Haustieren ziemlich beftimmt auf oftafrifanifhen Uriprung zurüd, 
und die Abftammung gewiſſer Hunderaffen vom Schakal ift nit unwahrſcheinlich. 

Noch ungünftiger wird das Verhältnis für Afrifa, wenn wir uns an die Thatjache 
erinnern, daß von einer Zähmung des afritanifhen Elefanten heute jo wenig befannt ift, 
daft man alle Verfuche, diefen nüglichen Koloß zur Aufichließung des Erdteiles zu verwenden, 
aufgeben mußte und nur den afiatifchen Elefanten dazu verwenden konnte, Livingſtone 
hat mit berjelben rührenden Liebe, mit der er die Menjchen Afritas umfaßte und von 
den Verleumdungen minder warmherziger und oft aud) minder gerechter Beurteiler zu 


16 Afrikas Land und Volk. 


reinigen juchte, auch die Fähigkeiten des afrikaniſchen Elefanten al3 nur verfannte und 
vernadläffigte hinzuftellen gejucht; auch haben er und andre nachzuweiſen ſich bemüht, 
daß im Altertume der afrikaniſche Elefant nicht minder gezähmt geweſen ſei als ber 
indiſche. Was bieje legtere Frage betrifft, jo ift es allerdings noch immer nicht außer 
Zweifel, ob Hannibal afritanifche oder indiſche Elefanten über die Alpen führte. Es ift 
aber wahrjcheinlih, daß ber afrifaniiche Elefant nie gezähmt worden ift, und es bleibt 
nah allen neuern Beobadhtungen faum ein Zweifel, daß fein wilderes Naturell die 





Das Sanga:Rind (Bos africanus), "ss natürl. Größe. Bol. Tert, ©. 15. 


Zähmung mindeftens erjchwert. So bleiben aljo von allen Haustieren nur ber Ejel und 
der Hund, von denen eine einheimifche Abjtammung möglih, die Hausfage, von ber fie 
gewiß ilt, dann das Perlhuhn (das „numidiſche“ Huhn der Alten) und die allverbreitete 
Honigbiene. Kaum zweifelhaft ift es, daß aus dem großen Reichtume an antilopenartigen 
Wiederfäuern einige Gefährten und Diener des Menſchen zu gewinnen gemwejen fein würden, 
wie denn mehrere derjelben in Sübafrifa vereinzelt gezähmt wurden; aber es ift fein Ver: 
ſuch in diefer Richtung mit nennenswerten Folgen unternommen. Dagegen ift die Zähmung 
de3 Straußes befanntli in neuerer Zeit mit großem Vorteile ins Werk gefegt worden. 

Freilich ift damit der Nugen nicht erichöpft, welchen bie afrifanifche Tierwelt dem 
Menſchen bietet, jondern es ift nur eine Abſchätzung des „Kulturnutzens“ verfucht, der aber 


Jagdtiere. 17 


in einem Erdteile der Halb- und ſelbſt Unkultur wie Afrika nicht ausſchlaggebend ſein darf. 
Man erwäge den Vorteil, welchen Bevölkerungen dieſer Kulturſtufe aus der Jagd ziehen 
werden und müſſen. Kein Stamm des ganzen Erbteild, die Unterägypter etwa aus: 
genommen, ift jo ausichlieglich dem Aderbaue oder der Viehzucht ergeben, daß er nicht 





= Yin AA ü 
2 Iy IR: — = 5 — * 
— — — —— we v 
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— — — 
——— — * In * Te ar? 
Das Ehmarzlopiihaf (Ovis arles steatopyga persica) in Abeſſinien und im Sudan. natürl. Größe. 
Bol. Tert, ©. 15. 


ſelbſt einen beträchtlihen Teil feiner Nahrung fich zeitweilig durh Jagd zu gewinnen 
juchen müßte, und es find reine Jägervölker durd ganz Afrifa hindurch verbreitet. Ein 
Meidmann, der als Autorität über diefe Dinge fpriht, Chapman, meint, „daß zehn 
gute Schügen mit Gewehren eine Armee von 1000 Mann in irgend einem Teile von 
Afrifa zu ernähren vermöchten, wo Gewehre nicht allgemein im Gebraude find“, und 
jüngft verficherte uns ein fo guter Kenner des ſüdlichen Zentralafrifa wie E. Holub, 
daß von der Grenze der Kapfolonie nordwärts bis zum Nil ein guter Jäger eine ganze 
Karawane mit Fleiich tagtäglich verforgen Fünne. Wo die Gewehre verbreitet find, it 
der Wildftand natürlich geringer geworden, aber nicht in ſolchem Maße, um den fajt 
Völterfunde. I 2 


18 Afrikas Land und Volk. 


nirgends im europäifchen Sinne dicht wohnenden Eingebornen die Jagd ganz unfruchtbar 
zu machen. Es find vielmehr in erfter Linie die Niefenfäugetiere, welhe man am meiften 
verfolgt hat, und die ftellenweife jogar ausgerottet find: Elefant, Nashorn, Giraffe, einige 
große Antilopen, die großen Raubtiere. Auch der Strauß ift weit zurüdgebrängt worden, 
Anderfeits it das Nilpferd auch ſelbſt in den bevölfertiten Teilen, 3. B. dem Tſadſee— 





Der afrilanifhe Wildefel (Asinus taeniopus). "ss natürl, Größe. Bol. Tert, €. 15. 


gebiete, noch häufig. Bon Natur tierarın ift nur ein großer Teil Weit: und Jnnerafrifas. 
Zwei Eigentümlichkeiten der Afrikaner find dann in diefem Zufammenhange noch bemerkens— 
wert: einmal nützt aus abergläubifcher Abneigung gegen Filhnahrung ein nicht geringer 
Teil von ihnen nicht oder nur wenig den beträchtlichen Fiſchreichtum ihrer Binnengemwäfler, 
und ferner gibt es wohl fein Volk, das jelbit an den mujchel: und fichreichiten Küften jo 
träge und furchtſam ift in der Ausbeutung der marinen Nahrungsichäge wie die Afri: 
faner. Dieje beiden Regeln haben wie alle ihre Ausnahmen, welche teilmeije jogar nicht 
unbeträchtlic find; allein im ganzen haben fie Geltung und beftimmen dadurd natürlich 
in nicht geringem Maße Leben, Thätigfeit und Wohljein diejer Menjchen. 


Jagd und Fiſchfang. Schädliche Tiere, 19 


Afrika befigt auf der andern Seite eine große Anzahl von reißenden und ſonſt ſchäd— 
lichen Tieren, für deren Verwüftungen an Menjchenleben wir freilich feine Statiftit befigen, 
wie fie in Indien aufgejtellt wird. Aber aus zahlreichen Zeugniffen geht der Schade hervor, 
den jie anrichten. Fand doch Livingitone in der Nähe des Bembajees mehrere Dörfer wegen 
der Zunahme reißender Tiere völlig verlaffen, und waren Chapmans Berichten zufolge 
nad) den Matabelefriegen in den fünfziger Jahren die Löwen und Leoparden fo fehr an 
Menjchenfleifch gewöhnt, daß fie am mittlern Zambeſi viel gefährlicher waren als vorher und 
in den Dörfern Vorfichtsmaßregeln hervorriefen, an welche man früher nicht gedacht hatte, 
Elefanten, Nashörner und Flußpferde find Vermüjter der der, wie fie fein andrea 
Land in ſolcher Fülle und Macht aufweift, und der 
Kaffernbüffel ift vielleiht der dem Menfchen 
gefährlichite unter allen Wiederfäuern. Krofopdile 
find in allen Gewäſſern vom Nil bis zum Oranje 
zu finden, aber im allgemeinen fann man jagen, 
daß Afrifa weniger giftige Schlangen hat als 
andre heiße Länder. Dafür befist es einen Reich: 
tum an jehädlichen Inſekten aus den Familien der 
Zweiflügler und der Heufhreden. Die den 
Pferden und Rindern durh ihren Stich tödliche 
Tietiefliege (f. mebenftehende Abbildung) jchließt 
aus weiten Teilen Süd- und Mittelafritas jene 
Tiere aus, und diejes Inſekt ijt daher von einem — 
Einfluſſe auf die Wanderungen der Weißen in Süd— ie Tjetfelllege (Gioseina mereitum), 
afrifa wie fein andres Tier, ſelbſt fein Raubtier. ei 
Auf ihre Zugtiere angewieſen, welche dem Stiche diefer Fliege zum Opfer fallen, konnten 
die Boers nur die tjetjefreien Striche betreten und wurden dadurch vom Vordringen über 
den Wendefreis hinaus abgehalten. Und dasjelbe Hindernis ftellte fih auch andern vieh- 
züchtenden Völkern entgegen. Auf der andern Seite find freilich auch manche Zweiflügler 
durch ihre Larven in jonjt tierarmen Gebieten für die Ernährung der Völker von Wert, 
wie denn überhaupt faum ein Volk tiefer in die Reiche der niedern Tiere greift, um 
mannigfaltige Nahrung daraus zu holen. „Der Afrikaner läßt nichts umkommen“, jagt 
mit Recht Moffat. So hat auch die durch den ganzen Erdteil jchredlihe Heujchreden- 
plage ihre zwei Seiten, wie wir von demſelben Beobachter erfahren, der ein andermal 
jagt: „Im Hinblid auf die Armen fonnten wir nur dankbar für dieſe Heimſuchung fein, 
denn da der vorhergehende Krieg eine Maffe Vieh weggenommen und Gärten in ungeheurer 
Ausdehnung zerftört hatte, würden viele Hunderte von Familien ohne dieje Heufchreden 
Hungers geftorben fein“. Im allgemeinen fann man jagen, daß Afrifas Tierwelt, Schaden 
und Nuten abgewogen, für die Kulturentwidelung feiner Bewohner eher günftig als 
ungünftig wirken konnte, daß fie aber in geringem Maße die Ausbeutung fand, melde 
möglid war. 





9r 


20 Afrifas Land und Volk, 


Das Bolt. 


„Der große afrilaniſche Kontinent enthielt urfprünglich eine gleichartige Bevöllerung, 
bie im weſentlichen nur einen einzigen Raffentypus hatte, und dies iſt dem bei weiten 
größten Zeile nach auch jet nod der Tall,“ R. Lepfius. 


Inhalt: Gründe für die relative Naffenarmut Afrikas. — Die dunfeln und die hellen Afrikaner. — Die 
Verbreitung der afrilaniſchen Sprachen. — Gibt es in Afrila Autohthonen? — Stellung der Afrikaner 
in der Kulturentmwidelung der Menfchheit. — Kulturgegenſatz des Innern und der Hüften. — Der Kultur: 
charakter Afrikas. 


Die Geſamtbetrachtung der Bevölkerung Afrikas geht gewöhnlich von der Annahme 
aus, daß der Erdteil von zwei oder drei wohl unterſchiedenen Raſſen bewohnt werde 
und zwar in der Art, daß Nordafrika den Kaukaſiern gehöre, an welche etwa vom Süd— 
rande der Sahara an ſich die Äthiopier oder Neger ſchließen, die man dann entweder 
den ganzen übrigen Erbteil bis zur Eüdjpige ſamt einem Abſchnitte von Madagaskar 
bewohnen läßt, oder in denen man eine bejondere ſüdafrikaniſche Raffe unterjcheidet, welche 
die gelb= bis rotfarbigen Hottentotten und Buſchmänner umfaßt, die ihrerjeitS von der 
Südjpige bis in die Landſchaften um den Ngamijee fi ausbreiten. Wir glauben Urſache 
zu haben, diefen Weg zur Betradhtung und Würdigung der afritanischen Völker nicht 
für den richtigen zu halten, und bitten den Leſer, die Gründe zu vernehmen, warum wir 
den entgegengejegten Weg einjchlagen, der die Einheitlichkeit der weitaus meijten 
Völker dieſes Erdteiles voranftellt und erjt von diefer ausgehend die Unterichiede 
als Schattierungen auffaßt. 

Unfer Überblid der Naturverhältnifje Afrikas hat uns gelehrt, daf hier feine von den 
Iharfen natürlichen Grenzmarfen fich finden, welde die Wanderungen der Völker von einer 
Negion des Erdteiles zur andern abjolut zu verhindern im ftande wären. Die Wüſten, die 
am eheſten befähigt find, eine jondernde Wirkung auszuüben, thun dies doch nur in 
beihränftem Grade; denn einerjeitS werden fie von den Wanderzügen umgangen, und 
anderjeits bilden gerade fie Zufluchtsgebiete für Angehörige aller Völker, welde rings 
um fie her wohnen oder, an ihrem Rande vorbeiziehend, über denjelben hinübergedrängt 
werben. Deshalb ift ihre dünne Bevölkerung zugleich immer eine jehr bunte, wie man 
bejonders in der Kalahari wahrnehmen kann. Troß der Sahara find die Neger ein 
bedeutendes Miſchungselement der Bevölkerung in ganz Nordafrika und jpielen, ſoweit eben 
dieje Dünne es erlaubt, in jehr langen Zeiträumen eher eine vermittelnde als fondernde 
Rolle in der Ausbreitung der Raſſen oder großen Völfergruppen über die Erde. Dies 
ſchließt freilich nicht aus, daß ihre Verkehrsichwierigkeiten einzelne Völker oder Völker: 
gruppen viele Jahrhunderte auseinander halten fönnen. Der Gebirgsbau und das Fluß: 
net Afrifas find beide nicht befähigt, der Völferverbreitung ſtarke Hinderniffe entgegen- 
zuftellen; das legtere werden wir viel eher verbindende und vermittelnde als fondernde 
Wirkungen üben jehen. 

Es bliebe alſo al3 das möglicherweife wirkſamſte Trennungsmoment nur übrig die 
Selbtbeitimmung der Völker, welche fie an den Wohnfigen feithält, die fie einmal ein- 
genommen. Allein die afrifaniihen Bevölferungen haben fi nur in einem einzigen 
Falle, es iſt der Ägyptens, zu jener Höhe der Gefittung erhoben, deren Weſen in fo 
hohem Grade mitbedingt wird durch das lange Verharren in den gleihen Mohnfigen. 
Alle andern, foweit wir ihre Geſchichte und Gegenwart kennen, fallen unter die Begriffe 
Natur: oder Halbkulturvölfer, was für den Kenner des Völkerlebens nichts andres heißt, 


VÖLKERKARTE von AFRIKA. 


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Bibliogr, Institut in Leipzig. 


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Bibliogr. Institut in Leipzig 


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Raffenarmut Afrikas. Beweglichkeit afrifanifcher Völker, 21 


als daß fie unjtet in jeber Beziehung, vor allem aber veränderlihen Sites und darum 
der Vermiihung, Vernichtung oder umgeftaltenden Erneuerung im höchſten Grabe aus: 
gefegt find. Jede Seite unfrer Schilderungen wird gerade dafür Belege bringen und 
beftändig jene Definition der Naturvölfer beitätigen, weldhe diejelben als fontinuitätslofe 
Völker bezeichnet. 

Wandelbarfeit in Bezug auf die Wohnfige ift das Merkmal fait jämtlicher 
Völker Nordafrilas, de3 Sudan, Oſt- und Südafrikas. Nehme man das Wort in dem 
weiten Sinne von Nomabismus, in weldem es auf die nordafrifaniihen Araberſtämme 
anzuwenden ift, die innerhalb eines einzigen Menfchenalters als geſchichtliche Faktoren in 
Tripolitanien, in Feſſan und Bornu auftreten, oder in dem engern Sinne, welder uns 
die Wahuma in Uganda von Weideplag zu Weideplatz auf den Grastriften des Hochlandes 
der Nilquellfeen wandernd zeigt, oder endlich in dem noch befchränktern, der ſelbſt bei den 
aderbauenden Betichuanen die Lage der Dörfer fich in kurzen Zeiträumen verändern läßt: 
Unftetigfeit ift das gefchihtliche Merkmal diefer Völker. Wer die Grundzüge der Geſchichte 
Afrikas bejchreiben wollte, würde vorausfhiden, daß, während der Charakter der euro: 
päiſchen Geſchichte in der ruhigen Entwidelung lofal bedingter und bejhränfter Kulturen 
fi zeichnet, in Afrifa faft alles geſchichtliche Geſchehen von Bedeutung fih in großen 
Ortsveränderungen abjpielt, welche die Völker verdrängen und verſchieben, die Stelle 
derjelben wechleln, um dabei die Kultur wejentlih auf dem alten Flecke zu belaſſen. 
Wir haben, mit andern Worten, dort eine vorwiegend innere, hier eine bloß äußerliche 
geihichtliche Bewegung, und e3 gilt von ganz Afrifa, was Burton in feinem „Dahomy“ 
jagt: „Wenn man die Berichte verſchiedener Reijenden in den entferntern Teilen des 
Kontinentes jammelte und verglide, würde man es möglich finden, innige Verbindungen 
zwifhen Völkern nachzuweiſen, welche heute einander völlig unbefannt find”. Und dabei 
it dennoch wieder Afrifa vor allen andern der Kultur fern ftehenden Ländern der Erdteil 
des Aderbaues und der Anſäſſigkeit, aber diefe Anſäſſigkeit iſt eben eine durch den niedrigen 
Stand der Geſamtkultur abgeſchwächte, eingeſchränkte. 

Unter ſolchen Umſtänden wird man ſcharf geſonderte Raſſen nur da zu finden 
erwarten, wo fremde Völker in dieſen Erdteil vor noch nicht langer Zeit einwanderten 
und fich niederließen. Und in der That, foviel auch Verſuche gemacht find, zu fcharfen 
Unterfcheidungen der eigentlichen Afrifaner zu gelangen, die ja jehr bequem fein würden, 
fie haben ſich nicht bewährt; vielmehr ift jeder, der fich vorurteilslos mit diefen Fragen 
beichäftigte, zu demſelben Ergebniffe gelommen, welches R. Hartmann mit aller 
wünjchenswerten Deutlichkeit folgendermaßen ausfpricht: „Bereits auf afritaniichem Boden 
gelangte ih zu der Überzeugung, daß hier mit den Begriffen Kaufafier, Äthiopier, 
Semiten und Hamiten im ganzen fehr wenig anzufangen fei, ſowenig wie etwa mit den 
Begriffen Arier, Indoeuropäer, Turanier. Ich merkte, daß die ethnologiihe Forſchung 
für die Aufhellung der verwidelten Bölferverhältniffe der nördlichen Hälfte Afrifas andre 
Bahnen aufjuchen müſſe als die bisher meiſt übliche einer einfeitigen Gegenüberftellung 
ſcharf begrenzter Raflengegenfäge und als verbrauchte Sammelbezeichnungen.” 

Damit ift ja nicht gejagt, daß Afrika ohne alle Unterſchiede von einem Ende bis 
zum andern von einer einförmigen Menfchenmafje erfüllt ſei, jondern es foll nur 
hervorgehoben werden, daß nicht das Sondernde einfeitig zu beachten ijt, wie es bisher 
faft ftet3 nur gefchehen. Den Thatjahen, wie fie liegen, entipricht es vielmehr, das 
Gemeinfame, das unfraglid vorhanden ift, zuerſt auszufprehen und dann erft dazu 
fortzufchreiten, die Nüancen zu zeigen, welche durch mannigfaltige kleinere Unterfchiede 
in dieſes Bild gebradt werden. Deshalb teilen wir unfre Aufgabe jo, daß wir hier 
einleitend zuerit die großen Gemeinfamleiten der afrifanischen Menfchheit aufweifen, um 


2 Afrilas Land und Boll, 


in den jpäter folgenden Einzelſchilderungen zu zeigen, wie und warum die Völker hier 
und dort fich bejonders geitaltet darftellen. Dieſer Weg der Beiprehung, glauben wir, 
wird ebenjowohl der Natur der Sahe am entiprechendften als auch dem Berjtändnis 
derjelben am förberlichiten fein. 


Der Kern der Bevölkerung Afrikas ift äthiopifhen Charakters: dunkelbraun von 
Haut, wollig von Haar, mit diden Lippen und Neigung zu ftarter Entwidelung der 
Geſichts- und Gebifteile. Völkern von diefer Beſchaffenheit gehört, joweit die Geſchichte 





Buſchmänner (nah Photographie don ©. Fritid). 


reiht, Afrika jüdlih von der großen Wüfte, und wahrjcheinlich ift diejelbe einft auch in 
der Wüſte ſelbſt weiter verbreitet gewejen als heute. Im ſüdlichſten Afrifa wohnt kompakt 
eine hellbraune bis gelbliche, klein gewachſene Abart (vgl. die obenftehende Abbildung der 
Buſchmänner), welche, in Kleine Partien verjprengt, aud im Innern des Erbteiles wieder: 
zufehren jcheint. Der Norden aber wird jenfeit der großen Wüfte von Menſchen bewohnt, 
die im allgemeinen heller von Farbe ſich ermweifen, ſei es rötlih, wie die Agypter, oder 
gelblich, wie die Araber, jo daß der Zentralafrifaner, mit ihnen verglichen, jogar „ſchwarz“ 
genannt worden iſt; auch weiſen fie mehr lodiges als mwolliges Haar und nicht in jo 
ftarfem Maße entwidelte Geſichts- und Gebißteile des Schädels auf. Einige von ihnen, 
wie 3. B. die Kabylen der algeriſchen Gebirge, find ſogar den Südeuropäern ähnlicher 
als ihren afrikaniſchen Nachbarn. Allein im ganzen find ihre Merkmale den äthiopijchen 
nicht Scharf entgegengefegt, fondern fie machen den Eindrud, mehr nur durch Vermiſchung 
und Verdünnung von denfelben fich zu entfernen. 

Daß dies mehr als eine müßige Annahme ift, lehrt die Völkergefchichte Afrikas, indem 
fie eine von den ältejten befannten Zeiten an fortgehende Durchſickerung der dunflern 


Die dunfeln und bie hellen Afrifaner. Negerblut in Norbafrila. 23 


innerafrikaniſchen Menjchen nad) den Gebieten der hellern Nordafritaner, vorwiegend durch 
das Mittel des Sklavenhandels fich vollziehend, fennen lehrt. In diefem Sinne dürfen wir 
mit G. Fritich die Länder jenfeit der nordafrikaniſchen Wüſte, d. h. den Sudan, als die— 
jenigen bezeichnen, welche bei einer allgemeinen Betrachtung der Völkerkunde von Afrika 
den Ausgangspunkt abgeben müßten. Sie bilden die Mittelglieder zwifchen dem „dunkeln“ 
und dem „hellen“ Afrika, die aus den fcheinbar getrennten Teilen ein Ganzes zu machen 
itreben. Soweit die Geſchichte geht, haben Neger in Ägypten und an der Nordküſte Afrikas 
geſeſſen. Sie haben mit Hannibal die Alpen überjtiegen und find mit Mac Mahon bei 
Wörth geſchlagen worden. Es kann diefe ganze Bevölferung, wie immer ihre urſprüng— 
lihe Natur geweſen fein mag, nicht anders al3 mit einem ftarfen äthiopijhen Elemente 
verjegt gedacht werden (vgl. die untenjtehende Abbildung eines Felfaners), und wenn man 
ihren anthropologiichen Hauptcharafter am fürzeften bezeichnen will, jo muß man an die 





Sandili, König der Gaika (nad Photographie Ein Feffaner (nad Photogrophie). 
von ©, Fritſch). Bol. Tert, ©. 21. 


Mulatten, die Miſchlinge zwiichen Negern und MWeihen, erinnern. Gibt es doch Anthropo: 
logen, welche die ganze ſemitiſche und hamitiſche Bevölkerung Afrikas einfach als mulattifch 
bezeichnen. Wenn aber andre dagegen die Ägypter als eine ganz befondere Nafje bezeichnen 
wollten, jo würden wir an das Urteil eines Beobachters wie Darwin erinnern, der in 
feiner „Abſtammung des Menjchen‘ erzählt, dab, als er im Britiſchen Mufeum in Beglei- 
tung von zwei Fahmännern die Statue Amunophs III. betrachtete, er mit diejen über: 
einftimmte, daß diejer Pharao Gefichtszüge von ftarf ausgeprägter Negerform habe. Aber 
nicht bloß dunkles Blut drang in den Bereich des hellen vor, jondern dieſes drängte auch 
wieder nad) dem Gebiete, wo jenes herrſcht, und wir haben, alles in allem, mehr gemijchten 
als rein negerhaften Typus im ganzen nordäquatorialen Afrika. 

innerhalb der dunfelfarbigen Bevölkerung Afrifas gibt es eine große Anzahl von 
Stämmen, deren Gefihtsbildung den edlern Formen der Weißen dur dünnere Lippen, 
minder platte Naſe, beijeres Verhältnis zwiſchen Stirn und Kiefern nahefommt, während 
ihre Färbung ebenſo dunfel wie bei den typiichen Negern it, oft auch noch dunkler (vgl. 
Abbildung, S. 24). Man erkennt hieraus, daß eine notwendige Beziehung zwijchen der für 


24 Afrikas Land und Bolt. 


jo wichtig gehaltenen Hautfarbe und andern Körpermerfmalen nicht beiteht; dasjelbe lehren 
befanntlich die dunfeln Indier von kaukaſiſchem Gefichtsjchnitte. Hier ift e8 aber von 
Intereſſe, feitzuftellen, daß zu diefen, um einen Herderſchen Ausdrud zu gebrauden, „schön 
gebildeten Menjchen” der dunfeln Afrifaner vor allen die an der Oftfeite gegen Arabien und 
die an der Nordweſt- und Weſtſeite bis zum Benuẽ wohnenden Stämme gehören. Die 
Nubier, Abejjinier, Galla und Somali, die Fellata oder Fulbe, die Mandingo, Hauſſa und 
andre gehören hierher. Bei einigen ift fremder Einfluß nachweisbar, bei allen ift er höchſt 
wahriheinlid, da jomohl die Art der Abweichung als aud die geographiiche Verbreitung 





Prinzeffin von Unyoro (von Rihard Buchta nah eigner Photographie). vel Lat, S. 23, 


berjelben auf Zumifchung weſtaſiatiſchen, beziehungsweife nordafrifaniichen hellern Blutes 
hindeuten. Anthropologen von wohlbegründetem Urteile, wie Quatrefages, jprechen fogar 
von Zeichen jemitifcher Beimiſchung noch bei den weit im Süden wohnenden Zulufaffern 
(vgl. die Abbildung des Gaikakönigs Sandili, S. 23). 


* 


Werfen wir einen Blick auf die Verbreitung der afrifaniihen Spraden, ehe wir 
von den Beziehungen der Afrifaner nah außen weiterſprechen, fo treten im Gegenſatze 
zu der fundamentalen Ähnlichkeit der Afrikaner mehr ftreng gejonderte Spradfamilien 
ung entgegen, welde auf den erften Blick fich fcharf voneinander abzuheben jcheinen. Wir 
haben im Süden die Bufhmann: und Hottentottenjprahen, zwiſchen welchen nur 
eine entfernte VBerwandtichaft angenommen werden fann, jedenfalls eine viel entferntere, 
als auf den eriten Blid der hohe Grad der förperlihen Verwandtſchaft beider Völker 
glauben läßt. Dann haben wir die von diefen noch weiter verfchiedenen Bantufpraden, 
welde das übrige jüdäquatoriale Afrika ganz erfüllen und befonders im Herzen des Erb: 
teiles noch weit über den Aquator nordwärts reichen. Diefe Bantuſprachen find nad) der 
Anficht vieler die echten und urjprünglichen Afrikanerſprachen. Die Mehrzahl der Neger 


Spraden Afrikas, Gibt es in Afrifa Autochthonen? 25 


bes norbäquatorialen Afrifa von der Weftküfte bis zum Nil, alfo vor allen die Sudan— 
neger, jpridht aber Sprachen eines weitern Stammes, weldhe Lepfius als Miſchneger— 
ſprachen bezeichnet hat. Und endlich teilen fich in das nördlichſte und öftlichite Afrika 
die hamitiſchen Spraden der altägyptiichen, libyſchen und kuſchitiſchen Stämme, 
welche wahriheinlih aus Alien eingewandert find, und die jemitifden Spraden der 
Abeifinier und Araber. 

Alte Verbindungen diefer von den Sprachforſchern jest meiſt noch jehr ſcharf aus: 
einander gehaltenen Sprachen aufzufuchen, wird eine der Hauptaufgaben der afrikanischen 
Völkerkunde jein. Wenig ift in dieſer Richtung bis heute gefchehen. Jedoch erwähnen wir 
Lepſius' anregenden Verſuch, das Hottentottiiche zu den hamitischen Sprachen zu ftellen 
und es mit dieſen als aus Alien nad Afrifa eingedrungen zu fennzeichnen, während die 
Bantuſprachen von den uriprünglihen Sprachen der afrikaniſchen Aboriginer hergeleitet, 
die Sudan- oder Mifchnegerfprahen aber aus hamitiſchen und Bantuelementen gemifcht 
betrachtet werden. Die alte Verbindung des nord- und ſüdafrikaniſchen Hamitiſchen foll 
durch Wiedervordringen der erjt von den Einmwanderern zurüdgedrängten Bantuftämme 
gelöft und dadurch gleichzeitig die Mifchiprahe der norbäquatorialen Neger entjtanden 
jein. Wie auch die Sprachforfcher zu biefer Hypotheſe ſich ftellen mögen, welche ein bisher 
urwaldartiges Dickicht wie mit Einem Schlage in eine höchit überfichtliche, klare Landſchaft 
verwandelt, man muß zugeben, daß die auffallend zonenförmige Anordnung diefer vier 
Hauptitämme afrikanischer Spraden derfelben eine geographiiche Berechtigung zuſpricht, 
wobei freilich unbenommen bleibt, über das Autochthonentum der Bantu mehr oder weniger 
entjchieden zu denfen. Die Linguiftif allein ift ja nie im ftande, derartige Fragen voll: 
ttändig zu Ende zu beantworten. Lepſius felbjt hat dies mit wünfchenswertefter Deut- 
lichfeit in der Einleitung zu feiner „Nubifchen Grammatik” betont. „Die Sprachen”, jagt 
er dort, „laſſen ſich von den Völkern, welche fie ſprechen, freilich nicht trennen; doch muß 
man von vornherein feithalten, daß ſich Völker und Spraden nad) ihrer Abitammung 
und Zufammengehörigfeit feineswegs und nirgends deden, wie nod immer in viel zu 
hohem Grade vorausgejegt zu werden pflegt.” In der That, nur eine jüngere, mehr an 
der Oberfläche liegende Phaſe der Geſchichte der afrikanischen Völker kann die Sprach— 
forihung uns Elarlegen helfen, denn die rajche Verbreitung und die Veränderlichfeit der 
Sprachen geftatten nicht, weit in die Tiefe vorzudringen. 


Unveränberlicher als die Sprachen find die förperlihen Merkmale, auf die wir 
daher noch einen raſchen Blick werfen wollen. 

Was wir hier zuerft jehen, ift von fundamentaler Bedeutung. Keine von den heute 
in Afrifa lebenden Raffen des Menjchengefchlechtes gehört diefem Erbteile allein an. 
Völfer mit allen Merkmalen des Negers fommen auf dem Feſtlande und den Inſeln des ſüd— 
lichen Aſien, in Auftralien und auf den weltlichen Inſeln Bolynefiens (im fogenannten Mela— 
nefien) vor. Wer ein Zeugnis für ihre volllommene Übereinſtimmung wünjcht, den verweifen 
wir auf die Raffentypen aus dieſen verjchiedenen Gebieten, welche wir im folgenden in 
getreuer Abbildung vorführen werden. Angefichts ihrer empfindet man die volle Berechtigung 
der Behauptung eines jo vertrauenswerten Beobachters wie Finſch, daß es unmöglich fei, 
zwiſchen gewiffen melanefischen und afrifanifchen Negern irgend einen Unterichied zu finden. 

Die gewöhnlich der Faufafischen oder mittelländifchen Raffe zugezäblten Nordafrifaner 
finden fi in Weitafien und Südeuropa wieder. Die Herftammung der Ägypter aus 
Aien wird von erniten Forſchern behauptet, für die der Araber und Abeſſinier liegen 
geichichtliche Zeugniffe vor, und gewiſſe vorgeichichtliche Denkmäler in den Atlasländern 
iheinen auf alte Völkerbeziehungen zwiſchen Nordafrifa und Europa hinzudeuten. Auch 


26 Afrikas Land und Bolt. 


in der Körperbildung der Berber wollen die Anthropologen den „liguriihen” Typus 
Sübdeuropas wiederfinden, wozu dann nod die verjprengten Blonden des Atlad kommen. 
Man wird daraus fchliefen dürfen, daß die Uriprünge der afrifanischen Bevölferungen 
nicht ohne Berüdfichtigung der benachbarten Erbdteile erwogen werben fünnen, und man 
wird die naheliegende Frage: Hat Afrifa unter feinen Bevölferungen Autochthonen? mit 
etwas geringerer Sicherheit beantworten, wenn man ebendiefe Thatſachen der über Afrikas 
Grenzen hinausreichenden Völferverwandtichaften gewürdigt haben wird. 

Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob wir die Neger Afrifas als ein 
Ganzes falten, als welches wir fie den Negern Aſiens und Auftraliens anſchließen müſſen, 
oder ob wir die Heinen, gelben Sübdafrifaner und ihre vielleiht durd Zentralafrika zer: 
ftreuten Verwandten, jene vielberufenen Zwergvölfer, als eine befondere Raſſe ausſondern. 
In diefen, welche mit ihren freilich geringen unterfcheidenden Merkmalen weder unter 
ſüdaſiatiſchen noch auftralifch-polynefiihen Negern ihresaleihen haben, würden die Autoch— 
thonen zu erfennen fein. Aber wir werben finden, daß eine jcharfe Trennung derjelben 
von den übrigen Negern fich nicht rechtfertigt. Für die uns befchäftigende Frage it es 
daher wichtig, hervorzuheben, dab, da die Unterjchiede beider nicht von tiefgehender Art 
find, fein Grund, vorliegt, um die eine Negerjpielart als diefem Lande eigentümlich, die 
andre als in dasjelbe eingewandert zu kennzeichnen. Können wir aber vielleicht, wenn in 
der That Autochthonen nicht nachzuweiſen find, Spuren ihrer Gegenwart, die durch Miſchung 
mit Eingewanderten ſich erhielten, in einzelnen Stämmen auffinden? Und bieten fi) nicht 
die Bufchmänner und andre „Zwerge” al3 die günftigiten Objekte einer ſolchen Unter: 
juhung? Die Einzelbetradhtung dieſer Völfer wird uns zeigen, daß das, was jie von den 
Negern jcheidet, keineswegs von durchſchlagender Bedeutung ift. Es ift wejentlih nur 
ihre durchfchnittlih geringere Größe und ihre bellere Farbe. Alle andern Merkmale 
gehören dem Negertypus an, in welchem ja übrigens helle Färbungen ebenfalls vorfommen. 
Da über ihre Sprachen nichts zweifellos Sicheres gejagt werden fann und ihre Sitten, 
Geräte 2c. nichts durchaus Eigentümliches bieten, jo ift eine Berechtigung, dieje Völker 
den Negern unbedingt entgegenzufegen, nicht zu erfennen. 


* 


Wenn nun die Anthropologie keinen Anhalt bietet zur Beantwortung der Frage nach 
dem Urſprunge ber Neger, was jagt die Geographie? Einer großen anthropo— 
geographiichen Betrachtung erjcheint Afrifa als Halbinjel von Afien, auf weldher manche 
in Rüdjtändigfeit eigenartige Arten und Formen ber Schöpfung fich erhalten haben. Die 
wenn aud nur unerheblich wirkſame Abſchließung gegen Norden durch die Wüſte, welche fo 
lange währen mußte, als nicht anderswoher beifere Schiffer, als noch heute die Afrifaner 
find, an Afrifas Küſten ftießen, mußte jeine Bevölkerung bis zu dieſem verhältnismäßig 
jungen Zeitpunfte hauptjählid über den Ummeg Arabiens mit den Njiaten in 
Berührung fommen laſſen, die in dem weit nah Norden und Oſten ſich ausdehnen: 
den geräumigern und mannigfaltigern Erbteile unter ganz andern äußern Bedingungen 
fih entwidelten. Wenn auch Aſien jelbit und Auftralien nebſt Polynefien nur noch 
geringe Nefte einer der afrifaniichen jehr ähnlichen Bevölkerung aufweiſen, jo fpricht 
dies nicht ftarf gegen die afiatifhe Abjtammung. Die von Norden vordringenden Men: 
ihen gelber und weißer Hautfarbe fonnten die Neger Aliens und Auftraliens in die 
legten Winkel zurüddrängen, während fie in Afrika, gegen Norden geſchützt, noch in großer 
Breite, ja faft den ganzen Kontinent einnehmend, ſich erhalten konnten. Es hindert das 
nicht, daß fie an bem einen Orte dennoch früher ausgebreiteter fein fonnten als heute. 
Im Gegenteile it die zerjtreute Verteilung der negerartigen Völker öftlih von Afrika ein 


Gibt es in Afrifa Autochthonen? Afiatifche Völferzuflüffe. 27 


fat jiherer Beweis ihrer einft viel mweitern Ausbreitung. Da nun durch geichichtliche 
Nahrichten gezeigt wird, daß öfters von Aſien Völferwellen nach Afrika binüberjchlugen, 
darunter jo gewaltige wie die arabijhe, während das Gegenteil beglaubigt nicht ftatt- 
gefunden hat, jo jcheint die Analogie auch für eine öftliche Einwanderung der Neger zu 
Iprehen. Segen wir nun den Fall, daß eine jolde Einwanderung Bewohner vorfand, wird 
nit das Schidjal der einheimifhen Bevölkerung eines ſolchen peninfularen Erdteiles im 
wejentlihen das gemwejen 
fein, daß Einwanderer aus 
dem nächſtgrößern Schweiter: 
erbteile Ajien fich nad) feinen 
Küjten begaben, durch ihre 
geringe Zahl fich gezwungen 
jahen, in den Ureinwohnern, 
aud wenn fie diejelben be: 
berrichten, aufzugeben, und 
daß dadurd Mifchrafjen ent: 
ftanden, weldhe um ein wenig 
die Einheimiſchen überragten, 
daß dieſer Prozeß ſich öfter 
wiederholte und Völkerwelle 
auf Völkerwelle von Oſten 
her ins Innere des Erdteiles 
vorquoll, bis faſt die geſamte 
Bevölkerung vereinheitlicht 
war? Sollten dieſe wieder— 
holten Wanderungen viel— 
leicht unwahrſcheinlich fein, 
ſo erinnere man ſich, daß 
allein von ſemitiſchen Inva— 
ſionen die Geſchichte viermal 
berichtet, nämlich in Agyp— 
ten (die Hykſos), in Abejji- 
nien und im weitern Nord- 3, 
und Ditafrifa (Araber). *— 
Unter Annahme dieſer feige string." 
Hppotheje nun würden wir Ein Nubier (nad Photographie). 
in Nubiern und Galla das 
eine Ertrem einer Stufenleiter von Miſchungen erkennen, von der die Buſchmänner das 
andre Ende darftellten. Die legtern würden einer tiefern Stufe von Miſchung entiprechen, 
in welcher ftärfere Elemente der frühern Bewohner, wenn auch fehr verändert, ſich noch 
vorfinden, während jene als der aſiatiſchſte, von altafrifanifchen Elementen freiejte Typus 
erichienen (vgl. obenftehende Abbildung). Die Thatjahe, daß die am reinften negerhaften 
Stämme dem Süden und Weften des Erdteiles angehören, während die des Nordens und 
Oſtens unzmweifelhafte Bezüge zu Ajien erkennen laffen, gibt unfrer Auffaffung noch eine 
weitere Stüße, denn die legtern lagen der Quelle beftändiger Veränderungen dur 
Zumiſchung näher (vgl. die beiden Abbildungen, S. 28 und 29). Freilich dürfen unter diefen 
Borausjegungen die Urafrifaner von den Einwanderern förperlich nicht jehr tief verfchieden 
geweſen jein, da fonft ftärfere Unterfchiede zwischen afrikaniſchen und afiatifch-auftraliichen 





28 Afrikas Land und Bolt. 


Negern obwalten müßten. Was aber die allmähliche „Ausſüßung“ eines Volkes anbelangt, 
die wir vorausjegen, jo möge auch folgendes zur Erwägung geftellt fein. Die Einwanderer 
haben Aderbau und Viehzucht gebracht, ihre Vorgänger aber waren wahrjcheinlich bloß 
Jäger, wie die Bujhmänner, weldhe alſo nur in geringer Zahl vorhanden fein konnten, 


Ein Somal (nah Photographie). Vgl. Tert, S. 27. 





weil ein Jagdvolk immer viel 
weitern Raum erheifcht als ein 
viehzucht- oder gar aderbautrei- 
bendes. Wenn nun ein dünn 
bevölferter Kontinent von einer 
bejtimmten Nafje oder ſogar 
(hauptſächlich) von Einem Volke 
folonifiert wird, dem die Mög: 
lichkeit rajcherer Vermehrung ge: 
geben ift, muß dort nicht bald 
ein einheitlicher geartetes Volk 
aufwachſen, das gerade hieraus 
ein Element von Kraft, von Über: 
legenheit über die alten jtabilern 
Urbewohner gewinnen wird? 


Während die Spradfunde 
unjrer Auffaffung einer afiati- 
ſchen Heritammung der Neger 
weder Stütze bietet, noch auch 
Widerſpruch gegen dieſelbe er— 
hebt, führt ein allgemeiner Über— 
blick der Entwickelung des 
Kulturbeſitzes der Neger auf 
einen Punkt, wo dieſe Annahme 
ſich durch gewichtige Gründe ge— 
ſtützt ſieht. Manche wichtige Haus— 
tiere und Kulturpflanzen Afrikas 
ſind, wie wir geſehen haben, von 
entſchieden aſiatiſchem Ur: 
ſprunge, und von andern iſt 
dieſer Urſprung mindeſtens wahr: 
ſcheinlich. Im ſonſtigen Kultur— 
beſitze der Neger iſt die große 
Ahnlichkeit mit demjenigen der 
aſiatiſch- auſtraliſchen Neger auf— 
fallend. Keule, Speer, Bogen 
und Pfeil ſind beiden gemeinſame 


Waffen, beide üben die Künſte der Holzſchnitzerei und Töpferei. Gewiſſe Geräte, wie z. B. 
die Trommeln mit darübergeſpannten und durch Schnüre verbundenen Trommelfellen, ſind 
ſogar noch in Hawaii den afrikaniſchen Formen zum Verwechſeln ähnlich. Sollte aber viel— 
leicht die große Thatſache, daß die Afrikaner Eiſen beſitzen, als ein Widerſpruch erſcheinen, 
jo läßt die neuere Forſchung eine früher über ganz Afrika verbreitete Steinzeit immer 
deutlicher hervortreten, d. h. den Zuftand, in welchem die Mehrzahl der aſiatiſch-auſtraliſchen 


Stellung ber Afrikaner in ber Aulturentwidelung der Menfchheit. 29 


Neger zur Zeit der eriten Berührung mit den Europäern fich befand. Und dabei iſt die Art 
der Eijenbereitung bei den Afrifanern eine durchaus einförmige, wenn fie auch zu bedeutender 
Geichiclichkeit hierin fortgejchritten find. Dies deutet auf Urſprung aus Einer Quelle. 
Wenn man nun fieht, wie auch mit diefer Bereicherung des Kulturſchatzes wieder die am 


—— 
> at, 


Ru 
* 4 





Bergdamara (nad Photographie im Beſihe des Herrn Fabri in Barmen). Vgl. Tert, ©. 27. 


weiteften vom Norden und Often entfernten Stämme am wenigiten vertraut find, nämlich 
die Bufchmänner (und vielleicht urfprünglic auch ein Teil der Hottentotten), jo legt ſich 
der Gedanke nahe, daß gleich jo mancher andern Kenntnis auch die des Eijens aus Ägypten 
und Weftafien ihren Weg nad) dem Refte des Erdteiles gefunden habe, wie denn überhaupt 
die Überlegenheit der Afrikaner in manden Künften auf die jahrtaufendelange Berührung 
mit der Kultur Ägyptens und Weſtaſiens zu einem guten Teile zurüdzuführen fein möchte. 
Selbit in Einzelheiten der Formen von Werkzeugen, Mufikinftrumenten und anderm wieder: 
holen ſich echt ägyptiſche Urbilder bei den ſüdlichſten Stämmen des Erbteiles, wie wir 
3. B. bei den Ovambo (von Monbuttu und andern zu gefchweigen) finden werden. 


50 Afrikas Land und Volk. 


Auh die VBorftellungsfreife der afrifanifchen Neger berühren fich oft innig mit 
denen der auftralifch-afiatiihen. Bleek hat auf eine Anzahl von Übereinftimmungen 
zwiſchen den Sternfagen der Buſchmänner und Südoftauftralier aufmerffam gemadt. 
Die auffallendite iſt ficherlih, daß dieſe Völker, welche allgemein als die in der Kultur 
am weiteften zurüdjtehenden angejehen werben, beide einen erjtaunlihen Reichtum an 
Sagen und Dichtungen über eine ganze Reihe von Himmelskörpern befigen. Außerdem 
find aber auch deutliche Anklänge in diefen Sagen felbft vorhanden. Die Auftralier führen 
die Sonne auf ein von frühern Menjchen in den Himmelsraum geworfenes Emu-Ei, die 
Buſchmänner auf einen gleichfalls von frühern Menjchen in den Himmel geworfenen Mann 
zurüd. Lebtere lafjen auch den Mond aus einer von diejen frühern Menihen in den 
Himmel geworfenen rotbejtaubten Sohle entjtehen. Die Milchitraße entſtand nach der 
Sage der Eingebornen von Victoria aus dem Rauche des Feuers jener Menjchen, nad) der: 
jenigen der Bujhmänner aus Aſche, die diefelben in den Himmel warfen. Jene nennen 
den Jupiter „Fuß des Tages”, diefe „Herz des Tages”. Beide jegen einen hellen Stern, 
jene den Arcturus, diefe den Kanopus, in Beziehung zu wilder Nahrung, 3. B. Ameifen: 
eiern, die er fie finden lehrt. In den Magellaniſchen Wolken fehen jene ein Paar 
Bögel, diefe ein Paar Steinböde. Die Übereinftimmung merkwürdiger Sterblichfeitsfagen 
zwiihen Südafrikanern und Fidichianern hat Peſchel hervorgehoben. Die Fidſchianer 
laffen zwei Götter, Mond und Ratte, ſich ftreiten, ob die Menfchen ſterblich fein follten 
wie der Mond, d. h. jterbend und mwiederfehrend, oder wie die Ratten, d. h. einfad) 
jterbend, nicht wiederfehrend. Da die Natte fiegte, find nun die Menſchen fterblid. Bei 
den Hottentotten läßt der Mond durch jeinen Boten, den Hafen, den Menjchen jagen, 
daß fie gleich ihm vergehen und wieberfehren follten. Der Hafe richtet die Botichaft in 
dem entgegengejegten Sinne aus, wofür der Mond ihn mit einem Stabe wirft, ber 
ihm die Oberlippe jchligt. Mit einigen Variationen fommt die Sage auch bei andern 
Südafritanern vor. Die Bafuto lafjen z. B. die Eidechſe die rechte Botjchaft bringen, 
während das Chamäleon mit der falichen fie überholt und bei den Menſchen, früher 
antommend, Glauben findet. Unmöglich find alle diefe Ähnlichkeiten nur als Zufällig: 
feiten zu erklären. 

Doch ijt freilih die Möglichkeit immer im Auge zu behalten, daß jie aus gleicher 
Quelle ftammen, die vielleiht von beiden gleicdhweit entfernt iſt, gleich wenig mit beiden 
urjprüngli zu thun hat. Wir möchten hieran befonders angefichts der zahlreichen den 
europäifchen oft ähnlichen Fabeln und Märchen der Neger und bejonders der gelben 
Sübdafrifaner erinnern, jener Gefhichten, von denen Livingftone in ber ſchönen Selbit- 
ſchilderung, die das Buch über feine erften Miffionsreifen einleitet, jagt: „Sch erinnere 
mich, als Knabe meinem Großvater mit Entzüden zugehört zu haben, denn fein Gedächt— 
nis barg einen unerjchöpflichen Vorrat von Geſchichten, deren mande wunderbar denen 
glichen, die ich ſeitdem bei afrifanifhen MWachtfeuern vernommen”. Bei dem trümmer: 
haften Zujtande, in dem 3. B. der Hephäftosmythus und die polynelifhe Sage vom 
Maui hier als Erzählung von einem einbeinigen Manne wieberfehrt, der unter der 
Erde lebt, läßt ung diefe urfprünglich gemeinfame Quelle gleihfam nur aus ber Ferne 
ihr Niefeln hören; aber wir fönnen nicht zweifeln, daß fie einft Fräftiger floß. Es 
bleibt weiterer Erforihung vorbehalten, ob nicht ähnlich auch fremde Elemente in dem 
jo hoch entwidelten Nechtsleben der Neger nachzumweifen fein möchten. Denn die Erfah: 
rung, daß, um mit Pejchel zu reden, die Neger in hohem Grade die Gabe und 
Neigung befigen, fi fremde Gefittungsfhäge anzueignen, während fie arm an eignen 
Erfindungen find, dürfte nicht auf das Gebiet der materiellen Kultur zu befchränfen 
fein, fondern die ideelle Kultur ebenjo betreffen. 


Afrikaniſche Mythen. Einflüffe fremder Kulturen, 31 


Mit dieſer innern Trägheit afrikaniſchen Weſens hängt es aufs engſte zuſammen, 
wenn Kulturen von weltgeſchichtlicher Bedeutung in Afrika dauerhafte Stätten nur im 
torden gefunden haben. Daneben find vereinzelte Ableger im Oſten erwachſen. Was 
in biefem Erbteile, von den neuern und neueften Kolonien ber feefahrenden Europäer 
abgejehen, von Kultur diejer fortwirkenden, fruchtbaren Art zu irgend einer Zeit fi) 
entwidelt hat, fteht alles entweder im Zujammenhange mit dem für drei Erbteile zum 
Ausftrahlungspunfte gewordenen mittelmeerifchen Kulturzentrum und ift, wenn nidht alles 
trügt, von den Oſt- und Nordufern diejes mweltgefchichtlih fo bebeutungsvollen Meer: 
bujens oder teilmweife vielleicht jelbft aus dem Innern Afiens heraus nad) Afrika übertragen 
worden, oder aber es ift über den Indiſchen Ozean aus Südafien nah Afrifa gebracht 
worden; die3 aber wohl immer nur in geringem Maße. E3 ift damit nicht geleugnet, daß 
es eine afrikaniſche Kultur jemals gegeben habe. Wenn aud die Keime von außen 
gekommen find, haben doch Boden, Klima und andre äußere Bedingungen und vor allem 
das einmal vorhandene Menjchenmaterial ihrer Entwidelung beftimmte Richtungen gegeben 
und ihren Früchten einen eigentümlich afrikaniſchen Stempel aufgeprägt. Yon feiner gilt 
dies mehr als der ägyptiichen, der älteften, merkwürdigſten und folgenreichiten von allen. 
Die Einwanderung ihrer älteften Träger aus Afien wird heute von den Agyptologen faft 
durhaus angenommen. Uns genügt diefe Annahme; eine beftimmtere Frage nad) dem 
Woher? aufzumerfen, fann unſre Sade hier nicht fein. Dagegen werden wir nad) dem 
Wohin? diefer Kultur, d. h. nach den Richtungen, in denen fie ihre Strahlen warf, im 
Verfolge unfrer Darftellung noch oft zu forſchen und bei jo mander ethnographifchen 
Thatſache aus dem innerften Afrifa die Blicke des Leſers nad der uralten Kulturftätte 
im Nilthale zurüdzulenfen haben. Sie felber blieb, im Norden vom Meere und auf beiden 
Flanken von Wüften begrenzt, auf das Nilthal und feine nächſten Umgebungen beichräntt, 
jo daß nur im Süden eine Ausbreitung möglich war, welde fie aber wohl nicht einmal 
bis auf das abeſſiniſche Hochland führte, wo die Wiege des Blauen Nil fteht. ALS dieſe 
derart abgejchloffene Kultur längft ihren Höhepunkt erreicht, ja vielleicht ihn überfchritten 
hatte, nahm wiederum, von Weitafien fommend, die arabijche ihren Lauf von Norden und 
Often nad dem Herzen des Erdteiles zu, dem fie längft ſchon nahegekommen war, als 
die europäifchen Entdeder erft begannen, den Fußitapfen der arabiſchen Händler, Pioniere 
der Kultur im guten und jchlimmen Sinne, zu folgen. Aber fie führte zur Begründung 
eigner Kulturzentren in dauernden Staatögebilden, großen Städten, zahlreichen thätigen 
Völfern nur im Sudan, dem natürlichen Übergangsgebiete zwiſchen Nord: und Mittel- 
afrifa. An der Oftküfte ift Ähnliches nur im Hleinften Mafftabe gelungen. Starke 
Regierungen find nicht Sache der Afrikaner, und es fteht daher in geradem Verhältniffe 
zur Schwäche diefer Regierungen ihre völferbildende Macht. In Bornu, wo infolge 
eines ausgleihenden und zentralifierenden Regierungsfyftemes mehrere Stämme im Laufe 
der Zeit faft ganz vernichtet worben find, überjchreitet die Zahl der innerhalb der Reichs: 
grenzen noch geredeten Sprachen nad) Barth fünfzehn. Die Europäer aber, die ſchon zur 
Zeit der Griechen des 8. Jahrhunderts Pflanzitätten an der Norbfüfte des Erdteiles begrün- 
deten und durch die Herrichaft Roms Fuß fahten in ganz Nordafrika von Numidien bis 
Ägypten, find, mit Ausnahme der füdafrifaniihen Kolonie, im übrigen Afrika vorwiegend 
am Rande geblieben und haben bis auf die jüngfte Zeit einen viel geringern Einfluß als 
die Araber und die Ägypter auf die Kultur Afrikas geübt. 


Wie es im allgemeinen zu ben Merkmalen des Negercharafters gehört, ohne Anftoß von 
außen wejentlich feiner Trägheit überlaffen zu bleiben und wenig aus ſich felber zu thun, fo 
haben überhaupt die äußern Einflüffe nicht tief ins Innere ihre Wirkung erftredt. Der 


32 Afritas Land und Volk, 


indiichen Einflüffe, die an der Oſtküſte hervortreten, fei hier nur vorübergehend gedacht. Das 
eigentliche Negertum hat von all dem, was ihm hier geboten ward, wenig aufgenommen. 
Man kann jagen, daß andre Naturvölfer, wie 3. B. die Malayen, mehr durd) ihre Nachbarn 
gewonnen haben. Um fo auffallender aber ift e83, daß, wenn man von den von außen her 
verpflanzten Kulturen der randweije eingedrungenen Bölfer, jeien fie hamitifchen oder ſemi— 
tiihen, malayiichen oder arabiichen Blutes, abjieht, die auffallende Thatſache zu konſtatieren 
ift, daß nad dem Innern zu die Höhe der Kultur, joweit fie fich eben am Reichtume 
und der Mannigfaltigfeit des Kulturbefiges, der Stetigkeit der VBerhältniffe, dem Wohlſtande 
und ber dichten Bevölkerung mißt, im allgemeinen größer ift als in den mehr periphe— 
rifhen Landichaften. So hohe Entwidelungen, wie fie bei den Monbuttu, Njam-Njam, 
Waganda, dann bei einer ganzen Anzahl von Stämmen im mittlern und ſüdlichen Kongo: 
gebiete nachgewieſen find, finden wir, jene ebengenannten Ausnahmen abgerechnet, nirgends 
in den Küftengebieten. Sie gehören recht eigentlich dem Herzen des Erdteiles an. Wo mag 
die Urfache hiervon zu juchen fein, nachdem dod nachweisbar jo manche Bereicherungen der 
Kultur diefer Völker ihren Weg von der Küfte her ins Innere gefunden haben? Ohne Zweifel 
liegt eine große Urfadhe im Sflavenhandel, der überall, wohin er drang, die Yänder ent: 
völferte und verwültete, Völker gegeneinander hepte, die Bande der Staaten und Familien 
loderte, vielen Elend und nur einigen Genüffe ohne bildende Kraft brachte. Die mailen: 
hafte Branntweineinfuhr mag an der Weſtküſte das Niveau der einheimiihen Kultur 
erniedrigt haben, und die Kämpfe um den Vorrang im Handel mit den Weißen konnten 
den peripherifch wohnenden Stämmen ebenfowenig zu gute fommen. Allein aud abgejeben 
von aller bewußten Gewaltthat und Korruption, wirken auf die materielle Kultur dieſer 
Völker ſelbſt die friedlihen Handelsbeziehungen zerfegend. Über diefen Prozeß, welden 
man nicht erwarten würde, hat uns Schweinfurth in einigen intereffanten Bemer— 
fungen feines „Im Herzen Afritas” belehrt. Er jagt dort, daß an den autochthonen 
Künsten der Afrifaner man jehe, wie der Verfehr mit der Außenwelt, ftatt zu befruchten 
und zu beleben, überall nur zerftörend gewirkt habe, und wie einzelne Völfer mit ihrem 
Fortjhritte auf der Bahn der äußern Gefittung von der europäischen Induſtrie nur um 
jo abhängiger wurden in allen Bedürfniffen eines verfeinerten Lebens. „Die Wohlfeilheit 
der dargebotenen Artifel auf der einen und die guten Preife, die für Naturprodukte gezahlt 
werden, auf der andern Geite erklären dies zur Genüge Warum follte fi ein Neger: 
Ihmied die Mühe machen, ein Meffer anzufertigen, wenn ihm Dutende gegen einen ein: 
zigen Kautichufflumpen, den er jpielend im Walde gefammelt, geboten werden? Die 
einen großen Teil der Nordhälfte Afrifas bemwohnenden mohammedaniſchen Völker liefern 
dafür einen noch fchlagendern Beweis, indem fie von Jahr zu Jahr weniger produktiv 
werden. Den gleichen Einfluß, wie die europäiiche Welt auf diefe, haben fie jelbit wieder 
auf die Völker, welche, jeit fie dem Islam verfallen, in der Kultur allmählich zurüd: 
jchreiten, und bei welchen die legten Spuren eines einheimifchen Gewerbfleihes in kurzer 
Zeit zu verſchwinden drohen.“ 

Was folgt hieraus für die Beurteilung der eigentümlihen Kultur der Afrikaner, 
ald daß ihre geiftigen Elemente und Wurzeln allzu ſchwach und vergänglid 
find? Die Hinfälligfeit der Kulturblüten ift ein allgemeines Merkmal der Natur: 
völfer, das hier in Afrifa nur darum jo deutlich hervortritt, weil die Blüte jelbit größer 
und prädtiger als anderwärts ift. Indeſſen genügt ein Blid auf die Einförmigfeit der 
wichtigiten Zweige afrifanifcher Technik, wie 3. B. der Eifenbereitung oder der Holzfchnigerei, 
um zu erfennen, wie verheißungslos dieje Entwidelungen im wahren Grunde find (vgl. die 
Abbildungen auf S. 33, 34 und 35). In der That möchten wir uns troß großer Abitände 
nicht jenen anjchließen, welche mit einem gewiſſen ahnungsvollen Staunen von höchit 


Der Kulturcharalter Afrikas, 33 


unerwarteten Kulturunterfchieden innerhalb des innerafrifanifchen Völkerkreiſes ſprechen. 
Wir halten jelbit Schweinfurths Qualifitation der Monbuttu als eines Volfes, deffen 
Kultur weit über das hervorrage, was man jorft in Zentralafrika findet, für Leicht geeignet, 
Mißverſtändniſſe wachzurufen. Die Wahrheit ift, da im Rahmen der Kulturarmut und 
der im ganzen niedrigen Entwidelungen, welde Innerafrika bietet, eine ganze Reihe von 
begünftigtern Entfaltungen hervortritt, die freilich, fo glänzend fie ſich aud von ihrer 
Umgebung abheben, im Vergleiche zu den uns viel näher ftehenden Erſcheinungen des 
ägyptiſch-arabiſchen Kulturkreifes noch der Barbarei angehören. 

Sole Behauptungen wollen jubftantiiert fein, follen fie nicht zu irrtümlichen Auf: 
fafjungen führen, und es wird auch aus praftifchen Gründen, nämlich im Zufammenhange 
mit der Frage der Entwidelungsfähigkeit der Afritaner und den möglichen Anknüpfungs— 
punften für höhere Kultur, nicht ohne Interefje fein, im Verlaufe unfrer Betrachtungen 





Verſchiedene Geräte der Waganda (aus R. W. Felkins Sammlung). Bl. Tert, S. 32. 


genauer die Punkte ins Auge zu faſſen, wo dieſelbe über das innerafrifaniide Maß 
merklih binausragt. Man thut diefen „autochthonen Kulturen‘ der Monbuttu, Waganda, 
Wanyoro ꝛc. faum unrecht, wenn man ihre Überlegenheit über das, was andre Natur: 
völfer in dieſer Hinficht bieten, vorzüglich in Dingen des materiellen Kulturbefiges jucht, 
während fie in den geiftigen Grundlagen der Kultur nicht wejentlich über dieſelben hinaus: 
ragen. Sie wahren damit nur das innerjte Wejen der afrikanischen Kultur, denn gerade 
dieje verhältnismäßig hohe Entwidelung der materiellen Seite der Kultur mit ihrem Gegen- 
ſatze zum Zurüdbleiben der geiftigen gibt Afrifa, als Ganzes betrachtet, einen bejondern 
Kulturdharalter. Es liegt etwas Schweres, Niederziehendes, Stabilifierendes 
in dieſem Betriebe des Aderbaues und der Viehzucht bei meift jo geringer Entwidelung der 
ftaatlihen und religiöjen Einrihtungen. Man gewinnt den Eindrud von reger Sorge für 
die erſten Elemente des Lebens und zugleich von völliger Vernachläſſigung höherer Lebens: 
äußerungen. Daher aud) die jo erjtaunliche Gleihmäßigkeit, mit der diefe materielle Kultur 
und vor allem der Aderbau über den größten Teil von Afrika verbreitet iſt. Dieſe That: 
jadhe trägt zunächſt einen binnenländijchen Charakter, indem fie mit der Schwerbeweglich— 
feit des Yandgebannten eng zufammenhängt. Aber fie wurzelt weiterhin tief in der Anlage 
der Neger, welche ihre Hauptitärfe nicht auf der geiftigen, jondern auf der körperlichen 
Seite, niht im Aufihwunge, fondern im Beharren findet. Der Neger it fleißiger, als man 
gewöhnlich glaubt, und vor allem körperlich ausdauernd; er ijt auch nicht jo tierifch dumm, 
wie er lange von intereffierter Seite dargeftellt wurde, aber er erhebt fich jeltener ala 
3. B. der Altamerifaner zu beherrſchenden geiftigen Höhen. Er hat feine durchgebildete 
Mythologie, wie die polynefiihe, Feine Schrift, nichts Monumentales, nichts entfernt an 
hohe Kunſt Anklingendes geſchaffen. 


BVölterfunde. 1. 3 


34 Afritad Land und Volk, 


Aber gerade in diefem VBorwalten des Materiellen ift dann wieder der Grund 
einer Thatjache zu ſuchen, welche bei ungeftörter Entwidelung dieje Völker in Jahrtaujenden 
der wahren Kultur hätte näher führen müſſen. Diefelbe tritt nämlich nirgends deutlicher 
hervor als in der weiten Verbreitung eines über mancherlei Gegenftände ſich erjtredenden 
und mit Eifer betriebenen Aderbaues, der feinerjeits die Möglichkeit einer dichten Bevölke— 
rung bietet, wie fie in den Gebieten eigentliher Naturvölter jelten if. Die dem Ader: 





Holzgefähe der Zululaffern (Mufeum des Berliner Miffionshaufes). Vgl. Text, ©. 32. 


baue weniger ergebenen Amerikaner find, ausgenommen in Peru und Meriko, viel dünner 
gefäet geweſen, und die Viehzucht war in der Neuen Welt vor der Entdeckung durch die 
Europäer ohne jede Bedeutung. Daß dabei dennoch Mexiko und Peru hoch über Monomo: 
tapa oder Uganda ftanden, beweilt eben die größere Kulturfähigkeit der Amerilaner. Man 
denke fich dieſe Halbkulturen bei zehnmal jo großen Völkermaffen! Wenn ſchon heute die - 
Bevölkerung von ganz Amerika nicht auf die Hälfte derjenigen Afrikas gefhägt wird, fo 
dürfte fie vor dem Eintritte der jo unglaublich rajch fich vermehrenden Europäer vielleicht 
noch nicht den zehnten Teil betragen haben. Und von den 200 Millionen, zu welchen man 
heute die Bevölkerung Afrikas annimmt, kommt nur ein Heiner Teil auf die europäijchen 
Kolonien und die jonftigen zivilifierten Länder des Erbteiles, der weitaus größere Teil 
wird mit gutem Grunde den Negern zugeteilt. 

Diefe verhältnismäßig große Menſchenmenge ift es denn auch hauptjächlich, welche 
den Afrifanern, im jcharfen Gegenfage zu ihrer Paifivität, zu einer folgenreihen Ein— 
wirkung auf die fernjten Länder des Weſtens verholfen hat. Sie vermochte nämlich mit 


Der Stlavenhandel. Islam und Chriſtentum. 35 


Hilfe des Sflavenhandels eine 
Menjchenausfuhr zu nähren, die feit 
Yahrtaufenden die Nachbarländer mit 
Afrifanern überſchwemmt und da— 
durch deren Bevölkerung in manden 
Fällen gründlich verändert hat. Es ift 
dies vor allem in Amerika gejchehen, 
wo in einigen wichtigen Gebieten, wie 
Jamaika, Kuba, Südfarolina, heute 
die Abkömmlinge diefer zwangsweiſe 
eingewanderten Neger die Summe 
aller andern Elemente der Bevölkerung 
überwiegen, und wo man ihre Gejamt: 
zahl mit den nahmweisbaren Milch: 
lingen auf mindeftens 20 Millionen 
Ihägen fann. Zwar verharrten fie 
in der Regel aud hier in niedrigern 
Lebensftellungen und verleugneten 
damit nicht den pajliven Grundzug 
ihres geſchichtlichen Charakters. Allein 
alle Erziehungsfähigkeit, die in ihnen 
ſchlummert, wird nach und nad) durch 
die Forderungen der Umjtände, unter 
denen fie leben, in Nejultaten bethä- 
tigt, welche unſer Urteil über die Be: 
fähigung und die gejchichtliche Rolle 
diejer Raſſe in einer vielleicht nicht 
jehr fernen Zeit erheblich zu ändern 
beitimmt find. 

Und dieſe Schätzung dürfte auch 
auf Afrika ſelbſt zurückwirken, um 
den für alle Naturvölker ſo gefähr— 
lichen Übergang von ihrem barba— 
riſchen Zuſtande zur Kultur weſent— 
lich zu erleichtern. Der religiöſen 
Anlage der Neger dürfte dabei in— 
ſofern eine beſondere Rolle zugewie— 
ſen ſein, als ſie ſich vor andern Völ— 
kern aufnahmefähig gegenüber den 
Lehren der beiden großen monotheiſti— 
ſchen Religionen, des Chriſtentumes 
und des Islam, gezeigt haben. Be— 
ſonders der Islam hat in den letzten 
Jahrzehnten von Norden und Oſten 
her große Eroberungen in Innerafrika 
gemacht. Aber auch die materielle Kul— 


tur der Weißen wird hier ſo zerſtörend Waffen der Ovaherero (Muſeum für Vöollerlunde, Berlin), 
wie in Nordamerika oder Bolynefien Bol. Tert, ©. 92. 








8* 


* 


36 Afrifas Land und Bol 


nicht auftreten können, denn fie findet ein in Aderbau und Handelsbetrieb und teilweije 
aud im Gewerbe fortgejchrittenes Volk vor, das an jeiner altererbten Leiftungsfähigfeit 
in diefen Dingen einen Rüdhalt befigt, welder ein einfaches Weggeſchwemmtwerden durch 
die Wogen der Kultur, ein faſt epidemifches Hinfterben nicht geftatten wird. Und fo dürfte 
diefen durch Jahrtauſende von den Kulturftrömungen nur berührten, nicht durchdrungenen 
Völkern des dunfeln Erdteiles eine gejhichtlihe Zufunft vorbehalten fein, die nicht nur 
größer als ihre Vergangenheit, jondern aud als die Erwartungen und Vorausfichten fich 
erweifen wird, welche die Schriftgelehrten der Weißen fich jelbitgefällig zurechtlegten. Denn 
den in der Kultur gealterten Völkern fteht die Maſſe der Afrifaner als ein Volk ftarfer 
Muskeln und naivsFräftiger Empfindung gegenüber, deſſen junges Blut vielleiht an mehr 
als einer Stelle berufen fein wird, die jhlaffen Adern der gealterten Kulturträger zu 
ſtärkerm Bulfieren zu bringen. 


I. Südafrifaner. 


1. Zandfchaft und Uaturerzeugniffe Südafrikas. 


„Ein menfhenarmes Steppenland, im einfamften Zeile des Weltmeeres 
nad dem dden Eüden hinaudragend.” 


Inhalt: Landicaftliher Charakter Südafrilas. — Fließende Gewäſſer. — Klima. — Pflanzenwelt. — 
Tiermelt. 


Indem wir Südafrika auffaffen als den füdlich von der Cunene: und Zambefi- 
mündung gelegenen Teil des Kontinentes, erkennen wir ein Zand von vorwaltender Hoch— 
ebenengeftalt, weldes mit dem Meere fich nur durch fchmale Küftenfäume verfchwiftert, 
in die es an manden Stellen mit ſchwer zugänglicher Steilheit abfällt. Die mittlere Höhe 
diejer Hochebene Fann zu 800— 1200 m gefhägt werden. Im Süden und Diten find 
derjelben Gebirge aufgejegt, die als lang hingezogene Ketten von erheblicher Durdhichnitts: 
höhe, aber mit nicht jehr ſtark ausgeprägten Gipfeln fi aufbauen. Die höchſten der 
legtern werden zu 3160 m (Eathlin’s Peak in 29° jüdliher Breite) und 2600 m (Kompaß— 
berg) angegeben. Dieſe Gebirge erreichen ihre ftärkite Entwidelung im Dften, wo fie als 
die Drafenberge von der Algoabai bis zum Wendefreife des Steinbodes ziehen, um dort 
als rechter Thalrand des Limpopo in das Tiefland von Inhambane abzufallen. Im all: 
gemeinen bildet dieſer Gebirgsbogen auch den erhöhten Rand des füdafrifanifchen Plateaus. 
Doch it diefe Funktion im Oſten ſchärfer ausgefprocden als im Süden. Dort finden wir 
nämlich die einzige zufammenbängende Gebirgsfette der Drafenberge, die nah Oſten hin 
fich hügelig nad dem Meere zu abdadht, während fie nah Weſten gleichfalls mit vor: 
gehobenen Höhen an das Tafelland ſich anlehnt, welches Baal und Dranje durchfließen, 
zugleih aber gegen Nordweiten zu weiter als alle andern Gebirge fich auf demſelben mit 
beträchtlichen Höhen ausbreitet, jo das wecjelvoll gebaute Transvaalgebiet erzeugend. 

Der Südrand des Tafellandes iſt nicht jo einfach gebaut, jondern zeigt einen ftufen- 
förmigen Abfall, welcher durd zwei hintereinander und in gewillen Grade auch über: 
einander liegende Gebirge bezeichnet ift. Das Land erhebt fich fteil vom Meere aus zu 
der durhjchnittlich bi8 1600-1800 m und in einzelnen Gipfeln bis 2200 m anfteigenden 
Bergkette der Zwarteberge, von welcher es auf die 1000 m hohe Hochebene der Karru 
abjteigt, einer Hochfläche aus mit Sand gemiſchtem Thone, der in der regenarmen Zeit 
jehr hart und fteinartig troden wird, mwonad die Hochebene jelbit ihren Namen erhielt, 
denn karru beißt in der Hottentotteniprache hart. Jenſeit diefer welligen Ebene, welde 
wie ein großes Längsthal fi über 1500 DMeilen Oberflähe ausbreitet, erhebt ſich ein 
andres Gebirge, Das in jeinem weitlichen Teile den Namen Noggeveld führt und im 

Mölterlunde. 1. 3** 


38 Landſchaft und Naturerzeugniife Südafrikas. 


öftlichen erft Nieumeveld und dann Schneeberge heißt. Den leßtern gehört nebit dem oben— 
- genannten Kompaßberge eine ganze Anzahl von über 2000 m hohen Gipfeln an, und dieje 
rechtfertigen, wenigitens den größern Teil des Jahres hindurch, durch bleibende Schnee: 
dede den Namen Schneeberge. Innerhalb diefes großen Gebirgsbogens liegt nun Die 
Hochebene des Kaplandes, welche von 1800 m Höhe allmählich zum Dranjefluß herabſinkt, 
der nebjt jeinen Nebenflüffen in jchmalen, ftellenweife bis 300 m tiefen Thälern (Kloofs, 
Klüfte) die durchſchnittlich 1000 m hohe Hochebene durchfließt. In gleicher und an einigen 
Stellen beträchtlicherer Höhe ſetzt fih im Norden des Oranje dieſe Hochebene in der Kala— 
hariwüfte, die einen Naum von ca. 10,000 QMeilen umfaßt, fort. Kleine Höhenzüge 
und tafelfürmige Berge find ſpärlich über diefe Fläche zerjtreut und erheben fih nur an 
der Weſtküſte zu beträchtlicherer Höhe (Omatafo, 21° ſüdlicher Breite, 2700 m), ohne 
indefjen Gebirgsnatur anzunehmen. Eine beftimmte Grenze läßt ſich dieſer Hochfläche im 
Norden nicht ziehen. Der Ngamifee (nad) Livingftone 1132 m) und feine nördlichen 
Zuflüffe liegen noch über 1000 m hoc, und aus allen, was wir über die weiter nördlich 
am Zambeſi und über diefen hinaus gelegenen Landichaften willen, geht die Nichtigkeit 
der Auffaffung K. Nitters hervor, daß diefes ſüdafrikaniſche Hochland ein Teil des Plateaus 
von Afrika jelbit ei. 

Einem allgemeinen Überblide ericheinen alfo die Höhenverhältniffe Südafrikas in der 
Weife angeordnet, daß ein jtarfer Gegenjag zwiſchen Often und Weſten befteht, indem 
im Dften die größten, zulammenbängendften und zugleich ausgebreitetiten 
Erhebungen vorhanden find, während der Weiten deren nur niedrigere und ver: 
einzeltere zählt. Der Weften nimmt dadurch bis zum Wendekreiſe hinauf mehr an den 
orographifchen Eigenſchaften des Innern als des Oſtens teil. 

Für die fließenden Gewäſſer, abgejehen von den unbebeutenden Küftenflüßchen, 
welche die dem Meere zugewandten Gehänge des Hochlandes in meift rafhem Laufe durch— 
eilen, find in diefer Bodengeftalt jehr verjchiedene Wege des Abfluffes gewiefen, wie 
das dem Weſen der Hochfläche entjpricht, welches ja jehr entichiedenen Abfall nach einer 
oder der andern Seite ausſchließt. Zunächſt jammelt der Oranjeitrom die von den 
Gebirgen des Kaplandes nad dem Innern ftrömenden Gewäſſer in tiefen Thaleinſchnitten, 
deren Mände oft faft jenfrecht emporfteigen, jo dat das Waffer wie in engen Kanälen 
fließt. Zufammengedrängt und außerdem noch durch die klimatiſchen Verhältniſſe ſehr 
ungleich, zeigt die Waffermenge diejes Stromes außerordentliche Unterjchiede, und es gibt 
Stellen, wo ber höchſte und niedrigite Wafferitand in ein und demfelben Jahre um viele 
Meter auseinander liegen. Diefer Unterfchied wird um fo größer durch die Thatfache, daß 
der Dranje, weil er aus den regenreichern nad den regenärmern Gegenden des Kaplandes 
fliegt, von der Aufnahme des Baal (oder Hai Garib), feines größten Nebenfluffes, an 
feinen nennenswerten Zufluß und vor allem feinen dauernd wafjerführenden aufnimmt, 
fondern nur Bäche, welche zeitweilig Wafjer haben (Fiumaren), in der Regel aber den 
weitaus größten Teil des Jahres hindurd troden liegen. Der Limpopo trägt nicht, wie 
der Oranje, die Merkmale des Stromes einer dürren Hochebene, ſondern er ift faft in 
feinem ganzen Laufe der echte Sohn des Gebirges und zwar eines zum mindeften nicht 
waſſerarmen Gebirges, um erit gegen feine Mündung hin fi zum Tieflandftrome zu ver: 
langjamen und zu verflahen. Er entipringt ebenfalls im Innern Südafrikas, findet aber 
feinen jo direkten Weg nad) außen wie fein weitlicher Bruder, fondern fließt am Weit: 
abhang der Drafenberge entlang erſt nörblih, um bei ihrem Nordende oſtwärts nad) 
dem Indiſchen Ozeane durdhzubrechen. Nicht bloß durch feine öftliche, fondern auch durch 
feine nördlichere Lage ift er der waſſerreichſte und regelmäßigfte unter den größern Flüſſen 
Südafrikas. Zwiichen Limpopo und Zambeſi gibt es eine größere Zahl von wafjerreichen, 


Fließende Gewäffer. Klima Südafrilas. 59 


aber furzläufigen Flüffen, während zwiſchen Oranje und Cunene fein einziger eigentlicher 
Fluß, fondern nur felten und unregelmäßig ſich füllende Rinnjale zum Meere führen. 
Und ebenjolhe Rinnſale find es, die von Süden her dem Ngami zuitreben; im Tioge 
hingegen bejigt legterer einen dauernden nördlichen Zufluß. 

Südafrika ift alſo im Vergleiche zu feiner Ausdehnung arm an Flüſſen und hat vor 
allem feinen jchiffbaren Fluß. Indeſſen kehrt auch hier der Gegenjat wieder zwiſchen 
der weſtlichen und öftlihen Hälfte diefer Landſchaft, der nicht minder deutlich in der 
Hydrographie al3 in der Oberflähhengeftalt fi ausprägt. Die Haupturſache desjelben 
werden wir fogleih in den Klimaverbältnijfen erkennen. 

Das Klima Südafrikas ift im allgemeinen ein trodnes, jebod) verhalten jich bezüg— 
li der Regenmengen die dem Meere zugewandten Gebirgsabhänge anders als das Innere, 
weil an ihnen die feuchten Seewinde ihre Waſſer abftreifen, um, trodner geworden, über 
das Innere hinzumehen. Die Feuchtigfeitsbringer für diefe Region find nun hauptſäch— 
li die Oſt- und Südoſtwinde, und fo fommt es, daß die reichiten Nieberfchläge im Often 
des Landes fallen, das durch feine beträchtlichern Gebirgserhebungen aud am geeignetiten 
iſt, einen möglichſt großen Anteil ihrer Feuchtigkeit zu verdichten. An der Weſtküſte aber 
fommen diefe Minde nicht nur bereits ausgetrodnet an, jondern es fließt hier außerdem 
eine Falte Meeresftrömung, der jogenannte füdafrifanifche Küftenftrom, die Küfte entlang, 
welcher die wärmern und feuchtern landwärts wehenden Winde ihrer Feuchtigkeit beraubt, 
ehe fie das Land erreihen. Darum tritt im Damaralande eine fait wüftenhaft dürre 
Natur unmittelbar bi3 an die Küfte heran. Die Regenmenge der Kapjtadt beträgt jährlich 
598 mm und hat fi im öftlichen Teile der Karru bei Graaf Reynet auf 330 vermindert. 
Es find dieſe Zahlen an und für fich nicht jehr gering; die Regenmenge der Kapitadt 
entipricht 3. B. faft genau derjenigen von Berlin und wird nur wenig von der Londons 
übertroffen, die Verteilung aber ift eine ganz andre, denn felbt in der Kapftabt fteht einem 
faft regenlojen Eommer der regenreihe Winter gegenüber, in welchen */s der ganzen 
Regenmenge fällt, während ca. je "/s auf Herbit und Frühling, auf den Sommer (De- 
zember, Januar, Februar) aber noch nicht */so entfällt. 

Noch abweichender ift die Trodenbeit der Luft, die eine jehr beträchtliche ift und 
den Klimacharakter des Landes in hervorragender Weiſe beeinflußt. Sie vor allem recht: 
fertigt die Bezeihnung Südafrikas ald eines „trodnen Landes”. Während man in der 
Kapftadt 70 Proz. relative Feuchtigkeit mißt, finft diefe Schon in Graaf Reynet auf 56 Proz. 
und nah G. Fritſch' Meifungen im Bawangfetfilande fogar bis auf 15 Proz. herab. 
Bei ſolcher Trodenheit dorrt alles aus, was Feuchtigkeit abzugeben im ftande ift. Holzgeräte, 
weldhe an der Küſte für volllommen troden galten, jchwinden im Innern in ungeahnter 
Weiſe; Neubauten find in einigen Tagen ausgetrodnet, das einfach an der Luft getrocknete 
Fleifch erhält fi) unverändert Monate hindurch ꝛc. Bor allem zeigt aber die Vegetation 
die Spuren diejes Klimas, indem grünender Pflanzenwuchs fih nur an den gejchüßteiten 
Stellen, wie Schluchten, fteilen Felswänden und dergleichen, hält, während der ungeſchützte 
Boden zu einer fteinharten Krufte austrodnet. 

Der Aderbau it unter ſolchen Berhältniffen natürlid nur mit Hilfe der fünftlichen 
Bewäſſerung möglich, und felbit diefe ijt ihrerfeitS in bedauerlihem Maße erſchwert durch 
die Unzuverläffigkeit vieler natürlicher Quellen, deren Berfiegen ſchon manche Anfiedelung 
gezwungen hat, fih nad) einem andern Plate umzufehen, wie denn felbit eine jo alte 
europäiſche Anjievelung wie Bloemfontein in dem regenarmen Fahre 1862 nahe daran 
war, aufgegeben, d. h. nad) einem wafjerreichern Orte verlegt, zu werden. Der Getreide: 
bau wird im eigentlichen Kaplande und im Innern ſchon längſt nur nod an den begün- 
ftiatiten Stellen getrieben, wo die Feuchtigfeit jih lange erhält. Das Gedeihen aller 


40 Landſchaft und Naturerzeugnifie Südafrifas, 


Kulturgewächſe it an ſolchen Orten ein ſehr raſches, und es wird 5. B. Mais oder Kaffer: 
hirſe, welche im Oftober gepflanzt wurde, ſchon Ende Februar eingeerntet. Aber im all: 
gemeinen iſt Südafrika fein Aderland, und felbit für Rinder ift e8 zu troden. Dagegen 
ift es gleich Auftralien ein prädeftiniertes Schafzuchtgebiet. Merkwürdigerweiſe glauben die 
Bewohner der Kapfolonie an eine noch weiter gehende und ziemlich raſche Austrodnung 
des Landes. Man findet die jehr oft als Beweis angeführten Reſte von einſt größerm 
Baummwuchfe immer nur an befdhränften Ortlichkeiten, und G. Fritſch hebt mit Redıt 
hervor, da in ganz Südafrika die Bäume nur in geringer Zahl und fait allgemein durch 
Arten vertreten feien, welche große Trodenheit zu ertragen vermögen. Doch liegen zu viele 
Thatfahen vor, die mindeftens auf jehr häufig vorfommende örtliche Fälle von Trodner: 
werden hindeuten. Man hat jelbit den Rückgang der Eingebornen zum Teile diejer eigen- 
tümlihen Erſcheinung der „Austrodnung” Südafrikas zugefchrieben. 

Die Verteilung der Temperatur it eine viel günftigere als die der Feuchtigkeit und 
das vor allem an den Külten, wo die dur die Trodenheit geihärften Gegenfäge eine 
Milderung durd) den Einfluß der feuchten Seeluft erfahren. Die mittlere Jahrestemperatur 
ber Kapftadt beträgt 16,80 und die ihres Winters 13° E., die von Pieter-Marigburg 18,2°; 
am legtern Orte finkt der Unterſchied zwiſchen Sommer und Winter auf 7° E. Die 
Gegenſätze werden jcehärfer im Innern, wo 3. B. Graaf Neynet einen Unterfchied von 11° 
zwifchen Sommer und Winter zeigt; aber nirgends find fie übermäßig groß. Die höchften 
Temperaturen, die in der Kapjtadt gemeffen wurden, jchwanfen um 38°, die von Graaf 
Neynet um 40° C. Stark iſt der Gegenfag von Tageswärme und Abendfühle durch die 
Trodenheit und Helle der Luft. Auf dem Hoclande des Innern iſt Eisbildung nicht felten, 
aber fie ijt eine vorübergehende Erſcheinung, ebenſo wie der Schneefall, welcher nur in den 
Gebirgen eine dauernde Schneedede erzeugt. in foldhes winterlofes Klima, wie man 
e3 jcharf ausgeprägt in Südafrika findet, wirkt in manchen Beziehungen tropijch auf den 
Menſchen. Es fällt, wie G. Fritſch bemerkt, der tonifierende Einfluß fort, welchen die 
falte Jahreszeit der organischen Faſer mitteilt, und fo tritt allmählich ein Sinken der Körper: 
funktionen ein, welches ſich befonders im Verluſte der Thatkraft und in der eintretenden 
Schlaffheit der Bewegungen äußert. Sowohl bei den eingewanderten als den dort gebornen 
Weißen joll diefer Einfluß merklich hervortreten, und die allerdings etwas verdächtige 
Behauptung, daß jelbit die Haustiere jich viel lenkfamer, Yanfter und, bis auf Kage und 
Hund herunter, frieblicher zeigten, befräftigt, wenigstens dem Anſcheine nach, diefe Erfahrung. 


Die Pflanzenwelt Südafrikas iſt vor allem in dem Gebiete ſüdlich vom Oranje 
außergewöhnlich reich, ja im Verhältniffe zu ihrem engen Gebiete viel reiher und vor 
allem eigentümlidher als irgend eine andre. Mit ihren 8000 Arten ift fie in dieſem 
dem Pilanzenwuchfe Feineswegs jehr günftigen Klima ein Rätſel, das nur die gejchichtliche 
Betrachtung der allmählichen Entwidelung des Pflanzenlebens der Erde zu Löfen im ftande 
jein wird. Vom Gefichtöpunfte des Nugens für die Menfchheitsentwidelung aus betrachtet, 
it jie jedodd arm und unbedeutend. Schon das ift ungünſtig, daß die vorherridhenden 
Gewächſe zu den Sträudern gehören, fo daß eigentlihe Wälder fehlen, ebenfo wie 
auch die Wieſen im nordischen Sinne nicht vertreten find. Aber außerdem find gerade die 
harakteriftiihiten Familien der Proteaceen, Ericaceen, Belargonien, Zobelien, Craſſulaceen, 
Oraliden, Orchideen bier fajt oder ganz nuplos für den Menſchen. Die einzige Frucht, 
deren Nugen mit dem unſrer Objtarten verglichen werden fann, it die Hottentottenfeige 
(Mesembryanthemum edule), welche allerdings eins der weitet verbreiteten Gewächſe 
de3 Kaplandes iſt; in rohen Zuftande geihmadlos, gibt fie eingemadt ein angenehmes 
Gericht. Die Kapſtachelbeere (Physalis pubescens) wird troß ihres Namens von einigen 


Zemperaturverhältniffe. Pflanzenwelt. Tierwelt. 41 


für eingeführt erklärt. Die Früchte der Kaffernfaftanie (Brabeium stellatum) find eßbar, 
nachdem jie einige Zeit in Wafjer gelegen haben. Die Zwiebeln von Ixias und andern 
Lilien bilden einen Hauptbeitandteil in der Nahrung der Buſchmänner und Koranna, 
ebenjo der Kern der gewaltigen Wurzel des Elefantenfußes (Testudinaria elephantipes) 
und das Mark der Stämme von Zamia. Die Blütenftände der Waiferpflanze Apomogeton 
distachys werden wie Kapern oder al3 Erſatz für den Spargel gegeſſen. Als Arznei: 
pflanzen haben einige Diosma-Arten, dann Arctopus echinatus, vor allen aber die Alve 
einen großen Ruf in der Kolonie. Nach außen dringt nur der Ruf der legtgenannten, von 
deren eingedidtem Safte jährlid eine nicht unbeträchtliche Menge ausgeführt wird. Auch 
dem Honig in den Neftarien der Protea mellifera werden heilende Kräfte zugeichrieben. 
Die Wachsbeere (Myrica cordifolia) liefert ein gleich dem der Bienen verwertbares 
Pflanzenwachs. Aber damit ijt die Lifte der für den Menfchen einer erheblichen Bedeutung 
fähigen Gewächſe auch ſchon abgejchloffen, und es bleibt nur hinzuzufügen, daß der Mangel 
an eigentlihem Baumwuchſe fih ſchon jegt in der ungemein raſch vorgejchrittenen und 
unter den dortigen Verhältniffen doppelt unheilvoll wirkenden Entwaldung empfindlich) 
geltend gemacht hat, jowie daß der natürliche Graswuchs ſich ſelbſt für ausgedehntere 
Rindviehzucht als zu gering erweiſt. 

Unter dieſen Verhältniſſen iſt es nicht zu verwundern, daß die hier einheimiſchen 
Völker über einen niedrigen Entwickelungsgrad in der Viehzucht und im Ackerbau ſich 
nicht erhoben haben. Nur oaſenartig ſind die Stellen, wo ſie aus einer reichen Fülle 
von Naturgaben ſchöpfen fonnten. Im allgemeinen iſt das Land einer ſtetigen, ſeßhaften 
Bewirtſchaftung nicht günſtig, und dies haben nicht nur die Eingebornen erfahren, ſondern 
auch die mit einem höhern Grade von Intelligenz, Ausdauer, Vorausſicht und mit beſſern 
Geräten und Haustieren ausgeſtatteten europäiſchen Koloniſten, in deren Gedeihen und 
Fortſchreiten eine merkwürdige Neigung zum Nomadiſieren oft wahrhaft verderblich eingriff. 

Indeſſen gerade in dieſem Charakterzuge iſt auch noch etwas andres, nämlich der 
Tierreichtum Südafrikas, zu beachten. Was in der Allgemeinſchilderung Afrikas von dem 
Tierreichtume eines großen Teiles dieſes Kontinentes geſagt wurde, findet auf Südafrika 
in erſter Linie Anwendung. Die erſten Europäer fanden hier eine geradezu beiſpielloſe 
Menge der rieſigen Dickhäuter: der Elefanten, Rhinozeroſſe und Flußpferde, der wilden 
Kaffernbüffel, der Giraffen, der Zebras und Quaggas, der Antilopen, deren Mannigfaltig— 
feit (ca. drei Siebentel der befannten Arten kommen in dem verhältnismäßig fleinen 
Raume zwiſchen dem Wendefreife des Steinbodes und der Südfpige vor) und Menge 
eritaunlich find. Heute ift ein großer Teil diefer Tiere, die zu verſchiedenen Zweden gejagt, 
oft aber auch zwedlos bingefchlachtet wurden und welche die Jagdleidenſchaft auch bei 
vielen Meißen zu einem der Kulturausbreitung direkt entgegenitehenden Triebe jteigerten, 
aus dem gemäßigten Südafrifa verdrängt. Hunderttaufende von Springböden, welche 
einjt für die Felder und Triften der Boers verderblicher als Heufchredenzüge waren, gibt 
es nicht mehr. Einzelne Elefanten werden in den Waldungen in der Nachbarfchaft des 
Großen Fiſchfluſſes gehegt und kommen in einer die Jagd lohnenden Anzahl ſüdlich vom 
Zambeſi nur noch im Matabele- und Damaralande vor. Die Rhinozeroſſe find im Kap— 
lande jeit 1853, die Flußpferde, einft ungeheuer häufig, ſeit 1857 ausgerottet, und Büffel 
gibt es nur nod in wenigen Heinen Gebieten. Der Strauß ift einem ähnlichen Schid: 
jale nur dadurd entgangen, dab er zum Haustiere gemacht wurde. Nicht minder find 
auch die Raubtiere mehr und mehr zurücdgedrängt, welche begreiflicherweife ungefähr im 
gleihen Verhältniſſe wie die Wiederfäuer und Dickhäuter hier einſt häufig waren; bejonders 
der Löwe ift jelten geworden. Leoparden und Hyänen jowie der gerade für die ſüd— 
afritaniihe Fauna jo charakteriftiihe Erdwolſ (Proteles) jind dagegen jtärfer vertreten, 


42 Allgemeines über bie hellfarbigen Sübafrifaner. 


und ber Leopard gilt als eins der gefährlichiten und ſchädlichſten Raubtiere. Der Schakal 
it ungemein häufig und jpielt in den Volksſagen der Eingebornen eine große Rolle. 
In der Bogelwelt ift, abgejehen von Strauß, eine jtarfe, unmittelbare Beziehung zu 
Menſchen nur in den durd) Bertilgung von Inſekten fih nützlich machenden Arten hervor: 
zuheben, die eben bier von bejonderer Wichtigkeit wegen des gewaltigen Inſektenreich— 
tumes find, den Südafrika aufweilt. Heufchreden, Termiten, Motten werden nur durch 
die mit ihrer Zerftörung hauptfächlich fich beihäftigenden Schwalben, Steppenbrachſchwalben, 
Mandelfrähen, Meropiden, Stare, Buphagiden, Kiebige, Kraniche in Schranken gehalten. 
Außerdem find die zahlreihen Raubvögel durd) Vertilgung des bei dem Reichtume wilder 
und gezüchteter Tiere felbitverftändlid nur zu reichlichen Nafes von größtem Werte. Unter 
den jagdbaren Bögeln find Perlhühner und verjchiedene Rebhuhn- und Wachtelarten in 
eriter Linie zu nennen. Aber im allgemeinen ift die Jagd auf Feberwild bei den Süd— 
afrifanern nicht bedeutend. Bon Reptilien find befonders in Natal die Schlangen häufig; 
das Krokodil fehlt nur in den gemäßigtiten Teilen, ſchildpattliefernde Schildfröten find an 
den Ufern der Delagoabai zu finden. Groß it der Fifhreihtum in den Flüſſen und 
an den Küften und darum um jo auffallender die Abneigung gegen Fiichgenuß bei einem 
fo großen Teile der Südafrifaner, nämlich bei allen Betſchuanen und den meijten Kaffern. 
Nennen wir von den Injelten endlich noch die Tjetjefliege, deren Bedeutung für die Ver- 
breitung des Menſchen und feiner. Haustiere in gewiſſen Bezirken eine ausjchlaggebende 
ift, jo wird man nicht leugnen, daß gerade hier beſonders innige Beziehungen zwifchen 
Tierwelt und Menſchen fich knüpfen fonnten, teilweife ſich knüpfen mußten. 


2. Allgemeines über die hellfarbigen Südafrikaner. 


„Meines Orts laffe mid bedfinfen, dab dieſes uralte afritanifhe Völter fein.“ 
Peter Kolb. 


Inhalt: Stellung der hellfarbigen Südafrilaner innerhalb ber afrikaniſchen Völker. — Beziehungen 
zwiſchen Bufhmännern und Hottentotten. — Die Hottentottenfprade, — Ethnographiſche Überein— 
ftimmungen und Traditionen, * 


Einen nah Bau, Spraden und Sitten eigenartigen Beltandteil der afrikanischen 
Menschheit finden wir in die halbinfelartig verjchmälerte und zugeſpitzte Ede des Erdteiles 
gedrängt, welche wir als Südafrifa abgegrenzt haben. Sie wohnen hier nicht allein, aber 
fie nehmen den größten und von Natur eigentümlichiten, für Kultur aber vielfach ungünftig 
gearteten Teil desjelben im Welten und Süden ein. Dieje Thatſache der Ungunft ihrer 
Wohnftätten ift zu beherzigen, wenn man ihre in mancher Hinficht niedrige Stellung im 
Kreife der afrikanischen Völfer verjtehen will; denn für den Aderbau finden ſich nirgends 
in größerer Ausdehnung günftige Bedingungen, und Taufende von Quadratmeilen find 
auch jelbjt für die Viehzucht zu Dürr und zu fteinig. Rechnet man dazu die Durch jene 
EA: und Nandlage bedingte Berfehrslofigkeit oder doch mindeftens Verfehrsarmut bis 
zur Feitfegung europäifcher Völker an den Küften, fo verfteht man, wie gerade dieſe 
Völker eine Armut ihres Kulturbefiges aufmweijen, die ſchon im Gegenfage zu den in biefer 
Beziehung ebenfalls Feineswegs fich auszeichnenden Südnegern ſehr auffallend fein muß. 
Allein es ift die gleiche Armut, welche wir in allen diejen entlegenen Winkeln der Erde 
wiederfinden, fei e8 Feuerland oder Tasınanien, Yabrador oder Lappland. Nur kommt hier 


Stellung der hellfarbigen Südafrifaner innerhalb der afrikaniſchen Bölter. 45 


allerdings auch ein tieferer anthropologiicher oder ethnographiſcher Unterfchied hinzu, den 
die Beichreibung der beiden Gruppen der „hellen Südafrifaner”, der Buſchmänner und 
der Hottentotten, näher zu beitimmen haben wird, den wir aber jchon jet dahin andeuten 
fönnen, daß diefe Völker fi durch Eleinen Wuchs und helle Hautfarbe jowie durd) 
einzelne minder wichtige anatomische Merkmale vor der großen Mafje der Afrikaner aus: 
zeichnen, während ihre Spraden wahrſcheinlich durchaus eigenartig find und von ihren 
Sitten dasjelbe in manchen Beziehungen behauptet werden fann. Der naheliegenden Ber: 
mutung, in diefen Eigenfchaften Wirkungen der Abjonderung unter minder günftigen Natur: 
bedingungen zu jehen, ftellt fi? dann das kaum mehr zu leugnende, wenn auch leider 
immer noch höchſt lüdenhafte Vorkommen ähnlicher Völker in den verfchiedenjten Teilen 
von Zentralafrika entgegen, welche der Erjcheinung diejer hellen Südafrifaner noch ein 
weiteres Intereſſe verleiht, nämlich das, vielleicht der einzige fompaft erhaltene Reit 
einer Bevölferung zu fein, die einſt allem Anſcheine nad viel weiter ver: 
breitet war und aus einem großen Teile Afrikas von den heute vorherrichenden dunkeln 
Stämmen der eigentlichen Neger verdrängt worden ilt. 

Diejes Verdrängen und Einfdieben jcheint fih in Eüdafrifa nicht anders vollzogen 
zu haben als in der Weife, daß das günftigit geartetete Yand Eüdafrifas, nämlich der 
Oſten, von den vordringenden Negern, in diefem Falle von den Kaffern im engern Sinne, 
in Befig genommen wurde, deren Grenze gegen die Hottentotten und Buſchmänner jetzt 
eine fait ganz Südafrika, vom Ngamijee oder dem 20.° an, halbierende Linie bildet. 
Nah dem, was wir von der Natur Südafrikas gefagt haben, begreift es fich, daß dieje 
früher bier anfäfligen Stämme (wir vermeiden abfihtlih den mißverftändlichen Ausdrud 
„Urbewohner“) das fchlechtere Los zogen, indem die ftärfern Eindringlinge ihnen bie 
Weſtſeite zuwieſen. Man kann zweifeln, ob die Verfnöcherung oder der Nüdgang diejer 
gelben Südafrifaner, welche hierdurch noch tief unter der Kulturftufe der Kaffernvölfer 
ftehen geblieben find, in erfter Linie diefer Berfegung unter ungünftige Lebensbedingungen 
zuzujchreiben fei. Darüber wird im nachfolgenden noch einiges zu jagen fein. Daß die: 
jelbe aber dazu beigetragen hat, dieſe Völker niederzuhalten, fteht außer Frage. Bon den 
minder günftigen Naturbedingungen abgefehen, wurde ihnen ein doppelter Dafeinsfanıpf 
aufgedrängt: die Buſchmänner hatten mit den Kaffern um ihre Jagdgründe, die Hotten- 
totten um ihre Viehtriften zu kämpfen; beide untereinander aber wurden, je mehr fie 
zufammengedrängt wurden, dejto mehr auch in den unvermeidlichen Streit gezwungen, der 
zwiſchen Jäger und Hirt immer und überall wütet, wo beide unglüdlid genug find, auf 
engem Raume beifammenzuwohnen. Der Buſchmann jah in Ermangelung von Wild 
unbefümmert jeines Stammverwandten Schafe, Ziegen, Ninder für Antilopen, Zebras, 
Strauße an. Daher die tödliche traditionelle Feindjchaft zwifchen dem Hottentotten und 
Buſchmanne, welde wohl aud mit beigetragen hat, ihre ethniſchen Merkmale in einen 
Gegenſatz zu bringen, der uriprünglich vielleicht nicht jo groß war. 

Unbefangen betrachtet, laſſen fi die anthropologishen Beziehungen der beiden hell: 
farbigen Völker Südafrikas wohl am treffendften dahin zufammenfaffen, daß der Buſch— 
mann reinere, ſchärfer ausgeprägte Merfmale darbietet als der Hottentott. 
Nimmt man als die mehr oder weniger gemeinfamen Merkmale beider, abgefehen von der 
Farbe, die geringe Größe, die helle, faltige Haut, die Heinen Hände und Füße, die pfeffer: 
fornförmig verfilzten Haare, die durchbohrten Oberarmknochen, die frühzeitig verfnöcherten 
Najenbeine, bei den Weibern den Fettſteiß und die fogenannte Hottentottenfchürze an, jo find 
alle diefe Merkmale ſchärfer ausgeprägt und beftändiger bei dem erftern als dem legtern (val. 
die Abbildungen, S. 45 u. 47). Sp ift auch der Charalter des Bufchmannes entfchiedener wild 
und tierifch als der des Hottentotten, was freilich mit dem tiefen ethnographiichen Unterjchiede 


44 Allgemeines über die hellfarbigen Südafrikaner. 


zwijchen dem unftet ſchweifenden Leben des Buſchmannes und dem Hirtenleben des Hotten- 
totten zufammenhängt. Vielleicht ift es nun gerade dieſes legtere, welches zuerit der Meinung 
Eingang verjchaffte, daß die Abſchwächung der Merkmale bei den Hottentotten 
eine Folge der Bermifhung mit Bantuftämmen fein könnte, mit denen fie ja diejes 
Leben mit und von den Herden gemein haben, welches fie in einen jo ſcharfen Gegenjaß zu 
den Buſchmännern ftellt. Hamy und Quatrefages haben in den „Crania ethnica“ diefe 
Theorie wilfenfchaftlih begründet; fie wurde von dem legtern gelegentlich erweitert, indem 
er jagte: „Die gefamten Bölfer Südafrikas, mit Ausnahme der Bufhmänner, find wejent- 
lih Miſchlingsbevölkerung, welche aus verjchiedengradigen Kreuzungen zwijchen Neger und 
Buſchmann hervorgegangen iſt. Unmerklihe Abjtufungen vermitteln den Zulu mit dem 
Hottentotten, und dies läßt ſich nicht nur im gejamten Außern, fondern auch am Schädel 





„ande 


Junge Buſchmänner vom Ngamifee (nad Photographien im Befike des Herrn Tyabri in Parmen). 


nachweiſen.“ Hamy und Thullie drüden fich noch beſtimmter aus, indem fie 3. B. ben 
hellfarbigen Betihuanenjtamm der Makololo als eine ſolche Miſchung binitellen, was freilich 
nur hypothetiich it. Dagegen jcheint es nicht zweifelhaft, daß die jegt vom Schauplage ver: 
Ihwundenen Gonaqua, welche zu den Hottentotten gezählt wurden, ein nicht bloß äußerlich, 
jondern auch durch zahlreiche Kafferwörter in ihrer Sprache den dunfeln Nachbarn näher: 
ftehendes Volt waren, welches durch fortwährende Mifhung in den Kaffern aufging. Was 
die Hottentotten von heute anbelangt, jo hat neuerdings aud Guftav Fritich die Mög: 
lichkeit ihrer Miſchlingsnatur zugegeben, nachdem er in feinen „Eingebornen Afrifas“ ihre 
ſpezifiſche Unterfchiedenheit von den Buſchmännern jchärfer betont hatte, als ſich wohl recht: 
fertigen läßt. Übrigens war ſchon von frühern Beobachtern hervorgehoben worden, daß 
Miſchlinge in reicher Zahl auch dieje beiden verbinden. Iſt doch wahrjcheinlich der ganze 
Stamm der Koranna ein Erzeugnis der Miſchung von Hottentotten und Buſchmännern. 
Ya, von manden Neifenden, wie z.B. Holub, werden jo zahlreiche Hottentottenähnlich- 
feiten, von andern, wie Yivingjtone, Negerähnlichkeiten bei den Buſchmännern nad): 
gewiejen, daß die Anficht, es gebe überhaupt Feine reinen Buſchmänner mehr, oder höchitens 
jeien fie nur noch an den unzugänglichiten Stellen Südafrikas zu finden, mehrfach aus: 
geſprochen werden konnte (vgl. die obenftehende und die nebenftehende Abbildung). 

Was dieſe eben berührten Beziehungen zu den dunkeln Nachbarſtämmen im Norden 
und Oſten anbetrifft, jo hat namentlich Bleek das Verdienſt, mit Entichiedenheit auf das 


Beziehungen der hellen Südafrilaner zu den Kaffern. 45 


diefe Völker Einigende hingewiejen zu haben, nachdem man lange Zeit jowohl von anthro- 
pologifcher als ethnographiiher Seite nur das betont hatte, was jie ſoweit als möglich 
voneinander zu entfernen jchien. In einer eignen Unterfuhung, welde er über die 
Beziehungen zwifhen Kaffern und Hottentotten anftellte, fam er im wejentlichen 
zu folgenden Schlüffen: 1) Die meijten Eigenfchaften, welche Hottentotten und Kaffern 
gemein find, kom— 
men jenen allge 
mein zu, während 
fie bei diefennurin 
beichräntter Ber: 
breitungauftreten. 
Darin liegt einfaft 
entjcheidender Be: 
weis für die Bes 
einfluffung diefer 
durch jene. 2) Be— 
fondere Eigentün: 
lichkeiten der Hot: 
tentotten u. Busch: 
männer, welcheden 
übrigen ſüdafrika— 
niſchen Völkern BETEN: 
abgehen, jchliegen 
jene an die Yölter WEL 
Nordafrifas und - 
Weſtaſiens, wie 
Ägypter, Semiten, 
Tuareg, Galla ıc., 
an (und wahr: 
jcheinlich ſelbſt an 
die Indoeuropäer 
oder Arier). Es 
folgt hieraus, daß 
die heutige Yage 
der SHottentotten 
und Bufchmänner 
baburd) geſchaffen Koviman, ein Buſchmann der Kapkolonie (nah Photographie im Befihe des Miſſionsdireltors 


ward, daß eindrin⸗ Herrn Wangemann). Bal. Text, S. 43 u. 4. 
gende Stämme der 


Kaffernfamilie dieſelben von ihren Verwandten im Norden abſchnitten, indem ſie, von Weſten 
kommend, ſie längs der Oſtſeite Afrikas vor ſich hertrieben. Den weitern Schluß, der, ſich 
auf jene angenommene Verwandtſchaft der Hottentotten-Buſchmänner beziehend, das 
Studium der legtern als für die Vorgeſchichte der zivilifierteften Völker bedeutfam erklärt, 
deuten wir als jelbitverftändlich nur an. Dagegen möchten wir nicht unterlaffen, hinzu: 
zufügen, daß dieſe hier flüchtig hingeworfene Anficht einer nordafrifanishen VBerwandtichaft 
der Hottentotten neuerdings in R. Yepfius einen beredten und gelehrten Verteidiger auf 
dem linguiftifchen Gebiete gefunden hat, welcher beftimmt annimmt, daß die Hottentotten 


zu den von Afien eingewanderten Hamiten gehören, welche, erjt jüdwärts wandernd, die 
Böltertunde. I. 3*** 





46 Allgemeines über die bellfarbigen Südafrilaner, 


Neger zurüddrängten, um dann durch diefe, als fich diefelben neuerdings wieder ausdehnten, 
von ihren nordafrifanifchen Verwandten abgeichnitten zu werden. Bon der anthropologijchen 
Seite herantretend, findet auh Robert Hartmann bei Bujhmännern und Hottentotten 
„doch jehr vielfach die Eigentümlichkeiten der fogenannten Negerraffe vertreten, wenn aud) 
mit mancher fpeziell nationalen Umformung“, und wenn er ihnen auch, ebenjo wie den 
„Pygmäen“ Innerafrikas, nicht gänzlich gewiſſe bei ihnen jelbitändig ausgebildete Ab: 
fonderlichfeiten abiprechen möchte, fo glaubt er doc nicht, daß fie ihr phyliiches und 
pſychiſches Weſen gänzlich von den Nigritiern entfernt. Ihm zufolge braucht man bie 
Hottentottenshhürze nicht bloß in Südafrika zu ſuchen, jondern man findet fie durch den 
ganzen Kontinent, ſogar in Europa, no häufig genug. Auch Bildung von Hautfalten 
und zwar von überaus zahlreichen trete bei ſchlecht genährten Nigritiern, Berbern umd 
Hayptern in ebenfo hohem Maße auf wie bei jenen Südafrifanern. Schnalzende Sprad): 
laute finde man nicht bloß bei den Hottentotten, ſondern auch bei den Bantu und in 
gemildertem, aber immerhin noch bemerfenswertem Grade bei andern Negern. Endlich 
bieten jelbit ihre Sitten und Gebräuche neben mandem Bejondern dod auch viel all- 
gemeines, urwüchſiges Afrikaniſche dar. Dabei bleibt aber doch, wie alle anerkennen, 
die Konzentration diefer und andrer Merkmale gerade auf dieje VBölfergruppe immer ein 
binreichender Grund, um diejelbe jenen nähern und fernern Nachbarn gegenüber als 
eine vielfach eigentümliche Sondererfcheinung abzugrenzen, deren unzweifelhafte gejamt: 
afrifanische Färbung nicht ganz die Spuren von Eigentümlichkeiten verdeden fann, Die 
in Körper: und Sprahbau, in Sitten und Anjchauungen beftehen. 


Doch um auf die Stellung der beiden Hauptgruppen heller Südafrifaner 
zu einander zurüdzufommen, jo dürfte zu deren Kennzeichnung nichts jo wejentlich bei: 
tragen als der Einblid in die Vorftellungen, welche die einen von den andern hegen. Und 
in diefer Beziehung iſt wohl nichts dharakteriftiicher als jene Sage der Hottentotten über 
den Urfprung der von der ihrigen fo jehr verschiedenen Lebensweiſe der Buſchmänner, welche 
folgendermaßen lautet: „Im Anfange waren zwei Menjchen. Der eine war blind, der 
andre war ein Jäger. Dieſer Jäger fand zuletzt eine Höhle in der Erde, aus welcher Wild 
bervorfam, und er tötete die Jungen. Der blinde Dann taftete umher, roch fie auch und 
fagte: ‚Das ift fein Wild, fondern Vieh‘. Hinterher wurde der Blinde jehend, ging mit 
dem Jäger zu der Höhle und jah, daß es Kühe mit ihren Kälbern waren. Dann baute 
er Schleunigft einen Kral darum und befchmierte ſich jelbit wie ein echter Hottentott (mit 
Diosmafalbe). Jetzt hatte der andre große Not in der Aufſpürung des Wildes, und als er 
ſah, was der andre that, wollte er ſich auch bejchmieren. ‚Sieh her‘, meinte der andre, 
‚vor dem Gebrauche mußt du die Salbe ins Feuer werfen.‘ Er folgte diefem Rate, und 
die Flammen loderten auf und verbrannten jein Geficht jämmerlich, fo daß er froh war, 
davonzulaufen. Der andre aber rief ihm ſpöttiſch nach: Heda, du, nimm beinen Kirri 
(Keule) und lauf in die Berge, wo du Honig ſuchen magft!! Dies ift der Urfprung der 
Buſchmänner.“ Es ift darauf aufmerffam gemacht worden, daß das Fehlen des zweiten 
heutigen Nachbars der Hottentotten in diefer ethnogenetiichen Legende andeuten könnte, 
daß diejelbe zu einer Zeit entitand, wo die Hottentotten noch nicht mit den Kaffern in 
Berührung gekommen waren. 

Über die fprahlihen Unterschiede und Übereinftimmungen belehrt uns 
Bleek, welcher in einem Furzen Berichte über feine Spradjitubien an die Kapregierung 
1873 folgende Bemerkungen über das Verhältnis zwiſchen Hottentotten- und Buſchmann— 
ſprache gemadt hat: Die Buſchmanndialekte der Kapkolonie unterfceiden ſich wenig von- 
einander, es wird hier feine einzige Buſchmannſprache geſprochen, welche von den übrigen 


Beziehungen zwifhen Bufhmännern und Hottentotten. 47 


ſo weit verjchieden ift wie von derjenigen der Hottentotten. Diele Sprache mag einit, 
ähnlich der Hottentottenipradhe, Geſchlechter unterschieden haben, fie thut es nicht mehr. 
Statt acht Formen für jedes Fürwort, wie das Hottentottifche, hat der Buſchmann nur 
zwei, die gewöhnlich für Ein: und Mehrzahl benugt werden, von denen aber merkwürdiger— 
weile die Mehrzahlform dur Zufügung des Zahlwortes Eins auch für die Einzahl 
gebraucht werden fann. Es dürfte diefe Bejonderheit mit der Konfordanz zujammen: 
hängen. Im Gegenfage zu der großen Negelmäßigfeit der Pluralbildung im Hotten: 
tottiihen durch Wechſel der Endungen zeigt das Buſchmänniſche hier die größte Unregel: 
mäßigfeit, der urfprünglich eine Verdoppelung der Einzabl unter verjchiedenen Abkürzungen 





Zwei Namagqua (nad Photographien im Beſitze des Herrn Fabri in Barmen). Pal. Tert, ©. 49. 


zu Grunde zu liegen jcheint. Zuſammen mit diejen Unterjchieven geht num auch manche 
Übereinftimmung. So ift 3. B. das Präfirwort der Mehrzahl eriter Perfon in beiden 
gleih, die Vofativbildung, die Relativform des Zeitwortes ähnlich; die Verdoppelung des 
Stammes eines Zeitwortes dient in beiden zum Ausdrude einer faufativen oder tranfitiven 
Beziehung. „Es gibt“, ſchließt Bleek, „noch viele andre Ähnlichkeiten im Baue, und 
aud eine gute Anzahl von Worten jcheint beiden gemein zu fein. Von legtern ergeben 
fich aber jofort manche als fremde Worte, die aus einer in die andre durch die Nachbar— 
ichaft beider eingeführt find. Dahin gehören die zahlreihen abitraften Ausdrüde, die der 
Buſchmann offenbar vom Hottentotten entlehnt hat, wie die Zeitwörter: lernen, lehren, 
wiſſen, jchreiben. Es bleiben aber jehr viele übrig, welche wahrjcheinlich nicht entlehnt 
find, jondern aus gleiher Quelle ftammen. Da jedoch die Grundſätze der lautlichen 
Beziehungen beider Sprachen noch nicht feitgeftellt find, fann noch keine Vergleihung auf 
einer fejten willenichaftlichen Grundlage angejtellt werden. Im ganzen mögen wir ficher 
annehmen, daß die Buſchmannſprache nicht näher verwandt der Hottentottenjprade iſt als 
das Engliihe dem Yateiniihen; aber es kann auch fein, daß die Entfernung jener viel 
größer ijt al$ die der eben genannten Sprachen.” 


48 Allgemeines über bie heillfarbigen Südafrikaner. 


Bei dem Dunkel, welches die Buſchmannſprache noch heute bededt, müſſen wir ung 
hier darauf bejchränfen, die Sprade der Hottentotten in ihren wichtigſten Eigen— 
tümlichfeiten zu charakteriſieren. Vor allem ift diejelbe im Gegenjage zu den Sprachen 
ihrer dunklern negerhaften Nachbarn durchaus juffigierend, d. b. fie ſetzt die ftarf 
abgeichliffenen Kormlaute an das Ende des Stammmortes. So wird aus Koi Menich: 
Koib Mann, Kois Weib, Koigu Männer, Koitu Weiber, Koin Leute, koi-ſi freund: 
lih. Ihre zweite, gleichfalls nach der genannten Seite jcharf abſcheidende Bejonderheit 
iſt die Geſchlechtsunterſcheidung, auf welche mande Sprachforſcher ein ganz bejonderes 
Gewicht gelegt haben, da fie, von unbedeutenden Ausnahmen abgejehen, nur den drei 
großen Spracdhfamilien der Hamiten, Semiten und Arier zufomme, d. h. denjenigen, wie 
N. Lepfius meint, welde allein die innere Kraft befaßen, eine Menfchengeichichte zu 
ihaffen; diefe waren von der Anſchauung der ſcharfen Sonderung und Gegenüberjtellung 
der Geſchlechter jo beherricht, daß fie diejelbe vom Menjchen auf die ganze ihn ungebende 
Natur übertrugen. Vielleicht ift es aber näherliegend, greifbarer, was Bleek hervor: 
gehoben hat, daß die Nationen, welche gefchlechtsunterfcheidende Sprachen jprechen, einen 
höhern Grad poetilcher (oder poetilierender) Auffaſſung befigen, indem fie menſchliche und 
tierifche Unterihiede auf unbelebte Gegenftände übertragen und damit Perjonififationen 
anbahnen, welche die Grundlage der Mythologie und andrer Dichtungen werden. Um die 
Wirkung diefes geheimnisvollen Agens zu zeigen, führt er den Gegenjag zwiichen dem 
perjonifizierenden Charakter der Volfslitteratur der Hottentotten an, die zu Fabeln und 
Märchen neigt, während die Negerlitteratur einen vorwaltend epiihen, hiltorifchen oder 
halbhijtoriichen Charakter bat. 

Diefe in jedem Falle, was man aud von ihren Gründen denken mag, jehr auf: 
fallende Eigenſchaft der grammatiichen Geſchlechtsunterſcheidung tritt im Hottentottifchen 
ganz ähnlich wie in den echt Fufchitiihen Sprachen der Bedjavölfer des mittlern Nillandes 
auf. Außerdem ift aber noch als weiteres Merkmal zu nennen der Mangel der Laut: 
harmonie, der Bräpofitionen, die dur Poſtpoſitionen erfegt werden, der Nominalpräfire. 
Es find dies alles Elemente, die den Bantuſprachen ebenſo entjchieden eigen find, wie fie 
bier fehlen. Was aber der Hottentotteniprache äußerlih den fremdbartigiten Charakter 
verleiht, find die Schnalzlaute, welche fie in ſolcher Ausdehnung nur mit den noch reicher 
damit ausgeftatteten Bulchmannipraden teilt. Theophilus Hahn gibt folgende Dar: 
ftellung der vier Schnalzlaute der Hottentottenipradhe: 1) „Der dentale Yaut; derjelbe 
entjteht, wern man die Zunge gegen die obern Vorderzähne jegt und, die Luft einziehend, 
fie zurüdjchnellt. Sein Klang läßt fich vergleichen mit dem etwas ſchmatzenden Tone, der 
entjteht, wenn man jemand mit vecht ‚ipigem Mäulchen‘ küßt. Als Locdruf für Tiere 
fommt derjelbe auch im Deutjchen felten vor. 2) Der palatale Laut entjteht, wenn man 
die Zunge kurz oberhalb der Vorderzähne an den vordern Gaumen fest, gleich als wolle 
man ein recht weiches d jprechen, und dann die Zunge mit Yuftzug nad innen zurüd: 
zieht. Er tönt ungefähr wie das recht helle Klopfen des Spechtes an den Bäumen. 3) Der 
cerebrale Laut wird erzeugt durch Anjag der Zunge gegen den mittlern obern Gaumen, 
ungefähr da, wo man fie bei der Ausſprache des 2 in Lump anſetzt. Man ziehe Luft 
und Zunge einwärts, und es entiteht dann ein Yaut, der fait genau dem Laute einer ent: 
forkten Champagnerflaiche gleicht. 4) Der laterale Schnalz jpottet jeder Beichreibung; 
er wird mit Zunge, Seitenzähnen, Gaumen und durch Einziehen der Yuft gebildet. Akuſtiſch 
ift er einem recht gemeinen Schmagen vergleichbar, wie e8 wohl Gänſe und Enten beim 
Wühlen in einer Pfütze vernehmen laſſen.“ Dieje Darftellung des jchwierigen Gegenjtandes 
iſt die veritändlichite, die wir kennen, und doc findet ihr Verfaſſer es nötig, binzuzufegen: 
„Vorſtehende Beichreibung und Erklärung der Schnalze iſt eine ſehr unvolllommene; meiner 


Die Hottentottenipradhe. Ethnographiſche Übereinftimmungen. 49 


Anfiht nach können fie nie fo bejchrieben werden, daß ein Fremder fi eine vollfommen 
richtige Vorftellung macht”. Man kann daraus entnehmen, welche Schwierigkeiten die Er- 
lernung diefer Sprahen maden muß. Daß aber, wie von einigen Seiten behauptet wurde, 
nur die hottentottifhen Sprachwerkzeuge zur Erzeugung dieſer Laute geeignet feien, wird 
durch die Thatjache widerlegt, daß nicht wenige Europäer einer oder der andern von den 
Hottentottenipraden volllommen mächtig find. Ebenfo find jene Angaben weit übertrieben, 
welche diefen Sprachen einen geradezu tieriihen Lautcharakter zufchrieben. Bei ältern 
Reiſebeſchreibern war e3 gewöhnlich, das Sprechen der Hottentotten mit dem „Klüdern“ 
oder „Klautern“ der Truthühner zu vergleihen. Böving fam der Wahrheit näher, wenn 
er „ihr Geplauder mit ber Jüden ihrem” zufammenftellte. Diefe Schnalze können vor 
allen Bofalen, aber nur vor dem dentalen n, dem faufalen b, dem gutturalen g, Ex, n, 
dem faufalzgutturalen Eh, fr geiprochen werden. 

Zu den Schnalzlauten der eigentlihen Hottentottenipradhe kommen nun in der 
Sprache der Buſchmänner oder San noch mindeftens drei andre Laute diefer Art, und 
wenn es auch noch andre afrifaniiche Spradhen mit Schnalzlauten gibt, jo gehört doch 
diefe reihe Entwidelung derjelben zu den hervorragenden Eigentümlichkeiten, welche nur 
diefen beiden Völkern der Buſchmänner und Hottentotten eigen ift. Übrigens kommt ihnen 
auch noch die Intonation zu, d. h. die Möglichkeit, Worte gleicher Wurzel mit. verfchiedener 
Zonhöhe zu ſprechen, wodurch diejelben völlig die Bedeutung wechſeln. Aber dieje fon: 
derbare Eigenfchaft teilen fie mit den Sprachen ihrer dunflern Nachbarn. 

Die merkwürdigen Anklänge zunächft des Hottentottifchen an nordafrifanifche und 
weiterhin überhaupt an die gejchlechtsunterfcheidenden Sprahen bat man auch durch 
ethnographiſche Übereinftimmungen zu ftügen gefucht. Wir erwähnen von folchen 
die Thatſache, das aus dem hottentottiihen Glauben und Aberglauben, wie reihlich auch 
Kaffernelemente herübergenommen fein mögen, dod die Mondverehrung fo deutlich her: 
vortritt, daß gerade darin ein Unterjchied von dem Ahnen: und Geifterglauben der Kaffern- 
völfer erkannt werden darf. Allerdings geht aber die Mondverehrung, wenn auch wohl 
Ichwächer, durch faft alle Negervölfer, von welchen wir nähere Kenntnis befigen. Größeres 
Gewicht wird auch kaum der Thatjache beizulegen jein, daß bei den Hottentotten die 
Weiber das Melken der Kühe beforgen, während bei den benachbarten Kaffern dies nicht 
nur herkömmlich das Gejchäft der Männer, jondern den Weibern fogar verboten ift, den 
Viehkral zu betreten. Man möchte daraus höchitens fchließen, daß die Viehzucht beiden 
aus verjchiedener Duelle zugelommen jei. Die nordafrifaniichen Viehzüchter verhalten fich 
hierin gleich den Hottentotten. Dagegen jcheint e3 uns feineswegs glüdlih, wenn man 
auch ein fo ſpontanes Erzeugnis der menjchlihen Seele wie die Poefie zum Beweiſe 
herbeiziehen will, jo, wenn Bleek einen Anklang der hottentottifchen Dichtung an die 
altteftamentliche jüdifche in dem Vorwiegen des Parallelismus fieht, der allerdings ſehr 
häufig in den Dichtungen jenes Volkes wiederkehrt. Ein poetiſcher Inſtinkt wie der, 
welchem dieje Tendenz entipringt, ift doch zweifellos ber denkbar unficherfte Stützpunkt 
einer ethnogenetiihen Spekulation. 

Nicht viel mehr Gewicht können wir den bei den Betichuanen heimischen Traditionen 
über eine Wanderung ihrer hellern Nachbarn von Often ber beimeffen. Wer weiß, auf 
welchen Bruchteil diejes Volkes ſolche Überlieferung, wenn fie überhaupt gegründet fein 
jollte, fi) bezieht! Dagegen möchte in diefem Zujammenhange die oft betonte geringe 
Wipderftandöfraft der Hottentotten gegen das heiße und feuchte Klima Zentralafrifas nicht 
zu überjehen fein. Es fcheint, al3 ob diefe anerkannt geringe Ausdauer der gelben Süd— 
afrifaner, wenigftens des hottentottiichen Zweiges berfelben, im heißfeuchten Innern Afrikas 
einer lange dauernden Anpafjung an das fühlere Klima des Südens entjpringe und damit 

Bollerkunde. J. 4 


50 Nllgemeines über die hellfarbigen Südafrifaner, 


aljo für ein Verweilen feit Jahrtaufenden in diefen gemäßigten Teilen ſpreche. Freilich 
müſſen aud andre Motive mit in Betracht gezogen werden. Das nördliche Namaqualand 
umschließt in feinen wüftenhaften Streden mit die heißeften Teile von Afrifa, und doch 
ertragen bier die Hottentotten die trodne Hite ebenfo gut wie die Neger. Die Hotten: 
totten wie die Damara, beide auch im kühlern Klima des Hochlandes gedeihend, fieht man 
oft, das Geficht der Sonne zugewandt, auf dem heiten Sande liegen. „Ich bin überzeugt‘, 
jagt Chapman, „daß 10 Minuten in diefer Lage einem Europäer irgend eine Art von 
Sonnenftih zuziehen würden.” Aber freilid find die Nahrungsgewohnheiten der Hotten- 
totten vielleicht ungünftiger als die irgend eines andern afrikanischen Volkes, wie jchon 
Livingſtone hervorhebt, wenn er jagt, daß Griqua und Hottentotten wegen ihres ftarfen 
Fleiſcheſſens am weniaften geeignet jeien, in den Fiebergegenden der Tropen auszudauern. 
Und wahrscheinlich ift ihr gewohnheitsmäßiger ftarfer Fettgenuß in diefer Richtung beſon— 
ders ſchädlich. 

Faßt man nun alles zufammen, was über die Beziehungen der hellen Südafrikaner 
zu einander und zu den übrigen Völkern des Erdteiles gejagt werden kann, fo iſt die 
förperlihe Ähnlichkeit der beiden unzweifelhaft, während die ſprachliche Ver: 
wandtichaft noch immer als unflar zu bezeichnen bleibt. Einige Thatjadhen deuten 
auf nähere Beziehung zu den hellen Nordafrifanern als zu den dunfeln Negern, welde 
dazwijchenliegen; doch geben alle bis jegt nur Andeutungen, die erit wilfenichaftlic näher 
feitzuftellen fein werden. Wir glauben alfo nicht fehlzugehen, wenn wir mit Theophilus 
Hahn ein bufhmannzhottentottifhes Urvolf annehmen, welches bis zum Beginne 
der von Norden ber erfolgenden Kafferneinwanderung einen großen Teil, wahrſcheinlicher 
aber das ganze Südafrifa bis zum Zambeſi und Cunene eingenommen habe, innerhalb 
deifen wohl eine Sonderung in die beiden Zweige, in welche es heute zerfällt, Hottentotten 
und Buſchmänner, ſchon vor diefem großen Wendepunkte ſüdafrikaniſcher Völkergeſchichte 
Platz gegriffen hatte. Die neuern Entdeckungen buſchmannähnlicher heller, kleiner Völker 
im Innern Afrikas werden vielleicht die Grenzen dieſer hellfarbigen Stämme noch weiter 
nördlich verſchieben und damit die einſtige Zuſammengehörigkeit derſelben und die Exiſtenz 
eines ſolchen afrikaniſchen Urvolkes wahrſcheinlich machen, wie dies vor alters ſchon Die 
Nachrichten von hellen, höhlenbewohnenden, acker- und haustierloſen Troglodyten im Sudan 
und am Roten Meere thaten. Ohne Zweifel iſt aber die Südwanderung der Kaffern, 
welche an der Oſtſeite am weiteſten ging und ohne den Widerſtand der Europäer, auf 
welchen ſie ſeit 1654 ſtieß, wohl bis zur äußerſten Südſpitze des Erdteiles ſich fortgeſetzt 
haben würde, in einer Weiſe vor ſich gegangen, welche manchen Austauſch von Anſchauungen, 
Kenntniſſen und Gebräuchen und wohl auch in erheblichem Maße Blutmiſchung zuließ; 
und es ſind die Hottentotten, welche von dieſen Einflüſſen am ſtärkſten betroffen worden. 
So würden wir alſo mit aller Arbeit von faſt zwei Jahrhunderten glücklich wieder bei 
der Meinung angelangt ſein, mit welcher P. Kolb ſeine Erörterung über die Ähnlichkeiten 
zwiſchen den Hottentotten auf der einen und den Juden ſowie den Troglodyten der Alten 
auf der andern Seite ſchließt: „Meines Ortes laſſe mich bedünken, daß dieſes uralte afri— 
kaniſche Völker ſein, die, weil ſie immer vertrieben und je länger je weiter von ihrem 
alten Sitze verjagt worden, ſowohl aus denen dahin gebrachten Jüden als auch andern 
afrikaniſchen und abſonderlich karthaginenſiſchen Völkern ſich zuſammengeſchlagen und 
endlich an dieſe äußerſte Spitze des Landes begeben, daſelbſt ſich geſetzet und häuslich in 
eine Verſammlung begeben haben: und weil ſo vielerley Nationen geweſen, ſo habe immer 
eine von der andern was angenommen, jede aber ihre abſonderlichen Gebräuche vergeſſen; 
daß alſo nunmehro ein verwirrter Zuſtand bei ihnen anzutreffen“. 


Körperbau der Bufchmänner, 51 


3. Die Buſchmänner.“ 


„Der Buſchmann ift das unglüdjelige Kind des Mugenblid3.” 
G Fritſch. 


Inhalt: Körperbau. — Leiftungsfähigfeit. — Wanderleben. — Grauſamkeit und Mut, — Kleidung und 
Schmud. — Waffen, — Wohnung. — Geräte. — Künfte und Fertigleiten. — Familienleben. — Politiſche 
Verhältniſſe. — Religiöfe Ahnungen. — Begräbnisweiſe. — Sagen und Tiergeihichten. 


In der äußern Erſcheinung des Bujchmannes ift am hervortretenditen feine geringe 
Größe. G. Fritſch fand als durhichnittlihe Höhe von ſechs erwachlenen Männern 144,4 
und von drei erwachlenen Buſchmann-Hottentotten 140,2 cm. Die Schwanfungen der 
einzelnen Individuen jcheinen geringer zu fein als bei andern größern Rafjen. Andre 
Meilungen geben noch kleinere Rejultate (Barrow 137,1, ebenfo Burchell, Lichtenftein 
121,3, Vincent 130 em). Schr bemerkenswert ift der verjchwindende Abjtand in der Größe 
der Männer und der Weiber. Derfelbe Gewährsmann fand nämlich als Mittel aus den 
Meſſungen von fünf Bufhmänninnen 144,3 em, alfo ſogar nod etwas mehr als für die 
Männer (Barrow fand 121,5, Martin 139,5, Euvier 144,2 em). Es it auffallend, daß, 
während die Buſchmänner den Hottentotten an Größe jo erheblich nachitehen, ihre Weiber 
den Hottentottinnen kaum etwas nachzugeben ſcheinen. Der verfümmerte Eindrud diejer 
Zwerghaftigfeit wird noch vermehrt dur eine entſprechende Schlanfheit des Baues in 
Verbindung mit großer Magerfeit, ja Türre der Gliedmaßen. Schon die Kinder find 
von Geburt an oder doch bald nach der Geburt mager, ſchlank und edig und zeigen 
nichts von findlicher Fülle der Formen. Yettleibigfeit fommt bei den Männern nur aus: 
nahmsweiſe vor, und der Fettgehalt der Haut ift bei beiden Geſchlechtern äußerſt gering. 
Daher eine lederartig trodne Beichaffenheit der Haut, welche man mit der von gegerbtem 
Safftanleder mit um jo größerm Nechte verglichen hat, als auch ihr feinerer Bau eine 
unregelmäßige, breitrijjige Tertur erfennen läßt. Wo zeitweilige Ausdehnung der Haut 
jtattfindet, wie befonders am Bauche, an den Gelenken, zeigt diefelbe ihren Mangel an 
Claftizität durch ftarfe Faltenbildung an. In der Färbung find die Buſchmänner nod) 


! Der jegt allgemein gebräuchliche Name „Buschmann“, der von Engländern und Franzoſen auch als 
Bosjesman, Boschiman zc. gebraudt wird, ift biefem Bolfe von den Koloniften beigelegt worden. Er bedarf 
feiner Erläuterung; doch ift es vielleicht nicht überflüſſig, hervorzuheben, daß diefer allgemeine Name be: 
fonders von ben Englänbern aud; einigen Negeritämmen, 3. B. der Weftküfte, beigelegt wird, welche nichts 
mit dieſen Bufhmännern zu thun haben. Sie felber nennen fih San, welches die Mehrzahl von Sab ift, 
und Sagua. Über den Sinn diefer Benennung ift man fi nicht Mar, Th. Hahn führt zwei verſchiedene 
Deutungen an, welche ihm beide zuläffig zu fein fcheinen: „Die und am nächſten liegende Erklärung 
iſt Barias, Berworfene, Gehetzte, eine Deutung, welche durch die Thatiache begründet ift; eine 
zweite Erflärung gäbe die Wurzel sau, folgen, wonad fie alfo die Knechte, Unterwürfigen wären“. 
BWallmann, der ehemalige Miffionsinfpeltor der Nheinifchen, dann der Berliner Miffion, will Sab von 
der Wurzel sa, ruhen, ableiten und erllärt daher: „die (urfprünglih) Seßhaften“. Abgeleitete Benen— 
nungen, wie Saunqua, Sonqua u. a., fommen in ältern Alten bes Kaplandes vor, werden aber immer mehr 
von dem „Buſchmann“ verdrängt. In einem amtlichen Berichte von 1685 heißt es 3. B., daß Kapitän 
Claas, ein Hottentottenhäuptling, Ti im Kriege befinde mit den „Sonqua, gemeinhin Bosjesmannen 
genannt”. Die Kaffern haben, wo fie mit den Buſchmännern in Berührung fommen, den Namen Abatoa, 
Bogenmänner, für diejelben, der ſich ungezwungen aus der Thatfache erklärt, dab der Bogen für die 
Bujhmänner nicht nur Hauptwaffe, fondern auch wegen der von demjelben abgejchnellten Giftpfeile die 
gefürchtetite Waffe ift; und die Kaffern, welche mit Speer, Wurfleule und Schild fechten, ſowie die Hotten» 
totten fürchteten diefen Bogen ungleich mehr ald bie Flinte ber Boeren. 

4* 


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Die Bufhmänner. 


Buſchmänner (nach Photograpbien im Befige von Miß L. C. Lloyd in der Kapfladt). 


Körperbau der Buſchmänner. 53 


immer hell gegenüber andern Athiopiern. Einige laſſen fie dunkler, andre heller als 
die Hottentotten fein. Der Grundton ift rötlih, dem Kupferroten zuneigend (Nr. 7 der 
Farbentafeln von Fritih) und jcheint, wo Feine Vermiihung eingewirkt hat, ziemlich 
beitändig wiederzufehren. Die auffallende Hautausdünftung der eigentlichen Neger findet 
jfih bei den Buſchmännern nicht. Die ſchwache Entwidelung der Behaarung entipricht der 
geringen Stärke der Haut. Das Kopfhaar ift dem der Hottentotten ähnlich, aber ſchwächer; 
die einzelnen Haare find enger gerollt und neigen ebenjo wie dort zur Bildung verfilzter, 
pfefferfornähnlicher Knötchen, welche indeffen nicht durch eine entiprechend ungleiche Ver— 
breitung der Haarwurzeln bedingt find. Das Haar ergraut im Alter, Kahlköpfigkeit tritt 
nur felten auf. Am Körper fehlt das feine Flaumhaar ganz, die gewöhnlich behaarten 
Stellen des Körpers zeigen nur ftoppeligen, ſchwachen Haarwuchs, im Gefichte ift nur der 
Scnurrbart mandhmal angedeutet, der Badenbart nie vorhanden. 

Am Rumpfe ijt der Hängebaud), den die Kapkoloniſten „Armoed-Penz“ nennen, vor: 
züglich bei jugendlichen Individuen eine hervortretende Eigentümlichkeit; auch nach Ver- 
ihwinden jeines nächſten Anlafjes hinterläßt derjelbe in den ftarfen Bauchfalten und der 
Erweiterung des untern Bruftforbes feine Spuren. Die durch die allgemeine Magerfeit 
überall edigen, mehr eingezogenen oder eingefallenen als gemwölbten Umriffe bilden einen 
iharfen Gegenfaß zu dieſer hängenden Anfchwellung, welde die untere Kreuzgegend unjchön 
einzieht. Ein aus ihr fih ergebender Vorteil ift indejjen die große Beweglichkeit der 
Lendenfreuzwirbel, welche die im Buſchleben erwünjchte Fähigkeit der Zulammenrollung 
auf einen möglichit engen Raum erzeugt. Die magern Gliedmaßen, deren Muskelſtränge 
oft wie bei Mumien unter der ſchlaffen Haut fich berausdrängen, werden durch Die hervor- 
tretenden Gelenfe unihön. Doch mag der Billigfeit halber hier das Entzüden fonjtatiert 
werden, mit welchem der optimijtiihe Zevaillant von den Armen der Bujhmänner, 
beziebentlih Buſchweiber jpricht. Diefer berühmte Reijende fand befanntlih auch unter 
den Hottentottinnen Mufter von Schönheit. Hände und Füße find im Verhältnijfe noch 
fleiner als bei den Hottentotten, aber doch ziemlich breit. Die Ferſe ragt nicht beionders 
hervor. Der Daumen ift auffallend kurz. Bei den Frauen fommt der Fettſteiß ähnlich 
wie bei den Hottentottinnen, aber in leichtern Graben, vor, entiprechend ihrer jo viel 
geringern Neigung zu Fettleibigfeit. Flower hat denielben jchon bei einem zehnjährigen 
Buſchmädchen nachgewieſen. Dagegen ift die eigentümlide Bildung der weiblichen äußern 
Gejchlechtsteile, welche al3 „Hottentottenſchürze“ bekannt ift, eine regelmäßige Erſcheinung. 
Mit der allgemein geringern Differenzierung der Gejchlechter hängt aud die merfwürdige 
Thatjache zulanımen, daß die Entwidelung der Brüfte bei ältern Weibern oft eine täufchend 
geringe ift, während fie beim Manne bis zur Säugefähigkeit fich fteigern fol. Auch die 
Hüften verraten wenig vom Gefchlechte, nur das ftärfer geneigte Beden ift ein unver: 
fennbares Merkmal des MWeibes auch in diejer Raſſe. 

Das Geſicht ift durch die breitere Stirn, das geringere Hervortreten der Jochbogen und 
duch die ſtärkere jeitlihe Ausbreitung der Unterkiefer am eheſten einem Nechtede zu ver: 
gleichen, entfernt ſich aljo entſchieden von der Form des Hottentottengefichtes. Die Augen 
ftehen wagerecht, oft auch etwas ſchräg; mongolenartige Stellung fommt gelegentlid) vor. Ihr 
fcheuer, wilder Blid, ihr unruhiges Funkeln wird als ein charakteriftiicher Zug im Gefichts: 
ausdrude der Buſchmänner hervorgehoben. Man fann denjelben übrigens verichieden 
auffaflen. Desmoulins glaubt 3. B. etwas Günftiges zu jagen, wenn er meint, bie 
Buſchmänner würden ohne ihre „physiognomie vive et spirituelle‘ die häßlichiten aller 
Menſchen fein. Die Naje ift an der Wurzel eingedrüdt, der Rüden gebogen, die Spitze 
wie bei den Hottentotten aufgeltülpt. Der Mund ift breit, die Lippen mäßig aufgeworfen, 
die Zähne mittelgroß und gerade geitellt. Aber die ganze Kieferpartie ift nad vorn 


54 Die Buſchmänner. 


geſchoben, jo daß oft eine geradezu ſchnauzenförmige Geftaltung des untern Gefichtes entiteht, 
welche durch das abgerundete Kinn noch verftärkt wird. Große, abjtehende Ohren, an denen 
das Läppchen nur angedeutet ift, tragen zu dem tieriihen Geſichtsausdrucke noch bei, dem 
ein ftarfer Prognathismus (Vortreten des Unterkiefers) in erjter Linie zu Grunde liegt. 





Ein Buſchmann (nah ©. Fritſch). 





Eine Buſchmännin (nah ©. Fritid). 


Der Buſchmannſchädel ift gleich dem des Hottentotten lang und niedrig. ©. Fritſch 
gibt als Breiteninder 73,9, als Höheninder 70,2 cm an. Gewiſſe Bejonderheiten, wie 
die Breite der Stirn, das geringere Hervortreten der Tubera parietalia, das Vortreten 
‚des Unterkieferwinfels, die ſchwache Entwidelung des Kinnes und die jtarfe Prognathie, 
teilt der Buſchmannſchädel gleichfalls mit dem des Hottentotten. Von andern merkwür— 
digen Eigenſchaften des Sfeletes find noch hervorzuheben der auffallend geringe Unter: 
ſchied zwijchen dem Beden des Mannes und des Weibes, welcher bei oberflächlicher Betrach— 
tung geradezu verſchwindend ift, und der allgemein gebrungene Bau aller Sfeletteile, 


Schädel, Leiſtungsfähigkeit. 55 


der vorzüglid in den Ertremitäten hervortritt. Sollte e8 mit dem zartern Knochenbaue, 
der auch beim Schädel wiederfehrt, zufammenhängen, daß die Buichmänner nicht jelten 
vom Sonnenitihe getroffen werden, wie dies z. B. aus den Salzjümpfen öftli vom 
Ngami berichtet wird? 

Die körperliche Leiſtungsfähigkeit ift nach der eben gejchilderten Anlage mehr auf 
der Seite der Ausdauer als der augenblidlihen, fonzentriert wirkenden Kraftäußerungen 
zu ſuchen. Sie find bei ihrem leichten und fehnigen Baue ausgezeichnete Läufer, indem 
fie nicht nur andauernd laufen wie die Kaffern, jondern auch eine verhältnismäßig große 
Durchichnittsgeichwindigfeit erreihen. Sparrmann erzählt, wie er zum erftenmal einen 
Buschmann in Langefluf jah, welcher jo mager war, daß er den Armen bedauerte, den 
das Fieber jo heruntergebracht habe; aber als er ihn „mit der Schnelligkeit eines Vogels“ 
laufen ſah, überzeugte er fih, daß das nicht Krankheit, fondern Natur jei. Übrigens 
beitätigt diefer Reiſende gleichzeitig die Fähigkeit der Buſchmänner, ſehr rajch fett zu werden. 
Gewiſſe Wildarten jagen jie mit vollem Erfolg, indem fie diejelben zu Fuße müde hegen. 
Die oft hervorgehobene Schärfe der Sinne ift wohl hauptfächlich als ein Erzeugnis der 
durch das Zägerleben gebotenen Übung zu betrachten. Die Schärfe der Augen wird bejon- 
ders hervorgehoben, und an Spürfraft find fie unübertrefflih. Ebenfalls durch die Lebens: 
weile angeeignet dürfte die Fähigkeit des Hungerns und Durftens und ber rafchen Erholung 
fein, ohne welche natürlich eine jo ‚zufällige‘ Lebensweiſe wie die des Buſchmannes nicht 
denfbar wäre. 

Es ift Schwierig, die geiftige und gemütlihe Anlage eines Volkes wie diejes zu 
bejtimmen, welches im wahren Sinne des Wortes ein wildes ift; denn feine Lebensweiie 
ift wenig dazu geeignet, Eigenichaften des Geiftes und Gemütes zu zeigen, noch weniger, 
diefelben zu entfalten. Es möge geftattet jein, auf dieſe Schwierigkeit hier hinzuweiſen, 
da wir uns derjelben mehr oder weniger entjchieden wieder bei jevem einzelnen Naturvolke 
gegenübergeftellt finden werden. Man muß jih in acht nehmen, um nicht mit manchen 
Beobachtern über diejelbe zu ſtraucheln. Burchell begegnete bei der Nüdreife von Gariep 
nach Klarwater einer Bujchmannhorde, über deren volllommenen Mangel an Verſtand er 
die abenteuerlichften Mitteilungen madt. Dod mag man die Gründlichkeit und Tiefe 
jeiner Beobahtung aus dem Umſtande entnehmen, daß er diefen Naturfindern Fragen 
vorlegte wie: Welcher Unterſchied ift zwiichen guten und böfen Handlungen? die felbit 
ein hochzivilifierter Menfch nicht zu beantworten vermöchte. Die geiltigen Fähigkeiten diefer 
Völker gehen fait ganz im Unterhalte und Genuſſe des Lebens auf, und ſehr wenig bleibt 
übrig für die Gedanken über Dinge, welche nicht eng damit zufammenhängen. Man ift 
darauf angewieſen, die geiltige Begabung hauptjächlich aus dem Grade von Gejchidlichkeit 
zu folgern, mit welchem die für das Leben notwendigen Geſchäfte, in diefem Falle alfo die 
Jagd, bejorgt werden. Außerdem find einige unvollitändige Gedanken über überirdifche 
Dinge, einige verblafte und verworrene Überlieferungen zu verzeihnen, und damit find die 
Zeugniffe geiltigen Lebens erſchöpft. Man muß fehr vorfichtig fein, um bei einem fo arm: 
jeligen Zujtande des Gedankeninventars nicht von vollftändiger Geiltesarmut, Vertierung 2c. 
zu ſprechen. Immer wird die Lebeusweiſe der Buſchmänner einen einzigen großen Milde: 
rungsgrund in der Beurteilung aller Seiten ihres Seelenlebens abgeben. Dies gilt in 
noch höherm Grade von denjenigen ſeeliſchen Außerungen, die den Charakter eines Volkes 
ausmadhen. Was ift hier Erzeugnis der äußern Umftände, welche in einer UÜrteilsfällung 
wie diefer immer mildernde fein werden, und was angeboren? Man darf zunädhit nichts 
andres erwarten, als unberechenbare, jozufagen zufammenhangsloje Außerungen des 
Charakters zu finden. ©. Fritſch faßt in der That fein ganzes Urteil über den Charakter des 
Bufchmannes in die bezeichnenden Worte zufammen: „Der Buſchmann ift das unglüdjelige 


56 Die Bujhmänner. 


Kind des Augenblides”. Es will das fagen, daß jener Leichtfinn, welder ſchon dem 
hottentottiſchen Stammgenofjen in jo hervorragend verderblihem Maße eigen ift, ſich beim 
Buſchmanne zu einer verhängnisvollen Unbedachtjamkeit fteigert: fieht jich der Buſchmann 
einer Entſchließung oder einer That gegenüber, jo ſcheint er allein die augenblidliche 
Neigung zu Rate zu ziehen, ohne ſich durd etwas andres leiten zu laſſen oder den 
möglihen Folgen auch nur einen Gedanken zu widmen. Daraus erklären id alle jene 

Widerſprüche, melde die 
Beurteilung des Build) 
manncharakters jo verjdie- 
den haben ausfallen laſſen, 
und vor allem die Schled: 
tigfeiten, welche ihn zu dem 
beitgehaßten unter den ſüd— 
afrifaniihen Eingebornen 
bei Farbigen und Weißen 
gemacht haben. Die Ge: 
ſchichte, welche Dumont 
d'Urville als ſelbſt erlebt 
erzählt, daß im Jahre 1804 
ein Kaffer, der nach der 
Kapſtadt kam, auf den erſten 
Blick einen jungen Buſch— 
mann, den er unter der 
Dienerſchaft des Gouver— 
neurs ſah, wie inſtinktiv 
tötete, iſt nicht unmwahr: 
ſcheinlich. Fritſch' ſcharf 
geſpitzter Ausdruck paßt 
allerdings auf alle Natur— 
völker, denn der Mangel 
an innerm Zuſammenhange 
des Denkens und Handelns, 
an Folgerichtigkeit, iſt bei 
allen der ihr Weſen und 
Wirken beſtimmende Grund— 
zug. Den Buſchmännern iſt aber dieſe Konſequenzloſigkeit wohl mehr als allen andern 
eigen, da auch ihre Lebensweiſe die zufälligſte, von Gaben des Augenblicks abhängigſte, 
alſo unberechenbarſte, iſt. Ein Blick auf dieſe Lebensweiſe, welche dem Begriffe der 
„Wildheit“ faſt mehr als die irgend eines andern Volkes entſpricht, wird daher das natür— 
lichſte Mittel ſein, um dieſen Charakter verſtehen zu lernen. 

Der Begriff Jägervolk deckt den ganzen Inhalt des Buſchmannlebens in allen 
Altern und allen Lagen. Die Buſchmänner ſind das entſchiedenſte, einſeitigſte und zugleich 
auch geſchickteſte Jägervolk, das man kennt. Während ihr kleiner, ſchmächtiger, ſehniger 
Körperbau, die Schärfe ihrer Sinne und ihre Fähigkeit, Hunger und Durſt zu ertragen, 
diefem Leben die günftigiten Bedingungen darbieten, zeigt anderſeits fein einziges Volt 
der Erde in ſolchem Maße ſcharfer Ausprägung die Wirkungen des umberjchweifenden 
Lebens und des Angewieſenſeins auf Jagd und ang der Tiere zum Lebensunterhalte wie 
das Buſchmannvolk. Abhängig vom Wilde, ift der Jäger genötigt, mit diefem feinen 





Eine junge Buſchmännin vom Ngamifee (nah Photographie im Beſihe des 
Herm Dr. Fabri in Barmen). 


Wanderleben. Wildpeit, 57 


Aufenthalt zu wechſeln. Er kann nur in Heinen Trupps zufammenleben, da größere 
Gemeinden das Wild vericheuchen, und da auf einem gewiſſen Raume immer nur wenige 
von der Jagd jich zu nähren vermögen. Es wirft dieſes Leben ungünftig auf die Volks: 
vermebhrung, indem die ſchwangern Frauen und die Kinder alle Strapazen ihrer Männer 
mitzumaden haben und die notwendige Ruhe und Pflege faſt völlig entbehren müſſen. 
Es fehlt aljo ganz jene Bedingung eines ruhigern, zu dauerhaften Kulturerwerbungen 
befähigenden Dafeins, welde in der Zuſammenſchließung einer größern Anzahl von 
Menſchen zu wenn auch nod jo lodern Gemeinden oder: Stammesverbänden gegeben 
it. Das Individuum ift es, das unter jolden Verhältniffen fich entfaltet, nicht die 
Gejellihaft. Daher die bewundernswerte Ausbildung aller Fähigkeiten, welche der Einzelne 
zur Grreihung jeiner Zwede in diefem wilden Leben braucht, bei völligem Mangel alles 
deffen, was man joziale Anftinkte nennt. Neben einer großen Schärfe der Sinne und 
neben bewundernswerter körperlicher Zäbigfeit und Ertragungsfähigfeit ein wildes Selbit- 
bewußtjein, dejjen Ausfluß eine trogige, bis zur Todesveradhtung gefteigerte Tolltühnheit 
ift, und ferner eine Kenntnis der Natur, welche eine in diefem Maße jelten wiederkehrende 
Ausbeutung ihrer verborgeniter Hilfsquellen gejtattet: dies jind die Hauptcharakterzüge 
diefes echteften Jägervolkes. 

Vom Kulturgelichtspunfte aus betrachtet, find dies feine löblichen Züge, denn fie 
ftehen den Intereſſen der Kultur meiſt gerade entgegen. Aber eins veredelt fie, was 
freilich dem Tiere in ebenjo hohem Grade eigen iſt: die Freiheitsliebe. Der Buſchmann, 
nah Anlage und Lebensweife in manchen Beziehungen vielleicht auf der niedrigften Stufe 
unter den Afrifanern ftehend, ijt durch feine unbeugſame Freiheitsliebe ihnen allen über: 
legen. Ungleich feinem hottentottijchen Stammesgenoffen, der ſich zu nichts jo gut wie 
zum Diener und Knechte ſchickt, beugt fich die Bufchmannsnatur feinem SHavenjoche, 
und nie verläßt ihn in der Gefangenjchaft der wilde Freiheitsprang, welcher den echten 
Naturſohn kennzeichnet. Was ihn darin beengen könnte, ift ihm verhaßt, und er führt 
nicht nur aus Notwendigkeit, jondern darüber hinaus oft genug aus feinem andern Antriebe 
al wilden Hafje und Zerftörungsluft Krieg gegen alles, was von feiten der Weißen 
und Schwarzen dielen ftarfen Trieb einschränken will, vor allem gegen die Herden, 
denen zuliebe feine Fagdgründe immer mehr zurüdgedrängt wurden. Solange man vom 
Buſchmanne weiß, kennt man ihn auc als Viehdieb. Die Intereſſen der Hottentotten und 
Meißen find aber gerade hier am Kap jo eng verknüpft mit ihren Herden, daß deren 
Verlegung allein Schon hinreichte, um den Buchmann zum gemeinfamen Feinde zu ftem: 
yeln. Was ihn aber ganz vogelfrei macht und gewijjermaßen außerhalb der Grenze des 
Menſchlichen ftellt, das ift die nutzloſe Grauſamkeit, mit welcher er jeine Näubereien aus: 
führt. Er ift der Anarchiſt unter den Südafrifanern. Wir willen Schon aus ältern Schil— 
derungen, daß es Sitte der Buſchmänner it, das geraubte Vieh, welches fie nicht forttreiben 
fönnen, zu töten oder es elend verſchmachten zu lafjen, nachdem fie ihm die Sehnen der 
Ferſen durchgejchnitten. Sie find jeit 200 Jahren darin nicht beifer geworden. Auch 
die meuchleriihen Anfälle auf die Hirten oder fonftige vereinzelte Menfchen, die in ihren 
Bereich kommen, gehören dahin. 

Man begreift, daß Menjchen, deren Handwerk der Mord, wenn auch der Mord des 
Wildes it, fein tieferes Mitgefühl für die Haustiere haben fönnen, die ihnen ja ebenfalls 
nur wie Wild vorkommen. Aber es jcheint wenige wilde Völker zu geben, bei denen 
mildere Gefühle, die doch vereinzelt überall vorfommen, jo ganz jelten find wie bei dieſem. 
Freilich ift das Problem ein halb joziales, denn der Buſchmann it ein Individuum 
außerhalb jeder gejellihaftlihen Organifation. Er weiß davon bei feinen eignen Leuten 
ebenjomenig wie bei denen, welche ihm ohne weiteres feindlich zu fein ſcheinen, weil fie 


58 Die Buſchmänner. 


eine andre Sprade ſprechen und andre Sitten haben als er ſelbſt. Sein einziger Beſitz 
find feine Waffen. Sein Familienzufammenhang ijt ein äußerft loderer. Woher jollen 
alfo mildere Gefühle bei ihm fommen? Und neben alledem ift er nicht weich von Natur 
angelegt, fondern feine Seele ſcheint etwas von der dürren, harten Sehnigfeit jeines 
Körperbaues angenommen zu haben. Oft muß man bei ihm an jeder menſchlichen Regung 
zweifeln. Livingjtone führt einen alten Bujchmann als Beilpiel eines anſcheinend jedes 
Moralgefühles, jeder beſſern Gemwilfensregung entbehrenden Menfchen an. „Als unfre 
Geſchenke an Fleiich fein Herz erwärmt hatten, erzählte er beim euer jeine frühern 
Abenteuer und unter andern die Ermordung von fünf Bufchmännern: ‚Zwei‘, zählte er 
an feinen Fingern, ‚waren Weiber, einer ein Mann und zwei Kälber‘. ‚Welch ein Schurke 
jeid Ihr, daß Ihr Euch rühmt, Weiber und Kinder Eures eignen Volkes zu töten! Was 
wird Gott jagen, wenn Ihr vor ihm erjcheint ‚Er wird jagen, daß ih ein tüchtiger 
Kerl war!‘ Diefer Menſch“, fährt Livingitone fort, „erſchien mir volllommen gewiflenlos 
und von Natur jedes Gefühles von Verantwortung bar zu fein; als ich ihn aber durch 
weitere Geſpräche etwas aufzuklären juchte, entdedte ich, daß er, wiewohl das Wort an: 
wendend, welches die Betichuanen für Gott haben, immer nur die dee eines Häuptlinges 
im Sinne hatte und zwar Selomis, von welchem er gegen eine Schar aufrührerifcher 
Bujhmänner gejandt worden war.” 

Gewiß hat der Buſchmann eine härtere Seele als der Hottentott oder Neger. Dies 
beweift feine Grauſamkeit, aber aud) fein Mut, von welchem wunderbare Geſchichten 
erzählt werden. Buſchmannknaben, die Haubtiere an der Zunge feithalten; Jäger, die 
ohne alle Waffen einen Löwen umftellen, um ihn durch vorjichtige Beunrubigung nad 
einem gewünjchten Ziele hinzutreiben; Einzelne, die mit ihrem ärmlichen Bogen ſich 
gegen eine ganze Schar von Weißen ftellen, und dergleihen fehren in allen Reife 
jchilderungen vom Kap wieder. Wichtiger ift aber das Urteil der dortigen Einwohner. 
„Oft genug“, fagt ©. Fritſch, „babe ich von fundigen Leuten dafelbit die Verfiherung 
gehört, daß fie fih mit einem Dugend gezähmter Bujchmänner auf ihrer Seite vor 
hundert Kaffern nicht fürchteten; auch würde ich felbit die Partei der erftern wählen.“ 
Es wird unter diefen Verhältniſſen verftändlih, dab die Furcht eine große Rolle in 
den Gefühlen jpielt, welde die andern Völker dem Buſchmanne entgegentragen. Hat 
diefelbe doch jogar auf die Entwaldung Südafrikas zurückgewirkt, indem die Kolonijten, 
um das Anfchleihen der Buſchmänner zu verhüten, alles Buſchwerk in der Nähe ihrer 
Wohnungen befeitigten! 

Die reihe Quelle von Einfiht in das Wefen irgend einer Gruppe von Naturmenichen, 
welche der Übergang derjelben im zivilifiertere Verhältniffe erfchließt, kann, wie man 
fieht, für den Buſchmann nur höchſt ſpärlich fließen; denn es kommt felten vor, da er 
in den „gezähmten“ Zuftand übergeht, und noch jeltener, daß er in demfelben verhartt. 
Und diejenigen Buſchmänner, welde an die Weißen fich angeichloffen haben, ſtehen fo jehr 
int Berdachte, gemijchten Blutes zu fein, daß Fritiiche Leute ſchon heute daran verzweifeln, 
in der Hapfolonie noch irgend einen reinen Buſchmann zu finden. Um jo weniger möchten 
wir hier eine von Kaffernhand gezeichnete originelle Skizze des Buſchmannes übergeben, 
welche fi in einer von den Kaffernerzählungen findet, mit welchen ung der Miffionar 
Callaway befannt gemacht hat. „Die Abatoa find ein bei weitem Hleinerer Schlag als andre 
Menichenkinder; fie verjteden fi unter Gras und Schlafen in Ameiſenhügeln; fie geben in 
die Nebel; jie leben in den hoch gelegenen Feljen; fie haben fein Dorf (db. h. feine feſten 
Wohnſitze); ihre Heimat it da, wo fie Wild töten; fie verzehren e8 ganz und ziehen weiter. 
Das ift ihre Lebensweiſe.“ Und weiter bemerkt derjelbe Erzähler: „Sie find jehr gefürchtet; 
fie find nicht furdtbar durch ihre Körpergröße oder ihre menſchliche Erſcheinung, im 


Graufamkeit und Mut. Bufchmannmiffionen. Kleidung. 50 


Gegenteile, fie haben Feine menſchliche Geftalt, von Größe ift feine Nede; fie find winzige 
Dinger, welde unter dem Grafe verjchwinden. Unverfehens wird der Jäger die Nähe 
des Abatoa gewahr, wenn er bereits von dem Pfeile desfelben durchbohrt ift; aber den, 
welcher den Pfeil abſchoß, fieht er nicht. Die Abatoa find wie Fliegen, die man nicht 
kommen jieht.” Ein guter Kenner der Erzähler und der Gefchilderten ſetzt hinzu: „Dieſe 
Skizze ift etwas roh in ihren Umriffen, echt fafferiich, aber handgreiflich. Die wejent: 
lihen Merkmale des Bufchmannes find darin angegeben.” 

Es ift jehr bezeichnend, daf die an ftarfen Wechfelfällen fo reiche Miffionsgefchichte 
von Südafrika auf feinem Gebiete fo entichiedene Miferfolge aufzumweifen hat wie gerade 
auf dem der Buſchmannmiſſionen. Diefe Miffionen begannen mit der am Zakfluſſe, 
als deren erſter Beranftalter ein Landmann, Namens Florus Fifcher, erfcheint, welder 
in den Buſchmännern den Wunfch nad religiöfer Anleitung zu erkennen glaubte und 
welder zu den erjten jeines Standes gehörte, die durch ehrlichen Vertrag fie von ihren 
räuberifchen Gewohnheiten abzubringen und die Quelle endloſer Streitigfeiten zu ver: 
jtopfen juchten. Aber die auf feine Anregung am Zaffluffe gegründete Station konnte 
in eriter Linie die Bujchmänner nur durch reichliche Gaben von Tabak um fich vereinigen; 
die wenigen, melde ihr treu blieben, wurden von ihren Stammesgenofjen beitändig 
bedrängt und bedroht, und das Leben des eriten Miffionars, eines Deutfchen, Namens 
Kicherer, ſchwebte in bejtändiger Gefahr. So mußte diefe Mifjion 1806 aufgegeben 
werden. Ähnlich erging e3 den Miffionen, die wenig jpäter in Toornberg (jet Coles: 
berg) und in Hepbzibah, dann am Galedonfluffe begründet wurden. Bald waren es Feind- 
jeligfeiten der wilden Bujhmänner, bald Reibereien mit den Anfiedlern der Nachbarſchaft, 
zu einem guten Teile aber ſtets die Ungeneigtheit der zu Bekehrenden, fich zu einem ruhigen, 
arbeitfamen Leben zu bequemen, welche alle Mühen fruchtlos machten. Es ift bezeichnend, 
daß die leßtgenannte Station erit dann aufblühte, als fie von den Bufhmännern ganz 
verlaffen und zu einer Betichuanenmijlion geworden war. Als ſolche bat fie (unter dem 
jpäter angenommenen Namen Bethulie) unter der Leitung franzöfifch = proteftantijcher 
Miffionare viel Gutes geftiftet. Als menſchlich anziehende Thatjache, die freilich mehr nur 
Auriofität it, jei hier noch angeführt, was Cajalis als eigne Beobachtung erzählt, daß 
nämlich ein Betihuanenhäuptling, der „etwas philanthropiſch“ war, eine Anzahl von 
Buſchmännern jammelte, ihnen Vieh gab und fie den Boden bebauen lieh. Nach zwei 
oder drei Generationen waren biefelben umgewandelt und entfernten fi in Größe und 
„eontours musculaires“ nicht mehr von den bejtgebauten Hottentotten. 

Der Buſchmann Eleidet ſich in jehr unvolllommener Meife, welche in feinem Ber: 
hältniffe zur Rauheit des Klimas feiner Mohnfige fteht. Er bejtätigt den Sab, daß bei 
den Naturvölfern die Kleidung nicht in erjter Linie von dem Bebürfniffe, welches das 
Klima erzeugt, fondern von der Kulturftufe abhängig it. So genügt dem Buſchmanne 
häufig ein dreiediges Stüdchen Fell, das zwiſchen den Beinen durdgezogen und um 
die Hüften mit einer Schnur befeftigt wird. In der Nachbarſchaft der Hottentotten neh: 
men jie deren die Blößen etwas beſſer bededenden Jakal an, den jedoch häufiger die 
Weiber tragen. Nicht immer fteht ihnen ein aus Fellen zufammengenähter Karoß zur 
Verfügung, den fie bei Tage um die Schultern tragen, um fich des Nachts in ihn ein: 
zumwideln. Es ijt nicht übertrieben, wenn man diefe Spärlichfeit der Kleidung zum Teile 
mit dem Hinweife auf die Schmußfrufte erflärt, welche der Buſchmann auf allen Teilen 
jeines Körpers trägt. Lichtenſtein bejchreibt die eriten Buſchmänner, welde er jah, 
folgendermaßen: „Die Farbe ihrer Haut war nur an wenigen Stellen erfennbar, ein dider 
Überzug von Ajche und Fett dedte wie eine Rinde das Gefiht und die magern Glieder. 
Nur unter den Augen, die von dem Rauche des qualmenden Feuers, an welchem fie zu 


60 Die Bulhmänner. 


figen lieben, oft thränen, war ein Feiner Fled rein gewaſchen, an welchem man die eigen: 
tümliche gelbliche Farbe der Haut erblidte.” Alle, welche die Hautfarbe der Buſchmänner 
zu ftudieren wünfchten, Elagen über die Unmöglichkeit, diejelbe unter der Krufte heraus: 
zuerfennen, mit der teils Nachläffigkeit, teils abfichtlihes Schmieren fie bededten. Auch 





Bufhmannfrauen mit Karok, Amulett und Shmud (nad Photographie von ©. Fritfd). 


fcheint fi) der Buſchmann der Nützlichkeit dieſer braunen Schale, in die er fich hüllt, 
wobhlbewußt zu fein. Meinte dod (nah Th. Hahn) einer von ihnen, den man auf die 
SZ feiner Haut aufmerfjam machte: „Dreck wärmt!” Indeſſen entjteht diejelbe 
nur bei den von der „Hottentottenfultur‘ 
etwas mehr beledten Buſchmännern durd) 
Beſchmieren mit der vielbeliebten Buchu— 
jalbe, bei den urwüchfigen ift fie ein Er: 
zeugnis der unreinlihen Gewohnheiten, 
Gehört es doch zu den am häufigiten ge- 
übten Sitten des Buſchmannes, jich fein 
Nachtlager in Sand und Ajche zu machen, 
ER vie durch ein darüber angezündetes Feuer 
WER ——— * uf für erwärmit worden find, oder ſich in Ameifen- 
bauten zu betten. 

Die Schambülle der Frau ift gewöhnlich größer als die des Mannes und mit ledernen 
Franſen bejegt, und zum Unterjchiede vom Manne hat fie den Karoß in einen Trag— 
mantel umgewandelt, welcher etwa vorhandenen Kindern Schuß gewährt. Männer wie 
Frauen tragen oft Sandalen aus Fell oder Baſtgeflecht, aber nicht felten durchſchreiten 





Kleidung und Schmud. Waffen. 61 


fie barfuß Dorngeftrüppe und glühenden Sand. Der Shmud ift jehr jpärlich und wenig 
foftbar. Einige Meſſing- oder Eifenringe, eine Kette dunkler Perlen, die von den Nachbar: 
ftämmen geringgeichägt werden und welche die Buſchmänner entweder für geleijtete Dienite 
von diefen oder für Straußfedern und Häute von den Europäern erlangen, jelbit beliebige 
Stüde Eifen oder Meſſing, die ihnen gelegentlich in die Hände fommen, ſchmücken den 
Hals oder die Haare, Viel natürlicher ftebt 
ihnen aber der Schmuck, den fie aus Jagd: 
trophäen bereiten: Federn oder Hajen: 
ſchwänze im Haare; Zähne, Klauen, Hör: 
ner, Muſcheln, am Halje und am Arme 
aufgereiht. In kurzen Ziegenhörnern oder 
in den zierlihen Schalen einer Eleinen 
Landſchildkröte tragen fie Tabak, Salben 
oder Amulette voll geheimnisvoller Heil- 
fräfte an der Hüfte oder am Halfe. Ein auf 
einen Stod aufgezogener Schakalſchwanz 
verfieht die Dienfte unjers Tajchentuches. 
Notwendiger als Kleidung und 
Schmud gehören zum Aufzuge des Buſch— 
mannes jeine Waffen. Er entbehrt eins 
oder das andre von jenen; man jieht mit- 
unter Individuen, welche jogar jehr wenig 
davon haben, und der Buſchmann könnte 
in feiner Begnügſamkeit und Abgehärtetbeit 
ganz ohne fie ausfommen. Aber jeine 
Waffen verjchaffen, ermöglichen ihm das 
Leben, und fie find zugleich faft die ein— 
zigen und jedenfall die merfwürdigiten 
Erzeugniffe jeiner Kunftfertigfeit. Es find 
Bogen, Pfeile und Wurffeule (Kirri). 
Bogen und Pfeil find die nationalen 
Waffen des Bujchmannes, die er allein 
unter allen Südafrifanern mit großem 
Geſchicke herzuftellen und zu benugen weiß. 
Der Bogen hat gewöhnlich eine Länge von 2 — 
⸗ Fuß, iſt alſo höher als der Mann ſelbſt, Ein Köcher aus Aloerinde und Leder. Pfeile (Muſeum für 
und bejteht aus einem mäßig gebogenen Völtertunde, Berlin). 
Stabe harten Holzes, der in der Mitte 
dider ift, und einer ftrohhalmdiden Sehne, die aus Tierfehnen (nah Sparrmann aus 
denen einer wilden Kate) zufammengedreht wird. Pfeile gibt es jehr verjchiedenartige. 
Am häufigften fieht man ſolche, deren Schaft aus fingerdidem Rohre befteht, das mit 
Faden umwidelt, um nicht zu jpalten, und am untern Ende zum Auflegen eingeferbt iſt. 
Am obern Ende ift ein Knochen (am häufigften vom Wadenbeine einer Antilope oder den 
ſehr harten Beinknochen des Straußes) eingefügt, der entweder jelbit Pfeilfpige ift, oder 
welchen als Spige ein Heines dreiediges Stückchen Eifen eingejegt wird, das dann mit 
diefem Knochen durch ein röhrenförmiges Zwifchenftüd verbunden ift. Im Münchener 
Mufeum befindet ſich ein Buſchmannpfeil, deffen Spige aus einem Glasplättchen beitebt, 
das einfach in ein geichnigtes Holzitäbchen eingejegt iſt. Die einfachſten Pfeile find aber 





62 Die Bufhmänner. 


ſolche, deren Spitze nur durch das zugefpigte Rohr gebildet wird. In finnreicher Weile iſt 
oft durch Einkerbung des Zwifchenitüdes Sorge getragen, daß der Schaft abbridt, jobald 
der Pfeil figt, oder es ift beim Anfage der Pfeilipige ein Eleines vergiftetes Plättchen 
widerhafenartig angebracht, welches ſich leicht abjtreift und in der Wunde zurücbleibt. 
Immer ift das Vorderende ſchwer, und feine einzelnen Teile find dur Sehnen zufammen: 
gebunden, während in das hohle Hinterende häufig eine gerade Feder eingeftedt wird, um 
den Flug zu fihern. Was num diefer Waffe, die an fi) ſchon bei aller Einfachheit ſinn⸗ 
reich genug ausgedacht iſt, 
ihren großen Wert und unter 
Umſtänden eine große Ge— 
fährlichkeit in der Hand des 
Buſchmannes verleiht, das iſt 
— ihre Vergiftung, worüber 


Na wir nod Näheres berichten 
TE len — nn — AR: 
werden (j. unten, ©. 65). 


i i i i Größe; } s 2 
Pfeile (nah Wood). a Pfeil mit Eifenplättden in natürlider Größe; Hier sei — & erwähn t, 


b und e Giftpfeile, verkleinert. da für verfchiebene Bwede 
verſchiedene Pfeile dienen: 
die einfach zugelpigten Robr: 
pfeile für Eleinere, die mit 
Knochenſpitzen für größere 
Tiere, die mit Eijenipigen 
für die großen Naubtiere, 
unter welchen für den Buſch— 
mann auch der feindliche 
Menjch rangiert. Demgemäß 
ſchwankt auch das Maß der 
Vergiftung. Die erftern find 
gar nicht vergiftet, während 
5 die legtern dick mit Gift über: 
—* zogen ſind. Die Länge der 

Grabſtod und — — für Vollerklunde, Berlin). Pfeile i want wif den 2 

und 3 Fuß. 

Man hat ſich hinſichtlich der Entfernung, auf die der Buſchmann zu treffen vermag, 
übertriebenen Vorſtellungen hingegeben, wie ja überhaupt der Kulturmenſch geneigt iſt, 
die Kraft zu überſchätzen, welche der Naturmenſch in Körper und Sinnen, die er ſo einſeitig 
ausbildet, zu entwickeln vernag. Der Buſchmann trifft auf 60—80 Schritt ſicher, was 
für einen Jäger von feiner Feinheit des Gehöres und Geräufchlofigfeit der Bewegung mehr 
als genügend ift; darüber hinaus (er wirft jeine Pfeile über 200 Schritt weit) trifft er 
wegen der unberechenbaren Flugbahn feines Gejchoffes wohl noch ſenkrechte Gegenftände, 
mit weniger Sicherheit aber wagerehte. Zu Pfeil und Bogen gehört notwendig der 
Köder, der gewöhnlich aus der Rinde der Alo& perforata (Koferbaum der Boeren) oder 
aus Baumrinde gefertigt, mit Boden und Dedel aus Leder verjehen oder aud ganz mi? 
Leder überzogen ift. Sparrmann jah Köcher, deren Rand mit der Haut einer gelben 
giftigen Schlange eingefaßt war. Ein joldher Köcher faßt etwa 30 Pfeile und dazu noch 
ein Stückchen Holz mit zerfajerter Spige als Pinfel zum Auftragen des Giftes, die Feuer: 
hölzer und öfters auch noch einen Stein zum Echärfen der Pfeile. Auf dem Kriegs: oder 
Jagdpfade aber werden die Pfeile, um fie ſchußbereit zu halten, und wohl auch, um den 





— 
— —— 
— 








Waffen. Wohnung. 63 


Feind zu jhreden, ftrahlenförmig um die Stirn herum befeftigt. Mehr nebenfächliche 
Waffe ijt die Keule oder beijer der Knüppel, Kirri, ein !/s m langer Stod mit 
derbem, fauftdidem Knopfe, gewöhnlich aus dem harten Holze der Giraffenafazie gefer: 
tigt, der ald Wurf- und Schlagftod benupt wird. Aſſagaie und Mefjer find fremder Ein- 
führung. Zur weitern Ausrüftung gehören ein nahtlojer Querjad aus Antilopenbaut, ein 
Neg aus Mimofenfajern, welches Vorräte, vor allen den MWaffervorrat in mit Gras ver: 
ftopften Straußeneierjhalen oder wohl aud) in Häuten, birgt, und der Grabſtock, welcher mit 
einem burchgefted: 
ten Steine nad 
der Spite hin be— 
ſchwert ift, um ihn 
kräftiger zum Aus— 
graben von Wur: 
zeln oder im Boden 
verborgener Tiere 
oder jelbit zur An: 
legung von Fallgrus= 
ben zu machen (vgl. 
Abbildung, ©. 62). 

Der Buſchmann 
befigt in der Regel 
feine Wohnun: 
gen, bie er fich jelbjt 
verfertigt, nicht ein- 
mal Zelte aus Haut 
wie andre Aander: 
jtämme. Er jucht 
fih  Feljenrigen, 
Höhlen, geihügte 
Stellen unter über GW 





hängenden Steinen, z 
und wo er joldhe — ADSENSE a er? 
günftige Gelegen: PDuihmannhöhlen (nad ©. Fritſch). 


heiten nicht findet, 

legt er fi in trodne Rinnſale oder in die verlaffene Grube eines Ameijenbären. Es ijt 
bereits ein Fortjchritt hierüber hinaus, wenn er die Zweige eines Strauches zur Erde biegt 
und fie mit andern Zweigen und Moos verflicht, um einen Windſchirm zu bilden, unter 
dem er ſich ein Lager aus dürrem Laube und Mooje aufichüttet. Bis zum Hüttenbaue 
jchreitet er in den jeltenften Fällen fort; wo er auf längere Zeit wegen der Ergiebigkeit der 
Jagd eine offene Gegend zum Aufenthalte wählt, die feine natürlichen Schlupfwinfel bietet, 
bequemt er ſich wohl dazu, Pfähle in die Erde zu treiben und fie mit Zweigen, Röhricht 
und Fellen zu jchügenden Wohnungen auszubauen. In ſolchen Fällen ſchwingen ſich die 
Frauen jogar zum Flechten roher Matten auf. Aber die Yebensweije des Buſchmannes 
läßt auch diefe Wohnftätten nie dauerhaft werden. In den felfigen Gegenden der Bauern: 
freiftaaten joll er jih dagegen auf Bergen Ringwälle aus loder aufeinander gelegten 
Steinen als dauernde Schlupfwinfel und Feiten aufgeführt und mit mehrfachen Kränzen 
von Fallgruben umgeben haben. Barrow bejchreibt jogar eine Art Kral aus fünfund: 
zwanzig allerdings ärmlichen Strohhütten, die nicht ganz ohne Sorgfalt gemacht waren. 


64 Die Buſchmänner. 


Von Hausgerät kann unter diefen Verhältniffen Feine Rebe jein, denn was der 
Buſchmann nicht mit fih tragen kann, kann er auch nicht brauchen. Selbit Haustiere 
ericheinen ihm, jo oft er fie auch zu Taufenden geraubt hat, als eine Laſt, deren er ſich 
durch Tötung und Aufzehrung möglichit raſch zu entledigen ſucht. Auch Jagdhunde find 
nur mehr zufällig bei ihm zu finden. Barrow jah bei Bufchmännern einen Hund, 
den er als eine Art Heinen, ſpitzſchnauzigen Echäferhundes beichreibt, und der im Gegen: 
jage zu feiner Herrichaft von einem erjtaunlichen Embonpoint war, da er mit größerın 
Fleiße die Ameifenlarven ausfcharrte, weldhe auch jener Lieblingsnahrung bildeten. Mag 
fein, daß ſchon allein dieſe Konkurrenz dem freien und faulen Völkchen unbehaglich ift. 
Die bei andern niedrig ſtehenden Völfern jo allgemein verbreitete Töpferei fehlt hier vielleicht 
nur darum fat vollitändig, weil fie wegen Ungeeignetheit ihrer Erzeugniffe für den leichten 
Transport beim umberichweifenden Leben eine „verlorne Kunft” wurde. Für diejenige 
Thätigfeit des Bufchmannes, welche neben der Yagd und überhaupt der Nahrungsſuche 
fein Daſein ganz ausfüllt, nämlich für das Eſſen, braucht er feine andre Vorrichtung als 
feuer, welches, gleichwie bei andern Naturvölfern, durch Aneinanderreiben harten und 
weichen Holzes erzeugt wird. Das weiche Holz ift ein flaches Stück mit Heinen Gruben; 
das harte bildet einen unten wenig ausgehöhlten Stab, welcher oben wohl in einen 
Röhrenknochen gefaßt ift, um das rajche Drehen desjelben in einer von jenen Gruben zu 
erleichtern. Während der Fuß das flahe Stüd fefthält, drehen die Hände den Stab, bis 
genug Hite erzeugt ift, um etwas dazwilchengelegten Zunder zum Glimmen zu bringen. 
Eine zweite Perſon facht dann mit leicht entzündbarem Materiale die Funken zur Flamme an. 
Die Zubereitung des Fleiſches beim Feuer geichieht gewöhnlich nur in der Weile, daß die 
einzelnen Stüde für furze Zeit ins Feuer geworfen werden, mehr um ihnen den brenz- 
ligen Geihmad zu geben, als um fie gar zu machen. Das Ausmweiden gefchieht oft unvoll- 
ftändig. Th. Hahn jagt, er habe gejehen, wie fie einen Hafen mit Haut und Haaren 
in die glühende Aiche icharrten. Ganz roh genießt der Buſchmann von tierifcher Nahrung 
nur Inſekten, vor allen Yäufe, und die ſehr beliebten Eier der weißen Ameife. Wild 
zieht er aller andern Nahrung vor; außerdem nimmt er aber mit allem Ehbaren vorlieb, 
ohne nach dem mehr oder weniger einladenden Außern oder der Verdaulichkeit zu fragen. 
Eidechſen, Schlangen, ſelbſt giftige, wie man fagt, denen das Gift zum Zwecke der Pfeil: 
giftbereitung entzogen wurde, Fröſche, Würmer, Raupen, Larven genießt er mit Behagen. 
Honig gehört zu feinen Lieblingsjpeilen, und ähnlich den Auftraliern betraditen auch die 
Buſchmänner die Bienenftöde, welche fie entdedt haben, als in eriter Linie ihrer Familie oder 
Horde gehörend. In dieſem Falle fcheint der ſonſt faum zu bemerkende Eigentumsfinn 
ſehr deutlich hervorzutreten. Das Pflanzenreich liefert ihm namentlich Zwiebeln und Wurzeln, 
deren Vorhandenjein er auch bei völliger Dürre des oberflählihen Pflanzenwuchſes an 
ihren Krautreften oder an dem hohlen Tone erkennt, melden der Boden bei einem Schlage 
mit dem Kirri gibt. Er ift auch troß ihrer Bitterfeit die wilde Waſſermelone, deren Saft 
oft das einzige Mittel zur Durftlöfhung in weiten Umkreiſe bietet. Gleich dem Hotten: 
totten iſt er ein leidenjchaftliher Raucher. Geht ihm der Tabak aus, jo befeuchtet er 
mit der Tabafsbrühe gemiffe Blätter, um von ihrem Nauchen einen, wenn auch geringen, 
Nachgenuß zu haben (Campbell). 

Bei diefer beijpiellofen Genitgjamfeit jo viel Wiffen und Können! Man hat mit 
Recht den Buſchmanncharakter ertravagant genannt. Wieviel bequemer fönnte er leben, 
wenn er jein eritaunliches Wiſſen von der Natur, deren Gaben er alle bis auf die elendeften 
und efelhaftejten herab durchprobiert hat, mit Fürforglichkeit verwertete! Freilich müßte 
er dann etwas von feiner Ungebundenheit aufgeben, und bier liegt offenbar der Faden, 
welder ihn an fein jo zufälliges, zwiichen Elend und Genuß ſchwankendes Leben bindet. 





Geräte. Fertigkeiten und Künfte. Giftpfeile, 65 


Ein jeltiames Bündel von Fertigkeiten und Künften ift diefes rätjelhafte Volk. 
Es ift wenig Stärke, wenig Jmponierendes in den Bufhmännern, wenn nicht das plößliche 
Aufraffen zu verzweifeltem Mute; ihre Fertigkeiten gehören alle der ſchwachen Seite an, 
der durch äußerfte Not gefteigerten Findigfeit, der Lift des Kraftlofen, der Verftellung und 
Nahahmung. Wir haben die Kleinheit und Ärmlichkeit des Körperbaues hervorgehoben, 
wobei wir uns freilich gefliffentlich hüteten, in eine der Übertreibungen zu verfallen, denen 
naturphilofophiich angehauchte Reifende huldigten, weldhe in den Buſchmännern von vorn: 
herein den niedrigiten, d. 5. affenartigften, Teil der Menfchheit und damit faft felbjtver: 
ftändlich eine zur Ausrottung durch ihre höher ftehenden ‚Brüder‘ beftimmte Raſſe erfannten. 
Ebenjo haben wir die Natur ihrer Wohnpläge zu ſchildern verfucht. Beiden gegenüber 
fann man aud) bei der maßvolliten Betrachtung nicht leugnen, daß die Natur faum irgend 
ein Volk der Erde ärmer ausgeftattet, ungünftiger gejtellt hat im großen Kampfe ums 
Dajein. Doppelt anziehend ift die Betrachtung der Mittel und Mege, auf die dasjelbe 
verfiel, um in feiner gottverlaffenen Entblößung fich felbit zu helfen. Wenig geeignet, 






Hb° 


Ein Giftmejjer mit getrodnetem Giitfaite (Mufeum des Berliner Miffionshaufes). 


durch die Stärke feines Armes den Feind zu bezwingen oder das Wild zu erlegen, welches 
er zu feinem Lebensunterhalte brauchte, griff der Buſchmann tiefer als jedes andre Natur: 
volk in die Geheimniffe der reihen ihn umgebenden Natur und wurde das einzige von 
den Völkern biejes Erbteiles, das als Waffe vergiftete Pfeile führt. 

Das Gift der Bujhmannpfeile ijt jehr jtarf. Selbft größere Tiere tötet es in 
wenigen Stunden. Über feine Bereitung weiß ſelbſt der natur: und arzneitundigfte unter 
den neuern Südafrikareiſenden, ©. Fritſch, nichts Sicheres zu berichten. Die Bereitung, 
fagt er, wird geheimgehalten, doch ftimmen die Autoren darin überein, daß der Haupt: 
beſtandteil desjelben Schlangengift fei; dies wird in bejtimmter Weife angemacht mit dem 
Safte von Euphorbiaceen (hauptfächlic wohl mit bem von Euphorbia candelabrum, mit 
welhem auch die Dvaherero ihre Pfeile und die Bergbamara die Trinkpfügen ber wilden 
Tiere vergiften) und einer Zwiebel, ber Giftamaryllis (Haemanthus toxicarius), welche 
mehr Elebrige als giftige Subjtanzen befigt und daher nicht den Hauptbeſtandteil Des 
Pieilgiftes ausmachen kann. Die Ungefährlichkeit der Giftamaryllis geht jchon daraus 
hervor, daß die Buſchmänner denjelben Saft zum Kitten ihrer Geſchirre benugen. Doch 
nur gegen NRaubtiere bedienen fich die Buſchmänner der Giftpfeile regelmäßig; es find 
wenig Fälle befannt, dringende Notwehr abgerechnet, daß Europäer durch dieſelben ums 
Leben gelommen find, viel häufiger aber Hottentottenhirten und andre Farbige, bie fie 
töteten, um fih in den Beſitz ihrer Herden zu jegen. Als nämlih mit dem immer 
weitern Vorbringen der Weißen das Wild jpärlicher wurde, jo daß es zu ihrem Unter: 
halte nicht mehr ausreichte, jcheint ihnen der Viehdiebftahl eine Lieblingsbeihäftigung 
geworben zu fein, deren Unrechtmäßigkeit fie nie jo vecht einjehen wollten. Sie berühren 
fi darin mit andern Naturkindern, die den Vieh: und bejonders den Pferbediebftahl nie 
als das große Verbrechen zu würdigen vermögen, das die Weißen daraus machen; dabei 
fönnen fie vielleiht andern Gegenftänden gegenüber, die leichter zu entwenden find, die 
größte Zurückhaltung üben. Man begreift das einigermaßen, wenn man fi) daran erinnert, 
daß ſolche Völker von Urzeiten her alles als ihr freieftes Eigentum zu betrachten pflegten, 

Bölterkunde. 1. 5 


6b Die Buſchmänner. 


was in irgend einer belebten Form auf der Erbe oder in ober über derjelben kreucht 
und fleugt. Warum jebt auf einmal die Hand zurüdziehen müſſen vor einem Schafe oder 
Rinde, das vom Springbode oder Gnu fi nur durch andre Geftalt und etwa durch gewiſſe 
Marken auszeichnet, welche einer, ber ſich Befiger nennt, ihm eingebrannt? Bielleicht tft 
fogar, wer weiß, eine Vererbung von Begriffen hier im Spiele, deren naturgefeglicher 
Macht diefe Naturmenſchen fi am mwenigften zu entziehen vermögen. Sei dem indeſſen 
wie ihm wolle, das Traurige an der Sade ift nur zu gewiß, nämlich daß es hauptſächlich 
ber Viehdiebftahl war, welcher dazu führte, daß die Buſchmänner erft von den Hotten- 
totten und dann von ben Boeren als vogelfrei erflärt und nun ihrerjeits wie das „Wild 
auf ber Heide” gejagt, geheßt, gefangen, gejchoffen wurden. Barrow, Sparrmann und 
deren Beitgenoffen erzählen eine Menge Geſchichten von den Buſchmannjagden ber Boeren. 
Wie graufam aud manches klingen mag, was fie da berichten, es ſtimmt body jo mit 
diefer Anficht nicht bloß der Boeren, ſondern auch der andern anfäjligen Völker Südafrikas 
von den Buſchmännern überein, daß man feine Möglichkeit begründeten Zweifels fieht. 
Nah Barrow war der Ruhm, ein guter „op het spoor“, d. h. Buſchmannſpürer, zu 
fein, ebenfo gefucht wie der eines guten Yägers. Sparrmann berichtet von den Buſch— 
mannjagden, welche die Boeren anftellten, um fich neue Dienftboten zu fangen, und erzählt, 
daß fie, wenn dieſes Bedürfnis nit vorlag, jeden freien Bufchmann, dem fie begegneten, 
niederfchoffen und, wenn er fich flüchtete, ihn wie jedes andre Tier mit Pferd’ und Hund 
niederhegten. Kinder hätten fie manchmal geraubt, um die Mütter zu erlangen, welche, 
von Mutterliebe getrieben, ihren Kleinen in die Gefangenschaft folgten. Wer kann ermeflen, 
wie weit fie ba Vergeltung übten? Thatfahe ift, dak im Anfange der Gründung des 
Transvaalfreiftaates die Boeren es vermieden, ſich im Nordoften desjelben auszubreiten, 
wo fie den Näubereien der Bufchmänner faft ſchutzlos ausgelegt waren, da diefe in den 
Drafenbergen faum erreicht werden konnten. Es famen Fälle vor, wo diefe Räuber mit 
400— 500 Stück Vieh verfhmwanden, ihre Spur durch gefallene oder getötete Tiere 
bezeichnend, obwohl fie zwölf Stunden nad) der That von Berittenen verfolgt wurden. 
Eine Kampfmweife, die das Hauptgemwicht auf die Dedung legt, entipricht foldhen Waffen. 
Sie fonnten auch hierin ihre große Vertrautheit mit der Natur ihrer Umgebung zeigen, 
und fie ſäumten nicht, e8 zu thun. So erzählt 5. B. Lichtenftein, daß in einem Engpafie 
(poort), ben er pajlierte, fich ein Reſt Bufchmänner hinter Felfen verftedt hatte, deren 
Farbe ganz der ihres Körpers glich, und daß fie aus diefem gefährlichen Verſtecke ftarfen 
Gebrauh von ihren noch gefährlichern Pfeilen machten. Auf allen Seiten zurüdgebrängt, 
machten fie dieſe Fähigkeiten endlich doch wieder zu wertvollen Bundesgenofien, und fie 
fpielen trog ihrer DVerachtetheit als Pfadfinder und Hinterhaltsfämpfer feine Heine Rolle 
in ber Geſchichte der füdafrifanifchen Stämme. In dem Feldzuge gegen Langalibalele 
juchten die Engländer fi der Dienfte eines Bujhmannes, Ding, zu verfidhern, ber 
als Jäger im Dienjte Nauafhas, des Sohnes Morofis, ftand. Nquaſha aber weigerte 
fih, ihn abzugeben, da er fürdhtete, feiner wertvollen Dienfte verluftig zu gehen. E3 wird 
fogar behauptet, daß die einft zahlreihern Buſchmänner die Bafuto retten halfen, ala 
diefe durch Tſchaka an den Rand des Verderbens gebracht waren, alle Herden verloren 
hatten und vom Hunger bedroht wurden. Durch ihre Gefchiclichkeit in der Jagd hätten 
fie denjelben in der Hungerzeit Nahrung verschafft. 

Neben den Giftpfeilen find Fallen und Schlingen die Waffen der Buſchmänner. 
Eie willen diefe jo gefchict zu legen, daß felbft von den fchnellen Straußen, wie man 
behauptet, mehr durch fie gefangen werden, als jemals der Weiße mit feiner beiten 
Büchſe und auf feinem ſchnellſten Pferde erlegt. Ed. Mohr jhildert eine Treibjagd, an 
welcher fih Buſchmänner beteiligten, in feiner lebendigen Weife. Neun balbverhungerte 


Duſchmannfang. Jagd. 67 


Mafiara-Bujhmänner waren zu feinem Lager im Matabelelande gefommen, um ihn zu 
bitten, ein paar Stück Wild für fie zu ſchießen, da Büffel und Elentiere ganz in der Nähe 
ftänden. Sie waren dermaßen ausgehungert, daß fie um ihre runzeligen, jchlotternden 
Zeiber breite Riemen gebunden hatten, gewiſſermaßen, um fie fetzuhalten. „Dieſe neun 
Buihmänner gingen etwa einen halben Büchſenſchuß oder 200 Schritt getrennt voneinander 
in Linie vor uns, ein jeder von ihnen trug den befannten langen Speer, alle liefen im 
Zickzack etwas hin und her, jo aber, daf die oben angedeutete Diftanz zwifchen den Leuten 





Bufhmannzeihnungen, in hartem Steine lady vertieft (eihnograpbifhes Mufeum, Wien). Bgl. Tert, ©. 69, 


biejelbe blieb. Natürlich waren jie im jtande, bei Befolgung folder Taktit große Streden 
abzufpüren. Keiner ſprach ein Wort; eine gefundene Fährte ward einfach durch eine Bewegung 
mit dem Speere rajch und jchnell die Fronte entlang hinunter telegrapbiert, fie juchten mit 
einer Beweglichkeit und mit einem gierigen Eifer, der dem des Fuchshundes auf Reinekes 
Fährte nichts nachgab. Am rechten Flügel fand man eine ganz friiche Elenfpur. Sofort 
famen die Leute zujammen und zeigten mit den Speeren die Ridhtung an, in der das Wild 
weitergezogen war; fie behaupteten, an der breiten Spur erkennen zu fönnen, daß das 
Zier vollgefreffen gewejen jei, und waren alle fiher darüber, daß es hier ganz in unfrer 
Nähe anzutreffen wäre, erfuchten uns daher, abzufteigen, Halt zu machen und alles 
Geräufch zu vermeiden. Darauf gingen zwei ihrer jüngjten und gewandtejten Leute aus, 
die, fich drüdend und büdend, lautlos und gefchmeidig wie Panther zwijchen der Didung 
hindurchkrochen und bald unjern Augen entſchwunden waren. In derſelben vorfidhtigen 
und unhörbaren Weije, wie fie verſchwunden, famen fie zurüd; ſchon nad fünf Minuten 
5* 


68 Die Bufhmänner. 


hatten fie das Wild, einen mächtigen Bullen, im Schatten eines Baumes ftehend, erjpäht. 
Das Tier wurde geichoffen, und der Abend ſchloß natürlich mit einem Feite der Buſch— 
männer, die ganz unmerklich fich durch ihre Familien und Freunde auf dreißig vermehrt hatten. 
Man ftelle fih das Bild vor: die Bande um ein großes Feuer lagernd, mit blutigen 
Köpfen und Gefichtern, da fie das Fleiſch auf den Köpfen hereingejchafft hatten, in Haufen 
des bandförmig zerfchnittenen Fleifches wollüftig wühlend; Männer und Weiber löſen fidh 
in wilden Tänzen und in brummelnden Gejängen ab. Die Schmachtbäuche find alle ſchon 
ausgefüllt, und einige liegen bereits vollgefreijen wie faule, geblähte Krofodile am Boden.’ 





Dild einer Elenantilope, in harlem Steine flach vertieft (etihnographifches Mufeum, Wien). Bal. Tert, ©. 69. 


Ihre merkwürdig entwidelte Nahahmungsgabe gehört ebenfalls in dieje Gruppe 
der „Gaben des Schwachen“. Die Fähigkeit, mit ihrer biegjamen, an eine höchſt formen: 
reihe Sprade gewöhnten Zunge die feltenjten Laute der Vogelſprache wie die rauhern 
Töne der Vierfüßler wiederzugeben, hilft ihnen beim Befchleihen und beim Fange ber- 
jelben. Gerade durch ihre Kunft der Nahahmung find die Bufhmänner im ftande, mit 
ihren einfachen Waffen mit einem Erfolge zu jagen, der die mit ben volllommenften 
Mordwerkzeugen ausgerüfteten Europäer in Erftaunen jet. Am berühmteften ift ihre 
Straußenjagd, bei welder fie an einem jattelartigen, mit Straußfebern befegten Polfter, 
das fie auf der Schulter tragen, den ausgeftopften Kopf und Hals eines Straußes befeftigen 
und ihre Beine weiß anftreihen, um ſich jo ftraußartig wie möglich zu machen. In der 
Linken den Bogen und die Pfeile tragend, nähern fie fich einer Straußherde foviel wie 
möglich, natürlich gegen den Wind. Moffat behauptet, e3 gefchehe dies mit jo natür: 
lichen Bewegungen, daß man auf ein paar Hundert Schritte die Täufhung nicht herausfinde. 
„Dieſer menjchliche Vogel”, jagt er, „icheint die Kräuter abzumeiden, wendet den Kopf, als 
ob er ſcharf ausichaue, jchüttelt feine Federn, wechjelt zwijchen Schritt und Trab, bis er 


Nahahmungdgabe. Höhlenzeihnungen. Mufit und Tanz. 69 


nahe an die Herde herangefommen. Nennt diefe, nachdem einer aus ihrer Mitte getroffen, 
jo rennt er mit, um fein Spiel zu wiederholen. Manchmal verfolgen die männlichen Strauße 
den feltfamen Vogel, worauf diefer alles aufbieten muß, daß fie nicht feinen Geruch 
befommen, denn font ift der Zauber gebroden. Kommt einer zu nahe, jo bleibt dem 
falſchen Strauße nichts übrig, als in den Wind zu laufen oder feinen Sattel abzumerfen, 
um einem Schlage mit dem Fuße zu entgehen, welder ihn niederjtreden könnte.“ Mehr zur 
Beluftigung dient ihnen dagegen die Gabe, die Bewegungen beftimmter Menſchen oder Tiere 
täufchend nachzuahmen. Und in derſelben Richtung war ihnen wohl die Fähigkeit zu gönnen, 
mit Stift und Farben Figuren von Menſchen und Tieren zu zeidhnen, von welden 
die wenigen Refte, die in ihren einftigen Wohnfigen an geſchützten Höhlenwänden und der: 
gleichen fi erhalten haben, einen beffern Begriff von der Buſchmänner Kunftfertigkeit geben, 
als wir etwa aus den zahllofen Felskfrißeleien der Indianer gewinnen (vgl. bie Abbildungen, 
©. 67 u. 68). Leider ift die Zahl der Reifenden Hein, die um ſolche Dinge ſich kummern, und 
daß die Boeren nicht viel Verftändnis dafür haben, ift leicht zu begreifen. Doc) ift e8 in dieſer 
Beziehung intereffant, daß ©. Fritich, als er ſolche Buſchmann-,Schilderijen“ bei Key- 
Poort zu jehen wünjchte, zwar nicht bei dem nächſtwohnenden Boer, wohl aber bei einem 
intelligenten Kaffern der Nachbarſchaft die nähern Erkundigungen über ihren Ort einzuziehen 
vermochte! Was diefe Schildereien felbit betrifft, jo find fie teil mit den vier Farben 
Weiß, Schwarz, Not und Oder auf Felfen gemalt, teils in weichem Sanditeine ausgefragt, 
teil3 in harten Stein gemeißelt und ftellen außer menfchlichen Geftalten eine ganze An— 
zahl der charakteriftiichiten Tiere diefer Gegend dar, wie: Strauß, verjhiedene Antilopen, 
Quagga, Pavian, auch Rinder. Es wird ihnen forrefte Zeichnung nachgerühmt, fo daß fie 
unſchwer zu erfennen feien. Über ihr Alter ift etwas Veſtimmtes gar nicht zu fagen, zumal 
es uns doch etwas bedenklich ſcheint, dem von einer Seite vorgejchlagenen Schluffe beizu: 
jtimmen, daß man diejenigen von dieſen Zeichnungen, in welden fein Europäer oder fein 
europäifches Haustier vorfommt, vor die Zeit der Niederlaffung der Europäer, aljo etwa 
vor den Beginn des 17. Jahrhunderts, zu jeten habe, während die andern nad diefer 
Beit fielen. Als ob dieſe Bufhmänner unter dem Zwange geftanden hätten, die Gejtalten 
der Europäer und ſogar ihrer tierifhen Begleiter von dem Augenblide an zu verewigen, 
wo fie diefelben zum erftenmal erblidten! Übrigens mwährte es auch eine geraume Zeit, 
bis die Europäer von ihren erjten Nieberlaffungen in der Tafelbai fich jo tief landein— 
wärts zogen, um aud mit den mehr binnenwärts wohnenden Buſchmännern in häufigere 
Berührung zu fommen. Es wird hervorgehoben, daß bejonders häufig Pferde in diejen 
Buſchmannzeichnungen vorkommen, ein Zeugnis für den tiefen Eindrud, melden dieſes 
von den Europäern eingeführte Tier auch auf ihren Geift gemacht bat. 

Zu diefem wenn nicht entwidelten, jo Doch auffällig hervortretenden Sinne für zeichnende 
Kunft gejellen fi) mujifalifhe Neigungen und Fähigkeiten, welde man bei jo viel 
Roheit nicht Juden würde. Darin fommt der Buschmann dem Hottentotten glei. Der 
Buſchmann befigt ein befonderes mufifalifhes Talent, fagt Theophilus Hahn; Dies 
zeigt fi da, wo er eine alte Geige von Europäern erwiſchen kann oder in Ermangelung 
einer foldhen fich aus einem Kürbiſſe ein Inftrument mit zwei Saiten Eonjtruiert, welches 
dem Embryo einer Geige nicht unähnlich fieht. Er entlodt diefem primitiven Machwerfe 
leidlihe Töne und fpielt darauf prächtig Melodien nach, die irgend ein vagabondierender 
Legionär, ein deutjcher Tochtgänger oder ein glaubenseifriger Apoftel ihm auf der Har— 
monifa vorgeleiert hat. Die ernften Klänge von Chorälen wie „D Haupt voll Blut 
und Wunden“, „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“, „Wachet auf, ruft ung die 
Stimme“ orgelt er mit demjelben Eifer ab wie „Ach du lieber Auguftin“, „My heart 
is iu the highlands‘“ oder „Long, long ago“. Den Tert verfteht er nicht, da er, 


70 Die Buſchmänner. 


abgejehen von der Sprache, feinen Begriff von Bußkrämpfen, dem Jüngften Tage, Liebes: 
leid und Liebesluft hat und. feine „Herzen und Schmerzen“ fennt. Melodien faßt er 
ſchnell und jehr korrekt auf. Mein Vater, erzählt derfelbe weiter, war Miffionar unter den 
Namaqua=Hottentotten. Er machte Verſuche mit Weizenbau in Aus, gegenüber Angra 
Pequeña; hierbei halfen ihm die dortigen Buſchmänner, und es war ihm ein bejonderer 
Genuß, wenn er ihnen abends unter Be: 
gleitung der Harmonifa verjchiedene Cho: 
räle vorfang. Zum Erjtaunen des Mij- 
fionars fangen die Buſchmänner nad 
einigen Tagen die vorgeipielten Melodien 
nebjt dem ihnen unverftändlichen holländi: 
chen Terte dazu. Die Stimme diefer Raſſe 
befigt jehr viel Metall. Bei ſolcher Be: 
gabung ift es natürlich, daß muſikaliſche 
Inſtrumente einen Teil vom Hausrate 
des Bufchmannes ausmahen. Es find 
diejelben wie bei den Hottentotten, welche 
die mufikalifche Begabung der Bufhmänner 
teilen, und fie haben jich von einem diefer 
Völker oder beiden aus aud andern ſüd— 
afrifanischen Stämmen mitgeteilt. Außer 
der vorhin erwähnten Kürbisgeige nennen 
wir die Gora (ſ. beiftehende Abbildungen) 
und eine durch Spannen von Haut über 
— einen etwas Waſſer enthaltenden Krug 
Ein Gorafpieler (na Wood), oder Bambus improvifierte Trommel, die 
mit den Fingern gejchlagen wird. 
Muſik ift bei allen Naturvölfern aufs innigite mit dem Tanze verfnüpft. So muſi— 
faliihe Naturen, wie man fie häufig unter den Buſchmännern und Hottentotten findet, 
mufizieren zwar wohl auch einmal für fich allein; aber die Funktion der Muſik in ihrem 
Leben ift, den Tanz zu begleiten. Die rhythmiichen Bewegungen der Stimme follen mit 
denen des Körpers ſich aufs innigite verflechten und die einen die andern fortwährend 








Eine Saite der Gora (nad Wood). 


fteigern, um den höchſten Genuß hervorzubringen, der diefen viel Entbehrenden gewährt 
it. Burchell hat uns die ausführlichite Beichreibung eines feitlihen Buſchmanntanzes 
gegeben, wie er von Europäern jelten beobachtet werden dürfte. Man kann ihn, gleich den 
Tänzen jo vieler andrer Wilden, als einen bis zum Krampfartigen gefteigerten Ausbruch von 
Zügellofigkeit bezeichnen (eine Abbildung der beim Tanze getragenen Fußrafleln f. auf S.71). 

Man weiß wenig vom Familienleben des Buſchmannes, wofür der Hauptgrund 
wohl weniger darin zu juchen ift, daß dasjelbe im zivilifierten Sinne überhaupt faum 
bejteht, al$ vielmehr in der Seltenheit genügend intimen Verfehres der Europäer mit diefen 
Familien. Man muß fich hüten, zu unterfchägen. Der mannbar gewordene Buſchmann 


Muſik und Tanz. Familienleben. Stellung des Weibes. J 


ſucht ſich ein Weib, bei deſſen Erwerbung etwas wie Kauf nicht vorzukommen ſcheint, 
wohl aber Geſchenke. Perſönliche Zuneigung ſcheint beachtet zu werden. Die Werbung 
geſchieht durch Verwandte des Jünglinges, welche deſſen Geſchenke bringen. Annahme der— 
ſelben gilt als Zuſage. Ein Schmaus und Geſchenke ſeitens der Angehörigen und Freunde 
des Bräutigams beſiegeln die Heirat. Hauptſächlich dürften aber Kraft und Gewandtheit des 
Einzelnen darüber entjheiden, ob er das Weib fich erwirbt, welches er begehrt, und ob 
er mehrere Weiber jein eigen nennen darf. Vielweiberei ift geftattet. Nur die nächſten 
Bande der Blutsverwandtichaft, nämlid Eltern: und Gejchwifterfchaft, verhindern Ver: 
ebelihung. Ob irgend ein Gebrauch oder eine Feierlichfeit den Eintritt des Jünglinges 
in das Alter der Mannbarkeit bezeichnet, wiſſen wir nicht; aber es ſcheint, daß wenigftens 
bei einem Stamme, dem der Kai, der Yüngling Proben feiner Gewandtheit im Schießen 
und feiner Gejchidlichleit im Jagen durch 
Erlegen und Darbringen von Wild ablegen 
muß, ehe er zur Bewerbung um ein Weib 
zugelaffen wird. Die Schwächſten müſſen 
jedenfall3 mit den ältern, wenigit gefuchten 
Weibern vorlieb nehmen. Gute Beobachter 
nennen die Sitten der Buſchmänner weniger 
ausfchweifend, als fie von Lichtenftein 
und andern gejchildert wurden, und es 
ſcheint vor allem übertrieben zu jein, daß 
fie felbit in der Sprache feinen Unterjchied 
zwifchen Jungfrau und Frau machen follten. 
Für Ehebruch befteht aber dem Anjcheine 
nad) feine bejtimmte oder wenigſtens feine N 
jchwere Ahndung. Buſchmänner jelbjt ver: Tanzraffeln (nad Wood). Pol. Tert, S. 70. 
fiherten europäifhen Beobachtern, daß oft 

um den Belig der Weiber Mord und Totjchlag entftehe; aber fie meinten, daß e3 doch 
ihön fei, die Weiber andrer zu befigen. Die geringe Vermiſchung der Bufchmänner mit 
Kaffern beftätigt Chapmans Meinung, daß die Bufchweiber feine Ehre in der Vermiſchung 
mit ihren Herren fehen. Übrigens ift gewiß die Lebensweife der Bufchmänner nicht geeignet, 
eine ftarfe Sinnlichkeit zu nähren. 

Was die Stellung des Weibes anbetrifft, jo it fie in einfacher Konfequenz der 
gejamten Lebensweife diejes Volkes eine niedrige. Das erfte und durchgreifende Gefet 
ift auf diefer Kulturftufe das Recht des Stärkern, und die Folge diefes Geſetzes ift die 
Herabdrüdung des Weibes, welches der jchwächere Teil ift (wiewohl, wie wir bei ber 
Betrachtung des förperlihen Baues gejehen, der Unterſchied vom Manne gerade hier 
geringer als bei jedem andern Volke), auf die Stufe der Dienerin und fogar des Laſt— 
tieres. Die Weiber tragen auf der Wanderung außer dem größten Teile der Vorräte ihre 
Kinder, fie haben an den Raftplägen für Feuer, Nahrung, Waſſer, deſſen Beifhaffung oft 
eine ſehr ſchwere Aufgabe ift, für Geräte, furz für alles zu forgen, was nicht unmittelbar 
mit der Jagd zufammenhängt. Es ift eine der Wirklichkeit ficherlih wenig entjprechende 
Anſchauung, wenn ein neuerer Schilderer der Bufchmänner jagt, das Weib gebe bei diefen 
vebensgefährtinnen, bei den Kaffern Lafttiere ab. Der Unterjchied liegt hauptſächlich 
darin, daß dort Mann und Weib fih plagen müfjen, während hier der Mann faulenzen 
fann. Aber das Weib ift in beiden Fällen der leidende Teil. Dafür werden fie, wenn 
e3 an Nahrung mangelt, in erjter Linie verkürzt, und die Launen der Männer machen 
ih in Mifhandlungen ihrer Frauen Luft, welche nicht jelten zum Tode führen. Wird 





72 Die Bufhmänner. 


ein Weib ſchwach ober krank, fo daß es nicht mehr völlig friih mitmarſchieren und ſich 
nüglih machen fann, fo wird es oft ohne weiteres zurüdgelaffen und mag verihmadhten. 
Ebenſo ergeht es denen, die für dieſe Art Leben zu alt geworden find. Man ftellt dann 
eine Schale mit Wafjer, ein paar Wurzeln, ein Stüd Fleiſch neben fie hin und überläßt 
fie ihrem Schidjale, das wilde Tiere wohl bald vollenden werden. Man muß hervor: 
beben, daß auch Fälle von rührendem Edelmute aus dem Leben des Buſchmannes befannt 
find; aber die Gefühllofigkeit ift die Regel. Man würde jagen, daß es in der Behandlung 
der Kinder durd die Mutter fei, wo das Buſchmannherz noch am meiſten menſchliche 
Gefühle zeige, wenn es eben nicht das Tier im Menſchen wäre, deſſen natürliche Zärtlich— 
feit bier zum Durdbrude fommt. Das Kind wird von der Mutter in ber Negel lange 
Zeit gefäugt, dabei aber ſchon in den erften Tagen auch mit Wurzeln, welde jene ihm 
vorfaut, mit Fleiſch und andern feiten Nahrungsftoffen gefüttert. Aud das Tabaffauen 
lernt es fon früh. Ohne Reinigung, Wartung, Pflege, ohne Schuß für das Köpfchen, 
oft genug ganz bloß allen Witterungseinflüffen ausgefegt, wächft ein folder Wurm auf, 
um, wenn er Knabe, ſchon früh von feinem Vater in die Geheimniffe des Schießens, ber 
MWildfpuren, des Honigſuchens eingeweiht zu werden. Der Heine Burſche kann faum laufen, 
jo ift ſchon ein toter Vogel die Zielfcheibe des Pfeiles, den ihm der Vater gemacht hat. 
Die Liebe der Mutter bleibt aber dem Kinde noch lange, auch wenn es erwachſen ift, und 
fie weiß es im Notfalle zu beſchützen. Man kann den praftijchen Beweis dafür in der ein- 
fachen Thatfache jeben, dab die Mädchen, weldhe dem Vater nicht, wie die Knaben, Nugen 
bringen, überhaupt auffommen. 

Übrigens ift die Mutterliebe ein jo natürliches Gefühl, daß nur ein anfcheinend der 
feinern Empfindungen fo jehr bares Leben wie das der Bujhmänner dazu auffordern 
fann, einen Augenblid dabei zu verweilen, um zu zeigen, daß an der wichtigjten Stelle die 
Natur für die Entwidelung und Erhaltung notwendiger Gefühle forgt. Theophilus Hahn 
erzählt, daß einmal zu feinem Vater ein Bujchweib fam, welches ein totes Kind in den 
Armen trug und zum Erbarmen jammerte. Sie erzählte, wie ihr Kind harmlos vor der 
Buſchhütte gejpielt und plöglich gefchrieen hätte, weil ein Löwe es in den Leib gepadt hatte 
und eben damit abgehen wollte. Über das Feuer wegfpringen, das Kind bei den Beinen 
faſſen war nur ein Augenblid, aber die Beftie ließ nicht los, fondern biß nur ſchärfer zu 
und verlegte jo bie Eingeweide. Da ergreift die Mutter einen Feuerbrand und verjengt die 
ganze Mähne des Tieres, worauf dasjelbe die Beute endlich fahren läßt. Aber das Kind 
war tot. Es fam auch vor, daß bei einem feindlichen Überfalle eine Mutter ihre Kinder 
im Stiche laffen mußte; aber fie fchnitt ihnen raf ein Fingerglied ab in der Hoffnung, 
fie vielleicht jpäter einmal wiederzuerfennen und zu entführen. Iſt es nicht rührend, 
daß das einzige Erzeugnis buſchmänniſcher Handarbeit, welches einen koftbaren und cle- 
ganten Eindrud macht, der Sonnenfhirm aus Straußfedern ift, welchen zärtliche Buſch— 
weiber ihren Kindern mahen? Man hat gejagt, daf die Bufhmänner ihren Kindern feine 
Namen geben; dieſe Behauptung jcheint nur auf den erften Bli mit ihrer allgemeinen 
Unzivilifiertheit übereinzuftimmen. In Wirklichkeit ift fie aber unwahrfcheinlih, da die 
Namengebung, als eine natürlihe Notwendigkeit, ganz unabhängig von der Kulturftufe ift. 
Es wird denn thatjächlic) auch berichtet, daß die ſogenannten Nafenftodträger des Namaqua- 
landes ihre Kinder nach dem Orte nennen, an welchem fie geboren find. Nah Chapman 
werden die Verwandtichaftsgrade wohl unterjhieden, da Abjcheu vor Blutſchande befteht. 
Doch wiljen wir nichts von der Art der Vererbung. Die Scheu vor Schwiegervater und 
Schwiegermutter, wie fie den Kaffern eigen ift, findet ſich auch bei den Bufchmännern. 

Über gejellfhaftlihe und politifhe Verhältniffe der Buſchmänner ift nur 
fehr wenig zu jagen, denn fie nähern fich entfchiedener als die meiften andern Naturvölfer 


Familienleben. Geſellſchaftliche und politifche Verhältniſſe. Religion. 73 


einer Stufe, welche der Soziolog als die des roheiten Individualismus bezeichnen würde. 
Sind ſchon die Familienbande loder, wieviel mehr die des Stammes, von deſſen Zu: 
jammengehörigfeit oft fein andres äußeres Zeihen als fein Name und der gemeinfame 
Dialeft feiner Glieder ſpricht. Mehr zufällig fcheint es zu gejchehen, daß einzelne Familien 
fih zu Dörfern zufammenfinden und den angejehenften, einflußreich- 
ften der Männer zum „Kaptein” machen. Dauernde Organifationen 
find nicht daraus hervorgegangen. Übrigen® muß man bod) gerade 
hier den Umftand betonen, daß ihre raſch abnehmende Zahl natürlid) 
die Zufammenfaffung zu größern Gemeinjchaften noch ſchwerer machte, 
und fie mögen wohl in beſſern Zeiten auch mehr von Stammes: 
organijation bejejjen haben. Ohne an Levaillants angeblichen großen 
Buldmannftamm der Hufuana zu denken, die wahrjcheinlich Feine 
Bufhmänner waren, erinnern wir an Sparrmanns Angabe von 
Buſchmanntrupps, die aus hundert Familien bejtanden. 

Da die Religion eines Volkes genau zujammenhängt mit dem 
allgemeinen Kulturftande desjelben, jo dürfen wir aud bei den 
Buſchmännern nit eine klare und konſequente Ausprägung der 
Ideen von höhern Wefen, von jeelifher Fortjegung des menjchlichen 
Dafeins nad) dem Förperlichen Tode, von Naturgeijtern und derglei- 
hen erwarten, die das noch fo zeriplitterte Denken über die Dinge 
und die Gejchehniffe auch in den einfachſten Geiitern erzeugt. Die 
Bufchmänner haben religiöfe Vorftellungen, aber feine Religion im 
höhern Sinne. Den Zweifel peſſimiſtiſcher Geijter, ob irgend welche 
religiöfe Regungen in ihnen überhaupt vorhanden fein fönnten, kann 
man dahin löjen, daß allerdings Einzelne den Kopf nie hoch genug 
aus der Flut des Mühfales erheben können, um über die alltäglichften 
Notwendigkeiten des Lebens hinauszudenfen, daß aber ein Faden von 
Traditionen fih durch die Gejchlechter bis heute fortgejponnen hat, 
welcher Spuren religiöjer Ideen verbindet. In dem jehr dürren 
Sabre 1861 ftarb im Damaralande eine große Menge Wild und Vieh. 
Ein Buſchmann jagte damals zu Baines: „Der Höchſte tötet das 
Land“. Das Wort „Höchite” oder Häuptling nahm er aber dabei 
nicht aus feiner, jondern aus der Sitſchuanaſprache. Wer wird 
aus folder Thatſache jchliegen wollen, daß die einen einen Gott 
anerfennen und die andern nicht? Namen beweijen hier nichts. Alle 
Bulhmänner ohne Ausnahme tragen Amulette, womit fie entweder Gin Regenzauberholz, 
die böjen Geifter abzuwehren vermeinen, oder Glüd bei ihren Unter: auch Lärminftrument, beim 
nehmungen erhoffen. Um den Willen der Geijter zu erfahren, wür- heissen er ges 
feln fie. Ein Buschmann, der Livingftone begleitete, warf feine tin) Pıl Tert, €. 74. 
Würfel und erklärte, der Geiſt gebiete ihm, umzufehren. Sie ver: 
muten gleich allen andern füdafrifanifchen Völkern bejondere Dinge, die ihnen jelbjt nicht 
Har find, in gewijfen Tieren. So ißt z. B. ein Stamm Fein Ziegenfleilh, wiewohl in 
feinem Reviere die Ziege das häufigfte Haustier ift; andre verehren Antilopen, wieder 
andre eine „Ngo“ genannte Raupe. Arbouſſet berichtet folgende Mahnung eines jter: 
benden Buſchmannes an feinen Sohn: „Mein Sohn, wenn du auf die Jagd gehit, jo 
Ihau dich jorgfältig nah dem Ngo um und bitte e8 um Nahrung für dic und deine 
Kinder. Beobachte, ob es mit dem Kopfe einen Halbfreis bejchreibt; dies ift ein Zeichen, 
daß es dich erhört hat und du nod am ſelben Abend in deinem Munde einen Bifjen 





74 Die Buldmänner. 


Wild davontragen wirft. Biege aber dabei deinen Arm zurüd und beichreibe auch aljo 
einen Halbfreis wie unfer Gott.” Wenn ein Buſchmann auf der Jagd diefes Inſekt 
findet, fo betet er e8 um Jagdbeute und Füllung feines Magens an. Mit Klappern 
(j. Abbildung, ©. 73) ſuchen fie ih Jagdglück zu erzaubern. 

An Opfer erinnert das Abjchneiden der Fingerglieder, deffen wahren Sinn man 
nirgends gedeutet findet. Man begegnet aber felten einem Bufchmanne, deffen linfe 
Finger nicht einiger Glieder beraubt find. Die Reifenden haben hierüber verſchiedenartige 
Angaben erhalten, welche indejjen nicht unvereinbar find. Barrom erzählt, daß das 
Abhauen einer Phalange an der linken Hand das Heilmittel fei, zu dem fie bei jeder 
Krankheit greifen, um das franfmachende Prinzip zugleich mit dem Blute ausfließen zu 
laffen. Aber Thomfon, welder einen Buſchmann frug, wo er den feinen Finger jeiner 
linfen Hand verftümmelt habe, erhielt zur Antwort, daß feine Mutter alle vor ihm gebornen 
Kinder verloren habe, darum habe fie gleich nad feiner Geburt ihm ein Yingerglied ab: 
gefchnitten, um ihm das Leben zu erhalten. Endlich joll aber auch Trauer diefe Ver: 
ftümmelung veranlaffen, wenigſtens erhielt Burchell dieſe Erklärung von einem alten 
Bufchweibe, das beim Tode feiner drei Töchter fih eine Phalange des linfen und zwei des 
rechten Heinen Fingers abgejchnitten hatte. Alle diefe Bedeutungen mögen zutreffen, aber 
mehr Intereſſe als in ihnen liegt in der Thatjahe, daß überhaupt diefe Sitte hier 
vorkommt, der wir faft bei allen wilden Völkern und zwar am bäufigiten mit der Bedeutung 
des Sühnopferd begegnen. Gewiſſe Spuren von Glauben an eine Fortdauer nad dem 
Tode in irgend welcher Form find vor allem in den Denfmälern hervorragender Toten 
zu erbliden. Man wirft auf die Gräber der Häuptlinge, jolange ihr Andenken währt, - 
Steine, die zu Grabhügeln anwahfen, unter welchen dann jpätere Gejchlechter böje Geifter 
vermuten, die ihnen den Hals umdrehen, wenn fie nicht gleichfalls ihren Stein dazuwerfen. 
Livingftone fand am Suga das Grab eines Buſchmannes. Die begleitenden Buſch— 
männer baten ihn um Glüd auf die Reife, als ob er jie hören könne. Die Bufhmänner 
der Malutiberge haben ein Sprichwort: „Der Tod ift nur ein Schlaf“. Auf diefen 
Glauben deutet aber mit größerer Sicherheit als alle dieſe Anzeichen ihre Begräbnisweife. 
Die ganze Familie verläßt den Ort, an welchem jemand gejtorben ift, nachdem feine Hütte 
zerftört und ber Plab, wo fie ftand, in einen Steinhaufen verwandelt ift. Der Tote wird 
am Haupte gefalbt, dann einer Räucherung unterworfen und in ein in bie Erde gegrabenes 
Grab gelegt. Die Bufhmänner begraben ihre Toten in geftredter Lage, wobei weder in 
der Himmelsrihtung, nad) welcher das Kopfende des Grabes liegt, noch in der Art, wie die 
Arme und Beine gelegt werden, eine beftimmte Regel zu herrichen jcheint. Nur Campbell 
gibt an, daß ein alter Buſchmann ihm gejagt habe, die Sonne würde fpäter aufgehen, 
wenn man bie Toten nicht mit der Sonne zugewandtem Gefihte begrübe. Sie ttellen dann 
Steine dahförmig über dem Leichname zufammen, um das Nachrutſchen der Erbe zu ver: 
hindern, und häufen andre Steine in längliher Grabform darüber zufammen. Die Mit: 
gaben beftehen aus den Gegenftänden des täglichen Gebrauches, oft aus für Buſchmann— 
begriffe ziemlich wertvollen. So fand ©. Fritich in einem Buſchmanngrabe bei Colesberg 
Blechſchüſſel, Becher und Schafichere, Tegtere dem Begrabenen wie ein Schwert auf die Bruft 
gelegt. Die wild lebenden Buſchmänner jollen dem Toten ftet3 alle feine Waffen mitgeben. 

Gewiſſe mythiſche Vorftellungen find erwähnenswert, wie trümmerhaft fie uns auch 
icheinen. Die Bujhmänner der nordweitlihen Kalahari glauben an einen Draden von 
Schlangengejtalt, doppelter Dianneslänge mit feuerrotem Kamme und Bartlappen, glän- 
zend bunter Haut, dumpfem, hennenartigem Gadern, durch welches er Menſchen irre leitet. 
Auch in Höhlen wird fein Wohnort vermutet. Die Krofodilnire der Hottentotten ſcheint 
bei den Bujchmännern des Hererolandes zu einem Waffergotte geworden zu fein. Unbekannte 


Opfer. Begräbnismweife. Buſchmannmythologie. 75 


Geräte und dergleichen ber Europäer werden als von Geiſtern bejefjen betrachtet. So ſetzte 
ein Buſchmann über die Spur des erſten Wagens, ben er ſah, mit gewaltigem Sprunge, 
um nicht die Wut des „großen Tieres” zu reizen, und jeder wähnt den weißen Dann 
reih an Zaubermitteln. Die profeffionellen Zauberer der Kaffern haben fich nicht zu 
ihnen verirrt; die Bufchmänner haben ſelbſt Phantafie genug und wiſſen mehr von der 
Natur als dieje. Kein afrikaniſches Volk Hat einen reihern Schab von Tiermythen. 
Aus den reihen Sammlungen bufhmännifcher Sagen, Märchen 2c., welche er haupt: 
jählich aus dem Munde einiger Kapbufchmänner aus der Gegend der Katfop- und Stronte: 
berge gefammelt, entwarf W. Bleef eine Überfiht der Grundzüge der Buſchmann— 
mythologie. Wir teilen ihre wichtigften Punkte hier mit. Die hervortretendjte Figur 
in den Bujhmannerzählungen ift immer die Seufhrede, Kaggen, um welde ein ganzer 
Kreis phantaftiiher Beziehungen ſich zieht. Die Heufchrede führt mehrere Namen und 
ebenjo ihr Weib, deſſen Name an den des Klippfchliefers oder Kapdachſes erinnert. Ihre 
angenommene Tochter it das Stadhelichwein, deſſen wahrer Vater der „Allverzehrer”, mit 
welhem es aus Furcht, aufgefreifen zu werden, nicht zu leben wagt. Es ift verheiratet mit 
dem Kwammana, und ihr gemeinfamer Sproß ift der kluge Ichneumon, der als Helfer und 
Ratgeber ſeines Großvaters, der Heuſchrecke, und als Aufdeder feiner Mifjethaten eine 
große Rolle jpielt. Aus dem Sagenkreiſe der Heuſchrecke mögen gleichſam die Gerippe einiger 
Erzählungen bier hervorgehoben werden: Die Heufchrede nimmt einen Schuh Amwammanas, 
verwandelt ihn in eine Elenantilope, welche fie fi als Spielzeug im Rohre hält und mit 
Honig nährt. Der Jchneumon wird nun ausgejandt, um zu jehen, warum die Heufchrede 
feinen Honig heimbringt; aber indem jener die Antilope aus dem Rohre ruft, wird er von 
diefer in einen Sad geſperrt, macht jedoch auf den Rat feines Großvaters ein Loch in die— 
jelbe, und biefer ruft nun die Antilope aus dem Rohre und ſchießt fie nieder. Die Heu: 
ichrede findet ihren toten Spielgenoffen und weint bitterlich, fie folgt der Spur und findet 
zwei Meerfagen, die das Blut auffammeln, und von denen eine bie Heujchrede heftig auf 
das Geweih der toten Antilope niederwirft. Die Heufchrede verbreitet aber Dunkelheit 
rings um fi, indem fie die Galle einer andern Elenantilope durchbohrt, entflieht und liegt 
zu Haufe nieder, als die Sonne noch hoch jteht. Die Meerkatzen aber hängen das in Streifen 
geichnittene Fleifch der Antilope auf einen Baum und dazu ihre Waffen und Kleidungsftüde. 
Diefer Baum erhob ſich in der Naht, als fie Ichliefen, und ſchwebte zu der Heujchrede 
und dem Ichneumon, die beim Erwachen ihrer Feinde Gut in Befig nahmen. Eine von 
den Meerfagen hatte bloß ihren Gürtel anbehalten und machte daraus einen Schwanz. 
Eine Gefhichte über den Urfprung des Mondes jchließt ſich der eben jfiszierten an. 
Als die Meerkagen die Heufchrede, wie wir jahen, übel behandelten, zerriß dieje die 
Blafe einer Elenantilope auf einem nahen Buſche und erzeugte Finfternis; als es ihr aber 
zu dunkel wurde, warf fie ihren Schuh in den Himmel mit dem Befehle, daß er zum 
Monde werden ſolle. Da der Schuh der Heufchrede den Staub des Buſchmannlandes 
trug, ift der Mond rot, und weil er bloß von Leder, ijt er kalt. In andern von biejen 
Heuſchreckengeſchichten kämpft die Heldin diefes Kreifes mit einem Weſen, das Augen in 
den Füßen hat, und in weldhem Bleef das Srrlicht zu jehen meint; auch fämpft die Heu: 
ichrede mit der Kate, die einen Geſang auf den Luchs fingt, welcher behauptet hatte, daß 
die Kate nicht jo fehnell laufen Fönne wie er; dann wird fie von der Mutter des Hyänen: 
hundes verjengt, den fie röften wollte, erneuert aber ihre Flügel, indem fie ins Waſſer 
taucht; ein andermal nimmt fie die Eier eines fabelhaften Vogels, die ihr am Munde und 
auf dem Rüden Eleben, bis fie diefelben wieder in das Neft zurüdbringt; dann hat fie 
wieder Kämpfe mit den Zeden, die fi in den Vliefen ihrer Schafe verbergen, ıc. Eine 
der intereffanteften Geihichten ift der Raub des der Heufchrede als Spielzeug dienenden 


76 Die Buſchmänner. 


Springbodes durd eine Elefantin, die ihr eignes Kalb dafür zurüdläßt; diefes wird aber 
durch feine unartifulierten Antworten auf bie Fragen der Heufchrede entdedt und von 
diefer getötet. Darauf verfolgt fie die Elefantin, die ben Springbod verfchlingt; dieſem 
folgt jene in den Magen der Elefantin nad, die nun ftirbt, worauf die Heufchrede mit 
ihren Genofjen den Weg dur die grimmigen Elefanten hindurch heil nad) Haufe findet. 

Wenn auch die Heufchrede ein außerordentlich häufiger und vielfeitig ſich zeigender 
Stoff der Bufhmannfabeln ift, jo jcheinen doh Sonne und Mond eine höhere 
Stellung einzunehmen; denn zu ihnen wird gebetet, während jene mehr eine jcherz- 
hafte, unterhaltende Figur ift, der nichts von Verehrung zukommt. Bleek hat feinen 
Zweifel, daß die Buſchmänner zur Verehrung ber Himmelsförper fortgejhritten jeien. 
Eine gute Beobahtung der Vorgänge am Himmelszelte bezeugen nicht bloß einige von 
ihren Märden und Mythen, jondern auch ihre eigne Kenntnis der Sterne und bie 
Namen, die fie ihnen geben. Bon jenen heben wir die Gejchichte von der Sonne her: 
vor, die al3 Mann auf der Erde lebte und aus der Adhjelhöhle Licht ausftrahlte, das 
aber nur einem Eleinen Raume um die Hütte zu gute fam, weshalb von ben eriten 
Bufhmännern einige Kinder ausgefandt wurden, um fie in den Himmel zu werfen, 
woher fie ſeitdem allen fcheint. Der Mond, der auch bei den Bufchmännern männlichen 
Geſchlechtes ift, ericheint nicht immer als ein Stüd Leder, wie in der Heufchredenjage, 
fondern, wo er jelbftändig auftritt, al3 ein Mann, von dem die Sonne in ihrem 
Zorne mit dem Meffer (ihren Strahlen) Stüd für Stüd abfchneidet, bis er bittet, fie 
möge doch noch ein bißchen für feine Kinder übriglaſſen; diejes bißchen wählt dann 
wieder, bis es Vollmond wird, um neuerdings von der Sonne bejchnitten zu werben. 
Der Mond ift eine Schöpfung ber Heufchrede, deshalb kann er auch ſprechen, denn 
„alles, was der Heufchrede zugehört, ſpricht“. Mit dem Monde wird auch der Urfprung bes 
Todes in Verbindung gebracht, aber etwas anders als bei den Hottentotten. Die Mutter 
des jungen Hafen (ſ. S. 30) ift tot, und der Mond fchlägt diefen legtern mit der Fauft 
auf den Mund, weil bie alte Häfin nicht wieberfommen wird wie der Mond. In einer 
andern Gefchichte jagt der Mond zum jungen Hafen umgefehrt, ev möge nicht weinen, 
feine Mutter werde wiederfommen; jener weint aber fort und jagt, der Mond wolle ihn 
nur täufchen, worauf diejer den für die Gefichtsform des Hafen jo entjcheidenden Schlag 
thut. Auch die Hottentottenform (ſ. S. 107) kommt bei den Buſchmännern vor. Busch: 
mannlinder rufen dem wachjenden Monde Hohnworte zu, was die Eltern ihnen verweijen; 
der Mond wird darüber ärgerlich und „geht in den Himmel, d. h. er verfinftert fich. 
Wenn „fein Herz wieder behaglich“ geworden, Fehrt er wieder. 

Von allen Sternen ift der Canopus den Bujhmännern am befannteften; fie haben 
fünf verjhiedene Namen für ihn und haben auch Bildernamen für Sterngruppen. So 
nennen fie Orions Gürtel drei Scildfrötenweibden, an einem Stabe aufgehangen; 
Kaftor und Pollux die Elenfühe, Procyon das Elenmännden; @, 3 und y des Südlichen 
Kreuzes die Lömwinnen; die andern Sterne desjelben Bildes Löwen; Magellans Wolfe 
nennen fie Steinbod; Achernar den Stein des Gterngrabftodes ꝛc. Auch haben fie 
Namen für die Planeten, und an diefe Namen knüpfen ſich wieder die merfwürbdigiten 
Mythen. Die Namen für Sternbilder beziehen fidh bei den Buſchmännern nicht zunädhit 
auf die Form, fondern auf die Zeit des Erfcheinens oder irgend welchen Zufammenhang, 
in dem fie mit andern Gejchöpfen gedacht werden. Vom Urfprunge der Sterne haben 
fie die Sage, daß ein Mädchen von dem frühern, den Buſchmännern vorangehenden 
Volfe Licht zu machen mwünjchte, damit die Leute ihren Weg nah Haufe füunden; fie 
warf daher glühende Ajche in den Himmel, und biefe wurde zu Sternen. Für die 
Südliche Krone haben fie folgende Geihichte: Ein Mädchen, das man nicht hätte anfehen 


Mond: und Sternjagen. Tiergefhichten. 17 


jollen vor Furcht, daß fie einem Übles zufüge, ſah Leute von der Reifighütte eines 
Klippfchliefers eſſen, worauf diefe durch ihren Blid erjtarrten und zu Sternen am Himmel 
wurden. Durd einen ebenjolhen Blid wurden die Löwen des Süblihen Kreuzes zu 
Sternen, die durch befondere Namen umterfchieden werden. Don ihnen geht folgende 
jeltjame Geſchichte: Es waren zwei Vogelpaare, worunter ein blauer Kranich, deren beide 
Männchen von jenen Löwen gebraten wurden. Das Weibchen Ki verjhmähte das 
Fleifch ihres Mannes, welches diefe ihr anboten; der blaue Kranicd nahm es jedoch an 
und wurde ebenfalls gefrejlen. Ki ging nun famt ihrem Kinde zu der Krähe, die auf 
einem Dornbufche wohnt, und wurde von diejer mit einem Stride aus Gemshaut hinauf: 
gezogen. Die Krähe aber machte Feuer und erhigte Steine. Der Löwe Gu, welcher Ki 
verfolgte, fam nun und wollte ebenfall® hinaufgezogen werben, weshalb Ki auf Geheiß 
der Krähe einen Strid aus Mausdärmen hinabließ, welder brach und den Löwen ins 
Feuer ftürzen ließ, wo er briet. Der andre Löwe, Thane ta hou, fam, vom Fleischgeruche 
angelodt, heran, während die Vögel fich entfernt hatten, und nahm ein Stüd Fleisch aus 
der Hüfte jeines Genofjen, der nun plögli erwachte, auffprang und ein Stüd feines 
eignen Fleiſches begehrte, das die beiden zuſammen verzehrten. Nun jagten fie vergebens, 
bis fie ein Schildfrötenmännden ſahen, welches Gu, ohne e3 mit feinem Genofjen zu teilen, 
gierig verichlang. Sobald nun Gu an ein Waſſer fam, rief legterm die Schildkröte, es folle 
austrodnen; wenn Wild ſich näherte, hieß fie dies fliehen, und wenn Menſchen famen, bat 
fie, mit Feuerbränden nad) dem Löwen zu werfen. So erhielten die beiden Löwen nichts. 
Sogar ein altes lahmes Weib, das mit einem jungen Hafen lebte, entging ihnen. Gu 
jtarb endlih Hungers, worauf der andre Löwe bald wieder Nahrung gewann. 

Der Planet Jupiter, welder den Namen „Dämmerungsherz” trägt, hat zur Tochter 
einen der Sterne, die furz vor ihm aufzugehen pflegen. Er nennt feine Tochter „mein 
Herz“, verfchludt fie und fpeit fie wieder aus; diefelbe wird dann ein „Dämmerungsherz‘‘ 
und jpeit ein „Dämmerungsherzlind” aus, welches beiden folgt. Die erjtere war ein Luchs, 
damals in Geftalt eines ſchönen Weibes, dem eine jüngere Schwefter den Grabftod nad): 
trug. Ihr Gatte verbarg ihr Kind unter dürrem Laube einer efbaren Wurzel in ber 
Hoffnung, fie werde es finden. Vorher famen aber andre Tiere, und jedes gab vor, e3 
fei des Kindes Mutter; das Kind aber verjpottete alle und erfannte zulegt feine Mutter. 
Unter den Berfpotteten waren auch Schakal und Hyäne, welche die Mutter, den Luchs, 
vermittelft verzauberten Buſchmannreiſes in eine Löwin verwandelten, worauf die Hyäne 
ihren Plaß einnahm, aber von dem Dämmerungsherz entdedt wurde, welches die Hyäne mit 
dem Speere verwundete; im Fliehen verbrannte fie ihren Fuß (daher ihr Hinfender Gang). 
Die verzauberte Mutter wurde von ihrer jüngern Schweiter aus dem Rohre gelodt und 
von ihren Brüdern gefangen, die ihr die Löwenhaut abzogen und fie jo wieber zum 
Weibe machten. Da fie aber mit „Bufchmannreis‘ verzaubert worden war, konnte fie 
diefen nun nicht mehr eſſen, jondern wurde in einen Luchs verwandelt, der Fleiſch ißt. 

Unter dieſe Geſchichten find lange Selbjt: und Zwiegejprähe gemifcht, welche Syänen, 
Löwen, Schafale führen, auch manche kleinere Tiergejhichten oder Fabeln, von welchen hier 
eine Platz finden mag: Der Ameijenfreffer fragt in einer Herde von Springböden jebe ein- 
zelne Mutter, ob ihr Kind ein Weibchen fei; alle behaupten, nur Vöckchen zu Haben, bis auf 
eine, die thöricht genug ift, die Wahrheit zu jagen. Der Ameijenfreffer bietet num diejer von 
feinem Futter an und hält jo lange ihr Kind; während fie aber it, flieht er mit dem legtern 
in feine Höhle und Heißt die klagende Mutter fortgehen. Da diefe von dem Springbode 
über den Verluft feines Kindes gefcholten wird, ſendet fie den Luchs, es zu fangen. Dieſer 
vollbringt den Auftrag und fängt dazu den Ameifenfreffer in feiner Bogenfehne wie in 
einer Schlinge. Diejer aber macht ſich los und hält dem Luchfe und andern Tieren eine 


78 Die Buſchmänner. 


lange Rede über das Futter, welches verſchiedenen Tieren zukomme, und darüber, daß ihre 
Heiraten paſſende fein ſollten. Ahnliche Reden kehren auch über die Sitten und Gemohn- 
heiten mander andrer Tiere wieder, wobei unter anderm auch gejagt wird, baß der Schafal, 
der Hyänenhund und andre einft Menſchen geweſen jeien, daß abgefallene Straußfedern zu 
männlichen Straußen werben und dergleichen. Letzteres wird mit dem Wiederaufleben des 
Mondes verglichen, wobei ausbrüdlich gefagt ift, daß alle andern Dinge ohne weiteres fterben, 
der Mond und die männlihen Strauße aber wieder zum Leben gelangen. Auffallend 
häufig tritt das „frühere Wolf“ hervor, welches den Bulhmännern voranging. Auch werben 
Männer durch den Blick gewilfer Mädchen in Bäume und dergleichen verwandelt, Mädchen 
in Fröſche, Karoſſe in Springböde und fo fort. Endlich find zahlreiche kürzere Gedichte 
durch alle diefe Geſchichten hin zerftreut, darunter Gebete an Sonne, an Mond, an Sterne. 
Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß erlebte oder mindeftens wahrjcheinliche Tier: 
geſchichten feinen Heinen Raum in dem Schage von Erzählungen einnehmen, aus dem bie 
Buſchmänner den beffern Teil ihrer endlofen Plaudereien ſchöpfen. Auch hier greift indefjen 
die Phantafie oft noch mächtig über. Der Löwe fpielt in diefen Geſchichten die erfte Rolle, 
die Hyäne und der Schafal die zweite. Ein charakterijtiiches Beiſpiel ift folgendes: Eine 
Horde Bufchmänner, bie ihr Land verließ, um dem Hungertode zu entgehen, ließ ein 
altes Weib liegen, das zu ſchwach war, um zu gehen. Eine Hyäne fand fie und trug fie 
auf einen Berg; fie aber tötete die Hyäne, fochte fie in einem alten Topfe, den fie fand, 
und aß von ihr. Sie wurde dadurch jo ftark, daß fie ihrem Volke folgen fonnte und in 
guter Verfafjung bei demjelben anfam, als dasfelbe noch immer hungerte. 

Die dramatifche Lebendigkeit und Wirfung diefer Erzählungen wird ungemein dadurch 
erhöht, dab in der Negel in den Tiergejhichten der Buſchmänner die Tiere die Buſch— 
mannfprade in einer für jedes einzelne bezeichnenden Weife jprechen, wobei ber Er: 
zähler feinem Munde die für den bes betreffenden Tieres dharakteriftiihe Form zu geben 
fucht. Es kommen dabei noch mehrere Schnalzlaute außer den gewöhnlichen zu ftande, 
und Bleef hält es für wahricheinlich, daß dies auf das frühere Vorhandenjein von mehr 
als fünf Schnalzlauten in der Buſchmannſprache hindeute. 

Merkwürdig Hingt eine Darftelung bujhmännifher Mythen aus dem Munde eines 
Buſchmannes!, der mit Europäern nie vorher in friedlichen Verkehre geweſen war. Anlak 
gaben die jehr häufigen Felszeihnungen in den Malutibergen. Ich begann ihn, berichtet 
Orpen, zu fragen, was die Bilder von Männern mit Nehbodföpfen bebeuteten. Er 
antwortete: „Es find das Männer, die geitorben find und nun in den Flüffen leben und 
welche zur jelben Zeit verderbt wurden wie die Elentiere und zwar durch die Tänze, von 
welchen Ihr die Bilder gejehen habt”. Ach frug ihn nun, wie und wann die Elentiere 
verderbt worden feien? Er begann ſich zu erklären und gebraudte das Wort Cage. Er 
fagte: „Cage ſchuf alle Dinge, und wir beten zu ihm“. Sch frug, ob er gut oder böje ei? 
Er antwortete, zuerft jei er jehr gut gewejen, aber er ſei immer böfer geworden, da er jo 
vieles habe durchkämpfen müſſen. Ach frug: „Wie betet ihr zu ihm?” Antwort (in leifem, 
flehendem Tone): „D Cage! D Cage! Sind wir nicht deine Kinder? Siehft du nicht unfern 
Hunger? Gib uns zu eſſen.“ Dann gibt er uns beide Hände voll. Sch frug: „Wo ift 
Gage?” Er fagte: „Das wijjen wir nicht, aber die Elentiere wiffen ed. Haft du nie 
gejagt und feinen Schrei gehört, wenn die Elentiere plöglich auf und davongehen, um 
feinem Rufe zu folgen? Mo er ift, da find die Elentiere herdenweiſe wie das Vieh.” Er 
hatte Eoti, das Weib Cages, erwähnt, und daß Cage das erfte Weſen fei. Als ich ihn frug, 
wo denn Coti hergefonmen fei, jagte er: „Ich weiß nicht, vielleicht mit denen, welche die 


Nah J. M. Drpens Erzählung im „Cape Monthly“ 1874, Band 9. 


Fabeln und Erzählungen. Verbreitung der Buſchmänner. 79 


Sonne bradten; aber du fragft da Geheimniſſe, von denen nicht gefprochen werden darf“. 
Ich frug, ob er die Geheimnifje fenne? „Nein, nur die in jenen Tanz eingeweihten Männer 
fennen fie”. Der Freund bufchmännifcher Traditionen wird in dem eben angezogenen Auf: 
ſatze noch eine ganze Anzahl von Sagen finden, weldje die von Bleek mitgeteilten teilweiſe 
erheblich bereichern. Hier ſei nur noch einiges über Cage und die verdorbenen Elentiere 
angefügt: Cages Weib Coti gebar ein Elentier, welches Cage nod nicht kannte. Er frug: 
„Biſt du dieſes Tier? bift du jenes Tier?“; aber es blieb ftil, bis er frug: „Bilt du das 
Elentier?”, worauf es antwortete: „Aaaa!” Gage wollte es nun im ftillen heranwachſen 
lafjen an dem Orte, wo er zum Beten der Menjchen alle andern Tiere, auch Fallen und 
Waffen und den Wind ſchuf. Aber jeine Söhne fanden das Elentier, jagten und töteten es. 
Cage wurde hierüber jehr ergrimmt und machte aus dem Blute des jungen Tieres erit 
Schlangen, dann Hartebeeſts, dann Elentiere. Bon den leßtern tötete er einige und gab 
ihr Fleifch den Menſchen, die dadurdy verdorben und wild wurden. So wurden Elentiere 
und Menſchen zugleid verdorben. Bleek hat in einigen Bemerkungen hervorgehoben, daß 
der Name Gage nichts andres bedeutet als Kaggen der Weltbufchmänner, die Heufchrede, 
welche eine jo große Rolle in den von ihm gefammelten Buſchmannſagen fpielt. 

Zum Schluffe einige Worte über die geographiſche Verbreitung ber Buſchmänner. 
Während von den Stämmen der eigentlichen Hottentotten feiner über den 19.0 füdliher Breite 
binausreicht, gehen die wejentlichiten von ihren anthropologiihen und linguiftifchen Merk: 
malen noch eine gute Strede weiter nad) Norden, wo fie eben von dieſem Volke ver Buſch— 
männer getragen werben. Diejelben teilen fich mit den Hottentotten in den Südweſten 
Afrifas. Sie bewohnen die Kapfolonie von der Kafferngrenze im Südoften bis faft zur Küfte 
im Nordweſten. Zurüdgedrängt in die Gebirge und Wüften, führen fie ein im Vergleiche zu 
den Hottentotten elendes und zerfplittertes Dafein. Entſprechend ihrer ſchweifenden Lebens: 
weife, ziehen fie meift in Heinen Trupps umher und finden fi nur in wenigen Gegenden 
in größerer Zahl beifammen, hauptfählih im Bujhmannlande, welches im Nordweſten 
der Kolonie gegen den Dranje zu gelegen ift. Zu Anfang diejes Jahrhunderts wohnten 
die Bufhmänner nod unmittelbar nördlid vom Unter-Bokkeveld, waren aber zu Lichten— 
fteins Zeit bereit3 nad Dften gezogen, wo fie damals die Bewohner des Roggeveld be: 
unrubigten. Nur wenige Heine Horden waren noch übriggeblieben, die fich indeffen durch 
ein jährliches Gefchenf an Schafen und Ziegen (Tribut), das ihnen die Koloniften regelmäßig 
machten, in Ruhe halten ließen. Auf Zofationen find fie, teils aus eigner Unluft, teils 
aus Widerftand der Boeren, nicht zu bringen gewejen, fo daß nur eine einzige Bufch- 
mannfiedelung am Fuße des Stormberges ſich findet, wo fie mit Yingu und Hottentotten 
zufammenmwohnen. Dann teilen fie aber ferner aud die Site der Namaqua zu beiden 
Seiten des Aub, wo fie ebenfalld nur durch Zerfplitterung und umberfchweifendes Leben 
in den wüſteſten und gebirgigften Gegenden der gänzlichen Unterdbrüdung entgehen. Und 
ebenfo bewohnen fie die Kalahari, deren Herrfchaft fie mit feinem andern Volke teilen, 
denn der hierher verfprengten Bafalahari und andrer Betichuanen find es wenige. Aber 
fie gehen noch weiter nordwärtd. Wir finden fie bei den Ovambo, die bis zum Cunene 
wohnen, in einer Stellung, die zwifchen Dienftbarfeit und Freiheit jeltfam ſchwankt, und 
begegnen ihnen bei den Völkern um den Ngamijee wieder, wo fie in Unabhängigkeit den 
Weſten und Nordweiten des Sees bewohnen, während fie in Unterbrüdung bei den Bayeye 
und Betſchuanen bis zu fünf Tagereifen nördlich; vom See durch Anderffon aufgefunden, 
von Lipingftone aber noch weiter öftlich von demfelben nachgewiefen wurden. Dies rüdt 
ihre Grenzen und damit überhaupt die fompakte Verbreitung der gelben Völker Südafrifas 
bis zum 17.° nördlicher Breite vor. 


80 Die Hottentotten. 


4. Die Hottentotten." 


„Man wird nicht länger dulden, dab die Kol⸗Koin zu den niebrigfien Menichenraffen 
gezählt werden.’ D. Peſchel. 


Inhalt. Körperlihe Merkmale: Hautfarbe. Bau der Haut. Verfilzung ber Haare. Knochenbau. 
Schädelform. — Kleidung und Shmud: Karof. Vemalung und Einfchmierung ber Haut, — Geräte 
und Waffen: Hausrat. Waffen. Fechtweiſe. Jagd. Jagdaberglaube. — Hütten und Dörfer: 
Herftellung der Hütten, Viehlral. Dörfer. Übergang vom Nomadismus zur Anfäffigleit. — Vieh— 
zucht und Aderbau: Haustiere. Wartung der Rinder, Schlachten. Aderbau, — Ernährung: Tie— 
rifhe und pflanzlide Nahrung. — Genußmittel: Tabaf, Dada, Branntwein. — Handfertigfeit: 
Leder, Matten, Thongefähe, Eijenarbeit. — Kunftübung: Die mufitaliihen Inſtrumente. Gom-Gom. 
Begabung für Muſik. — Lebendgang des Hottentotten: Geburt, Ramengebung. Erziehung. 
Beichneidung. Heirat. Begräbnis. — Neligiöfe Ahnungen: Gefpenfterglaube. Mondverehrung. Spuren 
eines Gotteöglaubend. Hottentottenfagen. Heitfi-Eibib und Tſui-Goab. — Politifche Organifation: 
Loderheit der politifchen Organifation. Der Häuptling und bie Älteften. Gaſifreundſchaft. Ahndung 
des Morbed, Die Familie Afrikaner. — Anhang: Der Baftarbftamm der Griqua. 


Die anthropologifhen Merkmale der Hottentotten liegen vorzüglid in der fahl: 
gelben Farbe der Haut, dem Fraufen, verfilzten Haare, der gebrüdten, langen Schädelforn 
mit jchmaler Stirn, den ſtark vortretenden Backenknochen, dem ſchwach entwidelten Najen- 
beine und in der Neigung zu Fettſteißbildung. Es find das, abgefehen von den Haaren, 
nicht die Merkmale, an denen wir den Neger erkennen, und aljo nit die Merkmale 
der „afrikanischen Raſſe“, jondern es fcheint vielmehr auf den erften Blid die gelbe oder 
gelbbraune Körperfarbe ſowie das breite Geficht mit den ſtarken Backenknochen voll- 
fommen jenen von manden Reijenden gezogenen Vergleich zwifchen Hottentotten und Mon: 
golen zu rechtfertigen. Es ift für viele zutreffend, was Th. Hahn von den Namaqua 
jagt: „Ihre Erſcheinung hat etwas Mittelaſiatiſch-Mongoliſches“. Doc kann dies nur 
ganz im allgemeinen und hauptſächlich als Gegenjag zu den von allen Völkern weißer 
und gelber Raſſe jo viel ſchärfer unterjchiedenen Negern verftanden werden. Es gilt bei 
näherer Betradhtung weder von ber Körpergeitalt noch den Einzelheiten des Gefichtes dieſe 
Atatenähnlichkeit, und vor allem möchte ſchon hier darauf hingewieſen fein, daß die angeb- 
liche jchiefe Augenftellung, welde Sparrmann von „hinefiihen Hottentotten“, Barrom 
von einer „frappanten Ähnlichkeit zwiſchen Hottentotten und Chinefen” und Prichard von 
einer entjprechenden „Ähnlichkeit der Hottentotten mit den Kalmüden” ſprechen ließ, nad) 
neuern Forihungen keineswegs in der Weife vorhanden ift, wie es angenommen wurde. 

Suden wir den durchſchnittlichen Hottentotten zu fehildern. Wir haben einen Menfchen 
von etwas unter mittlerer Größe, welde am häufigften zwifchen 145 und 160 cm 
ſchwankt, in einzelnen Individuen, befonders im Stamme der Namaqua, aber erheblich über 


ı Bon dem feit MO Jahren bei den Europäern allgemein gebräudlihen Namen Hottentott ift es 
taum zweifelhaft, daß er von den Hollänbern des 17. Jahrhunderts den Koi⸗Koin wegen ihrer feltfamen, 
an Stammeln erinnernden Sprache oder wegen ihrer angebliden Dummheit oder, wie andre wollen, ſogar 
wegen bed Getrampels bei ihren endlojen nächtlichen Tänzen beigelegt morben ift. Nur der Merkwürdig-— 
feit wegen fei hier erwähnt, daß man von gelehrter Seite fogar eine arabifhe Wurzel darin bat erfennen 
wollen (Sutherland). Der Name Koi-Koin (d. 5. Menſch), mit welhem die Hottentotten ſich felbit 
benennen, ift neuerbings auf die Gefamtheit der hellfarbigen Südafrifaner angewandt worden und hat ba: 
burd an Begriffäbeitimmtheit verloren, weshalb wir vorzogen, bei den alten Ramen Bufchmänner und 
Hottentotten zu bleiben. 


Anthropologiihe Merkmale. Hautfarbe, 8] 


dieſe Zahl hinausgehen ſoll. In feinem Außern ift am meijten auffallend die fahlgelbe 
Farbe, die Barrom vielleicht am treffenditen bezeichnet, wenn er jie der eines dürren 
Blattes vergleicht, oder Peter Kolb, wenn er fie dunfelgelb und nußbraun nennt, während 
Kenner der Javanen jih an Färbungen erinnert fühlen, wie fie bei Völkern malaiischer 
Raſſe vorfommen. Was aber die Färbung der Hottentotten amı jchärfiten charafteri- 
fiert, it das Grau, welches ihr beigemifcht iſt. Wiele Beobachter heben basjelbe als 
das bezeichnendfte äußere Merkmal hervor, und es ijt jo hervortretend, daß es ſicher— 





Männer der Namagaua (nad Photographien im Befihe des Heren Dr. fyabrt in Barmen). 


lich nicht zuläffig it, die Hottentotten einfach gelb zu nennen; es ift vielmehr richtig, 
fie als fahl zu bezeichnen. Übrigens gibt es auch, als feltenere Varietät, rötliche 
Schattierungen, welde an die Farben erinnern, die man bei Indianern häufig findet. Die 
Handteller und Fußiohlen find heller als der übrige Körper. Die Farbe der Schleimhäute, 
ber Lippen zc. ift graulih. Sie wie aud die Wangen jheinen fich erſt bei Vermiihung 
mit europäiſchem Blute zu röten. Da der Hottentott weniger Farbtoff in der Haut hat 
als beijpielsweife der Neger, jo heilt ihn auch die Vermifhung raſcher auf. „Man fieht 
häufig“, jagt ©. Fritſch, „Individuen, welche noch den charakteriftiihen Schnitt des 
Geſichtes tragen, während die Hautfarbe, befonders beim weiblichen Gejchlechte, To hell ift, 
daß ein viel in Luft und Sonne fi) bewegender Europäer oder ein in Afrifa aufgewachſener 
Nachkomme europäiicher Eltern dunkel dagegen erſcheint; der eigentümliche, nicht unſchöne 
Ton, welcher bei jolhen Frauen das Geficht überzieht, läßt fich am beften mit dem Teint einer 
ſpaniſchen Donna vergleichen.” Derjelbe Reifende hat uns zum eritenmal aud mit andern 
VBölferfunde. I 6 


82 Die Hottentotten. 


raſſenhaft verichiedenen Eigenichaften der Haut bei den Hottentotten befannt gemadt. Er 
bezeichnet diejelbe al3 weder jo did und feſt wie die der Neger noch mit jo durchdringendem 
Geruche ausgeftattet. Es ift natürlich bei der den Hottentotten jehr allgemein eignen 
Unreinlichfeit ſchwer, von Geruchloſigkeit der Haut zu Iprechen; aber der ftarfe jpezifiiche Ge: 
ruch der Neger iſt bei den Hottentotten nicht vorhanden. Die trodne, welfe Haut hat eine 
große, jchon in frühen Jahren erjcheinende Neigung zu Falten: und ſelbſt zu Furdenbildung. 

Die Haare der Hottentotten find wollig und dicht verfilzt, aber die Windungen 
ber einzelnen Haare find enger und damit die legtern Fraufer als bei den Negern. 





Mädchen der Namagua (nad — im Beſihe des Herin Dr. Fabri in Barmen). 


Die Verfilzung führt häufig zur Bildung Heiner, knötchen- oder zöpfchenartiger Ver: 
einigungen, zwijchen welchen leerere Stellen vorfommen; doch beruht dies nicht in erjter 
Linie auf einer büjchelartigen Anordnung der Haarwurzeln, jondern auf der Verfilzung 
der zunächſt jtehenden Haarpartien; immerhin ift aber jene von Pruner Bei für den 
Haarwuchs aud andrer Äthiopier nachgewiefene (neuerdings übrigens von Topinard 
und andern wieder bejtrittene) Neigung zu rundlider Gruppierung der Haarwurzeln 
auch bier zu beobadten. Die einzelnen Haare find did, Es möge bier, um den 
bemerkenswerten Gejamtcharafter der Behaarung des Hottentotten noch einmal zuſam— 
menzufaffen, die draſtiſche Beſchreibung Barrows Plaf finden, welche von Kennern 
für zutreffend erflärt wird: „Das Haar wächſt in Fleinen Büſcheln, melde, wenn furz 
gehalten, das Anfehen und Gefühl einer harten Schuhbürfte haben, mit dem Unterjchiede, 
daß fie in runde Ballen von der ungefähren Größe einer ftarfen Erbje gebreht und ge: 
wunden find. Wenn man dem Haare erlaubt zu wachen, jo hängt es in den Naden 
in harten, gedrehten Strähnen, nicht unähnlih gewiljen Arten von Franjen.” (Vgl. die 


Haare. Mustelarmut. 83 


untenjtehende Abbildung.) Die übrigen Körperteile find ſchwach behaart, und die Haare 
find, wo fie auftreten, ebenfalls fraus. Kräftiger Bart fommt wohl nur bei Miſchlingen 
und auch bei diejen jelten vor. Im Alter ergrauen die Haare, fallen aber nicht aus. 
Die Gejamterfheinung des Hottentottenförpers iſt durch Muskelarmut und Fein: 
heit der Gelenfe am meilten gefennzeihnet. Schon Barrow jagt: „Ihre Gelenke, 


—2 


—* 





Namaqua; Mann und Mädchen aus Berſeba (nad Photographien im Befite des Herrn Dr. Fabri in Barmen). 
Vgl. Text, S. 83 und 84. 


Hände und Füße ſind auffallend klein. Kein Hervortreten der Muskeln, um Stärke 
anzudeuten, ſondern ein Körper von feinen Formen wie der eines Weibes.“ Dadurch ent— 
ſteht indeſſen doch kein zierlicher Körperbau, weil in der Regel die Proportionen unſchön 
ſind und auch eine gewiſſe Harmonie der Formen fehlt. G. Fritſch ſchreibt dem Körper 
des Hottentotten geradezu eine Neigung zu unregelmäßiger, ſelbſt unſymmetriſcher Ent— 
wickelung zu, „wodurch der Wuchs häufig entſtellt und karikiert wird“. Er findet die 
Kaffern durchgängig viel normaler ſowie regelmäßiger gebaut. Bemerkenswert find an 
der Gejamterjheinung der Hottentotten die dürren Unterarme und Beine, das geringe 
Hervortreten der Hüften, die bereits erwähnte Kleinheit der Hände und Füße. Die 
fogenannte Epornferje der Neger kommt jelten vor, aber der Plattfuß ift häufig. Bei 
6* 


84 Die Hottentotten. 


Männern ift Körperfülle felten, wiewohl Wechjel im Ernährungszuftande ſehr rafch ihren 
Einfluß auf die Umriffe der Geftalt äußern. Aber jene Fettanfammlung im Gefäße ſowie an 
den äußern Teilen der Hüften und der Schenkel, welche aus vielen Hottentottinnen wahre 
Monftra macht, ift auf das weibliche Geichlecht beichränft. Sie, wie auch die Verlängerung 
ber Kleinen Schamlippen, die zur Bildung der fogenannten Hottentottenjchürze führt, fommt 
zwar bei den Hottentottinnen befonders häufig vor, iſt aber auch bei andern afrifanifchen 
Völkern nicht ganz jelten, fo daß etwas Rafjenhaftes eigentlih nur in ihrer ftarfen Ber: 
tretung bei diefer Gruppe und den nächſtverwandten Bulhmännern zu erkennen ift. 

Der Grundzug in der Gefihtsbildung ber Hottentotten ift die Dreiedsform. 
Barromw ſchildert diejelbe am beutlichiten: „Die Badentnodhen find hoch und voritehend 
und bilden mit dem jpig zulaufenden Kinne ein Dreieck“. (Bol. Abbildung, S. 83.) Die 
Stirn iſt ſchmal, jo daß fie gleichfalls dreieckig nad) oben jich verjüngt; das ganze Geſicht 
erhält dadurch eine rautenförmige Geftalt, deren ſpitze Winfel in Kinn und Scheitel liegen. 
Die Naſe ift kurz, an der Wurzel flach, oft ganz platt, ebenfo ift die Spite abgeplattet 
und aufgejtülpt, fo daf die Najenlöcher nach vorn gerichtet find. Die Plattheit ift jo auf: 
fallend, daß ältere Autoren, wie Kolb und andre, angaben, es würde jedem neugebornen 
Hottentotten mit dem Daumen das Nafenbein entzweigedrüdt, weil fie eine Naje nad) 
Europäerart für unanftändig hielten. Der Mund ift breit, die Lippen find aufgeworfen, 
wiewohl jelten jo ftarf wie bei den eigentliden Negern. Die Zähne find nicht von ber 
Größe und porzellanartigen Weiße wie bei jenen, fondern Klein, ebenmäßig. Iſt es irgendwo 
geitattet, jagt G. Fritſch, Zähne mit Perlen zu vergleichen, ohne fich den Vorwurf einer 
gewagten poetiichen Lizenz zuzuziehen, jo muß man einen jolden Vergleich bei den Hotten- 
totten für berechtigt halten. Die Augen find weit auseinander gerüdt. Sie ftehen nicht 
in der Regel ſchief, d. h. die Lidjpalte nad innen geſenkt; öfters fommt diefe Stellung 
vor, aber die entgegengelegte findet fich ebenfalls. 

Die bemerfenswerteiten Eigenjchaften des Skeletes find folgende: Der Schädel ift lang 
(dolichofephal) bei geringer Höhe, gehört alfo zu jenen, welche von Melder Platyiteno- 
cephali genannt werden. Die Prognathie (Vorſtehen des Unterfiefers) ift ftarf ausgeprägt. 
Die Bedenform ſcheint der verichmälerten, die bei Negern häufig, am nädjiten zu ftehen. 
Die Hände und Füße find auffallend jchmal und zart ‚gebaut. Alle Knochen zeichnen ſich 
durch jchlanfen, wenig maſſigen Bau aus. Die förperliche Leiſtungsfähigkeit ift im allge: 
meinen gering. Als Baines an der Walfiihbai landete, fand er, daß ein Sad Mehl, welchen 
ein einziger Matrofe trug, vier Hottentotten zu feiner Fortbewegung benötigte, und daß drei 
mit Mühe ein Teerfaß rollten, welches ein Matroje ohne übermäßige Anftrengung bemeifterte. 
In allen Handlungen find fie auffallend langjam. Ihre Wideritandskraft gegen das Klima 
des tropifchen Afrika ift die geringite, welde man bei einem afrikaniſchen Volke findet. 


Die häufige Berührung der Hottentotten mit Europäern in einer der älteften Kolo— 
nien Afrifas hat diejelben zu einem der meiſtbeſprochenen afrifaniihen Wölfer gemacht, 
jo dab man glauben jollte, es müſſe längjt ein endgültiges Urteil über ihren Geiſt 
und ihren Charakter feititehen. Aber das Gegenteil davon ift der Fall. Dieje Berührung 
it nämlich durd die Thatiahe, daß es eben die Hottentotten in erfter Linie waren, 
welchen die Europäer das Land zu diefer Kolonie abzunehmen hatten, eine für jene 
jo ungünftige geweien, daß fie ſchon nad wenigen Jahrzehnten des Verkehres mit den 
Curopäern zurüdgedrängt, verarmt, wenn nicht zu Sklaven gemacht waren. Da reine 
Hottentotten nur nod in dem für die Europäer wenigit wünichenswerten, von ihnen 
am wenigiten gefannten Teile Südafrifas, nämlich im fteppenhaften Südweſten, bis heute 
ih erhielten, jo fanın man daraus fchliehen, welche Schwierigkeit es haben mag, die 


Körperbau und Geſichtsbildung. Charalter. 85 


Urteile zu wägen, die mwejentlich auf die heruntergefommenen, getnechteten Stämme der 
Kolonie begründet find. Vorausſchicken muß man freilic das eine, daf der durchſchnittliche 
Hottentott im Vergleiche zu andern Eingebornen im ungünftigen Sinne ausgezeichnet ift 
dur jene geringere förperliche Leiftungsfähigkeit, deren wir bereit3 Erwähnung thaten. 
Mit ihr geht Hand in Hand, wie gewöhnlih, ein jchlafferer und jtumpferer Cha: 
rafter, der vom Hochmute und ber blinden Leidenſchaftlichkeit des Kaffern ebenjo weit 
entfernt ijt wie von der wilden Kühnheit des Bufchmannes. Der Hottentott lebt unter 
dem Fluche der Schwächlichkeit, die mehr Verachtung als Haß erwedt; aber es fragt fich, ob 





Alte Hottentotten reiner Raffe (nad Photographie im Beſitze des Miffionsdireltord Herrn Wangemann in Berlin). 


diejer oder jene ſchwerer lajtet? Stellenweije find die Hottentotten jo heruntergefommen, daß 
fie jelbjt den nicht gerade hodhitehenden Damara verächtlich ericheinen. Es Klingt ſehr weg: 
werfend, was der Damarahäuptling Ukana Baines jagte, daf die Hottentotten bei ihrem 
beitändigen Betteln gar nicht mehr wühten, was fie jagten, und daß jie auch nicht meinten, 
was fie jagten, jondern es jei das eben zu einer Art von Krankheit bei ihnen geworden, 
daß fie immer betteln müßten. Allein bei einem folchen Urteile ift zu erwägen, daß der 
raſche Wechjel der Völfergeichide gerade in den Namaqua= und Damaragebieten heute 
diejes und morgen jenes Volf elend ericheinen läßt. Anderjion und andre haben gerade 
jo über die Damara geurteilt. Eingeborne find immer furzlichtige, daher harte, ungerechte 
Beurteiler ihresgleihen. Die bei den Europäern fait jprihwörtliche Trägheit begreift 
fih unjchwer, zumal wenn man erwägt, daß ihr Leben uriprünglich das jorglos dahin: 
träumende des Hirten geweſen war. Wenn aus diejem die Koloniften fie zu rajchern, 
ausdauerndern Leiltungen unmittelbar überführen wollten, jo iſt die Schuld der Ent: 
täufchung nicht bei ihnen allein zu juchen. Auffallend ift allerdings, daf die Namaqua 
felbjt im Vergleiche mit den benahbarten Damara bejonders träge und langjam ericheinen. 
Ältere Beobachter rühmen die Ehrlichkeit, Gutmütigkeit, Freigebigfeit der Hottentotten 


86 Die Hottentotten. 


untereinander. Kolb will nur einmal von einem Diebjtahle bei ihnen erfahren haben. 
Daß fie als Anechte oft von geradezu hündiſcher Treue waren, wird mehrfach bezeuat. 
Das Hottentottenregiment der Kapregierung zeichnete fih durch Gelehrigfeit und Folgſam— 
feit feiner Mannſchaft aus. Ein Militär wie Colonel Alerander ftellt ihm das Zeugnis 
einer jehr brauchbaren Truppe aus. Auch binfichtlich ihrer geiftigen Begabung ınuß man 
günftiger urteilen, ſeitdem eingehendere Berichte der Miffionare, Studien über ihre Fabel: 
Dichtungen und andres vorliegen. Man muß fie zunädhit nicht mit den Europäern, jondern 
mit ihresgleihen in Barallele jegen, und da ſcheint es uns fchwer zu wiegen, wenn Hugo 
Hahn von den Wejthottentotten jagt: „Von den drei Nationen diefer Länder: Herero, 
Namaqua und Beradamara, find ohne Zweifel die mittlern die gewandteiten, ich will 
nicht Jagen begabtejten”. Auch Krönlein jagt von den Namaqua, fie jeien zu feiner 
Arbeit geichicter als die Herero oder Damara, ihre Nachbarn. Allerdings zwingt bie 
unglüdliche Geichichte der Hottentotten, tief zu graben, um zu diefer Begabung zu gelangen, 
die fich niemals ftaatenbildend, zufammenfafiend und zufammenbaltend, wie bei den Bantu, 
gezeigt hat, weshalb eben gerade die traurigen geihichtlihen Schickſale des Volkes ſoviel 
zu feiner Geringihägung beitragen. 


Die Geſchichte der Hottentotten beginnt für uns mit der Gründung fejter euro: 
päifcher Niederlaffungen am Kap durch die Holländer im Jahre 1652. Die Hottentotten 
und Buſchmänner waren die Einwohner dieſes Landes, von jenen hören wir aber im 
Anfange ausſchließlich; erſt Ipäter treten die „Bosjesmans” auf den Plan. Die Hottentotten 
waren ein einfaches Hirtenvolf, deſſen ganzer Reichtum in Rinder: und Schafherden beftand. 
Sie wurden ohne Umftände zurüdgedrängt und das Land ihnen abgenommen, welches, 
jo wie nun einmal das Klima in Südafrika beſchaffen ift, großenteils ohnehin nur fümmer: 
lihe Weide gewährte. Die Koloniften bejtanden von jeher in diefem Lande häufig aus 
jchlechten Elementen, wie ja das Kap bis in unfre Zeit herein nicht zu den gejuchten und 
beliebten Zielen der Auswanderung gehört. Bon den Engländern und den Niederländern 
wurden 3.8. häufig entlaffene Soldaten hier angefiedelt; auch bedingte e8 die Lage der 
Kolonie, daß entlaufene Matrojen in größerer Zahl als Koloniften auftraten. Kurz, das 
Element der Quäfer und andrer Philanthropen hat hier lange beinahe ganz gefehlt, und die 
Hottentotten waren der Willfür der rohen Koloniften fait jhußlos preisgegeben. Die im 
Innern nicht eben ftarfe Regierung vermochte ihnen wenig Schutz zu gewähren, auch wenn 
fie es wollte, was bei der unglaublich geringen Schägung, in welcher der Hottentott von 
hoch und niedrig gehalten ward, jelten der Fall war. Dazu fam als Hauptübel, daß bier 
Nomadismus auf Nomadismus jtieß. Dem Bedürfniſſe der Hottentotten nad) vielem Lande 
jtellte fi) ein gleiches auf feiten der Boeren entgegen. Bei fait völliger Vernachläſſigung 
des Aderbaues waren die Koloniften gezwungen, jehr große Viehherden zu halten, deren 
fleifch ihre Hauptnahrung ausmachte. Sie brauchten für diejelben eine Mafje Land und 
eine entiprechende Menge von Knechten, d. h. von Sklaven, deren Ernährung ihnen leicht 
fiel. Zu Lichtenſteins Zeit erhielten 3. B. im Boffeveld die Sklaven felten Brot, da 
Schaffleiſch billiger zu jtehen fam. In einer Haushaltung von 20 Köpfen, die als mäßig 
groß galt, wurden täglich 3—4 Schafe zu je 35—40 Pfund gejchladhtet, und man rechnete 
auf jeden Viehhirten wöchentlih ein Echaf. Mancde Hütten waren von 6—8 Viehkralen 
umgeben, in denen die verjchiedenen Arten des Viehes voneinander gejondert lebten. Da 
es ebenſo vieler Weidepläge bedurfte, jo begreift fich leicht die Ausdehnung, welche felbit 
mäßig große Landgüter hatten. Sie nahmen durchichnittlich eine Duabdratitunde ein, 
genügten aber dabei in der Regel noch feineswegs und waren in unfruchtbaren, waſſer— 
reihen Gegenden nod viel größer. Die unzähligen Grenzitreitigfeiten, wegen deren 


Geſchichte und geographifche Verbreitung. 87 


bejonders die viehzüchtenden Boeren berüdtigt waren (‚unter zehn nächſten Nachbarn find 
gewiß neun Todfeinde”, Lihtenftein), beruhen größtenteils auf Übergriffen gegen Weihe 
wie Farbige, zu melden der Weidebedarf für die riefigen Herden nötigte. Die jehr 
mangelhafte Verwertung diefes Viehftandes hing eng mit ſolcher erpanfiven Wirtjchaft 
zufammen und nötigte zu immer neuen Übergriffen. Wohl mögen manche Hottentotten 
gleich ihren Nachbarn, den Buſchmännern, fi dem Viehdiebitahle ergeben haben, aber die 
ungefragte Wegnahme ihrer Weidepläge ließ ihnen wenig andres übrig. Sie gingen 
immer mehr zurüd, und innerhalb 150 Jahren war in den Grenzen der Kapfolonie faum 
mehr ein freier und unabhängiger Hottentott vorhanden. Im Anfange unjers Jahr: 
hundertS gab es zwar noch eine Feine Anzahl von Hottentottenftämmen oder Gemein: 
Ichaften, welche innerhalb der damaligen Grenzen der Kapfolonie, 3. B. am untern 
Berg Rivier, ganz nad der Sitte ihrer Vorfahren lebten und nur im Notfalle Arbeit bei 
den Weißen annahmen. Sie wurden aber jehr bald von der Regierung aufgehoben, 
wenn fie nicht die Mittel zum Unterhalte nachweiſen konnten. Der Mangel einer höhern 
politiihen Organijation bei den Hottentotten erflärt allein, wie diejer Zertrümmerungs— 
prozeß ohne jeden konzentrierten Widerftand fich vollziehen fonnte. Man kann die zer: 
ftreuten Verſuche der Auflehnung überhaupt faum als Miderjtand bezeichnen, es waren 
nur noch vereinzelte Wutausbrüdhe der in die Enge Getriebenen. Was diejen geringen 
Zufammenhalt der Hottentotten anbetrifft, jo darf man ſich durch die Reden der ältern 
Chroniften der Kapgeſchichte nicht irre machen lafjen; denn die zahlreichen Namen von 
Völkern, welche diefe aufführen, beziehen fih nur auf kleine Gemeinjchaften, oft wohl nur 
auf einzelne Krale. Wäre es anders, dann würden wir gelegentlich doch von mächtigern 
Häuptlingen, größern Scharen Bewaffneter und dergleihen vernehmen; aber nichts von 
alledem tritt uns entgegen. 

So ift denn jeit dem Anfange unſers Jahrhunderts, in welchem Südafrifa mehr 
in das Licht unſrer Geſchichte tritt, die geographiihe Verbreitung der Hottentotten= 
ftämme wefentlich folgende: An der Kapkolonie, welche nod im Beginne des vorigen 
Jahrhunderts der Sig von ſieben größern Hottentottenftämmen war, find biejelben 
geradezu atomifiert. Südlich vom Kai oder Dranje, welcher vor Ankunft der Euro: 
päer die Grenze zwiſchen Hottentotten und Kaffern geweſen zu fein fcheint (noch im 
Anfange unſers Jahrhunderts zeichnete man die Grenze der Hottentotten gegen Die 
Betichuanen regelmäßig beim 27. füdlicher Breite), gibt e8 heute feinen geichloffenen Stamm 
ber Hottentotten mehr. Selbit die Stammesnamen haben fich verwiſcht. Geblieben ijt von 
ihnen allein der Name der Griqua, welder aber heute nur noch ein Mifchvolf von einer 
offenfundigen Buntheit der Zufammenwürfelung bezeichnet, wie fie felten irgendwo auf 
der Erde jo deutlich wieder zu finden fein dürfte. Alle andern find nicht nur zerfallen, 
um ohne Rüdficht auf einftige Stammesangehörigfeit, die fie freilich ſelbſt faſt alle vergeſſen 
haben, wieder zu neuen Gemeinschaften zufammengeworfen zu werden, fondern es ijt auch 
bei den etwa 20,000 Hottentotten der Kapfolonie der urjprüngliche Naffentypus faft gänz: 
[ih verwifht. Bei weitem die meilten und vor allem die fortgeichrittenften von ihnen find 
Mulatten, in deren Adern das Blut der gelben und weißen Raſſe und oft aud der 
Ihwarzen und malaiifchen im jehr verfchiedenen Miihungsverhältniffen fließt; alle aber 
find nad) Lebensart, Sprache und Sitte folonifiert, was nicht ganz dasjelbe ift wie zivili- 
fiert. Man kann den Abſchluß diefes Prozeifes der Atomifierung der Bewohner Süd: 
afrifas, welcher mit der erjten Feltiegung der Weißen in ihrem Lande begonnen hatte, 
auf das Jahr 1810 feſtſetzen, wo der legten freien Stammesgemeinjchaft („Kapitänſchaft“) 
der füdlichen Hottentotten, die nod unter dem legten Gonaquahäuptling, David Stuur: 
mann, zufammenbhielten, ein Ende gemacht wurde, Der Erlaß der „Ordinance“ Sir R. 


83 Die Hottentotten. 


Bourkes vom Jahre 1828, weldhe alle Hottentotten der Kolonie frei erklärte, Fam zu fpät. 
Die Grundlage ihrer Freiheit, wenn jolde neben den Koloniften möglich war, nämlich ihr 
Land, hätte er ihnen übrigens auch ſelbſt einige Menichenalter früher nicht wiedergeben 
fönnen. So wie die Verhältniffe vor 50 Jahren im Kaplande lagen und wie fie wejentlich 
nod heute liegen, konnte die Freigebung nur die Zerfegung bejchleunigen. Davon konnten 
denn auch die „Lokationen“, eine den „Nefervationen‘ der Indianer in Nordamerika ähn- 
lihe Einrichtung, nicht verfchont bleiben, welche 1829 an der Kafferngrenze gegründet 
waren. Damals ließen fich gegen 6000 Hottentotten an den Südabhängen der Winterberge 
um den Kat Rivier und feine Zuflüffe nieder, wo fie in zwölf Lofationen fih um den 
Mittelpunkt Philipton anfiedelten. Noch fünf andre Lokationen befinden jich in demjelben 
Bezirke, der heute nad) Fort Beaufort genannt wird und einen großen Teil des alten Gebietes 
der Gonaqua umfaßt. Neben diejen fiebzehn Lofationen im Südoften gibt es noch jieben im 
Südweſten, dazu kommt noch die gegen 6000 Dann ſtarke Truppe der berittenen Kapſchützen, 
vorwiegend aus Hottentotten bejtehend, eine Art Grenzregiment, welches ebenfalls jeine 
Garnifonen hauptjählih im Südoften hat. In diefe drei Gruppen ijt die große Mehrzahl 
der Hottentotten der Kapkolonie zufammenzufaffen, und was als Dienjtboten, Tagarbeiter 
und dergleichen durch dieſelbe zerjtreut ift, bedeutet heute wenig mehr. Man kann jagen, daß 
bier, im eigentlichen alten Kaplande, die Hottentotten zwiſchen den Kaffern des Binnen: 
landes und den von der Küſte her vorrüdenden Europäern zerfplittert, erdrüdt worden find. 

Anders im Norden und Norbweiten. Zwiſchen dem Kap und dem Dranje wohnten 
um den Anfang des 18. Jahrhunderts von Süden nad Norden die Udiqua, Kochoqua, 
Griqua und Namaqua. Die letern ſaßen an beiden Ufern des untern Dranje. Von 
den beiden erjtern Stämmen gibt es feine Spur mehr, die beiden andern aber find großen: 
teild aus ihren frühern Sigen ausgewandert und vermochten, da auf dieſer Seite feine 
Kaffernbevölferung ihrem Drängen nad binnenmwärts ſich entgegenitellte, weiter im Norden 
breitern Raum zu finden, als fie in ihrer alten Heimat bejeifen hatten. Unternehmende 
Baftarde waren die Hauptleiter diefer Auswanderungen. Eine Abteilung der Griquabaftarde 
309 ſich nad den Karrubergen, wo fie in der Nähe des Zok- und des Dlifantfluffes 
fich niedergelaffen haben, während eine größere Mafje echter Griqua und Griquabaltarde 
über den Oranje ſetzte und den Griquaftaat gründete, der heute in die britijchen Bes 
figungen aufgenommen ift, nachdem er fi lange gegen ein Aufgehen in den Oranje- 
freiftaat gejträubt hatte. Won hier aus bejonders fanden dann Wanderungen von Ein: 
zelnen und Gruppen ftatt, die bis an den Ngami und darüber hinaus in ein Land führten, 
das nur Elefanten, aber dieje in Fülle geborgen haben ſoll und nad) dem fernen Norden 
zu von dem Gebirge der Witteberge begrenzt war. 

Die Nähe der Kapfolonie und des Dranjefreiftaates jowie die jtarfe Verſetzung mit 
Baſtarden hat dieje allgemein als Griqua bezeichnete Bevölferung (die Anfiedler an den 
Karrubergen wurden einfach „Baſtaards“ genannt) nicht bloß durchaus die Fapholländiiche 
Sprade, fondern auch viele Sitten und Gebräuche der Koloniften annehmen laſſen, und 
man fann fie als die europäifierteften der Hottentotten und Hottentottenmijchlinge bes 
zeichnen. Ihre hohe Bedeutung für Völkerkunde und Geſchichte Südafrifas wird uns 
veranlaffen, weiter unten auf fie zurüdzufommen. 

Im starken Gegenfage zu ihnen ftehen jene Namaqua, welche gleichfalls als ein 
mit Miſchlingen verjegter Hottentottenftamm Ende vorigen Jahrhunderts von Onder Bokke— 
veld und Hantam auszogen und, in nördlicher Richtung wandernd, den untern Dranje 
überjchritten. Sie führten nah einem der erſten hervorragenden Kolonijten, der in 
ihren Stammſitzen fich niederließ, den Namen Orlam. In furzem hatten jie einen Strich 
von fieben Breitengraden zwiichen dem Oranje und dem obern Aubfluffe unterworfen und 


Kaphottentotten. Griqua. Namaqua. Korana, 89 


waren damit zwar einerjeits weit genug von dem Einfluffe der Koloniften entfernt, um die 
bottentottifchite von dieſen Wanderbevölferungen bleiben zu können; anderjeits aber zer: 
fplitterten fie fi in diejem weiten Gebiete und fielen zu einem großen Teile nicht nur 
in die wandernden Gewohnheiten ihrer Vorväter, jondern auch in die Barbarei derjelben 
zurück. Sie haben in ihrem weiten Wohngebiete drei große Kapitänjchaften unter Leitung 
dreier Hauptführer der Auswanderung gebildet, neben denen eine Anzahl von kleinern 
Gemeinjchaften fortbeiteht. Indeſſen find fie noch weit entfernt, zur Ruhe gefommen zu 
fein. Die Armut und der jteppenhafte Charakter des Landes, in welches fie eingezogen 
find, ihr natürliches Übergewicht über 
die Ureinwohner, eingeborne Raub: 
und Wanderluft führen fie immer 
weiter nad) Norden, wo einzelne von 
ihnen längit mit den zum Ngami ges 
zogenen Griqua zujammengetroffen 
find. Während die diesjeit des Oranje 
im jogenannten Klein-Namaqualande 
figen gebliebenen Stammesgenofjen 
mehr und mehr fich europäilierten, mit 
Ausnahme der wenigen reinen, ihrer 
Sprache und Sitte treu bleibenden 
Hottentotten, wie man fie z. B. am 
untern Oranje in den „Flußhotten— 
totten‘ unter einem angejtammten 
Häuptlinge und auf geleglich ihnen 
beitätigtem Boden findet, find jene 
MWeitergewanderten mitten in der 
hottentottiſchen Bevölferung, in der 
fie jich niedergelafjen haben, natürlich 
nicht im jtande, das bißchen europäi: 
ſche Kultur zu bewahren, das jie mit: 
gebracht, und jtellen ſchon jegt einen 
interejjanten Fall von Rückkehr eines halb der Kultur gewonnenen, auch anthropologiich 
durh Miſchung ftark veränderten Volkes in den alten Zuftand dar. Was aber die Namaquaz 
ftämme anbetrifft, in deren Gebiet diefe Orlam einfielen, jo find diejelben teils dieſen 
angejchloffen, beziehentlih unterworfen, teils find Kleinere Gruppen diejer legtern zu jenen 
in ein Verhältnis von leichter Unterthänigfeit getreten. Wenige haben fich nach beiden 
Seiten hin freigehalten. Der alte Stammesverband aber, der unter diejen nördlichen 
Namaqua bejtand, und an deſſen Spige das fogenannte „rote Volk“ der Kaubib-Koin 
itand, ijt bi8 auf wenige Spuren verfchwunden. Nördlicd von diefem Bunde jcheint aber 
noch eine andre Gemeinichaft zu bejtehen, welche den Namen Aunin trägt, und zu welcher 
der an der Walfiichbai wohnende Stamm der Marinku gehört. Die Hauptmacht diejer 
legtern hat das Küftenland nördlidy der Walfiichbai inne. 

Die dritte große geographiihe Gruppe der Hottentotten wird durch die am obern 
und mittlern Oranje wohnenden Korana gebildet. Wie die benahbarten Gonaqua gegen 
die Kaffern, bildeten dieje die Vorhut der Hottentotten gegen Betſchuanen und Bajuto; 
aber ihre Lage wurde dadurd mit der Zeit zu einer ebenfo verzweifelten. Gleich jenen 
gerieten fie zwiichen Hammer und Amboß. Aus ihrem trefflihen Lande jchnitten fich die 

Boeren ihren Dranje-Vrijitaat, die Wege zur Auswanderung waren den Eingebornen 





Ein Nama (nadı Photographie im Veſitze des Herrn Dr. Fabri in 
Barmen). 


90 Die Hottentotten. 


verfperrt, denen übrigens zu einer derartigen Unternehmung aud) bereits die Selbjtändigfeit 
und der Zuſammenhalt fehlten. Noch beitehen die alten Kapitänjchaften, find aber zuſammen— 
geihmolzen, und das ganze Volk ift auf etwa 20,000 Köpfe zu veranfchlagen, für welche 
das ihnen verbliebene Land nicht ausreicht. Weniger verbaftardet al3 die Griqua, haben 
fie fih doch nicht jo unabhängig von den Kultureinflüffen zu halten vermocht wie die 
Namaqua. Sie jprehen noch ihre Spradje, die aber mit holländiichen, Buſchmann- und 
Sitchuanaworten gemifcht it; und dieſe legtern Sprachen find jener gegenüber im Fort: 
fchritte. Früher dürften die Korana eine weitere Ausbreitung gegen Welten bin beſeſſen 
haben, hierauf deutet wenigitens die Übereinitimmung von einigen ihrer Stammes: 
benennungen mit folden der Namaqua. Sie 
jollen den Buſchmännern am nädjiten von 
allen Hottentotten ftehen, wiewohl die förper- 
lihen Merkmale der Hottentotten, vor allen 
die geichligten Augen, die nad) oben ſich ver- 
ſchmälernde Stirn, die Stülpnafe und das 
Spitzkinn ſowie die gelbliche Farbe, aud) ihnen 
eigen find. Auch in ihrer Sprache fommen 
manche Worte vor, die unzweifelhafte Ver: 
wandtichaft mit der Buſchmannſprache be: 
funden. Eine innige Berührung der beiden 
Völfer und, damit Hand in Hand gehend, 
eine ftarfe Vermiihung haben ohne Zweifel 
ftattgefunden. Aber in manden Gegenden, 
vorzüglich am Dftufer des Vaalfluſſes, ift auch 
Kaffernblut in diefe Miſchung eingegangen, 
und die dortigen Korana find unter ji) jehr 
ſtark verichieden in Größe, Geftalt und Ge: 
| ah fichtsbildung. 
Ein Roranabäuptlin — RR ii Beſitze des So iſt alſo das Endreſultat dieſer paß⸗ 
Miffonsdiretert Herm Wangemann in Berlin), ſiven geſchichtlichen Entwickelung bie Auf: 
jaugung faſt aller Hottentotten in einer 
Miihlingsraffe vorwiegend mulattenhaften Charakters, welcher zahlreihe reine Raſſen— 
elemente nur in der Gruppe der Namaqua beigemifcht find, der mächtigften und 
aftivjten Ausprägung des Hottentottentypus, welche die Gejchichte bisher geliehen. Wir 
werden daher in der folgenden Schilderung uns, wo neuere Nahrichten vorliegen, vor: 
wiegend an die Namaqua halten, zur Vervollftändigung aber nad) den ältern Schilderungen 
der Kenner der Kaphottentotten des 17. und 18. Jahrhunderts greifen. 
+ 
Die Kleidung bei den reinjt erhaltenen der heutigen Hottentotten, den Namaqua, 
beiteht für beide Geichledhter aus dem Schamgürtel und aus dem Karojje. Der 
Mann trägt einen ledernen Riemen um die Hüften, von welchem vorn ein Stückchen 
Fell vom Schafal, der Wildfage oder andern fleinen Säugetieren herabhängt. Das Weib 
trägt um die Hüften ein dreiecdiges Tuch, von welchem zwei Zipfel vorn zufammengebunden 
find, und von diefem Knoten hängt ein Schurz herab, der bei mannbaren Weibern am 
Nande mit Franjen, Haaren und Perlen verziert ift. Die Weiber tragen außerdem eine 
wiederholt um die Hüften geihlungene Schnur, an welder ftatt der Perlen durchlöcherte 
Stüdchen von Straußeneiern aufgereiht find, und überdies am Gürtel Eleinere und größere 
Schildkrötenſchalen, die zur Aufbewahrung der Buchujalbe dienen. Bei Mädchen fallen 





Kleidung und Schmud der Hottentotten, 91 


alle dieje Verzierungen fort, aber fie erhalten biejelben in feierlicher Weife am Tage des 
Eintrittes der Mannbarkeit. Der Karoß, welden beide Geſchlechter tragen, ift ein Pelz: 
mantel, der am liebjten aus Schaf-, Echafal oder Wildfagenfell gefertigt wird. Die 
Vornehmern und vor allem ihre Weiber bringen eine Verzierung an, indem fie am Hals: 
jtüde ein Moſaik von drei- und viereckigen bunten Fellitücten anfegen. Geflodhtene Sandalen 
oder jolhe aus Fell, von dem die Haare abgejengt find, werden bei längern Märſchen 
angelegt (vgl. untenftehende Abbildung). Dieſe Kleidung war noch zu Bövings und Kolbs 
Zeit im wefentlichen die der Kaphottentotten, wie ihre Schilderungen beweifen, und hat 
fih aljo offenbar nur wenig verändert. Kolb nimmt gewifjermaßen zum Terte ber 
feinigen die allgemeine Betrachtung, die nur für die mit Europäern zufammenlebenden 
Hottentotten nit mehr gültig it, daß „dasjenige, was fie ftatt rechtichaffener Kleider 
brauchen, faum den Namen der Kleider verdienet. Nicht nur darum, weil e8 von geringer 


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32» 


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—* Sandalen der Hottentotten (Muſeum für Vollerkunde, Berlin). 

Materie und noch geringerm Werthe hergenommen: jondern wohl abjonderlicd deßwegen, 
weil nicht der gante Leib darmit bededet wird, jondern nur das allerwenigjte, und da am 
meilten an gelegen ift.” Damals trugen die Männer nur im Regen oder bei Kälte ein 
Scaffell mit einwärt3 gewandtem Haare auf dem Kopfe, welches um den Hals feitgebunden 
wurde; aber an deijen Stelle ift jegt jehr allgemein der Filzhut getreten. Die Weiber trugen 
beitändig jpige Müten, und die rauen der Kaphottentotten haben noch heute die Gewohn: 
heit, ihren Kopf ſtreng bededt zu laſſen, und entblößen oft leichter ihren ganzen übrigen 
Körper al3 den Kopf. Als Hülle benugen fie mit Vorliebe bunte Tücher. 

Ebenjo ift der Schmuck etwas anders geworden. Noch immer tragen beide Gejchlechter 
um den Hals lederne Tajchen, in denen fie ihre wertvolliten Dinge, wie Meffer, Pfeife, 
Tabak, Geld, verbergen, und daneben Hörnchen, Schildfrötenichalen und andres als Schmud 
oder Talisman. Kinder tragen am Gürtel Knöchelchen zum Spielen oder als Talismane. 
Aber die Elfenbeinringe um die Oberarme, welche damals, meijt in der Dreizahl, viele von 
ihnen trugen, und welche durch ihre glatte Arbeit das Staunen der Europäer erregten 
(„man follte glauben, ein europäfcher Helffenbeindrechsler hätte fie gemacht”, jagt Kolb), 
find jelbjt bei den Namaqua felten geworden. Auch fupferne Ninge werden jelten getra: 
gen. Damit ift auch die früher allgemeine Sitte hinfällig geworden, an diefen Ringen ein 
Lederjädckhen mit Tabak, Eßwaren und dergleihen zu befeitigen. Beinringe haben immer 
nur die Weiber getragen und zwar früher ausichließlih aus ringförmig zufammengeboge: 
nen Streifen Schaffell, deren fie oft 100 an einem Beine zwiſchen Knöchel und Knie in 


92 Die Hottentotten. 


dreis oder vierfacher Lage übereinander geihoben hatten. Diele Ringe, welche beim 
Gehen Eapperten, gaben Anlaß zu der bei fait allen Kapreilenden wiederkehrenden Be: 
hauptung, daß die Hottentotten ihre Beine mit Schafsdärmen ummwänden. Die große Zahl 
diejer Ninge erfchwerte den Weibern oft das Gehen, aber fie wurden ſchon als fleine 
Kinder daran gewöhnt, indem man ihnen Ringe aus Binfen in ebenfo großer Menge 
um die Beine legte. Sie mögen auch ald Schug gegen Dornen und Gejtrüppe ihren Wert 
haben, zumal fie oft mit durchgeflochtenen Binjen feitgemacht wurden. Große mejfingene 
Ninge trugen Männer wie Weiber in den Ohren, und daran befeitigten fie glänzende 
Perlmuttermufcheln oder Stüde davon. ‘Ferner hingen fie Kupfer: und Glasperlen um 
den Hals und die Hüften, und die, welche jo viel nicht leilten fonnten, trugen jene oben 
erwähnten Schnüre mit Stückchen 

durchbohrter Straußeneierichalen. 
Einen jehr eigentümlichen Shmud 
bejchreibt Kolb von den Namaqua, 
die zu feiner Zeit als Abgelandte 
an den Statthalter nad) der Kap— 
ftadt famen und „vor dem Kopffe 
und gerade über der Stirn an 
ihren Haaren ein Stüd Eiſenblech, 
doch jchön poliret und geichliffen, 
befeitigen und in Form eines hal: 
ben Mondes gerade in die Höhe 
tragen”. Er jpridt auch von Hot: 
tentotten im Innern, welche ähn- 
lihe Schilde aus Kupfer trugen. 
Die Bemalung und Be: 
ſchmierung des Körpers it in 
gewiſſem Sinne als ein Teil der 
Tracht oder des Anzuges biejer 
» Völker anzufehen, mit welchen es 
BE Se ja in der That ſowohl den Zwed 
Eine Hottentottin mit Stirnfhmud (nah Wood). des Warmbhaltens (wie die Hotten- 

totten jelbit behaupten) als aud) 

der Zierde teilt. Schon die neugebornen Kinder werden mit Schaffett eingeidhmiert. Die 
Hottentottenmänner aber und zum Teil auch die Frauen bejchmieren ſich den Körper mit 
einer Salbe, die aus Fett, zerftoßenem Buchukraut und Ruß oder Oder befteht. Diefe 
Salbe wird jehr hoch geihägt und bildet einen unentbehrlihen Teil der Ausrüftung jedes 
Hottentotten, welcher diejelbe in Hörnden, kleinen Schildkrötenſchalen und dergleihen am 
Gürtel trägt, um fie jederzeit zur Benugung bereit zu halten (vgl. Abbildung, ©. 100). 
Die Zumiſchung des aromatischen Buchu hat höchit wahricheinlich einen mehr als kosmetiſchen 
Zweck, nämlich den des Schutzes gegen Ungeziefer. Beſonders ſtark ſchmieren ſie die Haare, 
angeblich, um den Kopf gegen die Sonnenhitze zu ſchützen. Viel auffallender und, um es 
gleich zu ſagen, entſtellender iſt die Bemalung des Geſichtes mit Rötel, welche von den 
Frauen ſelbſt chriſtlicher Stämme der Namaqua noch heute geübt wird. Zu Kolbs Zeit 
malten ſich die Hottentottenweiber bei feſtlichen Gelegenheiten rote Tupfen auf Stirn, Wan— 
gen und Kinn. Heute ſieht man häufiger brillenförmige Einfaſſungen der Augen, ſattel— 
förmige Figuren über die Naſe, Bogenlinien über die Wangen und dergleichen, und durch 
Verbindung dieſer Linien untereinander entſtehen völlig maskenartige Hüllen des Geſichtes. 





Schmuck und Bemalung. Gefäße und Waffen, 93 


Ihrer Geräte find es wenige. 


Dan kann wohl behaupten, dab im allgemeinen 


die rein viehzüchtenden und dadurch nomadiihen Völker ärmer in diejer Hinficht find 
als bie Aderbauer, welche bei ruhigerm, gleihmäßigerm Dajein mehr Aufforderung zur 
Erleihterung des Lebens durd) Erfindung von Werkzeugen, Geräten und dergleihen und 





a,b, d Holzgefähe und Schnihmefſer der Hottentotten; e von Buſchmannhand geihnigt (nad) Wood). 


zugleih auch mehr Veranlaffung zur Anſammlung derjelben finden. 


Wir haben das 


wenige an Geräten, was die Viehzucht bedingt, bereit3 namhaft gemacht. Daneben ver: 
langt die Zubereitung ihrer Nahrung Töpfe, in deren Anfertigung aus freier Hand fie 


eine bejondere Geſchicklichkeit zeigen. 
mit ſchmalem Boden und faum fauftgroßer 
Mündung jowie mit zwei Ofen zum Durch— 
ziehen einer Aufhängeſchnur, und ſolcher Ge— 
fäße befigt eine Familie in der Negel drei: 
eins für Waſſer und Milh, ein andres zum 
Kochen und ein drittes zum Aufbewahren 
gefochter Wurzeln. Daneben haben fie aud) 
Schüſſeln im Gebraude. Löffel jchnigen 
fie fih aus Schildkrötenſchalen, Ochjenhör: 
nern oder Muſcheln. Meſſer ſtellen fie ſich 
aus weichem Eiſen dar, das ſie nach ältern, 
in neuerer Zeit nicht beſtätigten Nachrichten 


Die häufigite Form ift eine breitbaudige Urne 





Eine Holgfhüifel der Namaqua (Mufeum für Völfer: 
funde, Berlin). 


jogar zu härten verjtehen follten. Beim Eſſen verwenden fie aber die Mefjer jelten, da 
zum Zerreißen des Fleiſches, wie fie es lieben, die Finger genügen. 

Die Waffen der Hottentotten waren in der eriten Zeit ihres Verfehres mit den 
Europäern diejelben, wie wir jie noch heute bei den freien Hottentotten finden, und 
entfernten ſich nicht weit von denen der Buihmänner, wiewohl fie etwas jorgfältiger 


zubereitet und mannigfaltiger waren. 


Auch hier jtand in eriter Linie der Bogen, der 


94 Die Hottentotten, 


einfach aus einem leichten Stabe feiten Holzes gebogen und mit Kerben zum Einhafen der 

Sehne verfehen war. Die Pfeile hatten aus Eifen dünn gejchmiedete halbmondförmige 

und mit Widerhafen verfehene Spigen, welche in einen ca. e m langen Rohrichaft ein— 

gejegt waren. Sie beitrichen diejelben mit Schlangengift, das wohl ähnlich gemiſcht wurde, 

wie wir e8 bei den Buschmännern geſehen haben. Den Köcher beichreibt Kolb als ein 

„ausgehöllertes oder ausgebranntes Stüd Holy” und jegt hinzu, daß einige auch Köcher 
aus Ochſen-, Elen:, Rhinozeros- oder Elefantenhaut machen. Die Wurf: 
fpieße oder Ajjagaien (mie fie ſchon bei diefem Reifenden heißen, der 
von Kaffern noch nichts berichtet) hatten nad) Kolbs Beichreibung einfache 
Klingen ohne Widerhafen und gingen in eine einjeitig zufammengebogene 
Die über, in die der furze, leichte, nach hinten zugefpigte Schaft geftedt 
ward. Eie wurden, glei den Pfeilen, vergiftet, „nur deſto ftärfer, weil 
mit denfelben die meiſten und größten wilden Thiere getödtet, ja jelbit im 
Kriege die meifte Force muß gethan werden“. Kolb beichreibt ebenfalls, 
daf fie beim Werfen nicht fogleich zielen, „ſondern fie lauffen mit dem: 
jelben in der Hand herum, und werffen ihn bald vor bald hinter ich, ehe 
fie ihn noch gänzlich fahren laffen, biß fie ihn endlich in der Balance haben, 
und damit deito gewiſſer das vorgefeßte Ziel treffen Fünnen“. Zur Aus: 
rüftung gehört endlich noch der Schlag: und Wurfitod (f. nebenftehende 
Abbildung), von welchem Kolb zweierlei, nämlich einen 3 Fuß langen, 
gleihmäßig daumendiden und einen fuhlangen, zugeipigten bejchreibt. 
Jenen nennt er Kirri, diefen Radum und fagt, es fei der leßtere nur 
zum Werfen, der andre aber zum Fechten und Parieren beftimmt. Beide 
fein aus Eiſenholz gemacht, das ganz mit DI durchtränft werde, um 
größere Feftigfeit zu erlangen. 

Über die Gejchidlichkeit der Hottentotten fowohl im Werfen des Nadum 
als im Bogenſchießen find die ältern Neifenden einftimmig. Dagegen dürfte 
ihnen friegeriihe Tüchtigkeit und vor allem die Fähigkeit zähen Widerftan: 
des auch im der Zeit ungebrochener Kraft nicht in fehr hervorragendem 
Maße innegemohnt haben. Den Europäern wenigitens, welche vom Kap 
ber vordrangen, räumten fie das Feld mit bemerfenswerter Leichtigkeit. 
Ihre Fechtart wird als eine ordnungsloje geichildert: beide Parteien Löften 
fich auf, und jede ſuchte Nachteile der Gegner auszujpüren, um Pfeile oder 
Alfagaien mit Vorteil anbringen zu fönnen. Die Mitteilung Kolbs, daß 
nad) dem Gefechte beide Parteien ungeltört ihre Toten begraben und ihre 
Verwundeten wegtragen fünnten, und daß weder die einen noch die an: 

4 bern verftümmelt würden, paßt wenig zu den Graufamfeiten, die uns 
aus neuerer Zeit, 3. B. von den Namaqua, gemeldet werben, 
Stod und Pfeile 


eg Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß diefe Waffen 
Berlin), mehr auf der Jagd als in Kriegen ihren Sweden dienten. Im Vergleiche 


zu den Bujchmännern treten zwar die Hottentotten als Jäger zurüd, und 
gewiß werben fie feine Jo große Vollkommenheit in allen dazu erforderlichen Praktiken erreicht 
haben wie jene, welche mit einer fiegverheißenden Einzigkeit des Vorfages dem Wilde nad: 
ftellten, während diefe die Jagd nur nebenbei, zufammen mit der Viehzucht, betrieben. An: 
derjeit3 jind aber diefe wieder nicht genug Wiebzüchter, um nicht als echte Naturfinder die 
Jagd über alles zu lieben; und thatfächlich ziehen fie ja ihre Hauptnahrung aus derfelben. 
So jagen fie nicht bloß einzeln, ſondern oft kralweiſe und ftellen Fallen, graben Fallgruben zc. 


Waffen. Spürtraft und Jagd. 95 


ganz wie die Buſchmänner. Theopbilus Hahn hat uns aus eignen Erfahrungen inter: 
eſſante Beijpiele von der Fertigkeit der Hottentotten im Spurfinden mitgeteilt. Das Spur: 
ſuchen, jagt er, verfteht der Nama wie fein andrer Menſch, mag die Spur über Karru: 
boden (harten Thon), Steinplateaus oder weiche, fandige Flächen führen, wo der Wind fie 
teilmeije ſchon unkenntlich gemacht hat; überall weiß der Nama ihr zu folgen, und, was 
dad Staunenswer: 
teſte ift, er beftimmt 
oft das Alter einer 
Spur bis auf den 
TagunddieStunde. 
Auch unterſcheidet er 
die Spuren von In⸗ 
dividuen derſelben 
Gattung; er wird 
mit der größten Ge: 
nauigfeit angeben, 
welches von feinen 
Rindern, Schafen 
oder Ziegen, ob es 
der „Obnehorn“, 
„Bleß“,„Langohr“, 
„Krummſchwanz“ 
2c. geweſen iſt oder 
nicht. Ebenſo unter: 
jcheidet er auch die 
Spuren ber Men: 
ſchen, ſowohl die jei- 
ner Stammesgenoj- 
fen als aud) die der 
Buſchmänner und 
Herero. Die verſchie⸗ 
dene Stärke einer 
Spur auf beiden 
Seiten läßt ihn er— 
kennen, nach welcher 
Seite das Tier ab— 
zubiegen gedachte; u 
aufgeworfeneStein- Gin Hottentott auf der Jagd — Gremplare im Muſeum für Völker: 
chen, dürre Zweige 

und dergleichen werden für ihn zu untrüglichen Zeichen. Es fehlt den Hottentotten im 
gegebenen Augenblide auch nicht an Entſchloſſenheit den wilden Tieren gegenüber, und von 
ihren mutigen Jägern erzählen fie fi die wunderbarſten Geſchichten. Nach glüdlicher Jagd 
zerlegen fie einen Teil des Fleiſches jogleih ın Fladen, welche fie an der Sonne trodnen; 
das übrige wird nad) dem Dorfe gebracht, wo nun, wie unſer Gewährsmann ſich ausdrüdt, 
die ganze Bewohnerſchaft ſich unmäßig befrißt, um auf einige Tage, jolange Vorrat da ift, 
nit aus dem Zuftande einer verdauenden Boa constrietor herauszufommen. „Ununter: 
brocen flanımt ein mächtiges euer unter dem brodelnden Keſſel. Fortwährend wird Fleiſch 
bineingethban und herausgenommen; in dem Schatten der Bäume oder ſonſtwo vor oder 





96 Die Hottentotten, 


in den Hütten fißen nach Türfenart, mit untergeichlagenen Beinen, größere und Fleinere 
Gruppen, alle ejiend, bis alles gegeflen ift.” Kolbs Erzählungen von den Gebräuden, 
denen ein Hottentott fich zu unterwerfen hat, welcher ein größeres Tier, wie Löwe, Elefant, 
Elen und dergleihen, getötet hat, find angezweifelt worden, ohne in fich felbit irgend 
unwahricheinlicher zu fein als jo mandes andre, was er berichtet und was andre längit 
beglaubigt haben. Sie mögen hier wenigitens erwähnt werden. Der glüdliche Jäger wird 
von einem alten Stammesgenoifen, ſobald er heimgefehrt iſt, „anders gemacht”, wie ſie es 
nennen. Diefer bepift nämlich jenen, der ſich vor feiner Hütte auf den Boden fegen muß, 
und die andern Männer nehmen dann rings um ihn ber Plag und rauchen Dacha oder 
Tabak, mit deſſen Aiche fie ihn beftreuen. Darauf fnüpft er fich die Blaſe des erlegten 
Tieres ind Haar und wird als Held von feinen Genojfen angeftaunt. Zeine Frau aber 
muß drei Tage falten und von morgens bis abends außerhalb des Krales beim Viehe 
verweilen, und der Mann muß fi drei Tage ihrer enthalten. 

Von Fiicherei der Hottentotten wird uns wenig berichtet; ihre Wohngebiete geben 
allerdings nicht viele Gelegenheiten dazu. Beiläufig jei bier erwähnt, daß bei dem Mangel 
an Kähnen oder ähnlichen Werkzeugen ſowohl die fahnlofen Hottentotten als auch bie 
Kaffern Baumjtämme mit einem Aſte oder Zahne zum Feithalten benusen. Sie jegen oder 
legen fid) darauf und rudern ſich mühſam mit Händen und Füßen fort. Wir willen, daß 
auch die Küftenbewohner fi nicht aufs Meer mwagten, indem jie ebenfowenig wie ihre 
binnenländiichen Genofien über Kähne oder Flöhe verfügten. Sie wateten wohl in der 
Flutſtrecke, um Rochen zu ſpießen, und fiſchten, vielleicht von den Europäern dazu angeleitet, 
mit Angeln, die fie aus eifernen Nägeln bereiteten. Ausnahmslos find daher die in den 
Strandgegenden mwohnenden Hottentotten die ärmlichiten von allen. Ihre Abhängigkeit 
und Armut erinnern an den Zuſtand der Buſchmänner. Typisch für dielelben find 3. B. 
die Strandhottentotten an der Malfiichbai, deren Mittelpunkt die Miſſionsſtation 
Schepmannsdorf, ein niedriges, teils von zufälligen Dienften, die fie den Meißen thun, 
teild von den Filchen der Bai und den Naras der Diine lebendes Geſchlecht. Sie bejigen 
aud) einiges Vieh. Die naratragenden Dünen verteilen fie an die einzelnen Familien ihres 
Stammes, und die Filche (wohl Kochen, ſ. oben) fpießen fie mit einem jpigen Antilopen- 
horne (von dem fogen. Gemsbode der Boeren) oder mit Affagaien. Ahnlihe Stämme 
gab es ſchon früher weiter jüdlih. Strandläufer, Fiiher, Mafferleute werden öfters in 
den Riebedichen und andern alten holländiichen Berichten erwähnt; es ſcheint, daß alljährlich 
zu beftimmter Zeit gewilfe Stämme aus dem Innern zur Küfte herabitiegen, um fich eine 
Zeitlang von Mufcheln und Fiichen zu nähren. An mehreren Punkten der Kapfüfte find 
denn auc Abfälle folder primitiven Mahlzeiten, gemifcht mit zerichlagenen Knoden und 
jogar Menjchenfnochen, gefunden worden. 


Die Hütten der Hottentotten tragen einen halb nomadiihen Charakter. Man könnte 
fie ebenfowohl Zelte nennen. Sie find in wenigen Stunden abgebrochen und neu aufgebaut. 
Das Gerüſt bejteht aus biegſamen Stäben, welche im Oval in die Erde geftedt, dann 
zulammengeneigt und oben miteinander verbunden werden. Der fo umfaßte Raum ift etwa 
zwei Mann lang und ungefähr um ein Drittel weniger breit. Die Öffnung ift nur halb 
mannshoch, und das Innere ift nicht viel höher, jo daß ein erwachſener Mensch nicht darin 
ftehen fann. Mit Recht beitehen die älteften deutichen Schilderer der Hottentotten, wie 
Böving, Vogel und andre, darauf, daß dieje Hütten am paffenditen zu vergleichen ſeien 
den „leimernen Badöfen, welde man bei uns in Teutichland mitten in den Dörfern antrifft, 
feineswegs aber einem Heufchober, theil$ weil ein mittelmäßiger Heufchober oben gar zu 
jpigig zulauft, theils auch weil er weit höher als ein ſolcher ganger Palaſt iſt“. Über dieſes 


(4 


Jagd und Fiſcherei. Hüttenbau. 97 


Geftell werden nun dichte Matten gelegt und darüber noch Felle und das Ganze mit 
Steinen gegen den Windftoß beichwert. Die Bereitung der Matten, welde das Künft: 
lichjte am ganzen Haufe find, geichieht bei den Namaqua in folgender Weife: Die innere Rinde 
der Mimoſe wird in heißem Waſſer erweicht und durch die vereinigte Kinnbadenfraft der 
Familie fo fange fauend bearbeitet, bis fie völlig biegfam geworden it, worauf fie durch 
Rollen auf dem nadten Beine zu einer Schnur gedreht wird. Große Mengen Bindfaden 
werden auf dieje Art in der fürzeiten Zeit hergeitellt. Die Binfen werden dann in Zwijchen: 
räumen von etwa 2 Zoll durchlöchert und die Schnüre vermittelft einer Nadel aus Knochen 
oder Dorn oder neuerdings (nad) Krönlein) mit einer eignen, 2 Fuß langen eifernen 
Nadel (f. nebenftehende Abbildung) dur diefelben gezogen. Matten erweilen ſich 
in zweifacher Hinficht als nüglih. Bei warmem, trodnem Wetter find fie luftig, 
während fie durch Feuchtigkeit aufquellen und infolgedeilen jo dicht werden, daß ſie 
die jtärfiten Negengüffe abzuhalten vermögen. Sie haben außerdem noch den Vor: 
teil der Leichtigkeit, denn ein einziger Packochſe trägt leicht die halbfreisförmigen 
Steden des Hüttengeitelles, die Matten und die paar Geräte, wie Kalabaſſen, 
Melkeimer und Töpfe, und dazu noch die Dame des Haufes jamt ihrem jüngern 
Nachwuchſe, die jtolz inmitten all diefer Habe zu thronen pflegt. Das Innere der 
Hütte zeigt einige Löcher im Boden, in der Mitte gegen die Thür hin eins für das 
Feuer, welchem jedod von aufmerffamern Hausfrauen ein thönerner Herb bereitet 
wird, und ringsumber ebenjo viele „Schlaflöcher”, wie die Hütte Inſaſſen zählt. 
Gewöhnlich wird aber diefelbe von einer ganzen Familie bewohnt, jo daß unter 
Umftänden wohl 10—12 Menſchen auf diefem engen Raume beifammenleben. 
Mas man al3 Hausrat bezeichnen fünnte, die paar Töpfe, Waffen, Stöde, hängt 
an den Stäben des Geitelles oder iſt an einem eignen Gejtelle gegenüber der Thür 
aufbewahrt. Der Rauch zieht durch die Fugen der Matten und die Thür ab. 
Legtere kann mit einem darübergehängten elle verfchloffen werden. Je nad) der 
Windrichtung wird fie durch Berrüdung der Matten leiht auch nad einer andern 
Seite der Hütte verlegt, doch ift ihre Stelle urfprünglid an der Oſtſeite. Der 
Aufbau diefer Wohnftätten wird faft ganz von den Meibern beforgt. 

Was nun die Vereinigung derjelben zu Dörfern betrifft, jo laffen wir aud) 
hier wieder am beiten unierm alten Kolb das Wort, der hierüber fich Harer und Rade! 
verjtändiger ausgelaſſen hat als irgend ein neuerer Schilderer des Volkes. „Städte erben 
und feite Plätze“, jagt er, „haben fie gang und gar nicht, lachen auch um jolcher (Mufeun 
willen die Europeer aus. Selbige nun bauen fie nit nad) der Europeer oder nn nen 
andrer Völker Art, und machen zierliche, gemächliche und richtige Straffen, ſowohl Be 
nad) der Länge als nad) der Quer oder über das Ereuß: jondern fie halten die 
Art und Weife, die fie bei ihren jchlehten Häufern oder Hütten beobachten. Sie bauen 
nemlich ihre Dörfer in die Runde, das ift: Haus an Haus; nicht nad) der geraden, fon: 
dern nad der frummen Eircul: Linien, aljo, daß eines an das andere jchlieffet, und endlic) 
in der Mitte ein groffer weiter Plag, nach der Vielheit der Häufer, übrig bleibet. In diejen 
mitteliten Pag, habe jchon vormals geſaget, daf fie bey der Nacht ihre Schafe treiben 
und fie dafelbft vor denen wilden Thieren in Sicherheit ftellen. Rundum, ift aud) gefaget 
worden, daß fie bey Nacht ihre Ochſen, Kühe und Rinder ftellen; jelbige aljo an einander 
binden, daß allezeit zwey und zwey mit denen hinterften rechten Füllen durch einen Strid 
an einander feite gemacdet werden.” Die Größe der Dörfer ift, wie ſich bei der meilt 
ziemlich häufigen Ortsveränderung derjelben aus Futter» oder Wildmangel von jelbit ver: 
jteht, in der Regel nicht beträchtlich. Wenn allerdings Böving und andre ältere Neifende 
jagen, daß ein Hottentottendorf nicht über 15 Hütten zähle, fo bezieht fi) das auf Die 

Völterfunde I 7 





98 Die Hottentotten. 


ſchon früh zerfplitterten und veriprengten Kaphottentotten. Im Namaqualande gibt es 
noch heute Dörfer von 100 und mehr Hütten. 


Die Viehzucht fann man als das Haltgebende im Leben der Hottentotten bezeichnen, 
wiewohl wir diefelben nach dem Vorhergehenden nicht als ein reines Hirtenvolf, jondern als 
eine Art von Übergangsform zwiſchen Jägern und Hirten auffafjen müffen. Aber die Jägerei 
ift anfcheinend ein älterer und niedrigerer Zuitand bei diejem Volke, das Hirtenleben dagegen 
ein neuerer und höherer, Auch iſt faum zweifelhaft, daß zur Zeit der eriten Berührung mit 
den Europäern bei vielen Hottentottenftämmen die Tendenz zum Hirtenleben durd das 





Hüttenbau der Hottentotten (nad Kolb), 


natürlihe Wahstum der Herden und die Konkurrenz mit den nur vom Wilde lebenden 
Buſchmännern eine ftarke war, dann aber durd die Streitigkeiten mit den Europäern und 
ihr Gefolge von Viehraub und Verarmung raſch gemindert wurde. Für die ausgedehnte 
Viehzucht der Eingebornen vor Ankunft der Europäer liegen in den „Cape Records“ und 
ven frühern Neifebefchreibungen genug Zeugniffe vor. Die erſten Anſiedler fonnten ſich 
nur mit Hilfe der Herden der Eingebornen erhalten. Schon im Anfange der Beliedelung 
taufchten die Niederländer Ninder, Schafe und Ziegen von den Hottentotten ein, und zu 
Kolbs Zeit war troß der Beihränfung des freien Handels durd die Geſetze der Oſtindiſchen 
Kompanie der Taujc von eingebornem Viehe gegen „Tobad, Brandewein, fupferne Koral: 
len oder Batterlein, Meſſing und andere dergleichen geringe Waaren“ ein jehr ausgedehnter. 
Man faufte damals für 1 Pfund Tabak einen Schönen Ochſen und für "/s Prund einen 
fetten Hammel. Auf Erhaltung und womöglich Mehrung ihrer Herden eifrig bedacht, gaben 
fie Kühe und Mutterichafe nur felten ab. An der That waren die Herden ihr einziger 
Reichtum, ihre einzige Möglichkeit, fich durch Taufch die jehr raſch zur Notwendigkeit gewor: 
denen Genußmittel und Schmudgegenitände von den Europäern zu verjchaffen. 


Viehzucht der Hottentotten. 09 


Kolb, dem wir die ausführliditen Mitteilungen über die hottentottiiche Viehzucht 
verdanken, fchildert diefelbe folgendermaßen: „Jeder Kral hat nur eine einzige Rinder: 
berde, die aber nicht dem Kapitäne angehört, jondern an der jeder jeinen größern oder 
geringern Anteil hat. Wer nichts hat, fucht fich bei den Reichern feines Volkes oder bei 
den Europäern zu verdingen, wobei fein einziges Ziel ift, gleichfalls in den Beſitz von 
Vieh zu kommen. Vieh war das Geld diejer Völker in der voreuropäiſchen Zeit und wurde 
eifriger gejucht als bei uns Gold. Das Viehhüten geht der Neihe nad unter den Ein: 
wohnern eines Dorfes herum, und täglich wird die Herde von morgens bis abends auf 
die Weide getrieben. Des Nachts wird dieſelbe auf dem freien Plage inmitten des 





Ein Kral der Hottentotten (nah Kolb). 


freisförmigen Krales jo aufgeitellt, daß die Rinder in einem Kreiſe ftehen, je zwei mit den 
Hinterfüßen aneinander gefejlelt, und in ihrer Mitte die Schafe. Für die ganz jungen 
Lämmer und Kälber gibt es eine eigne Echughütte. Die Stiere und Widder läßt man 
das ganze Jahr in der Herde und zwar in der Negel einige. Dagegen werden die männ— 
lihen Jungen faft alle jchon früh verjchnitten, wofür es in jedem Krale einen Sad: 
verftändigen gibt. Den Stierfälbern wurden die Hoden jo ftraff unterbunden, daß ſie 
verfümmern mußten, und außerdem wurden fie ihnen oft nod mit Steinen zerqueticht. 
Den Lämmern geihah es entweder ähnlich, oder e8 wurden ihnen die Hoden in der That 
ausgejchnitten. Im Melfen verfahren fie wie die Europäer, befommen aber niemals 
Milh, wenn fie nicht ein Kalb anjaugen laffen. Ein andres Mittel, um die Kuh zum 
Melken zu bringen, ift das Einblajfen von Luft, was die Melkenden mit eignem Munde 
zu thun pflegen. Die Milch genießen fie entweder friich oder gejotten, ohne jede Neini: 
gung, oder machen Butter, indem fie diefelbe in einem Schlaudhe aus mit den Haaren 
einwärts gefehrtem Felle raſch durcheinander ſchütteln.“ Dieſe Prozedur in dem ſchmierigen, 
jauren Sade fand Kolb höchſt unappetitlih: „Ich Fan mit Warheit jagen, daß mir, 


100 Die Hottentotten. 


der ich doch feine friihe Butter effe, gleichwohl ein folder Efel davor angekommen, daf 
lange Zeit hernach, wenn diefe Buttermadherei gefehen, wie ich denn gar offt darzu fommen, 
nicht einmal von einer friihen Butter ohne Grauen habe hören können“. Der Genuß 
von Kuhmilch ift Männern wie Weibern, der von Schafmild nur Weibern gejtattet. An: 
geblich ift die legtere den Männern ungefund. Bon den Ochjen werden die ftärkiten als 
Trag: und Reitochſen abgerichtet, zu welchem Zwede ihnen durch die Nafenjcheidewand ein 
langer Stod geftedt wird, an welchem man fie zu leiten jcheint. Die Einrichtung der 
Bakeley- oder Fechtochſen, d. h. ftarfer und mutiger Ochjen, welche 
„darzu gebraucht werden, daß fie auf der Weide das andere Vieh 
müſſen beyiammen halten, damit es ſich nicht zu weit von der Heerde 
weg, oder aus einander begebe“, und welchen dann „nebit diejer 
Funktion auch gelehret wird, in ihren Kriegen, die fie unter einan— 
der führen, Dienjte zu leiften und gegen die Feinde einzudringen, 
ihren Anführern den Weg zu bahnen, alles unter ihre Füße zu 
tretten und zu verjagen, was ihnen entgegeniteht“, jcheint unter den 
heutigen viehzüchtenden Hottentotten nicht mehr geübt zu werden, 
und man möchte fait glauben, daß Kolb 
fich hier einer der Übertreibungen ſchuldig 
macht, zu welchen ihn Breite und Bej- 
jerwilferei mehrmals verführten. Das 
Schlachten der Tiere geichieht in grau— 
jamer Weife, indem fie ihnen den Bauch 
aufichligen, die Eingeweide warm heraus: 
nehmen, ebenjo das in der Körperhöhle 
zulammenrinnende Blut, und dann erft 
zum Abziehen und Zerlegen jchreiten. 
Geſchlachtet wird das Vieh nur im Falle 
der Not oder bei bejondern Gelegenhei: 
ten, wie Hochzeiten und Begräbnijfen. 
Dod eſſen fie alles gefallene Vieh. 

Für einen urſprünglichen Aderbau 
der Hottentotten liegen nirgends Zeug: 
nilfe vor, jo daß man annehmen darf, 
daß vor der Ankunft der Europäer jol: 
cher bei ihnen unbekannt war. Die Ader: Eme Fettbüchſe der Rama: 
Eine Art der Ramaqua geräte, welche heute die Namaqua für qua (Muſeum für Böllerfunde, 

a ihren noch immer nicht jehr bedeutenden Fin). Val Tert, S. ©. 
Aderbau gebrauden, führen wohl auf Mitteilung jeitens der Damara zurüd, denn es 
find etwas andre Formen, als wir bei den Oftkaffern und Betjchuanen finden. 

Ihre Nahrung beitand daher aus dem Ertrage ihrer Jagd und ihrer Viehzucht und 
nur in geringem und jehr ungleichem Maße aus Vegetabilien. E3 war Sache der Weiber, 
die legtern herbeizufchaffen, und zwar wurden hauptſächlich Wurzeln und Knollen ausgewählt, 
wobei (jagt Peter Kolb) diejenigen Arten bevorzugt wurden, nach welchen die Affen und 
Schweine am eifrigiten gruben. Wir hören nidhts von einer jo tiefgehenden Kenntnis 
diejer Dinge, wie fie den Buſchmännern nachgerühmt wird; in wildarmen Gegenden hatten 
jedody die Hottentotten, weil fie nur in größter Not ein Stüd aus der Herde jchladhten, 
ihren Hunger vorwiegend mit pflanzlicher Nahrung geitillt. Aber Fleifh ſuchen fie, 
wie alle Afrifaner, doch immer mit wahrer Leidenſchaft. Nah Yichtenjtein war der 





Aderbau, Nahrungsmittel. Genußmittel. Gemerbe, 101 


Fleiſchhunger das einzige Motiv, welches die Hottentotten der Kapfolonie veranlafjen konnte, 
in die Dienfte der Weißen, meijt als Viehhirten, zu treten: „Gänzlihen Mangel an Fleisch 
erträgt fein ſüdafrikaniſcher Wilder”. Im Notfalle griffen fie zu Haut und Leder, das fie 
jengten, um es dann weich zu fauen. Die Unreinlichkeit in ihrer Speijezubereitung wird von 
allen, die fie beobachteten, mit jtarfen Worten gerügt. Sie effen weder Fleiſch noch Wurzeln 
rob, jondern kochen oder braten jenes, während fie diefe in der Aſche röften; aber die eine 
wie die andre von dieſen Zubereitungsarten wird niemals zu Ende geführt, jo daß fie alles 
balbroh verzehren. Mit Vorliebe fochen fie Stückchen Fleifh in Blut, und wenn irgend 
etwas, jo würde dies verdienen, ihre Nationaljpeije genannt zu werden. Die Männer effen 
gejondert von den Weibern, Kindern und den noch nicht zu Männern gemachten Jünglingen. 
Ein Unterfchied des Ranges findet beim Mahle nicht ftatt, jeder greift zu, wo und wie es 
ihm gefällt. Überhaupt gilt für ihre ganze Art zu efjen O. — Wort: „Sie eſſen, 
wenn ſie hungert, und machen ſich weiter 
feine andre Regel als der Natur ihre”, An 
Getränken hatten fie vor der Ankunft der 
Europäer nichts als Waſſer und Milch. 
Sehr bald aber lernten fie den Brannt— 
wein über alle Maßen lieben, und die Dit: 
indiſche Kompanie jorgte dafür, daß eins 
ihrer gewinnreichſten Produkte, der Arraf, 
am Kap nicht ausging, während zugleich 
der früh emporblühende Weinbau den Wein 
und Weinbranntwein leicht erreichbar jein 
ließ. Nun find zu ihrem größten Schaden 
die Hottentotten längft an alle unjre auf: 
regenden Getränke, ftarfe und ſchwache, 
gewöhnt. Als Baines zu Jan Jonkers 
Krale kam, war dejjen erftes Verlangen nad) 
Kölniſchem Waffer, „um jeinen Magen zn Ein Ehnupftabatslöffel der Hottentotten 
wärmen“, und gleich danach ſchickte er nad) N a ee ne 

Thee, um denjelben abends zu Haufe zu trinken. Die Genußmittel, welche feinem Volke 
der Erde fehlen, waren bei den Hottentotten das Kraut der Dada und die Wurzel ber 
Canna, und zu ihnen gejellte fich ſogleich nach Ankunft der Europäer ber Tabak, dejjen 
Rauchen allein oder zufammen mit Dada fie ſich mit einer ſolchen Leidenjchaft ergaben, 
daß Tabak lange Zeit das wichtigfte Umlaufs- und Tauſchmittel, eine Art von Geld, bei 
ihnen wurde, für welches ihnen faft alles feil war. Auch das Schnupfen des Tabaks 
lernten fie bald und nicht minder das KHauen. Ihre Rauchwerkzeuge und «Methode ſtim— 
men mit denjenigen überein, welche wir von den Buſchmännern bejchrieben. Auch die 
Cannamwurzel teilen fie, wie wir gejehen, mit ihnen, und dieje hielten die Hottentotten zu 
Kolbs Zeit noch viel höher als Tabaf und Dada. 





Von Hantierungen und Künften verftehen die Hottentotten vor allem die Zu: 
bereitung der Felle zu Pelzwerk und Leder und deſſen meitere Verwendung. Gie 
machen die elle weich und haarhaltend, indem fie diefelben vom friſchen Zuftande an mit 
Fett, dem öfters Kuhmift beigemengt wird, wiederholt einreiben und mit ihren Kirrig 
Elopfen. Sie nähen fie mit Sehnen zujammen, für welde fie die Löcher vermittelft einer 
öhrlofen Nadel aus Vogelbein vorftehen. Zu diefen Nähſehnen benugen fie hauptjächlich die 
Wirbeljehnen der Rinder, welche gleich nach dem Schlachten auf Blöde ausgeſpannt und 


1092 Die Hottentotten. 


in der Sonne getrodnet werden. Um die Haare ausfallen zu machen, ftreuen fie Aſche auf 
die frischen Felle und laſſen fie in der Sonne nad Gerberart „ſchwitzen“. Danı werden fie 
auf beiden Eeiten abwechjelnd mit Fett und Sand gerieben, bis fie weich genug geworden, 
um fie zu Riemen zu zerichneiden. Die Verwendung eines gewillen Baftes zum Gerben 
dürften die Namaqua duch die Europäer überfommen haben. Yon der Zubereitung der 
Binjenmatten wurde gelegentlid des Hausbaues geredet. Gleichfalls aus Binfen und 
Rohr Flechten fie die Stride, mit welchen fie ihre Rinder bei Nacht feſſeln. Auch Ringe, 
um fie um die Beine der Kinder zu legen, machen fie daraus. Aus freier Hand machen 
fie ihre Töpfe, welche Arbeit meift den Weibern zufällt. Den Thon dazu nehmen fie 
gewöhnlich aus den Ameifenhügeln und fneten die Ameijeneier mit hinein. Nachdem ber 
Topf in der Sonne getrodnet, jegen fie ihn in ein Yo, machen Feuer um ihn herum 
und in ihm, bis er durchgebrannt iſt. Er nimmt dabei eine jchwarze Farbe an, melde 
wahricheinlich von dem verfohlenden Fette der Ameijeneier ſtammt. 

Von ihrer Metallinduftrie jagt Tachart: „Viele verftehen ſich auch vortrefflich auf 
die Mineralien, willen fie zu gießen und zurecht zu machen, halten’s aber gar nicht hoch, 
vielleicht weil in ihrem Lande eine große Menge Gold, Silber: und Kupferadern vorhanden‘, 
Kolb und andre beftätigen, daß fie nach Gold und Silber nicht im geringiten lüſtern waren, 
und allem Anjcheine nad) haben fie vor der Ankunft der Europäer dieſe Metalle nicht beſeſſen. 
„Vom Kupfer“, jagt Kolb, „machten fie zwar wol einiges Werd, weil es nad) der Polirung 
ſchön helle glänget: aber daß fie es jo hoch nicht achten als Eifen, ift daher gewiß, weil 
fie das Eifen zu ihren nöthigen Waffen, das Kupfer aber nur zur Zierde und Schmud zu 
brauden willen.” Ihre Methode, das Eifen zu fchmelzen, ift genau diejelbe, wie man jie 
bei andern primitiven Stämmen Sübdafrikas findet: fie machen zwei libereinander liegende, 
dur eine Ninne verbundene Gruben, in deren oberer fie das Eifen einfach durch ſtarkes 
Feuer reduzieren und Schmelzen, während die untere das Erzeugnis dieſes Schmelzprozeſſes 
aufnimmt. Ihre Unbelanntichaft mit Hammer und Amboß wird von ältern Gemwährs- 
männern ausdrüdlich hervorgehoben. hr Blafebalg beiteht nicht, wie bei den Negern, aus 
einem Baar hölzernen Luftnäpfen, jondern aus einem mit Ventil und irdenem Luftrohre 
veriehenen Ziegenihlaudh. Ihre Schmiedearbeit geſchah in der einfachit denkbaren Meife. 
Vogel bejchreibt fie in feiner „Zehnjährigen oftindianifchen Neifebeihreibung‘ fait mit 
denjelben Worten, wie ein neuerer Beobachter das Schmieden bei den Zulu beichrieben hat: 
„Sie nehmen ein Stüd Eifen, wie fie es befonmen; juchen einen Stein, welder jehr feit 
und hart ift; auf jelbigen legen fie das Eifen und ſchlagen es jo lang mit einem anderen 
Stein, der ihmen anftatt eines Hammers dienen muß, biß fie es in die ihnen beliebige 
Form gebracht haben; jo denn jchleifen fie es an einem Stein und poliren es dergejtalt 
ſchön, daß man meynen folte, e8 habe es ein rechter Teuticher Waffen-Schmied verfertiget”. 

Als die Europäer zuerjt mit den Hottentotten in Berührung famen, fanden fie von 
Handel und Verkehr nur wenige Spuren. Es gab vor allem Fein anerkanntes Tauſch— 
mittel, da fie Gold und Silber nit fannten, Kupfer nur in geringer Menge und jelbit 
von Eifen allem Anjcheine nad nicht viel bejahen. Außer ihren Nindern und Schafen 
fonnte nur Elfenbein für den Handel in Betradht fommen, und auf diefes gründet ſich 
denn auch die einzige Annahme, welche bezüglich eines Außenhandel der Hottentotten vor 
der DBefiedelung des Kaps gemacht werden kann. Es heben nämlich die ältern Forſcher 
faſt alle die geringe Menge des Elfenbeinesihervor, das im rohen Zuftande oder in Geftalt 
von Armringen im Lande ſich fand, während doch die Hottentotten Elefanten in großer Zahl 
erlegten. Da fie auch nad) dem Aufblühen der Kapſtadt zu einem lebhaften Markte nur 
wenig Elfenbein dahin brachten, vermutete man, daß fie einen Ablag dafür nad) den por: 
tugieſiſchen Anfiedelungen entweder direkt oder durch VBermittelung der „Monomotapenfer“ 


Handel und Verkehr. Kumftübungen und Heilkunft. 103 


hätten. Für direkten Handel mit Natal jchiene eine Bemerkung bei Kolb zu jpreden, 
welder im Regiſter eines holländischen Schiffsfapitänes, van der Schelling, die Auf: 
zeihnung fand, daß in Terra de Natal Elfenbein in großen Mengen vorhanden fei, 
„Das er von denen angrängenden Monomotapenjern und nahe gelegenen Hottentotten 
erkauffet“. Unter ſich oder mit den Holländern tauchten fie häufig überflüflige Stüde ihrer 
Herden gegen Tabak, von weldiem Kolb annimmt, daß fie jährlich einige taufend Pfund 
fonfumierten, fupferne Korallen oder Canna. Ihre Waffen waren ihnen felten feil. An 
Handelsgabe gebrad es ihnen nicht, und holländiſche Kaufleute am Kap fanden es zweck— 
mäßig, hottentottifche Diener mit Waren zum Taujchverfehre zu ihren Landsleuten zu jenden, 
ficher, daf diejelben größern Gewinn machen würden als fie jelber. Altere Berichteritatter 
rühmen aud ihre Ehrlichkeit im Handel, wovon freilich die neuern nicht viel zu jagen willen. 

Zum Schluffe einige Worte über die Kunftübungen der Hottentotten. Ihr muſika— 
liiches Talent it hervorragend und wird befonders von den Milfionaren anerkannt, welche 
ihnen große Gelehrigfeit in der Erlernung der Kirchengeſänge nadhrühmen. Unter fid) 
benugen fie als Mufikinftrumente, gleich den Buihmännern, da3 Gom-Gom oder Die 
Gora, von welder Kolb behauptet, daß drei oder vier diefer Inſtrumente, harmoniſch 
geipielt, „eine ftille und angenehme Mufic geben, wovon niemand der Kopf mit allzu befftigen 
Erthönen beichwehret, gleihwohl aber das Gehör lieblich ergöget wird“. Seine Erwartung, 
„es dörffte aud) mit der Zeit dieſes Inſtrument zu mehrerer Vollkommenheit gelangen”, hat 
ſich nicht erfüllt, denn das Gom:Gom it noch heute genau dasjelbe, wie er es ausführlich 
beichrieben und abgebildet. Außer diefem Inftrumente benugen fie jehr einfache Trommeln, 
welche aus einem irdenen, mit einem Schaffelle überipannten Topfe beitehen. Dieje Ichlagen 
in der Regel die Weiber, während das Gom-Gom von den Männern geipielt wird. Kolb 
it zweifelhaft, ob das Gom-Gom uriprünglich hottentottifch oder von den „Sklaven anderer 
Länder‘ (in der Kapkolonie) den Hottentotten mitgeteilt jei. Beide beſäßen es und belegten 
es mit demjelben Namen. in der That findet es fich auch bei andern afrifanischen Völkern. 

Die Heilkunſt der Hottentotten it nicht ganz gering; fie überlaſſen vielleicht nicht 
joviel von der Sorge für körperliche Leiden der Zauberei wie andre afrifaniiche Völ— 
fer. Sie legen großen Wert auf Blutentziehungen, welche fie entweder nach Art des 
Schröpfens durch Anfaugen eines Hornes auf einer vorher eingeichnittenen Hautitelle oder 
durch Aderlaß mit Abbinden bewerkitelligen. Das Abjchneiden eines Fingergliedes, wozu 
die Weiber unter gewiſſen Umitänden verpflichtet find (j. ©. 72), willen fie gleichfalls 
durch Unterbinden in fehr geſchickter Weile zu bewerfitelligen. Das Schmieren mit Wett, 
welches fie ohnehin aus fosmetiichen Gründen jo allgemein üben, wenden fie auch zugleich 
mit Dehnen und Sineten der Glieder bei VBerrenfungen und dergleihen an. Bon inner: 
lihen Mitteln benugten fie nah Kolb den abführenden Saft der Aloe, dann „Pulver und 
Tränfe von wilden Salvey: Blättern, Buchu, wilden Knoblauch, Eywiſch-Wurtz, wilden 
Fenchel, wilden Feigen und deren Blättern, nebſt vielen anderen, deren Compojition fie 
unendig verändern”. Derjelbe erzählt auch, daß fie gegen Pfeilgift Schlangengift ein— 
nehmen. Viel näher aber als der Gebrauch diejer natürlichen Mittel liegt ihnen bei jeder 
jchwereren Krankheit die Anrufung des Zauberers, welcher zugleich der bejte Kenner und 
Zubereiter aller diefer Arzneien ift. Ehe er zu diefen greift, vollzieht er den alten Gebrauch) 
des „Andersmachens“, indem er ein Schaf jchlachtet und deffen Neg, mit Buchu beftreut 
und in Stridform zufammengedreht, dem Kranken un Hals und Schultern legt, wo das: 
jelbe zu bleiben hat, bis es abfällt, einerlei, ob Geneſung eintritt oder nicht, Das Fleiſch 
des Schafes wird von den Männern verzehrt, wenn ein Mann der Kranfe, und von 
den Meibern, wenn es ein Weib it. Derjelbe Zauberer jucht, wenn eine Krankheit lang: 
wierig wird oder Gefahr vorhanden fcheint, die Ausfihten auf Genejung zu erforichen, 


104 Die Hottentotten. 


indem er einem Schafe bei lebendigem Leibe die Haut abzieht. Läuft das gefchundene 
Tier, jo it Genefung zu erwarten, im andern Kalle der Tod. Der Zauberer bat jeine 
Proben abzulegen. Nächſt dem Eſſen von Schlangengift ift Herumrollen des nadten 
Körpers auf einer mit Skorpionen beftreuten Stelle eins der Erfordernifje des Nama: 
Schlangenarztes. Je weniger ihm die Stiche ſchaden, deſto beſſer ijt feine Dualififation. 


Einem gebärenden Weibe jteht bei den Hottentotten in der Negel eine ältere Frau 
zur Seite, welche Kenntnis von dem hierbei Notwendigen beiigt. Vom Beginne der Wehen 
an muß der Mann die Hütte verlaffen. Kehrt er vor der Zeit in diejelbe zurüd, jo muß 
er fih „anders machen”, indem er zwei Schafe Ichlachtet und zum beften gibt. Dasselbe 
ift ihm bei Geburt eines toten Kindes auferlegt, da hierüber große Trauer herridt. Ein 
gefundes Neugeborne wird aber erſt mit Kuhmiſt eingeichmiert, dann mit Fett gejalbt 
und mit Buchu bejtrent: alles, wie fie vorgeben, un es gelenkig und Fräftig zu machen. 
Sit es ein Knabe, fo werden von wohlhabenden Hottentotten einige Rinder, ift es aber 
ein Mädchen, nur Schafe oder auch gar nichts geichladhtet. Die Ausfegung kranker Kinder 
oder auch weibliher Zwillinge icheint unleugbar zu fein, wenn auch Kolbs Angabe nicht 
bejtätigt ift, daß fie diefelben lebendig auf Bäume binden und fo verichmachten laſſen. 
Der Mutterfuchen wird aus Furcht vor Zauberei jamt allem Blute begraben, die Nabel: 
ſchnur mit einer Sehne abgebunden. Mann und Frau haben fi nach Ablauf des Kind: 
bettes mit Kuhmift, Fett und Buchu zu reinigen. Die erite Wiederannäherung der Gatten 
geichieht nad Kolb unter Daharauden bis zur Beraufhung. Das Neugeborne trägt 
num die Mutter mit fih auf dem Rüden in einem Lammfelle, deſſen Hinterbeine dieſelbe 
um ihren Leib und deſſen Vorderbeine fie um ihren Hals ichlingt. Hier verbringt das 
Kleine in geichügter, warmer Lage die erjten Monate feines Lebens und braucht in der 
Hegel jelbit nicht zum Säugen herabgenommen zu werden, ba die Mutter bald im jtande 
it, ihm die Bruft unter den Armen durch zu reihen. Das Kind jchlägt feine Händchen 
wie Krallen in die Brut, die es wie eine Zitrone ausjaugt. Dieſe Art, das Kind zu 
tragen, wird natürlih für die Mutter erheblich erleichtert durch das Fettpoljter ihres 
Hinterteiles, weldes einen ftügenden Vorfprung bildet. 

Sobald die Kinder freigelaflen werden, wird ihre Haut mit Butter oder mit Buchu— 
jalbe eingerieben, angeblih um fie gegen die Sonnenftrahlen zu hüten, und wenn man 
fih an einem Fluffe oder einer reichen Quelle befindet, werben fie abends wieder abgewaſchen. 
Da dies aber in vielen Fällen nicht geihehen kann, jo verliert, wie ein guter Beobachter 
fi) ausdrüdt, die Heine Kreatur dur eine immer mehr ſich verdidende Staubfrufte auf 
der Haut jedes menſchliche Ausjehen und iſt „eher einem glatt rafierten Paviane als einem 
Menſchen“ zu vergleihen. Indeſſen jind gerade die Namaqua viel weniger waſſerſcheu 
als andre Naturvölfer, und wo ein Kral an einem Fluſſe oder tiefern Gewäſſer liegt, wird 
fleißig geihmwommen, und jogar Frauen und Mädchen veritehen fich auf allerlei Kunitjtüde 
im Wafjer. Überhaupt ift ihre Erziehung wohlgeeignet, die körperlichen Kräfte zu entwideln, 
denn die Jugend übt fi unter den Herden mit Springen, Yaufen, auf den Händen Gehen 
und dergleichen, vor allem aber ift das Zureiten der jungen unbändigen Ochien eine gute 
Kraftprobe; denjelben wird ein Pflock durch die Nafe geftedt, an welchem ein Riemen 
als Zügel befejtigt wird. Als Sattel dient dabei einfach der Karof, um den ein Gurt 
geichnallt wird. Auch das Spurſuchen, in weldem der Nama hervorragendes Talent ent: 
faltet, wird jchon früh von den Knaben geübt, welche ihre Väter auf die Jagd begleiten. 

Zwiſchen dem achten oder neunten Jahre und dem Alter der Mannbarfeit wird dann 
an den Knaben die Ausſchneidung ber linken Hode vollzogen, welde den Knaben oder 
Jüngling erft den Männern zugelellt. Den Sinn diefes Gebrauches wollen einige in der 


Familienleben und Begräbnis. 105 


Furt der Hottentottinnen vor Zwillingsgeburten jehen. Bei den alten Hottentotten war er 
nah Kolbs und andrer Zeugnis mit den größten Feitlichkeiten umgeben. Es ift unrichtig, 
wenn gejagt wird, daß die Hoftentotten ihren Kindern feine Namen geben. Für die 
Knaben ziehen fie Tiernamen vor, wie Hacqua (Prerd), Gamman (Löwe) und dergleichen. 

Die Verheiratung findet jo früh ftatt, daß ihre Vorbereitung und Bejorgung 
noch Sade der Eltern iſt. Grundzug it, wie bei allen Sübafrifanern, der unverhüllte 
Kauf. Ahr gebt eine Anfrage jeitens eines Angehörigen des Bräutigams bei dem Vater 
des von diefem begehrten Mädchens und bei diefem felbft voraus. Erfolgt eine zuftimmende 
Antwort, jo kommen jene an einem der nächſten Tage mit den für das Hochzeitsmahl 
bejtimmten Rindern in den Kral, wo die Braut wohnt, ſchlachten und richten ein Mahl an, 
welches den Mittelpunkt des ganzen Vorganges bildet. Von unreinlihen Zeremonien, die an 
das „Andersmachen“ nad glüdliher Jagd erinnern (ſ. ©. 96), jprechen ältere Beobachter, 
nicht aber neuere. Auffallend ijt der angebliche Mangel an Gejang und Tanz bei diefem 
Feſte. In betreff der Zahl der Weiber bildet nur die Möglichkeit ihrer Ernährung eine 
Grenze. Treffend jagt Böving: „Die Polygamie ift unter ihnen zugelafien, jo daß einer 
jo viel Frauen nehmen kann, als er ernähren fann; weil aber die meilten arme Leute find, 
jo find nur diejenigen, jo viel Vieh haben und alfo die Reichften find, Polygami“. Heiraten 
unter Nächſtverwandten bis zu Gejchwilterfindern find nicht geitattet. Alleiniger Erbe 
feiner Eltern ift der männliche Erftgeborne. Den andern Kindern werden indeſſen wohl 
bei der Heirat ein paar Rinder oder Schafe mitgegeben. 

Von jeiten der Eltern werden die Kinder gut, felbft zärtlich behandelt, wie- 
wohl die Angabe etwas übertrieben fein möchte, daß jene fich freuen, wenn dieſe jo ftarf 
geworden find, daß fie ihnen Prügel austeilen.- Jedenfalls ift auc das Benehmen ber 
Kinder gegenüber ihren altersihwachen Eltern nicht allgemein fo roh, wie es manchmal 
geichildert wurde, und auch hierin ftehen die Hottentotten hoch über den Bujhmännern. 
Daß fie diefe Unglüdlichen ausjegen, wenn diefelben fih nicht mehr ſelbſt ernähren Fönnen, 
fommt jelten vor; am eheſten iſt es möglich auf der Flucht vor Feinden oder wilden Tieren 
oder auf einer Neije, wo die Vorräte ausgingen. In folhem Falle möchte allerdings der 
natürliche Selbiterhaltungstrieb über die edlern Gefühle des Mitleidves und der Kindesliebe 
triumphieren. Aber anderjeits liegen aus den beften Quellen Beijpiele vor, daß Kinder 
ihren Eltern das zärtlichite Andenken bewahrten, und jedenfalls zeigen fie dies in der mühe: 
vollen und forgfältigen Art, mit der fie beim Begräbnifje derjelben zu Werfe gehen. 

Nach Beendigung der Wehklagen, in die alle Anmwejenden mit dem Aushauchen 
des legten Atemzuges ausbrechen, ſchlachtet der Sohn zuerit einen Bod, um mit deſſen 
Blute die Leiche zu beftreihen, worauf diefe in Hodjtellung (nah ältern Berichten „nicht 
anders, als die Kinder im Mutterleibe figen oder liegen‘) mit Riemen zufammengebunden 
und in Matten und Felle genäht wird. Das Grab wird ähnlich wie bei ung gegraben, an 
der einen Längsjeite aber wird eine Nijche angebracht, welche die eigentliche Yagerftätte des 
Toten bildet, worin diejer dur Steinplatten, Stäbe und Zweigwerk abgeſchloſſen wird. 
Dan türmt dann die ausgegrabene Erde wieder in das Grab und wälzt einen Steinhügel 
darüber, um die Hyänen von der Leiche abzuhalten. Das Graben diejes Grabes und 
überhaupt die ganze Beiſetzung bildet eine der jchwerften Arbeiten, denen ber Hottentott 
fih überhaupt unterzieht, und bei der Unvollkommenheit der Werkzeuge ift fie in der That 
nicht unbedeutend. Manchmal jcheinen die Hinterbliebenen ſich mit einer Felsſpalte oder 
Höhle anitatt des Grabes zu begnügen. Beim Wegbringen der Leiche aus ihrer Hütte 
wird nicht der gewöhnliche Ausgang gewählt, fondern an der entgegengelegten Seite der: 
jelben wird eigens für diefen Weg einer geichaffen. Nach Kolb währte bei den Kap— 
hottentotten das Wehklagen über das Begräbnis hinaus, oft acht Tage, und der ganze Kral 


106 Die Hottentotten. 


begleitete den Leichnam. Er ſchildert auch ein „Andersmachen“ oder eine Reinigung, bei 
welcher Beiprengung mit Menſchenharn, Aſche vom Herde des Verftorbenen und Kuhmiſt 
die Hauptrolle fpielen. Ferner beichreibt er, daß nad allen diefen Zeremonien von feiten der 
Angehörigen Tiere feierlich geihlachtet und deren Nee als Trauerzeihen um den Hals gehängt 
werden, worauf der ganze Kral feine Hütten abbricht und nad einem andern Orte zieht; 
dabei bleibt nur die Hütte des Verftorbenen unberührt ftehen „aus Furt, es möchte der 
Todte wiederfommen, um ſich nad) jeinem Haufe und darinnen gehabter Habe umzuſehen; 
auch fie, wofern fie jelbiges mitnehmen und unter ihre anderen Häufer jtelleten, wader 
plagen, ängitigen und quälen; denn es iſt micht auszuſprechen, wie bange ihnen vor 
Geſpenſtern ift: und fan man fie gar bald verjagen, wenn man ihnen glaubig machet, daß 
es an diefem oder jenem Ort umgehe, die Leute bethöre, und was deifen mehr jeyn fan’. 


4 


Unzweifelhaft treffen wir in der jorgfältigen Art des Begräbnifjes bei den Hotten- 
totten und in den daran fich fchließenden Zeremonien, welche in dem Glauben an das 
MWiederfommen der Geifter Verjtorbener wurzeln, auf ein Hinübergreifen der Gedanken 
diefer Völker in ein geiftiges Gebiet, von deifen Ahnung übrigens auch ihr vorhin 
erwähnter Zauberglaube Zeugnis ablegt. ES fragt fih nur, wie hell das Yicht jei, das 
dieſe Partie ihres Lebens erbelle. In diefer Beziehung ift es bemerkenswert, daß ſchon 
ältere Beobachter irgend eine Art von Neligion ihnen fait einftimmig zufprechen, wie wenig 
günftig auch ſonſt ihre Urteile über das ganze fittliche und geiftige Weſen diefes Volkes 
lauten mögen. J. W. Vogel bat in jeiner „Oſtindianiſchen Neijebefchreibung‘“ furz und 
klar ausgeiproden, was die Neuern dann nur beitätigen konnten. Er jagt: „Von Gott und 
feiner Erkenntnis wiſſen die Hottentotten wenig oder nichts. Doch fpüret man, daf fie 
eine Veneration gegen den Mond haben. Denn wenn derielbe neu it, fommen fie zuſammen, 
Ichreien und raſen die ganze Nacht, tanzen in einem Kreife und klatſchen unter ſolchem 
Tanzen mit den Händen. Zumeilen bat man fie aud in dunfeln und finftern Höhlen 
angetroffen, wojelbit fie unter dem Klatjchen der Hände etwas hergemurmelt, jo aber 
niemand von Europäern verjtanden oder gewußt hat, was e8 ſei.“ Kolb ift weiter gegangen, 
indem er unter anderm in jeinem „Caput Bonae Spei Hodiernum“ (1719) jagt, die 
Hottentotten könnten jchon darum nicht mit den Kaffern zufammengeworfen werden, weil 
fie „Gott kennen und willen, daß Er ſey“, was eben gerade bei den Kaffern, wie ihr Name 
bejage, feineswegs zutreffe; aber Kolb zeigt fi) aud in diefer Frage als der Gründliche, 
indem er nicht bloß dur Erkundigung von ihnen erfuhr, daf fie den Mond ihren „großen 
Kapitän‘, d. h. ihren Herrn, nannten, jondern auch jelbit oft beobachtete, wie fie ihre Tänze 
bei Neu: und Vollmond ganze Nächte hindurch aufführten und dabei, zum Monde auf- 
ſchauend, riefen: Sei willlommen, made, daß wir viel Honig befommen, made, daß unjer 
Vieh viel zu freſſen befomme und viel Milch gebe, und dergleichen. Auf die Fragen nad 
Art und Weſen diejes Herrn pflegten fie zu antworten, daß er ihnen nur Gutes gethan 
habe und darum auch nicht gefürchtet werde; „hingegen wäre nod) ein anderer Kapitän, 
etwas Eleiner von Bermögen, von welchem einige unter ihnen hätten zaubern gelernt, ber 
thäte ihnen niemalen Gutes, ſondern allezeit Böjes, und diefen müßten fie fürchten, ehren 
und dienen” Dem eritern Kapitäne, dem auten, legten fie den Namen Gounia, dem 
andern, böjen, den Namen Touquo bei. Begreiflicherweije erwedt diefe Gegenüberftellung 
des guten und böſen Prinzipes fofort den Argwohn, daß wir es in diefem Kapitel hotten- 
tottifcher Theologie mit einem Stüd „hineingefragten” Chriftentumes zu thun haben. 
Noch vermehrt wird diefer durch die Schilderung dieſes böfen Geiſtes, welche gleichfalls 
Kolb aus dem Munde eines Hottentotten hörte: er ſei über den ganzen Yeib häßlich, 


Religion. Gottesideen. Mythologiſche Sagenkreiſe. 107 


rauh und haarig, Füße und Kopf wie ein Pferd und — mit einem ‚weißen Kleide angethan. 
Das fieht wie eine Kombination von Teufel und Engel aus. Weiter vernahm dieſer 
Gewährsmann, daß fie dem „böjen Kapitäne” mehr dankten und ihn mehr ehrten als den 
guten, und als er um den Grund frug, wurde ihm zur Antwort: Sie wühten nicht 
warum; doc jei ihnen von ihren Voreltern erzählt worden, daß dieſe ſich ſchrecklich gegen 
den großen Kapitän verjündigt hätten und diejer ihnen darum die Herzen jo verhärtet 
habe, daß jie ihn nun nicht mehr zu erfennen, noch zu verehren vermöchten. Kolb it 
vorlichtig genug, hierbei jogleih an den Sündenfall der jüdiſch-chriſtlichen Glaubenslehre 
zu denfen; aber er benugt diefe Vermutung nur zur Begründung feiner Lieblingsanjicht 
von der jüdiichen Abftammung der Hottentotten. Wir haben durch ihn aber ebenfalls 
die erſte Nachricht von der Verehrung eines halbfingerlangen, ſchmalen, grünen und unfern 
Schrötern vergleihbaren Käfers, dem zu Ehren, wenn er in einen Kral fliegt, Schafe 
geichlachtet werden (gl. S. 76 die Heufchredenmythen der Bufchmänner), und die Nach— 
richt von „heiligen Ortern“, feien es Hügel oder freie Pläge, wo fie zur Erinnerung 
irgend eines dort ftattgehabten glüdlichen Ereigniffes tanzen oder fingen. 

Von diefen Angaben ift einiges durch die neuern Beobachter beftätigt worden, aber 
in ganz anderm Sinne, als e8 bei jenen ältern Schilderern hottentottiichen Lebens ſich 
ergab. Es jcheint klar, daß einige Sagenkreije, freilich bis zur Unfenntlichfeit ineinander 
verihoben und verwirrt, fih um gewiſſe Geitalten gruppieren, welche ihrerjeits außerdem 
mit dem Monde, dem göttlich verehrten, in Zufammenbang gebracht werden und auch mit 
der unklaren Gottesidee überhaupt gleich den Halbgöttern oder Heiligen andrer Religionen 
fich berühren. Aber noch niemand iſt es gelungen, ein Syftem, das eben nicht darin liegt, 
in diefes Wirrjal zu bringen. Was bald als Gott, bald als ihm entgegengejegtes böfes 
Prinzip unter den Namen Touquo, Tjui:Goab (wir laffen hier einen Gaumenjchnalz: 
laut vor Goab ungejchrieben), Thuifwe und dergleichen aufgefaßt wurde, das iſt in 
Wirklichkeit ein hottentottifcher Nationalheros und zugleich ein geiftiger Mittelpunkt, um 
den jich die verfchiedenften Sagen und Vorftellungen wie um eine der alltäglichen Niedrig: 
feit des Lebens entrücdte Höhe gruppieren. Da man nun nicht ganz klar it über den 
Urſprung des Namens, den die Hottentotten für „Gott“ haben, jo gaben die Mijlionare 
in den verfchiedenen Dialeften Thuikwe und Tikoa (Rap), Tſuikwap (Namaqua), Tihukoap 
(Kora) an. Ein Kaffernwort für Gott Tio und Tillo ift offenbar davon abgeleitet, wie 
es denn feinen fremden Urjprung durch verichiedene Merkmale verrät; ebenfo jcheint auch 
das entiprehende Buſchmannwort Tuiko damit zufammenzuhängen!. Bleek erflärt ebenio 
wie Büttner die Etymologie des Namens als durhaus unklar. Die hottentottiiche 
Deutung „ihmwärendes Knie’ beruht wohl auf Vollsetymologie. Aber man hat ſich über: 
zeugt, daß noch viel mehr der Sinn unflar ift; denn da die Hottentotten gleich andern 
afrifanishen Völkern in aller Art Nöten ihre Ahnen anrufen, jo ift es fein Beweis für 
die göttlihe Natur diefes Tjui-Goab ꝛc., wenn fie etwa zu ihm beten, obgleich das 
wohl feitzuhalten ift, daß derjelbe der oberite aller Sagenhelden der Hottentotten iſt. 
Die Milfionare haben e3 daher meiftens vorgezogen, diejen von Mißverjtändniffen nicht 
freien Namen nicht al3 das Wort für den hrütlichen Gott zu gebrauchen. 

Wenden wir ung den eigentlihen Sagen der Hottentotten zu, fo erjcheint auch 
bier am beachtenswerteiten eine gewiſſe anfriitallifierende Gruppierung von einer Anzahl 
derjelben um eine wohl halb mythiihe, halb phantafiegeborne Geftalt, den großen 
Zauberer Heitji Eibib oder Kabib, von weldem vor allen die Namaqua einige 


’ Kölle bringt in feiner „Polsglotta afrieana" eine ganze Reihe ähnliher Formen für Gott, wie 
„. 8. Bayon: nikob; Kum: niefop; Balu: nyikoab; Momenya: niefuob. 


108 Die Hottentotten. 


merkwürdige Sagen erzählen. Heitfi Eibib war ein großer und berühmter Zauberer bei 
den Hottentotten. Er verftand Geheimniffe zu erzählen und das Zufünftige zu prophe— 
zeien. Er erichien in verfchiedenen Geftalten. Bald erfchien er fchön, fehr ſchön; bald 
wuchs fein Haar zu den Schultern herab, bald war es auch wieder furz. Er ſtarb mehr: 
mals und ftand immer wieder von den Toten auf. Deshalb gibt es viele Gräber von 
ihm, auf melde die Hottentotten Steine werfen, wenn fie vorbeigehen, um fein Un: 
glüf zu haben. Unter den Geichichten, die fie von ihm erzählen, dürfte einige mit 
Neminiszenzen an von den Miffionaren empfangene Belehrung zufammenhängen, To, 
wenn Heitfi Eibib mit einer großen Volksſchar auf der Reife und von Feinden verfolgt 
an ein Wafler fommt, das auf jeine Beſchwörung fich öffnet und ihn mit feiner Schar 
durchläßt, um die Feinde, welche auf dieſem Pfade ihnen folgen wollten, zu verſchlingen. 
Eine andre Geſchichte, die einen tiefer zurücdigehenden Hintergrund, man möchte jagen 
einen urmenschlichen hat, lautet folgendermaßen: „Im Anfange waren zwei (Wefen). Der 
eine hatte eine große Grube in die Erde gemacht, ſaß dabei und befahl den Worüber: 
gehenden, einen Stein an jeine Stirn zu fchleudern. Der Stein jedoch ſprang zurüd 
und tötete die Perſon, welche ihn geworfen hatte, fo daß fie in die Grube fiel. Zulegt 
wurde Heitfi Eibib erzählt, daß auf diefe Weife viele Menfchen umfämen. So madte er 
fih denn auf und fam zu dem Manne, welcher den Heitji Eibib aufforderte, einen Stein 
auf ihn zu jchleudern. Jener lehnte es jedoch ab, denn er war zu Hug. Er Ienfte aber 
diefes Mannes Aufmerffamfeit auf etwas, das feitwärts lag, und während derſelbe ſich 
umwandte, um binzufehen, ſchlug ihn diefer hinter das Ohr, fo daß er ftarb und in feine 
eigne Grube fiel. Nach diefem ward Friede, und die Menſchen wurden glüdlich.” Wer 
verfennt bier den tiefen Grundzug‘ der Übereinftimmung mit weltweit verbreiteten Ans 
ihauungen, welde im Odipus und im Siegfried dem Drachentöter ſowie in durchaus ähn- 
lihen Figuren auf Fidſchi und in Indien ihre Ausprägung gefunden haben? Doc dürfte 
auch der Anklang an das chriftliche „Wer andern eine Grube gräbt, fällt jelbjt hinein“ 
nicht zu überjehen fein. Eine andre verbreitete Sage: Heitfi Eibib af von der Frucht 
bes wilden Traubenbaumes (Gobe genannt), erkrankte davon und ftarb. Noch im Tode 
hatte er jeinen Angehörigen verboten, von berjelben Frucht zu eſſen, damit ihnen nicht 
Ähnliches widerfahre. An diefes Verbot fnüpfte er aber zugleich die Verheißung: wenn fie 
auch ftürben, würden fie fterbend leben. Später fand man ihn auf einem Baume in der 
Nähe des Grabes wieder von derſelben Frucht effend, und als er zu feinem Grabe eilte, 
um darin zu verichwinden, fing ihn fein Sohn und brachte ihn wieber zum Krale hin, wo 
jeitdem Heitſi Eibib wieder unter jeinen Leuten lebte. Heitfi Eibib foll auch mit dem 
Monde in Verbindung gebracht werden. 

Ein fonderbarer reicher Zweig der hottentottiichen Erzäblungslitteratur find die Tier: 
fabeln, welde bald in merfwürdigem Anflange an unfre Neinekefabeln die Überliftung 
des Löwen und andrer Tiere dur den Schafal, bald die Plumpheit des Elefanten, die 
Schlauheit des Pavianes in teils wigiger, teils freilich auch pointelofer Weife darftellen und 
farifieren, Dft geht ihre ungebundene Rede in die gebundene über, und manchmal ijt die 
Moral, wie bei Ajop, in einem markierten Spruche an das Ende geftellt. Scharfe Beobach— 
tung, praftiihe Weisheit erfennt man aus vielen. Aus ihren Mythen überhaupt aber 
ipricht eine Naturempfindung, die auch jonft nicht ohne geiftigen Nefler bleiben wird. Um 
ein Beijpiel zu nennen, erzählten bie Hottentotten in der Nähe der König Georgs-Fälle 
des Dranje dem Entdeder derfelben, G. Thonpfon, daß Ton und Anblid der Fälle fo 
erichredend jeien, daß fie diefelben nur mit Grauen betrachteten und felten die Stelle zu 
beſuchen wagten. Auch machten ihre fcheuen, unfichern Bewegungen den Eindrud, daß 
jie thatjächlich fih nicht ganz dem Einfluffe des genius loci entziehen konnten. 


Sagen von Heitfi Eibib. Tierfabeln. Politiſche Drganifation. 109 


Hier eine Probe ihrer Tierfabeln: 

Der Leopard und ber Widder. 

Als ein Leopard einft von der Jagd heimfehrte, fam er zufällig an den Kral eines 
Widderd. Nun hatte der Leopard nie zuvor einen Widder gejehen und näherte fich ihm dem: 
zufolge in jehr untermwürfiger Weife, wobei er jagte: „Guten Tag, mein Freund! Wie magft 
du wohl heißen?” Der Widder erwiderte mit rauher Stimme, indem er fi mit dem Vorder: 
fuße auf die Bruft ſchlug: „Ich bin ein Widder, und wer bift denn du?” „Ein Leopard“, 
verjegte der andre, mehr tot als lebendig; dann nahm er Abjchied und eilte heim, fo fchnell 
er laufen fonnte. Nun lebte mit dem Leoparden zufammen ein Schakal, und zu dem ging 
der Leopard hin und ſprach: „Freund Schafal! Ich bin ganz außer Atem und halbtot vor 
Schreden, denn ich habe foeben einen fürchterlichen Burſchen mit großem, bidem Kopfe ge: 
jehen, der mir auf die Frage nad) feinem Namen ganz grob erwiderte: ‚ch bin ein Widder!‘ 

„Bas bift du doch für ein märrifcher Kerl von Leopard”, rief der Schafal, „daß 
du ſolch ein fchönes Stüd Fleifch fahren läßt! Wie kannſt du nur das thun? Aber wir 
wollen uns morgen auf den Weg machen und es in Gemeinichaft verzehren.“ 

Am folgenden Tage machten fich die beiden nad dem Krale des Widders auf; als 
fie num auf diefen von der Höhe eines Hügels binabjahen, erblidte fie der Widder, der 
ausgegangen war, um frifche Luft zu ſchöpfen, und der eben überlegte, wo er wohl heute 
den zarteiten Salat fi ſuchen fünnte. Da eilte er denn jofort zu feiner Frau und rief 
ihr zu: „Ich fürchte, daß unfer legtes Stündlein gefchlagen hat! Der Schafal und Leopard 
fommen beide auf uns zu. Was wollen wir anfangen?” „Sei nur nicht bange,” meinte 
fein Weib, „ſondern nimm das Kind bier auf den Arın, geh’ damit hinaus und fneife 
e3 recht tüchtig, fo daß es fchreit, als fei es hungrig.” 

Der Widder gehorchte und ging fo den Verbündeten entgegen. Sobald der Leopard den 
Widder erblicdte, bemächtigte Furcht ich abermals feiner, und er wollte wieder umkehren. 
Der Schakal hatte für diefen Fall ſchon Vorforge getroffen, er hatte nämlich den Leoparden 
mit einem ledernen Riemen an ſich feftgebunden. So jagte er nun: „So komm doch!“ Da 
kniff der Widder fein Kind recht tüchtig und rief dabei laut: „Das ift recht, Freund Schafal, 
daß du ung den Leoparden zum Efjen bringft, hörft du, wie mein Kind nach Nahrung jchreit ?” 

Als der Leopard diefe jchredlichen Worte hörte, ftürzte er troß der Bitten des 
Schakals, ihn doch Loszulaffen, in der größten Angſt davon, indem er zugleich den 
Schakal über Berg und Thal, dur Büſche und über Felfen mit fi fortichleppte und erft 
dann ftillhielt und ſcheu um ſich blidte, als er fich ſelbſt und den halbtoten Schafal 
wieder nah Haufe gebradjt hatte. So entlam der Widder. 


Die politifde Organifation der Hottentotten bejtand zur Zeit, als die Europäer 
zuerft in ihr Land kamen, in der Zuſammenſchließung einer Anzahl von Familien zu einem 
Krale, ber ein nad) Erjtgeburt erbliches Oberhaupt in Geftalt eines jpäter jo genannten 
Kapitänes befaß. Dieler Kapitän ward in feiner Aufgabe als Führer und Richter feines 
Volkes durch die Alteſten und Angefehenften desfelben unterftügt und hatte in Gemein: 
ichaft mit diefen auf Befolgung der alten Sitten und Gebräuche und auf Ahndung deſſen 
zu achten, was nad ihrer Auffaffung Unrecht war. Außerdem erfannten mehrere Ges 
meinden einen gemeinfamen erblihen Herrn an, den fie Kouqui nannten, und welchem 
hauptfächlich die Führung im Kriege, wohl auch auf Wanderungen, die Auswahl der Weide: 
und Wohnpläge und die Zuteilung derjelben an die Gemeinden obgelegen zu haben jcheinen. 
Diefe Verhältniffe werden indeſſen von feinem der ältern Berichterjtatter Kar dargelegt, 
waren vielleicht auch in Wirklichkeit nicht jo jtreng gegliedert, fondern von den momen— 
tanen Verhältniffen der verjchiedenen Stämme abhängig. Auch hier find die Namaqua 


110 Die Hottentotten. 


am geeignetiten, jene Angaben einigermaßen zu vervollitändigen und zu erflären. Ihre 
politifhe Organijation gleicht im allgemeinen der eben geichilderten. Sie ift vor allem 
eine lodere, veränderlidhe. Zu verichiedenen Zeiten haben verschiedene Häuptlinge eine 
Fübrerrolle für fie alle beansprucht, aber heute ift ein politiicher Zufammenbang nicht mehr 
vorhanden. Sie zerfielen vor 20 Jahren in zehn und einige Stämme, aber deren Zahl 
ift durch häufige Vereinigungen und Trennungen von Stämmen eine veränderlihe. Den 
größten Teil derjelben” bilden Orlam, d. h. eingewanderte Kapbottentotten, den Eleinern, 
inniger zufammenhängenden die Vollblutnamaqua, welche zu jener Zeit unter den Häupt: 
lingen Zeib und Dafib jich für das ausgezeichnete, das „königliche“ Volt hielten und gern 
die Führung aller andern beansprucht hätten, Eutberlands Behauptung, daß die Vor: 
nehmen bei den Hottentotten im 17. Jahrhundert eine dem gemeinen Volke unverftändliche 
Sprache beſeſſen hätten, führt wohl auf diefes wirfliche oder beanspruchte Vorrecht eines 
einzelnen Stammes zurüd, der feinen bejondern Dialekt ſprach. In der That find fie durch 
mehr Charakter und Energie ausgezeihnet und haben zugleich einen nicht unbedeutenden 
Grad von Nationalitolz, der jich in zähem eithalten der Sprache und der Bäterfitten 
ausprägt. Die andern Stämme find ſchon durch Boden und Klima ihrer Wohnfige minder 
günftig geftellt. Jeder Stamm hat feinen eignen Häuptling, deifen Würde in männlicher 
Linie erblich ift. Doch hat diefer, abgeſehen davon, daß er der reichite von allen iſt, kaum 
eine bejondere äußere Auszeichnung; feine Hütte ift etwas größer, er erhält bei Mahlzeiten das 
Kreuzftüc eines Tieres, welches als Ehrenitüd gilt, und dergleichen, Aber jein Einfluß it 
nicht gering. Er ſchlichtet Streitigkeiten, beitraft Vergehen, beruft Volksverſammlungen, be: 
ſtimmt bei Wanderungen Weg und Ziel feines Stammes. Gin Nat der Angefeheniten 
feines Stammes unterftügt ihn in der Ausübung diefer Funktionen, aber der Grad feiner 
Wirkſamkeit hängt ganz von dem Gewichte feiner Perfönlichkeit ab, welches durch beionders 
energiiches Auftreten, durch fühne und erfolgreihe Jagden und dergleichen ſich vermehrt. 
Sit dasjelbe gering, jo thut jeder beinahe alles, was er will. Doc Icheinen, unabhängig 
von der Handhabung, einige Gelege, die fie haben, vortrefflich zu fein. Th. Hahn ſchil— 
dert 3. B. folgendes Gele vom Stamme Dafib: Steigt der Neifende in einem Dorfe ab, 
fo find bejtimmte Beamte da, welche jeine Pferde oder Ochſen in Empfang nehmen, leiten, 
abjatteln, tränfen, weiden, des Abends vor wilden Tieren in Sicherheit bringen und ber: 
gleihen. Der Fremde wird mit Milch, Fleiſch, Waller und Holz verjorgt und hat einen 
Dann zum Schuge gegen die Beläftigungen von Kindern und Erwadfenen und, falls der 
Fremde allein fein jollte, zur Unterhaltung feines Feuers und zu feiner Beihügung in 
der Naht. Will der Neifende wieder aufbrechen, fo hat er es nur durch feinen Beichüger 
dem Häuptlinge melden zu laſſen, und er wird jelbit zur Nacht feine Tiere bereit zur 
Stelle finden. Es fällt niemand ein, für das alles Bezahlung zu heiſchen, wie es auch 
im Belieben des Neilenden jtebt, feinen Gaftfreunden mit einem Gejchenfe zu danken. 
Ob er es thut oder unterläßt, ändert nichts an der Gajtfreundichaft, die ein andres Dal 
gegen ihn geübt wird. Man verfteht diefe Übung der Gaftfreundfhaft ſpeziell gegenüber 
den Europäern, wenn man fich erinnert, daß für die Namaqua der Verkehr mit den euro: 
päiihen Händlern bebufs Erlangung des Kojtbariten, nämlich der Waffen und Munition, 
unentbehrlich ift. Aber es zeugt für ihr Organifationstalent und ihre Einficht, daß fie 
diefer Notwendigkeit jolche Anerkennung zu geben willen. So wenig abgeneigt find manche 
Häuptlinge dem Handel und Verfehre, daß durch fie im Namagualande ein Weg von der 
Miſſionsſtation Bethanien nach Berjeba und (durch Jonker Afrikaner) jogar von dem 
nördlichen Hochlande nach der Walfiihbai angelegt ward. 

Merkwürdigerweiſe ſchließt dieſe ganz eigentlich „geſetzlich geregelte” Gaftfreundichaft 
nicht eine ganz andre Behandlung der Wanderer aus, fobald fie das Gebiet verlaffen 


Nechtsleben und heutige politiſche Verhältniſſe. 111 


haben, wo ſie ſolch freigebigen Schutz genoſſen. Man reiſt nur ſicher, wenn man ſich einer 
Empfehlung auch beim nächſtwohnenden Stamme verſichert hat. Wenn man fie aber ver: 
[egt hat, indem man etwa Miftrauen gegen fie zeigte oder fih ungünftig über fie äußerte, 
balten fie es nicht für Unrecht, den Keifenden auszurauben, was fie nur „abnehmen‘ heißen, 
Oft ift ihre Rache für verlegte Eitelkeit milder. So ließ ein Häuptling einen Engländer, ber 
fich allerlei Scherze über die Dummheit der Namaqua erlaubt hatte, von den 600 Männern, 
Meibern und Kindern feines Stammes mit fuhmiftbefchmierten Gefichtern umarmen und 
abküſſen. Es Eingt aber doch nicht ganz wahricheinlih, wenn Th. Hahn erzählt, daß 
diefe unreinlihe Prozedur als Prüfftein für den Charakter eines bei ihnen ſich nieder: 
lajienden Fremden benußt werde. 

Im Rechtsleben der Namaqua ijt der bervortretendite Zug die ftrenge Ahndung, die 
fie dem Morde angedeihen laſſen. Bei unabfihtlihem Totſchlag fann eine Buße an Vieh 
genügen, wozu der Totichläger noch ein Berföhnungsmahl veranftaltet, bei welchem er mit 
dem Blute der eigens dafür geſchlachteten Kuh beftrihen wird, von dem Fleiſche derjelben 
aber nicht eſſen darf. Abfichtliher Mord wird dagegen mit jtrenger Blutrache geahndet, 
wozu der nächte Verwandte in erfter Linie verpflichtet ift; fällt oder ftirbt diejer, dann hat 
der nächitfolgende einzutreten und, wenn gar fein Verwandter vorhanden ift, der Freund 
des Ermordeten. E3 wird mit diefer Verpflichtung ernit genommen. Als ein Buſchmann 
jeine beiden Namaquamweiber aus der Gegend von Nehoboth erichlagen hatte, flüchtete er 
in eine ganz andre Gegend, wo er als Deiperado fi umbertrieb und den Anftrengungen 
der dortigen Namaqua trogte, ihn feitzunehmen. Endlich gelang es, ihn durch Liſt ding- 
feft zu machen; man band ihn an ein Wagenrad, um ihn feinem Bluträcher zuzuführen, 
diefer aber traf zufällig an demjelben Abende am Plate ein und zerichmetterte nad 
wenigen Worten den Schädel des Mörders. Bei Eigentumsverlegungen ſcheint ebenfalls 
Buße an Vieh oder ſonſtigem Belige und im Falle des Unvermögens Förperlihe Züchti- 
gung die Strafe zu bilden. 

Seit 60 Jahren haben, wie ſchon angedeutet, die politifchen Verhältniffe im Namaqua— 
lande dur die Einwanderung von Hottentottenbajtarden aus der Kapkolonie eine jtarke 
Veränderung in der Richtung erfahren, daß einige herrichfähige Naturen von großer Energie, 
aber ebenjo großer Gewiljenlofigfeit und Niückiichtslofigkeit über die Mafje der Namaqua 
fih erhoben und denfelben einen aggrejliven Charakter, vorzüglich ihren nördlichen Nach— 
barn, den Herero oder Damara, gegenüber, aufgeprägt haben, wie er früher ihrer Ge- 
ichichte nicht eigen geweſen zu fein ſcheint. Ein fait endlofer Grenzfrieg ift die Folge diefer 
Veränderung. 1870 ward Friede geichloffen, aber in den legten Jahren ift neuer Krieg 
entbrannt. Die Ausfiht auf dauernden Frieden liegt nur darin, daß die 20,000 Namaqua 
in dem Augenblide es aufgeben werden, ihre nördlichen Nachbarn anzugreifen, wenn bieie, 
welche friegstüchtig, aber ruhiger und dem Chriſtentume mehr zugewandt find, ebenjo gut 
mit Feuergewehren ausgeftattet fein werden; denn nur die beijere Bewaffnung hatte den 
Namaqua früher eine Überlegenheit eingeräumt. Die Kriege find offenbar beiden Teilen 
glei verderblich, fowohl den Namaqua als den Herero, und Feiner der feit Jahrzehnten 
bier durch Miſſion und Verkehr ausgejtreuten Kulturfeime verſpricht unter diefen Ber: 
hältniſſen ungeitörtes Gedeihen. Zur Verdeutlihung diefer für die Gejchichte der Namaqua 
und der Südafrifaner überhaupt wichtigen Ericheinung geben wir bier eine furze Sfizze 
einer derjenigen „Dynaſtien“ diefer Näuberfürjten, welche ſich bis heute in beherrichender 
Stellung erhalten hat und noch immer die jtärkite Bereinigung von Macht im Namagqua- 
lande darftellt: der Jager oder Afrikaner. 

Der uriprünglihe Name diefer Häuptlinge war Jager, Afrifaner wurden fie erit 
ipäter genannt. Der Vater des erit berüchtigten, dann berühmten Ehriftian Afrikaner 


112 Die Hottentotten. 


war Häuptling eines Hottentottenvolfes, das von den holländischen Anfiedlern weiter und 
weiter ins Innere zurüdgedrängt und endlich dienjtbar gemacht wurde; er ftand in näherer 
Verbindung mit einem reihen Boer, für welchen er Züge gegen die räuberiichen Bud) 
männer unternahm, um ihnen geraubtes Vieh abzujagen, und für welchen jein Volk Ar: 
beiten verrichtete. Diefer Boer joll fih graufam und hochfahrend gegen Afrikaner und 
feine Leute benommen und denfelben den Abzug nad) einem andern Teile des Landes 
verboten haben. Eines Tages entitand ein Streit zwiichen dem Boer und Afrikaner, bei 
welchem jener von einem Bruder des letztern erichoffen wurde. Nun flüchtete ſich der 
Stamm gegen Norden und ließ fih am Dranje im jüdlihen Teile des Groß-Namaqua: 
landes nieder. Doc follte ihm auch bier feine Ruhe erblühen. Bon der Regierung der 
Kolonie wurde auf Afrifaner gefahndet, um den Mord jenes Boerd an ihm zu ftrafen, 
und Boeren wie „Baſtaards“ begaben fich auf feine Fährte. Zugleich feindeten ihn die 
Namaqua, feine Nachbarn, heftig an, und er hatte fich nach allen Seiten zu wehren. Die 
Schlauheit und Graufamfeit, mit der er dies that, erwarben ihm bald einen gefürchteten 
Namen. Er tötete eine große Zahl feiner Feinde und wurde dabei jelber lahm geichoflen. 
Die Miffionare wurden bei diefen Kriegszügen nicht geichont, und die ganze Station Warm: 
bad ging in Flammen auf. Aber einem deutichen Miſſionar, Albrecht, gelang es doch 
endlich, Afrikaner zahm zu machen, und jpäter hatte der Ichottiiche Milfionar Moffat den 
Triumpb, dieſen einftigen Schreden der Koloniften, der für einen der blutdüritigiten, 
unverbeilerlihiten Milden galt, nach der Kapſtadt zu bringen, wo der Gouverneur ihm 
verzieh, indem er hoffte, eine Stüße für die Herbeiführung befferer Zuitände unter den 
Hottentotten der Grenze in ihm zu finden. Afrikaner ftarb in Frieden in feinem Dorfe 
im Namaqualande, wo mit der Zeit alle Bewohner Ehriften geworden waren, und deſſen 
Bevölferung er in jeder Nichtung, vor allem in Fleiß und Neinlichkeit, zu beifern ftrebte. 
Moffat berichtet rührende Züge von feinem Eifer im Lefen und Lernen und feiner Reue 
über begangene Übelthaten. Er hinterließ wenig Güter, da er allen wohlthat, die er als 
bebürftig Fannte, Was aber am meilten in Erjtaunen fehte, war die Friedensliebe, die er 
nun bethätigte. „Er, der einft wie ein Feuerbrand Zwifte, Keindihaft und Krieg unter 
den Nahbaritämmen verbreitet hatte, war nun im ftande, alles zu thun, um zwiſchen 
jtreitenden Parteien zu vermitteln, und wenn er nur feinen Arm zu erheben brauchte, 
um fih von Speeren oder Bogen umgeben zu ſehen, ſah man ihn jegt in der Stellung 
eines Bittenden, in welcher er die Kämpfenden ermahnte, fich zu verſöhnen; dabei rief er 
wohl, indem er auf fein früheres Leben hinwies: ‚Was habe ih nun von allen den 
Schlachten, die ich gefodhten, und allem Biehe, das ich geraubt, al Scham und Reue” 

Nichts zeigt deutliher den Mangel an Zufammenbang, das Zerriffene, immer von 
neuem wieder auf die Ausgänge Zurückgeworfene im Seelenleben und damit aud in der 
Geſchichte dieſer Völker als die Thatfache, daß Chriftian Afrifaner von einem Sohne ge 
folgt wurde, der, wiewohl im Chriftentume und in guten Grundſätzen erzogen, genau in 
derjelben Weile durch Krieg und Naub fich gefürchtet machte wie jein Vater, nur mit dem 
Unterfchiede, daß er in diefer Laufbahn bis an fein Ende verharrte. Es ift dies Jonker 
Afrikaner, welder eine große, aber verderblihe Rolle in ber Gejchichte der hottentottifchen 
Einwanderung nah dem Namaqualande geipielt hat, und auf welchen ein großer Teil der 
Kämpfe zurücgeführt wird, welche feit einem Menjchenalter Namaqua: und Damaraland 
verwüjten. Zur Zeit, als Chriftian Afrikaner jtarb, war ein älterer Bruder vorhanden, dem 
ein Teil des Volfes anhing; aber Jonker verftand es, fi zum Häuptlinge aufzufchwingen, 
und gewann dur die Nähe feines Heinen Stammes bei der Grenze der Kolonie, die ihm 
Pferde und Feuerwaffen verichaffte, die Möglichkeit einer Ausrüftung, welche derjenigen 
der nördlihen Namaqua weit überlegen war. Diefe riefen im Streite mit den Damara 


Die Dynaftie Afritaner. Hottentottenmifchlingdftamm ber Griqua, 113 


Jonker zu Hilfe, welder in den fünfziger Jahren als das wahre Haupt der Namaqua 
betrachtet werden konnte, nachdem er die Damara hart bedrängt und geſchwächt hatte. 
Anderson erzählt, daß in den vier Jahren feines Aufenthaltes unter den Damara 
(1851-—55) diejelben den vierten Teil ihres gefamten Biehjtandes an die Namaqua 
unter Sonfer verloren hatten, und fait ebenfoviel war ihnen ſchon früher genommen worden. 
Nachdem längere Zeit hindurch, weſentlich durch die Vermittelung der Miflionare, der 
Friede wiederhergeitellt worden, iſt ſeit einigen Jahren, angeblid auf Anitiften Jan 


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EN SEEN, 
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— 





Hottentottenhäuptling Jan Afrikaner und Frau (nad Photographie im Beſihe des Herrn Dr. Fabri in Barmen). 


Afrifaners, des dritten kriegeriſchen Häuptlinges aus der Afrifanerfamilie, die alte 
Fehde zwiihen Namaqua und Damara wieder neu ausgebrodhen. Wir geben bier das 
Bild des Häuptlinges und feines Weiber. 

Die Rüdwirkung der fogenannten „Bajtaards“, d.h. der Spröflinge aus weißem 
und hottentottifhem Blute, auf die neuere Gejchichte der Hottentotten ift nicht bloß 
einer der ethnographiſch intereflanteften Züge afrifanischer Völkergeſchichte, ſondern auch 
wohl der geichichtlich zufunftsreichite Zug in den ganzen Schickſalen des Hottentottenvolfes 
jeit jeiner Berührung mit Europäern. Es it zum allererftenmal durch das an die Spiße 
Treten diejer halbzivilifierten Elemente etwas Gelbfttbätiges in die bis dahin leidende 
Geſchichte der Hottentotten gefommen, das freilih nod manchmal jcheitern könnte, ehe es 
fein Ziel erreicht. Indeſſen ift doch in den beiden einzigen beträchtlichen Reſten der Hotten— 
totten, den Griqua und Namaqua, unzweifelhaft Gutes durch dieſe Miſchung geicheben, 
wenn auch die Mifchlinge jelbit in ihrer großen Mehrzahl zu abfälligen Urteilen der mit 
ihnen vielfach mit Recht unzufriedenen und öfters auf fie mit Unrecht eiferfüchtigen Weißen 
herausgefordert haben. Aber auch hiervon abgejeben, verdienen die Griqua einfach in 

Bölterfunde. 1. 8 


114 Die Hottentotten. 


ihrer Qualität als jelbitändiges Miſchvolk, deffen Entjtehung zu verfolgen it, eine ganz 
bejondere Beachtung, da fie ein wertvolles Beiſpiel darftellen für die Bildung eines 
eigenartigen Stammes durch mehrfältige Miſchung beterogenfter Elemente. Auch ſchon 
die Gejhichte ihres Namens ift in diefem Zufammenhange von allgemeinerm Intereſſe. 
Als die Niederländer am Kap fich niederliefen, waren die Griqua ein Hottentotten- 
ftamm in ihrer Nachbarſchaft, deijen öfters Erwähnung geihieht und zwar als eines zahl: 
reihen. Gleich den andern Hottentottenftämmen de3 Südweſtens wurden auch fie von 
den vordringenden Anfieblern immer mehr ins Innere zurüdgedrängt und nahmen, was 
in geringerm Maße vielleicht Schon früher ftattgefunden hatte, zahlreihe Bujhmänner und 
mit der Zeit auch eine nicht geringe Anzahl jener „Baſtaards“, Miſchlinge von Europäern 
und Hottentotten oder Buſchmännern, auf, welche, von der väterlihen Seite zurüdgeitoßen 
und von der mütterlihen nicht angezogen, ſchon am Ende des 17. Jahrhunderts fich in 
großer Zahl in der Kolonie und an ihren Grenzen befanden. Körperlid und geiftig 
höher ftehend als die beiden eingebornen Beitandteile des Volkes, übte dieſes dritte Elentent 
ihon bald einen fo großen Einfluß auf das Ganze aus, daß der uriprüngliche Name 
Griqua für eine Zeit vollitändig gegen ben der „Baſtaards“ vertaufht wurde. Dieſe 
leihte Annahme eines für unfre Begriffe nicht eben ehrenvollen Namens verſteht fich jehr 
wohl, wenn man an den Stolz denkt, mit welchem bie ſüdafrikaniſchen Europäermiſchlinge 
ganz wie die jüdamerifanifchen oder malaiiſchen ſelbſt auf dem kleinſten Tropfen weißen 
Blutes bejtehen, welchen fie in ihren Adern nachzumweifen vermögen. Wer von jübdafrifa: 
niichen Farbigen irgend einen Grund hat, jih als „Baſtaard“ zu fühlen, legt ſich gewiß 
diefen Namen bei und würde fich weder als Hottentott noch als Buſchmann oder Griqua 
fo jtolz fühlen. Ya, es lag nod mehr von Bevorzugung in diefem Namen, denn als 
Baftarde wurden noch lange nad Annahme des Namens Griqua (1813) alle diejenigen 
bezeichnet, welche mehr vom weißen als farbigen Blute hatten oder zeigten, darum aber 
feineswegs beſſer gehalten wurden als ihre hottentottenähnlichen Volksgenoſſen. Nur die 
Miffionare, welche ein bejonders reges Antereife für dies neue Volk empfanden, waren 
im ftande, den ihnen anftößigen Namen zu bejeitigen und den der Griqua wieder in 
jein Recht einzuſetzen, der ſeitdem allen Gliedern des Stammes geblieben ift. Nicht wenig 
trug dazu ein freigelaffener Negeriklave, Adam Kof, von der Mozambiquefüfte bei, welcher 
jih den Griqua zugefellte und durch bedeutende Eigenschaften des Geiftes und Charafters 
einen ſolchen Einfluß gewann, daß er diejelben nicht bloß Jahre hindurch zu leiten, ſondern 
ihnen fogar auch nad) feinem Abtreten vom Schauplage etwas von der politiichen Bedeu: 
tung zu binterlaffen vermochte, welche er ſelbſt an ihrer Spige ſich erworben hatte. 
Wir haben aljo hier unter dem Namen eines verihwundenen Hottentottenjtammes 
eine Miichraffe aus drei nachweisbaren Hauptelementen vor uns: Hottentotten, Buſch— 
männern, Europäern. Daß aber unter den Baftarden, die ſich den beiden erjtern zugejellten, 
‚echte Mulatten und mitunter auch Miſchlinge mit malaiiihem Blute waren, ift bei der 
früh ſchon jehr bunten Bevölkerung der Kapfolonie nicht zu bezweifeln. Hauptſächlich 
erfennt man aber unter den Griqua zwei Beitandteile: 1) Sogenannte echte Griqua, 
welche feinen Zweifel laffen, daß fie in der großen Mehrzahl Miſchlinge von Hottentotten 
und Bufchmännern find. Sie find durchichnittlih Hein, gelblihbraun, haben kurzes, 
wolliges Haar und breite, vorftehende Badenfnohen. 2) Die eigentlichen „Baſtaards“, 
welche meiſt von anjehnliher Größe, Fräftigem Körperbaue, mit mehr oder weniger Anklang 
an europäiichen Schnitt des Gefichtes, ziemlich langem, gefräufeltem Haare und vorwiegend 
dunkler, oft auffallend tiefer, mandmal aber auch (durch Hottentottenblut) fRbler, aſch— 
farbiger Hautfarbe find. Auf diefe den Namen Griqua wegen ihrer alten und nod 
immer häufigen Verbindung mit denjelben unterichiedslos anzuwenden, ift am Kap im 


Griqua und „Baftaarbs”. 115 


gewöhnlichen Spradhgebraude jehr allgemein. Die „Baſtaards“ ſelbſt lehnen aber dieje 
Benennung ab. 

Es iſt lehrreid, zu jehen, wie ein Völfername, der urjprünglich einem Hottentotten- 
ftamme angehörte, auf eine Miſchung von Hottentotten, Buſchmännern und Europäer: 
mifhlingen überging, um endlich diefen legtern auch da beigelegt zu werden, wo fie ganz 
außer Verbindung mit jenen ftehen. Seitdem die Griqua in Verbindung mit „Baftaards“, 
Korana, Betihuanen und andern Vertretern aller füdafrifanifchen Völkerſchaften ein eignes 
Gebiet, Griqualand, nördlich vom mittlern Oranje eingeräumt erhalten haben, ift für alle 
Bewohner desjelben der Name „Griqualanders” üblich geworden, ber eine noch weiter 





Zwei Namaqua (,Baflaards‘). Nah Fhotographie im Befite des Herrn Dr. yabri in Barmen. 


gehende Verallgemeinerung it, ein politifcher Begriff jtatt eines ethnographiichen. Wie man 
jieht, läßt fi ein gemeinjames Charafterbild diefer Griqua in körperlicher Beziehung nicht 
entwerfen, weil ihre Mijchungselemente noch zu wenig miteinander verijhmolzen find. Ihre 
Erſcheinung it demgemäß ebenjo mannigfaltig wie Art und Grad ihrer Vermiſchung. 
Jedes Individuum hat feinen eignen Typus. Doch fommt ihren beiden Hauptbeftand: 
teilen, den echten Griqua jowohl als den „Baſtaards“, unzweifelhaft ein geiftiges Über: 
gewicht über die ungemifchten Eingebornen zu, welches bei den lettern natürlich auf 
europäiſches Erbteil zurüdgeführt wird, bei jenen aber auf ihre frühen Beziehungen zu 
den Europäern, auf die Sorgfalt, welche die Miſſionare ihnen entgegenbradhten, und nicht 
zulegt wohl aud auf manchen Tropfen europäischen Blutes, der in ihre Adern, wenn 
auch bloß durch Vermittelung der „Baſtaards“, gelangt ift. 

Von den Europäermiſchlingen wird auch in Südafrifa, ganz wie in Indien oder 
Eüdamerifa, furzweg behauptet, daß jie die Fehler ihrer beiderjeitigen Eltern, aber nichts 
von den Tugenden derjelben bejäßen. Und dort wie hier ijt daran jo viel wahr, daf 

8* 


116 Die Hottentotten. 


allerdings die Miſchlinge felten alle Vorzüge des europäischen Vaters und alle Tugenden 
der farbigen Mutter miteinander vereinigen. Hieran trägt aber die Miſchung des Blutes 
weniger Schuld als die eigentümliche, wenig günftige Erziehung, welche dieſen Leuten 
nach der Natur ihrer Stellung zwiichen zwei weit voneinander gefonderten Raſſen zu teil 
wird und zu teil werden muß. Es ift jelbftverftändlidh, daß die Sorge für ihre Erziehung 
der Mutter anheimfällt, und daß alfo die erften Eindrüde des jungen Mifchlinges inmitten 
der niedrigern Raffe gewonnen werden. Heranwachſend mag er die Überlegenheit fühlen, 
welhe ihm in der Regel in geiftiger Hinficht und oft auch in körperlicher fein Anteil 
hellern Blutes verleiht; aber von der Naffe, der fein Bater angehört, wird er nicht auf: 
genommen, ihr gilt er als Farbiger bei allen beffern Eigenſchaften, welche er als Miſchling 
ererbt haben mag. Er wächſt alfo in der Negel mit weniger Erziehung und Bildung 
auf, als er bei jeinen Fähigkeiten nötig hätte, und daß er unter diefen Umftänden nicht 
immer den beiten Gebrauch von feinen Gaben macht, ift nur jelbftverftändlih. An geiftiger 
Begabung, Energie und oft felbit an Körperfraft oder wenigſtens an Luſt und Trieb 
zur Verwendung derfelben den Farbigen überlegen, entbehrt er der Gabe der Zufrieden: 
heit mit der niedrigiten, gedrüdteften Lage und der phlegmatiichen Unempfindlichkeit gegen 
Entbehrungen jeder Art, welche jene auszeichnet und welche jo viel dazu beiträgt, ihre 
wilden Inſtinkte unschädlich zu-maden. Sehr oft teilt er aber mit ihnen die Umluft zu 
anhaltender Arbeit. So werden dieje „Baftaards” zwar die thätigiten und ausdauernditen 
Müftenwanderer, die beten Schüten, geichidteften Jäger, verichlagenjten Händler, aber 
zugleih die größten Spigbuben, ärgiten Säufer und unter Umftänden die gefährliditen 
Verbrecher diejes Landes abgeben. Auf der einen Seite find es die Bewohner des Griqua- 
landes, welche lange vor den Meifen nad dem Ngami hinaufjogen und die Kalahari- 
wüjte auf Wegen durchkreuzten, die jene nicht zu betreten wagten, auf der andern find fie 
als die „Deſperados“ Südafrikas, die fühnften und jchlaueften Räuber und Wegelagerer 
berüchtigt. Auch wo fie fich jehbaften Leben und dauernder Arbeit zuwenden, behalten fie 
etwas Unbändiges im Charakter. Von den Bajtarden in den Kupferbergmwerfen von Ukiep 
heißt e8 in einem Berichte von 1870: „Ein zügel- und ruhelos irrendes Wolf, zu allem 
bereit, alles fennend und unmwillig, irgend jemand über die zwingendfte Notwendigfeit hinaus 
als Herrn anzuerkennen, wilde, vernachläffigte Gejellen, die übrigens weder mehr Übles 
noch Gutes in fi haben als andre mit einem ſolchen Mangel an Erziehung Bebaftete”. 
In feine der vorhandenen Bölfergruppen, feinen ber beitehenden fozialen Rahmen paijend, 
find die Griqua für den in Südafrifa ohnehin durd die Natur jo nahegelegten Nomadismus 
gleichjam von Geburt geeignet und mehr noch geneigt. Ja, fo fehr gehörten die Griqua 
lange zu den entjchiedenften Nomaden, daß fie noch 1871 im „Cape Monthly‘ als die 
Araber Südafrikas ſelbſt den aderbauenden Betihuanen gegenübergeftellt wurden. Und jo 
ift denn eigentlich ihre ganze Gejchichte eine Nomaden, eine Wandergeihidhte. Im Jahre 
1820 lebten fie in drei Stämmen unter den beiden Kof und Berend von Daniels Kuyl bis 
zum Nietfluffe; als 1822 Nik. Waterboer in Griquatown gewählt wurde, zogen viele Griqua 
fort und jchloffen fich den andern Stämmen an. Ein andrer Erodus unter Buys richtete fich 
nad) den Bergen auf der Grenze der KRapfolonie und erzeugte fo die Bergenaers. Im Jahre 
1326 309 Adam Kof mit feinen Griqua nad der von den Kaffern verwüfteten Buſchmann— 
folonie Philippolis, wohin zahlreicher Zuzug aus Namaqualand und andern Gegenden 
ftattfand, Unterdeſſen wuchs die Zahl der Boeren, weldhe über die Grenze der Kapfolonie 
zogen, und es entitanden Streitigfeiten zwilchen ihnen und den Griqua; lettere wollten 
ihon auf britiiches Gebiet zurüdtehren, als die Boeren von engliihen Truppen in ihre 
Grenzen zurüdgemwiefen wurden. Übrigens hatte der Häuptling der Griqua feit 1834 
Eubjidien von der britiihen Regierung erhalten, Nach der Errichtung des Dranjefreiftaates 


Charakter und neuere Gefchichte der Griqua. Zwergvölfer Afrilas. 117 


im Jahre 1854 wurden die Griqua immer mehr bebrängt, jandten 1859 eine Erpebition aus, 
um Yand zu juchen, und wanderten 1862 nad) Nomansland in den fogenannten Drafen: 
bergen. Zur Erhebung zweifelhafter Landanſprüche war ſolches Leben jo geeignet wie nur 
möglich, trogdem das Griquavolf jelber duch Branntweingenuß, Rüdgang der Jagd und 
Vordringen der Weißen verarmte und rapid an Zahl abnahm. Am Jahre 1867 regierte 
Nik. Waterboer nur noch über wenige Hundert Köpfe. Auf die Anfprüche diefes Materboer 
war es denn, daß England 1872 das Diamantgebiet Südafrikas ih al3 „Griqualand 
Weſt“ entgegen dem Wideripruche des Oranjefreiftaates aneignete. Für die Griqua war 
dies mehr Verluſt als Gewinn, denn die zuftrömende Maſſe der Goldfucher ertränfte fie 
gleichſam, und ihre Ausfiht auf politiiche Selbitändigfeit it damit vernichtet. 


5. Die Zwergvölker Afrikas. 


„Wir beiten eine ganze Reihe von Erkundigungen, melde die weiter ind Innere vorgedruns 
genen Weifenden über Völlerftänme geringerer Körpergröße eingezogen haben. Die Mehrzahl 
diefer Berichte hat dad Übereinftimmende, dab ſich diefe fogenannten Zwergvöllker nur durd die 
im Durchſchnitie geringere Körpergröße von den ummohnenden Stäntmen unterſcheiden, daß fie 
aljo nit Zwerge feien im Sinne der Mythe.“ Georg Shweinfurtb. 


Inhalt: Zuſammenhang der hellfarbigen Sübdafrilaner mit Zwergvöllern Innerafritas. — Serpa Pintos 
Mucaffequere. — Pogges und Wißmanns Zwerge, — Stanleys Watwa. — Du Chaillus Obongo. — 
O. Leny’ und Miffionar Kölles Nachrichten. — Waberifimo. — Krapfs Doko. — Schweinfurths Atta. — 
Angaben von Long, Fellin und Emin Bei über diefelben. — Schilderung ber Affe. — Zufammenfaffung. 


Die geographiiche Verbreitung der hellfarbigen, filzhaarigen, kleinwüchſigen Menſchen— 
raſſe im jüdlihen Afrika legte uns die Fragen vor: Woher ſtammt diefes Volk? Wie gelangte 
es im dieſe jo weit ſüdlich gelegenen Wohnfige? Die Erklärungen älterer Beobaditer, 
welche entweder eine Cinwanderung über See oder ein Hervorgehen aus Miihung mit 
höniziern oder Juden annahmen, find ohne fachliche Begründung. Es bleibt nur übrig, 
entweder eine Zuwanderung zu Lande aus einem andern beitimmten Teile Afrifas anzu: 
nehmen, oder aber fie als Reſte eines einit weiter über diefen Erdteil verbreiteten Volkes 
aufzufaſſen, welchem die Gunft der nach drei Seiten ifolierten Lage hier eine Zufluchts- 
ftätte bot, die das breitere, zugänglichere Zentral: und Nordafrika ihnen verweigerte. Zur 
Begründung diefer Annahme mußte jedoch das übrige Afrifa irgend welche Thatſachen 
darbieten, aus welchen Gründe für die eine oder die andre zu entnehmen waren. Und 
zwar fonnten diefe Thatſachen von zweierlei Art jein: entweder es fand ſich ein ähnliches 
Volt in irgend einer Gegend Afrikas, von welchen diefer Teil ſich ablöfte, der nun bier 
im äußerften Süden wohnhaft iſt, oder es fanden fich Bruchjtüde eines ähnlichen Volkes von 
einst weiterer Verbreitung über den Erbteil hin zeritreut, welche eine ältere Bevölkerung 
von bufhmannartigem Charakter vorausfegen. Würde feine von allen dieſen Thatfachen 
aus der geographiichen Verbreitung der Afrifaner ſich ergeben, jo bliebe nur übrig, an 
eine jelbitändige Entitehung diefer Südafrifaner zu denken. 

Nun bietet die Geographie der afrikaniſchen Stämme ohne Frage Thatſachen, welche 
für das Vorhandenjein einer ältern Hein gewachſenen und hellfarbigen Bevölkerung, eines 
Vornegervoltes, jprehen. Wir haben bereits geliehen, daß die gelben Eüdafrifaner 
weiter nah Norden reichen, als man einit vermeinte, und es gibt, wie wir nachtragen 


118 Die Zwergvöller Afrifas, 


möchten, einige Nachrichten, die auf eine einjt noch weitere Verbreitung derjelben nad 
Norden deuten Zönnten. Ein bolländiihes Schiff, das im Jahre 1677 zur Unterjuchung 
der Küfte ausgeſandt wurde, wollte noch bei 12% 47° füblicher Breite an ber ſüdweſt— 
afrifanifchen Küfte Hottentotten gefehen haben. Auch war den Hottentotten im 17. Jahr: 
hundert die Oſtküſte bis etwa 20° füdliher Breite befannt. Die Bapedi oder VBaento, 
unter 24° füdliher Breite wohnend, nennen noch heute die Himmelsgegend nad Weiten 
und Süden hin Boroa, d. h. Hottentottengegend, während doch ſeit Menichengedenten 
dort nur Negerftämme figen. Wenn aud Vasco de Gama ſchon Ende des 15. Jahrhun— 
derts Kaffernftämme in Natal fand, jo haben doch die fogenannten Heikoms-Hottentotten 
noch längere Zeit fich hier gehalten. Aber heute freilich find die Kaffern faft überall ver- 
breitet, wo genügender Negenfall zum Aderbaue vorhanden ift, und Merensfy hat richtig 
bemerkt, daß Negenkarten und Völkerkarten Südafrikas eine fehr auffallende Ahnlichkeit 
haben. Sole Ähnlichkeiten find aber nicht urſprünglich, fondern entwideln ſich allmäh: 
lich. Wir wifjen, daß die Kaffern hier feit langem im Vorbringen find, und es ift nur 
wahrſcheinlich, daß fie dabei die ſchwächern gelben Völker verdrängten. 

Dies gehört jedoch einer einigermaßen unfihern Vergangenheit an. Gehen wir aber 
von der nördlichen Umgebung des Ngami und dem Ovampolande (18° füdlicher Breite), 
wo wir in der Gegenwart die legten Bufchmänner finden, tiefer in das Innere des Kon— 
tinentes hinein, jo finden wir unter ca. 15° füdlidher Breite, alfo ſchon im eigentlichen 
Bentralafrifa, ein erftes ifoliertes Volk von ſchlagender Buſchmannähnlichkeit. Serpa 
Pinto fand unter den Ambuella am obern Cuando eine Kleine gelbe Nafje von Menjchen 
mit einer allen Ummohnenden unbelannten Sprade, die mit einer Modulation geiprochen 
wurde, welche fi) von allen übrigen von ihm bis jegt in Afrifa gehörten Dialeften unter: 
ſchied. Die Ambuella nannten das Volt Mucafjequere. E3 wohnen beide zufammen in 
dem Lande zwifchen Euando und Eubango, indem die Ambuella an den Flüffen, die Mucaſſe— 
quere in den Wäldern leben. „Bon diefen Stämmen“, jagt Serpa Pinto, „kann man 
die Ambuella Barbaren, die Mucaffequere wirkliche Wilde nennen. Beide Völker haben nur 
wenige Beziehungen zu einander, befehden ſich aber anderſeits auch nur felten. Sie fämpfen 
indes manchmal untereinander und verlaufen ihre Gefangenen als Sklaven an die Bihe: 
farawanen. Die Mucafjequere find das entfchiedenfte Jäger: und Nomadenvolf, indem fie 
fich nicht einmal Hütten bauen. In der Handhabung des Bogens find fie ſehr geſchickt; der 
Pfeil ift ihre einzige Waffe, aber fie erlegen damit die größten Tiere. Ihre Nahrung find 
außer dem Fleifche der Tiere Wurzeln und Früchte des Waldes. Kochgeräte follen fie nicht 
befigen. Ihre Kleidung bejteht aus ein paar Stüden Fell, und Fellftreifen tragen fie auch 
in Ringform an Armen und Beinen. Von Körperfarbe find fie hell.” Pinto nennt fie 
ſchmutziggelb und meint, daß viele von der Sonne, der Luft und den Stürmen gebräunte 
Seeleute eine weit dunklere Gejichtsfarbe befigen als diefe Mucafjequere. Des weitern 
beichreibt er ihre Augen als Klein und nicht in gerader Linie liegend, die Badenfnodhen 
weit auseinander und vorftehend, die Nafe platt, die Nafenlöcher unverhältnismäßig groß, 
das Haar fraus und büſchelweiſe wachjend. „Nach meiner Anficht“, jchließt er, „muß 
diefe Unterabteilung der äthiopiihen Raſſe zu den Hottentotten gezählt werden.” 

Wir gehen weiter nad) Norden und fommen in das Gebiet der Südzuflüffe des Kongo, 
wo vom Lubi bis zum Tanganifa Pogge und Wißmann ein Zwergvolf entdedten, 
deffen Name Batua, offenbar derfelbe wie Stanleys Watwa, fofort eine Übereinjtim- 
mung mit den von diefem am Kongo gefundenen Zwergen anzeigt, welche dann ihre 
Betätigung in der Schilderung findet, die Wißmanns erfter Bericht bietet. Er jchildert 
fie als Heine, häßlich gewachſene, magere, ſchmutzig und wild ausjehende Leute und läßt 
fie vom Lubi bis zum Tanganifa und vom Lualaba bis zu den Kalunda in einzelnen 


Serpa Pintod Mucafjequere. Stanley, Pogges und Wißmanns Kongozwerge. 119 


Gehöften oder kleinern Dörfern und in Fleinen, liederlichen Strohhütten haufen. Sie find 
verachtet von den Baluba, in deren Mitte fie wohnen, fultivieren nichts, haben nur einige 
Hühner, aber feine Schweine noch Ziegen, dagegen eine beſſere, windbhundähnliche Raſſe von 
Jagdhunden. Sie leben hauptjächlicd von Jagdbeute und wilden Früchten. Ihre Waffen 
find Bogen und Pfeil und ftehen gleich ihren Werkzeugen auf tiefer Stufe. Sie haben wenig 
Eifen; man fieht nur bier und ba eijerne Pfeiljpigen. Im Zufammenhange mit diejer 
Schilderung darf man an eine Notiz Battels in „Purchas Pilgrimage‘ (London 1625) 
erinnern, wo von einem Volfe Matimba, nicht größer al3 zwölfjährige Knaben, in Weſt— 
afrifa die Rebe ift, welches Bougainville nah Loango verjegt. Näheres bringt Stanley. 
Derjelbe hörte von wilden Zwergvölkern im mittlern Kongogebiete an verfchiedenen Stellen, 
aber er jah nur ein einziges Individuum derjelben, das nahe bei dem großen Markt: 
plage Ukongeh im Buſche feitgenommen wurde. „Er trug“, heißt es in der Neijebeichreibung, 
„einen Kleinen Bogen und einen Köcher mit winzig Heinen Pfeilen in der Hand, und da 
dies ein Verdacht erregender Umſtand war, jo wurde er feitgenommen und uns zugeführt. 
Er war ein höchſt merkwürdiges Eremplar von einem Krieger, wie ich bei mir dachte, als 
ich diejes zitternde Männchen anſah. Aus unſern Meffungen ergab ſich, daß er 1,38 m hoch 
war, und daß der Umfang jeiner Bruft ®/ı m, feines Leibes nur ®/s m betrug. Sein Kopf 
war groß, jein Gefiht unten mit einem dünnen, zottigen Badenbarte umgeben und feine 
Haut hell ſchokoladenfarbig. Da er außerordentlich frummbeinig und dünnfchentelig war, 
jo mutmaßte ich zuerft, daß er eine von irgend einem Stamme zum Herumirren in den 
Wäldern fortgejagte Mipgeburt fei, fam aber jofort auf andre Gedanken, als ich ihn das 
Bort ‚MWatwa‘ ausfpredhen hörte. Da ich mich erinnerte, daß die Watwa als Zwerge 
ſehr wohl befannt waren, jo fragte ih unjern Führer Bwana Abed, ob diefer Mann jenen 
Watwazmwergen ähnlich jehe, mit welhen Muhalas Leute getämpft hätten. Er erwibderte, 
daß die Watwa, mit denen er zufammengetroffen wäre, wenigjtens einen Kopf Kleiner 
jeien, obgleich diefer Mann wohl ein Glied eines mit den von ihm gejehenen verwandten 
Stammes jein könnte. Seine Hautfarbe fei ähnlich, aber die Zwerge weſtlich von Ufkuna, 
in dem Lande Welt-Sumani, hätten jehr lange Schnurrbärte und buſchige Badenbärte. 
Seine Waffen feien auch die nämlichen: der furze Bogen und die winzig Heinen, kaum 
fußlangen Rohrpfeile mit jcharfen Spigen, die mit einer Schwarzen, den ſpaniſchen Fliegen 
ähnlich riehenden Subitanz did beftrichen find. Jeder ſchien bei der Unterfuhung diejer 
Pfeile ih ganz bejonders vor der Berührung der Spigen zu hüten, und ba viele der: 
jelben in Blätter eingewidelt waren, jo erjchien mir auch diefe Vorſicht der Eingebornen 
nicht unbegründet.“ Gelegentlich hebt Stanley aud die vorjpringende Kinnlade diefes 
Zwergmannes hervor. Was aber feine Sprache anbelangt, jo fand er bei ihm zum 
eritenmal die korrekte Ausipradje des Namens des Stromes Ruarowa, wie ihn die Manyema 
und Menja fprechen, jtatt des ermweichten Zualawa der Wangwana und Wanyamweſi. 

Die erſte ausführliche Nachricht über weitafrifanifche Zwergvölfer gab Du Ehaillu, 
welcher, jhon früher auf das Vorkommen von Zwergnegern in Aſchango aufmerkſam gemacht, 
ihre Kleinen, von ihm zuerſt für Fetiichhütten gehaltenen Häufer zum erftenmal auf feinem 
Wege nad Yengue antraf. Man hatte fie ihm als Aſchunga genannt, bier aber führten 
fie den Namen Dbongo. Bon ihren Nachbarn werden fie auch Affoa genannt. Ihre 
Hütten fchildert er als etwa 4 Fuß (engliſch) Hoch und ebenjo breit, aus Zweigen halb: 
rund erbaut und mit Blättern gededt. Bon den Leuten jelbft traf er erjt jpäter einige 
in der Nähe von Niembuai (faft 29 füdlicher Breite), da fie ſehr jcheu waren. Er map 
ſechs Weiber, welche zwijchen 135 und 152!/s cm, und einen jungen Mann, welder 137 cm 
hoch war. Ihre Farbe bezeichnet er als ein jchmugiges Gelb, „viel heller als bei den 
Aſchango“, ihre Lippen als did, ihre Nafen als platt; er fchreibt ihnen „einigermaßen 


120 Die Zwergvölter Afrikas. 


den Negertypus” zu, erwähnt befonders die niedrige Stirn, die vorfpringenden Baden: 
knochen, das bujchmannartig furzfiljige Haar, das aud) an Beinen und Bruft ungewöhnlich 
stark fein joll, und vergißt auch nicht den von den Buſchmännern jo oft Lervorgehobenen 
wilden Blid. Ihre einzige Kleidung ſei ein Stüdden Grastuch, welches fie meiitenteils 
von ihren Nachbarn, den Ajchango, erhalten. Fetiſche und Gögenbilder jeien nicht bei 
ihnen zu jehen. Ihre Lebensweise befhreibt Du Chaillu als eine beſchränkt nomadiſche: 
„Eie find in hohem Grade ein MWandervolf, das von Ort zu Ort zieht, jobald das Wild 





Hütten weſtafrikaniſcher Zwerge in Aſchango (nah Du Ehailln). 


felten wird; aber jie wandern nicht jehr weit, d. h. die Obongo, welde im Aſchango— 
gebiete leben, gehen nicht aus diejem Gebiete heraus. Sie werden die Obongo der 
Aſchango genannt; die, welche unter den Njavi leben, heißen Obongo-Njavi, und ebenjo 
bei andern Stämmen.” Er jagt, Obongo fänden ſich nad Oſten hin jo weit, wie die 
Kenntnis der Aſchango reihe. Von ihren ftärfern Nachbarn werden fie gut behandelt, 
und es wird von diejen gern gejehen, wenn Obongodörfer ſich in ihrer Nähe anliedeln, 
weil fie jehr erfahrene und gewandte Fallenfteller und Jäger find und das, was fie von 
ihrer Beute nicht jelbjt bedürfen, an ihre Nachbarn gegen Geräte und Erzeugnifje des Ader: 
baues austauschen. Die Wälder, welche fie ausbeuten, find voll Fallen und Fallgruben. 
Nichts Genaueres wird uns von ihrer Jagdweiſe und bejonders auch nicht vom Befige 
einer eignen Jagdhundraſſe erzählt, wie Wißmann jie den Watwa des Südfongogebietes 
zujchreibt. Ihre Nahrung ift aber feine rein tieriiche, denn Du Chaillu ſah fie ein 
Gericht aus Wurzeln eines Baumes fochen, und es ijt wohl etwas übertrieben, wenn 


Tu Chaillus Obongo. D. Lenz’ Babongo. Kölles Kenlob. 121 


diejer Gewährsmann einmal jagt, daß ihre Begierde nach Fleiſch mehr derjenigen fleiich 
freſſender Tiere als jener der Menſchen gleiche. Aus den Erzählungen der Aſchango entnahm 
Du Chaillu folgendes über ihre Begräbnisweije: meijt jegen fie den Leichnam in einem 
hohlen Baumſtamme bei, den fie dann mit Zweigen, Blättern und Erde ausfüllen; fie 
graben aber auch wohl ein fließendes Gewäſſer ab, machen in deſſen Bette das Grab und 
leiten dann das Waſſer wieder darüber. Endlich hat Du Chaillu eine Anzahl Wörter 
der Obongojprache gejammelt, welche großenteils mit den entſprechenden der Aſchango— 
ſprache und andrer Nachbarſprachen jtimmen. Er bemerkt dazu ausdrücklich, daf die 
Obongo außer ihrer eignen auc die Sprache der Aſchango ſprechen. 

Spätere Beobachter haben im wejentlihen diefe Schilderung nur beitätigen fönnen. 
„Unſre Anjicht“, jchrieb DO. Lenz, „daß die zwerghafte Raſſe fich in diefen Ländern wieder- 
finden müſſe, bat ſich auf das vollitändigite 
beitätigt. Gleich bei meiner Ankunft fand ic) 
Repräfentanten derjelben an verjchiedenen 
Zeilen der Küfte, wo fie von den Europäern 
als Kuriofitäten betrachtet werden, ohne dal; 
diefe über die Herkunft derjelben etwas Wei: 
teres wiſſen. Infolge verjchiedener Eramina= 
tionen jtellte fih aber bald heraus, daß jie 
jämtlich von einem Volke des Innern ftammen, 
das, wie fih dann fand, den eingebornen 
Händlern recht qut befannt war, obwohl dieſe 
mit den Europäern nie über dasjelbe geiprochen 
hatten; vielmehr wurden wir darüber befragt. 
Diele unftet in den Wäldern lebende Raſſe 
wurde mir gewöhnlich unter der Bezeichnung 
Babongo genannt (aljo Du Chaillus 
Obongo); andre nannten fie Vambuta, der F Es 
eigentliche Name jcheint indes Bari oder Bali BE ee * 
zu ſein. Sie finden ſich beſonders in dem Lande 
der auf den Karten als Mandango figurierenden Scratch-faced, welcher Name Mandango 
indes nur im allgemeinen die Sklaven bezeichnet, die von dort kommen, während der eigent— 
liche Name als Mantetje oder auch Teke (Tiki?) angegeben wird und ſo bei den Euro— 
päern früher zugleich als Monjol (Monſol) bekannt war. Von dem äußerſten Punkte, den ich 
am Luemafluſſe erreichte, ſchienen ihre Wohnſitze kaum zwei Wochen entfernt.“ O. Lenz hat 
durch Meſſungen bei ausgewachſenen Männern eine durchſchnittliche Körpergröße von 1,32 
bis 1,42 m fejtgeitellt. Weiter betont er bejonders den Gegenſatz ihrer runden Hütten zu 
dem in ihren Wohnfigen ſonſt allgemein vorherrichend rechtedigen Stile des Hüttenbaues. 

Rev. S. W. Kölle teilt in feiner „Polyglotta africana“ mit, daß ein Mann aus 
Pati, der Hauptitadt von Bayon (landeinwärts vom Camerun gelegen), ihm erzählt habe, 
es wohne an dem See Liba ein nur 3—4 Fuß hohes Volk, Kenkob mit Namen, jtarfe 
Leute, ausgezeichnete Schügen, friedlich und höchſt freigebig, die vom Ertrage der Jagd 
lebten. Wenn einer einen Elefanten erlegt habe, jei er im ftande, das ganze Tier weg: 
zugeben. In derfelben Erzählung wurde freilih dem Schlamme diejes Sees Yiba bie 
fabelhafte Eigenichaft zugeichrieben, jo ſüß zu fein, daß er als Lederbilfen gelte, was 
man indeijen möglicherweije, wenn es ein Salzjee wäre, auf ähnlich maffenhaft die Ufer 
bededende Fliegenlarven beziehen fünnte, wie fie am Tjadiee und anderwärts vorfommen 
und von vielen afritaniihen und andern Völkern genofjen werden. Ein andrer Mann 





122 Die Zwergvölter Afrikas. 


aus derjelben Gegend jagte ihm, daß es am Fluſſe Riba (Liba) Feine Menichen, Betjan 
genannt, von 3 bis 5 Fuß (engliſch) gebe, die geihidte Jäger, bärtig, in Nindenzeug 
gekleidet, nomadiſch, in leichten NRindenhütten lebend, ſeien und Erzeugnilfe ihrer Jagd gegen 
jolde des Aderbaues ihrer Nahbarn austaufchten. 

Einige Berichte geben an, daß im öftlichen Nilquellengebiete, landeinwärts von Mombas, 
an einem See Boo, der feine Waſſer dem Sobat zufende, ein Zwergvolf Waberifimo (Leute 
von 2 Fuß Höhe) wohne; andre verfegen fie an den in derfelben Gegend angenommenen 
See Baro. Nicht weit davon verlegen die von Krapf („Reifen in Dftafrifa“, 1858) mit: 
geteilten ausführlihen Nahrichten die Wohnfige der Dofo (im Suaheli ift dogo „Hein‘), 
von welden Krapf jelbit einen „etwa 4 Fuß‘ hohen Mann jah, den er leider nicht näher 
beichreibt. Was er von ihnen erzählt, hat ficherlic viel Sagenhaftes, das jtellenweije 
mehr an Schimpanfen, die bier auch vorfommen, als an Menichen erinnert. Dilbo, 
ein aus Enarea gebürtiger, vielgereiiter Sklave des Königs von Schoa, erzählte ihm, 
daß im Süden von Kaffa und Sufa ein heißes und fehr nafjes Land fei, wo es viele 
Bambuswälder gebe, und wo Leute, Doko genannt, wohnen, die jo Hein jeien mie 
zehnjährige Knaben, aljo 4 Fuß hoch. Sie haben eine dunkle, olivenartige Farbe und 
leben in einem völlig wilden Zuftande wie die Tiere. Sie haben weder Käufer, noch 
Tempel, noch heilige Bäume (wie die Galla), beiigen aber doch eine gewilje Idee von 
einem höhern Weſen, das fie Jer heißen, zu dem fie in Augenbliden der Traurigkeit und 
der Angſt beten, aber nicht in aufrechter Stellung, jondern mit ihren Häuptern auf dem 
Boden und bie Füße aufrecht an einen Baum oder Stein gelehnt. In ihrem Gebete jagen 
fie: „Ser, wenn du wirklich ein Dafein haft, warum läßt du uns denn getötet werden? 
Wir bitten dich nicht um Speife oder Kleider, denn wir leben von Schlangen, Ameifen 
und Mäufen. Du haft uns gemadt, warum läßt du uns zertreten werden?” Die Dofo 
haben fein Oberhaupt, feine Gejege, feine Waffen; fie jagen nicht, bauen kein Feld, fondern 
leben allein von Früchten, Wurzeln, Mäufen, Schlangen, Ameijen, Honig ꝛc. Gleich den 
Affen fteigen fie auf die Bäume und holen Früchte. Oft geichieht es, daß fie auf den 
Bäumen in Streit geraten und einander vom Baume hinabwerfen. Ein großer und hoher 
Baum, genannt Lofo, ſoll rote Früchte haben, die fie befonders lieben. Als Sklaven find 
fie gelehrig und gehorfam und bleiben von allen Krankheiten verfhont. Krapf jagt zu 
ber bis zu Shweinfurths Entdedung der Akka allgemeinen Ungläubigfeit gegenüber der: 
artigen Nachrichten treffend am Schluffe feines Berichtes: „A priori fann man die Nad): 
richten, die auf verihiedenen voneinander unabhängigen Punkten Afrifas gefammelt worden 
find, nicht geradezu beftreiten; nur muß man fich bemühen, das Fabelhafte, das von den 
eingebornen Berichteritattern beigemifcht wird, kritiſch zu betrachten“. Übrigens bat 
v’Abbadie, der erfte Europäer, welcher jeit Jahrhunderten Kaffa bejuchte, die Dofo kennen 
gelernt; er leugnet zwar, daß es Zwerge feien, gibt aber jelbjt an, dak „die Pygmäen 
von Dofo ſich zu einer Beftalt von 5 Fuß erhoben, als das Auge und nicht mehr das Obr 
zum Zeugen aufgerufen wurde”. Man fanın vermuten, daß dies engliſche Fuß jeien, und 
damit würden die Dofo doch tief unter Mittelmak zu ſtehen fommen. V’Abbadie bejchreibt 
fie im übrigen als negerbaft ſchwarz von farbe und als „volllommenes mezzo termine 
zwifchen Athiopiern und Negern” hinfichtlih der Formen des Körpers und Gefichtes. In 
neuejter Zeit hat aud Antinori näheres von dieſen Doko gehört, die er ſüdweſtlich von 
Kaffa jegt. Er ſpricht in einem feiner legten Briefe aus Schoa von ihnen als einem zahl: 
reihen Zwergvolfe und läßt einige Glieder desjelben in ähnlicher Weiſe am Hofe des Königs 
von Schoa weilen wie die Akka an demjenigen des Königs Munja von Monbuttu. 

Das dergeitalt durch mandherlei glaubwürdige Mitteilungen bereits außer Zweifel 
gejegte Vorkommen von Völkern in Zentralafrifa, welde man im Vergleiche zu den oft 


Krapf, d'Abbadie und Antinori über die Doko. Schweinfurths Affe, 123 


jehr hoch gewachſenen Negern recht wohl Zwerge nennen durfte, erhielt feine volltommene 
Beitätigung und zugleich feine tiefere Begründung durch die Unterfuhungen der Akka, 
welhe Schweinfurth im Lande der Monbuttu, am Hofe Munjas, traf. Sie wurden 
von manden andern Forihern außer Schweinfurth in Afrifa und fpäter in Europa 
unterfucht; es entjtand eine ganze Pygmäenlitteratur, und die lange Zeit nur auf den 
Grenzen der Sage jtehende Frage der innerafrifaniichen Zwergvölter rüdte in das Licht 
der Wilfenfhaft. Unter Schwein— 
furths auferordentlichen Verdienften 
um Natur: und Völferfenntnis Afrikas 
nehmen ficherlich feine Unterfuhungen 
über die Affa eine der eriten Stellen 
ein. Schweinfurth ijt aber nicht 
bloß ein Meifter der Forſchung, fon: 
dern aud der Darftellung; er führt 
uns in der anziehenditen Weiſe in 
feine Aftaftudien ein. Von Nubien 
bis Monbuttu hatten die Sagen von 
Zwergvölfern des Innern ihn beglei- 
tet. Nun weilte er ſchon mehrere Tage 
am Hofe Munjas, und noch hatte er 
feinen Zwerg zu Geficht befommen. 
Seine Leute hatten diefelben gejeben, 
aber als er jie tadelte, daß fie feinen 
derjelben mitgebracht hätten, jagten fie, 
die Zwerge jeien zu ſchüchtern. „Einige 
Tage jpäter erregte ein Schreien im 
Lager meine Aufmerkſamkeit, und ic) 
vernahm, daß Mohammed einen der 
Zwerge überraſcht hatte, welche beim 
Könige waren, und daß er ihn gerade S 
auf mein Zelt her bringe. Ich blidte : 
auf, und da fam wahrhaftig das Heine Kies 
Geſchöpf, feitgehalten auf Mohammeds — —— 

rechter Schulter, nervös ſeinen KRoöppff — HELEN 
ſchüttelnd und ängſtliche Blide nah üttamadqhen Gefſis (ah Photographie im Veſthe de Herrn 
allen Seiten jendend. Mohammed Hofrats Dr. v. Hochſtetter in Wien). 

jegte ihn bald auf den Ehreniig nieder. 

So war ich denn alſo endlich dazu gefommen, meine Augen an der Verförperung jahbrtaufend: 
alter Sagen zu weiden!” Schweinfurth vernahm nun zunädit, daß der Name des Volkes, 
dem diejer Heine Mann, Adimofu, angehörte, Akka fei, und daß ihre Wohnfige zwiſchen dem 
1. und 2.° nördlicher Breite liegen. Ein Teil der Afta jei dem Monbuttulönige unterworfen, 
und diefer, indem er die Pracht feines Hofes durch eine Sammlung aller ihm zugänglichen 
Naturmerkwürdigkeiten zu erhöhen ſuche, habe aljo auch einige Familien des Pygmäenvolfes 
in feiner Nähe jeßhaft gemacht, Munſas Refidenz lag damals vier Tagereifen nordweſtlich 
von den Eigen der Akka, die demnach im Uellegebiet liegen. Adimoku nannte ihm vier 
Akkakönige und jagte, e$ gebe im ganzen neun, Als Namen von Stämmen gab er an: 
Navapıfa, Navatipe, Wabingiffo, Avadzube, Awagowumba, Bandoa, Manomu, Agabunda. 
Schweinfurth erhielt jpäter Gelegenheit, noch andre Alfa zu jehen; er begegnete jogar 


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124 Die Zwergvöller Afrikas. 


einmal einer ganzen Kompanie, welche zu den Truppen eines Monbuttuftatthalters gebörte, 
und welche er im eriten Momente für eine Herde ungezogener Knaben hielt, und fein 
Urteil über ihre körperlichen Eigenschaften hat trog aller jpätern noch viel eingehendern 
Unterfuchungen, welde in Europa an einzelnen Individuen vorgenommen werden konnten, 
immer das größte Gewicht. Als Größe Adimofus gibt er 4 Fuß 10 Zoll engliih (1,46 m) 
an. Adimoku war ein voll ausgewachiener Mann. Von jehs andern ausgewachſenen 
Individuen maß feiner viel über 4 Fuß 10 Zoll. Leider find Schweinfurths genauere 
Meſſungen der Akka in jenem Seribenbrande zu Grunde gegangen, welcher jo viel koſt— 
bares wiſſenſchaftliches Material vernichtet. Er gibt weiter folgende Schilderung der 
weientlichiten Eigentümlichkeiten im Körperbaue der Affa: ein verhältnismäßig großer, 
runder Kopf, auf einem ſchwächlichen und ſchmalen Halje balancierend, ein jehr langer 
Oberkörper, abſchüſſige Schultern, breite, große Schulter: 
blätter in Verbindung mit langen und dürren Armen, 
dabei aber ein nach oben zu plöglich verflachter Bruſtkorb, 
deſſen untere Apertur fich übermäßig erweitert, um einem 
Hängebauche als Halt zu dienen, welder, wie Adimofu 
bewies, jelbit bejahrten Individuen in diefer Hinficht das 
Ausſehen ägyptifcher Kinder verleiht. Dem legten Merk: 
male entiprechend, zeigten die Akka eine außerordentlich 
ſtark Eonfave Ausihweifung der hintern Körperfontur; 
dies war vielleicht eine Folge größerer Beweglichkeit der 
Lendenwirbel bei diejer Raſſe, indem diefelben durch die 
bei jedesmaliger Magenfüllung nach vorn vorrüdende 
Verlegung des Schwerpunftes beeinflußt ericheinen. 
— Nach Schweinfurth haben noch Long, Felkin und 
Attamadchen Geſſis Mmah Phet Emin Bei Zwergmenſchen in dieſen Regionen geſehen. 
rn ee Die ausführlicte Beſchreibung verdanken wir dem legtern. 
Long traf ein Akkaweib auf einer Seribe des Mafarafa: 
landes. Es war 25 Jahre alt, faum 4 Fuß engliich hoch, aber breit. Ihre Augen waren 
aroß, ihre Nafe flach, ihre Haut heil fupferfarben. Sie ſprach etwas arabiih und erzählte 
auf Verlangen, daß „Gongo“ der König der Tifki-Tikfi fei, eines zahlreichen Volksſtammes, 
und daß diejer dem Könige Munſa Tribut zahle, welcher in Elfenbein und Sklaven dar: 
gebracht werde; in der Hegel jeien die Leute ihres Volkes noch viel Heiner als fie, und die 
Weiber begleiteten jtet3 die Männer ſowohl bei Angriffen auf benahbarte Stämme als aud 
zur Elefantenjagd. Ihrem Volke ichrieb fie größere Kraft zu als den Dongolawi und jelbit 
als den Long begleitenden Soldaten. Auf die Frage, warum ihr Volk Anthropophagie 
treibe, erwiderte fie, daß es geichdhe, wenn Fleiſchmangel eintrete, oder wenn ein Wechiel 
in dem regelmäßigen Bananenregime durch die Natur gefordert würde. Während dieje 
Ausjagen etwas Unbejtimmtes haben, das ihnen feinen großen Wert beilegen läßt, meint 
Felkin jelber, daß der von ihm geſehene Zwerg faum ein Alfa (Tikki-Tikki) jei. Wir jegen 
indes feine Ausſage bier bei. Er jah in der Station Rohl einen Mann, der angeblich 
einem zwerghaften Stamme angehörte. Ich glaube aber nicht, jagt er, daß er ein Tiffi- 
Tiffi war, da Shweinfurths Beichreibung diejes Stammes nicht auf ihn paßt. Er 
war etwa 30 Jahre alt, hatte glänzend jhwarzes, krauſes Haar, braune Augen, jchmale 
Lippen und einen guten Gefichtswinfel. Seine Höhe betrug 1,364 m, der Kopfumfang 
über den Ohren 549 mm, der Bruftumfang 768 mm. Der Körper war wohlpropor: 
tioniert und die Muskeln aut entwidelt, feine Hautfarbe ichofoladenbraun, an Händen und 
Füßen um eine Schattierung heller. Er jah gut aus und jchien flug und veritändig. 





Long, Fellin und Emin Bei über die Afta. Lebensweiſe ber Alfa, 125 


Seine Heimat lag, wie er erzählte, viele viele Tagereifen von bier. Der ganze zahlreiche 
Stamm ſei von derſelben Größe und wohne in einem Gebirge, deſſen Gipfel immer 
weiß ausfähen. Die Männer feines Stammes brauchten im Kampfe leichte Speere, mit 
welchen fie weithin zu treffen wühten. 

Viel beftimmter find die Mitteilungen Emin Beis, der 1882 mit Affa zufammentraf 
und im wejentlihen Schweinfurths Schilderung beitätigt. Ihre Narbe bezeichnet er als 
hellgelblich bis rot durchicheinend, er hebt den Faltenreihtum ihrer Haut hervor, welcher 
bejonders um die Augenwinkel ſtark ift und zu dem vorzeitig alten Ausſehen und dem charak— 
teriftiichen weinerlihen Gefichtsausdrude beiträgt. Auffallend reich findet er Die Behaarung 
über den ganzen Körper und nennt fie dicht, ftarr, beinahe filzig. Seine Meffungen ergaben 
bei einem Burſchen von 24 bis 25 Jahren eine Größe von 1,24 m, bei einem von 35 Jahren 
Lae m und bei einem Mädchen von 14 Jahren, das einer Kreuzung von Aka und Momvu 
entjprofien, 1,10 m. Endlich fand er den Hautgerud ungewöhnlich ftarf entwidelt. 

Aus allen Schilderungen der innerafrifaniichen Zwergvölker gebt hervor, daß fie in 
manchen Beziehungen fih an ihre Nachbarn in Sitten und Gebräucen anfchliefen. So 
ſprechen die Dbongo, wie wir gejeben, die Sprade der Aſchango und erhalten von diejen 
ihre Kleidung. Ahnlich haben die Akka wenigitens zahlreihe Monbuttumorte aufgenommen, 
fleiden ſich, ſchmücken fih und tanzen wie ihre Herren. Nur ihre Wohnweife, welche fich 
mit flüchtigen Hütten für die Verheirateten, mit Sonnendäcern für die Ledigen begnügt, 
weicht im Einklange mit der wandernden Lebensart weit ab. Und diefer Unterichied herricht 
bei allen. Ob die Beichneidung, welche (nach der Verficherung von Schweinfurtbs Gewährs: 
männern) auch von den Akka geübt wird, ein indigenes Inſtitut jei, oder ob fie ſich nur 
auf eine Nachahmung der Monbuttufitten beſchränke, welche die bei Munfa angefiedelten 
Affa beobadhten, vermag Schweinfurth nicht zu entſcheiden. Da aber die Intimität 
der beiden Völker jo weit geht, daß jelbit Mifchungen vorfommen („auch größere Individuen 
fanden fih ein, und jedesmal, fo oft ih mich nach der Urſache diefer Verfchiedenbeit 
erfundigte, erfuhr ich, daß es das Nejultat einer Vermiſchung mit den Monbuttu jei, 
in deren Mitte fie lebten”), fo ift ein weitgehender Anſchluß der Akka an die Sitten 
der Monbuttu ganz natürlich. Immer und überall, wo fie auftreten, behalten fie jedoch 
eine Eigentümlichkeit bei, welche freilich genügt, ihrem ganzen Leben eine charakteriftiiche 
Färbung zu verleihen: fie find echtes, ganzes Jägervolk. Und diefer Eigenſchaft iſt 
denn au ein befonderes Gewicht beijulegen in allen Erwägungen über die Stellung ber 
Zwergvölter innerhalb der übrigen Völker Afrikas. Diele Eigenichaft tritt in allem hervor, 
was wir über die verfchiedenen Zwergvölker berichteten; Schweinfurth hebt fie von den 
Akka geradezu mit Emphaje hervor. An Sinnesichärfe, jagt er, an ſchlauer und wohl: 
berechneter Gefchidlichkeit find die Alfa den Monbuttu weit überlegen, denn fie find ein 
Jägervolk par excellence Dieje Schlauheit ift indes nur der Ausdrud eines in ihrem 
inneriten Weſen mwurzelnden Naturtriebes, der jeine Freude an Bosheiten hat. Nſewne 
machte fi ein bejonderes Vergnügen daraus, nächtlicherweile auf Hunde feine Pfeile 
abzuichießen; aud quälte er gern Tiere. Emin Bei hebt ihre Nachfucht hervor, die 
beionders gewedt werde, wenn fie nicht das von ihren Monbuttuberren empfingen, was 
fie als gebührend betrachten. Ein derartiges Jägervolk erzelliert ſelbſtverſtändlich in einer 
teufliichen Erfindungsgabe, um Fallen zu ſtellen und dem Wilde Schlingen zu legen. Auch 
ihre Menſchenſcheu wird hierher gerechnet. 

Pfeil und Bogen find die Waffen der Zwerge, jelten fommen Speere hinzu. 
Die Pfeile der Akka haben Holzihäfte, die unten eingeferbt und häufig mit Eifenband 
ummunden find. Ihre Spitzen find breit, ſtets mit Blutrinne und in den meiften Fällen 
mit Widerhafen verfehen. Ihre Köcher find einfach jadartig aus Rohr geflochten und 


126 Die Zwergvölter Afrikas, 


werden an furzer Lederfchlinge getragen. Pfeile wie Köcher find von guter Arbeit. Jene 
unterrheiden fich indeffen nicht wejentlid von denjenigen mancher Negervölfer. Der 
Köcher aber ift beijer als bei manchen Negern dieſes Gebietes und jcheint den Einfluß 
der geflechtfundigen Monbuttu zu zeigen. Liegt nicht der Gedanke nahe, daß die Herren 
diefer Jägervölfer denjelben ihre beiten Pfeile überlaffen oder Pfeile für fie machen laſſen, 
dantit fie um jo leichter die Beute machen, die ihnen gehört? 
Werden fie doch mit den Erträgniffen des Aderbaues bei den 
Monbuttu im Taufche gegen ihre Jagdbeute verjehen. 


Suchen wir zufammenzufaffen, was als allgemeinfter Schluß 
aus all diefen Thatfachen ſich ergibt, fo liegt einmal auf der 
Hand, daß alle dieje Völker zufammengenommen nur als die 
verjprengten Reſte einer Bevölkerung ganz ähnlich der— 
jenigen der Buſchmänner in Südafrika zu betrachten find. Der 


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Köder und Pfeile der Alta N RR. 
(etbnograph, Mufeum in Wien). Köcher und Pfeile der Alta (Sammlung von Robert W. Feltin). 


Übereinjtimmung ihrer Größe gehen trog der Verwiſchung der Sondermerfmale durch auch 
hier nicht ausgeſchloſſene Miihung andre Eigenichaften parallel, unter denen, als fait aus 
alien Beobachtungen und Erfundigungen gleihmäßig ſich ergebend, die helle Hautfarbe, die 
ftreifende Lebensweile der Waldmenjchen, die Vorliebe für Bogen und Pfeil und die 
Unvollfommenheit ihrer Wohnftätten hervorragen. Es iſt daneben auffallend, daß eine 
bejondere Sprache nur bei den Zwergvölfern des Kongogebietes Ffonftatiert ift. Stanleys 
und Pogge:Wifmanns Berichte find darüber einig, doch ijt gerade diefer Punkt der- 
jenige, der noch am meilten der Aufklärung bedarf. Zeigen diefe Völker einmal vielfältige 
Ähnlichkeiten untereinander, jo iſt auch die Übereinftimmung in der Lebensweife mit den 
Buſchmännern Südafrilas jo vollfommen wie möglid. Sie jcheint, wenigitens für bie 
Alta, auch in den körperlichen Eigenjchaften, wiewohl nicht durchgängig, vorhanden zu fein. 


Völlerſtellung und Urfprung der Zwerge. Allgemeines über bie Neger. 127 


Auch die Buſchmänner nehmen, um dies noch anzufügen, eine ähnliche Stellung zu manchen 
Betichuanen wie einige Zwergvölfer zu den benachbarten Negern ein, indem fie gleichjam 
die profejjionellen und bevorrechteten Jäger ihres Gebietes daritellen. 

Was die geographiiche Verbreitung anbelangt, fo jcheint es, daß die Alfa mit 
den Watwa und den übrigen Kongozwergvölfern und Babongo Glieder bilden in einer 
langen Kette von Zwergvölfern, deren zeriplitterte Verbreitung, allen Anzeichen einer ältern 
Kaffe entiprechend, fi) quer durch Afrifa in der Längsrichtung des Aquators ertredt. 
Auch ſcheint es, als ob in den mittlern Kongoregionen eine größere Anhäufung diejer 
Völker jtattfinde als Tonft irgendwo in Afrifa. Die Hypothefe einer Abjtammung berfelben 
von den Buſchmännern verliert dadurd einiges an Wahricheinlichkeit, ift aber nicht von 
vornherein abzuweiſen. Betonen möchten wir aber nod das Alter der Nachrichten über fie 
und ihre MWohnfige, welch legtere ſchon feit Herodot im obern Nilgebiete und ſeit Plinius 
„Inter paludes quibus Nilus oriretur“ mit allem Rechte gefucht wurden und der Buſch— 
mannhypotheſe ebenfall3 weniger günftig find. So wie die Frage heute fteht, ift nur 
von der nähern Beltimmung der Wohnfise diefer Völker .und’ von dem Studium ihrer 
Sprachen eine wejentliche Förderung des Problemes, das ihre Exiſtenz aufwirft, und damit 
zugleih der gelamten Bölferfunde Afrikas zu erwarten. Sicherlich ftehen fie aber als 
Raſſe nicht niedriger als die Neger (verglih dod Owen jie dem abeſſiniſchen Völker: 
typus), und von einer größern Annäherung an die Affen ift feine Rede. 


— 





6. Allgemeines über die Urger. 


„Die Böllerverhältniffe find Afritas interefjantefle Seite Alles, was auf 
Sitten und Gebräude, auf ben fittlichen und religiöfen, den gefelfchaftliden und 
wirifhaftlihen Zuſtand diefer Rafjen Bezug bat, ift Meikiger Beobahtung, jorgs 
jältiger Schilderung und eingehender Ertlärung würdig” WR, F. Burton. 


Inhalt: Der Begriff „Neger”. Körperliche Eigenfhaften Die Negerphyfiognomie, Krankheiten. 
Mikbildungen. Arbeitskraft und Arbeitsleiftung. — Geift und Charakter. Schwierigleit der Beurteilung. 
Züge. Habgier. Graufamleit. Geiftige Begabung. — Die Familie. Kinderliebe. Elternliebe. Mann 
und Meib, Patria potestas, — Der Stamm. Patriarhalifhe Gliederung ber Gemeinde unb bes 
Stammes. Stellung des Häuptlinges. Verhältnis der Stämme untereinander. Große Wirkungen 
bedeutender Herrjchernaturen. Äußeres Auftreten des Häuptlinged. Der Neger ald Kriegdmann. — 
Die Religion. Gottesibee der Neger. Geifterglaube, Grabgebräude. Aberglaube. Fetiſchismus. 
Zauberer und Ärzte. — Die materielle Kultur. Stand und Rüdjtändigleit. Schiffbau und Schiff: 
fahrt. Handeläverlehr und Verkehrsmittel. Neifefitten. Aderbau. Viehzucht, Gewerbe. KAunftfertig: 
feiten. Hütten und Häufer. Dichtigkeit ber Bevölkerung. 


Der Name Neger umjcließt urſprünglich einen der unzmweifelhafteiten Begriffe der 
Völkerkunde, indem er den mit duntelfarbiger Haut, jogenannten Wollhaaren, dicken Lippen 
und breiter Naje ausgeftatteten Afrikaner bezeichnet, und es gehört zu den nicht anſtaunens— 
werten, aber erjtaunlichen Leitungen der kritiſchen Gelehrjamfeit, daß derjelbe gerade im 
echten alten Negerlande Afrifa zulegt auf einen Heinen Fled eingeengt wurde. Wenn 
wir nämlid mit Wait annehmen, dab Berber, Kopten, Abeſſinier, Galla, Nubier, Hotten: 
totten, Kaffern, Kongovölfer und Malgaſchen alle feine eigentlichen Neger jeien, wenn 
wir mit Shweinfurth auch Schilluf und Bongo ausichließen ꝛc., jo finden wir, daf 
der Erdteil Afrifa fait in feiner ganzen Peripherie, mit Ausnahme des Striches zwiſchen 
Senegal und Niger, von andern Völkern als den eigentlichen Negern bewohnt wird, ebenjo 


— —— 


128 Allgemeines über die Neger. 


wie er dann im Innern von der Südſpitze bis weit über den Aquator hinaus nur bellfarbige 
Südafrifaner und jogenannte Bantuvölfer (Waitz' „Kaffern‘‘) umſchließt. Für den Neger 
im geläuterten Sinne des Wortes bleibt dann nichts übrig als ein verhältnismäßig 
ihmaler Strich, der zwiſchen Aquator und 20° nördlicher Breite gelegen ift, ohne eine 
von beiden Linien zu erreihen („eine Landitrede von nur 10 bis 12 Breitengraden ſüdlich 
von einer Linie, die man von der Mündung des Senegal nah Timbuftu bin ziehen und 
von dort bis in die Gegend von Sennaar verlängern würde”; Wait), und in welchem 
dieſe dergeftalt reduzierte Rafje dann noch von einer Menge Angehöriger andrer Raſſen 


A 





} acnN 
Ein Mann und zwei frauen don der Loangoküſte (nah Photographien von Dr. Faltenftein). 


durchjegt wird. Waitz ſelbſt befürchtete aus diefem legtern Grunde die Verflüchtigung 
jeines Negerbegriffes. Nach Latham erjtredt ſich das eigentliche Land der Neger jogar 
nur vom Senegal bis zum Niger und umfaßt außerdem noch einen Teil von Darfur, 
Kordofan und Sennaar. Fragt man, was denn eine jolcdhe enge Begrenzung rechtfertige, 
fo findet man, daß ein ertremer, häßlicher Typus der Neger, den einjt die Phantafie der 
Beobachter in ganz Afrifa jah, den man aber nur als Wahrzeichen vor Tabakfsläden ftehen 
fieht, wie Livingftone es einmal treffend ausdrüdt, und von dem der Miſſionar Kölle 
jagt: „Was in Büchern häufig als Grundtypus der Negerphyſiognomie dargeftellt wird, 
würde von den Negern als eine Karikatur oder im beiten falle als eine Stammesähnlichkeit 
angejehen werden, die aber in Bezug auf Schönheit hinter der Mafje der übrigen Neger: 
ftämme zurüdbliebe”, bei näherer Betrachtung fich fast in allen Teilen Afrikas verflüchtigt, 
um eben unbegreiflicherweife gerade bier figen zu bleiben. Man begreift, daß, um mit 
Waitz zu reden, „nur eben jener bäßliche Typus, eine ertreme Form, die nad Aus: 
jcheidung aller kaukaſiſchen Züge zurüdbleibt, für den wahren und reinen Typus der 


Verbreitung der echten Neger. Hautfarbe, 129 


Negerraſſe“ gehalten werden kann; man verjteht aber nicht den Grund feiner geograpbiichen 
Beihränfung und Feitlegung, denn joweit dunkle, wollhaarige Menſchen wohnen, taucht auch 
diejer ertreme Typus auf, in manchen Teilen Afrifas und auch Melanejiens viel mehr als 
in jenen angeblich eigentlichen Negerländern. Es liegt hier einfach ein Irrtum der Abſtraktion 
vor, welden zu verbejjern dem im folgenden zu gebenden Thatſachen vorbehalten jein mag. 

Was nun diefen in manden Köpfen jo jehr zufammengeihwundenen Begriff Neger 
anbelangt, jo wollen wir dem geneigten Leſer ein für allemal nicht verhehlen, daß ung 
in Bezug auf Namen eine gründliche Abneigung gegen alle neuen, ungewohnten Bildungen 
beherricht, daß wir aber zugleich glauben, 
in jeinem Vorteile zu handeln, wenn wir 
uns gerade hier ganz von diejer Abneigung 
leiten lafjen. Demzufolge adoptieren wir 
hier auch den alten Namen „Neger“ in jeis 
ner allgemein verjtändlichen Faſſung, welche 
die dunfeln, wollhaarigen Afrifaner 
umjchließt und die hellen Südafrikaner 
ebenjo wie die hellern, locken- oder jtraff: 
baarigen Nord: und Diftafrifaner aus: 
ſchließt. Denn jo weit ilt die Durcheinan— 
derichiebung von mehr oder weniger neger: 
baften Völkern bier nun einmal gediehen, 
daß von einer Ausleje „echter Neger 
nicht mehr die Nede jein fann. Zu einer 
nugbringenden Betrahtung afrikanischer 
Völferverhältniffe iſt viel mehr ein zuſam— 
menfajjendes als ein auseinander legen: 
des Vorgehen dienlih. In dem „beijpiel- 
lojen Völfergewirre” nnerafrifas, wie 
Schweinfurth es nennt, führt eine nicht 
in eriter Yinie auf Grenzziehung gerichtete 
Betrachtung eher dem „Ziele der Entwer: 
fung eines maturgetreuen Völkerbildes Gin Opaperero (mad Photsgrapbie im Befite des Herrn 
nahe als eine Analyje, deren eindringend: Dr. Fabri in Barmen). 
jtes Nejultat doch immer wieder die Er: 
fenntnis wäre, daß es unmöglid ift, die Miichungselemente eines Körpers zu finden, deijen 
wejentlihe Eigenichaft die fait Flüſſigkeit zu nennende Beweglichieit it. 

Die Hautfarbe, welche allgemein als die fennzeichnendjte der körperlichen Eigenschaften 
des Negers aufgefaßt wird, iſt vorwiegend ein Dunfelbraun, weldes nur in oberflächlicher 
Beratung für Schwarz genommen werden fönnte. Ganz ſchwarze Völfer gibt es 
überhaupt nicht, und den öfters nicht nur bei Afrifanern, fondern auch bei Melaneftern 
betonten „bläulihen Schimmer‘ der Haut führen Kenner wie Shweinfurtb und Budta 
auf den Nefler der Himmelsbläue zurüd. Ein rötliher Ton, welcher durchſcheint, ift 
vorzüglich bei den durch Miſchung oder aus individueller Anlage heller Gewordenen 
deutlich zu erkennen. Er erinnert bei ftärferm Hervortreten oft jehr an die eigentümliche 
Närbung der Hottentotten, Fulbe, Sandeh und andrer. Bei einigen Völkern wiegen mehr 
die dunfeln, bei andern die lichten Töne der Hautfarbe vor. Von der Verteilung der 
verſchiedenen Schattierungen innerhalb der jüdöftlichen Haffern jagt G. Fritid: „Die 
ganz dunfeln Varietäten der Hautfarbe find nicht jo häufig wie die hellern, bejonders 

Bolterkunde. I. 9 





130 Allgemeines über die Neger. 


was die höhern Grade anbelangt; die intenfioften Färbungen, welche man beobachtet, 
fommen dem Schwarz jehr nahe. Es finden ſich nahezu ſchwarze Individuen in wechjelnder 
Anzahl unter den Stämmen, ohne daß man in Südafrika ihr Vorkommen auf beftimmte 
Eigentümlichkeiten der Wohnſitze zurüdführen könnte.“ J. M. Hildebrandt fand die 
Negerinnen durchgängig etwas heller als ihre Männer, was wohl damit zufammenhängt, 
daß auch die Negerhaut in Sonne und freier Luft merklich dunfelt. Wie bei allen dunfel- 
farbigen Menjchen, find Handteller und Fußſohlen heller pigmentiert, und wie Virchow 
zuerft nachgewiejen, ift auch am übrigen 
Körper die Färbung nicht ganz gleihmäßig, 
jondern mehr wie in großen Flecken ver- 
teilt, die freilich fat unfenntlich ineinander 
abjchattiert find. Nach dem Tode ändert ſich 
die Farbe in ein Fahlgrau, das übrigens 
auch bei lebenden Negern ausnahmsweije 
vorfommt, wie überhaupt die Hautfarbe 
von großer Veränderlichfeit ericheint. Sie 
ift nad) dem Eſſen, bei größerer Hige, in 
der Bewegung und bei piydhiichen Affekten 
(Verlegenheit, Scham) überall, wo das Blut 
in das oberflächliche Kapillargefähneg dringt, 
dunfler, im entgegengejegten Falle heller. 
In Krankheiten, wenn die Haut ihre glatte, 
glänzende Bejchaffenheit verliert und welt 
zuſammenſinkt, wird fie ſchmutzig dunkler, 
weil das Pigment dann auf eine Fleine 
Fläche zufammengedrängt ift. Die Schleim: 
häute haben, joweit fie dem Lichte aus: 
gejegt find, nicht eine Schöne Rojafärbung, 
jondern durch geringe Pigmenteinlagerung 
mehr eine ſchmutzig graurote Farbe, die ſich 
auh an den Nägeln wegen des Durch— 
ſchimmerns des Nagelbettes bemerflich macht. 
) ! Die Hautfarbe der Neugebornen ift fait jo 

* BERN —— — SuM hell wie bei Europäern, jo daß Falken— 
jtein die erften Negerfinder, die er ſah, für 

Mulatten hielt, bis fie nad) einiger Zeit zunehmend dunfler wurden, um nad ſechs Wochen 
vollfommene „Neger zu fein. Außer der Farbe unterſcheidet auch die gröbere Tertur 
die Haut diefer Völker von derjenigen der Hellfarbigen. Gardiner famen feine Zulu wie 
Salamander vor, wenn jie ihre Körper an den Lagerfeuern zu röften fchienen oder mit den 
nadten Füßen die brennenden Sceite zujammenjchoben oder mit den Fingern ſich den 
fohenden Maisbrei in den Mund jchoben. Die jtarfe Tranjpiration läßt die Haut fühl 
anfühlen. Der jpezifiiche Negergerud ilt in wechſelndem Grade wohl allen eigen, kann aber 
bei der Schwierigkeit, ihn in jedem Falle von vorübergehenden Ausdünftungen zu trennen, 
nicht ganz ficher definiert werden. Falkenſtein führt ihn auf eine etwas öligere Beſchaffen— 
heit des Schweißes zurüd, der bei unreinlicher Lebensweiſe leicht ranzige Säure entwidelt. 
Die Behaarung des Körpers ift im allgemeinen ſchwach, auch die bei andern Völkern 
nicht jelten bejonders jtarf behaarten Teile, wie Bruft, Unterleib, Unterjchenfel 2c., find 
entweder unbehaart, oder zeigen nur ſchwachen Haarwuchs. Selbit unter den Achſeln ift 





Farbe und Veichaffenheit der Haut. Haar und Körpergröße. 131 


er nur durch einen Meinen Büchel vertreten. Doch find auch in diefer Beziehung die einzelnen 
Negerftämme verjchieden. Den Dinfa wächſt troß aller Mühe, die fie fich geben, das Haar 
nicht jo lang wie den Djur, und Schütt jah einen Kiofo mit fußlangen Zöpfen. Überall, 
wo er ftärfer entwidelt ift, vor allem aber an der Scham, im Geſichte und am Kopfe, tritt 
der Haarwuchs in der Beichaffenheit auf, welche man als wollig oder als verfilzt 
bezeichnet. Dieje Haarbejchaffenheit ift ein allgemeineres, bejtändigeres Negermerfmal, als 
die Farbe oder das Sfelet es zu bieten vermag. Der Begriff „wollig“ in feiner Anwendung 
auf den Haarwuchs diejer eigentlihen „Wollhaarigen“ ift bereit bei Beiprehung der 
Buihmänner und Hottentotten enger zu begrenzen verfucht worden. Es jei hier wiederholt, 
daß (nad) G. Fritſch) „die Krümmungen der Haare fo eng find, daß fie ſich nicht, wie bei 
der Echafwolle, zu feinen welligen Strähnen zufammenlegen, jondern die einzelnen Haare 
gelonderten Verlauf nehmen und fih nur mit 
benadhbarten, ähnlich verlaufenden zu unregel- 
mäßig verfiljten Zöpfchen zufammenlegen”. Der: 
felbe Foricher findet den Ausdrud „wollig“ aud) 
injofern nicht ganz ohne Bedenken, ald man damit 
unmillfürli den Begriff des Feinen verbinde, 
was aber für die Haare der Neger nicht zutreffend 
fei, die im Gegenteile did, feſt und reſiſtent, aljo 
eigentliher Wolle jehr unähnlich ſeien. Den 
Schädel bededt der Haarwuchs in Geftalt eines 
dichten Polfters, das bei vielen, 3. B. bei den 
Südkaffern, no dur jehr häufiges und gleich- 
mäßiges Nundjcheren der ganzen Berüde verdichtet 
werden dürfte. Inſelförmig oder gruppenförmig 
zerjtreut ftehende Haare finden fich bei Negern 
aller Art, jelbjt bei Nubiern. Mähnenartiger 
Haarwuchs ift bei joldher Beichaffenbeit des Haa- ; ** 
res nicht möglich, aber es iſt mißverſtändlich, ke ge Ei u. 
wenn man das Kurzwollige desielben als den 

natürlihen Zuftand anfieht. Mar Buchner nennt die Kurzwolligkeit geradezu ein Erzeugnis 
der Kultur, was angeſichts der durchaus Furzwolligen Bufhmänner und Hottentotten nad) 
der andern Eeite zu weit gehen dürfte. Schweinfurth charafterifiert die Dinfa als von 
natürlich kurzem Haarwuchſe. Aber thatſächlich findet man in Innerafrika „Zottellodige” 
genug, und das üppige Vlies gibt Anregung zu den mannigfaltigiten Friſuren. Der 
Bartwuchs ift eher ſchwach als ſtark, der Badenbart ift nur in vereinzelten Büjcheln ver: 
treten, der Schnurrbart erjcheint gewöhnlich nur an den Mundwinkeln, und jelbjt am Kinne, 
wo der Bart am ftärfften ift, erreicht er jelten die Yänge von 5 cm. (Ein Beifpiel ausnahms: 
weiſe langen Bartwuchjes ſiehe auf Abbildung, S. 130.) Nach Falkenſtein hat nur ein 
Dritteil der Loangomänner Bartwuchs. Kopfhaar und Bart werden in jpäten Jahren 
grau, aber niemals jo vollftändig, wie man es bei Europäern findet. Man fieht jehr 
jelten einen weißköpfigen Neger. Kahlföpfigkeit fommt jo wenig vor, daß Falkenjtein 
nie einen Kahlkopf und nur in zwei Fällen dünnes Haar ſah. Geichorenjein bis zur 
Kahlheit findet ich aber als Mittel gegen Ungeziefer. 

Die mittlere Körpergröße der Neger dürfte im allgemeinen der unſrigen gleich- 
fommen. Sie ift vorzüglid bei den Südfaffern häufig übertrieben worden, liegt aber 
bei diefen im allgemeinen öfter über Mittelhöhe als darunter, Die erite größere Neihe 
von Mefjungen derjelben, welche nach wiljenichaftlihen Grundjägen ausgeführt wurde und 

9* 





132 Allgemeines über die Neger. 


von G. Fritich ftammt, umfaßt 55 erwachiene Männer, bei deren Auswahl „die Gefichts- 
bildung allein berüdjichtigt wurde”, jo daß fie binfichtli des Wuchſes als unbefangen 
zufammengeftellt bezeichnet werden kann, und ergab die mittlere Zahl von 172 (genau 
171,5) em. Falfenftein maß bei den Yoangonegern 165— 168, bei den Loangonegerinnen 
150-160 em. Auf eine geringere Zahl von Jndividuen gründen fi die Meſſungen, 
welhe Weisbach (167— 180 em) und Quetelet (178,5) an Kaffern, Weisbadı (164—172 
an Kongo und Angolanegern, Hildebrandt (161,1ı—168,3 em) an Dftafrifanern gemacht 
haben. Die wertvollite aller bezüglihen Zahlen ift aber wohl die von 168,1 cm, weldye 
eine amerifanische Sanitätskommiſſion durch Meſſung von 2020 normalen reinen Negern 
gewann, und mit welcher aud) einige andre Meſſungen ftimmen. Ahr zufolge wäre der 
Neger einer der höher gewachſenen Menſchen, der nur von Norbeuropäern, Kabylen, ro: 
fefen, Kanaken, Maori und PBatagoniern weſentlich übertroffen würde. Cinzelne Ge: 
ichlechter, vielleicht auch einzelne bevorzugte Stämme, überragen beträchtlich dieje Höhe, 
wie 3. B. jehs erwachſene Männer der Häuptlingsfamilie der Gaifa nah ©. Fritſch 
die Durchſchnittshöhe von 183 und, mit Weglaffung eines ausnahmsweije Kleinen, nur 
168 cm meſſenden Gliedes der Reihe, jogar 186 em erreichen. Aber doc find dies Aus- 
nahmen, welde einfach die Auffaſſung bejtärten, daß gerade diefe Kaffern zu den £örperlich 
beftausgeftatteten Afrifanern zählen. 

Voreiligen Verallgemeinerungen gegenüber ift e3 geboten, hier bejonders darauf auf: 
merkſam zu machen, daß man erfahrungsgemäß geneigt ift, nadte Menſchen (und gerade 
die Kaffernſtämme gehören zu ben wenigit befleideten) für größer zu halten, als ſie 
in Wirklichkeit find. Dabei it bei den Negern nod in Rechnung zu ziehen, daß fie 
infolge des fteilern Abfalles der Wände des Bruftforbes und des geringern Hervortreteng 
der Hüften auffallend ſchlank ericheinen, und auch dies trägt namentlich dazu bei, fie 
als bejonders hochgewachſen ericheinen zu laſſen. In den Proportionen ift im allgemeinen 
der Kopf höher, der Hals dider, Bruft: und Bedenbreite geringer als beim Europäer 
und zwar bei beiden Gefchlechtern, jo dak, von hinten geliehen, Männer und Frauen 
oft Schwer zu untericheiden find. Im allgemeinen ift der Knochenbau, befonders der des 
Schädels, feiner. Die Muskulatur ift ſchwächer als bei normal entwidelten Europäern, 
was vorzüglich von der Bruft, den Unterarmen und Unterichenfeln gilt. Das mittlere 
Gewicht des Negers it beträchtlich geringer als das unjrige. Das ftarke Hervortreten 
des Bauches ift nicht bloß eine Folge der allerdings oft jehr weit gehenden und häufigen 
Überladung desjelben, jondern auch der mehr rückwärtigen Einjegung der Beine, der 
Borneigung des Bedens, oft wohl auch der im frühen Lebensalter eingetretenen ftarfen 
Krümmung der Wirbeljäule. Dieſe Thatjache erklärt mit den Anjchein des auffallend langen 
Rumpfes. Berenger:Feraud hebt von den Soloffen Senegambiens die merkwürdige 
Yeichtigfeit hervor, mit welcher fie in gebüdter Stellung arbeiten, Dinge vom Boden auf: 
heben 2c., und findet, daß die diefem Umftande zu Grunde liegende fchiefe Stellung des Bedens 
bejonders bei den Frauen ſtark hervortrete. „Noch etwas weiter, und der vierhändige 
Gang müßte ihnen eine Leichtigkeit fein.” Die vielbeiprocdene monftröje Fettanſammlung, 
welche als Fettiteiß zu einem untericheidenden Merkmale der Hottentotten geitempelt 
wird (ſ. ©. 84), fehlt auch den Negern nicht ganz. Wir erinnern an Schweinfurths 
plaſtiſche Schilderung: „Jener impoſante Körperteil, für deſſen bypertrophe Entwidelung 
der technische Ausdruck ‚Steatopyga* erfonnen wurde, fticht bei den Bongofrauen jo gewaltig 
von der übrigen Geftalt des Leibes ab, daß in Verbindung mit dem langen Bajtichweire 
die Silhouette eines gravitätiich einherfchreitenden fetten Bongomweibes in hohem Grade 
an die Gejtalt eines tanzenden Pavianes erinnert“, Die Hände find ſchlank, die Finger 
nad vorn verjüngt, die Nägel ſchmal; man hat fie als diejenigen Teile bes Körpers 


Körpergröße und Gliedmaßen. Schädelfornt, 133 


bezeichnet, welche nod am eheiten edel genannt werden könnten. Die Füße find gleichfalls 
ihmal, aber fie entitellt oft das übermäßige Hinausragen der Ferſe, durch welches „zu: 
weilen der dritte Teil der Längsachſe des Fußes hinter die Malleolen zu liegen kommt“. 
Dennod nennt auch bier Falkenitein unfre Durchſchnittsform weniger ihön. Der 
Mattfuß ift nah Fritich gewöhnlih, nah Falkenſtein feltener als bei uns, 

Der Schädel, welcher natürlid auch bier die charakteriftifchiten, am meiften in bie 
Augen ſpringenden und bei feiner Funktion als Hirnſchale zugleich folgenreichſten Befonder: 
heiten zeigt, ift im Gegen: 
fage zu den andern Kno— 
hen maſſig gebaut, von 
auffallender Länge (nad) 
G. Fritſch beträgt der 
Breiteninder 71,0, nad) 
Welder 69) bei bemer: 
fenswerter Höhe; er gehört 
aljo zu den von den Ana— 
tomen als hypfiitenofephale 
oder als hohe dolichofephale 
bezeichneten Schädeln. Die 
größte Breite liegt hinten, 
daher bei der Oberanficht 
eine nach vorn fich zuſpi— 
bende Eiform hervortritt. 
Die Stirn ift in der Negel 
wohlgewölbt, aber mehr 
zurüdfallend, wodurd die 
breite, ſchöne Denkerſtirn 
unmöglich wird; dagegen 
treten die Geſichtsknochen 
ſtark hervor, beſonders der 
Naſenfortſatz, wodurch der 
Geſichtswinkel ſich weit von 
einem rechten entfernt. G. 
Fritſch gibt 66 und 67° 
für zwei von ihm gemeſ— Negertypus (nah Rugendad). 
jene Schädel, Falkenſtein 
67,19 im Mittel, alio nur %4 eines rechten, und bei weiblichen Schädeln fcheint der 
Winkel noch Schiefer zu fein. Die ſtarke Entwidelung der Kauwerkzeuge wird vervoll: 
jtändigt durch sehr ftarfe, große, elfenbeinartig dichte Zähne. Charafteriftiich für den 
Gefichtsteil iſt dann noch die durchſchnittlich ſchwache Entwidelung des Najenbeines und 
die jtärfere der Fleilchteile, vor allen der Ohren und Yippen. Die Rolle, welche die Ohren 
im Schmucke der Neger fpielen, hat übrigens auch ihren anatomitchen Grund, denn fo wie 
ihr ganzer Körper find auch ihre Ohrläppchen ſtark entwidelt, fleiichig, wenn auch ihre Form 
eine zierlihe und das Abitehen jelten ift. Bei den Hottentotten und Buſchmännern, die oft 
gar fein, immer nur ein ſchwach entwideltes Ohrläppchen haben, würden die Schnupftabafs: 
büchſen, Nohritengel, Ringe, und was ſonſt noch alles die Kaffern in ihren Ohrläppchen 
tragen, fid) andre Pläge am Körper auffuchen müſſen. So geht auch die Pelele, jener jo weit: 
verbreitete Lippenichmud, gewiß urſprünglich von der naturgegebenen ſtarken Ausbildung 





134 Allgemeines über die Neger. 


gerade dieſes Teiles aus. Ebenjo darf man jagen, baß die ungemein mannigfaltigen Fri 
juren nur in diefem prächtigen Materiale der vliesartigen Wollköpfe und die allen Negern 
gemeinfame Sitte des Calbens und Malens des Körpers nur auf der vorteilhaften Inter: 
lage der dunfeln Haut ſich zu ſolcher Allgemeinheit entwideln konnten. Nachträglich möge 
hier noch angefügt werden, daß nad) Falfenftein die öligere Beichaffenheit des Schweißes 
auch der Grund der ftarfen 
Kichtreflere der Haut ift, 
welche die Negerphotogra= 

phien fo oft entjtellen. 
Ter allgemeine 
Eindrud männlicher Ne 
ger ijt im ganzen weder der 
einer ftrogenden, ber Zivili 
fation überlegenen Kraft 
nod eines von Kunft und 
Zucht unverdorbenen vollen 
Ebenmaßes. Der äjthetijche 
Geſamteindruck kommt beim 
Manne demjenigen des Eu— 
ropäers wohl nahezu gleich, 
ja Buchner bezeichnet den 
Neger als an Wohlgeſtalt 
des Mannes uns entſchieden 
überlegen. Nicht ganz das 
Gleiche gilt von den Frauen, 
bei welchen freilich die auch 
bei dieſen Völkern niedrige 
Stellung des ſchwächern 
md daher unterdrückten Ge: 
ſchlechtes mit in Rechnung 
zu ziehen iſt ſowie der von 
ihrer frühen Entwickelung 
untrennbare frühe Verfall, 
deſſen Schnelligkeit man 
auf das Fünffache von dem: 
jenigen der Europäerinnen 
zu ſchätzen verſucht hat. Der 
Ruin er: öfters genannte Gewährs: 

Ah. Jana . ü 

Raffernmädden nad Photograpfie im Befihe des Miffionsdireftord Herrn mann ©. Fritſch ſagt von 
Dr. Bangemann in Berlin). den Kaffernweibern: „Im 
beiten Alter find die Formen 
zuweilen nicht unfchön, fie erfcheinen voll und gerundet, doch fehlt es au dann an Anmut 
und Grazie; die Glieder find plump, die Umrifje grob, wie aus Holz gefchnigt. Sowie die 
Frauen verheiratet find, ftellen ſich Zeichen einer fchnellen Defreszenz ein, zumal ein Schlaf: 
werden und Herunterfinken der Brüſte, welche ſchließlich völlig Tadartig werden. Es gilt 
dies als ein normales Zeichen des entwidelten Weibes und wird nicht nur nicht als Ein— 
trag der Schönheit betrachtet, jondern fogar hübſch gefunden.” Ein befonderer Unter: 
ſchied zwiſchen der Bildung der Bruſt bei den Negerweibern und den Europäerinnen liegt 





Phyſiognomie der Neger. 135 


in dem ftärfern Hervortreten des ganzen Warzenhofes bei jenen im Gegenjage zu der 
Icharfen Abjegung der Bruftwarze bei diejen. 


Trotzdem den Negern ein nennenswerter Grad geiftiger Begabung von vielen Beobach— 
tern abgeſprochen wird, werden wir doch nicht umhin fönnen, in ihrer Bhyfiognomie 
einen geiftigen Ausdrud ganz mit derjelben Sicherheit zu erwarten, mit der wir ihn 
bei Menſchen unſrer Raſſe jelbjt dann ſuchen, wenn der Stand ihrer Intelligenz ein nie: 
drigerer ift. Es it wahr, daß die in der Negerphyfiognomie vorwaltenden, jedoch feines: 
wegs allgemeinen Elemente der ſchmalen Stirn, der vortretenden Kiefer, der platten Nafe 
und aufgeworfenen Lippen dem Ausdrude hoher Intelligenz nicht günftig find. Aber wenn 





Mr. und Mrs. Bunge, Hlambetaffern (nad Photographie im Pefike des Miffionsdireltord Herrn Dr. Wangemann in Perlin). 


auch die Seele des Neger nicht immer zu jo hohem Fluge wie die geiftvoller Weißen 
befähigt ift, jo ilt fie doch immer mächtig genug, die Züge des Gefichtes auch hier zu 
beherrihen, und es fehlt ebenjowenig das, was man vergeiftigtes Gefiht nennt, wie der 
‚heelenvolle Ausdruck“, der bejonders bei Weibern nicht gar jo jelten gefunden wird. 
Mit großem Rechte hat Schweinfurth jenen Begriff „edelgebildeter Völker“ gerade 
auf Negerftämme angewandt. Und bezeichnend iſt es, daß er 3. B. die Schilluk zu den 
edlern Raſſen Zentralafrifas rechnet, diejes Nilvolf, das oberflächlichere Beobachter fait 
wie Affen darzuftellen beliebten. Man muß mit Livingjtone jagen, daf es den niedrigen, 
häßlichen Neger als Volk nicht gibt, jenen Neger, den einmal Burton, der jo gern mit 
großen Ausdrüden um ſich wirft, als „et anthropoid mit kinnloſem Schnauzengeſichte“ 
(von den Egba jprechend) bezeichnet. Mit Stolz darf man hervorheben, daß die Urteile 
deutjcher Forjcher im allgemeinen viel maßvoller find und die Probe der Erfahrung beſſer 
aushalten. „Freilich wird der Europäer“, jagt Falfenftein, „in Europa jelbjt jtets an 
der eingejunfenen Naje, den vorjtehenden Backenknochen und den vollen, aufgeworfenen, doch 
jelten wuljtigen Lippen Anftoß nehmen; befindet er fich aber längere Zeit mitten unter 
ihnen, jo bewirken die für die Umgebung vorteilhafte dunfle Schattierung der Haut und 


136 Allgemeines über die Neger. 


die anmutende Leichtigkeit der durch fein Übermaß der Kleidung begrenzten Bewegung, 
die elajtiiche Frijche der Jugend, die natürliche Naivität des reifern Alters, daf er der Raſfe 


— n m n — — 





Ein junges Mädden vom Stamme der Vergdamara (nad Photographie im 
Beſitze des Herrn Dr. Yabri in Barmen). 


als ſolcher Gerechtigkeit 
widerfahren läßt. Es liegt 
in ihrem Wejen, ihrem 
Charakter, ihrer Verkehrs: 
und Ausdrudsmweije etwas 
Urwüchſiges, Natürliches, 
das uns notwendig mit 
ihnen befreundet.” Es iſt 
hier jedenfall$ das jub- 
jeftive Urteil jehr einfluß— 
reich. Major Mechow jah 
in der Tochter Katala Ka— 
tingas eine vollendete Ve- 
nus und in einem Weibe 
Muata Jamvos „das echte 
Bild der Pſyche“. Weni- 
ger als dieje hochfliegende 
Qualififation wird es ung 
befremden, wenn er diejer 
„ein freies und doc) mäd: 
chenhaftes Benehmen“, 
feinen Anjtand und Grazie 
zufchreibt. Unfre Abbil: 
dungen (S.131,133, 134, 
135) zeigen Männer und 
Weiber aus  denjelben 
Stämmen, und dod welche 
Unterichiede gerade im 
Außern, in der Phyfiogno- 
mie! Indes denfe man 
daran, welche Mujterfarte 
von Schönheit und Häß— 
lichfeit man durd eine 
finnreiche Auswahl der fei: 
neswegs ertremen Typen 
bei uns herſtellen könnte! 

Vielleiht trägt es 
dazu bei, der Negerphy- 
fiognomie einigermaßen 
das Fremde zu nehmen, 
fie unfern gewohnten Vor: 
jtellungen näber zu brin: 
gen, wenn wir darauf 


aufmerfjan machen, dab in vielen ihrer Ausprägungen eine gewiſſe Annäherung an den 
jemitiihen Typus unzweifelhaft hervortritt, die man oft geradezu Judenähnlichfeit nennen 
kann. Die Behauptung kann begründet werden, daß der jemitiiche Typus des Juden, 


Phyſiognomie. Urteile über das Außere der Neger. 137 


Arabers, Syrers ꝛc. ih wie ein Mulattentypus verhält. Wenn die Judenähnlichkeit ſpeziell 
der Kaffern häufig übertrieben wird, jo kann dies nicht abhalten, den Kern von Wahrheit 
feitzuhalten, welcher in ihr liegt. Sie it zu oft betont und begründet, um einfach überjehen 
werden zu fönnen (vgl. S. 24). Wir erinnern daran, daß Uuatrefages unzweifel: 
haft ſemitiſche Elemente in den Süpdojtnegern (Zulu 2c.) findet. 

Die jo verfchiedenartig Elingenden Urteile über das Äußere der Neger laffen voraus: 
jegen, daß nicht von allen Seiten mit gleicher Unbefangenheit an deſſen Würdigung heran: 
getreten wurde. Da man nun ähnlichem Auseinandergehen auf jedem einzelnen Felde der 
afrifaniichen Ethnologie begegnet (denn ohne Zweifel find Weſen und Charakter der Afri— 
faner am ichwerjten zu fallen), jo mag es nicht überflüſſig fein, an der Hand eines Sad): 
fenners den Urſachen folder Ungleichheiten nahzuforihen. Falkenstein, deſſen Berichte 
von der Loango-Erpedition zum Wertvolliten gehören, was die deutiche Afrikaforichung 
auf anthropologiihem Gebiete geliefert, unterwirft in feiner Arbeit „Über die Anthro: 
vologie der Koangobewohner‘ die jeither bei der größten Zahl der Neifenden übliche Art 
der Beurteilung des Äußern der Neger einer fehrreihen Kritit. „Wäre, jagt er, „der 
Grundiag, nur Gleichartiges gegenüberzuftellen, allgemeiner befolgt worden, fo würden 
die wunderbaren Vorftellungen, die noch heutzutage namentlich über die Neger herrichen, 
nicht haben Boden gewinnen fünnen, Vorurteile, die num jo tief Wurzel gefaßt haben, daß 
wirklich wahrbeitsgetreue Schilderungen dem Schidjale verfallen, als philanthropiiche 
Schwärmereien belächelt zu werden. Wie oft habe ih Yeute mit Wohlgefallen ihren Abichen 
oder mindeitens Widermwillen gegen die Schwarze Raſſe ausiprehen und alle ihr zugeichrie- 
benen Mängel weitläufig auseinanderjegen hören. War man dann nad den vorgezeigten 
Bildern genötigt, mandes bezüglich der Körperform zuzugeben, jo flammerte man fich um 
fo feiter an Einzelheiten, wie an die Häßlichfeit der Naſe und Lippen oder an andre wider: 
wärtige Eigenſchaften.“ Falkenſtein weit im Verlaufe feiner Darlegung eine ganze Neibe 
von Borurteilen zurücd, die man gegen das Hußere des Negers in äfthetiicher Beziehung 
hegt. Er faßt fein Urteil dahin zufammen, daß es ein relativ Ihöner, durchaus wohl: 
gebildeter Menichenichlag jei. Vorzüglich die den Negern noch fait in allen Darjtellungen 
als Raſſenmerkmale meiſt affenartiger Natur angebefteten Eigentümlichkeiten findet er ent: 
weder ganz ebenjo häufig bei Europäern oder doch nur in viel unbedeutendern Abweichungen, 
als gewöhnlich angegeben ift, und am Schluffe meint er: „ES geht dem Neifenden niit diejen 
Vorurteilen wie mit den Gefahren, mit denen die Phantafie der Zurücdbleibenden feine 
Perſon auf allen Wegen im fernen Lande umgibt: fie ſchwinden, je näher man ihnen tritt‘, 


Wenn der franfe Menich nur eine andre Gruppierung, ein geftörtes Verhältnis der 
für den gefunden bezeichnenden Eigenichaften aufweilt, jo find die Krankheiten der 
Neger ein Beweis mehr für die große innere Übereinftimmung ihrer Natur mit der 
allgemeinen Menichennatur. Sie leiden an Krankheiten ebenfojehr wie die Europäer, 
und wenn ihre Konititution eine weniger durch Kultur-, beionders Kopfarbeit geichwächte 
iſt, fo befigen fie anderſeits auch weniger Schugmittel. Drei Ärzte, die in neueſter Zeit über 
Afrika genaue Berichte veröffentlichten, Buchner, Felkin, Holub, jtinnmen hierin überein. 
Belonders wird die Immunität gegen Fieber als Kabel bezeichnet. Nah Holub werden 
alle Betidhuanen mit Ausnahme der Batowana vom Ngami und der Makoba am Zuga— 
fluffe vom Malariafieber dezimiert, und Buchner nennt die ‚Fieber ganz ausdrüdlid unter 
den Leiden, von melden fie befallen werden. Die Krankheiten der Waganda bilden nad) 
Felkin eine furchtbare Reihe, worin die meilten den europäifchen Ärzten befannten Übel 
vorfommen. Die Blattern find eins der ſchlimmſten; fie ericheinen zeitweife epidemiich und 
fordern Tauſende von Opfern. Sie treten unter einer jehr bösartigen Form auf, und 


138 Allgemeines über die Neger. 


deshalb genejen von allen, die davon ergriffen werden, jo wenige, daß man in Uganda 
jelten jemand mit Blatternarben jieht, ein Umstand, welcher dem Reijenden anfangs die 





Ein Shediger Neger von der Loangoläüfle 
(nad) Photographie im Befihe des Heren Dr. Pechuel— 
Loeſche in Nena). 


Vermutung nabelege, die Blattern jeien fait 
unbefannt. Buchner fand Blatternarben nur 
unter den Kabindaleuten häufiger. Epidemiſche 
Variolen glaubt diefer Neifende nur von der 
Küſte eingejchleppt, beſonders heftig ſcheinen fie 
nie gemwütet zu haben. Syphilis ift, wie in 
allen heißen Ländern, nicht häufig und beilt 
leiht. Oft wird fie mit Skorbut verwechjelt. 
Felkin nennt weiter Wafjerfuht, Rheumatis— 
mus, Sieber, Bronditis, Augenentzündung, 
Cholera und eine Art von Ausjat. Buchner 
bezeichnet alle drei Formen des Ausſatzes als 
in Weſtafrika vorfommend. Eine bejondere 
Hautkrankheit it die Kifuſſa MWeitafrifas, die 
in einer Menge blaugrauer Poden unter der 
Epidermis beſteht. Buchner bejchreibt eine 
jeltjame Art von Schlafſucht, welche nach mo- 
natelanger bejtändiger Schläfrigfeit zum Tode 
führt. Ziemlich viele leiden an temporärem 
Wahnſinne, der gewöhnlich drei oder vier Tage 
anhält; doch werden die davon Befallenen nicht 
tobjüchtig. Selbftmord ift faft unbekannt. Xiele, 
bejonders Frauen und Mädchen, haben Anfälle 
von Epilepfie. 

Man ficht oft Leute mit weißen Fleden 
an Gejicht, Händen und Beinen; Felkin hält 
dies für feine Hautkrankheit, ſondern nur für 
eine Abwejenheit von Farbjtoff in der Haut. 
So Ipridt auch Hildebrandt von leihen: 
grauen Negerinnen in Kitus. In diefem Zu: 
jammenbange möchten wir auf die Häufigkeit 
von Albinos hinweijen, die zu jo vielen Fabeln 
Anlaß gegeben haben. Faſt in jedem Stamme 
Jind fie beobachtet. In jeltenen Fällen fonftatiert 
ein guter Beobachter, wie 3. B. Hildebrandt, 
bei den Wapofomo ihre Abweſenheit, die viel: 
leicht durch Bejeitigung zu erklären fein wird. 
In Uganda, meinte Felkin, jeien fie häufiger 
zu jehen als in irgend einem andern Stamme, 
den er bejuchte. Man betrachtete fie als Merk: 
mwürdigfeiten, und der König und die Großen 
hielten fie an ihrem Hofe. Ihr Haar ift ſtroh— 
farben, ihre rauhe, derbe Haut rötlihweiß und 
ihre Augen jehr empfindlich gegen das Licht. 


Felfin jagt, von den Eingebornen lafje fih keine Auskunft über den Urjprung diejer 
Mißbildungen erlangen. Die Annahme, daß fie aus Geſchwiſterehen entipringen, werde 


Krankheiten. Mißbildungen und Sinnesſchärfe. 139 


von allen ganz und gar verworfen. Sie jagen, daß oft ein Elternpaar ein oder zwei nor: 
male Kinder haben fann, dann einen Albino und dann wieder ein normales Kind; ferner 
behaupten fie, aus Ehen der Albinos untereinander feien ganz normale Kinder entiprofien. 
Vorzüglid an den Höfen fieht man auch andre Mißbildungen, befonders Zwerge, welde, , 
wie die Narren im Mittelalter, allerhand Poſſen treiben dürfen, wie jene verzogen und 
ertragen werben und oft in den Beſitz großer Rinder-, Ziegen: und Schafherden oder jonftiger 
Neichtümer gelangen. Sie werden uns von den Höfen Mtejas, Munfas, des Muata Jamvo 
und andrer bejchrieben, und befannt ift es, wie die Neugier unſrer nad Zmwergvölfern 
fuchender Forihungsreiienden durch diefe Krüppel oft geipannt und enttäufcht wurde. 
Übrigens find die Mifbildungen aus dem für alle Naturvölfer gültigen Grunde des früh: 
zeitigen Hinfterbens oder, wenn dies nicht erfolgt, der Tötung im ganzen jelten. Nur in 
den vom Islam mit humanern Ideen durchtränkten Sudanländern oder in den freilich 
beſchränkten Milfionsgebieten fann eine Schilderung zutreffen, wie Mafjari fie von Kano 
entwirft: „Die Zahl der Blinden und Lahmen ift hier ungeheuer groß, und morgens und 
abends ficht man ganze Reihen jolcher Armen nach dem Marfte betteln gehen oder daher: 
fommen, um in ihre Hütten zurüdzufehren, und jelten fieht man einen Einwohner von 
Kano an einem biefer Unglüdlichen vorüberichreiten, ohne ihm eine Eleine Muſchel zu 
ſchenken“. Kano liegt doch nur zur Hälfte im echten Negerlande. 


Was von jenen körperlichen Vorzügen, die man früher den Naturvölfern freigebiger 
beimas, übrigbleibt, ift namentlic eine gewiffe Unverdorbenbeit, die aber bejonders in 
ven weniger gebraudten und verbraudten Sinnes: und Geiftesorganen Sich 
geltend macht. Dahin gehört es, wenn Schweinfurth den Negern im allgemeinen ein 
Ichärferes Geftcht zufchreibt als den Arabern und Nubiern. Unter die Beweiſe dafür zählt er 
die unglaubliche Glätte der Hiebflächen abgehauener, 6—8 Fuß dider Bäume im Mon: 
buttulande, zu deren Füllung Taujende von Hieben mit der Heinen Art notwendig waren. 
Hier find auch der wundervoll entwidelte Ortsjinn der Tebu und die Gefchidlichkeit im Auf: 
finden des Waſſers zu nennen, welche die ſüdafrikaniſchen Neger auszeichnet. Dagegen 
find fie aud) da, wo eine ftarke Jagdpaſſion fie beberricht, Fast in der Negel ſchlechte Schützen 
und werden im Schießen jelbit von den Hottentotten übertroffen. Eine gewiſſe Friiche it 
aud ihrer Seele eigen, wie fie 3. B. in dem naiven, uns unreif erjcheinenden Enthufiasmus 
jih äußert, mit dem die Neger in den Vereinigten Staaten dem Chriſtentume in ertremen 
Seltenformen ſich angeichloffen haben. Man muß abwarten, was aus diefen bis jegt brach 
gelegenen Gaben ſich entwideln wird. Einftweilen jagen wir mit Hübbe-Schleiden: „Die 
äthiopiiche Raſſe ift wohl unzivilifiert, aber nicht entwidelungsunfähig, fondern nur unent: 
widelt. Ob oder wann der Neger bei günftigerer Kulturentwidelung, als er fie bisher 
genofien hat, durch allmähliche Veredelung einer Generation nad) der andern zu gleicher oder 
gar höherer Zivilifation gelangen könne, als wir fie gegenwärtig erreicht haben, mag bier 
dahingeftellt fein.” Dieſer Beobachter, der Jahre hindurch intim mit Negern zu verlehren 
hatte, meint, daß fie uns vielleicht ſchon jegt in phyfiicher Kraft und Gewandtheit überlegen 
jeien, ebenjo in der normalen Entwidelung ihrer Glieder und der Stärke ihrer Konjtitution., 

Die „im Naturzuftande” trägen Neger haben fich unter dem Drude der Verhältniffe zu 
großer körperlicher Leiſtungsfähigkeit entwidelt und zeigen damit, was die Erziehung 
zu leijten im ftande ift. Die Erfahrung beftätigt vielfach die Aufftellung desfelben Gewährs— 
mannes: „Wenn einer behauptet, daß der Neger nicht arbeiten wolle, jo reduziert ſich Dies 
nur darauf, daß er den Neger nicht arbeiten machen kann“. Nur bei einigen Negervölfern 
ift Die Arbeit an und für ſich verpönt, fo 3. B. bei den Waganda, Wanyoro und Genojjen, 
denen eine reichlihe Menge Haven zur Verfügung fteht. Bei diefen fand es Wilfon 


140 Allgemeines über die Neger, 


nötig, durch eigne Arbeit „den Eingebornen, welche körperliche Arbeit als ein Weiber: und 
SHavengeichäft tief unter ihrer Würde halten, ein gutes Beiſpiel zu geben”. Die meiiten 
arbeiten für fih und die Ihrigen foviel, wie nötig it. Daß fie nicht immer gern für Fremde 
‚ arbeiten, hat gewöhnlich andre Gründe als nur Trägbeit, wie aus der Korm hervorgeht, 
in welcher fie dieje Arbeit leiſten. Sie wollen in der Gebundenbeit frei bleiben. Nur wenige 
Kaffern verdingen fih, wenn die Armut fie zwingt, als Arbeiter zu den Weißen und ſuchen 
ſich jelbit in diejer Stellung möglichit frei zu erhalten. Im Oranjefreiltaate pflegen fie in 
ihren eignen Kralen in der Nähe der Anjiedelungen der Weißen zu wohnen, fommen am 
Tage herein, um gegen mäßigen Kohn ihren Verrichtungen obzuliegen, und fehren am 
Abend in ihre Hütten zurüd. Der Lohn wird aufgeipart, bis er zum Ankaufe von etwas 
Vieh hinreicht, und wenn dann der Beſitz ſich mehrt, kann der Kaffer fich endlich zum Ankaufe 
eines Weibes aufihwingen. Damit hat er in der Negel das legte Ziel feiner Wüniche 
erreicht und fehrt ing Innere zurüd, indem er es verichmäht, weiter für den weißen 
Mann zu arbeiten. Die Träger auf einer begangenen Handelsitraße, wie Bagamoyo— 
Udſchidſchi, zeigen zur Genüge, daß Arbeitstuft und Arbeitsfähigfeit in ihnen vorhanden find, 
Wenn der paffive Betihuane den energiichen, unermüdliden Europäern den Namen Pelu— 
telele (langes Herz) beilegt, wahricheinlih, weil ihm die Länge ihres Atems und ihrer 
Thatkraft imponiert, jo leijten die Wanyammeli als Träger Dinge, welche umgekehrt dem 
Europäer Bewunderung einflößen. Kraft und Ausdauer find beide bei ihnen über das 
normale Negermaß hinaus durch Erziehung entwidelt. Bon dem Gewichte der Laſten, die 
fie tragen, haben dieſe Wanyammeliträger Schwielen auf den Schultern. Livingſtone 
maß eine von 3U/s cm Dide. Man zeigte ihm in Moero einen Mann, der fünf Fraſilah 
(1 Frafilah = 12/2 kg) Elfenbein von bier big zur Küfte getragen hatte! Die Negerfoldaten, 
welde in der ägyptiihen Nquatorialprovinz aucd den Poſtverkehr beiorgen, verrichten 
große Thaten von Schnelligkeit. Sie machen 60 oder nötigenfalls noch mehr Kilometer in 
einem Tage. „Als ich einmal Ertrapoit abſandte“, erzählt Felkin, „machten fie 285 km 
in 4!/s Tagen, obgleich der Weg teilweije jehr Ichleht war.” Hildebrandt bewunderte die 
Wakamba, welde 40—45 kg ohne Murren S—9 Stunden mit fnurrendem Magen trugen. 

Es hat ſich als allgemeine Regel befonders in Amerifa bewährt, daß die Neger weniger 
leiſtungsfähig zu ftetiger, ununterbrochener Arbeit, daß jie ung dagegen in Leitungen über: 
legen find, die Seichwindigfeit und ſtürmiſchen Kraftaufwand erheifchen. Ein Miſſiſſippiboot 
mit Ihwarzen Matroſen wird nach Olmſted ein Drittel Schneller jein Brennholz verladen als 
eins, welches diejelbe Zahl weißer Matrofen hat; aber weiße Arbeiter von derjelben Intelli— 
genz und demjelben Antrieb werden doppelt joviel Holz hauen, doppelt joviel Pfähle jpalten 
und ein Drittel mehr Mais im Tage behaden als ſchwarze. Was man indeſſen auf den Plan— 
tagen von Cuba und Louiſiang aud an nachhaltiger Arbeit den Ihwarzen Sklaven zumutete, 
überiteigt weit das Maß desjenigen, was ein europäiſcher Arbeiter auszuführen im ftande 
iſt. Wocenlang 12—14jtündige harte Feldarbeit unter heißer Sonne und bei gebüdter 
Stellung war in der Zeit der Zuderrohrernte Negel und wurde geleiftet, wenn auch freilich 
nur aus Furdt vor der Peitſche. Die Neger find aber auch als freie Arbeiter in Amerifa 
den jchweren Anforderungen gewachien, die feine andre Raſſe übernehmen würde. Die 
Panama-Eiſenbahn ift wejentlich das Werk der Neger, und jo wird es der Panamafanal 
fein. Auch in den ſüd- und weitafrifaniichen und arabiichen Hafenplägen find die Neger 
(Fingu, Mofambifneger, Suaheli, Kru- und Veiſtämme) die leiftungsfäbigiten Laitträger. 

Hierher gehört auch die Widerftandsfraft gegen den den Naturvölfern ſonſt fo 
gefährlichen Branntwein. Nah G. Fritich verliert auf die KHonftitution eines Kaffern 
der Alkohol jeine Wirkung oder übt fie wenigitens nur jehr langjam aus. „Nie hätte 
ic) geglaubt, daß der menſchliche Organismus jolde Quantitäten von Spirituoſen zu 


Leiftungsfähigfeit. Die Schule der Sklaverei, 141 


bewältigen vermöchte, wie hier von diefen Herren (e3 iſt von Sandili und feinem 
Gefolge die Rede, welche Fritſch in Stutterheim traf) vertilgt wurden. Sie tranten 
den ſtärkſten Brandy wie leichtes Bier aus Waſſergläſern, zuweilen bis zu drei Flafchen 
an einem Tage, ohne mwejentlih davon geitört zu werden, während der ſchädliche Einfluß 
des unmäßigen Alkoholgenuffes fich fo deutlich an dem Schwachen Geichledhte der Hotten- 
totten berausitellt.” Mag fein, daß hier eine angeborne Schwerfälligteit und 
Trägheit der Seele ins Spiel kommt, welde der „Peitſche“ des Narkotifums 
bedarf, und daß das Nervenſyſtem der Neger an und für ich gröber organifiert 
it, abgelehen davon, daß jene jogenannten verfeinernden, d. h. die Nerven 
ſchwächenden, Kultureinflüſſe bei ihnen fehlen, unter deren faum beichränfter 
Herrichaft wir ſtehen. Es jcheint, daß man mit groben Nerven auch bei der 
piychologischen Beurteilung der Neger rechnen muß. Felkin jagt aus feiner 
ärztlihen Praris: „Die Schuli find merkwürdig hart gegen Schmerzen, ic 
glaube, fie empfinden jie wirklich nicht jo lebhaft wie wir Europäer; oft lachten 
und ſcherzten fie, während ſchmerzvolle Operationen an ihnen vorgenommen wur: 
den”. Es mag alſo aud darin ein Kultur= oder vielleicht jogar ein Nafjenunter: 
ichied liegen, daß die Wirkung jenes fosmopolitiichen Stimulans ichon in einem 
frübern Stadium zu beginnen hat. Nicht um die in einer Arbeit oder nad) der: 
jelben ermüdeten Kräfte zu ftärken, ſondern um die Kräfte überhaupt wachzurufen, 
welche ohne den Branntwein fait nicht zur Ericheinung, zur Bethätigung kommen 
würden, wird derjelbe genoſſen. Ein Reijender jagt treffend: „Ebenſo wichtig, 
wie einen Wagen gut zu jchmieren, ijt es, den Schwarzen etwas Alkohol ein« 
zuflößen, wenn man einigermaßen befriedigende Arbeitsleiftungen von ihnen 
erhalten will”. So wie die Neger einmal find, ift der Branntwein bei vielen 
von ihnen bereits unentbehrlich geworden, Monteiro hält ihn als Arbeits: 
anreger fogar für entichieden nüglic. Unmillfürlich ehren aber die Gedanken 
immer wieder zu der Frage zurüd: „Wie möchte es wohl zu erreichen fein, ſolche 
gute Kräfte wach zu erhalten und in eriter Yinie für das eigne Wohl diefer 
Leute nugbar zu machen?” (G. Fritſch.) 

Die Sklaverei iſt wohl eine Schule dafür geweſen, und die Arbeiter, 
welche in derjelben Unterweilung genoſſen haben, legen Beweiſe von viel be: 
trächtlicherer Zeiitungsfäbigfeit ab, ald man vor der Aufhebung der Sklaverei 
vorausiehen zu dürfen glaubte, Wie viele Übel auch die Anweienheit von 6 Mil: 
lionen Negern in den Vereinigten Staaten im Gefolge haben mag und unzweifel: Ein Stla: 
haft in größerm Maße für fommende Zeiten bergen wird, zu dem Ergebnifje find venpeit: 
alle unbefangenen Beobachter gelangt, daß die wirtichaftliche Yage der zum Teile The aus 
von 50 Prozent früherer Sklaven bewohnten Süditaaten durch die Aufhebung re 
der Sklaverei in viel geringerm Maße beeinträchtigt worden fei, ald man vermutete Gpaittu). 
und zum Teile noch heute glaubt. Im Jahre 1876 itellte das Yandmwirtichaftsamt 
der Vereinigten Staaten eine Unteriuchung über die Lage des Baumwollbaues an, die eine 
Menge von intereflanten Daten über die Negerarbeit zu Tage förderte. Das Endurteil 
des betreffenden Berichtes Jautet folgendermaßen: „Die Angaben kommen alle darin über: 
ein, daß fie eine allmähliche Zunahme des Arbeitsnugens der Freigelaſſenen feftitellen. 
Noch immer berricht zwar die Neigung, in den Städten ſich zufammenzudrängen und fich 
mit vorübergehenden Gelegenheitsarbeiten ein unficheres Ausfommen zu ergattern; auch 
lehnen Frauen und Halberwachiene die Feldarbeit zu oft jelbit dann ab, wenn fein andrer 
eg zum Ermwerbe für fie offen iſt. Aber es ift ein bejferes Berftändnis zwilchen Grund: 
beiger und Feldarbeiter angebabnt. Der eine iſt geneigter geworden, fich raten zu laſſen, 





142 Allgemeines über die Neger. 


und der andre greift mehr ein. Viele Farmer find herabgefommen durch die Unluft, ihre 
Anteilarbeiter zu beauffichtigen.” Auch in Britiih-Guayana hat man neuerlid Erfahrungen 
gefammelt über die Arbeitsfähigfeit des freien Negers, und dieſe find um fo wertvoller, 
als er hier mit dem Chineſen verglichen wird, der auf dem Arbeitsmarkte der Tropen 
einft fein gefährlichiter Mitbewerber werden dürfte. Auf den dortigen Zuderpflanzungen 
arbeiten Afrifaner, Oftindier und Chinefen unter den befannten Kuliverträgen. Sie arbeiten 
zugweife, die Neger unter Führung eines Negers oder Portugiefen, die Chinejen unter 
Führung eines Landsmannes, die Indier gewöhnlich unter der eines Negerd. In der 
Feldarbeit ift auch hier der Neger der bejte von den breien. Er arbeitet doppelt joviel 
wie der Indier, den er wegen feiner Schwäche veradhtet. Der Indier zahlt ihm jeinerjeits 
mit Verachtung feiner Roheit und feiner unzivilifierten Gewohnheiten. Der Ehineje ift der 
intelligenteite von allen, aber er läßt die Feldarbeit liegen, jobald er nur kann, um lohnen: 
dere und bequemere Arbeit zu juhen. Wenn der Neger nicht zur Arbeit angetrieben 
wird, leijtet er weniger als die beiden andern, und in vollfommener Freiheit hat er das 
größte Talent zum Bummler und Vagabunden. Auch feine Geichidlichkeit im Handwerke 
wird nicht hoch gepriefen, und doch ift er in Afrifa ein ganz vortrefflicher Grobſchmied 
und zwar mit großer Neigung und mit Eifer. Wir haben engliiches Zeugnis dafür, daß 
ihre Lanzenfpigen, die zugleich leicht und ſtark find, von einen nicht vorzüglichen Dorf: 
ſchmiede in England ſchwerlich nachgemacht würden. In Afrika ſelbſt macht der Neger nicht 
auf alle Beobachter den Eindrud der Trägheit. Soyaur befämpft mit Eifer die Anficht, daß 
die Echwarzen ſich die Früchte der gütigen Natur in den Mund hineinwachjen laffen. „Kein 
Zugvieh“, jchreibt er von der Loangoküſte, „weder Ochje noch Pferd, zieht hier den die harte 
Scholle aufreißenden Plug; ganz allein des Menſchen Ichwielige Hand muß mit einer kleinen, 
ſchwachen Hade den Boden bearbeiten, den er dem Urmwalde abgerungen. Freilich, erſt dem 
Menichen, der auf einer hohen Stufe der Gefittung fteht, wird die Arbeit zum Bedürfniſſe, 
zum Zwede des Lebens, er erit lebt, um zu arbeiten; der Naturmenſch betrachtet die Arbeit 
lediglich als Mittel zur Beihaffung des allernotwendigiten Lebensbedarfes, er arbeitet nur, 
um zu leben, Doc hat hier an der Küfte der Handel offenbar ſchon den Begriff des Notwen- 
digften bei den Eingebornen erweitert und ihnen damit den Sporn zu vermehrter Thätigfeit 
gegeben; fie bauen mehr Maniof, Mais und Bataten, als fie für ihren eignen Lebensunter: 
halt brauchen, um mit dem Überfhuffe früher nicht gefannte Genußmittel von den Weißen 
einzuhandeln.” In den 35 —40 Morgen großen Manioffeldern des Muata Jamvo mußte ſelbſt 
Pogge die Negerarbeit bewundern und nicht minder in den weiten Rodungen der Kiofo. 

Ähnliches lehrte gegenüber den früher landläufigen Verkegerungen der Neger der Auf- 
Ihmwung des Bergbaues in Südafrifa. Ein Schilderer der Namaquafupferminen im „Cape 
Monthly Magazine‘ findet die Kaffern, Fingu, Mantati und Damara „Sehr äbulich irgend 
welchen andern Arbeitern. Einige arbeiten gut, andre jchlecht, einige gehen beffer mit der 
Schaufel, andre mit der Pide um ꝛc. Sie betrinfen fi, wenn jie Zeit haben, und noch ein 
gutes Teil öfter und verdienen fich gern noch ein paar Grofchen außer der Arbeit, für die fie 
gemietet find. Wie gut oder fchlecht fie fich zur Arbeit anitellen mögen, eins bemeift ihren 
Wunſch dazu: die weiten Streden, welche fie herfommen, um in diefem wüſteſten aller 
ſüdafrikaniſchen Länder das denkbar elendejte Leben zu führen. Man weiß, wie mächtig dic 
Diamantminen auf die Hebung des Mohlitandes gerade der Eingebornen Südafrifas ein: 
gewirkt haben. Haben doch allein die Baſuto im Jahre 1874 nach denjelben auf eignen 
Wagen für 41 Millionen Mark Mais und Hirfe ausgeführt. Daß die dortigen ſchwarzen 
Arbeiter der Bafuto, Batlapinen 2c. ihren fauern Lohn in Flinten ftatt anderswie anlegten, 
fann man ihnen faum jehr verübeln, wie bedenklich es auch die dortigen Weißen ſtimmen 
mag. Die Hauptiache ift, daß hier Neger freiwillig arbeiten, was eben ſonſt geleugnet wurde. 


Negerarbeit. Charakter des Negers. 143 


Biel, übermäßig viel it über den Charakter der Neger gelagt worden, aber felten 
it ein Gegenjtand jo eingehend und eifrig mit geringem Nuten beſprochen worden wie 
diefer. Die Schwierigkeit liegt in Punkten, die aller VBölferbeurteilung jtörend in den Weg 
treten; fie jind hier aber noch um fo viel größer, weil man dieje Völfer entweder nur in 
dem jehr abnormen Zuftande der Sklaverei genauer beobadhten konnte, oder unter andern 
Verhältniſſen, melde den Nachteil haben, mit den unfrigen nicht leicht verglichen werden 
zu können. In beiden Fällen tritt eine natürliche Neigung zu ungeredhter Beurteilung 
hervor. Dort rechnet man die Wirkungen, welche der gedrüdten Lage angehören, der 
Nafjenanlage zu; bier überjieht man den Einfluß der vollitändig andern äußern Bedin- 
gungen, unter welchen biejelbe jich entfalten mußte. Von beiden Verhältnifjen aber fann 
man jagen, daß ihnen in Bezug auf den Charafter eine ftarfe Neigung zu übeln Wirkungen 
innewohnt. Denn die Sklaverei erftidte mit dem Selbit: und VBerantwortlichkeitsgefühle 
eine ganze Menge von Keimen beſſerer Entmwidelungen, während in der afritaniichen 
Heimat, wo erjt jeit kurzer Zeit Chriftentum und Islam mächtiger vordringen, die längite 
Zeit hindurch die Berührung mit höhern Vorftellungsfreifen fehlte. In eriter Linie wird 
man daraus den Schluß ziehen, daß nicht der Beurteiler zu diefer Ungunft der Thatjachen 
auch noch die Ungunft feines Vorurteiles fügen jollte, und daß doppelte Vorſicht gerade 
hier angezeigt it. Die beiten Beurteiler der Neger haben ſich ihrer jtets befliiien. So 
erflärt vor allen Livingftone ganz offen: „Sch fand es jchwer, zu einem Schluſſe über 
ihren Charakter zu fommen. Manchmal üben fie ganz bemerkenswert gute Thaten aus und 
manchmal ebenio auffallend das Gegenteil. Jh war nicht im ftande, das Motiv für das 
Gute zu beftimmen oder Nechenfchaft zu geben über die Gewiſſensverhärtung, mit welcher 
fie das Böje verüben. Nach langer Beobahtung Fam ich zu dem Schluſſe, daß fie eine 
ebenfo merkwürdige Miihung von gut und böje, wie die Menſchen es überall find. Es 
ift unter ihnen feine Neigung zu jenem beftändigen Strome von Wohlwollen, der von dem 
Reichen zu dem Armen fließt, wie bei uns, noch von jenen ungeluchten Aufmerkſamkeiten, 
wie wir fie jelbft bei unfern Armen untereinander finden, Doc jahen wir häufig Bei: 
jpiele von wahrer Güte und Freigebigfeit fo gut wie Thaten von ganz entgegengejegtem 
Charakter. Die Reihen zeigen aber dem Armen Wohlwollen vorzüglich in Erwartung von 
Dienftleiftungen, und ein Armer, der feine Angehörigen hat, wird im Kranfheitsfalle oft 
faum mit Wafjer verfehen, und wenn er ftirbt, wird er, anftatt begraben zu werden, 
hinausgeichleppt, um von den Hyänen verzehrt zu werden. Es wäre leicht, Beijpiele von 
Unmenjchlichkeit, deren Zeuge ich war, aufzuzählen.” Derjelbe Beobachter ſchreibt aber 
ein andermal offenbar aus einem Neichtume von Erfahrungen gerade auf diefem Gebiete: 
„Niemand gewinnt je viel Einfluß in diefem Lande ohne Keinheit und Nedlichkeit. Die 
Thaten eines Fremden werden von jung und alt ſcharf beobachtet. Selten wird jelbit bei 
den Heiden ein Urteil gefällt, das unſchön oder unbarmberzig wäre.” Dan fönnte zahlreiche 
Zeugniſſe ähnlicher Richtung und Tragweite zufammenftellen und würde wohl am Schluffe 
mit Hübbe-Scleiden darin übereinftimmen, daß der Fond, aus dem der Neger gemacht 
ift, derjelbe fei wie bei uns. In diefer Überzeugung kann ung aud) das viel ungünftigere 
Urteil eines Pogge nicht irre maden, welder jagt: „Der Neger ift feig, faul, unzuver: 
läſſig, lügenhaft, liederlih, leichtſinnig, ſchlau und abergläubiih; er lügt, ftiehlt und 
betrügt, wo er nur immer fann. Er lebt nur für die Gegenwart und denkt nicht au 
die Zukunft.” Dies find Urteile von enger Bafis. Was follen folche allgemeine Urteile, 
wo wir doch willen, daß in Afrifa jelbjt die Völker jehr große Unterichiede untereinander 
maden? Die Batefe im äquatorialen Weiten, die Maviti in der Nyallaregion können 
ihren Ruf der Bosheit und Hinterlift nur unter Völkern erworben haben, die beijer find 
als fie jelber. Es wird bei jolder Bielartigfeit der Charaftereigenichaften beſſer fein, 


144 Allgemeines über die Neger. 


einzelnes jcharf ins Auge zu fallen, deſſen befondere Umftände ebenfalls der Beurteilung 
zugänglich find, ftatt ſich im Allgemeinen zu ergeben, über welches das Urteil notwendig 
ſchwankend iſt. 

Ein kindlicher Zug gebt durch den Charakter der Neger wie aller Naturvölfer und 
zeigt fi vor allem in einer gewiſſen Zwanglofigfeit der Äußerungen, welche wir gewohnt 
find ftreng zu kontrollieren. Es treten daber tiefwurzelnde fehler bei ihnen mit einer 
gewiſſen Unbefangenheit zu Tage. Zuerſt gehört hierzu dad Mutterlafter des Yügens. 
Bezeichnend jagt der engliihe Händler Selous in feinem Berichte über den mittlern 
Zambeſi: „Wiewohl es jelbitverjtändlich Fälle gibt, in denen Kaffern die Wahrheit jagen, 
find fie doch jehr unzuverläffig”. Lüge gilt faum für einen Fehler. Zwar wird von 
einigen Bölfern, wie 3. B. den Madi des obern Nil, gerade die Wahrhaftigkeit gerübmt 
(Felfin); aber jedenfalls bat viel allgemeinere Geltung das Urteil Wilfons über die 
Maganda: „Wie bei allen wilden Stämmen, wird die Wahrheit an und für fich nicht jonder: 
lih hochgehalten. Aber wer glaubhaft zu lügen veriteht, gilt jogar für einen geicheiten, 
aufgewedten Gejellen und wird wahrhaft bewundert. Infolgedeſſen beurteilen jie auch andre 
nad ihrem eignen Maßitabe, und wenn man ihnen etwas erzählt, das ihnen wunderbar 
vorfommt, jo antworten fie: ‚Ulimba!‘ (‚Was für eine Lüge!“)“ 

Dasjelbe gilt von andern Rechtsbegriffen. Der Sinn für den Unterjchied zwiichen 
dem Mein und Dein ſchwankt oft ganz bedeutend. Allein von einer Diebiichfeit, wie bie 
Rolynejier fie den erften Europäern gegenüber bewiejen, iſt bier doch feine Nede. Cs 
gibt jehr ehrliche Negerftämme. Bon den Wajongara 5. B. erzählt Wilfon: „jeden Tag 
famen fie in Scharen, um uns bei der Arbeit zuzujeben, und jpraden ihre Berwunderung 
über unſre Werkzeuge aus. Wir hatten eine transportable Schmiede, Drechſelbank, Schleif: 
jtein und Amboß an Bord, die wir aufitellten und oft gebrauchten, zum höchſten Erjtaunen 
der Wafongara, die beftändig ‚Soma! Goma! (‚Eifen! Eijen!‘) jchrieen und nicht begreifen 
fonnten, wie wir diejes Metall jo leicht bearbeiteten. In unjerm Zelte lagen Kupfer: 
dräbte, Nägel und andre Dinge, welche die Begehrlichkeit eines Negers reizen; allein zur 
Ehre unsrer Gaftfreunde jei es gejagt, nie wurde ung etwas davon geitohlen.”“ Bei dem 
ſtark entwidelten Befisfinne der Neger zeigt fih der mangelhafte Eigentumsbegriff 
derjelben häufiger im unberechtigten Feſthalten als im eigentlichen Stehlen. Sie ziehen auch 
bier feine Konjequenz, jondern handeln kindiſch-egoiſtiſch. Felkin bot auf jeiner Nüd: 
reile aus Uganda vergebens alles auf, um die Yeute zum Schlachten einer Kuh zu bewegen. 
Seine Bemühungen blieben erfolglos. Seine Begleiter hatten alle die Kühe, die er von 
Mteſa als Neifezehrung erhalten, für fi genommen und weigerten fich nun, eine davon 
zu Schlachten. „Selbſt wenn ich ihnen Bezahlung anbot, meinten fie, in Mruli erbielten 
fie mehr dafür. Wenn wir, ftatt von Rubaga zu fommen, dahin gegangen wären, jo 
hätte etwas Derartiges nie vorfommen fünnen; denn eine Klage, vor den König gebracht, 
würde fie das Leben gefoftet haben.” Habgier ift ein Hauptlafter der Neger. Bier noch 
ein kraſſes Beijpiel aus der Erfahrung Ballays bei den Aduma: Nach einen Beſuche 
bei zwei podenfranfen Adumalindern, die er ſchon mehrere Tage bindurd gepflegt hatte, 
bat er die Mutter derjelben um ein wenig Waller zum Wachen feiner Hände. „Was 
willit du mir dafür bezahlen?” lautete die Antwort. 

Das menjchliche Leben wird jehr gering geachtet, und Mordtbhaten find nicht jelten. 
Folgender Vorfall mag es beitätigen. Ein junger Page Mteſas, der Sohn eines geringern 
Häuptlinges, hatte oft an Wilfon Botichaft vom Palafte zu bringen; eines Diorgens fam 
er zu ihm herunter und teilte ibm in der fröhlichſten Yaune mit, daß er eben feinen Vater 
umgebracht habe. Wilfon frug nad dem Grunde diefer That. Jener fagte, er ſei es 
müde, nur zu dienen, und wollte ein Häuptling werden. Er hatte das Mteſa gejagt, welder 


Charakter ded Neger. 145 


ihm antwortete: „D, bringe nur deinen Vater um, und bu wirft Häuptling”. Dies that 
der Junge. Wenn dies von den durch die Tyrannei übermütiger Herrſcher zerfegten 
Verhältniffen Ugandas gilt, jo hören wir auf der andern Seite aus den ägyptifchen 
Hquatorialprovinzen, daß eigentliche Verbrechen eine ziemlich unbefannte Sache find, daß 
die Beamten nur Schwierigkeiten finden in der Aufrechterhaltung jener ftrengen Disziplin, 
ohne welche eine gute Verwaltung undenkbar ift. Und im allgemeinen gewinnt man ben 
faum täufchenden Eindrud, daß mehr Graufamfeit und Rechtloſigkeit bei in der Kultur 
etwas höher ftehenden Völkern Afrifas (wie Abejliniern, Nubiern, Galla) zu finden find 
al3 bei den Negern ſelbſt. Menſchenopfer zu religiöfen und politifch-religiöfen Zweden 
fommen bei den Negern vor. Ebenfo ift ein Teil derjelben anthropophag. 

Es ift nicht unrichtig, wenn man gejagt 
hat, daß auch bei den Neger jelbft die Sitt— 
lichkeit im umgefehrten Verhältniffe zu der 
Vollitändigfeit der Kleidung zu ftehen jcheine, 
jo daß die nadt gehenden Stämme, wenn fie 
von fremdem Einfluffe unberührt bleiben, die 
fittlih reinern, die bejtgefleideten hingegen die 
jittenlofeften find. Wo die Vielweiberei herrjcht, 
die unmittelbar vom Wohlſtande und der ge- 
fteigerten Kultur abhängt, jteht die Frau na— * * ⸗ 
türlich auf einer niedern Stufe und wird a 
eigentli nur als Befigtum betrachtet; je mehr ° 
Weiber ein Mann hat, deſto reicher ift er, denn 7 
um ſo mehr Grundſtücke kann er bebauen. — 
Dies muß die Sittenverderbnis nur noch ver⸗ Ein Hut, aus Haaren geflochten; Kaffernarbeit 
mehren, welche ohnedies durch den Umftand Meltm für Minenane, Kern) 1 mitt Grhe 
wählt, daß troß der großen Überzahl von 
Frauen dieſelben, wie bei uns das Geld, jehr ungleich verteilt find. Es ift, abgejehen 
von ſolchen jozialen Mifverhältniffen, fiher, daß dem Neger eine ftarfe Neigung zu Sinn: 
lichkeit innewohnt, und die verfchiedenften Reiſenden berichten uns von großen gejchledt: 
lihen und unnatürlihen Ausſchweifungen bei Negervölfern. Die Zahl der Stämme, 
welche Unfeufchheit, Ehebruch ꝛc. hart beftrafen, ift Flein. 

Oberflächlichkeit, Leihtbeweglichfeit ift bei den Negern eine Urfache vieler 
Fehler und Tugenden. Sie haben im Vergleihe mit den Meißen, wie fich vorzüglich 
aus einer Parallele zwiſchen diefen und jenen in Nordamerika ergibt, mehr Eitelkeit oder 
Gefallſucht, einen demonftrativern, dramatifchern Charakter, größere Erregbarfeit, damit 
zufammenhängend weniger ſcharfen oder eraften Verftand und eine finnliche, aber rohere 
Natur. Sie haben z. B. ein wahres Vergnügen, wie ein weißer Mann e3 ſchwer zu fühlen 
vermödte, an grellen, voneinander abſtechenden Farben und an ebenfo greller Mufik, 
welche von fajt allen bis zu einem gewiſſen Grade ausgeübt wird. 

Eine nicht niederzubrüdende Heiterkeit, die folder Anlage entjpringt, erklärt manches 
in der Zähigfeit, mit welcher die Neger die härteften Schidjale ertrugen, ohne zerdrückt 
zu werden. Livingftone jagt von einer Sklavenfarawane: „Die Neger können fein Lachen 
halten. Paſſiert irgend eine Kleinigkeit auf dem Marjche, ftreift z. B. ein Aft die Laft 
eines Trägers ab, oder wird etwas verjchüttet, jo jchlagen alle, die es ſehen, ein Gelächter 
auf; jest fich einer ermüdet zur Seite, jo begrüßt ihn aus jedem Munde dasjelbe Gelädhter.” 
So haben fie auch das Joch der Sklaverei getragen und find dabei heiter geblieben, und 
bieje Kinderanlage mußte jogar ein Motiv abgeben, um zu beweijen, daß die Natur fie 

Böltertunde. L 10 





146 Allgemeines über bie Neger. 


zu Sklaven geſchaffen habe. Daß es nicht an tiefern, ernftern Naturen fehlt, hat die 
Geſchichte der befreiten Neger bewiefen. Sie find großer Zuneigung fähig. Wenn man 
fie als Sklaven x. richtig behandelt, zeigen fie große Anhänglichfeit an ihre Herren. 
ALS Diener find fie daher oft ausgezeichnet, denn fie nehmen auch 
ſehr jchnell fremde Gewohnheiten an. 


Wir werben auf die geiftige Begabung der Neger noch oft 
bei der Betrachtung der einzelnen Äußerungen derfelben zu ſprechen 
fommen, doch fann hier im Anſchluſſe an die Betrachtung des Cha- 
rafters wohl von vornherein hervorgehoben werden, daß auch ihr 
Geiſt durch die Gefchide, die ihnen als Raſſe und Völkern bejchieden 
waren, nicht zu jener Entfaltung fommen fonnte, deren er fähig fein 
würde. In dieſer Hinfiht hat die Zukunft noch vieles zu lehren. 
Bon der großen Mehrzahl wird noch lange Marnos Wort gelten: 
„Die Negervölfer find die begünftigten und doch wieder vernad: 
läjjigten Stieffinder der Mutter Natur; ihr Leben bietet zu wenig 
Kampf mit ungünftigen Verhältniffen, ihre Denkungsweiſe und Urteils: 
fraft ift wie die der Kinder überhaupt. Sich felbft überlafjen, 
fonnten fie nicht anders werden, als wir fie heute jehen.” 

Die Thatſache darf man aber ſchon heute ausſprechen, daß die 
Neger im ganzen durchaus nicht gering begabt find und zu einer 
noch höhern Stufe heranzubilden fein werden. Man kann um fo 
mehr von ihnen erwarten, al3 man nicht zu befürchten hat, fie fönnten 
vom Erdboden „wegzivilifiert‘” werden, wie es verjchiedenen andern 
Stämmen ergangen ift. Die Kultur, das lehrt Amerifa mit feinen 
Millionen freier Neger, ift ihnen nicht ſchädlich. Sie haben auch 
in Afrika alle Laſter und die meiften Krankheiten Europas und müſſen 
eine ungeheure Lebenskraft befigen, um den fteten Verluft an 
Menſchen, der aus diefen Urfahen, aus dem Sklavenhandel und den 
ewigen Kriegen entfteht, überdauern zu können. Schon heute lehrt 
die verjchiedene Höhenftufe ihrer Kultur die förderride Einwirkung 
gewiſſer Einflüffe, die 3.B. im Sudan, in der Obernilregion, aus 
nicht immer befannten Quellen ihnen zugefloffen find, auf der einen 
und den in der Sfolation, im Mangel an Reibung mit Fortgefhritte- 

- nern, liegenden Hemmungsfaktor auf der andern Seite. Hervor: 
sg ah Or ragend ift in ihrer geiftigen Begabung das Nahahmungstalent. 
(Dufeum des Miffionspaufes Es ift dies eine ſowohl für die Beurteilung ihres heutigen Kultur: 
in — Peg zuftandes als ihrer fernern Entwidelung wichtige Thatſache. Sie find 

——— eben dadurch gelehrig in hohem Grade. Faſt alle Beobachter 
ſtimmen darin überein, daß fie mit merfwürdiger Gefchidlichfeit europäiſche Erzeugniffe 
nachmachen (j. Abbildung, ©. 145). Sie lernen jehr leiht und eignen fih, wenn fie 
in ein fremdes Land fommen, ungemein jchnell defien Sprache an. Auch Leſen lernen 
fie in fehr kurzer Zeit. Viele Große in Uganda fprechen Kiganda, Kifuaheli und Arabiſch. 
Die Bajuto lernten mit erftaunlider Geſchwindigkeit ihre eigne Sprache in römijchen 
Lettern lejen. Einer der Miffionare der Church Missionary Society bildete in Rubaga 
eine Singklafje, worin die ganz rohen Schüler unterrichtet wurden, und nad) zwei oder 
drei Monaten waren biejelben ſchon jo weit, daß fie eine einfache Melodie vom Blatte 
fingen konnten. 





Geiftige Begabung. Wiffenfhaft und Kunft, 147 


Die Neger halten viel auf Ziffern. Viele haben ihre eignen Benennungen für alle 
Zahlen bis taufend und zwar nad einem natürlichen Dezimalfyiteme, indem allen Zahl: 
wörtern, welche Mehrheiten von zehn bezeichnen, das Wort zehn als Stamm zu Grunde 
liegt. Gewiſſe Anzeichen jprechen jedoch 3. B. in der Angolafpradhe dafür, daß einft nur bis 
fünf gezählt wurde. Im Kiganda ift kumi zehn, mukumi abili (zwei zehn) ift zwanzig, 
kikumi ift hundert und Jukumi taufend. An der MWeftküfte ift öfters das portugieſiſche 
Wort für taufend eingejegt. Die Waganda zählen jehr gern, und wenn fie ein Bud) in die 
Hand befommen, jo zählen fie zu allererit die Blätter. Gewiſſe Spiele der Neger erfordern 
ziemlich viel Berehnung. Es ijt daher nicht zutreffend, wenn man aus der Thatjache, 
daß die Neger die Gewohnheit haben, fich 
Zahlen dur Stäbchen ins Gedädhtnis zu: 
rüdzurufen, jchließen will, diejfelben fönn- 
ten nicht zählen. Mittel zur Unterjtügung 
des Gedächtnifjes find bei den Negern Afri- 
fas in Ermangelung der Schrift notwendig. 
Selbſt Mteja, an deſſen Hofe genug ber 
arabiſchen Schrift mächtige Häuptlinge fich 
befinden, hat zur Kontrolle feiner Armee 
ein Zähl- oder NRechenbrett, in welches für 
jede Truppeneinheit ein Stäbchen eingejegt 
wird, das bei der Mobilifierung herausge- 
nommen und al3 nähere Bezeichnung bes 
DBefehles verwandt wird. In der Schilde— 
rung eines Gerichtstages bei Gejfi in Djur 
Ghattas heißt es: „Altersihwarze Bündel 
von Strohhalmen und Zweigen zeigten an, 
wie viele Weiber, Kinder und Kühe von 
den Sklavenhändlern fortgejchleppt worden 
waren, und für die Rinder, als das wert: a 
vollite Befigtum, wurden die längſten * — en 
Strohhalme genommen“. 

Nimmt au die Zauberei der Priefter von vornherein faft allem den Boden, was 
Wiſſenſchaft fein oder werden fünnte, jo ſchließt fie doch nicht unbedingt Vernunft und 
alles Studium der natürlichen Erjcheinungen aus. Wir verweijen unter anderm auf das 
weiter unten von den Zauberern und Ärzten Gejagte und erinnern an Felkins, bes 
Arztes, Bericht über die gelungene Amputation, welche Rionga, Häuptling und Arzt der 
Wanyoro, am Arme feines Sohnes vornahm. Geſchicklichkeit in kleinern Operationen 
ift oft anerkannt; fie haben für einige derſelben, wie 3. B. für das Ausziehen von tief 
figenden Dornen, eigne Werkzeuge (j. Abbildung, S. 146). Hat das Leben auf dem feſten 
Lande ihnen nicht die Notwendigkeit eines gemiffen Mafes von Sternfunde jo deutlich 
gezeigt wie den jchiffahrenden Polynefiern, jo bezeichnen fie doch, gleich den Bujchmännern, 
eine Anzahl von Sternbildern mit Namen und beftimmen Nachtſtunden nad) ihrem Stande, 
wie fie nad dem Sonnenftande über gewiſſen Örtlichkeiten und zu beftimmten Stunden 
wiederkehrende Zeiten des Jahres beftimmen. 

Die Muſik der Neger wird auch von den mildeſten Beurteilern mehr jtarf als jchön 
gefunden. Sie hat mehr laut als zart tönende Inſtrumente. Das Beite, was wir über 
fie jemals jagen hörten, ift Schweinfurths Vergleih der Bongomufif mit dem Miüten 


der entfeffelten Elemente. Es ftimmt mit folder Dualififation volllommen überein, wenn 
10* 





148 


Allgemeines über bie Neger. 


Trommeln in jeglicher Geftalt den Hauptbeftandteil jedes Orcheſters ausmahen. Die 
Trommel ift überhaupt das Ur- und Leibinftrument des Negers, und wir haben nicht tief 
zu gehen, um fie auf ihren Urjprung zu verfolgen. Bei großen Feſten der Betihuanen 





Eine mit Graßfaiten bezogene Guitarre aus Beftafrifa (Christy Collection in London). !ne wirfl Größe. 


erjegt eine Ochjenhaut, welche von den Weibern im Kreife gehalten und mit langen Stöden 
bearbeitet wird, die Trommel; fo bei der Feier der Mannbarkeit der Zünglinge, welde 


dann zu dieſer Muſik tanzen. 





Eine Trommel der Ambuella 
(nad Serpa Pinto). 


Bei feiner großen Einfachheit kann dieſes Werkzeug den 
verjchiedenften Zweden dienftbar gemadt werden. Die 
Trommel ift bei den Manganja das muſikaliſche Haupt: 
inftrument, mit welchem fie ſowohl Freude als Trauer 
ausdrüden. Sie zeichnen fi daher, jagt Livingitone, 
im Taktſchlagen aus. Ebenfo fteht vielleiht am erften 
Urfprunge der gleichfalls in großer Mannigfaltigfeit ver: 
tretenen Saiteninjtrumente der durch Hinzufügung 
einer Kürbisrefonanz zur einfaitigen Guitarre gemachte 
Bogen. Wenn man einen Kaffern fieht, der über der 
Schulter, wo einft der Bogen hing, die Flinte trägt, wäh: 
rend er mit den Zähnen diefen muſikaliſch gewordenen 
Bogen Klingen läßt, der im übrigen ganz wie ein zum 
Schießen beftimmter Bogen ausfieht, jo glaubt man bie 
Entſtehung der Saiteninftrumente überhaupt klar vor fid) 
zu jehen. Diefelben haben jedoch bei den Negern eine 
reichere Vertretung, wenn fie auch im normalen Neger: 
orcheſter nur eine Kleine Stelle einnehmen. Bei den meiften 
Negerftämmen kommen lautenähnliche Inſtrumente vor 
(j. obenftehende Abbildung); harfen- und zitherähnliche 
find hingegen jeltener. Da es fich hierbei nicht um Dinge 
der Notwendigkeit handelt, jo finden fich merkwürdige Un: 
gleichheiten in der geographijchen Verbreitung. So ift ein 
hervorragendes Beijpiel für die Launenhaftigkeit der Ver: 
breitung das Fehlen der Saiteninftrumente bei den fonft 
fo gej&hidten und reihen Monbuttu, während biefelben 
bei ihren Nachbarn, den Niam-Niam, jo ungemein häufig 
find. Einfache Flöten und Pansflöten find wohl überall bei 


Negern zu finden. Mufchelhörner, die bei Malayen jo verbreitet, fommen nur auf den 
Komoren vor, wohin wahrjheinlich Malayen fie gebracht Haben. Wenn an Mufitinftrumenten 
die Nomaden weniger reich find als die heitern Dorfbewohner, jo haben jene doch immer 
ihre Kriegshörner, wie folde überhaupt in Afrika faft allgemein find. Die Mundöffnung 








Mufitalifhe Inftrumente. Familienleben. Mutterliebe. 


149 


liegt unten an ber Seite. Bejonders Antilopenhörner nimmt man zur Anfertigung ſolcher 
Inftrumente. Ebenfalls führen die Karamanen ein Signalhorn. Es hat, nad) Hildebrandt, 


die beiden Töne in octavo, wie unſer heimatliches Hirtenhorn. An der Weft: 
küſte und im Sudan werben die Hörner aus Elfenbein gefhnigt, und im Ril- 
gebiete find fie in jchalmeienähnlier Form mit Blasöffnung am Hinterende 
im Gebraude. 

Überblidt man die ganze Reihe der Mufifinftrumente, über welde bie 
Neger verfügen, jo gewinnt man den Eindrud, daß legtere mit größerm Eifer der 
Muſik ergeben find als irgend ein andres Naturvolf. Man erinnert fi an eine 
Bemerkung Livingftones, wo er von den Paſſionen feiner ſchwarzen Freunde 
ſpricht: „Einige Fragen ein Inftrument den lieben langen Tag, und wenn fie 
des Nachts erwachen, jo fahren fie jogleich in ihrer mufifalifchen Übung fort“. 
Kein Naturvolf hat eine ähnlihe Mannigfaltigkeit von muſikaliſchen Inſtru— 
menten aufzumeifen. Die zivilifierten Neger in Nordamerika zeichnen fich oft durch 
mufifaliiche Talente aus, und Buchner fpricht mit Entzüden von der Kunft, 
mit welcher ſchwarze Horniften in Angola ſchwierige Trompetenftüde bliejen. 


* 


Das Familienleben, in welchem wohl jeder Menſch am unbefangenften 
fih gibt, dürfte auch über die feelifhen Anlagen bes Negers die beiten Auf: 
jchlüffe geben, denn Unterſchiede der Kultur und der allgemeinen Lebens: 
bedingungen machen fi in ihm am wenigften geltend. Eine Gemeinfamleit 
des Urbodens, dem die verjchiedenen Lebensformen der Völfer entjprießen, 
ift hier am eheften zu vermuten. Denn eine gewiffe Summe natürlicher 
Neigungen, die wir für gut halten und Tugenden nennen, ift allen Gliebern 
der Menſchheit eigen, aljo auch dieſen. Der äußere Schein, den die Kultur 
erwedt, darf hier nicht trügen. Miffionar Büttner jagt von den Herero: 
„Obwohl fie, wie die andern Völker im Damaralande, von Haus aus faft 
nicht3 von dem bejigen, was man gewöhnlih Kultur zu nennen pflegt, fo 
find doch ihre fozialen Verhältniffe durchaus nicht jo ungeorbnet, wie noch 
immer mande in Europa ſich das Leben der Wilden vorzuftellen pflegen, und 
wie jeder Europäer, ber friich in das Land fommt, es fo leicht anzunehmen 
geneigt ift, wenn er alle Glieder eines Volkes fait nadt, nur mit wenigen 
Fellen bekleidet, mit Butter und Oder beſchmiert, in der elendeften Weiſe ihr 
Leben friften fieht. Vielmehr verfegt uns bei näherm Zufehen vieles gewifjer: 
maßen in eine Urzeit der Menjchheit hinein, und Zuftände, Situationen, 
Verhältniffe finden wir dann auch hier, wie fie uns aus den Urgefchichten 
des Alten Teftamentes und aus dem Homer wohlbefannt find.” So wie 
nun dieſe Urzeit mande moraliiche Begriffe und Gefühle noch nicht bis zu 
dem Grabe verfeinert hatte, wie vor allem der Einfluß des Chriftentumes es 
bei uns gethan, jo dürfen wir auch diefen durch eine größere Kluft, als die 
Sahrtaufende zwiſchen dem Altertume und heute fie bemeſſen, von uns 
getrennten Völkern nicht die höchſten Entfaltungen jener Keime zutrauen, die 
in jedes Menjchenherz gelegt find. 


Ein Rafjels: 
ftab vom Ga: 
bun (Christy 
Collection in 
London). 


Das naturgemäßeſte aller Gefühle iſt nun die Mutterliebe, und von ſeiner Stärke 
bei Negerinnen wird ſo viel erzählt, daß wir hier gar nicht dabei verweilen möchten, wenn 
nicht raſche Urteiler ſelbſt dieſes den armen Negermüttern abgeſprochen haben würden. 
Speke erzählt, wie in Kaſendſche eingeborne Mütter ihre Kinder leichterhand um ein 


150 Allgemeines über die Neger. 


paar Stüde Zeug an Fremde in Sklaverei verkauften, und ſchließt daraus, daß „bie 
Mütter diefer wilden Völker unendlich viel weniger Kinderliebe bejigen als mandjes wilde 
Tier”. Livingftone behauptet auf der andern Seite, daß ihm jelbit ein folder Fall 
nie vorgefommen jei, und die nur zu zahlreihen arabiſchen Sklavenhändler, mit welchen 
er verkehrte, erinnerten fi allein, daß Moiko- oder Unglüdskinder, deren obere Vorder: 
zähne vor den untern durchgebrochen waren, ihnen angeboten worden ſeien. Von biejen 
Kindern glauben nämlid die Eltern, daß fie ihnen Tod und alle Art Mißgeſchick ins 





Eine Zulufamilie (nad Photographie im Befihe des Miffionsdireltord Heren Dr. Wangemann in Berlin). 


Haus bringen, und gewöhnlich werden fie gleidy nach der Geburt getötet. Für den 
vergleichenden Völkerforſcher unterliegt es jedenfalls feinem Zweifel, daß die Wertihägung 
der Nachkommenſchaft faum bei einem Naturvolte fo weit geht wie bei den Negern. Der 
Kindesmord ift im Vergleiche zu Polynefien und Melanefien bier ſelten. Neicher Kinder: 
fegen wird bei vielen Negerjtämmen mit Freude begrüßt (vier Kinder gibt Felkin bei 
den Madi als Durdichnitt), und fie find aud hierin uns mehr gleich, als man geneigt iſt 
zu glauben. „Wie mehr oder weniger alle Menſchenkinder, fo freuen aud) fie ſich über die 
glüdlihe Geburt eines Kindes“, jagt Miffionar Dannert von den Ovaherero, und biejes 
allgemeine Menjchlihe ift wohl die Regel. Sehr oft fommt es vor, daß gefangene Kinder 
verfauft werden, aber nie von ihren eignen Müttern. Auch zwingt wohl der Hunger die 


Mutterliebe. Geburt. Behandlung ber Kinder und Greiſe. 151 


Eltern, fich ihrer Kinder zu entäußern, um ſich und ihnen Nahrung zu verfchaffen. Aber dies 
find NAusnahmefälle, Die auch unter zivilifierten Völkern vorfommen. Auf dem Sklavenmarfte 
von Kafendiche am Tanganifa, wo Livingſtone breimal verweilte, traf er ſtets Araber, 
welche gefommen waren, um Sklaven einzuhandeln; aber niemand bot die Seinigen dort an. 
Nahezu alle Sklaven find Kriegsgefangene, geraubte oder aus irgend einem barbarifchen 
Rechtsgrunde, öfter aber aus Willfür ihres Häuptlinges zur Sklaverei verurteilte Menſchen. 

Die Wöchnerin wird überall abgejondert, dem Manne ift in ber Regel der Zutritt 
zu ihrer Hütte verboten. Die Möchnerin jamt ihrer Hütte wird in den erften Wochen, oder 
bi3 dem Säuglinge die Nabelfchnur abgefallen ift, mit einer gewiſſen Scheu betradtet. 
Bei den Dvaherero geht die Weihe der Milh dur Koften, die jonft dem Häuptlinge 
zufteht, für dieje Zeit auf die Wöchnerin über. Die Nabelihnur verwahrt hier der Häupt- 
ling in feinem ellfade, in dem er alles Heilige aufbewahrt, und der im heiligen Haufe 
hängt. Gewöhnlich wird fie an bejonderm Orte nahe der Hütte begraben. Zwillinge 
gelten in der Regel als großes Glüdszeihen. Beide Geſchlechter werben bei den frieb- 
lihern Völkern ziemlich gleichgeachtet, doch ift als Erjtgeburt ein Knabe erwünſchter, 
während bei den Hirtenvölfern Mädchen wegen ber Morgengabe wertvoll find. Die 
Periode des Säugens währt durchfchnittlich zwei Jahre. Im allgemeinen ift die Behand: 
[ung der Kinder eine gute. Schweinfurth entwirft von der Behandlung der Kinder bei 
Völkern des obern Nilgebietes ein geradezu anmutendes Bild. Er zeigt auch, wie darüber 
das Alter nicht vernadhläffigt wird. Er erzählt, wie man bort die Säuglinge aufs forg: 
ſamſte in längliche Körbe jet, die ald Wiege dienen, was er bei heidniichen Negervölfern 
nirgends gefehen. Bei ihnen fieht man jedoch nicht nur die Kleinen mit jener Zärtlichkeit 
gepflegt, welche das Tier in nicht geringerm Grade befundet als der Menſch („ich meine 
nicht bloß jene Zärtlichkeit, die auf tiefern Stufen des menſchlichen Naturzuftandes felbft 
bis zum jpätern Lebensalter ein geiltiges Band flicht zwiſchen Mutter und Kind, von 
dem aber der Vater fait gänzlih ausgejchloffen bleibt”), bei den Djur fteht auch das Alter 
in Ehren, und in den Weilern ftößt man überall auf Greiſe. Beiläufig gejagt, ift der 
Mangel der Weißköpfe bei andern Negervölfern fein Beweis für das Fehlen alter Leute aus 
irgend einem übeln Grunde, fondern die Negerhaare neigen in der Regel wenig dazu, weiß 
zu werden. Wahrjcheinlich ift, daß ſehr alte, gebrechliche Leute, wenn fie den Ihrigen zur Lat 
fallen, bei den wandernden Negerftämmen ausgefegt werden. Fälle der Art, wie wir fie von 
den Bufchmännern angeführt, mögen auch bei den Negern vorlommen. Sie find aber nicht 
allgemeine Sitte, fondern Ausfluß individueller Roheit. Ofter noch mögen ihnen Verleum: 
dungen zu Grunde liegen. Es ift verbädhtig, daß gerade dieje Graufamfeit auch den fo 
vielverleumdeten Negeritämmen bes Nilgebietes nachgefagt wird, über welche ihre Todfeinde, 
die Nubier, nicht genug Übles zu berichten wußten. Lepjius erzählte man in Meroe, die 
Sitte, alte Leute lebendig zu begraben, finde ſich auch bei den Negerftämmen füdlich von 
Kordofan. Dort würden aud) Kranke und Gebrechliche, befonders folche, die eine anſteckende 
Krankheit haben, auf gleiche Weile zum Tode gebradht. Die Familie Hage dem Kranken, 
niemand wolle feinetwegen mehr zu ihr fonımen, er ſelbſt fei elend und der Tod nur ein 
Gewinn für ihn; in der andern Welt fände er feine Verwandten wieder, dort wäre er 
gefund und fröhlid. Man trage ihm Grüße an alle Verftorbenen auf und begrabe ihn 
dann in einem Schachte entweder liegend oder aufrecht ftehend. Außer Merifa, Brot, Hade 
und Pfeife würden ihm dort noch ein Schwert und zwei Paar Sandalen mitgegeben; denn 
die Verftorbenen leben jenfeits ein gleiches Leben wie auf Erden, nur mit größern Freuden. 
Nach andrer Erzählung würde auch ein Obolus aus einer oder zwei Unzen Gold für den 
Fährmann beigelegt, der den Toten über den großen Strom zwifchen Himmel und Hölle 
fährt. Solche Erzählungen, die übrigens den Stempel der Erfindung ſchon im Außern, 


152 Allgemeines üben bie Neger. 


in der Einfleidung, tragen, haben nur in einer Zeit geringer Sachkenntnis bethören können. 
Ahnen gegenüber ift eine Thatſache, wie fie in folgenden Zeilen Shweinfurth mit ein- 
fahen Worten berichtet, von fiegreidher Kraft. Er erzählt dies von Dinkaleuten, aljo 
Nächſtverwandten der Neger, von welchen Lepſius jene graufamen Geſchichten hörte: „m 
Frühjahre 1871 erlebte ich folgendes, Damals weilte ih in der Seriba Kutſchuk Alis am 
Djur, unter dem Volke gleiches Namens. Einer von den Dinfaträgern, die meine Bor: 
räte, welche aus Chartum angelangt waren, von der Meſchra herbeigeſchafft hatten, ver: 
mochte den Weg von dort aus nicht weiter fortzufegen, um feine Heimat im Territorium 
des Ghattas zu erreichen, denn er lag am Guineawurme banieder und war nicht im ftande, 
mit feinen gejhmwollenen Füßen aud nur einen Schritt vorwärts zu machen. Viele Tage 
faß er allein da, es herrſchte Hungersnot im Lande, und ab und zu erhielt er von mir 
eine Handvoll Durra, einige Knochen und andre Refte von unjern Mahlzeiten. Zur Not 
vegetierte er alfo, befand ſich auf gefichertem Boden, und es bedurfte nur der Geduld, um 
die Familie wieder zu erreichen. Deſſenungeachtet währte es nicht lange, und fein eigner 
alter Bater ftellte fi ein, um ihn abzuholen, nicht etwa mit einem Einfpänner oder mit 
einem Ejel, nein, um ihn 15—16 Stunden weit auf feinen eignen Schultern heimzutragen, 
ihn, den 6 Schuh hohen Lümmel. Diejer Fall wurde durchaus nicht ala etwas Unge— 
mwöhnliches betrachtet, jondern bie übrigen Eingebornen ſahen das als etwas Selbitverftänd- 
liches an.” Aus einem entgegengejegten Teile Afrikas hören wir von den Dvaherero durch 
Miffionar Büttner, daß ein Kind den Namen „Wir werden fie nicht vergeffen” erhielt 
und zwar mit ber ausbrüdlihen Motivierung, daß diefer Name den Eltern einige Ver: 
wandte in der Erinnerung behalten follte, welche um die Zeit der Geburt des Kindes 
geftorben waren. Es ftimmt mit der Erzählung Schweinfurths überein, wenn e3 als eine 
ber wiederkehrenden Erfahrungen ber Karawanenreijenden bezeichnet wird, daß bei Negern 
ganz wie bei Nrabern die Hochſchätzung des Alters fo groß fei, daß die Bildung einer 
Karawane ohne einige Graubärte als ein Ding der Unmöglichkeit erfcheine, und wenn 
wir aus Sübdafrifa hören, daß überall, wo Kaffern in großen gewerblihen Unternehmungen 
lohnende Beſchäftigung fanden, wie in den Kupferminen von Ufiep, den Diamantminen 
und ähnlichen, öfters der endlofe nicht arbeitende Familienanhang, der fie hemmte und 
ausjog, zwangsweije befeitigt werden mußte. In der That bietet der Neger im Vergleiche 
zu andern Naturvölfern oft eher das Bild eines zu ftarken als zu ſchwachen Familienſinnes. 

Natürlich ift, dem natürlichen Verhältniffe entiprechend, in erſter Linie die Mutter 
von großem Einfluffe auf ihre Kinder. Es iſt nichts andres als ein Spiegel der 
Liebe, welche einft die Mutter mit ihren Söhnen verband, wenn wir von den Zulu bis zu 
den Waganda die Mütter als die einflußreichſten Ratgeber an den Höfen graufamer Herricher, 
wie Tſchaka oder Mteſa, finden. Manchmal nehmen Schmweftern ihre Stelle ein. So 
find die Bande des Blutes doch jelbit bei Herrichern, die Hunderte von Frauen befigen, Die 
ftärkiten. Weniger eng ift der Vater mit der Familie verknüpft. Er ift zwar 
das Haupt und wird als ſolches anerfannt, aud jagt man, daß der Neger im allgemeinen 
ein Kinderfreund und daher ein guter Vater jei. Aber er herrſcht auch hier oft mehr mit 
Kraft als mit Liebe. Hübbe-Schleiden nennt unter den Inſtitutionen, die der Kenner 
des römischen Rechtes bei den Mpongwe im Anklange an diefes finde, aud) ihr Haus: oder 
Familienwefen: „Wir finden bei ihnen ben Begriff der patria potestas gleich umfafjend und 
gleich ftreng, wenn auch nicht fo abjtraft durchgeführt. Frauen, Kinder und Hörige (homines 
alieni juris) jtehen in der Gewalt des pater familias, der in der Mpongweiprade Oga 
heißt. Diejer allein ift ganz frei, ein Grad der Selbftändigfeit, zu dem das Weib auch 
bei den Mpongwe überhaupt nie gelangen kann; doch hat diefer Zuftand feinen Grund 
nicht in der Geringſchätzung des MWeibes, fondern nur in der gerechten Würdigung ber 


Schäfung des Alters. Kindererziehung. Che. 153 


Verhältnifje.” Daß das Weib, wenn auch oft ftarf belaftet, bei den Negern nicht an fich 
geringgeihägt wird, beweijen die zahlreihen Negerföniginnen, die Zauberfrauen, bie 
bei manchen Negervölfern den Weibern eingeräumte Teilnahme an den VBolksverfammlungen. 

Die Ehe trägt vorwiegend den Charakter des Kaufes, und diefer Zug tritt, geradezu 
alles andre zurüddrängend, bei jenen Stämmen hervor, welche durch Herdenbeſitz Kapital 

















— 


Frauen des Gaitaldnigd Sandili(nach ©. Fritſch). 


anſammeln. Allein es herrſcht die Sitte des Brautkaufes auch bei den Ackerbauern. So 
bemißt ſich in Akem der Reichtum eines Mannes nah der Zahl ſeiner Weiber. Der 
Bewerber erhält feine Ausfteuer von der Familie der Braut, jondern zahlt vielmehr dem 
Vater eine Summe von 2!/s bis 5 kg in Goldftaub, Zugaben an Zeug und Rum un: 
gerechnet. Von diefem Herkommen ift nur der regierende Häuptling des Gebietes aus: 
genommen, der das Recht hat, die Tochter jedes Mannes ohne die ſonſt übliche Bezahlung 
zu verlangen, ebenfo wie Häuptlingstöchter fih jeden Mann wählen fönnen, der dadurch 


154 Allgemeines über die Neger. 


vom Bauern zum Häuptlinge wird. Mit der Brautwerbung find mande hübſche Züge ver: 
fnüpft, und es tritt der innige Familienzufammenhang deutlich hervor, wenn 3. B. bei den 
Madi die Tochter ſich erjt der Mutter, diefe dem Bater anvertraut, worauf legterer den Preis 
feftjegt und das Paar unbedingt gehordht, ob Ya oder Nein der Ausgang der Verhand— 
lungen jei. Die Hochzeitsfeierlichkeiten jedoch, wenn ſolche überhaupt ftattfinden, find faſt 
nur profaner Natur. E3 werden dabei Rinder gefchlachtet, es wird gejungen und getanzt. 
Bei Stämmen, wo gute Sitten herrfchen, verläßt die Braut in diefer ganzen Zeit nicht die 
Hütte, die ihr Vater für fie erbaut hat, ſondern figt in der Mitte ihrer neuen Schwäger und 
Schwägerinnen, die ihr die Reize des Ehelebens preifen. Dabei darf fie vom Hodzeitämahle 
ejlen, aber ohne gejehen zu werden. Bei vielen Stämmen ift indeifen die Hochzeitsfeier 
ausgeartet. Bon einer ſolchen Feier in größerm Stile entwirft Cameron aus Kajongos 
Reiche folgendes Bild. Zuerit führte der Bräutigam einen halbjtündigen Solotanz aus, 
und als er zu Ende war, wurde die Braut, ein neun: bis zehnjähriges Mädchen, angethan 
mit allem möglichen Staate, den man hatte auftreiben fönnen, von einer Frau auf den 
Schultern nad dem Tanzplate getragen, während ein zweites Weib fie von hinten ſtützte. 
Sie traten in die Mitte des Kreifes und ließen nun die Braut nad Kräften auf- und 
niederjchaufeln, wobei deren Oberkörper und Arme willenlos herumfchlenferten. Der Bräu— 
tigam gab ihr Stückchen Tabaksblätter und einige Perlen, welche fie mit gejchlofjfenen 
Augen unter die Tänzer warf, und dieſe griffen begierig nad) den glüdbringenden Dingen. 
Dann tanzte der Bräutigam unter höchſt unanftändigen Gebärden zehn Minuten lang 
mit der Braut, worauf er fie aufhob, unter den Arm nahm und mit ihr in feiner 
Hütte verfhwand. Tanzen, Schreien und Trommeln aber dauerten die ganze Nacht hindurd) 
fort. Polygamie iſt überall üblih, wo die Mittel es erlauben, mehrere Frauen zu haben. 

Die Löjung der Ehe ijt nicht bloß durch den merfantilen Faden, der das Eheband 
durchzieht, erſchwert, jondern fie ift auch ohne dieſen in den Kreis ber Rechtsſatzungen mit 
einbezogen. Bei ungeftört und einfach lebenden Stämmen ijt die Scheidung der Ehe jelten, 
auch Ehebruch ift bei ihnen nicht jo häufig wie bei denen, welche Kapital gefammelt haben, 
zahlreiche Sklaven befigen und mit Nrabern oder Europäern in nähere Berührung gekommen 
find. Aber auch bei den legtern wird die Ehe nicht formlos gelöft, wie es bei oberfläcdh- 
licher Betrachtung jcheinen mag. Bei den fo zerjegten Stämmen der Goldfüfte haben nur 
Prinzeifinnen das Vorrecht, eine Scheidung von ihren Männern bewirken zu können, ohne 
vor einem Tribunale zu erjcheinen. Etwas weißer Thon, dem Manne überreicht, gilt als 
Zeichen der Entlaffung. Das gemeine Volk dagegen muß vor den Häuptlingen erjcheinen, 
die den Fall entjcheiden. Bewilligen fie der Frau die Scheidung, jo behält die Familie 
den Kaufpreis, und die Häuptlinge jchenfen der Frau ein Stüd weißen Thon, mit dem 
fie die Bäume der Hauptitraße bezeichnet als Zeichen, daß fie nicht mehr Ehefrau ift. 
Wird die Scheidung dem Manne bewilligt, jo muß die Familie der Frau die erhaltene 
Summe zurüdgeben. Einen intereffanten Beleg für den Fortgang der Neubildungen auf 
dieſem Gebiete liefert Broyon in feiner Schilderung von Uniamweſi, wo er erzählt, wie 
die Araber früher aus egoiftifchen Motiven das Gejeg eingeführt hatten, dab ein Weib, 
das ihnen etwas zerbrad, ihre Sklavin wurde. Dies haben nun die Weiber der Neger 
zu ihrem Vorteile gewendet, indem fie, um von Gatten loszufommen, von melden fie 
mißhandelt werden, eine Schüffel oder irgend ein wertlojes Beſitztum bes Häuptlinges 
zerbrechen, wodurd fie deſſen Sklavinnen werden und ohne ihren Willen nicht mehr ihrem 
Manne zurücdgegeben zu werden brauchen. 

Die Arbeitsteilung zwifhen Mann und Frau ift bei den Negern meijt feine 
andre, al3 wie fie unferm natürlichen Gefühle entfpridt. Dem Manne fallen die Arbeiten 
zu, welche mehr Kraft, der Frau diejenigen, welche mehr Ausdauer und Gefchidlichkeit 


Heirat. Löſung der Ehe. Arbeitsteilung zwiſchen Mann und Frau. 155 


erfordern. Der Mann treibt das Vieh aufs Feld, ſucht das verirrte, beſchützt es gegen die 
Naubtiere, gräbt die Brunnen für dasjelbe, jhöpft das Waſſer aus der Tiefe. Die Frau 
führt unterdeſſen die Aufficht über die Kinder, bebaut das Feld zufammen mit den jüngern 
Kindern, hat ein Auge auf die Kälber und Lämmer der Herde; fie baut und unterhält 
unter Mithilfe des Mannes das Haus, das ja in der Negel leicht genug errichtet ift; 
fie jorgt für Brennholz und 
Waſſer für die Familie, und 
wenn am Abend der Mann 
das Vieh heimbringt, melkt er 
die Kühe, und fie bereitet die 
Koft. Daß fi in Notfällen, 
zumal bei ärmern Leuten, die 
Geichlechter in ihren Arbeiten 
aushelfen, ift nur natürlich, 
wie es ebenſo natürlich ift, 
daß fich in Gegenwart eines 
Fremden der Mann geniert, 
Frauenarbeit zu thun, fo 
daß unter den Augen eines 
flüchtigen Beobadhters Die 
Frau leicht viel zu viel arbei- 
ten zu müſſen jcheint. So 
gehört e3 z. B. zur Frauen: 
arbeit dort, wie bei ung, die 
Kinder zu tragen; im Dorfe 
ſelbſt wird man fajt nie einen 
Dann ein Kind tragen jehen, 
wohl aber auf Reifen. Im 
Haufe hat natürlich a priori 
der Mann die Herrichaft, 
und es wird fich niemand jo 
leicht dazwijchenlegen, wenn 
der Mann es für paflend 
findet, feine Frau durchzu— 
prügeln. Aber ebenjo wie 
anderswo wird die Frau bie ZN. 

Lacher auf ihrer Seite haben, ne 

wenn e3 ihr gelingt, mit Nä: Gine Loangonegerin in (nah Photographie von 
geln und Zähnen ihren Ehe: 

herren zum Rüdzuge zu zwingen. Bon den Herero beftätigt Büttner ausdrüdlich, „daß, 
weil fie im allgemeinen nur jehr wenig Luft haben, zu Thätlichkeiten zu greifen, und wo— 
möglih bei Wortgefechten bleiben, die Frauen fo ziemlich immer den natürlichen Vorteil 
haben, in der ſchärfern und unermüdlichern Zunge die beſſere Waffe zu befigen. Wenn 
man mit den VBerhältniffen in den Familien näher befannt wird, jo bemerft man, daß 
auch dort, wie anderswo, die Männer unter dem Pantoffel ftehen und am meijten die— 
jenigen, welche gern nad außen hin den Herrfcher ihres Haufes jpielen. Die Frauen, 
refp. die Tanten haben bei allen bedeutenden wie unbedeutenden Gelegenheiten immer 
ein gemwichtiges Wort mitzureden.“ 





156 Allgemeines über bie Neger. 


Sn der Stellung der Kinder findet feinen ſchärfſten Ausdrud das patriarchaliſche 
Syſtem, welches dem ältern Bruder, wo diefer aber fehlt, dem Batersbruder die erite 
Stelle einräumt. Der ältefte Sohn ift gleichſam der Thronfolger bes Hauſes und als 
erfter nach dem Vater von allen andern anerkannt. Außerdem aber tritt, wie bei den meiften 
Völkern tieferer Kulturftufe, das Mutterreht in den Erbichaftsregeln vor andern deutlich 
hervor, und ficherlich feßt gerade diefes der Tendenz zu der niedrigern Stellung der Frau, 
die überall in diefen Verhältniffen vorhanden ijt, Grenzen. Die Kinder gehören oft dem 
Stamme der Mutter, aber bei den Hirtenftämmmen wiegt aud hierin ein patriarchaliſcher 
Zug vor, der dem Vater die Verteilung des Erbes überläßt. In der Negel läßt derjelbe 
jedem feiner „Häuſer“, d. h. jeder Frau jamt ihren Nachkommen, einen Teil jeines Befiges, 
der Großfrau und ihrem Sohne, dem Haupterben, einen größern Teil zulommen. Anders 
it es bei den aderbauenden Weitafrifanern. Allgemein gültig it für diefe Buchholz’ 
Mitteilung von den Anwohnern des Quaquafluffes: „Trotzdem die Weiber verkauft und 
häufig verpfändet werden, gelten doch ihre Kinder als Verwandte der Familie der Frau, 
jo daß ein Mann, deſſen Mutter 3. B. von Mungo oder Abo ftammt, ald Stammes: 
angehöriger in dieſen Orten angejehen wird und einen bejondern Schu und Vorredhte 
dafelbjt genießt, auch in ſolchen Fällen, wo Feindfeligfeiten ausgebrochen find“. Dadurch, 
daß die Sitte der Erogamie, wenn auch vielleicht nirgends jo zwingend wie in Auftralien 
oder Polynefien, verbreitet ift, gewinnen diefe Beziehungen zwijchen den Stämmen auch 
einen politiihen Charakter. Derjelbe tritt, alle8 andre zurüddrängend, in der Heirat und 
Erbfolge größerer Häuptlinge hervor, die nad) eigner Wahl in der Regel nur ihre erjte 
Gattin nehmen, dann aber bei zunehmendem Alter, Reichtum und Macht immer mehr 
Prinzeffinnen als Bräute zugefandt erhalten, die fie nicht zurückweiſen dürfen, ohne jchwere 
Konflikte hervorzurufen, und deren Vätern fie im Gegenteile reihe Morgengaben zu bieten 
haben. Die legte von diefen ift oft die vornehmfte und wird darum zur Großfrau, ihr 
Sohn aber zum Thronerben ernannt. Dies iſt auch der Grund der die Macht ber 
Räte fo jehr jtärkenden häufigen Interregnen. 

Auch in den jonftigen Berwandtichaftsbegriffen findet fich manches mit andern 
Völkern auf ähnlicher Kulturftufe Gemeinfame, und in den Verwandtichaftsbezeihnungen 
herricht ein verallgemeinerndes Beftreben vor, welches der patriarchaliſchen Ordnung alles 
andre unterjtellt. Es wird von Intereſſe fein, an der Hand Büttners die Sprache eines 
bejtimmt abgegrenzten Stammes, wie der Herero, über die nächſten Beziehungen in der 
Familie zu vernehmen. Vater heißt, nah Büttner, tate, Mutter mama, Bezeichnungen, 
welche aljo bis in die Urſprache der Menſchheit hineinzureichen ſcheinen. Aber diefe Worte 
werden ausfchließlih nur von „meinem“ Vater und „meiner“ Mutter gebraucht, gelten jedoch 
für alle Glieder in aufjteigender Linie, wenn auch der Großvater und die Großmutter 
im Hausverfehre meift nur der Alte (omu-kururume) und die Altche (oka-kurukaze) 
genannt werden. Dieſe Worte werden auch von Stieflindern für die Stiefeltern ſowie 
überhaupt von Kindern für die nächſten Verwandten der leiblihen Eltern gebraudt. 
Dagegen beißen „dein“ Bater und „deine“ Mutter (euer Vater, eure Mutter) ganz anders: 
iho und onyoko, jein Vater und feine Mutter (ihr Bater und ihre Mutter) ihe und ina. 
Eigne Worte für Sohn und Tochter gibt es nicht, fondern nur für Kind, Säugling, 
Knabe, Mädchen zc. Diefe Worte find in fehr vielen Bantufprachen offenbar die näm— 
lihen; wenn auch in den oft nur flüchtig aufgeftellten Wortverzeichniſſen einzelnes direkt 
mit Sohn und Tochter überjegt fcheint, jo find es doch offenbar immer nur die generellen 
Bezeihnungen für Kind 2c. Ebenjowenig gibt es ein allgemeines Wort für Gejchwiiter, 
wie e3 feine eignen Worte für Bruder und Schweiter gibt, fondern es prägt fih auch 
hier die Familienverfaffung in ber Sprache aus. Der Bruder nennt feinen ältern Bruder 


Stellung ber Kinder. Berwanbtihaftsgrabe. Politiſche Verhältniſſe. 157 


e-rumbi (meldes Wort dann überhaupt zum Chrentitel für das Familienhaupt wird), 
jeinen jüngern omu-angu (womit dann überhaupt ein niedriger Stehender, der nicht viel 
zu jagen hat und ber auch nicht viel zu fagen weiß, bezeichnet werden Tann); feine 
Schmeiter nennt er omu-tena. Wiederum nennt die Schmweiter ihre ältere Schweiter 
e-rumbi, die jüngere omu-angu und ihren Bruder omu-tena. Ebendiejelben Bezeich: 
nungen werben nicht bloß von ben leiblihen, jondern auch von den angeerbten Ver: 
wandten gebraudt. Alle zur Familie Gehörigen werden ova-kuetu (unfrige), ova-kuenu 
(eurige), ova-kuano genannt. So hielten die Eingebornen, welche den Herero-Miffio: 
naren bei der Überjegung des Neuen Teftamentes halfen, für die befte Überfegung der 
riftlihen Anrede: Brüder oder liebe Brüder ihr ova-kuetu; und viel Kopfzerbredhen koſtete 
e3 immer, wenn es bieß: Petrus, der Bruder des Andreas, zu fonftatieren, ob man nun 
ältern oder jüngern Bruder jagen ſolle. „Wenn wir Miffionare‘, erzählt Büttner, „ihnen 
far zu machen ſuchten, daß man diefe Verhältniffe doch nicht genau wüßte, jo wollten 
fie fi immer lieber für die allgemeinen Worte omu-kuetu zc. entſcheiden. Verwandte, 
fofern fie gleiher Abftammung find, heißen ova-zamumne, d. h. Leute Einer Herkunft.“ 


Es hängt nun fiherlid nur von Umftänden ab, ob jolde fefte Gliederung bes 
Familienzufammenhanges ihre Früchte in Gejtalt eines glüdlihen Familienlebens tragen 
wird ober nicht. Die Bedingungen dazu find in ber Familie vorhanden, die Störung 
fommt aber wohl am allerhäufigiten von außen, wo die politifhen Verhältniſſe oft 
ebenjo unficher wie die der Familie feft find. Zwar hat der Neger bei allem Sprung: 
weiſen feines Denkens ein kindergleiches Talent, zu gehorchen, welches er aus der Familie 
hinausträgt in bie Gemeinde, der mehr als irgendwo ein patriarchaliſcher Charafter eigen 
ift. Neben einer jehr ausgedehnten Unabhängigkeit in allem, was fi auf die Lebens: 
führung und die perſönlichen Rechte bezieht, beobachtet man bei dieſen Völkern eine faft 
abergläubifhe Hohadtung vor ihren Herrſchern. Es liegt in ihrer Praris etwas, 
das an die alte Theorie vom göttlichen Rechte erinnert. Die Eingebornen begreifen nicht, 
daß eine Gemeinschaft, jo beſchränkt in der Zahl fie auch fein mag, ihre eignen Angelegen: 
heiten orbnen könne ohne „ein Haupt”, wie die Bajuto in ihrer Sprade jagen. Sie 
verftehen ebenfowenig eine übertragene oder nur zeitweilige Autorität. Sie gehordhen 
nur einer wirklichen, unbeitrittenen Macht, deren Urjprung fi in bem Dunkel der Ver: 
gangenheit verbirgt oder verliert, oder die, wenn fie aus neuerer Zeit ift, ein vom Schid: 
fale gewiffermaßen beftimmtes notwendiges Rejultat der Ordnung ber Dinge ift. Eine 
Macht, die zu ihrer Legitimierung an die Vernunft appellieren müßte, würde bei ihnen 
ſchon dadurch jeder Grundlage entbehren. Es gibt Häuptlinge, welde durch die Gewalt 
der Waffen zu diefer Würde gelangt find; aber die meiften find die Abfömmlinge der: 
jenigen Familien des Stammes, melde das Vorrecht des Alters und darum auch des 
Herrichens für ſich beanſpruchen. Dies ift ein guter Boden für die Defpotie. Deipoten 
find in unferm Sinne aud die beften Herrfcher der Afrifaner. Wollten fie e8 nicht fein, 
jo würden fie durch ihre Unterthanen dazu gebracht werden, welche mit großem Eifer allen 
Launen ihrer Herren zu dienen ſuchen. Die nächjitliegende und einfachite Form der poli- 
tiſchen Schmeichelei ift die Nahahmung alles deffen, was der Häuptling thut. Setſcheli 
ſchilderte diefe ſchöne Sitte feinem Freunde Livingftone al3 eine im Berfalle begriffene, 
indem er ausrief: „Früher, wenn ein Häuptling die Jagd liebte, erwarben fi alle 
feine Leute Hunde und begannen ebenfalls die Jagd zu lieben. Liebte er Muſik und 
Tanz, fo neigten ſich alle zu diefen VBergnügungen. Liebte er das Bier, jo jchwelgten 
fie alle in ftarken Getränken.” Da nun diefe Schmeichelei nicht ftarf genug ift, jo haben 
bie Häuptlinge der Betſchuanen, welche dafür befonders empfänglich zu fein jcheinen, die 


153 Allgemeines über die Neger. 


Einrichtung getroffen, daß fie für diefelbe zahlen, und jo ift fie gemiljermaßen Staats: 
angelegenheit geworden. In allen Stämmen ber Betſchuanen gibt es Jndividuen, welche 
die Kunft verftehen, Loblieder zu maden, mit denen fie bei vielen Gelegenheiten das 
Obr ihres Häuptlinges erfreuen. Gewöhnlich ftehen fie früh auf, gehen nad der Hütte 
des Häuptlinges, ehe diefer aufwacht, und bringen ihm ein Morgenftändchen aus endlojen 
2ob- und Preisreden. Sie entwideln dabei einen nicht geringen Grad von Beredjamfeit, 
auch ein großer Bilderreihtum fteht ihnen zur Verfügung; fie find gejhidt im Tanzen 





Dr. Bangemann in Berlin). 


mit der Kriegsart und dem Raſſelkürbis, das zu ſolchen Vorftellungen gehört. Der Häupt: 
ling zahlt die jüßen Reden mit einem Ochſen oder Schafe, je nad) feinen Mitteln, und 
nichts gilt für Fremde erniedrigender, als wenn fie fi) mweigern, das „Großer Löwe! 
Gemwaltiger Elefant!” 2c., womit ein folder Sänger auch fie anruft, reichlich zu belohnen. 
Derartige Gejänge nehmen leider die erjte Stelle in der Negerpoefie ein und variieren 
endlos immer dasjelbe Thema. Die den Europäern oft jo läftig gewordene Überhebung 
und Eitelkeit der Negerfüriten ift aljo nur zu natürlid. Letztere Eigenſchaft, die dem 
Negerharakter ohnehin in beträchtlichem Maße eigen, findet hier ihren Höhepunkt. Jener 
Manjemahäuptling Mwana Goy, den Stanley als einen ber eitelften Menjchen jchildert, 
die ihm je vorgefommen feien, „ber in feinem Dorfe einherftolziert, einen Stab als 
Zepter in der Hand, in eine große Maffe feinen, aus Gras geflochtenen Zeuges gekleidet, 


Die Fürften und ihre Höfe. Die Negerftaaten. 159 


das man bei genauer Mefjung 20 qm groß finden würde, und das in doppelten Falten um 
feine Taille gefhürzt ift, alles befegt mit Neftelftiften, Troddeln und Franfen, feine Haut 
mit verfchiedenen Farben bemalt, bronze und ſchwarz, weiß und gelb, und auf feinem 
Kopfe einen Aufjag mit Federn”, 
ift bei aller grotesfen Lächerlich— 
feit nur ein Typus für viele 
ähnliche. 

Man mag diefe Tendenz zur 
Aufblafung teilweiſe vielleicht 
mit dem inftinftiven Gefühle der 
Notwendigkeit motivieren, bie 
Heinen Verhältniſſe des 
Negerſtaates gebührend zu 
vergrößern. Ihre mächtigiten 
Staaten find nur Mittelftaaten 
nad der Zahl der Duadratmei- 
len, Kleinſtaaten nah ihren 
Machtmitteln. Die meiften find 
aber in jeder Beziehung Duodez- 
ftaaten, jo etwas wie unſre ein— 
ftigen jouveränen Reichsdörfer. 
Nach einer Zählung, beziehentlic) 
Schätzung des Miffionars und 
Zeritographen Perrin, welde 
Bleek beitätigte, beftanden 1853 
die Kaffern des Zululandes aus 
78 Stämmen, deren größter 1444 
Hütten zählte, während dem 
Hleinjten deren 25 zufamen. Die 
Gejamtzahl der Hütten betrug 
1849: 26,395, 1853: 28,642; 
im legtern Jahre kamen aljo 
auf den Stamm im Durchſchnitte 
367 Hütten. Auf einen Kral 
rechnet man gewöhnlich 5 Hütten, 
obwohl viele Krale bedeutend 
größer find und wiederum andre 
nur aus 2 oder 3 Hütten beftehen. A i 
Der Güte Find erfßrungagemäß; SR Betahatine Im Brsatlämuge Dub Aaron Im St 
3—4 Perfonen, nah Perrin 
genau 3,7, zuzurechnen. Auf einen Stamm kommen demnach noch nicht 1500 Seelen. Mar 
Buchner fhägte die Zahl der Zlolo des Lundareiches, von denen jedoch „viele nicht bedeuten: 
der an Macht als unſre Großbauern“, auf 300, und Schweinfurth gibt die Seelenzahl des 
ganzen, wieder mehrfach geteilten Djurftammes auf 20,000 Köpfe an. Cine ber größten 
Urſachen von Verwirrung in afrikaniſcher Ethnographie ift die Verwechfelung folder vielleicht 
zufällig einmal in den Vordergrund gefehobener oder getretener patriarchaliſcher Gemeinden 
mit wirklichen Staaten, d. h. Stammtonglomeraten, wie das Zulureich Tſchakas und feiner 
Nachfolger, das Reich Sebituanes und andre fie darftellten. Um fo größer ift dieſer Irrtum, 





160 Allgemeines über die Neger. 


al3 auch jene größern Zufammenfaffungen in ber Regel jehr furzlebig find, da fie ja 
gegen die Natur der Neger und gegen dieſe Kulturftufe gehen. Mag die Achtung oder 
die Furt vor einem mehrere Stämme beherrjchenden Häuptlinge noch fo groß fein, nur 
jelten wird es ihm gelingen, ein einheitliches Bolt aus ihnen zu machen, das fich zu den 
gleihen Sitten zwingen ließe, oder ſich den Verlegenheiten zu entziehen, welche die mit den 
Erinnerungen an ihre Abkunft verknüpften Freiheitsbegriffe ihm bereiten. Die Elemente, 
aus denen fich die Völker zufammenfegen, neigen ftet3 dazu, fich zu fpalten, und werden 
nur mit Hilfe einer geſchickten Kombination von Strenge und Nachgiebigkeit zuſammen— 
gehalten, die aber felten auf der Grundlage ftrenger Gerechtigkeit beruht. Es liegt daher 
in der Natur diefer Heinen afrilanifchen Staaten, fi unter dem Einfluffe friebliher und 
gebeihlicher Verhältniffe in unzählige Teile zu fpalten. Die Häuptlinge leben alle 
in ber Bolygamie und haben viele Söhne, die, im Befite von ebenfo vielen Herden, Weide: 
land und Gewäſſer für fich beanſpruchen. Wenn das Anwachſen des Befiges in diefer 
Richtung einen Lot und Abraham nicht in Frieden leben ließ, kann man fidh vorftellen, 
welche Folgen dies für Völker hat, die ihre perfönlichen Intereſſen immer in erjte Linie 
ftellen. Haben die Ereigniffe, deren Schauplag die füdlihen Teile der Negerländer in 
unferm Jahrhundert waren, die Kaffern- und Betjchuanenfriege, etwas mehr Geneigtheit 
zur Zuſammenſchließung eingeflößt? Ein Kenner dortiger Völferverhältniffe wie Caſalis 
jchrieb vor jegt 30 Jahren: „Seit einigen Jahren jcheint es, al3 ob das Vorbringen 
der Europäer ben Eingebornen die Augen geöffnet hätte. Ihre Aufmerkſamkeit richtet 
fih mehr auf ihre gemeinfamen Intereſſen; die Häuptlinge werben ihren Unterthanen 
unentbehrlicher, und die Idee einer allgemeinen Verbündung der Stämme, die es mit 
den Fremden aufnehmen fönnte, macht von Tag zu Tag Fortſchritte. Ich war eines 
Tages bei dem Ausmarjche eines Häuptlinges zugegen, ber infolge unausgefegter Berau— 
bungen eines Nachbars, nachdem er fie viele Monate ertragen hatte, ſchließlich zu den 
Waffen zu greifen genötigt war. Er jah voraus, da die Erpedition den vollftändigen 
Ruin feines Feindes zur Folge haben würbe, der, obwohl viel ſchwächer, jo jtarrföpfig 
war, daß man an feine Unterwerfung nicht denken fonnte. ‚Wie dem auch jein mag, jo 
gehe ich einem gemwiljen Unglüde entgegen‘, ſagte mir dieſer Häuptling. ‚Denn jchließlid 
ift dieſer Eigenfinnige, der mich nicht in Ruhe laffen will, dod mein Nachbar und ein 
Schwarzer wie id, eine der Stüben des Landes und ein Horn besfelben Ochſen. dh 
fenne ihn feit langer Zeit, und wenn ich ihn vernichte, was unvermeidlich ift, leiden wir 
alle darunter.‘ Und indem er auf das Fenjter unſers Zimmers zeigte, fagte er: ‚Zerbricht 
man bie Scheiben eines dieſer Fenfter, jo wird die Kälte in das Haus dringen, auch 
wenn das andre unbejchädigt bleibt‘, Solche höhere Anihauungen waren vor 30 Jahren 
in biefem Lande nody unbekannt; fie find heute noch weit entfernt, allgemein zu fein, aber 
e3 zeigt fi mit jedem Tage deutlicher, daß fie Fortſchritte machen.” 

Man kann nun nit leugnen, daß die Reaktion der Eingebornen gerade in Südafrika 
gegen die Europäer allerdings eine immer beftinmtere Form und größere Ausdehnung 
angenommen hat, wie vor allem ein Vergleich des Verlaufes der ältern und neuern Kaffern: 
friege lehrt. Aber es kam niemals zu jo großen und feſten Bünden, wie ihn 3.8. in 
Nordamerika die „ſechs Nationen” im vorigen Jahrhunderte geichloffen hatten. Wir willen 
nicht, auf welche Autorität hin ein ſonſt in feinen Angaben ziemlich zuverläffiger Reifender 
wie %. Chapman von Verträgen jpricht, welde beim Bekanntwerden der Sand River: 
Konvention behufs gegenfeitiger Beihügung und DVerteidigung gegen die Weißen von 
Griqua, Bafuto, Barolong, Batlapi, Bakuena, Bahurutje, Bamangmwato „und vielen andern 
Stämmen“ untereinander abgejhloffen worden feien. „Noch immer“, jagt er im erften 
Bande feiner „Travels‘‘, „find fie untereinander durch diefe Verträge gebunden, fat von 


Die Negerftaaten. Internationaler Verlehr. 161 


einer Seite des Kontinentes zur andern, und wenn nad) diefer Krilis unglüdlicherweije 
irgend ein Kaffernkrieg ausgebrochen wäre, würden feine Folgen für den nördlichen Teil der 
Kolonien traurige geweſen fein.” Es ift vielleicht erlaubt, in diefer Behauptung etwas 
Übertreibung zu jehen, nachdem ſelbſt die blutigiten und von lange her vorbereiteten Kriege 
der Schwarzen Südafrifad gegen die Weißen niemals irgend ein ähnliches Syitem von 
weitreichenden Allianzen erfennen ließen. Der Begriff des Internationalen ſinkt in 
diefen engen Verhältniffen zu dem des Intertribalen herab. Aber in diefen Grenzen 
fommt der Sinn des Negers für Diplomatifieren und Nechtsabgrenzungen zur Geltung, 
und es gibt zahlloje unko— 
difizierte Staatsverträge, 
welche beſtimmt find, die 
fouveränen Dorffürften: 
tümer Afrifas nad) ihren 
Intereſſenſphären zu be= 
grenzen. So hat der Han: 
del mit den Küjtenplä- 
ben, die Urſache fo vieler 
Streitigkeiten unter den 
nadhdrängenden Stäm— 
men bes Innern, zu Felt: 
jegungen Anlaß gegeben, 
die jeweilig von einer 
Gruppe von Stämmen 
ftreng befolgt werden. An 
der Kalabarküfte werden 
nur die großen Handels: 
pläge, wie Abo und Wuri, 
von allen Gamerunpläßen 
aus gemeinfchaftlich bes 
fuht, während jonjt die 
eine Partei es vermeidet, 
Ortſchaften zu bejuchen, 
an denen die andre bereits 
Geſchäfte hat. Und eben: 
fo iſt auch der Handel mit 
dem Innern geregelt. Als 
Buchholz den Quaqua— 
fluß (füblih von King Bel’! und King Aqua’s Stadt) bejuchte, traf er dort lauter Fiſcher 
aus legterm Orte, feinen von Bells Leuten. Jeder diefer beiden Camerunftämme hat näm— 
lich feine eignen „bush countries“, Ortſchaften, mit weldhen feine Leute Handel treiben, 
und wo fie durch gegenfeitige Verheiratungen Verwandtichaften befigen. Der legtere 
Punkt zeigt, wie die erogamifhen Sitten auch hier „völferverbindend” wirkſam find. 
Die politifche Zerfplitterung ift tief begründet in der Selbftüberfhäßung der ein: 
zelnen Staaten hinfichtlich ihrer politiichen Macht. Und dieſe liegt ihrerfeits zunächſt 
in dem Mangel jeglichen Vergleihsmaßitabes. Damit motivierte jehr wohl Wiljon jeine 
Anregung einer Wagandagefandtihaft nah Europa. „Wir hatten“, jagt er, „Mteja 
zugeredet, denn was den Häuptlingen und dem Volke fehlt, ift eine genauere Kenntnis ihrer 
Stellung zur übrigen Welt und der verhältnismäßig jo geringen Bedeutung ihres Landes, 
Voltertunde. L 11 





direltord Herrn Dr, Wangemann in Berlin). 


162 Allgemeines über die Neger. 


und diefe würden fie durch nichts jchneller und gründlicher erlangen al3 durch den Beſuch 
eines europäischen Landes. Die Zurüdkehrenden würden wahrjcheinlid nicht wagen, dem 
Könige zu berichten, was fie alles geſehen, und wie tief er unter den europäifchen Herrſchern 
jteht; ihren Standesgenoffen würden fie ohne Scheu davon erzählen und müßten damit 
weit mehr Glauben finden als die Fremden, die eben durch diefe Erzählungen wiederum 
bedeutend in ihrer Achtung fteigen würden.” In Ermangelung bejjerer Selbiterfenntnis 
bleibt dieſe Zeriplitterung felbjt der Glieder nächitverwandter Stammesgruppen immer 
ein ftarfer Bundesgenoffe der Europäer in allen ihren Unternehmungen im Negergebiete. 
Und nur eine Kraft hat fi je und je ftark genug erwieſen, um das Auseinanderjtrebende 
zufammenzufafjen und zujammenzuhalten, die Kraft einer überlegenen, rückſichtsloſen Per: 
jönlichkeit. „Ohne einen Defpoten, der die verfchiedenen Clanſchaften als eine gejchloffene 
Maht in den Kampf und Sieg fchidt, gibt es Feine Zuluherrſchaft“ (G. Fritic). 
Naturen wie Sebituane oder Mirambo, Tſchaka oder Nolame, rüdjihtslofe und eben- 
darum populäre Dejpoten, dies find die Merfzjeuge, mit denen Afrika, joweit e3 ben 
Negern gehört, bis heute in die gefchichtlihen Bewegungen eingegriffen. 

Sowenig die Neger ihren Herrfchern nad innen und im Frieden völlig unumfchräntte 
Herrichaft zugeitehen, jo ſchrankenlos mögen fie im Kriege die Kräfte des Volkes nad) außen 
verwenden und Eroberung auf Eroberung häufen. Iſt doch jeder Eroberungszug zugleich 
ein Raubzug, von dem das ganze Volk profitiert, wenn er glüdlich verläuft. Der Herrſcher 
aber verteilt die Beute, und darin liegt ein großer Teil feines Einfluffes. Daher bleibt 
jtet3 für die Gefchichte der Negervölfer wie auch für die europäiſchen Intereſſen in Afrifa 
eine der wichtigſten Thatſachen das Auftreten bedeutender Eroberer und Herrſcher, welche 
zerftreute Stämme zufammenfaffen und ausgedehnte Reiche gründen. Es liegt auf der 
Hand, daf ja auch die zivilifatorifche Arbeit erleichtert wird, wenn fie an Punkten anjegen 
fann, von denen fo viel Macht und Gewalt ausgeht. Iſt ſchon die Forfhungsarbeit 
europäifcher Reifender durch Männer wie Sebituane und Mtefa fo weſentlich gefördert 
worden, jo wird von bdiefer Seite her auch eingreifendern Bemühungen der Weißen da 
und dort entgegengefommen werden. Vorzüglich am Südrande Innerafrikas, wo Fräftige 
Kaffernftämme in gemäßigtem Klima Energie und Unternehmungsluft entwideln, die fie 
unter den jchlaffern Völkern des tropiſchen Afrika zu gefürchteten Herrſcherraſſen machen, 
und wieder im Norden und Norboften, wo Stämme, die wohl aus Miſchung von Negern 
mit Berbern, Abeffiniern und Arabern hervorgegangen find, ſich mit eigentlichen Negern 
berühren, find diefe Reiche am häufigften und mächtigften. Ihre Entwidelung hat auch 
ein befonders ethnographifches Intereſſe, wenn wir damit die Seltenheit ähnlicher Gebilde 
bei andern, ungefähr auf gleicher Kulturftufe ftehenden Völkern vergleihen. Die Indianer 
Nordamerikas boten bei aller Mannigfaltigfeit der politifchen Organifationen, welche fie 
erzeugten, felten etwas Ähnliches. Selbſt dann, als das Vorbringen der Europäer fie zu 
Konföderationen antrieb, in denen fie den Stammeshader vergaßen und nur auf möglichite 
Machtentwidelung bedacht waren, gab es feine Generationen überdauernden, verhältnismäßig 
mächtigen Reiche, wie Zentralafrifa fie oft gefehen hat und noch fieht. Indem wir nad) 
den Urſachen dieſer Erfcheinung forfchen, berühren wir aber die Grenzen des Negertums, 
denn die Träger diefer berühmten Zepter von Uganda und Unyoro und diefe Munſa, 
Kajembe, Kafongo, Muata Jamvo greifen zum Teile gefchichtlich nachweisbar, zum Teile 
jagenhaft oder in Vermutung in das Gebiet der hellfarbigen und lodenhaarigen Afrikaner 
des Nordens und Oſtens über. Wie bedeutfam für den Charakter diefer mit der Wirkung 
in die Ferne unvertrauten Gefchichte, daß in den Negerfagen Aus: und Zumwanderungen, 
Verſchwinden bekannter und Auftreten fremder Menjchen die Angelpunkte der gejchicht: 
lihen Bewegung find! 


Eroberungsftaaten. Regierungsform. Aufgellärte Herrſcher. 163 


Es gehört zu den Widerſprüchen ber Negerjeele, daß troß der Machtvollkommenheit 
und der über den Tod hinaus reichenden Ehren bes Häuptlinges fein Negervolf eine rein 
abjolute Regierung zu kennen fcheint, ebenjowenig wie eine reine Republif. Wenn man von 
einer bejtimmten Verfaſſung reden kann, jo bezeichnet eine oligarchiſche Ariftofratie 
oder, wie Nauhaus es bei den Kaffern bezeichnet, ein Gemifh von patriarchaliſcher 
und feudaler Regierung die Staatöform der Neger. Weder die mächtigen Zulu= noch 
die Wagandaherriher find oder waren abfolute Regenten. Ein folder wäre unter den 
beitehenden Regierungsverhältniffen undenkbar, denn ein Hauptteil der Gewalt liegt in 
den Händen der Häuptlinge Wilſon jchreibt aus Rubaga: „Wenn man die Häuptlinge 
den Europäern geneigt machen könnte, jo würde die Zivilifation weit raicher Boden 
gewinnen als durch die Gunft einer ganzen Herricherreihe. Während Mtefa aus ver: 
Ichiedenen Gründen die Anwesenheit der Europäer in feinem Lande begünftigte, waren 
die Häuptlinge ihr mehr oder weniger feindlich gefinnt, hauptſächlich, weil fie fürdhteten, 
die Europäer möchten Uganda erobern.” Ganz dem entiprehend hatte Gardiner bei 
feinen Verſuchen, im Zululande Fuß zu fallen, ebenjoviel bei Tſchakas Generalen wie 
bei Tſchaka jelbit fich zu mühen. Es mochte wohl die Furcht mitwirken, der Fürſt fönnte 
durch die Machtmittel der Weißen allzu jelbjtändig werden. Im übrigen ift der Adel, 
wo er al3 gelonderte Klaffe beiteht, wie bejonders an der Weſtküſte (im Often hat offenbar 
der Imperialismus großer Eroberer demofratifierend gewirkt), in der Regel verwandt: 
Ichaftlich eng mit der herrichenden Syamilie verbunden. Der Unbeſchränktheit bes Defpotis- 
mus wirft wejentlich auch die Gefahr der Zerbrödelung des Stammes in einer Herricher: 
hand entgegen, welche verjuchen würde, zu feit zuzugreifen. In dieſem Falle verlafjen 
immer mehr Unterthanen heimlich das Land und vermehren die Macht der Nachbarfürſten. 

Die Erforſcher Afritas haben ung neben manden bluttriefenden Deſpoten aud wohl: 
wollende und einjidhtige Herrſcher in nicht geringer Zahl kennen gelehrt, welche 
zeigen, daß die Funktionen eines Negerfürften auch im Frieden in einem höhern Sinne 
veritanden werden können. Wir erinnern bier nicht an die guten Bornu= oder Sokoto— 
herrfcher, welche ala Mohammedaner unter fremden Einflüffen ftehen, fondern an kleinere 
Fürften, wie Sebituane oder Rumanika, echte Negerkönige. Es mag etwas Übertreibung 
darin jein, wenn ein Freund der Eingebornen im „Cape Monthly‘ (1870) Setjcheli den 
Man zufchrieb, durch Erhaltung des Strauchwuchſes auf den Höhen die Austrodnung 
feines Landes zu hindern; aber thatjächlich ging feine Vorausfiht weit genug, um noch 
lange vor dem Kap: Parlamente ein Gejeß behufs Schonung der weiblichen Strauße zu 
erlaffen. Als derielbe Setjcheli 1852 von feinem Beſuche aus der Kapftadt zurüdfehrte, 
war allerdings bie erfte Neuerung, welche er in Nahahmung des dort Gefehenen traf, 
die Zwangsarbeit der aneinander gefefjelten Sträflinge in den Straßen von Schoſchong. 
Livingftone, der ein jo offenes Auge für das Gute im Neger hatte, hat ung mehrere 
derartige Fürften näher gebradt. Wir heben bier nur noch den Manjemafürften Moenekuß 
hervor, um einige ebenfo wahre wie traurige Worte anzufügen, mit welden Livingſtone 
die Schilderung von deſſen Wirkſamkeit beſchließt. Er jagt: „Es ift bemerkenswert, daß 
der Stillitand, bei welchem die Manyema angelommen find, nicht durch das Anjehen der 
Höherftehenden unter ihnen einen Anftoß zur Bewegung empfängt; fie find ftabil, und 
ber Fortjchritt ift ihnen unbefannt. Moẽnekuß bezahlte Schmiede, um feine Söhne zu 
unterridten, und fie lernten Kupfer und Eiſen ſchmieden, aber jeine Liebe und Großmut 
gegen andre fonnte er ihnen nicht beibringen; er tadelte fie ftetS wegen ihrer niedrigen 
und furzfichtigen Handlungsmweife, und als er ftarb, blieb er ohne einen würdigen Nach— 
folger, denn feine Söhne waren beide engherzige, niedrige und Furzfichtige Geſchöpfe ohne 
Würde und Ehrgefühl. Was fie von ihren Vorfahren wiſſen, ift, dab fie vom Lualaba 

11* 


164 Allgemeines über die Neger. 


nah Luamo, dann nach Luelo und dann bierher kamen.“ In diefen wenigen Worten 
ift das Geheimnis der Stabilität ausgeiproden, in welcher das afrikanische Staatswejen 
trog einzelner weifer und kräftiger Fürften verharrt. Der Mangel der Kontinuität im 
Guten und im Böſen erklärt auch bier das immer fich wiederholende Zurüdjinken auf die 
längft erreichte Höhe. Anſtöße zum Beſſern, welche fortwirken, werden wir zunächſt nur auf 
dem Felde der materiellen Kultur vermuten dürfen. 

Da zwiſchen den Gebieten der einzelnen Stämme eine eigentlide Grenze nicht 
vorhanden ift, wenngleih von einzelnen Häuptlingen oft weite Streden als aus: 
Ichließlihes Eigentum ihres Stammes beanfprudjt werden, ift eine fejte Staatenbildung 
anders als durch dieſes zeitweilige Ericheinen mächtiger Herricher, die im ftande find, 
Mittelpunkte zu bilden, überhaupt nicht möglid. Es würde gegen das Herfommen geben, 
wenn nun wirklich alle nicht zu diejem jpeziellen Stamme Gehörigen das reflamierte Land 
räumen ſollten. Solches wird felten verlangt. Wer fühlte fih durch ſolche Verhältnifie 
nicht in die Urzeiten hinein verjet, da die Erde noch unbewohnt und unbenußt vor den 
Geichlehtern der Menſchen dalag und feine Tradition noch Vertrag, jondern nur ber 
Mille und die Kraft des einzelnen Menjchen Grenzen aufridteten? Dieſe Grenzlofigfeit 
werden wir aber in allen, aud in den größten Negerreichen wiederfinden, wo der König 
eigentlich immer nur im Mittelpunfte, wo er refidiert, auch wirklich herricht, während fein 
Einfluß in irgend einer rajchen Progreffion, die im Verhältnifje fteht zu feinen Herricer: 
qualitäten, in dem Maße abnimmt, als die Unterthanen fich ferner von ihm fühlen. Jedes 
diefer Reiche hat daher auch eine Peripherie zweifelhafter Tributärgebiete, die nur auf die 
Gelegenheit warten, um abzufallen. 

Das „Fließende“ diejer Zuftände zeigt am beften die Begrenzung eines beftimmten 
Stammes, deſſen Verbreitung man genau fennt. Die Wakamba haben z. B. urfprünglicd 
ziemlich ausgeprägte Naturgrenzen: im Norden den Tana, im Süden den Adi, im Weiten 
den eben genannten Fluß zufammen mit dem Höhenzuge, der Ulu und Yata genannt wird. 
Allein der Tana, wiewohl er das beträchtlichſte Gewäſſer diefer Länder, ift doch meit 
entfernt, eine fefte Grenze zu bilden. Wafuafi dringen über diefen Fluß in das Wakamba— 
land vor. Doc find die Wakamba Feineswegs paſſiv in ihrer Begrenzung, denn fülten: 
wärts, gegen Mombas, haben fie fich zwiichen die Wanika eingefhoben und badurd eine 
freie Verbindung mit der Küfte gefihert. Und fo ift nad feiner Seite von einem 
geihloffenen Wohnen die Rede, fondern an der Peripherie ſchieben alle angrenzenden 
Stämme fi möglichſt tief in das Gebiet dieſes beftimmten Stammes ein. Was Wunder 
daher, wenn Stämme und Reiche auftauchen und vergehen wie Wellen vor dem Winde, 
wenn das ethnographiiche und politiiche Bild Afrikas in beftändiger Verſchiebung feiner 
Elemente begriffen ift? 

Dazu fommen jene Scheinvölfer bizarrer Sklaven, welde ſich ihre elende unter: 
worfene Eriftenz damit verfüßen, daß fie das kriegerifche Außere ihrer Herren nachahmen, 
wie die falihen Wayao am Rovuma oder Umzilas Unterthanen am untern Limpopo, 
welche, leibeigen und unfriegerifch wie fie find, ſich in der Furt einflößenden Zulumaste 
gefallen. Daß Stämme mit der Zeit Namen angenommen haben, welche ihnen ganz 
willfürlih von andern beigelegt wurden, ift eine weitere verwirrende Erjcheinung. So 
haben verjchiedene Betſchuanenſtämme den Namen „Mangati” angenommen, welchen die 
Zulu ihnen beigelegt, und geben auf Befragen denjelben als ihren Stammesnamen an. 
Für die jo häufige Neubildung von Völkern um den Kriftallifationsfern eines Mächtigen 
werden mir unten (j. S. 307) in den Makololo ein klaſſiſches Beiſpiel zu bieten haben. 

Nichts gibt einen richtigern Begriff von der Armut, die dem niedern Kulturftande der 
Naturvölker anflebt, als das wenig prädtige Auftreten afrikaniſcher Herrſcher, und 


Mangel der Grenzen. Auftreten ber Häuptlinge, 165 


nichts gibt gleichzeitig einen fo volltommenen Begriff von dem, was ihre höchſten Wünfche 
find, als das, was fie mit all ihrer Macht ſich verichaffen. Nichts von orientalifchem Pompe 
und Glanze: die großen Zulu: und Matabelefönige, Muata Jamvo, Kajembe, Kafongo, alle 
dieje Größen der afrikanischen Negerwelt, ericheinen perjönlicd ungemein einfach. Gin paar 
Talismane, ein gejchnigter Stuhl, ein paar eiferne oder aus Giraffenhaar 
gewundene Ringe mehr, als ihre Unterthanen befiten, ein Affenfell, eine rote 
Jade bilden ihre ganze äußere Auszeihnung. Die realen Vorteile jehen fie 
dann in möglichit zahlreihen Weibern, in unbeſchränkten Mengen von Bier 
und Tabak für jih und ihren Hofitaat, in einem Vorrate von Flinten und 
Munition. Rechnet man ihre etwas größern Hütten und Anweſen hinzu, jo 
dürfte alles erichöpft fein, was ein Negerherricher vor feinen Unterthanen 
voraus hat. Und doch würden wir etwas jehr Wichtiges vergefen, wenn wir 
das Zeremoniell jeines Hofes, die Esforten von Speerträgern, Zauberern und 
bewaffneten Weibern und den Lärm feiner Mufitbande vergäßen. Der Neger 
hat eine ftarfe Neigung zum hohlen Glanze des Zeremoniells, und es behagt 
ihm, hergebrachte, längjt leer gewordene Formen immer neu wieber anzuwenden. 
Daher die Bedeutung der Zeremonienmeijter in dem barbarifchen Hofſtaate. 
Damit hängt auch jeine Neigung zum Diplomatifieren zufammen, die 
einen weitern Grund in der Vorliebe für den Streit mit Worten ftatt mit 
Thaten findet. Die widhtigften Männer an Negerhöfen pflegen daher die Bot— 
Ichafter zu fein, welde jtet3 Leute von vollendeter Gemwandtheit find, auf 
deren Diskretion man fi vollftändig verlaffen fann. Sie bemühen fi, ein 
feines und höfliches Benehmen zu zeigen. Durd) die Beobachtungen, die fie auf 
ihren Reifen machen, find fie ihren übrigen Mitbürgern, mandmal jogar ihren 
Vorgefegten weit überlegen. Um Ableugnungen und unabjehbaren Wider: 
jprüchen, weldye der Mangel an fchriftlichen Feſtſetzungen nad) ich ziehen würde, 
vorzubeugen, beiteht der Gebraud, daß die internationalen Verhandlungen von 
Volk zu Bolt immer den Händen desfelben Mannes anvertraut werden. Die 
Bajuto hatten unter Moſcheſch jogar für jedes Nachbarland einen eignen Bot: 
Ichafter beftellt. Diejes ermüdende und wenig lohnende Amt fcheint denen, 
die damit betraut find, nicht zur Zaft zu fein. Gajalis, der Bafutomiffionar, 
erzählt: „Mein alter Freund Seetane (‚der kleine Schuh‘) teilte mir jedes Jahr 
mit einem zufriedenen Lächeln mit, daß er an ben Hof des Zuluhäuptlinges 
Mpanda abreile. Er hatte bis dahin 100 Meilen zu Fuße zu gehen und ebenjo 
viele zurüd. Ich verfah ihn jedesmal mit etwas Tabak, und mit diefem ſowie CH, 
mit jeinem Kleinen Sade voll geröfteten Mehles ging er frijch und guter Dinge, — 
als handelte es fih nur um einen Heinen Spaziergang. Auch find diefe Bot: Ein Häupt: 
ſchafter meift mit einem wunderbaren Gedächtniſſe begabt, was begreiflich iſt, nr. 
da fie die ihnen mündlich mitgeteilten Depeihen Wort für Wort wiedergeben Kameron). 
und beim Mangel der Schrift gleichzeitig lebendige Archive fein müſſen.“ 

Eine Eigentümlichfeit aller diejer kindiſch-naiven Deipoten iſt das beftändige Entfenden 
von Boten nah allen Richtungen, und es gehört zu den gewöhnlichen Erlebniffen der 
europäiſchen Forihungsreifenden in diefen Gebieten, furz nad) ihrer Abreife aus der Höhle 
eines jolhen Löwen von feinen Boten eingeholt zu werden, die noch einen oder mehrere 
verjpätete Wünjche zu überbringen haben. Offenbar hängt diejes ganze Erfundigungs: 
und Botenwejen eng mit dem Bedürfnilfe der Negerherricher zuſammen, über alles unter: 
richtet zu fein, was in den Grenzen ihrer Erfahrungsmöglichkeit vorgeht. So wie fie 
eiferfühtig find, die Mittelpunfte des von ihnen monopolijierten Handels zu fein, ihre 





166 Allgemeines über die Neger, 


Höfe zu Sammelplägen aller tauſchfähigen Güter zu machen, jo fühlen fie ſich auch berufen, 
Kopf und Ohren ihres Volkes zu fein. Und jo ift denn die Spionage unter dieſen 
„Wilden“ ganz ebenfo hoch entwidelt wie unter irgend welcher für ihre Eriftenz fürdhtenden 
Bevölkerung der zivilifierten Welt. Livingftone jagt in feiner trodnen Weife: „Sie ift 
bier wie dort ein Zeichen von Barbarei”. Jeder Mann eines Stammes fühlt fidh verpflichtet, 
dem Häuptlinge alles und jedes mitzuteilen, was zu feiner Kenntnis fommt; wird er aber von 
einem Fremden befragt, jo gibt er entweder abjichtlih Antworten, welche nur die äußerfte 
Dummheit erzeugen fann, oder von denen er weiß, daß fie feinem Häuptlinge angenehm fein 
werben. „Ich glaube”, fagt jener NReifende, „daß auf diefe Weife fih Sagen von ihrer 
Unfähigkeit verbreitet haben, mehr als zehn zu zählen, und das zu bderjelben Zeit, wo 
Setſchelis Vater 1000 Rinder als Grundlage des Hausftandes feines Sohnes auszählte.“ 

Fügt man nun hinzu, daß der Häuptling auch immer der Oberzauberer ober 
Zentral-,Fetiſchör“ feines ganzen Volkes, als jolcher oft weit über jeine Grenzen berühmt!, 
Erzzauberer und Erzpriefter und, was oft ebenjo wichtig, fein eriter Kaufmann it, dann 
fieht man in demjelben eine reale Macdhtfülle vereinigt, welcher nichts als die innere 
Gewähr der Dauer fehlt, um den Eindrud des Impoſanten zu machen. Durd die Älteſten 
des Volfes und die Ratgeber gleihfam mit einem Parlamente umgeben, das ihn dem Volke 
gegenüber dedt, it die Stellung eines Negerfürften, wie jo vieles im Leben der Neger, im 
Mejen vortrefflih, nur hat fie ſich ichief und hohl entwidelt. Dieje Ratgeber willen 
übrigens nicht jelten ebenfalls ſich durch Zauberkräfte gefürdhtet zu machen, die jelbit 
ftärfer als die des Häuptlinges fein fönnen. Der Einfluß Umzilas unter den eingebornen 
Stämmen beruht, wie Ersfine uns jüngjt berichtete, hauptiächlich auf dem Rufe, in dem 
er fteht, einige mächtige Zauberer in feinem Dienſte zu haben, welche mit Krankheit und 
den Elementen fechten anjtatt mit Waffen. Mit aus diefem Grunde ijt er bei den bar- 
bariſchen Häuptlingen der Umgegend jo jehr gefürchtet. 


Der Neger ift nicht in dem Maße kriegeriſch beanlagt wie fein hamitifcher 
Nachbar im Galla: und Somalilande, wie viele nubiſche und arabijche Stämme Nordafrifas 
und des Sudan. Dafür ift er doch zuviel Genußmenſch, zu heiter, zu naiv, zu ſanguiniſch. 
Daher ſpielt auch bei vielen Häuptlingen die militäriihe Stellung eine Eleinere Rolle. 
Es gilt das befonders von den weitafrifanifhen Negern. Bei denjenigen Stämmen aber, 
die von kriegeriſchen Traditionen erfüllt find, und deren Eriftenz vorwiegend auf ihrer 
militärifchen Stärke beruht, ift der Häuptling auch jelbitverftändlih der Führer des 
Heeres, und bei diefen Stämmen nimmt dann aud das Häuptlingstum fogleih einen 
ernithaftern, wichtigern Charalter an und ift eng mit dem Ruhme des Volkes verflochten. 
So vor allem bei den Zulu. Solche Stämme treten aus der Defenfive, dem Hinter: 
halte, heraus, der ſonſt Charakterzug der Kriegführung der Neger wie der meiften Natur: 
völfer ift, die fich ihrer Stärke in der Verteidigung mwohlbewußt find. Aus den Ama- 
tolabergen bei Port Elizabeth vermochten die Europäer lange Zeit nit die Kaffern zu 
vertreiben. Als aber ein Gouverneur ihren verfchlagenen Häuptling U'Mhala in feine 
Gewalt befam, wollte er ihm einen möglichit ftarfen Begriff von der Macht Englands geben 
und ließ einige vor Anker liegende Kriegsichiffe zu gleicher Zeit ihre Kanonen abfeuern. 
Auf feine Frage: „Was vermögt ihr armen Kaffern gegen eine ſolche Macht auszurichten?“ 
antwortete WMhala fühl: „Vermögen diefe Dinger, welche jo viel Lärm machen, auch in 


* Ein Häuptling, Namens Lelebe, der 100 Meilen nörblid vom Ngami wohnte, war für die um biefen 
See wohnenden Betichuanen der Veranlaffer von Gemwittern, Stürmen und Regen, und darum fandte ihm 
3. B. Tſchapo in einem trodnen Jahre eine Kuh mit einer Bitte um Regen. 


Stellung des Häuptlinged. Kriegerifcher Geift, 167 


die Amatolaberge hinaufzufegeln?” Daß die meiften Negervölfer keine Pferde befigen, 
macht die Aggreſſion im Kriege ihnen noch fchwieriger und weiter abliegend, und wo fie fo 
Ichneidig in die Hand genommen wird, wie bei den Zulu, ift fie nur um fo rühmlicher. 
Die Zulu, Watuta und andre zeigen aber, daß der Neger auch außerhalb der Fels: 
wälle anzugreifen veriteht, und daß er das Herz dazu hat. Die erften Kafferntriege 
liefern bewundernswerte 
Beijpiele von kühnem Vor: 
gehen der ſchlecht bewaff— 
neten Schwarzen gegen 
geichulte, mit Flinten ver: 
jehene Soldaten. Wenn 
daher einige ald Grund: 
züge des Negercharafters 
Feigheit nebjt der in der 
Regel damit verbundenen 
Frechheit bezeichneten und 
ihn tief unter den ber 
nordamerifaniiden In— 
dianer und ſelbſt der Ma— 
layen ftellten, jo ift dies 
fein tiefgefchöpftes, ſon— 
dern ein einfeitiges Urteil 
und dies auch jelbit dann, 
wenn es ſich in eine prägi: 
jere Form hüllt, jo, wenn 
Kapitän Glover nad 
jeinen Erfahrungen im 
Aſchantikriege meint, un: 
ter 700 Atem feien nur 
100 mutige Leute. Daß 
der wilde Mut, den fie oft 
genug entfalten, ihnen erſt 
die Sicherheit einflößt, auf 
der Gegenjeite Furcht er: 
regt zu haben, mag richtig 
jein, widerſpricht aber 
nicht dem Vorhandenfein i 
der Fahigkeit zu mutigem Ein Pondokrieger (nad Photographie im Beſitze des Miſfionsdireltors Herrn 
Angreifen. Des Kriegs: Dr. Bangemann in Berlin). 
gejchreie8 und der rau: 
ſchenden Muſik haben fich die allermodernften Heerführer noch nicht entjchlagen. Der Neger 
neigt zum Übermute und bramarbafiert. Es ijt jedem Weißen befannt, der über die bejte 
Art der Behandlung diefer Raſſe nachgedacht hat, daß nur die deutlichfte und vor allem 
die folgerichtigfte Entjchloffenbeit ihren Übermut zurüddämmen und den gefährlichen Aus: 
brüchen ihrer Wildheit vorbeugen fann. Im Heinen wie im großen, bei der Lohnarbeit 
auf dem Felde wie in der Politik hat es ficdh ftetS bewährt, daß, bei der geringiten Anmaßung 
zurückgewieſen, der Neger nicht weiter an fein Begehren denkt, während, wenn dies nicht 
gejchieht, feine Unverſchämtheit fih ins Grenzenlofe fteigert. Es ift dies der Charakter 





168 Allgemeines über bie Neger. 


aller Naturvölter und gilt befanntermaßen auch jonft für den Verkehr zwiichen Höher: und 
Tieferftehenden. Man fann dem Neger feinen befondern Vorwurf daraus machen. Und 
wenn wir gewohnt find, Mut und Beicheidenheit Hand in Hand gehen zu jehen, jo ift Dies 
freilich ein höheres Jdeal, aber beide gehören nicht untrennbar zufammen. Es gehört diefer 
Zug zur inftinftiven Diplomatif des menſchlichen Verkehrs, welcher immer danad) ftrebt, 
feine Forderungen nad) dem Maße von Nachgiebigfeit zu ftimmen, dem er begegnet. Und 
der Neger ift als Erzrealift Meifter in diefer Diplomatie. 

Der Neger hat auf der andern Seite wertvolle militäriiche Eigenfchaften im Dienite 
der Weißen in den Vereinigten Staaten, in Algerien, in Agypten gezeigt. Bon feiner 
Körperfraft und Ertragungsfähigfeit abgejehen, ift er gelehrig, weiß zu gehorchen und 
weiß auch zu ſchätzen, daß er Soldat ift. Er liebt das bunte Kleid und jeine Waffe. 
Die Amerikaner machten eine große Anzahl guter Schützen aus befreiten Negerjklaven. 
Endlich ift der geborne Sanguinifer natürlich befähigt zu jener ſchwer definierbaren 
Qualität, die man „slan‘ nennt, und was im Ernitfalle vielleiht am wichtigiten ift, er 
hat einen angeboren niedrigern Begriff vom Werte eines Menfchenlebens als der weiße 
oder gelbe Menih. Die große Mehrzahl der ſchwarzen Truppen Ägyptens beftand vor 
der engliſchen Invaſion aus Dinka, denen ihre impojante Geftalt, ihr hoher Wuchs und 
eine angeborne Tapferkeit einen hervorragenden Pla in der ägyptiſchen Armee anweifen. 
Dur jtarren Charakter und zähes Feithalten an ihren eigenartigen Sitten zur Sklaverei 
untauglich, find fie noch heute unbezwungen. Ihre Gemeinwefen, welche ganze Bezirke zu 
einem durch Kriegermenge imponierenden Stamme vereinigten, haben den Ägyptern und 
Nubiern wirkſamen Widerftand entgegengefegt, und die Dinfa find bis heute eine Daje 
von Unabhängigkeit mitten unter Unterworfenen, Mit gleicher Tüchtigfeit haben in den 
Äquatorialprovinzen die Madi als Soldaten ſich bewährt. 

Die Kriegführung der Neger ijt natürlich graufam, denn da fie nicht durch 
humanitäre Nücjichten beengt ift, gebt fie auf das zweckmäßigſte vor, indem fie die 
„geritörung‘ des Feindes ins Auge faßt. Hier kommt die Geringihägung des Menfchen- 
lebens, welche die barbarijche Stufe bezeichnet, jo recht zur Geltung. Färbt fie doch über: 
haupt einen großen Teil der Anfhauungen und des Thuns der Neger. Nah Living: 
jtones Schilderung waren die Mafololo zwar ebenfo Wilde wie ihre Volksgenoſſen. Doch 
hatten fie gemeinfam mit manchen andern nicht eben durch Armut oder Lafter degradierten 
Stämmen de3 großen Kaffernvolfes in einigen Beziehungen auch feinere Unterſcheidung 
zwischen Recht und Unrecht und feitere, dDauerndere Gebräuche in Bezug auf Richten und 
Strafen, al3 man im allgemeinen diefer Kulturftufe zufchreiben möchte. Was aber diejen 
Anjag höherer Entwidelung in geradezu zerjtörender Weife durchbrach, war ihre Gleich— 
gültigfeit gegen Blutvergießen. „Sie find merkwürdig unempfindlih für die Größe diejes 
Verbrechens”, jagt Livingſtone. Ihre Geſchichte Liefert nur allzu viele Beifpiele von diefer 
Gemütsverhärtung, welche fie freilich mit nahezu allen Afrifanern irgend welcher Raſſe 
teilen. Diejer eine Zug vernichtet natürlich alle fittigenden Wirkungen, zu welchen andre 
Eigenihaften ihres Charakters zu entwideln wären, und fie bleiben Wilde, folange fie 
ihn nicht ablegen. So wie zu GCotterills Zeit die Manjanga (am Nyalja) handelten, 
welde in ihrer Wut über einen vergeblihen Sturm achtzig Gefangene, alles Weiber und 
fleine Kinder, mit kaltem Blute vor den Augen der Belagerten mafjakriert hatten, würden 
im gleihen Yalle wohl die meiſten Negervölfer durd ganz Afrifa gehandelt haben. Ge: 
rechterweife wollen wir aber hier doch auch die geſchichtliche Thatſache nicht überſehen, 
welche gerade in diefem Zufammenhange hervorgehoben zu werden verdient, daß in den 
blutigjten Abjchnitten der Kaffernkriege Weiber und Kinder der Weißen fehr oft von den 
Kaffern geſchont wurden, und mwahricheinlich find mehr von ihren eignen Weibern und 


Kriegführung. Waffen. 169 


Kindern getötet worden, als fie felber auf der andern Seite töteten. Das fchließt freilich 
die größten Treulofigfeiten und Graufamkeiten gegen weiße Männer nicht aus. 

Im allgemeinen find die Waffen der Neger nicht durch jene hohe Vollendung aus: 
gezeichnet, welche man bei vielleicht weniger friegerifchen Völkern der Inſeln des Stillen 
Ozeanes findet. Dies hängt zum Teile damit zufammen, daß fie auf den Zwed der 
Waffe das Hauptgewidt legen. Sie haben feltener eigentliche Zier: oder Schaumwaffen. 
Ihre Lanzen laffen es nicht an Mannigfaltigfeit der Form und Größe der Klingen fehlen, 
ebenfo ihre Schladhtärte; aber diefe Formen ſchwanken um einen befchränttern Typus und 
find immer verhältnismäßig einfah. Und abgejehen davon ift die Arbeit an ihnen eine 
oft nicht jehr vollendete; die Neinheit der Kanten, die Schärfung und Glättung ber 
Klingen laffen zu wünjchen übrig. Es hängt dies feineswegs mit einem allgemein niebrigern 
Stande deſſen zufammen, was man fonft wohl in Afrifa Kunftgewerbe nennen könnte, 
Die Griffe ſowohl der Speere als 
der Beile, Dinge, denen allerdings 
nur eine jefundäre Wichtigkeit zu: 
fommt, find nicht nur in der Negel 
ohne Verzierung, jondern häufig 
aud) roh gelaſſen. Man jehe eine 
Sammlung polynefiiher Speere 
neben einer aus Süd- oder nner: 
afrifa, und man wird einen ge: 
waltigen Unteridied wahrnehmen. 
Dort, jelbit 3. B. bei den rohen Neu: 
faledoniern, alles Glättung, Glanz, 
jelbft Zierat, bier ungleiche Stöde, 
faum gerade gemadht. Wo Köcher Dolchmefſer aus Bihe (nah Cameron). 
und Bogen bei den Negern vorkom— 
men, ilt es dasjelbe, fie bleiben in der Regel weit zurüd hinter außerafrikaniſchen Dingen 
diejer Gattung. Daß dabei der Zwed immer wohl im Auge behalten ift, bezeichnet recht 
gut den realiftiichen, zwedbewußten Sinn des Negers. 

Speer und Wurffeule find die am allgemeinften verbreiteten Waffengattungen, Streitart 
und Meier ſchließen fih an. Letztere ſcheinen aber aus dem arabiſchen Kulturgebiete 
von Norden und Dften ber eingedrungen zu fein. Kleine, mit Lehmkugeln bejchwerte 
Murfpfeile fommen gelegentlich vor. Bogen und Pfeil, legterer häufig vergiftet, wenn 
auch nicht immer mit tödlichen Stoffen, find auch weitverbreitet, werden aber von einer 
großen Anzahl oftafrifanifcher Stämme gar nicht benutzt und jcheinen bei einigen derjelben 
den niedrigern, unterworfenen Völkern zugemiefen zu bleiben und als minder edle Waffen 
betrachtet zu fein. Alle echt afrikaniſchen Bogen haben einfache, nicht, wie die aſiatiſchen, 
eingedrüdte Wölbung. Flinten finden rafchen Eingang. Große Streitfeulen, Wurfvor- 
rihtungen für Speere, lange Schwerter find dem eigentlihen Negern unbefannt. Wurf: 
eifen und Wurfhölzer fommen nur bei den nördlichiten Stämmen vor, 

Zur Kriegsausrüftung des Negers gehören noch andre Dinge als Waffen, denn er 
ſucht auch durch den Echreden zu wirken. Er ſchmückt fi zum Kriege, wie bei Feiten, 
durch erneutes Auftragen von Oderfalbe, wodurch die dunkle Haut die Färbung friſch 
gegoffener Bronze erhält, gegen welde die blank gepugten Eijen= und Mejfingornamente 
gligernd abftehen. Einige Eijenfetten oder ein ſteif abftehender Ring von Zebramähne 
freuzen jchärpenartig die Bruft. Das trogige Geficht ift bei Zulu und Verwandten umrahmt 
von einem Kreife auf Leder befejtigter jchwarzer, kurzer Straußfedern, aus welchen 





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1-10, 14-32 Speere, Lanzen, Shladtärte, Wurfleulen von Raffern, Kongonegern und Zentralafrilanern (Mufeum 

ded Berliner Miffionshaufes, Mufeum für Völtertunde, Berlin, und Christy Collection, London); 11—13 Brufihild, 

Shild und Kriegätrompete von der Oftlüfle (Christy Collection, London, und Mufeum des Berliner Miffionshaufes); 
83 Armbrufibogen der fyan (Christy Collection, London). wirtl. Größe, 





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Menſchenfreſſerei. 171 


ſich auf dem Scheitel hoch wallende weiße oder keck emporgerichtete Hahnenfedern erheben. 
Die Wakamba legen ein Pavianfell kappenartig über den Kopf, ihre Kniee zieren ſchwarz— 
weiße Fellitreifen des langhaarigen Colobusaffen. „In ber einen Hand den Bogen, in 
der andern ein Bündel Wurfjpeere oder Giftpfeile, am Arme den fat mannshohen, grell 
bemalten Schild, fo ftürzt er mit wahnfinnigen Wutfprüngen unter tiefgrölendem Kriegsrufe 
und angejpornt durch das grelle Pfeifen der ‚Ngoli‘ (Kriegsflöte) in den Kampf, ein 
graujes Bild des Wilden.” Noch jchredender ift der Eindrud, wenn der dunfle Körper 
weiß oder rot oder mit beiden Farben in verjchiedenen Muftern bemalt ift, und wenn das 
Kriegsgejchrei von jener wilden Mufif 
begleitet wird, in welcher man ein un— 
verfennbares Nachbild des tropiichen Ge: 
witters erfennen wollte. Die Gejcdhichte 
der Kaffernfriege lehrt, daß jelbit euro: 
päiſche Truppen gegen eine ſolche Ent: 
faltung friegerifcher Wildheit nicht immer 
gepanzert waren. 


Durd) zwei Adern hängt Grauſam— 
feit mit der Religion bei Völkern auf 
der Stufe der Neger zufammen: einmal, 
indem die legtere jelbjt graufamen Ge: 
bräuchen huldigt, dann aber, indem jie 
in höherer Ausbildung der Neigung zu 
grauſamem Thun entgegentritt. Nun ift 
die Religion der Neger feine der grau: 
ſamſten, wie überhaupt der Negercharaf: 
ter fih von feinem geiftigen Faktor über: 
mäßige Opfer fordern läßt; aber es kom— 
men Menjchenopfer vor, wenn auch nicht 
in folder Ausdehnung wie einjt bei den 
Merifanern. Selbit Menjchenfrejjerei 
findet fih. Die Neigung befonders der - 
Araber, überhaupt der den Menſchen— Gin Shwert vom Camerun (Britifhes Mufeum). %s wirt. Größe. 
freffern benadhbarten Völker, die vielleicht 
irgend etwas von jenen zu fürchten haben, diefe unmenjchliche Sitte zu übertreiben, trägt 
zwar viel dazu bei, diejelbe zu einer jchwer zu erfennenden und zu beurteilenden zu machen. 
Livingftone erzählt als Beweis für die Leichtgläubigkeit der Araber, daß, als in Manyema 
ein Bote einen in ein Blatt eingemwidelten menfchlihen Finger vorübertrug, der einem 
Erjchlagenen abgejhnitten worden war, um an einem dritten Orte zum Zaubern gebraucht 
zu werden, jene darin jofort einen Beweis für die Menjhenfrefferei der Manyema jehen 
wollten. So geht die Kannibalenfage, welche von den Njam=Njam her ſchon Hornemann 
in Murfuf erreichte, durch alle afrifanischen Stämme und wird in alle Himmelsgegenden 
und Yänder verlegt. Aber ohne Zweifel ijt fie an mehr als einer Stelle beredtigt. Um 
von den nachgewiefenermaßen anthropophagen Monbuttu und Njam:Njam zu jchweigen, 
deren Sitten wir noch näher zu betrachten haben werden, möchten wir hier nur auf die 
mweitverbreiteten und in mehr als einem Falle bejtätigten Nachrichten von anthropophagen 
Betſchuanen aufmerffan machen, weil diefelben zeigen, daß dieſe Barbarei aud) dort Plat 
greift, wo fie nicht hergebradht it. Das Elend der Matabelefriege hat im Lande der 





172 Allgemeines über die Neger. 


Maſchona und Makalafa ganze Stämme zu Menjchenfreffern gemacht. Menfchenopfer 
erwähnen von dort Merensfy und Holub. Sie wagen offenbar nicht immer jo unver: 
hüllt in die Öffentlichkeit zu treten, aber wir haben unverbädhtige Zeugniffe dafür, daß fie 
ftattfinden. Nur ift ihr religiöfer Charakter nicht immer leicht feftzuftellen. Wenn der 
Herrſcher von Dahomey noch in den fiebziger Jahren jährlich bis zu 500 Menjchen opferte, 
iſt e8 nicht klar, ob er fie feinem Grolle oder feinem Gotte hinfchlachtete. 

Die in Afrika immerhin nicht gerade gewöhnlichen Menfchenopfer werden nicht zufällig 
gerade im Zufammenhange mit Häuptlingen öfters genannt. Nah Joſeph Thomjon 
wird der Hauptmann oder das Faktotum eines Walunguhäuptlinges ftet3 bei dem Tode 
feines Herrn getötet und mit ihm begraben. „Dies wird von dem Volke jelbft ausgeführt 
und fteht im engiten Zufammenhange mit der nationalen Sitte.” Aus diefem Grunde 
wagt e3 fein Walunguhauptmann, fi) gegen das Leben feines Herren zu verſchwören, 
da er damit jein eignes Todesurteil unterjchreiben würde, und es liegt in gleichem Grade 





Aus Menfhenihädeln gebildete Trintgefäbe der Aſchanti (Britifches Mufeum). 


in feinem eignen Intereſſe, jeden ähnlichen Verfuh von andrer Seite zu verhindern und 
mit allem Eifer für des Herrn Sicherheit zu wachen. Ein andrer barbarifcher Braud, 
den wir nur unter Vorbehalt hier anführen möchten, da Thomſon ihn nicht jelbit 
beobachtete, bejteht darin, daß bei dem Tode eines Walunguhäuptlinges alle feine Frauen 
(und fie find jehr zahlreich), mit Ausnahme einer einzigen, zugleich mit feinem Hauptmanne 
getötet und verbrannt werden. Ein ſchlimmeres Schickſal erwartet die eine, welche nicht 
getötet wird. Man gräbt ein Loch, welches gerade hinreicht, fie aufzunehmen. In diejes wird 
fie geftellt und dann überfchüttet, wobei man nur eine ſchmale Öffnung läßt, durch welde 
fie atmet und ein Speer in ihre Hand geführt werden fann. Sobald zwei Tage nad) dem 
Begräbniffe verlaufen find und es fich findet, daß fie das ſchreckliche Gefängnis überlebte und 
den Speer noch in ihrer Hand behalten hat, jo nimmt man fie heraus und geftattet ihr 
zu leben. Sit fie tot oder gibt fein Lebenszeichen, jo bedarf es weiter feines Begräbniſſes, 
und die Sache ift erledigt. Ähnliche Gebräuche waren lange Zeit an der Goldfüfte üblich, 
wo mit der Zeit aus der Tötung der Häuptlingsmwitwen die mildere Form der Einkerkerung 
über die Zeit des Begräbnifjes fich herausgebildet hat. Unzweifelhaft fommen Menden: 
opfer bei Totenfeiern und Begräbniffen auch ſonſt vor. Bekanntlich) wird die Bejchneidung 
als ein Reſt davon angejehen, und dieje ift faft allen Negern eigen. Menſchliche Hirnſchalen, 
zu Trinfgefäßen benugt, fennen wir von der Guineafüfte (ſ. obenftehende Abbildung), Men: 
jchenzähne als Schmuck von verjchiedenen Seiten. Außerdem wird mit Menjchenfleiich ver: 
dächtiger Hofuspofus getrieben. Mit Menjchenfett jalbt der Häuptling der Matabele jeinen 
Leib, macht er die Ländereien fruchtbar. Ein Aberglaube an die Wirkjamkeit von Teilen 


Menſchenopfer. Gottesidee der Neger, 173 


menschlicher Leichen geht durch alle Negeritämme. Der Schmied unter manden Stämmen 
legt erit ein Stüd Menſchenfleiſch in die Eſſe, ehe er die Arbeit beginnt, und der Giftmifcher 
glaubt darin ein Mittel zu haben, feinen Feind fchnell und ficher aus der Welt zu ſchaffen. 

Welchem Gotte nun werden dieje Opfer gebradht? Glaubt der Neger an einen Gott? 
Er fühlt ohne Frage das Bedürfnis, eine Anzahl von Vorſtellungen, die an das Über: 
finnliche ftreifen, mit einem höchſten Wejen in Beziehung zu fegen. Wie er fi) dasjelbe 
denft, hat uns noch niemand gejagt. Wahrſcheinlich weiß er es felbjt nicht, d. h. er 
macht jich Fein beftimmtes Bild von diefem Weſen, dem übrigens in allen Bantuſprachen, 
d. h. in den von der großen Mehrzahl der afrikaniſchen Neger geſprochenen Spraden, 
mehrere Namen: Modimo, Ukulunfulu, Itonga, beigelegt werden. Die einen jagen: 
„Modimo, Gott, wohnt in einer Höhle, nad) Nordoften hin gelegen, aus der alle Tiere 
hervorgegangen find; es waren die Berge und Feljen damals noch weich, darum find die 
Fußſtapfen der Tiere in den Felfen bei jener Höhle zu fehen bis auf den heutigen Tag”. 
Oder: „Gott wohnt unter: der Erde und hat nur ein Bein“. Sowohl die Bafuto als 
Betichuanenftämme bezeichnen Gott in der Mehrzahl als Badimo und Amatongo, d. h. 
Götter, und laffen fie bejonders durch Träume auf die Menſchen wirken. Bei den Zulu 
werden die Seelen der abgejtorbenen Häuptlinge zu Amatongo. Bon dem höchſten Wefen 
Itongo jcheiden die Zulu einen Ululunfulu, d. h. den Größten, der bei der Schöpfung 
der Menjchen eine Rolle fpielt. Er hat die Menjdhen aus dem umhlanga, d. h. Morafte, 
erſchaffen, aus dem er jelbit fam, und zwar im Anfange (kugala). Er rief und ſprach: 
„Ss kommen hervor Menjchen”, da famen hervor alle Dinge, Hunde und Vieh, Heu: 
ihreden und Bäume, Gras und Korn. Er gab den Menſchen Schußgeifter, Doktoren und 
Arzneien, gebot, daß Gejchwilter einander nicht heiraten follten, jegte auch Könige ein. 
Wollen die Erwachſenen im Krale die Kinder los fein, fo Jagen fie: „Geht und ruft den 
Ukulunkulu und bittet ihn, daß er euch ſchöne Sachen gebe”. Dann gehen die Kinder 
und rufen und Ichreien, aber niemand antwortet ihnen. 

Unzweifelhaft ift in diefer Gottesidee etwas Vermworrenes, ein Zug wie von 
Heruntergefunfenfein aus einft Elarerer Höhe. Sie entjpricht mehr unjern in der Sage herab» 
geitiegenen und menjhlih mit Menfchen verfehrenden Göttern als den fern in unzugäng- 
fihen Himmelshöhen maltenden Geiſtesmächten unfrer geiftigern Religionen. Aber die 
uriprünglihe Einheit eines höchſten Weſens jcheint noch durch. Diejelbe tritt wohl am 
beftimmteften an der Meftfüfte hervor, wo, wie mandes andre, auch die mythologiſchen 
Vorſtellungen fich reiner erhalten haben als in dem von Völferzügen und Kriegen durch— 
mwühlten Often. Und wie überall, bethätigt die Gottesidee fih am Harften in der Schöpfung 
und Erhaltung der Welt. Während man die unperfönlide Allgegenwart des Höchſten, 
wie fie uns als Glaubensjat der Afem überliefert wird, vielleicht für eine unbemußte 
Interpolation optimiftiicher Beobachter, etwa aus dem Stande ber Miffionare, halten darf, 
erinnert jeine Verförperung im Himmelsgemwölbe, das aber nur als Teil feines unermeß- 
lihen und unendliden Wejens gilt, welchem weder Geburt nod Tod, weder Alter noch 
Jugend zuzufchreiben find, allzu auffallend an malayo-polyneſiſche Vorftellungen, um nicht 
als in dem Kreife der Vorftellungen von Naturvöltern liegend betrachtet werden zu fönnen. 
Und wenn bies an der Goldfüjte geglaubt wird, fo entipricht e8 dem Glauben der Madi am 
obern Nil, weldhe den erften Menſchen vom Himmel fommen laffen. Vollendet wird biefe 
Ähnlichkeit durch die Angabe, daß der Himmel der Vater der Welt, die Erde aber deren Mutter 
ſei. Sie fehrt wieder in jenem leichten Anklange an die Baradiesjage, welchen die Wafamba 
in der Erzählung haben, daß im Anfange das ganze Firmament ſamt der Sonne friedlich auf 
Erden verkehrt hätte. Als aber eines Tages die Sonne einer Adanfonie zu nahe gefommen 
und diefer Baum dadurch verdorrt fei, habe ſich ein Streit entzündet, der zu einer Scheidung 


174 Allgemeines über bie Neger. 


der Geitirne von der Erde geführt habe. Diefe Sage erinnert auffallend an melanejtiche 
und polynefifche Mythen, an die mikronefiihe Sage vom Dengesbaum und Ähnliches. 

Eine ſcharf beitimmte Idee vom Jenfeits ift felten vorhanden, aber eine große Anzahl 
von Gebräuchen bezieht fi auf ein Kortleben nad dem Tode, wie unbeftimmt auch die 
Vorftellung davon fein möge. Man glaubt, daß die Seele (Hau?) des Menſchen mit ihm 
fterbe, daß aber fein Geift (Schatten?) unter die Erde gehe und mohl auch von da wieder: 
fehre. Gräber find heilig, und die Verwandten des Verftorbenen kommen zu denjelben, um 
fi Orakel zu holen. Auffallenderweife findet man häufig den Kultus der Verftorbenen mit 
einer Art von Schlangenkult verbunden. Die Kaffern leiten Glüd und Unglüd im ge 
wöhnlihen Leben von den Geiftern der Abgejhiedenen, befonders von denen abgejchiedener 
Häuptlinge, her. Dieſe Geifter heißen Amalofi oder Ozituta und wohnen in Schlangen. 
In einer Art Schlangen wohnen Häuptlinge, in einer andern gewöhnlidhes Volk, in einer 
nod andern Weiber. Kommt eine Schlange in das Haus, fo beobachtet man, ob fie wieder 
fortgeht oder nicht. Läuft fie fort, jo it es eine wilde Schlange; bleibt fie, fo it es der 
Kongo, Gott des Haufes. Wird eine Schlange getötet, weil fie giftig ift oder dafür 
gehalten wird, jo erjcheint der Geift, der in ihr wohnte, den Leuten im Traume; war es 
der Geilt eines Häuptlinges, jo wird die Schlange begraben, ſpäter aber ihr Gerippe am 
Thore des Dorfes aufgehängt. Ahr Tod aber wird durch ein Opfer gefühnt. Schlangen 
find die einzigen Tiere, weldhen von den Dinka ſowohl als von den Schilluk eine Art 
göttliher Verehrung gezollt wird. Die Dinfa nennen fie „ihre Brüder” und betrachten 
die Tötung derjelben als ein Verbrechen. Verjchiedene Gewährsmänner, die Schwein: 
furth um Auskunft anging, beteuerten jogar, daß einzelne Schlangen perjönlid dem 
Hausbefiger befannt jeien, daß er fie beim Namen nenne, und daß er mit ihnen wie mit 
Haustieren verfehre, Die Schlangenarten, weldhe die Dinfahütten bewohnen, find übrigens 
durhaus unfhädlihe Geſchöpfe. Diefe Anichauungen, die in Oftafrifa mweitverbreitet 
find, gehören dort nicht nur den Negern an. Bei den Gallavölfern findet man den 
CS hlangenkultus in berfelben Geftalt, und die Abejfinier follen nah Krapf vor ihrer 
Bekehrung zum Chriſtentume eine große Schlange angebetet haben. Die Zulu begen den 
Schlangenaberglauben in ausgeprägter Form. Bei den Betichuanen erinnern nur einige 
Züge im Glauben des Volkes an Schlangendienft, fo die Sage von dem Mamotebe, 
einer Schlange, die als Flußgott, der in irgend welcher Geftalt bei allen Negerftämmen 
wieberfehrt, in den Strömen wohnt; jo der Glaube, daß dem, welcher die Rieſenſchlange 
jehe, großes Glück bejchieden fei, oder Sagen, nad denen weiße Schlangen die Waſſer— 
hüter oder Waſſerſpender in den Quellen find. Auch bei den Zeremonien, welche bie 
jungen Mädchen durchmachen müffen, um für heiratsfähig erflärt zu werden, findet ſich 
bei einigen Bafuto der Gebraud), daß aus Thon ein Schlangenbild gemacht wird, welches 
man umtanzt. Vielleicht eine Erinnerung an den alten Gögendienft (nah Merensfy). 

Die Begräbnisformen deuten in ihren vollfommmeren Ausprägungen, wie man fie 
bei weitaus den meiften Stämmen findet, auf den Wunſch, die Erinnerung an den Verſtor— 
benen zu pflegen und fich mit ihm im Zufammenbange zu halten. Daher die Errichtung 
eines Steinhügel3 über oder neben dem Grabe, deſſen Umzäunung mit Schädeln Beſiegter, 
Elefantenzähnen und andern Jagdtrophäen verziert ift; die Anlage nifchenförmiger Gräber, 
um ben Leichnam vor der direften Berührung mit der Erde des Grabhügels zu ſchützen; 
das Hüten der mit Fetiſchhütten ausgeftatteten Königsgräber bei den Lunda und Waganda, 
welche von den Herrichenden zeitweilig befucht werden müljen; der Gebrauch der Ovaherero, 
Zauberer, die zu fürchten find, an möglichit abgelegenen Stellen zu beerdigen, damit fie 
fich nicht zurüdfinden, und Ähnliches. Die Dualla und andre Weftneger beerdigen in 
ihren Hütten. Bei manden Negervölfern zeritört man die Hütte, die der Verftorbene 


Schlangendienſt. Begräbnisformen. Grabhügel. 175 


bewohnt hat, oder es wandert das Dorf, wenn ein Häuptling ftirbt. Ein lehter Aus: 
läufer davon mag es jein, wenn die Manganja, welche ihre Toten zwei Tage beweinen, die 
Töpfe berjelben zerbrechen und ihre Vorräte ausgießen. Als Zeichen der Trauer windet 
man dort auch Palmblätter um Kopf, Hals, Bruft, Arme und Beine und läßt diejelben 
hängen, bis fie abfallen. Man gräbt die Gräber an gemeinfamen Plägen in der Nähe 
der Dörfer und in dem Schatten von Bäumen. Die Manganja pflanzen auf diefelben 
außer den Geräten, welche die Toten im Leben benußten, auch wohl eine Bananenftaude 
an das Kopfende. Die nördliche Lage des Hauptes foll bei den Nyafjaftämmen allgemein 


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Grabſtätte und getttaee Baum don Mbinda (nah Stanlen). 


jein, während die Gräber in Bihe weftöftlich angelegt find. Bei folder Begräbnisweije 
glaubte man offenbar an irgend ein Fortleben nad) dem Tode, welches an der Camerun— 
füfte in der Weife näher bejtimmt wird, dab die Seele neun Tage braude, um an 
den Drt ber ewigen Ruhe, bier Bela genannt, zu gelangen. Daher findet erjt neun 
Tage nad) dem Tode die Totenfeier ftatt. Ein alter Manganja jagte Livingftone: 
„Hier leben wir nur wenige Tage, aber nad) dem Tode leben wir noch einmal; wo oder 
in welcher Lage oder mit was für Gejellihaftern, das wiffen wir nicht, denn die Toten 
fehren nie zurüd, um es uns zu jagen. Bisweilen fommen die Toten wieder und erfcheinen 
uns in Träumen; aber fie ſprechen nie, noch fagen fie uns, wohin fie gegangen find, 
oder wie e3 ihnen geht.” Ein andrer gebraudte von den Toten den Ausdrud: „Sie 
ichlafen”. Teils als Grabmäler, teil3 wohl auch nur als unflare Gedenkzeihen zu Ehren 
irgend eines geiftigen Wejens haben wir die Steinhaufen (von den englifchen Reiſenden 
etwas anſpruchsvoll als „Cairns“ bezeichnet) zu betrachten, welde in Südafrifa und im 


176 Allgemeines über die Neger. 


füdlihen Äquatorialafrika eine häufige Erfcheinung find. Auch fcheinen fie nicht nur in 
den Negerländern, jondern auch bei den Hottentotten einerjeit3 und den Galla anderſeits 
vorzufommen. Man findet fie am bäufigiten auf Bergen, in Päſſen, an Wegen, kurz 
an Stellen, die aus irgend einem Grunde bezeichnet werden follen, am häufigiten wohl 
als Grenz: oder Wegmarfen. So erheben fich zwei genau an dem Punkte, wo man, 
von Miule aus dem Novumagebiete nah dem Nyaſſaſee hinabfteigend, den eriten Blid 
auf deſſen blauen Spiegel gewinnt. Die Eingebornen, welde man über den Urjprung 
diefer rohen Denkmäler fragt, willen oft feinen Zwed für diefelben anzugeben, jondern 
meinen, fie feien nur zufällig von einem zujammengeworfen, der hier einen Garten 
maden wollte. Doc willen wir, daß manche Negeritämme auf oder neben den Gräbern 
derartige Steinhügel errichten. Bei den Bongo nehmen fie ſogar cylinderförmige Geftalt an, 
einer der wenigen Fälle, wo die Negerphantafie an monumentale Architektur ftreift. Much 
an einzelne Steine fnüpft fi Verehrung unbekannten Urfprunges, jo an alte Steinwaffen. 
Ein riefiger Granitpfeiler bei Kambala (Benguela) heißt Tembalui, Teufelsfinger. 

Die Ausdrüde für Gott in den verjchiedenen ſüdafrikaniſchen Kaffernfpradhen deutet 
Bleek eben auf den Zufammenhang des Begriffes eines höchſten Weſens mit 
dem Ahnenkulte diejer Völker. In der Zuluiprache wird von den beiten Autoritäten der 
Begriff Gott mit Unkulunkulu wiedergegeben, welches von dem Adjeftivftamme kulu (groß, 
alt) hergeleitet ift und urjprünglid „Urahn” bedeuten dürfte. Das Mulungulu des Dia: 
leftes von Inhambane, felbit das Milungu des Kilamba und dad Mungo des Kipofomo 
find nädjftverwandt. „Es ift überrafchend“, fagt Bleek, „zu finden, daß zwei anfcheinend jo 
verfchiedene Worte wie Unkulunkulu und Mungo identiich find; aber wir fönnen in diefem 
Falle die gradweije Verftümmelung jo genau verfolgen, daß fein Zweifel möglid) iſt.“ Die 
Dvaherero gebrauchen für Gott das Wort Omufuru von kuru, das in ihrer Sprade „alt“ 
bezeichnet, alſo dem kulu der Zulu entipriht. Auch da, wo man andern Worten für den 
höchſten Begriff begegnet, ift doch immer der Zufammenhang mit dem Ahnenkulte merklich, 
fo in dem Worte des Sifuto für Gott: Molimo, welches zugleich „Ahnengeiſt“ bedeutet. 
Merkfwürdigen auftraliihen Anklang hat das Emweerwort für Gott: Anianfopong. 


Der Tieraberglaube it bei allen Negern mädtig entwidelt. An jegliches Tier 
fnüpft fi irgend eine abergläubiiche Vorftellung, und nad) den Helden fpielen die Tiere 
die größte Rolle in ihrer Poelie, die voll Tierfabeln und Tiergefhichten ift. Eine Anzahl 
von Tieren wird von den Eingebornen gejchont, entweder weil fie diefelben zu töten fürdten, 
oder weil fie vor ihrem Genufje als Speife zurüdichreden; aber es läßt fi) daraus nicht 
jofort ein Schluß auf Tierverehrung ziehen. Es ift allem Anſcheine nach nicht? als ein 
unflarer Aberglaube, der auch auf mande andre Gegenftände fich erjtredt. So haben 
faft alle ſchwarzen Stämme Südafrikas einen jo entichiedenen Widerwillen gegen Fiiche 
jeder Art, daß fie von denjelben nit nur nicht eſſen, ſondern jogar vor der Berührung 
derjelben zurüdichreden. Gewöhnlich behaupten fie, die Fiſche jeien Schlangen, Waſſer— 
ichlangen, und fie fürdhteten fich daher, jolde zu verzehren. Der Bawanketſihäuptling 
Gaſſiſioe bat fih von einem Händler, bei weldhem er aß, Meffer und Gabel aus, mit 
denen fein Filch berührt worden jei. Dagegen bewies ber eitle Setjcheli den europäijchen 
Firnis, mit weldem er zu glänzen liebte, indem er Fiſche jeder Art aß und dabei ſagte, 
er wiſſe ebenfo gut wie die Weißen, was leder fei. Auch das Schwein wird von den 
meiten Stämmen verabjcheut und iſt daher nur bei einigen Haustier. So ijt bei den 
Bewohnern ber Kalahari auch der Glaube weitverbreitet, daß es unglüdbringend ei, 
einen alten Löwen zu töten, weshalb fie diefen Tieren, die gerade bie für Menjchen gefähr: 
lichiten find, nicht entgegentreten. Die Madi laſſen veritorbene Freunde mit Vorliebe in 


Ahnenglaube, Tier: und Baumverehrung. 177 


Lömwengeftalt wiederfehren. Ebenfo gilt der Vogel Scopus umbretta, von. den Boeren 
Hammerfop genannt, für unverleglih. Biel allgemeiner ift noch die Schonung ber Hyäne, 
die wohl mit dem Glauben zufammenhängt, dab die Zauberer Menſchen in Hyänen zu 
verwandeln vermögen. Die Mafonde eifen fein Leopardenfleiſch, angeblich, weil diefe Tiere 
Menſchen freifen. Ob diefe Scheu damit zufammenhängt, daß jeder von diefen Stämmen 
fein nationales Tier hat, 5. B. die Batlapi auffallenderweie den Fiſch, die Bakuena das 
Krokodil, die Bakatla den Affen, die Bamangwato den Duder (Cephalophus mergens, eine 
Antilopenart), ähnlich wie gewiſſe Aſchantiſtämme die Wildfage, andre den Büffel gleichſam als 
Wappentier ehren, ift Schwer zu jagen; denn von den Urſachen diejes Glaubens, ganz wie von 
denen ihrer andern abergläubifhen Meinungen, geben fich diefe Völker feine Rechenſchaft. 
Daß indeſſen zwiſchen beiden Thatſachen einmal ein Zufammenhang bejtand, macht das genau 
entiprechende Atua- und Kobongiyitem der Polynefier und Auftralier glaubhaft, bei welchen 
jeder Stamm ein Tier als Symbol hochhält, deffen Tötung Verderben bringt. Ein wichtiger 
Grund für jene Scheu ift jedoch ohne Zweifel auch der Tierreihtum des Landes, ferner 
die in freundlichem und feindlichem Sinne innigfte Berührung diefer Völker mit den zahl: 
lojen Tieren, mit welchen fie das Land teilen, oder welche fie ald Haustiere um ihre Krale 
verjammeln. In der That jteigert ſich, wie es jcheint, die Mafje des um ein bejtimmtes Tier 
fih ranfenden Aberglaubeng mit der Größe und Wichtigkeit dbesfelben, und fo könnte man 
mit dem Elefantenaberglauben allein ein Kapitel reichlich füllen. Dieſer Aberglaube geht 
jo weit, daß ſogar der Schmutz an den Stoßzähnen friſch getöteter Elefanten von den 
Matabele abgefragt und als Zauber benugt wird. Wenn fie ihn 3. B. an die Nafe halten, 
glauben fie fi) gegen Najenbluten an heißen Tagen gefhügt. Der gewöhnliche Jagdzauber 
aber, der Elefanten zum Schuſſe bringt, befteht darin, eine Schildfröte, wenn man ihr 
begegnet, aufzunehmen und anzujpeien, dann fie an die Stirn zu halten und endlich fie 
wieder laufen zu laffen. Man thut dies mit jeber begegnenden Schildkröte, jei fie groß 
oder Hein. Unzählige mit der Zucht und Wartung der Rinderherden zufammenhängende 
Gebräuche werden wir fennen lernen, wenn wir von den leidenfhaftlich viehzüchtenden 
Nationen Ditafrifas, den Betichuanen, Zulu, Wapokomo, Dinka, zu ſprechen haben werben. 

Ein andrer Sagenfreis, der alle Negervölfer umfaßt, hat zum Mittelpunfte Rieſen— 
bäume. Aus folhen Bäumen wollen ganze Völker hervorgegangen fein, in ihren Äſten 
lajjen fie gute Geifter wohnen und hängen fie Trophäen auf, in ihrem Schatten begraben 
fie ihre Token, unter denfelben halten fie feierliche Verfammlungen, wo Verträge geſchloſſen 
werden. Dieſer Baumkult ift interefjant, da offenbar ein Stüd Naturpoefie daraus her: 
vorihaut und die Erinnerung an den Schöpfungs: und Götterbaum jo vieler Völker 
naheliegt. Der größte Baum, den Frank Dates zwilhen Natal und dem Zambefi 
gejehen, war ein riefiger Baobab am Umvungu im Matabelelande. Die Eingebornen 
erkannten die Roefie in diefem Rieſen; da ihre Häuptlinge in ſeinem Schatten bei befondern 
Gelegenheiten ihre ZTrinfgelage abhalten, wird er der „Sndunabaum” genannt. Bet 
den Wapokomo und den meilten Wejtafrifanern ift derjelbe befannte Riefenbaum Gegen: 
ftand der Baumverehrung, bei den Herero wurde als diefer „Mutterbaum‘, wie fie ihn 
nannten, von Anderjjon Quereus africana angegeben, während die Beihreibungen, 
welde Chapman, Baines und andre madhen, auf das Stinfholz der Boeren, Laurus 
bullata, pafjen. Die Damara verehren diefen Baum und fein Holz jo jehr, daß fie 
jogar Furdt davor haben und Umwege madhen, um Pläge zu vermeiden, wo er jteht. 
Bon diefem Baume tragen Ortlichleiten, an denen er wählt, ihre Namen, jo Omume 
borombonga (nah Galton Ombarombonga) im nördlihen Damaralande, und dieſe Ort: 
fichfeiten find weit durd das Volf hin bekannt, wie heilige Haine es im alten Germanien 
geweſen jein mögen. Auch ftehen Fetiſchhütten oft im tiefiten Walde, 

Bölfertunde, I, 12 


178 Allgemeines über die Neger. 


Einen dritten Aberglaubensfreis befchreibt die Negerphantafie um das Waſſer. 
Quellen und Bäche haben ihre Geifter; der Uferewe hat in Uganda fein eignes Priefter: 
paar, defjen Macht nur derjenigen des Königs felbft nachfteht; auch der Logone hat feinen 
Priefter, und zum Leichen, daß auch hier das Gemaltige feine Wirkung auf die Neger: 
phantafie nicht verfehlt, hegten die Batofahäuptlinge, als fie noch den mittlern Zambefi 
beherrichten, zwei Heine Inſeln am Rande der mächtigen Wafferfälle als heilige Orte. 

Der Mond übt eine wohl noch mächtigere Anziehung auf den Negergeilt. An das 
Miederfehren dieſes Gejtirnes knüpfen fich ebenjo regelmäßig wiederkehrende lärmende 
Nachtfeſte. Seine Verfinfterungen jucht man zu verfheuden. Franf Dates, der eine 
Mondfinfternis im Matabelelande in Gejellihaft von Eingebornen erlebte, jah, wie fie 
Feuerbrände nad dem verfinfterten Monde unter lauten Verwünſchungen oder Beſchwörun— 
gen warfen. Den Schatten bezeichneten fie als Rauch. Andre lafjen ein Ungeheuer den 
Mond bedrohen. Jedenfalls gilt die Verfinfterung als etwas Übles, ebenfo wie die Zeit 
des abnehmenden Mondes ungünftig, die des zunehmenden günftig gedeutet wird. Der 
Sonne bringen fie bei weitem nicht ſoviel Teilnahme entgegen, dafür ift fie in Afrifa zu 
jelten verhüllt. Dem Regen aber, der in dem zur Dürre neigenden Klima des größten 
Teiles von Afrika eine vielerbetene Wohlthat ift, juchen fie mit Zauberern beizulommen, 
deren merfwürdiges Thun wir noch näher zu betrachten haben werden. Die Kometen 
gelten auch unter den Kaffern als üble Vorzeichen, bei den Betſchuanen um jo mehr, als 
dem großen Kometen von 1816 ein blutiger Einbruch der Matabele gefolgt war. Einige 
jehen das Vorzeichen des Todes eines Häuptlinges darin, andre das Zeichen von irgend 
jonft etwas Unerwünſchtem. Bor Meteorerfcheinungen werfen fih die Schilluf dreimal zu 
Boden, und andre Nilneger fpeien bei ihrem Anblide dreimal aus. 

Bon Erbbeben ſpricht man nicht gern. Livingftone bemühte ſich vergebens, eine 
Mitteilung über diejelben bei den Nyaffavöltern zu erhalten. Offenbar bringt man fie mit 
böjen Geiftern in Zufammenbang und fieht üble Zeichen in ihnen. Es ericheint daher 
ein um jo bemerfenswerterer Aufſchwung zu rationeller Auffaffung, daß nad) einem äußerit 
heftigen Erdbeben in Magomero, welches Felſen von den Berggipfeln herabftürzen machte, 
alle weifen Männer des Landes ſich zu einer Beiprehung über das Ereignis verfammelten 
und zu dem Schluffe famen, daß vom Himmel herab ein Stern ins Meer gefallen jei, 
deſſen Aufwallen die ganze Erde in Bewegung gebradt habe; die Wirkung fei fo geweſen, 
wie wenn man einen glühendheißen Stein in einen Topf mit Waffer werfe. Die Meinung 
bes „Volkes“ ift jedenfalld anders, denn J. Chapman, der 1854 in Setjchelis Stadt ein 
ftarfes Erdbeben erlebte, ſah mit Staunen, wie in einem Augenblide alle Weiber mit 
Keulen und Hauen auf der Straße waren, um nad dem Himmel hinauf zu drohen und 
Gott unter den jchredlichften Ausrufen zu fluchen. Der aufgeflärte Setfcheli ging nicht 
fo weit, behauptete jedoch, daß irgendwo in einem andern Lande ein großer Häuptling 
geftorben jei, und trug Chapman auf, ihn jpäter wiſſen zu laffen, wer es geweſen, durch 
befien Tod das Erdbeben hervorgerufen worden ſei. 

Vorübergebend mögen hier Spuren von Feuerdienft erwähnt werden, die bei den 
verschiedenften Negerftämmen vorfommen, welche die Feuerftätte heilig halten und das Feuer 
vor Verunreinigung bewahren. Die Ovaherero übertragen eignen Jungfrauen die Sorge 
für das Feuer, das, wenn verlofhen, unter Zeremonien nur durch Reibung angefacdht 
werben kann. Feuer zu hüten, it oft Pflicht des Häuptlinges. Am weiteften haben aud) 
dieje Idee die MWeftafritaner ausgebildet. In Dahomey (Weſtafrika) ftellt man in einem 
Zimmer ein Gefäß mit Feuer auf und bringt ihm Opfer dar, damit das Feuer darin 
„\ebe” und nicht herausfomme, um das Haus zu zerftören. Diefes Feuer wird hier 
angeblih als die Manifeftation des Feuergottes gedeutet. 


Verſchiedene Naturbienfte. Fetiſche und Götzen. 179 


Der Fetiſchdienſt, der mehr bei den Nord- und Zentral: als den Süd- und Oſt— 
negern üblich iſt, ſchreitet von der Verlegung wirkſamer Geiſterkräfte in die Geſchöpfe der 
belebten und unbelebten Natur zu der Verehrung derſelben in den für dieſen Zweck her— 
geſtellten oder zugeſtutzten Werken von Menſchenhand fort. Es iſt offenbar ein Rück— 
ſchritt von der Naturverehrung, wie fie im vorſtehenden ſkizziert iſt, und der Weg 
dieſes Schrittes ſcheint an Grabſtätten und Seelenwohnſtätten vorüberzuführen; denn die 
zurückkehrenden Geiſter der Verſtorbenen machen einen großen Teil der Fetiſche, indem 
fie in Dingen ihre Wohnung aufſchlagen, die dadurch Heilig und heilfam werden. Wenn 
Livingſtone einmal betont, daß, je weiter nad) Norden, um fo bejtimmter die Ideen der 
Eingebornen über religiöje Gegenftände werben, wofür er allerdings eine Urſache nicht 
angibt, jo mwiderjpricht dem gerade die Zunahme des Fetiſchdienſtes in biefer Richtung. 
Ein jehr ſcharfer Unterfchied iſt jedoch auch hierin unter den Negern nicht zu machen, 
denn die Amulette, mit denen fie ſich alle behängen, find dod am Ende auch mur trag: 
bare Fetiſche. Hauptſächlich aber ift die diejer rohen Art von Gottesverehrung inne: 
wohnende Beziehung zu der Verehrung der Seelen Verftorbener ein allgemeiner Zug des 
Glaubens und Aberglaubens der Neger. Die Holzfiguren der Bongo haben nur bie 
Erinnerung an einen Verftorbenen zum Zwede, und am beutlichiten gibt fi das an den 
„Moiägoh fumarah” genannten zu erkennen, d. i. das Bild der Frau, welches der über- 
lebende Gatte pietätvoll gleich einem Penaten in feiner Hütte aufitellt. Auch ermordeten 
Perſonen männliden Gejchlehtes pflegt durch Aufitellung von jolden Penaten eine 
geheiligte Erinnerung zu teil zu werden. Wenn Livingftone in den Dörfern der 
Manganja am Lofuswa Feine, etwa zwei Fuß hohe Hütten fand, welche jorgfältig ge- 
dedt, verpugt und oft in großer Zahl vorhanden waren, Hütten, die man bei dem Tode 
eines Kindes oder fonftiger Angehörigen errichtete, und in welche man Teile von befjern 
Speifen oder Getränken niederlegte, um die Seele des Entjchlafenen zu erfreuen, jo 
erinnert dies zu auffallend an die Fetiſchhütten der Weftafrifaner, als daß fie einer ganz 
andern Gruppe von Thatjahen zugewiejen werben könnten. Hier hat man den Geijt in 
roher Weije verkörpert, dem man bort in ebenjo roher Weile Ehre zu erzeigen jucht; die 
Seele des Negers müßte komplizierter fein, als fie it, um dieſe beiden Dinge nicht zu: 
jammenzubringen. Gleih den Fetifchhütten findet man auch jene „Seelenhütten” unfern 
Bildſtöcken vergleichbar. Der Schäbeldienft jchließt fi hier natürli an, wie Cameron 
ihn bei Kafongo in einer Hütte voll perlengejhmüdter Ahnenſchädel Fonftatierte, welche 
„große Medizin” darftellten. 

Eigentliche Gößenbilder in Menfchengeftalt find feine allgemeine Erjcheinung. Sie 
find in Weitafrifa, wo fie die phantaftifchiten Geftalten annehmen (ſ. Abbildung, S. 180), 
häufig, in Oftafrifa jeltener zu finden. Der vielerfahrene J. M. Hildebrandt fchreibt: 
„Nachahmungen der Menjchengeitalt habe ih nur zweimal in Dftafrifa angetroffen. Das 
eine Mal war es in Ufaramo ein ziemlich wohlgelungenes Schnigwerf von etwa 0,2 m 
Höhe. Dbgleich die Eingebornen angaben, die Kinder fpielten damit, jo glaube ich den- 
noch, daß es ein Idol geweien. Es war mir nicht möglich, dasjelbe in meinen Belig zu 
bringen. Dagegen gelang es mir in Zanzibar, ein roh aus Holz geſchnitztes Männlein 
und Fräulein im Koftüme der Wayao zu faufen. Auch hier gab man (wohl nur aus: 
weichend) an, es fei Spielerei.” Die Bari haben eine große Anzahl von rohen Holzidolen. 
Wie derartige Dinge zu ihrer hohen Stellung fommen fönnen, zeigt ein unzweifelbaftes 
Sol, welches der eben genannte Reifende in Groß-Nabbai jah. Dasjelbe war wahrjchein: 
lich urfprünglih ein Heiligenbild, welches die Portugiefen bei ihrer Vertreibung aus 
Mombafja zurüdgelafien hatten, und das nun als eine Art Schladhtengott die Krieger 
der Wanika zu Heldenthaten entflammte. 

12* 


180 


Allgemeines über bie Neger. 


Nur injofern, als dieſe Nahbildungen menſchlicher Formen einen ertgen Zujammenhang 
zwiichen Fetiichglauben und einer Seelenverehrung anzeigen, welcher dieje Bilder als Seelen: 
denfmäler gelten, können fie eine befondere Bedeutung beanſpruchen; im übrigen aber it 





Ein Göhenbild vom Gabun (nad 
Du Ehaillu). Bal. Text, S. 179. 


nicht die Sache, jondern der Gehalt oder die Wirkung, 
welche ihm beigelegt wird, das Ausichlaggebende beim 
Fetiſche, und man ift oft geneigt, etwas Auszeichnendes 
in der Vernachläſſigung alles Außerlihen zu gunften des 
Kernes, nenne man ihn Gott oder Teufel, zu jehen. Kann 
man folgende Beihreibung einer Fetiſchhütte der Goldfüjte 
leien, ohne erjtaunt zu fein über das Abjtraftionsvermögen 
eines Volkes, das in dieſem Plunder jein Heiligftes zu jehen 
vermag? Aber freilich entjpricht auch der Niedrigfeit des: 
jelben oft die Leichtigkeit, mit der e8 zur Mißachtung herab: 
ſinkt. „Sie ift, wie alle Heiligtümer jener Gegend und 
wie urjprünglic vor dem Bekanntwerden mit Europäern 
vielleiht überhaupt alle Negerhütten, ein runder Bau, mit 
Binjengras gededt, ohne Fenfter, mit niedriger Thüröffnung. 
Im Innern einer ſolchen Fetiſchhütte ſieht es recht armſelig 
aus. Da liegt etwa ein Holzklotz oder ein Stein oder ein 
Fiſchgerippe, vielleicht auch eine Trommel auf dem Boden 
oder irgend etwas Derartiges, das weder Wert noch Sinn 
hat. Aber es ſind bedeutungsvolle Dinge für den Neger, 
denn in ihnen hauſt der Fetiſch oder ‚Wong‘, dem das 
Heiligtum geweiht ift. Allerlei Thongeſchirr liegt am Bo: 
den aufgejtapelt, daneben Büffel und Ziegenhörner, Mu: 
iheln und Bogelfedern, die als Zaubermittel oder zum 
Schutze gegen Zauber als Amulette dienen. An den 
Wänden hängen allerhand Firlefanz und Fetifchichellen. 
Zahlloje Spinnen jpinnen hier ihre Gewebe, und wider: 
liches Geſchmeiß durchſchwirrt den dumpfen, finftern Raum, 
welcher zugleich die Schlafjtätte des Priefters ift, der den 
Dienſt am Heiligtume. verfieht. Unter dem Grasdadıe 
nijtende Fledermäuſe und fonftige dem Fetifche geheiligte 
geflügelte Nachttiere umkreiſen des Abends die heilige 
Stätte und beleben die tiefihattigen Laubbäume, welde 
die Hütte umſchließen. In diefem heiligen Raume waltet 
ber Oberprieiter.” 

Im Weften, wo das Fetiſchweſen am durchgebildetiten 
zu fein jcheint, begegnet man einer Art von Klafjififation 
der Fetiſche, welche dadurch entiteht, daß fie als die Wohn: 
ftätten verjchiedener Klaſſen von Geiſtern aufgefaßt werden. 
Die Neger der Goldküfte haben außer ihrem im Himmels 
gewölbe verförperten Gotte Anianfopong, der nicht im 
Fetiſche vorgejtellt wird, eine Anzahl von unfichtbaren Gei- 


jtern, welche, da Aniankopong ſelbſt zu fern von den Menſchen wohnt, den Verkehr zwiſchen 
jenem und den Menjchen vermitteln, böje Thaten ftrafend, gute belohnend. Von diejen 
Geijtern gibt es drei Arten oder Klafjen, von denen zwei perjönlic) find. Die dritte ift zwar 
unperſönlich, aber nichtsdeftoweniger mit einem gewiſſen Vermögen begabt, ihrem Anbeter 


Fetifchhütten. Klaſſifilation der Fetiſche. 181 


Gutes oder Böfes zuzufügen. Zu diefer dritten, unperfönlihen Klaſſe gehören die 
Amulette, die man am Halje, am Beine und an der Hand trägt und in den Häufern auf: 
ftellt. Zu ihr gehören aber namentlich auch die unzähligen Zaubermittel, die man auf 
Wegen und Stegen, in Hütten und Kralen findet, und deren Sinn nur unbejtimmt dahin 
gedeutet werden kann, daß fie Wünfche erfüllen und Böfes abwenden oder auf andre über: 
tragen jollen. Bei den Bari, wo fie Kugur“ heißen, beſchreibt Marno fie gerade jo, 
wie Buchner fie bei den Balunda gejhildert hat. „Außer den Schädelbäumen”, jchreibt 
Marno, „findet man in den Gehöften Baumäjte, an welchen eine Zahl Steindhen oder 
Schlacken an Schnüren aufgehängt find; Cannaftangen mit Gras und Federbüfchen find 
ebenfalls häufige ‚Rugur‘. Aber nicht nur in den Gehöften, auch im Freien, auf allen Wegen, 
am Felde und im Walde findet man die jonderbarjten Dinge liegen, welche Kugur‘ find. Es 
hat von diefen meijt den 
Anſchein, als hätten Kin- 
der hier gejpielt. Alte 
ausgehöhlte Mahliteine, 
unter welde zuſammen⸗ 
gedrehte Ciſſusranken, 
Grasjeile, Zweige x. 
gelegt find; kleine Er: 
böhungen, von Erde 
zufammengefnetet, mit 
Holz, Stroh und Stein- 
chen verziert; alte Koch— 
töpfe oder bloße Scher— 
ben von foldhen, mit 
durchgeitedtem Stode; 
Zweigeund Blattbüfchel, 2 2 
kranzförmig zuſammen- Gin Fetifſch unbelannter Beſtimmung in Lunda (nad Stizje von Dr. Mar Buchner). 
gedreht oder geflochten; 

Stücke alter Matten und Flechtwerke, mit kleinen Hölzern am Boden angepflöckt.“ Die 
kleinern Fetiſche oder Geiſter, welche die zweite, perſönliche Klaſſe bilden und augen— 
ſcheinlich nichts ſind als eine Nachahmung der urſprünglich vorhandenen großen Fetiſche, 
haben ihren Wohnort hauptſächlich in Odum- oder Baumwollbäumen (Odi heißen bei den 
Madi erdbewohnende, heilſame Geiſter mit Menſchenköpfen und Schlangenleibern), bis: 
weilen auch in einem hölzernen Napfe oder einer metallenen Pfanne, die mit einer Maſſe 
von Thon und Blättern angefüllt iſt. Dieſe kleinern Fetiſche haben Prieſter, die als ihre 
Dolmetſcher fungieren, ihren Willen dem Menſchen verkünden, auch öffentlich vor dem 
gemeinen Volke tanzen. Die erſte, perſönliche Klaſſe beſteht endlich aus Geiſtern, die 
in Felſen, Wäldern, Höhlen ihren Sitz haben, nicht in Bäumen, und welche mit ganz 
ſeltenen Ausnahmen ſelbſt ihren Prieſtern unſichtbar bleiben, dennoch aber überall gegen— 
wärtig ſind und in gutem oder üblem Sinne das Leben der Menſchen beeinfluſſen, daher 
auch mit den beſten Opfern bedacht und von den angeſehenſten Prieſtern bedient werden. 
Daß der höchſte Gott nicht mit in dieſe Geiſterſchar eingeſchloſſen und demgemäß auch 
nicht in einem Fetiſche verkörpert wird, muß beſonders hervorgehoben werden. Es wird 
dadurch um ſo wahrſcheinlicher, daß der Fetiſchglaube aus der Seelenverehrung heraus 
einem reinern Götterglauben zugewachſen ſei, ähnlich wie bei andern höhern Völkern 
der Bilderdienſt geiſtigere Verehrungsformen überwuchert. Die Verbindung ſcheint offen 
zu liegen, wo, wie bei den Kaſongo, der höchſte Fetifh, „Rungmwe a banza“, gleichzeitig 





o a, 
EN on 





182 Allgemeines über die Neger. 


Etifter der Rönigsfamilie und Gemahl der Echweiter des Königs ift, während eine Witwe 
des verftorbenen Königs durd ihren Verkehr mit deſſen Geifte zur gefürchtetiten Wahr: 
jagerin wird. 


Um diefe Kräfte, welche überfinnlih, geheimnisvoll und höchſt verehrungswürdig 
bleiben, auch wenn fie in einer Holzpuppe oder einem mit Oder bejchmierten Kiejelfteine 
oder, wie bei den Tuſchilange, im beraufhenden Rauche de3 Dahahanfes wohnen, zu 
gehöriger Anwendung zu bringen, find Menfchen nötig, welche Herrſchaft über diejelben 

gewinnen, Zauberer oder, wenn man will, Prieiter. 

Fe Und je bedeutungslojer an fich der Fetiich, um jo ein: 
— dringlicher, ſinnverwirrender muß das Auftreten des 
Prieſters ſein, deſſen Aufgabe es iſt, die guten Geiſter 
günſtig zu ſtimmen, die Urſachen übler Geiſterwirkungen 
aber ſo auszukundſchaften, daß eine Sühnung oder noch 
lieber eine Beſtrafung möglich wird. Unter Umſtänden 
muß er als Scheinteufel mit Hörnern und Schellen 
umherraſen, um den wirklichen Teufel zu ſchrecken und 
zu verjagen. Es ſcheint, daß jeder Menſch, Frauen 
nicht ausgenommen, unter gewiſſen Bedingungen zau— 
berkräftig werden und damit zu hohem Einfluſſe ſteigen 
kann. Eine Perſon, die an der Goldküſte von einem 
der kleinern Fetiſche als Prieſter oder Prieſterin aus— 
erwählt wird, ſpringt wie toll und beſeſſen herum, 
meidet Speiſe und Trank, ſogar das Sprechen, bis ein 
11 älterer Prieſter den Namen des Fetiſches ausgefunden 
ee hat. Sit ein Heinerer Fetiſch entdedt, jo erhält er 
— — — einen Wohnort, indem er in einen Napf oder eine 





Ein Fetiſchpfoſten am Eingange eines Pfanne geſtellt wird, auf der ihm Opfer dargebracht 
Dorſes in Bihe (nah Serpa Pinto). werden. Der neubeftellte Priefter wird dann einem 
ältern übergeben, mit dem er drei Jahre zubringt, 
um in feinem Amte unterwiejen zu werden. Priefter werben ftet3 in der Jugend aus: 
erwählt und dürfen fi während der Zeit der Unterweiſung nicht verheiraten. Sie find 
gehalten, fi ihr Leben lang nicht jcheren zu lafjen. Dies Prieftertum ift nicht erblich. 
Stirbt ein Priefter oder eine Priefterin, jo kann der Fetiſch, dem fie dienten, jich den 
Nachfolger aus jeder Familie, mit Ausnahme der des Königs, wählen. Denn die Häupt: 
linge haben die herrliche Kraft des Zauberns durch Vererbung, und es gehört zu ihren 
wichtigiten Pflichten, jobald fie ihr Amt angetreten haben, zum Beften ihres Volkes zu 
zaubern. Doc kümmern fie fih, wo es verjchiedene Klaffen von Fetiichen gibt, nur um 
die größten, dem Gotte nächſten, beren Priefter, wo diefe bejonders unterſchieden werden, 
oft an Einfluß den Häuptling ſelbſt übertreffen. 

Dan möchte jagen, jede That, die praftiih gethan werden joll, wird in ihrem 
Reiultate antizipiert durch eine auf dasjelbe Ziel hinauslaufende Zauberei. Ehe der 
Krieg beginnt, wird der Feind durch Zauber vernichtet; ehe ein Bote an den Hof fommt, 
wird jein Zweck durch Zauber erfundet; die fommende Ernte, die Jagdbeute, der glüdliche 
Ausgang eines Handels» oder auch Naubzuges, des Glüdes, das in Liebesunter: 
nehmungen vor allem nötig, nicht zu vergeilen, kurz, gutes Ende in allen Dingen wird 
zuerft dur Zauber zu gewinnen verfucht, und nur, wenn dieſer vorausging, fünnen 
Kopf und Hände mit Ausfiht auf Erfolg ihrem Ziele zu arbeiten. Man begreift, wie 


Briefter und Zauberer. Zauberei und Ehriftentum. 183 


angenehm jold ein Zuftand ift, der die Blüte und freude bes Lebens, den Erfolg, ber: 
geitalt doppelt fiheritellt, daß das eigne Mühen nur in zweiter Linie fommt, lange vor 
ihm aber der bequemere und angeblih wirkſamere Eingriff gütiger Geifter. Außerdem 
vermittelt der Zauber bie jüße Rache für Kränkungen, zu der fonft nur ein proſaiſcher 
Rechtsgang und vielleicht ſelbſt biefer nicht führen würde, geftattet, Feinden auf weite 
Fernen hin zu ſchaden, ſchützt endlich den, der ihn anwendet, jelber vor übeln Einflüffen. 
Und wo fände der Schwache anders fo leicht Recht al3 hier? Kurz, der Zauberer macht 
dem Neger das Leben erft lebenswert. Mas Wunder, wenn er den höchiten Wert gerade 
hierauf legt! 

Die Zauberei ift Daher der ſchlimmſte Feind des Ehriftentumes und der Kultur. 
Bei der Begründung der Kolonie Britiih-Kaffraria fiel nichts fo ſchwer wie die Anter- 
drüdung der harten Strafen, welche durch Zauberer ihren Stammesgenoffen auferlegt 
wurben. Sn vielen andern Dingen näherten fich die Kaffern leichter der Zivilifation als 
gerade in biefen, und auch da, wo fie Chriften geworden, durchflicht wie eine zäh: und viel- 
wurzelige Pflanze diejer alte Glaube ihren neuen. Es gibt auch bei Chriften oft fein 
Thun von irgend wichtigerer Art, das frei von der Begleitung abergläubiiher Gebräuche 
wäre Nun ift Sübafrifa nit am ſchlimmſten, und doc hören wir, es herrſche bajelbit 
etwas wie ein dem Chriftentume feindlicder genius loci; denn während die Buſch— 
männer für bie Miffion überhaupt aufzugeben find, zeigten fi) die Hottentotten von jeher 
als willige, aber ſchwache Chriften. Beim Kaffern ift die pofitive Eigenjchaft bes zähen 
Widerjtandes aud gegen dieſe Neuerung nebſt entiprechendem Feithalten an feinem alt: 
ererbten Zauberglauben einer der ausgeprägteften Charakterzüge. Die Kaffern find offen: 
bar, jowie in andern Dingen aud in diefen, fräftigere, aftivere Naturen als ihre hell: 
farbigen Genoffen und darum fanatifcher. Nicht bei allen Negervölfern wären Fälle möglich, 
wie die Geſchichte jener fie öfters erzählt, daß felbit Fürften ihre Eltern oder Kinder dem 
Zauberopfer weihen. Es ijt geihichtlihe Thatſache, daß, als der Baifahäuptling Tyali 
ftarb, des Häuptlinges Sanbili Mutter Tutu von den Herendoftoren als Verurjaderin 
diejes Todes „ausgejchnüffelt” wurde und bereits beftimmt war, den Tod unter all den 
Dualen zu erleiden, welche ſolchen armen Opfern vorbehalten find, als die Miffionare und 
Grenzbeamten fie eben noch retten fonnten. Ihr eigner, erit 20 Jahre alter Sohn hatte 
bereitwillig zugeftimmt, fie zu Tode martern zu laffen! 

Die Miffionare, welche mit der Zauberei al3 ihrem jehlimmften Feinde zu kämpfen 
haben, machen uns gerade barüber die ausgiebigften Mitteilungen, aus welden wir 
tief in bie Herenfüche des Aberglaubens hineinjehen. Folgende Skizze gibt z. B. Grout, 
einer der gelehrteften und zuverläffigften derfelben, als die Erzählung eines zum Chriften: 
tume übergetretenen Zauberers von feinem Thun, jpeziell feiner ärztlihen Praris: 
„Wenn Krankheit ausbriht, jo nimmt einer etwas und geht zum Priefter, um wegen 
der Krankheit zu fragen. Und wenn er zum Priefter fommt, gebt er auf ihn zu, ſitzt 
nieder, begrüßt ihn und ſpricht: Freund, gute Neuigkeiten! Der Priefter bleibt eine 
Zeitlang ftill, nimmt dann jeine Schnupftabatsdofe und ſpricht: Komm, Taß ung dort: 
hin gehen. Was haft du gebradt? Dann fagen fie: O König, wir haben nichts Wert: 
volles gebracht; wir haben etwas gebraht — hier ift eine Kleinigkeit. Dann jchüttet 
er Schnupftabaf aus, ſchnupft und fagt: Kommt, meine Freunde, und fpredt, damit 
wir hören mögen; ſchlaget, fchlaget! (d. h. jchlaget die Erde mit Ruten, damit ich höre). 
Dann jagen die Leute: Höre! Und er jagt: Krankheit. Dann jagen die Leute: Höre! 
Und er jagt: Schlaget noch einmal. Und dann jagt er: Es ift in der Bruft. Und 
die Leute jagen: Höre! Dann fagt er: Es ift im Bauche. Und die Leute jagen: Höre! 
Dann jagt er: Es ift im Kopfe. Und die Leute jagen: Höre! Dann jagt er: Er hat bie 


184 Allgemeineß über die Neger. 


Mürmer. Und die Leute jagen: Höre! Dann jagt er: Schlaget noch einmal. Dann jagen 
die Leute: Höre! Und er fagt: Er ift von einem Geifte bejejfen. Und die Leute jagen: 
Höre! Und er jagt: Der Schatten feines Vaters will etwas. Und die Leute jagen: Höre! 
Dann fagt er: E3 find die Schatten jeiner Ahnen. Und bie Leute jagen: Höre! Die 
Schatten feiner Ahnen jagen: Warum jorgt er nicht für ung? Warum erkennt er ung nicht 
länger an, da wir ihn von Jugend auf bejchügt haben? Dann jagen die Leute: Höre! 
Mill er nie einen gro: 
ben Kral um unjert: 
willen bauen? Warum 
erfennt er uns immer 
noch nicht an? Dann 
jagen die Leute: Siehe, 
das iſt es! Und er jagt: 
Sie fragen, wie e3 kom— 
me, daß ihnen fein Tier 
zum Opfer geſchlachtet 
werde? Dann jagen die 
Leute: Siehe, das ift es 
gerade. Dann Sagt er: 
Schlaget wieder, meine 
Freunde, Damit ich höre. 
Und die Leute jagen: 
Siehe, fiehe, er fommt 
dem Site des Übels im: 
mer näher. Dann jagt 
er: Der Schatten feines 
Vaters zürnt ihm. Und 
die Leute jagen: Höre! 
Dann jagt er: Er iſt 
hinfällig, er ift krank, 
die Schatten rufen ihn. 
Dann jagen die Leute: 
Wer fagt dir's? Höre! 
Dann fagt er: Schlaget 
wieder, meine Freunde. 
ee . Darauf nimmt er jeine 
a; — Schnupftabaks-Büchſe 

Zauberer von der Loangokuſte (nad Photographie von Dr. Falkenſtein). heraus, ſchüttet etwas 
Tabaf heraus und 

nimmt ihn, während die Leute, welche gejchlagen hatten, jchweigen; und nachdem er etwas 
Tabak genommen, gehen fie und fordern ebenfalls welden, und er ſchnupft und hört damit 
auf. Und dann jagt er: Schlaget noch einmal, meine Freunde. Und die Leute jagen: 
Höre! Darauf jagt er: Er hat einen ftehenden Schmerz in den Eingeweiden, Dann fagt er: 
Er ijt frank, ſehr krank. Und die Leute jagen: Höre! Darauf fagt er: Wenn ein Tier 
geopfert wird, wird er genefen. Und die Leute jagen: Höre! Dann fagt er, daf die Schatten 
dieje oder dieſe beftimmte Kuh aus den Herden jener verlangen, Und wenn er nun fo geendigt 
bat, geben ihm die Leute das Geſchenk, welches fie mitgebracht, und begeben ſich heimmärts.“ 
Der Erzauberer erzählt nun weiter, wie nad Heimfunft der zum Arzte Gefandten die 





—— — 


Aus Leben und Praris eined Zauberarztes. 185 


Daheimgebliebenen fragen, was und wie er gejagt und gethan, und wie fie fich entichließen, 
die gewünjchte Kuh zu opfern: „Alle ftimmen ein, und nun geht einer hinaus, und wenn 
er hinausgelangt bis zum Krale, find alle in der Hütte ftill, während er um den Kral 
herumgeht, um die äußere Umzäunung des Krales, und jpricht, indem er zu den Schatten 
betet: Ehre dir, Herr! Einen Segen, einen Segen laß fommen, da du wirklich eine Kuh 
gefordert; laß die Krankheit gänzlich verfchwinden. So opfern wir denn die Kuh. Und 
wir jagen unferfeit3: Laß den franfen Mann herauskommen, komme hervor, nicht fei 
länger frank und ſchlachte dein Tier, da wir nun gebilligt haben, daß er es für jeinen eignen 
Gebrauch haben folle. Ruhm dir, Herr! Gute Neuigkeiten! Komm, laß ihn uns jehen, 








} N} 7 


Bauberapparate, Amulette, Würfel :c. von Kafferndoltoren (Mufeum des Berliner Miffionshaufes). *% wirtl. Größe. 
Vgl. au Tert, ©. 246, 


wie er gleich andern umberwandelt. Nun, dann haben wir dir gegeben, was du wollteft, 
laß uns nun jehen, ob es nötig war oder nicht zu feiner Genejung, und daß die Krank— 
beit vorbeigehe. Und dann kommt er heraus in die Viehhürde, den Speer in der Hand, geht 
bin und fticht das Tier; die Kuh jchreit und jagt: Yeh! worauf er antwortet: Ein Tier für 
die Götter joll Zeichen von Schmerz von ſich geben; jo ift es recht, gerade das ift, was ihr 
wolltet. Sie ziehen e8 nun ab, eſſen e3 und werden damit fertig. Sollte fidh auf diejes Opfer 
feine Heilung einftellen, jo fragt der Kranke andre Leute, und dieje jagen: Der Zauberer 
hat gelogen, er erfindet irgend etwas, um einem Manne feine legte Kuh zu rauben, laß 
uns einen andern fragen. Jeder, ehe er auf ihre fragen antwortet, läßt fi das Ge- 
ſchenk nennen, das fie gebradht, und jagt dann entweder: Der Geift weigert fi, er it 
nicht willens, heute befragt zu werden, er it abwejend; oder er fragt und heißt fie Schlagen, 
und wieder verlangen die Schatten eine Kub, diefelbe wird dann auch geſchlachtet, wobei 
der Kranke die Galle über jein Haupt gießt und das Fleiſch zerteilt und in die Hütte 


186 Allgemeines über bie Neger. 


geftellt wird, die dann alle verlaffen; abends aber gehen fie hinein, nehmen das Fleiſch 
und eſſen e8, Der Inhalt des Magens wird am Haufe umbergeftreut. Manchmal wird 
auch nur eine Ziege geichladtet. Einige brauen Bier für die Geifter und laſſen, wenn 
fie e8 trinken, einen Reit für diefelben im Topfe. Dabei wird mit ihnen geſprochen und 
am häufigften um langes Leben gebeten.” 

Die Stellung der Priefter im öffentlihen Leben ift immer eine einflußreiche, fie iſt 
e3 aber mehr dort, wo die Häuptlinge ſich vorwiegend auf die Verwaltung der weltlichen 
Angelegenheiten beichränfen, ala wo diejelben eine theofratiihe Würde behaupten. Auch 
fehlt e8 unter ihnen nicht an Abitufungen des Ranges und damit des Einfluffes. Aber 
umgefehrt wie beim Fetiſche heiligt der Zauber nur in geringem Maße die Perjon des 
Zauberers, er it dem Volke perjönlich nichts weiter als jeder beliebige Mitmenſch; nur den 
Zauber, den er macht, achtet und fürchtet man an ihm, nicht die Perfon. Unter Shütts 
Trägern befand ſich 3. B. ein ſolcher, welcher für jehr geſchickt galt und viel mit jeiner 
Kunft verdiente; ſogar Eingeborne, bei denen die Karawane pajjierte, famen zu ihm und 
nahmen feine Hilfe in Anſpruch; niemals aber hat ſich ein Kamerad erboten, etwa die 
Laſt desjelben zu tragen oder ihm irgend eine andre Arbeit abzunehmen, 

Höher als die einfachen Fetischpriefter und Zauberer ftehen die Prieſter der großen 
unfihtbaren Geifter in Weitafrifa. Diefe großen Geifter wählen von vornherein 
ihre Priefter nicht aus dem Volke wie die kleinen. Ihre Prieſterſchaft, die eine befondere 
Klaffe bildet, ift erblih. Im Gegenfage zu den Prieftern der Eleinen Fetiſche tanzen 
fie nicht öffentlih, fungieren aud nicht als Wahrjager. Bei Antritt ihres Amtes werden 
fie von einem ältern Priefter in Gegenwart andrer geweiht. Ein Opfer wird dem großen 
Fetifche, deſſen Priefter neu berufen wird, dargebradt, und der die Weihe vollziehende 
Priefter ruft im Gebete den Fetiih an und nennt jeinen neuen Diener: „Gott, Erde, großer 
Fetifh..., ich weihe jegt deinen Sohn..., auf daß er dein Priejter fei. Verleihe ihm 
eine große Familie und viel Wohlftand, Beſchütze ihn und die Seinen vor allem Übel. 
Segne jeine Freunde, die ihm wohlmwollen, und verfluche feine Feinde, die ihm übelwollen. 
Gib ihm Berebfamfeit, wenn er jeine Gebete beim Opfer jpricht 20.” Die Hauptaufgabe 
diejer Priefter ift, an bejtimmten Tagen in der Woche ihren großen Fetifhen Opfer 
darzubringen und dasjelbe mit den für die bejondere Gelegenheit geeigneten Gebeten zu 
begleiten, mit denen fie fi jorgfältig vertraut gemacht haben müfjen. Ihre gewöhnlichen 
Opfer bejtehen aus Stierfälbern, Schafen, Ziegen und Palmmein. Die dargebradhten 
Tiere müſſen ohne Gebredhen und ohne Flede, die weiblichen dürfen nicht trächtig fein. 
Opferpläße für die Trankopfer befinden fi in den Wohnungen und Hofräumen ber 
Prieſter. Andre Spenden, die aber auch immer mit Trankopfern verbunden find, wer: 
den an bie Aufenthaltsorte der Fetiſche gebracht. Dieſen Plägen naht niemand, aud 
nicht der Priefter, ohne ein Opfer, welches auf einem aus unbehauenen Steinen errichteten 
Altare dargebradt wird. An dem Tage der Darbringung hat fi der Prieiter des 
Umganges mit Frauen fowie aller tieriihen Nahrung zu enthalten. Übertritt er dies 
Gebot wiffentlih oder unwiſſentlich, jo iſt er befledt und untauglid, an biefem Tage zu 
opfern, Diejen Briejtern ift die Ehe mit einer Witwe unterfagt; auch ift ihnen die Be- 
rührung eines toten Körpers aufs ftrengfte verboten. Hat ein Priejter dem Leichen: 
begängnifje eines Freundes oder Verwandten beigewohnt, jo muß er am Abend durch 
geweihtes Waffer geheiligt werben, mit dem er dreimal fich jelbjt befprengt oder von 
einem andern Priejter jeiner Klafje beiprengt wird. Er ift aud) befreit vom Faſten, jogar 
beim Tode jeiner nächſten Verwandten. Dieje Prieſter haben eine Rangordnung, die ſich 
nad) der Bedeutung ihrer Fetiſche regelt, und genießen daher nicht alle diejelben Vorrechte. 
Hoherprieiter ift der Priejter des höchſten oder wichtigiten Fetiſches. Er hat mehr Macht 


Stellung ber Priefter. Gottedurteile. Aberglaube des täglichen Lebens, 187 


als der Häuptling einer Stadt oder eines Diftriftes, ja in mancher Hinfiht mehr als der 
König einer ganzen Landſchaft. Seine Befehle müjjen ohne Zögern ausgeführt werben, 
da Ungehorfam gegen feinen Willen gleihbebeutend it mit Ungehorfam gegen ben großen 
Fetifch, dem er dient. Mißhandelte Sklaven können ihre Freiheit erhalten durch Anrufung 
eines der großen Fetiihe. Sie machen ein beftimmtes Zeichen und rufen ben großen 
Fetiſch namentlih an, fie hinfort als feine Sklaven anzunehmen. Der Priefter oder 
Hohepriefter bejprengt dann den Sklaven mit Weihwafler, und dieſer ift frei oder wenig: 
ſtens nur Sflave des Fetiſches. Es fteht ihm frei, bei dem Priefter oder Hohenpriefter 
zu verbleiben oder fi irgend anderswohin zu wenden, 

Neben den Funktionen des Opferns und Zauberns liegen dem Priefter noch andre 
Aufgaben ob, welche teilweife mehr mweltliher Natur find, und auf welden oft aud ein 
großer Teil jeines weltlichen Einfluffes beruht. Gottesurteile, welche einen breiten Raum 
im Recdtsleben der Neger einnehmen, fallen hauptjädlic ihnen zu, ſowohl in der Vor: 
bereitung als der Ausführung. Zwar findet man öfters eine Art Arbeitsteilung in ber 
Weife, daß der, weldher den Urheber einer zu rächenden That ausfindig machen foll, ein 
andrer ift als der, welcher das Gottesurteil ausführt (db. h. an der Weſtküſte den bit: 
tern Gifttranf bereitet, ber dort üblich ift, oder bei den Madi bie rote Feder reicht, welche 
durhbiffen werden muß und dem Edhuldigen in Kürze den Tod bringt, oder die Würfel 
wirft, die bei gewiſſer Stellung den Schuldigen enthüllen). Aber beides ift Priefter- 
fahe. Auch das Beiprengen bes Kindes mit Wafler ſowie die Namengebung, jpäter bie 
Beichneidung und die daran ſich ſchließende Einführung der Jünglinge in den Kreis der 
Männer beforgt der Priefter, der dann endlich aud) die Sühn- und Erntefefte, die Masken: 
tänze, bie Totenfeiern leitet. Vor allem aber ift feine ärztliche Thätigkeit nicht zu vergeffen, 
deren wir als eines der wichtigften Teile feiner Funktion bereit3 Erwähnung gethan haben. 


AU diefer Aberglaube dünkt uns nicht bloß um feiner ſelbſt willen wichtig. Wir 
denken uns den Gang bes Lebens diefer Menſchen in der Regel viel zu einfach und zu 
geiftverlaflen, wenn wir dieſe beftändige Unterftrömung nicht mit in Rechnung ziehen. Der 
Aberglaube muß für vieles Erjaß leiften, denn vieles von dem, was die Kultur von außen 
heranbringt, um Reichtum und Mannigfaltigkeit zu erzeugen, bewirkt bier jenes üppige 
Gewirr von Gebräuden, öfter finnlojen als finnigen, die, wie die Schlingpflanzen 
einen Baum im tropijchen Urmalde, dies Leben umziehen, umſchlingen, bereichern und oft 
genug erftiden und ertöten. Nehmen wir als Beijpiel das Leben eines Betihuanen, das wir 
zufällig durch zutrauenswerte Schilderer, wie Caſalis, Grüner und andre, hinreichend 
genau fennen, jo finden wir es von verwideltiten, jchwerfälligiten, zeitraubenditen Ge: 
bräuchen von der Wiege bis zum Grabe umſponnen und eingeengt. Gleichzeitig liegt aber 
ein gut Stück unbewußter Lebenspoejie in dieſen Gebräucdhen, die jelbit das Alltägliche mit 
geheimnisvollem Schimmer umleuchten. Dem gebärenden Weibe wird von den alten weiſen 
Weibern des Krales geholfen, zu deren eriten Pflichten es gehört, dem mit den Füßen zuerit 
fommenden Kinde und ben Zwillingskindern den Hals umzudrehen. Ebenjo werben die 
Kinder, denen die Oberzähne zuerit fommen, getötet. Einen Teil des Fruchtwaſſers bewahrt 
der Zauberer oder Häuptling als heilkräftiges Mittel in einem feiner Zauberhörner. Die 
Wöchnerin befommt drei Tage lang ihren eignen Urin zu trinken, währenddeſſen das Kind 
mit Brei zum Zerfpringen gefüttert wird. Am dritten Tage werden die Brüjte gerigt, mit 
Wurzelmebizin eingerieben, und von nun an darf das Kind faugen. Erſt am fünften Tage 
wird der Mann zugelaffen. Doc müſſen beide, Mann und Frau, jich erft reinigen, indem fie, 
freuzweife gegeneinander auf einem „Lefeko“, d. h. Amulettholze, figend, fich mit Fettmebizin 
einreiben und dann, das Holz überfteigend, in entgegengefegter Richtung auseinander gehen. 


188 Allgemeines über die Neger. 


Das Lefefo it ein 1—2 m langes Holz, das überall, wo ein Kranker ift, quer vor die Thür 
gelegt wird. Zu diefer Zeremonie geben mande Zauberer auch noch Heilwafjer zu trinken, 
und man glaubt, der Mann werde anfchwellen und fterben, wenn er, ohne dieſe Prozedur 
durchgemacht zu haben, zu feinem Weibe oder aud; einem andern gehe. Das Kind darf den 
eriten Monat nicht aus der Hütte, den zweiten nicht über die Vorhalle fommen. Nach dem 
‚ eriten Monate „hilft“ ihm der Zauberer, indem er ein Weihpulver auf das Haupt in 
beftimmter Weife ftreut, dazu jagend: „Modimo (Gott), laß uns diefes Kind! Hilf ihm!” 
Weiter wird es an vielen Körperitellen gerigt und mit Fettmedizin eingerieben. Endlich 
bindet der vielwijjende Dann ein 
— — == — Stückchen Holz an das Tragfell 
—— — F — der Mutter. Das Holz heißt 
„Modimo des Kindes“ und ſchützt 
gegen Verhexung. So oft es 
nötig ſcheint, werden dieſe Proze— 
duren wiederholt, auch wenn das 
Kind im übrigen ganz geſund iſt. 
Für alle dieſe Vorrichtungen be— 
ſteht die Bezahlung des Doktors 
darin, daß er nach der Heirat 
des letzten Kindes einer Familie 
ein Rind erhält. Sein letzter 
Dienſt beſteht darin, der Braut 
ein Amulett umzubinden. Nach 
der Verheiratung muß ſie einen 
andern Zauberer nehmen. 
— _ IR Beim Eintritte der Mann: 
Ein Yet unbefannter Beflimmung in Qunda (na igge von Dr. Mar harkeit füllen die Zeremonien der 
u alone Beichneidung, Unterweifung, Ab: 
jonderung Wochen und Monate aus. Die Verheiratung leitet ſich durch Entjendung eines 
Freiwerbers in den Kral der Braut ein, wobei die Fragen und Antworten immer in ben= 
jelben Formen fich bewegen. Der Freimerber pflegt der Vater des Bräutigams ſelbſt zu 
fein. Er jagt nad) langen Umjchweifen: „Sch bin gefommen, ein Hündchen von euch zu 
erbitten”. Antwort: „Sohn der N., wir find arm, haben fein Vieh, haft du Vieh?” Nun 
folgt wieder ein Zwiſchengeſpräch über Mangel an Vieh, Klagen über Seuche und Krank: 
heit 2c. und endlich der Bejcheid: „Ja, Vieh ift vorhanden”. Kommt der Freiwerber zurüd, 
jo geht ein zweiter Bote zum Krale der Braut und holt Schnupftabal, der von den Ver: 
wandten der Braut bereitet wurde und nun von der Familie des Bräutigams gefehnupft 
wird. Dann treiben einige Burſchen, Freunde des Bräutigams, einen Teil des bedungenen 
Viehes nad) dem Brautfrale, wo fie mit Jubel empfangen, 3—6 Tage feſtlich bemwirtet 
und in intimften Verkehr mit den Mädchen des Krales gebracht werden. Nach einiger 
Zeit fommt der Bräutigam mit einem Genofjen, wiederum Vieh bringend, und erfährt 
diefelbe Ehrung. Sie dürfen ſich aber nicht aus der Schüfjel ihr Ejjen nehmen, fondern 
erfalten es auf Stäbchen dargereidht. Sie bleiben zwei oder drei Monate, und öfters 
wiederholen ſich diefe Beſuche. Endlid wird die Braut in den Kral ihres Bräutigams 
abgeholt und zwar durch denjelben Genofjen, der mit den Worten auftritt: „Kommt, laft 
uns die Braut heimholen, das Bier ift gekocht“. Die Braut wird an diefem Tage mit 
Wafjer übergoijen und erhebt fich weinend von ihrem Lager. Man fchlachtet, kocht, braut 
Bier. Aber von der Hauptipeife, einem fteifen Breie, ift der Bräutigam nichts, fondern 





Aberglaube des täglichen Lebens. Die wirtſchaftliche Kultur. 189 


zwidt nur ein Stüd ab, das er vor die Hütte wirft. Der Zauberer fommt am Abend und 
macht mit beiden feinen Hofuspofus. Der Bräutigam jchläft diefe Nacht nicht bei feiner 
Braut, fondern bei den Mädchen des Krales. Den nächſten Tag gehen beide in die Heimat 
des Bräutigams zurüd, und dort werden nad) der eriten Nacht beide vom Zauberer an 
vielen Körperftellen gerigt und ihr Blut wechjelfeitig in die Wunden eingerieben. 

Dem geftorbenen Betihuanen werden bie Kniegelenfe und, wenn nötig, das Kreuz 
zerjchnitten, um den Leichnam zufammenlegen zu fünnen. Man hüllt dann jeine Lenden 
in ein frisches Bodsfell und den ganzen Leichnam in ein frifches Rindsfell. Das Grab 
wird mit Mebizinwafler begoffen, und aus einem gemweihten Horne werben aud) felbit bie 
Fußftapfen der Leichenträger bejprengt; der Topf, in dem Weihmwafjer war, wird auf 
bem Grabe zerjchlagen. Der Witwe wird ein Riemchen vom Leichenfelle um bie Stirn 
gebunden. Die Angehörigen knieen am Grabe nieder, und längere Zeit ift am Abend 
und Tage große Klage, d. h. Geheul am Krale. Die Leihenträger werben gereinigt, indem 
fie an den Fingern gerigt und mit Medizin eingerieben werden; die nächſten Leidtragenden 
aber werden am ganzen Körper gerigt und außerdem durch Betupfen ber ganzen Beine 
mit einem fettbefchmierten Holze von der Unreinigfeit befreit. Statt mit Fett und roter 
Erde, Ihmieren fih die Leidtragenden mit Fett und Kohle ein. Der ganze Kral betupft ſich 
dann das Geficht mit Aſche, ißt vom Getreide des Verftorbenen ein Korn mit trodnnem Kub: 
mifte, befucht feine Hütte und fehrt in die eigne Hütte, den Kopf zulegt, zurüd. Dann wird 
ber Schmud des überlebenden Waters oder der Mutter dem jüngften Rinde umgehangen. 
Die Leute des Krales waſchen endlih mit Waffer über friihem Kuhmifte ihre Trauer ab. 

Man fieht, es würde für einen Neger rein unmöglich fein, ohne Zauberer zu leben. 
Viel eher könnte man jich Europäer ohne Arzt und Geiftlichen zugleich denken. Manche 
Formen des Aberglaubens fünnen uns gleichgültig laffen oder erregen vielleicht jogar ein 
Lächeln durch ihre kindliche Einfalt. Höchft verberblih muß er ung aber erfcheinen, wenn 
er nicht nur die Köpfe verdunfelt, fondern Leben und Gut der Einzelnen bedroht oder gar 
tief in die praktiſchen, wirtfhaftlihen Eriftenzbedingungen ganzer Völker ftörend eingreift. 
Am untern Zambefi leben die Eingebornen Monate hindurch von den Früchten des Mango: 
baumes, doc wird feiner einen ſolchen pflanzen, wie mühelos das auch gefchehen könnte. 
Felt wurzelt in ihnen der Glaube, daß, wer einen Baum pflanzt, bald fterben werbe. Als 
Zivingftone den Mafololo, melde die Mango ſehr liebten, empfahl, einige Kerne mit: 
zunehmen, um fie in ihrem VBaterlande zu pflanzen, erklärten fie dies für eine ſelbſtmörderiſche 
Handlung und erflärten: „fie wünjchten nicht gar zu bald zu fterben”. Ebenjo herricht 
jelbft unter den eingebornen Portugieſen von Tete der Aberglaube, dat niemals mehr glüd: 
lich fein wird, wer Kaffee pflanzt; doch trinken fie ihn und find darum nur um jo glüdlicher. 


+ 


In Bezug auf die wirtſchaftliche Kultur der Neger haben die Theoretifer Jahre 
hindurch nur das Thema des nordamerifaniihen Anthropologen Nott variiert: Die 
ſchwarzen afrikaniſchen Raffen in Sübägypten find in beftändiger Berührung mit Agypten 
4000 Jahre hindurch gewejen, und doch haben fie feinen einzigen Schritt auf die Zivilifation 
zu gemadt, noch vermöchten fie es je, bevor ihre körperliche Organifation eine andre 
geworden. In dem einjt vielbefprochenen Buche „Types of Mankind“ von Nott und 
Gliddon (1854), welches immer al3 eins der geift: und thatfachenreichjten Werke aus den 
Anfängen der anthropologiihen Wiſſenſchaft geihägt werden wird, it die Kulturunfähig- 
feit der Neger infolge ihrer inferioren Naturanlage mit allen Mitteln damaliger Willen: 
ihaft nachzuweiſen gefucht. Die wirklichen Kenner Afrikas jahen fih aber bald auf eine 
gründlich verſchiedene Baſis geftellt, als fie erſt dieſe Raffe in ihrer Heimat felbft zu 


190 Allgemeines über bie Neger. 


ftudieren begannen, Sie fanden vor allem in ihr ein regelrechtes Agrifulturvolf, ein 
Volt von Handel, von beitimmten Sapungen de3 Familien» und Gemeindelebend und 
jelbit des Staates. Sie begegneten nun niht nur am Rande bes eigentlichen Neger: 
afrifa feftwurzelnden Kulturen, fondern fie verfolgten diefelbe tief ins Innere hinein und 
machten dabei nicht jelten die Erfahrung, daß die Höhe der Kultur gerade in den Neger: 
ländern nad innen zunahm, jtatt abzunehmen (vgl. ©. 32). Mitten unter diefen Men- 
ſchen lebend, fühlten fie früher als andre den gemeinjamen Boden heraus, auf dem unjre 
und ihre Gefittung fich berühren. Wir möchten bier an einen Ausſpruch von großer 
Wahrheit erinnern, in welchem Ed. Mohr auf feiner Reife zu den Fällen des Zambeft 
biefem rein menſchlichen, ungelehrten Gefühle Ausdrud gibt. Er jagt in feiner etwas 
ungefügen Überfchwenglichkeit, indem er mitten in der menſchenleeren Wildnis des von 
den Matabele verwüfteten Mafalakalandes die Spuren menjchlicher Thätigkeit in fait ver: 
wiſchten alten Aderfpuren und in ärmlichen Gemäuerreiten findet: „Durhwandert man 
wochen⸗, monatelang die mächtige Wildnis, jo bemächtigt fi) doch des Gemütes mitunter 
eine gewiffe Befangenheit, wir fühlen uns verlaffen. Solde Spuren der menſchlichen 
Vergänglichkeit, wie wir fie hier antreffen, bie einftigen ftummen Zeugen eines zufriedenen, 
ichaffenden Lebens, welche nun im tauben Schlummer eines fich auflöjenden Verfalles weiter: 
modern, fie ftimmen uns ernft; bier fühlt man erft recht, der Menſch ſympathiſiert mit dem 
Menſchen, er klatſcht ihm Beifall zu, wenn er der Wildnis einen Damm entgegenfeßt und 
triumphierend auf ihren gebeugten Naden das produzierende, Segen jpendende Jod der 
Kultur legt.” Stanley ſpricht etwas ganz Ähnliches in Manyema aus, Daß diefe Kultur 
nicht die Höhe der unfern erreicht, weil diefe mehr musfel- ald gehirnftarten Kämpfer 
leichter, früher im Streite mit der ſtarken Natur ermüden, iſt zweifellos wahr. Die Frage 
ift aber: Worin liegt der Grundunterfchied zwifchen der Kultur der Neger und der unfrigen, 
und aus welder Verjchiedenheit der Bedingungen geht dieſer Unterjchied hervor? Wir 
glauben die Naturanlage des Negergeiftes zur Genüge erörtert zu haben (vgl. ©. 146); 
hier, wo es fi darum handelt, ein Kulturgemälde zu entwerfen, fommen wir auf jie nicht 
mehr zurüd, hier ift es wichtiger, die äußern Bedingungen zu prüfen, hemmende wie för: 
dernde. Und was die Hemmungsfaktoren anbelangt, jo iſt die geringe Stetigfeit und 
Feitigkeit der allgemeinen Berhältniffe in allem, was Kultur, Kulturanfang oder 
Kulturrudiment bei den Negern ift, von der allergrößten Wirkung. Sie ift es, die den 
Kulturboden unfähig macht, ein dauernd Fräftiges Wachstum zu entfalten. 

Mit Reht maht Stanley überhaupt darauf aufmerkffam, wie die buntjchedige Völ- 
ferfarte Afrifas denjenigen zum Nachdenken auffordern müfje, der ſich über die Urſachen 
Aufſchluß zu verihaffen jucht, die einen Fortichritt in Afrika und die Erreichung einer höhern 
Kulturftufe aus dem Programme der Gejchichte dieſes Kontinentes faft geitrichen zu 
haben ſcheinen. „Bei faft gänzlihem Mangel eines Verkehres“, jagt er, „zwiichen benad): 
barten Stämmen von verfchiedener Zunge (denn auf eine halbe Stunde allein in fremdes 
Gebiet hinüberzugehen, wäre ein Mageftüd, welches der Einzelne gewöhnlich mit jeinem 
Leben bezahlen müßte) begegnet uns bald die Übervölferung einzelner befonders gejeg: 
neter Striche, welhe Auswanderung und einen totalen Wechſel der Lebensweiſe im Gefolge 
bat, indem Hirtenvölfer zu Aderbauern oder Aderbauernzu Hirtenvölfern ſich umgeftalten; 
bald begegnet uns der ausjterbende Reſt eines zu Grunde gerichteten Volkes, welches ver: 
zweifelten Widerftand gegen die Vergewaltigung der es umringenden Übermadt leiſtet; 
dort werden Feine, abgezweigte Stämme unterjoht und zum Frondienfte herangezogen 
und fo fort: immer find es diefelben Winke, die uns an die Hand gegeben werben, um das 
beijpiellofe Volkergewirr, das unaufbörlie Hinz und Herwogen der Raſſen- und Spraden: 
bildung in Afrifa zu erklären.” Wenn nun aud die im Herzen Afrifas wohnenden 


Kulturftufe der Neger. Hindberniffe der Kulturentwidelung in Afrifa. Schiffahrt. 191 


Völker von Invaſionen frei geblieben find, wenn die eigentlichen Innerafrifaner ihr Land 
länger für fich gehabt haben und es bis auf den heutigen Tag halten, jo hat ihnen doch 
die Berührung mit Völkern höherer Gefittung gefehlt. Auch fie gehören demnad zu 
den Rafjen, die man unentfaltete nennen könnte. Sogar jenes im Verhältniſſe 
zu Europa und Aſien nicht jehr bedeutende Maß von Begünftigung durch geographifche Lage 
und Bodengeftalt ift ihnen nur gering zugemefjen, welches in der Kette von klimatiſch jo 
ihön abgeftuften und jo mannigfaltig gearteten Terraſſen- und Hochebenenländern von 
Mexiko bis Bolivia prädisponierte Schaupläge eigenartiger geſchichtlicher Entwidelungen 
zu bilden jcheint. Iſt es Doch gerade der Rumpf des Erbdteiles, der ungegliedertfte Abjchnitt, 
welchen die Neger bewohnen. Die Abgrenzung ihrer Wohnfige im Norden und Süden durch 
breite Wüften und Steppen erjchwert noch heute den Verkehr mit diefen Völkern. Dazu 
fommt aber, daß fie jelbit auf dem Waller ſich wenig heimiſch gemacht haben. Erft unter 





Ein Kahn vom obern Kongo (nad Stanley). 


fremder Anleitung find einige Negerftämme tüchtige Matrofen geworden. Kiel, Segel, 
Steuerruder mußten ihnen von außen hergebradt werden. Auf feinem der innerafrifa: 
nischen Seen, die wie wenig andre zur Schiffahrt einluden, ſah man Seaelichiffe,ehe Araber 
und Europäer fie dahin brachten. Die Beziehung diejer Völker zum Waſſer ift überhaupt 
gering. Eine Anzahl von ihnen genießt gar feine Fiiche, was feinen Grund in den erwähn— 
ten religiöjen Vorftellungen haben mag, welche vielleicht mit dem überall hervortretenden 
Schlangenaberglauben zufammenhängen. In der Schiffahrt find fie mit verfchwindenden 
Ausnahmen nicht über den ausgehöhlten Baumſtamm hinausgefommen, zu welchem freilich 
einige Riefenbäume des äquatorialen Afrika gutes Material liefern. Schon vor 300 Jahren, 
als Lopez feine Beihreibung des Neiches Kongo lieferte, ſchwammen derartige Riejen: 
fähne mit Krofodilichnäbeln auf dem Kongo. Ebenfo fand fie Stanley (vgl. obenftehende 
Abbildung), und fo jchildert fie Barth vom Logon. Von den aus Brettern gebauten 
Kähnen der Waganda abgejehen, bei welhen man an arabiihen Einfluß denken kann, 
find diefe Riefeneinbäume der Gipfel der Schiffbaufunft der Neger. Diefelbe fteht alſo in 
gar feinem Verhältnijje zu der Größe der Gemwäller, welche in Afrika jhiffbar find. Man 
würde 3. B. auf dem ftillen, feichten, filchreihen Ngami mit feiner faft amphibiſch zu 
nennenden Bevölkerung eine rege Schiffahrt vermuten. Aber was finden wir außer ein 
paar kleinen Einbäumen, mit denen die Eingebornen den See bei ftillem Wetter jelbft 


192 Allgemeines über die Neger. 


an der breiteften Stelle kreuzen? Bei Wind wagen fie die Bootfahrt nicht, weil fie das 
Überſchlagen der Wellen fürdten. Auf dem obern Zambefi treten die Einbäume ſchon in 
größern Dimenfionen auf. Serpa Pinto fah hier einen von 10 m Länge. Erheblich 
größer, aber im Grunde immer gleich einfach gebaut erſcheinen fie auf dem Kongo und 
dem Großen Nyanza. Hauptſächlich zwei Arten von Flößen werden am Ngami bemußt. 
Die eine befteht aus bündelmeie zufammengebundenem Rohre, die andre aus Binjen, 
welche man ohne weitere Vorbereitung auf das Wafjer wirft, wo fie ſich vermöge ihres 
geringen Gewichtes nit nur ſchwimmend erhalten, jondern aud nad) oben drängen, 
wodurh das Flok um jo befjer wird, je mehr man von biefem Materiale aufeinander 
häuft. Ganze Gruppen von Menſchen befahren auf diefe Weife den allerdings fait durchaus 
fehr ſeichten See. Es find diefelben Flöße, wie die Ummwohner des Großen Nyanza fie aus 
Palmblattitengeln und die Schilluk aus Ambatſch (j. untenftehende Abbildung) erbauen. 

Schon Lichtenſtein bemerkt, daß eine gewiffe Wafferfheu allen Kaffernftämmen 
gemeinfam jei, am meijten aber den Küftenbewohnern. „Sie kennen“, jagt er, „eine 
Art von Schiffen und verjchmähen jelbft ungeachtet ihrer Dürftigfeit das leichte Mittel, 





Ein Ambatſchfloh vom obern Nil (etinographifches Mufeum, Wien). Io mwirll, Größe. 


fich durch Fifcherei ihren Unterhalt zu verſchaffen. Auch die Kaffern im Innern des Landes 
eſſen Feine Fiiche und trinken Waffer nur bei dem ſtärkſten Durfte und gänzlihem Mangel 
an Mil und Molken. Alle Neger, welche Kleider aus Fell tragen, waſchen dieſe nie, jondern 
jchmieren fie mit Fett ebenfo wie ihren Körper. Nur ihrer großen Viehherden halber lieben 
fie die Nähe von Quellen und Flüffen.” Muß man nicht annehmen, daß die Entwidelung 
einer jo jcharf ausgeprägten Eigentümlichfeit nur möglich war bei jehr lange fortgefegtem 
binnenländijchen Leben? ebenfalls trägt aber auch das Hirtenleben zu ihrer Verftärfung 
bei, indem dieſes mehr als jedes andre von der Benugung des Waffers zum Verfehre, vom 
Genufje des Fiſchreichtumes und vom Waſſertrinken entwöhnt und in entjpredendem Maße 
den Menjchen immer ftärfer auf das Land als feinen natürliden Wohnplag und feine 
einzige Nahrungsquelle verweift. Im allgemeinen jcheinen die Neger Weſtafrikas fich noch 
eher mit dem Waſſer zu befreunden als die des Oſtens. Doch wohnen außer am Großen 
Nyanza aud am Nil noch trefflihe Ediffer und Fiſcher. Wir erinnern an die Edilluf. 

Die Neger find in feiner Weiſe leidenfhaftlihe Bader wie ihre pazififhen Raſſen— 
genofjen. Selbſt in der heißen Bakwenahauptitabt Molopole beobadtete Holub, daß die 
Knaben zwar ins Wafjer krochen, ſich aber beeilten, baldmöglichjt wieder an der Sonne ſich 
zu braten, und an trüben Tagen mieden fie das Waſſer ängftlih. Die Wafjerjagd überlafjen 
fie in der Regel beftimmten nomadifierenden Jägern oder Fallenjtellern, welche eigne Stämme 
bilden. Die Amapondo, welche ſich früher mit großer Vorliebe dem Fange der Seefühe und 
Flußpferde am St. John’s River widmeten, haben jelbft dies in neuerer Zeit aufgegeben, 
entweder weil ihr Aderbau lohnender oder ihre Trägheit und Verweihlihung größer 
geworden find. An der ganzen Zulufüfte wird von Eingebornen kaum ein Filch gefangen. 


nn ee 






LAGUNE ın NORDLOANGO, Westafrika 


\ Nach Dr. Prebuel - Isesche | 


Binnenſchiffahrt. Waſſerſcheu. Handelsanlagen. Märlte, 193 


Einen guten und nützlichen Teil von den Naturanlagen der Neger enthüllt der Handel, 
dem ſie mit Ernſt und Eifer obliegen. Die meiſten Afrikaner ſind von Natur zum Handel 
beanlagt. Er entſpricht ihrer unruhigen Natur, ihrer Neugier und Schwätzhaftigkeit; 
fie lieben den Handel mehr um des Handelns als um des Gemwinnes willen. Er freut 
fie fhon wegen der Unterhaltung, die er gewährt; er ijt ihnen ein Zeitvertreib, Bei 
manden Stämmen, wie den Dualla Oberguineas, bat der Handel den Charakter einer 
ſchädlichen Leidenſchaft angenommen, ber zuliebe fie alle produktive Arbeit aufgeben, um 
ihahernd zu verarmen. Ein Europäer in Tete erzählte Livingftone, daß oft eingeborne 
Handelsleute mit einem zu verfaufenden Elefantenzahne zu ihm fämen, den Preis, den 
er böte, erwögen, mehr verlangten, darüber fprächen, fich zurüdzögen, um ſich darüber zu 
beraten, und endlich fortgingen, ohne ihn zu verfaufen; am nächſten Tage verjuchten fie 
es mit einem andern Kaufmanne, ſprächen, erwögen, zerbräcen fich den Kopf und gingen 
ab wie am vorhergehenden Tage; diefes Verfahren jegten fie täglich fort, bis fie vielleicht 
jeden Kaufmann im Dorfe befucht hätten, und hörten zulegt damit auf, daß fie den koſt— 
baren Zahn an irgend jemand für noch weniger verkauften, als der erfte Kaufmann geboten 
hatte. Die Neigung, beim Umfage ihrer Waren zu tändeln, kommt von ihrem Eigen: 
dünfel her, der ihnen dadurch beigebracht wird, daß fie der Gegenftand des Echmeichelns 
gieriger Kaufleute find, ein Gefühl, dem felbft die Liebe zum Gewinne untergeordnet ift. 
Die Eitelkeit ift womöglich ftärfer als die Gewinnſucht. Demgemäß fällt häufig der 
Handelsbetrieb den Weibern als alleiniges Gefhäft zu. Wenn daher der Marftplaß ber 
Ort ift, wo fi der Neger am mwohliten fühlt, und ohne den er nicht leben kann, fo find 
eö oft weniger wirtjchaftliche als gemütliche Motive, welche diefe Vorliebe für das Markt: 
leben begründen. Bon der Walfiihbai bis Kuka und von Lagos bis Zanzibar ift der 
Markt der Mittelpunkt alles regern Lebens in Negergemeinfchaften, und die Verfuche der 
Erziehung zur Kultur haben am wirkſamſten an dieſer Stelle angefegt. Nicht mit Unrecht 
nennt Monteiro den Taufchhandel das große Zivilifationsmoment für Afrika. 

Dies gilt vom inneriten Afrifa, wohin nur felten Europäer oder Araber vordringen, 
jo gut wie von den Küftenplägen. Als Stanley im Dorfe Kagehji des Landes Uſukuma 
Halt machte, zog fich hier jogleich eine große Anzahl eingeborner Händler aus einem Um: 
freie von 20 bis 30 engl. Meilen zufammen. Fiſcher aus Ukerewe brachten getrodinete Fiſche, 
aus Iguſa, Sima und Maga wurden Kaſſawa und Bananen herbeigetragen, die Hirten 
von Uſukuma jandten ihre Ochjen, und aus Muanza wurden Haden, Eifendrabt, Salz und 
große Mengen von Bataten und Yams gebradt. An größern lägen, wie Udſchidſchi und 
Nyangwe, findet man ftändige Märkte, von denen der in dem legtgenannten Plage von 
mehr als örtlicher Bedeutung it. Derjelbe hat jowohl Livingftone ald Stanley reich— 
lihen Stoff zu interefjanten Beobachtungen geboten. „Auf diefem Markte”, jagt letzterer, 
„iſt alles zu kaufen und zu verlaufen, von dem gewöhnlichiten irdenen Topfe an bis zu 
dem jchönften Mädchen au Samba, Mazera oder Uſukuma. 1000 — 3000 Eingeborne 
beiderlei Geſchlechtes und von dem verfchiedeniten Lebensalter ftrömen hierher zujammen 
vom jenjeitigen Ufer des Lualaba und von den Kundaslifern, von den weiter hinauf im 
Fluſſe liegenden Anfeln und aus den Dörfern im Mitamba oder Walde. Fat alle tragen 
in Danyema fabrizierte Kleider, zu denen fein aus Gras geflodtene, ſchön gefärbte und 
jehr dauerhafte Zeuge benugt werden. Die bier für Kauris, Glasperlen, Kupfer: und 
Eijendraht und Lambas oder vieredige Stüde von Balmenzeug verkauften Artikel veprä- 
jentieren die Produkte Manyemas.... Wie jehr ähnelte diefer Marftverfehr mit jeinem 
Zärme und feinem Gemurmel menihliher Stimmen unfern Märkten! Derjelbe Mett: 
eifer im Anpreifen der Waren, die heftigen, lebhaften Bewegungen, die ausdrudsvollen 
Geſten, der forjchende und prüfende Blid, die wechjelnden Mienen der Gerinafhägung 

Böltertunde. 1. 13 


194 Allgemeines über bie Neger. 


und des Triumphes, der Beforgnis, Freude und des Beifallipendens: alles dies war auch 
bort zu bemerken. Ich beobachtete auch die überraſchende Thatſache, daß die Ureinwohner 
von Manyema fich juft diefelben übertriebenen Begriffe in Bezug auf ihre Ware zu bilden 
vermögen wie die Londoner, Parijer und New Norker Krämer.“ Übrigens find die 
Handelsgebräudhe nicht überall die gleihen. So find z. B. im Hinterlande Angolas in 
diefer Hinfiht die Bangala anders anzufajfen als andre Völker. Gibt man ihnen bei 
einem Geſchäfte nicht ſchnell das, was fie verlangen, jo gehen fie fort und fehren nicht 
mehr zurüd; man hat es mit ihnen gründlich verdorben, und fie trachten dann auf andre 
Weife, durch Diebftahl oder jonjtwie, in den Befig der für fie begehrenswerten Gegen- 
ftände zu gelangen. Anders find beifpiels- 
weiſe die Songo und die Kiofo, welche in 
übliher Weife mit fi handeln lafjen. 
Livingftone madte die Erfahrung, daß 
man auf den Markt gehen müſſe, wenn man 
irgend etwas, auch jelbft eine Kleinigkeit, 
faufen wolle. Die Manyema vermeiden es 
mwomöglih, anderweitig Handel zu treiben. 
Wenn man einem jagt: „Verkaufe mir diejes 
Huhn oder jene Frucht”, jo wird er in der 
Kegel antworten: „Komm auf den Tichitofa 
(Marktplab)”. Die Menge, die hier zuſam— 
mentrifft, flößt offenbar dem Einzelnen Ver: 
trauen ein, und bie Unverleglichfeit der 
Marktbefuher und des Marktplatzes jcheint 
einer der wenigen feften, durch lange Übung 
geheiligten Nechtsbegriffe der hiefigen Völker 
zu fein. Auch ift der Marktbeſuch für viele 
eine tägliche Gewohnheit; denn wenn auch in 
Nyangwe allerdings nur alle drei Tage Markt 
Gin Bipckoträger = dem Marfde (ma Serva gehalten wird, fallen dafür auf die übrigen 
er Tage Märkte in der Nachbarſchaft, welche von 
Nyangmwe aus regelmäßig beſucht werden. Zu beftimmter Stunde ftrömen dann von außen 
herein Weiber und Männer mit ihren Waren, die erftern, welche weitaus die größte Zahl 
ausmachen, mit ſchweren Ladungen von getrodneter Kaſſawa, großen irdenen Töpfen und 
dergleichen, die legtern mit etwas Eifen oder Grastuch, höchſtens mit ein paar Hühnern oder 
einem Schweine über der Schulter. Wir verfuchen, aus den Schilderungen Livingftones 
und Stanley3 eine Lifte der hier ausgebotenen Gegenftände zufammenzuftellen: Sklaven, 
Schweine, Hühner, lebende Lembe (Lepidofiren) in Töpfen mit Waſſer, andre getrodnete 
und an Stäbchen aufgeftedte Fiſche, zweierlei geröftete Schneden, weiße Ameifen (Gumbe), 
getrodnete Kafjawa, Getreide, Mehl, Kartoffeln, Bananen, Gemüſe, Lehmballen für jolche, 
die an der Erdeſſerkrankheit leiden, Kuchen aus Fliegenlarven, Palmöl, Salz, Pfeffer und 
andre Gewürze, Eifenblöde, die an beiden Enden ausgezogen find, um die Güte des Me— 
talle3 zu zeigen, Thongefäße, Palmen: und Graszeug. 

Dies ift lofaler Verkehr. Zum Fernverkehre jcheinen erft fremde Händler, befonders 
Araber und portugiefiihe Mulatten, den Anftoß gegeben zu haben, und derfelbe war, 
injofern er vorwiegend dem Sklavenhandel diente, den Negern jhädlih und unangenehm. 
Ihn erfchwerte dann aud der Wegemangel. Im Afrifa der Neger find Fünftliche Wege, 
eins der erjten Zeihen von Fortichritt bei einem Volfe, mit wenigen ſehr ſchwachen 





Märkte. Handelswege. Brüden. Karawanen. 195 


Ausnahmen, wie fie 3. B. Uganda bietet, nicht zu finden. Die begangenften Wege find 
Pfade wie Ziegenpfade, eine oder zwei Spannen breit; in der Reijezeit duch Menſchen 
und Tiere ausgetreten, fterben fie in der Regenzeit aus, wie der Afrifaner fagt, d. h. 
fie werden überwachſen. An offenen und öden Stellen laufen vier oder fünf folde Spuren 
parallel zu einander, in bufchreihen Gegenden find es Tunnel3 in Gefträud und Baum: 
gezweige, weldhe den Trägern das Fortbringen ihrer Laften erſchweren. Felder und Dörfer 
find mit Heden, Baumverhauen ober wagerecht vorgelegten Stämmen umgeben, die zu Um: 
wegen zwingen. Im offenen Lande kann man ein Fünftel des Weges auf Windungen rechnen; 
wo Hinderniffe vorfommen, darf man die Hälfte annehmen. Die ſchwierigſten Wege führen 
durch hohes Gras, wie es in Uſaramo und Khutu oder in Lunda wächſt, oder in den Gebirgen, 
deren Abhänge, wenn möglich, in den Betten der Gießbäche erftiegen werden, oder endlich die 
fumpfigen Flußufer entlang. Zu den häufigften Wegzeichen gehören gebleihte Knochen und 
Schädel, Topfiherben, Nahahmungen von Bogen und Pfeil, die auf nahes Waſſer deuten. 

Die Furten find bei dem geringen Waflerreihtume des Landes jelten über "/s m tief, 
in der Regel viel jeihter. Zu Burtons Zeit waren zwiſchen Udſchidſchi und der Küſte 
nur zwei Flüffe überbrückt, der Mogeta und der Rugumu, und nur der Malagarafi konnte auf 
einer Fähre überfchritten werden. Diefe Brüden find oft mit viel Geduld hergeftellt, jo 
die über den Rowube, weldhe Cameron auf dem Rückmarſche von Nyangwe beichritt, und 
welche aus bis 10 m hohen Pfählen beftand. Wir laſſen die Bejchreibung einer Brüde über 
den Wami folgen, welde Wilfon auf dem Wege von Bagamojo zum Uferewe zu über: 
-jchreiten hatte: „Die Ufer erhoben ſich hier 15 Fuß hoch; von einem zum andern waren zwei 
kräftige Schlingpflanzen herübergezogen und auf beiden Seiten an ftarfen Bäumen befeftigt 
worden. Dieje waren in kurzen Abftänden durch quergelegte Stüde Holz verbunden, welche 
lange Balken trugen; eine dritte Lage furzer Stöde war wieder quer über dieje gelegt und 
bildete jo den Boden der Brüde. Das Ganze ftügten einige ftarfe Pfähle, die in das Fluß: 
bett eingerammt und mit den Pflanzenjeilen verbunden waren; zwei ebenfalls herübergezogene 
Schlingpflanzen bildeten das Geländer und trugen noch zur Feſtigkeit der Konftruftion bei. 
Der Bau diefer Brüde zeugte von viel Erfindungsgabe und Geſchicklichkeit. Sie muß in 
neuem Zuftande jehr tragfähig und ficher gewefen fein; damals jedoch war fie alt, die Stöde 
auf dem Boden hatten die nadten Füße zahllofer Paſſanten glatt poliert, viele der Stügen 
waren zerbroden, und die weit Flaffenden Lüden zeigten zur Genüge, daß jeder Fehltritt 
in die ftrudelnden Wafjer hinunterführen mußte; dazu ſchwankte und zitterte der ganze 
Bau fo fehr, daß man nur mit Mühe das Gleichgewicht halten konnte.” Ofters find die 
fogenannten Brüden nur einfahe Lianenftride, an welchen die Ejel oder Maultiere der 
Karawane (wir reden hier jpeziell von Oftafrifa) von einem Ufer zum andern hinüber: 
gezogen werden. An folhen Übergangsftellen konzentriert fi die Karawane, die im übrigen 
über eine lange Linie hin zerjtreut marfchiert, jo daß der Führer eines Zuges gezwungen 
ift, alle Abwege durch Striche zu bezeichnen, die er mit feinem Speere auf den Boden 
macht, oder durch darübergelegte Zweige, jo daß feiner von der Gejellichaft ſich verirren 
fann. An diefen Bunkten wird dann auch das Lager aufgejchlagen oder, wenn jene nicht 
vorhanden, unter großen Bäumen, im Schuge von Felſen ꝛc., in befreundetem Gebiete 
wohl auch in der Nahbarjchaft eines Dorfes. 

Eine bejondere Beachtung erfordern die ftändigen Karamwanenwege, welde für 
die ganze Kultur Afrifas von der größten Bedeutung find, da fie jhon früh die Kanäle 
bildeten, Durch welche Kulturanregungen aus andern Ländern ihren Weg ins Innere fanden, 
Die wichtigften find die von Dften hereinfommenden, weil fie unmittelbar in Das Innerſte 
der Negerländer hineinführen. Süden und Weiten find aud in diefem Punkte weniger 
begünftigt. Hier erlangte nur ber portugiefiihe Weg zum Kajembe eine gewiſſe Bedeutung. 

13* 


196 Allgemeines über die Neger. 


Die nördlihen Wege durch die Wüſte nah dem Sudan aber führen nicht unmittelbar zu 
den Negern, fondern zunächſt in die gemifchten Staaten der Kanuri, Fulbe und Araber, 
deren Verkehr mit den weiter ſüdlich wohnenden Negern teilweife ganz in Sflavenjagd 
aufgeht, wie es einft bei den alten Agyptern der Fall war, von deren Verfehre mit den 
Negern gewiſſe VBereiherungen des Kulturfchages der legtern Kunde zu geben ſcheinen. 
Im Dften find aber nicht Fremde, jondern die Neger ſelbſt im 
Karawanenhandel thätig aufgetreten. Hier ift der eigentlihe Sig 
des Negerhandels, und hier ift befonders auch das Trägerweſen 
organifiert, jo daß Comber mit Recht vom untern Kongo jagen 
fonnte: „Wenn wir nur Träger hätten, wären unfre Schwierig: 
feiten überwunden; aber ich glaube, e8 ift weit leichter, von Bagamojo 
aus Uganda oder Udſchidſchi zu erreichen, ald den Stanley Pool von 
bier aus, da es bier fein Aquivalent für die Zanzibarträger gibt”. 
Die Waniamweſi haben ſeit undenklichen Zeiten ihre Wege nad) der 
Küfte gemacht; wenn der eine durch Krieg, Blutradhe 2c. geſchloſſen 
war, öffneten fie einen andern; aber die eigentlihen Karawanen, 
im Kifuaheli „Safari“, im Kinyamweſi „Lugendo“ genannt, beitanden 
lange nur aus gemieteten Trägern von der Hüfte. NR. %. Burton 
berichtet, daß Bewohner der Küfte erſt furz vor jeiner Zeit an dieſes 
Geſchäft gegangen jeien. Dieje Leute verlaffen nicht gern ihre Felder 
zwijchen Oftober und Mai, weshalb die Karawanen nad) der Küſte in 
der Regel die trodne Jahreszeit wählen. Won der Küfte ins Innere 
gehen fie mit Vorliebe am Schluffe der großen und Heinen Regenzeit, 
aljo im Juni oder September. Im Jahre 1857 betrug der Lohn 
eines Trägers von der Küfte nad) Kaſeh 10—12 Dollars Wert in 
Waren, zeitweife war er früher auf 6 Dollars gejunfen; die Abwärts: 
reife war viel billiger. Die Träger werden in Oſtafrika Pagafi 
genannt, in den portugiefiihen Teilen Carregadores. Man fann 
dort dreierlei Karawanen unterfcheiden: die der Waniamweſi, ſolche, 
die aus Trägern eigner Güter, und joldhe, die aus Gemieteten Kleiner 
Händler bejtehen; legtere ftehen unter einem gewählten Haupte, wel: 
ches Mtongi oder Ras Kafilah genannt wird, und fie find, da fie von 
eignem Intereſſe getrieben werden, die billigften und fommen am 
rafheften vom Flede. Wir glauben gern der Äußerung R. F. 
YBurtons, daß der europäijche Neifende bedauern wird, wenn er ſich 
Cine Glode des Nujers einer jolhen Karawane anſchließt, denn diefelbe weicht nicht drei 
ur... eu = Schritt von ihrem Wege ab. Die Träger der Araber find natürlich 
nr viel anjpruchsvoller und unzuverläjjiger. „Dieje eigenwilligen Schur— 

— —— ee benehmen ſich mit der kühlſten Unverfhämtheit, ihre Antworten 
geben fie in befehlshaberiſchem Tone, fie beitimmen die Märjche und 

Halte, und ihre Arbeit verrichten fie niemals ohne laute Klagen und offene Unzufriedenheit. 
Die Nationen find der beitändige Gegenjtand ihrer Sorge; da fie zu Haufe auf eine kleine 
Nation Grüte beſchränkt find, jo verwenden fie auf dem Wege allen Scharfjinn, um die größt: 
mögliche Menge von Nahrungsmitteln herauszudrüden, und find zuzeiten von einer wahren 
Wut für Fleifch befeelt.” Von der Fülle der Nahrung und bejonders des geliebten Fleiſches 
hängt ein guter Teil der Stimmung in einer Karawane ab, und die Verteilung der Fleiſch— 
rationen ift 3. B. bei den Karawanen, die ind Majailand und nad Ukamba gehen, nad alter 
Sitte ftreng geregelt: der Kopf gehört dem Zauberer, reſp. Schreiber, das Bruftftüd dem 





Trägerfaramanen. Lager. 197 


Flaggenträger, das Schwanzftüd dem Hauptführer, das Herz dem Hornbläjer, ein Keulen— 
ſtück nebſt Fuß dem Ausrufer; alles andre fann der Kaufmann, dem die Karawane gehört, 
nad eignem Gutdünken verteilen. Gewöhnlich find diefe Karawanen von jehr unregel- 
mäßiger Gejhmwindigfeit: fie verlieren eine Menge Zeit mit den Vorbereitungen, dann 
ſuchen ſie das Verlorne einzuholen, bis Krankheiten oder Dejertion fie dezimieren und 
fie neuerdings zu langſamem Vorrüden oder Zeitverluft zwingen. Die in Oftafrifa von 
Wafuaheli oder Mamrima geführten Karawanen ftehen zwiſchen dieſen beiden Ertremen; 
die Führer verftehen ſich vor allem viel befjer mit ihren Pagafi als die Araber. Dieje 
Karamanen find im allgemeinen die fidherften und leiden am wenigjten von Krankheiten. 
Alle, wenn fie nicht gerade in der Zeit bes Leidens find, verkürzen fi die Wegftunden 
durh Singen, Schreien, Rufen von außer auf Reifen nie gehörten Worten, und dieſer 
Lärm verdoppelt fi in der Nähe eines Dorfes, wo die Flagge entfaltet und, wenn eine 
vorhanden, die Trommel geihlagen wird. „Hupa, Hupa! Vorwärts, vorwärts! Mgogolo! 
(Halteplag!) Futter! Futter! Seid nicht müde! Hier ift das Dorf, die Heimat ift nahe! 
Eile did, Kirangofil Ob, wir jehen unſre Mütter! Wir werden eſſen!“ So geht das 
Geſchrei und Gejohle. Indeſſen wird jelbit in Gegenden, wo Dörfer reihlih find, nicht 
immer in denſelben eingefehrt; denn nicht alle Völfer find den Karawanen mwohlgefinnt, 
von welden fie vielleicht früher Übles erfahren haben. Die verfehrsgewohnten Wam: 
rima laſſen Fremde unbedenklich in ihre Dörfer ein, die MWaniammefi find ebenjo ent: 
gegenfommend; aber die Waſaramo nehmen feine Waniamwefi auf, und in Ugogo 
lagert man aus Mißtrauen gegen die Bevölkerung immer im Freien. Weiter nad) Norden, 
im Lande der Mafai, gleichen die Karawanen Kriegszügen. Sie marjhieren langjam und 
geihloffen, weil die Maſai zurüdbleibende Träger abfangen oder niederftoßen. Sobald 
der LZagerplag erreicht ift, wird fofort eine Verfhanzung aus Afazien und Mimojen, 
die mit Stadeln bewehrt find, hergeftellt, um vor nächtlichen Überfällen einigermaßen 
gefichert zu jein. 

Die Lager werden immer freisförmig angelegt, mit einem Hedenzaune umſchloſſen 
und haben in der Mitte auf freiem Plage die Hütten für die Führer der Karawane. In 
den öftlihen Teilen, wo Holz felten ift, wird ein Geftell aus Stäben gemacht und mit 
einem auf den Boden reichenden, vorn offenen Dache aus Raſen bevedt. Von Uvinja 
bis zu den Seen, wo überall Bäume in größerer Zahl vorfommen, baut man Rinden— 
hütten, ähnlich den Hütten der jtändigen Dörfer, während die Seeanwohner Riedmatten 
mit ſich tragen, die, über Stäbe geipannt, ihre Zelte bilden. Groß brauchen diefelben 
nicht zu fein, denn die Fähigkeit, zu zweien oder dreien den ganzen Körper, mit Ausnahme 
ber Beine, unter eine Matte von 1 m im Geviert unterzubringen, gehört zu den hervor: 
ragenden Reifetugenden des Afrifaners. 

Die Gefhmwindigkeit der Karamanen ijt natürlich eine jehr verſchiedene. Burton 
erzählt von einer von Arabern geführten, die täglich 30 engl. Meilen zurüdlegte, was aber 
etwas ganz Ausnahmsweijes ift. Derjelbe Reifende meint, daß an fühlen, mondhellen 
Morgen wohl eine Marichgefhwindigkeit von 4 engl. Meilen pro Stunde möglich jei; aber 
die normale ift jelbftverftändlich viel geringer, 2!/s engl. Meilen in der Stunde dürften ein 
noch ziemlich reichliher Durchſchnitt für eine längere Reife fein. Livingftone machte mit ſei— 
nen fräftigen Makololo 21/2—3 engl. Meilen. Lacerdas Träger (in Oftafrifa) waren über 
die Zumutung erftaunt, etwas über 2 deutfche Meilen den Tag machen zu müffen, während 
Pethericks Träger 8 Stunden im Tage marjchierten und 3!/s engl. Meilen in ber Stunde 
zurüdlegten. Das Menjchennaterial, der Boden, das Klima erklären dieſe Unterjchiebe. 
Aber die Mehrheit der Reiſenden zeugt für die Wahrfcheinlichfeit der geringern Annahmen, 
und es jcheint jo ziemlich zuzutreffen, was Galton aus vielen Erfahrungen ſchließt: daß 


198 Allgemeines über die Neger. 


10 engl. Meilen im Tage ein guter Durchſchnitt feien, und daß der zu loben jei, der eine 
Karawane 1000 engl. Meilen in 6 Monaten durch ein wildes Land führe. 

Karamwanen find von jeher hauptjächlich von den Nusgangspunften Mombas, Zanzibar 
und Eofala ind Innere gegangen, wo bie Gebiete der Maſai und Wakamba, Wagogo 
und Waniammeli, Makua und Wayao ihre Hauptzielpunfte, d. h. in erfter Linie ihre an 
Sklaven ergiebigften Jagdgründe, waren. Sie waren wohl jhon im Anfange unfers Jahr: 
hundert bis an den Uferewe vorgedrungen, und Livingftone traf einzelne Händler am 
Zambefi. Man muß jedoch hinzufügen, daß die von der Oft: ebenfo wie von der Weit: 
füfte ind Innere vordringenden Handelsleute in der Negel feine reinen Neger, ſondern 
Araber und Mifchlinge waren. Jene zeigen zwar Handelstalent in ihrem innern Verfehre 
genug, aber es fehlt ihnen an der richtigen Schägung der beim äußern Handel ins Spiel 
fommenden Waren und Kräfte. Somenig im allgemeinen der Neger als „im Kindheits— 
zuftande der Menjchheit ftehend” bezeichnet werben kann, fo wahr ift e8, daß gewiſſe findifche 
Neigungen höherer Rafjen in ihm fich forterhalten. Es erftaunte vor Jahrhunderten Vasco 
de Gama, als der Neger mit Verachtung Gold und Silber zurüdwies, um findergleich 
nad) Glasperlen und jonftigem QTande zu greifen. Darin ift er noch bis heute derjelbe. 
Schmerzlich-komiſch wirkt der Ausdrud von Begierde, die innige, alles andre ausſchließende 
Bewunderung, mit welcher er ſolches Zeug betradjtet. Und doch gebraucht er es aud) nur 
als Spielzeug: hat er jeine Ziege oder jein Getreide geopfert, um der glüdliche Beliger 
einer Perlihnur zu werden, jo wird er fie einige Tage um den Hals hängen, um dann, 
bald wieder müde dieſes Befiges, alles zu thun, um denjelben gegen einen andern zu ver: 
tauſchen. Aber Perlen können faum bei einem Handelsgeſchäfte fehlen, am wenigſten natür- 
lid da, wo irgendwie das jchönere Geſchlecht mit in Frage kommt, Diefelben werben nicht 
immer in gleiher Qualität gefucht, jondern find in gewiffen Maße von der Mode beherricht. 
Schon im 16. Jahrhundert waren die Eingebornen der Angolafüfte fo für Perlen ein- 
genommen, daß leßtere dajelbft Geldeswert hatten. An der übrigen Weftfüfte galten zu 
derjelben Zeit Kauris als Münze, die auch im arabiſchen Handelsgebiete Oftafritas über: 
wiegend die Stelle der Scheidemünze einnehmen, wo indejjen, fei es durch Indier oder 
Araber eingeführt, aud das Silber in verfchiedenen Formen Kurs hat. In Nyangmwe 
waren zu Cameron Zeit neben den Kauris Sklaven und Ziegen allgemein im Kurfe. 
Eiferne Ärte oder Ringe, auch hufeifen= oder hauenförmige Eifenftüde kurſieren in den 
Nilländern (vgl. Abbildung, S. 199). Aber aud am Bembaſee wurden Livingftone drei 
eiferne Hauen als Fuhrlohn für das Überfegen von zehn Perfonen abgefordert. Baummwoll- 
zeug in unbraudbar jchmalen Streifen geht in den Sudanländern bis über Adamaua als 
Geld, und in Bornu nimmt das Geld bizarrerweife ſogar die Form von nie zum Tragen 
beftimmten Kloben an. Rinder als Geldeswert find bei allen Hirtenvöltern im Kurſe; 
Münzen aber haben ſich außer in Abeifinien und vielen Teilen der Sahara und de3 Sudan 
nur in ben fortgejchrittenjten und wohlhabendſten Gebieten, wie Bajutoland, eingebürgert. 

Der für die geſamte Entwidelung der Kultur in Afrifa jo wichtige Ausfuhrhandel 
leidet bis heute unter der geringen Zahl der Ausfuhrgegenftände. Daß diefe aber einer 
Steigerung fähig find, fteht zweifellos fett. Gameron nennt als Quellen der Aus- 
fuhr: Zuderrohr, Baumwolle, Olpalmen, Kaffee, Tabak, Sefam, Rizinusftaude, Mpafu 
(„ein großes, ſchönes Nugbaumbolz mit einer olivenähnlihen Frucht, aus welder ein 
wohlriehendes Ol gewonnen wird, und mit einem aromatischen Harze unter feiner Rinde, 
it vom weitlihen Ufer des Tanganika bis zur Grenze von Lovalé heimiſch“), Mustfat: 
nüſſe, Pfeffer, fowohl ſchwarzer als roter, Nugholzbäume, Reis, Weizen, Sorghum, Mais, 
Kautſchuk, Kopalharz, Hanf, Elfenbein, Häute, Wachs, Eifen, Kohle, Kupfer, Gold, Silber, 
Zinnober und Salz. Nach einer Berehnung Weftendarps hat Afrika in den 20 Jahren 


Tauſchmittel. Geld, Reifefitten. 199 


1857 -- 76 durchſchnittlich jährlich 614,000 kg Elfenbein allein nad Europa geliefert, 
abgejehen von der Ausfuhr nad Indien und Amerifa. Und Rohlfs jegt diefer Auf: 
zählung hinzu: „Der Menge der von ihm angeführten Produfte hätte Cameron nod 
leicht eine ebenjo große Anzahl hinzufügen können, denn aus den vielen nicht genannten 
heraus nenne ih nur Straußfebern und Erbnüffe, vor allen Arachis hypogaea, welche 
überall wachſen und von großer Bedeutung find”. Es würde allerdings jeltfam fein, 
wenn ein Tropenland wie Afrika nicht eine Menge ungehobener Schäge in feiner Pflanzen: 
welt bergen würde. Daneben ift aber Afrika eins der eifenreichften Länder der Erde, 
enthält mächtige Steinkohlen- und Kupferlager, hat Diamanten und Gold. Es fehlt offen: 
bar nur die Befruchtung durch Unternehmung und Kapital, um die Schäge flüffig zu machen. 

Der Neger ift nicht bloß als Wanderer 
mit Haus und Hof, jondern auch als Ein- 
zelner beweglih genug, Wir haben Ge: 
legenheit gehabt, dies bei Betradhtung der 
politifchen Verhältniffe zu betonen. Er hat 
dem entjprehend auch entwidelte Reiſe— 
fitten. Treffen z.B. Betſchuanen auf einer 
Reife zufammen, die ſich fremd find, fo ver: 
meiden fie e8, fih rafch zu nähern, vielmehr 
bleiben die Neugefommenen in einiger Ent: 
fernung ftehen oder figen, bis die andern 
fich herablafjen wollen, Notiz von ihnen zu 
nehmen, was gewöhnlich eine halbe Stunde 
dauert. Es entjpricht dies der großen Ent» j 
widelung des Mißtrauens bei Völtern auf Eilengeld vom — ne N 
diejer Kulturftufe. Dann fommen fie näher 
und berichten erjt auf Befragen ihre Erlebniffe in einem regulären Tagebudhitile, indem fie 
von allem und jedem, was fie erlebt und gejehen, in der natürlihen Reihenfolge kurze Notiz 
geben, ebenfo die andern. Der ausführlichere Bericht folgt dann erjt abends beim Feuer 
und womöglich bei der Pfeife, wo fie fich breiter auszulafien lieben. Bei den Teda von 
Tibefti und den Tuareg wird diejes Zeremoniell noch weiter getrieben, denn dieje fauern 
fih fampfbereit erſt längere Zeit nieder, ehe fie miteinander in Berührung treten. Prin- 
zipiell feindlich über dieſes natürliche Mißtrauen hinaus find nur die häufig von Sklaven: 
händlern heimgefuchten Stämme, die natürlich jeden Weißen als gebornen Feind anjehen. 
Sonjt ift der Fremde, der ald Kaufmann oder wenigſtens mit Waren reift, Gajt des 
Häuptlinges, da diefer das Monopol des Handels hat, aljo Nugen von feinem Gaſte zu 
ziehen ſucht. Die Gaftfreundfchaft wird bei vielen Stämmen der Neger nicht jo rein und 
feft gehalten wie bei andern Völkern. Der Eigennuß ftört fie. Doch hat jeder, der gereijt 
ift, bejondere, ‚„Kala’” genannte Freunde bei den Stämmen, die er bejuchte, und diejen 
Freunden ſteht es zu, fich alles anzueignen, was der andre befigt, jogar feine Hütte und 
eins feiner Weiber; jedenfalls kann er bei einem Beſuche darauf rechnen, daß ihm zu Ehren 
ein Ochs oder ein Schaf geſchlachtet wird. Natürlich beruht dieſe Sitte auf Gegenfeitigfeit. 
Wir fügen bier gleih an, daß die Sitte der Blutsfreundichaft, d. h. des Bluttauſches 
zur Befiegelung der Freundichaft, faft allgemein gefunden wird. 

Händedrud und Küffen find weder als Begrüßungen noch als Befiegelungen von 
Freundihaftsbündniffen üblih. Manche Stämme begrüßen einander durch Händeklatſchen, 
die Bombofo (Camerun) durch Aneinanderlegen der Handflähen. Die Dinka jpieen ſich 
früher zum Gruße an. Die weltweit verbreitete Sitte des Entgegenhaltens von Gras oder 





200 Allgemeines über die Neger. 


Zweigen zum Zeichen friedlichen Entgegenfommens fehrt auch bei ben Negern wieder. Bei 
Freundfhaftsbündnijjen und Friedensihlüffen beobadtet man verichiedene Zere: 
monien. Der Austaufh von Ringen, die aus dem Felle gemeinjam verfpeifter Opfertiere 
geihnitten find, verfettet die Freundſchaft. Mehr bindend find aber die Treufchwüre. 
Bei den Wafamba boden ſich die Abgejandten beider Barteien in einem Kreiſe zufammen, 
in ihrer Mitte fteht ein etwa fauftgroßes, roh aus Lehm gefnetetes, an der Sonne getrod: 
netes Töpfchen, welches mit Waſſer gefüllt if. Der Spreder der einen Partei nimmt 
ein Stäbdhen in die Hand und redet unter fortwährendem Klopfen auf das Töpfchen 
von den freundlichen Gefinnungen feiner Zugehörigen. Ähnliches jpricht ein Vertreter 
der andern Seite, dann diefer und jener aus der Verfammlung, ftet3 feine Rede mit 
Klopfen begleitend. Zulegt erhebt fich einer, nimmt das Töpfchen in die Hand, und mit 
dem Spruche: „Wenn wir die Freundfchaft breden, die wir uns bier gelobt, mögen wir 
zerbrechen wie diejer Topf hier’, zerwirft er es am Boden. Die mohammedaniichen 
Wafuaheli bedienen ſich diefer Zeremonie an Eidesitatt. Sie zerwerfen eine Kofosnuß 
in der Mofchee. Wer diefen Eid bricht, wird härter beftraft, al3 wenn es ein auf den | 
Koran geſchworner gemejen wäre Eine Modifikation diejes Gebraudes haben die Wa— 
kikuyu, wo die Verjammelten in ein gemeinschaftliches Gefäß urinieren, weldes dann 
zerbroden wird; oder fie würgen ein Opferlamm, dejjen Tod auch fie erleiden mögen, 
wenn fie den Treuſchwur brechen. Troß der feierlihen Allianzformeln fann eine ober 
die andre Partei das Bündnis löſen. Sie begibt fid ohne Vorwiſſen der andern an 
den Ort, wo ber Kongreß ftattgefunden hatte, jehlachtet ein Schaf und gießt ein wenig 
feines Blutes in eine etwa noch vorgefundene Scherbe des Bündnistopfes ober beiprengt 
den ganzen Pla mit dem Blute. Hierdurch entbinden fie jich des Eides. 


* 


Die Mehrzahl der Neger betreibt Aderbau. Man kann jagen, daß unter allen 
großen Gruppen der Naturvölfer die Neger bie beften und eifrigiten Aderbauer find. 
Eine Minderzahl veradhtet den Aderbau, um nur Viehzucht zu treiben; viele find Aderleute 
und Hirten zugleih. Sieht man von der Einfachheit der Werkzeuge ab, jo nimmt der Ader- 
bau der Neger eine ganz rejpeftable Stellung ein. Er fteht vor allem höher als irgendwo 
im voreuropäiihen Amerifa. Seine Bedeutung im Leben diejer Völker lehrt ſchon die 
Thatſache, daß Feineswegs die Frauen allein benfelben zu bejorgen haben. Das ganze 
Leben der Familie geht bei echten Aderbauern, wie z. B. den Manganja, in demjelben 
auf. Daher finden wir, daß die Monate mit Vorliebe nah den verjchiedenen Arbeiten 
benannt werben, welche der Aderbau erfordert. Wir vernehmen von bejtändig vor ſich 
‚gehenden Rodungen, durch welde Wälder in Felder verwandelt werden. Der Boden wird 
dann mit der Ajche des verbrannten Gefträuches gedbüngt. In der Mitte der Felder 
erheben fich jene leichten Warten, von denen herab ein Wächter die körnerfreſſenden Vögel 
und andre Diebe verjcheudt. In der Erntezeit verlegen ganze Dörfer ihre MWohnftätten 
in bie Felder. Die Schnelligkeit, mit welder ſich die verſchiedenſten neu eingeführten 
Kulturen in Zentralafrifa verbreiteten, jpricht ebenfalls für die Sorgfalt, welde diefem 
Wirtihaftszweige gewidmet wird. Und endlich find Induſtrien, die man landwirtjchaft: 
liche nennen könnte, wie 3. B. die Mehlbereitung aus Hirfe, Kaſſawa und andern Früchten, 
die Herftellung gegorner Getränke aus Kömerfrühten (vgl. Abbildung, S. 201) oder die 
Verarbeitung der Baumwolle, jehr weit verbreitet und werden mit großer Sorgfalt gepflegt. 

Das Klären eines Aderplages geſchieht durch Feuer, mit der Hade oder feinen Art. 
An der Oftfüfte benugt man auch ein breites, lanzenblattförmiges Faſchinenmeſſer an 
kurzem Stiele. Überhaupt muß die Lanzen- oder Speerflinge manchem friedlihen Zwede 


‘008 3 BE er 1949 You) vquodogz usa 19q »Boppdagmork um 


Aderbau, 


201 





202 Allgemeines über die Neger. 


dienen. Größere Bäume werden durch Entrinden getötet. An bie Ackerränder legt man 
Dornäfte, unter deren Schuße allmählich dichte lebende Heden entftehen. Dann wird der 
Boden mit einem hölzernen, an den Enden breitgefchärften Spaten gelodert und von Unkraut 
gereinigt. Eijerne Gerätſchaften dürfen bei vielen Völkern hierzu nicht angewendet werden, 
da man glaubt, der Regen würde verſcheucht. Dieſem alten Brauche entgegen haben jedoch 
jelbit Schon die Wakamba die Hade (Yembe) der Küftenvölfer eingeführt. Nachdem fo bei 
Beginn der Regen der Boden vorbereitet, fchreitet der Säende über den Acker, bei jedem 
Schritte mit dem nadten Fuße ein Loch ſcharrend, in welches er einige Körner aus der Hand 
fallen läßt; der Fuß dedt fie zu, und wenn ber gute Zauberer genug Regen macht, der böje 
ihn nicht zurüdhält, jo ift bis zur Ernte nichts weiter zu thun, als einmal das mitgefeimte 
Unfraut zu jäten. Für die Jätung haben einige Völker befondere halbmondförmige Werkzeuge. 

Selten nur wird ein Feld mit einer einzigen Fruchtart beftellt, meift wird „zwiſchen— 
gepflanzt”. So jegt man im Often auf Cajanus- und Sorghumäder, welde zweier Negen: 
zeiten bis zur Reife bedürfen, Bataten (aus Stedlingen gezogen) und Manihot (aus 
Stedholz) oder ſäet Bohnen, die bei ihnen eine Stüße der windenden Triebe und Schatten 
finden. Hier und da fchlängelt ſich auch ein Flaſchenkürbisgewächs am Boden des Feldes. 
Tabaf wird dicht bei den Hütten gepflanzt, wo er durch die dort angefammelten Dungitoffe 
jehr gut gedeiht. Man zieht eine echt afrifanifche und daneben bie rotblühende fogenannte 
virginifche Art. Er gebraucht ebenfalls zwei Regenzeiten zur Ausbildung. Rizinusbäume, 
eine großförnige Kulturform, jtehen in weiten Abftänden zwiſchen andern Feldpflanzen. 
Das ganze Jahr hindurd wird gefäet und geerntet. Sorghum, welches in den Herbit: 
regen gejäet wird, wächſt etwa meterhodh empor und fteht dann in ber trodnen Zeit ftill; 
in der großen Frühjahrsregenzeit entwidelt es ſich ſchnell zur Reife, die im Mai erfolgt. 
In den großen Regen jäet man Mais, Hülfenfrüchte, Kürbifje und andre fchnell reifende 
Pflanzen. Wenn fie abgeerntet find, baut man an ihrer Stelle Pennicillaria, die im 
Januar und Februar eingebradt wird. Die Getreideähren werden vor dem Ausfallen 
ber Körner mit einem Mefjer einzeln abgefchnitten. Man läßt diefelben in der Hütte 
nadtrodnen. Gelegentlich werden fie auf hartem Boden oder glattem Felſen als Tenne 
mit langen, dünnen Loden, an denen oben einige Seitenäjte gelaffen, gebrochen. Das 
Hauptgetreide der afrikaniſchen Völker ift dur alle Zonen und Höhen hindurch die 
Hirjenart Pennicillaria spicata. Sorghum, welches in einigen Gegenden dominiert, 
iſt für body gelegene Länder weniger angezeigt. Hier treten denn aud an Stelle der 
gleihfalls mehr Tiefland Liebenden Bataten und des Maniot Mais und mande Hülfen- 
früdte. Bon legtern find mehrere Arten jehr beliebt. Die in einigen Gegenden, 3. B. 
in Uganda, fait die Hauptnahrung bildenden Bananen find in andern vernadhläffigt. 
Die Erdnüſſe werden hauptſächlich in Weftafrifa mafjenhaft gebaut. Man darf ſich aber 
die Aderarbeit der Neger nicht paradiefiich leicht vorftellen. Vorzüglich der Anbau der ver: 
fchiedenen Arten und Abarten von Hirje ift fein ganz leichter; er erfordert jedenfalls mehr 
Sorgfalt als der des Maifes oder gar der Wurzelgewächſe. Arbouffet, der uns ein Bild 
vom Anbaue der Hirje bei den Kaffern gibt, jagt, daß die Eingebornen dort drei Viertel 
des Jahres damit bejchäftigt find, „Nicht als ob fie nicht gut fortfäme; aber fie muß 
zwiihen Saat und Ernte zweimal gehadt, gejätet, ausgeblättert, von überflüffigen Zweigen 
befreit, im jungen Zuftande gegen die Heufchreden und in der Neife gegen das Vieh und 
die Vögel geichügt werden.” Die Körner find nahrhaft und von angenehmem Gejchmade; 
da jie aber wenig Kleber enthalten, badt das Mehl nicht leicht zufammen. Die Bet: 
ſchuanen effen daher die Hirje ſtets mit Milch oder mit Kürbisſcheiben. 

Die Schwierigkeit des Aderbaues fteigert fich für die Neger durch die Einfachheit 
ihrer Werkzeuge, durch die Vernachläſſigung des tierischen Düngers, der wohl durd 


Aderbau. Aderwerkzeuge. Scheunen, 203 


Aſche erjegt wird, und durch gewiſſe Schwierigkeiten, welche die Aufbewahrung bietet. Was 
eritere anbetrifft, jo hat die hölzerne oder eiferne Hade alles zu thun. Der Pilug iſt 
den Negern bis heute im wejentlihen fremd. Barth läßt denfelben füdlic von Agades 
fehlen, und ebenjo verſchwindet er bei den ſüdlich von Abejjinien wohnenden Galla, 
Man kann aljo jagen, daß diefes Werkzeug in den eigentlihen Negerländern urjprüng- 
ih nicht gefunden wird. Es würde falſch fein, hieraus jogleih einen Schluß auf die 
Sinferiorität de3 Neger als Aderbauers zu ziehen. Manche Neger bauen ohne Pflug ihr 
Land bejjer als die Abeffinier mit demſelben. Regelmäßiger Aderbau in größerm Stile, 
aljo mit dem Pfluge, findet in ben Tropenländern bei der üppigen Vegetation, melde 
den Boden bededt, oft ſchwere Hinderniffe, zu deren Überwindung feine Notwendigkeit 
treibt. Die Familien finden ihr 
Ausfommen, auch wenn fie den 
Boden nur mit der Hade bearbei- 
ten. Man muß feinen europäis 
ſchen Maßſtab an den Aderbau der 
Neger legen, welcher vielmehr bei 
dem Reichtume ertragreicher Ge— 
wächſe, über welche er verfügt, und 
bei der Möglichkeit wiederholter 
Ernten mehr gartenartig jein fann 
und daher weit abjteht von dem 
Aderbaue verhältnismäßig küm— 
merlichen Ertrages, der auf weiten 
Flächen bei uns betrieben wird 
und nur unter Borausfegung gro: 
Ber Sorgfalt erfolgreich) ift. 

In allen tropiihen Teilen 
Afrifas bildet die Aufbewahrung Sale und Art der Ovaherero (Mufeum für Völterfunde, Berlin). 
der Ernten eine große Schwierig: 
feit des Aderbaues. Infolge der Verwüftungen des Kornmwurmes läßt ſich die Hirje jchwer 
auch nur bis zur nächſten Ernte halten, zumal die Art der Aufbewahrung eine jehr unvoll- 
fommene ift. Soviel fie bauen, und fo reichlich die Ernte ausfallen möge, alles muß in 
einem einzigen Jahre aufgezehrt werden. Dies mag der Grund fein, warum die Batofa, 
Nordbaſuto und andre jo viel Bier brauen. Unzweifelhaft liegt hier aber, ſoviel auch das 
Klima mit ſchuld jein mag, eine der Unvolllommenheiten vor, mit weldhen der Aderbau 
notwendig unter einem Volke behaftet fein wird, in deſſen Sitten die VBorficht und Ausdauer 
wenig entwidelt find und daher nicht mit einem jtarfen Faden notwendigen Zufammenbanges 
die einzelnen Thätigfeiten und die Thätigfeit der einzelnen Tage aneinander zu reihen ver: 
mögen. Die Notwendigkeit, bie Vorräte, für welche jelten ein reger Abjag möglich ift, von 
Ernte zu Ernte aufzuzehren, beeinflußt fiherlich das ganze Wirtichaftsleben diejer Völker in 
ungünftigem Sinne. Um jo mehr ift aber die Sorgfalt anzuerkennen, mit welcher jie der 
Zerftörung vorzubeugen fuchen. Nur ift diefelbe in ihrer Wirkung notwendig jehr beſchränkt. 

Zu den widtigften Bauobjeften gehören in ganz Negerafrifa die Kornſpeicher. Soweit 
die Verbreitung der Tropenregen und der weißen Ameijen reicht, findet man bie auf 
Pfoſten ruhenden Speicherhütten und andre Vorrichtungen, welche zum Aufbewahren ber 
Kornvorräte dienen. Von kleinern Speiherhütten kann man das ganze Dad dedelartig 
abheben, um zum Inhalte des Speichers zu gelangen. Bei den Betichuanen ftehen die 
irdenen Kornbehälter, die den nubifchen im Prinzipe ähnlich find, im freien Felde; die 





204 Allgemeines über die Neger. 


Bamangwato haben fie in ihren Hütten, von denen fie einen großen Teil einnehmen, und 
die Musgo, bei welden jie turmförmig find, in ihren Gehöften. Die Bongo pflegen ihre 
Kornipeiher, „Gollotobs“ geheißen, mit einem zierlich geflochtenen Strohpoljter, dem 
„Bonj“, zu Erönen, der als Sig dient, um von der Dachſpitze aus das flache, meift von 
hohem Korn: und Graswuchje bededte Land überfhauen zu können. Um diejen Sig herum 
ragen ſtets 6—8 hornartig gejchweifte Hölzer, oft die Enden mehrerer das Dachgerüft jelbit 
darjtellender Baumäſte empor, ein charakteriftiiches Merkmal aller Bongohütten. Dem 








—— — en 
— — 
— — 


zu. = — —— — 


Ein Dorf mit Getreidehäuſern in Lovale (nah Cameron), 


Syſteme des abhebbaren Kegeldaches begegnen wir außer bei Südafrifanern auch bei den 
Njam-Njam, den Sjern, den Golo und den Kredſch. Der Behälter des Kornſpeichers ift nad) 
dem nubifchen Mufter gewöhnlich aus Thonerde; bei den Siern ruht er auf einem Pfahle, 
mwodurd er gegen Näſſe, Termitenfraß und Ratten gleich gefichert, auch Dieben ſchwerer 
zugänglich ift. Barietäten diejes Syftemes find die Kornfpeicher der Golo; hier finden wir 
ſolche mit becherförmigem, auf einem zentralen Pfahle errichtetem und durch Seitenhölzer 
gejtügtem Thonbehälter und dedelartig abhebbarem Kegeldadhe, dann Kornſpeicher mit 
ihüfjelförmigem Thonunterbaue, der auf vier Pfählen ruht. Ähnliche Kornbehälter 
wiederholen ih durch den ganzen von Negervölfern bewohnten Teil des afrifanifchen 
Kontinentes, vom Niger bis zum Lande der Ovambo. Doch finden wir aud) in den Bäumen 
aufgehängte Körbe oder Gerüfte, an denen der Mais außer dem Bereiche der Ratten und 


Scheunen. Viehzucht. 205 


Mäufe im Freien aufbewahrt wird, und offene Trodengerüfte für Mais, 3. B. bei den 
Manyema, die dann auch zur Auffpeicherung dienen. 


Die Viehzucht der Neger findet ihre hohe Entwidelung im Oſten des Erbteiles, wo 
ausschließlich viehzüchtende Stämme vom mittlern Nil (ca. 12° nördlicher Breite) bis zur 
Südſpitze wohnen. Hauptgegenftand derjelben ift überall das Rind. Daneben fommen 
als Haustiere Ziegen, Schweine, Schafe, Hunde und mageres Geflügel in Betradht. Das 
Rindvieh (vgl. ©. 16) ift nüglich als Lafttier, als Milch- und Fleijchtier. Auch das durch 
ftarfe Aderläffe am Halje entzogene Blut wird oft und 
zwar anjcheinend ohne üble Folgen als Nahrungs: 
mittel verwendet. Wir gehen in diejer allgemeinern 
Betradhtung über jene Stämme hinweg, die wenig 
Viehzucht mit vorwiegendem Aderbaue verbinden, 
um jene ins Auge zu fallen, welche fait nur von 
Viehzucht leben. Dieje Stämme, welde im Sudan 
quer durch Afrika reichen, um dann auf dem Hod): 
lande des Oftens von den Dinka am obern Nil bis zu 
den Kaffern an der Südſpitze Afrikas faſt lüdenlos 
fih zu erjtreden, find eine der merfwürdigiten und 
wichtigſten Erſcheinungen im Völkerleben Afrikas. 
Es gibt wenige andre Naturvölker, die der Vieh— 
zucht mit ſolchem Eifer, ſolcher Hingebung obliegen. 
Einige von ihnen verachten jeden Aderbau, aber 
auch bei jenen, die nebenher Aderbau treiben, er: 
jcheint diefer mehr als eine läftige Notwendigteit, 
während e3 die Herden find, welche den Mittel: 
und Schwerpunft bilden, um den das ganze leib: 
lie und geiftige Leben fich dreht. Bei einfeitigen 
Hirtenvölfern bilden das Vieh, jeine Heritammung, 
feine Gewohnheiten, Vorzüge und Fehler den Gegen II en en 
ftand von wenigftend 99 Prozent aller Geſpräche. NE In 
So erzählt Büttner von den Herero. Während ” Rernipeinen nen Aanios Ririre 
fie es nicht für nötig gefunden haben, für die Farbe 
des blauen Himmels und des grünen Graſes bejondere Worte in ihrer Sprache feſtzuſetzen, 
fann jede Nüance, jede Abzeihnung in den Farben ihrer geliebten Rinder, Schafe und 
Biegen auf das allergenauejte bejtimmt werden. Auf den Reichtum der Bezeihnungen 
für die Farben der Rinder bei den eine ganz andre Sprade jprechenden Dinfa hat auch 
Schweinfurth aufmerfjam gemadt. Wenn fremdes Vieh vorbeigetrieben wird, erhebt 
fih jofort ein Wettjtreit der jungen Leute, welche Farben diefe Stüde haben, und die 
Sade wird mit gründlichiter Gelehrſamkeit durchgeiprodhen. Ebenjo achten fie auf den 
Wuchs der Tiere, auf ihre Hörner, ob fie jo oder jo gekrümmt find, und wenn ein Stüd 
verloren gegangen ijt, wird der juchende Hirt e8 allen Begegnenden nad) jeiner Farbe, 
feiner Gangart, der Größe und Form der Hörner und nad) wer weiß welchen andern Fleinern 
bejondern Merkmalen jo bejchreiben, daß ein jeder Sadhverftändige e8 unter Tauſenden 
herausfinden müßte. Auch wenn fie luftig und guter Dinge und zum Tanzen aufgelegt 
find, ſo find es zunächſt wieder die Rinder, deren Weiſe tanzend nachgeahmt wird. Mit 
den halb erhobenen Armen und Händen werden die gefrümmten Hörner fopiert, der Ober: 
leib wiegt ſich Hin und her, wie die Rinder beim Gehen den Kopf zu wiegen pflegen, und 





206 Allgemeines über die Neger. 


alles freut fi, wenn einer der Tanzenden einen beliebten, berühmten, vielbejungenen 
Ochſen jo darjtellt, daß alle auf den erſten Blid erfennen können, welcher gemeint ift. Von 
den Dinka, den großen Rinderzüchtern am obern Nil, wird erzählt, daß ihre Liebe zu den 
Herden oft noch größer jei als zu ihrer Familie, jo daß bei den Sklavenjagden die Baggara 
und Genofjen nur die Herden wegzutreiben brauchten, um ficher zu fein, daß deren Eigen- 
tümer ihnen folgen würden. Übertrieben, wie diefe Angabe Klingt, erſcheint fie als nicht 
jo ganz unglaubwürdig, an dem Maße der Leidenschaft gemefjen, mit welcher die Neger 
an diefem Bejige viel mehr nod als an jedem andern hängen. Aud in den Kaffern- 
und Betichuanenfriegen ber Engländer und der Boeren jpielte das MWegtreiben ber Herden 
eine große Rolle als unfehlbar wirkendes Unterwerfungsmittel. Aus diefer Anhänglich- 
feit erflärt ſich auch die Unluft der Hirtenvölfer, ihre Herden zu vermindern. Da fie jo 
außerordentliche Freunde von Fleifh und Fett find, ift die Enthaltfamfeit doppelt merf- 
würdig, mit ber fie ihren Herden gegenüberftehen. 

Das Schaf (vgl. ©. 17) ift vielleicht als eigentlihes Schlachttier anzufehen, wies 
wohl auch es möglichit gefchont wird. Wenn die Eingebornen Opferzeremonien bejhreiben, 
fo reden fie faft immer jo, daß ein Schaf geichlacdhtet wird. Aus den Knötchen und Drüfen 
bes Eingeweideneges eines geſchlachteten Hammels weisfagen auch die Zauberer der Herero 
ganz wie die römijchen Harufpices, Ein fettes Schaf wird als Ganzopfer verbrannt, wenn 
man in der Dürre Regen wünjcht; wenn der ſchwarze Rauch qualmend zum Himmel empor: 
zieht, verdichtet er fich dort oben zu Wolfen, jagen die Herero, welde dann den Regen 
herabſchütten. Dagegen werden zu größern seiten, Beſchneidungs- und Leichenfeierlichleiten 
Rinder geſchlachtet. Indeſſen muß es jchon eine außerordentliche Gelegenheit fein, wenn 
etwas gejchlachtet werden ſoll. Am allerliebjten erfreut fi der Neger der noch lebenden 
Tiere, wenn fie jo recht von Fett jtrogen. Auch ber Hirt, der bei einem fremden Europäer 
um Lohn dient, wird nie, wenn ihm nicht ganz ausdrüdlicer Befehl geworben ift, die 
beften Tiere der Herde für den Tiſch feines Herrn ſchlachten, ſondern jo lange warten, 
bis fie von jelbit fterben oder dod; dem Tode nahe find. Man fieht daher in den Herden 
der Neger immer uralte Tiere, die aus Zahnlofigkeit fein trodnes Futter mehr fauen 
fönnen, jo daß fie in der Trodenzeit elend zu Grunde gehen müffen. Ein Weggeben aus 
der Herde ohne Zwang geht daher völlig über den Horizont eines ſchwarzen Viehzüchters 
hinaus. Schweinfurth meint, man würde fid angefichts der fait religiös zu nennenden 
Liebe der Dinka für ihre Herden an die Rinderverehrung der Toda erinnert fühlen, wenn 
nicht die Dinfa bei fremden Gelagen ohne jeden Skrupel den Ochjen verzehrten, ben fie 
in ihrer eignen Herde ängſtlich ſchonen. 

Die Europäer fanden dieſes merkwürdige Feithalten der Herden jchon bei ihrer erften 
Berührung mit den Sübnegern. Im Jahre 1801 trat in der Kapkolonie infolge der 
Kaffernkriege und des ftarfen Bedarfes der englifhen Armee und Flotte ein großer Mangel 
an Rindern ein, dem abzuhelfen eine Erpedition unter Truter und Somerville zu den 
Betichuanen gefandt ward. Diefelbe, welche die erjten genauern Nachrichten über die 
Betſchuanen brachte, erreichte nichts von diefem Zwede. ALS die Bajuto in den dreißiger 
und vierziger Jahren zuerjt nah dem Kaplande als Lohnarbeiter gingen und von dort 
dann Rinder mitbrachten, die fie fich durch ihre Arbeit erworben hatten, ſchien ihrem 
Häuptlinge, jo erzählt Caſalis, eine freiwillige Hergabe von Rindern ſeitens des Herden- 
bejiger3 jo unmöglich, daß er argwöhnte, fie hätten Diebftahl begangen, oder aber fürdhtete, 
man babe ihnen eine Falle geftellt. Lange Zeit fonnte er ſich nicht von dieſem Argwohne 
befreien und jah biejes wider jeine Begriffe erworbene Eigentum nicht als völlig rechtlich 
erworben an. Lag vielleicht diefer Anſchauung aud mit die Befürchtung zu Grunde, daß 
der große Einfluß, den bis dahin der Häuptling als Haupteigentümer aller Herden bejeilen 


Viehzucht. Milchgenuß. 207 


hatte, durch die Erwerbung dieſes neuen, von ihm unabhängigen Beſitzes ſeitens ſeiner 
Unterthanen erſchüttert werden könnte? Thatſächlich hat ja der zunehmende Privatbeſitz 
bei den Baſuto dieſe Wirkung geübt, denn allerdings iſt der Herdenbeſitz des Häuptlinges 
beſonders bei Betſchuanen und Zulu die ſtärkſte Quelle von Macht und Einfluß, auf 
deren Vergrößerung, wenn nötig durch Raub, beftändig gedacht wird. 

Neben diefem, wenn man fo fagen darf, jeelifchen Motive der Hochhaltung des Rinder: 
befiges bildet das rein phyfifhe des Milhgenufjes das ftarfe Band zwiſchen dem Leben 
des Hirten und feiner Herde. Milch ift die Grundlage der Ernährung aller in genügendem 





Milheimer, Milchſchüfſel, Trichter, Löffel der Dvaherero (Mufeum für Völlertunde, Berlin). Ys mirkl. Grdpe. 


Maße rinderzüchtenden Negervölfer, und mande den Negern wenigitens nahejtehende 
Stämme, wie z. B. die Mafai, verſchmähen jegliche vegetabilifche Speije zu gunſten von 
Mil, Fett und Fleiſch. Daher wird alles, was mit Milh und Melken zufammenhängt, 
wie ein Heiligtum behandelt. Die Milch wird faft nur in geronnenem Zuftande genojjen, 
bloß Kinder fieht man aus den Eutern der ihnen gefchenkten Ziegen oder Kühe direkt ihre 
Nahrung jaugen. Die Milchgefäße dürfen nicht gereinigt werden, Ebenfo darf die Milk 
nicht mit Metall in Berührung fommen, wenn das nicht böje Folgen für die Kühe jelbft 
haben joll. So weigern fich die Herero oft, wenn man unterwegs im Felde Milch gekauft 
hat, diejelbe in die Blechgefäße der Europäer hineinzugießen, damit ihre Kühe nicht auf: 
trodnen. Es jet fich daher an dem Holze der Gefäße jehr bald eine ziemlich feſte Krufte 
an, und Mil, welche ſüß in diefe alten Eimer hineingegoffen wird, fäuert jehr rajch, 
zumal bei der Wärme. Nach einiger Zeit wird die Milh in eine Kalebaſſe oder einen 
Lederſack geihüttet. Da auch dieje Kalebafje jelten oder nie gereinigt wird, aljo nod) 


208 Allgemeines über die Neger, 


immer ein Reftchen alter Milch vorhanden ift, wenn friihe Mil hineingegoifen wird, 
fo gerinnt die legtere bald; es wird nun aber die Kalebafje jo lange gejchüttelt, bis ſich 
der Käjeitoff und die Molfen wieder durcheinander gerührt haben. Dieſes Schütteln ift 
gewöhnlich Frauenarbeit. Gegeſſen wird dann die Mil aus hölzernen Eimern mit großen 
hölzernen Löffeln. Bei jolden Herdenbefigern, welche zugleih Aderbau treiben, wie den 
Betihuanen, wird fie in der Regel mit Hirfebrei gemiſcht. 

Dei dem Schütteln der Kalebaſſe bildet ſich natürlih au Butter. Für gewöhnlich 
wird diejelbe nicht herausgenommen, jondern unter fortgejegtem Zugießen von friiher 
Milh und weiterm Schütteln jo lange darinnen gelaffen, bis das Gefäß ziemlich voll 
davon ift und nicht mehr viel Mil hineingehen will. Dann wird die Kalebafje an die 
Sonne geitellt und die flüjfig gewordene Butter zu weiterer Aufbewahrung in eigne 
Behälter, die Fetthörner, gegofien. Diefe Butter wird übrigens nicht zur Speife, fondern 
nur zum Einfalben des Körpers benugt. Während bei den Negern, Sudanvölfern und 
Galla die Butterbereitung ziemlich allgemein befannt und geübt ift, wird Käfenur von den 
Arabern, Berbern und Abefliniern bereitet. Die vollendeten Viehzüchter Oft: und Weſtafri— 
fas: Fulbe, Galla, Dinka, Betijhuanen, Ovaherero, find mit diefer Kunft nicht vertraut. 

Das Melken wird ald eine Sache von großer Wichtigkeit angefehen und ift bei den 
meijten Negervölfern nur dem Manne gejtattet (vgl. auch S. 49). In anbetracdht der Wildheit 
der den ganzen Tag frei laufenden Kühe ift dies Fein leichtes Geichäft. Mit einem Niemen 
werden den Kühen die Hinterfüße zufammengebunden, damit fie beim Melken ſtillſtehen. 
Der Melker ſetzt fih hodend unter die Kuh, das Milcheimerchen zwiſchen den Knieen 
feithaltend. Da die Kuh fich aber nicht melken läßt, wenn fie nicht ihr Kalb bei ſich fieht, 
fo wird, wenn der Neger ſich zum Melfen anſchickt, von dem Hirten das betreffende Kalb 
aus dem Kälberfrale herausgelaffen, es darf auch wohl zuerft einige Züge aus dem vollen 
Euter jaugen; dann aber wird e3 auf die Seite gejchoben, und der Melfer beginnt zu 
melfen, wobei er immer wieder das Kalb abzuwehren hat. Wenn etwas abgemolfen ift, 
darf das Kalb wieder trinken, um aufs neue Pla zu machen, bi8 man glaubt, nicht mehr 
ohne Schaden für das Kalb abmelfen zu dürfen; denn die Hauptſache bei dem ganzen 
Geſchäfte, worüber die Herdenbefiger einig find, ift Die Vorlicht, daß dem Kalbe nicht allzu: 
viel entzogen werde. Eher mögen die Menjchen Mangel leiden. Einzelne Kühe haben nad) 
der Meinung der Herero die Kraft, die Milch nach Belieben innehalten zu können, fo 
dat die Melfer dem vollen Euter nichts entloden können. In diefem Falle werden dann 
allerlei Zeremonien angewandt, teil$ um die Kuh zur reundlichkeit weiterer Milchgabe zu 
bringen, teild um aud dem Kalbe nicht zu geitatten, daß es die Milch für fich allein nehme. 

Neben der Milh iſt das Blut der Rinder eine nicht unbedeutende Quelle der 
Ernährung für die Hirten. E3 mag auch bei der manchmal im Lande herrihenden großen 
Salzarmut als Würze gelten. Nach einigen hat es eine etwas beraufchende Wirkung und 
große Nährkraft. Es wird aus einer der großen oberflächlich gelegenen Halsadern ent— 
nommen, die vorher durch jtarfes Schnüren des Haljes mittels einer Riemenſchlinge unter: 
bunden ift. Bei den Wafamba wird ein Feiner Pfeil, deffen Spige wie die eines Tiſch— 
meſſers gerundet und, damit fie nicht zu tief eindringe, an einer gewiſſen Stelle did mit 
Fäben ummunden worden ijt, mit einem Heinen Bogen in die Ader gefchnellt. Von einem 
itarfen Ochſen läßt man ungefähr ein Xiter Blut ab. Nach etwa einem Monate kann 
demjelben Stüce wiederum zur Ader gelaffen werden. Das Blut wird für fich allein oder 
mit friiher Milch vermiſcht gequirlt und roh getrunfen. 

Die männlichen Tiere, jowohl der Rinder als der Schafe, werden jung verfchnitten 
und nur die beiten Eremplare zur Zucht übrig behalten. Leute, die ſich geihäftsmähig 
damit befajlen, gibt es nicht; doch nimmt man gern eine glüdlihe Hand dazu, und 


Butter und Käfe, Mellen. Blutgenuß. Ziege. Schwein. Pferd, 209 


diejenigen, denen einmal ein operiertes Tier geftorben ift, legen nicht gern wieder ſelbſt 
Hand an. Zu größern Gefchäften, wie zum Schlachten, bedient man fich der Lanzen- 
ſpitzen oder der Lanzen jelbit. 

Wir vernehmen wenig von Überlieferungen ober. Sagen, die den Grumdjäulen der 
Viehzucht der Neger, den Rindern oder Schafen, einen beftimmten Urfprung, einen 
tiefern Zuſammenhang mit ihrer Gejchichte oder dergleichen zuſprechen. In dem Sagen: 
und Märchenſchatze der Neger ſpielen alle ihre Haustiere nur eine fleine Rolle. Wir werden 
nur auf Spuren derartiger Überlieferungen in den folgenden Einzelfhilderungen ftoßen. 
Bon dem dritten Elemente der Herden der Neger, den Ziegen, die, wie bei ung, die ver: 
nachläſſigten find, will es aber jcheinen, als ftellten fie etwas fpäter Hinzugefommenes bar. 
Die Herero haben z. B. die Meinung, daß die Ziegen, die in ihrem gebirgigen Lande 
befonders gut fortfommen, nicht von Anfang an von ihrem Volfe gehalten worden jeien, 
ſondern fie meinen, ihre Vorfahren hätten ihre Ziegen erft von den Bergdamara erbeutet. 
Dagegen jcheint zu jprechen, daß das Hererowort für Ziege (ongombo) offenbar dasjelbe 
ift wie bei vielen andern Bantuvölfern. Anderfeits aber fcheint für jene Tradition zu 
ſprechen, daß herfümmlicherweije zu allen religiöfen Zeremonien nur Schafe und Rinder, 
aber feine Ziegen verwandt werden. Das Schwein ift von ben europäifchen Anſiede— 
lungen aus nad verjchiedenen Seiten tief ind Innere vorgedrungen. Cameron jah 
weitlih von Nyangwe im Lande Kifuma faft bei jeder Hütte ein Schwein angebunden, 
im Dften verfcheucht es der Islam, im Weiten reicht es bis zu den Ovambo ſüdwärts. 

Unzweifelhaft dagegen ift die urjprüngliche Unbefanntfchaft der Neger mit dem Pferde. 
Keine Bantuſprache jcheint ein eignes Wort für Pferd zu haben. Dieſe Thatjache ift von 
größter geichichtlicher Bedeutung, und oft ſchon hat man mit vollem Nechte die Frage 
aufgeworfen, wie es komme, daß die Eingebornen, welche, nach jo manchen Anzeichen zu 
jhließen, von Norden hergewandert Famen, diejes in Nordafrika jeit vielen Jahrtaufenden 
gehegte Haustier nicht mitbrachten? Oder warum es nicht von Arabien her durch den 
Handel an die Oftfüfte und von da nad dem Süden gebracht worden ſei? Dieje Fragen 
find um fo intereflanter, als gerade in jo vielen Gegenden von Südafrika die Bodengeftalt 
ehr günftig für die Benugung des Pferdes ift, und als ohne Zmeifel auch hier wie in 
Nord: und Südamerika die ganze Lebens: und Verbreitungsweife der Eingebornen durd) 
den Bejig Diefes rajhe Bewegung vor allen andern gejtattenden Haustieres von Grund 
aus umgewandelt worden wäre. Dan fanır es fogar als wahricheinlich bezeichnen, daß 
ihre Widerjtandsfähigfeit gegenüber dem VBordringen der Weißen durch den Befit desjelben 
ebenio gefteigert worden jein würde, wie wir das in den Steppen von Nordamerifa und 
den Pampas von Südamerika jehen. Einige Forfcher haben die Urjache der Nichtverbreitung 
des Pferdes nah Südafrika in jener berüchtigten Tetjefliege (Glossina morsitans) 
gejucht, welche weite Stridhe längs der Flüffe des ſubtropiſchen Südafrifa bewohnt, vor: 
züglich gerade jene Gegenden am untern und mittlern Zambefi und Limpopo, weldhe von 
jolden Wanderhorden pajfiert werden mußten (vgl. ©. 19). In der That würde die 
Tietjefliege mindejtens Einen Grund für die Erflärung des Fehlens des Pferdes in 
Sübdafrifa abgeben, wenn nicht das Nindvieh, weldes ihrem Stiche ebenſo ausgejegt ift, 
in jo großer Zahl ſchon beim Eintreffen der eriten Europäer vorhanden gewejen wäre. 
Wenn diejes jene gefährlichen Gegenden paflieren fonnte, jo war es das fo viel beweg- 
lihere Pferd wohl noch mehr im ftande. Viel plaufibler ift die Erflärung, welde 
G. Fritich gegeben hat, daß zwei epidemifche Prerdefranfheiten, die Südafrika eigen find, 
und denen oft 70 Prozent aller Pferde einer Gegend zum Opfer fallen, die Schuld an 
dem Nichtvorfommen des Pferdes vor der Zeit der Europäer tragen. Er meint, daß 
diejelben in den ungejunden Jahreszeiten im jubtropiichen Afrifa ganz ficher den Tod 

Bollertunde. L 14 


210 Allgemeines über die Neger. 


dieſer Tiere veranlafjen, während Rinder nicht davon befallen werden. Übrigens bereitet 
das innere Afrifa mit feinen Wüften, Strömen und Urmwäldern der Wanderung eines 
doch immer zarten Tieres, wie des Pferdes, ohnehin Schwierigkeiten, die faft Hinderniffe 


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Ein Panzerreiter des Sultans von Baghirmi (nah Denham). 


find. Heute find Neitervölfer (Galla) von Norden her nur erit über den Äquator vor: 
gedrungen. Vorzügliche Neiter find übrigens die Neger auch dort nicht geworden, wo 
die Araber ihnen Pferde und Pferdezucht früher gebradht haben, wie im mittlern Sudan 
oder an der Suahelifüfte. Mande Stämme reiten auf Ochſen, was wieder andre in 


Pferd. Hund, Nahrung der Neger. 211 


jo hohem Maße rinderzüchtende Stämme wie die Herero oder Dinfa nicht fennen. Als 
Lafttiere werden dagegen die Ochſen allgemein benugt. Der Ejel ift nur in dem arabiſchen 
und abeſſiniſchen Kulturgebiete heimifch geworden. Für die ſchon oben (vgl. S. 15) 
bejprohene Frage der Zähmung des afrifaniihen Elefanten geben weder Sprache nod) 
Überlieferung der Neger einen entſcheidenden Beitrag. Die gewichtige Autorität Shwein= 
furths jchließt fi der Anfiht Livingftones an, daß der afrifanifche Elefant einft . 
gezähmt worden fei, und befennt fih mit Burton zu der Meinung, daß der Verftand 
desjelben e3 nicht nur mit demjenigen der Neger, fondern auch manches andern Bipeden 
aufnehmen fönne, der Afrifas Ufer betrete. Im NRüdfalle des Elefanten in völlige Un— 
gezähmtheit fieht Schweinfurth eine Wirkung des allgemeinen Rüdganges der Kultur in 
Afrika. Überzeugende Beweife find indefjen 

bis heute auch dafür nicht beigebradit. — 

Der Hund geht durch Afrika, wie er durch — == 
die ganze Welt geht. Er ift überall Haus: 
und Jagdgenoſſe; an der Hütung der Herde 
beteiligt er fi) auch bei den ausgejprodhenften 
Hirtenftämmen nicht, Doch dient er dazu, Raub» 
tiere von derjelben fern zu halten. Die Hunde 
der Neger, welche in großer Zahl jedes Dorf 
umlungern, find von jchwer bejtimmbarer Raife, 
vorwiegend häßlich, borftig, mager. Leichte Be: 
jonderheiten find zwiſchen den Hunden gewiſſer 
Völker des obern Nil hervorzuheben, ohne daß 
diefelben ſcharf beſtimmte Rafjen markieren. Da 
der Neger feinen Hunden niemals genügende 
Nahrung gibt, wenn er foldhes überhaupt für 
nötig hält, jo find diefe Hausfreunde im höchſten 
Grade diebifh und haben neben vielen jchlech- 
ten Eigenſchaften nur die eine hervorftechend 
gute, jehr nügliche, daß fie vom bitterjten Haſſe 
gegen alle Hyänen erfüllt find. Sie werden 
dadurd zu trefflihen Schügern ber Herden. 
Außerdem nügen fie ihren Herren auch durd) 
die beträchtliche Übung, welche ihr beftändiger an ze: a _ 
Hunger fie im Jagen von kleinerm Wilde fid) 
erwerben läßt. Natürlich frefien fie aber fofort die Beute auf, wenn fie ihnen nicht 
abgenommen wird. Einige Negerftämme züchten Hunde, um fie zu efjen, wie dies bei 
Malayen und Bolynefiern üblich ift. Dies ift häufig im Innern der Fall. Aber Erskine 
berichtet, daß auch die Mandanda Hunde-Eſſer find, die ihre Hunde füttern, damit fie fett 
zum Braten werden. Als Grund für diefes Verfahren geben fie an, daß die Zulu Feine 
Hunde mögen, fondern Ziegen effen, und daß, wenn fie ftatt Hunden Ziegen hielten, fie 
bald von ihren Unterdrüdern derfelben beraubt würden. Auch die zahlreich vorfommenden 
Ratten verzehren diefe Stämme jo gut wie Hunde. 





Die Nahrung der Neger ift faft allgemein aus pflanzlihden und tierijchen 
Stoffen gemifht. Verſchmähung aller Pflanzenkoft wird nur von gewiſſen Galla= und 
Mafaiftämmen berichtet. Der Stand der Kochkunſt ift jehr verfhieden. Von den Dinfa 


rühmt Schweinfurth die kulinariſche Vollendung, während bei den Wakamba nad) 
14* 


212 Allgemeines über die Neger, 


Hildebrandt die Küche auf der niederften Stufe fteht. Die Zubereitung der Milch wurde 
bereits geſchildert, die des Fleiſches ift ſehr verſchieden. Am einfachiten ift Roheſſen, 
welches auf der Jagd ſehr gewöhnlich iſt. Die nächſte Stufe iſt Braten am Spieße, wozu 
man aber nur kleinere Stücke Fleiſch nimmt. Auch Vögel und Fiſche, letztere in einen 
geſpaltenen Stock eingeklemmt, brät man am offenen Feuer. Um Fleiſch zu konſervieren, 
ſchneidet man es im trocknen Oſtafrika in lange Streifen, die über Buſchwerk an der 
Sonne bald trodnen. Das Räuchern ſcheint man nur in dem arabiſchen und europäijchen 
Kulturgebiete zu kennen. Die Afer (Danakil) und andre Bedja braten Fleiſch auf heißen 





Aus Holz gefhnitte Löffel und Schöpfgefähe der Kaffern (Mufeum des Berliner Mifjionshaufes). % wirll. Größe. 
Bol. Tert, ©. 221, 


Steinen, die Maſai-Wakwafi maden eine Grube, legen Holz, Steine, oben wiederum 
Holz darauf und zünden das Ganze an, Wenn es ausgebrannt ift, entfernen fie die 
Aſche und legen die Fleifchftüde auf die erhigten Steine. Dieſe Bratweije, die man 
übrigens auch bei den Manganja findet, ift in Arabien heimifh, wo man ganze Schafe 
und Ziegen, die man ausgeweidet, aber nicht abgehäutet hat, jo zubereitet. Nur nimmt 
man bort feine Steine, ſondern erhigt einfach die Wände der Grube. Neben diejen 
Zubereitungsarten wird übrigens von manchen Negern das Fleiich auch in Waſſer gekocht. 
Knochen werden roh oder im Feuer geröftet, zwijchen Steinen zerflopft und das Mark 
vorzüglich zum Einfetten der Speere und Schwerter verwendet, natürlich aber ebenjo häufig 
verzehrt; vielfah wird es dem Fleiſche vorgezogen. Überhaupt efjen die Neger Fett in 
großen Quantitäten und find in diefer Beziehung keineswegs durch das Klima beeinflußt. 
Fleiſch und Fett find für alle Neger der Inbegriff des Wiünjchenswerten an Speifen. 
„Fleiſch und guter Wille gehen Hand in Hand dur ganz Afrika‘, jchreibt Horace Waller 


Fleiſchnahrung. Genußmittel, 213 


in Zivingftones letztem Tagebuche. Ein geſchickter Schüge ift ficher, einen großen Anhang 
zu finden. Waniammeliträger, welche zu Livingitones Zeit bei Kaſembes Ort die Regenzeit 
hindurch warteten, fonnten ſich mit den Erträgniffen der Büffeljagd ganz ernähren; denn 
die dortigen Weiber fauften eifrig das Büffelfleifch auf, welches fie den Perlen und allen 
andern Waren vorzogen. „Ihre mehlige Nahrung“, jest Livingftone hinzu, „erzeugt 
einen großen Fleifhhunger, und wenn meine Schuhe nicht zerriffen gewejen wären, wäre 
ih auch auf die Büffeljagd gegangen.” Die Elemente der pflanzlichen Nahrung find ver: 
ſchieden. Am verbreitetiten find die zu Brei zermahlenen und gekochten Körner der Hirfe 
und Zuderhirfe, auch des Maijes. Steifer Brei aus dem groben Mehle diefer Früchte ift 
bei den Süd: und Oftafrifanern die tägliche Speife. Brotbaden ift unbefannt, wohl aber 
fennt man da3 Baden flaher, ungegorner Fladen auf heißen Stein- oder Eifenplatten. 
Bananen bilden in der Seeregion die vorwaltende Nahrung. Maniof und Erdnüſſe, beide 
wiederum als fteifer Brei genoifen, nehmen die erjte Stelle bei den Wejtafrifanern ein. 

Unter den Gewürzen it Salz das allgemeinft gefuchte, einer der wichtigiten Handels: 
artikel Innerafrifas, welchen man da, wo er nicht zu haben ift, durch unzählige pottafchen: 
artige Surrogate zu erjegen jucht (vgl. Abbildung, S. 211). Einige Völker entbehren des: 
jelben ganz. Spaniſcher Pfeffer, der in Afrifa einheimifch ift, wird nicht als Gewürz, wohl 
aber bei Stämmen des obern Nil als Pfeilgift benugt. Gewiſſe aromatifche Kräuter werden 
als Theeaufguß genoffen. Mit dem Pulver folder Kräuter bejtreuen vielfach die Neger ihre 
gejalbten Körper. Beraufhende Getränfe bereiten die Neger in großer Anzahl. Bier 
aus Hirje oder Mais wird mit den gemalzten Körnern gebraut, wobei auch aromatische 
Zufäge nicht fehlen. Aus Bananen und Zuderrohr werden andre beraujchende Getränke 
bereitet, und das Anzapfen verjchiedener Palmenarten, um ihren Wein zu gewinnen, gebt 
durch die ganze Palmenzone. Dazu fommen von Genußmitteln vorzüglih Tabak, Hanf, 
Kaffeebohnen und Gurunüffe. Mit der größten Leidenichaft wird der Genuß des Tabakes 
betrieben und zwar in den verfchiedeniten Formen, denen derſelbe zugänglih ift. In 
Dftafrifa waltet bei den Heiden das Nauen, bei den mohammedanifchen Stämmen mehr 
das Kauen vor. Bei den Kaffern ift das Schnupfen am meilten üblih und zur größten 
Volllommenheit entwidelt. Ihre Methode dürfte hinfichtlih der Ausnutzung des Niech: 
ftoffes zu den finnreichiten zu rechnen fein. Einfachen Rauchtabak reiben fie zwifchen zwei 
Steinen zu Pulver und jegen Aſche und die frifchen Triebe eines ſcharfen Krautes, teils 
um die Wirkung zu verfchärfen, teils um die Maſſe zu vermehren, hinzu. Diefen „prä— 
parierten” Schnupftabaf jtreut nun der Kaffer in ein Stüdchen Fell ein, aus welchem er 
in langen Zügen den narkotifchen, beizenden Staub in die Nafe einfchlürft. Stundenlang 
fann er, in diefen Genuß verfunfen, in der Sonne fiten, das föftliche Fell beftändig unter 
die Naſe gedrüdt, bis das legte Körnchen herausgezogen if. Aus der Dofe ſchnupfen 
priſenweiſe nur die Wohlhabenden, welche ſolchen Lurus fich erlauben können. Diefelben 
tragen dann ihren Schnupftabafsbehälter in Geftalt eines Nohres im Ohrläppchen oder in 
Kürbis- oder Elfenbeinbühschen (ſ. S. 289 u. 301) um den Hals oder am Gürtel. Bei ihnen 
gehört zur Rauchtoilette auch nod) der Nafenlöffel (libeko), da3 4—35 cm lange Miniatur: 
ſchäufelchen, weldhes daneben auch zum Reinſchaben der Hände nad) der Mahlzeit dient, wie 
wir es von dem Marutjefönig Sepopo vernehmen. Das Rauchen aus den verichiedeniten 
Geräten: in Südafrifa aus Antilopenhörnern, deren breiterer Teil als Mundſtück dient, 
im äquatorialen Gebiete aus Pfeifen, die bis zu !/s kg Tabaf aufnehmen, in den 
primitivften Verhältniffen aus einem Erdloche mit darübergelegtem durchlöcherten Steine, 
ift noch verbreitete. Das Kauen des Tabafes iſt felten und jcheint von den Mrabern 
eingeführt zu fein. Das Schlürfen der im Wafferfade fih ſammelnden nikotinreichen 
Brühe wird bei vielen als Höhepunkt diefes Genuffes betrachtet. Der Wert, den bie 


214 Allgemeines über die Neger. 


Neger auf den Tabak legen, zeigt ſich in der großen Rolle, die er in ihren Gebräuchen 
fpielt. Nicht nur ift fein Anbieten und Annehmen eine befonders verbindliche Begrüßungs- 
weife, fondern er wird geradezu ein wichtiges Symbol bei den Präliminarien der Hochzeit. 
Der Bote nämlich, welcher bei den Betſchuanen nad dem Freimerber in den Kral der 
Braut geht, fofern jener eine zuftimmende Antwort erhalten hat, ftellt fich mit den Worten 
ein: „Ich bin gekommen, Tabak zu erbitten”. Die Weiber reiben dann Tabak, den fie 
in eine Heine Kalebaffe füllen und durch einen ihrer Männer nad dem Krale des Bräu- 
tigams fenden, wo er feierlich von deijen ganzer Familie geſchnupft wird. Das Schnupfen 
des Brauttabafes ift eine Epifode in den Hochzeitsfeierlichfeiten. Die leere Doſe aber wird 
der Braut zurüdgegeben, welche fie mit Perlen ummindet und bei feierlihen Gelegen- 
heiten umhängt. Dieſe Dofe, welche fie „ihr Kind“ nennt, ift das Zeichen, daß fie verlobt 
ift, und fie legt diefelbe erft ab, nachdem fie ihr erftes Kind geboren. Sie löft dann die 
Perlen davon ab und hängt fie ihrem Erjtgebornen um. 





A — = 


— — — 


Schnupftabalsbüchſe mit Löffel der Ovambo (Muſeum für Völlerkunde, Berlin). u wirkl. Größe. 


Es ift nicht ganz unmwahrjcheinlih, daß der Gebrauch des Tabafes in Afrika älter ift 
als die Einführung der aus Amerifa ftammenden Pflanze durch Araber und Europäer. 
MWenigftens wird in mehreren Teilen Afrifas eine Tabaksart angebaut, die verfchieden ift 
von Nieotiana virginiana. „Jedenfalls haben die Afrifaner an Erfindungsgabe, die ver: 
ſchiedenſten Rauchapparate, von den einfachiten bis zu den zufammengefeßteften, zu fon- 
ftruieren, alle übrigen Völker übertroffen, und fo liegt die Vermutung nahe, daß fie vielleicht 
nur aus dem Grunde die jchnellere Verbreitung des ausländifchen Gewächſes begünftigten, 
weil ihnen jei es der Bauerntabaf als indigenes Gewädhs, fei es ein andres Kraut, welches 
als Neizmittel diente, bereit3 in Form des Raucheinziehens zur Gewohnheit geworden war. 
Einer ſolchen Hypotheje würde fich allerdings die wichtige Thatjache entgegenftellen, daß man 
auf den Denkmälern der alten Ägypter, die ung doch einen jo Haren Einblid in das Detail 
ihres häuslichen Lebens gewähren, bis auf den heutigen Tag nicht die geringite Inſchrift 
oder Abbildung gefunden hat, die eine Deutung zuließe, um einen ſolchen Gebraud) bei den 
damals bekannten Völkern für möglich zu halten.” (Schweinfurth.) Als Dada oder 
Bang werden die getrodneten Blätter von Cannabis indica von Negern ber Oftküfte und 
Südafrifas entweder für fi oder unter dem Tabafe geraudt, um deſſen Wirkung zu 
verftärfen. Die Europäer jcheinen diefe Sitte in Südafrifa vorgefunden zu haben, Wenn 
ein Boer in Südafrifa Dacharaucher als Arbeiter zu benugen denkt, jo baut er diefen Hanf, 
weil er weiß, daß er fie durch nichts Jo fehr an ihren Arbeitsplaß feſſelt, als wenn er ihnen 
die Möglichkeit gewährt, diefem Genuffe zu frönen. Gewöhnlich geſchieht diefes Rauchen 
aus einer eignen Art von Wafferpfeife, beftehend aus einem Rohre, das am obern Ende 
den mit dem Rauchitoffe gefüllten Behälter trägt und am untern in ein teilweife mit Waffer 
gefülltes Horn ragt (vgl. die Abbildung auf S. 215). Indem der Raucher an der Mündung 


Genußmittel. Gewerbe der Neger. 215 


des Hornes jaugt, zieht er den Rauch durch das Waſſer und ftößt ihm dann entweder durch 
ein andres Rohr auf den Boden, wo er alle möglichen Figuren bildet, oder bläft ihn 
durch Waller, weldes er in den Mund nimmt, in Ringeln in bie Euft. Gern laſſen 
fie diefe Dachapfeife im Kreife herumgehen, wo jeber der Reihe nach mit ganzer Hingebung 
ihrem Genuffe ſich widmet. Iſt diefelbe aber nicht zu haben, fo bauen fie Behälter aus 
Thon, die auf einer Seite das a 

Kraut aufnehmen und auf der 
andern den Mund anbringen 
laſſen, während fie in der Mitte 
Waſſer enthalten: die denkbar 
einfachite Wafjerpfeife, die zwar 
nicht jehr bequem, aber doch 
mweitverbreitet ift. Den Kaffee 
genießen die Ummohner des 
Großen Nyanza, aber nicht als 
Aufguß, jondern fie fauen die 
unzubereiteten Bohnen. Im 
Weſtſudan und in Oberguinea 
werden die Gurunüſſe gegej- 
jen, die ein ähnliches Prinzip 
wie Kaffee oder Thee enthalten 
und einen der größten Handels: 
artifel im Weftfudan und Niger: 
lande bilden. 


Die Gewerbe find bei den 
Negern in der Negel nicht Ge- 
genftand der Thätigfeit beſon— 
derer Durch Arbeitsteilung ihnen 
jugewiejener Arbeiter, jondern 
werden neben Ackerbau und 
Viehzucht betrieben. Bloß für 
die Eijenarbeit und dann für ge: 
wille Jagdarten (Nilpferdjagd) 
gibt es Leute, die ſich nur die— 
em und nichts anderm widmen; 
und die Töpferei ift meift Sache 
der Frauen. Im übrigen zeigt 
une zn dagegen un 
werfe günftiger als die zum 
Nomadijieren neigende Viehzucht. Was das Handwerk der Neger bebeutungslos erſcheinen 
läßt, ift eben die Unftetigkeit. Livingftone vermutet, daß die große Gejchidlichkeit der 
Banyeti am mittlern Zambefi, welche die beiten Eifenarbeiter und Holzſchnitzer diefer Region 
find, teilweife darauf zurüdführe, daß fie durd) das Vorkommen der Tjetjefliege, die ihnen 
in ihren Wohngebieten die Viehzucht verbiete, darauf hingewiefen wurden, die Schmiede, 
Tiſchler zc. der Makololo und andrer Nahbarftämme zu werden. Zugleich find fie die beten 
Nilpferdjäger. So find die Waganda beijere Arbeiter als die Wahuma, die Waniamweſi 





216 Allgemeines über die Neger. 


als die Watuta und die Monbuttu als die Dinka. Auch die Jagd ftört das Handwerk, wie 
anderjeits 3. B. im tierarmen Weftafrifa am meijten die Verarbeitung der Baummolle blüht. 

Als das Wichtigfte auf diefem Gebiete ift num zu betonen, daß die Neger heute gänzlich 
aus dem Zuftande herausgetreten find, welden man mit „Steinzeit” zu bezeichnen pflegt. 
Alle ihre wihtigern Geräte und Waffen, die aus Stein fein fönnten, find heute aus 
Eifen. Von allen Afrifanern fann dies gejagt werden, mit alleiniger Ausnahme der Buſch— 
männer, bei welchen man, wie oben bejhrieben, in allgemeinem Gebraude die durchbohrten 
und rund gejchliffenen Beichwerfteine für Grabjtöde und manchmal auch fteinerne Pfeil: 
jpigen findet. Diefe Steine hat man angeblich nie von den Eingebornen bohren jehen; 
dieje jollen fie jogar jelbit für Werfe früherer Gejchlechter halten. Zu den Steingeräten 
find übrigens auch Mahliteine, d. h. handbare Kiefeliteine und die dazugehörigen glatten 
Steinplatten, jowie Stüde harten Steines zu zählen, mit denen diefe Mahlſteine gejchärft 
zu werden pflegen. Sie werden durch ganz Afrifa benugt. Zum Mahlen von Mais und 
Negerkorn dienen oft auch 
flache, in die (horizontale) 
Fläche des Felſens ge 
hauene Mulden, in denen 
das Getreide mittels eines 
doppelt fauftgroßen Stei- 
N 5, nes jerrieben wird. Eben: 

> 7 fall8 aus Stein find die 

HIT, hauptſächlichſten Schmie- 

Ta dewerfzeuge. Der Ambof 

it bei den in Eifenarbeit 

jo geſchickten Manganja 

Mahlſtein (aus Livingflones „Missionary Travels“). ein Felsblod, der Ham: 

mer ein Stein, der mit 

Rindenftriden feit ummunden und daran gehalten wird, die Zangen zwei Stüde Rinde 

oder Holz. Aus Eifen ift dort alſo nur das aus diefen Herftellungswerfjeugen hervor: 
gegangene Produft. i 

Was aber die Steinwaffen anbelangt, die eigentlihen Zeugniffe einer Steinzeit, 
jo find aud) fie bei den Buſchmännern mehr und mehr durch das Eifen verdrängt worden; 
aber im Norden der Kapfolonie erhielt noch vor zehn Jahren W. G. Palgrave einen 
friſchen Steinpfeil, der im „Cape Monthly‘“ (1870) bejchrieben wurde. Derjelbe beitand 
aus zwei Stüden Rohr, welche durch einen Röhrenfnochen verbunden waren. Am einen 
Ende des Rohres ift eine lanzettförmige Steinfpige aus Kriftall in eine ſchmale Spalte 
vermittelft eines thonartigen Kittes eingefügt. Einen Zoll weiter unten it ein Wider: 
haken aus Horn eingejegt, und 3 Zoll weit von der Spite ift der Schaft mit Thon ver: 
jchalt, um dem Vorderende Gewicht zu geben und das Splittern des Rohres zu verhüten. 
Vom Gebraude der größern Steinwaffen und Geräte bei den heutigen Negern liegt 
nirgends eine Kunde vor. Bejonders häufig find Nefte derjelben jowie auch rohe Thon 
waren und Mühlfteine in Südafrifa, und gerade bei den dortigen Kaffern ift die Eifen- 
induftrie hoch entwidelt. 

Die Steingeräte, welche in Afrika entdedt wurden, ftimmen nad) Material und Form 
mit den europäiſchen Funden überein. Rätſelhaft, wie in Europa und Amerika, ift auch 
bier das Auftreten der Nephritgeräte. Überſehen wir die Orte, an welchen Steingeräte 
gefunden wurden, jo müſſen wir die Steinzeit für alle jene Gegenden beanſpruchen, die 
in dieſem Gefihtspunfte genauer unterfucht find. Alle jene Gegenden, aus denen feine 





Spuren der Steinzeit. 217 


Bunde vorliegen, find in dieſer Hinficht noch nicht durchforſcht, und die Unflarheit wird 
verſchwinden, wenn der anthropologiſch geſchulte Neifende mit geübtem Blide nad diefen 
Zeugen längft dahingegangener Geſchlechter geipäht haben wird. Es dürfte daher jeht 
ihon die Behauptung geftattet fein, auch Afrifa, welches wir, joweit unfre Kunde reicht, 
in hiſtoriſcher Zeit im Vollbefige des Eiſens fennen lernten, habe eine „Steinzeit“ gehabt. 

Merfwürdigermweife wird diefen Neften einer ältern Kulturftufe auch in Afriku 
eine gewijje Verehrung gezollt. An einem Thorpfoften der Paliffade, welche das von 
Tipo Tip bewohnte Dorf Ponda (bei Moero) umgibt, Jah Livingftone einen 8 Zoll langen 
und 4 Zoll breiten, in der Mitte durchbohrten und an einem Ende abgeflachten Stein von 
rotem Porphyr. Derjelbe glich dem Bejchwerfteine an dem Grabftode der Buſchmänner. 
Die Leute wußten nichts von feinem Urſprunge zu jagen, fondern erblidten darin nur 
einen Zauber, um Böſes von dem Dorfe fern zu halten. Einen ganz ähnlidhen Stein 
fand derjelbe Neifende ebenfo an einem Thorpfoften von Kaſonſos Dorf aufgeftedt. Oskar 
Lenz berichtet, daß Steingeräten von den Tuareg ein überirdifcher Wert beigelegt wird, 
und Ähnliches hören wir aus Weitafrife. Man glaubt fie vom Himmel gefallen oder 
faßt fie als Waffen früherer größerer, ftärferer Menſchen auf oder legt ihnen gar Heil- 
fräfte bei. Das legtere ift das am häufigiten zu Findende. Wir wollen darin nicht ohne 
weiteres ein Zeugnis hohen Altertumes der Eifenzeit jehen, jondern erinnern an die bei 
allen Negern zu findende Scheu vor dem Altererbten. Etwas Altes, in der Familie, 
im Stamme Heimijches zu ftehlen, wird fein Neger fo leicht wagen; einen neueingeführten 
Gegenſtand, bejonders wenn er europäiſchen Uriprunges, betrachtet er als vogelfrei, er 
fühlt fich offenbar noch ‚nicht jo eng mit demjelben verwachſen. Es fann bei der Kürze 
des Gedächtniſſes der Neger feinen chronologiſchen Anhalt geben, wenn Livingitone einen 
MWayaohäuptling in Miule (am obern Rovuma) nad Steinwaffen frug und diejer erwiderte, 
daß er nie irgend etwas von Steinärten noch von Speer: oder Pfeilipigen aus Stein 
gehört habe; es war ihm ebenfowenig irgend etwas von derartigen Dingen befannt, die 
etwa von den rauen bei der Feldarbeit gefunden würden. Unter allen Umftänden Liegt 
die Steinzeit fo fern, daß man ſelbſt da nicht zu Stein greift, wo Eifen fehlt. 
Wir willen 3. B., daß die Makonde Holzipeere benugen, wenn fie fein Eifen haben. Auch 
fieht man die Betichuanen oder die Batofa gelegentlich mit hölzernen, niemals aber mit 
fteinernen Hauen den Boden bearbeiten. Daß die afrikanischen Schmiede fteinerne Amboife 
und Schmievehämmer benugen, kann nicht als eine Unvollfommenheit ihrer Induſtrie 
aufgefaßt werden, jondern bedeutet vielmehr eine ihren Verhältniffen durchaus angepaßte, 
praftifhe Einrihtung. Sie fennen nicht die Kunft des Härtens, welches gewiſſen Teilen 
unjrer Ambofje zu gute fommt, und ihr weiches Eifen würde für ihre Zwede weitaus 
unpraftijcher fein als Stein. Bor allem aber fehlt ihren Einrichtungen das Stetige, Dauer: 
hafte, ohne welches die für eine höhere Entwidelung auch diefer Induſtrie unvermeidliche 
Vermehrung und Vervolllommnung der Werkzeuge unmöglich ift. Wo fie feit an beftimmten 
Plätzen figen, wie an der Küjte, benugen fie nicht nur irgend welche Mafjen von Gußeifen, 
die ihnen zugänglich find, fondern unter Umständen folches von größerer Güte, aber im 
Innern, wo ihr Zuftand in Wahrheit ein halbnomadiicher genannt werden darf, würden 
ſolche jchwerbeweglihe Maffen ganz unpafjend fein. Wenn man hört, daß gerade in den 
eifenreichiten und gewerbthätigjten Gegenden, wie im Lande der Batofa oder am obern 
Novuma bei den Manganja, nach den fo häufigen Eroberungszügen fremder Krieger: 
ihwärme oder nad Sflavenjagden Hunderte von Schmiedeftätten verödet liegen, muß man 
nur erjtaunen, daß nicht längft der Faden der Tradition zerriß, und daf dieſes Handwerk 
nod nicht zu den verlornen Künften gehört. Günftig it, daß es häufig von befondern 
wandernden Schmiedejtämmen, wie 3. B. den Malemba am untern Zambefi, getragen wird. 


Allgemeines über die Neger. 


218 





* 





Gipug gaopıyy won »jhavabojoht azubu pou) aqatwmpjııng 


u ee 


rn 























Eijen. 219 


Welcher Grad von Entwidelung unter beſſern äußern Umftänden möglich ift, kann 
man aus folgender Schilderung Thorntons aus dem Dichaggalande entnehmen, die den 
höchſten Stand afrikanischer Eifeninduftrie, wenn auch nicht ohne Einfluß arabifcher Kunſt— 
fertigfeit, zeigen dürfte: „Wir trafen den Meifter innerhalb eines länglihrunden, von hoher 
lebendiger Hede umſchloſſenen Hofes bei feiner Arbeit. Er zeigte uns der Reihe nad) alle 
jeine Künfte. Zuerft führte er uns zu der außerhalb des Zaunes gelegenen Schmiede, welche 
in ihrer Einrichtung wejentlih mit den Suaheliwerkftätten Zanzibars übereinftimmte. 
Seine Hämmer jahen aus, als ob fie von Europa her eingeführt wären; doch verficherte 
uns der Mann, daß er fie jelbit gefertigt habe. Als Amboß dienten einige harte, glatte 
Steine. Das Gebläje ift doppelt wirfend und befteht aus zwei gegerbten, in Form von 
Säden bergeridteten Fellen, deren jedes an jeinem untern Ende an der Gabel eines 
ausgehöhlten, mit einem Steine bejchwerten Baumaftes feitgebunden ift, während das 
obere Ende einen langen Schlig zeigt, längs deſſen zwei flache Stöde befeftigt find; indem 
man die Bälge mit der Hand öffnet und 
emporhebt, jchließt und niederbrüdt, erzeugt 
man einen Luftſtrom, welcher durch die Ga: 
belröhre vereinigt und in einen Herd eins 
fachfter Art geleitet wird. Der Meiſter trug 
ein wenig Feuer zum Ofen, legte Holzfohlen 
darauf und fachte die Glut Fräftig an. Dann 
erhigte er mehrere Stüde altes Eijen und 
ſchweißte fie mit Zuhilfenahme eines Schweiß: 
mittels, bejtehend aus den Broden einer gro: 
Ben Muschel, zufammen. Ebenſo vereinigte : 
er mehrere alte Mefjer in Heine Barren und ine Handa; gebräudliche, aud) ald Geld verwendete Form 
hämmerte diefe zu längern Stüden von vier: des Rupferd in — ges eg ” wirtt. Größe. 
fantigem Querfchnitte aus. Zwei ſolche Stäb— ELTERN 
chen, an einem Ende zufammengejchweißt, am andern etwas auseinander gebogen und 
mit einem darübergleitenden Ninge verjehen, bilden eine ſehr wirkſame Zange, welde 
zum Drahtziehen gebraudt wird, wie wir jogleich jehen follten. Der Schmied erhigte 
eine Rolle diden Drahtes mit einem leichten Feuer von Blättern und Stroh zu dunfler 
Rotglut. Während diejes langſam brannte, richtete er feine Zieheifen ber, eine weiche 
Eijenplatte, deren Löcher je nach Bedürfnis durch Hammerſchläge verengert oder durch 
Eintreiben eines glatten Dornes erweitert wurden. Dann hämmerte er den Draht am 
Ende dünner, fettete ihn gehörig ein, ftedte ihn in das Zieheifen, jpannte das durch— 
gefommene Stück in die Zange, fahte diefes mit der Hand an und beugte fich ſchnell 
rückwärts, jo daß der Draht ein fleines Stüd verlängert ward. Als durch mehrmaliges 
Wiederholen derjelben Arbeit etwa eine Fußlänge des Drahtes verdünnt worden, jtand 
unjer gejhidter Freund auf, ging an einen zwijchen Pfählen befeitigten, mit zahlreichen 
Löchern durchbohrten Pfoften, legte das Zieheifen hinter diefem in eine Kerbe, ftedte den 
Draht durd das Loch, befeftigte die Zange wieder am jpigen Ende und zog nun ein 
größeres Stüd aus. Begreiflicherweije erweiterte fich das Loch in der ungehärteten Zieh: 
platte ziemlich jchnell, und der legte Teil des Drahtes ging mit Leichtigkeit hindurch; es 
gehört aljo nicht wenig Mühe dazu, um eine ganze Rolle gleihmäßig zu ziemlicher Feinheit 
auszuftreden. Darauf ſahen wir uns den auf diefe Weile gewonnenen feinen Draht 
an, aus welchem die hier jo beliebten Schmucdfettchen bereitet werden. Der gefällige 
Künftler befriedigte unfre Neugierde, indem er auch noch an einer ſolchen Kette zu arbeiten 
begann. Er widelte den feinen Draht um ein dideres, ftridnadelförmiges Eifen und 





220 Allgemeines über die Neger. 


ſchnitt längs desjelben hin die ganze Schnedenwindung mit einem jcharfen Meißel in 
Fleinere Ninge, von denen jeder ein Gliedchen bildete, ganz in derjelben Art, wie dies 
auch unjre Handwerker thun.” Troß der hohen Entwidelung diefer Induſtrie an dieſer 
und andern Stellen ift doch vielfach das Eifen noch eine große Koftbarfeit, und es fällt 
auf, daß es fait ganz 3. B. an den fonft jo mannigfaltigen Schilden der Oftafrifaner fehlt. 

Gleich allen ſchwierigern Arbeiten, wird aud die Eifenerzeugung gern in Gejellichaft 
ausgeführt. Gallieni bejchreibt von den Malinfe einen 3 m hohen Schmelzofen mit 





Thongefähe, Ramm und Rafjel der Monbuttu (Mufeum für Völterfunde, Berlin), !« wirtl. Größe. 
Val. Tert, S. 221. 


mehreren Gebläjeöffnungen, welcher an einem Tage, der ein Feittag für das Dorf ift, ſchich— 
tenmweife mit Eifen und Holzkohle gefüllt und dann mit mehreren Blafebälgen zugleich 
in euer gejegt wird. 

Niht nur die Art des Betriebes der Eifeninduftrie, jondern auch die Erzeugniffe 
derjelben find überall in Afrika diejelben und zeigen, daß wir uns hier einer Kunft gegen: 
über befinden, welche einen beftimmten Ausgangspunkt hatte. Wo bdiefer Ausgangs: 
punft gewejen, ift heute jchwer zu jagen. Er fann nur nicht in Südafrifa geweſen fein, 
weil hier den Bufchmännern das Eiſenſchmieden in gejchichtlicher Zeit unbekannt war. 
Dan findet verhältnismäßig große Eifeninduftrie in allen Teilen des Negerlandes. Doch 
ind, alles zufammengenommen, die Völfer des äquatorialen Oftafrifa und des obern Nil 
wohl die beiten Eijenjchmiede, und jo mag diefe Kunft entweder aus Arabien 
oder Agypten hergewandert jein. 


Cifen. Kupfer. Edelmetalle. Thon: und Holzarbeiten. 221 


Das einzige Metall außer dem Eijen, welches die Neger noch ausfchmelzen, ift Kupfer; 
doch gewinnen und verarbeiten fie dieſes nur in örtlich beſchränkten Bezirken, von denen e3 
als Handelsartifel und Taujchmittel weit ausftrahlt (vgl. Abbildung, ©. 219). Im nord: 
äquatorialen Gebiete hat dadurd) Hofrah en Nahas am obern Bahr el Ghafal, im ſüdäqua— 
torialen Katanga Ruhm und großen Handelgeinfluß gewonnen. Doch iſt feine Verbreitung 
beichränft geblieben, wie 3. B. die Damarafpradhe 
nur ein Wort, das „Metall bedeutet, für Eiſen f —J 
und Kupfer hat. Gold haben die Neger auffal— TR LM. 
lenderweije nie bearbeitet, troßdem fie es gewan— 
nen, jo daß Goldftaub alle die Jahrtaufende hin— 
dur, in denen wir von Afrifa hören, neben 
Elfenbein und Sklaven deſſen vorzüglichiten Aus: 
fuhrgegenftand darftellt. Silber greift nur in 
die entjchieden von arabiſchem und indijchem Ein: 
flufje beherrichten Gebiete von der Oftküfte herein. 
Somali, Danafil und Abeffinier find die einzigen 
Silberijhmud tragenden Völker Afrikas, die den 
Negern näher ftehen. Alle Obernilftämme igno: 
rieren die Edelmetalle troß der verhältnismäßigen 
Nähe de3 Goldlandes Ägypten. Urfache davon 
ift teilweife die nähere Nachbarſchaft der gold: 
armen nubijchen Länder, Kordofans und andrer. 

Die Thongefäße der Neger find ohne Henkel 
und faft immer cylindriih. Wenige Ausnahmen — re en 
davon lafjen ſich beobachten, und zwar gehören TER NOREN 
dahin vor allen die prächtigen Monbuttugefäße — — 
des Muſeums für Völkerkunde in Berlin, welche wir auf S. 220 abbilden, ſowie Thongefäße 
des Sudan, welche ohne Frage unter arabiſchem Einfluffe entitanden find. Ferner gehören 
dahin wohl auch gehenkelte Thongefäße, welhe Cameron in Udſchidſchi fand. Die Ver: 
zierungen geſchehen durch Einrigung in primitiver Weife. Die Drebicheibe ift allgemein 
unbefannt. Ebenfo fennt man feine mineraliſche Glafur (gerade hierin waren die Agypter jo 
weit voran!), jondern nur einen — 
Firnis, durch welchen z. B. die 
Wanyoro ihren Thongefäßen 
einen ſchönen mattſchwarzen 
Glanz zu geben wiſſen. Aber 
auch dieſer iſt bei vielen andern 
Stämmen unbekannt, wo der (y — — 
Gebrauch und die Unreinlichkeit 6. — 
für Verdichtung ſorgen. Der Ein Schaumlöffel der Raffern (Mufeum für Böltertunde, Berlin). 
Brand ift in der Negel ſchwach. Bl SE 

Zu den bei den Innerafritanern unbefannten Künften gehört die feite Verbindung 
eines Stüdes Holz mit einem andern. Man fann jagen, die Schreinerei ift ihnen unbe: 
fannt. Gegen das Leimen fpricht vielleicht das Klima, aber daß weder das Zufammen: 
fügen dur Falzen oder Leiten noch durd Nägel geübt wird, ift um jo auffallender, je 
mehr Holzjchnigerei getrieben wird, welcher man viel Zeit und Mühe zumendet (vgl. Ab: 
bildung, ©. 212). Bei den Herero beauffichtigen die Häuptlinge diefe Arbeit und jcheis 
nen befonders die Herftellung der Milch- und Tränfeimer als etwas zu betrachten, deſſen 








222 Allgemeines über die Neger. 


Verantwortung eigentlich ihnen zufällt. Um jo entwidelter ift allerdings die Flechtkunſt. 
Mitbedingt durch die Trodenheit des Klimas, welches Binden als die praftiiche Befeitigung 
erjcheinen läßt, ift fie wohl diejenige Negerinduftrie, deren Erzeugniffe und am meilten 
durch ihre Vollendung in Erftaunen fegen (vgl. die Abbild., S. 221, 222 und 223). Aus 
Sehnen, Palmen, Aloe, Gräjern und Gewächſen werden Schnüre gedreht, und man möchte 
nad) den Berichten der portugiefiihen Miffionare des 16. Jahrhunderts jogar annehmen, 
daß an der Weſtküſte die Flechtlunft einft noch höher jtand als heute. 

Auffallend ift bei diefen herdenreichen Völkern die Unkenntnis des Gerbens, welches 
nur im Sudan ſich findet, wo es 3. B. in den Hauffaländern jogar in Blüte fteht. Die 





Haudrat der Kaffern (Mufeum des Berliner Miffionshaufes). "no wirll, Größe, 


Hirtenvölfer der Neger find jehr gefchict in der Zubereitung der Ninderhäute für Mäntel 
und Deden, welde fie durch Schaben des innern Teiles und Bearbeitung des äußern 
mit einem durch eingejegte Eijenjpigen fardenartig wirkenden Werkzeuge fo weich wie Tuch 
zu machen willen. Dies verftehen vortrefflich die Hirtenvölfer Oftafrifas, befonders die 
Betſchuanen, welde die eben erwähnte Methode befolgen, dann die Wakamba, weldye etwas 
einfacher verfahren, indem fie die Haut mit Keulen jchlagen, und ganz befonders auch 
die Wahuma, bei denen Wildhäute von der Weichheit des Handjhuhleders zum Anzuge 
der beten Klafjen gehören. Man hat hier ein intereffantes Beifpiel von dem mübhjeligen 
Herumgehen um eine Erfindung, welche viele Schwierigfeiten bejeitigt haben würde. Wie 
auffallend, daß gerade in Oftafrifa, wo feit undenklicher Zeit das um die Lenden gejchlagene 
Schaf: oder Ziegenfell zur Nationaltradht gehört, und wo unter einigen Stämmen bie 


Lederzubereitung. Weben. Rindenkleider. 223 


Häute zur Hüttenbededung dienen, die Bevölkerung die Grundfäge des primitivften Gerb: 
prozeſſes weder erfunden, noch aud) entliehen hat! Selbit die mafjenhaft vorhandene 
Mimojenrinde hat fie nicht dazu geführt. 

Baummolle wird in einem großen Teile Oft: und Weftafritas und der Sudan- 
länder gebaut und verarbeitet. Selbit 
ein primitiver Webſtuhl fehlt nicht 
bei den Nyafjaftämmen und Weit: 
afrifanern. Wir bilden weiter unten 
einen joldhen von den Fan ab. Dod) 
führen die Neger den weitaus größten 
Teil ihres Bedarfes an Baummoll- 
geweben ein. Bei den meiften Inner: 
afrifanern ift hauptjächlichites Beklei— 
dungsmittel ein Nindenftoff, den 
ein Feigenbaum, Ficus indica, lie: 
fert, welcher in ganz Uganda majjen: 
haft vorfommt. Der ausgewachjene 
Baum mit ungefähr 20 m in der 
- Höhe und 1—1!/s m im Umfange, 
doch wird die Rinde gewöhnlich nur 
von den jüngern Bäumen genommen. 
Man macht zwei Einfchnitte rund um 
den Stamm und von einem zum 
andern Querfchnitt einen jenfrechten. 
Das cylinderförmige Stück Ninde 
wird abgelöft, die äußere Oberfläche 
jorgfältig entfernt und die Rinde 
dann auf einen glatten vieredigen 
Holzblod gelegt und mit jchweren höl: 7 
zernen Hämmern in rajchem Tempo 
bearbeitet. In die Köpfe der legtern 
find freisrunde Ninnen eingejchnitten, 
deren Eindrüde dem Stoffe ein ge 
ripptes Ausjehen geben; beim Schla: 
‚gen dehnt fich die Rinde aus, wie das 
Gold unter dem Hammer des Gold | 
jchlägers, und wird natürlich in dem: | 
felben Maße dünner. Wenn fie bünn N Em 
genug ausgefchlagen iſt (gewöhnlid) Y | | a u 


nee 


N 


* ——— * 





die Arbeit eines Tages), wird die Eine Taſche aus Grasgeflecht von Calabar ſethnographiſche 
Rinde zum Trocknen aufgehängt und Sammlung, Stochholm). Bgl. Tert, ©. 222. 


jedes Loc, das beim Hämmern etwa 

entitanden, jauber mit den Nandabfällen ausgebeffert. Diejes „Mbugu“ ift neu von einer 
gelbbraunen Farbe und fieht beinahe wie frifch gegerbtes Leder aus; manche feinere 
Sorten zeigen jedod einen dunfelziegelroten Ton. Es gibt ſehr verjchiedene Qualitäten; 
einige der bejjern find wundervoll weich. Der Hauptfehler diejes Stoffes ift, daß er vom 
Regen leicht zerftört wird; aber da er in ſolchem Überflufje vorhanden, hat das nicht viel 
zu jagen. Aus dem alten, abgetragenen Stoffe macht man ausgezeichneten Zunder, welchen 


2924 Allgemeines über die Neger. 


die Waganda leiht in einen Strid zufammendrehen und auf Reifen zum Pfeifenanzünden 
bei fi) tragen, denn in diefem Zuftande glimmt er ftundenlang fort. Der Baum, den 
man von feiner Ninde entblößt hat, ftirbt deswegen nicht ab. Über die Wunde werden 
Bananenblätter gelegt und feftgebunden, jo daß fich eine Art von Haut über derjelben 
bildet und die Rinde ſich nad) einiger Zeit erjegt. Nindenftoff wird bei den verjchiedeniten 
Negervölkern Afrikas getragen. Man findet ihn am Nyafja und am Ukerewe, und bie 
Miffionare des 16. Jahrhunderts ſahen ihn am untern Kongo ebenjo getragen werben, 
wie er heute in Ojftafrifa ges 
tragen wird. 


Fragen wir nah Klei- 
dung und Schmud des Ne 
gers, jo ift zuerft an die außer— 
ordentliche Mannigfaltigkeit der 
Frijuren zu erinnern, zu wel 
chen das dichtwollige, fteife, ab- 
jtehende Haar ganz von jelbit 
einladet. Es ift ebenfo jelten, 
daß die Haare ruhig wachen 
gelaffen, als daß fie kurz ge: 
ichnitten werden. Letzteres ift 
häufig ein Ausdrud der Trauer 
um Berftorbene. Viel häufiger 
ijt die Frifur ein Ausdrud der 
Laune, des Humors, der Spie: 
lerei. Seltener nimmt fie einen 
beitimmten nationalen Charaf: 
ter an, wie bei den Zulu. Die 
gebildetiten Negerftämme, 5. B. 
die Waganda, machen am wenig: 
ſten Friſuren. Tättomwierung 
fommt in größerer Ausdehnung 
oder gar, wiebei Bolynefiern, den 
ganzen Körper bededend jelten 
vor. Nur ım mittleren Südkongo— 

Sogenannter „Rnopneug“ vom untern Kongo. beden find die Tuſchilange und 
Verwandte für Kunſtfertigkeit 

in diefer Richtung befannt. Dagegen find ſymmetriſche Narben an Leib und Kopf, öfters 
in großer Zahl, allgemein. Diejelben werden durch Schneiden und Brennen erzeugt. Auch 
fie dienen häufig als Stammeszeihen. Die Wakamba tragen Schläfennarben, die Makua 
tragen fie an den Wangen. Das Ertrem aber dieſer Entjtellung find die Inopfförmig 
aufgezogenen Narben, welche wie große Warzen oder Auswüchſe ſich vom Gefichte abheben. 
Es find diejenigen der fogenannten „Knopneuzen“, bei denen eine Reihe nopfförmiger war: 
ziger Narben von dem Stirnrande bis zur Nafenfpige läuft; manchmal wird dieje gefreuzt 
von einer querlaufenden Neihe. Diefe Erhabenheiten entjtehen durch halbfreisförmiges 
Einjchneiden der Haut und Unterbinden diefer Stelle. Bei den Malaopa, einem von den 
Zulu unterworfenen Stamme der Südoftfüfte, fowie auch bei den Stämmen des untern 
Kongo (nah NR. Hartmann) finden fich derartige Verunftaltungen. Durdbohrung der 





Haar: und Hautſchmuck. Kleidung. 225 


Ohren, ber Nafenflügel, Naſenſcheidewand und ber Lippen behufs Durdftedens von 
Schmudjahen fommt bei Stämmen am Zambefi und Nyaffa und dann wieder am obern 
Nil vor. Verſchiedene von diefen Stämmen tragen eigens funftreich geglättete Kalkſpat— 
cylinder in den Lippen. Beſchneidung ift bei faft allen Negern ftreng feftgehaltene Sitte. 
Infibulation aber jcheint erft in gewiffen Teilen Oftafrifas von den Abeffiniern und Galla 
ber eingedrungen zu fein. Endlich ift die Zahnfeilung oder das Ausfchlagen oder Aus: 
ziehen einiger Vorderzähne und oft auch der Edzähne oder auch beides bei den meijten 
Negern verbreitet. Es trifft nicht zu, daß nur viehzüchtende 
Stämme diefem Gebraude huldigen. Livingftone war nicht 
ganz richtig informiert, al3 er in Nyangwe einen Knaben vom 
Lomame mit Zahnlüde traf und daraus jchloß, daf diefer einem 
viehzüchtenden Stamme angehören müjje, da die Viehzüchter ihre 
Zähne in Nahahmung ihrer Wiederfäuer und aus Verehrung für 
diejelben ausihlügen. Bon den Damara ift befannt, daß fie jogar 
ihren Kriegsgefangenen die Vorderzähne ausjchlagen. 

Die Tracht der Neger ift mannigfaltig. Felle, Rindenzeug 
und einheimijche oder fremde Baummollzeuge find die Bekleidungs— 
ftoffe; im jchlimmften Falle genügt aber auch ein Palmblatt oder 
Baumzweig zur Bededung der Scham. Völker, die gewohnheits: 
mäßig ganz nadt gehen, gibt es unter den Negern nur wenige, 
und dann erftredt fich das Nadtgehen nur auf das männliche Ge- 
fchleht, wie 3. B. bei den Dinfa oder einigen Nyallaftämmen. 
Wohl aber gehen die Kinder bis zu einem gewiſſen Alter, und aus 
Bequemlichkeit in ihren Behaufungen auch Erwachſene nadt. Bei 
den Süd- und Zentralnegern jowie den Stämmen am obern Nil 
find Belleidungen, welche, aus einer innern und einer äußern 
Schürze beftehend, nur die Schamgegend bebeden, die Regel (j. 
Abbildung, ©. 226). Die Hirtenftämme tragen oft Fellfarofje 
darüber, die aus verſchiedenartigen Fellſtücken fünftlich zufammen- 
gefügt find. Die Völker, welche Nindenzeug bereiten, befigen in Dem: 
jelben einen überall leiht und in großen Stüden zu habenden Stoff 
und fleiden fi) deshalb am volljtändigjten von allen, jo beſonders ug ——— 
die Wanyoro und Waganda. Wo Baummollzeuge billig zu haben gaffern, aus einem 
find, wie an der Weſtküſte, tragen die Männer unterrodartige ee 
Gemwänder, während die Weiber ihr Gewand unter den Achjeln zu: Sr Ir "ni. See 
jammenbinden (j. Abbildung, ©. 227). Schilf oder Palmblätter, 
in Unterrodform um den Leib gebunden, fommen im Innern vor und erinnern an das 
Graszeug der Neuguineer. Kopfbedeckungen werden gewöhnlich nicht getragen, vielfach aber 
im Kriege, bei Tänzen, religiöfen Feftlichfeiten benugt. Primitive Sandalen find aufMärfchen 
in allgemeiner Benugung. Allgemein üblich, bei den Hirtenftämmen aber ins Übermaß 
getrieben ift die Einfettung des Körpers und der Haare, welche durch Beitreuung mit 
wohlriehendem und farbigem Mehle oder Einreiben mit Rötel vervollitändigt wird. Zur 
Kriegstracht gehört Bemalung mit bunten Farben, meift rot und weiß, in den abenteuer: 
lichſten Muftern. Für diefen Zwed find auch Kopfpuge aus Federn gebräuchlich. 





Die Behaufungen der Neger zeigen in der Neigung zur Gruppierung um einen 
Mittelpunkt und zur Ummallung und im vorwiegend leichten Aufbaue aus Gras, Rohr, 
Stengeln oder Zweigen deutlih den nomadiſchen Grundzug, der das Leben aud der 

Böltertunde. I. 15 


226 Ullgemeined über die Neger, 


verhältnismäßig feßhaften unter ihmen beherriht. Die eigentlichen Nomaden bauen ver: 
gängliche Reifighütten, welche fie durch darübergelegte Matten oder Felle ſchützen, und be 
folgen damit eine Bauart, die von den alten Ichthyophagen des Roten Meeres bis zu den 
Hottentotten reicht. Als das einzige Feſte an diefen Hütten ift etwa ein Steinwall rings 
um diefelben gelegt, damit der Negen nicht den Sand hinwegſpüle, auf welden die Hütte 
gebaut ift, und direft in die Häufer hineindringe. Diefe Hütten werden felten länger 
als ein paar Jahre benugt und meift ſchon früher um des Ungeziefers willen verlafjen. 
Bald ift dann alles verfault und vom 
Negen weggefpült, und höchſtens der 
erwähnte Steinkranz und einige vom 
Feuer geſchwärzte Steine auf ber 
Feuerſtelle jowie der Aſchenhaufe legen 
Zeugnis davon ab, daß früher dort 
Menſchen gewohnt haben. Selten 
wird die Wohnung wieder an derjelben 
Stelle angelegt, wenn die Hirten auf 
ihrer periodifhen Wanderung wieder 
an bdiejelbe Duelle zurüdfehren. So 
bedeutet auch der Name der Werfte oder 
des Dorfes 3. B. bei den Herero nichts 
andres als einen Pla, wo gemolfen 
wird, während fie die Städte ihrer ader: 
bauendenNachbarn, der Ovambo, Pläge, 
wo etwas verwahrt wird, nennen, 
Die einzelnen Hütten werden ge: 
wöhnlich im Kreije um einen freien 
Platz angelegt, auf dem bei Nacht 
die Herde zufammengebradt wird. Grö— 
here Dörfer umſchließen oft mehrere 
Ringe aus Zaun: oder Pfahlwerf für 
Groß: und Kleinvieh. Endlich wird 
dann die ganze Niederlafjung, Häuſer 
und Krale, nod einmal von einer gro: 
ben Umzäunung eingeichlofien, eines: 
teil8 wohl zum Schuge gegen großes 
und Fleineres Raubzeug, andernteils, 
Gin mit Perlen befehter Schurz der Betihuanenfrauen (eins, um das Vieh noch immer einigermaßen 
graphijde Sammlung, Stodholm). %s wirt. Größe. Bol. Tert, &.285. zufammenzuhalten, auch wenn e8, wie 
etwa beim Melken, außerhalb des eigent: 
lihen Krales fich befindet. Der Hauptzaun wird bei Dörfern, welde nicht ganz vorüber: 
gehende Anlagen find, mit Palifjadenmwerf verftärkt. Bei den für nod größere Dauer 
berechneten Dörfern aderbauender Negerftämme kommt auch noch ein Graben Hinzu. 
Moambas Dorf (am Merenge) ift 3. B. außer den Baliffaden von einem Graben umgeben, 
welcher 15—20 Fuß breit und ebenjo tief ift, aber troden liegt. Ähnlich find alle Dörfer 
der Babemba befeitigt. Und ein Hauptftüd in der Anlage afrifanifcher Dörfer ift endlich die 
Erjhmwerung des Zuganges, der im äußerten Falle in einen Waldbach verlegt wird, 
auf deſſen Grunde die verräteriichen Fußipuren bald verwijcht find. Dder ber ſtarke Zaun, 
die Boma, wird mit großblätterigen Kürbiffen überzogen, um ihn unfichtbar zu machen. 





Hütten und Dörfer. 227 


Das Shugbedürfnis it überhaupt in den meijten Fällen bei den Dorfanlagen der Neger 
das nächſte nach dem Bedürfniffe, welches die Hütte jelbit errichten ließ. Es zeigt ſich in 
der Wahl der Örtlichkeiten, unter denen Infeln, Halbinjeln, erhöhte Stellen in Fluß: 
ſchlingen, Berggipfel jehr häufig find. Aber auf die feitere Bauart des Haufes jelbit ver: 
fallen fie bei diefen fortififatoriichen Erwägungen nicht. 
Ohne äußere Anregung ift nie im weiten Neger: 
gebiete ein mehrjtödiges Haug gebaut worden. 
Von Livingitones Haufe in Kolobeng jagten daher 
die Makololo ganz richtig: „ES ift Feine Hütte, ſon— 
dern ein Berg mit mehreren Höhlen darin“, 

Die Behaufungen der Aderbauer ftehen inmitten 
ihrer Felder zu Dörfern gruppiert beifammen. Man Fü * 
ſucht zu ihrer Anlage vornehmlich einen vom dichte— — 
ſten Dorngehölze umgebenen Platz aus. Durch Bei— um" 
fügung ftahliger Afte und womöglich Palifjaden wird 
diejes Dicdicht noch vermehrt. So wird ein jehr wirt: 
jamer Schuß gegen andringende Feinde hergeftellt, 
bejonders da dieſe lebende Dornſchanze nicht mit 
Feuergewalt erftürmt werden fann. Der einzige Zu: 
gang zum Dorfe führt durch Baliffadenreihen und wird 
nachts mit einer Pforte gejchloffen. Die Hütten= und 
Getreidedepot3 gruppieren fich gegen den Zaun zu, 
während der mittlere Dorfraum aud hier für das 
Vieh rejerviert ift. Einige jchattenbringende Bäume 
in und beim Dorfe find gern gejehen. 

Bei fait allen Negern Afrifas waltet im 
Hüttenbaue der Kegelftil, d. 5. der Freisrunde 
oder ovale Umriß und der fegel= oder bienenkorbartige 
Aufbau, vor. Die Bienenkorbform ift am häufigften. 
Sogar die großen Schönen Balaftbauten der Waganda 
und Wanyoro find nichts als riefige Bienenförbe 
(j. Abbildung, ©. 229). Es fommen in Zentralafrika 
(in Südafrika unjers Wiſſens nirgends) auch vieredige 
Bauten vor, wie z. B. die Tembes in Ugogo oder die 
Hütten gewiſſer Völker am Kongo, Ogowe, Gabun, 
in Benguela; typifch ift jedoch der Bienenforb. Um * 
einen Begriff von einer ſolchen Kaffernhütte zu erha — 
ten, denken wir uns mit Bleek einen runden, halb— — 
kugelförmigen Korb umgeſtülpt und mit Stroh gedeckt. Eine Loangonegerin (nad Photographie im 
An der Seite ift dann eine Heine Öffnung als Thür else des Herm Dr. Peduel:Loejhe in 
angebracht, wo man mit einiger Mühe hineinfriecht. — — 

Mit dieſer etwas zu hochtrabend Thür genannten Offnung in einer Linie ſtehen drei das 
Geſtell der Hütte ſtützende Pfoſten, und zwiſchen dem vorderſten und mittlern iſt der Herd 
oder die Feuerſtelle mit den drei Herdſteinen aufgeſtellt. Der Rauch hat keinen andern Aus— 
weg als durch die Thür oder durch das Dach, wenn man von einem ſolchen überhaupt 
ſprechen kann. Die Höhe der Hütte in der Mitte beträgt gewöhnlich ſo viel, daß ein erwach— 
ſener Mann eben anſtößt. Der Durchmeſſer iſt etwas mehr als die doppelte Länge eines 
Menſchen. Die Kaffern ſchlafen auf ihren Matten ausgeſtreckt, in ihre Decken gehüllt und 
15* 





228 Allgemeines über die Neger. 


mit ihren Füßen an oder gar in der Aſche des Herdes, auf dem ftet3 etwas Feuer glimmt. 
Der Fußboden ift vielleicht das Beſte an der ganzen Hütte; er gleicht dem einer Tenne 
und ijt mit Kuhmift ausgelegt. 

Um diefen Typus gruppieren fich die Hütten vom Niger bis zum Nil und vom Swakop 
bis zum Eobat. Man findet geräumigere, bequemere Hütten vorzüglich im obern Nilgebiete, 
jo bei den Bongo und Djur; aber wie bequem auch ihre innern Dimenfionen jein mögen, 
immer ijt ihre Thür niedrig, und die Yenfterlofigkeit ift Prinzip. Die Wohn: 


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Madi beim Wohnungswechſel (nad — 


ſtätte der Bongo iſt 5—7 m body, aber der mit Thon ausgeſchmierte gewölbte Eingang 
geftattet auch dort nur, Friehend in das Innere der Hütte zu gelangen. Durd Größe 
und ſolide Bauart ihrer Hütten zeichnen fich bejonders die Dinka vor allen andern Negern 
der Nilregion aus. Die Wände beftehen aus reiner Thonerde und tragen nur einen 
geringen Teil der Yaft des Daches, deijen forbartiges Gerüft von einem im Zentrum der 
Hütte errichteten vieläftigen Baumftamme unterjtügt wird. Bei den Njam-Njam treffen 
wir die „Bamogih“, eine Hütte zum Schlafen für heranreifende Knaben. Die gewöhnliche 
Wohnhütte wird aus den Blattſchäften der Raphiapalme gezimmert; die Wände füttert 
man mit Bananenlaub, belegt jie mit Rindenftüden und fliht fie durch Rotangrohr 
zufammen. Eine ſolche Hütte ijt meift 6 m hoch und 10 m breit. Biel gewaltigere Dimen- 
fionen freilich zeigt die von Schweinfurth bejchriebene Palajthütte des Königs der Mon: 
buttu; fie ift 17 m hoch, 25 m breit und 50 m lang, für zentralafrifanifche Verhältniſſe 
ein gewaltiger Bau. Diejer horizontale Dachbau der Monbuttumohnungen zeigt Beziehun: 
gen diejes Volkes zu Stämmen an der äquatorialen Weſtküſte, die gleich den Manyema 


Bauftil. Baumbütten. Pfahlbauten. 229 


und den Bewohnern der Kongo-Ufer mit vieredigem Grundriffe bauen. In der Ver: 
zierung laufen recht fomijche Liebhabereien mit unter; jo pflegen Sjern und Golo die 
Außenwände ihrer Hütten durch eine weiße Tünde von Hundekot in verfchiedenen Muftern 
zu verzieren. 

Der weſentlich übereinftimmende Grundplan wird nun nicht bloß in verjchiedener 
Größe, jondern auch mit einem fehr verjchiedenen Grade von Sorgfalt ausgeführt. Die 
Südneger treten auch bier gegen die der äquatorialen Regionen zurüd, wie hoch auch ihre 
Hütten wieder über denen der Hottentotten ftehen. Ärzte haben öfters ihre Meinung 
fundgegeben, daß der Lehmboden und 
Bienenkorb der Kaffernhütte zufammen 
mit der halbeuropäifchen Kleidung und 
Bettung der Natalkaffern eine möglichft 
ungeſunde Miſchung find, die viele To- 
desfälle erklärt. Im Gegenfage zu ihnen 
wird die Bauart der Hütten der Wa- 
ganda von allen Europäern wegen ihrer 
Sorgfalt und Bequemlichkeit bewun— 
dert. Die Hütten in Uganda, Uvinja, 
Unyoro ꝛc. find reinlich, troden, in ihrer 
Art komfortabel. Der Übergang von 
dem weniger guten zu dem jorgfältigern 
Hüttenbaue fällt augenfcheinlich mit der 
Nordgrenze der vorwaltenden Viehzucht 
zufammen. 

Afrika bejigt feine ftändigen 
Baummohnungen, wie man fie im 
Battalande oder Neuguinea findet; aber 
e3 fehlen ihm nicht die temporären Feſtun⸗ 
gen in den Kronen von Riefenbäumen 
jowie Pfahlbauten, und zwar fommen 
legtere im Often wie im Welten in jehr 
ausgeprägter Form vor. Am typifchiten * 
ſcheinen jene des kleinen Morjaſees * Hütten in Uganda und Umjammefi (nah Stanley). 
obern Zualabagebiete zu fein, wo Ca— Val. Tert, ©. 97. 
meron eine ganze Bevölferung von 
Piahlbauern fand, welde in niedern vieredigen, auf hohen Pfählen ſich erhebenden Hütten 
wohnen. Sie fahren in Einbäumen und bebauen auf dem Lande Felder. Als Cameron 
einige von ihnen anſprach, liefen fie davon und flüchteten fich ſogleich auf ihre Pfahlhütten. 
Die Treppe zur Hütte ftellt ein mit vorftehenden Äſten verjehener Steigpfahl vor. Nicht 
weit von hier wohnen andre auf ſchwimmenden Inſeln, welche aus Stüden der verflochtenen, 
Tingi-Tingi oder Tikki-Tikki genannten Pflanzendeden beftehen, die dichte Deden über die 
Randſtrecken dieſer meift jeihten Hochebenenfeen ziehen. Solche Stüde werden mit Pfählen 
feftgerammt und tragen dann die Hütten der Infulaner, welche auf ihnen ſogar Bananen 
pflanzen und Ziegen- und Hühnerzudt treiben. Sie bebauen indejjen auch Fruchtfelder auf 
dem Lande. Rohlfs bejchreibt ebenſo ausgeſprochene Pfahldörfer vom untern Benusẽ. 

Die Negerdörfer find häufig von beträdtliher Größe, was ſich Dadurd) erklärt, 
dab ein Stamm fo dit wie möglich beifammen und um feinen Häuptling gefehart wohnt, 
um möglichft unverfürzt den Schuß zu genießen, defjen Gewinnung ja der erite Zwed des 








nun 


230 Allgemeines über die Neger, 


gejelligen Wohnens ift. Das Gros ganzer Stämme drängt fih um die Häuptlingshütte, 
wie 3. B. die Dftbamangwato um Schoſchong, die Nordmatabele um Umzilad Kral wohl 
mehr als die Hälfte ihres Volkes verfammeln. In größern Reichen, wo dies nicht der 
Fall jein kann, find die Hauptjtädte Hein, wie Mufjumba, Kajembes Stadt, und andre. 
Verlegung diefer Städte nad) dem Tode eines Häuptlinges ift Regel. Berfehrsvorteile 
fallen felten bei der Wahl einer Ortlichkeit für eine Stadt ins Gewidt. Die befte Ver: 
fehrslage laffen die Neger unausgenugt. Am Bolungo, Südnebenfluß des Zambeſi, konnte 
daher Chapman von einem Orte jagen: „Wenn jemals diejes Land von weißen Menjchen 
bewohnt fein wird, jo wird an diefem Orte ficherlich eine Stadt entftehen”. Nyangwe iſt 
eine der wenigen Negerjtäbte, die eine für den Handel günftige Lage haben; jelbjit Europäer, 
3. B. Cameron, erkannten ihre Vorteile an. 

Die Bevölkerung der afrikaniſchen Negerländer befindet ſich großenteild nicht in 
den Verhältniffen, welche genaue Volkszählungen geftatten. Man kann als wahrſcheinlich 
annehmen, daß ihre Dichtigkeit nicht ein Drittel von der: 
jenigen Europas betrage. Allein diefe Mittelzahl bejagt 
wenig. In Ländern, wo ein gemwiller Grad von Friede und 
Ordnung herrſcht, wie in den Fulbeftaaten, Uganda, in Teilen 
Manyemas, im Dinfa: und Schillufgebiete des obern Nil, findet 
man eine jelbit für Europäer erſtaunliche Bevölferungsdichtigfeit, 
nad Schweinfurths Schägung 3. B. bei den Monbuttu min: 
deitens 5000 auf die deutſche Quadratmeile, während nahe dabei 
: R weite Streden öde liegen, die oft noch die Spuren früherer Be 
Grundriß einer Hütte in wohnung tragen. Livingftone fehildert in folgenden Worten 
Eu ee m ginen weiten Stricd Landes, der unbewohnt im Oſten des Nyaſſa— 
a Xhüröffnung und Ouerwand. ſees liegt: „Ein Land, jo Schön, wie man es nur irgendwo finden 
b Bettftätte. e und d Rormumen. tann, das noch alle die Spuren trägt, einjt eine eiſenſchmelzende 
—— —* ie und fruchtbauende Bevölkerung unterhalten zu haben. Den Thon: 

pfeifen, die fie auf die Röhren ihrer Blajebälge jegen und in den 
Ofen einfügen, begegnet man überall. Die Furchen der Felder, auf welchen fie Mais, Bohnen, 
Kaſſawa und Hirſe pflanzten, und von welchen fie die zu reichliche Feuchtigkeit der Regen 
abzuleiten für nötig fanden, find noch nicht geebnet; fie blieben als Zeugen des Fleißes der 
frühern Bewohner.” Und als Cajalis die damals menfchenleere, aber mit Menſchenknochen 
beſäete Hochebene jüdlih vom Bafutolande durchzog und frug, wo die Beliger dieſer weiten 
Gebiete wohnten, zeigte man ihm einige elende Hüttengruppen auf den unzugänglidjiten 
Bergipigen. In Livingftones und Stanleys Schilderungen von Manyema und dem 
mittlern Kongogebiete oder Schweinfurths Bejchreibungen der Bongo: und Djurländer 
findet man ähnliche Szenen zu Dugenden. Und hart neben diefen Bildern der Zeritörung 
und Verödung treibt das Leben diejer Völker feine üppigen Schoffe und bededt das Land 
mit fajt lüdenlos aneinander gereihten Wohnftätten. Wie Stanley am mittlern Kongo, 
ſah Shweinfurth am Nil, im Lande der Schilluf, meilenweit am Ufer ſich hinziehende 
Reihen von Hütten. Die Strihe wechſeln wie grüne und vom Hagelichlage getroffene 
Streden miteinander. Ortlich jhügende Verhältniffe fommen dabei, wie überall, zur Gel: 
tung. Gebirge und Inſeln find daher häufig dicht bevölfert, die fruchtbaren, zugänglichen 
Ebenen dünner. Camerons Bemerkungen über die Bevölferungsdichtigfeit in jeinem 
allgemeinen Rüdblide auf die Ergebniffe feiner berühmten Durchquerung des Kontinentes 
zeichnen diefen Zuftand wohl am treffendften: „Auf den Grasflähen zwiſchen Bagamoyo 
und den Gebirgen von Ujagara iſt die Bevölkerung dünn und wohnt in Dörfern, welche 
auf Anhöhen oder im Gebüſche verftedt find. Im Gebirge ift dagegen das fruchtbare Thal 





Größe der Dörfer. Dichte und bünne Bevöllerungen. 231 


bes Lugerengeri dicht bevölkert. Die daran ſich anfchließende Mafataebene ift in ihrem 
öftlichen Teile völlige Wildnis, während im Weſten einige Dörfer liegen. Ode ift wieder 
das obere Lufidichigebiet und dünn bevölkert die waſſerarme Hochebene des öftlihen Ugogo. 
Dagegen ift in den letten 20 Jahren das Land zwifhen Khofo und Mdabura von neuen 
bebaut und bewäljert worden, und das legtgenannte ift dicht bevölfert. Die Wafimba haben 
das weſtlich ſich anſchließende Mgunda Mali (das ‚Feuerfeld‘) urbar gemacht, welches früher 
einer ber ödeften Teile des Weges von der Küfte nad) Unyanyembe war; aber das Land 
zwijchen hier und Tabora ift dünn bevölfert, waſſerarm und größtenteils noch mit Dihungeln 
bededt. Der Grenzftrich von Unyanyembe ift fait durchaus Dſchungel. Diejes ſelbſt um- 
jchließt eine dichte Bevölkerung und war bis auf die Zeit der Kämpfe mit Mirambo gut 
angebaut und herdenreih. Das Land der Waganda ift wilder und an vielen Stellen durd) 
den Ugombe verfumpft. Die 
waldreihen Ebenen von Ugara 
find nur an wenigen Stellen ge— 
lichtet. In Manyema endlich find 
die von den Sklavenhändlern und 
den Räubervölkern befuchten Ge— 
biete ſehr dünn bevölfert, oft 
menjchenleer; die übrigen dagegen 
tragen durchaus eine dichte Be— 
völferung.” Nehmen wir nod) 
Stanley3 und Wißmanns 
Berichte über das jungfräuliche 
mittlere Kongoland hinzu, jo er: 
gibt ſich diefes als durchſchnittlich 
jehr gut bevölfert. Mit dem Frie⸗ Plan eines befeſtigten Dorfes in Bihé (nah Serva Pinto). 
den mefmen Kultur San 2 Annie dä, 1 le Bit ir ran = 
zahl nad) dem Innern bin zu. diefelbe. — cee Weiberhltten des Häuptlinges, — dad Hütten des Doltes, 
Die immer wieder vorkom— 

menden Entvölferungen wirken ethnographifch bedeutend durch die Wanderungen, welche 
fie hervorrufen. Die leeren Räume füllen fi) troß alledem mit der Zeit und zwar ziemlid) 
raid. Das Bafutoland hat, ſeitdem Caſalis es fah, feine Bevölkerungszahl wohl ver: 
vierfadht. Bei den häufigen Kriegen fehlt es nicht an Zwang zu Wanderung und Koloni- 
jation. Nicht jelten entjteht aus einer zwangsweifen Wanderung in der Art ein Vorteil 
für das Land, daß die Flüchtigen eine bis dahin öde Stelle anbauen und dadburd bie 
Kultur ausbreiten. Das zu Burtons und Spefes Zeit mit Geftrüpp bewachſene, waſſer— 
arme und menjchenleere Land Mgunda Mkali fand, wie erwähnt, Cameron durch einen 
aus feinen Siten vertriebenen Zweig der Wanjamweſi gelichtet, bebaut und bemäflert, 
und es war dadurch zugleich der früher gerade an diefer Stelle ſchwierige Karamanenweg 
Zanzibar:Udichidfchi bedeutend gangbarer geworden. Freilih waren die Einwohner noch 
jehr mißtrauifch gegen Fremde, und ihre Dörfer find wie Feitungen ummwallt und mit 
Thoren verſchloſſen. Einige Tagemärjche weiter lag dagegen damals noch ein umgekehrt 
durch die Einfälle derfelben Wanjamweſi entvölferter Strid) im Gebiete der Wakimbu. 









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232 Allgemeines über die Neger. 


Die Negerſprachen. 


Die große Thatſache der afrikaniſchen Ethnographie ift die Erfenntnis der Zufammen: 
gehörigkeit der Sprachen, welde von den Südgrenzen der Kaffern bis hinaus über den 
Hquator geiprohen werden, und welde man Bantuſprachen genannt hat, und ferner 
die Einfiht in den großen Unterichied zwiſchen diefer Spradgruppe und der: 
jenigen der Hottentotten und Bujhmänner Die fajt gleichzeitig von W. 9. 3. 
Bleek, %. Logan und J. E. Adamjon behauptete und neuerdings von R. Lepſius 
gewichtig geftügte Anficht, daß die Hottentotten= und vielleicht jogar die Bufhmannjprade 
zu den nordafrifanifchen Sprachgruppen gehöre, Tcheint weiteres Licht auf Zufammenhänge 
und Eonderungen innerhalb der afrifanifchen Völker zu werfen, kann aber zunächſt doc 
nur als Hypotheje betrachtet werden, als welche wir fie oben bereits angeführt haben. 
Was aber das Weſen der Bantuſprachen anbelangt, jo lafjen ſich folgende Merkmale als 
die hauptjächlichiten diefer jo weitverbreiteten, im allgemeinen der agglutinierenden Gruppe 
zuzuzählenden Spraden anführen. Diejelben bedeuten faft ebenfo viele Unterſchiede von 
den hamitiſchen Spraden Afrikas. Die Bantuſprachen find in erfter Linie ausgeprägte 
Präfixſprachen. Jedes Subftantivum hat vor feinem Stamme ein Präfir, und biejer 
Präfixe gibt es 7—10 verjchiedene, welche ebenfo viele Klafjen von Benennungen: Men: 
chen, Tiere, Pflanzen, Werkzeuge zc., unterfcheiden und bezeichnen. Die meiften darunter 
haben eine bejtimmte Vorfilbe für Singular und Plural. So bedeutet in der Waganda- 
ſprache z. B. lungi gut und muntu mulungi ein guter Mann, bantu balungi gute Män— 
ner, muti mulungi ein guter Baum, miti milungi gute Bäume, ngumba nungi ein 
gutes Haus oder gute Käufer, kintu kilungi ein gutes Ding, bintu bilungi gute Dinge, 
lusogi lulungi ein guter Hügel, nsogi nungi gute Hügel, toki dungi eine gute Banane, 
matoki malungi gute Bananen, wantu walungi ein guter Pla oder gute Pläße zc. 

Auch bei den Berben wird eine Vorfilbe vor die andern gefeßt, welche Perſon und 
Zeit angeben und für Nelativpronomen, Subjelt und Objekt ftehen; der Stamm des 
Verbs kommt zulegt, jo dab oft das, was im Deutjchen den größten Teil eines Satzes 
oder einen ganzen Sag ausmachen würde, in der Bantuſprache mit einem einzigen Worte 
ausgedrüdt wird. Das folgende Beilpiel aus der Swaähiliſprache wird dies anfchaulich 
machen: Er, der ihm das Meſſer geben will = atakayekimpa kisu; a = er, taka = will, 
ye = welder, ki — es, m=ihm, pa = geben, kisu = Meffer. 

Während durch dieſe Präfire die Unterjchiede von belebt und unbelebt und noch 
geringere „Klaffenunterfchiede‘ jtreng auseinander gehalten werden, wird ein andrer größerer 
Gegenjag, der gefhlehtlide, unberückſichtigt gelafien. Es ift das eine jehr auf: 
fallende Thatjache, daß ein Grundmerkmal unjrer fowie der femitifhen und hamitijchen 
Spraden, wie e8 die Gejhlechtsunterfheidung ift, völlig vernadpläffigt erfcheint. Es gibt 
wohl eigne Wörter für Vater und Mutter, nicht aber für Sohn und Tochter, Bruder und 
Schweſter, für weldhe nur je ein Wort eriftiert, mona, etwa mit Kind, pange, etwa mit Ge- 
ſchwiſter zu überſetzen, ferner nicht für Onkel und Tante, für Neffe und Nichte, für er und 
fie. Dagegen haben die Bantu vor uns voraus eigne Namen für älteres Gejchwifter, kota, 
und jüngeres Geſchwiſter, ndenge, was aber injofern auch gleich wieder an einen Mangel 
erinnert, als die Komparation, für welche eigne Ausdrüde fehlen, mit diefen Worten 
gemacht wird. Es gibt jelbftverftändlich nur Präpofitionen, feine Poftpofitionen. Die Kon- 
fordanz durch gleihe oder euphoniich veränderte Präfire fpielt eine große Rolle. Die 
Reihe der Worte im Sape ijt: Subjeft, Zeitwort, Objeft; doch wird das leßtere durch ein 
vor die Verbalwurzel gejegtes abgefürztes Fürwort antizipiert. Zum Lautcharakter der 


Die Negerjpradgen. 238 


Bantuſprachen gehört der Auslaut jeder Silbe auf einen Bofal. Am Gegenfaße 
dazu ift der konſonantiſche Anlaut häufig durch Präfire, namentlich. naſale, erweitert. 
Endlich ift die Intonation, welche mit gleichlautenden Wörtern je nad) der höhern oder 
tiefern Stellung der Stimme ganz verfchiedene Begriffe bezeichnet, eine auffallende Eigen: 
tümlichfeit der Bantujpraden. 

Gewiß ift aber die verhältnismäßige Gleihförmigkeit diefer Spraden über ein 
jo weites Gebiet eine ihrer allermertwürdigften Eigenſchaften, die nur durch die buntejten 
Verfhiebungen und Durcheinanderwanderungen der jogenannten Bantuvölfer zu erklären 
iſt. Man fennt nur wenig die norbäquatoriale Gruppe, body weiß man genügend 3.8. 
von der Sprahe der Waganda, um ihre weitgehende Ähnlichkeit mit jene der Zulu oder 
Herero würdigen zu fünnen. Was die füdäquatorialen Bantufpradhen anbelangt, jo läßt 
Bleef jeine füdafrifaniihe Gruppe aus einem großen mittlern Teile beftehen, welder fait 
alles befannte Land zwiichen dem ſüdlichen Wendekreife und Aquator umfaßt, und aus zwei 
weiter abgelöften Zweigen, deren einer dem Südfüboften, der andre dem Nordweiten 
angehört. Jener mittlere Abjchnitt zerfällt aber wieder in eine öftliche und mweftliche Hälfte, 
deren jede mindeſtens zwei Sprachgattungen umschließt, und ebenjo ift auch der jüdöftliche 
Zweig wieder abzuteilen. Der jüdöftliche Zweig jcheint hauptſächlich dadurch charakteriſiert 
zu jein, daß die Wortendungen fait ausjchlieglich die vorhergehenden Silben affizieren, 
während in den übrigen auch das Umgefehrte jtatthat. Man unterjcheidet die drei Unter: 
abteilungen: Kaffer im engern Sinne, Sitihuana und Tefeza. Die erftere, mit der 
Varietät des Zulu, umſchließt die vollften und urſprünglichſten Formen und befigt den 
größten Wohlklang. Das Sitſchuana ift mehr guttural, mit dunflern Vokalen und 
abgejchliffenern Konfonanten, das Tekeza endlich ift breiter. Im Sitſchuana findet man 
viel mehr dialektifhen Unterſchied als im Kaffer, und die öftlichften Sitſchuanadialekte 
find dem legtern ähnlicher als die weitlichen. 

Aber von all diefen Unterjchieden jcheint doch nur zu gelten, was Mar Buchner 
von allen ihm zu Gehör gefommenen Spraden im Angola= und dem Lundareiche jagt: 
„Ob dieje Mundarten als eigne Sprachen oder bloß als Dialekte ein und derjelben Sprade 
aufzufaffen find, ift unwichtig und hängt von der ſchwankenden Definition jener beiden 
Begriffe ab. Soll ein Vergleich mit europäifchen Unterfchieden gewagt werden, jo möchte 
id behaupten, daß die beiden mir etwas genauer befannten Ertreme, Angola und Lunda, 
fih nicht mehr voneinander unterfcheiden als Holländifh und Hochdeutſch. Kioko, Schinſch 
und wahrſcheinlich auch Minungo find fait identiſch. Zwiſchen Angola, Bondo und Songo 
jowie zwifhen Bangala, Bondo und Songo beftehen an den Grenzen allerjeit3 Über: 
gänge, weil diefe Stämme fi ſchon feit langem nachbarlich berühren. Kiofo und Lunda 
find ſcharf voneinander geichieden, obgleih die Dörfer der beiden Stämme bunt durch— 
einander liegen. Hier ſpricht man Lunda, dort, vielleiht nur 1 km entfernt, Kiofo. 
Die Kioko, als fremde Eindringlinge aus dem Süden, wohnen eben erft wenige Jahre 
auf Lundaboden.“ Aber über alle diefe zahlreichen Heinen Sonderzweige, deren Dannig- 
faltigfeit in ihrer Art nicht minder bezeichnend ift, bleibt nach den Worten besjelben 
Forſchers eine „überraſchende Ähnlichkeit” das viel tiefer gehende Merkmal. Und diejes 
Merkmal wird aud durch große Kulturunterfchiede und räumliche Entfernungen nicht 
aufgehoben. Die Damara oder Herero find arme Viehzüchter in Südweſtafrika, die 
Banabya behäbige Aderbauer im Zentralgebiete des Zambeſi und die Mafalafa endlich 
ein betihuanenähnlihes Mittelding von Hirten und Aderbauern. Aber Chapman, 
welcher aus dem Damaralande zu den Makalaka und Banabya reifte, fand deren Sprade 
der Damarajprade jo ähnlih, daß er fie vermöge feiner Kenntnis der legtern ver: 
jtehen konnte. 


234 Allgemeines über die Neger. 


Zur Charafterijierung der Bantuſprachen laffen wir hier noch einige Bemerfungen 
über beftimmte Teile derjelben folgen, die bejonders wichtig oder eigentümlich find. Das 
Zahlenſyſtem verhält fich ganz ebenfo wie bei ung. Die höchſte Zahleneinheit ift hundert. 
Darüber hinaus wird gewöhnlich mit fremden Zahlworten gerechnet, am obern Nil mit 
arabiihen, in Südweftafrifa mit portugiefiichen (mil zu miri umgewandelt). Verſchiedene 
Andeutungen Sprechen dafür, daß urfprünglih nur bis fünf gezählt und dann gleichjam 
eine neue Reihe begonnen wurde. Zwanzig, dreißig 2c. heißt zwei zehne, drei zehne. Von 
zehn, zwanzig 2c. zählt man weiter zehn und eins, zwanzig und eins. Zehn hat den Wert 
eines Subftantivum, indem diefe Zahl nicht bloß einen Plural befigt, jondern aud) als 
Kollektiveinheit, etwa wie unſer Dugend, auftreten fann, 3.3. dikuini dia hombo, eine 
Zehnheit Ziegen, zehn Ziegen, wobei die Teilbegriffe im Singulare bleiben, 

Gejhmadsempfindungen wie füß, fauer, bitter müfjen durch ein und dasjelbe 
Adjektiv, welches etwa pifant bedeutet, umfchrieben werden, und es heißt dann pifant wie 
Zuderrohr, wie Salz x. Ebenſo ift es mit den Farben, für die bloß drei eigne Vokabeln 
eriftieren, nämlich ſchwarz, welches zugleich auch blau, weiß, welches zugleih auch gelb, 
überhaupt hell glänzend ausdrüdt, und rot. Daraus geht aber Feineswegs hervor, daß 
die Neger für verjchiedene Farben minder empfänglich wären als wir. Abgejehen von der 
Unterjcheidung der Einzahl und der Mehrzahl, gibt es Feine eigentlihe Deklination, 
wenn man nicht die allgemeine Abhängigfeitspartifel a, welche vorzugsweije unfrer Genitiv» 
form entjpridt und am beiten mit von wiedergegeben wird, als Andeutung einer ſolchen 
betrachten will. Ungemein reich an Hangvollen Modulationen find die Interjeftionen. 
Amä, nah Buchner etwa das Berliner „na nu“, eoa, etwa unfer „ei ei“, aiuä, etwa 
„juuchhe“, hört man täglih und ftündlid. Als Beteurungen vernimmt man namentlich 
oft „Tod!“ und „deine Wahrheit!”, „fürwahr!“ Die Frage wird nur durch den Tonfall 
ausgedrückt und ändert nichts an der Wortitellung, es gibt da feine Umdrehung wie bei 
uns. Der großen, oft unbehilflih werdenden Einfachheit der Ausdrucksweiſe entiprechend, 
fehlen alle fompliziertern Wendungen, faft alle Verzweigungen. Diejer Einfachheit ent- 
jpricht anderjeit3 eine große Regelmäßigfeit und Konjequenz. Während bei uns die Aus: 
nahmen oft jo überwiegen, daß die Regeln faum mehr zu erkennen find, ift dort das 
Umgelehrte der Fall, was die Analyje ungemein erleichtert und genußreich macht. 

Dieje hier harakterifierte Bantufprache verbreitet ſich in ihren zahllojen leicht variier- 
ten Dialeften über den weitaus größten Teil des Gebietes, das die afrifanifhen Neger 
bedecken. Solch weite Verbreitung der einen Sprade entipricht, wie wir ſchon hervorhoben, 
und wie in der Einzeljchilderung noch deutlicher zu erfennen fein wird, der Verbreitung 
einer Menge ethnographiicher Merkmale über dasjelbe weite Gebiet, nur daß lettere noch 
weiter verbreitet find, indem fie ja zum größten Teile jelbit bei den ſprachlich jo tief ver- 
Ichiedenen Hottentotten wiederfehren und auch den andersipradigen Negern des Sudan 
angehören. Der Wahrſcheinlichkeitsſchluß ift erlaubt, daß wir es in den ſoge— 
nannten Bantunegern mit einem jüngern Zweige des afrikaniſchen Aſtes der 
Neger zu thun haben; die ethnographiihen Gemeinjamfeiten gehören einer frühern 
Epoche an, während dieſe Sprachgemeinichaft das Ergebnis einer jpätern Verbreitung 
aus beihränktem Ausjtrahlungsgebiete fein muß. Klein ift der Raum, den bei diejem 
gewaltigen Sprachgebiete die Länder abweichender Negerſprachen einnehmen. Sie beihränfen 
fih auf einen Streifen von ſehr ungleicher, aber überall geringer Breite zwiſchem dem 
Bantu und den hamitifchen und jemitifchen Sprachen des Sudan. 

Unter diefen Sprachen, welche Lepfius als Mifchnegerfprahen bezeichnet hat, kann 
man eine Gruppe am obern Nil untericheiden von einer weitafrifanifchen. Von jener aber 
find genauer jtudiert nur die Bari- und Dinkaſprache, die miteinander im Verhältnis der 


Spraden und Schrift der Neger. 


235 


böhern und niedern Entwidelungsitufe jtehen und zwar jo, daß Bari die Entwidelung aus 
dem Dinfa darftellt. Beider Charakter ift Formlofigfeit mit Anjag zur Agglutination. Dem 
Zeitwort fehlt in der Dinkaſprache jegliche nähere Beltimmung der Modalität, Zeit und 


Perſon, während es in der Bariſprache zum Ausdrud des Dauerbegriffes 
fich eine Rebduplifation gefchaffen hat. Den Zahlwörtern liegt das Quinär- 
ſyſtem zu Grunde. Friedrich Müller rechnet zu diefen Sprachen aud) 
die der Nuehr und Schilluf und faßt alle vier als Nilfpraden zufammen, 
indem er fie zugleich den Bongo= und Mittuſprachen entgegenjegt. Dinka— 
und Barifpradhe find beide wohlklingend, aber von der fonft nicht näher 
befannten Madiſprache jagt Felkin, daß fie mit ähnlihen Schnalzlauten 
wie bie ſüdafrikaniſchen geſprochen werde. Ein ernfthafter Verſuch, den 
Nilſprachen eine beftimmte Stellung unter den übrigen Nichtbantufpracdhen 
anzumweifen, ift noch nicht gemacht. 

An der Weftfüfte bilden von der Niger: bis zur Senegalmündung 
die Sprachen Hleinerer Negerftämme ben Übergang von den hier am wei: 
teten nordwärts reichenden Bantuſprachen zu den hamitiſchen Idiomen 
Nordweitafrifas. Von ihnen find die Efif-, Ibo- und Norubajpradhe in 
wichtigen Punkten den Bantufpraden ähnlich; fie find vor allem Präfir: 
ſprachen wie diefe. Daran fchließen fich eigenartigere Jdiome, wie Ewe 
(Aſchanti), Ga (Akra) und Odſchi, welche Lepfius als eine zuſammen— 
gehörige Gruppe betrachtet, die auf dem Boden der Bantufpraden ſich zu 
einer formenarmen Sprache zurüdgebildet hat. Die Kru- und Vei— 
Ipraden find ihnen ähnlich, während das Temne und Bullom von Sierra 
Leone wieder dem Bantutypus durch Nominalpräfire und Begriffsflafjen 
näher ftehen. Den mehr abweichenden, weitverbreiteten Sprachen der 
Wolof und Fulbe jcheinen dennoch die Spuren der Verwandtichaft mit 
den Bantufprachen nicht ganz zu fehlen. 

Von einer Schrift irgend welder Gattung weilen weder die 
heutigen Neger eine Spur auf, noch find im Negerlande Spuren 
älterer Schrift gefunden, wie fie Polynefien auf der Ofterinfel ges 
boten hat. In diefer Hinficht ftehen die Neger des Stillen Ogeanes, die 
Indianer Nordamerikas, die Hyperboreer mit ihrer zur Aufzeichnung denk: 
würdiger Ereigniffe paffenden Bilderfchrift über den afrifanifchen Negern, 
bei welchen lediglich Anfänge einer Jolden in der Form von Kerbhölzern 
und Eigentumszeichen zu fonftatieren find. Gläubiger und Schuldner pfle— 
gen fi die Anzahl der geliehenen Werteinheiten, Stüde Zeug 3. B., durd) 
Einjchnitte an einem Stode zu notieren. Ebenfo pflegen Kaufleute und 
Träger auf der Reife die Anzahl der Nachtlager an ihrem Wanderſtabe 
zu verewigen, wobei bejonders wichtige Ereigniffe durch größere oder 
abweichend geftaltete Schnitte markiert werden. Wächſt irgendwo ein 
hervorragend ſchöner Kürbis heran, der ein begehrenswertes Waſſergefäß 
zu werden verfpricht, fo beeilt fi) der Eigentümer, ihn durch ein be: 


BIN 


Eigentumszeiden 
der Neger Mudi—⸗ 
mente der Schrift) aus 
Lunda (nah Dr. M. 
Buchner), 


ftimmtes, mit dem Mefjer eingraviertes Zeichen zu wahren, wobei aber aud) abergläubiiche 
Gefühle mitjpielen können. Indeſſen hat die oft genannte Schaffung einer befondern 
Schrift für die Veiſprache durch Neger diefes Stammes gezeigt, daß die Begabung der 


Neger unter beitimmten Anregungen auch diefer Aufgabe gewaächſen iſt. 


236 Das Kaffernland und die Kaffern. 


7. Das Baffernland und die Raffern. 


„Der gefegnetfte Strih von ganz Südafrika‘ 


Inhalt: Terraffenharafter des Landes. — Reichliche Bewäſſerung. — Subtropif—hed Klima. — Reiche 
Pflanzenwelt. — Körperliche Tüchtigkeit und geiftige Energie der Kaffern. 


Den gejegnetiten Strih von ganz Südafrika, der zwifchen dem Hochlande des Innern 
und dem Indiſchen Ozeane wie ein eingehegter Garten fich hinftredt, nennen wir furz 
Kaffernland und bezeihnen damit das Gebirgsland und Tiefland des öftlihen Süd— 
afrifa, joweit e8 zum Indiſchen Ozeane abfällt. Als Nord: und Südgrenze fünnen ganz 
allgemein Limpopo und der Große Fiichfluß angenommen werden. Politiſch zerfällt es 
in Kaffraria, Natal und Zululand. Sein Flädhenraum kann auf 2000 QMeilen 
geihägt werden. In der Bodengeftaltung ift unbedingt vorwiegend der Terraffendharafter, 
weldher fi in drei vom Gebirge nad der Küfte abfallenden Stufen ausipridt. 
Die erfte ift das langſam anfteigende Land bes Küftengürteld, 3—4 geographiiche Meilen 
breit, an der Küfte mit Mangrovefümpfen umfäumt, im Innern von üppigitem Wald- 
wuchje, dem einzigen echt tropifchen in Südafrika, bededt. Hinter diefem tropiſchen Gürtel 
erheben fich Hügelzüge, welche von den jhroffiten Thälern durchfurdt find, zu 600— 800 m 
und leiten zur zweiten Terraffe über, auf der bei gemäßigtem Klima ſich große Weiden, 
natürliche Grasflähen ausdehnen, welche felten von Büfchen und Waldungen unterbrochen 
werden. Über diefe hebt fich endlich die dritte Terraffe mit den eigentlichen Vorbergen des 
Dftgebirges Südafrikas, deſſen Hauptglied die Drafenberge find: eine hoch gelegene, teil 
weiſe noch Fräftig bewaldete Hügellandſchaft, gleichfalld von ausgedehnten natürlichen 
Wiefen durchfegt, über welche der Kamm und bie im Winter mit Schnee bebedten Gipfel der 
Drafenberge ſich erheben. Dieje breite Terrafje jegt in einigen Teilen wohl noch eine 
zweite Stufe ab, jo daß man oft von einer vierfachen Abftufung diefes Küftenftreifens ſprechen 
hört, der indefjen, was einen Begriff von der Zufammendrängung diefer Stufenlandidaften 
geben mag, burchjchnittlich nicht über 30 deutſche Meilen breit if. Natürlich ift dieſe 
Terraffenlandichaft nicht überall in dem über 8 Breitengrade fich erftredenden Küftenftriche 
gleich deutlich ausgeprägt, am meiften noch in der Mitte und im Süden des Landes; nad) 
Norden zu aber verwijcht fie fich einigermaßen durch die wie nach Welten, jo auch nad Oſten 
hier ausjtrahlenden Nebenzüge der Drafenberge, in deren Aufbaue einheimische Geographen 
die Finger einer Hand jehen: den Kleinen Finger würde der den Tugela, den Daumen der 
den Umfomanzi begleitende Zug bilden, während die Spige des Mittelfingers am Umgeni 
herab bis nad Port d'Urban reihen würde. Kräftiger treten indefjen im Norden die Ge- 
birgsausläufer gegen die Küſte vor, wo die Lupompoberge vom Pongolo und andern Neben: 
flüffen des in die Delagoabai mündenden Maontu durchbrochen und einft von der Eifenbahn 
überfchritten werden jollen, die von Lourenso Marques nah Transvaal geplant ift. 

Die Bewäſſerung des Landes ift eine fo reihliche, dak Natal das Land mit 
zweihundert Flüffen genannt wird. Alle find wafferreihe, ausdauernde Gewäſſer, die 
raſch der Küſte zufließen (die durchjchnittliche Entfernung zwifchen Gebirgsfamm und Küjte 
überfteigt nicht 40 deutſche Meilen), aber ebendeshalb feinen Wert als Verkehrsſtraßen 
haben. Ihre Wafjermafjen erfahren im Sommer (November bis Januar) fehr ſtarke 
Anfhmwellungen, jo daß dann häufig der Verkehr unterbrochen wird. Von Norden nad) 
Süden find am wichtigiten: der in die Delagoabai mündende Maontu; der in der Geſchichte 
der Zulu berühmte, das Zululand mitten durchfließende Umvolofi; der Grenzfluß zwifchen 


Bodengeftalt. Bewäfferung. Klima. Flora. 237 


diefem Lande und Natal, Tugela; der Umgeni, in deffen Nähe Pieter-Marigburg und an 
deffen Mündung Port Natal (d’Urban) liegt; der Umzimvubu oder St. John's River an 
der Südgrenze von Natal; endlih der Große Fifhfluß, der einft die Grenze zwiſchen 
der Kolonie und den Kaffern bildete. 

Seinem Klima nad gehört faft diejes ganze Gebiet in die Region des Südoft- 
monfunes und hat daher reichliche Niederichläge, welche den tiefitgehenden Unterſchied 
zum übrigen Südafrika bilden, indem nicht nur ihre abfolute Menge, bis 1200 mm in 
D'Urban, 900 in andern Küftenplägen, 1000 in Fort Napier (700 m über dem Meere), 
beträchtlich, jondern auch ihre Verteilung über das Jahr hin gleihmäßiger if. D’Urban 
bat minimalen Regen im Juni, Juli und August, indeſſen doch noch 12 Negentage mit 
70—80 mm, während die größten Mengen mit 500 mm an 35—40 NRegentagen im 
Dezember und Januar fallen. Auch die Wärme, deren Durdichnitt in Pieter-Marigburg 
(700 m über dem Meere) 17° E. beträgt, ift gleihmäßiger verteilt, indem die drei Winter: 
monate (Juni bis Auguft) an diefem Orte durchſchnittlich 14, die drei Eommermonate 
(Dezember bis Februar) 23° E. aufweifen. Unter Null finkt die Wärme bier nur in 
einigen Nähten. Schneefälle fommen unterhalb 1200 m in der Negel nicht vor. Wir 
haben es aljo mit einem fubtropifhen, warmen Klima zu thun, in welchem die 
Verteilung der Feuchtigkeit über das Jahr hin zwar Trodenzeit und Regenzeit unter: 
icheiden, doch aber ſelbſt jene nicht ganz dürr fein läßt. Die Gefundheit bes Klimas it 
mit Ausnahme der fieberreihen Küftennieberungen anerkannt, und die Fruchtbarkeit des 
Bodens erfährt unter der vereinigten Wirkung von Wärme und Feuchtigfeit eine Stei- 
gerung, welche auf gutem Boden dreifache Ernten der Getreide- und Wurzelfrüchte geftattet, 
während in ben Küftenebenen die tropiihen Kulturen heimiſch gemacht werden Fonnten. 

Unter dem Einfluffe folder Klimaverhältniffe ift die Pflanzenwelt biejes Stridhes 
eine tropifchere, als fie jonft irgendwo in Südafrika zu finden ift. Eine Zunge 
der Sudanflora jchiebt fich bier zwifchen Gebirge und Meer bis über den 30. Grad ſüdwärts. 
Zwar wiegen die Triften und die mit Akazien-, Heibefraut: und Proteaceenbüjchen park: 
artig bewachſenen „offenen Haine auch hier vor; aber e8 gehen einige Fleinere Palmen bis 
zum 32.9 ſüdlicher Breite, und in den Küftenwäldern fehlt es nicht an hohen Bäumen, 
unter welden das fogenannte Ebenholz und das Eifenholz, beide aus dem Geſchlechte des 
Olbaumes, das Gelbholz, vor allen aber die echte Afazie wegen ihres Nutzens zu nennen 
find. Diefer legtere Baum ift ein fo vielfeitig nüglicher wie fein andrer in Südafrifa, denn 
jein Gummi dient ald Medizin und in Notfällen als Nahrung; zur legtern wird aud) die 
jaftige Wurzel gewählt. Die Dornen der Akazie erfegen Nadeln, die Rinde dient zum Gerben, 
und das Holz iſt bei der Häufigkeit und dem raſchen Wahstume des Baumes das gebräud)- 
lichſte Brennmaterial. Endlich ift das dornige Gezweige zur Einfriedigung der Krale und 
Viehhürden am braudpbarften. Unter den einheimifhen Fruchtbäumen und Sträuchern 
iſt die Kapſtachelbeere aud hier heimifch, außerdem eine Passiflora mit eiförmiger, jaf- 
tiger Frucht, die an Stachelbeeren erinnert, ferner die Amatungulu oder Natalpflaume 
(Arduiana grandiflora) und der Seiapfel (Diospyros). Auch die weiße Maulbeere joll 
einheimifch fein. Die Banane wird von einigen als einheimifch angejehen, weil man fie 
jehr häufig wild trifft; das legtere ift auch beim Tabafe der Fall. Schließlich ift das 
Kaffernland ein Gebiet des ergiebigiten Zuderrohr:, Neis: und Baummwollbaues. 


Aber gerade in diefem Neichtume drängt fi uns eine Frage auf, die für ganz Süd— 
afrifa zu Stellen, für alle Südafrifaner widtig ift. Wie weit geht die Nugung all der 
Vorteile, die hier geboten find? Und wie tief greift der Schade, den die ungünjtigern Ber: 
hältniffe bringen? Um es kurz zu jagen, wie weit ift der Menſch in diefe Naturverhältniffe 


238 Das Kaffernland und die Kaffern. 


hineingewachfen, wie weit von ihnen beeinflußt? Hier wird man antworten fönnen, daß 
Buſchmänner und Hottentotten in höherm Grade Kinder diefer Natur, genannt werden 
fönnen als ſämtliche Kaffern, und daß die legtern in vielen Beziehungen den Eindrud 
machen, nicht lange genug in diefen gemäßigten Ländern gelebt zu haben, um fich tief mit 
den Fäden ber Naturwirkfungen zu verflehten. Wir erinnern an die Unvolllommenheiten 
der Tradt, an die mangelnde Meeresgewöhnung, an die Mängel ihrer Schiffahrt und 
Fifcherei, an den weniger volllommenen Aderbau, um anzudeuten, daß wenigftens die dun— 
feln unter den Südafrifanern wahrſcheinlich, wie fie in ihren Überlieferungen 
erzählen, erft in gedenkbarer Zeit von Norden ber eingewandert und bier noch 
nicht ganz heimiſch geworden find. 

Südafrifa umſchließt eine Reihe von Negervöltern, die an der Oftjeite vom Zambeji 
bis zur Südfpige wohnen. Von Norden nad Süden gezählt, find es die Swaſi, Zulu, 
Rondo, Pondomifi, Baku, Tembu und Koja. Seit 200 Jahren legt man ihnen ben 
gemeinfamen Namen Kaffern bei, während fie fich jelbft einen gemeinfamen Namen nicht 
geben. Sie find keineswegs ſcharf von ihren nördliher und weſtlicher fißenden Volks— 
genofjen zu trennen, mit denen befonder® Stämme am Zambefi und Nyalla die Verbin- 
dung herſtellen. Linguiftiih und ethnographiih ftimmen fie jogar auffallend mit ben 
Negern des tropiſchen Afrika überein. Aber fie find durch räumliche Abjonderung, dur 
die Einwirkung der Naturbedingungen, unter welchen fie leben, durch die Berührung mit 
den hellen Sübdafrifanern und den füdafrifanifhen Anfiedlern europäiicher Herkunft doch 
einigermaßen in andrer Richtung beeinflußt als die mehr äquatorwärts wohnenden Stämme. 
Sie gehören förperlih zu den fräftigften Negerftämmen; in ihrer geiftigen 
Anlage ragt die Energie hervor, welde fie den politifch ausgreifendften Eroberer: 
völfern und Staatenbildnern Afrifas an die Seite ftellt; ihr ethnographiſches Hauptmerf: 
mal ift die Erfüllung ihres ganzen Lebens mit den Intereſſen der Rinderzudt; ohne den 
Aderbau aufzugeben, find fie hauptfählid Hirten; ihr Leben und Streben ift ganz 
dasjenige der Hirtenvölfer, weldhe vom Blauen Nil bis zum Fiihfluffe die Hochländer 
Dftafrifas durchwandern. Aus bdiefer ftarken Hinneigung zum Hirtenleben folgen einer: 
ſeits die körperliche Tüchtigkeit, welche mit Milh und Fleiſch genährt wird, ferner die auf 
dem Wohlſtande des Herdenbefiges ruhende hohe Ausbildung der fozialen Verhältniffe, der 
Stolz und Unabhängigfeitsfinn der Befigenden, die foziale und politiſche Disziplin der 
abhängigen Mafje, die im Leben mit den Herden und im Freien erworbene und in der 
Schule herrſchfähiger Fürften ausgebildete Kriegstüchtigfeit. Aber fie ftehen anderfeits 
in den Künften des jehhaften Lebens, vom Hüttenbaue bis zur Anfertigung der Klei— 
dungsftüde, vielfady hinter den Stämmen Innerafrifas zurüd. Das Leben in gemäßigtem 
Klima und in großenteild hoch gelegenen Wohnfigen, die indeffen doch die beiten Striche 
Südafrifas mit umſchließen, und in neuerer und neuefter Zeit die Berührung mit den 
weißen Anfiedlern haben dazu beigetragen, diefe Ausläufer der Negervöller Afrikas zu 
heben. Die Berührung mit den weißen Koloniſten hat zu vielen blutigen Kämpfen geführt, 
in denen die Kaffern fich als die gefährliditen Feinde erwiefen, welde die Weißen unter 
den Negern finden fonnten; fie hat aber auch Ideen und Gebräuche des Chriftentumes und 
der höhern Kultur verbreitet und den Wohlitand vielfah wachſen laſſen. Wir betradten 
fie im folgenden in den zwei Abteilungen, in welche vorzüglich die Geſchichte ihrer Be— 
rührungen mit den Europäern fie jeit hundert Jahren zerfällt hat: die teilweije jelbftändig 
gebliebenen, weil am weiteften von den Grenzen der Kolonien entfernten, nördlicher woh— 
nenden Zulu und die von ben ſüdafrikaniſchen Koloniften politifch beherrichten oder we: 
nigſtens umſchloſſenen, ihrer Selbftändigfeit verluftig gegangenen Südoſtkaffern. 


Die Kaffernftämme. Die Zufu, 239 


8. Die Zulu.“ 


„Diefe Eingebornen betradpten den Krieg als ihre eigentliche Cebentaufgabe; demgemäk 
geftalten ſich auch ihre täglihen Beichäftigungen,“ G. Fritſch. 


Inhalt: Wohnſitze. — Urſprung und Geſchichte der Zulu. — Körperbau, — Bekleidung und Schmuck. — 
Waffen. — Wohnſtätten. — Ackerbau und Viehzucht. — Ernährung. — Gewerbthätigkeit. — Familie 
und Staat, — Ehe. — Kinderzucht. — Tod und Begräbnis. — Lebensbeſchreibung eines Zulu. — 
Königtum. — Zeremoniell. — Die Armee und ihre Beziehung zum Stamme und zum Könige. — 
Kriegeriſche Tüchtigkeit. — Rechtsleben. — Prieſtertum und Heilkunde. — Zauberer. — Autobiographie 
eines Zauberers. — Aus dem Geiſtesleben der Zulu. — Dichtungen. 


Wer, von Weſten kommend, aus dem Hochlande des Innern durch deſſen Randhöhen, 
welche den Namen Drakenberge führen, in das Tiefland der Oſtküſte herabfteigt, fühlt 
jih fehr bald nicht nur von einer Fräftigern und fruchtbarern Natur, jondern auch von 
einer jelbftändigern, thätigern Eingebornenbevölferung umgeben. In wachſender Zahl 
erheben ſich die bienentorbförmigen, vieredig eingezäunten Krale der Natalfaffern, welde 
in Gruppen beifammenftehen; ihre Herden mweiden überall auf den Triften, und die vor: 
wiegend musfelfräftigen, oft ftattlihen Geftalten der Farbigen, welche heranfommen, um 
Brennholz zu verkaufen, das der Neifende lange entbehrt hat, oder fonftigen Handel zu 
treiben, vervollftändigen ein Bild, das einen fchneidenden Gegenfag bildet zu allem, was 
man in der eigentlichen Kapfolonie vom Leben und Weben der Eingebornen zu Gefichte 
befommt. Tritt man in den Umkreis eines Krales hinein, jo bemerft man jofort, daß 
man e3 bier mit einer nicht unthätigen Naffe zu thun hat. Das faubere Geflecht ihrer 
Bienenforbhütten, die Ordnung, in welcher zaunartiges Flechtwerk die einzelnen Gruppen 
umgibt, machen einen günftigen Eindrud. Wenn auch die Bewohner bei warmem Wetter 
faft nadt gehen, fo fühlt man ſich doch unter Menichen, die ihr Zeben auf einer geregelten 
Bafis führen, ftatt von der Hand in den Mund zu leben. Man befindet ſich unter Hirten, 
bie von ſicherm Befige und eigner Arbeit, nit vom AZufalle und den unfichern Gaben 
der Natur leben. Dies ift das Land der gefhichtlich größten, ber ſtärkſten und dauerndſten 
Macht, welche die Kaffern bis heute begründet, das Land der Zulu. 

Das Gedenken der älteiten Zulu geht auf eine Zeit zurüd, in welder ihr Wolf, von 
einem Häuptlinge Upunga beherrſcht, als Kleiner Stamm am Umvolofi lebte. In eine 
frühere Vergangenheit wird der mythiſche Häuptling Zulu gejegt, der dem Stamme 
den Namen gab. Wohl gibt es bei ihnen Überlieferungen von einer Einwanderung aus 
landeinwärts im Weften oder Nordweiten gelegenen Gegenden, ähnlich wie bei andern 
Kaffernftämmen des Dftens, aber e8 liegt bies außerhalb ihrer beitimmtern Erinnerung. 
Die Neihe ihrer Häuptlinge ift, von Upunga angefangen (an deſſen Stelle einige einen 
Häuptling Umafeba nennen), deifen Sohn Jama, Jamas Sohn Senzangafona, deſſen 
Sohn Tſchaka, deifen Bruder Dingan, deifen Bruder Mpande (Panda) und deijen Sohn 
Ketſchwäyo. Die geichichtlich hervorragende Stellung der Zulu begründete Tſchaka, ber 
Sohn Senzangafonas. Lepterer war bereit3 ein durch feinen Reichtum berühmter Fürft, 
welder 25-30 Weiber und eine unbekannte Zahl von Kindern hatte. Tſchakas Mutter 


’ Die bei und übliche Schreibart Zulu entſpricht der holländiſchen und engliſchen Schreibart, welche 
das 3 weich ſpricht; es müßte alfo eigentlih Sulu gefchrieben werden, Das öfters vorgeſetzte Ama bedeutet 
Boll, Die Form Sula gehört dem Sifuto an, die Natalfaffern dagegen nennen fich felber Sulu. Das Wort 
Sulu wird, wie Koſa, Gaila ꝛc., auf einen mythiſchen Häuptlingdnamen zurüdgeführt. 


240 Die Zulu. 


ftritt fih mit ihrem Gatten, dem die Sage eine vorahnende Eiferſucht auf diefen früh: 
reifen Sohn zufchreibt, und floh zu Dingiswäyo, dem Häuptlinge der Tetwa, welche Nach— 
barn der Zulu waren. Diefer Häuptling gab Tſchaka in die Hut eines feiner Induna 
und ließ ihn, als fein Vater ftarb, im Alter von etwa 30 Jahren in jeine Heimat zurüd- 
bringen, wo er den bereit3 von einem jeiner Brüder eingenommenen Thron nad) kurzem 








Zulufrieger (nad Photographie), Bal. Tert, ©. 246. 


glüdlihen Kampfe beftieg, Kurz darauf ſchloß fih ein Teil der Tetwa ihm an und 
erbat jeine Hilfe gegen einen andern Stamm, welchen Tſchaka an der Spitze der ver: 
einigten Zulu und Tetwa raſch niederwarf und feinem eignen Wolfe einverleibte. Nach 
diefem Anfange fuhr er in derjelben Weife fort und unterjochte einen Nachbarſtamm 
nad) dem andern, verteilte die waffenfähigen Männer desfelben in feine Armee und die 
Familien über das Land hin und wußte feine wachſende Macht jo Hug zu organifieren 
und zufanmenzubalten, daß er Anfang der zwanziger Jahre als Herricher alles Landes 
zwiichen dem Fluffe Umzimvubu, der heutigen Südgrenze Natald, und Inhambane und 
von der Küſte bis in das Herz von Südafrika gelten fonnte. Auf dem Gipfel jeiner 


Geihichte der Zulu. 24] 


Macht, fiel er 1828 unter den Mörderhänden einer Verſchwörung, an deren Spibe fein 
Bruder Dingan ftand, welcher ihm in der Negierung folgte. Er wurde in feiner Hütte 
ermordet, und als er fein Leben aushauchte, joll er folgende Worte an feine Brüder, die 
fein Ende erwarteten, gerichtet haben: „Was, ihr erftecht mich, meine Brüder, Hunde 
meines eignen Haufes, bie ic) genährt habe? Ihr hofft, Könige zu werden; aber glaubt nur 
nicht, daß, obſchon ihr mid) getötet habt, ihr (eure Linie) lange regieren werdet. Jch fage 
euch, daß ich den Schall der Fußtritte des großen weißen Volkes höre, und daß diefes Land 
von ihnen betreten werden wird.” Dann hauchte er feinen Geift aus, feine Worte aber 
wurden von den Zulu als eine Prophezeiung im Gedächtniſſe behalten und haben ſich 
ja in der That teilweife erfüllt. 

Unter Tihafa war die für die Zukunft Natals und des Zululandes wichtige Gründung 
von Faktoreien europäifcher Einwanderer an der Küfte in der Nachbarjchaft des heutigen 
Port d'Urban zuerjt in größerm Maße begonnen worden, einige Europäer und Halb: 
blütige hatten fi jogar eine große Gefolgihaft von Kaffern zugelegt und waren jelbft, 
wenigftens äußerlih, zu Kaffern geworden. So hatten fie auch bei Tſchaka großen Ein: 
Muß gewonnen, und manche jeiner militäriichen und anderweitigen Reformen dürften wohl 
in den legten Wurzeln auch europäiihe Anregungen enthalten. Auch Dingan, wiewohl 
nicht fo zugänglich wie Tſchaka, verichloß fich Feineswegs europäiſchen Einflüffen, deren 
angenehme Seiten ihn die unter feinem Schutze, gleichzeitig aber möglichft fern von feiner 
Refidenz lebenden Kaufleute von Natal gern kennen lehrten. Es fehlte nicht an den Objekten 
eines regen Handels. Raubzüge, die feine Krieger nad allen Seiten hin madhen mußten, 
bradten reiche Beute in feinen Kral, eigne Horden von Elefantenjägern forgten für Elfen: 
bein, alles Land von der Delagoabai bis zum Umzimvubu gehorchte feinem Befehle. Diejer 
Zuitand erfuhr eine plößliche tiefgreifende Störung, welche für das Schickſal der ganzen 
Zulumacht entjcheidend war, durch die Einwanderung der Boeren unter Retief, welche 1837 
über die Drafenberge nach Natal hinabftiegen und in frieblicher Verhandlung ein Stüd Land 
von Dingan zu erwerben wünſchten. Er gab e8 ihnen, und fie thaten die Gegenleiftung, 
bie fie verfproden; aber Dingan ließ in jeinem Palafte am 5. Februar 1838 den Führer 
der Boeren mit 66 jeiner beiten Gefährten meuchleriih, angeblich wegen Zauberei, bin: 
morden, und einige Tage darauf wurde das Hauptlager der Boeren in Natal von einer 
großen Heeresmacht der Zulu überfallen, denen es indeijen nicht gelang, die Wagenburg der 
tapfern Wanderer zu jtürmen. Verſtärkt rüdten diefe im folgenden April gegen Dingan vor, 
mußten fi) aber zurüdziehen, und nicht bejfer ging es den Engländern von Natal, welche 
fih an der Spige von einigen Tauſend rebelliichen Kaffern gleichfalls gegen Dingan erhoben 
hatten; ihre junge Anfievelung an der Küfte wurde zerjtört. Aber noch im Dezember 
des gleichen Jahres ſchlugen die Boeren unter Pretorius Dingans Macht, jo daß diejer 
feinen Hauptfral in Flammen aufgehen ließ und Schutz in den Wäldern am Umvolofi 
ſuchte; und am Schluffe desfelben Jahres ergriffen die Engländer Befig von Natal. Im 
Fahre 1840 floh Dingans Bruder Mpande zu den Boeren und brachte mit ihrer Hilfe 
jeinem Bruder eine vernichtende Niederlage bei, von welcher ji die Zulumadt nie mehr 
völlig erholte. Die Boeren ergriffen Befig von dem Lande zwiichen dem Umzimvubu und 
Umvolofi und machten Mpande unter ihrer Souveränität zum Herrn der Zulu. Din: 
gan wurde furz darauf von einem aus feinem Gefolge ermordet. Die Wirren zwijchen 
Boeren und Engländern über die Herrihaft in Natal berührten die Zulu anfangs wenig; 
als aber die Engländer Herren geworden waren, mochten fie bald ihr och leichter fühlen. 
Doch war unter Dipande fein Angriff von ihnen zu fürdten, zumal als dejjen Eöhne durch 
ihren Streit um die Nachfolge einen Bürgerkrieg erregten, der 1856 nach ſchrecklichen Ber: 
wüjtungen für Ketſchwäyo beendigt ward. Als man die Streitfrage vor Mpande brachte, 

Böltertunde, I, 16 


242 Die Zulu. 


foll er geäußert haben, daß, wenn zwei junge Hähne ftreiten, das Beſte jei, fie es ausfechten 
zu laffen. Dieſem Winfe zufolge handelten fie, jeder der Prinzen jammelte feine Streit: 
fräfte, und Mpande ſchickte eins feiner Lieblingsregimenter dem Umbelafi zu Hilfe. Das 
Gefecht fand im Jahre 1856 an den Ufern des Tugela ftatt, und Umbelafi fiel in demjelben. 
Als Mpande 1872 ftarb, wurde Ketfhwäyo fein Nachfolger, nachdem er ſchon 
Jahre vorher jo gut wie unumjchränft unter feinem Vater regiert hatte. Diefer Mann 
von erheblichen Fähigkeiten zeigte fi anfangs von guten Abfichten gegenüber den Weißen 
bejeelt, wiewohl er mit einer wahren Eiferfudht an der Unabhängigkeit des Zululandes 
von ihrer Herrſchaft feithielt. Da nun die dem Zulugeifte widerjtrebenden Gejege, 
deren Einfluß nah dem Zululande hinüber ſich fühlbar machte, und denen vor allem die 
zahlreichen vor der Tyrannei der 
Zulufürften geflohenen Untertha= 
nen Ketſchwäyos verfielen, die 
Celbftändigfeit der Zulumadt 
zu gefährden drohten, entwidelte 
fih ein gejpanntes Verhältnis 
zwiichen Ketſchwäyo und den Be- 
hörden von Natal, welches durch 
Übergriffe der Kaufleute und 
Grenzanfiedler nur verichärft 
wurde und endlich in einer gan— 
zen Reihe von Gewaltthätigfeiten 
des Zulufürften gegenüber den 
Kolonialbehörden von Natal und 
einzelnen Weißen, vor allem aber 
gegen ſolche Kaffern fih Luft 
machte, welche unter europäi- 
ſchen Schuß fich begeben hatten. 
Ketſchwäyo, der ſich 1873 noch 
feierlihft von England gelegent: 

Ketſchwäyo, König der freien Zulu, gef. 1834 (nad Photographie im 


Befihe des Miifionsdireltord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). lich ſeiner Krönung hatte aner⸗ 
kennen laſſen, bereitete ſich offen 


zu einem Konflikte vor, in deſſen Vorausſicht er ſeine Armee 1878 bis auf 40,000 Mann 
gebracht und, nach Zuluweiſe, trefflich eingeübt hatte. Die Auflöſung derſelben ſowie die 
Auslieferung gewiſſer aus Natal geflüchteter Ruheſtörer waren die Forderungen, welche Eng: 
land 1878 an den Zulufürften gelangen ließ, und denen, als fie nicht erfüllt wurden, im 
Januar 1879 der Vormarſch über den Tugela folgte. Die Engländer drangen troß der 
unglüdlihen Schlacht bei Jlandlana und troß aller noch folgenden Schlappen vor und fingen 
am 28. Auguft Ketſchwäyo im Ngomewald am Schwarzen Umvolofi. Er wurde nad) der 
Kapſtadt gebracht und fein Land in 13 Bezirke geteilt, die unter die Oberleitung eines eng- 
liihen Refidenten geftellt wurden. Aber diefe Einrichtung bewährte fi nit; die Häupt— 
linge, ungewohnt, jelbftändig zu handeln, befriegten einander und ſchwächten die Nation, 
und jo fam denn auch England ſelbſt ſchon im Jahre 1882 zur Überzeugung, daf es beffer 
jei, dem Lande einen ftarfen Fürften zurüdzugeben, der allein im jtande jei, die in der Tiefe 
ihres Herzens monarchiſchen Kaffern wieder zur Zufriedenheit zurüdzuführen. Und legteres 
ift bei der Thatſache, daß unter dem Schirme einer zivilifierten Regierung ſich in Natal 
ein neues Zentrum der Zulubevölferung entwidelt hat, keineswegs bedeutungslos. Schon 
heute zählt die Bevölkerung Natals auf 48,000 qkm 320,000 Seelen, ift aljo damit jechsmal 





Geſchichte ber Zulu. 243 


fo dicht als die der Kapfolonie, fiebenmal jo dicht al3 diejenige des Dranjefreiftaates. 
Davon ijt aber, und das ijt es, was diefe Zahl bedenklich macht, nur ein Sechzehntel weißen 
Blutes, denn 300,000 Seelen ijt die Kaffernbevölferung ftarf. Und diefe Bevölferung nimmt 
eine anerkannte Sonderftellung neben den Weißen ein. Ihre Häuptlinge verwalten das Land 
mit geringer Rückſicht auf europäifche Begriffe von Recht und Menfchlichkeit, die Polygamie 
befteht zu Recht, und mit ihr ift unzertrennlich der Verkauf von Weibern und Mädchen zu 
Sflavenarbeit verbunden. Der 

Natalkaffer Eagt ebenbürtig und — 
koſtenlos gegen den Weißen vor dei: — — 
ſen Gericht, aber die Streitigkeiten —— 
mit den Seinigen macht ſein eigner 
Richter, d. h. ſein Häuptling, aus, 
und bei Appellationen entſcheidet 
der weiße Richter nach Kaffernrecht. 
Die einzige Steuer der Kaffern iſt 
die mäßige Hüttenſteuer, die aller— 
dings ſeit 1881 verdoppelt iſt. Die 
eignen Reſervationen der Kaffern, 
wo Weiße keinen Grund erwerben 
und nur mit Einwilligung jener 
ſich niederlaſſen dürfen, betragen 
2 Millionen Acker, auf welchen 
ſie 254,000 Stück Rindvieh (gegen 
145,000 der Weißen) halten. Da— 
bei gehen die Kaffern nur unwillig 
in die Dienſte der weißen Anſiedler, 
welche, durch Arbeitermangel ge— 
zwungen, 1881 über 20,000 Kulis 
aus Indien einführten. 


* 


An Geiſt und Körper weicht 
der Zulu in manchen Punkten von 
ſeinen Stammverwandten im ſüd— 
lichen und mittlern Afrika ab, ohne * 
indeſſen jo weit aus dem Kreiſe her: — 
auszutreten, in welchen nun einmal En Dr. Be n ee ee 
diefe dunkeln Menſchen gebannt 
find, wie mande Wirkungen ihrer ftraffern politiichen Zufammenfaffung glauben machen 
möchten. Er ijt ein Kaffer mit mehr Stolz, ftärferm Willen und rafherm Ent: 
ihlujje als jeine Stammvermwandten, aber immer ein Kaffe. So maden ihn Ab: 
härtung und Waffenübung und nicht zuleßt die reihliche Nahrung, welche aus durch Raub 
immer neu wachſenden Herden gewonnen wird, höher von Geftalt, Fräftiger, anfehnlicher, von 
Blid bewußter, als durchſchnittlich der Betſchuane ift. Die Kreuzung infolge beftändiger Zu: 
fuhr neuen Blutes durch Kriegsgefangene hat wohl Anteil an edlern Zügen, die nicht felten 
in der Phyfiognomie der Zulu hervortreten. Das Eigenartige des Zulucharafters findet 
jeine genügende Erklärung in der mindeftens etwas dauerhaftern politifchen Organifation, 


welche er ſich geichaffen. Er iſt innerhalb derjelben ftolzer und herrifcher als der Betichuane, 
16* 





244 Die Zulu. 


finft aber nicht bloß vor feinem Tyrannen in den Staub, jondern läßt fi auch herab, 
jeden Weißen um Tabaf anzubetteln. Er entwidelt Mut im blinden, majjenhaften Drauf: 
gehen, zu dem jeine Militärorganifation ihn anleitet, zieht aber, fich jelbit überlaſſen, den 
Überfall aus dem Hinterhalte vor und ift der Entjchloffenheit und Ausdauer des moralijch 
fräftigern Europäers nie gewachſen geweſen, wie denn troß aller Überzahl und Organifation 
die Zulu noch feinen einzigen bis zum Ende glüdlihen Krieg gegen Europäer geführt haben. 











Zulujünglinge im Fechtſpiele (nah Photographie im Beſitze des Mifflonsdireltor8 Herrn Dr. Wangemann 
in Berlin). 


Gegenüber einigen gelungenen Überfällen engliſcher Streiftorps denke man an die Nie 
derlagen, welde die paar Hundert Boeren unter Netief und Pretorius ihnen beigebracht 
haben! In einem Medium Eräftigerer oder auch roherer Ideen aufgewachſen als feine 
Stammverwandten, ift der Zulu zwar oft rafcher, fait männlicher in feinen Handlun- 
gen, aber, wie ein guter Kenner des Volkes treffend gejagt hat, in Worten noch 
immer jo verjtedt und Frumme Wege liebend wie der Betſchuane oder Damara. An: 
berjeitö glauben die Mifjionare fie humanen Ideen zugänglicher gefunden zu haben als 
manden andern Stamm der Afrifaner und jegen große Hoffnungen auf ihre Bekehrung. 


Geift und Körper. Kleidung. 245 


Solange feine Leidenſchaften nicht aufgeregt find, ift der Zulu Findlich heiter, harmlos, 
Freund von Gefang und Tanz und — wie eine Ameiſe“. Darin iſt er ſo 
gut Neger wie der Mann vom 
Niger oder Nil. Aber ſeine ge— 
ſchichtliche Stellung brachte ihn 
öfter als dieſen vor ernſte Ent— 
ſcheidungen und belud ihn mit 
einer ſchweren Laſt, wie jene 
Völker ſie nicht kannten. Daß er 
die daraus erwachſenden Pflich— 
ten nicht abſchüttelte, ſondern 
eine der drückendſten militäri— 
ſchen Organiſationen ertrug, 
welche zu denken iſt, lehrt einen 
Zug von Stärke und Ausdauer 
in der Negerſeele kennen, wel— 
chen man kaum erwarten würde. 
Die Reihe ſtarker Zuluherrſcher 
von Tſchaka bis Ketſchwäyo, 
welche kein Zufall iſt (denn auch 
andre Kaffern haben Reihen 
ſolcher Männer erzeugt, man 
denke an Mpande und Makoma; 
vergl. die folgenden Kapitel), 
ſcheint den Südoſtkaffern die 
Grundbedingung einer geſchicht⸗ 
lichen Zukunft, nämlich große 
Führer, auch mitten unter den 
Europäern zu gewährleiſten. 
In der Bekleidung des 
Körpers ſtehen alle Zuluſtämme 
auf einer ſehr primitiven Stufe, 
ohne daß Klima oder andre 
äußere Verhältniſſe ihrer heu— 
tigen Wohnſitze hierfür irgend 
welche Erklärung zu geben ver— 
möchten; vielleicht deutet aber 
die vorwiegende Nacktheit, 
welche der Grundzug ihrer 
Tracht iſt, nebſt andern That— 
ſachen auf eine Herkunft aus tro⸗ 
pifcher Gegend. Allerdings gehen 
immer und gänzlich nadt doch 





R 5 Stafferngeräte: 1, 2 Häuptlingsfläbe — 3 3 Kanzflab — 4 dnſoſo — 
nur die Kinder von fünf oder 5 Rarokjipfel — 6 Gliegenmwebel, an den Ropfhaaren befefligt getragen — 


ſechs Jahren. FürErwachjene ift 7 Wederdufh — 8 Zanzhalsband — 9 Aniefhmud ( Muſcum des Berliner 
eine Lederſchürze das hauptſäch— SRijfeniganfes). Ye wiztl. Gräfe, 

lichſte und oft genug das einzige Kleidungsftüd beider Geſchlechter. Der erwachſene Mann 
trägt außer der unmittelbaren Schamhülle (j. Abbildung, S. 226), die bei großer Hige allein 


246 Die Zulu. 


genügen muß, an einem Lederriemen um die Zenden vorn herabhängend den Sfinene, ein 
Stüd Leder oder Fell, 20—25 cm breit und etwa doppelt jo lang, und ein ähnliches, doc) 
etwas breiteres Stüd, Umuda, hinten. Der Iſinene wird bei Kriegern häufig durd ein 
Bündel bufchiger Fellftreifen, Ochſen- oder Wildkatzenſchwänze erjegt (ſ. Abbildungen, ©. 
240 u. 247). Die erwachſenen Mädchen und Frauen tragen gleichfalls dieſe Schürzen, welde 
bei ihnen oft mit Glas- und Metallperlen verziert find (j. Abbildung, S. 243), und die let: 
tern darüber noch eine halbe, zart gegerbte Rindshaut, welche jo um die Lenden geichlungen 
wird, daß fie bis zu den Anieen herabfällt. Die Frauen der Häuptlinge hüllen fih wohl 
auch bis zu den Füßen in ein togaartiges Gewand aus demjelben Stoffe oder aus Zeugen 
europäifcher Fabrikation. Sandalen werden nur bei längern Wanderungen getragen. 
Die Haare werden bis zum Beginne der Mannbarfeit wachſen gelaffen. Darauf 
jcheren fie die Zulu beim Jünglinge jo, daß ein Kranz von 10 bis 12 cm Durchmeijer 
um den Wirbel, und bei der Jungfrau, daß ein Schopf auf demselben ftehen bleibt. Beide 
werden mit Fett und Oder ſtark gejchmiert, der Kranz des Mannes noch dazu durch 





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Grabarmbänder der Zulu (Muſeum für Völlerlunde, Berlin). wirkl. Grbhe. 





Rindsſehnen und mit Kohle vermiſchtes Gummi verflochten und hart gemacht, ſo daß er 
glänzend und feſt wie ein Käppchen aus Leder aufſitzt. Stirnroſetten aus Federn und 
Federbüſche im Haare ſind beliebt (ſ. Abbildungen, S. 159 u. 247). 

Die Schmuckſachen dieſer Völker find die bei Kaffernſtämmen allgemein verbreiteten. 
Die Perlen fommen durch den Handel in wachſender Menge und Mannigfaltigfeit in 
ihren Befig und werden oft im Übermaße an ihren Körper gehängt. Eine beftimmte 
ſchwere Art erzener Armringe einheimifcher Arbeit wurden von einigen Zulufönigen als 
Auszeihnung verliehen und durften nur von den hervorragenditen Kriegern getragen 
werden. Gligernde Fingerringe, Federn in den Haaren gehören ebenfalls zu den gewöhn— 
lichen Shmudjahen. Dagegen find Amulette und Schmudjadhen, in der Regel beides in 
Einer Gejtalt, in dem Halsgehänge vereinigt. Bei den Zauberern nimmt diefer Behang 
phantaftiiche Dimenfionen an (j. Abbildung, ©. 185). Zu den beliebteften Schmudjtücen ge 
hört die Gallenblafe oder ein Teil davon, mit Fett ausgeftopft und um den Arm geichlungen. 
Auch bloßes Fett, um Arm oder Hals geihlungen, vertritt diefe Stelle. Bemalung mit 
Fett und roter Erde wird im Kriege und bei Tänzen angewandt. Pflöde, Knöpfe, Schnupf: 
tabafsdofen werden im erweiterten Obrläppchen getragen. Indeſſen gelten die Perlen 
ftets als der Hauptſchmuck. Tſchaka und Dingan ſammelten Maſſen derjelben an, und 
legterer war im jtande, jeinen Gäjten eine ganze Kompanie von 90 jeiner mit Perlen 
fait bededten Weiber vorzuführen. Nichts von allen Mitteilungen der Europäer interej: 
fierte diefe Dejpoten mehr als das, was jene über Perlen jagten, und der höchſte Wunſch 
Dingans war, jelbjt das Perlenmachen zu erlernen. 

Die Waffen der Zulu find Speer, Schild und Keule, und die beiden erftern find 
die Hauptwaffen, welche, entiprechend der hoch entwidelten kriegeriſchen Organijation diejes 


[Zur Tafel »Seiznucke und Geräte der Kaffern «| 








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10. ti. Sahnid 
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24. Mutter nun farerase" 


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* aus Tigerkeitsenfhll 
maus tmmagertecht mit Deckel 
" Nnekerstutze NopiTasweriaun Holz geschritet! 


Yıamamı des Mlierionshuuses, Berlin. 





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Schmud. Waffen. 247 


Bolfes, eine größere Ausbildung und Wertihägung erlangt haben als bei irgend einem 
andern Kaffernftamme. Der Speer war früher (und ift noch bei vielen nicht in die 
friegerifche Organifation der Südzulu hereingezogenen Stämmen) eine Wurflanze (Inkuſa) 
mit bis zu 2m langem Scafte, der in eine etwa 10 cm lange, ſchmale eijerne Klinge 
übergeht. Dieje Lanze, deren Leichtigkeit es geftattet, ein ganzes Bündel mit in den 


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Zulukrieger (nad Photographie im Beſitze des Miſſionsdireltors Herrn Dr. Wangemann in Berlin). Vgl. Tett, S. 246. 
Kampf zu nehmen, wird mit voller Fauft gefaßt, in ſchwingende Bewegung gejegt und 
fo im Bogen geworfen. Lichtenftein fah unter 30 Würfen auf 60 Schritt nur einen 
Treffer in einem 2, m hohen Zielbrette. Tſchaka jegte an die Stelle diefer wenig treff- 
fihern Waffe den Stoßſpeer, die eigentlihe Ajjagaie, angeblich weil jene zu jehr zum 
Fernfampfe und zur Flucht verleitete, eine an 1 m langem Schafte ſteckende zweiichneidige 
Stahlklinge von 15 cm Länge und 2 bi$ 3 cm Breite, die num beim Angriffe wie ein 
Bajonett gebraucht wurde und auf diefe Weife in der Gefchichte des öftlihen Südafrika 


248 Die Zuln. 


eine ähnliche Bedeutung gewann wie in der unfrigen der eiferne Ladeſtock oder die Zünd— 
nadel. Die Bewaffnung mit diefer Stoßwaffe ſchloß indeſſen nicht die Mitbenugung der 
Wurffpeere für die Eröffnung des Gefechtes aus. Einer geheimnisvollen Verehrung erfreut 
fih neben der Affagaie der Kriegsſchild (Jichilunga), jo genannt zum Unterfchiede vom 
Tanz: und Spielihild (Trau), welcher leichter ift. Kriegsichilde werden je zwei aus einer 
Ochſenhaut geſchnitten; fie find oval, hoch genug, um einem mittelgroßen Manne bis zum 
Munde zu reihen. Durch eine Reihe von kleinen Einfhnitten in der Yängslinie wird ein 
Stab geitedt, der am obern Ende mit einem Ochſen- oder Leopardenſchwanze oder einem 
Federbufche geſchmückt iſt. Außen find die Schilde ſchwarz, weiß, rot, ſchwarzweiß geftreift 
oder gefledt und jo fort und zwar in folder Gruppierung, daß man die einzelnen Regimenter 
an ber Farbe ihrer Schilde erfennt. Auch die 
Zahl jener Einfchnitte bedingt Unterjchiede. 
Getragen wird ber Schild an der linfen Hand, 
gefaßt an dem Stützſtabe. Wenn bei Regen das 
Leder erweicht, ift natürlich der Nutzen dieſes 
Schildes gleih Null, und in der That wurde er 
dann oft aufgerollt, um leichter getragen zu 
werden. Ebenſo ift er wegen feiner Größe auch 
hinderli beim raſchen Laufe zur Verfolgung 
oder Flucht. In beiden Fällen wird er weg: 
geworfen; aber es hat im erjtern der Troß 
dafür zu forgen, daß fein Schild verloren gebt, 
denn es wird großer Wert darauf gelegt, die 
Schilde mit zurüdzubringen. Auch ihre Her: 
ftellung gilt für eine befonders ehrenvolle Be: 
Ichäftigung, welcher fid) Häuptlinge unterziehen, 
und e8 wird jparfam mit den Häuten der Rin- 
der verfahren, da fie womöglich alle diefem 
Dolde der Raffern in Gheide (Mufeum für edlen, kriegeriſchen Zwecke dienen ſollen. Als 
Vollertunde, Berlin). wiril Größe. Bol.Xert, 5.297. Dingan feinem Freunde Gardiner, dem erſten 

Zulumiffionare, ein Rind als Gaftgejchenf ver: 
ehrte, erbat er jich von vornherein die Haut desjelben zurüd, um fie zu Schilden verarbeiten 
zu lafjen. Entziehung der Schilde gilt für entehrend, Verleihung derjelben, die nur vom 
Häuptlinge ausgehen kann, für einen Ehrenbeweis. In dritter Linie fteht unter den Waffen 
die Keule (Kirri oder Tyindugo) aus Eifenholz oder Horn, mehr Echlagftod zu nennen, ein 
fauftdider Knopf auf kurzem, handbarem Stiele, eine Art Totjchläger, der auch als Wurf: 
ftod gegen Heinere Tiere, Schlangen und dergleihen gute Dienfte leiftet. Diejer Stod 
gehört nicht eigentlich zur Kriegsausrüftung, hat aber doch im Kampfe bei Jjandlana die 
Entſcheidung mit herbeigeführt. 





Da nad) feinen Gejegen das Land dem Häuptlinge gehört, jo muß der Zulu defjen Er: 
laubnis zum Anbaue erhalten. Er baut nun zunächſt die Viehhürde (Jfibaya), welche einen 
je nad) Bedarf größern oder Heinern runden Platz umſchließt, der gewöhnlich mit Zaun oder 
Hede, in den holzarmen Gegenden aber mit einem Stein: oder Rajenmwalle umgeben ift. 
Dieje Iſibayas fahten in den Kralen berdenreicher Könige oft Taufende von Rindern. 
Rings um die Hürde werden die Hütten gebaut und zwar je eine für den Mann, für feine 
Mutter, für jedes feiner Weiber und ſonſtige erwachjene Angehörige. Sie find bienenforb: 
fürmig, aus Neifig um einige in den Mittelpunkt geftellte Pfähle aufgebaut und mit Rohr 


Waffen. Lage der MWohnftätten. Hüttenbau. 249 


ober Gras gededt. Neugebaute Hütten jehen nicht anders ala Heufchober aus. Auch fie 
bilden in der Negel einen Kreis, indem die Hütte des Mannes am weiteften außen jteht, 
während die andern zu beiden Seiten im Bogen fi anlehnen. Jede Hütte ift von der 
andern wenige Schritte entfernt, und ebenſo weit fteht die ganze Gruppe von der Iſibaya ab. 
Das Dorf (Umuſi), wo ein ſolches aus der Vereinigung mehrerer jolher Gruppen entjteht, 
ift alfo ein Hüttenring, welcher die gemeinfame Viehhürde umschließt. Das Ganze ift noch 
mit einer Dornhede umgeben, welche in Friegerifchen Zeiten jo verftärft wird, daß fie die 
Einnahme (mit Zuluwaffen) faft unmöglich; macht. Diefe Umfafjung wie auch die der 


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Kopfſchemel und Kopfpolſter der Zulu, Ichtered beim Laſtentragen gebraucht (Muſeum des Berliner Miffionshaufes). 
%4 wirkl. Größe. 


Viehhürde haben je nur ein Thor. An der rechten Seite nächſt dem Eingange wohnt 
die Ariftofratie des Ortes, d. h. die höhern Induna in der Ekanda, der Ältefte in den 
ionftigen Dörfern, und hierhin werden auch Gäfte gewiejen. Die einzelnen Hütten find 
eben hod genug, um einem Manne das Stehen in der Mitte zu erlauben; ihr Durch— 
mejjer beträgt 4—5 m. 

Die Hütte des Häuptlinges ift in viel größerm Maßſtabe angelegt al3 alle andern, 
übrigens nach demjelben Grundplane. Dingans Hütte ruhte auf drei parallelen Pfoften- 
reihen, vier in der Mitte, drei auf jeder Seite, die mit einem Sparrenwerfe die Dede 
ftügten. Die Hütte war innen über mannshoch und fo breit, daß 50 Menjchen rings an 
der Wand figen und noch genug freien Plag im Innern laffen fonnten. Die Thür war aber 
ebenfo niedrig wie bei den gewöhnlichen Hütten. Die einzigen Möbel waren eine Matte 
bei der Thür, auf weldher der König zu ruhen pflegte, und eine andre in der Nähe bes 
Herdes, auf weldher ein Topf mit Bier und eine Anzahl Schöpflöffel ſtanden. 


250 Die Zulu. 


Die Größe der Dörfer ift ſehr verfchieden. Die gewöhnlichen Efanda faffen 500— 
1000 Mann, Unfunginglove, Dingans Hauptitabt, foll deren 5500 umſchloſſen haben; 
aber die andern Dörfer find im der Hegel Hein. Auch ftehen ihre Älteften oder Häupt- 
linge Numgana) unter der Oberaufficht des Induna der nächſten Efanda. Die Zahl der 
Hütten läßt größere Bevölferungszahlen erwarten, als in Wirklichkeit vorhanden, da in 
den Dörfern häufig der Mann, die Weiber, die Söhne 2c. ihre bejondern Hütten haben, 
fo daß ein Hausftand ihrer 5 oder 6 umſchließen fann. Aber in den Efanda dürfen nur 
die Induna mehr als eine Hütte befiten. Selbft Dingans beide Oberinduna hatten 
nur eine Hütte für fih, zwei für Weiber und Kinder. 

In der Nähe der Hütte oder, je nad) der Lage, auch etwas weiter entfernt liegt ber 
Garten oder das Feldftüd (Anfimu), welches in der Regel gleichfalls eingehegt it. Die 
Lichtung und fonftige erfte Zubereitung desfelben (wozu aud das regelmäßige Abbrennen 
der brach liegenden Streden gehört, welche Schon bei den Moſambik-Portugieſen des vorigen 
Yahrhunderts der Natalküfte ven Namen „Fumo“, Rauch, beilegen ließen) ift Sache der 
männlichen Mitglieder des Haushaltes, während der eigentlihe Anbau von den Frauen 
und Mädchen bejorgt wird. Die größern Feldarbeiten gejchehen gemeinfam. In der Zeit 
des Pflanzens (im September), welche vom Häuptlinge alljährlich feſtgeſetzt wird, hadt 
man das ganze Feld um, wobei das Unkraut als Dünger liegen bleibt; dann geht es 
nad) dem eriten Fräftigen Negen unter Jauchzen und Singen an das Pflanzen des Kafir— 
fornes, Amabele, Maifes, Umbilo, und in Sübnatal aud eines einheimiſchen (falſchen) 
Zuderrohres, Imfi. Außerdem bilden die beiden in unglaubliden Mengen fonfumierten 
Rauchkräuter der Zulu, der Tabaf und die Dada (ſ. S. 253), in weiter Verbreitung 
Gegenftände des Anbaues oder mindeftens der Einfammlung. Beide find wohl urjprünglich 
fremd, Dada ift aber jehr weit verbreitet im wilden Zuftande, während auch Tabak 
ihon vor Jahren an Stellen gefunden wurde, wo einjt Dörfer geftanden hatten. Aus 
Holz und Heden aufgebaute Wachttürme in den Feldern, in deren unterm Raume die 
ganze Familie zur Erntezeit lebt, nehmen einen Wächter auf, weldher durch Geichrei ober 
durch Ziehen an Baftleinen, die über den ganzen Garten ausgejpannt find, die körner— 
freffenden Vögel vertreibt. Im Sanuar findet die Ernte ftatt, die fröhlichite Zeit des 
Jahres und die einzige, wo Mann, Weib und Kind Hand an diefelbe Arbeit und zwar 
gleich bereitwillig legen. Vor derjelben ift der Genuß des Kafirkornes verboten, früher 
ſogar bei Tobesitrafe. Sobald fie beendet, findet eine Art von Erntefeit im Krale des 
Häuptlinges oder Königs ftatt, gewöhnlid in der Zeit des Vollmondes. Dabei werden 
Ochſen geſchlachtet, Fleifch am Feuer geröftet und in Maffen verzehrt, Utſchalla getrunfen 
und gehörig geraucht. Erſt nach diefem Feſte wird Die Frucht der neuen Ernte allgemein 
gegeflen. Dieſes ift auch die Zeit für Ausbeſſerung der Hütten und Zäune, und die Krie— 
ger treten jegt mit Vorliebe ihre Raubzüge an. 

Überall ift no das Kafirforn die Hauptfrucht; ihm gilt der größte Teil ber 
Arbeit, und auf dasfelbe gründet fich die Ernährung der Familien in erfter Linie. Im 
Mai wird alles noch vorhandene Korn gedroſchen, beziehentlic abgefernt und in die 
Vorratslöcher gebracht, welche mitten in der Viehhürde als flafchenförmige, weitbauchige 
Höhlen fo geräumig ausgegraben find, daß bis zu 3 hl Getreide darin Raum finden. Für 
Europäer ift indeffen das fo aufbewahrte Getreide meiſt ungeniehbar, da es fauer wird. 
Ein Heiner Vorrat, welder außerhalb diejes Kefjel gehalten wird, findet feinen Platz 
in dem Iſilulu, einem eiförntigen, dit aus Gras geflochtenen Gefäße, welches auf einer 
Art Stuhl über den Boden erhöht it. Öfters ift diefes Gefäß von erheblicher Größe und 
fteht in einer eignen mannshohen Hütte. In ihm wird vor allem der Vorrat an Saat— 
forn aufbewahrt. Oft find auch Ährenbüfchel im Dache der Wohnhütte aufgehängt. 





Größe der Dörfer, Aderbau. Viehzucht. 251 


Aber die Hauptbefhäftigung auch dieſes Volkes ift die Viehzucht, und ihre 
Herden find ihnen von ebenjo vieljeitigem Nugen wie den Betichuanen, Dvaherero oder 
Dinka. Sie rihten die Rinder zum Reiten und Lafttragen ab (nicht zu vergeflen das 
Rennen, das ein nationaler Sport ift), benugen die Kuhmilch als eins ihrer wichtigiten 
täglihen Nahrungsmittel, das Fleifh bei Feitlichfeiten und für Opfer, das Fett als 
eins der geſchätzteſten Nahrungsmittel und zu dem unvermeidlichen Einjalben, die Häute 
zu Mänteln, Dedeln, Schilden und Riemen. Vor allem aber find die Herden ihr Schat, 
ihr Kapital, ihre äußerjte Hilfsquelle; ihre Erjparnifje werden darin angelegt und alle 
ihre Ausgaben damit beftritten. Der Ader dient dem Bedürfniffe, die Herde dem 





1—4 Thongefähe der Kaffern (1-3 aus dem Mufeum ded Berliner Miffiondhaufes, 4 aus dem Mufeum für Völler 
kunde, Berlin). — 5 Zhongefäh der Marutfe (ethnographifhes Mufeum, Münden). *« wirtl. Größe. 


Luxus im weiteften Sinne. Wer fein Vieh hat, ift ein Proletarier, wenn er auch noch 
foviel Korn oder Hirfe aufjpeicherte; denn nur mit Vieh kann er fih Dinge faufen, 
die über die nächte Notdurft hinausgehen. Nur wer Vieh hat, Fann fich ein Weib 
faufen und nad) Herkommen würdig Opfer bringen, Krankheiten heilen und Begräbniffe 
begehen. Daher aud die große politiiche Rolle der Viehzucht und das Anfehen, welches 
fie vor allen andern Beihäftigungen und Beitrebungen des Volkes genießt. Der König 
ift der Verwalter des Nationalihages, der aus Herden befteht, und betrachtet gleich feinen 
Häuptlingen das Hüten der Ninder als einen edlen Sport. Eins feiner wichtigiten Ges 
ſchäfte ift, allmorgendli den Rapport über das Befinden feiner Herden, Krankheiten 
und Todesfälle in denjelben entgegenzunehmen, wobei ſelbſt Farbe, Form der Hörner x. 
nicht vergeffen werden. Dann befichtigt er eine Herde, die herangetrieben wird, und aus 
welder er die Nahrung für diefen Tag, 6—10 Stüd, wählt, die jofort getötet werben. 
Aus diefen Herden wird die Nahrung für die Armee genommen und das Material für 
ihre Schilde. Zwed fait aller Raub: und Kriegszüge der Zulu ift zuerjt die Eroberung von 


252 Die Zulm. 


Herden; ſchöne Ninder find die willfommenften und ehrenvolliten Siegeszeihen ber heim- 
fehrenden Armee. In den Viehkral tritt nur der Mann ein. Er melft die Kühe, weidet 
und tränkt die Herden, aud die der Schafe und Ziegen. Kenner der Kaffern behaupten, 
daß dies bie einzige Arbeit fei, welche von den Männern gern verrichtet werde. Er fennt 
jedes Tier feiner Herde, ruft es mit Namen, ſchmückt es durch Biegen der Hörner, Ein: 
brennen von Streifen und Bei: 
hen oder ſelbſt mit Fünftlicher 
Bemalung. Bor allem begünjtigt 
werden die Rennodjien. 

Seine Nahrung entnimmt 
diefes Volk ziemlich gleihmäßig 
jeinen Feldern und feinen Herden. 
Grundlage derjelben ift Milch 
in jaurem Zuftande, Amafi, 
und zerquetichter Mais oder 
Hirſe. Wie die Gewinnung der 
eritern für die Männer, ijt die der 
legtern für die Weiber die wid): 
tigſte Arbeit. Mais (Amabele) oder 
Hirje (Umbila) wird in einem 
auf drei Steinen im Feuer ftehen- 
den Topfe mit gut fchließendem 
Dedel, der zum Überfluffe noch 
mit Kuhmiſt zugeſchmiert wird, 
gekocht, dann auf eine in der 
Mitte vertiefte Steinplatte aus: 
gefchüttet und bier mit einem 
Reibſteine zerquetſcht; auf einer 
vorgelegten Matte jammelt ſich 
die zerquetfchte Maſſe und wird 
in ein dicht geflochtenes Körbchen 
gethan, um fpäter, mit Amafi ge— 
mischt, gegeien zu werden. Zum 
Eſſen diefer Nationalfpeife, welche 
auch das regelmäßige Gaſtgeſchenk 
daritellt, werden hölzerne Löffel 
— verwandt, die von den Männern 
1,2, 3,6,7, 8 Gbtöffel der Zulu. — 4,5 Eßloffel der Mambunda IM oft nicht wenig kunſtreichen 

(Mufeum für Völterfunde, Berlin). oder bizarren Formen geſchnitzt 

werden. Das Fleiſch wird gleich: 

falls in einem verfitteten Topfe gekocht oder auch an in den Boden gejtedten Zweigen 
gebraten, ift aber troß langen Kochens in der Negel fo zäh, daß es für europäiihe Gaumen 
faum genießbar ift; um jo mehr mundet es den Eingebornen, von welchen, nad Gardiners 
Schägung, 4—5 genügen, um einen Ochjen bis auf die Gedärme und Sehnen in andert- 
halb Tagen aufzueſſen. Gleich allen Naturvölkern find fie hierin jehr unregelmäßig und 
leben ebenjo leicht, wenn es not thut, tagelang von nichts als einigen Maisförnern, 
Heuſchrecken und dergleichen. Aber ein fich gut ftehender Kaffer hat für feine zwei Tages: 
mablzeiten, de3 Morgens und des Abends, ftetS außer feiner Grüße mit Amafi Gemüje, 


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Nahrung. Rauden. Gemwerbthätigfeit. 253 


Bier, oft auch Fleiſch und genießt dazwiſchen viel Schnupf- und Rauchtabak, vielleicht auch 
Dada. Während der Zulu der größte Schnupfer unter den Südafrifanern ift (j. Abbild, 
©. 254), raucht er auch nicht viel weniger als feine Nahbarn im Süden und Weiten, und 
zwar ijt die aus einem Antilopenhorne, mit Vorliebe dem des Kudu (Umgatha), gefertigte 
Waſſerpfeife (Jgudu, ſ. Abbildung, S. 215) aud für ihn die Hauptquelle nervenerregender 
Vergnügungen. Dem betäubenden Hanfe (Iſangu) wird nicht immer Tabak beigemijcht, 





Steinerne Tabalspfeifen der Zulu (Mufeum des Berliner Milfionshaufes). 


und oft macht eine einzige Pfeife davon eine ganze Gejellihaft, die fie im Kreife herum: 
gehen läßt, betrunfen. Lauter Preis des Königs ift dann, wie Gardiner als charakte— 
riftiich hervorhebt, gewöhnlich der erſte Ausfluß dieſer Nauchbegeifterung, die aber mit 
der Zeit zu blödfinnartigen Zuftänden führt. In derſelben Richtung wirkt das allerdings 
jehr leichte Bier, welches in großen Mengen genoſſen wird. Diefe Genüſſe tragen dazu 
bei, den Mann viel mehr zum Müßiggang zu disponieren als die Frau, von welder 
Nauhaus erzählt, daß fie Laften von 
100 kg zwei Meilen weit trage! Faſt 
alles Laſttragen ift Weiberſache. 

Die Gewerbthätigfeit der Zulu 
it im ganzen biejelbe wie bei andern 
Kaffernvölfern, im einzelnen finden ſich 
aber natürlicherweije doch einige erhebliche 
Unterſchiede. Die Zulu find nicht jo ges 
ſchickt oder nicht jo fleißig wie die Mehr: 





zahl der Betichuanen in der Anfertigung u) — u 
vieler Gegenftände von den Hütten big RS R 

h > d ni Shildirdt 
herab zur Kleidung und aller Art Schnige: a —— ren 


reien. Es hängt das ganz natürlich mit 

der mehr £riegerifchen und damit unfteten Richtung zufammen, welche jeit langer Zeit ihr 
Geift genommen hat. Aber ihre Leiftungen bewegen fi im ganzen auf denjelben Gebieten 
und folgen den gleihen Muſtern. Ausgezeichnet ift jedoch, dies aber offenbar durch euro: 
päijchen oder vielleicht früher arabifchen Einfluß, ihre Erzgießerei. Sie bezogen Meſſing 
und Kupfer früher von den PRortugiefen in Goa durch Vermittelung eines an der Dela- 
goabai lebenden Stammes gegen Elfenbein und Vieh, fpäter aus Natal, ſchmelzen e8 in 
Tiegeln aus einheimifchem Sandfteine und gießen Hals: und Armringe, Barren zum Draht: 
ziehen, Knöpfe und Perlen zum Schmude und andres. Als Schmiede find fie jo gejhidt, 
daß Nataleifen angeblich engliſches an Güte übertreffen fol. Ihre Piden für die Erdarbeit 


254 Die Zulu. 


find durch Anwendung eines Wurzelfnollens zum Einſatze der Klinge beſſer als die andrer 
Kaffern. Befonders geſchickt find in Schmiebearbeit die Nordzulu oder Amaſwaſi, welche 
die beiten Speere haben. Als wandernde Schmiede fommt aus dem Lande zwiſchen Limpopo 
und Zambefi der mohammedaniſche Stamm der Malepa bis zu den Südoſtkaffern. 


Die Familie der Zulu ift der Staat3organifation zum Opfer gebracht worden, und 
mande Keime guter Entwidelungen haben dadurd gewiß eine faljche Richtung genom: 
men. Es entſprach der kriegeriſchen Politif der Zulufönige » 
feit Tichafa, die Männer dadurch in der Hand zu behalten 
F und ihren kriegeriſchen Geiſt zu nähren, daß man ihnen das 
Heiraten erſt ſo ſpät als möglich erlaubte, wie denn jener 
König ſelber ſich der Ehe enthielt und kein Kind als das ſei— 
nige anerkannte (ſ. ©. 263). Die Familiengründung war 
8 alſo dem geſamten waffenfähigen Volke verſagt oder nur aus— 
In.» nahmsweije geſtattet, wodurch natürlich die Grundlagen der 
Familie im allgemeinen ſich lockern mußten. Das Verbot der 
Familiengründung bedingte eine ſtarke Anhäufung der Weiber 
ON gegenüber der für den Kriegsdienft nicht mehr tüchtigen Min: 
mo bderheit der Männer, förderte aljo die Vielweiberei nach einer 
SS ganz ungefunden Richtung, machte den Kindermord zu einer 
m, Notwendigkeit und nationalen Jnititution und entriß die jun: 
IIN gen Männer ihren Familien, jobald fie im ftande waren, fich 
Ss denfelben nüßlich zu erweifen. Aber der patriardhalijche 
Grundzug, welchen wir jo jcharf ausgeprägt bei den meiften 
viehzüchtenden Völkern finden, fehrt auch hier wieder. Der 
Bater iſt der Herr jeiner Familie und, was den weiblichen Teil 
anbetrifft, jogar rechtlich der Eigentümer desſelben. Ebenfo ift 
der König der Vater des Volkes, das von ihm nicht bloß eine 
gute Regierung, ſondern auch väterlihe Teilnahme und Hilfe 
RUN für alle Leiden erwartet, weldhe e3 treffen. Im allgemeinen 
NUN iſt die Stellung des Weibes unter diefen Verhältniffen feine 
INN hohe und, wie gewöhnlich, um fo niedriger, je höher die Lebens: 
ftellung ihres Gatten ift. Die Königsfrauen find von allen Be 
ratungen ausgejchloffen und dürfen nicht anders als auf den 
Knieen rutjchend im Haufe ihres Gatten ſich bewegen. 
x Die Erwerbung der Weiber durch Kauf ift bei kei— 
In nem Kaffernitamme jo fonjequent durchgeführt und jo tief 
DON eingemwurzelt wie bei den Zulu. Wenn die englifche Regierung 
Eine Schnupftabalsdofe der Vor einigen Jahren daran dachte, wie man behauptet hat, in 
Zulu aus Büffelhorn (Mufeum Natal diefer Sitte, welche die Zulu Ufulobola nennen, gejeg: 
Pr Der Lich entgegenzutreten, fo würde fie ſich wohl einen ſchwerern 
———— Stand bereitet haben als mit faſt jeder andern Reform, der ſie 
altgeheiligte Bräuche dieſes Volkes zu unterwerfen verſucht haben würde. Die tiefſte Wurzel 
hat dieſe Sitte dabei nicht etwa im Herzen der Männer, ſondern vielmehr in dem der Weiber, 
in welchen das Gefühl ihres Wertes mit der Zahl von Rindern ſich erhöht, um welche ſie ge— 
kauft werden. Ebenſowenig würde in der Regel ein Mann geneigt ſein, eine Frau für nichts 
zu nehmen; er würde ſich ſelbſt dadurch erniedrigt fühlen. Die Kraft gegenſeitiger Anerken— 
nung gewinnt das Heiratsband erſt durch dieſen Kauf, und Mann wie Frau würden ſich nicht 





Familie, 255 


für regelrecht miteinander verbunden halten, wenn jener nicht für diefe etwas gegeben oder 
mindeftens verjprodhen haben würde. Der gewöhnliche Preis einer Frau ſchwankt zwifchen 
4 und 6 Rindern, aber Häuptlingstöchter „gehen“ für nicht weniger als 25 und bringen 
dem Brautvater oft 100 ein. Für die Zulufönige war es ftet3 ein ganz legitimes Einfom: 
men, eins ihrer Kebsweiber einem reichen Manne aufzuzwingen, der gehörig dafür zahlen 
mußte. Auch in den weitern Abwandlungen behält die Kaffernehe noch diefen Charakter 





ſKeiſchwaäyos Frauen (nad Photographie im Befike des Miffionsdireftord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 


eines Handelsfontraftes bei. Ermweift fih das Weib als bejonders brauchbar, d. h. gefund, 
fruchtbar und arbeitsfähig, fo werben ihre Verwandten oder ihr früherer Eigentümer eine 
Nahforderung an ihren Gatten ftellen; ift das Gegenteil der Fall, oder entjpricht fie nicht 
gewiffen Verheifungen, welche bei ihrem Kaufe dem Gatten gemacht wurden, jo jendet 
diefer fie zurüd und fordert feinen Kaufpreis wieder. Zunächft geben nun ihre Angehörigen 
biefer Forderung nicht nad, jondern fie ſchlachten ein Rind und jenden fie mit der Hälfte 
desjelben zurüd. Dies mag den Unmillen des Gatten bejänftigen; gibt derſelbe jedoch 
nicht nach, jo jendet er fie neuerdings zurüd und fordert bejtimmt feinen Kaufpreis. Bei 
der Verſchlagenheit und Winfelzieherei, welche diefe Leute in den Rechtsitreitigfeiten an 


256 Die Zuln, 


den Tag legen, ilt e3 freilih dem Manne nicht leicht, das Seinige wiederzuerhalten, 
denn ber Beweis der Unzulänglichfeit feines Weibes wird ihm möglichſt ſchwer gemacht. 
Wenn dies nicht wäre, würden die Nüdjendungen und NRüdforderungen noch viel häu— 
figer vorfommen. Indeſſen kann fi der Mann, dem fein Weib nicht mehr gefällt, 
leiht dadurch tröften, daß er fie zwar behält, ihr jedoch die Rechte der Gattin ver: 
jagt, um fie in die Rechtlofigfeit der Sflavin herabzudrüden, und dafür jo raſch wie 
möglich eine andre Heirat ſchließt. Sflaverei und Polygamie wirfen beide zufammen, 
Enttäufhungen abzumildern und vergeffen zu machen, welche mit der Schliefung eines 
Ehebundes verbunden find. Die Bolygamie ift theoretiſch unbeſchränkt, praftiich fegen ihr 
aber oft die Zahl der vorhandenen Weiber und der Mangel an Mitteln zu ihrem Unterhalte 
jehr enge Schranfen. Sie hatte ihre beiten Zeiten in der Kriegsepoche unter Tſchaka und 
Dingan, wo die einheimifchen Männer in großer Zahl unter den Lanzen ihrer Feinde 
oder durch bie faſt ununterbrodhenen Strapazen hinftarben, nachdem ihnen die ganze Zeit, 
welde ſie unter den Waffen ftanden, nicht geftattet worden, Frauen zu nehmen; gleich— 
zeitig famen als Beute von den Naubzügen immer große Mengen von Weibern ins Land 
und wurden vom Häuptlinge verteilt. Daher fonnte damals die Vielmeiberei gewaltige 
Ausdehnungen annehmen, Der Friede ijt hingegen der Vielweiberei Feind. Bei den 
jelbjtändigen Zulu ‚war e8 noch unter Ketſchwäyo ſtreng feitgehalten, daß fein waffen: 
fähiger Dann heiraten durfte, che der Häuptling es ihm geftattete. Erſt wenn er feine 
fünf oder unter Umständen auch zwanzig Jahre unter den Waffen geitanden, wurde er 
bei dem großen Nationalfefte der „eriten Früchte” freigegeben und erhielt zugleich mit der 
Zumeifung einer Hütte auch die Erlaubnis, ji zu beweiben. Von berjelben Zeit an 
war ihm gejtattet, den Kopfring zu tragen, 

Die Hochzeitsfeier verläuft ähnlid wie bei den Betſchuanen. Sie bejteht wejentlich 
in der feierlichen Überführung der Braut nad dem Krale oder der Hütte des Bräutigams, 
wobei die Verwandten und Freunde in möglichft großer Zahl die Begleitung bilden, alle 
friich gefalbt und mit dem beiten Schmucke behängt. Außerdem bringt die Begleitung zwei 
Rinder, eins, durch deſſen Schlachtung die höhern Mächte bewogen werden follen, dem neuen 
Hausjtande Glüd zu verleihen, und ein andres, das gleihjam als Keim der neuen Herde in 
die durch den Brautfauf leer gewordene Hürde des Bräutigams geführt wird. Früher wur: 
den der Braut ein Mahlitein, ein Bejen und ein Napf übergeben, dem Bräutigam ein 
Bündel Affagaien und eine Art, um ihnen ihre zufünftige verjchiedene Beltimmung anzus 
deuten. Bei den Koſa zieht die Braut dem Bräutigam eine Feder aus dem Kopfichmude 
und ftect fie in ihr Haar. Dann ergreift fie einen Speer, gebt feierlich zum Viehkrale, über 
deffen Zaun fie ihn wirft, daß er im Boden fteden bleibt. Nach diefer Zeremonie wird bei 
den Koja die ganze Hochzeit Ufutichata genannt. Mit einem Ochſen des Bräutigams, den der 
Ältefte jeines Dorfes jchlachtet, und mit einem andern, ben jener der Mutter feiner Braut 
ihenft, wird das Hochzeit3mahl bereitet, bei welchem unter Gefang und Tanz die Feſtlich— 
feit jo lange dauert, als Ehluft und Fröhlichkeit währen. Es ift dabei Herfommen, daß 
das Fleiſch bis auf den legten Bilfen gegeifen wird. Darauf folgt bei manchen Stämmen 
die Zeremonie des „Waſchens mit Perlen’, welche darin beiteht, daß eine Kürbisflafche mit 
Waſſer und Perlen gebracht wird, aus welcher erſt die Braut die Hände ihres Bräutigams 
und ihrer Freunde, dann biefer die Hände der Braut und jeiner Freunde befprengt, worauf 
die Perlen ausgejchüttet werden, nah denen nun alles greift. Es ſchwingen fih zum 
Schluſſe wohl auch die Älteften des Dorfes dazu auf, dem jungen Paare Fleiß und gute 
Aufführung anzuempfehlen, wobei nicht nad) feinen Worten geſucht wird. 

Troß diefer gewiß nicht gerade edlen Vorbereitungen der Ehe, zu welchen auch noch 
gehört, daß die Braut jeden Abend einen Fluchtverfuch fingieren muß, find Beiſpiele feſten 


Eheſchliehung. Geburt. 257 


Zufanmenhaltes zwiſchen Mann und Weib nicht felten, und man erlebt es, daß ein Mann, 
der mehrere Frauen haben könnte, fich mit einer einzigen begnügt. Solche Überwindung 
findet felbft bei den Zulu Hochachtung, wiewohl nur wenige dem Beifpiele folgen möchten, 
vor allen feine Häuptlinge, die fürchten würden, ihre Autorität zu jhädigen, wenn fie 
weniger als vier rauen bejäßen. Die Mehrzahl der Frauen wünſcht gewiß, daß Neben- 
frauen ihnen die Arbeit erleichtern, und bei der erjten Frau, der Großfrau (Inkokaſi), 
ift diefer Wunſch natürlich, da fie die 
berrichende unter allen jpäter Hinzu: 
kommenden it. Daß jede Frau ihre i ẽ 
eigne Hütte, ihr eignes Feld und beſon— — — 
dere Verpflichtungen hat, gibt in der 1 N Be J 
That dieſer Art von Polygamie einen 
geſündern Charakter, als man ihn in 
der Haremswirtſchaft der Araber und 
Türfen haben kann. Die zahlreichen 
Weiber des Königs arbeiten ſogar im 
Dienſte des Staates, indem fie das 
Bierbrauen und Kochen für die Armee 
beforgen, und je eine oder zwei feiner 
Verwandten find nad) den Efanda ab- 
geordnet, um über die Bereitung und 
Verteilung der Speiſen zu wachen. Bei: 
läufig gejagt, trägt nicht nur die Groß: 
frau ihren befondern Namen, fondern 
die Kafferniprachen find auch reich an 
Bezeihnungen für andre Gattungen 
von Weibern; jo heißt ein unverheira: 
tetes Weib Intomibi, ein kinderloſes, 
verheiratetes Umfas und ein verheira: 
tetes mit Kindern Enina. Anderjfeits 
wird der allgemeinere Ausdruck für FRE RN 
Weib, Umtuana, auch oft für Kindan... = ty 
gewandt. Alle Witwen eines König. NN 
auch die legten in der großen Schar, — * 
führen den Titel „Mutter des Königs“. 
Die Gebräuche der Zulu bei und 
nach der Geburt eines Kindes ſind Ein beſchnitlener Zuluknabe mit Wijagaien 
denen ähnlich, welche man bei andern (nad; Photographie). Bol. Tert, S. 38. 
Zweigen der Südfaffern findet. Es ift 
aber wohl faum zweifelhaft, daß mißgebildeten und kränklichen Kindern bei diejer Frieges 
riſchen Nation von vornherein noch weniger geftattet wird, weiterzuleben, als bei andern. 
Die größern Kinder leben in ftrenger patriarchaliſcher Zucht, und der daraus hervorgehende 
innige Zufammenhang mit den Eltern bildet ſelbſt einen hellen Punkt im Zululeben. Sogar 
in der jo trüben Gejchichte der Zuludynaftie thut er es. Tſchaka, der feinem Menjchen 
wohlwollte, war feiner Mutter fo ergeben, daß ihr Einfluß auf ihn ein politifher Faktor 
und ihr Tod eine der wenigen Gelegenheiten war, wo er menſchliche Regungen zeigte. 
Wie rührend ift jener Fall eines Kleinhäuptlinges (Numzana), welcher fußfällig bat, jtatt 
einiger wegen Landesflucht mit Tod bedrohter, ihm verwandter Kinder Strafe leiden zu 
Böltertunde, L 17 





258 Die Zulu. 


dürfen! Die Sitte der Beihneidung, welhe den Knaben in den Jünglingsitand über: 
führt (j. Abbildung, S. 257), wird bei den Zulu ganz wie bei den Betſchuanen unter 
Namenwechiel, Bemalung des Körpers mit weißer Farbe, Untertauchen im Flufje 2c. geübt, 
und ebenfo werben beim Übertritte aus den Mädchenjahren in die der Jungfrau die Mädchen 
von ältern Frauen in den Pflichten des Weibes unterwiefen. 

Nach dem Tode eines Familiengliedes nehmen alle Angehörigen eine Arznei und 
waſchen fih, um fi) vor Anftelung zu bewahren. Auch die einft jehr allgemeine Sitte, 
die Sterbenden vor das Dorf hinaus an einen einfamen Ort zu bringen, wo man ihre 
Leihname den Raubtieren überließ, wird mit Furdt vor Anſteckung entſchuldigt. Die 
Angehörigen figen längere Zeit nad) dem Tode till in den Hütten und ergehen ſich dann 
in Klagegeheul, in welches das ganze Dorf einftimmt, Nur Häuptlinge begruben die 
Zulu früher in hodender Stellung in Höhlungen, welche rings von Steinen umgeben 
und nad) oben gewölbt waren. Mehrere flache Steinplatten machten den Verſchluß diejer 
Totenfammer aus, welche knapp einen ein- 
zigen Leichnam faßte und fi in der Negel 
nicht tiefer al3 1 m unter dem Boden befand. 
E3 war eine ähnlihe Höhlung, wie fie auch 
zum Unterbringen von Mais’ und andern Vor: 
räten benugt wird. An dem Tage des Todes 
wird in dem ganzen Dorfe feine Kuh gemol- 
fen und feine Milch genoffen, und die nächſten 
Angehörigen nähren fich bis zum nächſten Neu— 
monde bloß von wilden Wurzeln. Bei einem 
Tode in der Königsfamilie klagt das ganze 
Volk mit. Als Tſchakas Mutter ftarb, jollen 
zehn Jungfrauen lebendig mit ihr begraben 
und 1000 Rinder zur Leichenfeier geſchlachtet 
worden fein. a, den Kriegern joll es auf: 

on — gegeben worden ſein, zur Ehre der Toten (auf 
Grab eines Zuluhäuptlinges (nah G. Fritſch. dem nächſten Kriegszuge?? Tauſende von 

Menſchen hinzumegeln. 

Wir geben diefer allgemeinen Schilderung des äußern Lebens bei biefem Volke, welche 
aus den Berichten Außenftehender, Fremder gefchöpft ift, wohl auf Feine Weiſe einen 
beffern Abſchluß, als indem wir einen Mann aus der Mitte desjelben in treuer Über: 
jegung (nad) Grout) felbitredend einführen: „Was meine Geburt betrifft, jo bin ih, wie 
ihr wißt, am Umlalazi geboren. Und jo gejchah es, daß, wie ih noch ein Kind war, 
ich wegging und nad) der Hütte meiner Mutter fam. Ich kam dahin, als fie gerade am 
Pflanzen waren; ich verbrachte den Sommer; der Winter fam, fie pflanzten wieder, und 
ich blieb dort. Es geſchah dann, als der Winter fam, daß fie anlangten, um mich zu 
nehmen. Ich kam nah Haufe, während fie pflanzten. Der Sommer war vorüber. Und 
nad) einem andern Sommer da fam die Nahridt, da der König den Fluß überfchreite. 
Sn der That ging er über, und dann fehrte er zurüd. Wir famen an und afen bie 
Ernte, welche wir gepflanzt verlaffen hatten; und wieder pflanzten fie, und biefe Ernte 
aßen wir aud). Hernach gefhah es, daß der König einen Boten fandte, zu fommen und 
zu fragen, welcher ſagte: ‚Wo ift das Vieh hingegangen?” Zu Haufe war die Antwort: 
‚Das Vieh ift auf der andern Seite des Fluffes gegeſſen worden, weil e8 der König den 
Leuten gegeben hat. Demgemäß nahm nun der König den ganzen Kral. Und das Volk 
diefes unſers Krales ward zeritört. 





Gräber. Eine Zulubiographie. Königtum. 259 


„ber dann blieben wir unferfeits jelber dort mit dem Viehe und gingen mit dem 
felben. Der König fam und nahm 40 Häupter. Dann fehrten wir zurüd und wohnten 
fo auf demfelben Plage. Wir pflanzten; wir pflanzten wieder, und nod einmal. Es 
gefhah dann, daß eine Nachricht kam, fagend: Nongalaza ift getötet worden. Demgemäß 
brach nun der ganze Stamm auf und ſetzte über, welche Flucht als die des Mama befannt 
it. Wir felbjt wurden von dort fortgebracdht, vertrieben mit Speeren, indem gejagt ward, 
daß wir alle Mama folgen würden. So zogen wir aus und bauten in dem Landbezirke 
Hlangezwa. Wir famen in Hlangezwa an und pflanzten; und pflanzten wieder, und ein 
drittes Mal. Es geſchah hernach, daß der König fagte: ‚Mein Volk, welches ftandhaft 
geblieben, wenn ihm gejagt ward, mit Mawa zu fliehen, Eehre bu zu deinem eignen 
Lande zurüd und baue dort‘. Demgemäß gingen fie und bauten zu Lungoye, indem fie 
von Bulawayo famen. Darauf zogen wir aud von hier fort und gingen hinauf zum 
Könige, um in der Hauptitadt zu wohnen. Zulegt famen die Diener und ſprachen: es 
fei mir nicht erlaubt, nad den Kralen des Landes zu gehen und bes Königs Melk: 
geihäft ohne jemand zu laffen, der danach fehe. 

„Es geihah dann, daß fie pflanzten, und dieſes Korn wurde hernach gegeffen. Und 
dann, bald nachdem fie begonnen hatten zu pflanzen, kam der König und fragte die Diener: 
‚Wo find die Knaben, denen das Melfen obliegt?‘ Da antworteten wir Diener und ſprachen: 
„sn dem Krale dort find drei, hier wiederum in diefem Krale find vier. Die Jahreszeit 
des Pflanzens fand ihn noch dort bei uns mwohnend. Später, als das Korn zu reifen 
begann, jagte die Königin zu mir: ‚Komm, geb hinab und fieh nad} deiner Mutter‘. Aber 
ehe ich einen einzigen Monat daheim geweſen, fam ein Mann, um mich zu holen. Daher 
verließ ich fie und fehrte dorthin zurüd. Und eines Tages fam der König und verweilte 
dort in Tufufa; er vermeilte vier Tage; er rief uns und ſprach: ‚Ihr Knaben alle, welche 
meine Melferei bejorgen, ihr jollt von gemeiner Pflicht befreit bleiben; fobald ihr zur 
Mannheit erwachſen jeid, wird e8 mich freuen, euch hier anzufiebeln‘. Er fagte: ‚Später 
verjammelt ihr die andern Knaben von allen Kralen, daß fie fommen und in den Gärten 
graben‘. Und jo verfammelten wir fie, und fie famen, blieben und gruben ſechs Monate. 
Diefer Sommer ging herum. Und fpäter fagte die Königin: ‚Geht ihr hinab und fehrt 
zu euern Hütten heim‘. Demnach gingen wir hinab, famen an und verweilten, bis bie 
Zeit zum Pflanzen wieder heranfam; und dann aßen wir das Korn, indem wir noch immer 
dort zu Haufe blieben. Und als dies Korn aufgegeffen war, rief uns der König und 
fagte: ‚Geht ihr alle und bauet euch unten an auf ber Ebene Aula‘. Wir gingen nad) 
der Ebene Kula. Und gerade als wir dort anfamen, wurden wir mannbar, zwei von ung, 
und jo bradien wir denn auf und gingen nad) den Kralen des Landes, und dort blieben 
wir bis zum Ende des Monates. Und ald der Monat herum war, kehrten wir zurüd. 
Und weil wir noch etwas blieben, bis der Mond wachen würde, da fam Nachricht, daß 
das Regiment Sanfu aufgerufen wird. So gingen wir hinauf und famen zum Könige. 
Und gerade al3 wir beim Könige anfamen, wurde Befehl gegeben, daß die ganze Armee 
fi verfanmle. Sie verfammelte fid) demgemäß, brad) auf und marſchierte nad Sikwata. 
Dann fam fie von Sikwata zurüd, Als wir zurüdfehrten, fanden wir die Leute ihre 
Gärten jätend. Sobald diefe Ernte eingebracht war, verjammelte fich die Armee und ging 
gegen die Amaſwaſi. Dann fehrte fie von den Amafwafi zurüd, fam an und blieb. Der 
Sommer verging, fie pflanzten wieder, und der Sommer verging. Und gerade als fie daran 
waren, wieder zu pflanzen, brad) die Empörung aus, durch welche wir zerjtört wurden.“ 


Inniger als bei irgend einem andern Negervolfe ift bei den Zulu das 


Reben der Einzelnen und ber Familien mit dem bes Volkes, des Staates 
17* 


260 Die Zulu, 


verbunden; nirgends greift bei den Afrifanern der Staat, repräfentiert im Herrfcher, 
der feineswegs abfolut ift, wie willfürlich er auch handeln mag, tiefer in das Leben der 
Einzelnen und der Familien ein, und nirgends greift er, man muß dies befonders betonen, 
fo weit. Man wird daher die Gejchichte und das Leben diefes Volkes nicht verftehen, wenn 
man nicht feine ftaatlihen Einrihtungen etwas gründlicherer Betrachtung unterzieht. 
Das Königtum der Zulu ift ein eigentümlich befhränfter Dejpotismus. Die 
größere oder geringere Weite der bemjelben gezogenen Schranfen beftimmt hauptſächlich der 
Charakter des Herrſchers. Im Syiteme der Regierung liegt eine Beihränfung durch die 
einflußreide Stellung, weldhe die beiden Hauptinduna, erjte Minifter und Ober: 
generale in einer Perfon, einnehmen. In der Regel werden fie vom Könige zu Rate gezogen, 
und man nimmt an, daß feine wichtige Mafregel ohne ihre Dazwiſchenkunft beſchloſſen 
werde. Gardiner fand in den eriten Jahren der Regierungszeit Dingans den Einfluß diefer 
beiden Perſonen jo groß, daß er damals die Zuluregierung ein Triumvirat nannte. Er 
erlebte auf feinen verfchiedenen Gejandtidaftsreifen bemerkenswerte Fälle vom Eingreifen 
diefer Perjönlichkeiten in die Regierungsmaſchine; nicht mit Unrecht rühmten fie fih ihm 
gegenüber, Ohren und Augen des Königs zu jein, und bedeuteten ihn, daß alle wichtigen 
Angelegenheiten ihnen erjt mitgeteilt werden müßten, ehe fie dem Könige vorgebradht 
werden fünnten. Nach einer wichtigen Unterredung zwiichen dem Könige, ibm und den 
beiden Miniftern über die Zulaffung von Miffionaren im Zululande jagte der König, der 
die ausführlichen Einwendungen dieſer legtern aufmerkffam angehört hatte: „Ich will die 
Entjcheidung meiner Indunag nicht umſtoßen“. Wenn Gardiner mit einem neuen Auf: 
trage an den Hof nad Unfingonglove Fam, wurde er von Dingan erjt empfangen, wenn 
die beiden Hauptinduna anwejend waren. Als er zulegt dringender als vorher feinen 
Bunſch nah Zulaffung der Miffionare fundgab, wandte fi) der König, der nachdenklich 
zugehört hatte, an die Induna mit den Worten: „Nun müßt ihr entſcheiden“. Und ihrer 
Entjheidung Schloß er fih ohne Wideritreben an. Als Dinge, in denen auch noch ftraffere 
Herricher, ald damals Dingan war, nicht ohne die Zuftimmung diejer beiden Hauptinduna 
verfahren, werben Kriegserflärung, Todesurteile, Yandbverteilungen genannt. Auch von 
der Kriegsbeute fällt dem Könige nur ein Teil, der andre den Induna zu. Zuſam— 
men mit diefen ernennt er die Induna der niedern Stufen. Die oberite Berufung in 
Rechtsfragen geht an ihn. Bei andern Kaffernftämmen tritt der Nat der Umapafati, d. h. 
Mittelsperjonen, zwifhen Fürft und Volk, um nicht jelten beide zu beherrichen. „Die 
Tyrannei ift neutralifiert Durch die rivalifierenden Intereffen der Tyrannen” Naubhaus). 
Einem jungen Herrfcher gegenüber wagen fie wohl fogar die Abſetzung zu defretieren, 
um einen aus ihrer Mitte auf den Thron zu heben, Doch gehört dem Könige eine 
ganze Anzahl von Befugniffen, welche ihm die Stellung eines patriarhaliichen Stammes: 
hauptes gegenüber der Gejamtheit des Volkes anmweifen. Es fteht ibm das Eigen: 
tumsredht über alles Land und alle Habe des Volkes zu, e3 gibt nicht perfön- 
lihen Grundbeiig, jondern nur gewiſſe Nechte bezüglich der Lage der Dörfer und Weide: 
plätze; doch befigt der König zu jpezieller Nutznießung und zu derjenigen feiner nächſten 
Verwandten eine Anzahl von Dörfern, wie auch die höhern Induna gleichfalls Dörfer 
zu befigen pflegen. Ebenfolde Verfügung, wenn ſchon eingefhränft, hat der König 
über Leben und Zeit feines Volkes, Konfiszierte Güter bilden eine Haupteinnahme des 
Kaffernhäuptlinges, außerdem mehr oder weniger freiwillige Geſchenke, die bejonders 
reih bei der Mannbarkeitserflärung fließen, manchmal aber durch Erprejjung hervor: 
gerufen werden. Kein Unterthan darf ohne des Königs Erlaubnis ein Gefchent annehmen. 
Freilich ift er aber auch Fein träger orientaliicher Dejpot, jondern übernimmt mit jeinem 
Amte eine ganze Anzahl nicht geringer Verpflichtungen. ALS oberjter Kriegsherr hat er 


Königtum. Epifoben aus der Zulugefchichte. 261 


die Soldaten zu ernähren, zu bewaffnen, zu inſpizieren, wenn nötig zu belohnen, zu 
ermuntern oder zu trafen. Er beaufiichtigt feine Herden, die infofern Staatseigentum 
find, als mit ihrem Fleifche die Armee genährt und aus ihren Häuten die Echilde für die: 
jelbe gejchnitten werden. Er beftimmt den Beginn der Ernte und bes Genuffes jeder 
einzelnen Frucht. Wer an feinen Hof fommt, erwartet dur ihn ſich zu bereichern. 
Ohne Freigebigfeit wäre jein Einfluß gering. Er ift zugleich der Hauptarzt feines Volkes. 
Oft begegnet man im Zululande Boten, welche nah der Hauptitadt eilen, wo fie dem 
Könige die Krankheit irgend eines höhern Offiziere melden. Jener erkundigt ſich mit 
Teilnahme nad der Art des Übels und jendet eine Arznei, die ihm pajfend fcheint. 
Wird die Krankheit gefährlich, jo wird der Fall den in der Hauptftadt wohnenden Ärzten 
vorgelegt, welche dann die zu jendende Arznei empfehlen. 

Äußere Abzeichen de3 Königs beftehen feit der häufigern Berührung mit den Euro: 
päern (und über diefe hinaus reichen unfre verbürgten Nachrichten nicht) Hauptfächlich in 
feinem größern NReichtume an Dingen, die von den Europäern mit Rindern und Elfenbein 
zu erfaufen waren, Denn da der Zulufönig gleich den meilten andern Negerfüriten das 
Monopol des Handels hatte, war er allein im ftande, fi alle die Perlen, Waffen ꝛc. zu 
verichaffen, die jein Herz wünſchen mochte. Und das Verlangen nad) diefen war in der 
Negel groß. Im übrigen find dieſe Fürften immer weit entfernt von orientalifcher Üppigfeit 
gewejen. Eher fönnte man von militärischer Einfachheit reden, wenn nicht die Scharen 
der Weiber und die jchranfenloje Willkür der Launen wäre! Als Allen Gardiner, der 
erite Miffionar der Zulu, im Jahre 1835 nad) Dingans Krale fam, wurde er durch einen 
zu jeiner Begleitung befohlenen Unterhäuptling zu dem Zaune geführt, der den Palaft 
umgibt, und wartete hier, bis über den Zaun Kopf und Bruft eines fräftigen Mannes 
hervortauchten, welcher ihn längere Zeit jtarr ohne ein Wort anblidte. Erſt als ein Ochs 
herangetrieben wurde, jagte er, indem er auf ihn deutete: „Dies iſt das Tier, das ich 
euh zum Schlachten gebe”, und verſchwand ſofort. Erft nad) einiger Zeit ging er aus 
dem Thore, trat langſam auf Gardiner zu und ftand wie eine Bildfäule vor ihm, bis ein 
Stuhl gebracht ward, auf welchen er fich jegte. Seine erjte Frage war nad) dem Benehmen 
der Führer, feine zweite nad) dem Zwecke des Reifenden und feine dritte, fehr eingehende 
nad Zahl und Art der mitgebradhten Geichenfe, welche er fich genau beichreiben ließ. 

Wie jehr die Zulufürften auf ihre Unverleglichkeit halten, mag folgende Geſchichte 
aus dem Bürgerfriege zeigen, den Ketſchwäyo und Umbelafi, die Söhne Mpandes, um die 
Thronfolge fämpften. Stannard erzählt diefelbe in feinem Buche „Cetywayo and his 
white neighbours“ (1882): „Umbelaſi ftarb auf dem Schlachtfelde an gebrochenem Herzen; 
menigftens hieß «3, daß feine Wunde an ihm gefunden worden fei. Er ftarb wahrjcheinlich 
in einem Anfalle von Bellemmung und Ermattung. Nachdem die Schlacht vorüber war, 
fam ein Zulu von einem feiner Negimenter mit vielen Begrüßungen zu Ketſchwäyo und 
jagte: ‚DO Prinz, num kannſt du ruhig jchlafen, denn Umbelafi ift tot‘. ‚Woher weißt du, 
daß er tot iſt?‘ fragte diefer. ‚Weil ich ihn jelbit erfchlagen habe‘, erwiderte der Zulu. 
‚Du Hund! jagte der Fürft, ‚du haft es gewagt, deine Hand gegen fönigliches Blut zu 
erheben, und nun rühmft du dich deifen? Fürchteſt du dich nicht? Bei dem Haupte 
Tſchakas, du follft deine Belohnung haben. Führt ihn hinweg.‘ Und der Zulu, der 
Ichließlih nur gelogen hatte, da er fich die Armreife von dem toten Körper bes Prinzen 
angeeignet, wurde hingerichtet. Es wäre nicht Elug geweſen, den Tod eines fo mächtigen 
Prinzen jo leicht zu nehmen, denn ein gleiches Schidjal, welches Umbelaſi heute erreichte, 
konnte Ketſchwäyo morgen treffen. Diefe Geſchichte hat eine überrajchende Ähnlichkeit mit 
der des Jünglinges, weldher Saul, den Gejalbten des Herrn, erſchlug und deshalb von 
Davids Hand den Tod erlitt!” 


262 Die Zulu. 


Und troß aller Graufamkeit und MWillfürlichfeit doch welche tiefgewurzelte Anhäng- 
lichkeit der Zulu an ihr „angeſtammtes“ Fürjtenhaus! Man begreift, daß die 800 Häupt- 
linge und Veteranen, welche im Sommer des Jahres 1882 in Pieter-Marigburg einrüdten, 
um von den engliſchen Kolonialbehörden die Wiedereinjegung Ketſchwäyos zu verlangen, 
den Weißen imponierten, und daß man frühere Entjchließungen widerrief, um vor einer 
folden Manifeftation der Volksſtimmung fich zu beugen. Es iſt bezeichnend für die Volfs- 
feele der Kaffern, daß die Graufamfeiten der Häuptlinge den mwenigft tiefen Eindrud auf 
ihre Unterthanen machten, daß Verlegungen der alten Gebräuche und vor allem Schwäche 
viel eher dazu beitrugen, einen Fürften zu jtürzen, als die willfürlichjte Menſchenſchlächterei. 


Die Armee der Zulu ift eine der volllommenften, wirffamften und dauer— 
bafteften Organifationen, welde ein Naturvolf auf irgend einem Gebiete 
aufzumeijen hat. Die männliche Bevölkerung wird von der erften Jugend an in eriter 
Linie für den Waffendienft erzogen, und die Zulufrale find eigentlich nur große Lager, in 
welden alle Männer, jung und alt, einer der drei militärischen Kategorien: Veteranen (Um— 
pagati), junge Soldaten (Iſimporthlo, Iſinſiſwa) und Knaben, die noch nicht gedient haben 
(Amabutu), zugeteilt werden. Die Uniform der beiden erjtern ift der Kopfring, aber ben 
legtern ift das Nafieren des Kopfes nicht geitattet. Auch in Friedenszeiten verläuft jo ziem— 
lich die Hälfte des Lebens der Männer in Eriegerifchen Übungen und Vorbereitungen jeder 
Art. Unter Dingan waren über das Zululand 14— 16 große und verjchiedene Hleinere Efanda 
zerjtreut, welche wir etwa al3 Baradenftädte bezeichnen würden; in den erjtern garnifonierte 
je ein Regiment von 600 bis 1000 Mann. Dan berechnete damals die Macht, mit welcher 
die Zulu im Felde erfcheinen konnten, auf 50,000 Mann, einige gaben fogar 100,000 an, 
und die Hälfte diefer Zahl war ſtets fchlagfertig. Eine Anzahl von Offizieren (Induna) und 
Unteroffizieren fommandierte ein Regiment, und ein Hauptinduna galt als Befehlähaber. 
Die Hauptftadt des Landes war im Grunde nichts andres als die größte von dieſen 
Ekanda und ftand unter dem Befehle von 20 Induna, deren zwei oberfte zugleich die 
eriten Berater des Königs und bie Feldmarfchälle der Armee waren. Das Regiment, 
welches hier garnifonierte, etwa 900 Mann ftark, war eine Art Garde, in welcher die 
Häuptlinge der Heinern Städte (Umnumzana) abwechjelnd je ein Jahr zu dienen hatten: 
ein vortreffliches Mittel, um die Bevölkerung des Landes mit dem Geifte zu durchtränken, 
der von der Hauptitadt ausging, um Geijeln für den Fall des Ungehorfames in Händen 
zu haben, und um die Einflußreichiten des Landes in unfchädlicher Nähe zu halten. Beim 
Abgange nad) ihren heimischen Ekanda wurden diefen Offizieren erzene Arm: und Halsringe 
zur Auszeichnung ihrer verdienten Soldaten mitgegeben, und ihr Amt bekleidete fie ander: 
ſeits mit dem Rechte, Strafen zu verhängen. Auch durch andre Mittel wurde dafür gelorgt, 
ben Zufammenhang diefer Garnifonen mit dem Haupte und Herzen bes Landes aufrecht 
zu erhalten. Nachdem fie ihre Evolutionen und Tänze (auf die legtern wurde als auf 
Übungen des Körpers großer Wert gelegt) eingeübt hatten, marfchierten fie zu einer 
beftimmten Zeit des Jahres nad der Hauptftadt, um dort „vorgeſtellt“ zu werden. Auch 
waren fie gebunden, ihre neuen Schilde ebendort abzuholen, denn nur in der Hauptſtadt 
wurde eine größere Menge Rinder geſchlachtet, von welchen jede Haut zwei Schilde gibt. 
Gardiner befchreibt den Empfang eines zu diefem Zwede nad) Dingans Hauptitadt 
Unfingonglove gejandten Truppes folgendermaßen: „Als ihre Ankunft an dem Haupt: 
thore dem Könige gemeldet worden, erließ diefer den Befehl, fie einzulaffen, und fogleich 
ftürzten fie unter Gefchrei und wilden Schwingen ihrer Stäbe herein, machten aber in 
ahtungsvoller Entfernung vor dem Iſſigordlo Halt und formierten fih in eine Linie. 
Dingan erfchien unterdeſſen auf jeinem Piedeftale, und ein allgemeines ‚Baiate‘ lief bei 


Armee, Kriegführung. - 263 


feinem Anblide durch die Reihen. Bald darauf trat er vor die Linie, wo er im Halb: 
freife feiner Generale Plag nahm. Nun erhob fi einer der beiden Hauptinduna und 
hielt an die Truppe, die jüngft bei einem Streifzuge in das Land der Matabele erfolglos 
gewejen war, eine mit manchen ironiſchen Ausfällen gefpidte Anrede, auf welche der 
Führer diefer Schildbedürftigen mit einer nicht minder heftigen Apologie feiner ſelbſt und 
jeiner Leute antwortete. Es erfolgte ein beftiges, mit den wildeften Sprüngen und 
Geitifulationen gemifchtes Wechſelgeſpräch ber beiden, in welches auch einige Unteroffiziere 
dieſes Truppes fi mijchten. Als die wechjeljeitigen Borwürfe auf der Höhe angelangt 
waren, trat Dingan mit einer jalomonifchen Enticheidung dazwiſchen, indem er jenen 
zurief, daß fie nicht eher Schilde erhalten follten, als bis fie ihm von Mofelifatfes Rindern 
gebracht hätten. Inter dem Beifalle, den diefe unerwartete Aufforderung hervorrief, 309 
er fi zurüd, und bald darauf wurde Bier für die Soldaten gebracht, die dann abzogen, 
um den Neft ihres Negimentes für den ihnen aufgetragenen Raubzug zu fammeln. Indeſſen 
wurde Dingans Wunſch oder Befehl Furz darauf zurüdgenommen, und nad zehn oder 
zwölf Tagen kehrten die Truppen, welche offenbar auf die Probe hatten geftellt werden 
jollen, zurüd und empfingen anftandslos ihre Schilde.” 

In den Zuluſchlachten, von denen die Geſchichte Südafrifas foviel zu berichten hat, 
handelte es fich niemal® um Spiegelfechterei, wie fie die „Kriege der Weſtafrikaner 
lächerlich macht, fondern e3 wurde ſtets ernit gekämpft und zwar nicht nur den Weißen 
gegenüber, fondern auch untereinander. Ein Freund Stannards bejchreibt als Augen: 
zeuge die Schlaht, welhe im Jahre 1856 an den Ufern des Tugela zwijchen Umbelafi 
und Ketichwäyo über die Herrichaft in Zululand entſchied. Er jchildert diejelbe als ſchreck— 
lid, beſonders als das von Mpande geſchickte Veteranenregiment in den Kampf eingriff. 
Dasjelbe rüdte 2—3000 Mann ſtark vor und ftieß auf eins von Ketihwäyos jungen 
Negimentern. Der Lärm, welchen das Aufeinanderftoßen ihrer Schilde verurjachte, glich 
dem Brüllen ber See; allein das alte Regiment vernichtete das andre nad) einem Kampfe, 
welcher das Schlachtfeld mit Zeichen bededte, und rüdte mit gelichteten Reihen vor. Ein 
andres Negiment Ketihwäyos trat an die Stelle des zeritörten, und ein langer und 
harter Kampf entſpann fich jegt, biß der Sieg abermals auf der Seite der Veteranen war. 
Sie hatten ihn aber teuer bezahlt und waren nicht in der Lage, den Angriff fortzufegen; 
dann fammelten die Führer diefes tapfern Bataillones die Nefte auf einen Knäuel und 
fämpften, bis feiner mehr übrigblieb. Die Erde ringsherum war mit Toten bededt. Diefer 
tapfere Angriff half jedoch Umbelafi wenig, denn nad und nad drängten Ketſchwäyos 
Regimenter feine Leute bis zu den Ufern des Tugela zurüd und ſchließlich in den Fluß 
hinein. Taufende fielen auf dem Schladhtfelde, und Taufende famen in den Fluten um. 

Nichtsdeftoweniger würde es falſch fein, diefe Kämpfe der Zulu unter fih zum Maß— 
jtabe ihres Auftretens in Kämpfen mit den bisziplinierten und wohlbewaffneten europäijchen 
Truppen zu machen. Hier haben fie fih immer nur im Überfalle groß gezeigt, und 
darum war ber jehlimmite Feind der Engländer in allen Kämpfen mit den Zulu die eigne 
Sorglofigfeit und Läffigfeit. In offener Feldſchlacht hielten fie immer nur kurze Zeit 
fand. Um ihnen nicht Unrecht zu thun, fann man jagen: ihr Mut war nicht Hein, 
aber er jtand nicht feit. Selbit die Veteranen Dingans wurden von den paar Hundert 
DBoeren unter Pretorius im Jahre 1837 gründlich gejchlagen, ohne daß auf jeiten ber 
(egtern nennenswerte eigne Verlufte zu verzeichnen gewejen wären. Unter Ketſchwäyo 
haben die Zulu zwar eine größere Anzahl von Flinten in die Hand befommen, aber fie 
haben fich ihrer nicht mit viel Vorteil zu bedienen vermocht. 

In der Ehelofigkfeit gingen die Zuluberrfcher ihren Soldaten mit gutem Beifpiele 
voran: weder Tſchaka noch Dingan waren jemals nad) der Sitte des Landes verheiratet, 


264 Die Zulu. 


was, beiläufig gejagt, nicht wenig zu der Reihe gewaltfamer Ummälzungen beitrug, melde 
die Geſchichte der Zulu traurig auszeichnet. In der Regel gab der König die Erlaubnis 
zum Heiraten nur ben ältern Soldaten, die fich öfters im Kriege ausgezeichnet hatten, 
und e3 fanı wohl vor, daf ein befonders verdientes oder begünftigtes Regiment fie auf 
einmal erhielt. Die Zahl der Kebsweiber war dagegen in den Efanda unbeihräntt. In 
Verfolgung diefes Grundjages durfte in den Efanda, wo feine Heirat geftattet war, auch 
fein Kind geboren, beziehentlih am Leben gelaffen werden. Zu Tichafas Zeit durfte nur 
eine einzige Efanda Kinder haben! Man begreift, wie allein ſchon, um den dadurch ver- 
urſachten Rüdgang der Bevölkerungszahl aufzuhalten, beftändige Raubzüge geboten waren, 
und in der That war der Wunſch, Weiber zu erobern, ebenjo mächtig als Triebfeder in 
den unaufhörlihen Kriegen der Zulu wie der Wunſch nah Vermehrung der Herden. 

Die Ernährung der Soldaten gejhieht auf Kojten des Königs. Sie erhalten 
morgens Utſchalla, abends Rindfleiſch. Die Unteroffiziere haben für die Verteilung der 
Nahrung in ihren Rotten zu forgen. Das Fleiſch, meift in gefochtem Zuftande, wird auf 
Matten gelegt, von dem Unteroffiziere mit einer furzitieligen Aſſagaie zerlegt und an die in 
dichtem Kreife um ihn figenden Soldaten verteilt. Ebenjo wird das Bier rottenweiſe verteilt. 
Es gehört zu den harakteriftiihen Szenen des Zululebens, wie die Weiber in langen 
Reihen und mit einförmigem Gejange allmorgendlih und abendlih nah dem umzäunten 
Plate ziehen, wo die Soldaten ihre Mahle halten, jede einen großen Topf Utjchalla 
oder Bier auf dem Kopfe tragend. In Kriegszeiten treibt der Troß (Ejibuto), aus 
Meibern, Knaben und frühern Kriegsgefangenen bejtehend, der Armee die zur Ernährung 
nötigen Rinder nad); die Früchte des Feldes für diefelbe zu nehmen, ift Recht des Königs. 
Diejer Troß kocht und brät auch für die Krieger, ſchafft Waffer herbei und trägt die Matten 
und Deden, jo daß die Soldaten auf dem Marjche bloß ihre Waffen zu tragen haben. 
Was aber dort in der Feldausrüftung ebenfowenig fehlen darf wie bei uns die Ärzte 
und Feldichere, find die Zauberer, die vor dem Auszuge in ben Kampf die Gejundheits- 
reinigung (Ukukufula) an der gefamten freisförmig in der Nähe der Hauptftabt aufgeitellten 
Armee vorzunehmen und vor der Schlacht „Sieg zu machen” haben. Diejer Reinigung 
geht eine längere Zeit fortgefegte Kur mit Brech- und Abführmitteln voraus, die an 
jedem einzelnen Soldaten ausgeführt wird; dann folgt die Stärkung des dergejtalt von 
Übeln befreiten Körperd durch reichlihen Fleifch: und Viergenuß, endlich die große Rei— 
nigung und Weihe, bei welcher der König und alle Generale gegenwärtig find. Hier werben 
einem lebenden Ochſen Stüde aus der Schulter gefchnitten, mit bittern Kräutern auf 
Kohlen geröftet und bifjenweife an die Truppen verteilt. Auf Ausjpeien des bittern 
Biſſens fteht Todesſtrafe. Dann wird dem Zauberer noch eine Arznei gebracht, die mit 
einem Ochſenſchwanze über die Kriegerſchar ausgejprengt wird. Beides geſchieht unter 
Murmeln von geheimnisvollen Zeihen und Worten. 


Am entwideltiten unter allen Inſtitutionen der Zulu ift nächjt der Armee das Rechts— 
leben. Wenn ihm aud der graufame Zug nicht fehlt, welcher durch das ganze Leben und 
Weſen diejes Volkes geht, jo find doch vielleicht nirgends zahlreidhere Anklänge an 
zivilifierte Anfhauungen vorhanden und jcheinen fich nirgends paffendere Anfnüpfungs: 
punkte für zivilifierende Einflüffe zu finden. Ihre Nechtsbegriffe find oft nad) unfrer 
Anſchauung jo verwirrt wie möglich), aber es zeigt ſich ein jtarfes Bedürfnis, in Streit: 
fällen dasjenige zu finden, was fie für recht halten, und fie verwenden unter Umftänden 
eine jehr beträchtliche Zeit und Mühe darauf. Ihre Richter find die Häuptlinge und 
ber König, letzterm fteht die legte und höchſte Entjcheidung zu, und je nad) feiner Auf: 
faſſung wandeln fich die Gejege von einem Gejchledhte zum andern. So hat Ketſchwäyo 


Armee. Rechtsleben. 265 


viele Strafen gemildert, welhe unter Mpande und mehr noch unter Tichafa und Dingan 
galten; er verhängte die Todesitrafe nur noch über Dejerteure, Zauberer und Bergifter. 
Als Ketihwäyo im Jahre 1872 feinem Vater Mpande in der Regierung folgte, über: 
redete ihn der englifche Reſident Shepftone, unter andern Verbefferungen aud das Geſetz 
einzuführen, daß niemand ohne Prozeh getötet werden follte. Formell geſchah es, aber 
gerade diefe menjchlichite und natürlichjte Neuerung wurde nie verwirklicht, denn fie würde 
eine der ftärkiten Wurzeln des Königtumes angegriffen haben. Unter Tichafa dagegen 
wurde jeder Diebitahl mit Tod beitraft, freilich aber auch jedes Niefen und Näujpern 
in Gegenwart des Tyrannen und jedes trodne Auge beim Tode eines Anverwandten des 
Königshaujes. Bon folden Willfürlichfeiten abgejehen, beftehen die Strafen für leichtere 
Vergehen in Förperlicher Züchtigung, welche die Kaffern urjprünglich nicht fannten, oder 
in Sühnen mit Vieh. Für geftohlenes Vieh ift die doppelte bis zehnfache Anzahl zu 
entrichten, ebenjo wird Feldſchade mit einem Kalbe oder Rinde gutgemacht. Auch Belei- 
digungen werden mit Vieh gejühnt und, wenn die Angehörigen es wollen, jogar Mord, 
der übrigens in Friedenszeiten jelten fein joll, Nauhaus gibt von den Südoſtkaffern 
5—6 Rinder als Sühnegeld für Mord an. Ungeftraft bleibt Mord von Menjchen, 
welche die öffentliche Stimme bejchuldigt, andre bezaubert zu haben. Die Todesitrafe 
zeigt eine überraſchende Mannigfaltigkeit. Haldumdrehen, Hängen, Erwürgen, Genid: 
breden, Erſchlagen mit Heulen, Pfählen, Hinabftürzen von Felſen find einige der beliebtern 
Formen. Auch werden die Leichname der Hingerichteten den Raubtieren überlafjen. 
Ihr fonjtiges Gerihhtsverfahren fennt einen Eid auf verftorbene Eltern oder Häuptlinge 
oder auf den lebenden König, würdigt Präzedenzfälle und läßt einen Inſtanzenzug von 
beträchtlicher Kompliziertheit zu. Die Verhandlungen fließen in oratorischer Breite. Ein 
Mann, der eine Klage gegen einen andern zu erheben gedenkt, fammelt feine Freunde oder 
Nachbarn, die bewaffnet insgefamt mit ihm nad) der Hütte oder dem Dorfe des Beklagten 
gehen und dort an einem leicht ſichtbaren Plate fich niederlaffen, um ruhig die Wirkung 
ihrer Anwefenheit zu erwarten. Diejelbe läßt bei der Unverfennbarfeit der Abficht, in 
welcher fie gekommen, nicht lange auf ſich warten, und es fammeln fich in gleichfalls 
jhmweigender Erwartung die erwachienen Männer der Nahbarjchaft oder des Dorfes jenen 
gegenüber. Aus ihrer Mitte ruft nun den in der Regel nicht willlommenen Ankömm— 
lingen einer zu: „Sag’ uns die Neuigkeit!” worauf der Sprecher eine genaue Darlegung 
der Klage gibt, in welcher ihn feine eignen Genofjen dur eine Menge von Zufägen 
und Berbefjerungen, die der Gegenpartei aber durch endloje Kreuz: und Querfragen zu 
unterbrechen pflegen. Darüber hinaus gelangt jedod) die Verhandlung zunächſt nicht, denn 
wenn dieſer Gedankeraustaufch fich vielleicht auc einige Stunden fortgeiponnen, jchließt 
die Partei des Angeklagten doc unweigerlih, daß die urteildfähigen Männer nicht zu 
Haufe, dab bloß Kinder dafeien, die von fold wichtigen Dingen nichts verjtünden. 
Den andern Tag haben fie möglichſt viele Männer zuſammengebracht, darunter jolche, 
die als gewandte Wortfechter befannt find, und Gründe und Gegengründe find nad) allen 
möglichen Richtungen erwogen. Die verflagte Bartei beginnt ihre Auffaffung darzulegen, 
die klagende Partei hat neuerdings die ihrige vorzubringen und wird nun in der zähſten 
und jchlaueften Weife in jedem einzelnen Punkte zu widerlegen gejucht. Sit ein Redner 
ermübdet, jo tritt ein andrer ein und geht über das ganze ſchon beaderte Feld noch einmal 
mit der Pilugfchar neuer Argumente. Sind aber alle Gründe und Gegengründe auf 
beiden Seiten erfchöpft, fo zieht ſich die klagende zurüd, und beide erwägen nun Bor= und 
Nachteile der Stellung, welche fie gewonnen. Fühlt eine Partei, daß fie den Yall nicht 
halten kann, fo beginnt fie mit dem Angebote der geringit möglichen Entſchädigung. Kommt 
es zu feiner Enticheidung, jo ergeht von den Klägern Berufung an den Umpafati bes 


266 Die Zulu, 


Nahbarbezirkes, in deſſen Gegenwart nun der ganze Streitfall nebit bisherigem Berlaufe der 
Behandlung in denkbar größter Breite noch einmal durchgenommen wird. Die möglichit 
intimen Verhältniffe und befonders Mifverhältniffe ber Familien werden dabei mit großer 
Vorliebe behandelt. Glaubt der Umpakati Har in der Sache zu fehen, jo enticheidet er 
diefelbe, was aber ganz wohl eine Woche in Anſpruch nehmen fann. it er dazu nicht 
im ftande, ober ilt eine von den Parteien unzufrieden mit feiner Entiheidung, jo fann 
an ben Häuptling und die Natsverfammlung Berufung ergehen. Wenn der Kläger 
diefer ſich nähert, ruft er fchon aus Gehörweite: „Ich ftelle eine Klage!” worauf es zurüd: 
ruft: „Wegen was ftellit bu Klage?” Unter einem „Schreidialoge” nähert ſich jener mit 
feiner Gefellichaft, bis er auf einem zu biefem Zwede beftimmten Plage angelangt iſt, 
etwa 50 Schritt von der NRatshütte, wo er Halt macht und fich ruhig niederläßt. Kommt 
zufällig einer aus der Ratshütte heraus und geht an ber Klagegefellichaft vorüber, jo 
fragt er: „Wegen was Hagt ihr?” und dieſe erzählt ihm dann ihre Angelegenheit mit 
allen Nebenumftänden; das fann fi) mehrere Male wiederholen, und auch der Häuptling 
geht wohl vorbei, ftellt feine Fragen, ohne indeffen ftehen zu bleiben, jondern jegt fein 
Fragen wie diefe ihr Antworten aus ber Entfernung fort. Es fteht im Belieben des 
Rates, wie lange er dieſe diffufe Art von Verhör fortfegen will Endlich muß aber die 
Sache vor ihn ſelbſt gebracht werben, wozu die Gegenpartei herbeigerufen wird. Der 
Häuptling fißt oder liegt dabei anjcheinend ganz indifferent auf feiner Matte inmitten 
jeines Nates. Nun beginnt neuerdings Nede und Gegenrede unter Einreden, Fragen ꝛc. 
der Räte und unter Umſtänden auch des Häuptlinges, bis endlich die Sache fo weit zur 
Reife gebracht ift, daß leterer nun fein Urteil fällen fann. Sobald dies gefchehen, jtürzt 
die Partei, zu deren gunften der Spruch gefallen, zu feinen Füßen, bededt fie mit Küfjen 
und erhebt in übertriebenen Lobſprüchen feine Weisheit und Gerechtigkeit. Bon dem 
„großen Platze“ aber wird eine Heine bewaffnete Macht den GSiegern im Rechtsſtreite 
mitgegeben, welche der Enticheidung des Häuptlinges Folge zu verfchaffen und haupt: 
fählih auch deſſen Anteil an der auferlegten Strafe mit zurüdzubringen hat. Damit iſt 
dann erſt der Streit beendigt. Bei Mittellofigfeit des Verurteilten tritt die Familie für 
ihn ein. Prozekfchulden werden nie vergeffen und oft nad) Jahrzehnten noch eingetrieben. 

Mit graufamer Schärfe werden Vergehen gegen den König geahndet; bier trifft 
das Urteil nicht nur den Einzelnen, fondern fein ganzes Haus und feine Habe; alles 
wird „aufgegeffen”. Und nirgends ift die Willfür der Beihuldigung und Verurteilung 
größer als hier. Aberglaube jpielt dabei jelbitverftändlich die Hauptrolle. Als Grund 
für Pieter Retiefs und jeiner 66 Genoffen meuchleriiche Ermordung hatte Dingan 3.8. 
angegeben, daß diefelben Zauberer feien. Und fo groß jcheint ſelbſt noch vor ihren Leich— 
namen die Scheu bes Volkes geweſen zu fein, daß, als die Boeren zehn Monate fpäter 
Dingans Kral eroberten, fie die Leihen unberührt fo fanden, wie fie den Geiern hingeworfen 
worden waren. Nauhaus nennt die Anklage auf Zauberei „die kafferiihe Staatsmaſchine, 
um unliebſame Subjefte aus dem Wege zu jchaffen und ihr Vermögen zu konfiszieren“. 

Gardiner beobadıtete im Jahre 1834 in Dingans Hauptorte die Hinrichtung eines 
ber Brüder dieſes Häuptlinges und zweier Diener desjelben. Ein Haufe Scharfrichter, 
mit Keulenftöden bewaffnet, jchleppte die Opfer nad einem nahen Hügel, deſſen Abhang 
ganz mit den bleibenden Knochen früherer Opfer bededt war, und wo eine hohe Euphorbie 
die Lage des Richtplatzes bezeichnete. Da die beiden Diener hatten fliehen wollen, wurden 
fie unterwegs niedergemworfen und auf alle Teile des Körpers geſchlagen, um ihnen „die 
Kraft zu nehmen” Darauf fchleppte man fie zum Richtplatze und tötete fie mit Keulen— 
Ichlägen auf den Kopf, während des Königs Bruder auf feinen Wunſch ranggemäß erdroſſelt 
ward. Das Haupt der Henferbande nahm ihnen dann ihren Schmud ab und bradte 


Nechtöleben. Hinrichtung. Zauberer. 267 


ihn triumphierend in die Stadt zurüd. Da das Eigentum eines bingerichteten Hohen 
gänzlich eingezogen und jeder noch jo entfernt mit jenem Verwandte dem Tode geweiht 
wird, geſchah es auch jet, daß Dingan 30 Mann in die Gegend fandte, wo jeines Bruders 
Befit lag. Der Führer diejer Erefutionstruppe erzählte kurz darauf folgendermaßen die 
Ausführung diejes Befehles: ALS er den erften der Orte in des Hingerichteten Beſitze 
erreicht hatte, ging er bloß mit einem einzigen-Manne hinein, um Argwohn zu vermeiden; 
dann famen feine Gefährten einer nach dem andern, bis fie alle beifammen waren. Er 
eröffnete dann ben eriten Männern, baß er ihnen eine Botſchaft ihres Häuptlinges mit: 
zuteilen habe; fie möchten fid) alle an einem beftimmten Orte verfammeln, um fie anzuhören. 
ALS fie nun diefem Geheiße folgten, mifchten feine Leute fih unter fie und fuchten fie 
dur Darbietung von Schnupftabaf arglos zu maden; aber auf ein verabrebetes Zeichen 
ſtürzten fich die Morbbrenner des Gefeges auf die nichts Ahnenden und fchlugen fie tot. 
Spfort wurden dann die Hütten angezündet und Weiber und Kinder erbarmungslos hin: 
geſchlachtet. Dasfelbe Schickſal traf die Bewohner der übrigen der Zerftörung geweihten 
Dörfer, und nur wenige von ihnen follen fih durch Flucht gerettet haben. 


Der Zauberer ift auch bei den Zulu das Gefäß alles Wiſſens, aller Erinnerungen und 
Ahnungen. Der Kern feiner Kunft liegt in dem Verkehre mit den Geiftern der Abgeſchie— 
denen, welchen der Zulu einen weitreichenden Einfluß auf die Schidjale der Lebenden 
zufchreibt. Unzweifelhaft befigt er auch einiges wirklihe Wilfen, und mande Europäer 
haben die Wirkſamkeit feiner Kräuter= und Wurzelarzneien fhägen können. Er geht aus 
ärztlihem Stande hervor, von welhem der Stand der Zauberer eine höhere Stufe barftellt; 
diefer jheinen aber nicht alle zuzuftreben. Einige Ärzte verftehen fich auf gewiſſe Krankheiten, 
3. B. Würmer, beſſer ald andre, und zu diefen werden die Leidenden von den Zauberern 
geſchickt. Es ijt aber zweifelhaft, ob diefes Wiffen über die Kenntnis einiger heilfräftiger 
Stoffe hinausgeht. Bleek behauptet einmal von den Natalfaffern, daß ihre Doktoren ſonſt 
bloß Tiere jezierten, daß aber einige in Kriegszeiten im geheimen auch Menſchen jeziert 
hätten. Dies ift eine vereinzelte Behauptung. Jedenfalls begnügen fie fih ebenſowenig 
wie ihre Kranken mit natürlichen Mitteln, jondern wirken nad) ihrer Meinung am tiefiten 
und fiherften durch Vermittelung übernatürlicher Kräfte, durch welche auch andre Übel als 
Krankheit, wie Liebesgram, Haß, Neid, ihre Heilung finden können. Viel weiß das Volf 
jelbit, aber das Beite hat eben der Zauberer als Geheimnis inne. Die Menge der Vor: 
bedeutungen ift jo groß, daß das Leben dieſer Menſchen von allen Seiten her durd) fie 
eingeengt wird (vgl. dazu unfre Ausführungen, S. 187). Hier nur einige Beifpiele. Das 
Milcheifen bei Donner zieht den Bli an. Wer Milh (Amafi) in einem fremden Krale 
ißt, wird dort ein Verbrechen begehen. Den Tag nad) einem Hagelwetter darf das Feld 
nicht bearbeitet werden, um nicht noch mehr Hagel anzuziehen. Wer einen Habicht tötet, 
muß fterben. Wenn fi ein folder Vogel in einem Krale niederläßt, ift es ein Zeichen 
von Unglüd für deffen Befiter. Hahnenfchrei vor Mitternacht bedeutet Tod für Menſch 
oder Vieh. Diefelbe üble Bedeutung wird dem Hinaufipringen eines Hundes oder Kalbes 
an einer Hütte und der Ericheinung eines Kanindhens in einem Krale beigelegt. Der 
Schnurrbart eines Leoparden bringt dem, der unbewußt davon in feiner Speife genießt, 
Krankheit und Tod; wer ihn aber mit etwas von dem Fleiſche diejes Tieres genießt, 
wird mutig und bat Glüd auf der Jagd. Hunde, welde Schnäbel und Klauen von 
Vögeln freiien, werden dadurch ftarf und mutig. Wer in Dornen tritt, muß biejelben 
effen, um ſich für das nächte Mal davor zu ſchützen. 

Eine Anzahl von Tieren wird geſchont, ja verehrt, weil man glaubt, daß 
Geifter BVerftorbener in ihnen ihre Wohnung aufgefchlagen haben. Wenn Schlangen 


268 Die Zulu. 


gewiffer Arten in ihre Hütten friechen, begrüßen fie diefelben mit den Worten: „Der Geift 
unjers Freundes ilt uns befuchen gefommen“. In Löwen und Elefanten jehen fie Ver: 
förperungen mädtiger Häuptlinge. Doch beten fie auch zu unverförperten Schatten ihrer 
Vorfahren oder berühmter Könige, opfern ihnen und erwarten Hilfe von ihnen in allen 
Krankheiten und Bedrängniifen. Es gibt eine Sage, nad) welder die Schatten unter die 





Erde gehen und dort mit allen Vorfahren ganz wie auf der Erde (oder glüdlicher) leben, 
nur daß fie jelbft, ihre Herden, ihre Hütten und alles zwerghaft Hein find. Einft wurde 
ein Mann von einem großen Löwen mit in eine Höhle genommen, wo er dies alles ſah; 
aber jehr bald jandten ihn die Geifter mit ein wenig Speife wieder in die Oberwelt. 
Sie geben den Schatten oder Geiftern Verftorbener die Namen Ihloſi (Mehrzahl: Amah— 
lofi) oder Jtongu und nehmen an, daß diefelben durch Gebet und Opfer unter die Lebenden 
zurüdgebraht und veranlaßt werden können, benjelben in Krankheit und jonftigen 
Schwierigkeiten zu helfen. Das willlommenjte Opfer, das fie erlangen fünnen, find die 
Herdentiere und vor allen Kühe und Rinder, unter welchen in der Negel der angerufene 


Aberglaube. Spuren eined Neligiondfyftemes. 269 


Geift durch den Mund des Zauberer dasjenige bezeichnet, welches er am liebiten geopfert 
haben möchte. Wir haben früher (j. S. 183) einige der dabei beobachteten Gebräuche nach 
eigner Mitteilung eines Zuluzauberers verzeichnet. Am bemerfenswerteften und allge: 
meinften ift davon die Hochhaltung der Galle, welcher am allermeiiten die Fähigkeit zu- 
geichrieben wird, den Zorn der Geifter zu bejänftigen, ihren guten Willen zu gewinnen. 
Man trinkt davon und bejprengt fih damit und trägt die Gallenblaje als Schmud 
(j. ©. 246). Hat das Tier auffallend wenig Galle, jo jagen fie: „Die Amahlofi haben 
die Galle getrunken, als das Tier noch am Leben war”. Diejer Glaube deutet an, daf 
fie einen Unterfchied zwijchen den Geijtern machen, indem bier böje, ungünftige gemeint 
find. Eiderli gilt ihre Anrufung oft fpeziell den Schatten oder Geijtern ihrer Eltern 
und Vorfahren. Doc) ift darüber feiner der Beobachter fih Har. Im Vergleiche zur praf: 
tifhen Wichtigkeit diefes Ahnenglaubens fteht weitab vom Tagesleben ihre Urjprungsjage, 
welche einen Unkulunkulu, den „Großgroßen“, 
annimmt, der aus einem Stabe oder Rohre 
hervorging, und dem einige eine ebenjo ent= 
ftandene Umvelifangi (Erzeuger) als Weib 
zugejellen; beide lebten in einem Garten (chrift: 
lihe Erinnerung?) voll herrliher Früchte zu: 
jammen und vermehrten ſich. Es ift wahr: 
Iheinlich ein Jrrtum, wenn andre von einem 
einzigen Schöpfer oder Erzeuger, Umvelifangi, 
ſprechen. Nicht nur in Krankheitsfällen, ſon— 
dern auch bei manden andern dur ihre 
Wichtigkeit idealer Verknüpfung ſich empfeh: 
lenden Gelegenheiten wird mit diejen Geiftern 
verkehrt, jo beim Einzuge in ein neugebau: 
tes Dorf oder jelbit in eine neue Hütte, jo vor . 
der Schlacht (ſ. ©. 264), beim Erntefefte (. : 
©. 250), bei Schliefung von Ehebündnijjen ꝛc. er ge ee — a 
Das Klima des Zululandes läßt Negenmacder 
bier minder nötig erjcheinen al3 wejtlih von der Katlambalette, und wo ſolche Yeute auf: 
treten, find e8 daher in der Regel Betjchuanen, die aus jenem wafjerarmen Gebiete fommen, 
Die „Schule des Zauberers“ ſchilderte ein Eingeborner, der voll Glaubens an 
diejfe Dinge war, in folgenden Worten: „Es geichieht, daß der Kandidat für diefes Amt 
franf ijt bis an das Ende des Jahres, und dann unterzieht er fich dem Unterrichte in der 
Heilfunft, damit er die Heilärzte übertrifft. Und wenn er dann erfcheint, jo erfcheint er 
mit dem MWunjche, in Pfügen zu gehen. Er fommt zurüd, Schlangen bringend und mit 
weißem Thone bejchmiert. Und nun gehen fie zu den Prieftern. Sie jagen: ‚Mein 
Freund, diefer Mann wird ein Priefter‘. Und dann wird er genommen, fortgefandt und 
zu jenen gebracht, welche Priefter geworden find. Und wenn er zu dieſen fommt, nehmen 
fie ihn und gehen und werfen ihn in die Wafjer des Meeres, und nachdem fie ihn hinein: 
geworfen, lafjen fie ihn darin; noch fieht man ihn an diefem oder einem nächſten Tage. 
Nach einigen Tagen fommt er als Priefter und praktiziert. Nachdem er angekommen, 
beginnt er unter den Gejängen zu tanzen, die er mitgebracht, und das Volk klatſcht mit den 
Händen dazu. Er ſchlachtet Kühe, Ziegen und alles außer Schafen. Die Urſache, warum 
dieſe gelafjen werden, ift, weil fie nicht jchreien, wenn man fie tötet. Er muß etwas haben, 
das jchreit, wenn es gejchlachtet wird. Mit den Blajen und Gallenblajen bevedt er feinen 
Kopf, bis fie in allen Richtungen herabhängen. Er geht in Tümpel voll Schlangen und 





270 Die Zulu. 


Aligatoren. Und wenn er nun eine Schlange fängt, hat er Macht über fie; oder wenn er 
einen Alligator fängt, hat er Macht über ihn; oder wenn er einen Leoparden fängt, hat er 
Macht über Leoparden; oder wenn er eine tödlich giftige Schlange fängt, hat er Macht über 
die giftigften Schlangen. Und fo erhält er feinen Rang: den Nang der Leoparden, damit 
er Leoparden fängt, und den Rang der Edjlangen, damit er Schlangen fängt.“ 

Um nit mit diefer wilden und wüften Phantaftif der Zulufeele zu fließen, laſſen 
wir bier in treuer Überfegung nad) Grout einige Gefänge der Zulu folgen, welche wenigftens 
um einen Grad unferm Verſtändniſſe näher find als diefer heibnifche Herenfabbat: 

Gefang zu Ehren des Königs. 


Heil, Herr! Heil, großer König! Du bift ſchwarz; 
Du wuchſeſt, während andre ruhten; bu bift gleich 


| Bogel von Maube, rafch wie eine Flintentugel, 

Schlank, aufrecht, von ſchönen Gliedmaßen; 

Dein Vieh gleicht ben Bienenmwaben, 
einem Berge, Eine Herde zu groß, zu dicht, um ſich zu bewegen. 

Du dunkles Grab von Nobamba! Verzehrer Umzilifafes von Matſchubana; 

Stets feſſelnd die Knöchel von Feinden daheim und | Verzehrer Swaſis, Sohnes von Sobufa; 
ferne, Berbreder der Thore von Matjchubana; 

Schwarzflediges Nind von Zwa Ngenbaba, Verzehrer Gundanis von Matjchubana; 

Du tödlicher Zerftörer Makandas und Unfeles. Verzehrer Golelad von Matſchubana; 

Gefräßiger Berzehrer der Wurzel, des Zmeiges; | Verzehrer Pufuluyelelas von Matjhubana; 

Menzis Sproß! Plündernd, bis alles geplündert; | Verzehrer Nzimafanad von Ludibini, 

Du Quelle von Nobamba, von welcher trinfend | Ein Ungeheuer an Größe, von mächtiger Kraft; 

Tot ich hinſtürzte in den Schatten der Punga. Verzehrer Ungwatis von altem Stamme; 

Verzehrer des königlichen Nomafu; 
Fodgefang auf Tſchaka. Wie der Himmel droben, regnend und ſcheinend. 

Du bift grün wie die Galle der Ziege; 

Schmetterling von Bunga, mit Kreiöfleden geziert; 

Wie beim Zwielichte gezeugt von ben Schatten ber 
Berge 

Im Düfter des Abends, wenn die Zauberer unter: | 


Aus einem Gefange auf Mpande. 
Du, Tſchakas Bruder, bedächtiger Überfchreiter!? 
Eine Schwalbe, die flog am Himmel, 

Eine Schwalbe mit bärtiger Bruft; 


wegs. Deſſen Vieh ſchreitet in ſo gedrängten Haufen, 
Suchsäugiger Sohn Pungas und Makebas, Sie taumeln nah Play, wenn fie laufen... 
In deffen Beſchauung id) ftetö bezaubert bin. Vom Stamme Noabafita®, cherner Ladejtod, 


Welche herrlichen Glieder! O Kalb von der Kuh! Überfebenber aller andern Labeftöde, 
Das Ausfchlagen diefer Kuh verwirrt meinen Kopf, | Die andern brachen fie und ließen diejen in der Soot, 





Sie ſchlägt den Melker und zieht vor den, der fie | Denkend, ihn an einem Regentage zu verbrennen, 
hält, Fleiſch des Büffels von Inkakavini! 
Immer herrlich, wenn es nur geröſtet, 
Lobgeſang auf Dingan. Immer ohne Geſchmack, wenn gekocht. 
Du Sproß der Wölfin, Mankebes Weib iſt entzückt, 
Erſpäher der Rinder der Menſchen, Sie hat die Leoparden Jamas geſehen ꝛc. 


Nahdem eine lange Reihe von Häuptlingen aufgezählt ift, die mit Mpande gegen 
Dingan fochten, und einzelne gepriefen worden, „deren Rinder Stadeln in den Schwanz— 
büjcheln bergen”, oder den Bienenfhwärmen verglichen worden, jchließt der Hymnus: 


Ich preife dich, König! Jolwanes Sohn, Undabas ! Ein Wirbelwind! Der Büffel! 


Sohn, Einige verlaffen und heimmärtö gehend; 
Erbarmungslofer Feind jeder Verſchwörung. Einige jagen weiter und treffen; 
Du bift ein Elefant, ein Elefant, ein Elefant, Mir ſchießen den ſich erhebenden; 
Allen Ruhm dir, Monarch, der du ſchwarz biſt. 


Wir laſſen den angeſchoſſenen liegen. 
Geſang auf der Büffeljagd. Hurra! ıc. 
Hurra! Hurra! Hurra! 


! Beim Mellen hält manchmal einer die Kuh an Hörnern und Nafe, während ber andre fie melft. Es 
find bier zwei Diener oder Hauptleute des Königs gemeint, deren einen er ganz nad) Laune wegwirft, um 
den andern zu befördern, 

Des Tugela (f. S. 241). 


Die Süboftlaffern. 271 


9, Die FSũdoſtkaffern. 


Inhalt: Die Kofa (Amalofa), — Erfte Berührungen zwiſchen Kaffern und Europäern. — Hahabe und 
Galeka. — Erfter Kafferntrieg. — Gaila. — Ndlambe. — Zweiter Kaffernkrieg. — Maquoma:Sandili. — 
Gründung von Kaffraria. — Dritter Kafferntrieg. — Das Notjahr 1857. — Fortichritte der Zivilifation. — 
Die Fingu. — Die Bondo, — 


Indem wir die Zulu gleihfam als Typus einer Gruppe der ſüdafrikaniſchen Neger 
heraushoben, der einer ausführlihern Betrachtung zu unterwerfen war, löften wir, gegen 
die geographiiche Anordnung verftoßend, welder wir im allgemeinen folgen, ein mitt: 
leres Glied aus einer größern Reihe oder Kette von Völkern heraus, welche, jo wie fie in 
geographiicher Verbreitung einander gleichen, auch in anthropologifher und ethnographifcher 
Hinficht jehr nahe verwandt find. Was diefe meiftgenannten von allen, die Zulu, von 
den Kaffern im allgemeinen unterjcheidet, ift wefentlic nur ihre Fräftigere Zufammenfaffung 
unter ſtarken Herrichern zu einer einzigen Nation, und daraus folgt natürlich eine Reihe 
von gemeinfamen Eigentümlichkeiten äußerliher Art, wie fie in Tracht, Bewaffnung 
und bergleihen der Wille des Herrſchers oder die Macht der Gewohnheit im engern 
Zujammenleben erzeugt. Auch felbft diefer verfittende Faktor der ſtarken politifchen Zus 
fammenfaffung fehlt nit bei einigen nörblid von den eigentlihen Zulu mwohnenden 
Stämmen, wie 3. B. den Matabele, die jedoch kleiner ober zerftreuter find. Als politijche 
Einheit jtehen die Zulu einzig da, und gerade dies hat fie zu einem Gegenftande hervor: 
ragender Aufmerffamfeit gemacht, fo daß wir über fie eine reichlichere und neuere Littera= 
tur befigen als über jedes andre Volk Afrikas. Diefe Gründe mögen ihre Sonderftellung 
als Typus der Südoftfaffern rechtfertigen, deren übrige Hauptftämme nun wefentlih nur 
nad ihrer geographifhen Verbreitung und geſchichtlichen Bedeutung furz zu überfchauen 
fein werden. Wir wiederholen, daß alles, was von Charakter, Sitten, Anfhauun: 
gen der Zulu gejagt wurde, im ganzen ebenjo von den übrigen Südoſtkaffern 
gilt, wie etwa eine allgemeine Charakteriftit der Bewohner Preußens aud) auf die übrigen 
Deutichen, vorbehalten die lofalen Abwandlungen, Anwendung finden fönnte und dürfte. 

Die Portugiefen und Holländer trafen dunfle Nölferftämme an der Oft: und Süd— 
oftfüfte Afrifas und madten fie in Europa unter dem Namen der „Kaffern‘, d. h. Un— 
gläubigen, bekannt, welchen ihnen die Araber beigelegt hatten. Sie gingen nad) Weſten 
über den Großen Fiſchfluß hinaus, doch nie erheblich weit, fo daß derfelbe ihnen ſchon 
1780 als Grenze bejtimmt ward, und bies bezeichnet auch die Südgrenze ihrer Ver: 
breitung. Die Zufammengehörigfeit der mit den Holländern und fpäter den Engländern 
jeit Ende vorigen Jahrhunderts in endlofe Grenzitreitigfeiten geratenen ſüdlichſten Ab— 
teilungen diejer Kaffern mit den von den Portugiefen weiter nördlich beobachteten erfannte 
man bald, und die Ähnlichkeit ihres Außern, ihres Charakters hat zu endlofen Ver: 
wechjelungen Anlaß gegeben, wodurch ihre Gefhichte jehr unklar geworben ift. Da fie 
viele Kämpfe untereinander durchfochten, fo rieben einzelne Stämme andre entweder auf, 
oder abjorbierten fie, wie es noch neuerdings den Pondo durch die erobernden Zulu erging. 

E3 iſt in diefer Verwirrung ein fefter Punkt, daß die Koſa (Amakoſa, Amaroja!) 
ftetS als die ſüdlichſt Wohnenden zu erkennen find. Sie, deren Name ſchon im Jahre 
1687 al3 Magoſe (für einen an der Südoſtküſte wohnenden Kaffernſtamm) vorkommt, 


In diefem Namen ift Ama das Präfig für Leute, während Koſa (Kofa, Kufa) auf den Namen eines 
Häuptlingesd bezogen wird, fo daß der Sinn ded Namens wäre „Leute des Koſa“. Die Benennung eines 
Stammes nad; dem Namen des Häuptlinges fehrt bei vielen, vielleicht den meiften Negern wieder. 


272 Die Südoſtkaffern. 


find diejenigen Kaffern, mit welden die Europäer in Südafrika zuerjt in Berührung 
famen, und ihre MWohnfige ergeben ſich ſchon aus diefer Thatſache al3 die am weiteſten 
ſüdlich vorgeihobenen. In der That wohnten die Völker diefer Gruppe einjt nad Süden 
und Welten bis über den Großen Fiihfluß und bis an den Fuß der Schneeberge. Sie 
find aber im Laufe der Kämpfe mit den Europäern immer weiter nad) Norden und Oſten 
zurüdgedrängt worden, jo daß ihr Gebiet heute im allgemeinen durch folgende Grenzen 
bezeichnet werden kann: im Süden der Kei nebit jeinem Nebenfluffe Indwe, im Norden 
der Umtanfunafluß, im Oſten das Meer, im Weiten die Drafenberge. innerhalb diejer 
Grenzen wohnten einjt zwei große Zweige diejes Stammes, welche ala Galefa und Hahabe 
unterichieden wurden, von welden aber nur die erftern als jelbjtändiger Stamm nod) 
beftehen, während die andern unter Verfchwinden des Gejamtnamens in eine Anzahl von 
Heinern Stämmen auseinander gegangen find. Bon biejfen kleinern Stämmen, deren 
mehrere in den Kriegen mit den Zulu ganz vernichtet worden zu fein fcheinen, während 
andre in der Zahl von wenigen Hunderten fid in die Storm: und Zuurberge zurüd- 
gezogen haben, gehören hierher die Stämme der Nolambe, Mbalu, Gwali, Dufchane, 
Gaika und andre. Die Zahl der Galefa wurde 1856 auf 70,000, die Gejamtzahl aller 
kleinern Stämme ber Koſa auf 140,000 geſchätzt. 

Die holländijchen Koloniften famen mit den Kaffern zuerjt in Berührung, als fie bis 
zum Sonntagfluffe vorgedrungen waren. Es war der Stamm der Koſa, auf welchen fie 
hier trafen, und es dauerte nicht lange, bis fie die Erfahrung machten, daß dies ein ganz 
anders geartetes Volk fei als die Hottentottenftämme, mit denen fie bisher ausſchließlich 
in Berührung gefommen waren. Während die Boeren feit dem 17. Jahrhundert fih in 
nördlicher und öftliher Richtung ausbreiteten, waren die Kaffern ſchon feit früherer Zeit 
in Bewegung nad Süden und nad) Weiten. Und weil ihre eigne Zahl und die Zahl 
ihrer Viehherden ſich vermehrte, jo waren fie von berjelben Notwendigkeit nach Erwei- 
terung ihrer Weidepläge getrieben wie die Boeren. Ein Zufammenftoß mußte fich hieraus 
mit Notwendigkeit ergeben. Dieje beiden Ströme nomadiicher oder mindejtens nomabi- 
jierender Völker kamen in gefährlich nahe Berührung, als die Koſa in der Mitte des vori- 
gen Jahrhunderts den Großen Filchfluß überfchritten und ſich in den grasreichen Gebieten 
ausbreiteten, welde damals von den Gonaqua-Hottentotten, man fagt entſchädigt durch 
einen Teil der Herden der Kofa, verlaffen worden waren. Es ift dies der heutige Bezirk 
von Albany. Xängere Zeit, ald man bei dem Charakter diefer Bevölferungen und ihrem 
gleihartigen ftarfen Bebürfniffe nach weitem Lande meinen follte, lebten fie friedlich neben: 
einander und bewohnten und bemweideten jogar in bunter Mifhung diefelben Landitriche. 
Diejer Zuftand fand aber ein Ende in dem Augenblide, wo die Regierung der Kolonie 
dem Wunjche der Boeren nad) Hinausfchiebung der Grenze nachgab und diefen Bezirk 
einverleibte. Jene betrachteten fi nämlich jegt als gejegliche Herren des Landes und 
fuchten fih ihrer ſchwarzen Nahbarn zu entledigen. Ob dies in der unglaublich brutalen 
Weiſe geihah, wie Thompfon auf Grund des Zeugniffes des Miffionares Bromnlee 
angibt (die Boeren follen die Kaffern zu einer freundfchaftlihen Beſprechung eingeladen 
und ihnen Geſchenke angeboten haben, in dem Nugenblide aber, wo diefe mit den legtern 
beichäftigt waren, eine Salve auf den bunten Haufen abgefeuert haben), iſt glüdlicher: 
weife nicht ganz fiher. So mande Vorgänge in der Gejchichte der Beziehungen zwiſchen 
Eingebornen und Weißen laſſen freilich eine ſolche Kampfweiſe nicht als ganz undenkbar 
ericheinen. Als Zeitpunkt diefes Zufammentreffens fann die Mitte des vorigen Jahrhunderts 
angegeben werden. Wer auf eine genaue Jahreszahl für diefes denfwürdige Datum Wert 
legt, kann ji das Jahr 1754 merken, in welchem das Land bis zur Algoabai von der 
Kapregierung in Befig genommen wurde. Als 1778 der Gouverneur von Plettenberg 


Die Koſa und bie Boeren. 273 


diefes Gebiet bereifte, geihah e3 zum erjtenmal, daß ein Gouverneur der Kapfolonie offiziell 
mit den Häuptlingen der Kaffern zufammentraf, und bier wurde nun jene Grenze feſtgeſetzt, 
die es auch eine Reihe von Jahrzehnten blieb, „nicht weil von Plettenberg fie feitgejegt 
hatte”, wie Theal, der Hiltorifer des Kaplandes, es treffend ausdrüdt, „jondern weil auf 
der andern Seite eine Raſſe ftand, welche fähig war, gegen die Eindringlinge ftandzuhalten. 





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Rofalaffern (nah Photographie im Befihe des Miffionsdireltor Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 


Wären nur Hottentotten hier gewejen, der Fiſchfluß würde überjchritten worden jein wie 
jo mander andre, ungeachtet aller entgegenftehenden Beitimmungen.” Von diefem Zeit: 
punfte an kann man die Geſchichte Südafrifas weſentlich als ein Ringen zwijchen den 
Europäern und den Kaffern auffalfen. Die bisher im Vordergrunde geitandenen Hotten- 
totten treten zurüd, weil fie, mit einziger Ausnahme der Namaqua, zwiſchen diefen beiden 
ſtarken Völkern ſchon jo weit zu nichte gemacht find, daß fie nicht mehr gefragt werden, ob 
fie ihr Land geben wollen oder nicht. Schon längere Zeit waren fie im Kontakte mit den 
Bollertunde. L 18 


274 Die Südoftlaffern. 


Kaffern teilmeife von diefen abjorbiert worden, und Sparmann fand 1775 weitlich von 
Großen Fiihfluffe eine ftarfe gemifchte Bevölkerung von Kaffern und Hottentotten. 

Die Koſa wurden in diefem wichtigen Zeitpunfte von dem greifen Häuptlinge Palo 
geführt. Seine Söhne Galeka und Hahabe (Rababe der folonialen Geſchichtſchreiber) 
gerieten in Zwiſt, da jener zwar der Sohn bes Hauptweibes, gleichzeitig aber ber viel 
weniger herrichfähige war. Zum Heile der Kolonijten trennte fid das Volk der Koſa in 
zwei Hälften, und nad) erbitterten Kämpfen ging ber unter Hahabe ftehende Teil über den 
Kei, wo damals Hottentotten und einzelne Kleine Kaffernftämme in bunter Miſchung durch: 
einander wohnten. Hahabe warf die Hottentotten zurüd, welche hier zum leßtenmal in 
größerer Zahl gegen ihre weißen und braunen Unterbrüder zufammenjtanden, und der Reſt 
der Hottentotten ging in den Eroberern auf, unter denen einige von ihnen hervorragende 
Stellungen einnahmen, während die Maſſe durch zahlreiche Ehebande fich mit den dunfeln 
Eindringlingen verband. Palos Todesjahr ift nicht volllommen ſicher, doch dürfte er 
Anfang der fiebziger Jahre geftorben fein; ficherlich fielen diefe Kämpfe noch in feine 
Lebenszeit, denn es wird erzählt, daß er jenfeit des Kei bei feinem Sohne Hahabe geftorben 
ſei. Dieſer regierte fein Volk weile und mußte größere Kämpfe mit den Weißen zu ver: 
meiden. Ende des vorigen Jahrhundert wurde er aber in einen Krieg mit den Tembu 
verwidelt, aus denen ein Häuptling eine Tochter Hahabes zum Weibe erhalten, aber 
ſchmählicherweiſe bloß mit einer Gegengabe von hundert Rindern erwidert hatte. Hahabe 
fiel in dem darüber entbrannten Kriege, und ihm folgten fein Sohn Ndlambe und fein 
Enfel Gaika, unter denen fih das. Schidjal der Kofa im Kampfe mit den Weißen ent: 
ſchied. Hahabes „großer Sohn’ Mlan war vor ihm geftorben und hatte einen Sohn von 
zehn Jahren als Herrfcher aller Kofa weitlich vom Kei, die fih nun Ama-Hahabe nannten, 
binterlaffen. Für ihn führte die Regierung Hahabes jüngerer Sohn, Nolambe, wurde 
aber von einem Teile des Volkes nicht anerfannt, der nach Kaffernfitte, um biefer Herr: 
ſchaft ſich zu entziehen, weitwärts zog und dort jenfeit des Großen Filchfluffes mit dem 
aus Kaffern und Hottentotten gemiſchten Volke zufammentraf, welches von den Kolonijten 
Gonaqua genannt ward. Mit diefem verband er fi, und durch organifierten Viehraub 
wurden fie eine Plage der Koloniften. Die Kolonialregierung, ohne tiefere Einficht in 
diefen Stand der Dinge, glaubte von dieſer Plage ſich durch einen Friedensfhluß mit 
Nölambe zu befreien (1793); berjelbe blieb aber ohne Wirkung, weil die Grenzftänme 
diefen Häuptling nicht anerfannten. Indeſſen war Gaifa erwachſen, und da Nölambe ihm 
nicht die Regierung ganz überlaffen wollte, fam es zu neuem Bürgerfriege. Nolambe floh 
1796 mit feinen Anhängern nad Weſten, wo er das ganze Gebiet vom Fiſchfluſſe bis 
zur Algoabai in Befig nahm, das die Koloniſten ihm in paniſchem Schreden überließen, 
und die bort vorhandenen Miſchſtämme von Kaffern und Hottentotten aufnahın. Einer 
feiner bebeutendften Anhänger wurde der jchon vorher hier anfäflige Häuptling Kungwa, 
derjelbe, welder jpäter den Engländern an der Algoabai die erite Schlappe beibradhte. 

Zu dieſer Zeit hatten die Engländer die Kapfolonie in Befig genommen, und 1797 
fandte der Earl of Macartney feinen Privatjefretär Barrow nad) der Oftgrenze, um Frieden 
zu ftiften. Aus Unkenntnis der Gewohnheiten der Kaffern ließ Barrow ſich verführen, Gaifa 
als „König“ aller Stämme weitlih vom Kei und demgemäß Nolambe und Genoijen als 
Rebellen zu betrachten, um deren „Zurüdführung zum Gehorfam“, d. h. in die Macht Gaikas, 
man fich vergeblihd bemühte. Während diefer Berhandlungen ſchwoll indes Nolambes 
Macht nur immer mehr an, da Gaifa durch Ehebruch mit Nolambes, feines Oheims, 
Hauptweibe ſich in den Augen der Kaffern eines ſchweren Vergehens ſchuldig gemacht hatte. 
Im Jahre 1799 fiel ein Treffen zwiſchen Kaffern und Engländern in der Algoabai ungünftig 
für die legtern aus, und für einige Zeit blieben die eritern nun im Befite ber öftlichiten 


Galela und Hahabe. Ndlambe und Gaita. Kaffernkriege der Engländer. 275 


Bezirke der Kolonie. Erſt 1811 beſchloß die Regierung in der Kapftabt, energifch gegen die 
unrehtmäßig auf dem Boden der Kapfolonie figenden Kaffern vorzugehen; in den Kämpfen 
diefes Jahres fiel Kungwa, während Nolambe mit angeblid 20,000 feines Volkes über den 
Großen Fiſchfluß zurüdging. Als Stügpunft gegen eine erneute Rückkehr derfelben wurde 
im Jahre 1812 Grahamstomn am Kowiefluffe gegründet. In all diefen Kämpfen hatte 
Gaika, mit welchem die Regierung des Kaps Beziehungen unterhielt, fih ruhig verhalten, 
wonach legtere im Jahre 1817 mit ihm einen Vertrag ſchloß, nad) welchem jeder Kral, in dem 
geitohlenes Vieh gefunden wurde, für die Rückgabe desfelben verantwortlich gemacht werben 
jollte. Allein Gaifa, welder zu diefer Zeit in Krieg mit den Galeka verwidelt geweſen 
und außerdem durd Ndlambes Rüdkehr geſchwächt war, befaß weniger Autorität, als 
die Regierung ihm zutraute, jo daß bie- 
jer Vertrag nicht den gewünſchten Erfolg 
hatte. Nolambe fand eine große Anzahl 
von Anhängern unter den Häuptlingen, 
welche bisher auf Gaikas Seite geftanden 
hatten; vor allen fiel ihm deffen eigner Sohn 
Nduſchane zu und, was vielleicht noch wich: 
tiger war, der ſeltſame Prophet und Zau— 
berer Mafana, defjen wir früher gedacht 
haben. Gaifa, der damals in den Ama- 
tolabergen feinen Hauptfral hatte, wurde 
durh Makanas Lift aus diejer gejchügten 
Situation herausgelodt, indem die Herde 
eines feiner Häuptlinge durch Ndlambes 
Leute weggetrieben wurde. Gaika ging in 
die Falle, er 309 mit Heeresmacht aus, um 
fih an jeinen Feinden zu rächen, wurde 
aber von dieſen unter Nolambe auf der 
AmalindesEbene am Chumiefluffe gründ: 
li geſchlagen (1818) und floh nad) Weiten, 
um die Hilfe der Kolonialregierung zu er &ijo Sogar, Raffernpalor (nad Photographie im Befihe 
bitten. Diefe, noch immer in der täufchene des Miffionspireftord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 
den Borftellung befangen, Gaifa jei ein 

großer Mann in feinem Volke, der „König der Kaffern“, jandte jofort eine Feine Macht, 
welde die Krale der Leute Nolambes verwüſtete und mit 23,000 Häuptern Vieh zurüd: 
fehrte. Diefe unfluge Einmifhung in die innern Streitigfeiten der Kaffern führte aber 
nicht zum Ziele, denn Gaika wurde keineswegs als Herrſcher der Koſa anerkannt. Biel: 
mehr erregte diefelbe nur den Haß der Partei Nolambes, welche, ftatt fih um Gaika zu 
fümmern, mit voller Macht gegen die Weißen vorging und in einem wütenden Angriffe 
unter Makana auf Grahamstown (1819) zum erjtenmal die Gefahr zeigte, welche in dem 
Mute und der Organijation des Kaffernvolkes der Europäerherrfchaft in diefen Gebieten 
drohte. Der Angriff wurde jedoch abgejchlagen, wobei gegen 2000 der Angreifer fielen, 
und noch in demfelben Jahre drangen die Kolonialtruppen in Nolambes Land vor, trieben 
die Eingebornen zurüd und nahmen ihnen 30,000 Rinder. Die Leute Nolambes traten aber 
in Allianz mit den Galefa und hatten nun an denjelben einen Rüdhalt, ohne welchen 
fie ſich wahrjcheinlid in den Gebirgen zerjplittert haben würden. Zu dieſer Zeit entdedten 
engliihe Miffionare zum erftenmal den politifchen Fehler, welchen die Kolonialregierung 
mit ihrer fonjequenten Bevorzugung Gaifas gemacht hatte, der auch jegt bei den Kaffern 

18* 





276 Die Süboftlaffern. 


in geringerm Anjehen ftand als Nolambe, und die freundlichen Beziehungen, welche darauf 
mit legterm und jeinen Freunden angefnüpft wurden, trugen mehr dazu bei, den Frieden 
zu erhalten, als die unpraftiiche Einrichtung, daß man beide Parteien durch einen von beiden 
Seiten unbevölferten Landftreifen am Großen Fifchfluffe voneinander zu trennen ſuchte. Es 
folgte eine der gedeihlichiten Zeiten, welche bie Kaffern in diefen Teilen Südafrifas erlebt 
haben; ihr Wohlſtand wuchs, und die Miffionsarbeit breitete fich zufehends unter ihnen 
aus. Aber ſchon Ende der zwanziger Jahre begannen fi die Wirkungen der unter den 
Zulu in aller Stille herangewachſenen Militärmadht geltend zu maden. Ein Volk, Namens 
Ngwana, welches von den Zulu aus feinen Wohnfigen am untern Tugela vertrieben worden 
war, ftürzte fih unter feinem Häuptlinge Matiwana auf die Tembu und drohte nach deren 
Niederwerfung bereit3 den Galefa mit demjelben Schidjale, als die Kolonialtruppen gegen 
die „Fekani“ (Räuber), wie diefe heimatlojen Horden genannt wurden, vorrüdten und 
diefelben zurüdichlugen (1828). Die Galefa und Tembu fielen von allen Seiten über die 
Fliehenden her und vernichteten fie faft vollftändig. Nur wenige retteten fi) in das Bafuto- 
land, Matiwana aber wurde von Dingan geblendet und fant feinen Gefährten getötet. 

Um diefe Zeit war Nolambe geftorben, im Jahre 1829 folgte ihm Gaifa, und mit 
ihnen war viel von dem alten Haſſe begraben worden, der die beiden großen Stämme des 
Koſavolkes zerflüftet hatte. Gaifas Sohn Maquoma wurde von einem großen Teile 
des Volkes als Führer anerfannt und fchien durch Körperfraft, Ausdauer und Schlauheit 
zum Fürften berufen zu fein. Zwar war Sanbdili Haupterbe Gaifas, aber er war nod) 
ein Kind, und Maquoma erhielt die Negentichaft. Die neue Einigung ließ vergangene 
Miperfolge vergeifen, und die Kaffern wurden von Jahr zu Jahr Feder, wie fih in 
unzähligen Räubereien zeigte, welche die Grenzkoloniften zu erbulden hatten. In einem 
ber mit diefen Raubzügen verbundenen Gefechte wurde ein Bruder Maquomas leicht ver: 
wunbet, was bei ben Kaffern als genügende Kriegsurfadhe galt. Maquoma überzog die 
Grenzgebiete unerwartet mit Krieg, der vielen Anfiedlern Tod und Verderben bradte. 
Erjt nad) mehreren Monaten gelang es den Truppen der Kolonie, bis zu den Galefa vor: 
zubringen und deren Häuptling Hintfa zu Frieden und Entjhädigung zu zwingen. Der: 
jelbe wurde erfchoffen, als er aus der Gefangenschaft fliehen wollte, und mit feinem Sohne 
Sarili wurde Friede gemacht, welder den Kaffern alles Land bis zum Keifluffe abnahm. 
In diefem Kriege gab es auf feiten der Weißen 128 Tote und Vermundete, und der 
Güterverluft der Koloniften wurde zu 290,000 Pfund Sterling angegeben. Größer waren 
beiderlei Verluſte auf feiten der Kaffern und vielleicht noch folgenreiher der Verluft an 
Vertrauen auf jeiten der Weißen, von denen man gejagt hat, daß in manchen der Anblid 
der Verwüſtung von 1835 einen unauslöſchlichen Haß gegen die Kaffern wachgerufen hatte. 
Daß die heimische Regierung den Krieg von 1835 und den ihn beſchließenden Vertrag 
nicht guthieß und einen Teil des für die Kolonie in Befig genommenen Gebietes wieder 
den Kaffern zurüdgeben ließ, trug nicht zur Erzeugung friedlicherer Gefühle auf einer 
oder der andern Seite bei. Im Jahre 1846 brach ein neuer Krieg aus, der „Beilkrieg”. 
Ein Kaffer hatte in Fort Beaufort eine Art geftohlen und follte, mit einem Hottentotten 
zufammengeichloffen, ins Gefängnis nah Grahamstown gebracht werden, als ein Trupp 
Kaffern den Transport angriffen, den Arm bes Hottentotten abhieben, da fie anders nicht 
raich genug ihren Genofjen frei machen fonnten, und jo mit dem legtern entflohen. Nur 
ein fleiner Teil des alten Koſavolkes hielt fih vom Kriege fern, der mit einer Reihe von 
Unglüdsfällen auf feiten der Engländer begann, um, wie immer, mit großen Berluften 
auf feiten der Kaffern zu enden. Aber die Engländer hatten einen unerwarteten Bundes- 
genoffen in den Pondo gewonnen, welche, öftlih von den Galefa wohnend, die Gelegen: 
heit günftig wähnten, um ſich an den Herden ber legtern zu bereichern. Ähnlich waren im 


Kaffernkriege der Engländer, 277 


Jahre 1835 die Tembu, wenn auch nicht ganz fo offen, auf englijcher Seite gewejen. 
Vom wejentlichften Nugen aber war den Englänbern das fozufagen neuformierte Wolf der 
Fingu, weldes aus frühern Sklaven der Koja und andern Flüchtlingen gebildet und 
nächſt der Kafferngrenze angefiedelt wurde. Wir fommen auf dasjelbe zurüd. Aber mit 
all diejer Hilfe zog fich der Krieg bis in das folgende Jahr fort, und nur nad) vieler 
Mühe gelang es, die Führer Sandili und Pato gefangen zu nehmen, die monatelang in 
der Wildnid umhergewandert waren. Letzterer fagte zu denen, die ihn gefangen nahmen, 
die harakteriftiihen Worte: „Ich bin Fein Menjch mehr, fondern ein Pavian, jo lange 
habe ich unter den Affen gelebt”. Die 
Kolonialgrenze wurde bis zum Keisfama 
vorgejhoben und aus dem Lande zwiſchen 
Kei und Keisfama die Kolonie Britijch: 
Kaffraria gemacht, in der Sanbili und feine 
Mithäuptlinge ald Beauftragte der Regie: 
rung über ihr Volk herrſchen follten. In 
dieſem Kriege hatte zum erjtenmal der Beſitz 
von Feuerwaffen in den Händen der Kaffern 
wejentlich zur Erfchwerung des Sieges der 
Weißen beigetragen, und es ſchien, als ob 
die Kaffern etwas von europäiſcher Taktik 
gelernt hätten. Auch war dies nicht der 
legte große Krieg, den die Südoſtkaffern 
gegen die Weißen wagten; denn offenbar 
hatten ſich diefelben nur unterworfen, um 
Zeit zu gewinnen. Schon zwei Jahre nad) 
dem Friedensschluffe durchzog ein fanatifcher 
Zauberer das Kaffernland, Krieg gegen die 
Meißen predigend und übermenfchliche Hilfe 
feinen Landsleuten verheißend, und im 
Sahre 1850 brach ein neuer Krieg aus, ges R 
führt von Sandili (j. ©. 23), der aber, rn 
eine Seltenheit für einen Kaffernhäuptling, Ein Pondotrieger (nad Photographie im Befihe des 
nie perſönlich anführte (er war auf einem  Miffonsdirettors an nn n Bea, 
Beine lahm), und von feinem Bruder Anta, —— 

welche ihre Mutter Tutu zur Regentin eingeſetzt hatten. Auch jetzt wieder begann der 
Krieg mit kleinen Niederlagen der Engländer, und ſchon in wenigen Wochen war eine 
Anzahl von Grenzdörfern zerſtört. Die berittene Kaffernpolizei, welche man unvorſichtiger— 
weiſe nicht entwaffnete, ging in corpore zu ihren Landsleuten über. Was aber dieſen 
Krieg langwieriger und opferreicher als die drei frühern Kaffernkriege machte, war der 
Aufſtand der Hottentotten. Auch ein Teil der Tembu hatte ſich Sandili angeſchloſſen, der 
in der alten Naturfeſtung der Kaffern, den Amatolabergen, ſeine Stellung genommen 
hatte, während der alte Maquoma 21 Monate trotz aller Angriffe in den Kroomebergen 
aushielt. Erſt als mit großer Mühe dieſe Feſten genommen waren, wurde es möglich, 
im Februar 1853 mit Sarili, Sandilis Sohne, Frieden zu ſchließen. Die Häuptlinge 
Sandili, Maquoma, Anta und Genoſſen unterwarfen ſich und erhielten Land jenſeit des 
Kei. Mit dieſem Kriege, der England 400—500 Soldaten und 2 Millionen Pfund Ster— 
ling fojtete, jchien die Kraft der Koja gebrodhen. Auf dem Boden, wo fie einft geblüht, 
breitete fich das neue Volk der Fingu und die wenigen den Engländern treu gebliebenen 





278 Die Südoftlaffern. 


Kaffernftämme aus; die Tembu waren als Volk faſt vernichtet, und der größte Teil 
ihres Landes ward an weiße Anſiedler gegeben, und endlich wurden in Britiſch-Kaffraria 
die Verfuche, der Zivilifation Bahn zu breden, mit erhöhtem Eifer aufgenommen, bie 
Macht der dortigen Heinen Häuptlinge befhränft und den Miffionaren jede Förderung 
geboten. Als der unvergeßlihe Sir George Grey, dem die Ethnographie Südafrikas 
und Auftraliens jo Großes verdankt, im Fahre 1854 als neuernannter Gouverneur 





Räte Sandilis (nah Pholographie im Beſitze des Miffionsdireltord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 
Bol, auch die Abbildung auf ©. 161. 


das Kaffernland bejuchte, faßte er den Grundjag der Eingebornenpolitif, den die übeln 
Erfahrungen eines halben Jahrhunderts endlich gelehrt hatten, dahin zufammen: man 
muß die Kaffern entweder zivilifieren, oder zeitweilig Kriege mit ihnen ausfechten. 

Und gemäß jenem Grundjage, zu zivilifieren, ift feitvem verfahren worden. Das Ergeb: 
nis ift eine fruchtbare, friedliche Entwidelung des einft jo friegerifhen Volkes. Aber noch 
in den Jahren 1856 und 1857 wollte ein Kaffernmädchen durch Geifterftimmen den Befehl 
zu der Verfündigung erhalten haben, da die Kaffern die Weißen aus ihrem Lande treiben 
würden, unterftügt von Geifterfcharen, welche eingreifen wollten, wenn die Kaffern neue, 
unerhörte Opfer brächten. In erfter Reihe follten die beiten Rinder geſchlachtet und auf: 
gezehrt werden, und wirflid wurde diefem gegen bie Sitte der Kaffern direkt verftoßenden 


Zivilifation der Kaffern. 279 


Gebote in weitern und weitern Kreifen gehorht. Dumpfe Gerüchte von bevorjtehenden 
Kämpfen, von Schladhttagen, an denen zwei rote Sonnen aufgehen jollten, und dergleichen 
liefen um und regten die ganze Bevölkerung auf. Sandili, Maquoma, Earili und andre 
Häuptlinge nahmen an der Bewegung teil, al$ deren geheimen Beweggrund man die nur den 
nächſten Eingeweihten befannte Abſicht anfieht, das Volk durch Hunger zur Verzweiflung zu 
treiben und es dann gegen die Grenze der Weißen zu been. Der Plan mißlang aber voll: 
jtändig. Die Kaffern ſchlachteten 200,000 Rinder, fait ihren ganzen Befig, und zehrten ihre 
Vorräte auf. Vergebens bauten fie riefige Krale, um die Herden der Weißen aufzunehmen, 
die zahllos wie die Sterne zu ihnen fommen follten. Statt der verheißenen goldenen Zeit 
der Freiheit und des Überfluffes fam ein Jahr unerhörter Hungersnot. Yon 105,000 Seelen, 
die Anfang 1857 in Kaffraria gelebt 
hatten, waren am Schluffe des Jah: 
re3 38,000 übrig. Durh Tod und 
Flucht ſchwand Sandilis Stamm von 
31,000 auf 3700, Maquoma behielt 
nur 1000 Leute ꝛc. Wenn die Feinde 
des Kaffernvolfes nach dem verheeren- 
den Kriege von 1853 noch eine Seuche 
für notwendig gehalten haben würden, 
um die Kraft desfelben zu brechen, jo 
wütete fie in diefem Jahre in wahn: 
finnigem Taumel. Die einfichtsvol- 
lern unter den Koja haben jelbit aner: 
fannt, daß die Kriege von 1835, 1847 
und 1853 fie nicht jo weit zurüdbrin= 
gen konnten wie diefes Notjahr. Viel: 
leiht hat dasjelbe aber auch Gutes 
gewirkt, indem die werfthätige Hilfe 
der Meißen mandes Gefühl von Haß 
eritictte und eine jtarfe Auswanderung u — u. * 
ephan wen, Kafferulehrer, cin gelaufler Fingu (na 

we — — kat Photographie im —— | Herrn Dr. Wange: 
und von alten Vorurteilen befreit in 

ihre Heimat zurüdfehrten. Ihre altberühmten Häuptlinge jtarben im Erile dahin, wie Ma: 
quoma 1873 auf Robben-Island, oder führten ein behagliches Genußleben auf ihren fihern 
Rejervationen, wie Sandili, deffen Erbe Gonga ald Edmund Sandili Chrift und Kolo- 
nialbeamter geworben ift, oder lebten als Räuber, wie Mhala, ein jüngerer Sohn Ndlambes. 
Alle größern und die meiften kleinern Häuptlinge find von der Rolonialregierung dotiert, das 
Chrijtentum fchreitet langfam vorwärts, das alte Kafferngefeg macht allmählich dem der 
Weißen Platz, und unabhängig von den Miffionen find viele Schulen erwachſen, in welchen 
Hunderte von jungen Kaffern, welche die Regierung bejoldet, lehren. Aber leider ijt jeit 1865 
der Branntweinverfauf in Kaffraria freigegeben, von dem man wohl behaupten Fann, daf 
jeine verderblihen Wirkungen alle jene zivilifierenden Beitrebungen mehr als aufwiegen. 
Vielleiht hatten die Galefa mehr als alle andern Stämme durd) die Not des Jahres 1857 
gelitten, aber ihr Häuptling Sarili, der Hauptführer jener verhängnisvollen Bewegung, fuhr 
fort, eine drohende Stellung einzunehmen, und wurde daher im Jahre 1858 mit feinem 
ganzen Stamme von den Kolonialtruppen gegen die Küſte zu getrieben, wo die reduzierte 
Zahl dieſes einjt mächtigen Volkes nun auf den am Meere gelegenen Streifen feines einjtigen 





280 Die Südoftlaffern. 


Landes beihränft ift. Dazu kam ein blutiger Krieg diefes Stammes mit den Tembu, 
denen ein Teil des Galefalandes überwiefen worden war; er bradite leßtere jo weit zurüd, 
daß fie 1874 um die Aufnahme in die britifche Unterthanenſchaft nachſuchten, der fie ſeit— 
dem unter Oberaufficht eines NRegierungsbeamten unterftehen. In andern Teilen des 
Galefalandes wurben Fingu angeſiedelt, und jo groß war die Entvölferung diefes Gebietes, 
daß noch außerdem 1500 Farmen für europäiſche Anfiebler ausgefucht wurden. Mit diejen 
Mafregeln war die Stärke des Kojavolfes gebrochen, feine Wiedererhebung zu einem 
einzigen großen Volke unmöglid gemacht. Zufammengedrängt mußte es den Wegen der 
Fingu folgen, welche fih zu Aderbauern im Stile der Weißen entwidelt und durch kon— 
jeguentes Feithalten an einer friedlichen und europäerfreundlichen Politik an Zahl und 
Wohlitand zugenommen hatten, während alle andern Kaffern zurüdgegangen waren. Die 
den Betſchuanen zuzurechnenden Bajuto nehmen wir hier aus. 

Hier mag es am Plate jein, ein Wort über diejes jo oft genannte Volk der Fingu 
zu jagen. In den zwanziger Jahren waren durch Tſchakas Eroberungszüge Teile einit 
mädtiger Kaffernjtämme, welde als Amamfingu, d. h. Wanderer, am Tugela gejejlen 
hatten, in größerer Zahl nah Süden gedrängt worden und hatten als Sklaven unter den 
Kofa gelebt. Auch zeriprengte „Fekani“ (vgl. ©. 276) befanden ſich unter ihnen. Gie 
hüteten das Vieh und bauten das Feld ihrer Herren, bei denen der Name Fingu 
gleichwertig war mit Hund. Im Kriege von 1835 verließen 16,000 diejer Leute das Koſa— 
land und wurden von den Englänbern öftlid vom Großen Filhfluffe angefiedelt, wo fie 
in Frieden und Ruhe ſichtliche Fortichritte machten. Mitte der fechziger Jahre war dieſes 
ihr Gebiet bereitS fo übervölfert, daß ihnen ein Teil des gerade jeßt frei werdenden 
Galekalandes zugemwiefen wurde. Im Jahre 1875 zählte man 73,500 Fingu in der 
Kolonie. Zur felben Zeit entwarf Theal in feiner „Geſchichte Südafrifas” folgendes Bild 
des Zuftandes diefes für den Grad der Kulturfähigkeit der Südkaffern viel bemweifenden 
Volkes: „Im Jahre 1874 betrug die Zahl der Volksſchulen in dem Territorium 46, die 
Zahl der Handelsitationen 45 und der Wert des jährlichen Import- und Erportverfehres 
bei niebrigiter Berechnung 150,000 Pfund Sterling. Der größte Teil des Bolfes geht 
nach europäifcher Art und gut gekleidet. Sie nugen den Boden in ausgedehnter Weije 
aus, bedienen ſich des Pfluges und ziehen große Mengen Getreide zum Verkaufe. Schöne 
Herden, deren Felle in den Verfaufsläden gegen nützliche Manufakturartifel eingetaufcht 
werden, weiden auf ihren Triften. Faſt jeder befigt ein gut gefatteltes Pferd, und viele 
haben gutes Transportfuhrmwerf mit Ochjengefpann. Eine Ausjtellung ihrer aderbaulichen 
Erzeugnifje würde irgend einem Teile unfrer Kolonien zur Ehre gereichen, fowohl wegen 
der Mannigfaltigfeit als aud) der Güte der ausgeftellten Produkte und Vorräte. Sie 
haben Straßen gebaut und viele Kirhen und Schulen, obgleich nicht alle Chriften find. 
Innerhalb der legten drei Jahre haben fie ungefähr 3000 Pfund Sterling an freiwilligen 
Beiträgen zur Erridtung einer Induftriefchule gefammelt. Einige ihrer jungen Leute, 
bie ihre Lehrzeit in einer oder der andern Werkjtätte der Kolonie beftanden haben, find 
jetzt als Handwerker bejchäftigt, und diefer Beruf ift in fteter Zunahme begriffen. Eine 
Steuer im Betrage von 10 Edjilling von jeder Hütte, die ohne Anjtand erhoben wird, dedt 
die Kojten ihrer Regierung, deren Majchinerie natürlich höchſt einfach, aber wirkſam iſt.“ 
Wir möchten bier nicht vorübergehen, ohne eine Bemerkung G. Fritſch' einzufcalten, 
welche eine auffallende Annäherung biefer zivilifierten Haffern auch in körperlicher Beziehung 
an die Meißen konſtatiert. Diefer Reifende empfing nämlid von der Gefichtsbildung 
der Fingu den Eindrud „stärkerer Vermiſchung durch Annäherung an ben europäiſchen 
Typus“, Beſonders von den Kaffern des öftlichen Teiles der Kolonie und Britiſch-Kaff— 
rarias unterjcheiden fie ſich durch die meift ftärfer entwidelte, häufig volljtändig zugefpigte 


Die Fingu und Pondo. Die Betſchuanen. 281 


Nafe und die breite Stirn; doch it das Gelicht dabei in der Regel fehr prognathiſch und 
der Ausdrud daher ein gewöhnlicher. Bon Figur find fie meift groß und fchlanf, die 
Muskulatur deutet Zähigkeit und Ausdauer an. Selbit viele Frauen find von imponierender 
Geftalt. Derſelbe Neifende fand Gelegenheit, an Fingu, welche in Port Elizabeth als 
Safenarbeiter ſich reichlihen Lohn verdienten, die günftige Einwirkung zu beobachten, 
welche eine einigermaßen zivilifierte Lebensweife auf die Ausbildung des Körpers übt. 
Waden und Arme zeigten ſich häufig herkuliſch entwidelt, der Rumpf durchweg gerundet, 
der Leib mäßig vorftehend. Selbit die eigentümliche Neigung des Bedens, melde die 
Figur der meilten ſchwarzen Raſſen entitellt, fcheint geringer zu fein oder wegen der 
andern Veränderungen des Körpers weniger hervorzutreten. Allerdings ermöglicht ihnen 
ein hoher Lohn (7—8 Schilling pro Tag), fih gut zu nähren. 

Zu den einit von Tichafa zertrümmerten ſüdlichen Kaffernjftämmen gehören aud die 
Pondo (f. Abbildungen, S. 167 und 277), denen e3 aber, ungleid den Fingu, gelungen 
ift, ihre alten Stammfige wenigitens teilweije feitzuhalten. Ehedem in ſich felbit geteilt, 
die eine Hälfte unter dem Friegerifhen und graufamen Häuptlinge Faka der Schreden ber 
andern und ber benachbarten Pondomiſi, mit welchen die Pondo in beftändigem Kriege 
lebten, find fie heute im jüdöftlichen Teile des Kaffernlandes zufammengedrängt und unter 
britiſche Gerichtäbarkeit geitellt. Die Zahl der Rondo dürfte heute auf nicht mehr als 60,000 
zu Sägen jein. 


10. Die Betfchuanen.' 


„Der Beiſchuane iſt die weichere Ausprägung des Kafferntypus“ 

Inhalt: Die Wohnſitze der Betſchuanen. Wanderungen und Zerfall in Sonderſtämme. — Äußere Merk— 
male: Körperbau. Tracht. Schmuck. Hautſalbe. Waffen und Geräte. Späte Einführung des Bogens. — 
Häusliches Leben: Aunftfertigfeit. Einfache Adergeräte. Nahrung. Hütten, Patriarchalifche Anord: 
nung derjelben. Lage und Größe der Betihuanendörfer. Kuruman und Schofhong, die „Betichuanen: 
ſtädte“. — Viehzucht und Aderbau: Viehzucht die Hauptbefchäftigung der Betfchuanen, Das Bet: 
ſchuanenrind. Milchgenuß. Ackerbau. — Familie und Staat: PVielweiberei. Stellung des ältern 
Sohnes. Familienfinn. Kinderleben. Beihneidung. Tod und Begräbnis. Rechtsleben. Politiiche Ein: 
richtungen, — Religion: Religiöfe Ahnungen. Tieraberglaube, Regenmacher. Zauberer, — Allgemeiner 
Charakter der Betfchuanen. Geſchichte. — Hervorragende Einzelftämme: Die Bafuto. Die Matololo. 
Die Bamangmwato. Die Bakalahari. Die Bahurutje. 


Die Betſchuanen nehmen die Mitte Südafrikas ein, wo fie von den Zulu im 
Dften und den Namaqua und Dvaherero im Wejten begrenzt werben. Dort bilden bie 
Drafenberge eine jcharfe Naturgrenze, während hier die Kalaharifteppe eine Art von 
neutralem Gebiete bildet, in welchem der Auswurf und die Heimatlofen der Betſchuanen, die 
zigeunernden Bafalahari, fih mit den Buſchmännern und ben öftlichiten Ausläufern der 
Namagqua begegnen. Im Eüdoften kann im allgemeinen der Dranjefluß, wo Ortsnamen 
der Betjchuanenjpradhe vorkommen, und im Südweſten wiederum die Steppe als Grenze 
gelten, während, wie wir im einzelnen noch ſehen werden, die intereffantejte und wichtigite 
Grenze, nämlich die nach Norden, gar nirgends mit Sicherheit zu ziehen if. Schon jeßt 


’ Dem Namen Betfhuana werben zweierlei Bedeutungen untergelegt. Die einen leiten ihn ab von 
tschuana, ſich gleichen, wonach er Leute bezeichnet, welde fich gleichen; die andern geben ihm die Deutung: 
die Hellfarbigen, Weißlichen. Wir ziehen die letztere Deutung ald die dem Geifte diefer Völker entiprechen: 
dere, weil finnlichere, vor. 


282 Die Betſchuanen. 


kann hervorgehoben werden, daß von allen Gruppen der Kaffernvölfer die Bet: 
fhuanen am wenigften fharf von den Bewohnern der Aquatorialgegenden 
zu fondern find, Doc kann, um wenigitens eine andeutende Scheidelinie zu gewinnen, 
der Zambefi als nördliche Begrenzung der Betfchuanen im allgemeinen angenommen 
werden, wiewohl jhon vom Ngamiſee an Teile verfchiedener andrer Stämme fi zwiſchen 
fie eindrängen. Es läßt fich alfo im großen Ganzen das Innere Südafrikas als das Wohn: 
gebiet der Betjchuanen bezeichnen, wobei aber befonders zu betonen ift, daß der geographifche 
Begriff „Betichuanenland”, wie er in Südafrika üblich ift, nur ein beſchränktes Gebiet 
zwifchen Kalahari, den Bauernrepublifen und Grigualand umfaßt, über welches das Wohn: 
gebiet der Betichuanen weit hinausragt. Da fie nun nirgends an das Meer herantreten, 
jo grenzen fie überall an andre Stämme, und auf diefe Thatſache ift als eine für ihre 
Geſchichte hochbedeutſame hier mit befonderer Betonung hinzumeifen. Daß die Wohnfige 
der Betihuanen durchaus dem waſſerarmen, jteppenhaften, wenig zum Aderbaue anlodenden 
Binnenlandgebiete Südafrifas angehören, ift eine nicht minder einflußreihe Thatjache; 
denn indem größere VBevölferungsmaflen bier nicht ihren Unterhalt finden fönnen, fehlt 
die Vorbedingung einer ftetigen Kulturentwidelung, nämlich eine dichte Bevölkerung. Die 
Gejamtzahl der Betihuanen dürfte nicht über 350,000 zu veranfchlagen fein. Indem 
diefe Zahl über ein Gebiet von mindeftens 5000 Meilen fich verteilt, repräfentiert fie 
eine außerordentlih dünne Bevölkerung. Es ift das nicht bloß ein Element von Schwäche 
in fultureller Beziehung, fondern in den Verhältniffen, unter deren Herrichaft die Bet: 
ſchuanen leben, auch ein großer politifcher Nachteil; denn nur wenige von ihren Stämmen 
jind für fi allein zu einer kräftigen friegerifchen Aftion gegen jo mächtige Nachbarn fähig, 
wie fie in Geftalt der Oftkaffern an ihrer öftlichen Grenze figen. Der Neft ift zerfplittert 
und uneinig. 

Die Betijhuanen zerfallen in eine große Anzahl von Stämmen, welche teil3 nad 
geographifcher Lage, teil nad) Stammverwandtſchaft in einige ziemlich natürliche Gruppen 
fih vereinigen laffen. Gewöhnlich fondert man fie alle in zwei große geograpbijche 
Abteilungen, die Weit: und DOftbetfhuanen, zwiſchen welche wohl auch noch eine 
mittlere und vermittelnde Gruppe eingefchoben wurde, deren Wohnfige auf beiden Ufern des 
Limpopo bis hinauf zu feinen Quellen gelegen find. Die hervorragenditen Stämme in diefen 
einzelnen Gruppen, wie Bafuto, Mafololo, Bamangwato und andre, werden nad) ihrer 
Lage, Geſchichte und Beziehungen am Schluffe diefes Abfchnittes zufammenzufaffen fein. 


In der äußern Erſcheinung ftellt der Betichuane die weichere, mildere Ausprägung 
des Kafferntypus dar. Den oben zurüdgewiejenen Einn des Stammesnamend: „Leute, die 
ih gleichen“, hat man infofern für berechtigt erklärt, al3 die Betfhuanen im ganzen 
Charalter ihrer Erſcheinung gleihmäßig etwas Abgemildertes zur Schau 
tragen, ebenfo wie das Scharfe, Schroffe ziemlich allgemein im Zulu hervortritt. Der 
Unterjhied liegt hauptſächlich im Gefichtsausdrude, von weldem G. Fritſch jagt: „Die 
Eigenſchaften, melde aus den Zügen des Motjchuana ſprechen, find Sanftınut, Gefügigfeit, 
häufig auch Schlaffheit, und nur zuweilen ſcheint ein finfterer Ernft über ihnen zu liegen, 
während für den Toſa oder Zulu der Ausdrud von Trog, Wildheit und Widerfpenitigfeit 
harakteriftiih it”. Im Einflange mit diefem Gefichtsausdrude find auch Formen und 
Haltung des Körpers weniger maffiv und fcharf, die Größe ift durchſchnittlich geringer 
(Durhichnitt von 29 erwachſenen Männern, mworunter mehr hoch gewachſene, als man 
gewöhnlich fieht, 1,68 m), die Schultern weniger breit, das edige Vorſtehen derfelben weniger 
auffällig, die Haltung häufig etwas gebeugt, die Muskulatur nur mäßig entwidelt. Die 
Hautfarbe ijt im allgemeinen dunkler als bei den Zulu, indem die rotbraune Varietät 


MWohnfige. Körpereigenfhaften. Charatter. 283 


jeltener auftritt; aber die Beimengung von Not zu dem tiefen Braun der vorwaltenden 
Färbung ift auch hier nicht zu verfennen. Am jchwerjten find die Gefichter zuſammen— 
faffend zu charafterifieren, da jehr verjchiedenartige Typen gerade unter ihnen hervortreten, 
welche unter dem vorhin bejchriebenen allgemeinen Ausdrude ſich noch genügend zur Geltung 
zu bringen vermögen. Da wir im nachfolgenden die Betjchuanen als einen der beweg— 
lihiten und, thätig wie leidend, in den verfchiebenften Beziehungen zu andern Völfern fich 
bewegenden Stämme der Kaffernvölfer kennen lernen werden, kann es nicht überrafchend 
fein, wenn jchon jeßt hervorgehoben wird, daß neben regelmäßigen Gefichtern eine große 
Anzahl der verfhiedenften Typen vom plumpſten, negerhafteften bis zum ver— 
feinerten abeſſiniſchen oder nubifhen Geſichtsſchnitte fich findet, was beſon— 
ders in den Phyfiognomien der Kinderköpfe überrafchend hervortritt. Die Lebensweife und 
Umgebung ift natürlich aud) hier von nicht zu unterfhägendem Einfluffe: am untern Ende 





# 4 ! Mi Poor 
via Kr ' 1 * 


Baſutomädchen (nah Photographie im Beſitze des Miffionsdireltord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 


biejer Stammreihe, deren Spige von den gebirgsbewohnenden fräftigen, unternehmenden 
Baſuto eingenommen wird, ftehen die Bafalahari oder Balala, die ſchwächlichen, Fleinen, 
unterwürfigen, furz denfenden Parias der Betjchuanen. 

Die Leiftungsfähigfeit ergibt fi) zum Teile jhon aus dem Vorhergehenden als 
eine geringere wie jene der Oftlaffern. Zunächſt gilt dies von der Musfelfraft, faum 
minder aber auch vom Charakter. Man fann fie als einen der weniger friegerifchen Zweige 
der Kaffernvölfer bezeichnen, wiewohl einige hervorragende Führer fie zu glänzenden 
Thaten im Kriege mit fortriffen. Wie bezeichnend, daß fie, zwangsweiſe von den Matabele 
in ihre Negimenter eingereiht und von jenen geführt, die kriegeriſchſten Thaten verrichteten, 
deren fie fich überhaupt rühmen! Ihre Stärke liegt jedoch in friedlichen Beſchäftigungen, 
in denen fie feit der häufigern Berührung mit den Europäern ihre Neigung und Nach— 
ahmungsfähigfeit für Fremdes vielfach gefördert haben. Sie gaben die folgjamften 
Schüler der Miffionare ab, wenn aud ihre jpätern Leiftungen fehr oft den Erwartungen 
nicht entſprachen, welche ihre Gelehrigfeit erwedt hatte. Sie arbeiten um Lohn für bie 
Koloniften, was die Zulu faft nie thun, und kleiden fich oft mit Vorliebe in europäifche 
Fegen. Sie find, entſprechend ihrem ſchwächern Charakter, weder jo graufam wie bie 
Zulu nod von fo ftarfem Rechtsſinne, aber ebenfo verſchlagen und noch mehr auf leichten 
und unter Umftänden auch unehrlihen Erwerb bedacht. Harmloſe, gefellige Fröhlichkeit 
geht jelten bei ihnen aus. 


284 Die Betſchuanen. 


Die Tracht der Betjchuanen unterjcheidet ſich von jener der Oſtkaffern am allermeiften 
in dem notwendigjten aller Kleidungsftüde. Man findet nämlich bei ihnen niemals die 
anftößige Nadtheit der Zulu, jondern fie find äußerſt ſchamhaft nicht nur Fremden 
gegenüber, jondern aud untereinander und bededen daher ihre Geſchlechtsteile mit einer 


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Bafutohäuptling und» Mädchen (nad Photographie im Beſitze des Miffionsdircktord Herrn Dr. Bangemann in Berlin). 


ledernen Binde, die nad Art eines Sujpenjoriums am breiten Gürtel hinten und vorn 
befeftigt wird und, von diejem ausgehend, zwijchen den Beinen durchläuft. Die Weiber 
tragen ftatt derjelben ein paar Vor: und Hinterfhürzen und zwar in der Regel mehrere 
übereinander, von denen die innern, mit langen ledernen Franjen, Glasperlen ꝛc. ver: 
jierten bloß die Gejchlechtsteile bededen, während die äußern bis aufs Knie herabhängen. 
Die Männer halten fih mit ihrem Schamgürtel für befleidvet genug, und ebenfo wird 


Tracht und Schmud. 285 


aud den Mädchen bis zu einem ziemlich entwidelten Alter als notwendige Belleidung 
nur die innere Schamfhürze umgethan. Alle andern Kleidungsitüde dienen zum Warm: 
halten oder zum Schmude und werden in der Hütte ſowie in der Sommerhige abgelegt. 
Hier jpielt wiederum die Hauptrolle der Karoß, welcher immer aus Fellen befteht, die 
fie in Fünftlicher Weile weich zu maden und zu Mänteln zu verbinden wiſſen. Ärmere 
tragen einfach eine Haut, Reichere das forgfältig zufammengenähte Pelzwerf von Scha— 
falen, Springhaſen, wilden Kagen, reiche Frauen das des Silberjchafal3 und Häuptlinge 
das des Leoparden. Für Ärmere find Ochſenhäute das gewöhnliche Material des Karoß, 
und nur glüdlihe Jäger kleiden fih in das Fell eines Gnus oder Hartebeeites, deſſen 
Schwanz fi hinten als Trophäe breit macht. Aber in ber wildreihern Zeit, wie 3. B. 
beim eriten Befuche, den Lidhtenftein den „Beetjuanen“ abjtattete, waren Mäntel aus 
Antilopenfell allgemein. Der Frauenkaroß hat feinen Kragen oder doch nur einen niedrigen 
und ift oft mit fofardenartigen Ringen 
aus Fell (Augen) verziert, die übrigens 
bei Männern ebenfalls gelegentlich vor: 
zukommen jcheinen. An den Frauen: 
mänteln finden fi auch Zieraten von 
Katzenſchwänzen vor, die nicht ohne 
Geihmad büſchelweiſe an der Schulter 
angebracht find. 

Als Schmud des Körpers ift in er: 
fter Linie die metallglänzendeSalbe 
zu nennen, die fie durch Mifhung von 
Fett und metallglänzendem Staube 
(Titaneifen, Glimmer) bereiten, und 
mit welcher fie nicht nur den Haaren, 
jondern dem ganzen Leibe einen auf: 
fallenden metalliihen Schimmer zu 
geben willen. Zum Nachteile der Rein: 
lichfeit wird diefe nicht immer aus dem 
wohlriechendſten Fette bereitete Salbe im Übermaße aufgetragen. Als Lichtenftein bie 
eriten Gejandten des Betichuanenhäuptlinges Mulihbawang empfing, jchien es ihm, als 
ob denjelben, die rajch gegangen famen, und deren Salbe in der Hige geihmolzen war, 
Quedfilbertropfen am Gefichte herabliefen. Bei ältern Kindern kommt Bemalung bes 
ganzen Kopfes, des Nafjenrüdens und der Nugenumgebung mit Oder vor. Bon Tätto: 
wierung findet fid) feine Spur. Ringe aus Metall, Elfenbein, Leder und Haaren 
find dagegen häufig, und die Zahl derfelben gehört zu den Maßſtäben des Neichtumes. 
Als Lihtenftein mit den erften Betichuanen zufammentraf, waren Elfenbeinringe in 
jehr großer Zahl bei ihnen zu ſehen, wiewohl nur die Angehörigen der Königsfamilie die: 
felben tragen durften. Die Männer trugen fie in größerer Zahl meift am linken Arme und 
mit Vorliebe am Unterarme, die Häuptlinge an beiden. Die Ringe der wohlbabendern 
Weiber beitehen aus feinem Kupferdrabte, welder in Spiralen über Giraffenhaar gewidelt 
wird. Bei einer Häuptlingsfrau fand Lihtenjtein am linken Unterarme 71 Ringe diejer 
Art, die ein Gewicht von mehreren Pfunden ausmachten. Die ärmern tragen majfive 
Kupferringe, und wer jelbit diefe nicht erſchwingen kann, erjegt ſie Durch lederne, die 
früher aus der Haut des Nashornes oder Nilpferdes gefchnitten wurden. Schnüre aus 
Glas- oder Metallperlen werden von den Frauen gern um den Hals getragen, während 
die Männer ihren Hals mit Amuletten und häufig auch mit Heinen Werkzeugen, worunter 





Ein Berfhuanenhalsband, aus Perlen und polierten Zähnen 
gefertigt (Mufeum für Vollerkunde, Berlin), 


286 Die Betfhuanen. 


Ahlen in fünftlich verzierten Scheiden und eiferne Spatel zum Neinigen der Naje, behängen. 
Einen Wert, der weit über den gewöhnlicher Schmudjachen hinausgeht, haben alte, an: 
geblih unjchmelzbare Perlen, bei den Bajuto in 17 Arten unterfchieden, die heute nicht 
mehr gemacht, jondern nad) der Sage aus der Erde gegraben wurden. Sie werden buch— 
jtäblih mit Gold aufgewogen und finden fich deshalb fait nur bei Häuptlingen, für welche 
fie den größten Wert als Tribut und Cühngeld dem König gegenüber erlangen. Nach— 
ahmungen find immer fofort erkannt worden. Merensfy ift geneigt, ihnen phöniziichen 
Urjprung zuzuerfennen. 

Obwohl die Betihuanen im allgemeinen nicht zu den ausgefprochen Friegeriihen Stäm— 
men gehören, ift doc die Mannigfaltigfeit und Güte ihrer Waffen bemerkenswert. 
Don einigen Stämmen gewinnt man bei der Betrachtung diefer Seite ihrer Ausrüftung 


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Streitägte der Bamangmato (eihnograpbifhes Mufeum, Münden). Bol. Tert, ©. 397. 


entſchieden den Eindrud, daß fie einft ftärfer, thatkräftiger gemwejen fein müſſen; denn 
ihre Waffen’ find oft, figürlich geiproden, zu groß und zu ſchwer für ihren heutigen 
Zuftand, und thatfählich find fie bei manchen von ihnen nichts mehr als Schauwaffen. 
Treffend jagt G. Fritſch: „Die Betjchuanen find viel bewunderungswürdiger in der 
Herftellung der Waffen als in der Führung derfelben”. In ihren Sitten jcheint ſich indes 
die geringere Neigung zum Waffenhandwerfe bereits auszufpredhen, denn fie führen 
die Waffen feineswegs beftändig in der Hand, wie ihre öftlihen Nahbarn, und man fann 
einige Zeit in einem Betjchuanendorfe weilen, ohne eine Waffe zu Geficht zu befommen. Bei 
den erften Befuchen der Europäer ſcheinen fie faft die Waffen aus einer Art von Höflichkeit 
beijeite gebraht zu haben, denn Lichtenftein und andre fanden erft in den verſchiedenen 
Hütten den Reichtum von mehreren Dußenden Speeren und verſchiedenen Schilden, welcher 
dem angejehenen Betichuanen notwendig ift. Hauptwaffe ift bei allen der Speer oder 
Wurfipieß, welcher jeltener in der einfahen Form der Zulu-Aſſagaie als in verfchiedenen, 
durch ſtarke Widerhafen ſich auszeichnenden vorfommt. Die Klinge ſelbſt ift häufig breiter 
und flacher als bei jenen und geht entweder unmittelbar in einen oder zwei zurück— 
gebogene Hafen über, oder fie ift durch ein langes, jägenartig ausgezahntes Stüd mit 
dem Schafte verbunden, oder es erſcheint al3 Übergang zwijchen Klinge und Schaft ein 
jehr harafteriftifhes, aus vier Reihen langer, vor: und zurücdgebogener Zähne beftehendes 


Waffen. 287 


Stüd, weldes der Waffe ein fürchterliches Anjehen gibt, ohne ihre Brauchbarkeit zu er: 
höhen. Das legtere gilt von all diefen Widerhafen, die jämtlich in der Abjicht des Kriegers 
unverkennbar ſtark, in ihrer Wirkung aber ebenſo jhwad find. Es wird uns verfichert, 
daß die Furcht vor den widerhafigen Wurfjpeeren der Betſchuanen bei den füdafrifanifchen 
Völkern eine fehr geringe jei, und jedenfalld haben fie den Unterdrüdern diefer Stämme 
nicht den Schreden eingeflößt, den zu erregen die friegerifchen Tugenden der Betſchuanen 





Holzgefähe und Löffel der Betjhuanen (Mufeum für Bölterkunde, Berlin) Bol. Tert, ©. 238. 


nicht hinreichten. Das Nämliche gilt von den Streitärten, bie ald Schauwaffen ihres: 
gleihen ſuchen (j. Abbildung, S. 286). Der Grundgedanke in ihrer Konftruftion ift 
ftet3 derjelbe. In den diden Teil einer leichtern Keule, der entweder allmählich anfchwillt, 
oder fich kantig oder auch gefnicdt abjegt, wird die dünne Klinge entweder eingejegt oder 
durchgeftedt. Dieje legtere kann halbmondförmig oder beil- oder felbft meißelförmig fein 
oder auch an eine Hellebarde erinnern, glatt oder mit einfahem Ringe oder Leiftenmotiven 
verziert jein. Praktiſcher ift das zweifchneidige Dolchmeſſer (j. Abbildung, ©. 248), 
welches in der Regel etwa 15 cm lang und 4 cm breit ift. Der hölzerne Griff hat oben und 
unten Borjprünge, um ihn in der Fauft feftfigen zu laffen; die Scheide befteht aus zwei 
Holzſtücken, die durch einen Lederüberzug miteinander verbunden find. Da die Waffe im 


288 Die Betfhuanen. 


Kampfe am linken Oberarme getragen wird, an weldhem fie ein Zederriemen feithält, hat 
die Scheide oben und unten einen feilartigen Vorſprung, die das Rutſchen verhindern 
follen, oder e3 find unten an der Spige der Scheide Riemchen zum Umbinden angebradit. 
Endlich gehören auch Keulen oder Kirris zu den Angriffswaffen der Betfchuanen, und aud) 
diefe wiſſen fie mit zierlihen Schnigereien zu verzieren. Eine Art Luxuswaffe find Kirris, 
deren dider Teil aus Rhinozeroshorn geſchnitzt iſt. Man hat Zweifel darüber geäußert, 
ob die Betihuanen urjprünglich mit Bogen und Pfeilen gekämpft oder diefe Waffen 
erit den Bufchmännern entlehnt hätten. In neuerer Zeit haben fie diefelben ficherlid 
benugt, und bejtimmt gehören fie zur Bewaffnung der Makwapa, Barofa und Batjoetla. 
Aber zur Zeit, als Lichtenstein die Betfchuanen von Kuruman befuchte, ſchienen dieſelben 
erit in Gebrauch gefommen zu fein. Dieſer Neifende erzählt, daß er bei dem Thronerben 
des Stammes einen Bufhmannsbogen nebit 
vollem Köcher geſehen habe, und daß er da- 
rin ein Giegeszeichen vermutete. Jener aber 
babe ihn belchrt, daß diefe Waffen aufbe- 
wahrt würden, um wieder gegen ihre Ver: 
fertiger gebraucht zu werden, da die Notwehr 
die Betichuanen zwinge, zu folchen früher von 
ihnen verabjcheuten Werkzeugen zu greifen. 
Ihre Hirten zögen, wenn fie nur mit Aſſa— 
gaien bewaffnet und nicht zahlreich genug zu 
offenem Angriffe feien, im Kampfe gegen die 
Pfeile der Bufhmänner immer den fürzern. 
Noch heute benugen übrigens manche Stämme 
der Betichuanen Bogen und Pfeile nicht, jo 
3. B. die Mafololo, und man bat wohl ein 
Recht, anzunehmen, daß diefelben nicht zu 
ihren urfprünglicen, eignen Waffen gehör— 
Ein Hölgerner Ropffhemel der Bamangwato te. Maden wir endlich nod) die Schilde 
(ethnographiſches Mufeum, Münden). nambaft, die dur ihre furze, ausgejchnit: 
tene Form charakteriſtiſch von der praftifchern 
und ernfthaftern Geftalt der Zulufchilde abitechen, im übrigen aber nad) demjelben Plane 
aus Nindshaut mit feders oder fellverziertem Längsftabe gefertigt find, jo ift die ganze 
Ausrüftung des Betſchuanenkriegers wohl genügend gekennzeichnet. 





Derjelbe Reihtum an Formen, entipringend einer offenbaren Liebe zu feinerer Arbeit, 
fei e8 des Schmiedens oder Holzichnigens oder Lederverzierens, fehrt beim Hausgeräte 
der Betſchuanen wieder und macht dasjelbe zu einem Gegenjtande befondern Intereſſes. 
Kein andrer füdafrifanifher Stamm bietet in diefer Hinfiht annähernd foviel wie diefer. 
Am ausgezeichnetiten find feine Holzihnigereien, die an Originalität und Zierlichfeit mander 
Formen und an Feinheit der Arbeit das meifte übertreffen, was von andern Kaffernvölfern 
in diefer Richtung geleiftet wird. Die Löffel, deren Stiele die verjchiedeniten Tierformen, mit 
Vorliebe Giraffen, darjtellen, und deren Schalen oft mit hübſchen Arabesken verziert find 
(ſ. Abbildung, S. 287), die Becher mit gejchnigten Leilten, die aus einem halbgeichälten 
Baumſtamme gehöhlten Mörjer zum Zerftampfen des Maifes, die verſchiedenſten Schüffeln 
und Platten und nicht zulegt die dreibeinigen Bierfrüge mit dem als Dedel aufgeitülpten 
Trinfgefäße bieten eine Auswahl von netten, praktiſchen Formen (j. Abbildung, S. 370). 
Auch in irdenen Waren leiften fie Bemerfenswertes, und unter ihnen ift vor allen das große, 


Geräte und Werkzeuge. 289 


auf drei niedrigen Füßen ſtehende bauchige Vorratsgefäß zu nennen, welches bis über 
Manneshöhe aufgebaut und mit einer aufgeftülpten Schüffel zugebedt wird. Es verdient 
hervorgehoben zu werden, daß dieſes naheliegende Motiv der Bedeckung eines Gefähes dur 
Aufftülpen eines andern bei den Betjchuanen fich häufiger findet. Über diefe Vorratsgefäße 
werden eigne Hütten aus Zweigen gebaut, und die ganze Ernte an Hirfe und Mais wird 
in denjelben geborgen. Aber mande Stämme lafjen diejelben auch offen im Felde ftehen 
(j. Abbildung, ©. 290). Im Flechten find die Betſchuanen gleichfalls geübt, fie fertigen 
hübſche Matten und Körbe; doch ift diefe Kunft bei ihnen weniger entwidelt als bei andern 
Kaffern. Die mweitverbreiteten dreifüßigen Schemeldhen mit ausgehöhltem Site und die 
gleichfalls jehr allgemein verbreiteten hölzernen Kopfjchemel finden fich bei den Betichuanen 
wie bei den übrigen Kaffern (j. Abbildung, S. 288). 

Erſtaunlich einfach ift im Vergleiche zu diefem Lurus des Hausgerätes das Acker— 
werfzeug (vgl. unten, ©. 294). Die Vorratsgefäße für Getreide find ſchon bejchrieben. 
Die Viehzuht er: 
heiſcht hölzerne Melk— 
kübel, die aus Einem 
Stücke, meiſt hoch 
und ſchmal, oft faſt 
krugförmig gearbeitet 
werden, und lederne 
Milchſäcke, welch letz— 
tere eine ſehr große 
Rolle im Haushalte 
der Betſchuanen ſpie⸗ 
len. Sie werden aus 
Rinderhaut gefertigt, 
haben oben eine grö— 
Bere Öffnung zum 





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Hineingießen der — — Qe 


Schnupftabalsdoſen der Betſchuanen ſethnographiſches Muſeum, Münden). 


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Milch und unten eine Le a 


Eleinere für den Ab: 
Huf der Molken. In diefe Side jammeln die Hirten die Milh aus den Melfeimern zu: 
fammen und lafjen fie darin ſäuern; der jo gewonnene „Topfen“ ift ein Hauptnahrungs- 
mittel bei allen Kaffern. Außerdem genießen fie am meiften Breie oder Grüßen von Hirfe, 
die in großen hölzernen Mörfern zerftoßen wird, während der offenbar erſt in neuerer Zeit zu 
ihnen gefommene Mais (Cajalis erzählt, daß zu feiner Zeit, alſo in den vierziger und 
fünfziger Jahren unſers Jahrhunderts, noch nicht alle Stämme der Bajuto den Mais 
kannten) meijt unveif abgefocht wird. In den legten Jahren hat aud der Anbau europäiſcher 
Getreidearten, vor allen der des Weizens, bei ihnen Eingang gefunden. Der Erdnuß 
begegnet man bier nicht jo oft wie im tropiſchen Afrifa, doc wird fie in geringem Maße 
jelbit von den Bajuto gebaut. Melonen, Kürbiffe und eine nicht jehr wohlihmedende Rübe 
verdienen außer dem Tabafe Erwähnung als Nahrung, die fie dem Pflanzenreiche ent: 
nehmen. Gleich allen andern Südafrifanern find auch die Betihuanen große Tabaksfreunde, 
und zwar genießen fie das „göttliche Unkraut” faft nur in Form von Schnupftabak. Dem: 
gemäß gehören Schnupftabatsdojen aus Kürbiffen oder Hörnchen, oder aus Knochen geſchnitzt, 
faft unvermeidlich zur Toilette (ſ. obenſtehende Abbildung). 

Die Hütten der Betihuanen find freisförmig angelegt und koniſch bedacht, wie bie 
andrer Kaffernvölker, unterjcheiden ſich aber erheblich von den Hütten der Zulu, denen nur 

Völtertunde. I, 19 


290 Die Betfhuanen. 


die Bafutohütten in höherm Grade gleihen, dadurch, daß der cylindriiden Wand von 
dem herkömmlich geringen Durchmeſſer ein fegelförmiges Dach aufgefegt ift, das aus Rohr 
mit Sorgfalt geflodhten und um einen der Mittelpfähle oder Mittelpfeiler der Hütte jo 
befeftigt ift, daß die Spike erzentriich liegt. Das Dach fenkt ſich bis nahe an den 
Boden herab, wo es von Pfählen getragen wird, zwiſchen melden und der Wand ein 
demgemäß vom Dache beichatteter Gang bleibt. Indem dieſe Pfähle durch eine niedrige 
Mauer aus mit Lehm beworfenem Dorngeftrüppe verbunden werden, entjteht eine kon— 
zentriſche Doppelwand, welche ſehr charakteriftiich für diefe Art Hütten ift. Der äußere 
Raum ift für Sklaven und fleine Haustiere beftimmt. Die Hütten armer Leute haben 


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Getreidebehälter der Balwena Bgl. Tert, S. 289. 


nur eine einzige Wand, dafür reicht ihr Dach bis auf den Boden herab. Der Hausbau 
iſt Sache der Frauen, von welchen ſechs ein größeres Haus, dem beſchriebenen ähnlich, 
in acht Tagen erbauen. Entweder ſind die einzelnen Hütten mit Dorngehege umgeben, 
oder der Größe der Familie entſprechende Gruppen ſtehen beiſammen in gemeinſamer 
Umhegung. Bei manchen Stämmen iſt dieſes letztere Syſtem ſtreng durchgeführt und ver— 
leiht ihren Dörfern einen eigenartigen Charakter, dem eine tiefere Bedeutung innewohnt. 
Es prägt nämlich dieſe Anordnung der Wohnſtätten das Patriarchaliſche im Leben dieſer 
Stämme deutlich aus. So wie der Vater das Oberhaupt ſeiner Kinder iſt, ſo bildet die 
väterliche Hütte den Mittelpunkt, um welchen die Hütten der Kinder und Kindeskinder ſich 
gruppieren. Die Zahl der Hütten, welche ſich um die väterliche gruppieren, bedingt das 
Anſehen, das Gewicht des Vaters, und man begreift, mit welchem Stolze die größtmögliche 
Zahl von Nachkommen vom Herrn der Familie betrachtet wird. Daher die Güte und Sorg— 
falt, mit der die Kinder hier behandelt, die Art von Hochſchätzung, mit der ſie oft als der 
größte Segen der Familie begrüßt werden. Daher auch die harte Beſtrafung der Abtreibung 


Hütten und Dörfer. 291 


der Leibesfrudht, die als ein Raub an ber Größe bes Stammes gilt. Der häusliche Herd 
it hier fein bloßer Begriff. In der Nähe der Vaterhütte befindet fich der Feuerplatz, wo 
die Familie fi verſammelt, arbeitet, ißt oder in behaglichen Geſprächen die Tagesneuigkeiten 
beſpricht. Ein armer Mann fchließt ſich dem Herde eines reihen an, zu weldem er wie 
ein Glied der Familie zugelafjen wird. Ein Unterhäuptling hat eine Reihe von diejen 
Hüttenkreifen um fi, und die Anfammlung von Familienherdtellen um die große in der 
Mitte, welche die des Häuptlinges ift, bildet ein Dorf. Unmittelbar um die Herditellen des 
Häuptlinges ordnen fi die Hütten feiner Frauen und Blutsverwandten, und da leßtere 


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Eine Straße in der Betſchuanenſtadt uruman (nah & Fritſch). 


aus Politif foviel wie möglih in Verwandtſchaftsbeziehungen zu den Unterhäuptlingen 
gebracht werben, fchließen ſich gewöhnlih an fie die Hüttenfreife der Unterhäuptlinge. 

Bei der eben angegebenen Anordnung der Hütten begreift man, daß die Orientierung 
in den „Straßen“ eines Betſchuanendorfes (Motfi ift der einheimijche Name dafür) gerade 
feine leichte Aufgabe ift; denn diefe Hütten und Hüttengruppen ftehen in der Regel ohne 
Ordnung und dit durcheinander und werben noch dazu von großen vieredigen Viehhürden 
unterbrochen, von denen in manden Dörfern bei jeder Hütte eine fteht. Die einzige Regel: 
mäßigfeit liegt dabei nur in der ringförmigen Anordnung des Ganzen um den in ber Mitte 
gezogenen dichten Kreiszaun, welcher zur Nachtzeit die Herden umſchließt. Ein zweiter 
fleinerer Rreiszaun neben diefem umfaßt den freien Pla für Ratsverfammlungen, bie 
Kotla (denjelben Namen trägt die Feuerftelle), in deſſen Nähe die Hütten des Häuptlinges 
und bei den chriſtlichen Betſchuanen das Bethaus ftehen. 

Die bedrängte Lage vieler Betſchuanenſtämme hat fie ihre Dörfer an ben gefhüg- 
teften Punkten anlegen lafjen. Arbouſſet hebt bei jeiner Reife in bie — Berge 

9* 


292 Die Betfhuanen. 


die Tendenz der dortigen Betichuanen hervor, ihre Wohnjige an ben höchitgelegenen 
Stellen aufzuſchlagen, ausjchließlih wegen größerer Sicherheit, wiewohl die Ebenen ebenſo 
fruchtbar und einladend wie jene in der Negel unfruchtbar find, und wir hören von 
diefem Nüdzuge in die Berge bei allen jenen Stämmen, welche durd die Nachbarſchaft 
der Matabele gedrüdt und zerjplittert find. Früher legten fie dagegen ihre Wohnftätten 
in den beften, quellenreichiten Lagen an, und die von Europäern zuerft und jpäter jo oft 
beſuchte Betihuanen:,‚Stadt” Kuruman hatte geradezu eine bezaubernde Lage. Es mag 
als ein Zeugnis für die wunderbare Bequemlichkeit dieſer Menjchen hinzugefügt werden, 
daf fie am liebjten immer mitten in einen Mimofenhain hineinbauten, der die nötigen 
Pfeilerſtämmchen in nädjter Nähe darbot. Manche von diefen Orten find volfreih und 
erjcheinen doppelt jo wegen der vorhin gejchilderten Bauart und Anordnung, welche eine 
jehr große Ausbreitung bedingen. Man begreift daher, wenn in ältern Reife: oder 
Miffionsberichten von „beinahe nicht zu überjehenden Städten” der Murubljeg, Matja: 
raqua und andrer faft verjchollener Stämme geiproden wird. Früter und Sommerville 


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Die Berfhuanenfadt Shofhong (mad einer Skizze von Frank Oates). 


ichrieben 1801 Xitafo, dem Hauptorte der „Maatjaping‘, 15,000 Seelen zu; Sekomis Stadt 
Schoſchong war 1852 nad Chapmans Angabe von 12,000 bis 15,000 Seelen des Bamang- 
watovolfes bewohnt und erſchien diefem Reifenden als die größte Eingebornenitadt, die er 
überhaupt gejehen. Sie zog ſich eine engliiche Meile am Fuße des Berges hin. Kuruman 
hatte 1805 nach Lichtenfteins Schätung 600 Häufer und 5000 Einwohner. Womöglich 
drängt fi ein ganzer Stamm an einem und demjelben Orte zufammen, offenbar auch 
wieder hauptſächlich aus Sicherheitsgründen, und fo entjtehen dieje großen Orte, die jonft 
in feinem Verhältniffe zu der Kulturftufe ſtehen, welche die Betihuanen einnehmen, und 
am wenigiten zu ihrem hervortretenden Charakter eines Volkes von Viehzüchtern. 
Innerhalb der einzelnen Betſchuanenſtämme gibt e8 nicht unbeträcdhtliche Verſchieden— 
beiten des Hüttenbaues. Die Barolong und Batlapi bauen 3. B. feiter als die Bakwena; 
dagegen haben die Bakwena aus Thon gearbeitete Umzäunungen, wie man fie bei jenen 
nicht findet. Bei den Nordbetichuanen findet man auch befondere Beratungshäuschen, auf 
Prählen ftehend, die durd eine halbhohe Lehm- und Rohrwand verbunden find. Oder: 
malereien verzieren die Außenfeite der legtern. Oft fteht auch diefe Hütte, in welcher in 
der Regel ein Feuer brennt, in der Kotla, dem umzäunten Plate für Natsverfammlungen. 


Die Viehzucht ift die Grundlage des Lebens und der Ernährung aller Betſchuanen— 
ftämme. Sie ift es in wechjelndem Maße, injofern die nach den Gebirgen des Oftens zu 
Wohnenden die in wohlbemwäflerten Thalgründen gebotene Gelegenheit zum Aderbaue in 


Die „Stäbte”. Viehzucht. 293 


ausgiebigem Maße benugen, während die nad) der Kalahariwüfte Hinausgedrängten feine 
Kinderherden mehr zu halten im ftande find, die Pflege ihrer Fleinen Schaf: und Ziegen: 
herden den Weibern überlajfen und fi dafür mit um fo mehr Luft und Talent auf die Jagd 
werfen. Aber immer bleibt eine noch jo Heine Herde die Grundlage auch ihres Lebens und 
der Grunditod ihrer Ernährung. Selbjt die auf die Stufe des Buſchmannes oder jogar 
unter dieſelbe herabgejunfenen Bafalahari oder Balala, die Armen und Elenden, juchen 
ihre paar Schafe oder Ziegen zu erhalten und fommen fo nie zur äußerſten Befiglofigkeit 
herab wie die jchweifenden Bufhmänner, welche nichts als Bogen und Pfeil ihr eigen 
nennen. Aber die Herden der in beifern Gegenden lebenden Stämme erreichen oft gewaltige 
Zahlen, da alle diefe füdafrifanischen Viehzüchter die ſchon von den Hottentotten hervor- 
gehobene Gewohnheit haben, höchſtens nur zu feftlichen Gelegenheiten ein Stüd Vieh zu 
ihlachten oder als Ehrengejchent an Gaftfreunde abzugeben. Man jchätte 3. B. den Vieh: 
ftand der Bafuto vor dem legten Kriege diefes Stammes mit den Engländern zu 200,000. 
Die jüdlihen Betichuanen haben die großhörnige, mittelgroße Raffe, weldhe wir ©. 15 
beichrieben haben, während bei denen des Zambefigebietes fih außer diefer Raſſe noch 
eine Hleinere befindet, die al3 Batofarind bezeichnet wird, weil fie dem Stamme der 
Batofa abgenommen wurde. Wir haben Beichreibungen diefer intereflanten Raffe von 
Livingitone und von Chapman; wir entnehmen denjelben, daß das Batofarind nicht 
höher als 3 engl. Fuß, aljo etwa fo hoch wie ein jähriges Kalb wird, daß es den Short: 
horns etwas ähnlid, jehr milchreich, vortrefflihd von Fleifh und wunderbar zahm- ift. 
Die Sorge für das Vieh ift außer der Jagd die einzige Beichäftigung, welcher fich die 
Betihuanenmänner mit Liebe und Ausdauer widmen. Von ben Mafololo fagt Living: 
ftone: „Sie ſchätzen ihr Vieh jehr hoch und bringen viel Zeit damit zu, es zu verſchönern 
und zu ſchmücken. Einige Tiere fieht man über und über zebraartig geitreift, was durch 
Abjengen des Haares mit einem heißen Eifen hervorgebracht wird; andern hängen los— 
gelöfte Stüde Haut von mehreren Zoll Länge um den Kopf wie Troddeln. Auch ſchaben 
fie die eine Seite der Hörner, um ihnen eine ftarfe willfürlihe Biegung beizubringen. 
Ye baroder die Biegung der Hörner eines Rindes, um jo höher wird es gehalten, und um 
fo mehr gilt es al3 eine Zierde der Herde. Indeſſen beihränft fi die Vorliebe diejes 
Stammes für jein Vieh nicht auf derartige arabesfenhafte Zwede, ſondern er jucht foviel 
wie möglich, wenigftens da, wo er mit Europäern in Berührung gefommen ift, die Güte 
des Viehes zu verbeifern.” Als Livingitone von feinem erften Befuche beim Häuptlinge 
Sebituane (ſ. S. 308) nad) dem Kaplande zurüdfehrte, mußte er als höchſte Gunft ver: 
ſprechen, ihm einen Zuchtftier mitzubringen. Die Schafe der Betihuanen gehören der 
fogenannten ägyptifchen, großſchwänzigen Nafje an, weldhe wir ſchon erwähnten; die Ziegen 
find außerordentlich klein, alle ſchwarz und weiß gefledt. Außerdem haben die Betichuanen 
nur noch Hunde und einen geringen Schlag von Hühnern. Sie erweijen fi auch als ein 
echtes Viehzüchtervolf durch die Rolle, welche die Herden in ihrem ganzen öffentlichen und 
häuslichen Leben jpielen. Ihre Ehrengefchenfe find immer in erfter Linie Vieh. Die Krone 
jedes Feltes ift der Schmaus eines Rindes, und der Häuptling, welcher fih populär machen 
will, gibt feinen Kriegern ein Stüd aus der Herde zum beften. Die Männer, wenn fie 
ſich auch vor jeder andern Arbeit fcheuen, fhämen fich doch niemals, wenn es not thut, 
den Hirten - zu fpielen. Viehdiebftähle find der häufigfte Anlaß zu Feinbfeligfeiten der 
Stämme, und das Wegtreiben der Herden benugen, wie der legte Bafutofrieg gezeigt hat, 
felbit die Europäer als das wirffamfte Mittel, um einen Betjchuanenftamm zur Unter: 
werfung zu bringen. Das Begraben des Häuptlinges in feiner Viehhürde und das Weg: 
treiben der Herde über fein Grab iſt eine Sitte, welche man bei verjchiedenen Betihuanen: 
ſtämmen findet, eine echtefte Nomadenfitte. Ihre Lieblingsnahrung ift, wie die aller 


294 Die Betfhuanen. 


Kaffernvölter, geronnene Milch. Es ift einer der verächtlichiten Ausdrücke, die fie für 
Fremde oder Arme haben, wenn fie diefe „Waſſerbreieſſer“ nennen. Faſt die ganze Kleidung 
ift aus den Fellen der Rinder gefertigt, und Lederriemen find gleihjam der Mörtel ihres 
Haufes. Harte Ochfenhaut Liefert ihnen die Schilde. 

In viel geringerm Maße ift der Aderbau bei den Betichuanen geachtet und beliebt 
und greift demgemäß auch weniger tief in ihre ganze Thätigfeit und ihr Leben ein. Das 
ergibt ſchon der Augenschein, wie 3. B. das Bild lehren mag, welches Arboufjet von 
dem Aderbaue der Batlofa entwirft: „Sobald fie am Morgen ihre Kühe gemolfen haben, 
verlafjen fie den Stral, gewöhnlich unter Gefang. Männer und Frauen tragen auf der 
Schulter die Moguma, ihre Hade. Sie arbeiten dann im Felde bis 2 oder 3 Uhr nach: 
mittags. Die Frauen arbeiten ebenfoviel wie die Männer, wenn nicht mehr. Sie fümmern 
fi) wenig um die Form ihres Feldes; fie bearbeiten es ſtückweiſe, bald da, bald dort, ohne 
Ordnung. Die Hauptjadhe ift, daß die Erde umgewendet wird, wo fie dann in Fülle Hirfe 
und Mais, deren Stengel oft 2 m hoch werden, Kürbijje, Melonen, Rüben und die von 
den Miffionaren eingeführten Kartoffeln trägt.” Die Haue figt in einem am untern Ende 
dider werdenden Stiele, der das Gewicht derjelben beim Niederfallen erheblich vermehrt. 
Die Handhabung des Werkzeuges geichieht in der Weife, daß es beinahe jenfrecht über den 
Kopf gehoben und dann fallen gelaffen wird. Es dringt dann fait bloß durd fein eignes 
Gewicht in die Erde ein, jo daf die Arbeit, welche der Arbeiter oder die Arbeiterin 
dabei leiftet, gering ift. Freilich rigt ſolches Haden den Boden nur ein wenig auf, aber 
dies wenige genügt dem flüchtigen Aderbaue des Betichuanen. Impoſant wird ber 
Betſchuane als Feldarbeiter nur dann, wenn alle Männer und Weiber einer Gemeinde 
in gemeinfamer Arbeit das Feld ihres Häuptlinges und feines erſten Weibes bauen, 
wie e3 Herfommen und Pflicht ift. Zur ungenügenden Qualität diefer Art von Aderbau 
trägt noch der Umftand bei, daß in der Hegel die Felder möglichit weit von den in nächiter 
Nähe der Wohnpläge gelegenen Viehkralen angelegt find, um fie vor den Verwüſtungen 
durch das Vieh zu ſchützen. Infolgedeſſen braucht es oft lange Zeit, um fie zu erreichen: 
ein weiterer Grund, fie ſoviel wie möglich fich jelbit zu überlajjen. 


Die Gründung der Familie nimmt ihren Beginn mit dem Kaufe der rau, beren 
Preis von den Eltern des Bräutigams denjenigen der Braut bezahlt wird. Immer wird 
diefer Preis, welder Bohari genannt wird, in Vieh entrichtet; er erhebt ſich bei einigen 
nit über 5—6 Häupter, während die rinderreihen Bafuto in ihrer guten Zeit bis zu 
25—30 zahlten. Nah Cajalis darf bei den Bapedi ber Preis 7 nicht überjteigen, weil 
diefe Zahl eine Heilige ift. Die Verhandlung in diefen Weiberfaufsjachen werden jo 
öffentlich wie möglid) und vor Zeugen geführt. Die Scheidungen find bei dem Umftande, 
daf bei diefem Handel die Neigungen des Mädchens und oft genug auch die des Mannes 
für nichts gelten, häufig und würden wohl noch viel öfter vorfommen, wenn nicht Die 
Rückerſtattung des Kaufpreijes, von welcher nur da abgejehen wird, wo die Ehe fruchtbar 
war, jo viele Schwierigkeiten bereitete. Unfruchtbarkeit aber gilt als vollkommen unbejtreit- 
barer Scheidungsgrund, und nicht jelten Eehrt die Gejchichte der Sarah und Hagar wieder. 
Die Vielweiberei ift allgemein und tiefgewurzelt. Als Kivingftone dem jungen Häupt: 
linge Sefeletu von feinen Miffionsplänen ſprach, lehnte dieſer entjchieden ab, die Bibel lejen 
zu fernen: „Es möchte das”, meinte er, „mein Herz verändern, jo daß ich gleich Setſcheli 
mit einem einzigen Weibe zufrieden wäre”. Eins von den Weibern genießt den Vorzug 
vor den andern, ihre Hütte ijt das „große Haus“, und ihre Kinder gelten als erſtgeborne. 
An ihrer Wahl und ihrem Schidjale nehmen beide Familien größten Anteil, die andern 
find viel unmwichtiger. a, bei den Baſuto „macht“, wie jie jagen, „der einen jchlechten 


Aderbau. Familie. Ehe. Verwandtſchaft. 295 


Tod’, welder an der Seite einer Nebenfrau ftirbt. Doc wird nicht bloß das perjön- 
liche Behagen als Grund des Vorzuges angegeben, welchen die Vielmeiberei genießt, fondern 
e3 wird auch die Pflicht der Gaftfreundfchaft dafür ins Feld geführt, der man nicht 
nachkommen fönne, wenn man nur Ein Weib habe. indes werden diejenigen, welche fich 
von der Vielweiberei fern halten, ala Charaktere von achtungswerter Reinheit und Stärke 
gepriejen. Es wird auch hier, wie bei andern Kaffern, der Sohn Befiter von feines Vaters 
Meibern, wenn biejer ftirbt; aber feine Kinder von denjelben werden als jeine Brüder be: 
zeichnet. Dasjelbe findet auch ftatt, wenn ein älterer Bruder ftirbt. Die Kinderliebe ift 
bei beiden Gejchlechtern jehr groß, und als nach der Feſtſetzung am Zambeſi das veränderte 
Klima die Mafololo mit Krankheiten heimſuchte und Unfruchtbarkeit über ihre Weiber 
brachte, waren bieje tief unglüdlid. Ein ftarfes Motiv der Kinderliebe und vor allem 
des Wunſches, Kinder zu haben, ift bei rauen bie Furcht, wegen Unfruchtbarkeit verjtoßen 
zu werden. Stirbt das einzige Kind einer Frau, jo ift dies oft genug ihr moralifcher Tod. 
Aber die Söhne haben nur geringe Anhänglichkeit an ihre Mütter, mehr an die Väter, 
bejonderd wenn fie fi als die Erben von deren Herben betrachten können. Verftoßene 
Weiber oder Kinder, welche aus Hunger umfommen, find nicht fehr felten. Um dieje 
rauhen Eitten zu verftehen, muß man vor allem das Übergewicht im Auge behalten, 
welches dem männlichen Elemente in der Familie zulommt, als deren Herren im patriar- 
chaliſchen Sinne der Vater, der ältefte Sohn der Hauptfrau und unter Umftänden ber 
mütterlihe Obeim erſcheinen. Man hat in diejer Beziehung an die Stellung der römischen 
Mutter in ihrer Familie als „Schweiter der Kinder ihres Mannes” mit Recht erinnert; 
jo fpricht der Mofuto von feinem ganzen Haufe, indem er jagt: „Sch und meine Kinder”. 
Der ältejte Sohn, welcher Herr heißt, während feine Brüder Diener genannt werden, iſt 
ſchon bei Lebzeiten des Vaters deſſen Berater oder follte es fein, ohne welchen diejer nichts 
Wichtiges unternimmt; zugleich it er der Vermittler zwiſchen diefem und den übrigen 
Kindern. Schon früh pflegt er fich einen eignen Hausftand zu gründen. Bei den zentralen 
Betihuanen nimmt fogar der Vater den Namen des älteften Sohnes an, während die 
Mutter den des jüngften in der Form 3. B. Ma-Sebele, Mutter des Sebele, annimmt. Se 
älter der Vater wird, dejto höher wächſt der Einfluß des „Sohn: Herrn” und führt nicht 
felten zu offener Rivalität, welche noch verftärkt wird dur das Eingreifen des in gewiſſem 
Maße die Rechte der Gattin vertretenden mütterlichen Obeimes. Aber mit diefem Einfluffe 
ift auch die Verantwortung für das Gebaren der jüngern Kinder verbunden. Wenn bie 
Mutter alt wird, zieht fie ſich zu diefem Sohne zurüd. 

Die Wichtigkeit der Verwandtichaftsverhältnifje, der praftiiche Wert, welcher 
auf diejelben von allen gelegt wird, ift aud ein echt patriarhaliicher Zug. Der Kinder: 
reichtum ber Familien und befonders der reichen erleichtert die Anknüpfung von Familien: 
beziehungen nach allen Seiten. „Sie legen bejondern Wert auf Verwandtichaft mit großen 
Familien‘, fagt Livingftone. „Trifft man auf eine Schar von ihnen, und der Führer hört 
nicht fofort durch feine Begleiter feine Verwandtſchaft zum Onfel irgend eines Häuptlinges 
verfündigen, jo vernimmt man wohl, wie er ihnen zuflüftert: ‚Sag’ ihm, wer ich bin! Dies 
bringt dann in der Regel die Abzählung der Zweige jeines Stammbaumes an den Fingern 
mit ſich und endigt mit der wichtigen Mitteilung, daß das Haupt dieſer Gefellichaft Nach: 
geihmwilterfind irgend eines wohlbefannten Häuptlinges ift.” Dieſe Hochhaltung der Ver: 
wandtihaftsbande bringt es aber auch mit fi, daß alles, was von Anſchauungen und 
Sitten mit ihnen zuſammenhängt, außerordentlih tiefe Wurzeln in diefen Völkern fchlägt. 
Darin beruht vor allem die Schwierigkeit des Problemes der Vielmweiberei. Mancher 
hriftenfreundliche Kaffer mag mit Setjcheli, dem Freunde Livingftones, ausgerufen haben: 
„od, wie wünfchte ich, daß du in diefes Land gekommen mwäreft, ehe ich in die Majchen 


296 Die Betfhuanen. 


feiner Sitten mid) verflochten hatte‘. Aber welche Bande würde nicht allein ſchon die 
Ausfonderung eines einzigen überflüfjigen Weibes aus dem innern Herdkreife zerreißen! 
Das erfuhr der eben genannte Häuptling, der nad) Geilt und Charakter freilich eine große 
Ausnahme in jeinem Volke war, als er wirklich das Unerhörte wagte; denn alle Ber: 
wandten feiner entlafjenen Weiber wurden aus Freunden Feinde, und die Zudt in feinem 
Stamme loderte ſich bis zur Auflehnung. 

Die Betichuanen erkennen ebenfo wie die andern Südfaffern an, daß nahe Ver: 
wandtjhaft ein Ehehindernis bildet; fie verdammen dem entiprechend die Heirat 
zwiſchen Brüdern und Schweitern, Oheimen und Nichten, Tanten und Neffen, Bei einigen 
Stämmen gilt (nad) Caſalis) jogar die Ehe zwischen Vettern und Baſen für blutſchänderiſch. 
Groß ift aber bei den meiften Stämmen die Unzucht außer der Ehe. Nach gemeinfchaftlichen 
Arbeiten zweier Dörfer, nad) Feten, bei der Einweihung der Mädchen finden Vermiſchungen 
ftatt, die ein Spott auf die Ehe find. Der Mädchenraub zum Gebrauche des Häuptlinges 
und des Hofes, welcher der Geraubten zur Ehre gereicht, ift nicht felten. Daneben werden 
aber Ehebrucd und Notzucht hart beitraft, doch nur, weil fie Eigentumsverlegungen find. 

Der Betichuane, welder an einer Hütte ein Bündel Rohr aufgeftedt fieht, weiß, daß 
hier dem Erjcheinen eines neuen Stammesgenoffen entgegengejehen wird, und vermeidet, 
die Frau zu ftören, welche in diefem wichtigen Nugenblide ungeftört fein will. Das Weib 
hat ſich nämlich vor der Geburt eines Kindes zu feinen Eltern begeben, bei welchen es 
bis zur Reinigung verweilt. Jenes aufgeltedte Rohr hat eine tiefere ſymboliſche Bedeutung, 
die mit den Anſchauungen der Betichuanen vom Werden des Menſchen zufammenhängt. 
So hat auch das erjte „Austragen“, wie wir es nennen würden, fein tieferes ſymboliſches 
Zeichen; denn nicht eher joll die Mutter mit ihrem Neugebornen vor ihren Nachbarn 
ericheinen, als bis das Kind, in mondheller Naht vor die Hütte gebradt, nach dem 
Monde feine Augen richtete. Ehe fie in die Hütte ihres Gatten zurüdfehrt, wird fie Durch 
ein Opfer gereinigt, das ihre Eltern darbringen; das Fleiich des Opfers nimmt das Weib 
mit nad) Haufe, und aus der Haut wird der Tari, jenes Tragfell, gemacht, in welchem 
das Kleine am Rüden der Mutter befeitigt wird. Diejes Tragen am Rüden hat manche 
Vorteile für das Kind, das immer fo nahe wie möglich feiner natürlihen Beihügerin 
und jeiner ebenjo natürlichen Nahrungsquelle bleibt und immer gleiher Wärme in feiner 
„lebendigen Wiege’ ſich erfreut. Aber im übrigen ift die Erziehung der Kinder ſehr wenig 
rationell. Man rafiert ihnen den Kopf glatt wie eine Billardfugel, beijhmiert ihn mit 
Fett und Oder und läßt ihn jo ftundenlang den Strahlen der tropifhen Sonne ausgejett. 
Um das Hälschen hängt man ihnen fchon früh jo viele und jchwere Amulette, als man 
nur erlangen fann. Die Mutter, welche ihr Kind jäugt, lebt ebenjo unvorfichtig wie jonft 
und hört vor allem nicht auf, Mafjen von Bier zu verjchlingen. Daher darf man wohl 
auch ohne Sterblichkeitsjtatiitif jo guten Beobadhtern wie Cafalis und andern glauben, 
daß die Sterblichfeit der Kinder eine noch größere ift als bei uns. 

Man liebt, wie bei uns, dem Neugebornen den Namen eines Großvaters, einer Groß: 
mutter oder ſonſt eines hochgeachteten Verwandten beizulegen. Doch finden ſich aud) Namen 
andern Urjprunges, 3. B. joldhe, welche an die Umftände erinnern, unter denen das Kind 
geboren ward. Namen wie Monaheng (im Felde) oder Ntutu (Gepäd) bedeuten das Geboren- 
jein auf der Reife, Tlokotſi (Unglüd) und Likeleli (Thränen) das Geborenfein in einer Zeit 
der Trübſal. Aber diejer dem Kinde gegebene Name wird nad) der Beichneidung gegen einen 
jelbftgewählten vertaufcht, und große Ereigniffe geben auch noch in fpätern Jahren Anlaß 
zu Namensänderungen. So hieß einer der größten Bafutohäuptlinge erit Lepoko (Streit), 
weil er in einer Periode bürgerlicher Zwiftigkeiten geboren war; dann erhielt er den Namen 
Zlaputle (Gejchäft) wegen jeiner Vielthätigfeit, und endlich gab man ihm in der Zeit jeiner 


Ehehinderniffe. Geburt. Erziehung. Jugendſpiele. 297 


größten Macht den Namen Moſcheſch (Barbier), weil er alle feine Feinde barbiert hatte. 
Die Knaben gehen bis zu fieben oder acht Jahren nadt, während die Mädchen ſchon früh 
eine mit Glasperlen verzierte Schürze tragen. Bereit vor diefem Alter ziehen jene mit 
den Ziegen und Schafen ihrer Eltern auf die Weide, während dieſe mit der Mutter auf 
das Feld gehen, um Reiſig oder trodnes Unfraut zum Brennen zu jammeln, oder fie 
bleiben zu Haufe, um jüngere Geſchwiſter zu hüten. Schon in fo frühem Alter find die 
Mädchen gebundener als die Knaben, denn diefe verbringen hütend und faulenzend den 
beiten Teil ihrer Jugend im Freien, wo fie nad) Belieben ſich ihren Spielen hingeben, 


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Bamwendalinder (nah Photographie im Beſitze des Miffionsdireltord Herm Dr. Wangemann in Berlin). 


thönerne Rinder formen, Blumenkränze flechten und dergleihen und immer jchon ihren 
Häuptling in Geftalt des Stärfften von ihnen anerfennen, der ihre Streite jchlichtet 
und fie anführt. Unter den friedlichen Spielen der Heinen Mädchen fand Cajalis das 
Stridhüpfen und das Erraten des in gejchlojjener Hand verborgenen Steindens. Täufcht 
fi die Erratende, jo ruft die andre triumphierend: „Du iffeft vom Hunde und ich vom 
Ochſen“; im entgegengejegten Falle dagegen jagt dieſe: „ch effe vom Hunde und du 
vom Ochſen“. Würfeljpiel und Wettlauf find weitere beliebte Spiele. Zärtlihe Eltern 
Schenken ihren Kindern Rehe oder Antilopen, die fie zähmen, denen jie Gehege bauen ꝛc. 
An unſre eigne Jugend erinnert aud die Freude an Geſchichten und Rätjeln, und von 
jenen find aud hier die am beliebtejten, welche am beten grufeln machen. An den Regen: 
tagen und den langen Abenden jammelt fi) die jugendliche Bewohnerſchaft der dunfeln 
Hütte um die Erzählerin, gewöhnlich die Großmutter. Die Geſpenſtergeſchichten ſetzen 


298 Die Betfhuanen. 


die erregbare Jugend jo in Schreden, daß es junge Leute gibt, die ſich jcheuen, die Milch- 
ftraße zu betrachten, weil fie in derjelben eine ungeheuerliche Bereinigung gefpenftijcher 
Weſen zu jehen fürchten! 

Der große Unterfchied diefer Jugendzeit von der unjern liegt in ihrer Kürze. Sie 
fann nicht fürzer fein, denn kaum ift ein Anabe 14 Jahre alt geworden, jo jchaut jein 
Vater fih nad der Braut um, und einige Monate darauf ift aus dem Anaben ein Ehe— 
mann geworden. Doc hat ihn vorher eine feierliche Handlung bereit auch formell aus 
dem Kindesalter heraustreten laffen. Sobald nämlich die Knaben mannbar werden, müſſen 
fie fih der Beſchneidung unterwerfen. Es wird diefelbe nicht jährlich oder ſonſt zu 
vorgeihriebenen Zeiten vollzogen, jondern nur, wenn eine Anzahl von mannbaren Jüng- 
lingen vorhanden ift, und bejonders dann, wenn zufällig der Sohn eines Oberhauptes 
mit unter dieſer Zahl ift. Alle diefe Knaben werden vor den Häupt— 
ling gebracht, welcher jie in eine eigens hierzu an einfamem Orte 
gebaute Hütte führen läßt, wo fie gemeinfam die Aufſicht über 
eine Herde Kühe zu übernehmen haben, deren Milch ihnen gleich: 
zeitig zur Nahrung dient. Nach einiger Zeit erjcheint der Häupt— 
ling, begleitet von einem Manne, der die Bejchneidung zu voll: 
ziehen bat. Weiber find ftreng ausgejchloffen. Der Bejchneider, der 
im übrigen fein priefterliches Anſehen hat, verrichtet die Operation 
mit einer kurzen Aſſagaie. Bei einigen Stämmen wird die ganze 
Vorhaut weggenommen, bei andern nur ein Teil. Sobald dieſe 
Handlung beendigt ift, wird die Ajjagaie in Waller, womöglich in 
einen Fluß gelegt, wo fie bleiben muß, bis alle die Bejchnittenen 
genejen find. Nach der Operation werden die Wunden mit heilfamen 
Ein Penisjutteralder Kräutern gebäht und verbunden, und jeder Bejchnittene muß fich 
u täglich mit Thonerde den ganzen Körper weiß färben. In der Hütte, 

34 wirkt. Größe. in welder fie ohne Matten jchlafen, wird der Boden mit Ajche be- 
ftreut. Jeden Morgen fommt der Mann, welcher die Bejchneidung 

vollzogen hat, nebjt einem Abgejandten des Häuptlinges, um die Wunden zu verbinden 
und fich zu überzeugen, daß in der Weißfärbung des Körpers und der Reinhaltung der 
Wunden nichts verfäumt wird. Nachläffigkeit in diefen Dingen beftraft er mit Stock— 
ſchlägen. Iſt endlich die Heilung vollendet, jo bringen die Jünglinge ihre feitherigen Kleider, 
Geräte und Eßgeſchirre alle in die Hütte und verbrennen das Ganze zufammen. Dann 
gehen fie ins Waſſer und wajchen fich und werden fo gereinigt vor den Häuptling geführt. 
Von ihren Eltern empfangen, mit neuen Kleidern beſchenkt und mit einem Feftmahle aus 
gefochter Hirfe und Mil bemwirtet, bei welchem fie indejjen große Mäßigkeit zu zeigen 
haben, erhalten fie nun ihre Waffen, und einer von den Älteften erklärt ihnen, daf fie 
unter die Zahl der Männer aufgenommen jeien. Dem Häuptlinge felbit geloben fie dann 
Gehorſam und Beiltand und ftellen Waffenübungen vor ihm an, und das Felt jchließt 
endlich mit einem allgemeinen Tanze. Dieje jungen Männer tragen von dieſem Tage an 
einen Heinen ledernen Überzug über der Rute (j. obenftehende Abbildung), welcher mit 
Perlenſchnüren oder jonftigem Zierate bekleidet ift. Während fie als unbejchnittene Kna— 
ben den Namen Quinqueh führten, heißen fie nun Inkowala oder Indoda. Sn jenem 
früheren Zuftande hatten fie als unrein nicht mit ihren Eltern zuſammen ejjen dürfen, was 
ihnen jegt gejtattet wird. Dagegen jchlafen fie von nun an, ftatt in der Hütte ihrer 
Eltern, bei unverheirateten oder verwitweten männlichen Verwandten ihres Gejchlechtes, 

Einen ähnlichen Abjchnitt wie die Bejchneidung bei den Knaben bildet die Abjone 
derung gelegentlich des eriten Eintrittes der monatlichen Reinigung bei den Mädchen. 





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Beichneibung. Begräbnid. Unfterblichfeitsglaube, 299 


Sie müſſen fih in eine abgejonderte Hütte begeben, die fie während dieſes Zuftandes 
nicht verlaffen dürfen. Cinige jüngere Mädchen leiften ihnen Geſellſchaft, dürfen aber 
fowenig wie dieje felbit in diefer Zeit einen Tropfen Milch genießen; man ſchlachtet ein 
Rind für fie und läßt fie mit Singen und Tanzen ſich die Zeit vertreiben. Endlich 
mwäjcht fich das Mädchen, färbt fih den Leib mit roter Erde und empfängt Geſchenke 
aus den Händen ihrer jüngern Gefpielinnen. Dann betreut fie den Boden der Hütte mit 
roter Erde und verläßt diejelbe, In einiger Entfernung ftehen die Frauen und mannbaren 
Mädchen, von denen eine ihr entgegenfommt, fie bei der Hand nimmt und mit ihr fo 
raſch wie möglich unter den Haufen zurüdläuft, der fie mit frohem Jauchzen empfängt. 
Nahdem fie mit dargereichter Mil ihren Mund ausgejpült, wird eine gemeinfame Mahl— 
zeit gehalten, und nun gilt fie für mannbar und gehört zu ber Gemeinſchaft der Frauen. 
Alle Frauen genießen bei diefem Feſte alle möglichen Freiheiten und werfen in tolljter 
Ausgelaffenheit für einige Tage das Joch ihrer Unterordnung ab. 


An die allgemein verbreitete Auffaſſung des Todes als einer nicht natürlichen Wirkung 
von Zauber und dergleichen fchließt fih der Glaube der Betihuanen an eine Wie: 
derfehr fait jelbftverftändlich an, der ſich auch deutlich in ihrer Begräbnisweiſe aus 
ſpricht. Sie bringen den Leichnam, ehe er Falt und fteif geworden, in eine figende Stellung, 
das Kinn auf den Knieen, indem fie ihn mit Striden umminden und ihn in Felle oder Tücher 
nähen. So feßen fie ihn in einem Grabe bei und geben dem Manne Keule und Speer 
fowie Schüffel und Löffel, Getreide und Kürbisferne mit. Dagegen werfen fie die Leiche 
eines bei ihnen verjtorbenen Fremden den Tieren vor und laſſen bie ihrer Volksgenoſſen, 
welche in der Schlacht fielen oder von Raubtieren getötet wurden oder ſonſt durd einen 
Unfall ums Leben famen, da liegen, wo fie ftarben. Die Trauer um einen Toten ift 
immer laut und durchdringend und wird am eheften und lauteften von den Matronen ber 
Nachbarſchaft erhoben, welche ſogleich zuſammenkommen und unter langgezogenen „oh! 
Joh! Joh!“ die Tugenden des Toten preifen und die Verlaffenheit feiner Familie beflagen. 
Die größte Trauer muß, entiprechend feiner untergebenen Stellung, das Weib des Ver: 
ftorbenen befunden, Als Mahutu, Letichulatebes Onfel, ftarb, begrub fein junges Weib 
ihren Schmud mit ihm und trauerte in der Weile, dab fie Chapman, ber fie vorher 
jtet3 aufs buntejte geihmücdt gefehen, wie die ärmfte Buſchmännin vorfam; fie hatte 
nicht bloß allen Schmud abgelegt, ſondern aud) ihren Körper aufs äußerſte vernadhläffigt. 

Noch eine Anzahl von auffallenden Sitten, welche zum Teile eine weite Verbreitung 
auch über andre Kaffernftämme haben, knüpfen ſich an das Begräbnis; fie deuten teil- 
weife nach derjelben Richtung wie die früher angegebenen. So wird für den Leichnam 
eine eigne Öffnung in die Hüttenwand gemacht, durch welche man ihn hinausträgt. Daß 
man bas Begräbnis fo jehr beichleunigt, erklärt fich zur Genüge aus dem Unbehagen, welches 
das AZufammenfein mit einem Leichname in dem engen Raume einer Betichuanenhütte 
erzeugt. Häuptlinge begräbt man in ihrem Viehfrale und treibt die Herde über den Ort, 
wo fie ruhen, während ihre Weiber und Kinder unter der Einfriedigung des Gehöftes ihre 
legte Ruhe finden. Man ftreut auch wohl Getreide vom Grabe bis zur Hütte, die der 
Tote bewohnte, angeblihd um die üble Gefinnung zu befänftigen, welche der Tote gegen 
die Zurüdgebliebenen hegen könnte. Was fie von dem beweglichen Eigentume des Verftor: 
benen nicht einfah wegwerfen, wird aufs forgfältigite gereinigt. Die Hinterlaffenen 
empfangen dann die Bejuche ihrer Verwandten, welche laut klagend fich nähern, um oft 
ftundenlang in trauriger Stille bei den Leidtragenden zu figen. Phraſen von weltweiter 
Verbreitung, wie: „Das ift der Weg, den alle Dinge nehmen“, „Heute mir, morgen 
bir”, „Ihr braucht euch nichts vorzumwerfen“, fehlen bei dieſen Kondolenzvifiten nicht. 


300 Die Betſchuanen. 


Trauerzeihen der Angehörigen find geſchornes Haar, eiferne Halsfetten ftatt der fupfernen 
oder der Glasperlen; die Witwen und Waifen binden eine Schnur um ben Kopf. Man fann 
angeficht3 diefer Gebräuche nicht daran zweifeln, daß die Betſchuanen eine Vorftellung von 
einem Fortleben nah dem Tode haben. Und jo ift es. Die Betfhuanen beten zu den 
Seelen oder Geiftern ihrer Vorfahren, welde fie im Innern der Erde wähnen, und es ent: 
fpricht dem, daß wenigſtens einzelne Stämme, wie die Barolong, aud den Wahnfinnigen, 
als der Seele Beraubten, eine gewiſſe Verehrung erzeigen. 

Es ift lange Zeit unter den Miffionaren und den Völkerkundigen darüber geftritten 
worden, ob die Betichuanen irgend eine Ahnung von einem höhern Wefen hätten. Haupt: 
jächlich follte dagegen jprechen der Mangel jedes Wortes für Gott in ihrer Sprade. 
Allein fie kennen einen „Morimo”, der im Himmel wohnt, den fie zwar nicht immer jehr 
ehrfurchtsvoll behandeln, der aber immerhin ihr Gott genannt werden darf. Chapman 
pafjierte eine Schar von Bamangwatofrauen, die ein Maisfeld abernteten, als ein Gewitter 
einbrad), und ſah, wie fie mit ihren erhobenen Hauen ſcheltend „Morimo“ gen Himmel 
riefen und fi dabei wie wütend gebärdeten, weil Morimo ihre Arbeit unterbrad. Für 
die hriftlihen Betjchuanen ift dies Gebaren jchredlid), und fie behaupten, daß Gott ſchon 
mehrere diefer Läfterer mit dem Blite erichlagen habe. Dies ſcheint anzuzeigen, daß fie 
in Morimo den Herrn oder Geilt des Himmels jehen. Das nädjitverwandte Wort ift 
„Barimo“ und bedeutet „Geiſt des Abgeſchiedenen“. 

Es ift unmöglich, ihre zahlreichen abergläubiichen Gebräude (j. S. 187) ohne die An: 
nahme ihres Glaubens an höchſte Mächte zu verftehen. Der Mangel an Logik geht bei den 
Wilden weit, aber nicht jo weit, daß fie allerlei Dinge von einem Nichts erflehen und dem: 
jelben opfern. In der Natur des Landes, das fie bewohnen, nämlich in jeiner Trodenheit, 
liegt es jhon, daß höhere Mächte zum Eingreifen aufgefordert werden müſſen, und es folgt 
direft aus derjelben, daß der „Negenmacher” einen außerordentlichen Einfluß befigt, der 
nicht felten den des Häuptlinges übertrifft, wenn auch der Regenmader den Häuptling in 
der Negel als jeinen Obern, jagen wir al$ ben Oberpriejter der Kajte, anerkennt. Es hat 
das aber feinen Grund zum großen Teile darin, daß die Negenmacher im allgemeinen Män- 
ner von Scharfjinn und natürlichem Talente find. In der That ift e8 oft nicht unwahr: 
ſcheinlich, daß fie, kühn gemacht durd) das volle Gefühl ihrer Überlegenheit, mit Bewußtjein 
den Geift de3 Volkes vor ihrem Zauber in den Staub beugen. Dazu find fie nicht ſelten 
Fremde, welche es fich angelegen fein laffen, ihre Thaten nad) außen hin möglichft groß er: 
ſcheinen zu laſſen. Jeder Stamm hat einen Regenmacher und oft mehrere, die zugleich auch 
die ärztliche Praris ausüben, was ihren Einfluß nur erhöhen kann. Ihre Macht geht jo 
weit, daß fie jogar im ftande find, die geheiligtfte Übung diejer Völker, das Begräbnis ihrer 
Toten, durchaus umzuftoßen und mit Erfolg zu befehlen, daß ein Leichnam einfach weg— 
gejchleppt und den Raubtieren zum Fraße überlaffen werde. Moffat erzählt einen Fall, 
wo die Betjchuanen von Kuruman, die durch mehrjährige Trodenheit geängftigt waren, einen 
berühmten Regenmacher aus 200 engl. Meilen Entfernung fommen liegen, wo er bei den 
Bahurutje wohnte. Durd) große Veriprehungen gelang e8 ihren Boten, denjelben zun Kom— 
men zu bewegen. Ehe ber Zauberer das Dorf betrat, fandte er deifen Einwohnern den 
ftrengen Befehl, ihre Füße zu waſchen, und kaum war derjelbe verkündet, ald jedermann, 
jung und alt, hoch und niedrig, zum Fluffe eilte, um das Gebot des übermächtigen Mannes 
zu erfüllen. inmitten der lautlos horchenden Bewohner verkündete er dann, daß in dieſem 
Sahre die Weiber nicht in den Thälern, jondern auf den Bergen jäen und pflanzen müßten, 
da jene überſchwemmt werden würden. Dann erzählte er ihnen prahleriſche Geſchichten, wie 
er in feinem Zorne die Städte der Feinde feines Volkes verwüftet habe, indem er die Hand 
ausitrekte und den Wolfen gebot, fih über ihnen zu entleeren, oder wie er den Marſch 


Aberglaube. Gefchichte eines Regenzauberers. 301 


einer mächtigen Armee gehemmt habe, indem er Regengüffe fallen ließ, welche zu mächtigem 
Strome ſich jtauten, den jene nicht zu überjchreiten vermochte. Alles warb als reinfte 
Wahrheit hingenommen. Der Ruhm feiner Kraft verbreitete fich wie Feuer über das 
Land, und die Häuptlinge der Nahbarftämme famen, um ihm ihre Ehrfurcht zu bemweifen. 
Trogdem feine Verfprehungen fi in feiner Weife erfüllten, wußte er doch den Betrug 





Ein Bafutozauberer (nah Photographie im Befike des Miffionsdiretord Herrn Dr. Wangemann in Berlin). 


mit großer Fertigkeit weiterzufpielen. Wenn Wolfen auffteigen wollten, befahl er den 
MWeibern, weder zu ſäen noch zu pflanzen, damit nicht ihre Arbeit fortgewajchen werde. 
Dann wieder verlangte er, daß man ihm gewiſſe Kräuter ſammle, und die Dorfbewohner 
gingen mit beſtem Willen hinaus und fehrten beladen unter frohen Gejängen zurück. Mit 
diefen Kräutern machte er dann auf den Gipfeln von Hügeln Feuer an, deren Rauch 
fich weithin verbreitete. Er that das mit Vorliebe um die Zeit des Neu: und Vollmondes, 
wo Witterungsänderungen ohnehin nicht jelten eintreten. Trogdem dies alles ohne Erfolg 


302 Die Betfduanen. 


blieb, wanfte der Glaube nicht. Endlich fiel eines Tages ein Schauer, worauf einer der 
Erſten des Dorfes in fein Haus lief, um ihm feine freude auszudrüden. Aber wie groß 
war fein Erjtaunen, al3 der Zauberer, den er in voller Arbeit glaubte, fo fejt ſchlief, daß 
er gar nichts von dem Regen hörte. Zum Glüde für den jchlauen Regenmacer war eben 
fein Weib am Boden damit bejchäftigt, einen Milchſack auszufchütteln. „Siehſt du nicht, 
wie mein Weib Negen ausjchüttelt, jo raſch fie fann?” Dieſe Antwort gereichte zur vollen 
Befriedigung, und jogleich ging die frohe Neuigkeit durch das Dorf, daß der mädtige Mann 
den Negen babe aus dem Milhjade jchütteln laffen. Als nun nad) diefem Schauer neuer: 
dings fogleich wieder Trodenheit eintrat, klagte er, dab es in ber Gemeinde einige Schlechte 
geben müſſe, welche fich feinen Geboten entzögen. Und als man ihn inftändig bat, einige 
neue Verſuche anzuftellen, rief er aus: „hr gebt mir nur Ziegen und Schafe zu ſchlachten, 
daher kann ich nur Ziegenregen maden; gebt mir aber fette Schlachtochſen, und ich mill 
euh Ochſenregen jehen laſſen“. Als eines Nachts eine Gemwitterwolfe über der Stadt 
hinzog und der Blig in einen Baum ſchlug, wurde derjelbe am nächſten Morgen beitiegen, 
an mehreren Stellen mit Wurzeln und Gras verbunden, worauf der Zauberer mit großer 
Feierlichleit Waſſer über ihn jprigte und die Menge „Pula, pula!“ ſchrie. Dann wurde 
der Baum umgehauen und außerhalb des Dorfes zu Aſche verbrannt. Der Zauberer ließ 
fih endlich große Gefäße voll Waffer geben, in welde ein Aufguß irgend welcher Knollen 
gegoffen wurde, und indem alle Männer des Dorfes an ihm vorüberſchritten, beiprengte 
er jeden vermittelft eines Zebrafchwanzes mit diefer Flüfligfeit. Noch immer wollte der 
vielerfehnte Regen nicht fommen, daher griff er nun zu Mitteln, welche ihm Zeit gaben. 
Er behauptete 3. B., das Herz eines Löwen zu feinem Zauber nötig zu haben. Schwer, 
wie diefe Forderung war, wurde doc auch fie erfüllt, und eines Tages zog ein zu 
diefem Zwede ausgefandter Trupp im Triumphe mit dem gewünjchten Löwen ins Dorf. 
Der Zauberer fäumte nicht, anfcheinend des Erfolges diejes Mal volllommen fidher, fein 
Feuer auf einem Hügel anzuzünden, mit erhobener Hand die Wolfen herbeizurufen und 
gelegentlih unter Speerfhütteln ihnen mit feinem Zorne zu drohen, wenn fie nicht 
folgen follten. Die Bevölkerung war außerorbentlich erftaunt, als auch jest noch Fein 
Regen fiel. Nocd ein Mittel kam jegt an die Reihe, das bei der befannten Totenfurcht 
diefer Eingebornen jedenfall eines tiefen Eindrudes auf ihre Phantafie nicht verfehlen 
fonnte. Der Zauberer befahl, den Leichnam eines vor einigen Wohen Begrabenen 
wieder auszugraben, zu wachen und neuerdings zu beerdigen. Gegen jeine Erwartung 
wurde auch diejes Gebot vollzogen, wenn auch mit Furcht und Abſcheu. Aber auch jegt 
fam ber Regen nit. Da griff er endlich zum legten Mittel, das er ficherlich für das 
allerbienlichite hielt, um die drohende Enttäufchung des Volkes von fi abzulenken. Plöß: 
lih behauptete er, daß der Regen darum nicht fomme, weil Moffat einen Sad voll 
Salz von Griquatown gebradht habe. Da aber die Eingebornen fanden, daß diejer Sad 
ftatt Salz Kalf enthielt, endigte diefe Anklage in Gelächter. Indeſſen ließ der Zauberer 
diefen Faden nicht fallen. Nachdem er fih 14 Tage ruhig gehalten, trat er plögli vor 
die verfammelte Gemeinde mit der Eröffnung, daß er nun endlich die Urfache der Regen- 
lofigfeit gefunden habe. „Seht ihr nicht, wenn Wolfen über uns jtehen, daß Hamilton 
und Moffat nad ihnen Schauen? Ihre weißen Gefichter verfheuchen fie, und ihr könnt 
feinen Regen erwarten, folange fie im Lande find.” Die Leute glaubten zuerft feinen 
Anfhuldigungen, und die Lage der Miffionare fing an, unbehaglid und felbit gefährlich 
zu werben, al3 glüdlicherweife Verdachtsgründe gegen den Regenmacher auftauchten und 
einige feiner Betrügereien entlarvt wurden. Nun ftieg die Wut des Volkes ebenjo hoch 
wie vorher die Verehrung, und der Gaufler würde feine Laufbahn mit gewaltfamen Tode 
geendigt haben, wie fo mander von feinen Genoffen, wenn nit Moffat ihn aus den 


Zauberer. Amulette. 303 


Händen der Wütenden befreit hätte. Übrigens wurde er dennoch jpäter bei den Bamang- 
fetfi getötet. Der Miffionar ſchließt jeine Schilderung mit dem Hinzufügen: „Es ift eine 
bemerkenswerte Thatjache, daß niemals ein Regenmacher des natürlichen Todes ftirbt. Aber 
es gibt feinen Stamm, dejjen Leute nicht ihre Hände in das Blut diefer Betrüger getaucht 
hätten, welche fie zuerjt anbeten, dann verfluchen und zulegt töten.” Außer dem Regen: 
machen find der zeremonielle Genuß der erjten Feldfrüchte, das Verzaubern und die Heil: 
funde unter den Aufgaben der Priefter zu nennen. 

Abgejehen von der Bertrautheit einerſeits mit der Seele, der Urteiläfraft, den Neigun: 
gen ihres Publifums und anderjeit3 mit den Naturerfcheinungen, find auch nod andre 
Kenntniffe, die den Menjchen imponieren können, diefen Zauberern und Beſchwörern nötig. 
Chapman jah bei Letjchulatebe einen berühmten Zauberer vom Stamme der Makoba, 
welcher eine große Gejchidlichkeit in der Schnellfingerfunft zeigte. Vor jedem Kunſtſtücke 
rief er mit erhobenen Händen Gott (Morimo) 
an. Nicht bei allen erfreute fich übrigens dieſer 
Meifter gleih großer Achtung. Von Letjchu: 
latebe waren ihm für einen Diebftahl, den er 
begangen, einfach die Ohren abgejchnitten wor: 
den, Ähnliche Künfte mögen mandes zu dem 
Rufe geſchickter Zauberer und Diebe beitragen, 
in dem die Mafoba ftehen. Derjelbe Zauberer 
der Makoba ftand auch im Rufe eines fehr ge: 
ſchickten Arztes; man traute ihm jogar zu, daß 
er den Leib eines Menjchen auffchneide, die franz 
fen Eingeweide desjelben herausnehme, heile, 
reinige und dann alles wieder in den rechten 
Stand zurüdbringe, und vieles Ähnliche. Bei 
einer Heilung ätte er zuerjt den Sit der Kranf: 
beit, jog jodann an der Wunde und verfiel, 
nachdem er angeblich die Krankheit in ſich auf: 
genommen, in Zudungen, aus welchen ihn nur 
die größte Anftrengung der Zufchauer rettete. 
Darauf zog er an der Spige des Meſſers aus feinem Munde ein Stüd irgend eines Stoffes, 
der für die Krankheit erklärt wurde. Auch in die Rechtspflege und ſelbſt in die 
Politik greifen dieſe Zauberer mit ihren Künften und ihrer Schlauheit ein. Sie haben 
die Gottesurteile zu leiten. Livingſtone erzählt von einer Art Gottesurteil, das die Mafo- 
lolo Muavi nannten, und bei weldhem der Abjud einer brechenerregenden Pflanze getrunfen 
wird. Weiter gehört zu ihren Funktionen die Übung der dem öffentlichen Wohle dienenden 
Gebräuche, wie des Vergrabens zweier Antilopenhörner an den zu einer Stabt führenden 
Pfaden, das Aufhängen von Töpfen zwiſchen den Gehöften und an die Stabt beherrichenden 
Punkten jowie von Bavianföpfen nahe dem Eingange zur Kotla, die Bereitung der aus dem 
Blute eines noch ungebrauchten, geblendeten Rindes gewonnenen Kriegsfalbe, die Reinigung 
der Herditellen durch Verfegen und Weihen der drei Herdfteine. Vor allem ijt aber das Los— 
werfen wichtig, für welches fie, nad Merensfys genauer Beichreibung, einen Sag von 19 
Ditaolo (wahrjagenden Dingen) haben: 4 größere Knochen aus dem Knie des Ochſen, der 
Kuh, des männlichen und weiblihen Kudu (Antilope strepsiceros), 11 Ajtragalen von 
ebenjoviel verfdiedenen Tieren (Ziege, Schaf, Pavian, Meerſchwein u. a.), 2 Lositäbe 
aus Kuhhorn in Form ftumpfer Pfeile, Weiber genannt, und 2 Würfel aus Ochſenklauen, 
Männer genannt. Die lettern beiden machen die entjheidenden Würfe (ſ. obenftehende 





Bürfel und Amulette eines Bamangmwato- 
zauberers (ethnographiſches Muſeum, Münden), 


304 Die Betfhuanen. 


Abbildung und Abbildung auf ©. 185). Hier noch ein Beifpiel des politifchen Verſtandes 
und Einfluffes diefer Leute: Livingftone erzählt von einem Zauberer, Tlapane, ber bei 
dem Makololofürften Sebituane in hohem Anjehen ftand, weil er in feinen Prophezeiungen 
und Warnungen ein richtiges politifches Urteil befundete, welches oft genug durch die Er: 
eigniffe beftätigt ward. Er übte daher nicht ohne Grund einen beftimmenden Einfluß auf 
diefen großen Häuptling. Indem er vorgab, im Oſten ein großes Feuer zu ſehen, welches 
ihn verzehren werde (die portugiefifchen Feuerwaffen), rief er ihm zu: „Die Geifter jagen: 
gehe nicht in jener Richtung”. Dann, indem er fi nah Welten wandte, rief er: „Ich 
jehe eine Stadt und ein Wolf ſchwarzer Männer, deren Vieh rot ift; dein eignes Volk, 
Sebituane, ftirbt hin und wird ganz vergehen. Du wirft Shwarze Männer regieren, und 
wenn beine Krieger das rote Vieh rauben, laß feine Bejiger nicht getötet werden, denn 
diefe find dein fünftiges Volk und beine fünftige Stadt.” Sebituane erfannte das Wahre 
in dieſer Prophezeiung und verſchonte die Häuptlinge der Bahurutfe, als er deren Gebiet 
fih unterworfen hatte. Auch zog er 
nie oftwärts. 

Tieraberglaube ift bei den 
Betſchuanen wie bei allen Südafri— 
fanern in großem Maße heimifch, 
worin fie fi) auffallend mit Bujch- 
männern und Hottentotten berühren. 
So geben fie denfelben eigentümlichen 
Grund für ihre Abneigung gegen das 
Chamäleon und die Eidechje an, in: 
dem fie auf diefe Tierchen die Schuld 
all ihres irdiſchen Mißgeſchickes wäl- 
zen. Sie jagen, daß Morimo das 
Ein Halsjhmud aus Ehlangenhaut, einem Bamangwato: Shamäleon gejanbt habe, um ben 

zauberer gehörig (ethnographiſches Mufeum, München). erſten Betſchuanen zu ſagen, wenn 

ſie ſtürben, ſollten ſie wieder zum 
Leben kommen. Darauf änderte Morimo aber plötzlich ſeinen Sinn und ſandte eine 
Eidechſe nach, welche die unwillkommene Botſchaft brachte, daß, wenn ſie einmal ge— 
ſtorben ſeien, ſie nie mehr ins Leben zurückkehren ſollten. Die Eidechſe überholte das 
Chamäleon und brachte ihre Nachricht, wofür ſie getötet ward; das Chamäleon aber 
wurde verflucht, weil es ſich von der Eidechſe hatte überholen laſſen. Seitdem ſind dieſe 
beiden unſchuldigen Reptilien dem Betſchuanen die verhafteften von allen Tieren. Im 
Gegenfage hierzu ift eine jehr zutraulicde Bachitelzenart bei den Betſchuanen gehegt und 
unverleglih vor allen andern Tieren. Wer eine tötet, wird vom Häuptlinge mit einer 
Strafe belegt. Auch Schlangen ſcheinen allgemein bei ihnen eine abergläubiihe Schonung 
zu genießen. Ein Betjchuanenftamm trägt jogar den Namen Banoga, d. h. Schlangen: 
verehrer. Ob mit jolhem Glauben die merfwürdigen dem Tierreiche entnommenen Na: 
men vieler Betichuanenftämme im Zufammenhange ftehen, muß dabingejtellt bleiben. Die 
Sagen über diefe Namen Eönnten „Volksetymologien“ ohne ſachlichen, d. h. hiſtoriſchen, 
Grund jein. Wenn Bakwena heißt Menjchen des Krofodiles, Batlapi Menſchen des Fiſches, 
Bakatla Menſchen des Affen, Batau Menfchen des Löwen, jo fann man nur hinzufügen, 
daß diefe Stämme die betreffenden Tiere entweder heilig achten, oder doch jchonen. In wel: 
chem Verhältniffe die Bamorara, d. h. die Menjchen der wilden Nebe, zur Trägerin ihres 
Namens ftehen, ift unbefannt. Man weiß aber, daß z. B. die Bakwena das Krokodil ihren 
Vater nennen, es befingen, daß ihr Häuptling großer Mann des Krofodiles genannt wird, 





Tieraberglaube. Der Staat. Die Sage von Motlume, 305 


daß fie fein Krofodilfleifch effen, daß ihr Herdenzeihen, welches fie in die Ohren ber Rinder 
fchneiden, dem Krofodile gleicht, endlich daß fie diefes Tier, wenn überhaupt, nur unter Ent: 
Ihuldigungen, Anrufungen und bergleihen töten. E3 ift offenbar der Reſt einer weiter 
gehenden Tierverehrung, welcher in diefen Stammesjagen uns entgegentritt (vgl. ©. 176). 


Entjprechend ihren friedlichen Gewohnheiten und Neigungen, ift das ftaatliche Xeben 
bei den Betihuanen weniger militärifch gegliedert als bei ihren öftlihen Nach— 
barn, wiewohl aud aus ihrer Mitte große Eroberer hervorgegangen find. Ihr Häupt: 
lingstum ift der durch den Rat ber Alteſten (meift zweier, welche Monemotje, d. h. Bürger: 
meijter, genannt werden) bejchränfte und durch eine Fräftige öffentliche Meinung Eontrol- 
lierte Defpotismus, wie er im Grunde bei allen Negern wieberfehrt. Gewöhnlich fält 
ihm auch die Oberhauptichaft des Zauberer: oder Prieftertumes zu. Daß aud fie ihr 
deal von edlerm Fürftentume hegen, heint jene Sage von Motlume, Urenkel Monahins, 
des Stammvaters aller Bafuto, zu beweifen, der im Munde aller Stämme dieſes Volkes 
als das Mufter eines Fürften fortlebt. Er herrichte über alle Stämme der Bafuto, welde 
in den Weißen und Blauen Bergen ihre Wohnſitze hatten, und unter ihm regierten zehn 
fleinere Häuptlinge. Motlume war gereht und richtete nad) den Regeln der Billigkeit; er 
war janftmütig, mild, zugänglid; Witwen und Waifen nahm er unter feinen befondern 
Schutz. Was aber mehr als alles andre dazu beitrug, feinen Ruhm und auch feine Macht 
zu fördern, war das von ihm angeblid) zuerft eingeführte Syjtem, den jungen Männern, 
welche feine Frauen kaufen können, jolche abzugeben, wodurd) fie ihm ſamt ihren Familien 
verpflichtet werden, als Batlaufa (Halbiklaven) fich feinem Dienfte weihen und ein Gefolge 
ber treueften, ergebenjten Vajallen bilden, das fich irgend ein König wünſchen kann. Bei 
andern Fürften ift dieſes Syitem die breitefte Grundlage einer ungeheuerlichen Harems— 
wirtichaft geworden, während von Motlume gerühmt wird, daß er in einem gewilfen Alter 
fi von feinen Weibern zurüdgezogen habe. Ebenſo jol er mäßig im Eſſen geweſen jein 
und nur Waſſer und Mil getrunten haben. Er ſoll die Gejellichaft der Kinder derjenigen 
der Erwachjenen vorgezogen haben mit der Erklärung, daß „die Kleinen beſſer als die 
Großen”. Kein Mojuto joll jemals jo viele fremde Länder und Völker befucht haben wie 
Motlume. Er befuchte jogar die Menfchenfreffer des Nordens. Auch traf er auf feinen 
Reiſen mit dem Häuptlinge Moſcheſch von Butabete zuſammen, welchem er den Rat gab, 
die Menſchen kennen zu lernen, die er eines Tages regieren werde. Heimgekehrt, befchäftigte 
er fi mit Nachdenken und Reden über das Wefen der Welt und der Menichen. Unter den 
ragen, die dieſen gefrönten Negerphilojfophen am meijten bejchäftigten, war die, wo das 
Ende der Welt wohl fein möge. Auch ließ er fih in weilen Sprüchen vernehmen, welche 
noch lange nad) ihm im Volksmunde lebten. Arboufjet teilt 3. B. folgende mit: „Es gibt 
im Himmel ein mächtiges Weſen, welches alle Dinge geichaffen hat. Das Gewiſſen ift der 
Mahner des Menichen, e8 zeigt ihm unveränderlich jeine Pflicht; wenn er recht thut, lächelt 
es ihm, wenn er übel thut, nagt es an ihm. Alles vergeht und jo auch ich, aber ich gehe 
zu meinen Vätern.” Motlume verfiel in eine ſchwere Krankheit, als er fi auf einer Reife 
befand; fein Sohn führte ihn auf einem Ochſen in die Heimat zurüd, wo er nad) wenigen 
Tagen in hohem Alter jtarb. Auf dem Sterbelager beflagte er noch, daß es ihm nicht ver: 
gönnt geweien ei, jein Volt nad einem Orte zu führen, wo es in Frieden leben könne. 
„Nach meinem Tode’, verkündete er fterbend, „wird eine rote Wolfe im Often ſich erheben 
und unfre Stämme verzehren. Der Vater wird jein eignes Kind effen. Ich grüße euch und 
gehe zu meinen Vätern.” Der Tod diejes großen Häuptlinges fand 1818 oder 1819 ftatt. 

Losgelöft von dem Schmude der Sage, haben wir hier ald Kern junger Überlieferung 
das Andenken eines Mannes, der tugendhafter und weiſer war als die meijten jeines 

Bölterfunde. L 20 


306 Die Betfhuanen. 


Volkes, Mit Necht erinnert Arboufjet, indem er von der heilfamen Wirkung fprict, 
welche ein folder Einzelner, Hervorragender auf fein Vol übt, an die Worte Pauli im 
Briefe an die Römer: „Wenn Heiden, welche das Geſetz nicht haben, von Natur thun, 
was des Geſetzes iſt, fo find fie, die das Geſetz nicht haben, ihnen ſelbſt ein Geſetz, ala 
die da beweiſen, des Geſetzes Wort fei gejchrieben in ihren Herzen, fintemal ihr Gewiſſen 
es bezeuget”. Wielleiht hat Motlume Lehren des Chriftentumes vernommen, welde ja 
oft von Mund zu Mund weite Wanderungen unter den Eingebornen maden. Die Mil: 
fionare famen zu den Bafuto felbft zum eritenmal in den dreißiger Jahren, Bielleicht 
find auch chriftliche Elemente in dieſe Überlieferung jelbit eingegangen, wie unter anderm 
von Motlume auch berichtet wird, daß er als Jüngling in den Himmel gefommen jei, 
indem eines Abends das Dad; feiner Hütte fi) hob und der Himmel ſich öffnete. 

Eine wichtige Funktion des Häuptlinges befteht im Richteramte, welches in der Regel 
mit Beobadtung feftftehender Formen würdig geübt wird. Letztere find mwejentlid) 
die gleichen wie bei den Zulu, wo wir fie ©. 265 f. näher gefchildert haben. Niemand 
weigert fih, in die Entſcheidung des Häuptlinges einzuftimmen, von der es Feine Berufung 
gibt, da er die Macht über Leben und Tod in Händen hat und das Geſetz bis zu dieſer 
Ausdehnung erjtreden kann, wenn er will; aber murren ijt erlaubt, und wird irgend ein 
Verwandter des Häuptlinges begünftigt, jo it die Bevölkerung im allgemeinen nicht To 
verwundert über die Parteilichkeit, ald wir es jein würden. Indes eine tiefgemwurzelte 
Loyalität, die den Fürften hoch über alles Volk ftellt, ift allen Betſchuanen eigen, wie 
denn jchon der Name Morena, den die Bafuto ihrem Fürften geben, d. h. ber über das 
Gedeihen Wachende, ein jchönes Vertrauen bekundet. Die Nordbetſchuanen legen ihren 
Fürften den bei den Kaffern gebräuchlichen Titel Inkoſi bei. 

Wie tiefgewurzelt bei aller Wandelbarfeit der allgemeinen politiichen Einrichtungen 
die Tradition des Königtumes ift, lehrt die Verehrung, welche noch heute den Bahurutje ald 
dem Stamme gezollt wird, in weldhem vor der Trennung der Betjchuanen in eine größere 
Anzahl von Stämmen das Königtum heimiſch war. Mitglieder Eönigliher Familien 
fowie Niaka (PBriefter) aus den neuerjtandenen Betichuanenreihen manderten zu ben 
Bahurutje, als deren Herricherglanz jchon fehr gering geworden war, um von deren 
jeweiligem Oberhaupte die alten heiligen Gebräuche verrichten zu jehen. Selbſt heute, 
wo die Bahurutje ein zeriplittertes und andern unterthanes Feines Volk bilden, neben 
welchem viel mädhtigere Betfchuanenreiche entjtanden find, ſpricht man bei allen Betjchuanen 
nur mit Hochachtung von ihnen. R 

Die Geſchichte der Betſchuanen ift, entiprechend der binnenländifchen Eingefeiltheit 
diefer zwiſchen Stämme, die an friegerifhem oder mindejtens räuberifhem Sinne fie über: 
treffen, eine fehr verwirrte, welche es niemals zu dauernder Kriftallifation um eine Dynaftie 
oder einen regierenden Stamm, damit auch jelten zu einer gefchichtlichen Aftivität gebracht 
bat. Es hat im Gegenteile die Weite ihrer Wohngebiete eine große Zerjplitterung erzeugt, 
zu welder Kriege und Eroberungen das Ihrige beigetragen haben. Auf Stamm: und 
Wanderfagen ift in einem ſolchen Verhältniſſe nicht viel zu geben. Indeſſen darf man 
hervorheben, daß, wo diefelben fi finden, fie auf Einwanderung von Norden ber 
deuten, d. h. aus jener Region, wo der Übergang von den Betichuanen zu den Nquatorial: 
negern des Zambefigebietes ftattfindet. Es ſcheint ferner ziemlich allgemein der Glaube zu 
berrichen, daß von den Bahurutie, welche heute im Transvaal wohnen, die übrigen Familien 
der Betichuanen fich abgelöft und nach den verfchiedenften Richtungen bin, hauptfächlich aber 
ſüdwärts verbreitet haben. Die Gefchichte lehrt indeſſen auch entjchiedene Nordwanderun: 
gen, wie denn troß feiner verhältnismäßig hohen materiellen Kultur das Betichuanenvolf 


Richteramt. Die Bafuto und Makololo. 307 


jenen nomadiſchen Charakter afrikanischer Völfergeihhichte, den wir früher hervorhoben, aufs 
deutlichite erkennen läßt. Gerade der Weg nad) Norden ift, foweit ihre Geſchichte, die für 
uns freilid faum 100 Jahre alt ift, reicht, den Betſchuanen der einzig offene geweſen, 
und wenn nicht ihre Herkunft, fo deuten doch Vor: und Zurüdwogen ihrer Geſchichte in 
diefe Richtung. Sinnbildlih für diefen Zug ift jene ſowohl an ſich hochintereſſante als 
auch durch das Licht, welches fie auf innerafrifanifche Völferbeziehungen und Völkerver— 
jchiebungen wirft, anziehende Epifode der Betſchuanengeſchichte, welche die Herausbildung 
des Baſutovolkes zum reichten, Eräftigften und beftbewaffneten Stamme diejes Volkes und 
das Auffteigen ſowie den tragifchen Untergang ber bis zum Zambeſi erobernd vordringenden 
Makololo im Rahmen von nody nicht zwei Generationen erzählt. Hier ein furzer Abriß 
davon. Ein Teil desjenigen Betichuanenftammes, ber fi als Bafwena, d. h. Krofodil- 
menſchen, bezeichnet, wurde in den zwanziger Jahren unfers Jahrhunderts durch den Zulu— 
häuptling Mofilifatfe vom Vaalfluſſe in die füdlich davon ziehenden Drafenberge gedrängt. 
Es würde der Überzahl der Betfhuanen leicht geworden fein, den Angreifern zu wider: 
ftehen, wenn Einigkeit und Entjcdhlofjenheit vorhanden geweſen wären. Gegenüber ben 
Bemühungen eines einzigen Häuptlinges, Moſcheſch, der intelligenter war als feine Genoſſen 
und mit allen Mitteln fein Volk zufammenzuhalten fuchte, bewährte ſich das Betichuanen: 
jprihwort: Kleine Häuptlinge find fchlechte Unterthanen. Mofilifatfe fand das Volk ohne 
Einheit und Führung, tötete viele davon, raubte, was zu rauben war, und die Zurüd: 
gebliebenen wanderten als Baſuto, d. h. Bettler, ins Gebirge. Hier vereinigte jener 
Moſcheſch im Jahre 1831 die Getrennten zu einem Volke, welches durch die Zuwanderung 
vieler Küſtenkaffern, die gleichfall® in dem Gebirgslande Zuflucht juchten, etwas mehr 
Eifen ins Blut befam. Ihre neue Heimat war ein außerordentlich günftiges Weide: 
land, deſſen Vorteile fie noch zu erhöhen wußten durch einen ausgedehnten Vieh: und 
Pferderaub, mit dem fie die Herden ihrer Nachbarn, der Dranjeboeren, heimfuchten. Gie 
blieben aber auch in andern Dingen nicht zurüd und hatten im Jahre 1870 nicht weniger 
als 2000 Pflüge im Lande, Sie hatten den Ochjenwagen und die Schafzucht bei ſich 
eingeführt, und ihre Bevölferung war im Jahre 1877 auf 127,000 geftiegen, eine bei einem 
ſüdafrikaniſchen Stamme unerhörte Zahl. An die Kapregierung, welcher fie fih in der Be: 
drängnis durch die fie zurüddrängenden Oranjeboeren im Jahre 1868 unterworfen hatten, 
leifteten fie 1 Million Mark Steuern. Mlein fie ftellten auch 18,000 berittene Bewaffnete 
und follen im Jahre 1879 15—20,000 Gewehre bejeffen haben. Stark im Gefühle diejes 
Wohlftandes, verweigerten fie im Jahre 1879 ihren Freunden von der Kapregierung die 
Steuer, worauf jener unentjhieden geführte Krieg ausbrach, der wejentlih mit dem 
Triumphe der Bafuto endigte, welche möglicherweife beftimmt find, im Zentrum Süd— 
afrifas zum erftenmal eine jtarfe Betſchuanenmacht zu gründen, 


Dem Stamme der Bafuto gehörte urſprünglich ein ganz andres, weit entferntes Volk 
an, in deſſen Geſchichte uns der gegenteilige Verlauf entgegentritt. Dies ift das Volf der 
Mafololo. Diejelben waren ein Völkeraggregat, deijen beftimmenden Kern eine nicht große 
Anzahl von Bafuto bildete. Als jene unter der fühnen Führung Sebituanes nordwärts 
zogen, nahmen fie die Jugend der von ihnen befiegten Bruchſtücke mehrerer Betſchuanen— 
jtämme in fih auf. Ein Gleiches geſchah mit den jpäter unterworfenen Mafalafa, deren 
Wohnfige die Makololo zu Livingftones Zeit (Anfang der fünfziger Jahre) einnahmen, 
aber nicht freiwillig, jondern gezwungen durch die große Sterblichkeit, welche in den 
Sumpfländern des Zambeſi und Tſchobe die an fühleres und trodneres Klima gewöhnten 
Bafuto und Betjchuanen befiel. So wurde endlich Jogar ein Teil der Barutſe in den 


Stamm aufgenommen. Erft wohnten fie an dem Fluffe Dila oder Mozuma, von wo fie 
20* 


308 Die Betfhuanen. 


durch die Matabele weſtwärts gegen den Tichobe gedrängt wurden. Hier, zwiichen Zambeſi 
und Tichobe, lebten die Mafololo wie auf einer natürlichen Inſel in Sümpfen und, von 
ben jumpfigen, niedrigen Ufern diefer tiefen Flüffe umgeben, geihügt vor ihren Feinden, 
aber um jo zugänglicher den tödlichen Sumpffiebern. Die echten Bafuto erkannte man 
no immer an ihrer Arbeitfamfeit. Man ſah fie mit der Haue in der Hand neben ihren 
Meibern aufs Feld gehen. „Diefen Anblick“, jagt Zivingftone, „werden die Männer in 
feinem andern Kaffern- oder Betihuanenftamme gewähren.” Aber ihre Nachkommen, welche 
von früh an fich als Herren fühlten, gebärdeten fi wie Ariftofraten unter den unter: 
worfenen Mafalafa, fo daß der Huge Sebituane fich bereits genötigt jah, ihnen jo manches 
Vorrecht wieder zu nehmen, das fie ſich angemaft hatten. Er hatte ſehr gut den Grundjag 
der Gleichberechtigung verftanden, auf welchem bauend diejes jo ſchnell gewachſene Staats: 
gebäude allein Dauer gewinnen konnte, und ſprach ihn gern in den Worten aus: „Alle jind 
Kinder des Häuptlinges”. 

In den legten Jahren Sebituanes erftredte fich feine Herrichaft von den Grenzen 
Lundas, wo der Muata Jamvo herricht, und wo der legte Grenzort der Mafololo Libonta 
(ca. 12° 30° füdlicher Breite) war, bis in das Gebiet der Batola, welche, als Livingftone 
bier flußabwärts reifte (im Jahre 1855), jenfeit der Dörfer Kaonkas (nördlich von den 
großen Fällen gegen 17° füdlicher Breite) von den Mafololo bereits als „im Zuftande der 
Empörung” betrachtet wurden. Der Hauptort war Linyanti (18° 20° füblicher Breite, 
23° 50° öftliher Länge) am untern Tſchobe; im Jahre 1853 zählte er 6— 7000 Ein: 
wohner. Über diefes weite Gebiet, welches ungefähr 5000 QMeilen umfaſſen mochte, 
waren die Mafololo, d. h. die gemifchte herrichende Raſſe, nur in geringer Zahl verteilt. 
Über verjchiedene Bezirke waren Verwandte des Herrſcherhauſes gefegt, und in den einzelnen 
Dörfern herrichte gewöhnlich ein Mafololo, wenn er aud der einzige feines Stammes in 
demfelben war. Die in Leibeigenichaft lebenden Mafalafa waren weitaus zahlreicher als 
ihre Herren, und diefem Umſtande ift wohl in erfter Linie die erwähnte Huge Art zuzu: 
ichreiben, mit der fie regiert wurden. Sie waren zu beftimmten Zeitungen an diefelben 
verbunden, aber fie waren feine rechtlofen Unterworfenen. Livingitone jah 3. B. in 
einem von einem Schwager Sebituanes regierten Bezirke einen Makalaka ftraflos aus: 
gehen, der den Ochſen eines Mafololo boshaft getötet hatte. Sein Fall wurde einfah 
nad) Linyanti an Sefeletu berichtet. Derfelbe Reifende überzeugte ih, wie ein Makololo— 
häuptling es als eine Schande empfand, daß ein ganzes Barutjeborf feines Bezirkes wegen 
übler Behandlung ausgewandert war, die es von ihm empfangen. Als die Flüchtlinge 
nad) einiger Zeit zurüdfehrten, wurden diefelben mit Freuden aufgenommen, während jener 
Häuptling bei feinen eignen Leuten allgemein getadelt ward. Die Gaftfreundichaft gegen: 
über den Fremden gehörte zu den erjten Pflichten des Häuptlinges. So ließ 3. B. Sefeletu 
für Livingftone alle ein oder zwei Wochen einen Ochſen jchlachten, wies für feinen Ge 
brauch zwei Milchfühe an, ließ ihm zwölf Töpfe Honig zu 70 Liter und hinreichenden 
Mais, Erdnüffe und dergleichen ſenden. Auch die Propheten oder Zauberer waren hod)- 
geehrt und einflußreih; das Regenmachen hatten fie in dem Zambefithale mit jeinen 
regelmäßigen NRegenzeiten aufgegeben, aber um fo tiefer griffen fie in diefem unrubigen, 
erobernden und unterwerfenden Stamme in das Getriebe der Politif ein. Ihre Arzte 
waren jedoch meilt Angehörige des Stammes der Barutje, dem auch die wirkſamſten Zau— 
berer angehören jollen. 

Sebituane, diefer große Fürft der Makololo, entitammte einer Familie, die mit 
der damals in jeinem Stamme regierenden Familie nahe verwandt war. Er war in 
dem Quellgebiete des Likwa und Namagari geboren und floh von bier mit einer Heinen 
Zahl jeiner Stammesgenoffen gen Norden, als diefe von den Griqua von Kuruman im 


Geſchichte Sebituanes. 309 


Fahre 1824 geichlagen wurden. Bei Melita ftellten fi ihm die Bangwakatſe entgegen, 
deren Häuptling er bejiegte, und deſſen Kral und ganze Habe er in Bejig nahm. Er 
ließ fih dann in Litubaruba nieder, wo Livingſtone fpäter Setſchelis Wohnfige traf, 
und verlor dreimal feine Habe in Angriffen erit der Weißen, dann der Matabele, um 
immer wieder von neuem mehr zu gewinnen, als er verloren. Dann zog er durch die 
Steppe Kalahari und eroberte alles Land um den See (oder Tümpel) Kumadua. Da 
er bier von Weißen im Weſten hörte, trieb ihn eine ftarfe Sehnjuht, mit ihnen in 
Berührung zu fommen, und er z0g ſüdweſtwärts, um feine Herben zu verlieren und arm 
wieder zurüdzufehren. Nun trieb es ihn nad Norden, und er fam, immer fechtend und 
taubend, bis an bie Südbiegung des Zambefi, den er überfchritt, um im Lande der Batofa 
jein und jeines Volkes Ziel, ein gutes Grasland für die Herden, zu finden. Als die 
Batofa befiegt und das gewünfchte Land gewonnen war, erjchienen die gefürchteten Matabele 
unter ihrem Führer Mofililatfe, überfchritten den Zambeft und wurden unter wechjelnden 
Kämpfen endlid von den Makololo gejhlagen. Als Livingftone zu Sebituane kam, 
fand er ihn nad einem neuerlichen Siege über die Matabele und der Vertreibung der 
Batofa aus dem mittlern Zambefigebiete auf dem Gipfel feiner Macht. Aber noch in 
demjelben Jahre (1851) ftarb Sebituane an den Nahmwirkungen einer Wunde, die er bei 
Melita empfangen. „Er war entſchieden ber beſte eingeborne Fürſt, den ich gefunden 
babe. Nie vorher war mir der Tod eines farbigen Mannes fo zu Herzen gegangen. Es 
war unmöglich, ihm nicht in Gedanken in die Welt zu folgen, von weldher er gerade erft 
gehört hatte, ehe er abberufen ward, und etwas von den Gefühlen derjenigen zu empfinden, 
welde für die Toten beten.” Sebituane, der zur Zeit, als Livingftone in fein Land 
fam, ein ftarfer, großer Dann von etwa 45 Jahren, von oliven: oder milchkaffeebrauner 
Farbe und etwas kahl war, vereinigte gerade die in einem Häuptlinge bei diefen Völkern fo 
jelten beifammen zu findenden Eigenfchaften des kriegeriſchen Mutes und Unternehmungs: 
geiftes mit ruhigem Denken und wahrhaft menſchlichem Empfinden. Sein Auftreten war 
rubig und aufmerkſam, und in feiner Rede war er offen. Ungleich den berühmten oder be— 
rüchtigten Eroberern Mofilifatje und Dingan, führte er feine Leute ſtets perjönlih an und 
schlug Feige, welche fi zur Flucht wandten, mit feiner eignen Streitart nieder. Zugleich 
aber bejaß er in hervorragendem Mafe die Eigenihaft, die Kunft, ſich die Herzen feiner 
Leute oder der Fremden zu gewinnen, welche in guter Abjicht zu ihm famen. Er war zu: 
thulic und freigebig, fo daß der Ausruf: „Er ift weife! Er hat ein Herz!” bei Ein: 
heimischen und Fremden oft gehört ward. Dadurch war er aber auch in der Lage, fi) 
über alles zu unterridhten, was außer und in ben Herzen vorging, und dies unterjtüßte 
ihn in der Bekämpfung feiner Feinde und im Zujammenhalte feiner eignen Leute. 
Zange vor feinem Tode hatte Sebituane eine jeiner Töchter, Mamotſchiſane, zur 
Nachfolge berufen, wahrjcheinlich in Nahahmung eines oder des andern nördlichen, mehr 
negerhaften Stammes, welche der Sitte weiblicher Herricher Huldigen. Bei den Betſchua— 
nen ift aber die Anficht, daf der Mann des Weibes Herr fei, jo tief gemwurzelt, daß es 
Sebituane unmöglich ſchien, feiner Tochter einen unbebeutenden Mann zum Gemahl zu 
geben, an deſſen Seite fie ihr volles königliches Anjehen wahren könne. So jagte er 
ihr, fie möge unter allen Männern wählen, nehmen, welchen fie wolle, möge aber feinen 
behalten. Er glaubte, fie fünne mit den Männern ihres Volkes gerade ebenjo ver: 
fahren wie er mit feinen Weibern; aber diefe Männer hatten jelbjt wieder Weiber, und 
da nad einem Betſchuanenſprichworte „die Zunge der Weiber nicht zu regieren” ift, jo 
fiel die Prinzeſſin bösartigem Klatſche anheim. Ein Mann, den fie fi wählte, wurde 
fogar ihr Weib genannt, und einen von ihm gezeugten Sohn nannten fie „das Kind von 
Mamotſchiſanes Weibe“. Mamotſchiſane jchien empfindlich gegen derartige Redensarten zu 


310 Die Betfduanen, 


fein und zog ein ftilles Familienleben dem allzu grellen Glanze der Häuptlingswürde vor, 
fobald Sebituanes Befehl Feine Macht mehr über fie hatte. Sie erflärte nad ihres 
Vaters Tode, daß fie niemals das Bol beherrichen werde, folange ihr ein Bruder in 
demjelben lebe, Darauf wurbe der achtzehnjährige Sefeletu Beherricher der Mafololo, 
ein YJüngling, der nad) Livingftones Urteil weder äußerlich noch nad feinen geijtigen 
Fähigkeiten dem Vater gleihfam. Ehe er indeffen fi in diefer hohen und darum gefahr: 
vollen Stellung fiher fühlen fonnte, mußte er einen Nebenbuhler unfhädlih machen, 
Mpepe, aus einer einflußreichen, der herrihenden verwandten Familie, welcher behaup: 
tete, Sefeletu fei nicht thronfolgefähig, weil er der Sohn Sebituanes mit der frühern 
Frau eines andern Mannes fei. E3 war ein öffentliches Geheimnis, daß Mpepe ſchon 
Sebituane nad dem Leben getradhtet hatte. Er that dies durch Errichtung einer Zauber: 
hütte, in welcher eine Anzahl von Barutfeärzten fih bemühten, Sebituane aus dem 
Xeben zu zaubern. Diejer hatte furz vor jeinem Tode feinem Sohne Sefeletu gefagt: 
„Mir oder dir jchafft diefe Hütte Unheil“, und als er nun fo früh ftarb, zmeifelte 
fauım jemand, daß Mpepes Zauberer ihm die Seele genommen hätten. Daher war eine 
der erften Regierungshandlungen des jungen Sefeletu, den Nebenbuhler ungefährlich 
zu machen. Livingitone, weldher Zeuge diejes Aftes einer jehr entjchloffenen und 
wenig wählerifhen Politif war, hat uns eine interefjante Schilderung desjelben hinter: 
laſſen: Als Sefeletu im Jahre 1853 Livingftone auf einer Reife den Tſchobe auf: 
wärts begleitete, begegneten fie Mpepe, der Miene machte, jenen anzugreifen, in dieſer 
Abficht ſich jedoh erfannt und diejelbe vereitelt jah. Sie trafen furz darauf in einem 
Dorfe zufammen, wo Mpepe neuerdings einen meuchleriſchen Angriff auf Sefeletu plante, 
welchen aber diesmal Livingitone vereitelte, indem er in dem entjcheidenden Moment 
zwijchen die beiden trat. Als nun Mpepe abends an feinem Feuer jaß, nahte fih ihm 
einer aus dem Gefolge Sefeletus mit einer Handvoll Schnupftabaf. Als Mpepe jagte: 
„Nſepiſa“ (laß mich jchnupfen), reichte er ihm diefe Hand, während er mit der andern 
Mpepes Hand ergriff und feithielt; dasfelbe that einer, der bereit ftand, auf der andern 
Seite, worauf fie ihn eine Strede vors Dorf führten und mit Speeren durdhbohrten. 
Alles ging jo raſch und ftill, daß Livingftone, welcher wenige Schritte davon jchlief, 
feinen Laut vernahm. Als echter Mafololo war Mpepe bei dem ganzen Worgange die 
Kaltblütigkeit jelber. Als ihn einer von den beiden zu feit am Handgelenfe hielt, fagte 
er ihm: „Halte mich weniger hart, wenn du kannſt; du wirft bald in berjelben Weiſe 
binausgeführt werden”. Dipepes Freunde flohen zu den Barutje, als fie den Tob ihres 
Führers erfuhren, und Sefeletus Wunſch, ruhig Schlafen zu fönnen, war für einige Jahre 
erfüllt. Bald aber befiel ihn eine Krankheit, welche dem Ausſatze ähnlich war, und fchon 
zur Zeit der Nüdreife Livingftones von der Weſtküſte nad) dem untern Zambefi war 
mit feiner eignen Kraft auch die feines Volkes geſchwächt, ſo daß bald Kämpfe unter 
den Mafololo jelbit ausbrahen. Auch die Malariafieber hatten unterdeffen immer mehr 
an der Kraft diejes Croberervolfes genagt, und die Barutje waren nicht träge, den 
günftigen Moment zu erhaſchen und in einem blutigen Aufitande die Herrſchaft ihrer Unter: 
werfer zu brechen. Von dem Kerne der Mafololo, zwifchen Tſchobe und Zambefi, follen 
nur zwei Männer und ein Anabe übriggeblieben fein. Ein noch ſchlimmeres Los traf 
die 2000 Männer der ſüdlich vom Tſchobe mwohnenden Mafololo, welche bei den Weit: 
bamangmwato al3 Stammverwandten Schuß ſuchten. Der legtern König Letſchulatebe 
gab vor, über ihre Ankunft erfreut zu fein, und ließ fie einladen, in allem Vertrauen, 
d. h. waffenlos, in feine Kotla zu fommen, Aber als fie vollzählig eingetreten waren, 
wurden alle Ausgänge verrammelt und jeder Mafololo getötet. Darauf nahmen die 
„Sieger die Frauen und Kinder der Ermordeten. An Stelle des Haufes Sebituanes 


Untergang der Mafololo. Die Bamangwato, 811 


aber herrſchte ſeitdem der Barutſefürſt Sepopo, dem durch Erbſchaft ſpäter das nördlich 
davon gelegene Mabundaland zufiel, ſo daß eine neue bedeutende Macht nördlich des 
Zambeſi, das Marutſe-Mambundareich, ſich gebildet hat. 


Auch die eben genannten Bamangwato find erſt in den dreißiger oder vierziger Jah— 
ren unſers Jahrhunderts in die Negion des Ngamifees eingemandert. In andrer Richtung 
al3 die Mafololo find auch fie bezeihnend für den Gang der neuern Betſchuanengeſchichte. 
Sie ſaßen urjprüng- 
lich ſüdöſtlich von hier 
am Nordrande des 
Betichuanen «Landes, 
in der Nachbarſchaft 
der „Salzpfannen” 
des Ngami. Chap— 
man jah dort noch 
viele ihrer Tränkſtel— 
len. Ihr Hauptort 
lag nördlich von dem 
Shuafluß, der in dieſe 
großen Sammelbeden 
der Waller zwijchen 
Kalahari und Zam— 
beji fich ergießt. Un— 
ter dem mächtigen 
Häuptlinge Matebe 
erftredte fih ihre 
Herrſchaft vielleicht 
Ihon bis zum See, 
aber erſt infolge von 
Streitigfeiten zwi— 
jhen feinen beiden 
Söhnen zog die eine 
Hälfte des Stammes, 
die fih den Namen 
Batoana (Batawana) 
beilegte, unter Toneana nad) dem Oſtende des Ngami, wo fie an der Ausmündung des 
Botletlie ihren Hauptort gründete, der als Batoanaftadt und jpäter als Letſchulatebes 
Stadt auf den Karten erſcheint. Von Toneanas beiden Söhnen wurde der eine von den 
Makololo geihlagen und getötet, während der andre, Letſchulatebe, in die Gefangen: 
Ihaft gebradht ward. Aus ihr entführte ihn fein Oheim Magalafoe, der in Verkleidung 
fich bei den Makololo einſchlich, erzog ihn und gab ihn feinem Volke zurüd, über welches 
ſowie über unterworfene Bayeye und Buſchmänner er zu der Zeit, als die erften Europäer 
zum Ngami famen, al3 „Fürſt des Sees” herrſchte. Erſt ehrte und achtete der junge 
Häuptling feinen Obeim als Netter und zweiten Vater, jpäter aber beargwöhnte er ihn 
und wünjchte feiner ledig zu fein. Durch fein Lieblingsmweib, welches eine Tochter Setſchelis 
war, hielt Letichulatebe den Zufammenhang mit den füdlihern Betſchuanen aufrecht, 
während er in geipannten Verhältniffen zu feinen nördlichen Stammgenoffen, den Mafo: 
lolo, ftand. Der unter dem jüngern Bruder, Kama, in den alten Siten verbliebene Zweig, 





Ein Bamangmato vom Agamifee (nah Photographie). 


312 Die Betſchuanen. 


die Ditbamangmwato, blieb um den Hauptort gruppiert, welcher als Sekomis Stadt am 
Fuße der Bamangmwatoberge die größte Vollsanfammlung in diefer Gegend barftellt, und 
ihr Fürft Sekomi oder Sefomo galt in den fünfziger Jahren als der erite Häuptling bes 
ganzen Stammes, ohne indeſſen einen Einfluß auf die Batoana des Ngami üben zu 
fünnen. Weil aber der Weg vom Süden her zum See durch fein Gebiet führte, wurde aud) 
er als Herr des Seegebietes bezeichnet. Ihm hatte ein Sieg über die Mafololo und ein 
nachfolgender über einen von Mofilifatfe ausgefandten Streiftrupp von Matabele Ehre und 
Anjehen gewonnen, und er erfreute ſich ſamt feinem Volfe einer Reihe von Friedensjahren, 
in welchen feine neue Hauptitadt Schoſchong (ſ. Abbildung, S. 292) ſich zur volks- und 
verfehrsreichiten Eingebornenftadt füdlich vom Zambefi aufihwang. Als Chapman fie 
Anfang der fünfziger Jahre befuchte, hätte er ihre Bevölkerung bereit3 auf 12— 15,000, 
und Holub jchreibt ihr für eine jpätere Zeit 30,000 zu. Wir werden fehen, daß fie wieder 
zurüdging. Im Jahre 1862 ſchlug Sefomi einen neuen Angriff der Matabele ab, was jein 
Anfehen und dasjenige feines Volkes jo hob, daf von weither Unterworfene der Matabele: 
Makalaka, Bahurutje, Mapaleng und andre, famen, um unter dem Schuße der Bamangmwato 
fi) niederzulaffen. Schon vorher (1859) hatte Sekomi glüdlidy einen Aufftand gedämpft, 
der feinen Stiefbruder Matſcheng auf den Thron zu bringen fuchte, und ebenfo hatte er im 
Jahre 1864 einen Angriff Setjchelis auf Schofhong abgejchlagen. Unterdeffen war ihm in 
feinen chriftlichen Söhnen Khama und Khamane ein neuer Feind entitanden, deſſen zuneh— 
mender Macht im Volke er mit Anjchlägen gegen das Leben diefer Prinzen und ihrer An: 
bänger entgegenzutreten fuchte. Das Ergebnis war, daß er vertrieben wurde, und daß 
neuerdings Matſcheng fi zum Herrſcher aufwarf; aber auch dieſer wurde vertrieben, und 
Khama trat an feine Stelle. Da aber diejer jo gutherzig war, feinen Vater Sekomi zurüd: 
zurufen, jo fehrte nicht fo bald Ruhe im Bamangwatolande ein; denn dieſer juchte Khama 
und Khamane zu entzweien, und es gelang ihm fo weit, daß erjterer mit dem größten Teile 
der Bevölkerung von Schojhong norbwärts in das Land der Weitbamangwato wanderte 
und am Zugafluffe fi niederließ. Aber es erging ihm hier nicht bejjer als einjt den 
Mafololo, die nad) dem Zambefi gezogen waren: die Fieber dezimierten fein Volk, und er 
fehrte mit dem Nefte derjelben im Jahre 1874 nad) Schoſchong zurüd, welches er eroberte, 
worauf Sefomi fi zu Setſcheli flüchtete. Als Holub 1875 —76 hier weilte, hatte jich 
der größte Teil der Bevölkerung feit an den chriſtlichen Khama angeichloffen, welder 
Ordnung und Sicherheit jo gehoben hatte, daß die Bevölferung von Schofchong ſich ver: 
dreifachte. Vorzüglich hatte fein Verbot des Branntweinverfaufes günftig gewirkt. 


Die Bakwena (von englifchen Reifenden Bakwains, von andern Bawenia gefchrieben) 
find ein weiterer nordwärts gewanderter Stamm der Betjchuanen, deifen Gebiet im Süden 
ber Bamangmwato gelegen ift und bis zu dem der noch weiter füdlich wohnenden Bangwaletje, 
mit denen fie noch vor weniger als zwei Menfchenaltern einen einzigen Stamm bildeten, 
fich erſtreckt. Ihr Fürft Setſcheli, der eine fo große Stelle in Livingftones bejcheidenen 
Anfängen jpielte, rejidierte in den vierziger Jahren in Kolobeng, von wo er von den 
Boeren vertrieben wurde. Er fiedelte dann nad Liteyane und von hier nah Molopole 
über, welches noch heute die Hauptitadt des Stammes ift. Auch diefer Stamm ift durch 
Bürgerkriege und äußere Kämpfe zufammengefchmolzen, jo daß die jüngften Beobachter 
ihm in der Mitte der fiebziger Jahre nur noch 32 — 35,000 unmittelbar angehörige Köpfe 
neben 18— 20,000 halbfremd im Lande wohnenden Batlofa, Baklata und Makofi zumeijen. 
Setſcheli war in der Jugend Chrift geworden, fand aber bald heraus, daß eine zu 
ausjchlieglihe Hinneigung zum neuen Glauben ihn in den Einfünften aus jenen heidnifchen 
Verrihtungen (Regenzauber und andre) fhädigen würde, deren Pflege herkömmlich Sade 


Balwena. Balalahari und Bahurutſe. 313 


des Königs war. Setſcheli befuchte zwar die Kirche und ließ auch feine Kinder taufen, 
aber er blieb auch nach wie vor geborner Oberpriejter feiner der Mehrzahl nach heidnifchen 
Bakwena. Durch die Gegenwart englifher Miffionare und Händler ift indefjen Setjcheli 
wenigitens mit den materiellen Vorteilen der Kultur vertraut geworden und hat in ihnen 
offenbar mehr Befriedigung gefunden als im EChriftenglauben. Er hat ſich 3. B. von feinem 
Leibhändler Taylor ein Haus in europäifhem Stile bauen und möblieren laffen, das 3000 
Pfund Sterling foftete, welde in Ochſen und Straußfedern bezahlt wurden. 

Es ſcheint überhaupt, als ob die gefchmeidige, ſich anpafjende Natur des Betfchuanen 
beffer geeignet fei, die wirtjchaftlihen Vorteile der Kultur auszunugen, als e8 3. B. die 
Oftfaffern vermögen, welde dafür erfolgreicher ihr eignes Land für ſich bewahrten. Auch 
andre Stämme als die Bajuto und Bamangmwato wußten fi die Berührung mit den 
Weißen, die abzumeijen fie nicht ftarf genug waren, nach diefer Seite hin nutzbar zu machen. 
So liefern die Batlapi ein Beifpiel, in wie hohem Grade die allgemeine Kultur mit 
der materiellen Lage diefer Völker (wie aller) zufammenhängt. Bei feinem Kaffernftamme 
hat die Miffion jo große Erfolge zu verzeichnen. Als man fie zuerft entdedte, waren fie 
ein unbebeutendes, ſchmutziges Voll. Da fie aber der Kolonie fehr nahe waren, erlangten 
fie die Möglichkeit, Handel zu treiben, und da zugleich der Einfluß der Miffionare fie vor 
Kriegen bewahrte, wurden fie in den Stand gefegt, eine große Menge Vieh anzufammeln. 
Leider wuchs damit auch ihre Überhebung. Zufammenftöße mit den Boeren haben ſeitdem 
diefes Völkchen wieder geſchwächt. 


Zu dem Bilde der Betſchuanengeſchichte, wie fie in dem kurzen Beitraume, den wir 
zu überbliden vermögen, ſich darftellt, gehören neben den aufblühenden und den völlig 
untergegangenen Stämmen auch die zeriprengten, weldhe entweder heimatlo8 umberirren, 
oder auf Beraggipfeln oder in Sümpfen eine Heimftätte gefunden haben. 

Die Bafalahari find im allgemeinen die Wejtbetichuanen, gewöhnlich faßt man aber 
unter dieſem Namen in die Steppe verjprengte Teile der Bafwena und andrer Betſchuanen— 
ftämme zufammen, die wohl vielfad mit den dort heimischen Buſchmännern fich gemifcht, 
doch aber dabei ihre Stammeseigentümlichfeiten und Zugehörigkeit zäh bewahrt haben. 
Livingitone jagt von ihnen: „In denjelben Steppen wohnend wie die Bujchmänner, 
den gleichen klimatiſchen Einflüffen unterworfen, denjelben Durft ertragend, jeit Jahr: 
hunderten auf diefelbe Nahrung angemiefen, jheinen die Bakfalahari einen ftarfen Beweis 
zu liefern, daß die Ortlichfeit an und für ſich nicht immer im ftande ift, die Verjchieden- 
heiten der Raffen zu erklären. Die Bakalahari halten mit nicht verfiegender Kraft an 
der allen Betichuanen eignen Vorliebe für Aderbau und Haustiere feſt. Sie behaden 
alljährlich ihre Gärten, obgleich oft genug einige Kürbiffe und Melonen ihre ganze Ernte 
ausmachen. Und fie hüten und hegen mit Sorgfalt Fleine Herden von Ziegen, wiewohl, 
wie ich felbft gejehen habe, fie das Waſſer zur Tränfe oft aus Fleinen Brunnen mit 
Stüden Straußeneierihale Löffelmeife zu ſchöpfen haben.” Allerdings find aber aud) die 
Balalahari no immer in Verbindung geblieben mit den der Wülte zunächſt wohnenden 
Betihuanenftämmen und halten zäh an der Art von Klientelihaft feit, in welder fie 
zu den Häuptlingen berjelben ftehen. 

Ein etwas günſtigeres Beijpiel liefert der Stamm der Bahurutje, der jet am 
Botleti und am See Kumadua wenig jüdöftlih vom Ngami lebt. Früher war verjelbe 
weiter wejtlih am Mariqua einer der mächtigſten Stämme diefer Gegend gewejen, hatte 
fih aber infolge innerer Zwiftigkeiten in mehrere Zweige geteilt, die ſich fortwährend 
befehdeten, bis Mofilifatfe über fie fam und fie zerftreute. Dabei entfam ein Stamm 
nad dem Schuſchifluſſe, wo er fich neuerdings teilte und einen Zweig nad) dem Botletifluffe 


814 Das Wüften: und Steppenland Eüdafrifas, 


fandte. Diefer nun war zu Chapmans Zeit unter der Oberherrfhaft der Bamangmwato, 
benen er Tribut zahlte, und im Schuge feiner Sumpf: und Seeumgebung bereits wieder 
ftarf geworben. Er hatte fi zunächſt mit den dort anfäfjigen Botleti gemiſcht und ver: 
ihmolzen, ganze Dörfer von flüchtigen Makalaka, Bakalahari und Buſchmännern hatten 
ſich unter de3 damaligen Häuptlinges Tſchapo Schug angefiedelt, und „jeder Tag brachte 
neuen Zuwachs“ (Chapman). Sie hatten fruchtbares Land, große Herden von Schafen 
und Ziegen und verließen faum je ihre Sümpfe, die zu ihrem großen Glüde faft undurch— 
dringlic für Fremde waren. 


11. Das Wüfen- und Steppenland Südafrikas, 


„Weniger völtertrennend als vielmehr völfernerbindend.” 


Anhalt: Ralabarimüfte. — Damaraland. — Wafferarmut. — Klima. — Pflanzenwelt. — Tierreihtum. — 
Ngamifee. — Kumaduafee. — Übergang zu tropifher Flora und Fauna. 


Nördlich vom Oranje- oder Gariepfluß und ſüdlich vom Ngamifee, alſo zwijchen dem 
28. und 20.0 jüdlicher Breite, erftredt jih von den Gebirgen, welche die Quellen bes 
Limpopo umſchließen, bis zum Atlantifhen Meere eine waſſerarme Steppengegend, deren 
mittlerer und öftlicher Teil al$ Kalahariwüſte bezeichnet wird, während der weitliche, 
aljo gegen bie Küfte zu gelegene, Teil Großnamaqualand und Damaraland genannt wird. 
Wenn auch wafjerarm, ift dieſes Land doch in feiner Weile eine bloße Wüſte, ſon— 
dern erfreut fich einer ziemlich regelmäßig wiederkehrenden, wenn auch beſchränkten und vor: 
wiegend nur in Gewittern fich bezeugenden Sommerregenzeit und befigt infolgedeffen Fluß: 
betten, die ſich zeitweilig füllen, und eine größere Anzahl von Quellen und Tümpeln jowie 
von jenen anjcheinend trodnen „Sauglöchern“, aus deren feuchtem Sande die Buſchmänner 
mit Riedröhren oft genug Waffer für mehrere Menfchen zu faugen wiffen. Das ganze 
Gebiet ift gleich dem eigentlichen Kaplande hoch gelegen (Durdhichnittshöhe 1200 m) und 
ſenkt fi langjam nach Norden zum Ngamifee und deffen noch unter feinem Niveau ge 
fegenen Salztümpeln, Der dürrſte Teil diefer Wüſte liegt füdlich vom Wendefreife, wo zu 
der Trodenheit der Atmofphäre fich ein ertremes, zur Raubeit neigendes Klima gefellt, und 
wo die ungünftigften Vegetationsverhältniffe auftreten. Übrigens ift auch bier die Kalahari 
feine einförmige Ebene und vor allem feine Sandebene. Häufig tritt Fels zu Tage, in 
tiefer gelegenen Streden hat ſich Lehmboden mit dünner Humusdede angefammelt. Und 
mehr vereinzelt find aus Dünen hervorgegangene Sandlämme in langen Reihen hinter: 
einander, oft faft parallel ziehend, die in einem Teile der Kalahari „an das ſchwere Rollen 
de3 Meeres erinnern”. Im Norden find fie in der Regel mit größern Bäumen oder 
wenigftens dichterer Begetation bededt. 

Das Damaraland bildet, allgemein geſprochen, die nördliche Hälfte des zwiſchen dem 
Oranje und dem Cunene ans Atlantiſche Meer herantretenden Steppenlandes Eüdafrifa. 
Sein Flähenraum fann auf 5000 DMeilen veranfhlagt werden. Es befteht aus einem 
dürren Küftenftriche, der an den meiften Punkten von Dünen und unmittelbar dahinter von 
Felswällen gebildet wird, wie fie an der Weſtküſte Südafrifas in weiter Eritredung, 
angeblich eine Kette von 400 deutjchen Meilen bildend, hervortreten. Hat man biejen 
unmwirtlihen Streifen überftiegen, der jelbit an den günftigern Stellen das Eindringen 
von der Hüfte in das Innere erheblich erichwert, jo befindet man fich auf einer allmählich 
nach Oſten zu anfteigenden Hochebene, die durchſchnittlich 16 deutjche Meilen breit ift: der 


Kalahari. Damaraland. BWafferarmut. 315 


Naaribwüſte. „Kein Baum, fein Strauch”, fo ſchildert ſie Joſaphat Hahn, „fein Gras: 
halm erquicdt hier oft meilenweit des Reifenden Auge, nichts als große und kleine Granit- 
blöde von verſchiedener Farbe und Geftalt begegnen dem fchweifenden Blide, der vergebens 
einen anziehenden Gegenjtand fucht. Einzelne zerftreute, ungeheuer große Granitblöde 
ftehen gleichſam als Grabmäler und Ruinen einer entijhwundenen Zeit auf den mwellen- 
fürmigen, nadten, weißrötlihen Hügeln, als ob fie jemand hinaufgetragen und ordentlid) 
bingejegt hätte.” Am Norden wird diefer Müftencharafter zu einer hügeligen, weiden— 
reihen Hochebene von 600 bis 1200 m, Kaoko genannt, gemildert, weldhe das für die 
herbenbejigenden Damara günftigfte Gebiet if. Erſt am Oftrande diefer Region, eines 
derjenigen Teile des jüdafrifanifchen Steppenlandes, welche am meiften den Namen Wüſte 
verdienen, erhebt fih ein Bergland, in welchem lange Thalzüge und tiefe Schluchten ſchön 
bewachiene Hochebenen, Tanggeftredte Bergwälle und Kuppen voneinander trennen. Granit, 
deſſen Riejenblöde oft gewaltig übereinander getürmt find und Höhlen für die Naubtiere 
zwijchen fich laffen, waltet hier vor. Aber diejes Bergland bededt höchſtens den fünften 
Teil des Landes, und öftlih von bemjelben breitet fich neuerdings eine höher gelegene 
Steppenhodhebene aus, von welder trodne Flußbetten nad) dem Ngami und deſſen Zuflüffen 
fowie auf der andern Seite nad) dem Atlantiichen Meere führen. Aus ihr, deren Boden 
hauptſächlich Sand: und Ralfiteine zu bilden fcheinen, erheben fich Fleine, abgefladhte Gebirge, 
dem Tafelberge des Kaps an Geſtalt zu vergleichen, ſteil abfallend und oft mit Felsmällen 
umgeben, welche an fünftlihe Mauern erinnern: natürliche Feltungen, welche als ſolche 
oft genug in diefem blutgetränften Lande zur Geltung fommen. 

Waffer ift die Lebensfrage diefes Landes und die jehr weitverbreitete Armut 
an biefem belebenden Elemente feine Geißel. Es hat feinen einzigen ausdauernden Fluß, 
fondern nur Rinnen, welche den größten Teil des Jahres troden liegen. Mit ungläubigem 
Lächeln hört man den Swachaup, welcher etwas nörblich von der Walfifchbai mündet, die 
„der des Landes” nennen, denn dies iſt eine großenteils vertrodnete Aber. Jene Rinnen 
führen indeſſen Waſſer; in ihrer Tiefe, von hohen Wänden eingeichloffen, find fie fühl, 
ſchattig und daher auch pflanzenreicher als die verbrannten Ebenen, und endlich bilden 
fie die beiten, ja heute die einzigen Wege ins Innere, Das Flußbett, glatt wie eine 
Ebene, ijt teils mit Sand, teils mit Kies betreut, teils mit Schlingpflanzen, wilden 
Melonen und jelbit Rafenfleden bedeckt. Zumeilen findet man einen kleinen Teich oder 
eine Quelle, welche fühl hervorjprudelt, um bald im Sande zu verfidern. „Welch wunder: 
barer Kontraft”, ruft Hahn, „gegen die Landichaft einige Hundert Fuß höher zu beiden 
Seiten des Fluffes! Wer von der heifiglühenden, grauenhaften Wüfte in dies fühle, lieb: 
lihe Thal herunterfteigt, möchte ſich anfangs fait in eine Heine Märchenwelt verjegt 
glauben.” Seltener, als zu wünſchen wäre, unterbrechen braufende, trübflutende Gewäller 
diefes Idyll, fommen aber dann oft jo raſch, daß Wanderer, welche um eine friedliche 
Quelle gelagert waren, von ihnen verichlungen werden, Außerhalb diejer Flußbetten gibt 
es nur wenig Waffer, denn Quellen jind felten, und wo fie vorfommen, ift ihr Waijer 
häufig heiß oder ſalzgeſchwängert. Eine Veränderung des Wafjerreichtumes, wie fie für 
das übrige Südafrifa von vielen angenommen wird, ward auch ſchon für diefes Gebiet 
behauptet. Daß ungewöhnlide Schwankungen vorfommen, lehren z. B. die beträchtlichen 
Unterfchiede im Wailerftande des Noamifees. Unter den Eingeborenen gibt es viele Über: 
lieferungen in dieſem Betreff, die freilich nicht beweifend find. Um eine bejonders auf: 
fallende hervorzuheben, erinnern wir an Baines’ Verfiherung, daß er von den Eingebor: 
nen gehört habe, der Tümpel von Ghanze, wo man heute das Waſſer mühſam ergraben 
muß, fei noch „vor nicht langer Zeit” jo groß geweien, daß ein über ihn wegichießender 
Jäger das am andern Rande trinfende Wild fehlen Fonnte. 


316 Das Wüften: und Steppenland Südafrikas. 


Das Klima ift in hohem Grabe ertrem. Die Negenzeit beginnt mit Dezember ober 
Januar und dauert bis Mai. In ibr fallen dann und warın tropifche Regen, denen dann 
häufig eine ertötende Kälte folgt. Bei den Oftwinden, welde im Mai und Juni die Regen: 
wolken vertreiben, ſowie in den hellen Nächten des Juli und Auguft it Eisbildung nicht 
jelten, und jogar Schneefälle fommen dann vor. Im Auguft fangen warme Winde zu wehen 
an, welche in kurzem die ganze Pflanzenwelt ausdörren und das Land verfengen. Ihnen 
folgen Stürme, deren auszeichnendes Merkmal die ftarfen Wirbelwinde, welche Scharen von 
Sandhofen (von den Damara Orofumbanbera, d. h. Regenbettler, genannt, weil jie gewöhn— 
lich die Vorboten von Negen find) vor fich hertreiben. Im September und Oktober treten 
äußert heftige Gewitter auf. Einige Minuten der heftigen Kegengüffe, von denen fie 
begleitet werden, reihen hin, die ganze Gegend, welche davon betroffen wird, unter Wajler 
zu jegen, man fieht dann Seen, Wafjerfälle, Sturzbädhe; aber es genügt auch wieder eine 
Stunde Sonnenfdein, um alle Spuren der Verwüjtung zu verwifhen. Die regelmäßige 
Regenzeit aber breitet über das bis dahin bürre Land den ganzen bezaubernden Blüten: 
reihtum der Steppenlandihaft: „Berge und Thäler find mit einer folden Maſſe der 
herrlichſten Blumen bedeckt, daß man faft nirgends den Fuß auf fahlen Grund jegen 
fann“. Das Gras jchießt über Mannshöhe auf und bietet den Herden das beite Futter; 
da aber die Damara fein Heu daraus machen, jo wird es von der Sonne bei heran: 
nahender Trodenzeit verjengt und zerfällt zu Staub. 

Die Pflanzenwelt diejes Striches ift Steppenflora, deren hervorragendite Ele 
mente Dornbüjche und verfrüppelte, zerftreut ftehende Bäume, hohe, harte Gräſer, Zwiebel: 
und Kürbisgewächje, jaftreihe Euphorbien und Fettpflanzen find. Mehr als in der Kalahari 
jcheinen im Damaralande undurddringliche Dorngebüfche verbreitet zu fein, die jo weite 
Flächen beveden, daß fie wejentlih mit zur Unbewohnbarkeit eines großen Teiles Des 
Landes beitragen. Und ebenfo dringen in jenen tief eingefchnittenen, aber waſſerarmen 
Thälern auch Gewächſe feuchtern Klimas tief in das Steppengebiet ein. Iſt nun aud, 
dem Steppencharalter entjprechend, dieſe Pflanzenwelt in feiner Weife reich, jo teilt fie 
doch mit derjenigen der Kalahari den Neihtum an Nahrungsgewächſen, welcher diefe in jo 
hohem Grade auszeichnet. Hier wie dort iſt ficherlich der Zwang der äußern Verhältniſſe 
mit wirfjam in dieſem Reichtume, denn je ärmer die Natur im allgemeinen ift, deſto viel: 
jeitiger ift der Zwang der Menjchen, fich das zu eigen zu machen, was jene irgend Nug- 
bares enthält, Aber es liegt offenbar etwas dem Menſchen zu gute Kommendes in dem 
Beitreben der Steppennatur, in den perennierenden Pflanzenteilen, vor allen Wurzeln, 
Zwiebeln und Knollen, Nährjtoffe aufzuhäufen, welche die Gewächſe vor dem Verdorren 
jhügen. Einige von diefen Nährpflanzen find den dortigen Völkern unentbehrlich geworden, 
viele find wenigitens in hohem Grade nüßlih. Zu den erjtern zählt die jogenannte 
Liroſchua oder Tſchappa, welde einen Wurzelfnollen von mehr als Kindskopfgröße in !/e m 
Tiefe entwidelt. In dider Rinde birgt derfelbe ein jaftreiches, fühles Mark, das mehr als 
einen verihmachtenden Wanderer vor dem Verdurften gerettet hat und zugleich nahrhaft iſt. 
Baines jah von diefen auch Markwhae oder Marfwhae genannten Wurzeln einige bis 
zu Im Länge und nicht viel geringerer Die und fand, daß das Kauen aud nur eines 
Stüdchens davon erfrijchender fei als das Trinfen einer noch jo großen Waſſermaſſe. Der 
Saft iſt mildig. In den bergigen Teilen bes Damaralandes bildet eine Zwiebelart, der 
die Eingebornen den Namen Pentjes beilegen, in der bürren Jahreszeit fait die einzige 
Nahrung der ärmern, buſchmannartig umberziehenden Damara. Mesembryanthemum 
edule, welches die Hottentottenfeige, eine eßbare Frucht, trägt, muß oft mit feinen faftigen 
Blättern den Rindern das Waſſer ganz erjegen, und in Notfällen nimmt auch der Menſch zu 
diefen Blättern als Durjtitillern jeine Zuflucht. Die mannigfaltigen Melonen und Kürbiffe, 


Alima. Pflanzenwelt. Tierwelt. 317 


vor allen die bittere Wafjermelone, fpielen die gleihe Rolle als Wafjerbehälter. Eine kaſta— 
niengroße Erdnuß liefert geröftet eine mehlreihe Nahrung. Eine windenartige Pflanze, 
deren Früchte Nara genannt werben, bebedt in Maffe die Sandhügel der Küftendiinen 
und gehört zu den nüglichiten Gewächſen Südafrifas. Ihre mäßig apfelgroße, grünlich— 
gelbe Frucht enthält ein tiefgelbes Fleiſch, das außerordentlich erfriichend ſchmeckt, jedoch in 
zu großer Menge genoffen Lippen und Gaumen wund macht. Die Eingebornen leben 
drei oder vier Monate des Jahres fat ausjchließlicd davon. Die zahlreichen Samen, welche 
in diefem Fleiſche fteden, werden forgfältig in Lederbeuteln aufbewahrt und bilden eben- 
falls ein wichtiges Nahrungsmittel. Aber nicht nur die Menſchen, fondern auch Tiere, 
von der Fledermaus big zum Ochſen und zum Strauße, ja ſelbſt die großen Naubtiere 
und (nah Anderſſon) fogar die Geier, freffen diefe Frucht mit Vorliebe, jo daß fie in 
Wahrheit eine Lebensquelle diefer armen Gegend wird, Es ift nur ein fchmaler Dünen: 
ſtrich, wo diefe Pflanze wählt. „Aber“, jagt Anderjfon, „in diefem wüjten und armen 
Lande ift jo großer Mangel an Nahrungsmitteln, daß e3 ohne die Nara unbewohnt jein 
würde.” Chapman erzählt auch noch von einer fartoffelartigen Knolle, welche er wild 
wachſend in biefem Gebiete gefunden. Die Buſchmänner ſammeln bier ferner eine Anzahl 
von Beeren, die fie entweder roh genießen, oder durch Gärung zur Bereitung eines fühlenden 
Getränfes verwenden; ihre einheimijchen Namen find Mogoana und Maretloa, Außer: 
ordentlich zahlreich find dornige Sträucher und unter ihnen am häufigiten der von ben 
Boeren wegen feiner Fähigkeit, fih in die Kleider einzuhafen und dadurd den Wanderer 
zurüdzubalten, als „Wart' ein Weilchen“ bezeichnete, L—3 m hohe Strauch Acacia detinens. 
Zu den Afazien gehören auch die verbreitetiten Bäume des Kalaharigebietes, vor allen 
Acacia giraffae, welche bis 12 m hoch wird, und Acacia horrida. Die Dornen der legtern 
werden über 5 cm lang. Glüdlicherweije ift das Wachstum diefer Sträucher und Halb: 
bäume jelten fehr dicht, Jonft würden jie die Wegſamkeit dDiefer Steppe noch mehr erfchweren. 
Hat doch nicht ohne Grund fchon früher Dr. Kirk eine Klaſſifikation diefer Dornjträucher 
in drei Ordnungen vorgefchlagen, deren erite die Kleiderzerreißer, die zweite die Fleiſch— 
zerfrager und die dritte die Kleider: und Fleifchzerreißer umfaßt! 

Der früher (ſ. ©. 41) betonte Tierreihtum Süpdafrifas zeigte fih einft am 
größten in diefen Steppenländern. Beſonders das Damaraland war nicht nur reih an 
Antilopenherden, fondern aud an Elefanten und Rhinozeroffen. Es iſt dies ſchon infofern 
von Belang, al3 die Bedingungen der Durchichreitung der Kalahari bei weitem nicht fo 
fchwer find wie 3. B. der Sahara. Zwar ſagte Seticheli zu Livingſtone, als diejer 
feine erſte Reife von Kolobeng nad dem Ngami antrat: „Selbſt für uns ſchwarze Men: 
chen ift es unmöglich, diefe Wüfte zu durchſchreiten, außer in gewilfen Jahren, wenn mehr 
Regen al3 gewöhnlich fällt und eine außergewöhnliche Menge von Waſſermelonen wächſt“. 
Aber die Thatfahen erweifen, daß die Buſchmänner und Bafalahari auch ohne Pferd 
und „Schiff der Wüſte“ mit feinem andern Maffervorrat, als fie in ihren traubenförmigen 
Bündeln von hohlen Straußeneiern zu bergen vermögen, den Weg durch dieje Steppe 
finden. Und bdiefelbe ift daher weniger ausgeprägt völfertrennend al3 vielmehr völfer: 
verbindend und zwar legteres bejonders vermöge einer Funftion, die gerade Livingitone 
treffend hervorgehoben. Derjelbe weiſt nämlich diefer jogenannten „Wüſte“ Kalahari eine 
wichtige Stelle, vor allem als Zufluchtsort für verfolgte Volksitämme an, um zu zeigen, dat 
diefelbe „keineswegs ein wertlojes Stüd Land jei”. Mehrere Betjchuanenftämme, die Baka— 
lahari, haben ihre Wohnfige ganz in der Wüſte aufgeichlagen. Andre, wie die Bakwena, 
Bangwaketſe und Bamangwato, zogen fi zeitweilig in dieſelbe zurüd, als fie in ihren 
Wohnfigen von den Matabele bedrängt wurden. Eine große Zahl von ihnen kam darin 
um, und Livingitone fand einige Jahrzehnte nad) diejen Hataftrophen bei den Bakwena 


318 Das Wüften: und Steppenland Sübafrifas. 


faum mehr einen alten Mann, der die frühere Gejchichte jeines Stammes berichten konnte, 
weil faſt alle ältern Männer in der Wüfte zu Grunde gegangen waren, Aber ihren 
Feinden, die fie zum Teile in die Wäfte verfolgten, ging es nicht beſſer, auch von ihnen 
verschmachteten Hunderte, und endlich blieb doch ein Net von diefen wie jenen übrig, der 
zu einem neuem Volke ſich verjchmol;. 

Der Ngamijee gehört mit feiner veränderlichen Oberflädhe, feiner Sumpf» und 
Steppenumgebung noch zu Sübafrifa, wenn er es auch bejtimmt gegen den wafjerreichen 
tropiihen Norden abjchließt. Troß feiner Seenatur ijt er bezeichnend für das Klima biejer 
Region. Schon von den erften Europäern, welche ihn befuchten, ift er als eine viel Kleis 
nere und feichtere Waffermaffe erfannt worden, al3 Gerüchte hatten glauben laffen, die 
früher von ihm nad den Küften gedrungen waren. Und er ift nicht bloß Kein, ſondern 
jein Abfluß verfiegt in echt wüjtenhaften Salzpfannen. Als jein Entdeder Livingftone 
die Bayeye ihre Kähne über den See weg nit rudern, fondern mit Stangen fortjtoßen 
ſah, jchrieb er refigniert: „Er kann nit von großem Werte als Handelsitraße fein”. Er 
überzeugte fih, daß in den Monaten, welche der Ankunft der in der Zeit unſers Frühlinges 
anlangenden reihlihen Zuflüffe von Norden her vorangehen, die Seichtigfeit in einem Maße 
zunimmt, weldes ſelbſt den Rinderherden die Annäherung dur immer breiter werdende, 
rohrbewachſene Sumpfränder faſt unmöglich macht. Indeſſen haben doch alle Bejucher jich 
dem Reize einer perennierenden Waſſerfläche inmitten einer fo fteppenhaften Umgebung 
nicht entziehen fönnen, und man bat nicht zulegt aud in dem reichern, buntern Bölfer- 
leben, das ihn umgibt, die befruchtenden Wirkungen jeines allerdings beſchränkten, ſchwan— 
fenden, ja vielleicht zurüdihwantenden Dafeins erkennen müſſen. Sein einziger beträdt- 
liher Zufluß ift der von Nordweiten fommende Tioge, welcher felbft nahe der Mündung 
nicht über 40 Ellen breit, wohl aber von erheblicher Tiefe ift. Sein Lauf ift, bezeichnend 
für die Plateaunatur des Landes, jo jhlängelnd, daß Anderfjon, als er 14 Tage in ihm 
aufwärts fuhr, fih um nicht mehr als einen einzigen Breitengrad nordwärts vom Ngami 
entfernte. Bei hohem Stande ijt dad Waſſer im Ngami frifch, bei niedrigem wird es bradig. 
Der Abflug des Sees ift der impojante Zuga oder Botlete, welcher jo langjam, daß er 
wie ein ftehendes Waſſer erjcheint, der ſchmälern Dftipige entfließt und in ſüdöſtlicher Rich— 
tung etwa 20 geogr. Meilen weit läuft, bis er in dem See Kumabdua eine der tiefiten 
Stellen diejes Teiles von Afrika findet. Diejer See ift, wenn gefüllt, etwa 1 Meile breit 
und 2 Meilen lang, aber er jhrumpft in der trodnen Zeit zu einer Reihe von Tümpeln 
ein. Er hat ftark falziges Wafler, und Salzwüjten von viel größerer Ausdehnung als die 
jeinige umgeben ihn im Norden und Djten, wahre Salzpfannen. 

Die Landſchaft in den weitern Umgebungen des Ngamijees gewinnt ein be 
jonderes Intereſſe durch den Übergang zu tropiſchen Formen, ber in ihr fich vollzieht 
und bie füdafrifanische Grundform der mit Bäumen und Büſchen bewachſenen Grasflächen 
mehr und mehr bereichert. Bleiben auch immer vorwiegend die mimoſen- und euphorbien- 
artigen Stachelgewächſe und die Trodenheit andeutenden büfcheligen Savannengräfer, jo 
treten doch Mopanebäume (Baubhinien) in lichten Reihen auf den Kämmen der flachen 
Hügel diefer welligen Landihaft auf. Der riefige Baobab oder Affenbrotbaum erjcheint 
zuerſt etwa beim 22.%, und die erften Balmen fand Livingitone, von Süden fommend, 
bei der Quelle Lothlafani auf 21° 28° ſüdlicher Breite. Schön bewaldet, wiewohl nicht 
tropiſch üppig, ift das Thal des Zuga. Dagegen find fo vegetationsarm wie die dürrjten 
Striche der Kalahari die tiefften, durchſalzenen Stellen des Seenbedens, 

Außerordentlih war der Tierreihtum in diefer Gegend, als die Europäer dieſelbe 
zum erftenmal durchzogen, und ehe die jagdluftigen Betſchuanen von benjelben Feuergewehre 
gegen ihr Elfenbein eingetaufcht hatten. Die Elefanten waren jo zahlreih, daß Oswell, 


Ngamifee. Die Dvaherero und Bergbamara. 319 


einer der Begleiter Livingftones, öfters vier alte männlihe Tiere an einem Tage Ichoß, 
und daß nad} einer Mitteilung de3 legtern in den erften drei Jahren nad) der Erſchließung 
des Zugathales dafelbft 900 folcher Riefentiere erlegt wurden. Anderjjon jchoß allein 
in Diefer Gegend 90 Rhinozeroſſe. Nilpferde find im Ngami und Zuga häufig. Außer 
den gewöhnlichen ſüdafrikaniſchen Antilopen gibt es zwei ober brei Arten von „Waſſer— 
böden”, die nur im Röhrichte der Ngami- und Zugafümpfe leben. Bon Krofodilen ift nicht 
bloß der Ngamifee, fondern jeder Tümpel und langfame Fluß bevölkert, und nicht minder 
mafjenhaft find die Waffervögel vertreten. Anderſſon jpricht einmal von neunzehn ver: 
fchiedenen Gänſe- und Entenarten. Endlich ift der Fiſchreichtum diefer Gewäfjer ein jehr 
beträdhtliher und nährt eine der fijchereifundigiten Bevölferungen Afrikas, die Bayeye, 
wenn er auch die jeßt bier herrichenden Betichuanen (Bamangmwato) noch nicht vermocht 
bat, ihr Vorurteil gegen den Genuß der Fiſche aufzugeben. 

Wenn man vom Zentralfudan jagen kann, man könne die Völkerkunde Afrikas nicht 
verftehen, folange man nicht feine Berölferungsverhältniffe genau erfannt babe, fo kann 
man ähnlich auch in diefem Tummelplage der jüdafrifanischen Eroberer, wo Buſchmänner 
und Namaqua mit Betjhuanen, Zulu, Dvaherero und Aquatorialafritanern zufammen: 
treffen, den Schlüffel mindeftens eines großen Teiles ber Ethnographie des ſüdlichen und 
fübäquatorialen Afrika zu finden erwarten. 


12. Die Ovaherers' (Damara) und Bergdamara. 


Inhalt: Wohnfige, — Urſprung. — Geſchichte. — Geiftige und Eharafteranlagen, — Körperbau. — Tradt 
und Schmud. — Waffen. — Geräte. — Muſik. — Tanz. — Nahrung. — Handel. — Hebung der Herero in 
neuerer Zeit unter Einfluß der Miffionare, — Fehlen ded Aderbaued. — Andre Kulturverlufte. — Vieh: 
zucht. — Nomadismus. — Kommunismus. — Familie. — Bielmeiberei. — Tod und Begräbnis, — Politische 
Verhältnifie. — Nechtäbegriffe. — Gefellfhaftliche Glieverungen oder Kaften. — Die Canda, — Heligiöfe 
Anläufe. — Zauberer und Feuerjungfrauen. — Opfer. — Die Bergdamara, 


„Es ift befannt, daß unter den Negeritämmen des Innern Afrifas ein ewiger Kampf 
und Streit, ein ewiges Völfergebränge, man möchte jagen eine ewige Völkerwanderung 
ftattfindet, wobei die einzelnen Nationen oft ihre nationale Eriftenz verlieren und gänzlic) 
von der Erde verfhmwinden, oft aber auch unaufhörlich ihre Wohnfige ändern, bis jie 
endlich wohl Hunderte von Meilen von ihren urfprünglichen Wohnfigen, wie vom Sturme 
verjhlagen, aus den Wogen des großen Völfermeeres auftauden und auf eine Zeitlang 
wieder feften Fuß faffen. Wie rätjelhafte Erfcheinungen ftehen ſolche Völker ihren Nachbarn 
zur Seite; feiner weiß, woher fie kommen, fie ſelbſt wohl ebenjowenig; oder es tauchen 
wenigftens nur dunkle Ahnungen, unbejtimmte Erinnerungen von ihren Kämpfen, Wande- 
rungen, von ben vielen Völkerſchaften, mit denen fie in Berührung famen, unbewußt, aller 
biftorifchen Färbung und Genauigkeit entkleidet, in dunfeln Sagen, in Märchen und fonjtigen 
Erzählungen, in ihrem Aberglauben ꝛc. wieder auf. Sold ein vätjelhaftes Volk ift aud) 
dasjenige der Dvaherero.” Mit diefen Worten beginnt Joſaphat Hahn feine wertvolle 
Betrachtung der Gefchichte und Gegenwart der Ovaherero oder Damara, und wir fünnen nicht 
bejjer als mit ihnen den Grundzug ber Gefchichte diefes merfwürdigen Volkes kennzeichnen. 


1 Dvaherero, ber Name, den fich dieſes Volt ſelbſt gibt, bedeutet nad J. Hahn „fröhliches Volk“, 
während der Sinn von Damara, das aus ber Namaſprache ftammt, dunkel zu fein ſcheint. 


320 Die Dvaherero und Bergbamara. 


Die Ovaherero oder Damara find in ihre heutigen Wohnfige nad) ihrer eignen Uber: 
lieferung von Norden oder Nordoften eingewandert, und zwar haben fie diejelben jeit nicht 
mehr als etwa 100 Jahren inne. Eine Hindeutung auf frühere Wohnſitze vermag vielleicht 
die Sage zu geben, welche fie von ihrer Abjtammung erzählen: Die eriten Menſchen, 
d. h. die erſten Damara, und die Tiere des Landes entitanden aus einem Baume mitten 
in allgemeiner Finfternis. Da zündete ein Damara ein Feuer an, weldes das Zebra, bie 
Giraffe, das Gnu und jedes andre Tier der Wildnis derart erjchredte, daß diejelben alle 
aus der Gegenwart des Menſchen flohen, während die Haustiere, wie Ochs, Schaf und 
Hund, furdtlos um den Feuerbrand verfammelt blieben. Sie nennen den Ort, wo diejer 
Stammbaum ihres Volkes 
wuchs, Omaruru, und viele 
glauben, daß es derjelbe Baum 
jei, dem fie den Namen Omum— 
borombonga beilegen. Diejen 
Daum fand Anderjjon in 
großen Hainen oftwärts von 
den heutigen Sigen der Da— 
mara gegen den Ngamifee zu. 
Da zugleich aud in diejer 
Richtung Hirtenvölfer wohnen 
mit einer Xebensweije ganz 
wie die der aderbaulofen Da— 
mara, während im Norden 
von den legtern ausſchließlich 
aderbauende Stämme ihre 
Wohnfige haben, jo jcheint 
eine Einwanderung der 
Damara von Dften ber 
wahrſcheinlicher als eine ſolche 
von Norden. Früher jcheinen 
die jeßt zerftreuten und zurück— 
Ein Bergdamara (nad Photographie im Befige des Herrn Dr. Fabri in gedrängten Bujhmänner und 

Dunn): die von Anderjfon als 
„Bergdamara“ bezeichneten Stämme (f. ©. 350) dieſes Gebiet bewohnt zu haben, und ficher 
ift e8, daß den füdlichen Teil desfelben vordem die Namaqua innehatten. Vielleiht waren 
indefjen die Bufchmänner auch noch nicht lange hier eingewandert (find fie doch unjtete, leicht 
den Ort wechſelnde Völker), und als die am längften hier Anſäſſigen und damit 
(im landläufigen Sinne) als die Autohthonen wären dann wohl dieje Bergbamara 
anzufjehen. Wenig friegerifch, wie ſowohl fie als die Bufhmänner find, wurden fie von 
den Ovaherero ohne große Mühe unterworfen, teild getötet oder zu Gefangenen gemacht, 
teil3 in die Gebirge oder andre unmirtliche und ſchwer zugängliche Striche zurückgedrängt, 
wo fie noch heute ein elendes, ärmliches Dafein führen. Aber die von Norden Gelommenen 
jelbjt vermochten nicht lange ſich in der alleinherrichenden Stellung zu erhalten, in welche 
diefer Eroberungszug fie gebracht hatte. Ungleich andern Völkern, für welche ein folches 
fiegreiches Vordringen der Anlaß zu feitem Zufammenhalte inmitten der Unterworfenen 
und damit nur bie erite Stufe eines noch größern Siegeslaufes zu fein pflegt, zerfielen fie 
kurz nad) ihrer Anſäſſigmachung in dem Raume zwiſchen 24 und 20° füdlicher Breite und 
zwijhen dem Ngami und dem Atlantiijhen Meere in eine größere Zahl von Heinen 





Herkunft. Kämpfe der Herero und Namaqua. 321 


Etämmen, die von ebenfo vielen eigenmächtigen Häuptlingen regiert wurden. Es bauerte 
nicht lange, bis ihre Nachbarn fich diefe Zerfplitterung zu nuge madhten. Im Often gerieten 
fie in Krieg mit den heute ihrerfeit3 von den Matabele unterworfenen Maſchona, von 


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Männer der Herero (nad Photographie im Beſihe des Herm Dr. Fabri in Barmen). 


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welchen fie nad) manchen verzweifelten Kämpfen aus der Umgebung de3 Ngami zurüd- 

gebrängt wurden. Ihren Spuren in Geftalt zu Viehtränfen erweiterter Brunnen begegnet 

man noch in den heute fajt menfchenleeren Streden zwijchen dem Ngamifee und Tanobis. 
Bölterkunde J. 21 


322 Die Dvaherero und Bergdamara. 


Im Süden aber erwuchs ihnen ihr verderblichiter Feind in Geftalt der Namaqua=Hotten: 
totten, eines Stammes, der zuerjt von den Herero ſüdwärts zurüdgebrängt worden war, 
dann aber durch Anfchluß an eine am Oranjefluffe niedergelaffene Abteilung ihrer Leute 
unter Jan Afrifaner (ſ. S. 113) fi fräftigte und im Laufe der vierziger Jahre unfers 
Sahrhunderts erft zur ebenbürtigen und bald zur vordrängenden und erobernden Macht 
in diefem Gebiete wurde. Ein urfprünglid von den Herero etwas verfchiedener, wenig: 
ftens dialeftifch abweichender Stamm, der der Bandjeru (vgl. Abbildung, S. 323), wurde 
dabei nahezu ganz vernichtet, jo daß man eigentlich erjt feit diefer Zeit das Hecht hat, dem 
ganzen Volke den Namen Herero beizulegen. 


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Die Herero-Häuptlinge Ramaherero und Amadama (nad Photographie im Beſihe des Heren Dr. yabri in Barmen). 


Im Jahre 1842 hatten die rheinischen Mifjionare einen Frieden zwijchen den Namaqua 
und den Herero vermittelt, der aber bald wieder durch einen Angriff Jan Afrikaner 
gebrochen ward, und nun gingen bie Herero ftetig zurüd, bis fie Mitte der fünfziger Jahre 
in ihrem ganzen Lande unterworfen waren. Innere Fehden hatten zu diefem unglüdlihen 
Ergebniffe jehr viel beigetragen. Nur im äußerften Norden hielten ſich unabhängige und, 
was fait gleichbedeutend ift, noch herdenreihe Stämme in den Bergen um den 18, Breiten 
grad, wo die Namaqua entweder nicht anzugreifen wagten, oder zurüdgemwiejen worden 
waren. Bis 1863 dauerte diefer Zuftand. Darauf waren aber fie es, die wieder vor: 
drangen und num die Namaqua zurüdwarfen. An ihrer Spitze ftand ein fühner Häupt- 
ling, Kamaherero, und zu Hilfe famen ihnen die befannten Elefantenjäger Anderfjon und 
Green. Nocd mehr aber half ihnen der Nat ihres Miffionars Hugo Hahn, um den fie fh 
jeit 1865 in Otyimbingue fonzentrierten. Ohne großes Blutvergießen ging es aud) hier 
nicht ab, Otyimbingue wurde viermal von großen Namaquahorden angegriffen, und bei dem 
legten Angriffe wurden fait 1500 Namaqua vernichtet. Endlich kam es 1868 wieder zum 
Frieden, und ſeitdem haben fich die Herero raſch erholt und find unter der Leitung deutſcher 
Miffionare in jeder Beziehung fortgejchritten. Aber feit 1881 ijt die Kriegsfadel wieder 








Charakter und geiftige Anlagen. 323 


entzündet, jo daß es jcheint, al3 ob immer das Wort wahr bleiben follte, das einmal Kama— 
herero den Namaqua zurief: „Überall liegen und gehen wir auf den Gebeinen unter von 
euch Namaqua gemordeten Eltern, Kinder, Gefchwilter und Freunde”. In der That, das 
ganze Damaraland iſt blutgetränft. Man muß diefe Kämpfe ins Auge fallen, um das 
Stehenbleiben in der Kultur diefer Völker zu verftehen. Ganz neuerdings ſcheint ihnen aber 
bier ein noch gefährlicherer und wahrfcheinlich feindlicher Nachbar entitanden zu fein. Eine 
Gejellihaft von auswandernden Boeren (Trefboeren) zog 1879 aus dem Transvaal durd) 
die Kalahari nad) dem Damaralande, 
wo fie längs einer Hügelfette, an 
deren Fuße einige Quellen ſich befin- 
den, unter dem 18.9 jüdlicher Breite 
ſich niederließ und, wie die Berichte 
von 1880 lauteten, reihe Jagdgründe 
und hinreichende Weiden fand. Nach 
der Schilderung der Örtlichfeiten 
mußten diefe Niederlaffungen in der 
Nahbarihaft der unabhängigften 
Damara gelegen fein, und leider 
erlauben die Lehren der füdafrifani- 
ſchen Bölferbeziehungen wie über- 
haupt der Geſchichte nicht, zu zwei: 
feln, daß zwei nad) Jagd: und Weide: 
gründen verlangende und damit na= 
türlicherweije erpanfive Völker nicht 
friedlich nebeneinander werden leben 
fönnen. Und das um jo weniger, 
als die Herero lange Zeit ein Vol 
waren, welches jeden Stärfern ge— 
radezu aufforderte, es zu unter: 
drüden. „Die Damara”, jagt noch 
Chapman, „müjjen entweder ein 
jehr feiges oder entnervtes Volk jein, Gin Häuptling der Bandjeru (nad Photographie im Beſihe des 
oder fie müſſen, gleich den Makoba Herrn Dr, Fabri in Barmen). Bol. Tert, S. 32. 

am Botletle, uneinig und in kleine 

Gemeinſchaften zerjplittert gelebt haben, um von einer fo elenden Nafje wie den Namaqua— 
Hottentotten unterworfen werden zu können, für welche jedes andre Schwarze Volk in Süd— 
afrifa die entjchiedenfte Verachtung hegt.“ 

Gewiß hat ihr Eharafter unter diefen traurigen Gefchiden gelitten, und es würde 
Generationen dauernden Friedens bedürfen, wie er in dieſen Verhältniffen ihnen kaum 
beichieden fein wird, um fie unter der Leitung ihrer trefflichen Miffionare über das Niveau 
ihrer frühern Gejunfenheit hinauszuheben. Sie jtanden nur noch wie eine hilflofe Herde 
ihren Feinden gegenüber. Und diefe Entmutigung erklärt es, wie Reiſende, die jahre: 
lang mit ihnen verkehrten, fie in erfter Linie als feig bezeichneten. In diefem Urteile 
ftimmten Männer wie Anderjjon, Galton, Chapman und Green überein. Auch 
Lügenhaftigfeit in ungewöhnlichem Grade wurde ihnen nachgejagt. „Im Anfange”, 
fagt Anderjjon, „hielt ich ihre widerfprechenden Angaben für erfunden, um mich zu 
jchreden oder zu betrügen; aber als ich ihren Charakter näher fennen lernte, fand ich, daß 


fie mehr aus Gewohnheit logen, al3 um zu lügen.” Es ift unglaublich, wie mißtrauiſch 
21* 





324 Die Dvaherero und Bergbamara. 


fie find. Thatſache ift, daß die Miffionare mehrere Jahre in Barmen und Schmelens Hope 
lebten, ehe fie von dem Daſein einiger für fie wichtiger Quellen wußten, bie in der Nachbar: 
ſchaft den Herero längit befannt waren. Bon Otyimbingue bis Omanbondi reift man zwei 
bis drei Wochen; al3 aber Galton einen Herero nad) der Yänge diejes Weges fragte, 
fagte diefer, wenn man jeden Tag fo fchnell reife wie möglich, jo fei man alt, ehe man 
anlange. Indeſſen darf man hier nicht glei) an grenzenlofe Verlogenheit denken. Die 
Herero find nur etwas jchärfer ausgeprägte Typen des naiven Egoismus, dem die meilten 
Laſter der „Wilden“ entjpringen. 

Die geiftigen Anlagen feinen unter fo lange währenden graufamen Bebrüdungen 
nicht minder gelitten zu haben. Der vorhin genannte Miffionar nennt fie geiftig ftumpf, 
doch fett er mit Necht hinzu: „Vielleicht fehlt e8 nur daran, daß fie gewedt werben müſſen. 
Da die fluhmwürdige Sklaverei, unter der fie bisher gefeufjt haben, in etwas erleichtert ift, 
fönnte es vielleicht glüden. Eine gewiſſe Stärke, zäher Charakter ift da, ſonſt wären jie 
unter den unfäglihen Bedrüdungen und graufamen Mifhandlungen feitens der Namaqua 
vergangen. Ein hervoritehender Zug ihres Volkscharakters ift Eigenfinn und Schwermut.” 
Eine hervorragende Gabe bejigt diefes Volk mit andern Negern in der Anlage zum 
Geſange. Sie übertreffen darin die mufifalifch jo fehr beanlagten Namagua. Welch 
fonnige Szene, die Hahn erzählt, wie Miffionsfhüler von Dfombahe ihn während feiner 
Naft nach trauriger MWüftenreife draußen vor der Hütte mit einem vierftiimmigen Gefange 
nad den Melodien „Ein’ feite Burg“ und „Nun danfet alle Gott” überrajchen! 

Bei der Erwägung biefer Urteile it e3 deshalb notwendig, hervorzuheben, daf über 
allen diefen Fehlern des Egoismus, der Trägheit und der Zurüdgelommenheit, denn das 
find diejenigen, welche am meiften an ihm getadelt werden, im Herero eine Eigenſchaft 
waltet, die, unter Borausfegung der Erziehung, feiner Zufunft eine günftige Ausficht eröffnet. 
Der Herero, iſt jtetig, während fein hottentottiiher Nahbar das Prototyp 
der Veränderlichkeit, der Unberehenbarfeit ift. Der Herero ift fchwerer zugänglich, 
ichwerer zu überzeugen, zu befehren, er ift weniger Gefühls- als Verſtandesmenſch; aber er 
hält feiter an dem, was er aufgenommen. Seine beiten Kenner unter den Miffionaren 
find immer wieder auf diefe Eigenfchaft zurüdgefommen, in welcher fie die Gewähr eines 
endgültig günftigen Erfolges ihrer Bemühungen erkannten. 


In förperlider Beziehung werden die Herero infofern als einer der bejtaus- 
geltatteten Negerſtämme zu betrachten fein, als fie an Höhe und Kraft des Wuchſes nad 
allen Angaben nicht hinter ihren Friegerifhen Stammverwandten an der Südoftfüfte, den 
Kaffern im engern Einne, zurüdjtehen, während in ihrer Gefihtsbildung von dem etwas 
enthufiaftiichen Joſaphat Hahn ein „auffallend kaukaſiſcher“ Zug gefunden wird. Kritischere 
Betrachter geben wenigitens zu, „daß eine Annäherung an den kaukaſiſchen Typus bei 
den Herero häufiger fein mag als bei den meilten andern Südafrifanern, die Anazulu nicht 
ausgenommen” (G. Fritſch). Unfre Abbildungen (vgl. auch S. 129) beftätigen nur bie 
Bemerkung des eben genannten Forjchers, daß diefe Annäherung ihren Grund in der beffern 
Entwidelung der Nafe, der höhern Kopfform, den ſchwächern Kinnbaden und den nur 
mäßig aufgeworfenen Zippen habe. Der Urſprung diefer Abweichungen ift nicht auf: 
zuflären. ebenfalls Fann man kaum an eine Einwirkung der befondern Alimaverhältniffe 
in einem jo furzen Zeitraume denfen, wie er feit der Einwanderung der Herero in dieſe 
Gegenden verfloffen. Ebenfomwenig kann die Mifhung mit Bufhmann- oder Namablut 
dieſes Ergebnis hervorgerufen haben. 

Die Kleidung der Herero befteht, wie e8 einem Volke von Viehzüchtern geziemt, fait 
ganz aus Leder und entipricht, mit Ausnahme des feltfamen Kopfpuges der Frauen, im 


Körperbau. Kleidung. 325 


allgemeinen jener der Namaqua. Abfolute Nadtheit ift ihnen bei Erwachſenen ein Greuel. 
Eine ihrer Sagen erzählt von einigen Weibern, welche das anſcheinend geringfügige Miß— 
















HUN 
N 
9 Ka 4 Jun WE: 
IN PARNNX, Sol, Wr Fr 
I en % hi HN — 


Bi der Herero (nah Photographie im Befike de8 Herrn Dr. Fabri in Barmen). 


geihid traf, daf ihre Lendenfhürzen von einem Fluffe mitgeriffen wurden, fo daß fie nadt 
nah Haufe fehren mußten. Noch heute heißt davon der Fluß Okaroſchekie oder Nadtflup. 
Männer und Weiber tragen als Hauptfleidungsftüde ein oder zwei Schaf: oder 


326 Die Dvaherero und Bergbamara, 


Biegenfelle, welche fie um die Lenden ſchlagen. Die Weiber haben darunter eine 
Art Shmudihürze aus zahllofen Lederftreifen, auf denen Stüdchen von Straußeneierjchalen 
oder bei den Wohlhabendern auch Perlen aufgereiht find (ſ. untenftehende Abbildung), wäh: 
rend die Männer endlofe dünne Lederjtreifen in Form eines lodern Gurtes um die Lenden 


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Schmud der Herero: 1 Ropffhmud der Männer. — 2 Kopfſchmud — 3 Halsband — 4 Schurz — 5 Beinringe der Weiber 
(Mufeum für Böltertunde, Berlin). wirll. Größe. 


ſchlingen, in welchen der Kirri und unter Umftänden auch andre Geräte getragen werben. 
Diefe Felle find, wie die Herero ſelbſt, meiſt mit diden Maſſen von rotem Oder und Fett 
bejchmiert. „Man kann“, jagt Joſaphat Hahn, „dies Befchmieren mit Fett und Oder, fo 
jeltfjam und unfauber es auch erſcheinen mag, nicht als eine üble Angewohnheit bezeichnen, 
jondern es iſt für jenes Klima etwas durchaus Notwendiges. Die Haut bleibt dadurch 


fortwährend geſchmei⸗ 
dig und wird vom 
Staube nicht irris 
tiert, was dort leicht 
bäßliche und nicht un: 
gefährliche Hautkrank⸗ 
heiten, Ausſchläge 
und dergleichen, nad) 
fih ziehen würde. 
Kerner wird man 
hierdurch vor plöß- 
liher Abkühlung des 
Schweißes bewahrt.” 
Als Kopfbedeckung 
tragen die Männer 
nur bei schlechtem 
Wetter ein Stüd Yes 
der oder Fell, wel: 
chem fie die verſchie— 
denjten Gejtalten ge: 
ben können (ſ. Abbil- 
dung, ©. 326); aber 
die Frauen bieten 
in ihrer gewöhnli— 
chen Kopfbededung 
eins der originell: 
jten Stüde der Na— 
tionaltradten, die 
man bei Südafrika: 
nern findet. Sie tra: 
gen nämlich von der 
Verheiratung an ei 
nen belmartigen les 
dernen Aufpuß, wel: 
cher mit Perl- oder 
Muſchelſchnüren ges 
ſchmückt ift, und von 
deſſen hinterm Teile 
drei ejelöohrartige Zi: 
pfel fteif in die Höhe 
ragen. Schnüre von 
Elfenbein oder Eijen: 
perlen bis zu 10 kg 
hängen hinten bis auf 
die Ferien berab. 
Verheiratete Frauen 
fieht man faſt nie 
ohne diejen Kopfpuß. 


Schmud. Zahnfeilung. 327 





B77 
Waffen der Herero: 1 Bogen — 2 Speer — 3 Köder — 4 Pfeil — 5 Pfeiljpigen — 
6 Pfeilfeder (Mufeum für Böltertunde, Berlin). *+ wirtl. Gröhe, Pal. Text, ©. 328. 


328 Die Dvaherero und Bergdamara. 


— 


Lederne Sandalen, die aber nicht auf Reiſen, ſondern zu Hauſe getragen und nach orien— 
taliſcher Sitte vor dem Betreten eines fremden Hauſes abgelegt werden, vervollſtändigen 
den Anzug (ſ. untenſtehende Abbildung). Die Weiber zeichnen ſich durch eine möglichſt 
große Zahl kupferner und eiſerner Ringe um Unterarm und Unterſchenkel aus. Perlen— 
ſchnüre (Eiſenperlen werden am wertvollſten gehalten) tragen beide Geſchlechter um den 
Hals und laſſen die verſchiedenſten Gegenſtände, welche ihnen gefallen, Eiſenſtücke, Muſcheln 
und andre, vom Halſe auf die Bruſt herabbaumeln. Galton erzählt von einem Damara, 
der von ſeiner Halskette eine Schnur mit glatt gearbeiteten Elfenbeinperlen, welche von 
der Größe einer Billardkugel bis zu der einer Haſelnuß ſich verjüngten, bis auf die Ferſen 
herabhängen ließ. Auf Gold oder Meſſing legen ſie keinen Wert. Den Körper ſalben ſie 
mit Fett, dem roter Eiſenſtein beigemengt iſt, und dieſe rote Farbe ſowie das Buchupulver 
(vgl. die Abbildungen, S. 334) der Hottentotten ſtreuen fie auch in ihr Haar. Letzteres 
tragen ſie in ſteif herabhängen— 
den, zuſammengefetteten Sträh— 
nen. Die Weiber flechten Leder— 
ſtreifen oder Pflanzenfaſern in 
ihr Haar. Der Kopf männlicher 
Kinder wird öfters ganz geſcho— 
ren, während auf dem der weib— 
lichen ein Schopf am Wirbel 
ſtehen bleibt. Mit zum Schmucke 
rechnen ſie auch die eigentüm— 
liche Behandlung, welche ſie den 
Zähnen angedeihen laſſen, in— 
dem ſie die untern vier Vorder— 
zähne ganz ausſchlagen, wäh— 
rend ſie die zwei obern mittlern 
ſchwalbenſchwanzförmig zufei— 
Sederfandafen der Herero (Mufeum für Volkertunde, Berlin). len. Bemerfenswerterweije ge= 
ſchieht diefes Feilen der 
Zähne nur mit jcharfen Steinen. Ihre Kriegsgefangenen und Sklaven „zeichnen‘‘ fie 
gleichfall8 dur Ausichlagen einiger Zähne. Als Grund diefer Verſtümmelung, welche 
beim Eintritte der Mannbarkeit vorgenommen wird, haben fie auf die Fragen einzelner 
Reiſenden die Erleichterung de3 von ihrer Sprache erforderten leiſen Liſpelns angegeben. 
Der wahre Grund ift ihnen aber wohl jelbjt verborgen, und in Wirklichkeit. ift es eine 
alte Sitte, der Beſchneidung und jonftigen Mannbarkeitszeremonien andrer Kaffernftämme 
vergleihbar. Wir werden jehen, in welcher Weife fie dazu dienen fann, die Herkunft und 
Stammverwandtſchaft der Herero näher zu bejtimmen. Ein Berg des Damaralandes, 
Iſchuameno, hat feinen Namen von dem Felte der Zahnverftümmelung, das in glüdlichern 
Tagen dort gefeiert ward. Eine eigentümliche Sitte der Damara befteht darin, daß fie 
nacht3 niemal3 ohne Feuerbrand gehen, teil aus Furcht, teild um Licht und Wärme zu 
genießen. Joſaphat Hahn erzählt, daß fie häufig dem Löwen feine Beute mit einem 
Feuerbrande abjagen. 

Die Waffen der Damara find Affagaien, Kirri, Bogen und Pfeile (j. Abbildung, 
©. 327). Die eritern beiden find ihre Hauptwaffen, und zwar ijt am wirkjamjten von 
allen in ihrer Hand jedenfalls der Kirri, diejes bei allen Kaffernftämmen verbreitete 
Mittelding von Wurf: oder Schlagftod und Keule. Im Wurfe töten fie mit großer Sicher: 
heit damit Kleinere Tiere, während ein wohlgezielter Schlag aud einen Fräftigen Mann 





Maffen und Wehrverfaffung. 329 


niederjtredt. Jeder Damara führt in feinem Schnurgurte einige diefer Waffen. Die 
Aſſagaien madhen hingegen bei den Damara mehr den Eindrud von Schaumwaffen und 
werden in Wirklichfeit hauptſächlich an Stelle von Meffern benugt. Die Klinge aus weichem 
Eiſen ift zu diefem Zwede breit und lang; ihre Politur und Schärfung gehört zu den we: 
nigen regelmäßigen Beihäftigungen des Damara, welche viel Zeit in Anſpruch nehmen. 
Der Schaft ijt aus ſtarkem Holze, oft jogar aus Eifen, und trägt in der Mitte oder an 
feinem Ende einen buſchigen Rinderjchweif. Da die Breite der Klinge ihre Benugung zum 
Stehen und die Schwere des Schaftes das Werfen erjchweren, ift der Nutzen als Waffe 
ein geringer. hr friebliher Zwed, als Mefjer zu 
dienen, wird übrigens durch den langen Schaft gleich— 
falls nicht gefördert. Eigentlich ift der Dolch, den fait 
jeder Herero in lederner Scheide an den Lenden trägt, 
das Hauptwerkjeug beim Schneiden, beim Schlachten 
des Viches ꝛc. Als Waffe wird er jelten gebraucht. 
E3 gilt diejelbe Unzwedmäßigfeit als Waffe von 
Bogen und Pfeilen, welche fie zwar bejtändig mit 
ſich tragen, ohne indefjen je die erforderliche Sicherheit 
in ihrem Gebraude zu erwerben. Nah Anderjjon 
Ichiegen fie gut nur auf 10—12 Schritt, über dieje 
Entfernung hinaus leidet ihre Schießkunſt entjchiede: 
nen Schiffbruch. Auffallenderweife find fie gar feine 
ſchlechten Gewehrjhügen, was anzudeuten fcheint, 
daß ihre Bogen feine gute Konjtruftion haben. Vor 
30 Jahren befaßen die Herero insgefamt nur einige 
Gewehre, in neuerer Zeit haben ſich dieje vermehrt, 
wobei jie eine den Boeren nadhgeahmte Form für das 
Pulverhorn (ſ. nebenftehende Abbildung) einführten. 
Mit der Zahl der Gewehre ift ihr früher tief geſun— 
fener friegerifcher Geiſt beträchtlich geftiegen, und fie 
gehören jegt zu den beſſer Bewaffneten jener Regionen. 
Nicht zur Bewaffnung, wohl aber zur Ausrüftung ge: 
hört der Grabjtod, welchen der Damara häufig wie 
der Buschmann bei den Pfeilen im Köcher trägt. Ihre 
Geſchicklichkeit im Graben mit diefem einfachen, zu: ' 
gejpigten Stode ift groß; fie graben mit der einen (iesfonm für Biliehue Berla) Amir Gr. 
Hand und fchaufeln mit der andern die Erde beijeite. 

Mit der Gejamtverfafjung der Herero hängt auch ihre Wehrverfafjung zujammen. 
Ein jeder, der eine Waffe bezahlen kann, wird aud) eine Waffe führen. „Heutzutage“, 
fchrieb Büttner 1882, „fieht man einen Mann der Herero außerhalb feiner Werfte nur 
fehr felten ohne Gewehr. Durd die Jagd erhält fich die Waffenübung. Die Beteiligung 
am Kriege ift eine rein freiwillige, und da die Herero immer nur nad) praftifchen und nie 
nad) ibeellen Grundfägen handeln, jo wird niemand zu den Waffen greifen, der nicht feinen 
direften Vorteil dabei fieht. Wenn nun ein Fürft die Seinigen zu einem Rache- und 
Raubzuge rüftet, vielleicht um geraubtes Vieh wieder in die Hände zu befommen, jo werben 
zunächſt die jüngern Brüder, die Hausföhne, und wer ſonſt waffenfähig unter den nächiten 
Verwandten ift, zu dem Zuge aufgeboten. Je mächtiger und reiher nun der Feind ift, 
dejto mehr ift Beute zu hoffen; es werden ſich aljo bald auch noch viele andre Leute finden, 
die ich gern anfchließen, um auch etwas von der Beute zu profitieren, und der Unternehmer 





330 Die Dvaherero und Bergbamara. 


des Kriegszuges wird diefe Mitziehenden gern mit Waffen und Munition ausrüjten, um fo 
die Gewißheit eines guten Erfolges immer mehr zu fihern. Je weniger Gefahr bei der 
Erpedition zu fürchten ift, deſto mehr wird der Heerhaufe anfchwellen. Die Leute im Zuge 
ordnen fih nad den Schwägerfhaften und Freundihaften, die vornehmften jungen Leute 
übernehmen die Führung der einzelnen Haufen und find die Vorkämpfer. Solange nun die 
eigentlich bei der Sache Intereſſierten tapfer auf den Feind losgehen, wird der helle Haufe 
auch gut nachdrängen, um möglichit raſch an die Beute heranzufommen; fallen aber die Vor: 
fämpfer beim Angriffe, jo Löft fi auch fofort der Kriegszug auf, und jeder denkt nur daran, 





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Geräte der Bergdamara: 1 Holjſchale zum Reinigen des Grasfamend — 2 irdener Topf — 3 Löffel — 4 Trichter 
(Mufeum für Böltertunde, Berlin). % wirtl. Größe. (Vgl. aud Abbildung, ©. 207.) 


fein Zeben zu ſalvieren.“ Ganz anders geht es zu, wenn der Feind angreift. Zwar werden 
auch dann der Befiger und feine nächſten Verwandten bereit fein, ihr Hab und Gut zu ver: 
teidigen; aber die große Maffe der Knechte, denen das Vieh nicht eigentümlich gehört, wird 
mit der größten Ruhe zufehen, wie das Gefecht abläuft. Denn wenn der Feind fiegt, jo 
wird gewiß auf der Stelle ein Teil der Beute gefchladhtet werden, und bei dem Überflufje 
werben auch die erbeuteten Knechte nicht leer ausgehen. Und wenn der Sieger den ganzen 
Herdenreichtum des Überwundenen heimtreiben läßt, fo bleiben die Knechte natürlich bei 
den Milchtöpfen und ziehen willig mit den geraubten Kühen mit; ja, fie haben die ſchönſte 
Ausfiht, den neuen Herren, welche noch nicht den vollen Überblid über die erbeutete Herde 
gewonnen haben und noch nicht jedes einzelne Stüd von Anjehen kennen fönnen, ein Stüd 
nad) dem andern zu entwenden. E3 entjpricht ganz dem natürlichen Charakter des Herero, 
daß auch die Herren, wenn die Ausſicht auf Sieg allzu gering ift, es gar nicht verſuchen, 


Hütten. Muſik und Tanz. Nahrung. 331 


weiter mit den Räubern zu fechten, jondern fi und die Herden willig den Fremden 
übergeben, um, wenn aud) als Knechte der Fremden, die Herden ihrer Väter weiterzuhüten. 

Das Schidjal eines Nationalbelden der Herero, Kahitſchenes, zeigt deutlih, wie vor 
der Zeit der Gewehre die Kriegführung das Leben des Volkes bejtimmte. In dem Namaqua— 
friege der vierziger Jahre wurden in einer und derjelben Nacht jämtlide Dörfer biejes 
Häuptlinges von den Feinden heimlich überfallen. Kahitichene jelbft ward auf Dfahandya 
von Jonker Afrilaner umzingelt und angegriffen. Ein jchredliches Blutbad wurde unter 
den Herero, die nach feiner Seite hin entfliehen konnten, angerichtet; nur Kahitſchene wagte 
es, mit einer Kleinen tapfern Schar ſich in die Reihen der Feinde zu ftürzen, und war ber 
einzige, dem es gelang, ſich Bahn zu brechen. Er ahnte nicht, daß in derjelben Nacht fein 
ganzer Stamm vernichtet war, und dab Frau und Kinder fich in der Gefangenjchaft be: 
fanden. Als er hiervon Nachricht erhielt, raffte er feine legten Mannſchaften auf und griff 
mit der Heinen Schar und in Begleitung feines einzigen Sohnes die Feinde an. Während 
des Kampfes verließen ihn aber jeine Krieger, und er jelbit fiel mit feinem tapfern Sohne 
nad heldenmütiger Gegenwehr. Mit dem Falle Kahitihenes war das Schidjal der Herero 
bis zum Auftreten Kamahereros entjchieden. 

Die Hütten der Herero erinnern teil® an die der Hottentotten, teild an bie ber 
Buſchmänner. Entiprechend der Zebensweife, find es viel mehr Nomadenhütten als 3. B. 
bei den Betichuanen. Alles ift leicht, flüchtig gemacht, zum Mitnehmen geeignet. Jedes 
Dorf hat fein heiliges Feuer (j. ©. 347), das den idealen Mittelpunkt der Gemeinde 
bildet. Das Mobiliar bejteht außerdem aus einigen hölzernen Gefäßen, einem irdenen Koch: 
topfe, der oft jo groß ift, daß er nicht durch die Thür geht, einem Lederbeutel mit Fett 
(ſ. Abbildung, ©. 332), einem andern mit verſchiedenen Schmudjadhen, als Nötel und 
Berlen, und jchlieglich außerdem vielleicht einem eifernen Meffer zum Schnigen. Geflochten 
wird hier wohl weniger als bei den nördlichen Nachbarn, teilweife aus Mangel an Ma- 
terial, da Palmen erft im Dvambolande vorfommen; doch find ihre Flechtereien nicht 
ungeſchickt angefertigt (j. Abbildung, ©. 333). 

Der Mufil und dem Tanze find die Damara jehr ergeben. Aber aud) hier tritt 
ihre auffallende ethnographiiche Armut zu Tage, indem ihr einziges mufifalifches Inſtru— 
ment nichts andres als der Bogen ift, um deflen Sehne und Schaft fie ein Stüdchen 
Lederriemen fo winden, daß die Sehne ftraff geipannt wird; indem fie dann den Bogen 
wagerecht gegen die Zähne halten, jchlagen fie die gefpannte Sehne mit einem Kleinen Stöd: 
hen. Mit diefem höchſt einfachen Inſtrumente erzielen gefhidte Mufiker, an welchen es 
ihnen nicht fehlt, bemerkenswerte Wirkungen, wiewohl fie mehr dem Rhythmus als den 
Noten folgen. Galton jah aud eine Art Guitarre bei ihnen, von ber er aber glaubt, 
daß fie von den Dvambo herübergebradht fei. Ihr Geſang beiteht aus Einzelgefängen mit regel: 
mäßig ablöjendem Chore. Ihre Tänze find fehr einfacher Art: Hauptbeitandteil derjelben it 
die Nachahmung der Bewegungen von Tieren. In diefer Nahahmung der Tiere find wohl 
die Bufhmänner ihre Lehrmeifter gewefen, aber die Herero haben es darin jehr weit gebracht. 
Galton erzählt 3. B. von einem Damara, der ihm das Nilpferd jo täufchend vorjtellte, 
daß er augenblidlih die harakteriftiichen Bewegungen besjelben erkannte. Als Gipfel der 
Komik gilt die Nahahmung des plumpen Geplärres des Pavians, bie in jeder mufifalifchen 
Unterhaltung der Herero die unfehlbar wirkſamſte Nummer bes Programmes zu jein pflegt. 


Entiprehend ihrer Beihäftigung und Lebensweiſe, befteht die Nahrung der Damara 
bauptjählid aus Milch und aus dem, was die Steppe an Wild und eßbaren Gewächſen 
bringt. Wo der alte Herdenreichtum ſich erhalten hat, trinkt ein Damara täglih 5 —9 Liter 
meilt ſaurer Milh, wozu er nur Erdnüſſe ißt. Das Schlachten von Vieh, bloß um 


332 Die Dvaherero und Bergbamara, 


Nahrung zu gewinnen, ift dem Damara fremd. Er begreift nicht, daß man Fleiſch als 
tägliche Speife genießt, denn ein Stüd aus der Herde wird bei ihm nur geſchlachtet, 
wenn ein Frembling in das Dorf fommt, oder wenn ein Feſt, wie die Zahnverftümmelung 
oder eine Hochzeit, gefeiert werden fol. Daran nimmt dann das ganze Dorf teil, und 
da die Damara wegen ihrer Gefräßigfeit berühmt find, werben jelbjt mehrere Rinder in 
unglaublich kurzer Zeit mit Haut und Eingeweiden verzehrt. Jedes tote Tier, das ver: 
ipeift werden kann, ſei es geſchlachtet, gejagt oder gefallen, ift Gemeingut, und man 
begreift, daß, wie Chapman mitteilt, für einen toten Ochſen noch nicht einmal ein leben: 
diges Schaf zu faufen 
it. Dabei fegen ihnen 
aber zahlreiche aber: 
gläubifche Meinungen 
hinſichtlich der Tiere, 
die fie effen dürfen oder 
nicht, Schranken. Kein 
Volk dürfte reicher 
an Vorurteilen gegen 
Speiſen ſein. Als die 
Damara aus ihren 
beiten Jagdgründen 
durch Die Namaqua ver: 
drängt waren, janden 
fich die Armern unter 
ihnen, die fich mit den 
Buſchmännern an Ge 
ſchick im Jagen nict 
vergleichen fönnen, vor: 
wiegend auf Pilanzen: 
foft angewieſen, wie 
wohl fie in der Not 
jelbft Hyänen und Leo: 
parden nicht verſchmah⸗ 
ten. Sie wetteifern 
aber mit den Build 
männern in der Kennt 
nis und Ausbeutung 
der zahlreihen efbaren Wurzeln und Knollen. Sie kauen im Notfalle das Holz einer 
Sterculia. Chapman bemunderte ihre ſogar durch Krankheit noch wenig geminderte Der: 
zehrungsfähigfeit. Selbſt aus dem Elefantendünger leſen fie unverdaut abgehende Mandeln 
auf, um fie mit Appetit zu verfpeifen, Wir finden feine Andeutung, daß fie in der Zuberei⸗ 
tung der Nahrungsmittel über das Notwendigite hinausgehen. Ganz rohes Fleiſch zu eſſen, 
verbietet ihnen ihr Aberglaube; aber es genügt der geringſte Grad von Röftung, um es 
geniehbar erſcheinen zu laffen. Tabak und die Kunft der Herftellung geiftiger Getränfe 
icheinen ſich urfprünglich nicht bei ihnen gefunden zu haben. Nachdem aber die Namaqua 
jelbit Schon bis zur Heritellung gegorner Getränke aus zuderhaltigen Früchten fortgeſchritten 
find, dürfte dieſe Kunſt auch den Damara nicht mehr fremd fein. Faſt möchte man, I 
Erwägung der jo weiten Verbreitung gegorner Getränke in Afrika, auch hier an eine 
„verlorne” Kunft denken. 





Ein Feltbeutel und ein Fetthorn der Herero (Mufeum für Völferlunde, Berlin). 
"4 wirll, Größe. Bol. Tert, S. 31. 


Handel. Viehzucht. 333 


Der Handel ber Herero nach außen fcheint vor der Zeit des europäifchen Handels, der 
bis vor etwa 40 Jahren verſchwindend war, hauptfählich von ihren nördlichen Nachbarn, 
den Ovambo, vermittelt worden zu fein. Die Haupttaufchmittel derfelben waren Eifen- 
und Kupferwaren und portugiefiihe Perlen, wofür die Herero Ninder gaben. Seltjam, 
daß die Herero jelbit fait gar feine eignen Schmiede befigen, jondern diefe Arbeit von 
fahrenden Leuten bejorgen laffen, die befonders aus dem Ovamıbolande fommen. Vor 
der Zeit der Europäer hatte das Eifen hier mehr Wert als bei uns Silber, denn die 
Ovamboſchmiede trugen e8 15—20 Tagemärjche aus ihrem Lande herüber. Der häufigere 
Beſuch der Südwejtfüfte Afrifas dur europäifche Schiffe hat in den legten Jahren aud) 


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— — — — = 
Ein Zraglorb mit Bafjerbehältern (Kürbisjhalen) und ein Korb aus Gradgefledt der Herero 
(Mufeum für Völtertunde, Berlin). ?7 wirtl. Größe. Bgl. Tert, ©. 331. 


hierin Änderungen hervorgerufen, denen der politifhe Aufſchwung der Herero zu Hilfe kam. 
Heute z. B. find fie es, weldhe den Handel von der Küfte nad der Ngamiregion vermitteln. 

Noh in manden andern Beziehungen fcheinen die Herero zu den Völkern gerechnet 
werden zu müfjen, welche durch den Verluft einer Anzahl von Kulturerrungenſchaften auf 
eine Stufe unter ihre Nächftverwandten herabgeftiegen find. Sie jhägen Eiſen fait fo 
leidenschaftlich wie wir Gold und follen doch, ehe der Einbruch der Hottentotten fie zwang, 
auf ihre eignen Hilfsmittel zurüdzugreifen, nad Baines’ Mitteilung nit einmal im ftande 
gewejen fein, eine Aſſagaie zu machen, fondern diefelbe von den Ovambo bezogen haben. 

Solange fie ungeftört lebten, gruppierte fich ihr Leben mit einer felbft in Südafrifa 
bewundernswerten Einjeitigfeit um die Viehzucht, und vielleicht erflärt gerade dieje Ein- 
jeitigfeit bis zu einem gewifjen Grade ihre Rüdjtändigkeit in andern Beziehungen. Jedenfalls 
bat fie wejentlich zu dem rafchen Nüdgange ihrer Gefamtftellung beigetragen, indem die 
MWegtreibung einer Herde faft unfehlbar Verarmung ihrer Befiger mit fi bradte. So 
waren, um ein Beifpiel zu nennen, die Rinderherden des einſt mädhtigften und reichiten 


334 Die Dvaherero und Bergdamara. 


Hereroſtammes, desjenigen des Häuptlinges Kahitſchene, zur Zeit, als Anderjjon mit ihm 
zufammentraf, in den Namaquakriegen auf 10—15,000 Stüd zufammengefhmolzen, und 
dies war der Anfang des Endes, denn 1856 zählte man, die durchfchnittliche Größe der 
Damaradörfer zu 30 Hütten angenommen, nicht mehr als 3— 4 Rinder auf die Hütte. Aber 
in jener befjern Zeit bejaßen die Damararinder einen gewilfen Ruf, und nod) heute bilden fie 
den wichtigiten Gegenftand des Handels zwilchen dem Damaralande und der Kapfolonie. 
Das Damararind wird als nahe verwandt dem Rinde der Bet: 
ſchuanen gejchildert, dabei als ſchwächer, aber ſtarkknochig, von mit— 
telgroßem Wuchje, mit ſchlanken Gliedern, Eleinen, jehr harten Füßen, 
furzhaarig und mit einer fajt bis auf den Boden reichenden Schwanz: 
quajte, welche eine große Rolle als Zierat bei den Damara jpielt. 
Befonders als Neittiere find die Damararinder geſchätzt. Am bemer: 
fenswerteften find ihre Hörner, deren Spigen oft um mehr als Manz 
neslänge auseinander ftehen und einen Winkel von 45—90° mit 
dem Kopfe bilden. Die Damara ſchätzen ihre Ochjen um fo höher, 
je mächtiger ihre Hörner find. Sie lieben Geſpanne gleiher Farbe 
und ziehen, wie die Namaqua, die braunen vor, da hellfarbige für 
ihwad) gelten. Die Kühe find mildarm (nah Baines braudht man 
zwölf Damarafühe, um jo viel Mild) 
zu erhalten wie von einer europäi— 
jhen) und melkſcheu. Die Damara 
binden die Kühe mit dem Kopf an 
einen Baum, um fie zu melfen, wie 
die Yappländer es mit ihren Renn— 
tieren thun, oder fie binden ihnen die 
Hinterfüße zufammen. Da e3 Kraft 
und Gewandtheit erfordert, um mit 
ihnen zurecht zu fommen, jo gehört 
es zu den beliebten Kraftproben, ein 
halbwildes Rind im Laufe einzuholen — 
und es durch einen Nud am Schwanze 
niederzumerfen; ſelbſt Mädchen ficht 
man dieſe Kraftprobe bejtehen. Die 
Ein — — der Berge Schafraſſe der Herero trägt Fett: Eine Buchubüchfe 7 
damara e 4 8 d 
—— 
5.208. dem werden Ziegen gehalten. Die graße Bat. Xert, & 38 
Hunderaſſe der Damara ijt ebenjo 
ichlecht wie die irgend eines andern jüdafrifanishen Stammes, indes wird es lobend 
hervorgehoben, daß fie ihre Hunde beſſer behandeln als die Namaqua die ihrigen. 

Die Herden üben einen mächtigen, geradezu zwingenden Einfluß auf die 
Volksverhältnijje der Herero aus. Die Herden find es, mit denen die Kojten für 
Bündniſſe, für Heiraten, für Einfäufe und manche religiöfe Zeremonien bejtritten werben. 
Wer fein Vieh hat, gilt nichts unter feinen Stammesgenofjen. Ihr Sinn und Auge 
weiden fih ſchon von frühfter Jugend auf an den Gejtalten, Farben 2c. diefer Tiere. Die 
Eleinjten Jungen vergejjen ihre Spiele, um ſich über den Wert diefes oder jenes Ochjen zu 
jtreiten. Ein Hauptvergnügen der Kinder ift es, Ochſen und Kühe in Thon nacdhzubilden, 
worin fie es zu einer großen Volltommenheit bringen. Kein Wunder daher, daß fi) ihre 
ganze Einbildungskraft ſchon von Jugend an auf dieſen ihren Abgott richtet, und daß die 


{ 





Wirtſchaftliche Zuftände. 335 


Pflege der Herden eine Befchäftigung ift, welche die angejehenften Männer für eine Ehre 
halten. Die Söhne der mächtigften Häuptlinge müſſen eine Zeitlang das Leben eines 
einfahen Viehhirten durchmachen. Die Häuptlinge ſelbſt fehren von Zeit zu Zeit zu ihren 
Jugendbeſchäftigungen zurüd; befonders ift dies der Fall, wenn entfernte Weideplätze 
bezogen werben. So geſchieht es oft, daß ein reicher, angefehener Häuptling wochenlang 
die Auffiht über feine Herden führt bei höchſt einfacher Koft und noch einfacherer Bes 
haufung. Daher aud) die erftaunlihe Kenntnis, welche die Herero in allen Dingen auf: 
weifen, die ihre Herden betreffen. Wie ihr Leben überhaupt, fo erreicht vor allem ihr 
Wiſſen hier feinen Höhepunkt. „Da faft fein Vieh fpeziell gezeichnet wird, irgend eine 
Art von Buchführung nicht befannt ift, irgend welche fchriftlihe Aufzeichnungen nicht 
gemacht werden, jo fann man fich leicht denken, welch eine bebeutende geiftige Kraft «3 
für einen reichern Herero erfordert, genau im Kopfe zu behalten, wo das Vieh alles hin— 
gethan ift, und die Kälber und Lämmer, die al$ neugeboren angemeldet werden, nicht wieder 
zu vergeffen. Denn natürlich, ſobald die Hirten es merken, daß fie nicht genau fontrolliert 
werden, jo fehen fie feinen Grund, warum fie nicht zu ihrem eignen Vorteile wirtjchaften 
follen; dann gehört bald jedes neugeborne lebende Stüd dem Hirten, alles, was ftirbt, jtirbt 
aus der Herde des Herrn, und im Handumdrehen ift der ganze Poften wie Eis in der Sonne 
zerihmolzen. So muß denn der Befiger immerfort auf der Wanderfchaft fein, um feine 
Viehpoften zu revidieren, und durch folche beftändige Übung wächſt feine Intelligenz im 
Erfennen und Erinnern des Viehes ins Unglaublihe.” (Büttner.) 

Die Schaffung einer Herde ift gleihjfam der Stab, an dem fi) dad Leben eines 
Herero emporrankt; e8 wäre hohl ohne diefen Inhalt. Sehen wir, wie ein ſolcher Beſitz dem 
einzelnen Menjchen nach und nach zuwächſt, jo entrollt fi) vor ung eins der merfwürbigiten 
Bilder fozialen Lebens, eine in manchen Beziehungen wunderbar befriedigende und kaum 
minder einfache Löfung bes Problemes der Befigverteilung. Das heranwachſende 
Kind wird bald von der Mutter gelehrt, den Vater, rejp. den Vormund etwa um eine 
Ziege zu bitten, andre Tiere werden dann bei Gelegenheit bei den Oheimen und Tanten 
erbeten, fo daß die Kinder nicht nur aus dem allgemeinen Hausgute leben, jondern auch 
ihr eignes Vieh befommen, auf deifen Milch fie allein Anfpruch haben. Wenn die Herden 
des Abends von der Weide nad Haufe fommen, dann fieht man überall die Kinder den- 
jelben weit entgegenlaufen, um ihre Ziegen in Empfang zu nehmen und fi die Milch) 
meijt direft in den Mund zu melfen. Die Lämmer diefer Ziegen gehören dem Kinde 
natürlich ebenfalls zu, und da nichts geichhlachtet wird und der Vormund wie ber Vater 
die Aufficht über das Pekulium der Kinder unentgeltlich führen, jo wächſt allerdings mit 
dem heranwachſenden Kinde fein Vermögen. Dem Knaben, dem heranwachjenden Mädchen 
wird dann wohl auch ab und zu ein Färsfalb gefchenkt, und fo ſammelt ſich allmählich eine 
eine Herde an. Bei den fortwährenden Reifen und dem beftändigen Umbherziehen wird 
auch jonft jeder irgendwie vermögende Mann, mag er aud) in noch fo entferntem Grade 
verwandt fein, um etwas gebeten, und je älter und je mächtiger jemand wird, dejto eher 
befommt er ein Geſchenk oder das Lehen eines Viehpoftens. Der Poftenhalter benugt 
nun natürlich die Milch des Viches, das feiner Wartung anvertraut ift, wenngleich er 
die frifchmildenden Kühe und Ziegen dem Herrn auf fein Verlangen immer wieder abgeben 
muß. Se reicher der Eigentümer ift, deſto beſſer hat es auch der Poftenhalter. Es werden 
fih dann auch Gelegenheiten finden, dur Erbichaften den Glanz des eignen Haufes 
immer mehr zu vermehren. Iſt der Sohn bereit3 erwachſen und ſelbſt ſchon ein begüterter 
Eigentümer, wenn der Vater ftirbt, fo glüdt es ihm wohl auch einmal, feines Vaters 
Familie zu erben; dann ift er mit Einem Schlage in der Reihe der Großen. Man fieht, 
wie das Vermögen bier die Neigung hat, fi immer mehr zu alfumulieren, man wird aber 


336 Die Dvaherero und Bergbamara. 


aud von hier aus ben Kommunismus, vor dem der Reichſte gerade am menigiten ficher 
ift, verftehen; es find eben die Erben, die ein ganz gutes Recht auf den ihnen vorent- 
haltenen Neihtum ihrer Väter haben und die nun durch beftänbige Eleinere Abjchlags- 
zahlungen beruhigt und in ihrer Treue gegen den großen Vater der ganzen Familie immer 
wieder befeitigt werden müſſen; denn, fo falkuliert die Logik des Herero, wer mir nicht gibt, 
fann unmöglid mein Vater fein, und ich bin ihm weder Treue noch Ehrerbietung ſchuldig. 

Das ganze Erbredt der Herero hängt innig mit dem Hervortreten ber 
Viehzucht zufammen. Es beruht eigentlich darauf, daß die Familie untrennbar mit 
der Herde verwadhlen ift. Hören wir Büttners Darlegung: „Ein Mann ftirbt und hinter: 
läßt eine Witwe mit unmündigen Kindern. Wer fönnte nun das Vieh ferner beauffich- 
tigen? Sollten die Anechte allein e3 ferner in adht nehmen, jo wird die Witwe es faum 
verhindern können, daß in fürzefter Zeit alles veruntreut ift. Es würde alfo auch nad) 
unfern Begriffen ein männlicher Verwandter der Frau oder des Mannes, der mündig ijt 
und Macht genug hat, die Familie zu befhüsen, die Vormundſchaft übernehmen müſſen. 
Denn das Erbe zu verkaufen und das Eigentum in Geld zu verwandeln, das fich leicht 
beauffichtigen ließe, ift da nicht möglih, wo der Handel mit Vieh Feine Sitte ift, ja wo 
überhaupt gar nicht fo viele andre MWertobjefte in den Händen des Volkes find, um eine 
größere Herde bezahlen zu können. Auf dem Vormunde würbe aljo jehr viel Verantwortung 
laften. Nun thut aber der ausgeprägte Egoismus des heidnifchen Herero ſoviel wie nichts 
ohne Gegenleiftung, und jo wie jo fucht jeder von dem Schwadhen und Hilflofen unter 
jedem möglichen Vorwande foviel zu erprefien wie möglid. Da nun überdies Fein Geſetz 
noch irgend welche Obrigkeit den Schwadhen vor den Starken ſchützt, fo würde aud ein 
folder Vormund wahrſcheinlich in fürzefter Zeit die Hinterbliebenen um das Ihrige gebracht 
haben. Unter diefen Umftänden und bei der dennoch bei alledem nicht geringen Familien- 
pietät hat fich nun offenbar im Laufe der Zeit das Erbrecht bei den Herero in folgender 
Art ausgebildet: Wenn jemand ftirbt und unmündige Erben hinterläßt, fo erben die Hinter: 
bliebenen (die Frau und die Kinder) eigentlih gar nicht, ſondern ber nächſte mächtige 
Mann in der Freundfchaft erbt die ganze Familie (Familie im römiſchen Sinne). Das 
Vieh des Verftorbenen wird fein Vieh (die Hauptſache!l), die Knechte des Verſtorbenen 
werben feine Anechte; aber auch die Frauen des DVerftorbenen werben feine Frauen, und 
bie Kinder des Verftorbenen werden nunmehr feine Kinder. Und wie es fcheint, wird 
dann weiter bei den Kindern Fein Unterfchieb zwifchen den eignen und ben Stieffindern 
gemacht. Auch die Sprache bezeugt dies, da fie feine Worte für Stiefvater, Stiefmutter, 
Stieffinder zu haben fcheint. Und wenn auch Worte für Oheim und Tante im weitern 
Sinne vorhanden find ſowie für Neffe und Nichte, fo werden diefe doch mehr nur im 
Geſpräche von ältern und veritändigern Leuten gebraucht. Die Kinder nennen aud noch 
bei Lebzeiten der Eltern bie Gejchwifter des Vaters und der Mutter Vater und Mutter, 
fowie auch Gejchwifterfinder nie anders voneinander fpredhen als von leiblihen Geſchwiſtern 
(j.S.156). Die breitgeftirnten Rinder find es, in deren Menge und überwiegenber 
Wichtigkeit die Diftinktionen der menſchlichen Verwandtſchaftsgrade unweſentlich zu wer: 
den geneigt find.” 

Noch weiter geht diefer verwijchende, biejer ausgleichende Einfluß der Rinder: und 
Ziegenherden, und nie jcheint e8 eine ungünftige Wirkung zu fein, bie fih da ergibt. 
Der eben genannte Miffionar jchildert uns folgendermaßen die Ausgleihung ber Befig- 
und Standesunterichiede, welche Im Gefolge der notwendigen Durcheinanderwürfelung des 
Viehſtandes erfcheint: „Ein reiher Dann kann nad den Verhältniffen im Damaralande 
unmöglich jein Vieh an einem Drte zufammen behalten, denn es gibt viele, die mehrere 
Hundert Kühe befigen, während das Vieh der Reichſten bis auf Zehntaufende von Kühen, 


Wirtſchaftliche Zuftände, 337 


Ochſen und Kleinvieh ungerechnet, gefhägt wird. Somit wird jeder nur etwas reichere 
Befiger gezwungen, neben der eigentlihen Hauptwerfte (Onganda) immer noch einige Vieh: 
pojten (Ozohambo) zu haben, über welche etwa die jüngern Brüder oder andre nahe Ber: 
wandte oder in Ermangelung diefer erprobte alte Knechte die Aufficht führen. Außerdem 
veranlaßt wohl überhaupt die Unficherheit aller Berhältniffe in dem anarchiſchen Lande 
die Herero, ihr Vieh in möglichſt viele Heine Partien zu verteilen, damit nicht eine Seuche 
oder plöglide Raubzüge böjer Nachbarn auf einmal das ganze Vermögen hinwegraffen. 
Es haben denn auch die wenigjten abhängige Familienglieder oder Sklaven genug, um 
alles durch eigne Leute bewachen zu laffen. Somit ift es die ganz allgemeine Praris, 
womöglich einem jeden Bekannten und Verwandten einige Stüde zur Beauffichtigung zu 
übergeben, und dann, teil3 als Pfand, teil$ um einen Gegendienft zu leisten, übernimmt 
auch wieder ein jeder von feinen Freunden und Bekannten, foviel er befommen fann. Man 
findet aljo fajt auf jedem Viehpoften und in jeder Herde Vieh von einer ganzen Anzahl 
Beliger, ganz abgejehen davon, daß jedes Familienglied an ſich für feinen Gebraudh und 
jeine Notdurft von dem Hausvater fein Pekulium zu empfangen pflegt. Dabei wird nur 
jelten das Vieh jedes einzelnen Beſitzers befonders gezeichnet (durh einen Schnitt im 
Ohre, Okuhaka; einzelne machen fih aud wohl das Vergnügen, den Hörnern ihrer Rinder 
fünftlih eine befondere Biegung zu geben), jondern im allgemeinen fennt jeder Beſitzer 
all fein Vieh jozufagen von der Perfon, an der Form der Hörner, der Farbe und unendlich 
vielen andern Kleinen Abzeihen, und er würde es unter Taufenden wieder jo ficher her: 
ausfinden, wie wir in der größten Menſchenmenge immer unjre Bekannten genau erfennen. 
Da nun fo gewiljfermaßen jedermann etwas von jedermanns Vieh in Händen hat, ift der 
Friede und eine wenigitens oberflächliche Eintradht unter allen Herero viel mehr gefichert, 
als man es bei der fonftigen Anarchie glauben follte. Denn jollte ſich aud in irgend 
einer Ede des Landes irgend jemand eine Bosheit jelbjt gegen den Geringften erlauben, 
jo wird fiher aud etwas von feinem Viehe in der Gewalt der Freunde feines Feindes 
jein, an dem leicht Rache genommen oder das bort wenigſtens vorenthalten werden könnte, 
bis der Streit wieder zur allgemeinen Befriedigung beigelegt wäre. Und man möchte 
manchmal meinen, daß es ſolch einem alten, in den Gedanken an jein Vieh verknöcherten 
Herero viel mehr weh thut, wenn ihm eine feiner Kühe geichlachtet, als wenn ihm felbit 
eine Wunde gefchlagen wird. Bei diefem Spfteme, das Vieh auf viele Poſten zu ver: 
teilen, haben fie auch, da fie jo ziemlich alle vom Geize befeifen find, die beſte Gelegenheit, 
ihren Reichtum zu verbergen, da nicht leicht jemand andres als der Herr felbit einen Über: 
bli über das in alle Welt zerjtreute Vermögen hat und haben kann.“ 

Man entnimmt leicht aus dem Vorhergehenden, wie ein foldes Syſtem einjeitiger 
Wirtfehaft auch feine ſehr ungünftigen Seiten neben den hervorgehobenen guten haben 
fann, Nicht zu verfennen ift es, dab diejes beftändige Wandern, Sichzerftreuen, diefe Un: 
beftändigfeit der Wohnſitze eine Urfache des niedrigern Standes der Gejamtkultur fein 
muß, da eben das ganze Leben etwas Zerfplittertes, im ungünftigen Sinne Ausgeglichenes, 
der ruhigen Entfaltung der Kulturfeime keineswegs Günftiges erhält. Dann bedenfe man 
aber auch, daß es gerade die Herden find, melde die unaufhörlichen Kriege nähren, daß 
die Herben den heilſamen Aderbau, wo er je einmal begonnen wird, faſt ebenſo jchädigen 
wie die Heufchredenihwärme. Aber hauptſächlich ift es eben eine allzu jchmale Baſis, 
auf die hier das ganze Leben geftellt wird. 

Nicht richtig ijt e8 jedoch, wenn die Viehzucht dafür verantwortlich gemacht wird, daß 
die Herero in Bezug auf Landbeſitz vollftändige Kommunijten jeien. Ihre noma— 
diſche Lebensweije ſoll dies bedingen, aber e3 trifft nicht zu. Indem fie durchaus Hirten: 
und Jägervolk find, fehlt ihnen das dauernde Kleben an der Scholle, das die Grundlage des 

Bölterfunde. 1. 22 


338 Die Dvaherero und Bergbamara. 


perfönlihen Befiges it, und es ift nur natürlich, daß fie das ganze Land, foweit fein 
andrer Stamm es einnimmt, als allgemeines Eigentum betradhten. Es befteht aber doch 
das Herfommen und wird ftreng aufrecht erhalten, daß derjenige, welcher zuerjt an einem 
beftimmten Orte fich feitfegt, fo lange Herr desjelben ift, als es ihm beliebt, und ein andrer 
wird im Friedenszuftande niemals wagen, feine Herden ebendajelbit zu tränfen oder zu 
füttern, ohne formelle Erlaubnis erhalten zu haben. Einen intereffanten Beleg hierfür 





Eine Rindergruppe der Herero (nah Photographie im Beſihe des Herem Dr. Fabri in Barmen). 


liefert die Gejchichte der Beziehungen zwiſchen dem oben genannten Häuptlinge Kahitjchene 
und den deutſchen Miffionaren von der Miffionsftation Nidhterfeld. Von den Namaqua 
gedrängt, wünſchte diefer, ſich bei Nichterfeld niederzulaffen, that dies aber nicht, ohne 
einige feiner Älteften an den Miffionarrat zu fenden, um zu fragen, ob diefe Abficht feinen 
Beifall finde. Diefer erwiderte, daß Kahitſchene thun könne, wie ihm beliebe, da er, ber 
Miffionar, ja ſelbſt ein Fremder fei und demgemäß Feinerlei Anſpruch auf den Boden 
diefes Landes erheben könne. Die Botichafter waren aber feineswegs zufrieden mit diefer 
ihnen ausmweichend erfcheinenden Antwort und verficherten, daß ihr Häuptling nie daran 
denken werde, ohne bejondere Erlaubnis fi hier feitzufegen. 2 


Mangel des Aderbaues. Unkenntnis des Tabakes. 339 


Bon allen jüdafrifanifhen Kaffernvöltern find die Herero das einzige, 
welhem der Aderbau früher gänzlich fehlte. Handelt es fih dabei um einen 
Kulturverluft, oder haben wir ein von Urjprung an nomabifch=viehzüchtendes und zum 
Aderbaue noch nicht fortgejchrittenes Wolf vor ung? Beide Annahmen fehen fih durch 
feine Thatjadhen in ihrer Gejchichte oder ihren gegenwärtigen Verhältniffen entſchieden 
geſtützt, aber die Wahrfcheinlichfeit jpricht für die erftere. Nach dem, was wir von den 
gejchichtlichen Überlieferungen diefes Volkes gehört haben, bleibt faum ein Zweifel 
möglih an jeiner Einwanderung aus einer nördlich oder norböftlic von feinen heutigen 
MWohnfigen gelegenen Landſchaft. Dort wohnen aber Völker, weldhe mit die beften Ader- 
bauer in ganz Afrika find, und wenn nun die Herero von borther vor fo kurzer Friſt, 
wie man annehmen muß, in ihre heutigen Site einwanderten, jo müfjen fie unfehlbar 
dort an der großen folgenreihen Errungenſchaft des Aderbaues teilgenommen 
haben, um fie erjt fpäter, fei es auf dem Wege oder in den neuen Wohnfigen, 
einzubüßen, denn zweifellos ift jene Errungenschaft älter als der Zeitpunft der Aus: 
wanberung des Damaravolfes. Zur Erklärung diefer Thatfache find nun mehrere Fälle 
denkbar. Chapman meint, fie könnten entweder jo rajch geflohen fein, daß fie feine 
Zeit fanden, Samen der Feldfrüchte mit fich zu nehmen, oder es fünnte fie auf der Wan: 
derung eine ſolche Not überfallen haben, daß fie die Saatförner zur Stillung ihres 
Hungers benußten, ober endlich ſei denfbar, daß fie in dem Lande, wohin fie einwan: 
derten, fo jehr von deifen Bewohnern in die Enge gedrängt worden feien, daß fie es 
aufgegeben hätten, den Ertrag ihrer Arbeit dem Zufalle anheimzuftellen, und dafür auf 
Jagd und Viehzucht ſich geworfen hätten. Man muß die derzeitige geographijche Lage der 
Herero in Betracht ziehen, um diefe Möglichkeiten würdigen zu fünnen. Das Meer begrenzt 
ihr Land im Weiten, die Wüſte im Norden und Often, und wenn fie nah Süden hin 
fih aud einft weiter ausgebreitet hatten als heute, jo wohnten fie doch mwejentlich in 
fteppenhaften Umgebungen. Blidt man auf ihre Nachbarn, jo wohnen, durch eine weite 
Wüſte getrennt, in welcher nur Buſchmänner ſchwärmen, nordwärts von ihnen die Ovambo, 
im Oſten berühren fie fih mit Bufhmännern und in neuerer Zeit auch mit Hottentotten, 
und die legtern, mit einer ſchwachen Zumifchung der eritern, bilden ihre Nachbarn auch 
im Süden. Im Weſten aber ift die Meeresfüfte von einer jo ungaftlihen Art, daß die 
Häfen berjelben erft in den jüngften Jahrzehnten von den Schiffern und Kaufleuten mit 
der Abficht des Verfehres aufgefucht werden. Diefe Völker find aljo überall von Gebieten 
umgeben, die dem Aderbaue ungünftig find, und ihre unmittelbaren Nahbarn find überall 
Nomaden, entweder von der Jagd oder von der Viehzucht lebende. So wie man die 
Indolenz der Damara kennt, und wie überhaupt der Völferverfehr in diefen Regionen 
beihaffen ift, war unter ſolchen Verhältniffen eine Wiederaufnahme des einmal fallen 
gelaffenen Aderbaues ſchwer, zumal auch Boden und Klima des neuen Landes demjelben 
nur in geringem Maße günftig find. 

Den möglichen Urjachen diejes auffallenden Verluftes des Aderbaues bringen uns 
ſolche Erwägungen nicht näher, aber fie laffen verftehen, wie jene unbekannten Urſachen 
jo lange fortbauernde Wirkungen erzeugen fonnten. Vielleicht bringt uns aber diefen Ur: 
jachen doch die Betrachtung näher, daß eine Wanderung von Often oder Norden her durch 
die Steppen nicht einer großen Volksmaſſe möglich war, und daß die äußerft lodere poli- 
tiiche Organifation der Damara gleichfalls auf eine urfprünglich wenig zahlreidhe Bevöl- 
ferung beutet, welche erjt am Orte ihrer Anfiedelung durch rafhe Vermehrung anwuchs. 
Man begreift fowohl das Zurüdlaffen als das fpätere Verlieren des Aderbaues leichter 
unter ber Annahme einer an Zahl geringen Einwanderung. Was aber das BVerlieren 
anbetrifft, jo ijt die Notwendigfeit des Weges durch waſſerarme Steppen, ja vielleicht das 

22* 


340 Die Dvaferero und Bergbamara. 


jahrelange Umberirren in den legtern wohl eine näher liegende Erflärung als das Zurüd- 
lajjen und der Hunger. Und wenn beim Vorbringen in ein neues Land, weldes von 
Jägern und Viehzüchtern bewohnt war, eine Feitfegung nur nad vorangegangener Er- 
fämpfung möglich war, jo fonnte nicht bloß ein Aufgeben des Aderbaues aus Furcht vor 
den Feinden eintreten, fondern nod) etwas Weitergehendes, nämlich der Raub der Herden 
und Weiber der Landesbewohner und damit eine Vermifhung mit benjelben unter Anz 
eignung ihrer Lebens: und Ernährungsverhältniffe. Eigentümlicherweife geht mit der 
Aderbaulofigkeit bei diefem Volke die Unkenntnis des Tabafes Hand in Hand, den fie 
erit von den Namaqua ſeit deren Vorbringen nad) Norden haben kennen lernen. Bor etwa 
20 Jahren waren Schnupfen und Rauchen, diefe font durch ganz Sübdafrifa jo weit: 
verbreiteten und gerade bei den nördlichen Nachbarn der Herero ſtark entwidelten Genüffe, 
legtern unbefannt. Unmittelbar beweiſt diefer Mangel, daß die Herero in ihren neuen 
Wohnfigen mit allen ummohnenden Völkern, die ſämtlich ftarfe Raucher und teilmweife 
auch Schnupfer find, in nicht genügend innige Berührung gekommen waren, um dieſen 
Schatz fih anzueignen, der mit der den Genußmitteln eignen Schnelligkeit jeinen Weg 
bis zu den entlegenjten und ärmften Völkern gefunden hat. Seitdem die Herero auf 
Anregung der Miffionare fih aud mit dem Aderbaue zu beſchäftigen anfangen, haben fie 
die Namaquahade angenommen. 

Man darf behaupten, daß einige Hußerungen des geiltigen und gemütlichen 
Lebens die Damara verhältnismäßig höher ftellen, als die Armut ihrer materiellen Kultur 
erwarten ließe, und es lohnt fich, hierbei zu verweilen, um jenen vorjchnell ungünftigen 
Urteilen vorzubeugen, welche durch den äußern Schein hervorgerufen werden können. Es 
gilt das in erfter Linie von den Sitten und Gebräuden, welde die wichtigiten Momente 
ihres Familienlebens hervorzuheben bejtimmt find. Die Mutter trägt die Kinder in 
einem um Hals und Hüften gefhlungenen Felle oder Leder, jalbt jie fleißig und ftredt 
und richtet ihre Glieder morgens und abends, um fie gerade zu madhen. Die Nahrung 
der Kinder ift noch vorwiegender Mil (womöglich Schafsmilch) als die der Erwachſenen. 
Die Benennung der Kinder richtet ſich nad) wichtigen Ereigniffen innerhalb ihres Stam— 
mes, und mande tragen mehrere Namen, wenn ſolche Gelegenheiten fi in ihrer Jugend 
mehrmals wiederholten. Die Knaben werden alle der Beihneidung unterworfen, doch 
it dafür feine befondere Zeit vorgefchrieben; es geichieht in der Hegel zwiſchen ihrem 
jechiten und achten Lebensjahre, und zwar werben mehrere zur gleihen Zeit befchnitten, - 
die dann ihr ganzes Leben hindurch oma-kura, d. h. Genoſſen, Gefellen, find. Ein 
großes Felt, d. h. eine Werzehrung mehrerer Ochjen und Schafe, verherrlicht diejed Ereignis. 
Das Ausfeilen der obern Schneidezähne in Form eines Schmwalbenihwanzes und 
das Ausſchlagen der drei oder vier untern findet bei beiden Geſchlechtern im Alter von 
12 bis 16 Jahren ftatt, bei den Mädchen etwas früher als bei den Burjchen, und zwar 
werben zuerjt die obern ausgefeilt und jpäter die untern ausgeſchlagen. Hierbei werben 
ebenfalls feſtliche Schmäuje abgehalten. Zu diefer Zeremonie gehört auch das Umbinden 
der Schienbeine mit ledernen Riemen, deren Enden vorn wie Troddeln herunterhängen. 
Die Mädchen heiraten nicht viel früher als die Europäerinnen (Galton meint nad) jeinen 
allerdings nicht jehr zahlreichen Beobachtungen auch ein nicht früheres Eintreten der Mann: 
barkeit behaupten zu können), Berlobungen fommen aber ſchon im Kindesalter vor. Ein 
Mädchen, das zur Frau begehrt ift, legt den dreiohrigen Kopfpug an, den fie für diefe 
Gelegenheit bereit hält, und verhüllt eine Zeitlang das Gefiht mit einem an dem Stimm: 
vande diefer Kopfbededung befeftigten Stüdchen Leder, das fie wie einen Schleier heben 
oder herabziehen kann. Die Vielweiberei ijt allgemein, doch verhindert die Armut der 
meiten Damara eine große Ausdehnung diefer Sitte. Wo mehrere Weiber Einem Wanne 


Familienleben. Begräbnis. Heiligung des Grabes, 341 


angehören, baut jedes feine eigne Hütte. Von Häuptlingsweibern gilt eins, vom Manne 
befonders dazu erwähltes, als das Hauptweib, deſſen eriter Sohn zum Nachfolger in der 
Würde feines Waters bejtimmt ift. Die Stellung des Weibes ift eine ebenjo niedrige wie 
bei den meijten andern Südafrifanern; ja, in vielen Fällen nimmt fie vielleicht den Anſchein 
einer bejonders jchweren, jflavenhaften Gedrüdtheit an, da die elenden Lebensverhältniffe 
vieler Herero von felbit eine größere Laft von ſchwierigen Pflichten auf die Schultern des 
Weibes legen. Aber auch das Hereromeib übertrifft nicht felten den Dann an Entſchloſſenheit. 
Chapman erzählt, wie ein altes Hereroweib einen nächtlich in fein Lager eingedrungenen 
Leoparden zufammen mit den Hunden faßte und feithielt, bis er zu Boden gebradht war. 
„Sie thun oft höchſt verzweifelte Dinge, fowohl im Kriege als auf der Jagd, um ihre 
Männer zu ermutigen, aufzureizen oder zu beſchämen“, jet diefer Kenner des Damaravolfes 
hinzu. Joſaphat Hahn erzählt, daß in einem der erften großen Zufammenftöße zwiſchen 
Herero und Namaqua 1825 nur durch Eingreifen der zufchauenden und im entjcheidenden 
Momente ihren Männern zu Hilfe eilenden Hereroweiber und-Jungfrauen jenen ber Sieg 
gewonnen ward. 

Bei jedem Todesfalle erhebt die ganze Bevölkerung eines Dorfes ein großes Weh— 
geichrei, und die Weiber weinen über dem Körper fo viele Thränen wie möglid. Je mehr 
Thränen auf den Leichnam fallen, um fo beffer für den Toten, denn Thränen find günftige 
Zeichen. Läßt fich das Nahen des Todes verjpüren, fo beginnt das Wehflagen ſchon vor dem 
Verſcheiden und iſt nicht geringer, ald wenn ber Tod jchon eingetreten wäre. Chapman 
beichreibt den Tod eines jeiner Damarabegleiter als eins der herzzerreißenditen Schaufpiele. 
„Die Weiber”, jagt er, „hatten ihn zum Sterben aus der Hütte ins Gebüſch getragen 
und kauerten alle um ihn her, indem fie unter einem fchmerzvollen, melancholiſchen Geheule 
feine Hände badeten und rieben; fein Kopf lag im Schoße feines Weibes. Oft bringt 
diejes laute Heulen den Halbtoten wieder zu fich, aber in Wirklichkeit ſcheint es nicht jo 
ehr diefen Zwed als irgend eine Beziehung zu der entfliehenden Seele zu haben.” Der 
Leihnam wird in Häute gebunden beigejegt, und die Gräber fennt man an den darauf: 
gewälzten und baraufgeworfenen Steinen, welche fie vor den Hyänen zu ſchützen haben. 
Häuptlingsgräber werden noch durch eine Dornhede gefhügt und find durd einen Baum 
ober Pfahl bezeichnet, an welchem einige Waffen des Verftorbenen famt den Schädeln der 
zum Leichenſchmauſe geichladhteten Stiere aufgehängt werden. Die Sitte der Damara, bie 
Gräber mit Ochſenſchädeln zu umgeben, jheint eine Übertragung der Umzäunung der 
Gräber mit Elefantenzähnen zu fein, wie wir fie bei den Batofa und andern Zambeſi— 
ftämmen finden. Anderſſon berichtet, daß ein Häuptling, wenn er den Wunſch danadı 
äußere, gar nicht begraben, fondern auf einer Erhöhung in der Mitte feiner Hütte in 
zurüdgelehnter Stellung beigejegt werde, worauf die Hinterbliebenen einen ftarfen Palij: 
jadenzaun um diefe Totenhütte zögen. Fern von der Heimat, ſetzen fie die Leichname ihrer 
Verftorbenen anſcheinend aus Furt, daß ihnen ihre Geifter folgen, nicht bei, ſondern 
werfen fie den wilden Tieren vor. Sicher ift, daß für einige Zeit das Dorf, wo ein 
Häuptling geftorben, nad) einem andern Orte verjegt wird. Nach Jahren kehrt e8 aber 
wieder zurüd, und der Häuptling begibt fi) an das Grab feines Vorgängers, wo er nieder: 
fniet und mit flüjternder Stimme erzählt, daß er mit den Seinigen und mit ben Herden, 
die er hinterlaffen, wiedergefommen fei, und mit einer Bitte um langes Leben und Ver: 
vielfältigung feiner Herden feinen Beſuch beſchließt. Nachdem dieſe Pflicht erfüllt it, baut 
das Dorf fih auf demſelben Flede wieder an, wo es früher ftand, und es werben womöglich 
jelbft die alten Hüttenpläge von jeder Familie wieder eingenommen. Bemerkenswert ift die 
Sitte der jahrelangen Wiederholung der Totenflage bei der Wiederfehr der Zeit, in welche 
der Todestag fällt, denn nicht alle Kaffernftämme teilen diefen Brauch mit den Damara. 


342 Die Duaherero und Bergdbamara. 


Die Pietät, welche ſich Hierin ausfpricht, ift feine hohle Form. Wenn der Hausvater alt und 
ihwad) wird, wenn ihm der Gebrauch feiner Sinne fchwindet, jo ift es nur natürlich, 
daß die Herrfhaft und die Verwaltung der Herden in die Hände der Fräftigen Söhne 
übergehen. Aber nichtsdejtoweniger wird der Alte als der eigentliche Herr angejehen, und 
folange er no nicht völlig ftumpf geworben ift, werben noch immer die Milchgefähe 
und Fleifchitüde zu ihm gebracht, damit er fie durch feine Worte weihen möge. Je mehr 
Erben erwartungsvoll auf ihn bliden, deſto höher ſteigt natürlidy die allgemeine Ver: 
ehrung. Schon der Umitand, daß die Herero den Segen eigentlih nur als einen vom 
Vater auf dem Sterbebette erteilten fennen, ſpricht für ſolche Kamilienpietät. Dieje Ver: 
ehrung für den Alten des Stammes hört auch mit feinem Tode nicht auf. Das Grab bleibt 
heilig. Wenn nicht der Alte ſelbſt duch ein Orakel es verlangt hat, das Brüllen der 
Ninder wieder bei feinem Grabe zu hören, dürfen die Kinder nicht in der Nähe des 
Grabes wohnen, um nicht die Ruhe des Großvaters zu ftören. Nur voll Scheu und mit 
dem Opfer in der Hand naht der Erbe dem Grabe, um die Zufunft zu erfahren oder 
Hilfe bei dem Vater in großen Landesnöten zu erbitten. 


Über die politifden Verhältnifie der Herero hörte man, jolange fie ein gebrochenes 
Volk waren, wenig Günftiges, denn ihr politifches Unglüd muß notwendig gerade auf 
diefe Seite ihres Lebens den zerjtörenditen Einfluß geübt haben. Daß fie jeit Menjchen: 
gedenken feine mächtige politifche Gemeinjchaft gebildet haben, geht zur Genüge aus ihrer 
Geſchichte hervor und ergibt fich zum Teile aus der Natur ihres Landes, welche vielen 
fleinen Anfammlungen, aber feiner größern, beherrſchenden günftig it. Man 
begreift ebenjo gut, daß die Autorität ihrer Häuptlinge eine geringe fein wird bei diejer 
allgemeinen Loderung aller Berhältniffe, welche die Folge fo lange dauernder, verheerender 
und fait immer unglüdlicher Kriege fein muß. Anderſſon jagt, der Häuptling übe nur 
eine nominelle Herrichaft über jeinen Stamm; wenn er den Berfud mache, ein jchweres 
Vergehen an einem der Stammesglieder zu ahnden, jo verziehe dies einfach unter den Schuß 
eines andern Häuptlinges. Nur in minder wichtigen Dingen wird ihm aus Gewohnheit 
und Aberglauben Gehorjam gezollt, zumal ihm neben der politifchen Führung auch eine Art 
von priefterlicher Stellung zufommt, indem er 3. B. die Ochfen jegnet und durch eine feiner 
Töchter (ſ. ©. 347) diejelben täglich beim Ausgange aus dem Krale durch Beſpritzen mit 
Waſſer zauberfejt machen läßt. Dod hat Galton in dem Häuptlinge Kahikeni noch einen 
gebornen Herriher gefunden, deſſen Veritand und Benehmen fich ſtark von dem der übrigen 
Damara abheben. Kahikeni bewies einen Einfluß und zugleich ein ftarfes Bewußtfein von 
Verantwortlichkeit: als einige Leute jeines Stammes mehrere von Galtons Ochjen geftohlen 
hatten und der Reifende von dem Vorfalle Anzeige gemacht hatte, erhielt er nicht nur feine 
Ochſen außer einem zurüd, welcher bereits geichlachtet war, fondern es wurden auch vier von 
den ſechs Dieben gefangen und troß aller Fürſprache mit Keulen totgefchlagen. Für Vieh- 
diebjtahl wird wohl aud) die Strafe des Hängens angewandt. Seinem Lande bewahrt der 
Herero, jo arm es ift, auch in der Ferne ein warmes Andenken, und wenn er Landsleute in 
der Fremde trifft, erhebt er ein Klagen um die Heimat wie ein Totenklagen. Aber das find 
unbedeutende Gefühlsſachen, wejentlih iſt auch in allem Bolitifchen die Hervorfehrung des 
Intereſſes. Ein jeder hat die völligite Freiheit, zu thun, was er will. Wenn nun aud) der 
Schwache dem Starken fi) nähern und ihm dienen wird, da er nur bei diefem Schuß findet, 
jo wird anderjeit$ der Starke die Zügel nie zu ftraff anziehen dürfen; jonft gehen ihm feine 
Untertbanen weg und laſſen den großen Herrn allein. Selbſt die Sklaven haben in dieſer 
beitändigen Freiheit, ihrem Herrn zu entfliehen, eine Sicherung gegen zu üble Behandlung. 
Geredhtigkeitspflege und Gemeinfinn verfallen bei diefem Syfteme, und das freie Hirtenvolf 


Politiſche Verhältniſſe. Güterverteilung und Geſellſchaftsgliederung. 343 


wäre längſt völlig von Fremden gefnechtet, wenn es nicht in einer jo abgefchiedenen Wüſte 
wohnte. Immerhin muß man die größern Fürften bewundern, die mit großer Schlauheit 
die Ihrigen fi immer wieder unterthänig und gehorfam zu halten wiljen, ohne irgend 
jemand direft weh zu thun. Meiftens willen fie den Abtrünnigen in der Weiſe zu zwingen, 
daß fie ihm das Leben in der Nähe der Hauptwerfte recht fauer machen, damit er mehr in 
die Ferne unter Fremde zieht. Sobald dann die andern Häuptlinge merken, daß ſolch ein 
fremder Unterthan ſchutzlos geworden, wird er bald allgemein jo übel behandelt, beraubt und 
beitohlen, daß er jchließlich zufrieden fein muß, ji auf Gnade oder Ungnade feinem eignen 
Häuptlinge ergeben zu dürfen. Und diefer jagt dann wohl noch: „Warum bijt du fort: 
gezogen, warum bift du nicht bei mir geblieben?” Anderſeits fchügt der Häuptling den 
ihm getreuen Knecht und Vafallen gern, wenn er fid) etwa am fremden Gute vergriffen hat. 

Was jehr viel dazu beiträgt, die politifhe Ohnmacht in diefem Volke zu verewigen, 
und was, beiläufig gejagt, im Gegenſatze dazu die viel durdhgreifendern monarchiſchen 
Organifationen der Oftkaffern, vor allen der Zulu, noch viel glänzender ericheinen läßt, 
ift die ertreme Ausprägung des nomadenhaften Grundfages, feine beftimmten Grenzen 
in dem Gebiete anzuerkennen, das ihnen einmal gehörte. Noch die neueſte Geſchichte 
der Herero bot dafür ein merfwürdiges Beifpiel. Beinahe neun Jahre hindurch hatten 
die Herero, welche früher von den Namaqua unterjocdht gewejen waren, um ihre Freiheit 
gefämpft, die Angriffe ihrer frühern Herren immer wieder abgewiejen, und der Vor: 
mann der verbündeten Namaquaftänıme, Jan Afrikaner, fah fich gezwungen, die Hilfe der 
Miffionare zur Vermittelung eines leidlihen Friedensschluffes in Anfpruch zu nehmen. 
Nun war es ja leicht einzufehen, daß ber Friede am leichteften gefichert worden wäre, 
wenn beide Parteien fi über die Grenzen ihrer Gebiete geeinigt hätten; die Mij: 
fionare verjuchten in diefem Sinne auf die Häupter beider Parteien einzumwirfen, aber 
vergebens. Beide Teile erklärten, fie wollten Freunde werden, aber das Land, in dem 
foviel Hin und her gefochten, gemeinfchaftlich befigen. Das Oberhaupt der Herero, Kama— 
herero, erklärte wiederholt, Jan könne nad) dem Frieden im Lande wohnen, wo er wolle; 
freilich beanspruchte er damit anberfeits, aud) an dem Mohnorte Jans immer eine genügende 
Beſatzung von jeinen Leuten wohnen zu laffen. Wenn nun aud) in ber neuejten Zeit 
der Friede wieder gebrochen worden ift, jo haben doch fait zehn Jahre hindurch beide 
Stämme verhältnismäßig friedlich untereinander gewohnt. Auf die Dauer madt ein 
ſolches Syitem eine ftramme Staatsleitung, ein feites Zufammenhalten des Volkes zu Schuß 
und Truß, wenn es anders möglich wäre, völlig undenkbar, und wenn die Mijfionare 
die Herero hierin nicht beffer maden können, dürfte das Geſchick diefes Volkes troß alles 
momentanen Aufraffens bejiegelt jein. 

Wenn jo die Staatsbildung an großen Unvollfommenheiten leidet, ift ganz natürlich 
die Entwidelung gejellfhaftlider Verbände eine um fo mannigfaltigere und wohl 
der Lage jehr entjprechend. Einmal ift jener naturgemäße Kommunismus in den mobi: 
len Gütern aud) in ein gewiſſes Syftem gebracht, indem gewiſſe Zeute noch einen befondern 
Bund zu dem Zwecke miteinander fchließen, daß ihnen alles gemeinfam fein jolle. Jugend: 
geipielen (oma-kura, d. h. foldhe, die miteinander groß geworden) werden aud) im jpätern 
Alter nicht leicht eine Bitte einander abjchlagen; fie jcheinen vielmehr ihre Sachen als 
gemeinfames Eigentum anzujehen. Noch enger ift aber die Gemeinjchaft der oma-panga, 
ber Verbundenen. Bei diefen find auch die Frauen gewiffermaßen gemeinfam. „Ob ein 
folder Bund durch gewille Zeremonien befejtigt wird“, fagt Büttner, „babe ih nicht 
erfahren können; möglicherweije betrachten ſich die auf gleicher gejellihaftliher Stufe 
Stehenden ſchon von Natur als oma-panga.” Endlich gibt es aber zum dritten noch 
eine Art von Adel im Hererovolfe, der in der eigentümlichen Erjcheinung einer gewilfen 


344 Die Dvaherero und Bergdamara. 


Geſchlechter- oder Kaftenjonderung zum Ausdrude kommt, welche nicht mit den Stämmen 
zufammengeht. Das Bolf zerfällt in ſechs oder fieben Geſchlechtergruppen, welche angeblich 
von Anfang an verichiedenen Urfprunges find, Männer verfchiedener Stämme umſchließen 
und durch gewiſſe Gebräuche unterfchieden werden. Unfer beiter Gewährsmann in Sachen 
der Gejellihaftsgliederung der Herero, der Miffionar Büttner, entwirft folgende Schilde— 
rung derfelben: „Es gibt zwei Arten des Adels, einen, der vom Vater auf die Söhne, den 
andern, ber von der Mutter auf die Töchter vererbt wird, obwohl natürlich die Kinder 
fich gern des Adels beider Eltern rühmen. Jener heißt oru-zo, Herkunft, dieſer e-anda 
(die Etymologie dieſes Wortes ift unbelannt). Ein äußerliches Abzeihen für bie einzelnen 
Familien beiteht darin, daß von den Angehörigen gewifje althergebrachte Zeremonien 
beobachtet werden, daß jede am liebften Vieh einer befondern Farbe ſich anſchafft und für 
den perſönlichen Gebrauh und als Opfer benugt, anderjeits Vieh von gewillen Farben 
nicht hält und nicht ißt. Einige Beifpiele mögen dies erläutern. Der Familie Oru e sembi 
ift das Chamäleon, esembi, heilig, d. h. fie rühren es nicht an, fie jagen zu ihm: tate 
mukururume, unfer alter Großvater; fie halten am liebiten braunes Vieh und in beitimmter 
Art gejprenteltes. Ova-kueneyuva, die Vettern der Sonne, eſſen fein Fleifh von blau- 
grauem Vieh und halten am liebjten Vieh ohne Hörner, reipeftive gebrauchen es zum 
Opfern. Oru-oma-koti, die mit den Lappen, halten am liebiten gelbe oder fahle Rin— 
der und werfen, wenn ein Rind gejdhladhtet wird, den Magen weg. Oru-horongo (vom 
Kuddu, ohorongo) halten feine Rinder oder Schafe, welche gar feine oder verfrüppelte 
Hörner haben, auch nicht ſolche ohne Ohren, ejjen fie auch nicht, opfern und zaubern mit 
dem Kuddu. Zu diefer Familie gehört Kamaherero. Darum liegen auf dem Grabe jeines 
Vaters Katyamuaha in Dfahandya Kudduhörner.“ Dan ift verfucht, in Ermangelung andrer 
Gründe auch für diefen merkwürdigen Adel einen Zufammenhang mit dem Herdenbefige der 
Herero anzunehmen, und dad um fo mehr, je entſchiedener, wie wir aus diejer Schilderung 
jehen, es wieder die Ninder find, welche in den Geichlehhtsgruppen der Oruzo und Eanda 
eine offenbar über die von Wappentieren hinausgehende Rolle fpielen. Sicht man bie 
bunte Zufammenfegung der Herde eines Befigenden in dieſem Wolfe und die Sorgfalt, 
die der Auseinanderhaltung der Elemente in demjelben gewibmet wird, jo veriteht man 
wenigitens den Nuten, den gerade hierin die Geſchlechterſcheidung haben mag, da ohne fie 
der vielfältige Herdenbefig ein Chaos, verwirrt und verwirrend, wäre. 


Gleich allen Negern, find Die Herero ein gefelliges, heiteres Volk. Heiterkeit ſoll fich 
ja jogar in ihrem Namen ausjpreden. Wie erwähnt, lieben fie Mufif, Tanz und Gefang. 
Ihre Plaudereien unter Jauchzen und Lachen find endlos. Ebenfo find fie fleißige Erzähler, 
wenn auch ihr Vorrat von Geſchichten nicht dem der Buſchmänner und Hottentotten gleich: 
fommt. Bor allen Dingen liebt der Herero frei erfundene Geſchichten, die bei den 
gemütlichen Abendverfammlungen von einem Erzähler erfunden und gleich vorgetragen 
werden. Die Art und Weife und der Inhalt foldher Erzählungen find fehr charakteriſtiſch. 
Angenommen, jemand will erzählen, wie die Feuerwaffen oder der Branntwein von Europa 
nad Afrika gefommen find, jo hält er es, um diefen Zwed zu erreihen, der Mühe 
wert, möglichft weit auszuholen und in allerlei Nebenumftänden und Vorbereitungen fich zu 
ergehen, ehe er zur eigentlihen Pointe fommt. Es tritt diefe Eigentümlichfeit des Erzählens 
bejonders bei den Fabeln und Märchen hervor, von denen manche jo lang ausgejponnen 
werden, daß der Erzähler eine oder gar zwei Stunden damit ausfüllt; und wenn man 
dann auf den Schluß geipannt ijt, verläuft der Strom der Erzählung gewöhnlid im 
Sande, weil der Vortragende mit feiner Phantafie zu Ende ift und meiſt jchon längſt 
vergeffen bat, worauf er urfprünglich mit feiner Erzählung hinauswollte. Er bat mit 


Erzählungen der Herero, Gaftfreundichaft. 345 


feiner Erzählung vielleicht nur darthun wollen, warum der Schafal gerade fo heult, wie 
er heult, und nicht anders. Hier ein Beifpiel hererofcher Erzählungen nad Joſaphat 
Hahn: Ein Häuptling verliebte ſich in die ſchöne junge Frau eines andern Häuptlinges. Er 
tötete diefen deshalb meuchlings, entführte die Schöne wider ihren Willen und bradte fie 
auf feine Onganda. Als nun eines Tages der Häuptling und feine Leute auf die Jagd 
gegangen waren, benußte die Entführte diefe Gelegenheit und entfloh. Zufällig kehrte der 
Häuptling gerade an diefem Tage etwas früher als gewöhnlich heim, entdedte fofort ihre 
Flucht und verfolgte ohne Verzug und in ber größten Wut die Entflohene mit allen feinen 
Kriegern. Die junge Frau ift noch nicht fehr weit entlommen, als fie fchon die Stim— 
men ihrer Verfolger in der Ferne hinter fi) vernimmt und biefelben immer näher und 
näher fommen hört. Da entdedt die Geängftigte plötzlich in ihrer größten Not einen 
dichtbelaubten, hoch- und bidjtämmigen Giraffenafazienbaum. Die große Angit macht es 
ihr möglich, ihn zu erflettern, und fie verbirgt fich im Ddichteften Laube, Eben ift fie 
damit fertig, da find auch ihre Verfolger zur Stelle; fie find ganz verwundert und ratlos 
darüber, daß die Spur ber Entflohenen mit einemmal bei diefem riefigen Baume auf: 
hört. Daran denkt feiner, daß fie hinaufgeflettert jein fönnte, denn felbft einem gewandten 
Manne würde das ein Ding der Unmöglichkeit gewejen fein. Da es über dem Suchen, 
Forihen und Beraten Mittag geworden ift, die Sonne empfindlich brennt und der hungrige 
Magen feine Rechte fordert, fo ſetzt man fich, des vergeblihen Nachſuchens müde, in den 
Schatten des Baumes, ruht fih aus und beratfchlagt, was weiter zu thun ift. Plötzlich 
lenkt ein leiſes Geräufch in den Blättern des Baumes, welches die Frau aus Unbedahtjamteit 
durch eine leichte Bewegung verurfacht hat, unwilltürlih die Blide aller nad oben, 
und die Unglüdlihe wird entdedt. Alle fpringen auf und ftoßen einen Schrei der Freude 
und des Erjtaunens aus, der die Arme erzittern macht. Man fordert fie nun auf, herab: 
zufommen, bittet und macht ihr Verfprehungen; aber alles umſonſt, fie läßt fich nicht 
in die Falle Ioden. Darauf geht man zu Drohungen über, aber ebenfalls vergeblich; 
ebenjo jcheitern alle Verſuche, den Baum zu erflettern, an der Dide des Stammes. Endlich) 
befinnt man fi eines andern; es werden einige Leute nach der Onganda zurückgeſandt, 
um Beile zu holen. Sobald die Boten mit den verlangten Gegenftänden zurüd find, gebt 
man friih ans Werf, den Baum zu fällen. Viele Arthiebe find ſchon gefallen, während 
die arme Entflohene dort oben die furchtbarſten Qualen vor Angft ausfteht; ſchon wankt 
der Baumriefe, und man holt aus zu den legten Hieben, da fommt mit einemmal ein 
gewaltiger Geier mit weit ausgebreiteten Fittichen zu der jungen Frau auf den wanfenden 
Baum geflogen, bietet ihr den Nüden dar, und fie beiteigt ihn; dann breitet der König 
der Lüfte feine mächtigen Flügel wieder aus und trägt die geängftigte, ihrem ermordeten 
Gatten treu gebliebene junge Frau fanft durch die Lüfte zu ihren Eltern, der Heimat zu. 
Die überrafchten und erichrodenen Verfolger haben das Nachſehen. „Eines ſolchen Märchens 
brauchten wir Deutſche uns wahrlich nicht zu ſchämen“, fügt Hahn hinzu. 

Der Herero iſt gaftfrei, doch iſt feine Gaftfreundfchaft, wie die aller Neger, mit Förm— 
lichkeiten umgeben. Wenn die Herero Beſuch erhalten, fo find die erſten Empfangs— 
zevemonien folgende. Der Fremde bleibt außerhalb des Verhaues, womit jedes Dörfchen 
umgeben ift, ftehen und ftüßt fich nachläflig auf feinen langen Bogen oder feine Aſſagaie. 
Nach einer Weile, oft erit nad) einer Stunde und darüber, fommt der Häuptling oder, wenn 
diefer abwefend ift, andre Dorfbewohner und beginnen folgende Begrüßungsfeierlichkeit, bei 
der man nad) Belieben figt oder fteht. Der Häuptling redet den Ankommenden, wenn es 
ein Einzelner ift, mit „köra!“ an; find es mehrere, fo jagt er: „Koree!*, erzähle!” oder 
* erzählt!” Der Fremde antwortet: „inde*, „nein“. Dann gebt e8 folgendermaßen weiter. 
Häuptling: „Köral“, „erzähle! — Fremder: „inde, inde“, „nein, nein”. — Häuptling: 


346 Die Dvaherero und Bergdamara. 


„köral“, „erzähle! — Fremder: „indé vanga“, „nein, durhaus nicht”, — Häupt— 
ling: „korromämbo“, „erzähle Worte oder Geſchichten“. — Fremder: „hin’omämbo“ 
oder „hin’omämb’“, „ich weiß feine Geſchichten“. Bleibt nun der Fremde unerbittlich, 
fo fommt ſchließlich die eigentümlihe Aufforderung von feiten des Häuptlinges: „Kor'- 
ovizez&*, wörtlih: „erzähle Lügen‘, was fo viel heifen foll wie „Anekdoten, Gerüchte 
oder Zeitungsenten”. Endlich kommen dann bie Neuigkeiten, und es muß alles ausgeframt 
werben, was auf der Onganda, woher der fremde ftammt, oder ſonſtwo vorgefallen üt, 
wobei es auf Wahrheit oder Dichtung nicht ankommt. Währenddeſſen unterläßt es der 
Erzählende nicht, feine Zuhörer wiederholt darauf aufmerffam zu machen, daß er jehr 
guten Appetit mitgebracht habe. Wenn der Fremde feine Erzählung geendet hat, werben 
die Rollen in Fragen und Antworten ausgetaufht und mit benjelben Umftändlichkeiten 
von vorn an wiederholt. Endlich, wenn diefe Zeremonie ihr Ende erreicht hat, wird ein 
Gefäß mit Milch gebracht, woran der Fremde fi labt. Dann wird er in die Onganda 
geführt, wo er am Beratungsfeuer vor des Häuptlinges Wohnung von einigen Kriegern 
empfangen wird und bald gemädjlich feine Pfeife ſchmaucht. Nachdem er nun von Zeit 
zu Zeit auf feinen leeren Magen hingedeutet hat, wird ein Schaf geholt, geſchlachtet 
und ein gemeinfamer Schmaus veranftaltet; der Fremde ift dann völlig wie zu Haufe. 
Zu den Schmaufereien um das Herdfeuer muß jeder Fremde zugelaffen werden. Kein 
Fluch wird für unfehlbarer gehalten als der, welchen ein ungaſtlich Behandelter auf die: 
jenigen werfen würbe, die ihn vom Herdfeuer weggewieſen. 


Bon der Religion der Herero iſt folgendes befannt: Die Hauptgottheit der Herero 
führt den Namen Mukuru, d. 5. der Uralte; dies ift ein Geiſt, als deſſen Wohnung der 
ferne Norden genannt wird. An verjchiedenen Orten wird jein Grab als heiliger Ort 
betrachtet. Jeder Etamm, wird angenommen, hat feinen eignen Mufuru, auf welchen alle 
abergläubiihen Gebräuche und Gewohnheiten zurücgeführt werden. Vor allem jendet er 
Regen und Sonnenſchein. Neben dem Namen Mufuru oder Omukuru gebrauden fie für 
denfelben Begriff auch Obempo, d. h. Hauch, Geift, ohne daß dies auf die Annahme eines 
zweiten geiftigen Weſens gedeutet werden fönnte. Wir jchließen uns der Deutung Joſaphat 
Hahns an, daß Obempo nur näher das Geiftige des „Uralten”, des Mukuru, bezeichnen fol, 
etwa jo, wie der Indianer vom „Großen Geifte” redet. Auf einen Glauben an ein Fort: 
leben nad) dem Tode, wenn fie ſich eines folden auch nicht ganz klar bewußt find, deutet 
die Thatfahe, daß fie nicht felten Nahrung an die Gräber verftorbener Freunde oder 
Verwandten bringen und dieſelben bitten, davon zu effen und luftig zu fein; ebenjo, daß 
fie den Segen ober bie Hilfe der Toten für ihre Friegerifhen Unternehmungen, die Mehrung 
ihrer Weiber und Herden und alle fonjtigen Wünjche anflehen. Auch glauben fie an die 
Wiederkunft Geftorbener, die aber dann jelten in ihrer natürlichen Geftalt, fondern meift 
in der von Hunden erſcheinen. Dieſe Geifter in Hundegeftalt, welche fie Tjruru nennen, 
follen oft die Füße von Straußen haben. Erjcheint einem Damara ein folder Geilt, und 
folgt ihm derfelbe gar oder drängt fih an ihn, fo ift ihn ein baldiger Tod gewiß. An 
abergläubifhen Gebräuden find die Damara ungemein reih. Bor allem haben 
fie einen ftarfen Glauben an Zauberei (Omundu:-Onganga und Omundu:-Ondyai) und 
räumen denjenigen, welche mit derfelben vertraut find, großen Einfluß ein. Diefelben um: 
geben den Kranken mit unfinnigen Zeichen und Bejchwörungen und benutzen al3 Hauptmittel 
Hyänenkot, den fie dem Kranken auf Mund und Stirn ſchmieren. In Krankheitsfällen 
gebrauchen fie, wo fein Zauberer zu haben, Kuhmiſt, mit dem fie Stirn und Bruft befchmieren, 
und binden um das Gefiht und die Bruft lederne Riemen. Neben den Zauberern gibt 
es bei ihnen zaubernde Mädchen (Ondangere), in der Regel die Töchter der eriten Frau 


Religion. 347 


eines Häuptlinges, welde darin an die Veftalinnen Roms erinnern, daß eine ihrer Haupt: 
aufgaben in der Erhaltung einer Art heiligen Feuers (Omurangere) befteht. Bei gutem 
Wetter wird nämlich beftändig ein Feuer vor jeder Hütte unterhalten, wo dann die Inſaſſen 
zu figen pflegen; wenn aber das Wetter ſchlecht wird, bringt man das Feuer in die Hütte 
der Ondangere. Sollte es unglüdlicherweife verlöſchen, ſo verfammelt ſich die ganze Ge- 
meinihaft, um Sühnopfer von Vieh darzubringen, worauf das Feuer durch Reibung wieder 
erzeugt wird. Zu diefer Feuerreibung aber dienen Hölzer, die der Häuptling von feinen 
Voreltern ererbt hat, und die mit Ehrfurcht umgeben werden. Die Herero wollen das Feuer 
vom Mufuru oder Obempo erhalten haben. Wechſelt ein Stamm feinen Wohnfit, fo geht die 





— 
— 


Bergdamara-Häuptling und Frau (nad Photographie im Beſitze des Herrn Dr. Fabri in Barmen). 
Bol. Tert, S. 350. 


Ondangere mit dem euer voran, und trennt fich ein Teil des Stammes vom andern, fo 
erhält der vornehmfte Mann des erjtern von diefem Feuer, während die Würde der On- 
bangere auf feine Tochter übergeht. Die zu Opfern beftimmten Tiere werden mit dem 
Speere getötet, die zur Nahrung dienenden dagegen erbroffelt. Stirbt ein Mann, fo wird 
ein Teil jeines Viehes mit Heulen erichlagen. Auch hierin ift wohl eine rohe Art des Opfers 
zu jehen. Vielleicht gehört dahin auch der Gebraud, daß, wenn ein Ochs im Krale eines 
Häuptlinges ftirbt, die Ondangere einen Doppelfnoten in ihre Lederſchürze macht, damit 
fein „Fluch“ eintrete, ferner daß fie ein Stüd Holz auf den Rüden des toten Tieres legt 
und zugleich für langes Leben, viel Vieh und dergleichen betet, und daß ein von glüd: 
liher Jagd Heimfehrender Waſſer in den Mund nimmt und dasjelbe dreimal in fein 
Herdfeuer und über feine Füße ausiprigt. Hat ein junger Mann ein wildes Tier getötet, 
fo madt ihm fein Vater vier Einfhnitte in die Stirn und ſchenkt ihm ein Schaf oder 
eine Kub; die Nachkommenſchaft der legtern darf bloß von Männern gegeſſen werden. 


348 Die Dvaherero und Bergdamara. 


Wie alle Kaffern, haben aud die Herero viele Speijevorurteile, denen fie teilweife 
wie jtrengen Geboten folgen, während andre nicht allgemein find. Diefelben hängen, wie 
wir gejehen haben, mit den Eanda zufammen. Deshalb erfundigt ſich ein Damara, wenn 
man ihm Fleiſch anbietet, immer forgfältig nad) den Eigenschaften des Tieres, von weldem 
es jtammt. Einige gehen jo weit, daß fie Gefäße für unrein halten, in welchen jolde 
Nahrung gekocht ward, oder jogar den Rauch des Feuers als ſchädlich vermeiden, auf 





Beiber und Mädchen der Bergdamara (nad Photographie im Befihe des Herrn Dr. Fabri in Barmen). 
Vol. Text, ©. 350; fiche aud die Abbildungen ©. 29 u. 136. 


dem dasjelbe ftand. Der Häuptling verfucht die Speifevorräte, ehe fie von den andern 
in Gebraud; genommen werden. Dem Fette gewiſſer Tiere, das in eigentümlich geltal: 
teten Gefäßen aufbewahrt wird, werden bejondere Eigenschaften zugeſchrieben. Häuptlinge 
ſalben ſich damit, und ſolche, die heil von einer Reife zurückkehren, genießen es in Miſchung 
mit Waſſer. 

Das Opfern wird mit großer Aufmerkjamfeit vollzogen. Man gebraudt dazu 
heilige Stäbe, welche von Bäumen oder Büjchen geſchnitten werden, die den Ahnen gemweibt 
find, und welchen bei den Opfermablzeiten das Opferfleifch immer zuerft vorgefegt wird, 


Religion. — Die Bergbamara, 


da ſie gleihfam die Ahnen vertreten. Manche bewahren dieje 
Opferftöde, zu Bündeln zufammengebunden und mit Amulet- 
ten behangen, bejtändig in den Zweigen des auf der Opfer: 
ftätte jtehenden „Makera“, des Opferbufches, auf welchem das 
Fleiſch des zerlegten Opfertiered ausgebreitet wird. Derſelbe 
vertritt aljo eigentlich die Stelle des Altares. 

Einen großen Raum nimmt im Glauben der Damara 
eine Art von Baumfultus ein, der an bejtimmte Bäume, 
aber, wie e3 jcheint, nicht einer einzigen Art angehörige, fid) 
fnüpft. Diejer Glaube erinnert ſtark an ähnliche Mythen bei 
andern Kaffernvölfern. Er führt darauf hinaus, daß ein 
heiliger Baum Urjprung gab den Herero, den Bujhmännern, 
den Ochſen und den Zebras. Die eritern entfachten jofort 
ein Feuer, welches Bufhmänner und Zebras verſcheuchte, die 
feitdem miteinander in der Wildnis umberziehen, während 
die Damara mit ihren Ochſen das Land in Belig nahmen. 
Auch alle andern lebenden Weſen erzeugten fih aus dieſem 
Baume; derjelbe ijt aber, fügen die Damara ihrer Erzählung 
hinzu, in legter Zeit nicht mehr fruchtbar gewejen, und es 
ift heute ganz vergeblich, in feinem Schatten auf Ochjen oder 
Schafe zu warten, die er vielleicht tragen könnte. Es iſt be: 
fonders der Tate Mufururume oder Omumboro-Mbonga, ein 
mächtiger, fräftiger Baum mit jpärlihem, graugrünem Laube 
und jilberweißer, tiefgefurdhter Rinde, „ſo vorjündflutlich aus: 
jehend, al3 ob ihn die gegenwärtige Generation nicht3 angehe“, 
welchem diefe Verehrung gezollt wird. Er jteht mitten unter 
den andern einzig in feiner Art. Deshalb ehrt die Volksjage, 
wie fie in dem ihm beigelegten Namen ausſpricht, den Ur: 
vater aller lebendigen Geſchöpfe in ihm; früher wurden be: 
ftimmten Bäumen diefer Art Opfer gebracht, und die Herero 
riefen ſchon, wenn fie einen foldhen von weiten jahen: „u 
zera tate mukururume!“ (‚du bijt heilig, Urvater!”) Sie 
zeigen überhaupt poetiſches Gefühl für die Eigenartigfeit ge: 
wijjer Bäume: jo lieben fie 3. B. vor allen den eichenähn— 
lihen Kamelbaum (Acacia Giraffae), den ſie Omubivirifoa, 
d. h. der zu Preifende, nennen. Merkwürdig fticht von der 
marfigen Geitalt und der unjcheinbaren, dunfeln Rinde diejes 
Baumes das zarte Grün des Laubes ab und das Goldgelb 
der unzähligen, lieblid) buftenden Blüten. In der That, 
man lernt den Baumfultus verjtehen hier in der baumarmen 
Steppe, die jedes einzelne Baumindividuum ſich mit jcharfen 
Zügen am Horizont abzeichnen läßt wie eine willfommene Inſel! 


* * 
* 


Eine ſeltſame Stellung nehmen im Gebiete der Herero die 
ſogenannten Bergdamara ein, welche ſich ſelbſt Haukoin, 





Daffen der Bergdamara: 
1 Speer — 2 Trommel — 3 Reule 
(Mujeum für Bölterlunde, Berlin). 
"4 wirfl, Größe. Bal. Tert, ©. 351. 


d. h. wahre Menſchen, nennen, während fie von den Namaqua, die früher ihre Alliierten 
und jpäter ihre Herten waren, mit dem wegen feiner Unanftändigfeit unüberfegbaren 


350 Die Dvaberero und Bergbamara, 


Namen Ghu Damup oder Daman bezeichnet werden. Sie find in der Lebensweije 
durchaus bufhmannähnlid, wogegen ihre Sprade die der Hottentotten und 
ihre Farbe die dunfle der Damara iſt (f. Abbildungen, S. 29, 136, 320, 347, 348). 
Joſaphat Hahn fpricht ohne nähere Begründung von „unzweifelhaften Anzeihen”, daß 
die Bergdamara vor ihrer Berührung mit den Namaqua eine Negerfprache geredet haben. 
Körperlich fhienen fie Galton und Anderfjon am meijten Ähnlichkeit mit den Ovambo 





Gine Dahapfeife der Bergdamara (Mufeum für Völterfunde, Berlin). %s wirll, Größe. 


zu haben. Anderjjon und Galton bezeichnen fie furzweg als Neger, ohne die Art ihrer 
Beziehungen zu den Damara näher zu beftimmen; erjterer äußert auch die Meinung, daß 
fie die Ureinwohner des Landes feien, welche bis zur Ankunft der Damara (vor etwa 100 
Jahren) fi mit den Bujhmännern in das Land teilten und zwar fo, daß fie die Berge, 
jene die Ebene bewohnten. Immer feien fie von den Bufhmännern als die Niedern an: 
gejehen worden, und nie ſeien Wechjelheiraten zwijchen ihnen vorgefommen. Aud daß 
jene die Eprade der legtern annahmen. deutet auf Unterwerfung durch Eroberung. 

Sie find in geringer Zahl über die 
Berge hin zeritreut, wo fie an den ſchwer 
zugänglichen Punkten ihre Wohnftätten haben. 
Galton befuchte eine ihrer Niederlaffungen, 
welche auf einem ſchwer zugänglichen teilen 





Geräte der Bergdamara: 1 Tabatsbühschen — 2 Ledergüirtel (Mufeum für Völtertunde, Berlin); erſteres %# wirtl. Gröhe. 


Felsberge, Erongo genannt, nördlih vom Swakopfluſſe gelegen ift, und fand ihr Dafein 
nicht jo niedrig, wie e3 den Anfchein hatte, wenn man ihnen zufällig in der Ebene be: 
gegnete. Die Hütte eines Häuptlinges beftand aus mehreren Räumen, die unter einer 
Baumgruppe jo aneinander gebaut waren, daß die Äfte der Bäume zum Dache zufammen: 
gebogen wurden, während ihre Stämme im Innern die Gemächer abteilen halfen. Es 
war eine Fülle von Geräten vorhanden, wie hölzerne Milchſchüſſeln, Pfeifen und dergleichen. 
Auch ſchien der Reichtum an Nindern, Schafen und Ziegen nicht gering, wiewohl die 
Einwohner aus Miftrauen denjelben leugneten. Der rheinifche Miffionar Hugo Hahn 
hat 1871 diefelben Bergbewohner, 400—500 an der Zahl, in der Miffionsftation Ofombahe 
verfammelt gefunden. „Man konnte es ihnen anjehen”, jagt er, „daß fie eine relative 


Die Dvambo. 351 


Freiheit genofjen hatten, es lag in ihrer ganzen Stellung ausgeprägt.” Diefe Bergdbamara 
bauen, gleich den eigentlichen Hottentotten, Dacha und rauchen, glei ihnen, mit Leiden: 
ſchaft aus Wafferpfeifen (f. Abbildung, ©. 350), und zwar verfchluden fie den Nauch und 
rauchen bis zur völligen Betäubung. Auch Tabak genießen fie mit Leidenſchaft, befonders 
find fie große Schnupfer. Die Geräte und Waffen der Bergdamara find im allgemeinen 
diefelben wie die der Herero, nur find fie weniger reichlich und, wenigſtens in Bezug auf 
Waffen, auch wohl durdhgängig naturwüchliger, wie die Abbildungen auf S. 349 zeigen. 
Auf die Trommel, als ein den Herero fehlendes Inftrument, fei befonders aufmerkſam 
gemacht. 

Bemerkenswert find nocd einige zerftreute Notizen, weldde man über das Vorkommen 
diefes Volkes in größerer Zahl am untern Dmoramba, füdöftlih von Dvambo, bat. 
Mährend bei den Ghu Damup des Damaralandes feine Überlieferung herrſcht, daß fie 
einft eine andre Sprache redeten, wird von jenen Stämmen am Omoramba behauptet, daß 
mehrere Sprachen bei ihnen geſprochen werden, und daß einige von ihnen das Hotten- 
tottiſche nicht verftehen. Dort follen fie auch feineswegs in jo niedriger Stellung leben 
wie im Damaralande, fondern Aderbauer fein und Handel mit den Dvambo und andern 
nördlid von ihnen wohnenden Völkern treiben. Die Stellung der im Damaralande Leben: 
den iſt jedenfalls die niebrigfte unter allen Völkern desjelben. Sie werden von den Damara, 
Namaqua und felbft Bufhmännern gleihmäßig geringgefhägt und mißhandelt. Ein 
ftehender Scherz der andern Völfer über fie ift die Behauptung, daß fie von den Pavianen 
abjtammten. „Warum nicht?” fagte ein alter Ghu Damup. „Wir werden beide von 
jedermann verfolgt, leben ganz gleich auf den Bergen, wo wir von denjelben Wurzeln 
ejlen, die wir in derfelben Weife mit unfern Händen aus der Erde graben.“ 


13. Die Ovambo' und Verwandte. 


„Unter den aderbauenden Böltern Afrilas eins der thätigften und friedlichſten“ 


Inhalt: Fructbarkeit des Dvambolanded. — Dichte Benölferung. — Art der Dvambo, — Aderbau und 
Viehzucht. — Wohnungen. — Tradt. — Waffen. — Religion und Zauberei, — Recht. — Buſchmänner 
und Damara im Dienfte ber Dvambo. — Berfhiedene Stämme zwifhen Dvambo und Cunene. — Die 
Baluba ober Bavelo. 


Durd die traurige Steppe des Damaralandes, den echten Ausläufer der Kalahari, 
nordwärts ziehend, fteigt man ungefähr beim 18. Breitengrade fat unvermittelt aus dem 
dornigen Mimoſengebüſche in mwallende Getreideebenen hinab. Der Kontraft ift jcharf, 
und man begreift, wie wohlthuend er ift. „Wergebens würde e8 fein”, ruft Anderjfon 
aus, „unfer Entzüden bei diefer Gelegenheit zu bejchreiben oder das reizende Panorama 
zu fchildern, welches fi vor uns aufthat. Genüge es zu jagen, daß anftatt der ewigen 





! Der Name Dvambo ift feinem Urfjprunge nad nicht einheimifch, benn bie Stämmte fennen nur ihre 
befondern Namen, feine allgemeinen, fondern er wird von den Dvaherero einigen nörblich von ihnen wohnen: 
den Stämmen beigelegt. Die neuern Unterfuhungen Duparquetö zeigen, daß minbeftens fein ſprach— 
licher Grund bagegen befteht, die Bervohner des linfen Eunene> Uferd unter denjelben Begriff zu bringen. 
Galton berichtet, daß von den Dvambo von Ondonga, bie er befudhte, alle längs diejes Fluſſes wohnenden 
Stämme ebenfalls als Dvambo bezeichnet worden feien, und daß fie in Sprache und Ausfehen fi nicht von 
jenen unterschieden. Denjelben Namen geben auch die Damara allen nördlich von ihnen wohnenden getreides 
bauenden Stämmen. 


352 Die Dvambo und Berwandte. 


Strauchiteppe, wo uns jeden Augenblid die Dornen der Mimojen aus dem Gattel 
zu reißen drohten, die Landſchaft nun ein anſcheinend endlojes Feld gelben Getreides 
darbot, überjäet mit zahlreichen frieblihen Hütten und gebadet im warmen Lichte der 
untergehenden Tropenjonne. Dazu erhoben ſich hier und dort riefenhafte, breitäftige, 
dunfellaubige Schatten: und Fruchtbäume, während zahlreihe Fächerpalmen, einzeln oder 
in Gruppen ftehend, das Bild vervollftändigten. Es jchien uns ein Elyjium. Noch oft 
jeitdem babe ich diefe Szene in mir heraufbejhworen, welche mir nicht unpaſſend zu ver: 
gleichen ſchien dem Vertauſchen einer heißen, hellen, ſchattenloſen Wüfte gegen einen Part 
voll friſchen Grüns und fühlen Schattens.” Dies ift das Land der Dvambo. Das ganze 
Gebiet ift fruchtbar, obwohl es feinen Überfluß an Waſſer hat. Es gehört offenbar zu den 
Steppenländern mit kurzer, aber für 
das Getreide hinreihender Regenzeit. 
Meder Fluß noch Bach finden ſich zwijchen dem 
Dvoromba, der von Weiten dem Ngamifee zu: 
fließt, und Ondonga, der Reſidenz des Häupt- 
linges von Ovambo. Demgemäß halten die 
Dvambo das Waſſer hoc) in Ehren. Galton 
mußte fich jeden Trunf mit Perlen erfaufen, 
Nicht minder ſcharf als der Landſchaft ift der 
Kultur hier eine Grenze gezogen. Viehzucht 
und Aderbau, fahrendes Leben und Anſäſſig— 
feit, Armut und Wohlitand, Hunger und 
Sättigung, Krieg und Friede, fie alle grenzen 
mit einemmal bier aneinander. 

Die Ovambo find nicht allein das erite 
aderbauende Volk, welches man in Weit: 
afrifa, von Süden fommend, trifft, jondern fie 
find überhaupt unter den aderbauenden 
Völkern Afrifas eins der thätigiten 
und friedlidhiten. Dem entſprechend woh: 
It nen jie verhältnismäßig dicht beifammen. 
Ein Ovambo (nad Photographie im Befihe des Herm Anderſſon und Galton ſchätzen beide die 

Dr. Fabri in Barmen), Dichtigfeit der Bevölkerung vom Ovambo— 
land auf 100 Seelen pro engliiche Quadrat: 
meile. Xeßterer berichtet, daß er in einer Stunde Neitens (mit Ochjen ein Weg von un: 
gefähr 5 km) durchſchnittlich 30 Anweſen zählen konnte, trogdem die hügelige Beichaffen- 
heit de3 Yandes einen weitern Ausblid al$ 2—3 km nad) beiden Seiten nicht erlaubte, 
und er nimmt an, daß 30—40 Seelen auf jedes Anweſen entfallen. Dieſe Schätzung it 
vielleicht eher zu gering als zu hoch. Größere Orte gibt es nicht in Ovambo, nur Gruppen 
von einer nicht bedeutenden Zahl von Anwejen, da die Bevölkerung überall umgeben von 
ihren Adern lebt. Was die Ausdehnung ihrer Wohnfige anbetrifft, jo reichen diefelben 
mit dem vorgeſchobenſten Poſten bis etwa 19° 30° ſüdlicher Breite ſüdwärts (Anderfion 
bezeichnet das in diejer Breite gelegene Ofamabuti als nördlichen Grenzpunft der Herero) 
und bis an den Eunene nordwärts. Den legtern jcheinen fie nicht weit zu überfchreiten, 
ebenſowenig wie die Benguelahändler, mit denen fie dort Taujchhandel treiben. Der Handel 
wird am Fluffe, al3 der Landesgrenze, abgemadht. 

Die Ovambo unterjdeiden jih im Körperbaue wejentlich von den Damara, find 

dagegen den „Bergdamara’” ähnlich: häßliche, knochige Menſchen mit ftarfen Zügen, jehr 





Dvamboland. Körperbau der Dvambo. 353 


musfulös. Auch ihre Sprade iſt vom Idiome der Damara verſchieden, indem fie 3. B. 
das dem Damara fehlende I hat. Anderfeits find ſich manche Worte aus beiden Sprachen 


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Männer der Dvambo (nah Photographie im Befihe de8 Herrn Dr. Fabri in Barmen). 


fehr ähnlich; „bring' Feuer” heit bei den Ovambo „ella omulilo“, bei den Damara 
„et omuriro*. Aber die beiden Völker verftehen einander nur ſchwer. 
Der Aderbau, der herrihende Zug im Leben und Weben diefer Stämme, ftüßt ſich 
Bölterfunde. I. 23 


354 Die Dvambo und Verwandte, 


hauptſächlich auf die zwei Hirfearten: Durrha und Eleufine (legtere j. Abbildung, S. 12). 
Die Felder diefes Getreides erftreden fih, nur von Fußpfaden unterbroden, oft meilen- 
weit; die große Einförmigfeit diefer überall bebauten und ftraßenlojen Landſchaft wird von 
den Neifenden als eine ernithafte Schwierigkeit im Finden des Weges bezeihnet. Das 
eingeerntete Getreide wird in eignen bienenkorbähnlichen Geflechten von etwas über 1 m 
Durchmeſſer verwahrt, welche in rohen Dreifüßen, die Spike nad) unten, jo aufgeitellt 
find, daß fie den Boden nicht berühren. Über diefe Behälter werden Dächer aus Zweigen 








Hölzerne Geräte der Dvambo: 1 Schale — 2 Topf — 3 Grabejdhaufel — 4 Räucherſchale — 5 und 6 Doppelbedher 
zum Bierjeihen (Mufeum für Bölfertunde, Berlin). *s twirtl. Größe, 


errichtet und mit Lehm dicht gemadt. Bei den Wohlhabenden zählt man lange Reihen 
ſolcher Getreidebehälter, nad deren Menge man ihren Reichtum bemeijen fann, wie bei 
ung etwa nad) der Größe der Scheunen. 

Außer dem Getreide iſt Tabak das wichtigſte Erzeugnis des Aderbaues. Von ihm wird 
ein Teil ald Steuer an den Herricher bezahlt, was beim Getreide nicht der Fall ift; auch 
bildet er das einzige Umlaufsmittel in Dvambo. Er wird in Holzgefäßen zerftoßen und foll 
von geringer Güte fein. Erbjen, Bohnen, Kürbiffe und Waffermelonen werden gleichfalls 
gebaut. Von Fruchtbäumen kultivieren fie eine Fächerpalme mit efbaren Früchten und zwei 
große, jchattenreihe Bäume, deren einer kirſchen-, der andre apfelähnliche Früchte trägt. 
Die Haustiere find: Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hunde und Hühner. Am bedeu: 
tendjten ift die Rindviehzucht, welche indejjen bei dem Mangel an Weiden zwingt, bie 
Tiere nad mehrere Tagereifen entfernten Weideplägen zu fenden, von wo fie erjt nad) 
der Ernte zurüdfehren, um in den Stoppeln gefüttert zu werden. 


Ackerbau. Nahrung. Hütten. 355 


Die Nahrung der Dvambo beiteht hauptfählih aus didem Hirjebrei und Milch. 
Fleiſch wird wenig genofjfen. Sie mifchen ihrer Nahrung jtets Salz bei im Gegenfage zu 
den Damara, die dies niemals thun. E83 fommen Salzlager in Geitalt jogenannter Salz: 
pfannen in ihrem Gebiete vor. Als Getränk dient Hirfebier. Sie pflegen nad) jeder 
Mahlzeit zu rauchen. 

Die Wohnftätten find mit 2—3 m hohen, einen großen Raum einſchließenden Paliſſa— 
den umgeben, innerhalb deren die Hütten, Kornfpeicher, Höfe, Ställe zc. aneinander geſchach— 


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Geflochtene Shüifeln, Teller und Flafhe der Dvambo (Mufeum für Bölferfunde, Berlin). + wirt. Größe 


telt find. Der Wohnplag des Königs, weldher zu Galtons und Anderjjong Zeit fich 
über einen Raum von gegen 100 m Durchmeſſer ausbreitete, gli einem Irrgarten durch 
die Menge von Baliffadenmwegen, die nad) allen Seiten führten. Die Wohnhütten find Freis: 
rund, faum 1,3 m in ber Höhe und etwa 5 m im Umfange mefjend; ihr unterer, etwa 0,6 m 
hoher Teil befteht aus Pfahlwerk mit Lehmfüllung, und über diefemerhebt ſich das ſchirmartige 
Dad, welches aus Rohr gefertigt ift. Der zur Zeit des Bejuches von Galton und Anderſ— 
fon regierende Fürft Nangoro war wegen feiner Beleibtheit gezwungen, in einem bejondern 
Verfchlage neben feinen Häufern zu jchlafen, da feine Hütten ihm zu eng geworden waren. 

Geräte und Waffen der Dvambo (j. Abbildungen, ©. 218, 354, 355) find auf: 
fallend gut gearbeitet, ſoweit fie nicht aus Metall find. Aus Holz finden fih Schüffeln, 
Löffel, Becher und dergleihen. An Adergerät brauchen die Ovambo nur eine kurze Haue 
zum Ummenden des Bodens. Bon ihren Waffen find befonders die Dolchmeſſer bemerkens— 
wert, deren Griff und Scheide aus Holz, leßtere wohl auch aus Leder, bejtehen und teilweije 

23* 


356 Die Dvambo und Verwandte. 


mit Kupferblech oder platt geichlagenem NKupferdrahte verziert find. Ihre regelmäßige 
Bewaffnung befteht aus Pfeilen und Bogen, Afjagaien und Kirris. Die beiden erjtern find 
Heiner als die der Damara, und der Bogen befteht gewöhnlich aus einem Holze, Mohama 
genannt, das, von Natur auf einer Seite flah, für diefen Zwed befonders geeignet iſt. 
Die Pfeile find mit Knochen: oder Eifenfpigen verjehen, aber nur jelten vergiftet. Die 
Köcher tragen die Dvambo unter dem linken Arme an einem über die rechte Schulter ge- 
ſchlungenen Riemen, während der Dold) am Gürtel oder an einem um ben Oberarm geſchlun— 
genen Riemen hängt. Wiewohl keine Eifen= oder Kupfererze im Lande jelbjt vorfommen, 
ftellen fie doch beide Metalle dar, da ihnen die Erze von den in den Gebirgen lebenden 
Buſchmännern gebracht werden. Aus Eifen und Kupfer verfertigen fie ihre hauptſächlichſten 
Handelsgegenftände, aus jenem Meffer, Speer: und Pfeilfpigen, aus dieſem Ringe und 
Perlen. An beiden Enden langer Stäbe tragen fie diefe Gegenftände in geflochtenen Körb— 
den auf ihren Reifen. Eine unfertige Aſſagaienklinge oder eine Elle aufgereihter Eifenperlen 
wird nah Anderſſons Erzählung mit einem Ochfen bezahlt. Aber der wichtigite Gegen: 
ftand ihres Handels nad) außen ift Elfenbein. Am Eunene, 
über den fie jegen, um am jenfeitigen Ufer mit ſchwarzen, 
portugiefiich ſprechenden Händlern zufammenzutreffen, tau— 
ſchen fie das Elfenbein gegen Perlen, Eifen, Kupfer, Muſcheln, 
Kauris und andre Kleinigkeiten aus. Was fie von den ein: 
getaufchten Dingen nicht ſelbſt brauchen, verhandeln fie wie: 
ber an die Damara, wohin fie zu Anderſſons Zeit, alſo 
vor etwa 30 Jahren, vier verſchiedene Erpeditionen im Jahre 
Ein tupferner Beinring der auf zwei verſchiedenen Wegen machten und von diejen zuſam— 
—— or men ungefähr 800 Häupter Rindvieh zurückbrachten. Außer 

Re auf Vieh legten fie den größten Wert auf Perlen. In ihr 
eignes Land famen fremde Handeltreibende nur aus dem nahen Damaralande, aus welchem 
fih Anderfjons und Galtons Karawane nicht weniger als 70—80 Damaramweiber an: 
ſchloſſen, welche alle nadı Ovambo zogen, einige, um Beichäftigung, andre, um Männer 
zu finden, andre wieder, um ihren Mufchelgürtel zu verfaufen, welch legtern die Ovambo- 
weiber auseinander nehmen und zu Perlenjchnüren umarbeiten. Sie taufdhen dafür Ge- 
treide, Tabak, Perlen und andres ein. 

Die Tracht der Dvambo ſticht durch einige bemerkenswerte Eigentümlichfeiten von 
jener der Nahbarftämme ab, wiewohl fie am meiften Ähnlichkeit mit der Damarakleidung 
aufweilt. Die Männer winden Perlen um den Kopf und den Hals und find nicht felten 
mit Armringen aus Kupfer geihmüdt. hr ſtets Furzes, wolliges Haar jcheren fie oft, mit 
Ausnahme des Wirbel. Männer wie Weiber jchlagen, wenn erwachſen, einen der mittlern 
Vorderzähne des Unterfieferd aus. Die Weiber tragen das Haar jo lang wie möglich 
und vermehren feine Maffe durch Einfchmieren von Fett und roter Erde. An Beinen und 
Armen tragen fie Kupferringe, von denen mancher 1—1!/a kg wiegen mag (j. obenjtehende 
Abbildung). Nah Galton find indeifen die fupfernen Armringe Auszeichnung der Weiber 
des Fürften. Außerdem find Hals, Hüfte und Unterleib durch eine Unzahl von Perlen, 
Muſcheln und Schalen verhüllt, welche teild auf Zeug oder Leder aufgenäbt, teils zu Schnüren 
gefaßt find. Diejes Überma von Schmud macht die Weiber in hohem Grade jchwerfällig. 

Musik und Tanz find bei den Ovambo ſehr beliebt. Sie haben für die erftere das 
Tam:Tam und eine Shwadhe Laute, welche im Palafte des Fürften allabendlich ertönen. 
Sobald die Dunkelheit anbricht, ſammelt fich die Bevölkerung, ſoweit fie hoffähig ift, am 
Hofe des Fürften; Fadeln aus Palmzweigen werden dabei getragen und geben der Szene 
etwas bejonders Malerifches. Die Tänze, weldhe dann bis tief in die Nacht ausgeführt 





Geräte und Waffen. Tracht. Muſik. Religion. Politiſche Verhältniſſe. 357 


werden, find mehr Umgänge nad dem Tafte der Muſik als eigentliche Tänze. Ein be— 
liebtes Schaufpiel bilden auch die Tänze der Bufchmänner, die als eine Art Leibgarde 
den Fürften umgeben; fie äffen jtet3 mit ihrer merfwürbigen Gabe der Nahahmung irgend 
etwas nach, meift die Bewegungen eines Tieres. 


Von der Religion der Ovambo wiſſen wir nur Negatives. Diejes Wolf zeigt nämlich 
ben Europäern gegenüber eine merfwürdige Zurüdhaltung in allen Mitteilungen über 
feine Berhältniffe und Anfchauungen, und fo wurde auch jeder Frage, welche religiöfe 
Dinge betraf, mit großer Scheu ausgewichen. Anderjjon erwähnte einmal in einem 
Geſpräche über ben Zuftand nad dem Tode den Namen ihres Fürften Nangoro. „Wenn 
du in diefer Weiſe fprichit”, flüfterte man ihm zu, „und es follte zu den Ohren Nangoros 
fommen, jo wird er glauben, du wolleft ihm nad dem Leben trachten.“ Ebenſo ging es 
Galton, der bei feinen Fragen im Intereſſe eines kleinen Wörterbuches der Ovambo— 
ſprache und der nähern Kenntnis ihrer Sitten und Gebräuche immer die Antwort erhielt: 
„Du mußt nicht nad) diefen Dingen fragen, fonft wird Nangoro glauben, daß du fein 
Leben nehmen willſt“. Um dieſe Furcht, daß ein Fremder einem Eingebornen das Leben 
ftehlen könnte, dreht fi überhaupt viel bei den Dvambo. Man bangt befonders vor 
dem gemeinfamen Eſſen mit ſolchen gefährlihen Menſchen. Der Zauber gegen ſolches 
Tradten, den der Fürft Nangoro ausgedacht und ber vom Hofe aus fich über das Land ver: 
breitet hat, beiteht darin, daß vor dem Eijen der Herr des Haufes oder jonft ein zu diefem 
Dienfte Geeigneter Waffer in den Mund nimmt und es dem Fremdlinge ins Geficht jprigt. 
Eine mildere Form ift das Beichmieren bes Verdächtigen mit Fett um Stirn und Mund, 
Ein andrer Aberglaube fnüpft fih an gewiſſe Eeen, aus denen niemand, der ſich hinein 
wagt, wieder lebend herausfommen fol. Für das Regenmachen gibt es bejtimmte Zauberer. 

Die Vielmweiberei ift allgemein. Der Fürft Nangoro hatte 106 Frauen. Die 
Frauen werben gekauft, ein minder Befigender zahlt 2 Ochſen und 1 Kuh, ein Neicherer 
3 Ochſen und 2 Kühe ald Kaufpreis. Nur der Fürft zahlt nichts, weil bei einer Verbindung 
mit ihm die Ehre alles aufmwiegt. Eine von den Frauen gilt immer als die erfte. Im 
Herricherhaufe geht die Thronfolge auf den Sohn oder, falls joldher fehlt, auf die Tochter 
der eriten Frau über, Über die jonftigen politifhen Verhältnifje und bejonders über 
die Gedichte der Ovambo find wir nicht unterrichtet. Wir wilfen von ihrer politifchen 
Stellung, daß fie bei den Damara wegen ihres Reichtumes und ihrer Macht geachtet oder 
felbft gefürchtet find, und daß diefe e8 nicht wagen, den Handel der Ovambo zu ftören. 
Galton begegnete mehreren Damara von Omaruru auf dem Rüdwege aus dem Ovambo— 
lande, wo fie Entjehuldigungen vorgebracht hatten wegen einiger an Leuten des letztern 
Volkes begangenen Diebereien. 

In ihren Nehtsbegriffen fcheinen die Ovambo eine vorteilhafte Ausnahme von den 
meiften ihrer Volfsgenoffen darzuftellen. Sie werden als durchaus ehrlich bezeichnet. 
Anderjjon und Galton konnten ihre Sachen ruhig liegen laffen ohne Furdt, daß aud) 
nur etwas berührt wurde. Als fie beim Abzuge aus dem Dvambolande einige Kleinig: 
feiten vergaßen, wurden fie ihnen durch bejondere Boten nachgeſandt. Es iſt vielleicht 
übertrieben, was man ihnen erzählte, daß Leute, die des Diebtahles angeflagt waren, 
vor den Fürften gebracht und zur Strafe gejpießt wurden; aber thatfächlich hatten fie 
einen wahren Abjcheu vor dem Diebftahle. Man jagt auch, daß im Lande Beamte ver: 
teilt find, die an den Fürſten über das Verhalten feiner Unterthanen zu berichten haben. 
Jedenfalls fürdten fie den legtern. Auch das fpricht ſehr für fie, daß man alte, gebrechliche 
Leute gut behandelt; nicht minder, daß fein Sklavenhandel aus Dvambo getrieben wird 
troß der Nähe der Portugiefen und bes Verfehres mit denfelben. Aber die Ovambo felber 


358 Die Dvambo und Verwandte, 


haben verjchiedene Fremde unter fi, die zum Teile in jflavenartiger Stellung zu 
fein fheinen. Damara werden als Viehhirten benugt, und Buſchmänner, welche noch reicher 
geihmüdt auftreten als die Ovambo felbit, fcheinen eine Art ftehender Armee zu bilden. 
Während jene verachtet find, Jo da wohl nie ein Dvambomweib einen Damara ehelicht und 
aus dem Lande zieht (das Gegenteil kommt nicht felten vor), ftehen die legtern mit ihnen 
auf dem beiten Fuße und find, nah Galtons Ausdruck, „naturalifiert“. Aber ganz 
unabhängig jcheinen fie nicht zu jein. Anderjion fagt: „Eine große Anzahl Buſchmänner 
lebt unter den Dvambo, zu welchen fie in einer Art von Unterthanen= und Verwandtichafts: 
verhältnis ſtehen“. Wahrfcheinlich find es die frühern Einwohner des Landes, welchen unter 
einer milden Form der Unterwerfung in demſelben weiterzuleben gejtattet ward. hr 
Stamm jcheint noch weiter nad Norden hin vorzufommen. Auch einige entlaufene Ben: 
quelafflaven fand der eben genannte Neifende unter den Ovambo. 

Über die geiftige Begabung der Ovambo ift nur zu bemerken, daß fie im Zählen 
ſehr geidhidt find. Sie zählten die 105 Köpfe in einer Herde ebenfo raſch wie ein gebil: 
beter Europäer. A 

Nördlih von den Ovambo wohnen allem Anfcheine nad) den Ovambo ähnliche 
Völker, wenn auch die Nähe der Portugiefen und damit des Sklaven: und Branntwein: 
handel tiefer verändernd in ihre Sitten eingegriffen haben mag. Fr. Green, der den 
Gunene zuerft von Süden her erreichte, fand bis zu diefem Fluffe im ganzen diejelben 
Verhältniffe wie weiter im Süden, fowohl landſchaftlich als ethnographiſch. „Die bemer: 
fenswertefte Eigentümlichfeit des Landes befteht darin, daß man überall, wo man einen 
Volksſtamm anſäſſig findet, diefelbe Art Balmengegend hat wie bie von Ondonga, wogegen 
zwiſchen den MWohnfigen der Stämme ein ganz davon verjchiedener Boden vorhanden it. 
Die einzige Ausnahme bildet das Land der Ovaknuema, deren Dörfer zwifchen Gebüſch 
liegen.” Alſo diefelbe Dafengegend wie die von Ondonga, welche einen allmählichen Über: 
gang zu dem regen: und damit flußreichern Gegenden jenfeit der Pafjatregion bildet. 
Soweit man bei der Geringfügigkeit unſrer Kenntniffe von den diefe Gegenden bewohnenben 
Völkern urteilen darf, jegen fih aud Kulturitand, Sitten und Gebräude von den 
Ovambo big zum Cunene fort. Sie find alle Aderbauer, find demgemäß in der Negel 
zahlreich und leben dicht bei einander. „Es ift nicht zu befürchten, daß Europäer hier ver: 
bungern würden“, jchreibt Green, „da es Getreide und andre vegetabilifche Produkte im 
Überfluffe gibt.” Die Größe ihrer Herden ift verfchieden, doc betreiben fie alle neben dem 
Aderbaue auch die Viehzucht. Mit Ausnahme der Ehinga am Eunene und der weitlid von 
den Dvambo mwohnenden Ongangua, welche den Herero gleichen und ſich ähnlich wie dieſe 
Ihmüden, find aud bis auf die Haartracht Schmud und Kleidung diefer Stämme wejentlich 
gleih. Doch ift die Haartracht der Weiber von einem zum andern Stamme verjchieden, 
und vorzüglich zeichnen ſich die der „Ariftofratie” durch teils grotesfe, teil$ geſchmackvolle 
Frifuren aus. Die verjhiedenen Stämme ſcheinen unabhängig voneinander zu fein, aber 
jeder hat in feiner Mitte eine Anzahl Herero, welche alle, wenn nicht als Sklaven, fo doch 
in mehr oder weniger unterwürfiger Stellung bei ihnen leben. Als Green 1865 durch 
die Gebiete diejer Stämme reifte, müſſen freundlihe Verhältniſſe zwiſchen denfelben obge: 
mwaltet haben; denn bie Empfehlung und die Boten des Dvambohäuptlinges Tjitongo 
bereiteten ihm ſamt jeinen beiden weißen Gefährten überall eine freundlihe Aufnahme, 
ausgenommen bei den mehr als alle andern friegeriihen Ongangua, welde „mehr den 
Kaffern als den Ovambo gleichen‘ und von allen ihren Nachbarn gefürchtet werden. Indeſſen 
ließen fih auch diefe begütigen und wurden freundlid. Auch ſchildert Green das Be: 
nehmen der Häuptlinge bei den Stämmen der Ovambo, Dvangandjera und Ovanguambi 


Nahbarftämme und Verwandte. Die Bafuba. 359 


in einer Meife, welche erkennen läßt, daß es mindeftens nicht Leute vom afrikaniſchen 
Defpotentypus, fondern vorwiegend milde Menſchen find. 

Über Größe und gegenfeitige Lage diefer Stämme findet man in den Mitteilungen 
Greens folgende Angaben: „Am zahlreihiten find die Stämme der Ovaknuema, ber 
Dvambo, Ovanguambi, Dvangandjera, der Fleinfte ift der der Korangaze. Von Süden 
fommend, trifft man zuerft auf die Ovambo, von welchen nördlid die Dvangandjera 
wohnen, und zwijchen diefen und dem Eunene folgen die Dvanguruze, Korangaze, Onguanga 
und Ehinga. Die beiden lektern, am meiften den Herero gleichenden wohnen aljo am 
weiteiten nördlich. Weitlih von den Ovambo wohnen die Dvanguambi, norböjtlich von 
den Ovanguruze die Ombarandu und Durondamiti und ſüdlich von diefen die Ombundja. 
Unbejchadet ihrer verfchiedenen Größe find dies doch offenbar lauter Feine, machtloſe Völk— 
chen, welche wohl nur in diefer gefchügten Ede zwifchen Meeresfüfte, Wüfte und Strom fich 
in ihrer Sonderftellung halten konnten. Die großen Eroberer Zentralafritas feinen dieſe 
abgelegene Gegend mit den Segnungen ihrer ftaatenbildenden Kraft verſchont zu haben.” 

Mir Schließen hier die Betrachtung eines gleich den Dvambo dem ethniſchen und 
fulturellen Übergangsgebiete zwiſchen Süd- und Mittelafrifa angehörigen Volksſtammes 
an, deſſen Verwandtſchaften freilich ſchon tiefer nach dem Binnenlande weiſen. 

Nordweitlid vom Ngami, etwa 100 geogr. Meilen am Tioge hinauf, wohnen An: 
gehörige des Bakubaſtammes, weldhe die Verwandtihaft mit ihren Stammgenofjen am 
Ngamiſee anerkennen, ſich aber weit über fie erhaben dünfen. Sie jondern ſich ftreng von 
den Betichuanen und geben nidt zu, daß fieBaloba, d. h. in Sitſchuana „Sklaven“, 
heißen, jondern fie jagen, Bafuba jei der Name, den fie fi und ihren Stammverwandten 
beilegen. Von ihren Nachbarn am Ngamifee werden fie Baveko genannt. Sie wohnen 
ziemlich dit, und ihr Hauptort, nach dem Häuptlinge Lelebe, der zur Zeit des Bejuches 
Greens und Wahlbergs 1856 herrſchte, als Lelebes Stabt auf den Karten bezeichnet, 
liegt unter ca. 18° füdlicher Breite. Sie treiben Aderbau und feinen Feine ſehr eifrigen 
Jäger zu fein, da ihr Land von großem Wilde ſchwärmen foll und diefe beiden Europäer 
um nichts dort fo dringend gebeten wurden, als Elefanten und Nilpferde für die Ein- 
gebornen zu jchießen. Da fie durch das Handelsvolf der Mambari in anſcheinend häu— 
figer Verbindung mit den Portugiefen an der Weftküfte ftehen, haben fie genug Feuer: 
gewehre und Pulver und geben von dem legtern jogar noch an die Ngamiftämme ab. Statt 
Bleikugeln benugen fie eiferne, gejchmiedete Kugeln. Ihre einzigen Handelsartifel für bie 
Ausfuhr find Elfenbein und Sklaven. Bon den Dvambo fcheinen fie die Menge maſſiv 
fupferner Ringe (ſ. Abbildung, S. 356) zu haben, mit denen fie ihre Gliedmaßen belaften. 
Die Baveko gehen wenig außer Landes, während ihr Verkehr untereinander ein jehr reger ift. 
Unter den Sitten der Bavefo fiel Green bejonders die Art auf, wie fie fich Neuigkeiten ftets 
mit der ernithafteften Miene und mit oft wiederholtem Händeklatſchen mitteilten, wobei der 
eine Redende immer in ganz kurzen Sägen von zwei bis vier Worten ſprach, die der andre 
fogleich wiederholte; Hatte er alles vernommen, jo erzählte er es in derjelben Weiſe dem 
nächſten, dem er begegnete. Ferner wird berichtet, daß die Baveko zu den leidenihaftlichiten 
Raudern gehören. Sie erinnerten daher Wahlberg an die Deutichen! Dan fieht fie fait 
ftet3 mit ihren über 1 m langen Pfeifen gehen, deren Kopf oft in der Geftalt eines Männer: 
kopfes gejchnigt ift, während das Rohr aus einem Stüde Flintenlauf mit einem entjprechen: 
den eilernen Anfage befteht. Sie halten diefelben jo jehr wert, daß Green meint, fie würden 
leichter eins von ihren Weibern als eine Pfeife hergeben. Unter ihren Kunjtfertigfeiten wird 
die Holzfchnigerei hervorgehoben, von welcher ihre mit eingefchnittenen Menſchenköpfen oder 
Tiergeftalten verzierten Tabakspfeifen und Keulenſtöcke (Kirris) gute Beifpiele liefern, 


I. Zentralafrilaner. 


14. Die innerafrikanifce Fluß- und Sumpfhochebene. 


„Endloſe Prärien mit Waldftreifen dazwiſchen und jemjeit# wieder Prärie,“ 
Livingfone 
Inhalt: Das Zambefigebiet ald Übergang von Süb: nad) Mittelafrifa. — Höhenverhältnifie der Hochebene 
des füdlichen Zentralafrifa. — Hydrographie des Zambeft. — Die Quellwieſen. — Die Zambeft- Kongo- 
waſſerſcheide. — Der Bangmweolofee. — Die Sübzuflüffe des Kongo. — Das Klima. — Die Landidaft. — 
Die nugbaren Pflanzen. — Die Tiermelt. 


Das Zambefigebiet bildet nad) Bodenbejhaffenheit und Bewohnern den Übergang 
zwifhen Süd- und Mittelafrifa, während es hydrographiſch entjchieden nad Mittel- 
afrifa gehört. An etwa 800 m Höhe, derjelben, in welcher wohl die tiefiten Stellen ber 
Ngamifenke liegen, geht man über eine jo flahe Waſſerſcheide, daß zeitweilig Bifurkationen 
möglid find, bis zum Zufammenfluffe des Tſchobi mit dem Zambefi oberhalb der Bictoria- 
fälle, die in ca. 475 m Höhe gelegen find. Bon bier langſam fteigend, gelangt man auf 
das Quellenplateau, auf welchem die nad) entgegengefegten Himmelsrichtungen ftrömenden 
Zuflüffe des Zambeſi und Kongo dur eine unmerflihe MWafferfcheide mehr verbunden 
als getrennt werben. Im Weiten fteigt das Mittelgebirge von Benguela aus dieſer 
Hochebene auf, während im Oſten das den Sübrand des Bangmweolojeed umgürtende 
Babijagebirge ald Ausläufer des oftafrifanischen Hoclandes feine Nordgrenze bildet. In 
den öſtlichſten Teil dieſes Hochlandes ift wie eine tiefe und jchmale Bucht das Thal des 
Nyafjafees (460-550 m) eingejhnitten, beffen Oftrand ein ſchmaler Gebirgsitreifen, das 
Livingftonegebirge, bildet, der fi) ganz allmählich nad) der breiten Tieflandfüfte von 
Moſambik abdacht. Der Zambefi jelbit aber mündet durch eine ſchmale Lücke, die dieſes 
mittelafrifanifche Oftgebirge von dem ſüdafrikaniſchen und Ipeziell dem Gebirge des Mata- 
belelandes trennt. So haben wir alfo hier am Südrande Mittelafrifas eine zentrale, flache 
Vertiefung im Hochlande (nad Livingjtone ein altes Seebeden), aus welcher legteres, 
leicht anjteigend, fih zu dem 12—1500 m Hohen Zambefi : Kongowafjeriheidenplateau 
erhebt, dem wie Edpfeiler Gebirge im Oſten und Weſten aufgejegt find, und in welches 
die zwei großen Thäler dieſes Syitemes, das des Zambeji und des Nyafja-Scire, ſchmal 
eingeſchnitten find. 

Der Zambeſi hat feine weſtlichſten Urjprünge im Moffambagebirge, feine öftlichiten 
am Nordoſtrande des Nyaſſaſees. Ungefähr unter dem 12.9 jüdlicher Breite zieht eine 
Linie am Südrande des Babifagebirges und über das innerafrifanifhe Quellenplateau 
von den einen zu den andern: die nördliche Wafferfcheide; die ſüdliche läuft viel näher 


Seen und Sümpfe. 361 


am Strome, der in der That alle bedeutenden Zuflüſſe von Weſten und Norden her erhält 
und darum in Wahrheit ein innerafrikaniſcher Strom genannt werden muß. Dem 
Neifenden, der von Süden her den Kontinent durchmißt, erfcheint der Zambefi überhaupt 
auch als der erite Strom, ber diefen Namen verdient. Livingitone, welder am Ende 
ber Trodenzeit aus dem Tſchobi in den Liambei einfuhr, Hatte den Eindrud, daß jeder 
Arm des Zambeſi mindeftens fünfmal foviel Waffer al3 der Oranje habe, und man findet 
es begreiflich, daß er geneigt war, dem Gebiete diejes eriten großen Stromes eine gewaltige 
Ausdehnung nah Norden zu geben und jelbft den durch Zanzibar-Araber erfundeten 
„Luapula famt feinen Seen Tanganjenfa und Kalagwe“ in diejes Syftem mit einzufchließen. 
Entjprehend den jüdhemifphärifchen Regenzeiten, hat der Zambeſi eine große Anjchwellung 
in den Monaten, die unferm Frühlinge entipreden. Dem Gange der Sonne folgend, 
fallen im DOftober und November Negen in feinem Hauptzuflußgebiete, dann folgt eine 
kurze trockne Zeit, und bei der Rückkehr der Sonne gegen den Aquator fallen die Haupt: 
regen vom Februar bis April. Die im Herbite gefättigten „Quellwiejen“ verwandeln ſich 
dann in große Seen und Sümpfe, und das Land oberhalb der Victoriafälle erfährt eine 
Überfhwemmung, welche feiner Fruchtbarkeit nicht minder notwendig ift als die Nilflut 
der Ägyptens. Am untern Zambefi tritt diefe Überfhwenmung nicht mehr mit derfelben 
Regelmäßigkeit auf, da lofale Fluten ſich dazwiſchenſchieben. Aber man darf wohl glauben, 
daß, wenn von jener Durhbruchsitelle an der Zambeſi ſüdwärts flöffe, fein Thal in Süd— 
afrifa gerade jo regelmäßige Überfhwemmungen erfahren würde wie das untere Nilthal. 

Indem der Zambefi ein im ganzen von Welten nad) Often fließender Strom ift, laſſen 
fih an ihm drei Zuflußgebiete unterfcheiden. Das weftlichfte umfaßt das Quellgebiet 
in den Moffambabergen, dem zwei Hauptzuflüffe: Quando (Tſchobi) und Lungo, entjpringen. 
Das zweite ift das Plateau der Quellwiefen und Quellfümpfe, auf weldem die verwifchte 
Waſſerſcheide zwiſchen Zambefi und Kongo gelegen ift. Bon hier kommen im Weiten der 
Liba, dann Madihila, Kafue und im Often der Laangwa. Das dritte wird durch den 
Nyafja mit feinem Abfluffe Schire gebildet. Das erite it ein quellenreiches Gebirgsland 
wie manches andre, das zweite aber ijt ein jehr eigenartiges und geographiſch wie ethno— 
graphiſch beſonders wichtiges Gebiet, welches bejondere Beachtung verdient. Es ift das 
feudhteite Land Afrikas. Die Flüffe verdanken hier ihren Urfprung ausgedehnten 
Sümpfen ftatt Quellen. Die Ebenen von Lovale geben einer großen Menge von Flüffen 
Urjprung, die nad ihrer Vereinigung den nie leeren Tſchobe bilden, und jo entfpringen in 
ähnlichen ausgedehnten Flächen der Loeti und Kaſai. Auf der Waflerfcheide zwifchen den 
Zambefi: und Kongozuflüffen gibt es Thäler, wo in verfchiebeniten Höhen Quellen durch— 
fidern, die mit Gras mattenartig bewachſen jind und das Anjehen von Torfwieſen haben. 
Langſam riefeln fie dem Fluſſe zu und find fo zahlreih an beiden Thalwänden, daß fie 
der Landſchaft den Charakter einer Shwammartigen Durchfeuchtung geben. Stellenweiſe 
jammelt ſich das durchſickernde Waller auch in flachen, ſeichten Seen, und dahin gehört 
jener merkwürdige, in 11’/s° ſüdlicher Breite 1445 m hod) (nad) Livingjtone) gelegene 
Dilolofee, welcher angeblich norbwärts zum Kaſai-Kongo, ſüdwärts zum Liba: Zambefi 
abfließt. Neben ihm gibt es in der Regenzeit endlofe temporäre Seen, anjcheinend ſtag— 
nierend, in Wirklichfeit unmerklich abfließend oder durdhfidernd. Taujende von Quadrat: 
meilen find zeitweilig in diefem Zuftande, ber dem Verfehre und der Bewohnbarkeit enge 
Schranken zieht. Auh Pogge fand weitlih von Mufjumba, zwifchen Kafai und Luwi— 
ranfi, zur Regenzeit eine Ebene, die „einer Waſſerpfütze gli, aus der nur einzelne große 
und kleine erhöhte Stellen gleihjam als Inſeln fich erheben”. Auf ſolchen trodnen Stellen 
befinden fi einem Hünengrabe an Höhe nicht nadhitehende Termitenhaufen, bie mit hohem 
Graſe bewachſen find, während das Gras in der Ebene furz bleibt. Und Livingitone 


362 Die innerafrifanifhe Fluß: und Sumpfhodhebene. 


nennt die öftlihen Teile diefes amphibifhen Landes ein Gebiet von großartiger, aber 
ermübender Ginförmigfeit, welches gleichzeitig aufs äußerfte unmirtlich ift. „Man fieht‘, 
ihreibt er in feinem „Letzten Tagebuche“, „endlofe Prärien mit Waldjtreifen dazwiichen 
und jenjeit3 wieder Prärie. Die Prärie oder Buga wird alljährlich überſchwemmt, aber 
ihre Vegetation befteht aus Gras, das im Trodnen gewachſen ift. Vom See erftreden fich 
überſchwemmte Prärien 40 engl. Meilen weit, und diefe erfennt man an zahlreichen Waffer: 
pflanzen, wie Lotus, Arum, Papyrus, Binfen verfhiedener Arten, und unter dem Waffer 
wachſenden, welde nur ihre Blüten an die Sonne heben und dann wieder finken. Fiſch— 
brut fieht man ſchwärmen und in diefem Blättergebüfche umherſchießen.“ 





Pjahlbauten im Morjafee (nah Gameron) Bel Tert, ©. 363. 


Nahdem Pogges und Wißmanns Forfhungen den fabelhaften Sankurrujee, der 
in ber Phantafie mancher Afrikaforfcher die Dimenfionen eines Fleinen Binnenmeeres 
anzunehmen drohte, auf einen nicht bedeutenden Südzufluß des Kongo reduziert haben, 
ift der füdlichfte in der Kette der Zualabafeen, ber Bangmweolo, welder nad) dem Tanganifa 
zugleich der ausgedehnteite derjelben ift, der größte und zugleich harafteriftifchite See dieſer 
Region. Es ift dies ein jeichtes Waſſer von höchſt veränderlichem Wafferjtande, deſſen Größe 
infolgedeffen nicht jcharf zu beitimmen ift. Die Karte feines erjten und bis jegt einzigen 
Erforſchers, Livingftone, ftellt ihn etwa 200 deutſche OMeilen umfafjend dar. Aber 
Livingſtone fagt felbft von ihm: „Das ganze Land füdlih vom See war mit Waſſer 
bededt, und diejes war dick befäet mit Xotosblättern und Binfen. Das Ganze hat einen grün: 
lihen Schimmer, und es möchte ſich empfehlen, auf der Karte die jährlich überſchwemmten 


Klima und Pflanzenwelt. 363 


Striche durch ein breites, welliges Band zu bezeichnen, welches 20, 30, ſelbſt 40 engl. 
Meilen von ben feiten Ufern des Sees fi) hinauszieht; man könnte bies grün darftellen. 
Die breiten Mündungstrihter von 50 und mehr engliihen Meilen, in welche die ein: 
mündenden Flüffe fih ausbreiten, könnte man blau anzeichnen, aber es ift gegenwärtig 
unmöglid, zu jagen, wo das Land aufhört und der See beginnt; alles ift Wafjer, Waffer 
an allen Enden, deſſen raſcher Abfluß durch das enge Bett des Luapula erfchwert zu werden 
ſcheint.“ Daß man es mit Überſchwemmungen zu thun bat, zeigt deutlich der Graswuchs 
der „Buga” oder Prärien, welcher auf trodnem Boden gewachſen ift. Bloß wenige höher 
gelegene Streden find bewaldet. Die Karawane mit Livingftones Leiche fand den 
Luapula bei Chifalamalamas Dorfe jo breit, daß man feinen Menſchen am entgegen: 
gejegten Ufer jehen Eonnte; man hörte den Schall einer Flinte, nicht aber den Ruf eines 
Menjchen. Mit Ruder und Stoßitange brauchten fie zwei Stunden, um ihn zu über: 
ſchreiten. Allerdingd war Dies zur Regenzeit, aber die Regenzeit ift jährlich gleich aus: 
giebig. Dies it fo recht das Land der Pjahlbauten (j. Abbildung, ©. 362). 

Das Klima diefer Region bezeichnen die Regenzeiten, welche entfernter vom Äquator 
mit dem zweimaligen Zenithſtande der Sonne bei ihrer Wanderung vom Äquator zum füd: 
lihen Wendekreiſe und zurüd im Oftober bis November und im Februar bis Mai eintreten, 
im eigentlihen Zambejithale jedoch in eine zufammenfließen. „Hier (im Bambefithale) 
beginnt die Negenzeit im November mit ſchwülen, verfengenden Winden, welche an die Stelle 
der bis dahin vorwaltenden Nordoft: und Oftwinde treten; ihnen folgen Strichregen und 
Gemwitterjtürme, nach welchen bie ‚Landregen‘ der eigentlichen Regenzeit folgen: November, 
Dezember und ein Teil des Januars waren äußerft naß, es fielen manchmal 120—200 mm 
in wenigen Stunden, und dabei blieb der Himmel jo wällerig und grau wie möglich 
und das Tageslicht fo grau und büfter wie die Abendbämmerung.” (Chapman.) Sn 
der legten Hälfte des YJanuars und im Februar geht die Regenzeit in eine Gewitterperiode 
über. Die Hauptmafle diefer Negen und Gewitter fommt aus Norboften. Am Abſchluſſe 
diefer Zeit it das Land ein einziger Sumpf, der von Fröſchen und Moskitos ſchwärmt. 
Die Negenzeit ift zugleich auch die fühlere Zeit, in welcher die vorher bis auf 42° E. 
geftiegene Lufttemperatur oft nicht viel über 20° ſchwankt und um Sonnenaufgang noch tief 
unter diefe Zahl finkt. Hebt jich mit herannahender Trodenzeit die Wärme wieder, dann iſt 
erit noch Wochen hindurch der Horizont durch Rauch verdunfelt; denn überall in Aquatorial: 
afrifa, wo der Aderbau heimisch, ilt das Auftreten des Nauches von den Präriebränden, 
welcher oft Monate hindurch die Luft erfüllt, eins ber Zeichen herannahender Trodenzeit. 

Sn der Pflanzenwelt macht fich beim Übergange aus Südafrika der größere Reich— 
tum an frudhttragenden Gewächſen jofort fühlbar; befonders deutlich tritt er zwiſchen 
Ngami und Zambefi hervor. Schon in der ganzen Seeregion ijt die Morotonogu, eine 
pflaumenähnliche Frucht, häufig und trägt wejentlich zur Ernährung ber Bevölkerung bei. 
Auch die früher genannten Beeren der Kalahari find aus demjelben Grunde wichtig. Am 
Botletlie wählt ein Baum mit Früchten, die der Loquat des Kaps durchaus ähnlich find; 
ferner gibt es bier wilde Mijpeln. Eine ananas- (oder anonen?) förmige, fantenreiche, 
goldgelbe Frucht, welche auf einem niedrigen Strauche wählt, groß wie ein Apfel und 
noch aromatifcher und faftiger als Ananas, preiſt Chapman als bie „Fürftin‘ aller wilden 
Früchte. Die Eingebornen nennen fie Bododo und Fochen fie auch in unreifem Zuftande, 
Eine andre Frucht von Dattelgröße und in trocknem Zuftande auch der Dattel ähnlich 
heißt Schefha und wird in großen Mengen für den Winter aufgejpeichert; fie wächſt auf 
einem niedrigen, lidhten Etraude. Ein von den Betichuanen Mopura und den Buſch— 
männern Taa genannter Baum trägt zitronengroße, fäuerlihe Früchte mit einem großen 
Kerne in der Mitte, aus deren Safte die Eingebornen ein beraufchendes Getränf bereiten. 


364 Die innerafrilanifhe Fluß: und Sumpfhochebene. 


Wenn die Fifche felten find, tauchen die Bayeye am Ngami nad) nahrhaften Wurzeln von 
Waſſerpflanzen, unter welden ein Lotus die erfte Stelle einnimmt; von ihm werden Wurzel, 
Blatt, Blüte und Same gegeffen, und zwar bildet diefe Pflanze in Hungerzeiten das Haupt: 
nahrungsmittel der Bayeye. Auch die Wurzeln von mehreren Binfenarten, werden von 
ihnen genoffen. An den bürren Stellen fommen alle die mannigfaltigen Nußpflanzen 
der Steppe noch vor: Melonen: und Gurfenarten, die verſchiedenen Anollen und Beeren. 
Einige Pflanzen, deren Saft den Bufhmännern beim Bergiften ihrer ‘Pfeile dient, dann 
eine Minzenart und eine wohlriechende Zwiebel, mit welcher fich die Weiber der Bujch- 
männer und andrer wahrhaft leidenſchaftlich parfümieren, mögen außerdem genannt jein. 
Auch kann hervorgehoben werden, daß die Gewächſe des um den Ngami jo verbreiteten 
Salzbodens von befonderm Nährwerte für die MWiederfäuer find: daher der gewaltige 
Reichtum aller Arten von Säugetieren in biejer Gegend und die gerühmte Schönheit der 
Herden der Bamangmwato. 

Andre Fruchtgewächſe ftellen fi weiter nad) Norden zu ein. In den Thälern ber 
Sidzuflüffe des mittleren Zambefi find zwei Bäume mit feigenartigen Früchten heimijch, 
der eine, Motfefere genannt, mit Büſcheln von Früchten, deren jede 4—5 Nüffe enthält, 
der andre ähnlich, aber größer. Ein anbrer Baum, Mpemela, liefert ölreihe Samen, deren 
DL ausgepreßt wird, Die Murutongue des Ngami fommt in zwei Arten vor, wovon die 
eine gleichfalls Ol gibt. Yon einer Bauhinia (Motjebe) wird die Haut der ſcharlachroten 
Bohnen gegeffen. Auch wachſen hier verfchiedene Gräfer mit eßbaren Körnern; Chapman 
erwähnt ihrer drei, wovon das die genießbarften Früchte tragende von den Buſchmännern 
Toda genannt wird, während die andern Schonda und Manga heißen. Eine friechende 
Pflanze, Morama, trägt Bohnen, welche, Tamani genannt, in geröftetem Zuftande gegeſſen 
werben; auch ihre yamähnlide Wurzel ift eßbar. Eine friehende Winde hat eine jaftige, 
eßbare Wurzel. Von einer Kufurbitacee werden das Kraut als Spinat und die Wurzel, 
Madadi, gegeffen. Ombufa ift eine andre fpinatähnliche Pflanze. Eine Wurzel, Ndamba, 
welche zum Vergiften der Fijche dient, ftammt von einer Pflanze, deren bohnenartige Früchte 
genoffen werden. Beeren und andre Feine Früchte find in Mannigfaltigfeit zu finden. 
Der Straud Bulufhadamulu (Familie der Matangula) trägt eine föftlihe Frucht. Nkwedzi 
iſt eine Shmadhafte, dunkel purpurfarbene Beere; Petawalie eine ranfende Eierpflanze mit 
eßbaren Früchten. Zwei Arten von Weinreben umfchlingen die Bäume, eine mit fchwarzen, 
die andre mit bellroten Trauben, beide unſern Weintrauben in Geftalt und Geihmad 
ähnlich. Eine fühjaure Beere, von den Bujchmännern Tihumfau genannt, wächſt auf 
fandigen Hügeln und wird von den Elefanten nicht minder gefucht als von den Menſchen. 
Andre wilde Früchte find Tlofeja, Egumi und Moretloa. Sogar das Holz einer dreilappigen 
Sterculia wird in Notfällen gefaut. Eine Indigoart ift gleichfalls in diefen Gegenden bei: 
mid. Die Erdnuß (Arachis hypogaea; j. Abbildung, S. 365) ift allgemein verbreitet. 

In der Tierwelt herriht ein gewaltiger Unterſchied zwiſchen ben öftliden 
und weitlihen Teilen biejes Gebietes. Dort der ganze Reichtum des äquatorial— 
und ſüdafrikaniſchen Tierlebens zufammengefaßt, hier eine Armut, welche ſelbſt Mäuſe 
zu Lederbijjen werden läßt. Die Grenze zwijchen beiden fann wohl am ficheriten in das 
obere Zambefigebiet verlegt werden, denn der mittlere Zambeſi ift noch eins der mild: 
reichiten Gebiete; Livingitone trat in das Gebiet der Mäufeefjer erſt in den weftlichiten 
Teilen des Marutjereiches ein. In dem raubtierreihen mittlern Zambefigebiete gibt es 
viele Pfahldörfer, die zum Schuge gegen Löwen und Leoparden und zum Verſcheuchen der 
Elefanten aus den umgebenden Feldern errichtet find. Wir werden im folgenden jehen, welche 
Rolle die Jagd im Leben der Zambefibewohner fpielt, und wie erjtaunlich groß noch die 
eriten Europäer, die hier eindrangen, den Elfenbeinreihtum fanden. Die Fauna ift dabei 


Nuppflangen. Tierwelt, 365 


wejentlich diejelbe wie im Hochlande Dftafrifas. Gleichzeitig ift die Viehzucht hier ent: 
widelter al3 im Weiten. Die Kochkunſt hat mit diefem Tierreihtume Schritt gehalten. 
Chapman gibt folgende Schilderung von der Verwertung der Zagdbeute bei den Batoka 
am mittlern Zambefi: „Sie laffen nichts zu Grunde gehen. Haut, Eingeweide, alles wird 
gegefien, und die Knochen werden abgejchabt und gekocht. Das Blut wird forgfältig geſam— 
melt und in die Därme gefüllt, welche wie große Würfte-an den Bäumen hängen; nad): 
dem es gekocht ijt, wird 
e3 in Frümeligem Zuftande 
aufbewahrt und hält ſich 
lange Zeit. So oft fie 
Fleiſch kochen, fügen fie 
eine Handvoll dieſer Kru— 
men binzu, welche bie 
Suppe jtärfer machen. 
Das Fett, geihmolzen oder 
von der Brühe abgejchöpft, 
wird mit Fleiſchſtücken 
ausgetunft, wobei vier 
Finger tief eingetaucht und 
bei jedem Mundvoll rein 
geledt werben. Auf dem 
Marſche geht das Kochen 
in der Reihe herum, und 
die andern laden fich bei 
dem Koche und Wirte ein, 
der nicht eher etwas be: 
rührt, als bis er allen 
ausgeteilt hat. Bei der 
Schwerfälligfeit ihres Zäh— 
lens und Rechnens fommt 
e3 dabei häufig vor, daf 
fie einander betrügen.” A ; V 
Senfeit der Zam: N 4 
befimajjerfheide und Die Erdnuß (Arachis hypogaea), eine Hauptnahrungspflanze der Zentrals und 


ca R Weſtafrilaner. a Hülfe mit reifen Fruchten; b aufgefhnittene reife Frucht; c Hülſe 
J Ar gr von Voandzeia subterranen. Pol. Tert, ©. 364. 


welt viel ärmer als auf der Südoſtſeite des äquatorialen Afrika. Die großen 
Säugetiere fehlen faſt ganz, nur die weit wandernden Elefanten und die Nilpferde ericheinen 
da und dort; Nashörner fehlen, von Giraffen:, Zebra: oder Antilopenherden ijt Feine Nede, 
große Naubtiere find entjprechend jelten. Bei Muffumba ſchon find die Stämme auf eine viel 
weniger tierifche Nahrung angewiejen. Zugleid wird auch), jei e8 wegen des Vorfommens 
der Tjetjefliege oder aus irgend einem andern Grunde, die Viehzucht hier nur in geringem 
Maße oder gar nicht betrieben. So find denn Maniof und Lotſa hier die Hauptnahrungs: 
mittel, welche nicht bloß Überfüllung de3 Magens und Sodbrennen, fondern, ähnlich wie 
die vorwiegend jtärfemehlhaltige Koft bei den Tieren, Kurzfichtigfeit erzeugen jollen. Die 
ölhaltigen Erdnüſſe (ſ. obenjtehende Abbildung) helfen das Gleichgewicht einigermaßen auf: 
recht erhalten. Fleisch gilt bei einigen Stämmen nur als Würze. Am Lotembwa, einem 
Nebenfluffe des Limba, fand Livingftone einen Zweig der Balunda, welcher Büffelfleiich 





366 Die Zambefiftämme, 


nur in ftarf angegangenem Zujtande „als Sauce zu dem gefhmadlojen Maniok“ genießt. 
Dod wird dabei zu gewilfen Jahreszeiten eine Menge Fiſche in dem nahen Dilolofee 
gefangen, und an Wafferhühnern ift dort ebenfalls fein Mangel. Ein andrer Zweig diejes 
Stammes, füblih von Kabango an einem linken Nebenfluffe des Kaſai wohnend, weigerte 
ih Livingftone gegenüber, ein Stüd eines Nindes zu nehmen, weil e8 ein Haustier fei. 
Den wahren Grund verrieten aber andre Stänme diejer Gegend, welche die Viehzucht ver: 
ſchmähen, weil nad ihrer Meinung Rinder Feinde und Krieg ins Land bringen. Dabei 
beſchäftigt fich jedoch ein nicht geringer Teil der Bevölferung des Lundalandes mit dem 
Fange von Spring: und Mühlmäufen. Meilenweit wandert man zwilchen Maulwurfs: 
fallen, welche alle 20—30 Schritt am Wege aufgejtellt find. Auch dem Kange Fleiner Vögel 
wird mit Eifer obgelegen. Jedes Tier wird gefangen und gegejlen. Das einzige häufig 
anzutreffende Haustier ift das Huhn; jelbit dag Schwein ift jelten. Dagegen wird Die 
Gewinnung bes Honigs, befonders auch zum Zwecke der Honigbierbereitung, eifrig betrieben. 
Am mittlern Zambefi benutzen die Mafalala den Honig von vier verfchiedenen Bienen, unter 
welchen jedoch nur eine die echte, mit einem Stachel bewaffnete Honigbiene it. Daraus geht 
weiter die nach Weſten und dem Kongo zu fogar für den Erport bebeutende Mengen von 
Wachs erübrigende Bienenzucht hervor. Es ift intereffant, den Übergang zu beobachten. 
Wilde Bienenftöde werden oft jo regelmäßig entleert, ohne zerftört zu werben, daß daraus 
eine primitive Bienenzucht entjteht. Chapman jah im Ngamigebiete einen Bienenjtod 
12 mhoch in einem Baobab, an welchem Pflöde flatt einer Leiter hinaufführten. Es waren 
alte Pflöde vorhanden, die dieſer wilden Zucht ein Alter von vielen Jahren zuwieſen. End: 
lid) mögen die Werke der Termiten nicht vergeilen werden, denn gerade auf den oft tafel- 
artig flachen Hochebenen Innerafrifas find die Hügel der Ameifen, von welchen Cameron 
einen von 6 m Höhe bejchreibt, von Bedeutung. Die Fruchtbarkeit ihrer Erde bietet auf 
weiten Streden den einzigen Anlaß zum Aderbaue in diefen ſonſt öden Striden. Sehr oft 
entwideln fi Heine Gruppen von wilden Dattelbäumen auf ihnen, deren Früchte die 
Eingebornen genießen. Ebenjo wachſen auf ihnen die großen, weißen Pilze, welche von 
den Balunda mit Behagen roh gegeſſen werben. 


15. Die Zambeſiſtümme. 


Auch der Menſch ift in diefen Gebieten höher entwidelt ala die Bewohnert der Gebiete 
füdlih vom Zambeſi.“ Holub. 


Inhalt: Unterfchiede zwifhen Süd- und Innerafrilanern. Gefchichtliche Stellung der Zambefiregion. — 
Die Übergangsdvölfer Makalaka und Bafhapatani. Die Bayeye. — Das Marutfe-Mabunda: 
reich: Die Völler. Der König. Tribut und Steuern. Gottedurteile. Cine Hinrihtung, Der König 
ald Erzzauberer. Aberglaube. Beerdigung. Grabdenfmäler. Belleivung. Geräte und Waffen, Mufik, 
Die Marimba. Der Kiſchitanz. Baukunft. Aderbau. Lebensmittelpreife. Fifchfang und Jagd. Kro— 
fodilfang. Ernährung. — Die Batoka: Ihre Sitten und Gebräude. Ihre Zeriplitterung durd die 
Makololo. — Die Ganguella. — Übergang zu den Weſtoöllern. — Die Luchaze. — Die Ambuella: 
Geringe Viehzucht. Eifeninduftrie, 


So wie der Zambeſi im allgemeinen als die Grenze des gemäßigten und tropifchen 
Südafrika bezeihnet werden kann, darf man ihn auch in der untern Hälfte feines Laufes 
als die Scheidelinie zwiſchen jüdafrifanijhen und innerafrilaniihen Völkern 
anfprechen. Soviel auch ſchon zwifchen Nord: und Südbetſchuanen Berjchiedenheiten ob— 
walten mögen, fo eigenartig die Sübdojtfaffern ung entgegentreten, e8 bleibt, auch wenn wir 


Unterfchiebe zwifhen Süb- und Bentralafrifanern. 367 


von den hellen Südafrifanern abjehen, für die übrigen Südafrifaner eine große Summe von 
Gemeinjamfeiten übrig, die fie den Menfchen des ganzen äquatorialen Afrifa gegenüberftellen. 
Inwiefern Zuluftämme eine Brüde bilden, werden wir fehen; fie thun das jedenfall nur 
auf bejchränftem Gebiete und immer mit denfelben räuberifchen und viehzüchtenden Noma— 
den, welche, ob fie als Yao, Mazitu, Maviti oder unter welchem Namen immer auftreten, 
unverändert das gleiche Volk vom Zulutypus find. Diefe Thatſache erfchüttert nicht die 
Regel, dab Süd- und Aquatorialafrifaner wohl aus demfelben Stamme, aber doch in 
wichtigen Dingen auseinander gehende Sprofle find. Manches bedingen die verfchiedenen 
äußern Verhältniffe. Der Aderbau verdrängt ganz von ſelbſt im weitaus größten Teile 
von Innerafrifa die Viehzucht, welcher die Tjetfefliege vielleicht nod) entſchiedenere Schranken 
jet al3 das Klima. Welcher Unterfchied zwifchen einem Kaffernfüriten, deſſen höchſte Auf: 
gabe e3 ift, die Rinderherden von Zehntaufenden zu beauffichtigen und zufammenzubalten, 
und einem Muata Jamvo, der mühfelig, wie Koftbarkeiten, ein paar von Europäern 
geſchenkte Rinder pflegen läßt! Welcher Unterfchied der Lebensweife zwifchen den Bamang- 
wato füblih vom Zambeſi, die zur Hälfte von Milch leben, und den Manganja nördlich 
davon, welde Milch überhaupt nicht genießen! Indeſſen ijt dies nur erit Ein Zug. Das 
wärmere Klima und ber im allgemeinen fruchtbarere Boden ſchaffen zuſammen günitigere 
Bedingungen für den Aderbau, welcher Baumwolle, tropifche Früchte, im Oſten auch ſchon 
Reis erzeugt, wiewohl die oft genannten Hirjearten die Hauptfrucht auch hier wie im 
Süden und weit nad) Norden bilden. In allen Hantierungen, welche mit Kahnfahrt und 
Fifcherei zufammenhängen, ift die Überlegenheit der Zentralafrikaner über ihre ſüdlich 
vom Zambeſi lebenden Brüder, welche ſich ja fait durhaus durch Waſſerſcheu auszeichnen, 
unbejtreitbar. Aber fie find auch faft in allen Hantierungen, die man als Gewerbe 
zufammenfaflen könnte, weiter vorgejchritten, wozu wohl ihre frieblichern Neigungen das 
ihre beitragen mögen; einiges von diefer Überlegenheit mag auch auf die an Hilfsquellen 
jeder Art reichere Natur zurüdzuführen fein, aber am wirkſamſten ift darin doch wohl die 
größere Ungejtörtheit diefer bisher von allen friedlichen und gewaltjamen Kulturanftößen 
verhältnismäßig entfernten Kulturen gewejen. Man wird beim Anblide ihrer Blüte unwill: 
fürlih auf Reflerionen geführt, wie wir fie mit Bezug auf die noch höhere Kultur andrer 
Innerafrifaner ausſprachen (S. 32). 

Auch in manden Einzelheiten zeigen ſich beacdhtenswerte Unterſchiede, die teilmweife 
nicht in den eben genannten Umſtänden wurzeln. So find in der Bewaffnung Bogen und 
Speer ausfhlaggebend. Kleine Wurffeulen (Kirris) nehmen durh Schnigerei mannig- 
fachere Geitalt an. Daneben gibt es auch Wurfpfeile, welde am untern Ende mit Lehm— 
fugeln bejchwert find, wogegen der bei Betichuanen und Zulu fo hervortretende Schild 
meiſt fehlt. Unter den Bauten treten zuerft hier die rechtedigen, von der typiichen Kegel: 
form Afrifas abweichenden Hütten auf, und im allgemeinen find dieſe Völfer, unterjtügt 
von vortrefflihen Materiale, im Bauen geſchickter und jchneller als die Südafrifaner. Aus 
der Mannigfaltigfeit der Geräte feien die jo fehr verfchiedenen Muſikinſtrumente hervorgeho— 
ben. Marimba (f. Abbildung, S. 368) und Doppelgloden fommen hier zum erftenmal vor. 

Als Livingftone in diefes Gebiet als der erite Europäer eindrang, lag zwar durch 
die noch frifehe Eroberung desjelben feitens der Mafololo die Kulturgrenze nad Norden 
verjchoben; allein es war diejelbe, die wir heute am Zambefi wahrnehmen. Aus feinen 
Schilderungen geht hervor, daß er im Lundalande, alfo bei den Balunda, die wichtigjte 
Völkergrenze überſchritt, welche alle feine Reifen ihn kennen lehrten. Die Ausdrüde des 
Erjtaunens über das viele Neue, welches er, von den Kaffernftämmen fommend, hier im 
Norden wahrnahm, wiederholen ſich auf feiner Reife durch diejes Land fait auf jeder Seite 
feiner Berihte. Schon im Körperbaue diefer Stämme fiel ihm ein viel ausgeprägterer 


368 Die Zambefiftämme. 


Negerhharakter auf, als er ihn bisher gefunden hatte. „Die Balunda“, jagte er, „find 
echte Neger, welche an Kopf und Körper viel mehr Wolle haben als die Betfchuanen: oder 
Kaffernftämme. Sie find im allgemeinen von jehr dunkler Farbe, aber einige findet man, 
welche lichter find. Won bier ftammt eine große Zahl der Sklaven, welche nad) Brafilien 
gebracht worden find. Aber, fügt er bedeutfam hinzu (und wir betonen gerade bieje 
Beobachtung, weil fie der falſchen Annahme einer beträgtlichen körperlichen Verſchiedenheit 
zwijchen Kaffern im engern Sinne und nördlichern Negern widerſpricht), „wenn diefelben 
auch eine allgemeine Ähnlichkeit mit dem typiſchen Neger haben, konnte ich doch nicht 
finden, daß unfer idealer Neger der richtige Typus jei. Ein guter Teil der Balunda hat 
allerdings einen etwas nad hinten und oben verlängerten Schädel, dide Lippen, platte Nafe, 





Eine Marimba (Christy Collection in London). Vgl. Tert, ©. 367, 


verlängerte Ferjenbeine 2c.; aber es gibt auch manche anjehnliche, wohlgebildete Köpfe und 
Geftalten unter ihnen.” Im folgenden Kapitel bezeichnet er fie wie die Barutje aud 
darum als echte Neger, weil fie ihren geftorbenen Häuptlingen Menſchenopfer bringen. 
Nicht minder befremdet ihn Ungewohntes in den Sitten und Anfchauungen, dem er weiter 
im Süden nit begegnet war. Einen Aberglauben, wie ihn z. B. die Begleiter der Fürftin 
Manenko zeigten, mit welchen er reifte, hatte er bei Kaffern und Betſchuanen nie gefunden. 
Wenig füdlic vom 12. Vreitengrade fand Livingitone in den Urwäldern am Liba, nabe 
bei Dörfern, Gößenbilder, meijt Tiere vorftellend, zu welchen die Eingebornen beten, wenn fie 
fein Glüd auf der Jagd oder in andern Unternehmungen haben follten. „Auch bei unfern 
Gottesdienften”, jagt Livingftone, „benahmen fie fi voll Achtung. Es erfcheint dies nicht 
unbedeutend, wenn man fich des faft gänzlihen Mangels der Gebete und Frömmigfeit erinnert, 
den wir im Süden (db. h. bei den Betſchuanen) fanden.” In der großen Verfammlung, in 
welcher der Häuptling Schinte Livingftone empfing, bemerkte diefer zum erftenmal die An- 
wejenbeit zahlreicher Weiber, die im Süden niemals die „Kotla“ betreten dürfen. Auch jelbit 
zum chriſtlichen Gottesdienfte kamen diejelben dort nur, wenn fie vom Häuptlinge eingeladen 


Ethnographiſche und geihichtlihe Stellung, 369 


waren. Hier aber jagen hundert hinter dem Häuptlinge, Hatjchten feinen Neben Beifall, 
lachten andern Rebnern zu und wurden von Schinte öfters angeredet. Ebenfo fand er es 
bei dem weiter wejtlich wohnenden Häuptlinge Katema. Dagegen fand der Reifende hier 
ein Zeremoniell von einer bei den Südvölfern unbekannten Ausbildung, welches mit ſtla— 
viſcher Treue durchgeführt ward; aber jo wie Diefe Neger troß ihrer zahllojen Gößen weniger 
Tugenden haben als ihre fühlihen Nachbarn, fo find die Balunda und nod mehr die 
Balobale bei ihren Zeremonien wenig ernft im Vergleihe zu den Makololo. Auch fand 
Livingitone im Balundalande die erften vieredigen Hütten mit runden Dächern und engere 
und mwinfeligere Dorfitraßen al3 bei den Betjchuanen. 

Nur wenige NReijende haben gleich gründlich die Südſtämme der Afrifaner wie bie 
des Innern jtudieren können, aber feiner von ihnen ſcheint die Jnferiorität der lektern 
in moralifher Beziehung zu bezweifeln. Sie werden als feiger und unzuverläffiger 
geſchildert. Es mag dahingeftellt bleiben, wieviel Davon in der Raſſe und in den grundver: 
ſchiedenen Naturbedingungen liegt; ohne Frage fehlt hier ein zufammenhaltender, diszipli- 
nierender Einfluß einer ftraffern, militärifhen Organifation, wie wir fie bei den Zulu 
und Bafuto finden. Um die damit weſentlich gegebene geſchichtliche Stellung dieſer Völker 
zu fennzeichnen, genügt es, an die Epifode der Makololoherrichaft über das Marutfereich 
zu erinnern, die wir S. 307 zu zeichnen verfucht haben. So wie hier im Zentrum Süd— 
afrifas, jcheint auch weiter drüben im Dften ein von Süden gekommener kriegerifcher Stamm 
die anſäſſigen, minder friegstüchtigen Einwohner mit Leichtigkeit unterworfen zu haben. 
Wenn man derartige Bewegungen in neueſter Zeit ſich fo raſch und leicht hat vollziehen 
jehen, jollten fie früher nicht dagemwejen fein? Nichts fpricht für ihre Neuheit, alles dafür, 
daß aud hier, wie überall in Afrika, die Gefhichte fid) mit ermüdender Einförmigfeit wie: 
derholt. Dem entſpricht der im ganzen doch offenbar jehr geringe Unterſchied im körperlichen 
Weſen dieſer Völker, welcher ohne häufige Vermiſchungen im Hinblide auf die Unterſchiede 
der Lage, der Höhe, des Klimas doch ein beträchtlicher jein müßte. Kulturunterfchiede erhal: 
ten fi, auch wenn fie gering find, viel eher, weil die in geringer Zahl eindringenden Er- 
oberer ſich faſt unabänderlich den in Mafje vorhandenen Unterworfenen anpaffen, während 
die Blutmifchung durch die allgemein übliche Aneignung der Weiber der Eroberten in großen 
Maßſtabe und beitändig fich vollzieht. Daß die Eroberer faft ganz ausſterben, wie die Mao: 
lolo am Zambefi, dürfte jelten vorfommen. Nur zeitweilig ift die Grenze zwifchen Süd- und 
Mittelafrifanern weiter norbwärts verjchoben, und das war eben zur Zeit, als diefelbe 
zum erjtenmal (1855) von einem Europäer überfchritten ward. Seitdem ift fie wieder zurüd: 
gegangen, und heute beginnt Zentralafrita mit Sepopos Neid. 


Sn einigen Völkern der Zambejiregion glaubt man Reſte früherer Invafionen und 
Verſchiebungen zu erfennen, da fie innigere Bermifhung ſüd- und mittelafrifanifcher Sitten 
mit Vorwalten diefer legtern darbieten. Dahin gehören die Makalaka, welche im Ader- 
baue hinter feinem andern Zambefiftamme zurückſtehen und darin ihren frühern Herren, den 
Mafololo, weit überlegen waren. Ihre Viehzucht ift Dagegen nicht bedeutend, zumal einige 
Teile ihres Gebietes ſtark von der Tjetjefliege heimgefucht find. Sie graben und ſchmelzen 
viel Eifen und find gute Schmiede. Die Hauptwaffen find Speere, von welchen fie immer 
vier bis fünf in der Hand tragen, und große Schilde. Ihre Kleidung beiteht teils aus Fellen, 
teild aus einem Zeuge, das fie durch Klopfen und Reiben der Rinde des Baobab erhalten. 
Scharf unterjcheidet fie von ihren öftlihen Nachbarn das Unverfehrtlaffen der Zähne 
und der Mangel der Lippen: oder Nafendurhbohrung. Dagegen fehmieren fie die 
Haut mit Fett ein, und die Weiber jcheren fi) den Kopf bis auf ein müßenartiges Stüd 
am Scheitel kahl. Als Kahnführer find fie ausgezeichnet, und zwar haben fie jchmale, 

4 


Bölterfunde, I, 


370 Die Zambefiftämme, 


ca. 4 m lange und nicht ganz ?/s m breite Kähne aus leichtem, zähem Holze (Molompi 
genannt) im Gebrauche, in welchen fie ftehend rudern. Ihr Hüttenbau war einſtmals wohl 
beſſer als heute, da fie zwiſchen den Matabele und Marutje zeriplittert und verarmt leben 
und zu einem guten Teile nicht befjer daran find als die Buſchmänner. Es it bemerkenswert, 
daß fie felbit in ihrem heutigen demoralifierten Zuftande noch durch Reinlichfeit hervor- 
jtehen: „Für Schwarze find fie reinlich”, jagt Chapman, „Frühmorgens waſchen fie Hände 
und Gefiht und nehmen mittags ein Bad“. Derjelbe Beobadjter jah aus der Art, wie fie 
ihm eine Sclafitätte zurehtmachten, daß fie wie von Reinlichfeit, jo auch von Bequem: 
lichkeit eine befjere Vorjtellung hatten al3 die Betſchuanen. Ihre Grußform it ein feier: 
liches Händeklatſchen, das mit einigen ebenfo feierlihen Worten begleitet wird und etwa 
eine Minute dauert, worauf fie im Litaneientone fi abmwechjelnd vom Neuejten unter: 
richten. Bei Annäherung an Fremde legen fie voll Achtung Speere, Schild und Sandalen 
in einiger Entfernung ab. Ihre Sitten der Brautwerbung und 
Hochzeitsfeier erinnern ſehr an die der Betſchuanen. Auch tei- 
len fie mit legtern die Tierverehrung. Dem ganzen Volke 
der Mafalafa iſt die Meerfage geheiligt, dem Einzelnen ijt es 
diefes oder jenes Tier, das er infolgedejjen nicht berühren darf. 
Sie leiden lieber den empfindlichiten Hunger, als daß fie diejes 
„Bienagejeg“ verlegten. Die Makalaka gehören zu den ehrlich: 
jten Negern; wenn fie unfchuldig einer Dieberei angeklagt wer: 
den, beſchwören fie ihre Unfchuld beim Feuer. Ebenjo weichen 
fie auch darin ſtark von den meijten ihrer Nachbarn ab, daß 
die Männer beim Baue der Hütten und bei der Feldbejtellung 
mehr Arbeit auf fich nehmen als die Frauen. Livingſtone 
jtellt die große Verehrung der Makalakakinder für ihre Mütter 
der geringern Entwidelung diejes Gefühles bei den Makololo 
gegenüber. Von ihren religiöfen Vorftellungen wiſſen wir, daß 
teen * — ſie den erſten Neumond mit Freudengeſchrei empfangen, Bitten 
tata (ethmograppifces Mufeum, und Wünſche an ihn richten, und daß der Tag nach Neumond 
Münden). Val. auch Tert, 5.253 ihr Ruhetag ift. 

und 379. Während diefe Makalaka ihre Wohnfige zu beiden Seiten 
des Zambefi haben, leben füdlich vom Zambefi, in den Bergen um die Mündung des 
QDuaggafluffes, die Splitter eines (von Chapman) Bajhapatani genannten Volkes, 
offenbar eines Zweiges der Makalaka, mit welchen fie das Nafieren des Kopfes, die Be: 
Heidung der Weiber mit Fellen, die Vorliebe für den Aderbau, den faft völligen Mangel 
der Viehzucht, die bejtändige Begleitung der Nede mit Händeflatichen und die Vorliebe 
für Mufik teilen. Auch fie gehen nicht ohne ein Bündel Speere aus der Hütte und tragen 
daneben wohl auch noch eine Streitart mit fih. Indeſſen ahmen fie bereits ihre Nach— 
barn im Ausfeilen der obern Zähne und manchmal im Tragen eines Perlenftabes in der 
Naſenſcheidewand nad). 

Entgegengejegt dieſen nordwärts verjhobenen Südafrifanern, find die Bayeye des 
Ngamiſees offenbar Nejte eines nad) Süden gedrängten oder dort figen gebliebenen und 
heute von Betjchuanen umjchloffenen und beherrichten Volkes, das in manden Dingen 
auch an Hottentotten oder Buſchmänner erinnert. Die Bayeye (auch) Bakoba oder Ma: 
foba) leben am Nord: und Nordojtufer des Ngami und in dem Netzwerke von Flüfjen 
und Kanälen, welches die Zuflüffe des Ngami bilden, bis hinauf gegen den Tſchobi. Den 
Namen Bayeye, welcher Menſchen bedeutet, legen fie fich jelber bei, während die Bezeich- 
nungen Baloba oder Mafoba, d. h. Sklaven oder Diener, von den über fie herrjchenden 





Makalaka. Bafchapatani. Bayeye. 371 


Bamangwato auf fie angewandt werden. Chapman ſchätzte ihre Zahl 1853 auf 200,000. 
Anderſſon vergleicht ihr Außeres nad Bau, Farbe und Ausfehen mit dem der Ovambo, 
Ihre Sprade ift dem Damara ähnlich und ſcheint gleich diefem auch Ähnlichkeiten mit den 
Spraden von Völkern am untern Zambefi zu haben. Einige Schnalzlaute dürften eher 
aus langer Nachbarſchaft der Bayeye mit den Buſchmännern als aus Stammverwandtidaft 
mit denjelben herzuleiten fein. Ihre ganze Stellung inmitten der andern Völfer, die ſich 
um das Seebeden gruppieren, deutet darauf bin, daß fie feit längerer Zeit bier anfällig 
find; denn fie find das eigentlihe See: und Flußvolk, weldes im Schuge feiner 
Sümpfe und Kanäle zu fechten verlernt hat und feinen unfriegerifhen Namen Bakoba 
wohl nicht erſt von den Betſchuanen ſich verdiente, Nach einer bei ihnen beftehenden Sage 
machten fich ihre Vorväter Bogen aus Rizinusftengeln und gaben, als diefe brachen, das 
Bogenmadhen überhaupt auf; Schilde haben fie erit von den Betſchuanen angenommen, 
weshalb fie ihre Unterjohung bloß dem urſprünglichen Mangel diefer Waffe zufchreiben. 
Kleine Speere mit Widerhafen find die einzige Waffe, in deren Gebraud; fie Beicheid willen. 
Livingitone nennt fie die „Quäker Afrikas”. Zu Letichulatebes Zeit war ein Bamang- 
watohäuptling gemillermaßen Statthalter aller Bakoba; legtere zahlten nicht bloß den 
Bamangwato Abgaben, fondern waren ihnen auch zu allen möglichen Frondienjten verbun: 
den und befanden ſich den Häuptlingen ihrer Beherrſcher gegenüber nicht viel beſſer als 
vogelfrei. Eine nördliche Abteilung von ihnen wurde gleichzeitig in ähnlicher Weife von feiten 
der Mafololo ausgebeutet, die auf diefem Gebiete mit den Bamangwato fi begegneten. 

Die Bayeye bauen ſich ftetS an Ufern oder auf Inſeln an, was in diefem Lande fo 
viel heißt als: ihre Wohnungen ftehen einen großen Teil des Jahres im Waller. Ihr 
Körper jcheint aber an die Feuchtigkeit gewöhnt zu fein, denn fie leiden nicht auffallend 
mehr an Strankheiten als andre Völker. Von dem vielen Waten im Waffer find ihre Soh— 
len weiß und weich, jo daß es ihnen große Beſchwerden macht, längere Zeit auf hartem 
Boden zu gehen. Nur ein Teil von ihnen betreibt Aderbau, ber den Weibern überlafjen ijt. 
Um jo geichidter find die Männer in der Führung ihrer Kähne, welche freilich nichtS weiter 
als ausgehöhlte Baumftämme find. Sie leben mehr in ihnen als in ihren Hütten, unter: 
halten fait beitändig Feuer darin und kochen und effen in benfelben. Ebenfo find fie ge- 
ſchickt im Fiſchen, ſei es mit Angeln oder Neufen, fei es mit Neben, bie fie aus Hibiskus— 
fajern ganz nad) europäifcher Art Flechten, während für die Leinen eine Art Flachs, der 
Ife (Sanseviera), ihnen majjenhaft in nächſter Nähe an den Flußufern zur Verfügung 
fteht. Nicht minder geübt find fie im Fiſchſpeeren und (mit der Harpune) als Nilpferbjäger; 
auch graben fie dem zur Tränfe gehenden Wilde fo viele verſteckte Fallen, daß es gefährlich 
it, in der Nähe ihrer Dörfer umbherzugehen. Das Waſſer ſelbſt bietet ihnen in feinen 
Pflanzen eine Fülle von Nahrung: fie effen vom Lotus Wurzel, Stengel, Blätter, Blüten 
und Samen, von einigen Binfen Samen und Wurzel und bejonders bie legtere von der 
Tietla (Juncus serratus), die in Hungerjahren das Hauptnahrungsmittel auch der Be: 
tihuanen bildet. Mit merkwürdiger Kaltblütigfeit tauchen ihre Weiber nad} diefen Wurzeln 
in frofodilreihen Gewäſſern. Die ſchlechten Jahre find für die Bayeye diejenigen, in welchen 
die Gewäller anjchwellen und damit diefe Nahrungsquellen zu tief legen. Bor der Unter: 
werfung unter die Betichuanen follen fie reich an Herden geweſen fein, jetzt befigen fie 
nur noc Ziegen und Hühner. 

Die Hütten der Bayeye find bienenktorbförmig und mit Matten bebedt wie die der 
Hottentotten. Die Männer hatten ſchon in den fünfziger Jahren bie Kleidung der 
Betſchuanen angenommen, während die Weiber den Perlengürtel der Damara und Dvambo 
tragen. Sie üben die Beihneidung gleich ihren Herren. Die Bayeye gehören zu den aber: 
gläubiſchſten und zeremonielliten Völfern. Stüde ihrer Jagd: und Fiſchausbeute (Hörner, 

24* 


372 Die Zambeſiſtämme. 


Knochen, Eidechfen 2c.) hängen fie an einen Baum im Dorfe, unter welchem ein Greis, halb 
Häuptling, halb Priefter, zu figen pflegt, der die Beute und den glüdlihen Jäger ober 
Fischer durch Anfpeien mit Waſſer weiht oder reinigt (Hottentottenfitte, |. S. 96). Angeb- 
lich verehren fie Schlangen und follen um die Riefenfchlange, wo immer fie diefelbe finden, 
fogar einen Zaun bauen; aber Waſſerſchlangen betrachten fie ald Fiſche und effen fie. 


Den formellen Übergang von Süd: nad) Zentralafrika bewerkitelligen wir an der Grenze 
des etwa 5000 DMeilen großen Marutſe-Mabundareiches, deſſen Geſchichte wir bei 
der Schilderung des fo eng mit demfelben verflochtenen Bafutoftammes ber Mafololo bis 
zu der Thronbefteigung Sepopo3 berichtet haben (f. S. 307). Auch Sepopo wurde 1876 
von einem feiner eriten Räte ermordet, der feinen Neffen Manuauino zum Könige machte. 
Diefer jeinerfeits ließ jogleih feinen Befchüger enthaupten, wurbe aber 1878 ſelbſt vertrieben 
und durch einen andern Häuptling, Zoboffi mit Namen, erjegt. Lehterer ift den Nachrich— 
ten zufolge, die feitdem über Bihe nad Europa gelangten, getötet worden, und jein Nach— 
folger joll derjelbe Manuauino fein, den er früher vertrieben hatte. Das Marutje-Mabunda- 
reich ift das erfte der großen innerafrifanifchen Neiche, in die wir bei unferm Übergange 
aus dem gemäßigten in das heiße Afrifa eintreten. Es find das nicht mehr die mili- 
tärifhen Deipotien bes Südoſtens. Wiewohl auch fie auf den Deſpotismus gejtellt 
find, ftüßt fich doch diefer nicht auf ein Volk von geftählten und gedrillten Soldaten, jondern 
zuerft auf die Feigheit und Unterwürfigfeit der Stämme, über die ein Häuptling von 
unficherer Erbfolge die Peitſche und das Beil der Willkürherrſchaft ſchwingt. Die Macht: 
mittel diefer Fürften, welche ſchon am Zambefi die am Kongo wiederkehrenden Namen Mona, 
Muena und ähnliche tragen, find lächerlich gering; aber dafür find ihr Ruf und ihre 
Ansprüche um jo größer, und wie bei den Häuptlingen ber Südkaffern ift auch für fie die 
hohepriefterlihe Rolle des Erzzauberers, Regenmachers, Medizinmadhers ein Element von 
weſentlichem Einfluffe. Daß diejelben nicht auf die Dauer dem naturgemäßen Schidjale der 
innerlid Schwachen entgehen, nämli von ftärkern, weil jüngern, aufftrebenden Mächten 
eingeengt, wenn nicht zerdrüdt zu werden, haben wir in der Folge öfter hervorzuheben. 
Aber da fie feiner gewaltigen Machtmittel bedürfen, erheben fie fich ebenjo raſch, wie fie 
fallen; die Gejhichte der großen Reihe des äquatorialen Afrika hat etwas 
Pilzartiges. Man denfe nur, wie innerlich zufammenhangslos die Bevölkerung diefer 
Staaten iſt, da ja von zufammenjchließender, verfchmelzender Kraft, welche eine Kulturfraft 
fein müßte, hier feine Rede ift. Nah Holub wohnen im Marutfe-Mabundareiche 18 größere 
Stämme, welche fih in 83 Zweig: und Nebenftämme teilen! Die Buntheit ift freilich nicht 
fo groß, wie e3 auf den erften Blick fcheinen möchte, denn es find das faft alles Wölfer 
besjelben Sprachſtammes und, wenn man die wenigen bufchmannartigen Stämme davon 
ausnimmt, derjelben Raffe. Aber jeder Stamm, ob ftark oder ſchwach, kann von heute auf 
morgen der herrichende werden, denn feiner übertrifft den andern wejentlih an Kultur, 
feiner hat an innerer Kraft viel vor dem andern voraus, 

Nichts bezeugt jo jehr den Mangel an innerer, eigner Kraft in diefen Stämmen als die 
Thatjache, daß die jo ephemere Mafololoherrichaft die tiefjten Spuren in Sprade und Sitte 
der Negierten hinterlaffen hat. Seitdem ift das Sifuto, die Sprache der Bafuto-Betjchua- 
nen, die Regierungsiprade im Marutje-Mabundareiche, und die einft Unterworfenen find 
noch heute ftolz auf einen Tropfen Bafutoblut, den fie in ihren Adern wähnen. Holub in 
feiner menjhlih warmen Weiſe jagt: „Die Makololo haben fich viel Schweres Unrecht zu 
jhulden fommen laffen, des Gejchides gerechter Arm bat fie ereilt, doch mit ihrem Ver— 
ſchwinden vom Schauplage der Geſchichte des zentralen Südafrika ift eine Verſöhnungs— 
palme emporgewachſen; ihre Sprade, das Sifuto, ift geblieben, fie vererbte ſich auf die 


Das Marutſe-Mabundareich. 373 


Bejiegten, fie wurde dieſen notwendig, namentlich al3 durch Vergrößerung des Reiches 
und engern Berfehr mit den ſüdlich vom Zambeſi wohnenden Völkern fi mehr und 
mehr ohne alles abjichtlihe Zuthun von feiten der Beherricher ein gemeinfamer, namentlich 
nad) der lettern Seite hin leichtverftändliher Sprachlaut notwendig erwies”. 

In ihrem Verhältniſſe zum Staate ſetzt fich die Bevölkerung aus Herrſchenden, Sklaven 
und Tributzahlenden zufammen. Die Herrſchenden find faft nur bie Marutje, welche 
zu beiden Seiten des Zambefi, in den fruchtbaren Nieberungen der Barutje, wohnen. Von 
Sefhoje im Süden erftreden ſich ihre Wohnfige ftromaufmwärts bis ca. 35 geogr. Meilen füd: 
lih von dem Zufammenfluffe des Kapombo mit dem Liba. Am Norden und Norboften von 
ihnen wohnen die Mabunda. Dieje beiden betrachten die meiften andern Völker des Reiches 
als Sklaven, mit Ausnahme der ftarfen Stämme de3 Dftens: Batofa, Mafalafa und andrer. 
Der Tribut diefer legtern bejteht in Elefantenzähnen und den Fellen einer grauen, lang: 
baarigen Zemurenart, während die Steuern der Unterthanen aus Abgaben von Getreide und 
andern Früchten des Feldes und Waldes, von Vieh, Fleifch, Fellen, Kähnen, Waffen und 
Geräten aller Art, ſelbſt Mufikinjtrumenten, fich zufammenfeßgen. Aber Elfenbein, Honig und 
die nahrhafte Manza find Krongut, deffen Verfauf oder Austaufch mit dem Tode beftraft 
wird. Wie groß aber gerade darin die Hinterziehungen fein werden, mag man baraus ent: 
nehmen, daß das beliebtefte geiftige Getränf diefer Völker, die Butichuala, ein Honigbier ift. 

Indeſſen hat der König, dem ja als dem, wenigftens formell, unbeihränften Beherr: 
Icher und Befiger des Landes und feiner Bewohner alle diefe Steuern und Tribute direft 
zufließen, noch andre Einnahmequellen von nicht geringer Größe, vor allem die ihm gehö— 
rigen Ländereien, die teil von ganzen Kolonien feiner dazu beorderten Unterthanen, teils 
von feinen vielen mit zahlreihem Gefolge verfehenen Gemahlinnen bemwirtfchaftet werden. 
Aud find die Einnahmen aus fonfiszierten Gütern bei jenen Herrſchern nicht gering, welche, 
wie Sepopo, ſich durch feine Rüdfiht auf das Recht der Unterthanen von ihrer Luft nad) 
Belig und Genuß zurüdhalten laſſen. Endlich ift aber eine ganz fihere Einnahmequelle 
bes Herrichers in der Thatfache gegeben, daß er ber erfte Kaufmann, ja, wenn es ftreng 
nad dem Rechte geht, jogar der einzige Kaufmann des ganzen Landes ift. Von bem, was 
durch feine Hand geht, kann man fich einen Begriff machen, wenn man hört, baß Sepopo 
oft Wagenladungen im Werte von 3000 bis 5000 Pfund Sterling von den weißen Händ— 
lern gefauft habe. Dieje merfwürdige Stellung des Königs als erſter Händler feines Volkes 
ift dadurch, daß fie ihn zugleih zum Händler für fein Volt macht, eine nicht gering zu 
achtende Duelle politiichen Einfluffes. Denn alle dieſe vielbegehrten Waren: Perlen, Ge: 
wehre, Pulver und Blei, Meffer, Branntwein, farbige Baummollzeuge, gehen durch feine 
Hand, und er fann nicht? andres thun, als alles verſchenken oder verleihen, was er nicht 
jelbjt braudt. Das lebtere, das Verleihen, ift Regel für die Gewehre, welche immer Eigen 
tum des Königs bleiben. Eine Art von Arjenalverwalter ift deshalb eine der erften Ber: 
jönlichfeiten in des Königs Umgebung; derjelbe ift, beiläufig gejagt, gleichzeitig Vorſtand 
ber Metallarbeiter, was an nordweitafrifanifche Handwerkerfaften erinnert. Der ganze Han— 
bel mit der Wejtküfte und bem Süden hat fi in den legten 30 Jahren (vor 1855 beftand 
berjelbe noch nicht, und Livingftone machte feine epochemadhende Reife von Scheſcheke nad 
Loanda wejentlid zum Zwecke der Eröffnung eines direkten Handeldweges nad) dem Atlan- 
tifchen Ozeane) jehr gehoben, und feit längerer Zeit find die Mambari, Eingeborne von 
der Weftküfte, welche alljährlich den Tihobe und Zambefi herabfommen, um Sklaven und 
Elfenbein im Auftrage ihrer portugiefiichen Herren einzuhandeln, die einflußreichiten Leute 
am Hofe der Fürften zwijchen Benguella und Moſambik. 

Serpa Pinto fand in dem Reiche Lui, wie er daS Marutjereich nennt, zwei getrennte 
Minifterien, das des Krieges und des Auswärtigen, und Holub führt eine ganze Hierardie 


374 Die Zambefiftämnte. 


von Höflingen und Beamten in verſchiedenen Nangklajjen auf. Von alledem hat 
praftiiche Bedeutung wohl nur die Thatfache, daß dem Könige ein engerer Nat, bejtehend 
aus Scharfrichter, ſechs Ärzten (Zauberern), Kahnaufieher, Waffenauffeher und einigen 
Roliziften, zur Seite fteht, und daß der weitere Rat ſich aus den Hofwürdenträgern und 
den nahewohnenden Ober: und Unterhäuptlingen zufammenfegt. Man darf jedoch fich 
darunter nicht ftreng getrennte Behörden mit feiten Kompetenzen voritellen, wie es Serpa 
Pinto gethan zu haben fcheint; denn ein Deipot wie Sepopo ließ nad) und nad alle 
Mitglieder des weitern Nates töten, und der engere Nat war nad allen Schilderungen 
mehr eine Art von ins Afrifanische überjegtem Tabakskollegium und Biergejellichaft als 
etwas einem Staatsrate Vergleihbares. Iſt auch die Regierungsform im Marutfe-Ma: 
bundareihe im Grunde diejelbe wie bei den Südkaffern, jo wird doch derjelben durch den 
Charakter der Bevölferung eine Ausprägung gegeben, welche den deipotijchen Grundzug des 
Negerfönigtumes deutlicher bloßlegt. Dazu kommt, daß der weniger friegeriiche Charakter 
des Nolfes die Pflicht, oberjter Feldherr zu fein, hier weniger ſchwer werden läßt als dort, 
wo der Grundzug des ganzen Lebens ein kriegeriſcher ift. Es wird hieran nichts geändert 
durch die nur formelle Thatjache, daß die erjten Rangitellen nad) dem Könige die des 
Höchftfommandierenden, des Waffenverwalters, des Hauptinannes der alten und desjenigen 
der jungen Krieger find. Es find das Überfommenheiten aus der Makololozeit, welche für 
die Marutje und Genoſſen hohle Formen geworden find. Hier treten infolgedeflen mehr 
das Romphafte in der Form und die Graujamfeit der defpotiihen Willkür 
im Wejen des Königtumes hervor. Die Willtür findet in dem Monopole des Richter: 
amtes und desjenigen des Oberzauberers die ausgiebigite Unterftügung. Wie dieje Ämter 
ausgenugt werden, mag folgendes von Holub mitgeteilte Beijpiel zeigen: Nach den 
alten Marutjegefegen muß jeder Verurteilte eine Schale Gift trinken. Fällt er nach dem 
Genuſſe des Giftes befinnungslos zur Erde, jo wird er für jchuldig erflärt und fofort ver: 
brannt. Wenn im Gegenteile der Verurteilte das Gift erbricht, jo wird er für unſchuldig 
erflärt. Der König Sepopo, der die meilten Geſetze und Gebräuche feines Landes umitieh, 
berüdfichtigte auch dies nit und gab oft im geheimen dem Scharfrichter den Auftrag, die 
Verurteilten auf jeden Fall zu töten. So geichah es, daß, als der König von der 
Barutje nah Schejchefe überfiedelte, er von feinem Mutterlande des Ttetfegürtel3 halber, 
der die Umgegend von Echeichefe umfpannt, feine Ninder für feinen Bedarf nad) der 
neuen Refidenz mitnehmen fonnte. In Schejchefe lebte aber unter mehreren Häuptlingen 
einer, der große Herden bejaß; auf ihn fiel jofort des Königs Augenmerk, und damit 
war aud) das Los des Ärmften entjhieden. Er wurde angeklagt und verurteilt, doch das 
Gift hatte feine Wirfung. Da fand fi ein zweiter Sklave, der den Häuptling des Hoch— 
verrates bejhuldigte, und als derjelbe auch die zweite Giftprobe beitand, wurde er nad 
einem dritten Urteilsfpruche jo lange mit dem Worberförper ins Feuer gehalten, bis er feinen 
Geiſt aufgab. 

Dieſes willfürlide Eingreifen in die Rechtſprechung ift natürlih nur im 
nähern Umfreife des Dejpoten zu erwarten, im größten Teile des Reiches wird feine rohe 
Fauft weniger empfunden. Dort find die Voriteher der Gemeinden, die Koſana, die Recht: 
ſprecher. Doch wurden unter Sepopo, wenn irgend die Entfernung es erlaubte, alle 
ihwereren Fälle ihm und feinem Rate vorgelegt. Dabei war dann bei der Billigfeit der 
Dienichenleben der Tod ftet3 eine naheliegende Strafe, und der Scharfrichter ift nicht nur 
der Form nad) einer der eriten Wirdenträger am Hofe. Mord, Flucht aus dem Reiche, 
Konipiration mit Feinden, Verkauf von Honig und Elfenbein, Diebjtahl am königlichen 
Eigentum, Verdacht der Hererei ziehen unfehlbar den Tod nad) fi, der pro forma im 
legtern Falle mit der Poſſe eines Gottesurteiles eingeleitet wird. In der Regel aber fonnte 


Regierung ded Marutfe: Mabundareices. 375 


fich bei der Nechtspflege, wie fie unter Sepopo geübt ward, ein Beihuldigter immer auch 
ſchon als verurteilt betrachten, wenn am Hofe irgend ein Grund war, ihn mißgünftig an- 
zufehen. Sehr viele trachteten daher, jo wie fie nur eine Ahnung von einer etwanigen 
Vorladung erhielten, fih dur Flut nad) dem Süden über die beiden Ströme zu retten. 
Andre töteten fich felbit, als fie ſahen, daß fie troß ihrer durch das Erbrechen des Giftes 
erwiefenen Unſchuld dod wieder angeklagt und verbrannt werden jollten. Die auf der 
Flut Ergriffenen wurden teil von den Verfolgern niedergeftoßen, teil$ wieder nach Sche— 
jchefe zur Hinrichtung eingebradjt. Verurteilte, welche von ihrer Flucht freiwillig heim: 
fehrten und, auf die Fürbitte der Weißen oder eines fremden, Sepopo befreundeten Ein: 
gebornenfürften geftügt, um Nachſicht flehten, wurden bei ihrer Ankunft in Schejchefe wohl 
begnadigt, allein wenige Tage darauf wieder verurteilt. Billigkeit der Menjchenleben 
ift einer der Grundjäge diejer Dejpotien, jcheint aber dody auch vom „Angebote“ 
abzuhängen, da er offenbar in diefem dicht bevölferten Neiche noch viel weitere Gültigkeit 
hat als in manchen andern. Wir werden 3. B. im Lundareiche, das anjcheinend menjchen: 
ärmer ift, einer ſparſamern Praris begegnen. 

Im ſcharfen Gegenfage zu diejer Willkür fteht die Nachficht, mit welcher Diebitahl 
behandelt wird. Der Dieb wird in der Regel nur bejtraft, wenn er gejtändig oder durd) 
Zeugen überführt war, und dabei fällt die Zaft, den Schuldigen vor Gericht zu bringen, in 
der Regel dem Beftohlenen zu. Raufereien, Verwundungen und andre leichtere Vergehen 
werden mit Zwangsarbeit in den Föniglichen Feldern oder, je nad) Umſtänden, mit Sklaverei 
beitraft. Wo der König fein befonderes Intereſſe oder Übelwollen gegenüber einem Be: 
ichuldigten fühlt, überläßt er das Urteil jeinem Rate. 

Mit der Rechtspflege innig verbunden ijt das Gemiſch von medizinischen Geheim— 
lehren und Hexenkünſten, deren Hoherpriefter der König it. Ein Unterſchied zwijchen 
den Heilfünftlern des Mabundareiches und denen der meiften Betichuanen liegt in dem 
äußern Auftreten derſelben; mit Ausnahme des hohen Alters fennzeichnen ſich die erjtern 
durch feine beiondern Abzeichen. Anjcheinend ift die Doktorwürde im Mabundareiche nicht 
erblih, während dies bei den Betichuanen der Fall iſt. Die „Wilfenichaft‘ der beiden 
fcheint fih aber ſehr ähnlich zu jehen, und wenn aud den Marutie als den Bewohnern 
eines der regenreihiten Striche Innerafrikas die dort jo einflußreiche Klaſſe der Regen: 
zauberer ijt, jo findet man doch auch dort, wenn Negen zufällig ausbleibt, über Termiten: 
hügel gejtülpte und mit etwas Knochenpulver verjehene Kalebaſſen, die den Regen anziehen 
follen. Die über den Zambeſi vorgedrungenen Bajuto hielten zu Livingitones Zeit große 
Stüde auf die Marutjeärzte, von deren Neichtume an Heilmitteln wir einen großen Begriff 
erhalten. An Südafrifaner, jowohl Kaffern als Hottentotten, erinnern die Armringe und 
Brujtbänder aus Büffelfell, welche gewijje Krankheiten bannen und gegen menjchliche Nach: 
jtellungen jchüten jollen. Das Herzfett der Haustiere, auf Stäbchen in Kreuzform befeitigt 
und bei Nachtzeit vor die Hütten der aus dem Reiche Geflohenen eingepflanzt, ſoll auf die 
Flüchtlinge höchit verberblih einwirken, jo daß fie auf der Flucht die Sinne verlieren und 
wie im trunfenen Zuſtande zu ihrer Niederlaffung zurüdfehren. Das Pulver verſchiedener ge: 
brannter Knochen wird genommen, um den Jäger jchnellfühig zu machen, das verfolgte Wild 
in feinem Laufe zu lähmen und dem Jäger reiche Beute zu fihern. Weitere Zauberfraft ent: 
haltende Mittel jind alle die pharmazeutiihen Präparate der Weißen, feltene Tierfelle, wie 
das des großen jchwarzen Lemur, anormale Bildungen in der Färbung Feiner Säugetiere, 
Ausichnitte aus dem Kamme der Schwanzfloffen des Strofodiles jowie deſſen Augen und 
Luftlöcher, Hörner des Cephalopus Hemprichii und des Scopophorus Urebi, jeltene 
Glasperlen, auffallende pathologiſche Haar-, Horn- und Knodenbildungen von Tieren; 
Säckchen, genäht aus der Haut der Boa, Leib: und Bruſtgurte aus Schlangen: oder 


376 Die Zambefiftämme. 


Leguanhaut, Heine Muſcheln, die an Stirn: und Halsbändern, an Armringen und Leib: 
binden feftgenäht getragen werden. Die legtern ſowie andre Schalen von Seetieren, Korallen 
und bergleihen haben die Portugiefen eingeführt und damit einen regen Handel getrieben. 

Diefe Amulette und Zaubermittel werden, wenn nicht am Körper getragen, an 
geheimen, nur dem Hausheren befannten Orten aufbewahrt gehalten. Der König bat 
binter feinem Empfangshaufe längs der Hofumzäunung eine Reihe von bemalten Thon: 
töpfen und Kalebafjen ftehen, die ſämtlich abergläubifche Mittel enthalten. Außerdem ift 
eine bejondere Hütte für feinen medizinischen Befig und die zahlreichen Amulette vorbehalten. 

Welchem Götter: oder Geifterglauben dient nun diefes wirre Gewebe von Abergläu— 
bigfeiten zum Gewande, Vorwande und Werkzeuge? Iſt der Aberglaube, der hier dichter und 





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Grab eines Mafupiahäuptlinges (nah Holub). Bgl. Tert, ©. 377. 


bunter auftritt al3 füdlic vom Zambeſi, von einem ftärfern Gefühle des Übernatür: 
lichen getragen? Wenn nicht alles trügt, ja. Zwar gebrauden die Völker dieſer Region 
das Bantumort Molemo, welches das oberjte geiftige Weſen bezeichnet, für eine Menge 
von Dingen, die teilweife in einem ſymboliſchen Bezuge zu demſelben ftehen mögen, Molemo 
fann höchſtes Weſen, böſer und guter Geift, Heilmittel, Amulett, Gift, Zauber bedeuten, 
aber das eigentlihe engere Wort für Gott ift „Njambe”. Beim Ausſprechen diefes Wortes 
erheben fie ihre Augen zum Firmamente oder weifen mit der Hand dahin. Stirbt jemand 
eines natürlihen Todes, jo jagt man: „Njambe rief ihn hinweg“; verunglüdt ein Menſch, 
fo heißt es: „Es geichah auf Njambes Geheiß“. Unſchuldig Verurteilte jegen das größte 
Vertrauen in Njambes Alwiffenheit. Aucd den Geiftern der Verftorbenen ſchreiben die 
Marutje mancherlei Eingriffe in das Dafein der Lebenden zu und vor allem den Geiltern 
der Häuptlinge, deren Seelen auch hier wie eine Art Heroen zwifhen dem oberjten Geiſte 
und denen gewöhnlicher Sterblicher eine einflußreiche Stellung einnehmen. Daher wird aud 
den Gräbern des Fürften und feiner Angehörigen eine bejondere Heilkraft zugefchrieben; 
der Herrjcher ſelbſt foll dort zu gunjten von Angehörigen oder Freunden „mit gebetartigen 


Nechtöpflege. Aberglaube, Tradt. 377 


Zeremonien in flehender oder befhwörender Form“ den Geift eines Ahnen um Hilfe anrufen. 
Mit diefem Glauben hängt es vielleicht zufammen, daß ber Beerdigung und den Gräbern 
bier mehr Sorge zugewandt wird ald im Süden, wiewohl die Beerdigungsweiſe jener ber 
Betichuanen ſehr ähnlih ift. Das Weſen der Beerdigung im Marutjereiche bildet aber 
infofern zu dem bei den Völkern ſüdlich des Zambefi beobachteten ſogar einen jchroffen Ge— 
genjag, als die Stämme bes Marutfe-Mabundareiches ihre Toten unter Singen, Schreien, 
Mufikbegleitung und Schießen beerdigen, während es ihre jüblihen Nachbarn meijt im 
Dunkel der Nacht thun, damit die Beerdigungsitelle womöglich verborgen bleibe. Die meijten 
Völker des Marutfe-Mabundareiches ſuchen auch ihre Beerdigungsitellen zu kennzeichnen. 
Das Volltommenfte in der Form der Grabbenkzeichen findet man im Mutterlande des herr= 
fhenden Stammes, in der Barutfe, wo für jedes der angejehenen verjtorbenen Mitglieder 
der königlichen Familie ein Maufoleum errichtet wurde. Von Europäern find biejelben bis 
heute nicht befucht oder wenigſtens nicht befehrieben worden. Übrigens kommen für Häupt: 
linge auch diefelben koſtbaren Grabumzäunungen von Elefantenzähnen zur Anwendung 
(j. Abbildung, ©. 376), welde Stanley am Kongo fand. 
* 


Menden wir uns dem Einzelleben der Völker dieſes Reiches zu, jo ift zunächſt der Vor- 
behalt zu maden, daß bei der offenbar nicht ganz geringen Verſchiedenheit berfelben die 
Beihreibungen, welche wir big heute wejentlih nur von Livingftone, Holub und Serpa 
Pinto befigen, überall, wo fie tiefer ins einzelne eingehen, auf die Stämme der Südhälfte 
bezogen werden müſſen. Die Nordſtämme dürften aber vielfach mit den Lundavölfern über: 
einftimmen, bie wir jpäter betradjten werben. Auf die oftwärts wohnenden Batofa und 
Verwandten fommen wir fogleidh zurüd, die Makalafa haben wir jhon betrachtet, und jo 
bleibt wohl nur im Innern des Neiches ein Raum, wo noch unbekannte Völker wohnen 
fönnten, deren Eigentümlicpfeiten indejfen bei der offenbar in allen Grundeigenſchaften vor: 
handenen Übereinftimmung der zwijchen Zambeſi und Kongo wohnenden Völfer kaum her: 
vorragende fein dürften. 

Die Kleidung der Marutje lehnt ſich mehr an die der jüdlichen als der nördlichen 
Stämme an. Statt der Niemenfranjen der Zulu und der um bie Lenden gejchlungenen, 
faum handbreiten Riemen der Betſchuanen, Makalaka ꝛc. tragen die Männer in ber Regel 
Lederſchürzen, welche an einem Leibgurte befeftigt find. Bloß die Stämme, die häufiger 
das füdlihe Zambefiufer befuchen, d. h. jene, bie öfter mit den Weißen zufammenfommen, be: 
dienen fi) des Kattunes. Diejenigen, welche Lederfchürzen tragen, gebrauchen elle Feiner 
Säugetiere, die längs des Randes mit eingejchnittenen rundlichen oder vieredigen Löchern ver: 
fehen find; die Kopfteile finden fi oben am Gürtel. Auch in ihren Karoßmänteln bifferieren 
die das Marutjereich bewohnenden Stämme bebeutend von den meilten füdlih vom Zambefi 
wohnenden Stämmen. Sie lieben die Kreisform, die einem fpanifchen, bis zu den Hüften 
herabreichenden Mäntelchen nicht unähnlich ift. Verheiratete Frauen tragen ein bis an die 
Kniee reichendes und mit den Haaren nad) innen gefehrtes, meist aus Rindsfell verfertigtes 
Röckchen, deſſen Außenfeite mit einem wohlriechenden Rindenftoffe eingerieben ift. Säugende 
Frauen gehen oft ähnlich den Männern mit einem LetihwesFellmantel angethan umher, 
der bei Annäherung von Fremden oder Bejuchern über der Bruft zugezogen wird, 

Ein großer Teil des Shmudbedürfnijfes wird dur die am Körper zu tragenden 
Amulette gededt, wie fie oben angeführt wurden. Dem von Süden Kommenden treten 
die in großer Zahl übereinander getragenen Ringe aus Eifen, Meſſing und (jelten) Kupfer 
um Arme und Beine bier zum erjtenmal allgemein entgegen. Da das Material zu diejen 
Ringen, vor allem Meſſing- und Kupferdraht, meift von außen gebracht wird, gibt ihre 
Häufigfeit einen guten Begriff von der Verbreitung europäiſcher Waren über das Land. 


378 Die Zambejiftämme. 


Es jind diefe Ninge am häufigiten in Echejchefe jelbit, in der Barutje und bei den Mafa- 
lafa, um nad Norden und Nordojten raſch abzunehmen, wo die jelbiterzeugten Eifenringe 
überwiegen. Aus Elfenbein werden fingerdide Ringe, zahlreiche Heine Bühschen, Stäbchen 
und Plättchen geichnigt, welche legtern durchbohrt und an den Haaren befejtigt werden. 
Haarnadeln aus Nilpferdzahn und lange Haarkämme aus Holz find im Gebraude. 

Die Flehtarbeiten mahen den Bewohnern des Marutje-Mabundareiches alle Ehre. 
Zu den einfachiten gehören fugelförmige, aus Gras oder aus Baobabrinde verfertigte Korn: 
jäde, ferner größere, die aus Rohr und den Stengeln ftaudenartiger Gewächſe oder den Blatt: 





Ralebafjje und Straußen: Ei mit eingeritzten Figuren (etbnographifhes Mufeum, Münden). Vgl. Test, ©. 379. 


rippen ber Fächerpalme gearbeitet find und zum Transporte getrodneter Fiſche und größerer 
Früchte dienen. Die einfachite Art der Körbe beiteht aus einer cylindrifchen, nad) unten ab- 
gejchloffenen und an der Mündung mit einem hölzernen oder ledernen Henkel verjehenen 
Röhre, welche aus Rinde gearbeitet und mit Bajt zufammengenäht wird. Sie dienen meijt 
zum Sammeln der Früchte. Flechtarbeiten im engern Sinne des Wortes find die Maku— 
Iuanitörbe, d. h. Körbe, die aus lanzettförmigen Blattteilen der Fächerpalme verfertigt 
werden. Sie haben eine gefällige, jedoch in zahlreihen Eremplaren nicht ein einziges Mal 
übereinftimmende Form und entiprehen mit ihrem dicht jchließenden Dedel und dichten, 
feiten Gewebe ihrem Zwede als Berichlußfäfthen oder Truhen vollkommen. Zu den beiten 
Handarbeiten gehören die beiden von den Marutie geflochtenen Arten der Makenkekörbe. 
Sie werden aus den jchwierig zu bearbeitenden Wurzelfafern eines ahornartigen Strauches, 
des Mofura, verfertigt. Die eine Art ift ſtets dedellos, die zweite ift mit einem dichten, 
falzförmig eingreifenden Dedel verjehen. „Ich ſah fein einziges Exemplar“, jagt Holub, 


Gerätfchaften. Waffen, 379 


„ohne Verzierung durch eingeflochtene, Schwarz gebrannte oder dunkel gefärbte Faſern.“ Unter 
den Küchenutenfilien ftehen die aus Thon verfertigten Gefäße obenan, deren Formen, 
wie faſt überall in Afrika, einfach, aber jehr ebenmäßig find. Mande haben Vaſenform, 
andre find durch dunflere und hellere Verzierungen und andre wieder dadurch ausgezeichnet, 
daß fie geglättet, förmlich von einer Glafur überzogen zu fein jcheinen. Am Boden finden 
ſich nie Zeichnungen vor, auch vermißt man überall Henkel. Die als Getreidefpeicher benugten 
urnenförmigen Thongefäße haben Riefendimenfionen. Während Thongefäße meift nur Ar: 
beit der Frauen find, werden die Holzgefäße von Männern und zwar meiſt von Mabunda 
gearbeitet. Sämtliche Holzgefäße find innen und außen mit Eifeninftrumenten tiefſchwarz 
eingebrannt, und dieje Einbrennungen find jo gleihmäßig und vorfichtig ausgeführt, daß 
die Gefäße wie aus Ebenholz verfertigt ausfehen. Auch die getrodneten Fruchtichalen ver: 
ſchiedener Kürbisarten werden jehr häufig zu Gefäßen verarbeitet. Vor allem dienen dieje 
Kalebafjen als Wafjerbehälter ſowohl im Haufe als auch auf Reifen, da ihnen das geringe 





Baffen und Geräte von Lovale (nah Cameron). 


Eigengewicht zu ftatten fommt. Sie bieten noch mannigfacdhere Formen al3 die eben genann: 
ten Gefäßarten, die einesteil3 fchon von der Natur mannigfad gegeben find, andernteils 
fünftlih hergeitellt werden (f. Abbildungen, S. 370 und 378); auch fie find oft mit ein: 
gebrannten Zeichnungen verjehen. 

Die Bewaffnung diejer Völfer ſetzt ſich wejentlih aus denjelben Beitandteilen zu: 
jammen wie die der Südafrifaner: Speere (Aſſagaien), Beile, Keulen (Kirris), Meſſer, 
Bogen und Pfeile. Aber auch) hier zeigt fich eine größere Mannigfaltigkeit, angeſichts welcher 
man bei dem befannten Konjervativismus der einfachen Völker in Bezug auf ihre Bewaff— 
nung am ebejten an eine vervielfältigende Wirkung der bunten ethniſchen Mifhung zu 
denken hat. Wie die (mitunter geichnitte) Holzfeule zum Angriffe dient, jo dient ein Holz: 
ftab von zwei und mehr Meter Länge, welder an beiden Enden jpiralig mit Eifen ums 
mwunden ijt, zur Abwehr. Die Schilde dürften erft durch die Mafololo eingeführt fein, 
denn fie haben die Form der Betihuanenfhilde und find noch heute von geringer Verbrei: 
tung. Hauptwaffe, wenigitens der Südſtämme des Reiches, ift jedenfalls die Aſſagaie, 
der Wurf- und Stoßjpeer, welche weit über der entipredhenden Waffe der Betichuanen und 
Makalaka ſteht. Von den verjchiedenen Arten derjelben jeien die 1!/.—2 m langen Häupt: 
lingsaffagaien erwähnt, die al8 waffenartige Abzeichen höherer Würdenträger dienen. Die 
Handafjagaie dient zur Bewaffnung der Rechten im Handgemenge und zeichnet fi) durch 
eine zur Hälfte ausgejchliffene Längsleifte an der Schneideflähe und einen kurzen, feiten 
Stiel aus, deſſen unteres Ende durch ein fingerdides Eifenband beſchwert iſt. Die 174— 


380 Die Zambefiftämme. 


21/4 m lange Schladhtafjagaie ift leicht, mit langem Stiele verjehen und dient als Wurf: 
waffe. Im Gebraude find ferner kurze und lange Jagdaffagaien, an deren Hals einjeitige 
ober beiderjeitige Widerhafen befeftigt find. Die Nilpferdaflagaie ift die längit geftielte und 
eine der einfachſten; der Stiel ift 2—3 m lang und nur bei dieſer Waffe aus weichem 
Holze verfertigt. Die Elefantenaffagaie endlich befteht ganz aus Eijen, ift an ihrem untern 
Stabende verdidt oder breiter gearbeitet und in ihrer Mitte mit einem kurzen ledernen Über: 
zuge verjehen. Die Dolche der Marutje zeichnen fich durch ihre zierliche Arbeit aus. Das 
Auffallendfte an ihnen find die Scheiden, die wie die Griffe aus hartem Holze gearbeitet, 
mit Schnigereien befäet und durch Einbrennen ebenholzähnlid geihmwärzt find. Große 

ı Mühe ift auf die eingefchlagenen Zieraten verwendet, 
welche die breiten Flächen der dünnen Klinge bededen. 
Die Shlahtbeile zeigen, den Stämmen des Rei- 
ches entjprechend, eine jehr mannigfadhe Form. Sie 
übertreffen jene der füblic vom Zambefi wohnenden 
Stämme meijt durch ihre gefällige Form und Leich— 
tigkeit jowie durch die gute Eiſen- und Holzarbeit. 
Während an den Beilen der Betjchuanen, Kaffern, 
Makalafa und Matabele die dünnen Tomahamfflingen 
feſt im Stiele figen, könnten dieſe nicht feiter in den 
bartholzigen Stiel eingefügt fein. 

Wunderbar wie die Mannigfaltigfeit diejer 
friegeriihen Geräte ift für den an ſüdafrikaniſche 
Einförmigfeit Gewöhnten die PVielartigfeit der teils 
friegerijchen, teils friedlihen Zweden dienenden Mus 
fifinftrumente, mit denen ganze Muſikbanden aus: 
gerüftet werden. „Im Marutje-Mabundareiche‘, 
erzählt Holub, „fand ich zum erjtenmal eine vom 
Könige zu feiner Unterhaltung und Verherrlichung 
gehaltene, aus einheimijchen Künftlern refrutierte 
Muſikbande. Sie beiteht aus mehreren Tambouren, 
welche länglide, röhren- und fegelftutförmige, ein: 

Dold der Marutfe. fadhe ſowie janduhrartig geformte Doppeltrommeln 

} a = et mit Händen und Fingern bearbeiten; die Doppel: 
trommeln hängen an einem um den Naden geworfenen 

Riemen, während die länglichen von den betreffenden Künftlern ‚geritten‘ werden. Die 
wichtigiten Inſtrumente der Kapelle find die Marimbas (Kalebafjenpianos), welche ähnlich 
den Doppeltrommeln getragen werden. Die Mufitbande befteht aus 20 Mann, von denen 
jedoh nur 6—10 jedesmal auftreten, damit eine hinreichende Anzahl für den Nachtdienft 
und als Rejerve erübrigt wird. So treten auch die beiden königlichen Zithervirtuofen 
meijt einzeln auf. Die Mufifanten müſſen auch Sänger fein, um in den freien Inter— 
vallen oder bei den gebämpften Klängen der Snftrumente mit ſchreiender Stimme des 
Königs Lob zu verkünden. Die zum Dienfte Befohlenen haben den König bei feiner 
Ankunft in der Stadt zu empfangen, ihn auf feinen Ausgängen zu begleiten und müjjen 
bei öffentlichen Tänzen, Hochzeiten 2c., doch immer nur auf des Königs ausdrücklichen 
Befehl, jpielen. Außer den drei Trommelarten und zahlreihen Sylimbas (zitherartigen 
Snftrumenten) fand ich bei der föniglihen Mufiffapelle noch Streidjinftrumente aus Fächer: 
palmenrippen, eijerne Glödchen und eine Flöppelloje Doppelglode jowie aus Fruchtſchalen 
verfertigte Schellen, ferner aus Elfenbein, Holz und Schilfrohr gearbeitete Pfeifen. 


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Nufilinftrumente, 381 


Streihinftrumente aus den Blattrippen der Sagopalme, bie quer geferbt und mit einem 
Stäbchen geftrihen werben, fertigt der König nebft feinen Freunden für den Elefantentanz 
jelbft an. Nur die aus Fruchtſchalen bereiteten Schellen, einige Glödchen und kurze Pfeifen 
find in ähnlicher Form unter der Bevölkerung zu finden, häufiger das zitherartige In— 
ftrument, doch meift in untergeorbneter Geftalt; die größten und beftgearbeiteten befigt der 
König, wie ihm überhaupt alle Kapelleninftrumente gehören. Die Gemeinden, d. h. Nieder: 





Der Kijhitanz der Marutfe (nah Holub). 


lafjungen, haben in der Regel bei den meijten Stämmen länglihe, Heine Trommeln, je 
eine, in der Beratungs oder Gemeindehütte aufbewahrt, die bei befondern Fagderfolgen, 
bei Vergnügungen, bei Beitattungen 2c. erichallen. Eine hohe Stelle im Aberglauben des 
Volkes nehmen die mit dem Blute der Erſchlagenen angejtrihenen Kriegstrommeln ein, 
die in ihrem Hohlraume Knöchelchen und andre trodne Körperteile von zu Zauberzweden 
getöteten Kindern enthalten.” 

Die oben genannte Marimba oder Myrimba (j. Abbildung, S. 368), ganz treffend 
als Kalebafjenpiano bezeichnet, darf wohl ala das höchitentwidelte der zentralafrifanifchen 
Inftrumente bezeichnet werden. Das Gerüft der Marimba bildet ein 12—20 cm breites, 
dünnes Holzbrett, welches entweder rechtedig oder hufeifenförmig ift und !/a—1 m 


382 Die Zambefiftämme. 


Durchmeſſer hat. Unter demjelben find ſechs oder mehr Kürbiffe von verjchiedener Größe 
angebradt. Indem der Mufifer mit zwei kautſchukumwundenen Schlägeln auf das Brett 
pauft, erzeugt er laute und harmoniſche Töne. Die Zither befteht aus einem vieredigen 
Holzkaften, der an einer Seite offen, etwa "/s m lang, halb fo breit und handtief ift. 
Auf der Breitjeite find auf nieverm Stege 8—12 ſchmale elaſtiſche Eifenftäbe angebracht, 
die durch den Drud des Daumens in tönende Schwingungen gefjegt werden. Armere 
bilden fich den Refonanzboden aus nebeneinander geftellten Bambusſtäben und erjegen die 
Eijenftäbe durch Holzitäbe. 

Aus den zahlreihen Tänzen, welche großenteild dem jedem Neger eignen Bedürfniſſe 
des Schreiens und Tobens mit nachfolgender Verzückung entipringen, denen aber zu 
gewiffen Zeiten auch beftimmte Ideen untergelegt find, wie dem Pubertätätanze der zu 
Jungfrauen gereiften Mädchen, dem prophetifchen Tanze, den die Mafupia unter Selbſt— 





Gin Haus in Stufe (nad Serpa Pinto). Bol. Tert, ©. 383, 


verwundung der Zunge und andrer Körperteile vor einer großen Unternehmung des Königs 
aufführen, um ihm den Ausgang zu wahrfagen, heben wir hier wegen feiner Eigentümlich— 
feit den Kiſchitanz hervor, der weiter ſüdlich nicht beobachtet wird, während er von 
bier an weit nad Norden zu verfolgen ift. Derjelbe wird von zwei oder vier Männern 
ausgeführt, von denen je einer den Mann, der andre die Frau vorftellen fol; eine große 
Nöhrentrommel begleitet den Tanz. Die Tänzer find von einem Haufen junger Leute 
umgeben, die zu dem Trommeljchlage fingend in die Hände klatſchen, und aus deren Mitte 
zuerft einzeln, dann paarmweije neue Tänzer hervorfommen und, gegen den König gewendet, 
ihren förperverdrehenden Tanz beginnen. Ein Anlauf, ein Annähern von der einen, ein 
Zurückweichen von der andern Seite ac. find das Weſen und die gebräuchlichen Gejten des 
Tanzes. Die Koftüme find Fönigliches Eigentum und beftehen aus ber eigentlihen Maste, 
dem Netzwerke und der Lendenumbüllung. Die Maske, von Knaben aus Thon und Kub: 
dünger modelliert, it mit rotem Oder und Kalf bemalt. Sie ähnelt einer mit nieder: 
geſchlagenem Bifiere verjehenen Helmhaube und ift bedeutend größer al3 der Kopf, den 
fie nebit dem Halfe vollflommen bededt. Für die Augen und den Mund, feltener für die 
Nafe, find Heine Spalten offen gelaffen. An die Maskenhaube oder unter ihr jo weit 
hinaufreihend, daß der Halsteil bedeckt wird, jchließt fi das Nekgewand, und von den 
Lenden bis zu den Knöcheln der Maske, welche die Frau vorftellt, reicht eine in Falten 
gelegte Wolldede oder ein Karoß, über welchem noch je ein Tierfell vorn und hinten getragen 


Der Kiſchitanz. Hüttenbau. 383 


wird. Bis auf einen um den Hals bandartig geſchlungenen Strohwiſch ähnelt die weibliche 
Masfe der männlidhen, die legtere ift aber durch auffallendere Haubenverzierungen aus: 
gezeichnet. Am Stahlringe, der um die Hüften läuft, find hinten einige Glödchen befeitigt, 
die bei der leiſeſten Körperbewegung erklingen. 


Auch im Hüttenbaue leiiten die Völker diefes Gebietes Hervorragendes (vgl. die Ab- 
bildung, S. 382 und die des Dorfes in Lovale, S. 204). Natürlich gilt dies nur von den feſte 





E BIT ‚ TR — 
Marutfe b beim B—— (nah Holub). Vgl. Tert, S. 385. 


Wohnfige innehabenden Stämmen, nicht aber von jenen, die ſich bloß periodifch der Ernte, 
der Fiicherei oder der Jagd halber kurze Zeit an einem jelbjtgewählten oder ihnen vom 
Statthalter oder Könige angewiejenen Orte aufhalten. Die periodiihen Wohnfige der 
legtern findet man namentlich an den Ufern der großen Flüſſe und im Dickichte der Wälder, 
wo Lichtungen das Wild anloden, feite Wohnfige find dagegen über das ganze Land 
zerftreut; das Land der Städte ift aber die Barutje. „Es läßt fich leicht erkennen, daß es 
namentlich die Natur ift, in der die Völfer leben, welche ihnen das Baumaterial jo reichlich 
und unter fo geringer Mühe liefert und jo das Bauen erleichtert; allein wir dürfen den 
Leuten auch einen gewillen Sinn, ein größeres Verftändnis in dieſer Fertigkeit nicht ab: 
Iprechen.” (Holub.) Bezüglich ihrer Anlage find die Städte jo nahe, als es die jährlichen 


384 Die Zambeſiſtämme. 


Überſchwemmungen gejtatten, an bie Flüffe angebaut und in der Negel von einem Kranze 
von Dörfern umgeben, wo meiftens Leibeigne wohnen, die in der nächiten Umgebung der 
Stadt für ihre dort lebenden Herren Felder beftellen, Getreide anbauen oder auch Vieh— 
herden hüten müfjen. Außerdem find die Städte bedeutend reiner gehalten als jene ſüdlich 
des Zambefi, wozu, wie zur größern perjönlichen Reinlichkeit, auch wieder der Überfluß 
an Waſſer die nächſte Erklärung gibt. 

Die königlihen Wohnhäufer find von einer elliptifchen Umzäunung umgeben und 
werden nad außen hin von zwei fonzentrifhen Gehöftkreifen umfaßt, die je 6-8 von 
den Königinnen bewohnte Gehöfte zählen; im weitern Umkreiſe befinden fi jodann das 
königliche Vorratshaus, das Küchendepartement, die Hütte für die königliche Mufifbande, 
und im vierten, äußerften Kreije ftehen das im europäifchen Stile gehaltene Beratungshaus 
und die Hütten der Dienerinnen und Diener. Die Häuptlinge wohnen in einem weiten, 
fonzentrifchen Kreife um den Kompler der föniglihen Wohnungen oder, wenn fi, wie 
in Neufcheichefe, die föniglichen Gebäude an ein Gewäſſer lehnen, in einem Kreisfegmente, 
wobei jedem Häuptlinge die Stelle, an der er fi in der Refidenz niederlaffen fol, genau 
ausgemeſſen ift. 

Die Hauptbefhäftigung der Völker diejes Landes iſt der Aderbau, der vor allem in 
dem tief gelegenen, aber höchſt fruchtbaren Tieflande des mittlern Zambefi, der Barutie, 
lohnend ift. Es ift wohl faum übertrieben, wenn Livingftone dieſes Tiefland, das 
alljährlich überihwenımt und mit neuem fruchtbaren Schlamme bebedt wird, dem Delta des 
Nil vergleicht, denn die Barutfe ift eigentlich auch ein Delta, obſchon ein binnenländiſches. 
Während der Überſchwemmung ziehen fi die Marutje auf die angrenzenden Höhen zurüd, 
und wenn die Gewäfler ſich verlaufen, fteigen fie herab, ziehen Furchen, damit das Waſſer 
abläuft, und pflanzen. Die Frauen find die Hauptarbeiterinnen; ihnen fällt aud) ein be 
ftimmter Teil der Ernte zu. Die Männer verjehen aber 3. B. die Jchwierigere Arbeit 
des Lichtens der Wälder. Das Hauptgetreide it das Kafferforn; außerdem werden Hirfe, 
Mais, Melonen und Kürbiffe, Manza, Erdnuß, zwei Bohnenarten, Zuderrohr (nur als 
durſtſtillendes Kaumittel) und Tabak gebaut, welch letzterer zu harten brot= oder kegel— 
fürmigen Ballen geformt wird, die durchlöchert und auf Schnüre gezogen werden. Baum: 
wolle wird nur im Often gebaut und verarbeitet (ſ. S. 388). 

Holub gibt an, daß eine Familie von fünf Köpfen für ihren eignen Bedarf zwei 
oder drei Grundftüde von 2500 bis 3000 qm anpflanze Ihm entnehmen wir folgende 
Preislifte der hauptſächlichſten Aderfrüchte in Scheſcheke: 




















Preis 
Waren Kleine Maren Kleine 
sie Rektun Glasperlen Kalten 
Pfund Meter 




















Mabele, ca.20 Pfund. . Ya 8 Eine Wafjermelone, ein eß⸗ 

Imboyi, 8—10 Kolben . Ya 2 barer Kürbiß . . . . Ya 1 
Litu und Dinau, 20 Kolben u 3 Allerlei wilde Früdte. . Ya 2 
Roſa, 20 Kolben. . . . 9, 8 Butichuala, 6 Liter. . . Ya 3 
Mafofhwani, 20 Kolben . 1—!ı 8 Morulabier, 6 Liter . . Ya 8 
Manza, 20 Kolben. . . Ya 3 Imfi, Bündel von 12 Stüd | Ya 2 


Wie uns oben ſchon der Überblid über die Geſchichte der Makololo gelehrt hat, ift 
die Viehzucht in einem beträchtlichen Teile diefes Landes wegen der Häufigkeit der Tjetje 
fliege unmöglid. Die von derjelben infizierten Streden bilden etwa ein Drittel des Landes 
und liegen im Süden, find aber glüdlicherweife gerade die wildreichiten. 


Fiſchfang. Krolodiljagd. 385 


Die Bewohner der Zambeſiufer ſind geſchickte Fiſcher. Sie errichten Dämme und 
Hecken von Erde quer über die Abflüſſe des zurücktretenden Waſſers und fangen mit Körben 
in den offen gelaſſenen engen Abflußkanälen eine große Menge Fiſche, welche, im Rauche 
getrocknet, eine Würze ihrer Nahrung bilden. In ſtehendem Gewäſſer wird eine aus Schilf 
oder Ruten geflochtene Fiſchfalle von Geſtalt unſrer gewöhnlichen runden Drahtmauſefalle 





Eine Rrolodilangel der Marutſe (nah Holub). 
ana Beridieden geformte Angelhalen — b Angel mit Köder — c Schwimmer. 


angewandt, in welcher ein Köder die Fiſche anlodt. Außerdem gebrauchen fie Speere zum 

Fiſchſpießen und Eifenhafen, deren nad innen gebogene Epigen den Fiſch nicht entwifchen 

laffen (j. Abbildung, ©. 383). Die Jagd auf Wafferantilopen ift eine der nobeln Paſſionen 

der Marutjehäuptlinge Für fie hielt der Marutjefönig Sepopo auf dem Zambefi ein 

eignes floßartiges, mit einer Hütte verfehenes Niefenboot, das von 40 Bootsleuten gerudert 

wurde. Große Krofodile werden mittels riefiger Angeln gefangen und getötet. Die Kon: 
b 





Eine Nilpferdharpune (nad Pivingftone). a Aufgerollt — b ſchußfertig — c abgeſchoſſen. 


ftruftion diefer Fangvorrichtung iſt jehr finnreih ausgedadht. Sie befteht nad Holub 
aus einer eifernen Angel, mehreren dünnen Baftichnüren, einem Baſtſtricke und einem 
NRohrbündel. Der den Angelhafen umhüllende Köder wird von einem Neße gehalten, 
mehrere 4—4!/s m lange, federipuldide, jehr feit gedrehte Baftichnüre vermitteln die Ver— 
bindung zwiichen dem Angelhafen und dem 3—4!/s m langen Bafttaue, welches an dem 
Rohrbündel befeftigt ift. Haben die Krofodile in Schejchefe in kurzem Zeitraume nad): 
einander mehrere Opfer gefordert, fo werden auf des Königs Geheiß die Krofodilangeln 
ausgelegt. Man legt das Rohrbündel auf das Ufer, den mit Köder (in Verwejung 
Vollertunde. L 25 


386 Die Zambefiftämme. 


übergegangenes Hundefleifch) verjehenen Angelhaten auf drei Rohrſtöckchen, jo daß derſelbe 
am Uferrande 1'/s m über dem Waſſerſpiegel wie auf einem Stühldhen ruht. Wittert das 
riefige Neptil den Köder, jo ſchwimmt es in feine Nähe "und verhält ſich hier rubig bis 
zum Anbrude der Naht. Sid) aus dem Waſſer emporjchnellend, erfaßt es den Köder 
mit feinen riefigen Kinnladen und ſucht ihn hinunterzumürgen. Doh die vorſtehenden 
Hakenſpitzen verhindern dies wie aud das Schließen der Kinnladen, wodurch dann das 
Waſſer in den Schlund und in die Luftröhre eindringen kann. Das Tier ftürzt damit 
in die Tiefe, nad und nad) ermatten jeine Anftrengungen, und es treibt ſtromabwärts. 
Von ſeinem Todeskampfe gibt das an der Waſſeroberfläche ſchwimmende Rohrbündel treues 
Zeugnis. Nach einer 
halben bis einer 
Stunde hat der Sau— 
rier ausgerungen, 
wird vom Strome ab 
und an eine Sand: 
banf oder gegen das 
Ufer getrieben, wo— 
bei das NRohrbündel 
den Fildern Die 
Beute verrät. Gleich 
den Fiſchnetzen jind 
auh die Krofodil- 
angeln königliches 
Eigentum. 





D 1: ua ig #0, | In Bezug auf 
N NY RUMNN Re Speifeaberglauben 
> PR YO EEE St findet man bei bie 
DU — De — — ſen Völkern, ihrer 
Hr 2 ring. 2,9 == * mannigfaltigen Mir 
Eine fyalle der Luchaze für kleineres Wild (nah Serpa Pinto). ſchung entſprechend, 


alle nur möglichen 
Gebräuche. Einige verſchmähen das Fleiſch des Nilpferdes, andre das der Pallahantilope, 
wieder andre das der Elenantilope, und im Gegenfage zu diefen efjen dann andre jogar 
Naubtierfleifh, das fonft von fait allen jüdafrifanifchen Negern verfhmäht wird. Die 
Speijen werden nur von den Wohlhabendern gejalzen, weil das Salz, weit von Weiten und 
Südweſten kommend, koſtbar ift; allgemein braut man aus Kafferforn ein ſchwaches Bier 
(Butichuala) und ein ftarkes oder Lagerbier (Matimba). Die Hauptmahlzeit wird gegen 
Eonnenuntergang gehalten, eine Nebenmablzeit 1!/—2 Stunden nad) Sonnenaufgang. 
Das Rauchen von Tabak und Dada oder Bange ijt weit verbreitet; allgemein aber ift das 
Schnupfen eines Gemijches von Tabak, Ajche, geſtoßenen Nymphäenftengeln und einer 
zibetartigen tieriſchen Sekretion. a 
So wie im Süden die Mafalafa, weihen im Oſten die Batofa, welde die beiden 
Ufer ſowie die Inſeln des Zambefi von den Fällen bis hinab zum Kafue bewohnen, in 
manden Beziehungen von den Marutje und den nächſtverwandten Bunda ab und bilden 
den natürlihen Übergang zu den Stämmen am Nyafja und Tanganila. Ihre 
Hautfarbe ſchwankt zwijchen verjchiedenen Graben der Dunkelheit, im allgemeinen jcheinen 
fie aber dumfelfarbiger als ihre von Süden her eingewanderten Nachbarn, von mehr 


Die Batola, 387 


negerhaften Zügen, im Charakter jtarrer, ungelehriger als diefe. Cie waren von ben 
Mafololo auf deren Flucht nad Norden, die jpäter ein jhließlich in Verderben ausgehender 
Siegeszug wurde, in der Nähe der Zambefifälle geichlagen worden, hatten ſich darauf in 
dem herrlichen Hochlande gegen den Kafue zu niebergelaffen, waren aber, fpäter von hier 
ihrerjeit3 dur die Matabele vertrieben, weftwärts gezogen. So fam es, baf die weit 
lihen Batofa ihnen unterworfen blieben, während die öftlihen unabhängig wurden. Beide 
Abteilungen fand Livingftone 1855 durd) einen unbewohnten, ſechs Tagereijen breiten 
Streifen Landes getrennt, der reich an Spuren zerftörter Dörfer und Herden war. Früher 
war das ganze Batofaland dicht bevölkert gewejen. Aber jhon vor den Mafololo hatte 
ein von Nordojten gefommener Eroberer, Singola, fie ausgeraubt und dezimiert. Die Sage 
erzählt von ihm, daß er eine Menge Schmiebeblajebälge mit fich geführt, mit welden er 





Kimbande:Ganguella. a Mann — b frau — co Mädhen (nad Serpa Pinto) Bol. Tert, ©. 389. 


bie Pfeiljpigen vor dem Abſchießen glühend gemacht habe. Nachdem die Batofa in den 
fechziger Jahren von den Matabele drangjaliert worden waren, bedrängte fie in den fieb- 
ziger Jahren ein neuer Feind, die Schafunda, ein Räuberſtamm entflohener portugiefischer 
Sklaven. Selous fand 1877 ihr Land von diefen ganz verheert. Jedes Jahrzehnt ein 
neuer Feind! 

Wir betrachten zumächft die Batofa in der oben angegebenen geographiichen Abgrenzung. 
Wegen der Ähnlichkeit ihrer Sprache mit derjenigen der Mofambilneger wurden die am 
Südufer des Fluffes und am Quaggafluffe Wohnenden von den dorthin vordringenden 
europäifchen Händlern und Jägern als „Mosbiekers“ bezeihnet. Chapman fand dagegen 
große Ähnlichkeit zwifchen ihrer Sprache und derjenigen der Damara. Die Männer der 
Batoka bededen die Scham nur mit einem ſchmalen Leberftreifen; ihre Frauen aber find 
in Leder oder Zeug gekleidet, das mit Perlen und Mujcheln in zierlihen, mit Vorliebe 
dreiedigen Muftern bejegt ift. Die Weiber tragen im Najenknorpel ein Stäbchen mit 
Perlen, während die Männer in den Ohren Ringe tragen. Aber die harakteriftiihite Aus— 
zeihnung im Außern beider Geſchlechter wird durch das zur Zeit der Mannbarkeit vor: 

25* 


388 Die Zambefiftämme. 


genommene Ausihlagen der obern Vorderzähne erzeugt. Dieje Sitte ift jo tief 
eingewurzelt, daß Sebituane fie durch die ſchwerſten Strafen nicht zu befeitigen vermochte. 
Um die Urfache diefer Berunftaltung gefragt, erklärten die Batofa: fie wünjchten den Ochlen 
zu gleichen, während fie den Zebras gleihen würden, wenn ihr Gebiß oben vollitändig 
wäre, Der Kopfpug ift mannigfaltig, indem die Haare mit Tierhaaren zuſammen bald zu 
. i 2 einem hohen Knoten oder Büſchel auf dem Scheitel, bald zu einer 
zipfelmügenähnlich über das Ohr hängenden Quafte auf einer 

Seite vereinigt werben. Früher follen alle Batofa ihr Haar 

helmkammartig auf dem Scheitel zufammengeflochten haben, wie 

e3 die Mafchufulumbe (vgl. Abbildung, S. 398) thun. Unter den 

Waffen werden furze hölzerne, vergiftete Wurfipeere genannt, 

die am Schaftende mit Lehm und Büffeldünger beſchwert find. 

Die Batofa find vorwiegend Aderbauer und verwen 

den viel Mühe auf ihre Felder, die fie mit Fallgruben gegen 

die räuberifhen Büffel und Elefanten umgeben. An einzelnen 

Stellen wird jchon hier die nad) Dften zu häufigere Baummolle 

gebaut. Der vor den Einfällen der Mafololo und Matabele 

bejtehende Viehreichtum ift faſt völlig vernichtet; nur Hühner 

und Hunde find geblieben. Bon ber Zeit ausgedehnter Vieh: 
zucht ift aber den Batofa die Kunſt des Gerbens geblieben, bie 
fie mit großem Erfolge vermittelit der Rinde eines Omfura 
genannten Baumes ausüben. Sie gewinnen Salz und treiben 
damit flußabwärts Handel, um bejonders ſolche Waren einzu: 
taujchen, welche die Portugieſen von der Dftfüfte bringen. Auch 
find fie gute Eifenarbeiter und zahlten zur Zeit der Mafololo: 
herrichaft jogar ihren ganzen Tribut in Hauen, jo daß alle 
Hauen, welde damals zu Linyanti benußt wurden, von Batoka— 
ſchmieden herftammten. Wie erfolgreiche Elefantenjäger fie in 
befjern Tagen gewejen jein müſſen, lehrt ihr Reichtum an Elfen: 
bein, Livingjtone jah auf dem Grabe des Batofahäuptlinges 
Sefote einen Zaun von 70 mit den Spiten einwärts gefehrten 
Glefantenzähnen, daneben noch 30 auf den Gräbern feiner An: 
verwandten. Zu jener Zeit pflegten fie auch die Zäune ihrer 
Dörfer mit den Schädeln Erjchlagener zu verzieren: fo jah 
Livingſtone nod 1855 einen Dorfjaun mit 54 Matabele 





Waffen der Ganguella. ſchädeln beitedt. Die Grußform der Batofa erinnert an bie 
i — ee weiter im Weſten übliche: fie werfen ſich auf den Rüden und 
Serpa Pinto). wälzen fih von Seite zu Seite, indem fie fich dabei auf die 


Hüften Hopfen und ausrufen: „Kina Bomba!“ Sn politi- 
ſcher Beziehung haben die verjchiedenen feindlichen Einfälle fie ſtark zerfplittert, alle 
ihre großen Dörfer haben fich in kleinere aufgelöft, in welchen fie ungefährdeter zu fein 
glauben, und viele Stammifplitter haben fich ganz in die Gebirge zurüdigezogen. Das in 
diefen Gegenden jonft bei Eingebornen ganz ungewöhnliche Einzelmohnen nad Art der 
Boeren ift infolgebeffen bei ihnen häufig geworden. Bon den religiöfen Begriffen ber 
Batofa ift ung nichts andres befannt, als daß die in der Nähe der Victoriafälle Wohnenden 
eine gewiſſe Scheu vor benfelben zeigten, und dab Batofahäuptlinge einige Inſeln in ihrer 
Nähe als heilige Orte betrachteten. Auch trauern fie nicht bloß einmal um die Toten, 
fondern wiederholen ihre Klagen in längern Zeiträumen immer wieder. 


Ganguella. Luchaze. Ambuella. 389 


Rolitiih gehören (oder gehörten vor mehreren Jahren, um uns bei der Wandel: 
barkeit der ftaatlihen Verhältniffe in diefen Regionen nicht allzu ficher auszubrüden) noch 
einige Völker des Weſtens infofern zum Marutje-Mabundareihe, als fie Tribut an 
Sepopo bezahlen. Man kann bei ihnen in dem Zurüdtreten der Viehzucht, in der ſtarken 
Eijeninduftrie, dem regen Handel, dem vieredigen Hüttenbaue bereits den Übergang zu den 
weitlihen Küftenftämmen erfennen. Die bedeutendften unter ihnen find die Ganguella, 
die Luchaze und die Ambuella. 

Die Ganguella bejtehen aus einer Anzahl von Stämmen, die ihre MWohnfige im 
Süden und Dften von Bihe haben. Nach Weiten jchieben fie ji bis in das Gebiet des 
obern Eubango vor, wo Serpa Pinto dem erjten Ganguelladorfe auf feinem Wege nad 
Bihe im Lande der Sambo begegnete. Oſtlich von Bihé haben fie in ihrer Gewalt alle 
Überfahrtsftellen des Quanza, aber ihr Hauptgebiet liegt füdlih von Bihe, wo fie ein 
(nah Serpa Pinto) „ungeheures Gebiet” bewohnen, das jedoch 
großenteild dem unerforſchten Teile Afrifas zugehört. Wiewohl 
Sprade und Eitten überall diejelben find, unterjcheiden fich doch die 
politiihen Formen und damit auch die Völfernamen. So begegnen 
wir dem von einem einzigen Häuptlinge regierten Lande Caquingue, 
deſſen Bewohner Ganguella mit dem Namen Gonzello find. Andre 
Ganguella bilden Stammesbünde unter den Namen Nhemba, Kim: 
HM bande, Majjaka, von denen die erfigenannten ſich, wenn wir den 
NM BPortugiefen glauben dürfen, über den Cunene hinaus bis an bie 

— Grenzen der Ovambo ausbreiten. Man ſchildert dieſe Stämme als 
7, dem Aderbaue ergeben, mit wenig Viehzucht, als geſchickte Eiſen— 
BAD; arbeiter und teilweije als Kaufleute, welche fih an Geſchick und Thä- 
tigfeit den Biheños vergleihen fünnten. Sie jcheinen hauptjächlich 
1 nad Süden mit den Stämmen ſüdlich vom Cunene und Cubango zu 
handeln, wobei jelbjtgefertigte Eifenarbeiten eine Hauptrolle jpielen. 
sine Bumderdofe der Won ben Kimbande wird berichtet, daß fie Baummolle pflanzen und 
uhaze (nah Serpa B . Fer J 

Pinto). jpinnen, um Fäden für ihre Perlenſchnüre zu gewinnen, 

Auch die öftlih von ihnen wohnenden Luchaze follen Baum: 
wolle bauen. Ihre Kleidung, die oft auch aus Nindenftoff gefertigt ift, umfaßt nur das 
Notwendigite; das Ausjchneiden einer dreiedigen Lücke zwijchen den zwei obern Schneide: 
zähnen ift unter den Männern allgemein. Bei den Kimbande fommt Bemalung des Ge: 
fichtes mit grüner Farbe durch Quer: und Längsftrihe auf Stirn und Wangen vor. Die 
Friſuren find von Volk zu Volk verſchieden, am jeltfamften wohl durch Quer= und Längs- 
wülfte bei den Kimbande, die aus ihren Haaren bald Raupenhelme, bald phantaftiiche 
Damenhüte machen (j. Abbildung, S. 387). Da in der unruhigen Nahbarjchaft der Bi- 
heños und Huambo die Kimbande kriegerifher al3 im ruhigern Dften find, jo find aud 
ihre Dörfer viel weniger befejtigt al3 die der Gonzello. Feuergewehre in geringer Zahl 
haben fich bereit3 über den größten Teil diefer Stämme verbreitet. Streitärte aus Eijen 
und merkwürdig verzierte Keulen gehören neben Pfeilen, Bogen und Speeren zur Ausitat- 
tung ihrer Krieger. Die Luchaze gebrauden Stein und Stahl, um Feuer zu maden, und 
erhalten die dazu nötigen Feuerjteine von den nördlich von ihnen wohnenden Quibofo, mit 
welden fie durch Ähnlichkeit der Sitten verbunden find. So haben fie 3. B. auch diejelbe 
Art, Laften an einem um die Stirn gelegten Bande zu tragen. 

An die Luchaze Schließen fich im Often die Ambuella an, die das ganze obere Cuando: 
gebiet bewohnen, wo fie mit den Luchaze vielfach gemijcht find. Sie ſprechen diejelbe 
Sprade wie die Ganguella. In manchen Beziehungen bieten fie Eigentümlichkeiten, welde 





390 Das Hod: und Stufenland des äquatorialen Oſtafrika. 


fie al3 Übergangsgruppe zu den Zambefivölfern deutlich harakterifieren. Sie find beſon— 
ders in viel größerm Maße Aderbauer als alle ihre weitliher wohnenden Stammes: 
genofien. Serpa Pinto hebt die ſehr bezeichnende Thatjache hervor, dab, von Weiten 
fommend, man in ihrem Gebiete zuerft ausgedehntere Anpflanzungen trifft, welche nicht 
im Didihte des Waldes, jondern frei gelegen find. Damit hängt auch ihre Dichtere Be— 
völferung zufammen. Die Viehzucht ift bei ihnen dagegen noch weniger entwidelt als bei 
den Luchaze, die mindeftens Ziegen halten, während man bei den Ambuella nur Hunde und 
Hühner trifft; die Urſache liegt, ganz wie bei manchen Mafalafaftämmen, in den häufigen 
feindlichen Angriffen, zu denen nichts jo jehr reizt als ein Reichtum an Herden. Die 
meiften Ambuellabörfer find auf Pfählen in Sümpfe gebaut, die Hütten flein, vieredig, 
auf vier Pfählen ruhend und mit ſpitzem Dache verjehen. In der Schiffahrt und im Fiſch— 
fange find die Ambuella geſchickt. Ihre eifernen Speer: und Pfeilſpitzen ftellen fie fich jelbit 
her, und die Baumwolle, die fie pflanzen, verweben fie jelbit auf rohen Webjtühlen. Der 
Gruß ift ein lautes Klatſchen auf die Bruft. Sie ftehen unter einigen Häuptlingen, welche 
jeit Aufrichtung des Marutjereiches an diejes Tribut zahlen. 


16. Das Hoch- und Stufenland des äquatorialen Oftafrika. 


„Oſtafrila ift eins der entwidelungsfähigften Länder der Erde, feine Bevölterung 
aber iſt zurüidgeblieben; der Bergleich beider zeigt, wieviel jener Bevöllerung zu thun 
bleibt, um diefer Natur und diefen Hilfsquellen gewachſen zu fein.” 


Inhalt: Das Gebirgd: und Hocdebenenland bes Ditend. — Die höchſten Berge bed Erbteiled. — Die 
Stufenlandihaft am Rande des Indiſchen Dgeaned. — Die Seen und Flüſſe: Nyaffa, Tanganila, 
Ulerewe, Mwutan. — Mannigfaltig variierendes Klima. — Die Pflanzenwelt, — Die Tierwelt. 


Ein Hodhland, das nirgends unter 1200 m herabjteigt, um an mehr als einem Punkte 
2000 m zu erreihen, und welchem Berge von über 6000 m Meereshöhe aufgelegt find, 
durchzieht die Ofthälfte Mittelafrifa® vom 15.9 nörblicher bis zum 15.0 ſüdlicher Breite. 
Nach den aufgefegten Gebirgen zerfällt diefes Hochland in eine ſüdliche, mittlere und nörb- 
liche Abteilung. Die erftere umfaßt die Gebirge um Bangweolo- (Babifagebirge) und 
Nyaſſaſee (Livingftonegebirge), die andre die Gebirge um Uferewe und Mmwutan 
(Ufumbiro, Gambaragara, Kilimandſcharo 2c.), die dritte das abeſſiniſche Gebirgslann. 
Zwiſchen ber ſüdlichen und mittlern Abteilung liegt der Paf von Kaſeh oder Tabora, durd) 
welchen ber für Afrifas Erſchließung ſtets hochbedeutſame, ja aus höherm Gefichtspunfte 
welthiſtoriſche Weg von Zanzibar nah Udſchidſchi führt, der Meg der Entdeder und 
Eonquiftadoren, der Miffionare und Sklavenhändler; zwifchen ber mittlern und nördlichen 
bildet die Grenze das tief nad) Weiten eingreifende Thal des Dihuba. Die durchſchnitt— 
liche Breite des Hoclandes kann zu 150 geogr. Meilen gefhägt werben, feine Länge zu 
450, und es ftellt in der Ausdehnung von ca. 70,000 DMeilen ben orographiſch und 
hydrographiſch mannigfaltigft und großartigft angelegten Teil von Afrika 
dar. Innig durch die breite Zambeſi-Kongowaſſerſcheide an Südafrika fih anſchließend, dacht 
es fih langſam in die Tiefebenen Weftafrifas und die niedrigen Hochebenen Nordafrifas ab, 
zu weld) legtern die noch großenteils unbekannte Nil-Kongowaſſerſcheide den Übergang bildet. 
Die Gebirgsbildungen treten hinter der Hochlandsgrundlage überall weit zurüd. Die Höhe 
des Hochlandes beträgt weitlih vom Nyafla, in den Wohnligen der räuberiſchen Mafitu, 
12—1500 m; der Spiegel des ſeichten Bangweolo liegt hier etwa 1124 m hoch. Dagegen 


Beichaffenheit des Landes, 391 


liegt der Nyafia ca. 480 und der Schirmajee ca. 600 m über dem Meeresipiegel. Wie 
fteil hier nad Süden zu das Hochland abfällt, lehrt die Thatſache, daß der Schire in 
der Höhe von etwa 340 m mit feinen mächtigen Katarakten aus den gewaltigen Gebirgs- 
ſchranken hervortritt. Vom Nyaſſa nordwärt3 gehend, gelangt man nad Überfteigung 
des Kondigebirges und des mächtigen Plateaus von Urori auf die 900 m hohe Hoch— 
ebene von Ugogo, über welche die Straße Zanzibar-Kaſeh-Udſchidſchi führt, und in 
nordweitlicher Richtung gehend, überjchreitet man auf dem Wege zum Tanganika das Hoch— 
land von Nyika in 1000 m Höhe. Der Tanganika jelbft ift 750 m hoch gelegen, und 
fein Abfluß, der Lufuga, führt aus diefer Höhe langfam abwärts zu den ftufenweife tiefer 
gelegenen Seen ber Seenkette des Qualaba, der bei Nyangwe bereits in einer Höhe von 
633 m fließt; die Ufer des Tanganika find fanfter geneigt als die des Nyaffa, und ebenjo find 
Bambarre und Manyema nur Hügelländer, deren Gipfel nicht viel über 1000 m anfteigen. 
Sener See gehört nit mehr dem Hochlande felbit, jondern beffen weſtlichem Vorlande 
an. Neue Gebirgsbildungen treten aber wieder nördlich von ber Senke von Kafeh und 
dem Tanganifa auf. In Uſinſa und Uſui liegt die Waſſerſcheide zwiſchen dem legtern und 
dem Uferewe ungefähr 1600 m hoch. Dem wejtlich vom Ukerewe fi bis über 3500 m 
erhebenden Gebirge von Karagwe und Ruanda gehören die nah Stanley ca. 4500 m 
hohen Gipfel des Gambaragaragebirges an. hr fteiler Weftabfall bildet die hohen Ufer 
des Luta Njige, während die janftern Nordausläufer den in 640 m Höhe gelegenen 
Albert Nyanza umgürten. Alle diefe Seen find zum Unterſchiede vom Tanganifa in 
das Hodland felbit, nicht in deſſen Rand eingebettet, und jenes greift weftwärts über fie 
hinaus. Aber an den Dftrand des Albert Nyanza tritt ein Nilzufluß heran, der das Waſſer 
deö Sees dem bei Lado bereit auf 465 m herabgeftiegenen Bahr el Dichebel zuführt. In 
dieſen Gebirgen um Uferewe und Mwutan mit ihren ausgedehnten Plateauunterjägen 
bürfen wir wohl nur zum Teile die vielberühmten Mondgebirge der Alten vermuten. Es 
liegen auch öftlih von dem großen Binnenmeere des Uferewe noch einige Gebirgägruppen, 
die zwar an Maſſe hinter jenen zurüdftehen, an Höhe fie aber jo weit übertreffen, daß 
ihre jchneebededten, weit über 5000 m hinausgehenden Epigen, mächtigſte Lockmittel der 
ältern Nilquellenentdeder, längft von fern gejehen waren, ehe man von jenen eine Ahnung 
hatte. Es find Vulkane, melde, im Kilimandidharo 6100, im Kenia 5400 m erreichend, 
in größerer Zahl dem Hochlande öftlic vom Uferewe entjteigen, die höchſten Berge bes 
Erdteiles und wirfjamjten Quellenjpender nah Nil und Dſchuba Hin. 

Vom Zambefi an bis zum Dihuba trennt ein vom Mittelgebirge zum Hügellande und 
flachen Küftentieflande fich abdachender Küftenfaum diefes Hochland vom Indiſchen Ozeane; 
es entjteht dadurch die ausgedehntejte Terrafjenlandihaft Afrikas, welde vom 
Zambefi norbmwärts bis zum Rovuma von 40 zu 60 geogr. Meilen anwächſt. Iſo— 
lierte Hügel und kleine Mittelgebirge (Bergländer von Ujagara und Uſambara) von 600 
bis 1000 m Höhe erheben fih da und dort aus derjelben. Dieſe fanften Bodenformen, 
in den Vertiefungen mit reihem Schwemmboden bededt und gut bewäſſert, find ein durch— 
aus jehr frudtbares Gebiet, die von alterd her menjchenreichen, probuftiven, handel: 
anlodenden Landihaften von Duelimane, Moſambik, Suaheli und Süd-Somali. Wenn 
man fich erinnert, wie oft anderwärts gerade die Stufenländer mit ihrer Mannigfaltigkeit 
der in der Negel ausgezeichnet günftigen Naturbedingungen bie Sitze des Gedeihens und 
Blübens der Völker und Staaten waren und find, jo erjcheint das Geſchick Afrifas doppelt 
traurig, welches jelbft unter diefen allergünftigiten Bedingungen aus der Stufenlandichaft 
des Oſtens nichts Beſſeres als die bei der Nachbarſchaft der regiten Sflavenhandelszentren 
fruchtbarfte Hegeftätte von Hunderttaufenden von Sklaven werden ließ, die als Moſambik— 
neger das Gros der Sflavenmafjen ſelbſt Amerifas gebildet haben. 


302 Das Hod:- und Stufenland des äquatorialen Dftafrifa. 


Die Fluß: und Seensyiteme biejes Hochlandsgebietes, welchen durch das alte Rätſel 
der Nilquellen ſeit Jahrtaufenden das ntereffe der gebildeten Menjchheit in einem 
ungewöhnlichen Grade ſich zugewandt, bürfen heute als im wefentlichen flargelegt be: 
zeichnet werden. Es ift befannt, unter weldhen Mühen, Opfern, aber auch unter welchen 
herrlichen Großthaten des Forſchertriebes feit der Entdedung des Tanganifa durh Burton 
und des Uferewe dur Spefe 1858, bed Nyaffa und Bangmweolo durch Livingftone 
1859 und 1868 dieſes Rätjel entwirrt wurde. Wir wiffen heute, daß das Hochland 
Oſt- und Innerafrikas drei großen Strömen Urjprung gibt: dem Zambefi, Nil und Kongo. 
Der Oftabhang gehört den zum Indiſchen Ozeane gehenden mittlern Flüffen, wie Rovuma, 
Lufidihi, Tana, Dihuba, welche an zwei Stellen, nämlich im Quellengebiete des Lufidichi 
und wieder in dem des Dichuba, tief in das Innere des Hochlandes eingreifen. Ebenjo 
gehört dem Kongo der Weiten des Hochlandes, während der Zambeſi von Süden 
und ber Nil von Norden hereingreift. Indem die Sammlung er obern Zuflüffe dieſer 
drei Hauptſtröme in großen Eeebeden der hervortretendite hydrographiſche Charakterzug 
diefer Landſchaft ijt, verdeutlicht die gegenfeitige Lage der großen Seen die Anordnung 
der Quellgebiete aufs Harfte: im Welten Bangweolo und Tanganifa, im Süden 
Nyaſſa, im Norden Ukerewe, wie denn in dieſen großen Sammelbeden aud) für unfre 
den menjhlihen Bezügen nachgehende Betradhtung die diefer Quellregion merkwürdigſte 
Eigenſchaft zu erkennen ift. 

Der Nyaſſa zieht wie eine ſchmale Fjordbucht vom untern Zambeſi in die ſüdlichſten 
Teile des Hocdlandes hinein, deren bald fteile, bald hügelige Abfälle ihn mit Gebirgen 
umgeben, die in Wirklichkeit aber nur mehr oder weniger ſcharf ausgeprägte Ränder des 
Hochlandes find. In diefe Spalte des Plateaus ift der See eingefenft, deſſen gejtredte 
Form Livingitone treffend mit dem langen Stiefel Italiens vergleiht. Er fand die 
geringfte Breite am Knöchel mit 4—5, die größte im obern Viertel mit 10—12 geogr. 
Meilen. Die Farbe des Sees ift hellgrün dem Ufer entlang, in der Mafje aber zeigt 
fie die tiefblaue oder Jndigofarbe des Indischen Ozeanes. Diefe tiefe Färbung entjpricht 
der größern Tiefe, die überall rafh von den Ufern her zunimmt. Bei folder Schmalheit 
und Tiefe und jo hoher Umrandung ift die Stürmijchfeit des Nyaſſa nicht zu verwun- 
dern. Livingftone ſchlug vor, ihn „See der Stürme” zu nennen. Die Stürme treten jehr 
raſch ein und find darum doppelt gefährlih. Große Schwärme von Ziegenmelfern, die nur 
zu diefer Zeit eriheinen, und von Kormoranen geben zufammen mit den hohen Wellen und 
der brüllenden Brandung dem See etwas Ogeanifches. Mit deshalb wohl ift der Schiffbau 
unter den bie Seeufer teilmweife jo dicht umwohnenden Manganja wenig fortgefchritten, denn 
fie benugen überall nur Baumfähne. Größere Schiffe (Dhaus) fcheinen erjt vor etwa 30 
Jahren die arabijchen Sklavenhändler eingeführt zu haben. Dagegen find die Uferbewohner 
geichicte Fiſcher. Die Zuflüffe des Nyaffa find unbedeutend, und in der trodnen Jahreszeit 
gewinnt man den Eindrud, daf viel weniger Waſſer in den See hineinfließt, ala durch den 
Schire herausftrömt. Nur von den Kondibergen her fcheint der Zufluß ſehr beträchtlich zu 
fein. Thomſon erzählt, daß er dort in einer Stunde ſechs dem See zueilende Flüffe über: 
ichritt, wovon zwei von erheblicher Größe waren. Der Schire tritt am gegabelten Sübende 
des Sees als mächtiger Strom aus dem See. Er ift ſchmäler, aber tiefer als der Zambefi 
und würde leicht zu beichiffen fein, wenn nicht die Murchiſonfälle faft genau in feiner halben 
Länge eine für Schiffe unüberwindlihe Schranke aufgerichtet hätten. Der öftlih von ihm 
liegende, ſchwach bitterfalziges Maffer enthaltende Schirwafee ift ganz abgeſchloſſen. 

Der Tanganika (, Vereinigungsplatz“, d. h. der Gemäfjer) behält als der erjte von 
den Europäern (1858) beſuchte See in der großen äquatorialen Seengruppe Innerafrikas 
immer eine gefhichtlihe Weihe, und feine Stellung als Ziel: und Ausgangspunft der 


Fluß» und Seenfyfteme. Nyaſſa. Tanganila. 393 


wichtigiten Karawanenwege von und nad der Oſtküſte erteilt ihm zugleich eine 
praktiſche Wichtigkeit, welche durch die Gründung zahlreicher arabiicher Handels- und hrift- 
licher Miſſionsſtationen Schon heute bekräftigt und ausgenugt wird. Er ijt unter den Seen 
des äquatorialen Dftafrifa der zweitgrößte, der am weiteften nad) Dften vorgejchobene und 
bildet durch diefe Eigenſchaft jowie durch feine Lage auf einer Abfallsftufe des großen 
Terrafienlandes die Bermittelung zwiſchen Hoch- und Tiefland, zwifchen dem obern 
Nil und mittlern Kongogebiete. Sein Südende liegt bei 99 üblicher Breite, fein Norbende 
bei 39 nörblicher Breite. Seine Breite bei Udſchidſchi bezeichnen die Araber zutreffend als 
ganz gleich der zwiichen ber Inſel Zanzibar und dem Feftlande, d. 5. etwa 24 geogr. Meilen; 
aber bei Uvira jchrumpft fie auf 8 geogr. Meilen ein. Die Araber umfahren den See 
von Udſchidſchi ſübwärts in zwölf und von da nordwärts in acht Stationen. Die Tiefe 











Ein Dorf auf einer Landzunge am Zanganilafee (nah Gameron). 


ift beträdhtlih, an manden Stellen der Abfall vom Ufer weg fo fteil, daß kein 
Anfergrund bleibt. Das Wafler fam feinen erften Erforfchern „entzücdend ſüß und rein 
vor nad) dem falzigen und bittern, dem faulen und jchleimigen Inhalte der Brunnen, Löcher 
und Tümpel auf dem Wege von der Küfte”; aber die Anwohner ziehen die Quellen an der 
Küfte zum Trinken vor. Die Farbe des Seewaſſers ift entweder bunfel feegrün oder Far 
lihtblau, „nicht ultramarin wie das Mittelmeer, jondern von einem lichten, fajt mildjigen 
Blau, wie es tropiſchen Meeren eigen” (Burton). Vom Sturme bewegt, verwandelt ſich 
aber diefer ladhende See in ein empörtes Meer und iſt bann mit feinen ‚kurzen, ftoßenden‘ 
Wellen jogar noch gefährlicher als jenes. 

Der Tanganifa empfängt nur einen jehr beträchtlichen Zufluß, den von der Nilwaffer: 
jcheide von Urundi fommenden und an der Weſtküſte mündenden Malagarafi, welcher als 
mächtiger Gebirgsfluß, unfchiffbar und nur an wenigen Stellen von Furten durchjegt in 
den See tritt. Über den Abflug des Tanganifa war man lange im Zweifel. Burton 
und Stanley erklärten ihn für abflußlos, während Livingftone und Gameron ihm 
einen norbweitlihen Ausfluß zuſprachen. Nachdem jchon früher der Mifjionar Hore die 
Flußnatur des an der Nordweitfüfte, nah Stanley blind endigenden Lufuga erkannt 


394 Das Hod: und Stufenland des äquatorialen Oſtafrika. 


hatte, fand 3. Thomſon Ende 1879 in ihm einen „ſtolzen Strom, mit rajher Bewegung 
und wirbelnd gegen Weſten hinausfließend, ungehemmt durch Sandbänfe oder Papyrus- 
gebüfch”. Drei Jahre früher hatte er die von Stanley gejehene Schranfe von Schlamm 
und Papyrus durchgeriffen, nachdem er feit längerer Zeit geftiegen war; nun war er 
aber bereit wieder 2 m von feiner höchſten Höhe herabgejunfen. Einige Kleinere Seen, 
gleichſam Trabanten, umgeben den Tanganika und find in der Regel durch Schuß der 
Lage und Fruchtbarkeit der Umgebung ausgezeichnete Pläge, die vor andern zur Beſie— 
delung einladen. So bildet der Lofu oberhalb feiner Mündung in ben Tanganifa einen 
See von 2 deutichen Meilen Länge, welcher von zahlreihen Dörfern und Arabernieder: 
laflungen umgeben ift. 

Den landidaftlihen Eindrud des Tanganika ſchildert Burton in leuchtenden Farben: 
„Dörfer, angebautes Land, die häufigen Kähne der Fiſcher und, indem wir näher fommen, 
das Murmeln der auf dem Strande ſich brechenden Wellen bringen ein Etwas von Man- 
nigfaltigfeit, Bewegung, Leben in diefe Landſchaft, die, gleich allen ſchönſten Szenen dieſer 
Gegenden hier, nur etwas von der Sauberkeit und Vollendung der Kunft zur Abwechſelung 
inmitten ber überquellenden Üppigfeit und Pracht der Natur, zur Unterbredung der immer 
wiederkehrenden Bilder der jchranfenlojen Vegetation brauchte, um die bewundertiten An- 
blide klaſſiſcher Regionen zu erreichen, wenn nicht zu übertreffen. Doppelt jhön erjcheinen 
allerdings die lachenden Ufer dieſes Bedens nad} den fchweigenden, geifterhaften Mangroves 
der oftafrifanifhen Küſtenlandſchaft und der melancholiſchen, einförmigen Wüſten- und 
Urwaldlandichaft, den verbrannten Felſen, verjengten Flächen und ſchwarzen Sümpfen 
Ugogos.” Kühn, wechjelvoll, wahrhaft alpin ift die Landſchaft auch noch in wei: 
terer Umgebung des Tanganifa und vor allem in jenem gebirgigen Iſthmus, ber biejen 
vom Nyafja trennt. Aber eben dadurch find Verkehr und Befiedelung in diefem Ge: 
biete am ſchwächſten entwidelt, jo daß die auf den erften Blid für den innern Ber: 
fehr Afrikas bedeutfame Nahbarfchaft des Tanganika und Nyaffa ohne praftiiche Früchte 
im Wechjelverfehre ihrer Bewohner geblieben ift. 

Der große Nilguellenjee unter dem quator trägt in feinen nähern und weitern 
Umgebungen einfah den Namen Nyanza (See), während die Araber nad ihrer Gewohn— 
heit, große, umfaffende Namen von Eleinen örtlichen Zügen herzunehmen, ihn Ukerewe 
nad einer Inſel diejes Namens im Südoften des Sees nennen. Nachdem längft Gerüchte 
dur die Eingebornen und die wandernden Kaufleute über ihn an bie Küfte gedrungen 
waren, erreichte ihn zuerſt Spefe 1858. Den beträchtlichen Gegenſatz des allgemeinen 
Naturharakters diefes Sees zu dem Tanganifa erfannte diefer erſte Entdeder fofort, indem 
er jeine große Ausbreitung, die Sanftheit jeiner flahen oder hügeligen Ufer und 
feiner zahlreichen Inſeln hervorhob, während jein Begleiter Burton den Kontraft treffend 
in den Sat faßte: „Der See liegt hoch und offen, eher wie zur Abfuhr und zeitweiligen 
Aufipeiherung ausgedehnter Fluten beftimmt als eine vullanifche Bildung wie des Tan: 
ganifa langes, jchmales Bergjeebeden”. Spätere Forſchungen haben allerdings für den 
Oſten höhere Ränder erfennen lafjen, die in dem Mabahitagebirge ſich zu 2500 m er: 
heben. Speke erfuhr aud bereits, das Wafjer des Uferewe ſei von jo ungewöhnlichen 
Wohlgeihmade, daß jeine Anwohner es dem beiten und reinften Quellwaffer vorzögen, 
und jchildert den Eee zwar als tief, aber von wechjelndem Stande, ftellenweife weite 
Flächen überſchwemmend. Die Farbe bezeichnet er als lihtes Blau aus der Kerne, das 
nach 9 Uhr morgens, wenn der regelmäßige Süboft fich erhebt, in mildhigen oder grau: 
lihen Ton fich verwandelt. Die Größe kann auch ſelbſt nah Stanleys Umſchiffung 
(1875) nur geichäßt werden: es fcheinen Breite und Länge gleihmäßig etwa 45 gevar. 
Meilen zu betragen. Die Meereshöhe wird zu 1237 m angegeben. 


Die Nilquellen. Klima. Ulerewe. 395 


Als der bedeutendfte Zufluß gilt der von Süden fommende Schinoju (von einigen als 
der „eigentliche Nilquellfluß‘ bezeichnet, da feine Quelle unter 5° ſüdlicher Breite in Unjam- 
weft liegt), während von Weiten her der Kagera oder Kitangula eintritt, welcher die Waſſer 
des Alerandra Nyanza bringt. Der Abflug, der im Norden in der Landſchaft Ufoga 
den See ald majeftätifcher Strom verläßt, bildet kurz nad) feinem Austritte die Riponfälle, 
erweitert fi) dann zu einem ſeichten See (Ibrahim Paſcha-See) und nimmt nach Über: 
windung der Schnellen von Karuma ben Abflug des Mmwutan auf, der in nyaſſaähnlich 
dem Norbrande des Hoclandes eingejenkter Bucht in etwa 800 m Höhe fi 30 Meilen 
fübwärts bis 0,350 nördlicher Breite zieht. Mit diefem aber betreten wir bereits das 
Gebiet des „weißen Fleckes“, des unbekannten Innern, über deſſen Grenzen hinaus einen 
vermutenden Blid auf das Rätſel Innerafrifas zu werfen hier, wo es fih um die Ent: 
rollung eines Naturbildes handelt, nicht unſre Sache jein kann. 


Der durchaus tropiſche Klimacharakter des oftafrifanifchen Ho: und Stufenlandes 
erfährt vor allem durd die jcharfen Gegenjäge der Bodengeitalt Abwandlungen, welche 
gerade dieſes Gebiet zu dem in Himatifcher Beziehung vielleiht mannigfaltigiten des Erb: 
teile8 machen. Der häufige und unregelmäßige Wechfel der zwei trodinen und zwei feuchten 
Sahreszeiten im Küftengebiete, wo man ſogar von acht Jahreszeiten ſpricht, zieht ſich jenfeit 
der Küftengebirge in eine ebenfo große Einfachheit zufammen, mit welcher in Unjammefi, 
Ufinfa, Karagmwe, Uganda und am Tanganifa eine durchjchnittlich ſechs Monate lange 
Negenzeit mit einer ebenfo langen Trodenzeit wechlelt. Die Regenzeit (Mafifa) beginnt 
am Tanganifa im September, in Unjammefi im November und dauert bis zum Mai. Der 
Feucdtigfeitsbringer ift überall in diefen Teilen von Afrika der Südoſtmonſun, 
welcher Iofal in einen periodijchen Südweſt abgelenkt wird und mit der Sonne füd- und 
norbmwärts wandert. Er eröffnet und jchließt diefe Regenzeit mit Gewittern, deren Gewalt 
eine jo große ift, daß ihre Blige ftundenlang die Nacht dauernd erhellen. Hagel ift dabei 
nicht jelten. Andauernde Regen (Landregen), wie man fie weiter ſüdlich oder in Indien kennt, 
find hier jelten. Troß der „krankhaft“ heißen Sonnenftrahlen, die in den hellen Momenten 
das Land dunften und rauchen machen, it die Temperatur in dieſer Zeit erheblich 
niedriger als in der trodnen. Auch ift, wiewohl die erfchlaffende Wirkung des Übermaßes 
von Feuchtigkeit ſich jehr ſtark äußert, nicht die Regenzeit, ſondern der darauf folgende 
Beginn der Trodenzeit am ungefundeiten. Dann jegen die weitlihen Winde der Regen: 
zeit in norböftliche um, die, Fühlend und unzählige Erfältungen, bejonders ARheumatismen, 
erzeugend, über das Land hinwehen und durch die ftarfe Verbunftung, die fie hervorrufen, 
noch immer mehr abkühlen. Und endlich folgt die ganz trodne Zeit, die den Reſt des 
Sahres von Juni bis September oder November einnimmt, die für ben Körper wohl: 
thuendfte Zeit, in welcher der Himmel jelten ganz dunſt- oder wolfenlos, die Regenlofigfeit 
aber abjolut it. In diefen Hochebenenlandichaften find zu diefer Zeit die Nächte immer 
fühl, und die größte Mittagswärme geht im Schatten nicht über 45° C. Starker Tau fällt 
nur an der Küfte und in den Küftengebirgen und dann wieber in nächfter Nähe der Seen. 
Am Ende diefer Zeit bewirkt die mit der Entfernung der Sonne nad) Süden zunehmende 
Kühle einen frühlingsartigen Übergang zur Regenzeit: die Pflanzen grünen und fnofpen, 
die Vögel bauen Nefter, die Menjchen fegen ihre Felder in ftand und überziehen die 
Dächer ihrer Hütten mit einer neuen Lehmſchicht, um den zu erwartenden Regengüſſen 
ruhiger entgegenjehen zu fünnen. Die Bedeutung der Regenzeit für das Leben diejer 
Völker mag auch aus der Thatjache fich ergeben, daf fie nach „Maſikas“, nad Regenzeiten, 
ftatt nach Jahren reinen. Oder fpricht fich vielleicht in diefer Rechnungsweiſe nur die 
Betonung des Angenehmen aus, wie man e3, in poetifcher Neigung, bei ung durch die 


396 Das Hod: und Stufenlandb bes ägnatorialen Dftafrifa, 


„Sommer“ und „Lenze” thut, welche das proſaiſche Jahr erjegen follen? Wie dem aud 
jei, die Regenzeit ift die Zeit des Lebens, der Negung, der Arbeit für den Oftafrifaner! 

Indem wir für die Schätzung des allgemeinen Vegetationscharafter® auf das Bild 
verweilen, das wir von der Flora Afrikas entworfen haben (f. S. 10 ff.), möchten wir 
hier nur auf die nüglihen Pflanzen hinweiſen, für deren Schäßung uns Grant in dem 
Verzeichniſſe oft: und innerafrifanisher Pflanzen, welches Spefes „Journal of the dis- 
covery of the sources of the Nile“ (1863) angehängt ift, einen guten Schlüffel gegeben. 
Er führt dort nicht weniger als 196 Arten von Nußpflanzen auf, von welchen 26 angebaut 
und 170 wild find; unter legtern dienen 40 der Ernährung, 14 der Ernährung und zugleich 
andern Zweden, 42 find Arzneipflanzen, 29 bieten Holz zur Anfertigung der Hütten, 
Kähne, Gefäße und dergleihen, 21 liefern Fajern oder Bajt zu Gelpinften, Rindenzeug 
und Schnüren, 5 find Farbepflanzen, aus der Aſche von 6 wird Salz gewonnen, 4 liefern 
Harz und 9 Schmudgegenitände (als Perlen verwendbare Früchte und dergleichen). Dabei 
bleibt noch eine große Anzahl von Gewächſen, die hier heimisch find, gänzlich unbenugt, wie 
3. B. feine von den neun Indigoferen als Farbepflanze Verwendung findet, oder wie die 
Eingebornen höchlich eritaunt waren, Spefe und Grant den Liebesapfel verzehren zu 
jehen, den dieſe unter 7 und 4° jüdlicher Breite wild fanden. Man fieht aus diefer Auf: 
zählung, wieviel Schäße dieſes reiche Gebiet hegt, die mindeſtens zum Teile Nutung 
gefunden haben; wieviel mögen aber noch verborgen liegen? Nachdem wir die Armut Süd— 
afrifas an nugbaren Pflanzen (j. S. 40) beiprochen haben, ift e8 von Intereſſe, darauf 
hinzumeifen, daß wenigitens hier im Oſten die afrifaniihe Pflanzenwelt nit arm an 
Gewächſen ift, aus weldhen Nugen gezogen wurde oder zu ziehen wäre, Und daß bie 
Fruchtbarkeit dabei oft großartig it, beweift unter anderm die Schilderung Eltons und 
Cotterills, welde vom Nyafja nordwärts eine deutiche Meile durch Bananendidicht zogen. 

Die äthiopifhe Fauna ift in diefen Hocdlandsgegenden in ihren ganzen Reichtume 
vertreten. Die großen Raubtiere und Didhäuter ſowie eine Anzahl von Antilopen, welche 
allerdings an Zahl, Mannigfaltigkeit und Größe die ſüdafrikaniſchen nit von fern 
erreichen, die Paviane, weldhe ebenjojehr wie die Raubtiere und vor allem von den Weibern 
gefürchtet werden, gehören auch hier zu den Charaftertieren. Raubtiere find jtellenweife jo 
häufig, dab Dörfer um ihretwillen verlaffen oder daß die Wohnftätten auf Pfähle geitellt 
werden, Bon Vögeln ift ein großer Reihtum an Wat: und Schwimmpögeln in der Regen- 
zeit vorhanden, der Strauß fehlt nicht, zahlreiche Fleine Nögel fommen als Wanderer, fo 
die auch hier heilig gehaltene Badhitelze (ſ. S. 304), welche geradezu zum Haustiere wird, 
und eine Schwalbe, welche zwar nicht unter Dächern, aber in ähnlicher Weife unter Erb: 
überhängen baut. Mehrere von dieſen Kleinen machen fich durch die Vertilgung der zeit: 
weilig in großen Schwärmen erfcheinenden Heufchreden nützlich. Giftfchlangen find nicht 
häufig. Die Fröſche führen befonders in den feuchten Umgebungen der großen Seen Kon: 
zerte auf, die durch hellern Klang der Stimmen mehr an die der Neuen Welt als an die 
Europas erinnern. Bon dharakterijtiichen Heinern Tieren feien nod die bis 15 cm langen 
Taufendfüße, die Landblutegel, die Termiten und die (nad) Livingftone) jelbft no am 
Tanganika zu findende Tfetjefliege genannt. Von den Türmen der Termiten zu ſchweigen, 
erichweren ſelbſt Erdkrabben durch das Auswerfen ihrer handhohen, rajch erhärtenden Erd- 
haufen den Wanderern in Innerafrika das Gehen, jo daß dieſe für ihre Wege die ſchattigen 
Wälder vorziehen, wo folche Unebenheiten nicht vorfommen. 


Die Manganja. Wohngebiete, 397 


17. Die Nyaſſaſtümme. 


„Ein balb zeriplitterter Volleramboß.“ 


Inhalt: Die Manganja (Nganja), das Aderbauvolt der Nyafjaregion. Körperliced. Wohngebiet. Tracht. 
Waffen. Aderbau. Viehzucht. Filcherei. Nahrung. MWohnpläge. Gewerbe. Handelsgeiſt. Weibliche 
Händler. Politiſche Zerfplitterung. — Die Banyai (Nyai). Eigentümliche Erbfolgeorbnung. Gold. — 
Die Makuaga und ihr Verhältnis zu den Yao. — Kleinere Nyafjaftämme; Kondi, Nyika, Inyam— 
wanga, Mambmwe. — Die Babifa (Bifa) der Bangmweoloregion. Aderbau. Viehzucht. Unvolllommene 
Kahnſchiffahrt. Unterdrüdung dur die Yao. Urfprungsfagen. 


Die Manganja oder Wanyafja (Maravi, Matumbofa, Matſchewa und andre find 
Namen von einzelnen Stammesteilen, die ebenfalls oft auf den ganzen Stamm angewandt 
werben) bilden eine Anzahl von Stämmen, welche am Schirwajee und um den Süd- und 
MWeftrand des Nyafja wohnen. Ihrer politiihen Macht und wirtichaftlihen Blüte find 
fie größtenteil3 dur die Eroberungszüge der Wafitu verluftig gegangen. Ehedem, jo 
berichtete man Livingftone, waren alle Manganja unter der Regierung ihres großen 
Häuptlinges Undi vereinigt, defjen Neich ſich vom Schirwafee bis zum Loangwafluffe über 
fünf Längengrabe erjtredte. Einer Überlieferung zufolge find fie von Weiten oder Nord: 
weten gefommen, worauf aud ihr Name „Maravi”, der in ihrer Sprache Norbweiten be: 
deutet, hinzuweiſen jcheint. 

Sie find ein dunkelfarbiges Volt, angeblih im Tieflande der Nyafja-Ufer dunkler 
al3 auf den umgebenden Hodländern, deſſen edlere, das heit minder negerhafte, Gefichts- 
bildung von Livingſtone mehrmals ſtark betont wird. Er weiſt einigen geradezu griechiſche 
Profile zu und fagt im allgemeinen: „Sie haben wenig vom Prognathismus in ihren 
Gefihtern”. Auch findet er ihren Körper und ihre Gliedmaßen gut gebaut, ihre Hände 
und Füße Mein und die „Spornferje” nicht häufiger als bei Europäern. Vom Charakter 
biefes Volkes ift bei der unterdrüdten und gebrüdten Lage, in ber es fich faft überall be 
findet, eine unparteiifche Vorftellung nur ſchwer zu gewinnen. Doc läßt fi) wohl jagen, 
daß es, wie alle jo entſchieden aderbauenden Völker Afrikas, wenig kriegeriſch, fleißig (mit 
Ausnahme mander Tieflandftämme am Nyaffa), geihidt in Aderbau und Gewerben, zere: 
moniell höflich ift. Diefe Tugenden hindern nicht, daß die Manganja von Mafitu und 
Arabern gleiherweife ehr gering geihägt werden. Außer dem Mute und Selbſtändigkeits— 
gefühle haben fie aber an manden Stellen unter dem Drude der Invafionen aud an 
mwirtjchaftliher Tugend verloren, vorwiegend im Norden, wo die Babija fich eingejchoben 
haben (ſ. ©. 407). 

Die Wohngebiete der Manganja ziehen heute auf dem linken Ufer des Zambeſi von 
der Schiremündung nad) Norden bis etwa zum 12,0 nördlicher Breite. Im Thale des Schire 
und feiner Zuflüffe, um den Schirwafee und dann am Weftufer des Nyafja bis zu dem 
hohen Tafellande der Zulu oder Mafitu figen fie als bie zuerft eingewanderten der gegen— 
wärtigen Bewohner. Im Weften begrenzen fie die Babifa und Bafungu, im Norden außer 
den Mafitu auch die Babifa. Größere Stammesabteilungen find die eigentlihen Manganja 
im Süden, die Maravi im Südweſten jenfeit des Kirfgebirges, die Marimba und Matum: 
bofa am Weftufer des Nyafja und die Matſcheva weitlih von den legtern. Bon außen 
ber waren in diefe Wohnfige von Often und Südoften her Wayao, von Süden Banyai und 
von Norden Babija eingedrungen und hatten fi unter den verjchiedenen Stämmen der 
Manganja teils anſäſſig gemacht, wie die beiden legtern, teild als Nomaden einen Teil 
ihres Landes in Beichlag genommen, wie die Mehrzahl der erftern. Als Livingitone zum 


398 Die Nyaffaftämme, 


eritenmal in diefe Gegend fam, wohnten die Manganja ziemlich) ungemiſcht nur noch auf 
dem Hochlande vor Deza, ungefähr zwifchen dem 14. und 15.° füblicher Breite. 

Die Manganja leiden ſich in Felle, meiſt Ziegenfelle, die um die Hüften gefchlungen 
werben, ihre Weiber in felbitgefertigtes Baumwoll- oder Buazezeug, das die Geftalt von 
der Bruft abwärts bebedt, und jeit dem Auffommen des Sklavenhandels in Baumwollzeug 





Haartradten der Majhululumbe (nah Holub). Bol Tert, S. 338. 


europäifcher Erzeugung. Die Manganja ſchmücken fich in übertriebener Weife, und namentlich 
ſuchen die Männer einen großen Stolz in der Frifur ihres Haares, deren Mannigfaltig- 
feit erftaunlich ift. Beliebte Motive find Büffelhörner zu beiden Seiten des Kopfes, Strab: 
len, die, durch lange, biegſame NRindenftreifen verftärkt, nach allen Seiten hinausftehen, lange 
Widel, die auf den Rüden herabhängen, zc. Einige verlängern das Haar durch Hinein- 
flechten von Rinde oder Baft, andre rafieren es glatt ab, und bei einigen verwandten 
Stämmen oberhalb Tete findet man jogar jchwarze Perüden aus Jfe (Sanseviera). Nicht 
minder übertrieben iſt ihr übriger Körperſchmuck. Von Süden fommend, ift es hier zum 
eritenmal, daß man dem Pelele oder Lippenringe begegnet. Um ihn anzubringen, wird 


Tradt. Schmud. Das Pelele. 399 


die Oberlippe der Mädchen in der Mitte dicht an der Scheidewand der Naſe burchftochen 
und ein Heiner Pflod hineingeftedt, um das Zufammenheilen zu verhindern. Indem in die 
jo einmal erweiterte Öffnung immer didere Pflöde geſteckt werden, ift es ſchließlich möglich, 
mit Leichtigkeit einen 6 cm im Durchmeſſer haltenden Ring einzulegen. Auch jest man 
wohl ein ſchüſſelartiges Scheibhen aus Zinn ein. Eine Frau erjcheint öffentlich niemals 
ohne das Pelele, außer in Zeiten der Trauer um Berftorbene. Am Rovuma findet man 
diefen jeltjamen Zierat au bei Männern, und nur ausnahmsweije ergänzt den obern 
Lippenring ein in die Unterlippe zunächſt dem Zahnfleifche eingeftedter Pflod. Eine alte, 
wegen ihres Verſtandes geadhtete 
Manganjafrau am jüblihen Nyafja 
war die einzige Perfon, welche nad) 
Livingftones Erfahrung fi) des 
Pelele jhämte, es beim Spreden 
herausnahm und das Loch mit der 
Hand zuhielt. In einigen Gegenden 
hatte übrigens jchon vor Jahren das 
Beijpiel der Wayao den Lippenpflod 
verfhwinden laffen. Außerdem tra= 
gen die Manganja die üblichen eiſer— 
nen oder fupfernen Ringe um Finger, 
Hals, Arme und Beine; ein Stamm 
am Luia trägt einen einzigen mej- 
fingenen Obrring von 6 bis 10 cm 
Durchmeſſer nad Art der Agyp— 
ter. Länglide Tättowierungs: 
narben find häufig, und zwar lehrt 
ihre regelmäßige Stellung, daß es 
feine Heilnarben, jondern zu Schön: 
heit3zweden erzeugte find. Man fin: 
det bei Männern und Weibern kurze 
Striche diejer Art quer über die Naſe 
und auf der Stirn, auf den Wangen, 
un Kreiſe ea Brüfte ober Nabel; Ein Manganjamädden vom Schire mit Pelcle und Tättowierung 
aber einzelne Stämme gehen viel (nad Sivingfone). 

weiter und tättomwieren fich in jpig- 

winfeligen Figuren, die von Stamm zu Stamm verſchieden find, von Kopf bis zu Fuß. Die 
Methode der Tättowierung befteht darin, daß man die Oberhaut einfchneidet und die Haut: 
ränder zurüdzieht, bi8 die Unterhaut narbenartig hervortritt. Andre desjelben Stammes 
bededen fi) das ganze Geficht und befonders die Nafe (vgl. die Abbildung, S. 224) mit 
warzenartigen Narben, welche an den Naſenſchmuck arabifher Mädchen erinnern. Nicht 
minder verjchiedenartig äußert fi die Sitte des Feilens oder Auskerbens der Zähne. 
Einige feilen fih die obern und Vorderzähne fo zu, daß ihr Gebiß frofodilzahnähnlid wird, 
andre ferben vermitteljt Kiejeljteine die obern Vorderzähne fo aus, daß deren Kanten halb: 
mondförmig werden, wieder andre jchlagen eine dreiedige Kerbe ein. Es gehört die Fräftige 
Bezahnung diefer Neger dazu, um bei folder Mifhandlung die Zähne doc jo gejund zu 
erhalten, daß fie fich oft im Alter langſam bis zur Wurzel abnugen und das auf Greije 
angewandte Sprichwort rechtfertigen: „Er hat jo lange gelebt, daß Zahnfleiich und Zähne 
gegeneinander ganz glatt find“. 





400 Die Nyaffaftämme, 


Da die Manganja in jenem öfters erwähnten Völferbualismus, der gerade in ihren 
Wohnplägen jo ſcharf hervortritt, das jeßhafte, aderbauende, friedliche Element find, jpielen 
die Waffen praftiic feine große Rolle unter ihnen; anderjeit3 find fie aber jehr tüchtige 
Schmiede und darum doch nicht minder gut, ja in den eigentlichen Eifenregionen wohl viel: 
fach erheblich befjer damit ausgeftattet als ihre nomadijchen Nachbarn. Speere, Bogen und 
Pfeil find auch diefer Völker Hauptwaffen. Ihre Speere find gleich denen der Zambefivölfer 
» dur Schwere ausgezeichnet, da jowohl die Spigen mit großen, fantigen 

Klingen bejegt, als aud die Schäfte mit eifernen Ringen umfaßt find. 

Einige Stämme find wegen ihrer vergifteten und mit Widerhafen ver: 

fehenen Pfeile, wie z. B. die Anwohner des Schire in der Nähe von 

Momba, gefürdtet (f. nebenftehende Abbildung). Won einer bejondern 

Art am Nyafja gebrauchter Giftpfeile ſpricht Livingftone, die mit hölzer: 

nen Pfeilfpigen befegt jeien, mit einem eignen, nur den Menſchen tödlichen 

Gifte beftrihen und jorgfältig mit Maisblatt ummwunden getragen wür: 

den. Bon andern Waffen hören wir gelegentlich ein langes eijernes Meſſer 

von oft Funftreicher Arbeit erwähnen. Aber die ftändige Begleitung der 

Manganja bilden nur Bogen und Pfeile, und der erftere it jelbjt als 

Schauwaffe impojant genug, denn er erreicht 2 m Höhe. 

Im Aderbau find die Manganja eins der fortgefchritteniten Völker 
Innerafrikas. Sie Eleben in hohem Grade an der Scholle; daher aud) 
ihre unglaublich geringe Wegfenntnis, welche die Neifenden jo oft befla- 
gen. Schon der Umftand zeichnet fie aus, daß nicht bloß Weiber bei 
ihnen im Felde arbeiten. Alle Bewohner eines Dorfes ziehen aus, um 
auf den Feldern zu arbeiten, und es ift nichts Ungewöhnliches, Männer, 
Frauen und Kinder in ftarfer Thätigfeit zu jehen, während der Säug: 
ling dicht dabei unter einem jchattigen Buſche liegt; oft arbeiten Trupps 
von Dorfgenofjen auf dem Felde eines Mohlhabenden um eine Spende 
Dier. Die Häuptlinge werden nicht jelten bei der Ankunft von Fremden 
von der Feldarbeit nach Haufe geholt. Die Arbeitszeit dauert, wie bei 
andern fleißigen Tropenvölfern, vom frühften Morgen bis 11 Uhr und 
von 3 Uhr big Sonnenuntergang. Sie begnügen fid nicht damit, offene 
Stellen zu bepflanzen, jondern lichten fleißig, indem fie mit ihren Kleinen 
Axten aus weichem Eifen Bäume fällen und zwifchen die Stümpfe, die 

fie allmählich verfaulen lafjen, ihr Getreide fäen. So fand Livingitone 
Baifen der Man» am Weſtufer des Nyafja im Urmwalde Lichtungen, deren jede 1 engl. Qua— 
—48* — dratmeile oder mehr umfaßte; die Bäume waren niedergehauen und nur 
vingftone). Stümpfe von ?/a big I m Höhe gelafjen worden. Das gefällte Holz wurde 
auf große Haufen zufammengeworfen und verbrannt, worauf mit der 

Aſche diefe urbar gemachten Stellen gedüngt und auf denjelben eine Hirjenart (Eleufine?) 
angefäet wurde, welder Livingitone die Eigenſchaft zuſprach, „unverdaulich wie grober 
Sand” zu jein. Der von Eüden Kommende findet hier zum erjtenmal den Anbau der 
Baummolle, und zwar werden zwei fremde und eine einheimifche Spielart gebaut, von 
welchen die legtere, einjährige, jo Furzfaferig iſt, daß fie fih wie Wolle anfühlt. Der An: 
bau der Baummolle ift jehr verbreitet, Livingftone ſah Baummollfelder von 1 Ader und 
Ichreibt, jede Familie von einiger Bedeutung befige ein Stück Baummwollland. Ebenjo allge: 
mein ift ihre Verarbeitung. Im Schiregebiete betritt man in friedlichen Zeiten faum ein 
Dorf, wo man nicht einige Leute Baummolle reinigen, fpinnen und weben fieht. „Sie wird 
zuerjt mit den Fingern oder mit einer eifernen Walze auf einem Heinen Holzblode forgfältig 





Aderbau. Viehzucht. Jagd und Fiſchfang. 401 


vom Samen gejondert und in lange, weiche Bänder ausgezogen. Dann befommt fie ihre 
erfte Drehung auf der Spindel und wird etwa jo did wie ein Lichtdocht. Nachdem fie 
abgenommen und auf einen großen Knäuel gewidelt it, erhält fie die legte, ftarfe Drehung 
und wird auf der Spindel zu einem feften Garne geiponnen.” Seit dem Aufblühen des 
Sklavenhandels im Nyafja: und Rovumagebiete ift aber längs der Handelsftraßen der Baum: 
wollbau zurüdgegangen, da die Nraber das Land mit billigen Baummollzeugen über: 
ſchwemmten. Einen Beweis von felbftändigem, erfinderiſchem Vorgehen auf diefem Gebiete 
geben auch jene Bewohner jumpfiger Streden des Scirethales, welche im tiefen Schlanme 
Mais bauen, indem fie in jedes Loch erft Sand füllen, dann die Körner einlegen und dieſe 
mit Sand wieder bebeden. In der trodnen Zeit fieht man die Weiber ihre Pflanzungen 
aus Kürbisflafhen begießen, während an andern Stellen die Männer bejchäftigt find, 
Ichattenreihe Bäume, die in den Feldern jtehen, jo weit auszuäſten, daß fie ben unter ihnen 
ftehenden Gewächſen nicht zuviel Licht wegnehmen. Bei jolhem Betriebe des Aderbaues 
war Biſchof Madenzie im Rechte, wenn er beim erften Anblide der Felder am Schire 
fagte: „In England gab ih an, daf ich unter anderm diefen Leuten die Landwirtichaft 
zu lehren gedächte; aber jetzt jehe ich, daß fie weit mehr davon verftehen als ih”. Mit der 
Gejhidlichkeit verbinden fie eine große Gemiljenhaftigfeit in ihrem Feldbaue, jo daß es 
3. B. unmöglich ift, Träger oder Führer aus diefem Volke nad) dem Fallen der erften Regen: 
tropfen zu erhalten, welche den Beginn der Regenzeit (Ende Oktober) anzeigen, da fie 
dann ihre Pflanzungen anlegen müſſen. Außer ihren eignen Feldern wiflen fie übrigens 
aud die umgebende Natur auszunugen. Einige durchziehen das Land weit und breit, um 
wilden Honig zu fuchen, wobei fie oft dem Honigvogel ald Führer folgen. Andre ſammeln 
im Walde die langen, zähen Schoſſe eines Strauches, Securidaca longipedunculata, aus 
welchen eine Fafer, Buaze, gewonnen wird, durch deren Verfpinnen fie ein hauptſächlich von 
den Frauen zu ihrer Bekleidung verwendetes grobes Zeug bereiten. Aus der Rinde des 
wilden Feigenbaumes verfertigen fie Rindenzeug, aus feinem Safte Kautichuf; die feinen 
Zuftwurzeln desjelben werden mediziniſch gebraucht. 

Die Viehzucht der Manganja ſoll früher bedeutender gemwejen fein als jegt, wo ihre 
Unterwerfung unter die Mafitu fie den größten Teil ihrer Herden gefoftet hat. Ihr Rind, 
das Livingftone einmal mit gemäfteten Madagaskarrindern vergleicht, hat einen ſtark ent— 
widelten Fettbudel. Die Kühe werden nie gemolfen, da Milhgenuß den Manganja fremd 
ift. Da fie ebenfowenig Eier effen, halten fie auch nicht viel Geflügel. Aber bei dem in 
manchen Beziehungen abweichenden Stamme der Matumbofa find Hühner und Tauben in 
Schlägen, die den ägyptiſchen ähnlich find, häufig. Neben ihren jchwarzhaarigen Fett: 
ſchwanzſchafen halten fi) die Manganja Ziegen, welche als eine Rafje von ſchönem, breitem 
Körper und kurzen Beinen gefchildert werden. Aber die eigentlihen Viehzüchter ihres 
Landes find nicht fie, die zu jehr dem Aderbaue ergeben und auch zu jeßhaft für jenes 
Geſchäft find, jondern ihre Unterdrüder, die Wayao und Malitu. 

Die Jagd liefert ihnen in ihren meift dicht bevölferten und darum wilbarmen Gegen: 
den nicht viel, aber fie find nicht ſehr wählerifh und effen in Hungerjahren ſelbſt Mäufe 
in Menge. Einen befonders wichtigen Teil ihreg Nahrung bildet jedoch das Bier, defjen 
Bereitung gleich der der Speijen den Frauen obliegt. Da fie fein Mittel haben, um die 
Gärung aufzuhalten, find fie genötigt, es raſch wegzutrinfen, was häufig wiederkehrende 
Trinkgelage bedingt. Noch höher fteigert ſich die Fröhlichkeit in der Palmmeinfaifon, mo 
ganze Familien in den Wald ziehen und den „Herbit” unter ihren Palmen verbringen. 
Der Genuß des Salzes zur Würze der Nahrung ſcheint ganz allgemein, aber die Manganja 
erzeugen weit über ihren Bedarf in den falzhaltigen Schirefümpfen, wo ganze Stämme ſich 
zeitweilig nieberlaffen, um den Schlamm auszulaugen. Dabei ift es auffallend, daß fie 

Vollerlunde. I. 26 


402 Die Nyaffaftämme. 


diefen Calzüberfluß nicht zum Einjalzen der Fiſche benugen, welche fie im Nyafja jelbit 
und feinen Heinen Randfeen in großer Menge fangen. Ganze Flotten von Baumfähnen 
find in der Fiſcherei befchäftigt, und befonders die Nyaffa-Manganja find vortreffliche 
Schiffer. Viele Fiſche werden im getrodneten Zuftande als Handelsartikel weithin vertrie- 
ben. Als Beitrag zur Frage vom Eigentumsbegriffe der Naturvölfer mag erwähnt werben, 
daß Livingftone in einer Bucht des Nyafja File von mehreren Männern faufen wollte, 
die dort filchten, daß dieſe ihn aber an ihren Herrn verwiejen, dem dieſe Fiſche angehörten, 
und ber fie denn auch bereitwillig verkaufte. 

Die Dörfer der Manganja pflegen mit hohen Zäunen aus fäulenartigen Euphorbien 
(Eupborbien lafjen fein Gras unter fih wachſen und find jelber feuerfeft, jo daß fie auch 
Schuß gegen das Inbrandfteden der Dörfer bieten), an einigen Stellen au mit Bambus 
oder wilden Feigen umrahmt zu fein; fie find gewöhnlich nicht groß, aber zahlreich: in man- 
hen Gegenden, wo der Krieg die Bevölkerung noch nicht dezimiert hat, liegen fie etwa ein 
Stilometer weit auseinander. Die Hütten find freisrund. In der Nähe des Zambefi trifft 
man ſchwache Verfuche, vieredige Hütten mit Lehm: (Adobe-) Wänden nad) portugiefiichem 
Mufter zu errichten. Ein fchattiger Plag an einem Ende bes Dorfes (Baolo) dient als 
Beratungsplag für die Dorfbewohner. In der Nähe des Dorfes pflegt an ſchwer zugäng- 
licher oder mit Paliffaden umſchloſſener Stelle eine Zufluchtsitelle abgegrenzt zu jein, wo 
auch Räume für die Vorräte fi befinden. Nicht jelten wechjeln die Dörfer bei Heim: 
juhungen durch Krankheit oder Tod ihren Standort, aber häufiger noch find fie während 
der legten Jahrzehnte wegen Zerftörung durch Kriegsereigniffe verlegt worden und zwar 
oft nach den unzugänglidften Stellen. Young jah am Nyaſſa Pfahldörfer mit hundert 
Hütten auf einer einzigen Plattform, und Livingftone erzählt: „Als wir auf dem Schire 
binabfuhren, fanden wir in dem breiten Papyrusgürtel um den See Bamalombe herum, 
zu welchem fich der Fluß erweitert, eine Anzahl Manganjafamilien verjtedt, welche durd 
die Ajawa-Einfälle aus ihren Wohnfigen vertrieben worden waren. Der Papyrus wuchs 
jo dicht, daß er, wenn er niedergedrüdt wurde, ihre Eleinen einjtweiligen Hütten trug, 
obwohl er, wenn fie von einer Hütte zur andern gingen, unter ihren Füßen wie dünnes 
Eis ſich hob und ſenkte. Zwifchen fich und dem Lande ließen fie einen dichten und undurch— 
dringlihen Wald von Papyrus ftehen, und es würde nie jemand vermutet haben, der 
vorbeifam, daß bier menſchliche Weſen lebten.” In Bezug auf Reinlichkeit find die Dan: 
ganjabörfer jehr verjchieden. Livingjtone bemerkte einen ftarfen Abſtand in der Rein: 
lichfeit der Hoch- und Tieflandbewohner am Nyafjajee. Auf dem Hochlande befam man 
„pen Eindrud von übertriebenem Schmuge, während man im Tieflande Haufen von Män- 
nern und Frauen fich täglich im fließenden Waſſer wajchen jah“. 

Mie im Aderbaue, find die Manganja aud im Gewerbe gefhidt. Hauen, Meſſer, 
Ringe, Speer: und Pfeilfpigen ftellen fie in Menge ber, und dieſe Gegenftände, vor allen 
die Hauen, gehören zu den gangbariten Handelsartifeln. Während fie ihre Schmelzöfen 
mit Vorliebe in den Ameifenbauten anlegen und verlafjene Schmelzöfen ſowie Schladen: 
haufen zu ben gewöhnlichen Erſcheinungen in der Landſchaft weitlih vom Nyafja gehören, 
findet man bei den Matumbofa am Weſtufer des Nyafja in jedem britten oder vierten Dorfe 
einen thönernen, flafchenförmigen Ofen, gegen 2 m hoch und 1 m breit, der zum Eijen- 
ichmelzen dient. Am gejchidtejten jollen die Majchewa in Eifenarbeiten fein. „Hier ift 
man ficherlich im eifernen Zeitalter, fügt Livingitone feiner Schilderung hinzu. Kupfer 
halten die Manganja für jchwerer verjchmelzbar, vermutlich, weil fie meiftens Malachit dazu 
verwenden. Nach der Thatjache zu ſchließen, daß öfters die Schmiede Dorfhäupter find, 
darf man annehmen, ihr Handwerk fei hier ein geachtetes. Nächft diefem Gewerbe ift das 
des Spinnens und Webens der Baummolle, die anſcheinend auf einem Webftuhle derjelben 


Dörfer. Pfahlbauten. Gewerbe. Handel. 403 


Konftruftion wie die in Weftafrifa gebräuchliche verarbeitet wird, jomwohl am Schire als 
am Nyafja jehr verbreitet. Am Schirwafee wird die Töpferei in größerm Maßſtabe be: 
trieben, die Gefäße werden aus freier Hand verfertigt und mit Wajjerblei, welches in den 
nahen Hügeln gefunden wird, verziert. Auch im Flechten von waſſerdichten Körben, von 
Matten, deren jede Hütte einige zu enthalten pflegt, oder von Nepen, zu denen meilt die 
Buazefafer (j. S. 401) benugt wird, ift die Bevölkerung geſchickt und eifrig, und nicht 
minder lebhaft wird am weftlihen Nyafja:Ufer bereit die Anfertigung von Rindenzeug 
aus der Rinde des Gummibaumes betrieben. 

Alle diefe Erzeugniffe heimischer Induftrie: Eifenwaren, Salz, Fiihe, Netze, Töpfe, 
bildeten ehedem die Gegenftände des Handelsverfehres; aber diefer Handel wurde jehr 
bald in den Hintergrund gedrängt durch den 
SHlavenhandel, der von den Portugiejen auf 
dem Schire und Zambefi und von den Arabern 
noch energijcher vom Rovuma her mit den öf- 
ters erwähnten Mitteln und Folgen betrieben 
wurde. Indem die Kriege zwiſchen den Man: 
ganja und Wayao zulegt in Sklavenjagden 
ausarteten, in denen erftere den leidenden Teil 
bildeten, wurde der einheimiſche Handel lahm: 
gelegt, während das Land mit Waren euro- 
päiſcher Erzeugung überfhwemmt ward. Eine 
rege, jelbitändige Handelsthätigfeit bejteht nach al 
Livingftones Schilderung noch unter den IRHINLZN 
Frauen der weitlihen Manganja oder Bafenga. IS > RI 

Die politifhen Verhältniſſe der Man— 
ganja ſind heute charakteriſiert durch die Zer— 
ſplitterung. Es gibt kein Stammeshaupt, 
weder für das Ganze noch für die Zweige; die 
Dorfhäuptlinge ſind die einzigen Repräſentan— 
ten der politiſchen Organiſation, die einzigen 
Machtinhaber. Am Rivi-Rivi, der ſich in den 
Schire ergießt, fand Livingſtone eine nach 
der Güte des Bodens durchgeführte Einteilung Eine Zieraxt aus dem Manganjagebiete, angeblich 
alles Landes in Bezirke an beiden Ufern, von Lon Wapao Rammend, (ARufaum Fir Böltertunde, Berlin) 
der Quelle bis zur Mündung. In der Regel en 
gilt nur das bebaute Land als eigen, das unbebaute als herrenlos; doch erkannten die 
Maravi bei Tete bereitwillig das vor langer Zeit erworbene, aber nicht benugte Recht der 
Portugiefen auf gewiſſe Striche ihres Gebietes an. Abgejehen von den Raubzügen der Yao, 
hat die neuere Gejchichte der Manganja in gelegentlichen Streitigkeiten und Intrigen der 
Kleinhäupter beftanden, in die ſich wohl auch arabifche oder portugiefifche Sklavenhändler 
miſchten. Wenn dieje Häuptlinge die Fremden mit Erpreffungen verfchonten, wie fie z. B. 
ihon bei ihren Nachbarn und Stammverwandten, den Banyai, üblich find, jo machten fie 
aus der Not eine Tugend. Es entjpricht der minder mächtigen Stellung diejer Klein: 
bäupter, daß fie fih vor den Fremden verleugnen laffen, um etwanigen Forderungen 
derjelben zu entgehen, und ſich nicht eher zu erkennen geben, als bis jegliher Argwohn 
bejeitigt ift. Manche laffen gar feinen Fremden in ihr Dorf. Vielleicht würden fie von 
ihren eignen Volksgenoſſen längft gering geachtet fein, wenn nicht die Manganja ein 
ebenjo loyales wie höfliches Volt wären. Kein Häuptling, noch jo ohnmächtig, betritt den 

26* 





404 Die Ryaffaftämme. 


Baolo ohne eine Salve von Händeflatihen feitens feiner „Unterthanen“. Und dabei ver: 
kauften diefe Herren eine Menge diefer Getreuen an die Wayao zu dem Preife von 2 bis 
4 Ellen Zeug pro Kopf! Die Würde des Häuptlinges ift direft erblich, nur in Zweifels- 
fällen wird der Nachkomme der Häuptlingsihweiter vorgezogen. 

Übrigens ift e8 am wenigften zu verwundern, wenn diefes Volk argwöhniſch iſt. Was 
Livingftone von den Manganja am Weftufer des Nyafja jagt, daß fie im allgemeinen 
die Flüffe und Nebenflüffe gut, die Anwohner berjelben aber ſchlecht kennen, gilt zwar 
von vielen Naturvölfern: die Natur ift neutral, während die Menjchen einander fait immer 
nur feindlich gefinnt find; aber wenige dürften fi beftändiger von Feinbfeligfeiten bebrobt, 
jhuglofer, weniger in ruhigem Gleihgewichte fühlen als dieſe ohnmächtigen, zwiſchen die 
in ihre Mitte eingedrungenen Räuber (im Lande der Mabena, nördlihd vom Nyaſſa, 
waren zu Eotterills Zeit alle Höhen von den räuberiichen Makanka bejegt, die jene Thal: 
bewohner beitändig bedrohten) und die Sklavenhändler wie zwiichen Hammer und Amboß 
geworfenen Splitter des Manganjavolfes. Seltjamerweije gehörte zu den minder beläjtigten 
Stämmen aud ein zu Livingftones Zeit von einem Weibe, Nyango, regierter Stamm 
im obern Schirethale, wo, wie man jagte, die Frauen im allgemeinen eine höhere Stellung 
einnahmen als bei den von Männern beherrichten Stämmen. Übrigens ift im allgemeinen 
die Stellung des Weibes bei den Manganja keineswegs eine einflußlofe, was vielleicht 
mit der verhältnismäßig geringen Zahl der Frauen bei dieſem Volke zufammenhängt, dem 
die Raubzüge feiner Feinde und die Sklavenjagden immer am meijten von der weiblichen 
Jugend aus dem Lande entführten. Die Mehrzahl der 20,000 Einwohner, die noch nad 
Youngs Berechnung (1875) alljährlih aus dem Lande um den Nyafja weggeführt wur: 
den, find immer Weiber und Kinder. 

Somohl inner: als außerhalb der Familie ift der Verkehr der Manganja unter fi 
auffallend höflich; fie teilen mit andern Zambefiftämmen die feltfame Sitte, nicht ohne 
Händeklatſchen fi zu begegnen, zu begrüßen, nieberzufigen und miteinander zu ſprechen. 
Ihre Bejahung befteht im Erheben des Kopfes. Der Häuptling ift der Nechtipreder; er 
nimmt ſich die Befugnis, angebliche Verbrecher zur Strafe in die Sklaverei zu verkaufen. 
Zur Entſcheidung zweifelhafter Fälle wird auch hier in weiter Ausdehnung von dem Gottes: 
urteile durch einen Gifttrank (Muave) Gebrauch gemadht. 


Als unter den jüdlihen Manganja in der Nähe der Kebrabaja zerftreut lebend 
nennt Livingjtone ein Volk Badema, offenbar verfprengte Manganja irgend eines 
Stammes. Sie bebauen nicht nur das Feld, jondern fiſchen auch mit Wurfnegen und 
jagen das Wild in den mit großen Baobabnegen umgebenen Schluchten ihres Landes. Als 
hervorſtechende Eigenihaft wird ihnen bochgradiger Argwohn gegen Fremde zugeichrieben. 
Sie jheinen von den Manganja in einer gewiſſen Unterthänigfeit gehalten, d. h. ziemlich 
regelmäßig ausgeraubt, zu werden. Nächitverwandt den Manganja find dann die Banyai 
(von Chapman Banabia genannt) am Südufer des Zambeſi, die ihrerfeitS wieder in 
kleinere Stämme mit bejondern Namen zerfallen, zu welchen unter andern die öfters ala 
eigner Stamm aufgeführten Bambiri gehören. Ihre Wohnfige erftreden ſich von der Ein- 
mündung des Kafue bis gegen Tete, und da Livingftone no bei Zumbo Leute mit 
Narbentättowierung auf Naje und Stirn und mit dem Pelele traf, welde er den Maravi 
zuweift, jcheinen bie Banyai wie ein füdlicher und weftlicher Ausläufer mit ben Stamm: 
verwandten am Nyafla zufammenzuhängen. Aud die fogenannten Schidima bei Tete find 
Banyai. Höchſt wahricheinlid gehören zu ihnen aud die Banajoa, welche Livingitone 
1850 am untern Mababe traf und die er „einen weit nad) Djten fid) ausbreitenden Stamm“ 
nennt. Sie lebten auf Pfahlhütten und waren Aderbauer. Mit Sicherheit weit Chapman 


Politiſche Einrichtungen. Unſichere Zuftände. Die Banyai. 405 


diefem Stamme einige Dörfer in derſelben Gegend zu, deren Banabia genannte Bewohner 
vom Südufer des Zambefi gefommen find. Sie zahlen Tribut an die Bamangwato. Die 
Farbe der Banyai ift häufig ein helles Braun; fie find darum jowie auch wegen ihres 
ihönen, fräftigen Körperbaues bei den Portugiefen als eins der ſchönſten Völker Afrikas 
befannt. Ihre Weiber tragen das Pelele, das indeffen nur Klein und aus Zinn gefertigt 
zu fein pflegt; auch feilen fie eine Lücke in die obern Vorderzähne. Sie find tüchtige 
Aderbauer, Eijenarbeiter und Goldgräber. Auch find fie nicht unfriegerifh, und Flinten 
find außer den großen Bogen, den Giftpfeilen und den ſchweren Speeren nicht felten unter 
ihnen. Ihre Hütten find häufig Pfahlhütten. Der bemerkenswertefte Zug in ihrem Wefen 
ift jedoch ohne Zweifel ihre eigentümliche politifhe Verfaffung, weldhe um fo interefjanter 
it, als ihre nördlicher und öftlicher wohnenden Stammesgenoffen jede politiſche Eigenart 
und Gelbjtändigfeit verloren haben. Es ift nämlich eine Art von republikaniſchem Feuda— 
lismus, unter dem fie leben. Der Häuptling wird aus der Familie feines Vorgängers 
gewählt, und zwar erhalten dabei die Nachkommen der Schweiter des verftorbenen Häupt- 
linges den Vorzug vor feinen direften Nachkommen. Die oft lange währende Zeit zwiſchen 
Tod und Neuwahl eines Häuptlinges ift eine Zeit der Gejehlofigfeit, in der vor allem bie 
fremden Händler für vogelfrei gelten. Der neue Häuptling erhält alles Eigentum bes 
frühern, jamt Weibern und Kindern. Kinder der Häuptlinge und deren Anverwandte 
fönnen aber nicht in die Sklaverei verkauft werben. Es entipringen aus diefer ungeraben 
Erbfolgeordnung Streitigkeiten in Menge, und oft verlaffen.die Kinder des frühern Häupt: 
linges das Dorf, wo fie angeftammt find, um in einer neuen Heimat zu herrſchen. Dieje 
Kleinhäuptlinge, die höchitens über ein paar Dörfer herrichen, erkennen als Oberhaupt 
einen unter fich an, dem alle Grenzitreitigfeiten zur Entſcheidung überwiefen werden. Ein 
joldher Oberhäuptling war der gold: und fagenberühmte „Kaiſer von Monomotapa”, defjen 
Nachkommen heute die Kleinhäuptlinge von Katolofa (Stamm der Bambiri) find, Deren 
Name Motape zufammen mit dem Worte Mono (Moene, Mana zc.), d. h. Häuptling, 
erzeugte diejen unverdient jo berühmt gewordenen Namen, mit dem auf Karten und in 
Büchern einft halb Innerafrika bedeckt war. Noch heute zahlen die Portugiefen dem Häupt: 
linge von Katoloja Tribut für den durch fein Gebiet gehenden Handel, ohne indeffen darum 
den Kleinhäuptlingen minder zu Zoll verpflichtet zu fein. Der letztere wird jelbft unmittel- 
bar oberhalb Tete mit großer Unverfchämtheit erhoben. Die höhere, oft zum Befehle 
über Mann, Kinder und gefamtes Hausweſen fich aufichwingende Stellung der Frau fehrt 
auch hier wieder. 


Die Verbindung zwijchen den am Nyafja wohnenden Stämmen und ber bereits viel- 
fach gemiſchten Küjtenbevölferung ftellen einige Stämme im Hinterlande von Quelimane, 
Mojambif und Kilwa her, welche durch die Raubzüge der ſüdlichen Kaffern dezimiert 
und auf weit fleineres Gebiet zufammengedrängt find, als fie früher einnahmen. Someit 
bei der offenbar ftarfen Beeinfluffung diefer Stämme durch Sklavenjagd und Handels: 
verfehr mit der Küfte zu erkennen ift, ſchließen fie fih eng an die Nyaffaftämme an. Die 
Mwera jcheinen vor 50 oder 60 Jahren fich viel weiter als heute ſüdwärts, jogar bis 
über Majafi hinaus zum Rovuma, ausgedehnt zu haben. Die Eingebornen erzählen ſich 
von einem großen Kriege, in welchem diefer Stamm geſchlagen und zurüdgetrieben wurde; 
wahriheinlih waren es aber die oft wiederholten Einfälle der ſüdlichen Nachbarn, welche 
diefe Wirkung erzielten. So find auch die viel weiter verbreiteten, jüdlich von den Mwera 
wohnenden Mafua offenbar aus demjelben Grunde zurüdgegangen. Zwar find fie viel 
zahlreicher als ihre nördlichen Nachbarn, aber ihre Stärke unter dem jegigen Häuptlinge 
Abdalla Peſa (fo nennt ihn ein Bericht des Miffionars Maples in Majafi von 1879) 


406 Die Nyaffaftäimme, 


fteht weit zurüd hinter der, welcher fie fich vor einigen Jahrzehnten rühmen konnten. In— 
des herrſchen fie no immer auf einem Raume von fünf Breiten und Längengraben an 
den Ufern des Rovuma. Es gibt wohl manche Unterabteilungen oder Zweige der Makua 
auf diefem Naume (DNeill teilt fie in die vier Hauptgruppen der Oſtmakua, Lomme, 
Medo und Mana), welde durch bejondere Tättowierungen unterſchieden find; ihnen allen 
jcheint jedod eine halbmondförmige Narbe auf der Stirn gemeinjam zu fein jowie eine 
übrigens in den legten 30 Jahren unverändert gebliebene Sprache, deren dialektiſche Unter: 
jchiede geringfügige find. Am meiften geſchwächt wurden aud die Mafua in den legten Jahr: 
zehnten dur das Eindrängen von Wayao (Nao) in ihre Mitte. Sie hatten diefen, welche 
zuerft in kleiner Zahl bier MWohnfige fuchten, um fi dem Drude der Regierung Makan— 
dichilas zu entziehen, Land überlaffen, indem fie fi ihr Eigentumsredht daran ebenjo vor: 
behielten wie an dem, welches fie der engliſchen Miffionsitation befreiter Sklaven zu Mafafi 
abtraten; aber durch Schlauheit und Unverſchämtheit wußten fi die Yao allmählich aus 
der bloß gebduldeten Stellung fat zur herrichenden emporzubringen. Man jchildert die 
Makuag als ein gut angelegtes Volk, in der Regel wahrheitsliebend, von ftarfem Familien- 
finne und von ftarfem Gefühle für die Ehre ihrer Frauen und Töchter. Aber fie find zugleich 
ein etwas jchwerfälliges, bodenjälfiges Volk, wiewohl an Fleiß nicht hinter den Yao zurüd- 
ftehend, die ihrerfeits im übrigen fait das Gegenteil der Mafua find: lügenhaft, unmoraliich, 
ihre Frauen faſt wie gemeines Eigentum behandelnd, infolgedeffen von geringem Familien: 
finne, zugleich) aber thätig und mwanderluftig. Sie regieren ſich nicht mit patriarchaliſchem 
Vertrauen wie die Mafua, fondern es geht ein dejpotifher Zug dur ihre Regierung, 
ohne daß die legtere hierdurch feiter und wirfiamer wäre. Schon heute ſchauen fie mit Ver- 
achtung auf die ratteneffenden Mafua herab, während fie jelber das Fleisch vom Schweine, 
überhaupt von jedem Tiere, welches nicht ordnungsmäßig gefchlachtet ift, verihmähen. Es 
paßt zu dem Charaftergegenfage der beiden Völker, daß faft alle Mafua das Yao, jelten 
dagegen die Wayao die Sprade der Mafua jprechen. 

Halb jagenhafter Natur ift das Volf der Mavia (vielleicht von Maviti abgeleitet?), 
welches jüdlih vom Rovuma die unbetretenen Streden zwiſchen dem Mittellaufe dieſes 
Fluffes und der Mojambiffüfte bewohnt. Der Miſſionar Maples ift ihnen auf feiner 
Reiſe durd das Mafondeland nahegefommen und z0g feine Erfundigungen in bem legten 
der füdlih vom Rovuma gelegenen Makondedörfer ein. Man fchilderte ihm die Mavia 
als Gebirgsbewohner, welche in ihrem eignen Lande gänzlich nadt gehen und einen Lenden— 
ſchurz nur auf Reifen zu andern Stämmen vorbinden; auch bezeichnete man fie als in 
hohem Grade ungaftlid, jedem Fremden Speife und Tranf verweigernd, ganz in ſich ab: 
gejchloffen. Frauen und Männer tragen das häßliche Pelele oder den Lippenring. 


Um das Bild der Völker im Gebiete des Nyaſſa und feiner Zuflüffe zu vollenden, 
haben wir noch einige Kleine Stämme zu nennen, welde im Schuße der nordwärts den 
See umgebenden Gebirge wohnen. In dem in der Nordweitede des Nyafja gelegenen Lande 
Kondi (von Elton mit dem ſüdlich davon liegenden Utſchungu verwechſelt), das rings 
von den fteil zu 2000—2500 m Höhe auffteigenden Hochlandrändern umſchloſſen und nur 
nad) Often offen ift, befteht die Bevölkerung ganz aus Walinga, melde wegen innerer 
Zwiftigfeiten aus den Bergen bier hinabgeftiegen find. Bon feiner Weftgrenze beginnt der 
fteile Anftieg zu dem hoch gelegenen Lande Nyifa, einem ſehr bergigen, zerriffenen Ge: 
biete ohne viel Anbau, mit Weideland, worauf die wenigen Einwohner Ziegen und an 
einigen Punkten Rinder halten. Die Bevölkerung ift ein entjchloffenes, rauhes Bergvolk, 
das aber ohne allen innern politiihen Zufammenhang dajteht; jedes Heine Dorfhaupt ift 
jein eigner König und ficht feine Streitigkeiten mit den auch hier unabläffig raubenden 


Die Stämme der Mwera, Makua, Mavia u. a. Die Babifa, 407 


Merere allein aus, Senfeit der Tichingamboberge folgt das Land Inyamwanga, ein 
Waldland mit wenigen offenen Stellen, eine Heine Häuptlingichaft, deren Herrfcher indeſſen 
Thomſon gegenüber ebenjo fed auftrat, als ob er ein großes Neich beherriche. In etwa 
32° 20° öftlicher Länge bildet der Mfalifa die Grenze gegen das Land Mambwe, das aus 
einem Wechſel begrajter Flächen und bemwaldeter Rüden beſteht. Im Hauptorte Muli- 
tihutjchu, in ca. 1500 m Höhe, refibierte 1879 der Häuptling Kitimba. Von hier fteigt 
man dann nad dem fruchtbaren Ulungu im ſüdlichen Küftenlande des Tanganifa hinab. 


Bon den wandernden Krieger: und NRäuberftämmen, welche alle diefe Gebiete durch— 
jegen, werden wir in einem folgenden Kapitel zu ſprechen haben. Jetzt wenden wir uns 
weitwärts, um zum Schluffe diefes Abjchnittes noch eine Völfergruppe zu betrachten, welche 
räumlich und teilweife auch ethniſch an die Nyafjaftämme fich anjchließt, anderjeit3 aber 
die Brüde zu den Bewohnern der Reiche der Muata Jamvo, Kafembe und Kajongo bildet, 
während fie ſich in der Unterdrüdung durch kriegeriſche Zuluftämme noch den Manganja, 
Makua und Genoſſen anſchließen. 

In dem Raume zwiſchen dem Weſtufer des Nyaſſa und dem Bangweolo, vom Lokuſchwa 
bis zum Südufer des Tanganika, wohnt weit zerſtreut ein in manchen Beziehungen eigen- 
tümliches, Babija genanntes Volk, welches nad Livingitone ausfieht, „als ob fie mit 
Bufhmannblut gemifcht jeien, und eine gute Zahl von ihnen könnte als Buſchmänner oder 
Hottentotten pajjieren. Die Weiber entblößen den obern Teil des Hinterteiles, von welchem 
ein ſehr fteifes Nindenzeug herabfällt. Ihre Zähne find fpig gefeilt, und ihr Haar ijt in 
ein Ne am Hinterfopfe vereinigt. Mit dem Mehle eines tiefroten Holzes (Molombwa), 
welches hier jehr häufig wächſt, beftreuen fie fih das Haar oder ihr Rindenkleid. Eine 
beftimmte Tättowierung an Stirn und Kinn (welche uns leider nicht näher befchrieben 
wird) macht alle Babija Fenntlich. Dagegen tragen fie feine Lippenjcheiben.” In ihrem 
Charakter rügt derjelbe Gewährsmann an verſchiedenen Stellen außerordentliche Verfchlagen: 
heit, Eigennügigfeit und Argwohn. Die gewöhnlichiten Fragen beantworten fie mit Lügen. 
Dieje Charafterzüge entjpringen offenbar zum Teile den nicht günftigen Umftänden, unter 
welden die Babija leben. Ihr Wohngebiet gehört zu den von den Mafitu überrannten 
Gegenden, jo daß fie ſich vielfach in der äußerften Armut und Gedrücktheit befinden. In 
den gefährdeten Gegenden Fultivieren fie in großen Zwifchenräumen Kleine, runde Pläge 
mitten in ben Wäldern; wo aber ihre Felder ſich weiter auszubreiten vermögen, deden fie 
bei herannahender Ernte die Dächer ihrer Hütten ab und bauen fih damit Erntehütten 
mitten in ben Feldern. Als Livingftone auf feinem legten Marſche (1873) nach Iſchi— 
tambos Dorfe fam, wo der Tod ihn mitten in feiner Entdederlaufbahn ereilte, fand er es 
faft leer. Die Ernte war im Reifen, und nad alter Sitte hatten fich die Einwohner in 
ihren Feldern Heine, leichte Hüttchen gebaut, von welchen aus fie ihre Feldfrüchte bewachten. 
Am elendeften leben die den Babempa unterthänigen Babifa, welche ſelbſt Maere (eine 
schlechte Hirfenart) nicht in hinreichender Menge zu bauen vermögen und daher von vielerlei 
wilden Früchten, Wurzeln, Blättern und Pilzen leben. Die Viehzucht der Babija ift überall 
geringfügig, nur die Häuptlinge jcheinen einige Herden von Rindern, Schafen und Ziegen 
zu befigen. Unter den Hütten zeichnen fich Die der Häuptlinge durch ihre Größe aus. 
Größere Dörfer find mit Paliffaden und in einigen Fällen ſogar mit trodnen Gräben 
umgeben. Von der Hunftfertigkeit der Babifa erfahren wir nichts weiter, als daß fie ſich 
Kleider aus Baumrinde oder Bat und Matten aus den Stengeln der Raphia bereiten. 
Ihre Handelsthätigfeit jcheint ich jeit ihrer Zurüddrängung durd die Mafitu auf die Be: 
teiligung am Sklavenhandel zu bejchränfen, welcher von diefen Gegenden aus von Arabern . 
oder Suaheli bereits nad) Bagamoyo betrieben wird. Als bemerfenswertefte Sitte jei hier 


408 Die Nyaffaftämme, 


die Begrüßung genannt, welde in einem von Händeklatſchen und lautem Schmagen be 
gleiteten Zurüdbeugen der figenden Perſonen bejteht, jo daß der Rüden faft auf den Boden 
fommt. Die Häuptlinge, die im übrigen jehr wenig Macht ausüben, umgeben ſich mit 
Weibern, welche, Arte in der Hand und die Gefihter beſchmiert, unter Nahäffung männ- 
licher Stimmen Tänze aufführen. Bei feitlihen Gelegenheiten erfcheinen die Männer ohne 
Flinten, nur mit Bogen, Pfeilen und Speeren bewaffnet. 

Angefichts des Schutzes, welchen die Sumpfregionen um Bangmweolo und Moero gewähren, 
dürften wohl die diejelben bewohnenden fogenannten Sumpfbabifa als ein aus mancher— 
lei Flüchtlingen gleihjam zuſammengefloſſenes Miſchvolk von vornherein aufgefaßt werben. 
Die Thatſachen beftätigen diefe Meinung. Aber ihre jeltfam amphibiſche Lebensweije 
prägt ihnen anderjeitS doch auch den Stempel einer gewiſſen äußern Gemeinſamkeit auf. 
Die Sage weiſt diefem Volke weitlihen Urfprung zu und läßt dasjelbe bezeichnenderweije 
als ein fliehendes einwandern. Livingſtone fragte auf Matipas Inſel einen alten Mann 
des Babijavolfes, ob irgendwo Zeichen in den Felſen fich befänden, worauf diefer folgen: 
des erzählte: „Vor langer Zeit Fam Luferenga von Weiten her zum Fluffe Lualaba in 
Begleitung eines Heinen Hundes. Er wünſchte überzujegen, warf feine Matte in ben 
Strom, und beide wurden von ihr ans andre Ufer getragen. Hier find Felfen, in welchen 
man ſowohl die Spuren Zuferengas als feines Hundes und aud die eines Stabes fieht, 
welden er fi mit jeiner Art geſchnitten.“ 

Die Babifa haben ihre Wohnftätten auf den höher gelegenen Punkten der Sumpf: 
region, die großenteild durch Waſſer- und Sumpfumgebung ifoliert find. Wie die Manganja, 
welche die Termitenbauten als Warttürme gebrauden, nugen auch fie diefe natürlichen 
Erhebungen aus, die in der Regenzeit oft genug die einzigen fejten und trodnen Punkte in 
dem Meere der Überfchwenmung find, indem fie diefelben mit Durra und Mais bepflanzen. 
Livingftone nennt auch eine Art hier wachſenden wilden Neifes, den aber „das Volt 
weder kennt, noch braucht”. Um fo eifriger ſuchen fie nach den Knollen der Zotuspflanze 
und nad dem Marke der Bapyrusjtaude. Die Viehzucht jcheint auch hier mehr eine noble 
Paſſion einiger Häuptlinge als ein Nahrungszweig des Bolfes zu fein; wenigſtens beſaß 
Matipa Fein Vieh, während fein Bruder Kabinga große Herden hatte, die auf einer Inſel 
in der Nähe der Zambefimündung völlig wild lebten. Viel wichtiger ift für die Maffe 
der Bevölferung der Fiichfang, für viele fajt die einzige Nahrungsquelle. Livingftone 
nennt von Fiſchen diefer Region: Sampa, welches der größte, Pumbo (farpfenartig, mit 
roten Bauchfloſſen), welches der häufigfte und für die Ernährung widtigfte ift, Kam: 
bari, Lopatakwao und Polwe. Der reihlidhfte Fang wird im Zambefi gemadt, wenn die 
Fiſche in der Laichzeit flußaufwärts ziehen. Ungeachtet diefe Babifa zu einem häufigen 
Verkehre zu Wafjer gezwungen find, fcheinen doch ihre Kähne höchft ungenügend zu fein. 
Sie reihen nur eben hin, um mit der Stoßftange über die überfluteten Prärien bin- 
geihoben zu werden. Beſſer find in diefer Beziehung die infelbewohnenden Babija des 
Bangweolo, die Mbogwa, verjehen. Die vier größern, aber flachen Inſeln des Sees find 
von geſchickten, mit jeetüchtigen Kanoes ausgerüjteten Fifchern bevölkert. 

Bon den Stämmen der Nahbarjchaft unterjcheidet diefe Sumpfbabifa eine eigentüm: 
lihe Haartracht; fie befteht in ohrenartigen Fell: oder Haaraufjägen und befigt daher 
eine gewiſſe Ahnlichkeit mit den Obrenfappen der Damara. Auch der Charakter der 
Sumpfbabifa hat etwas Eigenartiges, das Livingftone in die jehr richtige Beobachtung 
zufammenfaßt: „daß Infulaner immer Neigung haben, auffällig zu fein, aus dem Gefühle 
der Sicherheit in ihren natürlihen Feſten“. Indeſſen ift ihre Gejchichte geeignet, einen 
. gewilfen abgeichloffenen und mißtrauiihen Charakter zu erklären, denn fie find in dieſe 
ſchwer zugänglihen Sümpfe von den Mafitu gedrängt worden. Ihre Erfahrung hat fie 


Die Sumpfbabifa. Die Völtergegenjäge Dftafrifas, 409 


gelehrt, daß e3 gut fei, nicht allzu innig mit andern fi) zu berühren. Daß fie Über: 
lieferungen hegen von einem befjern, freiern Zuftande, ber dem jegigen vorherging, erhellt 
aus dem Beridhte Livingitones, der einige Tage vor jeinem Tode mehrere Babifa rufen 
ließ, um fie zu fragen, ob ihnen nichts von einem Berge bekannt fei, an dem vier Quellen 
entipringen, und die Antwort erhielt: Alle, die früher auf Reifen zu gehen pflegten, feien 
jegt tot. In frühern Jahren fei Malengas Stadt der Sammelplag handeltreibender Babifa 
geweſen, aber dieje jeien von den Mafitu vertrieben worden, und fie ſelber hätten fich 
in dieſe Sümpfe zurüdgezogen. 

Während biefe Sumpfbabija am Oſtufer des Sees wohnen, beherbergt das trodnere 
und fruchtbarere Südufer andre wenige Bruchteile desjelben Stammes, welche haupt: 
ſächlich Aderbauer find. Sie hüten ihre Ernte mit Sorgfalt und find ftets zur Flucht bereit. 





18. Brieger- und Hirtenvölker vom Zuluſtamme. 
(Matabele, Watuta.) 


„Die Watuta find die Beduinen von Innerafrika.“ 
* Stanley. 


Inhalt: Der ethniſche Dualismus in Dftafrifa. — Zuluartige Krieger: und Räubervöller. — Die Matabele. 
Trennung von den Zulu. Geſchichte unter Mofelifatfe. — Die ftammverwandten Matlapatlapa und 
Bamamalana, — Die zertrümmerten Stämme ber Baroelwa, Barofa, Balempa, Mafhona. — 
Die Landin am untern Zambefi. — Die Mafitu, Maviti. — Gefhichte der Watuta und Wahehe. 
König Mirambo. — Die „Zulus Affen“: Mahindſche und Walungu. — Die Furcht ald Wanderungen 
und Neufiedelungen erzeugender Faltor.— Die Wayao und ihr Anteil am Sflavenhandel. — Günftigere 
Proſpelte. 


Die innern Gegenfäge der meiſten Bevölkerungen des öſtlichen Aquatorialafrifa find 
eine ſehr auffallende Erſcheinung, welche Beachtung verdient, ſei es als Kulturmerkmal, ſei 
es als Handhabe zur Erforſchung der Geſchichte der Afrikaner überhaupt. Man findet 
wenige friedliche Ackerbauvölker, zwiſchen denen nicht viehzüchtende Nomaden umherwan— 
dern, oder welche nicht von einem gleichfalls nur halb anſäſſigen Kriegervolke terroriſiert 
werden, oder die endlich nicht ihrerſeits über ein mehr oder weniger ihnen unterthäniges 
Volk gebieten. In den meiſten Fällen löſt ſich dieſer Gegenſatz in jenen auf, welcher 
zwiſchen Seßhaftigkeit und Nomadismus ſo lange beſteht, als die Geſchichte reicht, und 
dem wir bei allen Völkern der Erde begegnen, wo es überhaupt Ackerbau gibt (hat doch 
ſelbſt Europa ſeine Zigeuner, ein polizeiwidriges Nomadenvolk!). Derſelbe tritt aber gerade 
hier in Afrika doppelt ſcharf hervor, weil die geſamte urſprüngliche Bevölkerung noch keinen 
ſehr hohen Grad von Seßhaftigkeit erreicht hat, ſondern faſt überall zwiſchen ihr und dem 
Nomadismus ſchwankt und in dieſen ſelbſt bei leichtern Veränderungen ihrer politiſchen 
oder wirtſchaftlichen Umſtände mit einer gewiſſen Vorliebe wieder zurückfällt. Dieſen Gegen— 
fa werben wir nun in jedem einzelnen Gebiete zu ſchildern haben, das wir durchwandern. 
Man darf aber wohl jagen, daß er ſchärfer wird, je weiter man auf dem Hodlande Dit: 
afrifas nad) Norden fortichreitet, und daß manche Umftände nad) Norden als auf die Quelle 
feines Urjprunges oder doch feiner Kraft hinweiſen. 

Es liegt im Wefen des Nomadismus, weite Gebiete zu offupieren und dadurch Völker: 
eigentümlichkeiten aus einem Abfchnitte eines Erbteile8 nad entlegenen andern Teilen 
zu verjegen, während im Gegenfage die an der Scholle Hebenden Aderbauer jelbit in 
benachbarten Gebieten Unterſchiede von beträchtlicher Größe feithalten. Nun ift ung diefer 


410 Krieger: unb Hirtenvölfer vom Zuluftamme, 


Gegenſatz feine neue Thatfadhe, denn bis zu einem gewiffen Grade fonnte ja die Jnvafion 
de3 Marutjelandes durch das als Mafololo in der innerafrifanifhen Geſchichte befannte 
Miſchvolk aus Betichuanen, deffen Kern Bafuto waren, ebenfalld als ein Aufeinander: 
ftoßen der Gegenfäge Viehzüchter und Aderbauer, d. h. bewegliche und feitfigendes Volk, 
angefehen werden. Aber das war innerhalb unſrer geſchichtlichen Erfahrung eine ver: 
einzelte Erfcheinung, und demgemäß ift fie vorübergegangen, d. h. die Überzahl der alt: 
anfäjligen Aderbauer hat die Eindringlinge abjorbiert. Daß das Vorhandenſein der 
Makalaka und andrer fowie die Ausbreitung gewiſſer Sitten und Gebräuche bis über ben 
Zambefi hinüber für Wiederholungen ſüdafrikaniſcher Invafionen in zentralafrifanijches 
Gebiet jpredhen, wurde hervorgehoben. Aber nicht weit nörblih vom Zambeſi hört 
die Viehzucht faft ganz auf, jo daß im füdlichen Kongogebiete die Rinder nur nod) 
eine Kuriofität find. Allerdings tritt dann dafür die in andrer Weife, nämlich jagend, 
nomadifierende Zwergbevölferung zwiſchen den Aderbauern auf. Hier im höhern Hod- 
lande des Ditens verhält es ſich aber ganz anders mit diefen Gegenjägen, die aud 
Ihärfer und grünblicher einander entgegengeftellt find, denn bier durchſetzen ftarfe 
Nomadenmädte die Wohnfige fait aller Aderbauer, zu denen fie bald im Ver: 
hältniffe von dauernd Herrichenden, bald von mächtigen Räuberhorden, bald von friedlid) 
unter jenen Zebenden und zu ihnen in rätjelhaften Beziehungen von halb herrſchender, halb 
nur formell ehrwürdiger Überlegenheit ftehen. Sehr verſchieden ift offenbar der Urfprung 
diefer Völker; deshalb ift es in diefer Hinficht gut, von vornherein darauf aufmerkſam zu 
madhen, daß für einen Teil berjelben der jüdliche Urfprung entweder nachweisbar oder 
mindeftens ſehr wahrjcheinlich it, während für andre die Theorie einer norböftlichen Her: 
funft am meijten für fich hat. Im allgemeinen charafterifiert jene ein friegerijcher und 
räuberifcher Grundzug bes Lebens und ber Gefinnung, während im Gegenjage dazu dieſe 
ſich durch entjchiedene Neigung zum Hirtenleben auszeichnen, dem huldigend fie friedlich unter 
aderbauenden Völkern zerftreut leben. Kleinere Abarten der einen oder andern Gruppe find 
die allem Anjcheine nach auch hier nicht fehlenden jagbbefliffenen Zwergvölfer (ſ. S. 122), 
bie profejfionellen Nilpferbjäger (Watwa) und andre. 

Das in Bezug auf Urjprung und Geihichte Elarfte aller diefer Völfer und das mit Recht 
daher vor allen andern zuerft zu betrachtende ijt das Volk der Matabele, von unzmweifel: 
haft ſüdlichem Urjprunge, dabei ein ausgeprägtes Krieger: und Räubervolf, der beite Ver: 
treter jenes erftgenannten Typus oftafrifanifher Wandervölfer. Nordöftlih von den Zulu 
wohnend, unmittelbar an fie angrenzend, ftimmen die Matabele in allem Wejent: 
liden mit den Zulu überein. In Wahrheit bilden fie gleihjam nur ein größeres und 
dem Hauptitamme näheres Glied in der merkwürdigen Kette zuluartiger Völker, welche von 
Natal bis über den Nquator hinaus wohnen. Überlieferung und Sage bezeugen ebenfo wie 
die Übereinftimmung ihrer Sitten, daß ihre Trennung von den Zulu eine Sache jüngern 
Datums ift, und dürfen wir den erftern glauben, jo war, was heute Matabeleland, 
einft ſchon felbftändig unter einer Königin, welcher andre Königinnen vorangegangen waren. 
Durd eine Hungersnot geſchwächt, wurde dies Volk von den Kaffern unterworfen; nad) 
diefen aber trat Mofelifatje auf und unterwarf die Kaffern. Was aber Mojelifatje an: 
betrifft, jo wird von ihm übereinftimmend berichtet, daß er unter König Tſchaka mit einer 
riejigen Schar Zulu auf einen Raubzug nad) Norden entjandt worden und auf eigne Fauft 
dann in diefem Lande geblieben war, das zu den ſchönſten und fruchtbarften Südafrikas 
gehört. Er ahmte feinen Herrn in der Vorliebe für Raub und Krieg ebenfo nad), wie die 
Matabele jelber den Zulu im kriegeriſchen Sinne und in Grauſamkeit glihen. Die mili- 
täriſche Organijation des Zuluvolfes wurde beibehalten. Und jo find bis auf den heutigen 
Tag die Matabele getreue Spiegelbilder der Zulu. „Ihre athletiichen Formen, ihr wilder 


Zuluähnlichleit der Matabele, 411 


Blid, ihre durch einige nahläffig um die Hüften gehängte Pantherſchwänze kaum ver: 
hüllte Nadtheit, ihre jchredlihen Speere, der gewaltige Schild, mit dem fie ihren ganzen - 
Körper verhüllten, ließen leicht diefe Kaffern von den Bahurutje unterſcheiden“, jagt Cajalis 
von den Geſandten Mofelifatjes, welche den franzöfifhen Miffionaren im Bahurutjeland 1840 
den Befehl brachten, fich vor diefem Herrjcher zu ftellen, und gibt damit eine Schilderung 
der Zulu, wie wir fie aus berjelben Zeit faft in denjelben Worten bei Gardiner finden. 

Mofelifatje ift längft tot, und fein Sohn Lobengula hat feine von zahlreichen weißen 
Händlern beſuchte Refidenz Gubulewayo nahe bei der Stelle, die noch auf manchen von 
unſern Karten als Mofelifatfes Stadt bezeichnet wird. Aber die Matabele find geblieben, 
was ihre Väter waren, wenn auch, wie man leicht verfteht, die räumliche Trennung für 
jo lange Zeit nicht möglich geweſen ift, ohne in manden Außerlichkeiten Veränderungen 
hervorzurufen, die zu der Uniformität der Zulu bereits einen Kontraft bilden. Der Kopf: 





Ein Mann und ein Knabe der Matabele (nah Pbhotographien im Beſthhe des Milfionsdireltord Herrn 
Dr. Bangemann in Berlin). 


puß ift z. B. viel mannigfaltiger. Man fieht Müten aus Tigerfagen- und Zebrafell mit 
langen, hinten binunterhängenden Büſchen von Pfauen= oder Adlerfedern. Andre tragen 
fugelförmige Maffen von Perlhuhnfedern, die jelbjt wieder von Kopfgröße find, und aus 
denen eine große Schmudfeder oder ein Schafaljchwanz ſich emporredt. Dagegen find die 
Waffen, der kriegeriſche Shmud von Pardelſchwänzen und dergleichen faft genau diejelben 
wie bei den Zulu. Aber ohne die engen Naturgrenzen der zwijhen Meer und Gebirge 
etwas eingeengten Zulu und ohne den Drud, den die Nähe der Weißen auf dieje übt, find 
die mehr als friegerifchen, die wilden Inſtinkte der Matabele noch viel entwidelter, ja fie 
find in der Nachbarſchaft feiger Aderbauvölfer geradezu üppig aufgewuchert. Ihr Wüten 
gegen die Batoka und Makalaka, ihre nördlichen Nachbarn, welche ebenſo fleigig wie wohl- 
habend, unglücklicherweiſe aber weniger Friegerifch find, ift mehr wilden Tieren als 
Menſchen angemefjen. Als Chapman (1862) das Land der Batofa durdreifte, waren 
eben 30 junge Männer derſelben auf der Rückkehr nach ihrem Dorfe angefichts ihrer 
Hütten ermordet worden. Derartige Thaten waren damals an der Tagesordnung. „Sie 
richteten“, jagt diefer Reifende von den Matabele, „ſchreckliche Verwüſtungen an, wenn fie 
auf ihren faft jährlich ſich wiederholenden Raubzügen die Dörfer ſüdlich vom Zambefi 
heimſuchten. Die alten und mittelalten Männer und Weiber werden getötet, alle jüngern 


412 Krieger: und Hirtenvöller vom Zuluftamme. 


in die Gefangenschaft geführt. Man kann fich nichts Graufameres vorftellen als die brutale 
Art, wie fie mit Menjchenleben verfahren; aber was kann man andres erwarten von 
einem Volke, welches von Jugend an zu den rüdfichtslofeften und leichtfinnigiten Schläch— 
tereien erzogen wird? Das ganze Streben und der Ehrgeiz eines Matabele bejteht darin, 
jeinen erften Mann zu erjchlagen, von welchem erjten Grade an feine Ehre und Ruhm 


— — 


9* 
9 


Ni! 





— — 


—— — 


——— —— — — — (nad Photographie). 


fih nad) der Zahl der Menjchenleben bemeſſen, welche er zerſtört.“ Daß im Gefolge diejer 
rohen Sitten, deren Dafein fih nur auf dem Grunde einer weitgehenden Verachtung des 
menjchlihen Lebens entwideln konnte, auch jelbft die Menſchenfreſſerei möglich wird, 
ſcheint nad dem früher Gejagten nicht zweifelhaft. Und zwar dürften zwei Wege auf 
diefelbe hingeführt haben: der Übermut und die Siegestrunfenheit der Kriegerhorden der 
Matabele und Genofjen von der einen, die Not und allgemeine Heruntergefommenbeit 
ber elenden Befiegten, Zurüdgedrängten von der andern Seite. Kein Zufall ift es jeden: 
fall$, daß gerade in den Wohn: und Naubgebieten der Matabele jene Höhlen mit anthropo: 
phagiſchen Neften gefunden werden, welche auf friſche Übung diejer barbariſchen Sitte 


— —— * — —— ge 


Kriegführung. Menfchenfrefjerei. Die Matlapatlapa, Maihona u. a. 413 


hinweiſen. Die Felſen der größten diefer Höhlen, die 1869 von mehreren Neifenden befucht 
wurde, waren vom Rauche gejhwärzt, der Boden mit vielen menfchlichen Knochen bededt, 
die teils aufgefchichtet, teil umbergeftreut, au vom Rande der Höhle aus auf den Ab— 
bang gelangt waren und bort umberlagen. Schädel waren befonders zahlreich und gehörten 
meift Kindern und jungen Perfonen an. Diefelben ſchienen mit ftumpfen Arten oder ge: 
Ihärften Steinen zerfhlagen zu fein, die Markfnochen waren in Heine Stüde getrennt und 
bloß die runden Gelenkteile. unzerbrochen. Innerhalb der Höhle ſah man eine Art düfterer 
Galerie, zu der unregelmäßige rohe Stufen hinaufführten; bier follen die unglüdlichen 
Opfer aufbewahrt worden jein, welche nicht augenblidlich verzehrt werden follten. Ein 
Entrinnen von biefer Stelle aus war unmöglich, ohne die Höhle zu pafjieren. Wenn aud 
angegeben wurbe, daß dieje Sitte verlaffen fei, fo fanden fid) body in der Höhle nod) jehr 
friſche Knochen, deren Fettgehalt annehmen ließ, daß erſt vor wenig Monaten ihr Eigen: 
tümer dort feinem Scidjale verfallen war. 


Mehrere Eleinere Teile der Matabele haben fich fern von der Gefamtheit ihres Volkes, 
begünftigt durch abgefchloffene gebirgige Wohnfige, eine Sondereriftenz geſchaffen, deren 
Entwidelung und Schidjal dazu beitragen, die Lebensbedingungen und die Rolle diejer 
Völker in ein helleres Licht zu ftellen. Eine Anzahl von Matabelefriegern flüchtete, um 
fich der Tyrannei Tſchakas zu entziehen, nad) den Hochthälern des Malutigebirges, wo 
fie fih den Namen ihres Anführer Matlapatlapa als Stammesnamen beilegten. Als 
diefer Häuptling einer Horde von Menſchenfreſſern zum Opfer gefallen und aud) fein Nach— 
folger Mokokatue bald darauf in einem Gefechte geblieben war, ging die Häuptlingswürde 
auf des legtern Sohn Palule über. Diefer wurde 1837 von den Matabele gezwungen, 
bei den Bajuto Schuß zu juchen; als aber der Bafutohäuptling Sekoniela auf einem Kriegs: 
zuge gegen Dingan fiel, megelte legterer einen großen Teil der Matapatlapa nieder, worauf 
der Neft, 7—8000 Köpfe, ein elendes, unftetes Näuberleben in feinen frühern Gebieten 
führte. In demfelben Gebirge wohnten die Bamamalana, Verbündete der Matlapatlapa, 
die jeit 15 Jahren dieſe ſcheinbar fihern Mohnfige eingenommen und große Herden ans 
gefammelt hatten. Ganz unerwartet fiel aber in einer Nacht eine Matabelehorde unter Sepeka 
über fie her, tötete den Häuptling famt einem Teile jeines Volkes, verbrannte die Hütten 
und trieb die Herden weg. Der Neft des Stammes, welder auf zehn Dörfer zufammen: 
geichmolzen war, lebte unter dem Sohne des frühern Häuptlinges großenteild von Raub 
und betrieb zu Arbouſſets Zeit fogar Menjchenfrefjerei. Sie waren aber ebenjomwenig 
wie ihre Genofjen, die Matlapatlapa, ganz ohne befjern Erwerb, Einige gruben Eifen und 
jchmiedeten Hauen, andre züchteten Schafe und Ziegen, wieder andre bauten Tabak an 
den Abhängen des Malutigebirges. 

Wenn diefe Völkchen wie Splitter über das Mohngebiet des Hauptitammes hinaus: 
geworfen find, jo find fie doch Splitter des Hammers, der auf den Amboß der unkriege— 
riſchen Stämme mit Madt fällt, je nad Willkür ihn zertrümmernd oder immer Kleiner 
zuſammenſchweißend. Unftet wandernde Völker find das natürlihe Erzeugnis diefer 
Hammerſchläge, die einen Zuftand ſchaffen, in welchem die Hand eines jeden gegen jeglichen 
erhoben ift. In dem feit Jahren fast periodiſch durch Raubzüge der Matabele von Weiten 
und der Sofalazulu von Oſten ber heimgefuchten Gebiete zwifchen dem untern Zambefi und 
Zimpopo begegnete Karl Mauch einer größern Anzahl derartiger Volksſtämme, welche bie 
Zigeuner oder jelbft die Parias der dortigen Bevölferung genannt werden können. 
Da find die Baroekwa, ein verfommener Zweig der Batonga, die an den Nordzuflüffen 
des Limpopo von Raub und Diebjtahl ihr Leben friften und mit vergifteten Pfeilen der 
Jagd obliegen, ein wahres Wegelagerervolt. Ihnen benahbart find die Barofa, aus 


414 Krieger» und Hirtenvölfer vom Zuluftamme, 


Leuten verfchiedener Stämme beftehend, denen irgend eine Urſache die Entfernung aus dem 
Machtbereiche ihres Häuptlinges geboten hat. Sie wohnen zerftreut in einzelnen Hütten, 
nähren fich kümmerlich von Fiſchen, Schildkröten, den Raubtieren abgejagtem Wilde, wilden 
Beeren, Früdten, Wurzeln und Kürbiffen. Vielleicht noch verachteter find die Balempa, 
die für fi in größern Dörfern leben, ſich, weil verachtet, wenig mit der übrigen Bevöl- 
ferung abgeben, Beſchneidung üben, nur von ihnen ſelbſt auf ihre eigne Weiſe geſchlach— 
tetes Fleifch genießen, mit andern nicht aus einem Topfe effen und hauptfächlich den Handel 
vermitteln. Sie find allein im ftande, Draht zu ziehen, mit welchem fie Stöde oder Speer: 
ſchäfte filigranartig überziehen. E3 ift wohl in Erinnerung an die Ruinen von Zimbabye, 
jeinem Ophir, daß Karl Maud in ihren Gefichtäzügen „eine auffallende Ahnlichkeit mit 
dem israelitiihen Typus” fah, eine Ähnlichkeit, der ſelbſt die „Ikrofulös entzündeten 
Augen” nicht fehlten. Aber am meiften bedauern wir wohl den gedrüdten und verjprengten 
Zuftand des Stammes der Mafchona, der weitlih von den Matabele zwiſchen diefen und 
den Bamangmwato lebt, alfo gleichſam zwijchen beiden 
eingezwängt ift und ſich daher in einer jehr übeln, 
abhängigen Lage befindet. Seit Jahren find, wie 
Frank Dates erzählt, die öftlihen Krale dieſes 
Volles das beliebtefte Ziel der Raubzüge der Mata- 
bele, jo daß die einft reihen Maſchona faft ganz 
ihrer Herden beraubt, zu einem großen Teile aus 
ihren fruchtbaren Thälern auf die Höhen vertrieben 
find, wo fie fi) zwiſchen den Felſen befeftigte Dörfer 
gebaut oder wohl auch einfach die Zuflucht in Fels: 
höhlen gefucht haben. Und doch haben fie noch heute 
den Ruf der in aller Art Arbeit gefchicteften Ein— 
es  gebornen ſüdlich des Zambefi. Allein fie bilden feinen 
I " | zufammenhängenden Staat, fondern fegen fi aus 
& lauter Heinen Gemeinfhaften zufammen, die niemals 

n Rajjelbreit der Wayao s . . R E 
(Britisches Mufeum, Sonden). "ho wirt, Gröge. einander gegen den gemeinfamen Feind beiftehen. Die 
Folge ift die immer weiter gehende Zerftörung des 

Landes und Volkes durch die beftändigen „Impis“, die organifierten Raubzüge, bei weldhen 
die jungen Männer getötet werben „wie die Springböde”, während die jüngern Weiber und 
die Kinder zu Sklaven gemacht, die alten Männer und Weiber aber getötet oder in ihren 
Hütten verbrannt werden. Auch Holub hat ung Ähnliches von dem Räuberleben der Weit: 
matabele und der Ausbeutung erzählt, die fie an den Maſchona und andern Nachbarn üben. 
Gehen wir nun bis an den Zambefi, jo finden wir die Landin, die wiederum ein 
Zweig der Zulu find, al3 Herren am rechten Ufer diefes Stromes. Die Portugiefen geben 
die beherrſchende Stellung diejes ftreitbaren Stammes praktiſch dadurch zu, daß fie ihm 
einen ziemlich hohen jährlihen Tribut bezahlen. Den lettern nötigenfalls mit Gewalt ein: 
zutreiben, fommen die Landin regelmäßig jedes Jahr nad Senna und Schupanga. Die 
wenigen reichen Kaufleute von Senna jeufzen unter der Laft, denn fie fällt hauptſächlich auf 
fie. Sie fügen ih, außer Perlen und Mefjingbraht jährlich 200 Stüd Kattun von je 16 Ellen 
zu entrichten, da fie willen, daß Verweigerung Krieg bedeutet, der mit Verluſt alles deſſen 
enden könnte, was fie befigen. Als Livingftone einige von ihnen fragte, warum fie nicht 
verſuchten, gewiſſe jehr einträgliche Produkte zu erzielen, erhielt er zur Antwort: „Was 
hilft e8, wenn wir mehr bauen? Die Landin würden uns nur mehr Tribut abnehmen.” 
Denjelben Urfprung wie den Matabele jchreibt die Sage einem in noch viel weiterm 
Bezirke kämpfend und raubend herrihenden Stamme zu, der auf der Hochebene weitlich 





Die Maviti oder Mafitu und die Watuta. 415 


bes Nyafja das aderbauende Volk, die Manganja oder Maravi, in Unterwürfigfeit hält, 
nämlich dem der Maviti oder Mafitu, der nach allen Beichreibungen nichts andres ala 
ein Zuluftamm und wohl nur in Kleinigkeiten von den öftlicher gegen die Küfte und den 
Rovuma zu wohnenden Yao (Wayao) verſchieden ift. Beide aber jegen fich nordwärts in 
dem wiederum ganz ähnlidhen Volke der Watuta fort, von welchem wir, als dem für die 
gegenwärtige Geſchichte des äquatorialen Dftafrifa wichtigften, weiter unten (f. ©. 416) aus: 
führlicher jprechen werden. Schon hier möge jedoch darauf aufmerkſam gemacht fein, daf 
eigentlihe abgeſchloſſene Stämme unter diejen Völkern nicht zu verftehen fein 
werben. Es find teilweije dieſe jo oft wiederkehrenden Namen nur von generifcher Bedeutung, 
fie bezeichnen im allgemeinen Völker von unftetem, Friegerifchem und räuberifhem Charal: 
ter und von beftimmten Außerlichkeiten, vorzüglich in der Bewaffnung und den Kriegs: 





— 


Guitarre und Holzharmonika der Wayao (Mufeum für Völkerkunde, Berlin). "r wirtl. Größe. 


gebräucdhen, welche diejem Charakter entiprehen. Alles in der Lebensweiſe diefer Völker 
deutet auf einen außerordentlih hohen Grab innerer Veränderlichkeit. Mit dem 
rapiden Steigen und Fallen ihres Gefchides fteigen und fallen bei ihnen die Volfszahl, der 
Wohlitand, die Möglichkeit einer bejondern politiihen Eriftenz. Die afrikaniſche Völker— 
geſchichte erzählt von Völkern diefer Art, die vollftändig atomifiert und ausgerottet wur: 
den, und von andern, die in der Zeit eines Menfchenalters aus dem Unbekanntſein zur 
Großmachtſtellung fih erhoben haben. Frieblihe Völker nehmen plöglich die Maske der 
Watuta oder Mafitu vor und bejchreiten erſt in lächerlicher Afferei wie Schafe in Wolfs- 
pelzen, jpäter in blutigem Ernfte den Kriegspfad. Man kennt eine ganze Anzahl folder 
„gulu:Affen” zwiſchen Nil und Zambefi. Und endlich ſchwankt gerade infolge diefer Anftöße 
die ganze innerafrifaniihe Menfchheit jo unftet, daß man wohl jagen kann, es gleiche 
vor allem diejes weite und bevölkerte Gebiet des äquatorialen Oſtens einem in beftändiger 
Bewegung befindlihen Meere. Immer drängt eine Welle die andre, und mander Stamm 
wandert jeit Jahrzehnten von Ort zu Drt, geihoben von einem mächtigern, der furzweg fein 
Gebiet in Anſpruch nimmt. Ein fühner Eroberer wie Mirambo mit feinen Eriegerifchen 
Watuta wirkt wie ein Gärungsftoff in diefer Völkermaſſe: er beunruhigt alle, zwingt 
viele zu Änderungen ihrer Wohnfige und läßt fie nicht eher zur Ruhe fommen, als bis 
er tot oder in bie ferne gezogen iſt. Die Befeftigungen um die Dörfer mit Wällen, 


416 Krieger: und Hirtenvölfer vom Zuluftamme. 


Gräben, Zäunen und Schießtürmen vermögen nur die ſchwächſten diejer Feinde abzuhalten. 
Stanley jah jelbit das vortrefflic gelegene Dorf Pondo am Tanganifa in Trümmern. 
Wenn man die Berichte jpäterer Neifenden mit denen ihrer Vorgänger vergleicht, die 
denfelben Weg gezogen find, jo findet man in vielen Fällen erhebliche Anderung ber 
Wohnfige, der gröhern Orte und der Macdhtverhältniffe; fie geben einen ftarfen Beleg für 
die das Leben diefer Völker charakterifierende Unfeſtigkeit und Unftetigfeit. Auf dem Wege 
von der Küfte nad dem Tanganika fand Stanley die vor kurzem noch in Wohlitand 
lebenden Eingebornen von Tihunyu, welde durch die Einfälle der Wahehe von Norden 
und der Wavumba von Süden her derart eingezwängt wurden, daß fie ihr fruchtbares 
Land verliefen, um auf den Berghöhen Shut zu Juden. Auch das Land Kabogo am 
Tanganika ijt einft dicht bevölkert gewejen, aber die räuberiihe Bevölkerung von Ndejeh 
hat allgemeine Auswanderung veranlaßt, und in ähnlicher Weife haben die Wavumba 
öftlih von der Seeregion durch ihre Raubzüge noch andre Völker zu Wanderungen ge: 
jzwungen. Weit nad) Weiten reihen am obern Kongo bin dieje Zuftände; dort haben die 
hellfarbigen Kannibalen Bakumu, einen beträchtlichen Teil von Uregga, erobert und einige 





NRafjeljhellen der Wayao, zum Zeufelaustreiben gebraucht (Muſeum für Böltertunde, Berlin). % wirfl, Größe, 


Stämme der Eingebornen auf die Inſeln getrieben, die offenbar erft ſeit kurzer Zeit von 
denjelben bewohnt werden. Zu diefen Injelbewohnern gehören die Baswa, mit denen 
Stanley bei den nach ihm benannten Katarakten focht. 


Die Watuta find wohl von all diefen Kriegervölfern das meiftgenannte, denn fie find 
am einflußreichiten gerade in jenem jo ungemein wichtigen Gebiete zwiſchen dem Indiſchen 
Ozeane und den großen Seen, welches als Kulturweg zum obern Kongo aud) für Europa 
von hoher Bedeutung geworden ijt. Hier zunächſt ihre Geſchichte, welche das Zufällige 
und Wechjelvolle in ſolchem Leben ſehr deutlich zeichnet. Die Watuta find ein vereinzelter 
Stamm der Maviti und trennten ſich vor ungefähr 40 Jahren nach ihrer eignen Angabe 
von den letztern auf einem weit nad) Norden fortgejegten Zuge, auf dem fie plünderten und 
Vieh wegtrieben. Bei ihrem Einfalle trafen fie auf die an Ninderherden reihen Warori. 
Als fie aber nad fünf Monate langem Kampfe bemerkten, daß die Warori zu ftarf für 
fie waren, zogen fie am Rande von Urori hin und drangen nad) Nordweiten durch Uko— 
nongo und Kawendi bis Udſchidſchi vor. Die ältern arabijchen Einwohner in Udſchidſchi 
wiſſen fich noch daran zu erinnern, wie die Watuta plöglich erſchienen und fie jelbft und 
die Wadſchidſchi nötigten, auf der Bangweinjel einen Zufluchtsort aufzuſuchen. Durch ihre 
Siege in Udſchidſchi war aber ihre Eroberungsjucht noch nicht befriedigt worden, fie griffen 
vielmehr auch Uhua und Urundi an, fahen jedoch Hier ihre Unternehmungen jcheitern, 
ſchlugen fih auf ihrem Verheerungszuge durch Uvinfa durch, rüdten in Unjamweſi ein und 
gelangten dur Uſindſcha bis an den Victoria Nyanza, wo fie nad) ihren verwegenen 


Urjprung der Watuta. König Mirambo, 417 


Kriegszügen einige Jahre blieben. Aber entweder waren bie Länder um den See nicht 
nad) ihrem Geihmade, oder fie fanden hier zu viel Widerftand: bald gingen fie bis nad 
Uſambara zurüd. Kututwa, der König von Ujambara, warb aus Politik um die Tochter 
des Häuptlinges der Watuta, worauf ihm jein Land als Mitgift zurüdgegeben wurde, 
während die weiter nad Süden ziehenden Watuta das Nachbarland Ugomba bejegten, das, 
gut bewäſſert und wiejenreich, fich jehr wohl für ihre Lebensweiſe und Gewohnheiten eignete. 
So ward aus dem Wandervolfe ein ftaatenbildender Kern, deſſen Beftand die Voraus: 
ſagungen ſolcher widerlegt, die den Tag als nahe verfündeten, wo diefe zufammengeraffte 
Räuberbande ausein: 
ander laufen werde. 
Noh immer haben 
zwar die Watuta ih: 
ren kriegeriſchen Ge— 
wohnheiten nicht ent⸗ 
ſagt, auch rauben ſie 
auf eigne Hand, und 
Stanley meint, „ei— 
nen einzelnen Watuta 
totzujchlagen, jobald 
man ihn erblidt, wird 
von einem Araber für 
ebenfo verbienftvoll 
und für weit notwen⸗ 
diger gehalten, als 
eine Schlange zu tö- 
ten“. Aber nicht bloß 
diefer Neifende, dem 
ein treffendes Urteil 
über Afrikaner, ſeien 
es Sklaven oder Po— 
tentaten, zuzutrauen 
ift, fondern auch unjre 
Landsleute, Kaijer 
und Genofjen, fanden 
vor allem in bem Ein Mtuta (nad Stanley). 

Watutaherrſcher Mi: 

ranıbo mehr Herrjchergeift als in einem Dugend gewöhnlicher Negerfürften, und heute 
fangen bereit3 die Miffionare an, fih auf den einft veradhteten Bandenführer zu ftügen, 
von deſſen Auftreten uns ſowohl Stanley ald aud Dr. Böhm fo anziehende Schilde: 
rungen entworfen haben. 

Intereſſant für die Kenntnis der „Methode“ diefer Eroberer ift eine Außerung, welche 
Stanley von Mirambo berichtet. Während der erften Unterredung, welde Stanley mit 
ihm hatte, jagte diefer unter anderm, daß er Knaben und Jünglinge als Begleiter auf 
feinen Kriegszügen vorzöge; denn „fie haben jchärfere Augen, und ihre jungen Glieder 
befähigen fie, ſich mit der Leichtigkeit von Schlangen und der Gejhwindigfeit von Zebras 
zu bewegen, und wenige Worte pflegen ihnen den Mut von Löwen einzuflößen. In allen 
meinen Kriegen mit den Arabern hat eine Armee von Jünglingen, von unbärtigen Knaben, 
mir ben Gieg verliehen. Fünfzehn meiner jungen Leute fielen an Einem Tage, weil ich 

BVölterlunde. 1, 27 





418 Krieger: und Hirtennölfer vom Zuluftamme, 


fagte, ich müſſe eim gewiljes rotes Tuch haben, das als eine Herausforderung hingeworfen 
worden war. Nein, nein, gebt mir Jünglinge für den Krieg, für die offene Feldſchlacht 
und Männer für die Paliſſadenverſchanzungen des Dorfes.” . 

Zum. Vergleihe bier die Gefchichte eines weitern Krieger-Räubervolfes, der oben 
genannten Wahehe, der Stammverwandten der Watuta. Vor etwa zehn oder zwölf 
Yahren, als die Wahehe noch auf ihren beſchränkten Landftrich zwiichen Ugogo und dem 
Ruaha angewiefen waren und fich hinter ihren hohen Bergen ficher fühlten, erhob ſich unter 
ihnen ein Häuptling von ungewöhnlicher Tapferkeit und Thatkraft, Namens Matſchinga. 
Unzufrieden mit feiner Heinen Herrichaft und begierig, feine Macht und feinen Reichtum 
zu vermehren, beſchloß er, das Land Urori den Händen des großen und mächtigen Häupt— 
linges Merere zu entreißen. Er hatte unter feinen Unterthanen eine deſpotiſche Gewalt 
erlangt; fie waren bereit, ihm überallhin zu folgen. Unter jeinem Befehle überfchritten die 
Wahehe ihre jüdlihe Grenze, griffen die Warori oder Waſongo an und waren in jedem 
Treffen fiegreih. Die Dörfer wurden verbrannt, das Vieh weggetrieben, und wie eine 
unwiderſtehliche Woge ftrömten fie über das Hochland Hin, alles verwüftend. Merere, un: 
fähig, feine ungeheure Stadt zu verteidigen, brannte fie nieder, um zu verhindern, daß fie 
in die Hände der Wahehe fiele; er trieb feine mächtigen Viehherden fort und flüchtete ſich 
in das höher gelegene Bergland, welches das nördliche Ende des Nyaffajees umgibt. Hier 
legte er einen ſtark befeftigten Plag neben dem Ruaha an und leiftete den bisher fieg: 
reihen Wahehe Widerftand. Zu dieſer Zeit erreichte Kapitän Elton mit feiner Geſellſchaft 
auf dem Wege vom Nyaffa nad) der Küfte diefen Sig des Krieges und wurde insgeheim 
in den befejtigten Ort eingelafjen, wo fie die Belagerten in großer Hungersnot antrafen. 
Ihre Ankunft und ihre Gewehre machten Merere jedoch neuen Mut, er fämpfte von neuem 
gegen die Wahehe und zwang fie endlich, fih geſchwächt zurüdzuziehen. Unmittelbar nad 
diefer Niederlage ftiftete aber ein Unterhäuptling, Namens Mamle, eine VBerjchwörung gegen 
Matſchinga an, ermordete denjelben und maßte fich die Häuptlingſchaft an, indem er den 
Sohn des legtern für unfähig erflärte, jeines Baterd Schwert zu führen. Ein Teil des 
Stammes, der noch treu zum rechtmäßigen Erben hielt, verließ das Lager und fehrte in 
fein urjprüngliches Lager, nördlid) vom Ruaha, zurüd, wo er ſich wieder unter Matſchingas 
Sohne feitjegte. Mamle aber ergriff noch einmal die Waffen gegen Merere und diesmal mit 
beſſerm Erfolge, Merere, unfähig, in jeinem eignen Lande fi) zu halten, war gezwungen, 
nad Uſafa zu fliehen, und Mamle regierte fortan unangefochten von Mpmwapwa und Ugogo 
bis zum Nyafjafee. Im diejer Lage fand Thomſon die Wahehe, als er auf jeiner be- 
fannten Reife vom Tanganifa zum Nyaſſa 1879 zuerft ihr Land betrat. Abgejehen von 
den überall fichtbaren neugebauten Dörfern fand er feine Anzeichen mehr, daß er jich in 
einem erſt kürzlich eroberten Zande befand. Nach dem äußern Ausfehen zu urteilen, hätten 
die Wahehe hier ſchon Jahrhunderte gewohnt haben können, und der ehemals unbedeutende 
Stamm hatte fih binnen wenigen Jahren in einen außerordentlich mächtigen und Eräf: 
tigen umgewandelt. Diejer Zuftand der Dinge war jedoch von kurzer Dauer. Der Sohn 
Matihingas beichloß, fih an Mamle zu rächen, und begierig, feine rehtmäßige Stelle an 
der Spite des Stammes wiederzuerlangen, jchidte er Gejandte an Merere mit dem An: 
erbieten, mit ihm behufs eines Angriffes auf Mamle in Verbindung zu treten. Merere 
nahm fjogleich diefes Anerbieten an umd ftand Monate nachher im Felde. Er war überall 
ftegreih und hatte bald einen großen Teil jeines Landes wiedergewonnen, ebenjo jeine 
Hauptftadt, die er wieder aufzubauen begann. Mamle aber ward aus dem ganzen Lande, 
das er zuleßt befeflen, mit feinen wenigen übriggebliebenen Kriegern nad; Kiwere getrieben, 
wo er fich mit den Räuberbanden Nyungus verband, jenes Häuptlinges, der ald der Mörder 
des Milfionars Penroſe berüchtigt geworden iſt. 


Urfprung der Wahehe. Falſche Maviti. Die Walungu. 419 


Zeigen bie Watuta Mirambos und die Wahehe Matſchingas den Weg ber hiftorifchen 
Schickſale, auf dem „echte Krieger:Räubervölfer entftehen, fo mögen zwei weitere Beifpiele 
in aller Kürze die Art und Weife verdeutlichen, wie andre auf dem feltfamen, lächerlichen 
Wege der Nachäfferei dazu fommen, die Zahl diefer Feinde aller ruhigen Entwidelung, 
alles ungeftörten Friedens anzujchwellen. Im Rovumathale wird ein Stanım des Namens 
Mahindfhe auch Maviti genannt, allein es find diefe Maviti des Rovuma nicht zu 
verwechſeln mit dem gleihnamigen Zuluftamme am Nyafjafee. Dieſe Maviti bes Rovuma 
äffen allerdings jene in allen Dingen nad), fie find aber in Wirklichkeit Flüchtlinge des Gindo— 
ftammes, deren einzige innere Ähnlichkeit mit den Maviti der Seeregion in den räube— 
riſchen Gewohnheiten liegt, denen fie inmitten allzu friedliher Stämme fat ſchrankenlos 
frönen können. In der That haben fie, um mit Joſeph Thomfon zu reden, „nicht 
mehr VBerwandtichaft mit den Zulu als ein Ejel in der Löwenhaut mit dem Löwen. Sie 
find eine Bande von elenden Feiglingen, eine niedrige, kriechende, lügende Gejellichaft, 
unmürdig bes menfchlichen Namens.” Ihre merkwürdige Äfferei, welche fich nicht nur auf 
die Tracht und die Waffen, fondern aud) auf die Gefänge, Tänze und das ganze friegerifche 
Gebaren jenes Kriegervolfes erftredt, fchreibt man dem Umftande zu, daß fie längere Zeit 
an den Ufern des Nyaffa mit demjelben zufammenmwohnten. Nach des Miffionars Maples 
Angabe follen fie jegt diefem „neuen Leben” zuliebe felbft ihren Aderbau, ihre ganze 
friedliche Beichäftigung aufgegeben haben. Ohne Zweifel ift aber bei diefer merfwürdigen 
Äfferei auch die Erfahrung maßgebend geweſen, daß die echten Maviti fhon dur ihr 
friegerifches Außere einen folhen Schreden unter friedlichern Bevölferungen erzeugten, daß 
ein Volk, welches fi auf das Räuberhandwerf legen wollte, nichts Befferes thun konnte, 
als fih in ihre gefürchtete Haut zu fteden. 

Während die Watuta, Wahehe und Mahindiche in ihrer Linie die auffteigende Ent: 
widelung zu repräjentieren jcheinen, find die Walungu von ber freilich nicht eben ſonnigen 
Höhe ihrer Größe ald Kriegervolf bereit3 wieder herabgeftiegen. Auch dieſe zeigen, daß 
der Name und die Kleidung in Afrifa von außerorbentlihem Einflufje fein können. Bor 
etwa 20 Jahren, ald in Ulungu ein Häuptling, Namens Kafungu, regierte, wurden bie 
Walungu dur die beftändigen Einfälle der Mafitu oder Maviti unter dem Häuptlinge 
Tafuna beunruhigt. Bei einem ſolchen plöglihen Einfalle wurde Mululami, Kakungus 
ältejter Sohn, gefangen genommen und al3 Gefangener von den Watuta fortgeführt. Nach— 
dem er mehrere Jahre bei ihnen geweilt und ihre Gebräude und Kriegskunſt erlernt hatte, 
entfloh er oder wurde freigegeben und Fehrte in fein eignes Land Ulungu zurüd. Daſelbſt 
begann er, die Walungu in der Kriegführung der Watuta zu untermweifen, und zwang fie, 
diefelbe Kleidung, biejelben Waffen, das Kriegsgejchrei und die Bewegungen derſelben an- 
zunehmen, und bald erjchienen fie als wirklihe Watuta, wenngleich fie andern Urfprunges 
waren. Bei den feigen Aderbauvölfern am Tanganikafee und am Rufidſchi genügte aber 
ber Anblid einer Kleidung oder eines Kriegsgefchreies nad) Art derjenigen der Watuta, 
um jeden Widerftand zu lähmen. Die „nachgemachten“ Watuta benugten diefen Umftand 
und verwüfteten das ganze Land. Als Mululami, der einen Stamm friedfertiger Ader- 
bauer zu wilden Kriegern umgejhaffen hatte, geftorben war, fiel fein ganzes kriegeriſches 
Syſtem in Trümmer, das Volk kehrte zu feinen frühern Gewohnheiten, Waffen und Klei: 
dern zurüd, legte jogar den Namen der Watuta ab und erfcheint jegt als durchaus harmlos, 
In jeder Hütte erblidt man jedvoh, wie J. Thomfon erzählt, noch den Schild aus Ochfen: 
baut, welcher als eine Reliquie aus frühern friegerifhen Zeiten aufbewahrt wird. 

Nah dem, was wir von den VBerwüftungen ber Matabele berichtet Haben, ift die Furcht 
ſehr wohl begreiflih, mit welcher die jhredlichen Namen diefer Völfer von den friedlichen 
Eingebornen vernommen werden. Livingftone erzählt, daß bei den Mafua die Kinder 

97 * 


420 Krieger: und Hirtenvölker vom Zuluftamme. 


mit dem Namen Mafitu gefchredt wurden. Schon die Furcht allein läßt ganze Stämme 
ihre Wohnfige wechſeln. Im Lande der Kombofo, das zum NRaubgebiete der Majai und 
Wakuafi gehört, fand Fiſcher die Fleinen Dörfer im Waldesdidichte angelegt, durch ver: 
borgene Pfade und ſelbſt Fallgruben geſchützt. Europäijche Reifende find mehr als einmal 
Feindfeligkeiten nur darum begegnet, weil fie für Führer von Watutabanden gehalten 
wurden. Die eine günftige Wirkung hat vielleicht dieſe Furcht gehabt, daß fie die flüchtenden 
Gemeinden in der Suche nad möglichft abgelegenen Wohnfigen zur Befiedelung von Land: 
ſchaften anleitete, welche fonft menjchenleer geblieben wären; und wenn früher menſchen— 
reiche Gegenden verödeten, jo füllten fich dafür andre, wie 5.8. die fruchtbaren Niederungen 
am Schire, mit Flüchtlingen, welche aus der Wildnis blühende Aderländer ſchufen. 





— (ein Yao) am Sarge Livingſtones (nad Photographie). 


Wir haben eine wichtige Seite der verheerenden Wirkungen diejer Räuber: Krieger 
noch nicht erwähnt: ihre Teilnahme am Sklavenhandel. Und doc liegt e8 auf der 
Hand, daß überall da, wo eine ſolche Bande fiber friedfertige Einwohner herfällt, eine 
Maſſe „Ware“ für den Sklavenhandel gejhaffen wird, deſſen Blüte in den Plägen der äqua— 
torialen Oftküfte von Sofala bis Zanzibar wohl nidyt zum Heinften Teile darauf zurüd: 
zuführen ift, daß die Kriegszüge diefer Räuberbanden den Händlern das Material für die 
Zufammenftellung ihrer Sflavenfarawanen in wünjchenswertefter Fülle jederzeit darboten. 
Wir willen in der That, daß das Volk der Yao „der thätigfte Agent der Sklavenhändler“ 
noch 1866 war, als Livingftome zum erjtenmal diefe Gegend bejuchte, und wenn wir 
aus den legten Jahren günftigere Nachrichten über den Fortjchritt gerade diefes Volkes 
haben, jo mag eine Urſache in dem durch jchärfere Kontrolle verurfahten Rüdgange der 
Sflavenausfuhr über die Küftenpläge gejucht werden. Ohne Zweifel hat bejonders auch 
zu ber Überlegenheit der Bewaffnung diejes Kriegervolfes die rege Verbindung mit den 


Bölkerverfepiebungen, Stlavenhandel. Fortigritte der Wayao, 421 


Sflavenhändlern wefentlich beigetragen. Livingftone beſchreibt diefen Handel folgender: 
maßen: „Die Karawanenführer von Kilwa fommen in einem Wayaodorfe an, zeigen die 
Waren, welche fie gebracht haben, werden darauf von den Dorfälteften freigebig bewirtet 
und angewiefen, eine Zeitlang zu warten und ſich's wohl jein zu lafjen, man werde Sklaven 
genug zufammenbringen, um alle diefe Waren damit zu faufen. Darauf wird ein Kriegs: 
zug gegen die Manganja organifiert, welche wenig oder feine Flinten befigen, während 
die gegen fie ausziehenden Wayao durch ihre Gäfte von ber Hüfte reichli damit aus: 
gejtattet find. Einige von den niedrigern Küftenarabern, bie fi in nicht$ von den Wayao 
unterfcheiden, begleiten gewöhnlich den Kriegs: und Raubzug, wobei fie Geſchäfte auf eigne 
Rechnung machen.” Indeſſen beſchränken ſich diefe Züge behufs Menfchenraubes nicht auf 
die Manganja, jondern auch untereinander überfallen fi) oft genug die Wayao. Ihre 
ausgedehnte Viehzucht mit den unvermeidlihen Folgen der unrehtmäßigen Ausdehnung 
auf fremdes Weideland und des Viehdiebftahles mag zu den Feindfeligfeiten beitragen. So 
kann es fommen, daß man mitten in diefem wohlgelegenen, fruchtbaren, gut bewäſſerten 
Stufenlande der Küfte plöglih einen Strid von 10 geographiihen Meilen Breite betritt, 
der menfchenleer ift, während alte Feuerftätten, Dorfpläge und Aderfelder das einftige 
Vorhandenjein einer dichten Befiedelung erfennen laffen. So muß es aber auch fommen, 
daß einzelnen einfihtigen Häuptlingen die Verderblichfeit eines ſolchen Zuftandes klar wird, 
und wir verftehen, daß Livingitones Freund Matafa feinen plündernden Leuten befahl, den 
Manganja eine Rinderherde zurüdzubringen, welche fie von deren Weiden mweggetrieben 
hatten. Wielleicht wird ber in diefem andauernden Kriegszuftande gewedte Geift von Männ— 
lichkeit und Ausdauer gerade unter diefen Wayao und Genofjen einen bejjern Boden für 
die Kultur vorbereiten, als fie bei den gedrüdten, entmutigten, demoralifierten Manganja 
finden würbe. Die Erfahrungen der Miffionare im Rovumagebiete jcheinen dies zu beftä- 
tigen. Es würde 3. B. ungerecht fein, nit darauf aufmerffam zu machen, daß eine große 
Ausnahme von allen ſicherlich nicht zu abfälligen Schilderungen der Wayao in dem Häupt: 
linge Matola von Newala gefunden wird, der eine von jenen jeltenen hellen Erjcheinungen 
in der büftern Galerie bedeutender Afrikaner ift und feit einigen Jahren eine wichtige Stüge 
des engliihen Miffionswerkes in dieſen Gegenden bildet. Einige Stämme haben von den 
funftfertigen Völkern, die jie unterwarfen, Geräte fertigen gelernt, welche zeigen, wie 
tiefe Wurzeln da und dort ſchon die Künfte des Friedens geſchlagen haben. (Vgl. die 
Abbildungen auf S. 403 und 415.) Zur Anerkennung ber jo vielgefhmähten Wayao fol 
hier auch nicht überfehen werden, daß ſchon mehrmals ihre Reiſeluſt und Reiſegewandtheit 
zu gunften europäifcher Forichungsreifenden verwertet werden fonnten. Bombay, ber von 
Burton und Speke bis Stanley fajt alle von Zanzibar ausgehenden Erpeditionen führen 
half, ſowie Tihuma und Wainwright, die 1874 Livingitones Leihnam an die Küſte 
braten, gehörten dem Stamme der Yao oder Wayao an und haben ficdh reichliches Lob 
verdient. Auch unter den Trägern der Bagamoyofarawanen find regelmäßig zahlreiche 
Angehörige diejes Stammes. 


422 Krieger: und Hirtenvölfer hamitifher Abftammung. 


19. Brieger- und Hirtenvölker hamitiſcher Abſtammung. 
(Galle, Somali, Maſai!.) 


„Gin triegerifches und wilde Volt, das, unter Ein Haupt vereinigt, 
nit nur Mbeffinien, fondern aud ganz Afrika hätte erobern können.” 
Krapf. 


Inhalt: Afrilas Nordoſtecke. — Klima, Flora und Fauna des Galla- und Somalilandes. — Gemiſchter Typus 
bes Volkes. — Tracht, Waffen und Schmuck. — Sagen über Urfprung und Herkunft. — Gefhichtliche Spuren. 


In die Klafje der Hirten, Krieger: und Näubervölfer des Oſtens ragen aus ber 
großen norbafrifaniichen Völfergruppe der Hamiten Stämme herein, die im Süben echte 
Neger umfchließen und im Weften jo innig große Negervölfer burchfegen, daß troß bes 
weiten linguiftiihen und manches Heinern ethnographiſchen Unterfchiedes ihre Anreihung 
an dieſer Stelle geboten erjcheint. E3 find die Galla, Somali und Mafai. 

Das Land der Galla und Somali nimmt die Nordoftede Afrifas zwijchen dem 
Kap Gardafui und dem Aquator und zwiſchen der Küfte und der noch unbelannten Waffer: 
jcheide des Indiſchen Ozeanes und des Meißen Nil ein. Es ift vorwiegend Hochebene, 
die durch einen mit ber Küfte parallelen niedrigen Gebirgszug, von welchem ein fanft 
fih abdachender Tieflandftreifen zur Küfte hinabführt, nad Norden abgejchloffen wird. In 
einzelnen Teilen find 800, in andern 1500 m jeine höchſten Erhebungen. Bon diefem viel- 
durchbrochenen Gebirge jhaut man ſüdwärts über ein mwelliges Hügelland, welches feiner- 
jeit8 von einem zweiten Gebirgäzuge begrenzt wird, der „hoch, mit reicher Vegetation 
geſchmückt, dem ſuchenden Auge Feine Kluft, Fein Thal bietet; bloß fteile, ſchwer zu be- 
gehende, aber nicht jehr lange Pälle, die nur teilmeije für das Kamel gangbar find, führen 
hinüber” (Haggemader). In feinem herrlichen Grün bilbet das im Gan Libah gegen 
3000 m anjteigende Gebirge einen prächtigen Gegenfag zu bem fahlen Küftenzuge im Nor: 
den und der weiten, herdenreihen Ebene, der Somaliprärie, die als bald ebene, bald 
wellige, von wenigen größern Hügeln unterbrocdhene Fläche ſich hinzieht. Diefe fteinloje 
Gegend erinnert ganz an den Sudan, nur daf der Boden hier aus rotem Lehm ftatt ſchwarzer 
Erde gebildet wird. In diefer Hochebene und diefem Hügellande gibt es faum einen 
dauernden Waflerlauf, ja wenige haben auch nur während der Regenzeit beftändig fließen: 
des Wafjer. Wohl ftürzen dann bei ben heftigen Gemittern Gießbäche in ihnen herab, die 
ein Neifender treffend die „Lawinen Afrikas“ genannt hat; aber fo rafch, wie es gefommen, 
verrinnt deren Wafjer. Erft weiter abwärts, wo viele Waffer zufammenrinnen, eilen be: 
ftändig mafjerreiche Flüffe, deren Ufer fchmale Streifen dichter Wälder aus Feigenbäumen, 
Tamarisfen und Akazien einfaffen, dem Meere zu. Der bebeutendfte unter ihnen, der 


' Der Völlename Galla (aud Gala geichrieben) bezeichnet nad) Bruce Hirten, nah Krapf Ein: 
wanbderer, nad Rich. Brenner im Munde der Araber überhaupt Ungläubige, Barbaren. Es ift dies jedoch 
ein Name, der ihnen von außen, fei es von Abeffiniern ober Arabern, beigelegt ward, und Fein fefter ethno—⸗ 
graphifcher Begriff; denn wir hören, dab aud die Mafai und Waluafi ald Galla bezeichnet werben. Sie 
felbft nennen fih Drma ober Droma (ftrapf) oder Jlmorma (Jfenberg), was Menfhen, Männer, 
Menſchenkinder bedeutet. Iſenberg konnte bei feinem längern Aufenthalte in Zeila und Umgebung den 
Sinn bed MWorted Somali nicht erfahren. Doc erinnert er daran, daß ein Volk in Korbofan bei Dairi 
ben Namen Tumali trage, ebenfo wie Dongola an Danafil anflinge, Nah Fifcher geben die Mafai fi 
felbft diefen Namen. J. M. Hildebrandt leitet Mafai von masa, Beſitz, ab; es würbe bemnad; Reiche 
bedeuten, was nicht wahrſcheinlich ift. Digob oder Drloigob, womit fie und die Wafuafi ſich felbft bezeichnen, 
ſoll foviel wie Starke, Herrfher bedeuten. Waluafi endlich leitet man vom Kifuahelimorte kafi, Boot: 
ruber, ber, weil ihre breitflingigen Zangen Ruderform haben. 


- "Natur ber. Galla⸗ und Somaliländer, 423 


Wobi oder Webbi, ergießt jeine von Adererbe blutroten Wellen wie „einen ſchmutzigen Blut: 
from“ (ein nur zu treffendes Wahrzeichen bes blutgetränften Somalilandes) in einen 
hinter dem Küftengebirge von Brava liegenden Sumpf. Wenn aber die Somali von Seen 
ſprechen, jo verftehen fie darunter große, in Felfen gehauene oder gemauerte Sammelbeden, 
deren Waffervorrat Hinreicht, um fünf bis ſechs Monate lang einen Stamm jamt feinen 
Herden zu tränfen. Natürlide Seen gibt es im Somalilande nicht. 

Die Regenzeit der Küjtenftrihe dauert vom Dezember bis Anfang Mai, während 
im Innern die ftarfe Regenzeit (Gu), in welcher zwei- oder breitägige ununterbrocdene 
Regengüffe mit ein= bis zweitägigen Pauſen abwechfeln, vom April bis Juni anhält, worauf 
dann die Schwache Regenzeit (Haga) mit feinen, aber dem Wachstume günftigern Regen vom 
Juli bis in den Dftober folgt. Dann jchließt ſich im Dftober die Zeit der Plagregen und 
immer jpärlicher werdenden Gemwitterregen an (Keren und Dair), und endlich folgt vom 
Januar bi März die dreimonatliche Trodenzeit, der Sommer (Djlal), von deſſen zeitigem 
Abſchluſſe zu Ende März das Wohlfein der Bevölkerung, d. h. das Gedeihen ihrer Herden, 
abhängt. Die Temperatur ijt in den Küftenftrihen ozeanifcher als in den Küftengegenden 
des Roten Meeres, denn ihre Höhe ift fat ſtets durch Seewinde gemildert. Im Innern ift 
der Gegenfag von Tageshige und Nachtkühle bedeutend, er erreiht 12— 18°. Die Hite 
der Trodenzeit kann ausnahmsweiſe auf 32° C. fteigen, die Kühle der Regenzeit auf 8° €. 
finten; aber im allgemeinen ift dies Hochebenenklima gemäßigt und erfrijchend. 

Der Pflanzenwuchs ift an der Küfte ärmlich, dem der Samhara ähnlich: große, arm: 
leuchterartige Euphorbien, Mimofen, Koloquinten herrichen vor. Nur an den Flußufern 
wachſen ſchattige Haine auf. Aber in diefer trodnen Hige gibt es kaum ein Kraut, das nicht 
feinen ftarfen Duft aushauchte, und ſchon früh hat man hier „die Küfte der Wohlgerüche” 
geſucht. Im Innern herrſcht die Savanne, die ſelbſt von Mimojenbüjchen wenig unter: 
brodene Wiejenflur, welche den größten Teil biefer Länder zu einem der beiten Weide— 
gebiete der Erde macht. „Wie jchade ift e8 doch”, ruft Krapf, „daß dieſe Schönen Länder 
nicht beffer benutzt werden; denn die Galla haben jo fruchtbare, waſſer- und weidereiche 
Gegenden, geeignet für den Landbau ſowohl als für die Viehzucht, dag man in Europa 
ſich feine Vorftellung von ihrer Schönheit machen kann. Dabei ift das Klima jo mild, fo 
gefund wie in Jtalien oder Griechenland.” Am Wobi tritt zum erftenmal der Charafter- 
baum Mittelafrifas, der Affenbrotbaum, auf. In den Gebirgen wachen drei verfchiedene 
Arten von Weihrauhbäumen, von denen der übrigens als Schattenbaum beliebte Djan 
Der durch Anbohren der braunen, als Gerbitoff verwendeten Rinde den feinften Weihrauch 
(Liban Mastati oder Liban Maheri) liefert. Hildebrandt fand im Somalilande auch 
Drachenblut und Aloe, die aber gar nicht ausgenußt werden. Die Weidegräfer ausgenom: 
men, it die Zahl der einheimifchen Nußpflanzen gering. Man bereitet Pfeilgifte aus einer 
Aristolochia und einer Wabey genannten Euphorbie. Im Weften ift die Syfomore, der 
breitihattige Schirimbaum, den Galla heilig; wer, von Feinden verfolgt, fih unter ihren 
Schatten flüchtet, hat ein fiheres Afyl. Der Meswag: oder Raakbaum ift häufig; die 
Gläubigen reinigen fi mit jeinem Harze die Zähne, weil ein mit gereinigtem Munde ge: 
jprochenes Gebet vierzigmal wertvoller ijt al3 ein andres. Gummibäume find überall ver: 
breitet. Am Wobi findet man viele verwilderte Weinreben, Limonen, Mandeln, Feigen ıc., 
Reſte eines einft blühendern Gartenbaues, von dem auch zahlreihe alte Brunnen und 
Bifternen Zeugnis geben. Der heutige Aderbau der Somali ift viel ärmlicher: Durra, Mais, 
Weizen und Erbjen find feine einzigen Früdte. Wo aber der Aderbau mit Eifer betrieben 
wird, wie in den Ländern der Südgalla am Tana und Sabali, zeigt fi eine große Frucht: 
barkeit. Rihard Brenner nannte diefes Land das fruchtbarite und beftangebaute, das 
er auf feinen Reifen geſehen. Das Somaliland allein hat feinen Getreidebau. 


424 Krieger» und Hirtenvölfer Hamitifher Abftammung. 


Die Fauna des Galla: und Somalilandes ift eine jehr reihe. Bon den Raubtieren 
ift der Leopard am gefürchtetiten, da er dreimal mehr Menſchen töten joll al3 der häufigere, 





— Ga £ 


Ein Gallamönd vom Stamme Limu aus Enarea (nad Photographie aus Pruner Beis Eammlung). 


aber weniger gefürchtete Löwe (Libah). Wenn daher die Somali nachts ein bejchattetes 
Flußbett oder jonft eine bedenkliche Lokalität Freuzen, halten fie fih zum Schuge gegen den 
Leoparden den Schild in den Naden. Zu Handelözweden fangen und zähmen die Galla 


Der ethnographiſche Begriff der Galla. 425 


die Zibetkage; zahme Katzen und Hunde werben als unrein nicht gehalten. Die Paviane 
find außerordentlich häufig wegen der Schonung, die fie hier genießen, da ber Somali gleich 
dem Araber fie für von Gott verfluhte Menſchen hält. Der Elefant wird gewöhnlich von 
Gejellihaften gejagt, aus welchen einer den Speer ſchleudert, während ein andrer dem 
verwundeten Tiere mit dem Schwerte eine Sehne durchſchlägt; auch mit vergifteten Lanzen 
ſucht man ihn zu erlegen ebenfo wie das Nhinozeros, aus deſſen Haut beliebte Schilde 
gemacht werden. Das Zebra und ber wilde Ejel werden weder gejagt noch gezähmt, und 
das Wildihwein wird nicht einmal berührt. Des Fleiſches wegen ftellt man nur den mannig: 
faltigen Antilopen nad. Den im Somalilande häufigen Strauß jagt der Somali zu Pferde, 
der Rami zu Fuße mit vergifteten Pfeilen, fein Fleiſch verfchmähen fie jedoch. Hühner, 
Tauben und alles andre Geflügel gilt als unrein. Gejhägt wird nur der Honigvogel, welcher 
den Menſchen durch fein Gejchrei zu 
den Erbhügeln der Honigameijen und 
zu den Bienenftöden in den alten 
Bäumen führt, zugleich aber auch mit 
einem andern Schreie vor Löwen 
warnen joll. Bienenzucht treiben die 
Harar. Alle Reptilien, Amphibien 
und Fiiche verabſcheut der Somali. 


Das Volk der Galla, deſſen 
Gejamtcharafter am treffendften in 
die jehr allgemeine und daher we- 
nigftens unſchädliche Definition „halb 
Neger, halb Araber” (Guillain) zu 
faſſen ift, hat in diefem weiten Gebiete 
die Ditede Afrikas, von der Nordgrenze 
der Suabeli bis Abejfinien, inne und 
erftredt fich, unbefannt wie weit, nad) 
dem Innern Afrikas zu. Die geihicht: = 
liche Stellung ber Galla gegenüber Ein Gallambuch vom Stamme Limu aus Enarea 
den Abefjiniern und teilweiſe auch den (nah Photographie aus Pruner Beis Sammlung). 
Küftenarabern, die lange Jahre hin: 
durch das Monopol hatten, Europa mit den vielgeſuchten afrikanischen Neuigkeiten zu ver: 
fehen, muß vorfihtig gegenüber den ältern Urteilen über die Galla machen, welche eben 
faft durchaus aus feindlihen Quellen jhöpften. Beſtimmte geographiſch abgetrennte Teile 
der Galla find die Somali in dem gleichnamigen, die Nordoftede Afrifas bildenden Lande, 
die aus den Umgebungen bes Kilimandiharo und Pangani big tief in das Herz Afrikas 
jchmweifenden Hirtenvölfer der Majai und Wakuafi, wahriheinlih aud der Wahuma 
und Verwandten, weldhe weite Negerländer in der Region der Nilquellfeen fih unterworfen 
haben. Man hat bei der Unficherheit des Begriffes Galla im Zweifel fein fünnen über 
die Grenzen diejer Völfergruppe, zumal diejelbe der Mehrzahl nad) nomadifierende Stämme 
umſchließt. Durch Zujammenwerfen mit den Watuta der Nyafja: und Tanganifaregion 
hat Krapf fie jogar jüdlich von Unjammwefi wieder auftauchen lafjen. Sieht man von der 
Ähnlichkeit des äußern Habitus ab, die fie zu gar manchen Völkern Afrifas, vor allen den 
Abeffiniern und Nubiern, in nähere Beziehung zu bringen geeignet ift, jo fann man ben 
Sabaki als die Grenze bezeichnen, über welche eigentliche Galla ſüdwärts nicht vorgedrungen 
find, während im Norden der Keil mohammedanijcher Galla zwiſchen Schoa und dem 





426 Krieger: und Hirtenvölfer hamitiſcher Abftammung. 


eigentlihen Abeffinien ihre nörblichfte Abzweigung bezeichnet... Die von Munzinger zu 
ihnen gerechneten Schoho würden den am weiteften norbwärts, an die Nordgrenze Abejji- 
niens vorgefchobenen Poſten bilden. Die abgelöften Zweige reichen dagegen weiter. Die 
Mafai finden erft in Ugoga ihre Grenze, die Wafuafi figen um den Baringo und Naiwaſcha, 
und von der weiten Ausbreitung ber Wahuma im Nilfeengebieten werden wir im nächſten 
Abſchnitte zu ſprechen haben. 

Die Gala haben feinen einheitlihden Volfstypus. Man kann fie von vorn: 
herein als Miſchvolk bezeichnen, wie es den Abeſſiniern geſchieht, mit denen viele von 
ihnen fo viel Ähnlichkeit haben, daß man fie Schwer unterſcheiden kann. Das Gemeinjame 
der Galla ift eben nicht anthropologiſch, ſondern ethnographiſch. Hildebrandt ftellt fie 
ganz allgemein und zwar anthropologiſch und ethnographifch „zwiſchen die Arier und Afti- 
faner”, Er jchrieb im Somalilande: „Obgleich; ich mehrere Jahre mit diefem Völkerkompler 
verkehrte, blieb es für mic doch immer ſchwierig, einem Individuum auf den erjten Blid 
anzufehen, ob e8 3. B. ein dunkler Hadrami-Araber, Somali, Gdla, Dänkali, Bedja oder 
gar Maſai, Nifamba oder M’djagga fei”. Was in den Haremd und ben Tanzbuden 
Hgyptens und Nubiens als Abeflinierinnen fo hoch im Werte fteht, ſoll feltener von abe}: 
ſiniſchem als von Gallablute fein. Auch in Zanzibar werden Gallamädchen mit Vorliebe 
von Europäern und Indern gefudt. „Das einzige Kennzeichen, das faft jedes Mitglied 
diefer Hirten» und Räuberftämme brandmarft, find die vielen Narben. Auch erfreut ſich 
die Abteilung der Somali eines wild wuchernden, dur Kalkſchminke gelbrot gefärbten Haar: 
wuchſes.“ (Daggemader.) Im übrigen ift der abeſſiniſche oder arabiſche Typus, mit 
ſchmalem Gefihte, Aolernafe, feinem Munde, zufammengepreßten Lippen, hart neben dem 
äthiopifhen, mit Stumpfnafe, Wulftlippen und ftarfen Backenknochen, oft in derjelben 
Familie vertreten. von der Deden fand die Südgalla im Gegenjage zu den Negern 
rieſenhaft gewachſen, ſchlanke Urbilder von männlicher Kraft. Fifcher hebt bei den Wakuafi 
die große Magerfeit hervor und fand bei den Majai Leute von europäiſch angenehmem 
Ausdrucke neben tierifch negerhaften Gefichtern. Die Scharfe Sonderung in Stämme von 
fehr verfchiedenem Range deutet an fich ſchon verfchiedenartige Herkunft an, und die Ge 
ihichte der Galla lehrt Einwanderungs: und Urbevölferungsjagen kennen, bie nicht aus der 
Luft gegriffen find. Zwar halten ſich die Galla an den Küften ziemlich ftreng von den Aus- 
ländern zurüd, ebenfo wie fie im Innern durch die Natur des Landes oder durch grund— 
verjchiedene Sitten und Gebräuhe von den Negern gejfondert find. Aber mächtige Ein- 
wanberericharen haben ſich mehr als einmal in das Innere diefes Volkes gedrängt jelbit 
noch in geichichtlicher Zeit, und welches auch die Urbevölkerung geweſen fein mag, ſicher 
ift, daß nun ein guter Teil arabijhen Blutes in die Adern derſelben über: 
geführt ift. So iſt es denn nicht erftaunlich, wenn bie Körperfarbe von licht milchkaffee: 
bis dunkelbraun (ſchwarz), das Haar vom wolligen bis lodigen, der Gefichtätypus vom 
faufafifchen bis zum „ſchwärzeſten und häßlichſten“ Negertypus (Burton von den Iſa) 
ſchwankt. Aber bei den reinern Galla wiegt das Helle in der Hautfarbe vor, und angeblich 
foll man jelbft in Abeffinien die Gallafflaven an ihrer hellern Hautfarbe erkennen. Ein 
bei den Küftenfomali de3 Nordens vorwaltender Typus wird von Burton folgendermaßen 
beftimmt: „Mehr langer als runder Kopf, große, wohlgebildete Stirn, große, jhöne Augen 
und Augenbrauen, vorftehende Backenknochen und Unterkiefer, die Lippen und vorftehen: 
des Kinn, meift geringer Bart, hartes, fchlicht geringeltes Haar”. Ebenſo ſchildert Revoil 
die Medichertin, die er für die reinften der Somali hält. Guillain will im allgemeinen 
im Süden mehr Negerhaftes als im Norden getroffen haben, was nicht unwaährſcheinlich 
it und injofern von Fiſcher beftätigt wird, als dieſer Majai und Wakuafi vorwiegend 
dunkelbraun, felten hell fand, während von der Deden gerade die Sübgalla ſehr wenig 


Körperliche und geiftige Anlagen. 427 


negerhaft zeichnet. Seine Schilderung des allgemeinen Charakters der Somali ftimmt mit 
ber vorftehenden, doch bezeichnet er die Augen als ziemlich klein und tief liegend und fügt 


hinzu: weiteNafenlöcher, 
Zähne gerade, Kinn oft 
zurüdlaufend, Gefichts- 
winfel 80— 84°, Glie: 
der mager, Waden faum 
merflih, Durchſchnitts⸗ 
größe der Männer 1,9, 
ber Weiber 1,co m. Der 
Gefamtbau der Männer 
wird ferner als etwas 
ſchmal bezeichnet im Ver: 
hältniffe zur Größe. 
Über den Charaf: 
ter der Galla etwas 
allgemein Richtiges zu 
jagen, ift ſchwierig aus 
zwei Gründen: einmal, 
weil, wie erwähnt, ihre 
geographiiche Lage die 
Gewinnungſicherer Nach— 
richten ſo ſehr erſchwert, 
dann aber auch wegen 
der offenbar vorhande— 
nen tiefen Unterjchiede 
zwiſchen Nord: und Süd: 
galla. Jene und vor allen 
die mit den Abeffiniern 
in tete feindliche Berüh— 
rung gelommenen mo: 
hammedaniſchen Wollo- 
Galla werden als aus: 
gezeichnet Durch Fanatis— 
mus, Treulofigfeit und 
Raubluftgeichildert,wäh- 
rend die heidnijchen Süd: 
galla fihdurd Treue, Of: 
fenbeit, Nedlichkeit aus: 
zeichnen. Neuere Beobach⸗ 
ter, wievon der Deden 
und Kinzelbad, waren 
über den Mangel der den 
Südgalla an der Küſte an— 
gedichteten übeln Eigen— 


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= ẽ m — — ee hei Haie 
Ein Mafailrieger im vollen Shmude (nad Photographie von Dr. Fiſcher). 
Dgl. Text, ©. 428. 





ichaften überraſcht und befchreiben fie als in ihrem Auftreten eher angenehm und gewinnend. 
Hauptftüd der Tracht ift eine Art Toga, ein Stüd Baummwoll: oder Kamel: und Ziegen: 
haarzeug von etwa 4 Ellen Breite und 8 Ellen Länge, womit fih die Männer in der 


428 Krieger: und Hirtenvölker hamitifcher Abftammung. 


verſchiedenſten Weiſe umhüllen, meift jo, daß Oberkörper und Unterfchenfel frei bleiben. Ein 
baummollenes Tuch, von den Lenden zu den Unterſchenkeln reichend, wird in der Regel unter 
diefem getragen. Die Weiber tragen es als Kleid, das von ben Hüften zu ben Knöcheln 
herabhängt. Die Frauen der Hirtengalla tragen ftatt deſſen ein Lederkleid von den Hüften 
abwärts oder unter jener Toga eine Lederſchürze. Die Bruft dedt aud bei den Frauen 
ein über die linfe Achfel gebundenes Tuch. Der Kopf wird frei getragen; doch gibt es 
Ausnahmen, wie denn die Leute vom Stamme der Wodado Turban und Takkie (j. Ab: 
bildung, ©. 28) tragen und bie verheirateten Frauen der Somali ihr Haupt mit einem 
blauen Turbane bededen. Die Männer der Somali fchmieren fi einen Kalkbrei in bie 
Haare, der diejelben gelbrot färbt. Künftliche Frijuren, wie fie Wakefield von den Galla 
und Fifher von den Maſai beichreiben, jcheinen nur den Negern nachgeahmt. Die Weiber 
im Innern laffen die Haare wild wachſen, die der Somali flechten das Haar in fleine 
Zöpfchen, folange fie Mädchen, und bededen es, wenn fie verheiratet find; die ber Maſai 
rafieren fi den Kopf und enthaaren den Körper. Die Männer aber der mohammebani- 
ſchen Galla, welde in den Krieg ziehen, jcheren fich den Kopf kahl, damit ihnen fein Feind, 
fie am Schopfe haltend, den Kopf abichlage. Arme Heiden fich wohl auch in Tierfelle. Eine 
gegerbte Ziegenhaut über der Schulter fennzeichnet den Betenden. Der Leib und, wenig: 
ftens bei den Hirtengalla, aud das Kleid werden mit Hammelfett eingefchmiert, was bei 
der Seltenheit des Waſchens zu unerträglihen Ausdünftungen Veranlafjung gibt. Wenig 
hilft dagegen das Anräuchern des Körpers mit Weihrauch. 

Als Schmuck iſt bei den Galla des Innern ein Elfenbeinring am reiten Oberarme häufig, 
auch zahlreiche Meifing: und Eifenringe findet man wohl an demfelben Arme. An der Küfte 
ift Silber allgemein verbreitet und am beliebteften. Die Ohren find mit großen filbernen 
Ningen, Rofetten und Ketten geziert; an Fingern, Handgelenk und Oberarm, nicht aber auch 
an den Beinen oder in der Nafe, trägt man filberne Ringe oder Spangen (f. Abbildungen, 
S. 430 und 436). Hierin macht fi offenbar indiſcher Einfluß geltend. Die Gallafrauen 
des Innern tragen oft den ganzen linken Unterarm mit einem fpiraligen Drabte dicht ummunden, 
wie e3 auch die Negerinnen lieben. Eine vielfarbige Perlenſchnur und filberne Amulette um 
den Hals find gewöhnlid. DieSomali, welche fanatiſche Mohammedaner find, tragen aneinem 
Leberriemen zwifchen zwei großen Bernfteinperlen einen Koranvers im Ledertäſchchen am Halie. 
Der Mann geht nicht ohne Waffen, die bei den Somali durch regen Kontakt mit den Ara: 
bern am reichften und mannigfaltigiten find: an der rechten Seite ein großes Dolchmeſſer, auf 
der linfen Schulter zwei Speere, wohl 2 m lang, mit langer, faft ruberförmiger Klinge, den 
runden Schild aus Rhinozeros: oder Büffelhaut am Arme (ſ. Abbildungen, S. 431, 432 
und 433). Die Maſaikrieger tragen ovale Schilde, ähnlich denen der Zulu, mit grellen Far: 
ben bemalt (j. Abbildung, S. 427). Gewehre find nur in geringer Zahl vorhanden. Bogen 
und Pfeile werden den Kindern zum Spiele oder den unterworfenen Stämmen zur Jagd 
überlaffen. Im Gürtel fteden Dold und Wurffeule. Rihard Brenner jah außerdem 
den eijernen, mit halbzölligen Stacheln bejegten Streitring bei den Südgalla häufig, und 
die Narben desjelben, im Ringen und im SKriegstanze beigebradjt, bebedten die Bruft 
manches Mannes. (S. auch die beigeheftete Tafel „Oſtafrikaniſche Waffen und Geräte.) 

Sn der Arbeit des Aderbaues und der Viehzucht ſowie auch in den Induſtrien, 
denen alle diefe Waffen und biefer Schmud entſtammen, find die Galla an der Grenze 
Abeffiniens ſowie die Somali der Küftenftädte wohl am eifrigften und geſchickteſten. Die 
Gala von Enarea werden über die Schoaner oder felbft Südabeffinier gejtellt hinſichtlich 
bes Eifer3, mit dem fie ihre Kaffeepflanzungen pflegen, und des Gejhides, mit dem fie 
funftvolle Waffen, wie Dolce mit filbereingelegten Elfenbeingriffen, verfertigen. Die echt 
afrikaniſche Kunft des dichten Flechten, welche 3. B. Neifeflafchen für Mil oder Waſſer 


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Tradt. Waffen. Aderbau, Viehzucht. Induſtrien. 429 


berftellt, ift auch bei den Galla und Somali heimiſch. Ebenjo üben fie die Holzfchnigerei. 
Die in den legten Jahren hierher vorgedrungenen Staliener, wie 3. B. Caprotti, beſtä— 
tigen die bezüglichen Urteile älterer Beobachter, wie Salts und Bekes. Die rein noma= 
diſchen Stämme verfertigen dagegen faft fein Gerät, jondern taufhen alles gegen Vieh: 
zuchtprodufte von den aderbauenden Negerftämmen ein. Sie find darin fo konfervativ, 
daß 3. B. die Majai noch immer nur in Xeber fich Heiden, trogdem jeit Jahrzehnten bie 
Karamwanen mit allen möglichen Waren von der Küfte in ihr Land fommen. Iſenberg 
jagt ganz allgemein von den Galla: „Die Viehzucht ift bei ihnen beffer beftellt als bei den 
Abeſſiniern“. Auch unter den Somali, die faſt durchaus nomadiſch find, gibt es aderbauende 
Gruppen; Indigo bildet beifpielsweile eine der Ausfuhren von Bender-Maraya, während 
freilic der Getreidebau dort faft gleich Null ift. Der Handel an der Nordküfte des Somali— 





—— — 
— 


äbe: 1 Feuertopf — 2 Senteltopf — 3 Geſchloſſenes Gefäh zu Vahungen der Frauen (Mufeum für Bölterlunde, 
Berlin), %s wirtl Größe. 

landes ift nicht unbedeutend. Zu Miles’ Zeit (1871) machten ſechs den dortigen Kaufleuten 
gehörige Buglas die Fahrt nah Bombay. Die Ausfuhr bejteht aus Gummi, Weihraud), 
Indigo, Dumfrühten und Matten, und zwar ift der Handel großenteils in arabijchen, teil: 
weiſe auch in indiichen Händen. Aber die Südgalla, die Majai und Wakuafi, find die 
echteften Nomaden, welche faft nur tierifche Koft, zwar fein rohes Fleisch, wohl aber warmes 
Blut (befonders bei der Vollmondfeier) oder Blut mit Mil zum Getränke gemijcht, ges 
nießen. Die Butterbereitung ift nicht befannt. Der Herdenreihtum ift jehr groß, jo daß 
bei manden Stämmen 7—8 Ninder auf den Kopf gerechnet werden. Zum Reiten werben 
gejattelte und am Najenringe geleitete Ochjen benugt, ebenjo Pferde, die im Norden häufig 
find und gegen Süden abnehmen, aber nicht Kamele, wiewohl legtere bis zum Sabali vor: 
fommen. Ejel find immer in den Karawanen der Panganiroute vertreten. 

Die Städte partizipieren an dem unfteten Charakter des ganzen Volles. Bender: 
Maraya (oder Miraya), die Hauptfeitung der Medſchertin-Somali, hat in der toten Zeit 
in feinen ca. 200 Häuſern 600—700 Einwohner, welde fich in der Handelszeit verdop— 
peln, wo die mit Gummi und andern Produkten beladenen Kylas aus dem Innern 
und die arabiihen Kaufleute von der arabiſchen Küfte hier zufammenkommen. Mit dem 


Somaligef 


430 Krieger» und Hirtenvöller hamitifher Abftammung. 


Unterjchiede des feßhaften und nomadiſchen Lebens geht derjenige dichterer und bünnerer 
Bevölkerung Hand in Hand. Brenner rechnet die Südgalla nur zu 20,000, die unter der 
Linie wohnenden Borani-Galla fon zu 150,000. Krapfs Annahme von 7 bis 8 Millio- 
nen ift aber ficher zu hoch. Nach Fiſcher ift ohne äußern Anlaß bei ganz gleichbleibendem 
Wafferreihtume und Fruchtbarkeit in den Mafai der Wandertrieb immer gleich rege, jo daß 
irgend ein Teil des Landes ohne Motiv fat menichenleer, während ein andrer übervöl- 
fert ift. Ihre Hütten aus rund gebogenen Zweigen und Häuten mit Kuhmiſtbewurf find 
wenig dauerhaft und ftehen immer in dem Kreife, der die Herde einjchließt. 





Ein filberner Frauenfhmud der Somali (Mufeum für Völlertunde, Berlin), Wirll. Größe. Vgl. Tert, ©. 428. 


Auffallend und merkwürdig find die politifhen und jozialen Einrihtungen in 
mehreren Beziehungen. Während die Befigunterfchiede groß find, gibt es feine Sklaven und 
feine eigentlich dienende Klafje. Die legtere wird durch bejtimmte niedriger geitellte Ele: 
mente repräfentiert, bie national verſchieden find (vgl. S. 441 und 443). Erbliches Herricher: 
tum findet man bejonders bei den nörblichen Stämmen, welde in dieſer Hinfiht, wie in 
jo mander andern, dem Einfluffe der Abejjinier unterworfen fein mögen. Aber eine zen: 
tralifierte Macht, wie Abejfinien oder jelbft einzelne abeſſiniſche Provinzen fie darftellen, 
findet man bei ihnen nicht. Iſenberg und Krapf, die doch nur einen Teil des Landes 
bejuchten, fanden „über 50 Voltsftämme, welche faft alle voneinander unabhängig find, hier 
und da in Feindſchaft miteinander leben, aber diejelbe Sprache reden und urfprünglich 
diejelbe heidniſche Religion hatten”. Die Häupter diefer Stämme, Heiu genannt (Heiitſch 
nah Kerjten), werden gewählt, und diefe Regierung durh auf Zeit gewählte 


Städte, Politifhe und foziale Einrichtungen. 431 


Häuptlinge ift ein eigentümlicher Zug im politiihen Leben der Galla, Er muß ein Mann 
von Schlaubeit und Mut im Kriege und von Rednergabe jein; er hat feine beftimmte Refi- 
benz, jondern zieht in feinem Stamme umber, indem er alle Hauptangelegenheiten unter: 
ſucht. Wo er eben weilt, haben ihn feine Unterthanen zu unterhalten. Nach einer Regie: 





Ehilde der Somali (Christy Collection, London). %Ys wirll. Größe, Bgl. Tert, ©. 428. 


rung von acht Jahren tritt der Heiu ins Privatleben zurüd. Diejes Oberhaupt iſt jelbft- 
verjtändlich auch der einzige Handeldmann feines Stammes, feiner feiner Unterthanen darf 
direft mit Fremden handeln. Gleichzeitig it der Heiu großer Grundbefiter, jo daß ſich 
Révoil bei den Somali an unfre mittelalterlihen Feudalzuftände erinnert finden konnte. 
Beſchränkt ift diefe Herrihaft durch den Rat der Aba Worati, d. 5. Familienväter. Eine 
auf derjelben Bafis ruhende, aber ſeltſam fomplizierte Regierung fand Krapf bei den Galla 
von Walaungu, nämlich eine Scheidung in fieben Stämme mit zwei Heiu, einem „großen“ 


432 Krieger: und Hirtenvölter hamitifher Abftammung. 


und einem „Kleinen“, welche alle jieben Jahre neu gewählt werben. Unter ben beiden Heiu 
ftehen zwei weitere Häuptlinge, Mora genannt, von denen einer die Befehle des großen, 
der andre bie des Lleinen Heiu ausführt, und neben ihnen befteht ein öffentlicher Redner, 
Laskari, für die Vollsverfammlungen, da kein Häuptling ſelbſt ſpricht. Eine Neigung zur 
Kaftenfonderung geht durch alle diefe Völker. So gliedern ſich bei den Maſai die 
Krieger in vier, bie 

a iR, UNMEN | VE Nichtkrieger in drei 
30 p—— Kt NN ’ Klaffen, deren jede 
ihren Spreder bat. 
Nevoil ift der ein: 
zige,der von einer ge- 
nauen Abgrenzung 
und Verteilung des 
Grundeigentumes, 3. 
B.jelbft in den weih: 
raudjliefernden Ge: 
Dirgögegenden des 
Somalilanded, er: 
fuhr, jo weitgehend, 
daß, wer Weihrauch, 
Gummi und berglei- 
chen auf fremdem Bo⸗ 
ben fammelt, bejtraft 
wird. Auch behauptet 
er, daß alle Somali 
Grundſteuer an den 
Sultan zahlen, wäh— 
rend die Fremden eine 
Kopfiteuer, Aſchur, 
zu entrichten haben. 
Von dem Volke 

der Somali haben 
2 mohammebanijche 
Stämme, jene näm— 
ih, welde Iſen— 
berg als Iſa oder 
j nörblide und Gubo- 

Schwerter der er rg Mufenm, Münden). burfi ober mittlere 
bezeichnet, Könige. 

Diefelben werden Ugas genannt (erinnernd vielleiht an den Negus der Abefjinier?) und 
tragen als Krone eine jtrahlenförmig gefurdhte, in der Mitte fpik zulaufende gelbe Lederkappe, 
bie mit einem Goldfnopfe und einer Treffe an der Spige verjehen ift und mit einem Tur— 
bane ummwunden wird; Auch tragen fie einen roten Mantel. Ihre Autorität entjpricht aber 
nicht ihrem äußern Glanze. „Ugas Farech“, erzählt Jfenberg, „lächelte oft, wenn die 
Rede davon war, daß er feinen Leuten etwas befehlen follte. Er fagte: ‚Die Leute laufen 
mir nur darum nad und halten fih zu mir, damit ich ihnen zu eſſen geben und fie flei- 
den fol‘, Wahrſcheinlich ftehen diefe Könige in irgend einem, wenn auch nur formalen 
Abhängigkeitsverhältniffe zu dem Emir von Harar. Wie die Medfchertin-Somali, der am 








Regierung. Könige. Kriegführung. Rechtöpflege. 433 


beiten gefannte und zahlreichfte, wenn auch vielleicht unzivilifiertejte Stamm der Somali, 
jo haben auch diefe ein gemeinfames Haupt, Boghor, das aber ebenfalls nur eine theo- 
retifhe Oberherrihaft auszuüben jcheint, da unter ihm nicht weniger al3 30 Unterftämme, 
jeder mit befonderm Häuptlinge, ftehen und die Bewohner der Küftendörfer, die als Strand: 
räuber ohnehin nicht viel Autorität anerkennen, die Halb: und Ganznomaden nad) der 
Verjhiedenheit ihrer Lebensweiſe weit auseinander gehen. Die von verfchiedenen Reiſenden 
verfchieden angegebene Zahl der Hauptftämme der Somali, welche 3. B. von Guillain 
folgendermaßen gegliedert werben: 1) Adichi, zu denen die Medjchertin gehören, 2) Hawia 
mit den Abgal, 3) die wahrſcheinlich einen tiefer ftehenden Stamm darftellenden Rami, Ranu 
oder Rahanwin, führt wohl auf diefe Unbejtimmtheit der politiihen Gliederung zurüd. 
Révoil Shägt die Somali im ganzen auf 108,000 Köpfe. 

Führung der Kriege, deren Zwed fat immer nur Ninderraub ift, Verteilung bes 
Raubes und Friedensihlüffe find die Hauptfunftionen diefer Herricher oder Häuptlinge. Bei 





Ein Schwert der Galla mit Scheide (ethnographijdes Mufenm, Münden). *s wirll. Größe, Bal. Tert, ©. 4238, 


den Ffriegeriich gebliebenen Stämmen zerfällt das ganze Volk in Krieger und Nichtkrieger. 
Die eritern heiraten nicht, rauchen nicht und trinken feinen Branntwein, Bei den Maſai 
findet fich zwijchen beiden eine Mittelflaffe von Verheirateten, die gelegentlich doch in den 
Krieg ziehen. Oft entjcheidet Abneigung gegen den Krieg oder bei Reichen Gleichgültigfeit 
gegen neuen Nindererwerd den Eintritt in die Klaffe der Nichtkrieger. In der Regel 
ſchlagen die Galla fih gut und mit Mut, haben aber eine abergläubifche Furcht vor Feuer: 
waffen, und jobald jie einige von ihren Leuten fallen jehen, ergreifen fie die Flucht. Wird 
ein Feind im Kriege getötet, jo wird er verftümmelt (abeſſiniſche und altägyptiiche Sitte). 
Teile jeines Körpers führen die graufamen Feinde ald Trophäe mit nad) Haufe, wo fie 
diejelben aufbewahren, damit fie von ihnen jelbft und von ihren Frauen als Halsfhmud 
getragen werden. Bei einigen Stämmen foll die Zahl der Elfenbeinringe, die ein Mann 
trägt, die Zahl feiner getöteten Feinde bezeichnen und fein Jüngling als Mann betrachtet 
werden, folange er feinen Fremden getötet hat. 

Die Jagd iſt eine Lieblingsbeihäftigung ber Galla; fie find zugleich fühne und gute 
Jäger. Ihre zu diefem Zwede gebraudte Waffe ift die Lanze, die oft vergiftet ift, um dem 
verwunbeten Tiere jchneller den Tod zu geben. Die Nordgalla jagen fait immer zu Pferde. 

Die Rechtspflege der Galla ift einfach) und graufam, wie fie dem Räuber: und Hirten: 
volfe eigen it. Der Mörder wird den Angehörigen des Ermorbeten übergeben, die mit ihn 
machen können, was fie wollen. Hat der Ermordete feine Verwandten, jo übergibt man 
den Mörder dem Könige, der ihn mit derjelben Waffe, mit der jener den Mord begangen, 

Böltertunde. L 28 


434 Krieger: und Hirtenvölfer hamitifher Abftammung. 


töten läßt. Der auf der That ertappte Dieb muß den doppelten Betrag des geftohlenen 
Gutes erjegen. Hat er aber nur geftohlen, um feinen Hunger zu ftillen, fo wird er wieder 
freigelaffen. Ein während des öffentlichen Marktes auf der That ertappter Dieb wird 
mitten in die Menge geführt, die ihn der Kleider beraubt und fie ins Feuer wirft, worauf 
ihn einige Männer auf dem ganzen Markte herumführen mit der Aufforderung an die Menge, 
den Gefangenen mit Peitihenhieben und Schlägen zu traftieren. Wenn die Galla einen 
Eid ſchwören, fo graben fie eine Grube, fteden einige Zanzen hinein und rufen: „Schwören 
wir falſch, ſo möge man uns in diefe Grube werfen!” Oder der Schwörende muß mit 
Blättern einer beftimmten Pflanze den Stall feiner Rinder reinigen und fagen: „Wie ich 
diefen Unrat entferne, fo möge Wafa meinen Namen, mein Haus reinigen (d. h. vertilgen), 
wenn ih die Unwahrheit ſage“. Der Kleine Stamm Abedſcho (nicht zu verwechleln mit 
dem großem Stamme Abedihu) ift nah dem Glauben der Galla deswegen zu Grunde 
gegangen, weil deffen Stammvater faljch geſchworen hatte. (Krapf.) Blutsfreundihaft 
wird heilig gehalten. 

Die Stellung des Weibes ift feine niedrige. Die Abſchließung der jungen Mädchen 
vom männlichen Umgange mag mohammebaniichem Einfluffe zu danken fein. Auffallender: 





Meffingbefhlagenes Zepter eines Somalihäuptlinges (ethnographifhes Mufeum, Münden). %% mwirfl, Größe, 


weife wird nichts berichtet von dem Kaufe der Frau. Heiratet ein Galla, jo befommt die 
Frau eine Mitgift von ihrem Vater; jcheidet fie fih von ihrem Manne, fo behält diejer 
die Mitgift. Es iſt dies gerade das Gegenteil von ber bei faſt allen Afrifanern herrichen: 
den Sitte. Der Abadula oder Dorfvoritand janktioniert die Heiraten. Nach dem Tode des 
Mannes tritt eine Art von Leviratsrecht in Kraft, indem der Bruder des Mannes deffen 
Witwe zu heiraten hat. Polygamie ift gewöhnlich bei Reichen. 

Eigentümlih Fompliziert werden die jozialen VBerhältnijje der Galla durch gewille 
Gruppen fremdartiger Elemente, die unter fie gemijcht, aber offenbar auch innig mit 
ihnen gemifcht find, Unter dem Gefamtnamen Achdam fehren auch hier die unterworfenen 
halb veradhteten und halb gefürchteten Stämme wieder, welche überall bei diejen Völkern 
den mehrfältigen Urjprung bezeugen. Mit den Somali lebend, denjelben dienftbar und 
tributpflichtig, haben fie andre Gejege, Beihäftigungen und Gewohnheiten. Es bleibt nur 
zu bedauern, daß wir fajt niemals die natürliche, naheliegende Frage beantworten können, 
ob nicht auch körperliche Verſchiedenheiten dieſe Bariaftämme von ihren Herren auseinander 
halten. Da die Beobachter hierüber nichts Entſcheidendes mitteilen, können freili die 
Unterjchiede Faum bedeutend fein. Unter den Achdam find die Tumalod die angefehenften. 
Sie find eine aus allen Stämmen des Landes und Sklaven der Nachbarländer zufammen: 
gejegte ethniſche Miſchung, die zugleih den Charakter einer Zunft, nämlich der Schmiede: 
zunft, befigt. Sie find dem Stamme, in welchem fie leben, tributär und feiner Gerichts: 
barfeit unterworfen. Kein freier Somali betritt eine Schmiede oder begrüßt den Schmied 
mit einem Hänbedrude, feiner nimmt Frauen aus diefem Stamme oder gibt ihm feine 


Stellung bed Weibes. Unterworfene Bölfer. Urjprung ber Galla. 435 


Töchter. Die Tumalod find über das ganze Land verbreitet, fie alle find Schmiede, und 
man fennt fein Beifpiel, daß einer dies Handwerk aufgegeben hätte. Tiefer ftehend und 
ärmer find die Rami, die Jäger ber Somali, denen e3 aber nicht verftattet ift, wie die 
Somali zu Pferde zu jagen. Im Kriege dienen fie als Mietlinge. Sie [hießen leichte, lange 
und mit vergifteten Spigen verjehene Pfeile mit Bogen vom Nabalbaume, deren Sehnen 
aus Kameljehnen bejtehen. Die Zigeuner des Somalilandes find endlich die Yiber, angeblich 
aus Arabien eingewandert, die familienweije bettelnd von Ort zu Ort ziehen, weder Haus 
noch Einzäunung eines Somali betreten, noch irgend einen ihm gehörigen Gegenftand be- 
rühren dürfen. Man jchägt ihre Heilfunft, fieht ihren Gaufeleien und Tänzen zu und jchlägt 
ihnen nicht gern Speife oder Trank ab. Bei den Mafai fpielen unterworfene Wakuafi 
die Rolle der Dienenden, denen befonders die Hütung der Herden ihrer Herren obliegt. 

Unfer Blid dringt nicht tief genug in das Weſen diejer Völker und in die wechjelnde 
Verflehtung ihrer Beziehungen ein, um derartige Verhältniffe leicht zu verftehen. Wir 
find geneigt, denjelben eine tiefere Urſache, jei es in der Naturanlage diejer Völker oder 
in den Sitten und irgend welchen fonftigen Überfommenheiten, zu Grunde zu legen, und 
doch jcheint fich jelbft eine weitgehende Erniedrigung irgend eines afrikaniſchen Volkes 
unter ein andres viel leichter zu vollziehen, ald wir gewöhnt find, ung vorzuftellen. Man 
erwäge in diefem Lichte folgenden Paſſus aus Rihard Brenners Berichten über den 
Zuftand der ſüdlichen Gallaländer in den Jahren 1867 und 1868: „Die Wadoe haben ihren 
bisherigen Wohnfig gegenüber Zanzibar verlafjen und leben jegt, in Horden verteilt, vom 
3.0 Südlicher Breite bis zum Aquator unter den Galla, legtere ſtillſchweigend als Herren 
anerfennend”. Wir wifjen nit, wie binnen wenigen Jahren diejes Verhältnis entjtand. 
Hing e3 damit zufammen, daß zu berjelben Zeit zahlreihe Horden „berittener Galla“ ins 
Tanagebiet vordrangen, wo fie bis dahin unbefannt gewejen? Oder verband beide die 
gemeinfame Neigung zu Ungebundenheit, Jagd und Raub, für welch legtern die Wadoe von 
den Zanzibarhändlern ebenjojehr wie die Galla von den Schoanern gefürchtet wurben? 
Später ſchloſſen fich beide, ebenjo wie die Waboniftämme, an den Sultan von Zimba an, 
der Front gegen die Araber und den Sflavenhandel machte. 


Über den Urfprung der Galla, der Ormanen, find manderlei Traditionen im 
Schwange, denen gegenüber die fchärffte Kritif notwendig if. Wenn Wafefield von den 
Galla behaupten hörte, fie hätten diejelben Eltern mit den Wafuafi und Wakamba, fo wird 
bei der Erwägung, daß lettere einen Bantudialeft jprechen, allen angeblichen Traditionen 
der Galla mit Vorficht zu begegnen fein. Bon den Nordgalla bringt Krapf verſchiedene 
Überlieferungen. Nach der Ausjage des Ormahäuptlinges Tiharra, den Krapf perjönlich 
fennen lernte, joll Wolab der Stammmvater der Galla oder der Ilma Orma (d. h. der Kinder 
des oder der Orma) gewejen und von jenfeit des großen Waſſers gefommen fein, ein Aus: 
drud, den Krapf entweder auf den großen Fluß Godſchob, oder auf den Bahr-el-Abiad, 
oder auch auf feinen großen afrifanifhen Binnenfee bezieht, der ſeitdem in die verjchie- 
denen Nil: und Kongoquelljeen fich zerlegt hat. An das Note Meer zu denken, und vielleicht 
nicht zulegt, wird bei diejer Überlieferung wohl geftattet fein. Aus Wolabs neun Söhnen, 
deren Stammgebiet jegt vom Könige von Schoa abhängig ift, jollen die zahlreihen Orma— 
ftämme entjtanden fein. Diefe Gallafage nennt Krapf felbft „offenbar ungenügend”, weil 
fie nur diejenigen Stämme, die Tſcharra kennt, und auf deren Boden er einheimifch ift, 
umfaßt. Nach einer zweiten Anficht, weldhe ein ſchoaniſcher Gelehrter ihm mitteilte, und 
die er auch jpäter in einer amhariſch geichriebenen Abhandlung niedergelegt fand, foll eine 
Tochter des abejjinischen Königs Sara Jakob, der feine Refidenz auf dem Berge Endoto 
am Hawaſchfluſſe hatte, einen vom Süden gekommenen Sklaven geheiratet und jieben Söhne 


28* 


436 Krieger: und Hirtenvölfer hamitifher Abftammung. 


mit ihm gezeugt haben. Die Söhne wuchſen in der Sprade und in den Gewohnheiten 
ihres Vaterd auf und waren, wie er, Hirten. Daneben wurden fie im Laufe der Zeit 
berüchtigte Räuber und Jäger und jammelten entlaufene Sklaven und andres Gelindel 
um fi, mit deffen Hilfe fie zulegt die ſüdlichſten Provinzen Abejfiniens angriffen und 
eroberten. Einen großen Sieg erfocht diejes Raubgefindel über die Abefjinier nahe bei dem 
Fluffe Gala in Gurague, wo noch jegt viele Chriften wohnen. Von diefem Siege am Fluſſe 
Gala jollen jene Horden jpäter Galla genannt worden fein. Dieſe legtere Sage, welde 
auch Iſenberg erzählt, iſt zu ähnlich den vielen, in welchen ein Volk feine Ähnlichkeit oder 
Verwandtichaft mit einem andern gleichſam 
mytbhifch=poetifch zu verbrämen und ſich jelbit 
dabei die edlere Rolle zuzuschreiben jucht, ala 
daß ihr ein befonderer Wert beizumeſſen wäre. 
Islamitiſche Einflüjfe, vielleicht aud 
folhe abeſſiniſchen Urjprunges, jpielen bei 
den Somali herein, welche erzählen, daß 
ihr Land zuerft von einem Sohne Noahs 
bewohnt geweſen fei, deſſen zahlreiche Nad- 
kommenſchaft jchließlich das Land übervölferte 
und deshalb großenteild ausmwanderte. Sie 
ließen fih in Ländern des Weſtens nieder, 
mit deren Bewohnern fie harte Kämpfe zu 
betehen hatten. Das Volk zerfiel in mehrere 
große Etämme, unter welche wahrſcheinlich 
auch die fitten= und ſprachverwandten Da: 
nafil und Schoho mit inbegriffen werden, 
und wurde dann wieder von mächtigen, bald 
in Moyalo (Berbera), bald in Mundus (Jeila) 
refidierenden Königen, Berri, regiert. Es 
dürfte fi aber ſchon zu diejer Zeit die Herr: 
ſchaft ſüdarabiſcher Fürften bis auf diele 
— R Küfte erftredt haben, denn man findet Könige 
PR — von Saba als Oberherrſcher genannt, unter 
oz a a Mitt Geete. denen die Berri als nicht erbliche Statthalter 
regierten. Eine Sage ſpricht von einer Ein: 

wanderung von Parfifaufleuten um 500 n. Ehr., die allen Handel des Landes an jid 
gebracht haben follen. Dan ſchreibt ihnen die Menge der im Lande zerjtreuten Grabdenk— 
mäler, Ruinen befeftigter Niederlaffungen, Wafferleitungen, Zifternen und fünftlichen Felien: 
höhlen zu. 200 Jahre nach der Hedſchra joll dann die erjte größere arabijche Einwanderung 
ftattgefunden haben, nachdem ſchon vorher Araber als Kaufleute an der Küjte gewohnt 
hatten. Die Somali, welche jeit ihrer Belehrung zum Islam fi) als reine Araber zu 
betrachten lieben, geben an, daß ihr Stanımvater Darod der Sohn des großen Jsmael 
Dicheberti ſei, welch legterer, der Schugheilige des Somalilandes, zwiſchen Mekka und 
Dſchedda begraben ift. Nevoil erzählt, daß die Somali noch heute einige Käufer in 
Mekka, al3 von ihrem Urvater gebaut, beanfpruchen. Darod kam auf wunderbare Weile, 
nachdem er in der Wüfte ausgejegt geweſen, an die Somalifüfte, verheiratete ſich mit einer 
Hirtin und verbreitete den Glauben Mohammeds. Mit diefem halb mythiihen Repräjen: 
tanten der arabijhen Einwanderung liebte es die nördliche Gruppe der Somali, die der 
Medichertin, fih in befonders innige Beziehung zu ſetzen; diejelben weiſen entrüftet jede 





Geſchichte der Galle. 437 


Annahme von Galla-Abftammung zurüd. Zwei Jahrhunderte fpäter wird ein gewiſſer 
Iſaak ben Achmet aus Hadramaut an die Küfte verſchlagen, wo er mit einem Negerjflaven 
und einem Oallamädchen landet und ſich mit Töchtern von Eingebornen verheiratet. Mehrere 
Stämme führen ihren Urjprung zurüd auf die Nachkommen, die er mit der Gallafklavin 
und andern Weibern zeugte. Diefer weniger erklufive Kolonift bietet in feiner arabijchen 
Abſtammung und feinen Verbindungen mit den Eingebornen wohl das treuefte Bild des 
Sadpverhaltes in der Entitehung der Somali: Gallaftamm, auf welchen arabifhe Zweige 
gepfropft worden. Nach feinem Tode entitanden Kämpfe zwifchen den Bekehrten und Heiden, 
in welden die letztern weſtwärts bi3 Harar zurüdgedrängt wurden. Mehrmals fehrt die 
Geſchichte von ſchiffbrüchig landenden Arabern wieder, die dieſem ober jenem Stamme Ur: 
fprung gaben und nun als lofale Heilige Verehrung finden. Sicher ift, daß, al3 unter 
Ehriftofero da Gama die Portugiefen an die Somalifüfte famen, diejelbe von Kap 
Guardafui bi8 Tadſchurrah unter einem mächtigen Herrſcher mohammebanifchen Glaubens 
jtand, der fich als entſchiedener Feind der Chriften gebärdete. Ebenjo ift e8 bemerkenswert, 
dag Stämme, die heute im Innern wohnen, mit folder Sicherheit behaupten, einjt an 
der Küfte geſeſſen zu haben, daß fie ſogar noch den Grundbefig kennen wollen, den ihre 
Vorfahren dort innehatten. Und doc erklären dann die Galla wieder, aus dem Innern 
Afrikas gekommen zu fein. Die Völferverichiebungen, das Hin= und Herwogen zeichnen fich 
alfjo auch in diefen Sagen ab. Wenn man daher aud an der von den Somali jelbit 
behaupteten rein arabiſchen Abſtammung zweifeln fann, iſt e8 doch höchft wahrſcheinlich, daß 
man bier ein Gemiſch von Arabern und Galla vor ji habe, worauf außer der innern 
Verſchiedenheit der förperlichen Erſcheinung auch diejenige der Sprade hinweiſt, in welcher 
viele arabijche und Gallawörter vorlommen. 

Viel weniger ift von der eigentlihen Geſchichte dieſer Bölfer zu jagen. Die Galla 
jelbft gehören zu den Völkern, welche urplöglic auf der gejchichtlihen Bühne erſcheinen 
und, nachdem fie gewaltige gefchichtlihe Wellen aufgeworfen haben, wie ermübet fich in 
irgend einem Winkel, den fie furzweg einem andern Volke abgenommen haben, nieder: 
lafjen, um mit der Zeit ein ebenjo ftetige3 und friedliches Volk zu werden wie diejenigen, 
über welche fie eben erſt verheerend hergefallen. Um Licht in diefes Dunkel zu bringen, 
fönnen wir entweder ihre eignen Traditionen fonfultieren, oder ihre ethniſchen Verwandt: 
ichaften unterfuhen. Was nun die Tradition betrifft, jo wollen die Galla felbft vor etwa 
300 Jahren in ihre jegigen Sige eingewandert fein. An der Thatjache der Einwanderung 
zweifelt niemand; fpricht doch jelbft, wie wir gejehen, ihr Name dafür. Schon Bruce 
erwähnt die Tradition der Galla, daß fie vor der Einwanderung tief im Innern des ton: 
tinentes gewohnt und von dort ihren Weg über große Seen gemadt hätten. Ludolf gibt 
fogar ſicher 1537 als das Jahr an, in welchem die Galla zuerft in Abejfinien eingefallen 
jeien und zwar vom Barilande aus. Es liegt nahe, diefe Wanderung mit jener Summe 
von folgenreihen Völferbewegungen in Zufammenhang zu bringen, welde im Laufe des 
16. Sahrhunderts fo große Änderungen in der Völker- und Staatenfarte bewirkt haben. In 
diefem Jahrhunderte traten, wie die Galla im Nordoften, die Wazimba im Südoften, die 
Mundequete (ein offenbar portugiefisch verftümmelter Name) am mittlern Kongo, die Ful und 
Mandingo am Niger als vorwärts drängende Hirten: und Kriegervölfer auf. Mit großem 
Rechte jcheint vorzüglich im Hinblide auf den engen geographiichen Zufammenhang das Volf 
der Wahuma in der Negion der Nilquellenfeen mit den Galla in Verbindung gebradjt werben 
zu dürfen, allein die breitere wifjenjchaftliche Begründung diefer Anficht ift noch nicht gelegt. 

Die Geſchichtsſeite der Galla ift für uns Abeffinien. Hier find fie feit 300 
Jahren handelnd aufgetreten. Zwiſchen Gondar und Schoa wie ein Keil in das alte Reich ſich 
hineintreibend, find fie fogar ein außerordentlich wichtiger Faktor der Gefchichte Abeffiniens 


438 Krieger: und Hirtenvölter hamitifher Abftammung. 


geworden. Sie umgeben e3 im Meften und Sübdoften und find heute jein gefährlichiter 
Feind. Aber wo fie die Küfte beherrichen, bie in der weiten Erſtreckung von den Danafıl 
bi3 zur Grenze der Herrichaft Zanzibars ihnen gehört, find ihre politiichen und kultur— 
lichen Zuftände mit einem diden Firniffe übertragenen Arabertumes bededt, und die einzig 
in höherm Maße dem Verfehre mit der zivilifierten Welt offene Norbfüfte, die eigentliche 
Somaliküfte, ift für den oberflählihen Betrachter nichts als ein Abklatid von Oman ober 
Hauran. Sa, man möchte jagen, daß die Somali felbft am treffendften als litorale Form 
des großen Gallavolfes zu betrachten feien, in welchem durch arabiſche Einflüffe eine ähnliche 
Neubildung in Sitten, Tendenzen und ſelbſt in der Sprade ftattgefunden hat wie in 
den Suaheli oder den fogenannten Arabern des Dftnillandes. Diefer Annahme wider: 
fpricht nicht die Todfeindfhaft, welche Galla und Somali entzweit, denn aud) in Afrika 
ftehen fich oft die nächſtverwandten Nölfer am feindfeligiten gegenüber. Auch leben die 
verichiedenen Stämme der Somali jelbjt in bejtändiger Fehde. An eignen Aufzeichnungen 
der Gala Mangel leidend, ift uns leider nichts andres von ihrer Geſchichte ſeit dieſem 
Zeitpunkte ihres Vordrängens und Zurückgeſchlagenwerdens befannt, al3 was gelegentliche 
reifende Berichterftatter gemeldet haben. Wir willen 3. B. nicht, wie und wann die Galla 
fih ihre Heinen Pferde aneigneten, welche die zuerft nur im Norden des Wohngebietes 
ihmärmenden Horden der Neitergalla in unfrer Zeit bereit3 den Aquator überjchreiten 
ließen. Eine naheliegende Vermutung gejtattet nur die Verbreitung des arabijchen Namens 
Faras für Pferd bei ihnen allen. Und doch ift dies ohne Zweifel das folgenreihite Er- 
eignis ihrer neuern Geſchichte, weldhes, wo nicht die Natur ſelbſt Schranken ſetzt, wie ie 
e3 auf der Strede Zanzibar-Unjamweſi-Tanganika durch die hier angeblich häufige Tſetſe— 
fliege zu thun fcheint, ihnen die Herrſchaft über alle minder beweglichen Völfer über wohl 
‚zwanzig Breitengrabe hin ohne große Schwierigkeit zufallen lajjen wird. Die vergleihende 
Sprachforſchung wird einft vielleicht am beften im ftande fein, uns über die Fragen auf: 
zuffären, welche feine fihere Überlieferung uns auch nur andeutend beantwortet. In 
diefer Beziehung ift einmal zu betonen, daß nach Iſenberg das Somali dem Danafıl 
weniger naheiteht al3 dem Galla. Und ferner ijt noch ftärfer hervorzuheben, daß die An- 
nahme Krapfs und älterer Beobachter, es jeien dies Sprachen ſemitiſchen Urjprunges, ſich 
nicht bewahrheitet hat. Es ijt vielmehr an der hamitiſchen Zugehörigkeit derſelben gar nicht 
zu zweifeln. Dies aber it wohl die Grundthatſache der Geſchichte dieſes großen 
Stammes der Galla, daß er breit zufammenhängt mit den Hamiten des Nil- 
gebietes und DOftafrifas, daß nur der jemitifche Keil der Geezvölfer diefen Zufammen: 
hang unterbricht. Auf diejer Baſis verftehen wir vielleicht die Galla als eine Völfergruppe, 
deren Schwerpunft einft weiter nördlich lag als heute, wohl ſogar nördlich und vielleicht 
auch weſtlich von Abeffinien, und beffen Geihichte, groß angejehen, als Hauptzug eine 
unmwibderjtehliche Ausbreitung nad Süden zeigt, welche vielleicht feit Jahrhunderten unter 
Umftänden vor ſich gegangen ift, wie fie die Gejchichte der Wahuma, Maſai und Wakuafi 
nod heute erfennen läßt. Indeſſen find Rüdichläge nad Norden in diefem Wellentreiben 
nicht ausgeſchloſſen. Die Mafai find wahrjcheinlich erft in den legten Jahrzehnten über 
die Linie Pangani-Ugogo nordwärts vorgedrungen und haben die nach Süden drängenden 
Wakuafi zurüdgeworfen. Beide zufammen drängen aber endgültig dann wieder um fo 
ftärfer nah Süden. 


Dem Schickſale nahezu aller afritanifhen Hamiten, dem Islam zu verfallen, 
entging ein großer Teil der Galla nit. Für ihre Stellung in der Menjchheit fcheint 
aber dies etwas Großes nicht zu bedeuten. Die Somali und Danakil find faft durch— 
weg Mohammedaner geworden, wenn auch viel Heidentum unter der islamitiſchen Hülle 


Religiöfe Vorftellungen. 439 


hervorſchaut. Von den Galla find die zwifchen Gondar und Schoa eingeſchobenen fieben 
fogenannten Wolloftämme fanatiihe Mohammedaner, an weldhen die Abefjinier vergeblich 
ihre Bekehrungskünſte verfucht haben. Die Südgalla dagegen find Todfeinde der Mohamme- 
daner. „Die mohammedaniiche Religion”, meint Krapf, „hat die an fich ſchon verberbte 
Gallanatur noch mehr verborben. An Treulofigfeit und Raubſucht kann nicht leicht ein 
Volk die Wollo übertreffen, jo freundlih und höflich fie von außen ericheinen.” Die Be: 
jchneidung und eine entjpredhende (?) nicht näher bejchriebene Operation der Mädchen ift 
auch den nichtmohammedanifchen Mafai eigen. Dabei tragen die Jünglinge einen Schmud 
aus Vogelbälgen, während die Mädchen ihr Geſicht weiß färben. Zahnverftümmelung 
fommt nicht vor, 

Bei den Wollo:Galla ift es Sitte, daß die Großen am Mittwoch und Freitag morgens 
früh zufammenfommen, ihre Gebete herfagen, Kaffee genießen und Tabaf rauchen. Ihre 
Priefter dürfen dabei nicht fehlen. Dieje Handlung heißt Wodadicha, Vereinigung, Freund: 
Ihaftserhaltung. Sie glauben, daf fie bei der Wodadſcha göttliche Offenbarungen erhalten 
in Beziehung auf Kriegszüge und andre Angelegenheiten. Beſonders bitten fie beim Wo- 
dadſcha, daß ihnen Gott viele Kühe, Kleider 2c., und namentlid, daß er ihrem Häuptlinge 
Gold und Silber jchenfen und jeine Macht und Herrihaft vergrößern möge. „Bei einer 
jolden Wodadſcha“, erzählt Krapf, „erhielt ein Priefter des Adara Bille, des Häuptlinges 
von Laga Gora, im Jahre 1842 angeblich eine Offenbarung, mich bei meiner Durchreife 
durh das Molloland gänzlich) auszuplündern, ein Plan, der wirklich ausgeführt wurde 
und ber mich beinahe das Leben Eoftete.” Manche abejfiniihe Einrihtung, wie 3. B. die 
doppelten Sabbate am Samstag und Sonntag, ift doch auch zu den Wollo übergegangen, 
und ſelbſt bei manchen heidnifchen Galla ift der Sonntag ihrem Hauptgotte Waf oder Waka 
geheiligt. In betreff der Sonntags: und Samstagsheiligung fügt Krapf Hinzu: „Von 
diefem Unterjchiede habe ich bei den äquatoriſchen Galla nicht? wahrnehmen fünnen; ich 
habe mir aber das Nidhtvorhandenjein diefer Vorſtellung dadurch erklärt, daß die äquatori- 
ihen Galla meift Nomaden find, denen es fein Bedürfnis ift, befondere Tage zur Ruhe 
auszufondern, weil fie alle Tage ruhen fönnen, während ſich die Sache bei den aderbau- 
treibenden Stämmen anders gejtaltet. Eine ähnliche Erjcheinung bemerft man bei den 
Wanika, den Mafai und Wakuafi. Die Wanika ruhen von ihren Arbeiten alle vier Tage, 
während die nomadilhen Mafai und Wakuafi feinen Unterſchied der Tage kennen, wohl 
einzig deswegen, weil fie auf ihrem Standpunfte feines bejondern Ruhetages zu bedürfen 
glauben.” Das von Brenner berichtete Beten mit entblößtem Oberkörper jcheint ein über: 
tragener mohammedanifcher Gebraud. Die heidniſchen Galla haben feine Fetiiche. Ihr 
Gott, den fie fich vollkommen perjönlich denfen, heißt Waf oder Waka, Himmel, dem Ngai 
der Maſai entſprechend. Unter dem Wak als dem oberſten Wejen, zu dem fie übrigens nur 
in Notfällen beten, ftehen zwei Untergottheiten, Oglie, eine männliche, und Atete, eine weib: 
liche. Dem Oglie opfern fie zwiſchen dem Juni und Juli (nad Iſenberg im Januar und 
April), der Atete im September Kühe und Schafe. Die Atete ift die Göttin der Fruchtbar— 
feit, der fich befonders die Frauen anempfehlen. Bei ihren Opferfeftlichkeiten bitten fie um 
viele Nachkommen, um langes Leben, um gute Ernte und Sieg über die Feinde; übrigens 
überlaffen fie fich dabei dem Sinnengenufje, der von dieſem wie faſt jedem afrifanijchen 
Götzendienſte unzertrennlid if. Wak redet zu feinen Dienern im Donner, zeigt ſich im 
Blige, macht Krieg, Frieden, Teurung, Fruchtbarkeit und verfehrt mit den Menjchen durch 
eine Menge Untergottheiten oder Genien, die Zaren. Bor allem jteht er aber zu dem 
Monde in demfelben innigen Verhältniffe wie alle Götter Afrikas, Beim Neumonde hat 
fih Wal von feinen Getreuen abgewendet, und dies ift eine Zeit voller Übel; mit dem 
Vollmonde kehrt er wieder zu ihnen und bringt gute Zeiten und Erhörung. Daher echt 


440 Krieger: und Hirtenvöller hamitifher Abftammung. 


afrifanifcher Lärm beim Vollwerden des Mondes. Kann man mit D. Kerften proteftieren 
gegen die Benennung diefer Mondanfchreier als Heiden auf den einfahen Grund ihres 
Nichtbefiges von Gößenbildern? 

Die Galla haben Priefter, die zum Unterjhiede von den Kalidiha, den Zauberern, 
Beihwörern und Ärzten, Suba heißen. Bei den Mafai, wo man fie Leibon nennt, ift ihr 
Amt fo einflußreih und einträglih, daß der Oberpriefter, Mbatian, mit 5000 Rindern (nad 
Fifcher) als der reichite Mann im Lande genannt wird. Von großer Wichtigfeit ift bei 
den Religionsübungen der Galla ein Baum, ber als MWohnfig eines höhern Geiftes heilig 
gehalten wird, jo daß niemand ohne Verluft des Lebens ihn umbauen oder bejhädigen 
darf. Die größte Berühmtheit hat der MWorfabaum (Ficus sycomorus oder Woda Nabi) 
am Fluffe Hawaſch, wo die Galla alle Jahre zu dem höchften Gotte Waf beten, indem fie 
ihm Ochfen und Schafe opfern, 
reichlich Bier trinken und Ta: 
baf rauchen. Auch die Herden 
und ihre Erzeugnifje jpielen 
natürlich eine große Rolle im 
Aberglauben dieſer Völker. 
Milch darf nicht gekocht, Milch 
und Fleiſch nie am ſelben Tage 
genoſſen werden. Bei Gelegen: 
heit weisjfagen die Suba oder 
Priefter aus den Eingemweiden 
ber Ziegen, ob Sieg oder Nie: 
berlage die Galla im fommen: 
den Jahre begleiten werde. 
Die Kalidſcha treiben Geifter 
und Teufel aus den Kranken, 

” NR da jede Krankheit einem der 
a mi he a ken, angenommenen 88 böfen Geis 
fter zugejchrieben wird. Der 

Kalidſcha hängt ſich getrodnete Eingeweide von Ziegen um den Hals, nimmt eine Schelle 
und eine Peitſche in die Hand, bringt der Schlange, die in den Häufern mit Milch gefüttert 
wird, ein Opfer dar, reibt dann den Kranken mit Schmalz ein, beräuchert ihn mit wohl: 
riehenden Kräutern, brüllt ihn mit einem entjeglichen Gejchreie an, gibt ihm wohl mit: 
unter ein paar tüchtige Peitichenhiebe und ſucht jo den böjen Geift auszutreiben und den 
Kranken gefund zu machen. Die Suba fowohl als die Kalidiha werden von den Galla und 
jelbft von den abeſſiniſchen Chriften jehr gefürchtet. Von legtern werden die Kalidicha oft 
fogar berufen, um ihre Häuſer von böfen Geiftern oder von Krankheiten zu befreien, was 
diefe Zauberer durch gewiſſe Beihmwörungsformeln und durch bie Opferung von roten 
Hühnern und roten Ziegen ausrihten. Während die Beihwörung von ftatten geht, raucht 
der Kranke in großen Zügen Tabak (die gewöhnliche Art des Tabaksgenuſſes ift bei den 
alla das Kauen, das fie mit wahrer Leidenſchaft betreiben). Ebenjo oder noch mehr ge- 
achtet und gefürchtet find die Wato, die höchite Art von Gallaprieftern und »Zauberern, 
welche die echten Galla zu fein vorgeben und fich deshalb weder mit den Galla nod) mit 
andern Völkern verheiraten. Sie wohnen auf dem Berge Dalatiha am Hawaſchfluſſe. Die 
Wato Fönnen ficher von einem Stamme zum andern gehen; wo fie erſcheinen, werben fie gut 
aufgenommen und mit Speife und Trank verjehen. Sie leben von der Jagd und ziehen 
deshalb von einem Fluffe und See zum andern, um Nilpferde zu erlegen, von deren Fleiſch, 





— —— —— 








Religiondgebräude. Priefter. Die Wato. Die Danalil. Die Schobo. 441 


welches die andern Völker faum anrühren mögen, fie hauptfählich leben. Beerdigung 
findet bei der heidnifchen Bevölkerung nicht ftatt. Die Maſai werfen ihre Leichen, alles 
Schmudes entfleidet, den Tieren zum Fraße hin, um die Erde nicht zu entweihen. 


* 


Zwei Gruppen gallaartiger Völfer mögen bier anhangsweife genannt fein, ba wir 
nicht genau unterrichtet find über ben Grad ihrer Verwandtichaft mit ben Somali und 
Galla, während doch an dem tiefern Zufammenhange mit denſelben ihre Sprade und auch 
ihre Sitten und Gebräuche nicht zweifeln laffen: die Danafil und die Schoho. Jene 
find die Bewohner der Küfte von Maſſaua ſüdwärts bis zur Grenze der Somali, d. h. bis 
ungefähr zur Tadſchurrabai, während diefe im Gebirge weſtlich von jener abeſſiniſchen Hafen: 
ftadt figen. Nad) Sitten und Gebräuchen find beide am meiften den Somali ähnlich, wie: 
wohl die Lage ihrer Wohnftätten fie vielfach zu befonderer Lebensweife, die Danafil zum 
Fiſchfange und zur Schiffahrt, die Schoho zum Gebirgsleben, führt. 

Die Danafil (Blur. Dankali) oder Adal! find den Somali auch darin ähnlich, daß 
fie mit den Bewohnern der gegenüberliegenden arabijchen Halbinjel in inniger Berührung 
ftehen, wodurd fie ebenjo wie jene eine litorale Form des großen Gallavolfes geworden 
find. So foll auch ihr Charakter ebenfo dem der nomadiſchen Galla nadjftehen wie jener 
der Somali. Und glei allen Gallavölfern haben fie es nicht zu irgend einer fejten poli- 
tiihen Zuſammenſchließung gebradt, fondern zerfallen in eine größere Anzahl von Stämmen 
und Stämmchen, deren Machtlofigfeit man an der Thatſache ermeffen mag, daß fie zujam- 
mengenommen etwa 6000 Waffenträger ſtellen würden. Nichts fondert fie in irgend auf: 
fallender Weife von den Somali, deren Beichreibung, joweit fie bie Küſtenbewohner betrifft, 
im wejentlihen auch auf fie ausgedehnt werben kann. 

Mehr von dem Weſen der echten, d. h. nomadiſchen, Galla hat der nörblichjte Zweig 
dieſes Stammes, der der Schoho, bewahrt, deren Wohngebiet durch eine gerade Linie von 
Maffaua nah Halay und eine ihr parallele vom Golfe von Buri gegen das Hochgebirge 
umjchrieben wird. Ihre Sprache beweilt, daß fie Brüder der Somali und Galla find, ein 
Keil von’ diefem Völkerſtamme, zwijchen das Meer und die äthiopifchen Völker eingeichoben. 
Die Schoho find ein armes Hirtenvolf ohne Aderbau, haben aber die Päſſe nach Abeffinien 
in Befig und benugen dies, alle Durchreijenden tributär zu madhen. Alle Verſuche, fie 
aus jener Pofition zu verdrängen, find fruchtlos geblieben. Das ift ganz ber Somali- 
harakter: ehrlidy unter fi, in weiteftgehendem Maße ausbeutend, fordernd, eigennüßig 
gegen Fremde. Jeder Durdreifende muß in Arkiko vom Naib oder in Halay einen Schoho 
als Führer (Delil) nehmen, der gegen eine Abgabe von einem halben Thaler für des 
Neifenden Sicherheit gutiteht. Wenn man das Thal, das gegen Halay führt, hinaufgeht, 
glaubt man fi) in eine Einöde verjegt, jo ſchroff und fteil türmen ſich die Felswände zu 
beiden Seiten empor. Doch wehe dem leichtſinnigen Reifenden, der, auf diefe Einfamfeit 
bauend, ohne Zahlung jener Abgabe fich lediglih auf fein Gewehr verläßt. Iſt er erft 
tief in die Engpäjje vorgedrungen, jo hört er bald von der Spike ber Feljen ein gebiete: 
riſches Halt; kümmert er fih darum nicht, fo ftößt die Wache oben einen hellen Schrei aus, 
der durch alle Berge widerhallt, und in einem Nu ift die Einöde mit Hunderten von 
Speerträgern erfüllt, die den Neifenden von allen Seiten bedrohen. Da hilft nur eine teure 
Kapitulation. 

Die Herden der Schoho find groß und reich an ſchönen Kühen und bejonders an 
anjehnlihen, unter dem Volksnamen Eibani befannten Ziegen. Bleibende Dörfer kennen 


! Danafil und Adal find beides arabifhe Namen von unbeftimmtem Sinne, das Volk felbft nennt fi 
Afar, d. 5. Freie, 


442 Seßhafte Völker zwifhen ber Dftfüfte und den Großen Seen. 


die Schoho nicht, jondern fie ziehen den Weibeplägen nad, indem fie ihr Haus, ein paar 
Stangen, die mit Häuten überdacht werben, auf einem Ochfen mit fich führen. Auf ihren 
Halteplägen errichten fie aus den Dorniträuchern der Wülte eine große Umzäunung gegen 
wilde Tiere, bergen darin ihre Herden des Nachts und jhlagen ihre Hütten auf, was nur 
geringe Arbeit foftet. Ihre Hauptnahrung ift Mil, geiftige Getränke verfhmähen fie, wie 
überhaupt ihre Bedürfnijfe ganz jo einfach find wie ihre allgemeinen Zebensverhältniffe, von 
denen Munzinger fagt: „Sie find fo einfach, daß der größte Tyrann bier nichts zu thun 
hätte”. Die Farbe der Schoho ift dunkelbraun bis ſchwarz, die Phyfiognomie ift viel wil: 
der, charafterijtiicher alS die der Bebuan, doch wenig negerartig, nur die Haare gleichen 
grober Schafwolle. Die einfache Lebensweife und die Sittenreinheit machen dieſes Volt 
fräftig und geben ihm ein jugendliches Ausjehen. Die Ehre der Jungfrauen, durch die 
SInfibulation doppelt gewahrt, wird hochgeachtet, die der Frauen gilt für unantaftbar, und 
oft jteht auf Verlegung der Tod. Schönheit findet man nur unter den Frauen. Wenn 
Munzinger den Schoho „freie Wildheit” zufchreibt, die aus dem unbändigen Auge, der 
Ihreienden Stimme, der lebhaften Geftifulation fpricht, wenn er ihnen Mut, wiewohl 
größern in ihren Bergen als in der Fremde, gibt, wenn er Fälle erzählt, wo ein Schoho: 
führer Landsleute erfchlug, weil diefelben ihre Schußbefohlenen ausraubten, und wo jener 
dann für immer fein Land meiden mußte, wenn er endlich den vollftändigen Republikanis— 
mus der ganz unabhängigen Einzelnen und Dörfer rühmt, jo haben wir ein Bild des beiten 
Gallacharakters vor uns, der offenbar in diefen Bergen fich reiner bewahrt hat als draußen 
in ben Ebenen. 


20. Seßhafte Völker zwifchen der Ofküfe und den Großen Seen. 


„Splitter zwifhen Hammer und Amboß“ 


Inhalt: Natur des Küftenlandes. — Elende Lage feiner Völker zwifchen den Arabern und den räuberifchen 
Hirtenftämmen. — Die Malonde. — Die Wafaramo und Wafagara. — Ein bufhmannartiges 
Boll, — Ugogo. — Der Tembebauftil, — Die Wanjammefi. — Handeläbetrieb. — Arabiiche Einflüffe. — 
Datamba, Wanika und Mafai. 


Das breite, in hügeligen Stufen langſam abfallende Küftenland it eine 
Eigentünmlichkeit Dftafrifas, die in folder Ausdehnung feiner andern Seite des Erdteiles 
eigen ift. Schon jegt hat diefelbe, indem fie breitere bewohnbare Streden vor dem Hochlande 
einräumt, dem Often ein Aulturübergewidht vor dem Weften verliehen, der fein Natal und 
fein Zanzibar aufzuweiſen hat, und es ift diefelbe Thatjache auch entdeckungsgeſchichtlich 
wichtig geworden, denn von Often her find die erfolgreichiten Schritte zur Erfchliegung des 
Innern gethan worden. Aucd für die nächte Zukunft feinen die Ausfichten auf Ber: 
bindungen der Küjte mit dem Innern durch Schienenwege ſich an die Oftfeite zu knüpfen. 
Wenn irgend einer, jo jcheint diefer Teil Afrifas den Keim höherer Entwidelung, der in 
jeine Völker gelegt ift, zu Fräftigftem Wachstume fördern zu follen, und man ijt enttäuscht, 
gerade in den ſeßhaften Beftandteilen der oftafrifanijchen Bevölferungen nur 
weit von der Küfte, nah dem Innern zu, dauerhaftere, fräftigere Staaten: 
bildungen und reichere Kulturentfaltung zu finden. Die Küfte ift, von den arabifchen 
Siedelungen abgejehen, ärmer daran als das Innere. Was verfchuldet diefes Mifverhält- 
nis, welches fo weit herrſcht, als negerhafte Völker bis an den öftlihen Rand Afrifas 


4 


Elende Lage der Küftenvölfer. 443 


heranwohnen, während es nicht zu finden ift, wo nördlich vom Aquator hamitiſche und femi- 
tiihe Stämme das Land innehaben? Es ift in erfter Linie ber Stlavenhandel und find in 
zweiter jene von Norden ber dbrängenden Nomadenvölfer ber Galla, Somali, Majai, 
welche raubend, zeritörend, Unruhe verbreitend zwiſchen die in Afrika jederzeit Schwachen ſeß— 
haften Stämme fi einjchieben und jeit etwa 15 Jahren jogar in berittenen Scharen ſüdlich 
vom Hauator erfchienen find. Zwiſchen diefe beiden Mühlfteine geworfen, wird nur unter 
günftigiten Verhältniffen den Anfäfligen ein beſſeres Los zu teil, al3 e8 ihre Verwandten anı 
Nyaſſa und Rovuma getroffen. Bon beiden Schäblichkeiten ift aber ficherlich der Sklaven: 
handel die größere, deſſen eigentlichites Gebiet gerade diefe Küftenniederungen und Küſten— 
terrafjen find, und vor dem in neuerer Zeit mehrmals die geplagten Völker jelbft bei den 
Galla und Maſai Schutz geſucht und gefunden haben, fo daß bei allen Fortfchritten, welche 
die Küftenbevölferung durch fie gemacht haben mag, doch die Araber nod der größere 
Fluch diefer Länder find. Erſt in der allerneueften Zeit find Fälle bewußt günftiger Ein- 
wirfung diefer Herren des Küftenftriches auf die Eingebornen zu verzeichnen, wie z. B. die 
zwangsweije fefte Anfiedelung der räuberiſchen „Zulu-Affen“, der Mafitu oder Maviti am 
Novuma, welche vor einigen Jahren auf Befehl des Sultans von Zanzibar geihah, wäh: 
rend andre fi) von der Herrichaft der Eflavenhändler durch Abzug nach Norden befreiten. 

Unter diefen Umftänden hat die ſchwächere Raſſe das allgemeine Schidjal erfahren, 
das Schwächern in jo ungleihem Kampfe beſchieden ift: fie it in die minder gün- 
ftigen Stride zurüdgedrängt, verarmt, beruntergelommen, zu größern Staaten- 
bildungen unfähig gemadt. Es ift im engern Rahmen dasfelbe Schidjal, welches den 
weiter binnenmwärts und ſüdlich wohnenden Verwandten, den Mafua, Manganja ꝛc., von 
der Hand der Zulu und Watuta zu teil ward. Einzelne kleinere Stämme haben ſich befon- 
ders dort auf höherer Stufe behauptet, wo die Natur der Wohnfige ihnen Schuß gewährte, 
wie die Wajagara, oder wo die Verhältniffe ihnen Teilnahme am arabiſchen Handel ge: 
währten, wie die allem Anjcheine nad mafuaartigen Mafonde, „das häßlichſte Volk in 
Ditafrifa” (Thomfon), die ihre natürlihe Unſchönheit noch durch Hauteinfchnitte und durch 
den die Unterlippe abwärts zerrenden, Pelele genannten Lippenſchmuck fteigern, die aber 
ftreng in ihren Sitten find und fehr einträglichen Handel in Kopal und Kautſchuk nad) 
der Küjte treiben. Ihre Wohlhabenheit hatte fie, als Thomfon 1882 fie befuchte, fogar 
übermütig und zu gierigen Pombejäufern gemacht. 

Eine ausführlide Aufzählung aller der im Grunde einander ziemlich ähnlichen Stämme 
des Küftenlandes und des Striches zwijchen der Küfte und den Großen Seen vermeidend, 
möchten wir zunächſt nur jenen Ländern und Völkern größere Aufmerkfamfeit widmen, 
welche durch ihre Zage an dem immer wichtiger werdenden Karawanenwege Zanzibar-Kaſeh— 
(Unjamweſi-) Udſchidſchi nicht nur von befonderer Wichtigkeit für die Erſchließung dieſer 
Gegenden dur Araber und Europäer, jondern auch vor allen Nachbargebieten wohl: 
befannt find. Da haben wir zuerjt das am weiteſten gegen die Küfte vorfpringende Terraflen: 
land von Ufaramo, das den erften Anftieg zum Nandgebirge de3 oftafrifanischen Seen: 
hochlandes, gleichſam die Schwelle desfelben bildet, ein Land flacher Hügel, gut begraft und 
bewaldet, aber wie alle Sklavenjagdgebiete dünn bevölkert. Die Dörfer find weder zahlreich 
noch groß, aber ihre Häuptlinge (von Speke Phanze genannt), welche fich einerfeits als Unter: 
thanen des Sultanes von Zanzibar auffpielen, gebärden ſich anderſeits wie jelbitändige Für: 
ften und erheben Hongo, Wegfteuer, von den Karawanen. Die Waſaramo nähren fich in 
erfter Linie vom Sklavenhandel, dann vom Verkaufe ihrer Ziegen und ihres Getreides nad) 
den Küftenplägen, find in Baumwollitoff, faft jo gut wie die Suaheli, gekleidet, bejchmieren 
fich aber mit Fett und Oder und tragen jeltfame Haarfrifuren, wie echte Neger. Ihre Haupt: 
waffen find Bogen und Pfeile, die Pfeile in geihnigten Köchern, ohne welche fie nicht ausgehen. 


444 Sefhafte Völker zwifchen ber. Dftlüfte und ben Großen Seen. 


Ufagara fließt fih dann an, das Land Gara, welches vom Einfluffe des Mgeta 
in den Kingani im Oſten bis zum Rande der Hochebene des Innern und damit bis zur 
Grenze von Ugogo im Welten und vom Nuaha, dem großen Nordarme bes Lufidſchi, im 
Süden bis zum obern Mami oder Mukondokua im Norden reiht. Seine Oberflähe mag 
250-300 geogr. OMeilen umfaffen. Das Ganze ift ein Gebirgsland, in weldem die Berge, 
wo bie Kultur nicht mit Feuer und Art gelichtet hat, mit reihlihem Wuchſe von Gebüſch 
und Bäumen bebedt find. Das Land wäre geeignet, die paradiefiihe Heimat einer in 
Frieden lebenden Bevölterung zu fein; aber es liegt unglüdlicerweife zu nahe an dem lang: 
jährigen Emporium des SHlavenhandels, Zanzibar. Seine Bewohner, die Wajagara, find 
arme, ſcheue Geſchöpfe; fie wohnen meiftens auf ſchwer zugängliden Berggipfeln in runden 
Grashütten (j. Abbildung, S. 229). Den vieredigen, großen Lehmhütten, Tembe, begegnet 
man vereinzelt gegen bie Grenze von Ugogo hin. Die Wafagara find halb nomadiſch, halb 
dem Aderbaue zugewandt. Würden fie in Ruhe leben fünnen, jo wären fie ohne Zweifel 
ein behaglihes Vol von Aderbauern; aber die Stlavenjäger treiben fie von Stelle zu Stelle. 
Nicht einmal das Recht des Weg- 
zolles wiſſen fie fih zu wahren; 
wenn die Karawanen nahen, 
ziehen fie es vor, übler Erfab- 
rungen eingedenf, in ihre Berg: 
dörfer zu fliehen. Doc iſt ihre 
Furchtſamkeit jo groß, daß man 
auf die Vermutung fommen muß, 
es jeien nicht allein dieje ungün— 
ftigen Zebensverhältniffe, jondern 
vielleicht angeborne Schwäche und 
Scheu, welde fie in eine fo 

—— unvorteilhafte Stellung zwingt. 
gütten in Serombo (nah Stanley). „Fahl von Farbe, imutlos, jcheu 
und jchüchtern, fordern fie den 
Angriff heraus in diefem Lande, wo jedes menjchliche Weſen einen Marktpreis hat.” Dieje 
Bemerkung Spetes läßt es nidht ganz unmwahrjcheinlich erſcheinen, daß wir hier eine jener 
eingeengten und allein jhon dadurch ſchwächern, gebrüdten Raſſen vor uns haben, wie wir 
fie als Bujhmänner und Bergdamara im Innern und Weiten Südafrikas, als Watwa, 
Alfa ꝛc. im Herzen des Erdteiles gefunden haben. Leider bejigen wir feine eingehendern 
Schilderungen dieſer den Reiſenden nit häufig zu Geficht fommenden Waſagara. Wir 
willen, daß einige mit Lendentüchern, andre aber nur mit Grasröden bekleidet find, welch 
legtere Cameron mit denen der Papua vergleicht. Derjelbe Reijende bejchreibt einen jelt: 
famen Halsſchmuck aus aneinander gereihten Mejfingdrähten, der wagerecht vom Halje 
abftehen und oft 2 Fuß im Durchmefjer haben joll. Uſagara ſcheint heute Fein politifches 
Ganze mehr zu bilden, fondern in eine Anzahl von unabhängigen Bezirken zu zerfallen. 
Nachdem überdies von Dften her flüchtige Wafiraha und von Weiten räuberijhe Wadirigo 
(j. unten) eingedrungen find und an guten Stellen ſich fejtgejegt haben, ift hier ein ganz ähn— 
liches Völkergemiſch in der Bildung begriffen wie überall in den Wohnfigen ſchwächerer Rafjen. 

An diejes Land fließt fich im Weiten Ugogo an, ein welliges Tafelland, das weit 
über die Grenzen bes politifchen Begriffes gleihen Namens hinausreiht. Das Land Ugogo 
im legtern Sinne wird von Cameron auf etwa 100 engl. OMeilen gefhägt, zerfällt aber 
bei diejem geringen Umfange doch noch in zahlreiche unabhängige, aus mehreren Dörfern 
bejtehende Bezirke, deren jeder feine Souveränität hauptjächlic in der Erpreijung des Hongo 





Bafagara. Wagogo. Wanjammefi. 445 


oder Monghi, der Wegiteuer, von den Reifenden ausübt. Und unter den Wagogo lebt 
no eine Anzahl der räuberifhen Wabdirigo in bejondern Dörfern. Mpapwa am Weit: 
abhange des Ujagaragebirges, am Rande der Waldregion, welche diefen Diftrift von dem 
Plateau von Ugogo jcheidet, eine in ben legten Jahren immer öfter befuchte Station der 
Miffionare und Kaufleute, hat uns in manden Bejchreibungen diejes Land nähergerüdt. 
In den über die Ebene verftreuten Tembes oder Heinen Dörfern lebt eine ziemlich zahl- 
reihe Bevölkerung, mit Feldbau und Viehzucht beſchäftigt. Diefe ganz unafrikaniſchen Lehm 
häuſer, Tembe, treten bier zum erftenmal als vorwiegende MWohnftätten auf. Diefelben 
bejtehen aus einem Balfengerüfte, deffen meit nur 7 Fuß hohe Wände mit Lehm aus: 
gekleidet find. Das flache Dad ift zum Schuge gegen den Regen ebenfall3 mit einer dichten 
Lehmichicht überzogen, doch bietet e8 der Regenzeit nur ſehr geringen Widerftand. Dieje 
Tembe bilden gewöhnlich ein Viered, einen Hofraum umſchließend, in dem das Rindvieh 
die Nacht zubringt. In der Kegel führen nur ein oder zwei Thüröffnungen in der Außen: 
wand nach dem Innern, und dieje find mit ftarfen hölzernen Thüren verfchloffen; die ver: 
ihiedenen Zimmer und Gebäude haben zur größern Sicherheit gegen feindliche Angriffe nur 
Ausgänge in den Hof, und in manden Gegenden find die Außenwände mit Schießſcharten 
durhbohrt. Die Tembe find elende Be: 
hauſungen, beſonders zur Regenzeit voll 
Feuchtigkeit und Moder. 


Befigt Mpapwa als Grenzdiftrift 
Ugogos bereits eine ziemlich gemiſchte oder 
vielmehr aus Vertretern verjchiedener 
Stämme zujammengejegte Bevölferung, 
hauptjählich Wagogo, Wajagara, Wafua, 
Araber und Suaheli, und damit einen im 
afrifanifhen Stile internationalen Chu ser 
rafter, jo betreten wir in Unjammefi, - i 
dem Lande der altberühmten Mondgebirge 
und der Nilquellen, das durch die Kreuzung der nad dem Tanganifa und dem Uferewe 
führenden Karawanenwege belebtefte und wichtigſte Handelsland im Innern Dftafrifas, 
welches mehr al3 einmal zu einer Provinz der Küftenaraber gemacht werden zu follen jchien 
und jegt wohl nur für furze Zeit den Negern zurüdgegeben it. Indem Unjamweſi den 
Knotenpunkt jener Straßen, Kajeh oder Tabora, umjchließt, wird es immer das Bejtreben 
des hier am meiften interefjierten Hanbelsvolfes fein, auch die politifche Herrihaft in 
Händen zu haben. Unjamweſi (Mondland) war urfprünglid eins der größten Reiche in 
Afrifa, nah Spekes Schägung einjt nicht viel Feiner als England; es ift aber im Laufe 
feiner neueften Gejhichte in eine Anzahl von Kleinftaaten zerfallen Die Urſache liegt wohl 
zum Teile ſchon in der Naturanlage. Ein großer Teil liegt auf dem 1000—1200 m 
hohen Tafellande, welches die Waſſerſcheide zwiſchen Ukerewe, Tanganifa und Lufidſchi 
bildet. Nach Norden dacht es ſich zum Uferewe ab, dejjen Sübrand noch in jeine Grenzen 
fällt, und bier umſchließt es die ungemein fruchtbaren Landſchaften von Ujabi und Uhinbi. 
Diefer nördlihe Teil wird von den Einwohnern Uſukuma (Mitternahtsland) genannt im 
Gegenjage zu dem füdlihen Utakama (Mittagsland). Das Land iſt im allgemeinen eins 
der fruchtbariten und bevölkertiten im äquatorialen Often. Auch find feine Einwohner, die 
Wanjammefi, mehr als viele andre Stämme diefer Gegenden geeignet und geneigt, ſolche 
Vorteile zu nügen. Zwar find äußerlid die Wanjammefi nicht eben günftig ausgeftattet. 
Sie find dunkler von Farbe als ihre Nachbarn von Ugogo und Ufaramo, fie willen fich nicht 





Eine Tembe (nah Stanley). 


446 Seßhafte Völker zwifchen ber Dftfüfte und ben Großen Seen. 


jo qut zu Heiden wie ihre Nahbarn und führen nicht fo ftarfe Waffen. Die Männer tragen 
im Haufe Lendentücher, während fie bei der Feldarbeit oder auf Reifen Ziegenfelle von einer 
Schulter quer über den Leib binden. Die Weiber aber tragen Baumwolltücher, welde 
unter den Armen über der Bruft feitgebunden find. Beide Gejchlechter ſchlagen die untern 
Schneidezähne aus und fplittern eine dreiedige Lüde zwiſchen die zwei innern Schneides 
zähne der obern Reihe; beide tragen Perlichnüre um den Hals und Ringe vom Schwanz: 
haare der Giraffe (Sambo) um die Arme, die Weiber Kupfer: oder Mejfingdrahtipiralen 
und die Männer ſchwere Kupferringe an den Unterarmen. Beide rauchen und trinken ftark; 
aber fie find auch fleifige Arbeiter, welche ihr Land gut anbauen. Mais ift weitverbreitet; 
man findet auch Neis, doch lieben ihn die Eingebornen jo wenig, daß die Araber jchon 
darum feinen Anbau vorziehen, weil er ihnen nicht geitohlen wird. Auf eignen Webjtühlen 


5 6 





Gerätfhaften der Wanjammefir 1 Beil — 2 Hade — 3 u, 4 Hadentlingen — 5 Hammer zum Schlagen des Rinden 
zeuges — 6 Holzhammer — 7 Strafinfirument (nah Cameron). 


weben die Wanjammeft Baumwolle, fie Ihmelzen und ſchmieden Eijen, und als Händler oder 
Täger find fie überall zwiſchen Zanzibar und Updſchidſchi zu treffen. 

Der Hanbelstrieb hat freilich in den legten zwei Jahrzehnten das regjame Volk nicht 
mehr wie früher mit Wohlftand, fondern mit Armut belohnt. Es find vor allem jene der 
über Kajeh oder Tabora! nad) dem Tanganifa und dem Uferewe führenden Straße zunächſt 
gelegenen LZandesteile (als Unjanjembe zujammengefaßt), welche durch diejelben Araber 
von Zanzibar aufs ſchwerſte gelitten haben, die urjprünglich als Boten des Friedens und 
Bringer des Wohlftandes fidy hier feitgejegt hatten. Als Speke 1857 als erfter Europäer 
diefen Weg machte, waren die Araber Kaufleute, die als Fremde im Lande wohnten; als 
er dagegen 1861 denjelben Weg zum zweitenmal betrat, glihen die Araber großen Guts- 
herren mit Zandbefig und reihen Ställen und führten Krieg mit dem angeftammten Herrſcher 
des Landes. Diejer Prozeß, der fih ja aud in manden andern Ländern Innerafrikas 
wiederholt hat, ift ganz natürlich, denn er ergibt fich mit Notwendigkeit aus den Verhält: 
niffen. Die fremden Kaufleute, Araber und Wafuaheli, fommen, bitten um die Erlaubnis 
des Durchzuges, wofür fie zollen, gründen Warenlager, welche den Häuptlingen genehm 


ı Kafeb ift urfprünglid der Name eines Brunnens in bem Dorfe Tabora, ber zum Mittelpunfte eines 
großen Sklaven- und Elfenbeinmarktes geworben iſt. 


Wanjamweſi. Walamba. Wanita. 447 


find, weil fie ihrer Erpreſſungsſucht und Eitelkeit zu gute zu fommen fcheinen, bereichern 
fih dann und erwerben Verbindungen am Hofe, mit deſſen Gliedern fie auf dem vertrau: 
teften Fuße zu leben pflegen, machen fich hierdurch verdächtig, werden gedrüdt oder jelbjt 
verfolgt, weigern fich, die mit ihrem Wohlſtande geftiegenen Zölle und Steuern zu zahlen, 
und erzeugen jo einen unfrieblihen Zuftand, der zulegt damit endigt, daß die Araber bei 
einem der unvermeidlihen Thronftreite Partei für einen Prätendenten ergreifen, der ihnen 
fügjam zu fein verſpricht, und dadurch in die innern Streitigkeiten des Landes gezogen 
und in oft endloje Kriege verwidelt werden. So führte Mirambo feine feindliche Stellung 
zu den Nrabern in einer Zufammenkunft mit Stanley auf den unerträglihen Übermut 
der Araber zurück. Weiblihe Häuptlinge jheinen häufig 
vorzulommen. Speke erzählt jogar von der Dienerin 
einer Häuptlingin, Ungugu (die er natürlich Sultanin 
tituliert), welde Nachfolgerin ihrer Herrin wurde. 
Die Wanjammwefi find troß ihres politiichen Gegen: 
fages zu den Arabern durch den jahrzehntelangen Ver: 
fehr mit denjelben wirtjchaftlid) jo weit in deren Wege 
gelenkt worden, daß ein nicht geringer Teil von ihnen 
den Wanderjtab ergriffen und zwiſchen Zanzibar und 
Udihidihi dem Sklaven- und Elfenbeinhandel fi ge: 
widmet hat. Viele Wanjamweſi gehören zu den ener: 
giſchſten Förderern bejonders des erjtern Handelszweiges. 
Daß fie dabei nicht glimpflicher als die Araber verfah: ı TT 
ren, lehren die Schilderungen Stanleys, zu dejjen Zeit 
am Südoſtufer des Tanganifa ein Einwanderer aus 
Unjamweſi, Muriro (Feuer) mit Namen, mit Hilfe einer 
Anzahl Koloniften von gleich raftlojem Geijte ein wahres 
Räuberdorf angelegt hatte, einen Verſammlungs- und 
Zufluchtsort für Sflavenhändler, wo Muriro jtet3 Maſ— 
fen von Sklaven gegen Austauſch von Pulver und Ge: 
wehren bei der Hand hatte. 





Haben wir auf dem Wege Zanzibar-Kaſeh-Udſchi— 
dihi die Neger vorwiegend unter dem Einflujje der —— — 
Araber gefunden, ſo wird es nicht ohne Intereſſe ſein, —— ee 
jene Stämme zu betrachten, welche nördlich von diejem 
Mege noch viel härter von den Galla und Mafai bedrängt find und ähnlich wie die Wa: 
gogo und Wanjammeli, jedod wohl noch rajcher, einer anthropologijchen und ethnolggi- 
hen Zerfegung unterliegen, die in hohem Grade lehrreih ift. Wir haben hier vorzüg- 
lich die Wafamba und Wanika! im Auge, von welchen die erftern ſüdlich vom Aquator, 
von etwa 1!/s bis 3%, wohnen, um im Wejten durch den gebirgigen Abfall der Seenplatte 
des obern Nil begrenzt, wenn auch nicht gejchügt zu werden. Im Often, db. h. gegen die 
Küfte hin, haben fich die Wakamba in das Gebiet der landeinwärts und jübwärts von 
Mombas wohnenden Wanifa jo weit eingejchoben, daß fie eine unmittelbare Verbindung 
mit der Küfte gewonnen haben. Ihnen wie ihren Nachbarn, den Wanifa und Wapofomo, 
fteht aber fein Weg ins Innere unbehindert offen, da ſich hier die nomadiſchen Horden der 


ı Der Name Walamba bezeichnet Reifende, Wandernde und kommt von ruhamba, umherziehen. 
Alle ummwohnenden Stämme nennen fie fo. Wanika heißt Leute der Wildnis, 


448 Seßhafte Völker zwiſchen ber Dftlüfte und den Großen Seen. 


Mafai und Wakuafi zwilchen fie und die Wahumaftaaten am Ukerewe fchieben. Daher 
thun fi oft Karawanen von mehr ald 2000 Köpfen, alle mit Flinten bewaffnet, zufammen. 
Nirgends find Ordnung und Gehorjam größer als bei diefen Karamanen, aber trogdem find 
manche den Zangen ber Mafai erlegen. 

Wakamba und Wanika find echte Bantuftämme, melde viel Ähnlichkeit mit den 
Wafagara, Waſambara und Genofjen haben, nur daß bie friegerifche Nachbarſchaft fie fried— 
liher gemadt hat. In der Kultur jtehen die Wakamba wie Manifa tiefer als ihre ſüdlichen 
Nachbarn, obwohl die Mohammedaner von Mombas aus fi längft befonders im Lande 

ber legtern ausgebreitet 
SI: haben. Die Wafamba 
EN ——— beſitzen große Herden von 
Nindern, Ziegen ꝛc., ha— 
ben etwas Landbau, ver— 
arbeiten Eiſen zu zwei— 
ſchneidigen Schwertern 
von arabiſchem Typus 
und treiben mit den Bro: 
duften ihres Aderbaues, 
bejonders Tabaf, und ib: 
rer Viehzucht einen leb- 
haften Tauſchhandel mit 
den Mohammedanern an 
der Küſte, in welchem jie 
fogar gemünztes Geld 
von dieſen annehmen. 
Ihre Haartradht ijt ge 
fennzeichnet durch einen 
fronenartigen Schopf, 
den fie auf dem Hinter: 
fopfe nah Kaffernfitte 
ftehen laſſen. Pfeil und 
Bogen find ihre Haupt: 
waffen, Lanze und Speer 
führen fait ebenjo aus: 
KReulen der Wanika (au Robert Felkins Sammlung in Wolderhampton). ſchließlich ihre Unter: 
drüder, deren Schild ent: 
weder zuluartig (Mafai) oder von arabiiher Form (Somali) if. Die Wanifa wohnen 
bereit3 in den Arabern abgejehenen Giebelhütten, während die Wakamba nody ihre kegel— 
förmige Behaufung haben. Sie ftehen unter einzelnen Dorfhäuptlingen von rein perſön— 
lihem Anjehen. Den Mittelpunft des religiöfen und politifchen Lebens der Wanika bildet 
der nur dem Häuptlinge zugängliche Muanfa, für den lärmende Feite gefeiert werden; das 
Myfterium jener Feſte ift ein Freifelartiges Inftrument von Holz, das eigentümlich brum— 
mende Töne von fi gibt (vgl. Abbildung, S. 440). Auch die Bejchneidung wird bei den 
Wanika befonders feitlih begangen. Die Spedhte find die Schidfalsvögel der Wanifa, die 
Hyäne gilt als Stammovater des ganzen Tolfes, jo daß die Tötung einer Hyäne als größtes 
Verbrechen geahndet wird. Die Toten werben von den Wakamba nicht begraben, ſondern 
nur ins Gebüſch geworfen; die Wanika dagegen verehren bie Geifter der Toten, die bis— 
weilen in den Neugebornen wiedererſcheinen follen. 





Die Stellung der Walamba und Wanila zu den Galla und Mafai. 449 


Höchſt Iehrreich ift das Verhalten der Wafamba und Wanifa zu den „Hunnen Afrikas“, 
ihren räuberiſchen Unterbrüdern. Da diefe als viehzüchtende Nomaden feine Sklaven 
brauden Fönnen, welche ihren Troß vermehren, jo ift der Viehraub ihr legtes Ziel. An die 
Stelle der Sklavenjagden treten daher hier die Razzien auf die Rinderherden ihrer dunklern 
Nachbarn. Zwar find Maſai, Wakuafi und Galla die ausgeprägteften Viehzüchter und als 





Streitagt und Schwert mit Scheide der Banila (au R. Felkins Sammlung in Bolverhampton). 


jolhe den Wahuma ethnographiich ebenjo naheftehend, wie fie geographiſch mit ihnen zu- 
jammenhängen, während die Wafamba in diefer Hinficht weit hinter ihnen zurüditehen; 
aber dennoch findet man nur wenig Viehzucht bei den weitlihen Wafamba, da ihre Herden 
dur die Galla und Maſai geplündert werden, während die öftlichen, weiter von jenen 





Stuhl, Trommel und Geige der Banila ſethnographiſches Mujeum, Münden). 


Räubern entfernt wohnenden reicher an Vieh find. Vergleicht man die Sitten, welchen 
dieje Halbhirten in Bezug auf ihre Herden huldigen, jo gewinnt man den Eindrud, daß 
der Urjprung ber Gebräuche bei jenen Ganzbirten zu ſuchen jei, welche, den Aderbau ver: 
ihmähend, ihr nomadiſches Leben weſtwärts von dieſen führen, aljo vorzüglich bei den 
Mafai und Wakuafi. Aber diefe Sitten haben fich bei den Halbaderbauern in manchen 
Beziehungen modifiziert. Während ald Grundzug durd alles Thun der Mafai und Ge: 
nofjen, das mit den Herden zuſammenhängt, der Ausjchluß der Frauen geht, die nicht 
Boltertunde. 1. 29 


450 Seßhafte Völker zwiſchen der Dftlüfte und den Großen Seen. 


einmal bie Hirtenlager betreten, gejchweige denn hüten oder melfen dürfen, ift bei den 
Wakikuyu, den nächſten Nahbarn der Wafamba, den Frauen gerade das ihnen anderwärts 
jo ftreng unterfagte Melfen geftattet. Man wird bei Würdigung diefer durch J. M. Hilde- 
brandt beitätigten Thatſache nicht mehr geneigt fein, mit Bleek einen jehr großen Wert 
auf derartige Abweichungen zu legen (j. S. 49). Während faft alle Oftafrifaner Butter 
bereiten, thun die Wafifuyu das nur bei der Geburt eines Kindes, welches mit Butter 
eingerieben wird und täglich davon zu effen befommt. Die Mafai ftehen das Vieh, um 
es zu Schlachten, in das Genid, die Wakamba erwürgen es. Kamele und Pferde finden ſich 
wohl bei Somali, Galla und Mafai, nicht aber bei den 
Wafamba. Auch jcheinen lettere die Ejel nicht als Laſt— 
tiere zu benugen, ſondern diejelben nur zu mäſten, um fie 
dann zu ſchlachten. Mit der durch die Viehzucht bedingten 
freien, jchweifenden Lebensweiſe hängt 
e3 wohl zuſammen, wenn die Mafai 
und Wafuafi ein kriegeriſches Volk 
find, deſſen Kriegsiharen ſich einer 
guten Organijation erfreuen, während 
die jeßhaften Wafamba den Kampf im 
freien Felde ſcheuen. Stehen jo die 
Wakamba und Genoffen in manden 
Beziehungen hinter ihren unruhigen 
Nachbarn zurüd, fo find fie ihnen da— 
für in allem überlegen, was anſäſ- Ay 
fige, ruhige, ftetige Arbeit fordert. M 
Vor allem treiben ſie Ackerbau, der — 
* ſie befähigt, ſich eine mannigfaltigere ring der Walamba, am 
ee ne u Be een 
ee, ‚ ie alle pflanzlihe Nahrung ver: ge ; 
Berlin), %s wirtl, Größe, f hmähen, um faft nur von Mil &, a wirtl, Größe, 
Blut und Fleifch zu leben. Auch wohnen fie beijer in ihren feiten, dichten Lehm= und 
Reifighütten al3 die Nomaden in ihren flüchtigen, leiten Zeltgeftellen, deren Bedeckung 
aus Rindshaut jeder Windftoß wegnimmt, und find ficherer vor Naubtieren und Feinden, 
wenn auch zugleich feiger, in ihren mit verrammelten Thüren verfchloffenen Dornumzäu- 
nungen; fie find die Tabafslieferanten ihrer Nachbarn und bringen diejes Erzeugnis ihres 
Aderbaues bis an die Küfte; fie find das Volk der Gewerbthätigfeit und des Handels. 
Mer wird nicht, indem er dieje polaren Wölfergegenfäge betrachtet, deren jeder für ſich 
allein zur Unvolllommenheit, Unfruchtbarkeit verdammt ift, in der Vereinigung derjelben 
zu Einem Staatöwejen das Heil beider erbliden? E3 würde dies ein Zuftand fein, wie 
wir ihn in Uganda und Unyoro finden werden, wo die Befruchtung der ruhigen Arbeit 
des Aderbauers durch die Beweglichkeit und Herrjchbefähigung des Hirten die blühendften 
Staaten Zentralafrifas erzeugt hat. 

















Körperlihe Merkmale. Abweichung vom Negertypus. 451 


21. Die Bölker in der Region der Nilquellſeen. 
(Baganda, Wanyoro; Wahuma.) 


„Der flüchtige Einblid, den wir in die Sitten und Gebräuche der Waganda 
gethan, erwedte in uns das Bewußtſein, dab wir im Begriffe ftanden, die Belannt: 
haft eines aukergewöhnlichen Volles zu machen.“ Stanley. 

Inhalt: Anthropologiiche und ethnographiſche Unterſchiede. — Übergang zum nichtäthiopifchen Afrika, — 
Völfermifchung in Uganda. — Waganda, Wanyoro und Verwandte. — Tradt. — Hüttenbau. — Paläfte, — 
Gewerbe. — Aderbau und Biehzudt. — Jagd. — Filhfang. — Nahrung und Getränke. — Handel und 
Berlehr, — Waffen und Kriegführung. — Schildformen. — Schiffbau. — Kriegsflotte. — Geiftiged Negen. — 
Charafterfchilderungen. — Dichtung und Mufil. — Tanz und Spiel. — Religion. — Das Königtum. — 
Politifhe Gliederung ded Volles. — Thronfolgegefehe. — Königsmythen. — Hofzeremoniell, — Rechts: 
pflege. — Die Fremden und ihr Einfluß. — Die Familie. — Geburt und Tod. — Die Wahuma. — Ver: 
wandtſchaft mit Abefjiniern und Galle. — Wanderungen und Staatengründung. — Spracvericdieden; 
beiten. — Berbreitung. — Skizze der Wahumaftaaten: Unyoro, Uganda, Karagme, Uhaiya, Ufinfa. 


In der menſchlichen Bevölferung der Länder um die Nilquelljeen tritt ung eine 
bemerfbare anthropologifche Differenzierung entgegen, welche durch ihr Zufammenfallen 
mit ethniſchen Unterjchieden doppelt bedeutſam erjcheint. In ethnifcher oder, wenn man 
will, in kulturlicher Beziehung jchließt fich diefer Gegenfag an denjenigen an, der zwiſchen 
Anſäſſigen und Nomaden wiederholt für das füblichere Oſtafrika zu zeichnen war; aber er ift 
bier in feiner anthropologiſchen Grundlage Elarer als dort, denn in den Anſäſſigen erkannten 
ſchon die erſten Beſucher der Nilquelljeenregion eine andre Raſſe als in den unter ihnen 
wanbdernden und teilweife jogar fie beherrjchenden Hirtenvölfern. Jene ftehen dem ertremen 
Neger näher als diefe, aber in ihrer Gefamtheit ftellen fich auch jene den dunflern Negervölkern 
als eine in der Farbe hellere und in der Körperbildung edlere Raſſe gegenüber. 

Wir lefen daher aus den Beſchreibungen der anthropologiih unbefangeniten Beobachter 
den Eindrud edlerer Menſchenbildung heraus, den fie hier empfingen, und nehmen aus 
ihren Darftellungen das Gefühl mit hinweg, gerade an dieſer Stelle die Grenze echt äthio— 
piiher Menichheit zu berühren. Schon die Angaben über die Hautfarbe malen mit lichtern 
Tönen. Stanley jpricht bei den Waganda reiner Raffe von Bronzefarbe oder dunklem, 
rötlihem Braun und bei einigen ihrer Weiber von einer Farbe wie „hellerotgolden, die fich 
bei einer oder der andern fogar dem Weiß näherte.” (Vgl. die beigeheftete Tafel „Waganda: 
Knabe. Dinka-Mädchen“.) Von den herdenzüchtenden Wahuma aber jagt er: „Sie hatten 
die Hautfarbe des von einer Mulattin und einem Weißen abftammenden Farbigen, ihre Nafen 
waren gerade, ihre Lippen bünn und ihre Augen groß und glanzvoll. Auch durch die andern 
Reize Schöner Körperformen zeichneten fie ji aus.” Als den phyſiſch Shönften Volksſtamm 
von allen zwijchen dem Tanganifa und dem Meere jchildert der Reiſende die Warimi, die 
jtark gebaut, groß, von männlicher Haltung und regelmäßigen Zügen find. Auch hier meint 
der Reifende die Weiber um eine Schattierung heller zu finden als bie Männer. Im allgemei: 
nen läßt fich jagen: die ſüd- und zentralafrifaniiche Körperbildung tritt hier zurüd, und man 
befindet fich im Übergange zu den von Afien und vielleicht jelbft Europa her beeinflußten 
Dft: und Nordgebieten Afrikas. Typiſch für diefes Verhalten erfcheint unfre Abbildung auf 
S. 452, welche die mehr faufafiihe und die mehr negroide Form bei den Wanyoro darſtellt. 

In Uganda, dem in jeder Beziehung wichtigiten der Nilquellländer, ift diefe Völker: 
mifhung wohl aud am ſtärkſten entwidelt. Jedenfalls ift fie am eingehenditen hier ſtudiert. 
Den Grunditod der Bevölkerung bilden hier die Waganda, zu weldem man noch die 
Inſelbewohner (Bafelje) rechnen kann, die auf den Inſeln längs der Küfte von Uganda 

29* 


452 Die Völker in der Region der Nilquellieen. 


leben, von demfelben Urſprunge find und einen Dialekt derfelben Sprache jprechen. Diele 
und jene find Neger von dunkel fchofoladefarbener Haut und furzem Wollhaare. Es find 
Leute von mehr als Mittelgröße, gut gebaut und Fräftig. 

Die Wahuma, die an Zahl unzweifelhaft die zweite Stelle einnehmen, find hier wie 
überall, wo fie auftreten, ein eigenartiger, bejonderer Stamm. Unter dem Namen Watufi 
findet man fie zerjtreut bis zum 7. jüblicher Breite wieder. Sie find hoch gewachjen, 
von ovaler Gefichtsbildung, ſchmalen Lippen und gerader Naje. Die Frauen befonders find jo 
ſchön, daß die Häupt- 
linge der Waganda 
mit Vorliebe ihre Gat⸗ 
tinnen aus ihnen 
wählen. Wo man fie 
auch findet, find bie 
Wahuma die Hirten 
des Landes; fie näh— 
ren ſich hauptſächlich 
von Milch und Fleiſch 
und treiben nur ſelten 
Feldbau. Sie ſchließen 
fi ftreng gegen die 
andern Stämme ab, 
haben ihre bejondere 
Sprade, leben in ab» 
jeit$ gelegenen Dör— 
fern, meift am Saume 
der Wälder, und mi— 
ſchen ſich nicht leicht 
mit ummobhnenben 
Stämmen. (Weiteres 
über die Wahuma . 
©. 477.) Ihnen jchei- 
nen viele Leute des 
füblihen Uddu und 
Karagwe, die joge: 
nannten Wanyam: 
bo, nahezuſtehen, die 
gleichfalls meift Rin— 
derhirten find. Der 
legte Stamm, welcher 
in diefem Lande unsre Aufmerkſamkeit in Anſpruch nimmt, ift der der Waſoga. Dieje 
wanderten aus dem Lande Ujoga in das öjtliche Uganda ein, wurden aber, fo tapfer und 
friegerifch fie auch find, doch nad) und nad) von ven Waganda unterjocht und ein großer Teil 
von Ujoga dem Neiche Mteſas einverleibt. Ihre Hautfarbe ift viel dunkler als die der 
Waganda, auch tragen fie gewöhnlich das Haar lang. 

* > 

Die Waganda und Wanyoro unterjcheiden fi von allen ummwohnenden Stämmen 
durch ihre Kleidung; fie find, ſoviel man weiß, die einzigen, die von Kopf bis zu Fuß be 
Heidet gehen, und fallen dadurch jo jehr auf, daß nadt gehende Stämme der obern Nilregion 





Böllermifhung in Uganda. Tracht der Waganda und Wanyoro. 453 


fie als Weiber bezeichnen. Spefe bezieht hierauf die angeblich bei den Njam-Njam erzählte 
Geihichte von einem Weibervolfe, das er auf die Wanyoro, und einem Volke von Weibern 
und Hunden, das er auf die Waganda deutet. Die Gefege in Bezug auf die Kleidung 





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Baganda: Gejandte des Königs Mteſa. (Nach in London aufgenommener Photographie.) 


find jehr jtreng, und wer immer, Mann oder Frau, fi) auf der Straße nicht anftändig 
gekleidet blicken läßt, verfällt der Todesftrafe. Im Haufe wird es nicht jo genau genom— 
men, die jüngern Weiber legen da oft die Kleider ganz ab. Ebenjo gehen die Männer 
(bis auf ein Tuch um die Lenden) ganz unbefleidet in den Kampf. Das Nationalfleid ift 
der Mbugu, ein Nindenftoff, den die Männer als ein lojes, wallendes Gewand tragen. 
Dasjelbe wird auf der Schulter geknüpft, läßt beide Arme frei und fällt bis auf die Füße 


454 Die Völker in der Region der Nilquelljeen. 


nieder. Dei den Frauen wird es unter den Armen dicht um den Körper befejtigt. Viel: 
fach werden Sandalen aus Büffelhaut getragen, ebenfo phantaftiicher Kopfpug, Turbane 
aus Baummwollitöffen oder farbigen Tafchentühern. Über dem Mbugu tragen die Häupt- 
linge oft ein ſchön gegerbtes Fellkleid, zu weldem entweder eine ganze Ochſenhaut oder 
zwei aneinander genähte Ziegenfelle verwendet werden; bie koſtbarſten beftehen aber aus 
den glänzend dunkelbraunen Fellen der Ntalaganga, einer jehr Heinen Antilopenart, von 
welchen 20—40 zu einem jolden Gewande nötig find. In Unyoro und Ujoga maltet das 
Felltleid mehr vor als in Uganda, aud die Wahuma tragen mit Vorliebe Fellkleider. 
Neuerdings findet allmählich auch ausländijche Kleidung Eingang im Volke, und König 
Mteſa felbft hat den heimifchen Mbugu mit der arabifhen Tracht vertaufcht. Unter den 
Schmudjahen wird den von den Hohen getragenen Halsringen aus den Schmwanzhaaren 
der Giraffe Zauberkraft zugeichrieben. Überhaupt wird in Form von Chmud eine große 
Anzahl von Zau— 
bermitteln, ent— 
ſprechend dem un: 
gemein entwidel: 
ten Aberglauben 
diejer Völker, ge: 
tragen. Hörnden, 
mit irgend einem 
zauberfräftigen 
km aätı alle Gegenjtande ge: 
9 lan ra füllt, jpielen dabei 
— Mn eine Hauptrolle. 
Als Kopfbededung 
= find ausSchnüren 

En = geflochtene Müpen 

: — — (Speke ſpricht von 
Turbanen) im Ge⸗ 
brauche. 

Was den Reiſenden beim erſten Anblicke der Waganda in Erſtaunen ſetzt, iſt der völlige 
Mangel jeder Tättowierung oder Verunſtaltung des Körpers. Auch haben ſie nicht 
den bei den Negern faſt allgemeinen Brauch des Ausreißens oder Feilens von Zähnen. 
Verftümmelungen find, wenn nicht als Strafe verhängt, verboten und werben mit dem 
Tode beitraft. In diejer Beziehung ftehen die Wanyoro tiefer als die Waganda, denn zwei 
Brandnarben an jeder Schläfe find ihr Stammeszeichen, und die untern Schneidezähne und 
wahrſcheinlich auch die Edzähne werden den Mädchen und Knaben ausgezogen, ſobald fie 
mannbar geworden find. Bejchneidung wird nur von den Bewohnern Londus, welde nad) 
allen Angaben von Weſten her eingewandert find, geübt. Bei diefen ſoll auch Infibula— 
tion vorfommen. Die Waganda find jehr reinlih, waſchen ſich viel und bejchmieren nie 
ihren Körper mit Fett. Während fie ihr Haar meijt dicht am Kopfe abjcheren, ift der Bart 
bei ihnen häufiger zu finden als unter den übrigen Stämmen, die Wanjammefi ausgenommen. 

Der Hüttenbau bleibt auch bei diefen Völkern durchweg bei dem Kegeljtile der Neger: 
architektur ftehen, gelangt aber durch große Sorgfalt nicht nur zu feinern und haltbarern, 
jondern auch zu geräumigern Konftruftionen. Auch gewinnen die Hütten hier häufig 
durch größere Thüröffnungen und architektonische Hervorhebungen derjelben an äußerm 
Anfehen. In der breiten Thür einer fegelfürmigen Hütte, die von einem doppelten, 
zwei Höfe einfchließenden Zaune umgeben ift, empfängt König Mtefa feine Gäfte. Und der 





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Audienzhalle des Königs Mteja in Rubaga (nad Stanley). 


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Tradt. Hütten und Paläfte. Hüttenbau. Gewerbe, 455 


Palaft diejes Herrichers ift zwar ein fcheunenartiger, nur aus Rohr und Stroh beftehender 
Bau; „aber wenigitens durch ihre Ausdehnung machen alle Räumlichkeiten einen höfiſchen 
Eindrud” (Stanley). Wiljon bejchreibt ihn als ein hohes Gebäude, über 30 m lang 
und auf ungeheuern Pfeilern aus Baumftämmen ruhend. Eine Halle nimmt ungefähr zwei 
Drittel der Gejamtlänge des Gebäudes ein, auf beiden Seiten befinden fich lange, ſchmale 
Gemäder, worin manchmal Hof-,Baraza“ gehalten wird, und an ber Rüdjeite folgt eine 
Anzahl Eleinerer, vierediger Zimmer, durch die man in die innern Palaftgärten gelangt. 

Bei aller Sorgfalt im Baue der Hütten find die Waganda doch, mo es nötig ift, rafch mit 
der Heritellung berjelben fertig. Stanley jah am Ufer des Uferewe die Armee Mtejas in 
30,000 raſch errichteten Hütten lagern. Auch die Hütten der Wanyoro haben in der Negel 
eine gerundete Reifrodform ohne Aufjag und find innen zweiteilig. Ihre Umzäunungen 
wie die der Dörfer find in bem wildreichen Unyoro, wo Löwen häufig find und die wilden 
Büffel als heilige Tiere nicht getötet werden dürfen, aus jehr ſtarken Dornheden hergeitellt. 


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1 Rüfltammer des Königs Rumanila von Karagwe — 2 Hütte in Karagwe. 


Auf jungen Lihtungen in den Urwäldern von Unyoro liegen die Hütten zwijchen 
den mit Bananen, Cajaten und Zubien, gelegentlich auch mit Mais oder mit virginischem 
Tabake abwechjelnd bepflanzten Neuädern in Gruppen von breien oder vieren: halbkugelig 
mit einem faft bis auf den Boden niederfteigenden Grasdadhe, welches über der Thür durd) 
Pfähle geftügt wird, find dies flüchtigere Baulichkeiten, die nicht felten nach der Ernte ver: 
laffen werden. Am einfachſten und ärmlichiten find aber immer die der Wahuma, da dieje 
häufig wechſeln. Übrigens ift der negerhafte Zug zum Nomadismus auch nod in den 
Waganda zu finden. Die alte Hauptſtadt Banda, in welder Speke und Grant Mteja 
fahen, ift verlafjen und vollftändig verſchwunden, und eine oder zwei andre Städte find 
dem gleihen Schidjale anheimgefallen. Jetzt hat Mteſa zwei Hauptjtädte, in denen er 
abwechjelnd wohnt, Rubaga (j. Abbildung, S. 456) und Nebulagalla. 


Die Induſtrie diefer Völker ift ausgezeichnet durch diefelbe Sorgfalt im einzelnen, 
welche ihren Aderbau und ihre Architektur kennzeichnet, ohne fich aber gleich diefen durch 
neue Zwede oder Formen beträchtlid über das Niveau deſſen zu erheben, was anderwärts 
bei Negern gefunden wird. Man möchte jagen, daß im wejentlichen derjelbe Geijt, die: 
ſelbe Gefhmadsrihtung ſich an denjelben Stoffen verfucht haben, daß fie aber in größerer 
Ruhe, inmitten eines fiherern Wohlſtandes fich hier zu entfalten vermodhten. Speke ſpricht 
einmal von einem Dorfe von Töpfern in Uganda, was auf eine Teilung der Arbeit 
hinweiſen dürfte. Ein natürlicher Gejhmad tritt in Farben und Formen hervor und 


456 Die Völker in der Region der Nilquellfeen. 


wird vor allem nicht durch Überladung geftört. Die einfach geformten dünnen, nur am 
obern Rande mit einem leichten Relief verjehenen bombenförmigen Thongefäße ber 
Wanyoro, welche innen und außen geſchwärzt, außen aber noch dazu durch Hängen im 
Rauche von Holzfeuern wie mit Firnis überzogen find, find bei aller Einfachheit vortreffliche 
Arbeiten. Zwei Formen von Pfeifen find im Gebraude, eine mit rundem Kopfe, die 
nur ſehr wenig Tabak faßt, und eine andre mit fegelförmigem Kopfe, welche eine halbe Unze 
oder mehr aufnehmen fann. Beide Arten von Pfeifen und die Trinfgefäße werben wohl 
auch durch Bemalung mit weißem oder rotem Thone verziert. Ermwägt man, daß alle 
diefe Thonwaren ohne Benugung der Drehſcheibe hergeitellt werden, jo find ihre regel- 
mäßigen Formen geradezu bewundernswert. 

Bei den Wanyoro und Waganda erreicht die Flehtfunft einen hohen Grad von 
Vollendung. Die Bänder und Echnüre aus feinen Fajern, die in verjhiedenartig gebän- 


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Rubaga, die Hauptſtadt von Uganda (nach Stanley). Val. Tert, ©. 455. 





berten Muftern geflochten werden, würden jeder hoch entwidelten Induſtrie und dem beiten 
Geihmade Ehre machen. Vorzüglich ſchön find die vierfantigen Schnüre, in welche dieje 
Bänder auslaufen, und die jhwarzen und roten Zidzadmufter, die manche überflochtene 
Geräte, wie 3. B. die zum Aufbewahren von Kleinigkeiten dienenden Doppelbüdien, be 
deden. Nicht minder ausgezeichnet find ihre verzierten Körbe und Topfunterfäge. Als Ma— 
terial dienen ihnen Gras und die jungen Blätter der wilden Dattelpalme. Aus dem erftern 
fertigen fie große, flache, Ereisrunde Körbe an, welche wegen ihrer Wafferdichtigfeit gewöhn— 
lih zum Auftragen der Speijen gebraucht werden. Aus den ſchmalen Blättern der Dattel: 
palme werden kleine Dedelförbchen für die unvermeidlichen Kaffeebohnen gearbeitet. Zur 
Herftellung der geflochtenen Röhren, aus welchen fie ihr heimijches Bier trinken, wird ein 
ausgehöhlter, gebogener Stod mit dicht anſchließendem Flechtwerke aus verſchieden gefärbten 
Dattelpalmblättern umgeben und am untern Ende aus bunten Gräfern ein fiebartiges 
Geflecht gebildet. Künftlerifch betrachtet, ift dies eine reizende und bewundernswerte Leiftung. 


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Gewerbe, 457 


Die Matten, welche zur Hauseinrichtung einer jeden achtbaren Familie gehören, werben 
aus Streifen von jungen Dattelpalmblättern geflochten und find in hohem Grade gefchmeidig. 

Die Perlenarbeiten find in Form und Farbenzufammenftellung gleich geſchmack⸗ 
voll. Die didern, dicht mit Perlen bejegten Leibringe, die mit einer einzigen Perlennuß 
verzierten Baft: und Faſerſchnüre, die glatten Früchte, welche auf einer Seite mit Perlen 
bejegt, zu Ketten aufgereiht werden: alles zeigt einen höhern Geſchmack (ſ. unten, Abbil- 
dung). Die Holzihnigerei der Wanyoro fteht nicht auf der Höhe ihrer übrigen Induſtrie. 
Die feine Glättung, die Politur des geihnigten Holzes, wie man fie bei Polynefiern und 
andern Völkern findet, weldhe in Ermangelung von Eifen dem Holze um fo größere Auf: 










Shmudfahen und Geräte der Waganda: 1,2, 3 und 4 Halsſchmuck — 5 Gürtelband — 6 Doppelgefäh 
(ethnographiiches Muſeum, Wien). 


merkſamkeit jchenten, fehlt bier. Bon der ſüdafrikaniſchen Entwidelung der Löffel: und 
Holztopfinduftrie ift hier feine Rede. Die Hohen von Uganda tragen Spazierjtöde, welche 
aus einem harten, weißen Holze geichnigt, jehr ſchön gerundet und poliert find. Mteſa 
fandte Stanley feinen Stab zur Begrüßung entgegen, ganz wie bie ber König von 
Dahomey gethan haben würde (f. den Stab auf Abbildung, ©. 33). 

Von der Induſtrie des Mbugu, des Rindenftoffes, welcher den größten Teil ber 
Bekleidung der Waganda liefert, haben wir jchon geſprochen. Wir tragen hier nach, daß 
fie denjelben in verjchiedenen Muftern färben, worunter ein in Schwarz aufgebrudtes 
oder gefärbtes Quadrat das gewöhnlichſte if. Die ſchwarze Farbe jcheint ber Ruf irgend 
eines wohlriechenden Holzes zu fein, der, mit Ol vermengt, auf den Mbugu aufgetragen 
wird. Eine orangegelbe Farbe gewinnen fie von einem Baume, Mulilila genannt. Nicht 
minder zeichnen ſich dieje Völfer durch die Zubereitung bed Leders aus. Die an der Sonne 
getrodnete Haut wird feit in einen Rahmen gejpannt, die innere Oberfläche forgfältig mit 


458 Die Völker in der Region der Nilquellfeen. 


einem Meffer abgelöft, durch Reiben mit einem Steine geglättet, Butter oder Ol hinein: 
gearbeitet und die Haut noch einmal der Sonne auögejegt, woburd die Häute weidh und 
biegjam wie Handſchuhleder und vollitändig haltbar werben. 

In Metallarbeiten find die Schmiede von Uganda ihren Nachbarn jo weit über: 
legen wie die von Unyoro denen ihrer Nachbarländer. Sie gewinnen ihr Eijen aus ein- 
heimiſchem Erze, das zwar ziemlich mürbe, aber doc) von guter Qualität ift. Stahl fannten 
fie urfprünglid nicht. Speere, Glödchen und Ringe verfertigen fie aus jenem Eijenerze 
und Kupfer, das aus Zanzibar ins Land gebradht wird. Auch im Nachbilden europäijcher 
Induſtrie-Erzeugniſſe find fie ſehr gefchidt und verändern z. B. Luntenſchloß- in Per- 
fuffionsgewehre. Wilfon ſah Patronenhülſen aus Meffing, die, wenn auch nur gegofien, 
doch erjtaunlidh genau und glatt gearbeitet waren. 

Die wenigen Werkzeuge, die in Uganda gebraucht werden, find verhältnismäßig 
einfach; zum Bearbeiten des Bodens dient allgemein die Hade, Nkumbe, ein herzförmiges 
Werkzeug mit einem langen Stachel am breiten Ende, das an einem gefrümmten, ungefähr 
1 m langen Stiele befeftigt ift. Die Meffer find gekrümmt, die Klingen jehr dünn. 


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Eine Rolle flach geflodtenen Taues von Uganda (nah Baler), 


Im allgemeinen beihäftigen fih die Männer der Waganda wenig mit der Land— 
wirtichaft, ihre Domäne ift vielmehr Häuferbau und Kriegführung. Der Aderbau wird 
hbauptjählih von den Weibern bejorgt, und nur da, wo die Not es erheiſcht, ſtehen 
ihnen die Männer bei. In Uganda, das feiner dichten Bevölkerung halber beffer bebaut 
ift als Unyoro, find die Gärten in der Regel durch hohe Zäune von der Straße abgegrenjt 
und außerordentlich jauber gehalten. Die einzelnen Pflanzen werden in verfchiedene Beete 
gejäet und diefe von Unkraut befreit. Außer den unter den Lebensmitteln noch zu erwäh— 
nenden Bodenerzeugniffen werden hauptſächlich Tabak und der Flajhenfürbis gezogen, und 
zwar wird ber erftere meijt ziemlich eng in kleinen Beeten geſäet, wonach jpäter die heran 
wachſenden Seglinge verjegt und reihenweije gepflanzt werden. Den Flaſchenkürbis zieht 
man gewöhnlid an Holzipalieren oder an den Hüttenwänden, damit die Frucht frei hängt 
und ihre Form behält. 

Die Haustiere in Uganda find Rinder, Schafe, Ziegen, Hunde und Katen. Die 
Wahuma, die eigentlihen Befiger des Nindviehes, züchten eine ftarf gebaute Rafje meiit 
von brauner oder eijengrauer Farbe. Die Rinder find oft hornlos, weil man ihnen die 
Hörner beim erften Aufgehen durch Brennen mit glühendem Eifen fauterifiert, um den 
Tieren das Gehen in hohem Graſe und durch wirres Geftrüpp zu erleichtern. Zu Ge: 
jchenfen verwendet_man dagegen ungemein großhörnige Tiere, wie aud König Kabregas 
Herde, deren Stärke Emin Bei auf 1500 Stüd angibt, aus Großhörnern beſtand. Bloß 
Männer dürfen melfen, feine Frau darf das Euter einer Kuh berühren. Schafe (Somali: 
raſſe) gibt e8 wenige, jehr häufig find dagegen Ziegen; Hunde werben hauptſächlich zur 
Antilopenjagd gehalten. Das von den Waganda gezogene Geflügel fieht mager und elend 
aus, denn es wird nicht gefüttert, jondern lebt von dem, was es eben findet. 


Aderbau und Viehzudt. Jagd und Fiſchfang. 459 


Die Waganda find eifrige Jäger. Viele betreiben die Elefantenjagd gewohnheitsmäßig. 
Drei oder vier Jäger vereinigen ſich gewöhnlich zu diefem Zwecke und greifen die Thiere fühn 
und Faltblütig mit ihren Speeren (f. untenftehende Abbildung, Fig. 1) an, eine Jagdmethode, 
die erflärlicherweije zahlreiche Opfer fordert. Büffel, welche in Unyoro als heilig betrachtet 
und darum geſchont werden, fängt man mit einem Kranze von dornigen Zweigen, der mit 
einem Seile an einem ſchweren Holzkloge befeftigt it und unter dem Drude des darauftre- 


tenden Fußes durchbricht, jo daß 2 1 3 
das in jeinen Bewegungen ge: Di se ist 00 
hemmte Tier dem Jäger nicht ent: DRIN IE. ORTE TEN WLRHR TUE 

fommen kann (vgl. Abbildung, RB Ana HR a a 





©. 502). Löwen und Leoparden KR u © 
werden in Fallen aus jchweren J 
Holzſtämmen gefangen: das Tier 
verſchiebt, um zur Lockſpeiſe zu ge— 
langen, die Balken, ſo daß dieſe 
herabfallen und das Wild tot— 
ſchlagen. Die kleinern Antilopen 
werden oft von der ganzen Dorf— 
gemeinde im Treibjagen mit Hilfe 
von etwa 1m hohen, ſtarken Netzen 
gefangen. Wildgänje fängt man 
am Nyanzafee mit einer Schlinge 
in ähnlicher Weiſe wie bei uns die 
Kramtsvögel. 

Der Fiſchfang wird von den 
Inſelbewohnern und den Waganda, 
die nahe am Ufer leben, eifrig be: 
trieben. Gewöhnlich fiichen fie mit 
der Angel; die Hafen find Hein und 
ohne Widerhafen, aus einheimi- 
ſchem Eijen verfertigt, und die jehr 
feinen und feften Angeljchnüre be: 
ftehen aus den Fajern einer Aloe: 
art; auch Legangeln fommen in a 
Anwendung. Außerdem find Neu: — ER LE TEA ER J 
ſenkörbe gebräuchlich, welche, acht ERSTEN —— 
oder zehn an der Zahl, ſeitlich an— 

1 Elefantenfpeer der Waganda. — 2 Meſſer der Edir. — 


einander gebunden, m ben See ge 8 Spitzkeule der Wanyoro (nah Baker). Bol. Tert, E. 461. 
fahren und mit Steinen bejchwert 


fo verſenkt werden, daß fie auf der Seite liegen und die Öffnung dem Ufer zufehren. Nach 
einiger Zeit zieht man fie mit langen Seilen, an welden dicht vor den Körben Zweige 
angebracht find, damit die Fiſche beim Seichterwerden des Waſſers nicht entfommen Fönnen, 
ans Land, wo ſich der in diefer Weife betriebene Fang meijt als jehr ergiebig erweilt. 

Die Waganda, befonders die der untern Klaffen, nähren ſich hauptſächlich von 
Pflanzen, worunter die Banane die erfte Stelle einnimmt. Die Banane wächſt überall 
und ohne viel Pflege, jo daß fie, wenn fie nicht einheimiſch fein follte, jeit jehr langer Zeit 
hier eingebürgert jein muß. Verſchiedene Arten haben bejondere Benennungen; mande 
werden abgekocht, andre geröftet, aus einigen gewinnt man Wein; auch ſchneidet man fie 


—*328 









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 Digllaa/ W 
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460 Die Völker in der Region der Nilquellfeen. 


in Scheiben, dörrt fie an der Sonne und hebt fie für Zeiten der Teurung oder als Reife: 
proviant auf. Neben der Banane bildet bie gleichfalls in großen Mengen angebaute füße 
Kartoffel das Hauptlebensmittel der Eingebornen. Außer diefen Pflanzen ziehen die Wa- 
ganda noch Colocasia antiquorum, Helmia bulbifera, verjdhiedene Bohnenarten, zwei 
ober drei Sorten Kürbifje, eine Art Solanum, Zuderrohr, eine Art roten Spinat, Kaſſawa, 
Mais, Hirie, Sefam, Reis und Weinreben. Der Kaffeebaum wird in ausgedehntem Maße 
kultiviert, doch find die Bohnen jehr klein. Die Araber haben außerdem Zwiebeln, Paradies: 
äpfel, Guavas, Granatäpfel und Mohn eingeführt, wozu von Ägypten Rettiche und der 
Hibiscus esculentus, der arabifche Baumia, gefommen find. Fleiſch ift für die meiften ein 
ungewohnter Luxus. Während Geflügel und Eier nur felten genoffen werden, ißt man 
anderfeit3 jogar das Fleiſch von Raubtieren, 3. B. in Unyoro das der Tigerfage. Am 
Nyanza und auf den Inſeln dienen die vielen Arten von Fiſchen im See als Hauptlebens: 
mittel, vom winzigen Mufeni, einem Fiſchchen von der Größe des Weißfiſches, an bis zu 
dem mächtigen Kambari, der oft ein Gewicht von 50 und mehr Kilogramm erreicht. Einige 
Arten werden getrodnet und gegen Kaffee oder andre Produkte vertaufdt. 

Die bei den Waganda gebräudlihe Art des Kochens zeugt in mander Hinfiht von 
großem Scarffinne. Beim Kochen der Bananen legen fie ein großes Blatt derjelben 
Pflanze auf das Waffer in den Topf und darauf die Früchte, jo daß die Bananen nur in 
Dampf gekocht werden, und um Fleiſch oder Fiſch zu kochen, wideln fie das Fleifch feſt in 
ein junges Bananenblatt, das fie einige Augenblide über das Feuer gehalten haben, um 
e3 biegjam zu machen, legen die Bananen darauf und fodhen das Ganze zujammen. 

Die Häuptlinge und Angehörigen der obern Klaffen nehmen die Mahlzeiten mit ihrer 
Familie und den erjten Sklaven ein. Die Speijen werben in ber Mitte einer großen Hütte 
auf den mit Bananenblättern bededten Boden geftellt, die Familienglieder verſammeln fich 
darum im Kreije, und nachdem man fi die Hände gewaſchen, greifen alle mit den Fingern 
zu, während ein Sklave mit einem Meffer oder ſcharfen Rohriplitter Fleiſchſtücke für die 
Gejellihaft abjchneidet. Gutes Salz ift in Uganda eine große Seltenheit; das gewöhnlich 
benugte it Ihmugig grau und bitter, wogegen in Unyoro, weitlid vom Luta Nzige-See, 
jehr viel befjeres vorkommen fol. Nach dem Mahle wäſcht man ſich wieder die Hände, 
e3 werden Pfeifen gebradt und Kaffeebohnen zum Kauen herumgereicht. Wer in Uganda 
weiß, was fi) ſchickt, trägt ftetS einige Kaffeebohnen mit ſich und bietet fie den Bekannten 
beim Begegnen zum Kauen an. 

Während der Mahlzeit trinken die Waganda niemals, aber am Echluffe nehmen fie 
Maffer oder Piſangwein in großen Zügen zu fih. Der Pilangwein wird aus der reifen 
Banane bereitet, die zu diefem Zwede geſchält, in einem Troge mit feinem Grafe vermengt 
und mit Waſſer angejegt wird. Dies jo gewonnene Getränk wird in große Flaſchenkürbiſſe 
gegoffen und darin der Gärung überlaffen; ungegoren heißt es Mubiji, gegoren Mwengi, 
mit gefochter Hirfe vermengt Malwa. Mlamba ijt ein jchwaches, auf ähnliche Meije 
zubereitetes Bier. Die Bereitung von Bananenmwein ift immer das erjte Gejchäft, ſobald 
ein Lager geichlagen, eine Gejellichaft verfammelt ift. Da der Wein leicht ift, genießt man 
ihn in großen Quantitäten, und da er fo leicht herzuftellen ift, kann ihn felbit der Ärmſte 
im Überfluffe haben. Mit Recht nennt Speke Uganda „ein Pombe trinfendes Land“! Bei 
Spefes Empfange in Mtejas Balafte tranfen die Königin und die Würdenträger aus einen 
Troge wie Tiere, weil es ihnen aus den Behern nicht raſch genug ging (vgl. auch die 
Abbildung auf S. 201). Infolge diefes übermäßigen Genufjes ift abends ein guter Teil 
der fogenannten obern Klafjen in einem Zuftande halber Trunfenheit. Unmäßiges Eſſen ift 
ebenfalls ein verbreitetes Lajter bei den Waganda. Felkin wurden Männer gezeigt, welche 
eine ganze Ziege auf einen Sit verzehrt haben jollen. Nicht minder groß find fie im 


Nahrung. Waffen. Schildformen im obern Nilgebiete. 461 


Rauchen, und zwar ſtehen hierin die Frauen den Männern nicht nad), wenn jchon fie nicht 
Ihnupfen und den Tabak nicht fauen. Der fehr gute Tabak von Uganda wird immer 
rein, ohne Beimifhung fremder Stoffe, verwendet; dabei wird er nicht in Kuchen geformt, 
jondern als ganzes Blatt gebraudt. 


Waganda und Wanyoro gehören als jehr kriegeriſche Völker zu den befjer bewaffneten 
Völkern Afrit3. Die Waffen der Waganda find Speere, meift von jehr guter Arbeit, mit 
etwa */s m langer Spige und ſchön geglättetem, ungefähr 2 m langem Schafte. Dazu 
tragen fie lange, ovale Schilde, die aus leichtem Holze gefertigt, etwas nad) rüdwärts ge- 
wölbt und mit ben dünnen Zweigen einer Schlingpflanze loſe 
überflochten find und den Körper faft ganz deden. In der 
Mitte find die Schilde erhöht und innen ausgehöhlt, um das 
Gewicht zu vermindern; an der Rückſeite ift ein Henkel aus 
Weidenzweigen angebracht, oft wie eine Eidechje oder font ein 
Tier geformt. (Wanyorowaffen |. ©. 459.) 

Hier mögen einige allgemeine Worte über die verjchiede: 
nen Schildformen geitattet jein, weldhe auf engem Raume 
im obern Nilgebiete und im Gebiete der äquatorialen Seen 
vorkommen. Diejelben laffen fich in zwei große Gruppen teilen, 
nämlich in geflochtene und in folde, die aus Haut gefer= 
tigt find. Für jene mag der Schild der Njam-Njam, für diefe 
der wohlbefannte Zulufchild als Mufter dienen. Jener befteht 
aus einem Geflechte von ſchwarzem und weißem Rohre, weldhem 
am Rande zur Befeftigung ein ringsum laufender, gleichfalls 
überflochtener Stab eingefügt ift. Die weißen Flechtitreifen 
bilden geometriihe Figuren an der Innen- und Außenjeite 
des Schildes. An der Innenſeite ift ein rechtediges ſchwarzes 
Griffbrett, mit weißem Rohre durchflochten, mitteld Rohrbän— 
der angebracht. Biel loderer und roher find die am Rande 
mit Fell bejegten Schilde der Weſt-Njam-Njam gearbeitet. — Bee BBnnyane 
Der Schild von Unyoro ijt ein ſpitz elliptijcher, flach gebo— ERENTO: AN 
gener Holzſchild mit jpigem, Fegelförmigem Nabel, an der Innen: und Außenfeite mit 
Rohr überzogen und am Rande mit Fell bejegt. Am entgegengejegten Ende diefer Reihe 
fteht der Schild der Schuli, der, ein verbefjerter Zulufhild, im Prinzipe aber diejem 
ganz ähnlich, aus einem Stüde dider Haut (Hippopotamus?) bejteht; er ijt rechtedig, 
an den Zangjeiten leicht ausgejchweift und aufgemwuljftet, und an der Hinterfeite läuft ein 
mit Federbufch gezierter Stab, der mit Fellitreifen umflochten, mit Eijenbändern befejtigt 
und mandhmal mit Eifenringen geſchmückt ift. Der Fauftichild der Turfany ift ebenfalls 
nad dem Mufter des Zulufchildes, beziehentlih Schulifhildes gebaut: dide Haut, recht: 
edig, jeitlich ausgejchweift, fellüberflochtener Stab mit zwei ebenfalls aus Fell geflocdhtenen 
Griffen an der Hinterfeite, das Ganze am Oberende mit Eijenringen geihmüdt. Wir 
begnügen uns für jegt, auf diefen merfwürdigen Gegenjag zweier Grundformen hinzuweiſen, 
von welden eine dur ganz DOftafrifa vom obern Nil bis zur Südoftjpige geht, während 
die andre auf abeſſiniſche, arabijche und ſudaniſche Formen deutet. 

Außer den Speeren gebrauchen die Waganda Bogen und Pfeile. Die ziemlich großen 
Bogen find ſchwer biegfam, die Pfeile ungefähr 1 m lang, oft mit furdtbaren Wider: 
haken verjehen und vergiftet. Wegen der außerordentlichen Steifheit der Bogen können bie 
Waganda mit einem Pfeile auf mehr als 30 m ficher treffen. Außer ihren heimijchen 





462 Die Völker in der Region der Nilquellfeen. 


Waffen beiten die Waganda jet eine beträchtliche Anzahl Flinten, mit welchen fie, nad) 
Wilfons Angabe, teilweife vortrefflih umzugehen willen. 

Die Bedeutung der Waganda als Nation beruht hauptſächlich auf ihren kriegeriſchen 
Einridtungen, die ihrem ganzen Leben wie der Regierung ihre eigentümliche Färbung 
verleihen. Jeder Mann, der Ehild und Speer führen kann, ift Soldat. Wenn der König 
mit dem Rate einen Kriegszug beichloffen hat, jo wird die große Kriegstrommel gerührt, und 
am folgenden Morgen verfammeln fi ungeheure Haufen von Kriegern vor dem Palaſte, 
zum Kampfe gerüftet. Die gewöhnlichen Kleider haben fie bis auf ein Zendentuch abgelegt 
und die Gefichter weiß oder rot gefärbt. In Unyoro tragen die Krieger als Kriegszeichen 
ein Bananenblatt ober ein Stüd Rindenzeug um bie Stirn. Der König fteht vor dem Palaſt— 
thore, mit einem Schilde und zwei fupfernen Speeren bewaffnet, die nur der König und 
die vornehmften Häuptlinge tragen bürfen, und um ihn ftehen feine Großen, ähnlich aus: 
gerüftet. Jede Kriegerabteilung fommt tanzend und fchreiend auf den König zu und ſchwört 
mit einer Reihe von Angriffsgebärden ihm Treue und Rache an feinen Feinden. Nachdem 
fie feitwärts abgetreten find, bildet fih um den König nad) und nad ein mädhtiges Heer, 
während in der Mitte ein Platz frei gehalten wird, auf welchem immer neue Kriegergruppen 
den Treufhwur leiften. Haben fi) die meiften Kämpfer in der näcdhjften Umgebung des 
Talaftes verfammelt, jo ruft der König die Häuptlinge auf, welche die Streitmacht zu 
befehligen beftimmt find, und gibt ihnen feine Aufträge. Darauf löft ſich die ungeheure 
Verfammlung auf. Die Führer laffen nun die verfchiedenen Butongoli, welche die Streiter 
zu ftelen haben, fommen; es wird beftimmt, wieviel jeder aufbieten, wann und wo er 
mit den andern zufammentreffen foll; die einzelnen Truppenteile marſchieren ab, und jo 
bricht allmählich das ganze Heer nad) dem Kriegsichauplage auf. In der Schlacht trägt 
jeder Mann zwei oder drei Speere; in ungeordnneten Mafjen rüden die Krieger tanzend und 
mit gellendem Gejchreie gegen den Feind vor; wenn fie nahe find, ſchleudern fie einen oder 
zwei Speere und fämpfen mit dem übrigbleibenden, wobei der Kampf Mann gegen Dann 
geführt wird. Fällt der oberfte Anführer, jo ergreift die ganze Armee die Flucht. Die Ge 
fangenen fallen jelbitverftändlih in Sklaverei, falls der Krieg nicht einer jener verheeren: 
den ift, in denen jeber Gefangene getötet wird, fo daß die Beute nur nod) in Herden be 
fteht. Außer diefen landwehrartigen Truppen bildet die Polizei ein ftehendes Heer, das in 
Unyoro (nad) Bafers Angabe) etwa 1000 Dann ftarfift. Dasſelbe bildet zugleich eine Garde, 
Wanofura genannt, welche den König beftändig umgibt, vom Raube lebt und in ihre Reihen 
jeden mweggelaufenen Sklaven, jeden Verbrecher oder läſſigen Schuldner willig aufnimmt. 

Stanley hat uns eine merfwürdige Schilderung eines Kriegszuges des Königs Mteſa 
gegeben, welcher für ihn jelbit und feine Unternehmungen jo wichtig geworden ift: Die 
einzelnen Häuptlinge folgten aufeinander, wie es jchien, ohne bemerkenswerte Ordnung, 
zuerft die Hilfstruppen, darauf die auserlefenen Krieger im Schnellichritte und mit dem 
Kriegsrufe: Kavya, Kavya’ (die beiden legten Silben des Wortes Mufavya, König) und 
dann die Leibgarde, in deren Mitte der König und fein erfter Minifter marfchierten. Der 
legtere trug einen Rod, den Mteja erit zum Geſchenke empfangen hatte, wahrſcheinlich, um 
etwanige Meuchelmörder zu täufchen, die dem Könige auflauern fonnten. Unter den jpäter 
folgenden Truppen befand fi aud) der Harem Mteſas mit jämtlihen 5000 Weibern. Jede 
einzelne Truppenabteilung war an dem ihr eigentümlichen Trommelfchlage erfennbar, we: 
nigitens für das Ohr der Eingebornen; fie marjchierten jchnell, „es ift ihre Gewohnheit, 
fich ftetS im Trabe zu bewegen, wenn fie irgend etwas unternehmen, das einen kriegeriſchen 
Charakter trägt”. Mteſa Hatte bei diefem Kriegszuge fein Geſicht feuerrot bemalt, auch 
jeine Armee hatte in verjchiedener Weife ſich ähnlich ausftaffiert. Um die fchredlihen Muzimu 
oder böjen Geifter zu befänftigen und geneigt zu machen, ift e8 gebräudlid, vor dem 


Heer. Flotte. Kriegführung. Charafteranlage. 463 


Beginne einer Schlacht alle die wirfjamen Zaubertränfe oder Zaubermittel Ugandas vor 
den Monarchen zu bringen, damit er fie mit feinem Zeigefinger berühren oder wenigftens 
auf fie hinweifen möge. Während der Schlacht fingen die Zauberer und Zauberinnen ihre 
Beihmwörungsformeln ab und heben ihre Zaubermittel vor dem Feinde hoc empor. Dem 
Getöfe und Gelärme, mit dem die Waganda in den Krieg ziehen, entjpricht aber nicht der 
Mut, mit dem fie denjelben ausfehten. Ganze Tage werden mit Zungengefechten ausgefüllt. 

Die Maganda befigen eine große Flotte von Kriegskanoes. Diefelben find an die zahl: 
reihen Sinfeln nahe am Ufer von Uganda verteilt, jo daß der Häuptling einer Inſel zwei 
oder mehr Kanoes unter feiner Obhut hat. Manche diejer Kriegstanoes fallen 40 Mann, 
und alle find gut gebaut. In jedem Kanoe befindet fich eine gewilfe Anzahl von Kämpfern 
und gewöhnlich Halb fo viele Ruderer, die durch Schilde gededt werden. Den Kriegsfähnen 
wird ein gebogenes, an der Spige mit einigen Antilopenhörnern gefhmüdtes Vorderteil 
angefügt, von welchem aus eine Franje von Gras zum Buge hinüberführt (f. Abbildung, 
©. 464). Geſteuert wird das Schiff von ben zwei legten Ruderern im Sterne. Stanley 
ichäßte die Kriegsflotte Ugandas auf dem Victoria Nyanza zu 325 Kähnen, aber im ganzen 
bejaßen die Waganda damals vielleicht 500 Kähne, der größte 20 m lang, die insgefamt 
mit 8600 Ruderern und Schiffern bemannt waren, aber zu Landungszweden 16—20,000 
Dann beherbergen konnten. Spefe fah bei den Wanyoro nur Einbäume Emin Bei 
bejchreibt Hleinere Barken, die er bei Rubaga ſah, mit aufgebogenen, mit Hörnern verzierten 
Schnäbeln, breiten Auglegern, die Lüden zwiſchen den einzelnen Planfen burd Lehm und 
Nindenftoff verdichtet. Statt des Schnabel3 wird auch ein langer, bdreiediger Sporn 
angebracht, wahrjcheinlihd um das Eindringen in das Schilfgebüſch zu erleichtern. Emin 
Bei fah in folhen Barken bei ftarfem Winde 2—3 Perſonen fi) auf den See wagen, 
wobei einer mit einem fchaufelförmigen Ruder fteuerte und ein andrer bald rechts, bald 
linf3 ruderte; er jelbft erprobte das Rudern in dieſen Booten als nicht ſchwierig. Gewiß 
darf diefe Art Schiffbau und das Hinauswagen auf das unfichere Element als eine bemer— 
fenswerte Thatfache im Leben diefer Völker verzeichnet werden. Sehr felten finden wir in 
Afrika bei den jo feit an die Erde gefeifelten Völkern des am wenigjten gegliederten Welt: 
teiles einen ähnlichen Fortſchritt. 


Werfen wir, ehe wir tiefer in die geiftigen Regionen des Lebens dieſer Völfer ein- 
dringen, einen Blid auf das, was von Charafteranlage in ihnen erfannt werden kann, 
jo wird zwar ſofort Har, daß in dieſer Anlage jo gut wie in den fonftigen geiftigen Fähig— 
feiten eine höhere Entwidelung uns entgegentritt, al3 wir jie bei manchen andern Afrifanern 
finden; allein jo groß ift der Abjtand doch noch nicht, daß er mit kurzen, Haren Worten 
bezeichnet werben könnte. Man kann fich wohl jagen, daß diefe Höhe der Gejamtkultur, 
diefe auf ein entferntes Ziel größerer Menſchenwürde unbewußt hinftrebende Neigung zu 
Drdnung und Neinlichfeit, die feitere, forgfältigere Regierung, die beffere Armee und jo 
vieles andre nicht in rein geiltiger Bafis fo aufgewachſen fein könne, fondern daß aud) 
mindeſtens etwas mehr von Stetigfeit und Fejtigkeit in den Charakteren jein müffe. Aber 
e3 ift das alles leichter an den Früchten zu erkennen, als in Worte zu fallen. 

Der hoch entwidelte Sinn für Gejelligfeit, den man bei diefen Völkern findet, 
wird von ihrer Vorliebe für Muſik unterftügt. Sie mögen hierin feine größern Künftler 
fein al3 andre Afrifaner, aber fie pflegen diejelbe in größerm Stile und mit mannig— 
faltigern Mitteln. Sie haben ſogar regelrechte Muſikbanden, wie 3. B. zu Spekes Em- 
pfange bei Mtefa zwölf Flötiften und fünf Trommler aufipielten. Das wichtigſte Inſtru— 
ment der Waganda ift die Harfe, Nanga, mit einem Refonanzboden aus Holz, der gewölbt, 
mit einer Tierhaut überzogen und mit 6-8 Darmfaiten überjpannt ift. Das Inſtrument 


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Die Böller in der Region ber Nilquelljeen. 


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Doote der Waganda (nad den Zeichnungen Speed, Stanleys und Wilfons). Bol. Tert, ©. 463. 


Muſik. Gefang. 465 


wird mit den Fingern geipielt. Trommeln, Ng’oma, befigen die Waganda von allen Größen 
und Formen. Einige große Trommeln von bejonders jhönem Tone, wovon einzelne das 
Werk früherer Könige find, befinden ſich im Befige der Fürften. Jede hat ihren eignen 
Namen, wird forgfältigft bewacht und nur bei feierlihen Gelegenheiten gebraudt. Die 
Madinda, welde in der Regel von Knaben gejpielt wird, ift eine Marimba ohne die Re 





fonanzförper aus Kürbiffen. Flöten, Noelle, aus Schilf oder dem Stiele einer bolden: 
tragenden Pflanze, und Hörner, Ng’ombe, aus den Hörnern des Rindviehes und der Anti: 
(open gefertigt, die man von ber Seite bläft, find weitere beliebte Jnftrumente. Außer 
diefen Mufifinftrumenten werden noch um Hand- und Fußgelenke befeftigte Heine eiferne 
Glöckchen gebraudt, die man beim Tanze erklingen läßt. Flaſchenkürbiſſe, mit trodnen 
Erbjen gefüllt, werden als Raffeln verwandt und gehören zum Apparate der Wunder: 
doftoren. Beltimmte Weiſen werben bei bejondern Gelegenheiten gejungen oder gefpielt, 
fo 3. B. eine Milele genannte bei großen Empfängen. 

Den Gejang begleiten die Waganda gewöhnlich mit der Nanga oder Harfe. Es gibt 
Sänger von Beruf, die vom Könige und den Häuptlingen am Hofe gehalten werden und 
immer im Gefolge des Königs find. Beim Singen improvifieren fie oft, da ihre Sprade 

Völkerkunde. I, 30 


466 Die Böller in der Region ber Nilquellfeen. 


fih hierzu befonders eignet, und verflehten darein Anfpielungen auf Tagesereignifje oder 
anmejende Perſonen. Mande ihrer Geſänge verherrlihen den König oder große Häupt- 
linge, andre find Kriegslieder, wieder andre Totenklagen, Trauergefänge um den Tod eines 
Häuptlinges oder Kriegerd. Wir geben (nah Wilfon) zwei Proben, deren erſte einen 
Gefang zum Preife Mtefas, die zweite eine Klage um einige tote Häuptlinge barftellt. 


J. | Der Sohn des Königs, 
Deine Füße find Hämmer, ! Er ift nicht ſtolz, 
Du Sohn des Waldes!. | Neichlich fchentet er Palmenwein. 
Groß ift die Furcht vor bir, Zubinga, Zubinga! 
Groß ift bein Zorn; Er, von bem ich rede, 
Groß ift bein Friede, | Er ift nicht ftolg, 
Groß deine Mad. Denn reichlich ſchenlet er Palmenwein. 
II. Miwenda, Miwenda! 
Der du bie Menſchen trennfi!? Der in Chikongi? weilt. 
D Sematimba! | Er, von dem id) rede, 
Sie opferten Biegen; Er ift nicht ſtolz, 
Sie opferten Ziegen umjonft für ihn. Denn reichlich jhenfet er Palmenmwein. 


Außer ihren halbgefhichtlihen Königsfagen, auf die wir zurückkommen werben, haben 
diefe Völker, gleich andern Afrifanern, viele an Buchmann: und Hottentottenfabeln erin- 
nernde Tiergeſchichten. Hier ein Beifpiel: Eines Tages ſchloß das Krofodil mit dem 
Hafen einen Freundichaftsbund, und nachdem er feierlich vollzogen war, fagte ber Haſe zum 
Krokodile: „Nimm mich mit in dein Haus, mein Freund, daß ich es jehe”. Und fie gingen 
nad) dem andern Ende der Inſel; als fie dort anfamen, jagte das Krofobil zum Hafen: „Geh' 
in das Haus, während ich ein Geſchenk ausfuche, und rufe mein Weib und meine Kinder, 
daß fie fommen und did) begrüßen”. Da ging der Haſe hinein, und das Krofodilweibchen 
empfing ihn mit ihren Kindern. Darauf ging fie in den Garten, um Bananen abzujchneiden, 
und ließ die Kinder im Haufe. Als fie weg war, bemerkte ber Gaft die Kinder unter der 
Dachtraufe des Haufes, padte fie und fraß fie auf. In der Angft vor Entdedung rief 
er hierauf dem Weibchen zu: „O, liebe Freundin, rufe deinen Mann, daß er mid aufs 
Feftland hinüberbringt, denn die Häufer auf der andern Seite der Infel brennen”. So 
rief fie ihren Mann berbei, der den Hafen auf den Rüden nahm und fi in den See 
ftürzte. Als er in der Mitte war, fam das Weib ans Ufer gelaufen und ſchrie: „Krokodil! 
Krokodil! Krokodil!” Aber ihr Mann, der in den Wellen ein großes Gepläticher machte, 
hörte nicht recht, was fie jagte, und fragte den Hafen: „Was meint meine Frau?” — „Sie 
jagt”, antwortete jener, „bu ſollteſt dich eilen, denn die Häujer ftünden alle in Flammen.“ 
So ſchwamm das Krofodil ans Feitland hinüber, und ber Hafe lief fort in den Wald, 
Aber als das Krofodil heimkam, empfing es fein Weibchen mit den Worten: „Du Thor, 
ich rief dir doch zu, daß der Gaft unfre Kinder gefreſſen habe!” 

Das Zahlenſyſtem diejer Völker jheint dem unfrigen an Durchbildung nicht nad 
zugeben, denn bis 1000 befigen die Zahlen eigne Namen (f. ©. 147). Bei Botihaften und 
Erzählungen unterftügen die Waganda ihr Gedächtnis durch Auflegen von Stäbdhen und 
dergleihen; fo ließ 3. B. Mtefa ein Regiment von 1600 Mann zählen, indem er fie ebenfo 
viele Bündel Holz von einem Drte zum andern tragen ließ. Als Speke fi der Hauptftabt 
Ugandas näherte, kamen ihm Fönigliche Pagen mit drei Stäben entgegen, beren jeber einen 
Wunſch des Königs bedeutete. Der erfte meinte ein im Traume vom Geifte eines Ver: 
ftorbenen geplagtes Haupt, ber andre das Verlangen nach einem kräftigen NReizmittel, der 


* Der Sohn bes Waldes ift ber Löwe, das Symbol ber Königswürde. — ? Umfchreibung für Tod. — 
° Ehilongi ift ber Begräbnisplatz des Miwenda. 


Dichtung. Sagen. Spiele. 467 


dritte den Wunſch nad einem Mittel, um die Unterthanen in Furcht zu erhalten. Sn der: 
jelben Weije zählte an drei Stäbchen die Königin-Mutter ihre Klagen auf. 

Die jungen Männer von Uganda find geſchickt im Ringkampfe. Sie beginnen jedes: 
mal damit, den Gegner nur mit der rechten Hand zu faffen, während fie die linfe auf 
dem Rüden halten, bis fie einen feften Griff gethan haben; dann fommt aud, dieje ins 


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Gegenflände aus der Shaklammer des König Rumanila von Karagme (nah Stanley). 


Spiel. Selbſt Knaben fordern ſich zu Fauftlämpfen heraus. Felkin jah bei den Wanyoro 

einen an die Tänze der Zulu erinnernden Kriegstanz mit Speer und Schild, aber auch 

Tänze, deren Unanftändigfeit jeder Belchreibung jpottet. Das einzige eigentliche Spiel, 

welches die Waganda kennen, ift das Mwejofpiel, das, wie bei ben Arabern und Weſt— 

afritanern, auf einem mit 32 Löchern verjehenen Brette von zwei Perjonen mit einer 

beftimmten Anzahl Steine gejpielt wird und bejonders große Zählfertigfeit verlangt. Die 
30 * 


468 Die Böller in der Region der Nilquelljeen. 


Kinder fieht man in Uganda, wie überall auf der Welt, am Wege Lehmkuchen formen 
oder im Spiele die Beihäftigungen der Erwachſenen nachahmen. 


Die Religion diefer Völker ift nach dem Geftändniffe eines einfichtigen Miſſionars 
(Wilſon) eine in mander Hinfiht vernünftigere al3 die vieler andrer Negerftämme. 
Eigentliher Gößendienft ift unbefannt. Die Waganda und Wanyoro glauben an ein 
höchſtes Wejen, Katonda, das Welt und Menſchen erſchaffen hat; doch wird es nicht 
mit Gottesdienft verehrt, da e8, wie fie glauben, viel zu hoch fteht, um fi um die Menſchen 
zu fümmern. Dieje Auffaffung erfheint vielleicht zu optimiftifch, wenn man aud) nicht mit 
Spele den Geift des Glaubens diefer Völker in einer „Steuer an gewiſſe böje Geifter” 
erfennen mag. Sie verehren allerdings hauptſächlich niedere Gottheiten 
oder Dämonen, Lubari genannt; biejelben find aber faßbarer, als viele 
Geifter Afrikas zu fein pflegen; fie jollen beftimmte Pläte oder Gegenden 
bewohnen und über verfchiedene Gegenftände eine befondere Macht aus: 
üben. Der höchſte und gefürdhtetfte unter ihnen ift Mukuſa, der Gott 
oder Zubari des Nyanzafees, der wie ein Neptun in dem Eee lebt und 
jeine Gewäjler beherriht. Von Zeit zu Zeit nimmt er feinen Aufenthalt 
in irgend einer Perfon, Mann oder Weib, welder von da an als dem 
Drafel des Gottes übernatürlihde Mächte zugejchrieben werden; fie joll 
Krankheiten heilen, den Regen fern halten, Krieg, Hungerönot und 
Peftilenz herbeiführen und die Zukunft vorherfagen können und befigt 
als Bertreter und Verkörperung bes Gottes einen ungemejjenen Einfluß 
auf das Gemüt des Volkes ſowie der Häuptlinge, übt aljo mittelbar 
ch eine bebeutjame Gewalt über die Regierung des Landes aus. Vor einer 
No Reife opfern die Waganda jedesmal dem Mukuſa, um ihn günftig zu 
2. — 9. Stimmen; dabei ſammeln ſich die Kanoes in einiger Entfernung vom Ufer, 
geln befeplagen, derbeim der Häuptling erhebt ſich, legt einige Bananen oder andre Lebensmittel 
Schwure in der Hand auf ein Ruder und bittet, während er diejelben über das Waffer hält, 
ea nteauiperarg ben Gott, ihnen eine gute Neife und glüdliche Heimkehr zu gewähren. 
Bol. Tert, 5.409. Dann wirft er die Früchte ins Waſſer, indem er den Gott auffordert, 
fie zu holen. Andre Dämonen find Chiwuha und Nenda; fie find Kriegs: 

götter und follen bejtimmte, von eignen Wächtern behütete Bäume in verjchiedenen Gegenden 
von Uganda bewohnen, unter weldhen die Waganda vor dem Auszuge in die Schladt beten 
und lebende Tiere, Ziegen, Schafe und Rinder, legtere immer von ſchwarzer Farbe, als 
Opfer darbringen, die von den Wächtern der Bäume im Namen der Götter in Empfang 
genommen werden. In einigen Teilen des Landes gibt es Flußgottheiten, welchen mit- 
unter Menjchenopfer dargebracht werden. Die frühern Könige von Uganda gelten ebenfalls 
für eine Art von Halbgöttern; die Erhaltung ihrer Gräber ift eine religiöje Angelegenheit, 
e3 werden Gebäude über denjelben errichtet, welche einer der erften Häuptlinge bejtändig 
zu beauffichtigen hat, und in diefen Gebäuden gelegentlich auch Menſchenopfer dargebradht. 
Die um diefe Gräber gepflanzten Bäume werden, um die Verhaltungsweije des herrjchenden 
Königs in beftimmten Fällen aus denjelben zu entnehmen, von weijen rauen beobachtet, 
deren Orakel gebietende Macht zuerfannt wird. Der Dämon Ndaula ſcheint mit einem 
der frühern Könige von Uganda identifch zu fein. Er wohnt auf dem Gipfel des Berges 
Gambaragara, verhängt die Blattern über das Land und wird als deren Verkörperung 
verehrt, d. h. gefürchtet. Auch der Donner genießt göttlihen Anjehens, und auf der Stelle, 
wo fie den Blig haben einſchlagen jehen, errichten die Eingebornen entweder einen Bogen, 
unter welchem fein Fremder durchgehen barf, oder eine Feine Hütte. Auf die von ihren 


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Religiöfe Borftellungen. Prieſter. Feſttage. Kosmogonifche Sagen. 469 


gefürchteten Heilfünftlern, Mwanda, verfertigten Talismane, bie, wie bei andern Negern, 
aus allerlei Seltjamfeiten bejtehen (f. Abbildung, ©. 468), halten die abergläubijchen 
Waganda große Stüde. 

Man weiß nicht, ob von Natur das Gebiet des Aberglaubens jo weit bei dieſen 
Völkern ift, oder ob es nur jo weit jcheint, weil wir beſonders genaue Beobachtungen über 
diefelben befigen. Wahrſcheinlich hat auch in diefer Beziehung eine breitere Entfaltung bier 
ftattgefunden als bei ben jozial und politifch tiefer ftehenden Völkern. Der Herenglaube ift 
in Unyoro und Uganda nicht minder verbreitet als der an Vampire oder dämoniſche 
Menichenfreffer. Man glaubt, daf es Menfchen gebe, die nachts ihre Hütten verlaffen und 
Wanderer töten, um deren Fleiſch entweder zu verzehren, oder es zu allerlei Zauberfünften 
zu verwenden. Zwar behalten dieſelben die menſchliche Form bei, verjtehen e8 aber, durch 
Zauber fi) unangreifbar zu machen. Lanzenftihe und Schüffe I haben ihnen nicht, nur mit 
gewiſſen Stöden fann man fie jo lange vor fich hertreiben, bis fie bei Tageslicht ſichtbar 
und kenntlich werden. Diefe Leidenſchaft für Menjchenfleifch iſt in gewiffen Familien erblich, 
deren Glieder weder zur Heirat noch zum Dienfte taugen, weil fie nicht alle Speijen eſſen 
und widermillig find. Wer mit ihnen zufammen gewejen, flieht fie, will aber nicht jagen, 
was er gejehen! Außerdem gibt es Heren, welche durch ihren Blid Speifen vergiften und 
fie andern zu ejjen geben, die dann von den heftigften Schmerzen befallen werden. Nur 
wenn bie betreffende Frau, denn nur Frauen vermögen ſolchen Zauber, gefunden und 
gebracht wird und dem Erkrankten dreimal auf den Leib fpudt, vergehen die Schmerzen. 
Unendlid groß ift die Zahl der Vorbebeutungen und der geweihten Tiere und Dinge. Das 
Hervorbrechen der obern Schneidezähne vor den untern ift unheilbringend und muß durch 
Tänze des Zauberers geheilt werden. Ein den Weg freuzender Büffel oder eine Zwerg: 
antilope bringt den Waganda Unglüd, der Tragelaphus bedeutet Glüd. Ebenfo allgemein 
it bei Männern wie Frauen ber Glaube an den böjen Blid, deſſen Einflüffe bis zum 
Tode des von ihm Betroffenen gehen können, 

Die Waganda haben allem Anjcheine nad) feine beftimmten Fefttage ober Feftzeiten, mit 
Ausnahme des Tages, an welchem der Mond zum erftenmal wieder erjcheint; dann werden 
Flinten abgefeuert und die Trommeln gerührt (ſ. Abbildung, ©. 470). Wilfon glaubt, daß 
diefe Sitte von den Arabern eingeführt worden jei, da er fie nur in der Hauptftadt beobad): 
tete. Sie dürfte aber Doch tiefer mit dem Glauben oder Aberglauben der Waganda zufammen: 
hängen. Wenigftens legt König Mteja, wie wir jhon von Speke willen, jehr großes Gewicht 
auf die Beobachtung diefer Periode, die ihn für mehrere Tage in feinem Zauberfreife mit 
allen möglichen Talismanen und Amuletten gefejjelt hält. Speke nennt biefe Beichäftigung 
„Die Unterfuchung des religiöfen Zuftandes des Landes“. Jeden dritten Neumond rafiert ſich 
der ganze Hof den Schädel, mit Ausnahme der vorgejchriebenen Kämme, Haarbüfchel ꝛc. 

Sn der Schöpfungsfage diefer Völker wird der merkwürdige Grundzug aller äthio- 
pifhen Kosmogonie, die Chamäleonsfage, nicht vermißt; aber der Geſchichte vom erjten 
Menſchenpaare liegen vielleicht fremde Anjhauungen zu Grunde, wie fie von der Küfte her 
importiert werden konnten. Die Rolle, weldye dem Monde zugeteilt wird, und die Er: 
Härung feiner Flede laſſen fih dagegen bis auf die Hottentottenfagen im fernen Süden 
des Erbteile3 verfolgen. Emin Bei hörte folgende Sagen von den Himmelsförpern und 
der Schöpfung in Unyoro: In uralter Zeit, jagen die Wanyoro, waren der Menjchen 
viel auf der Erde. Sie ftarben nie, jondern lebten ewig. Da fie aber übermütig wurden 
und feine Gaben darbrachten, ergrimmte der „große Zauberer” (Niavankja oder Kagra), 
ber bie Gejchide der Menſchen lenkt, warf das ganze Himmelsgewölbe auf die Erde nieder 
und tötete fie alle. Um aber bie Erde nicht verödet zu laffen, ſandte der große Zauberer 
einen Mann und eine Frau „von oben‘ hernieder. Beide waren geſchwänzt. Sie zeugten 


470 Die Völker in der Region ber Rilquellfeen. 


einen Sohn und zwei Töchter, die miteinander Umgang pflogen. Eine gebar ein efelhaftes 
Tier, das Chamäleon (Waifelifotto), die andre einen Riefen, den Mond. Beide Kinder 
wuchſen auf; bald aber entitanden zwiſchen ihnen Streitigkeiten, denn das Chamäleon war 
böje und heimtüdifh, und zulegt nahm der große Zauberer den Mond hinauf, von wo er 
noch immer zur Erde herabichaut. Um jedoch an jeine irdiſche Herkunft zu erinnern, wird 
er groß und leuchtend und nimmt dann ab, wie um zu fterben, ftirbt aber nicht, ſondern 
geht in zwei Tagen um den Horizont von Dften nad) Welten und erjcheint, müde von der 
Reife, Hein am Wejthimmel wieder. Die Sonne aber ergrimmte jo heftig über ihren neuen 
Nebenbuhler und brannte ihn fo ftark, daß noch heute die Flede in feinem Gefichte fichtbar 


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Neumondfeſt in Karagwe (nad Grant). Bol. Tert, S. 469. 


find. Das Chamäleon und jeine Nachkommenſchaft bevölferten die Erde, die Schwänze gingen 
verloren, und die urſprünglich bleihe Hautfarbe warb unter der glühenden Sonne bald zur 
dunfeln. Auch heute noch find die Himmelsiphären von Leuten bewohnt, die geſchwänzt find 
und viele Herden haben. Die Sterne find Wächter, welche der große Zauberer während 
der Nacht ausftellt. Die Sonne endlich it von riefenhaften Leuten bewohnt. Als eines 
Abends Emin Bei nah dem Namen der gerade jehr hell am Himmel ftehenden Venus 
fragte, antworteten ihm die Wanyoro: „Nyanfi ja kuehſi“ („Geliebte des Mondes”). 


Die Negierung der Waganda und Wanyoro ift das reine Feudalfyftem. Der 
Theorie nad) beherrſcht der König das ganze Land, doch ift dies nicht viel mehr als eine 
Scheinregierung, denn in Wahrheit gehört das Land den drei oberften Häuptlingen des 
Reiches. Wenn nun aud das Königtum in Wirklichkeit beſchränkt ift, jo kommt ihm doch 
eine impofante Stellung im Äußerlichen, im Formalen, zu. Der Maffe des Volkes fteht der 


Regierungsſyſtem. Hofgeremoniell, 47] 


Herricher ala unbeſchränkter Gebieter gegenüber, denn er verfügt frei über Leben und Tod 
und fühlt fih nur im engen Kreife der oberften Höflinge gebunden. Diefe Gebundenheit, 
die durch Naturen von Herriderfraft und Energie noch jehr weit eingeengt werden mag, 
nimmt ben Herrſchern diejer Länder im wejentlichen nichts von dem Charakter des Defpoten, 
wie ihnen auch jelber nicht im geringiten das Hocgefühl ihrer Würde fehlt. Mit Recht 
rief der Araber Nafib Spefe zu: „Dieje Wahumakönige find nicht wie die, welde Ihr in 
Unjammeji und fonftwo jaht; fie haben Offiziere und Soldaten glei) dem Sultan von 
Zanzibar”. Diejer hohen Stellung des Königtumes entipricht der apologetiſche Charakter 
feiner jagenhaften oder bejjer märdenhaften Geſchichte, der von folder Stärfe ift, daß 
jelbft der Huge König Rumanifa, der vielgepriefene Freund Spefes und Stanleys, ſchon 
über feinen Vater und unmittelbaren Vorgänger in den fabelhafteften Phantafien ſchwelgte. 
Er erzählte 3. B. Spefe (1861) folgendes: „Als diefer König geftorben war, wurde er 
nad Sitte der Väter in eine Kuhhaut genäht und drei Tage auf dem See ſchwimmen 
gelaffen, bis die Zerjegung begann und drei Maden aus feinem Körper geboren waren, 
welde in den Palaft getragen und dem Thronerben zur Pflege übergeben wurden. Aber 
ftatt zu bleiben, was jie waren, verwandelte ſich die eine in einen Löwen, die andre in 
einen Leoparden und die dritte in einen Stod. Der Leichnam des Königs aber wurde 
auf einen Berggipfel gebracht, wo eine Hütte über ihm errichtet und mit ihr fünf Jung: 
frauen jamt fünfzig Kühen von einer Umzäunung umgeben wurden, in der fie alle Hungers 
jtarben. Nod wunderbarer war Rohinda, diejes Königs Vater, der jo lange lebte, daß 
er endlich fich jelbit aus der Welt zauberte, um nicht feinen Sohn und Erben zu ewigem 
Harren zu verdbammen. Er wurbe auf demielben Berge, Moga:-Namirinzi, begraben wie 
Ipäter Dagara; aber aus feiner Bruft entjtand ein junger Löwe, ber den Berg hütete, und 
aus dem Berge famen weitere Löwen hervor, big die ganze Gegend von ihnen bevölkert 
war, was Karagwe ringsumher gefürchtet machte. Dazu fam aber noch, daß diefe Löwen 
dem Willen des jungen Königs Dagara gehorchten, der infolgedeffen mit einem Löwen— 
heere zu Felde zog, vor dem fein Feind ftandhielt.” Aber ſogar von ſich ſelbſt behauptete 
Rumanika wunderbare Dinge, welche, jo unglaublich fie jchienen, entweder von ihm felbft 
geglaubt wurden, oder an welden ber „gute Ton’ an feinem Hofe nicht zweifeln ließ. 
Sie waren offenbar erfunden, um jein Necht auf die Thronfolge zu befräftigen, das natür- 
lich auch hier feindliche Brüder in Frage ftellten. So erſchien 3. B. vor ihm und feinen 
zwei Brüdern nad) dem Tode ihres Vaters eine ganz Feine Zaubertrommel, welde an 
ſich federleicht, aber jo jehr mit Zaubern erfüllt war, daß nur derjenige fie aufheben 
fonnte, den die Geifter als den rechtmäßigen Erben bezeichnen wollten. Rumanika bob fie 
natürlich mit dem Eleinen Finger, während feine Brüder jich vergebens bemühten. Ferner 
erzählte er, daß jeder Thronerbe, ehe er jein Reich antrete, an einer beftimmten Stelle des: 
jelben ſich auf die Erbe jete, worauf diejelbe fi gerade hier wie eine Säule erhebe und 
den Darauffigenden in die Wolfen trage. Sei er rechtmäßig, jo finfe fie langjam wieder 
herab; im entgegengejegten Falle aber ftürze fie zufammen, und er zerfchmettere 

Das Hofzeremoniell nimmt ſowohl in Uganda als in Unyoro einen Raum im Leben 
der Nation ein, ber den Eindrud des Übertriebenen, des Unwahren macht. Der Charakter 
der Dligofratie tritt aber auch hier hervor. Dem Könige, welcher der Maſſe des Volfes als 
in der Regel unnahbar gilt, darf ſich das Wolf nur bei bejondern Gelegenheiten nahen; 
aber von den höchſten Würdenträgern umgeben einige ihn faft beftändig, und ein Teil der 
Häuptlinge ift jogar gezwungen, am Hofe zu leben. Läßt fi der König herab, Fremde 
in feine Gegenwart zuzulaffen, jo geidhieht dies mit großem Pompe. „Als ich den eriten 
Hof paffiert hatte“, jchreibt Spefe über jeinen Empfang bei König Mteſa, „war ich nod) 
mehr erjtaunt über bie ungewöhnliden Zeremonien, die mich erwarteten. Hofleute von 


472 Die Völker in ber Region der Nilquellfeen. 


hoher Stellung, die aufs forgfältigite gefleidet waren, traten vor, um mich zu begrüßen. 
Männer, Weiber, Hunde, Ziegen jah ih an Striden vorüberführen. Männer trugen 
Hähne und Hennen in den Armen; Heine Pagen mit Schnurmützen rannten mit Botichaften 
umber, die fie mit einem Eifer beftellten, als ob ihr Leben von ihrer Schnelligkeit abhänge, 
und jeder hielt feinen Fellmantel feft um den Körper, damit nicht zufällig feine nadten 
Beine zum Vorfcheine kommen möchten.” Tanzende Mufifanten führten dann den Zug in 
die Halle, wo der König auf dem Throne ſaß, auf drei Seiten von Höflingen umgeben, Die 
im Staube fauerten, in feiner nächſten Nähe die vertrauten Höflinge, einige Zauberinnen 
und das Symbol Ugandas: Weib, Hund, Speer und Schild. Vor ihm waren Leoparben- 
felle, jene Zeichen königlicher Würde, ausgebreitet, und bie foftbarften Trommeln des Palaftes 
ftanden zur Schau. Unfähig, fich zu unterhalten, jaß der weiße Mann eine Stunde, gaffend 
und begafft, bis der König ſich mit der Frage erhob, ob er ihn gejehen, und ſich mit bem 
angeblid „dem Löwen abgejehenen, nad) auswärts gefpreizten Schritte entfernte, welcher 
in Uganda für majeftätifch gilt“, auf Spefe aber nur den Eindrud des Watſchelns machte. 
Eine fpätere Audienz wurde durch Hunderte der föniglihen Weiber verſchönert, von deren 
Reizen indeſſen alle Unterthanen Ugandas ihre Augen ftreng abwenden mußten. Den 
näditen Morgen fand Speke in jeiner Hütte 20 Kühe und 10 Ziegen als Gaſtgeſchenk bes 
Königs, der ihm herablafjend jagen ließ, daß er ihm wohlgefallen. Der Kreis von Zauberei 
und abergläubifchen Meinungen, in dem alle Waganda leben, ift doppelt ſtark um ihren 
König gezogen, eine Wolfe von Unfinn, in der er wandelt und handelt. Speke jagt: 
„Aberglaube ift hier in diefen dunfeln Regionen jo reif, wie er einft zur Zeit Nebukadnezars 
war, Nichts darf unentzaubert ihm gereicht werden, was feine Hände berühren jollen. 
Durch Wiſchen mit Hand und Geſicht zieht der Träger den Zauber heraus. Daher ijt das 
Darbringen unter diefen Zeremonien ein wichtiges Geſchäft, und in den Audienzen drängen 
fich Weiber, Kühe, Ziegen, Geflügel, Schalen mit Filhen, Körbe mit Eleinen Antilopen, 
Stachelſchweine, feltfame Ratten, die feine Jäger gefangen, Rollen Mbugu feiner Zeug: 
verfertiger, Farberden, Stäbe und andre Zaubermittel feiner Magier, was alles auf dieje 
Weiſe entzaubert und dargebradht werben ſoll.“ 

Den Hofitaat und Rat des Königs fegen falt nur die Wakungu oder Adligen zufam: 
men. Die Würde ber drei leitenden Wakungu ift erblid. Der erjte Beamte des Staates 
aber nad) dem Könige ift der Katifiro oder Neich$fanzler, der vom Könige ernannt wird 
und fein Amt auf Lebenszeit, oder folange e8 dem Könige beliebt, behält. Er hat ben 
Vortritt vor allen andern Großen ſowie im Rate den Pla an der Seite des Königs. 
Außer diefen Perſönlichkeiten leben no zwei von hoher Bedeutung am Hofe, der erite 
Brauer und der Hauptloh. Sie nehmen eine hervorragende Stellung am Hofe ein, figen 
nahe beim Könige und beteiligen fih am Großen Rate. Diejer große Rat, Luchiko, ift 
die eigentlihe regierende Madt im Staate. Er bejteht aus dem Könige, dem 
Katikiro, den Wakungu und oberjten Watongoli, ferner dem Oberkoche, dem Brauer und 
einer oder zwei andern Hoffreaturen. Unter gewöhnlichen Umständen verfammelt fidh ber 
Rat tägli und bringt einige Stunden mit der Beratung der Staatsangelegenheiten zu. 
Die Häuptlinge haben das Recht, die Berufung desjelben zu verlangen, wenn fie es für 
nötig finden. Wenn aud in geringfügigern Dingen der König willfürlih handeln fann, 
muß er doch in allen wichtigen den Rat befragen, und wenn Häuptlinge und Rat vereinigt 
etwas begehren, jo würde fein König wagen, es abzulehnen, wenn er nicht jofort abgedanft 
und durch einen andern Herricher erjegt werden wollte. Alle Häuptlinge haben brei Monate 
nacheinander in ber Umgebung des Königs zuzubringen; die übrigen neun Monate des 
Jahres dürfen fie auf ihren Landgütern leben. Dod wohnen die meiften Wakungu und 
die höchſten Watongoli bejtändig in der Hauptſtadt, wenn fie nicht auswärts im Kriege find. 


Hofftaat. Geſellſchaft. Nechtöpflege. 473 


Sn politifher Beziehung fann man die Waganda in vier Klafjen einteilen, nämlich 
in SHlaven, Wakopi oder Bauern, welche den Grunbdftod der Bevölkerung bilden, Watongoli 
oder Häuptlinge zweiten Ranges und Wakungu, Häuptlinge erften Ranges. Die Wakopi 
find in vieler Beziehung die wichtigfte Klaffe, teild wegen ihrer großen Zahl, teils weil 
fih aus ihnen das Heer zufammenfegt, dad dem Namen der Waganda in allen Nachbar: 
(ändern einen gefürchteten Klang verjhafft Hat. Aus ihren Reihen rekrutiert fich die zweite 
Rangklafje der Häuptlinge, und die Söhne der Watongoli werden, da die Würde nicht 
erblich ift, wieder Wafopi. Die Watongoli, die Häuptlinge zweiten Ranges, verwalten Pro: 


— 
2 
— 
— 
— 
—— 
— 
— 
— 
— 
— 
= 





Nah 


Haußgeräte der Wanyoro: 1 und 2 Töpfe; — 3, 4 Schüffeln aus Holz; — 5 Schüffel aus Thon; — 6 Unterfah; — 
7 Ehtörbihen (ethnographiſches Muſeum, Wien). Bal. aud) die Abbildungen, ©. 33, 


vinzen unter der Herrichaft der Wafungu und haben in Kriegzeiten eine beftimmte Anzahl 
Soldaten zu ſtellen. Durch dieje Hierardie von der Regierung naheftehenden Beamten 
oder, wenn man will, Höflingen, die beftändig in Bewegung von und nad) dem Sitze der 
Regierung find, wird der innere Zufammenhang in der Verwaltung des Landes ein fefterer. 
Der König oder feine Ratgeber willen, was im Lande vorgeht, und haben die Mittel, bis 
in die Peripherie fräftig zu wirken. „In Uganda geht nichts verloren”, jagt Emin Bei, 
und in der That erhielt er alle feine in und bei Rubaga vermißten Laſten wieder, ehe er 
Mtejas Gebiet verließ. Alle diefe Häuptlinge find durch ihren Rang Beamte oder Richter 
in ihren Gebieten, doch müſſen alle wichtigern Fälle vor die oberiten Wafungu, den Reichs: 
fanzler oder vor den König jelbft gebracht werden, an deſſen Schiedsſpruch der Angeklagte 
appellieren fann. Es gibt natürlich fein Geſetzbuch, nad weldhem die Streitfragen ent: 
ſchieden werden; doch beitehen gewiſſe Gejege der Billigfeit, nach welchen das Urteil gefällt 


474 Die Völker in ber Region ber Nilquellfeen. 


wird. Die Verurteilten werben in ben Stod gelegt, verftümmelt oder getötet. Der Stod 
befteht aus einem ſchweren Holzblode mit einem Loche, durch welches der Fuß geitedt wird; 
ein hineingetriebener Pflod verhindert das Herausziehen besfelben. Ein ähnlihes In— 
firument bildet Du Chaillu aus Nihogo ab. Dieje Strafe wird bei Kleinen Vergehen, 
bei unbebeutendem Diebitahle und Widerfeplichfeit der Weiber und Sklaven, angewendet. 
Oft wird Diebftahl dur den Verluft der Hände, der Naje, des Ohres gebüßt. Auf Ehe: 
bruch fteht die Todesftrafe, unter Umftänden aud auf Mord; doc begnügt man fi da 
meiftens mit einer Geldftrafe. Die Waganda haben verſchiedene Hinrihtungsarten, Köpfen 
und Hängen find bie 
gewöhnlichiten, Men 
ſchenopfer werden 
ftet3 geföpft. Für bie 
Ihlimmften Berbre- 
chen beiteht eine 
Strafe, bei welcher 
das Opfer fi lang— 
jam zu Tode blutet: 
der Körper wird mit 
iharfen Schilfſplit— 
tern tief vermunbet 
und jedes größere 
Blutgefäß forgfältig 
vermieden, Mteſa 
hält ein kleines Heer 
von Scharfrichtern, 
von denen einige bei 
Hofe immer in feinem 
Gefolge find. Sie 
tragen ein Seil um 
den Kopf oder einen 
wirren Kranz von 
Gras, um die Wild: 
NUTFE heit ihrer Erſcheinung 
— zu erhöhen. 
Gefangener in Nſchogo (nah Du Chaillu). Bgl. auch die Abbildung, ©. 446, Fig. 7. Die Grauſam— 
feit ijt ein zu jcharf 
hervortretender Zug in den Regierungsmarimen Ugandas, um nicht über alle Proſpekte 
höherer Entwidelungen einen büftern Schatten zu werfen. Sie ftört jederzeit und allerorts 
die Entfaltung des Bildes höherer Kultur, deffen Grundzüge man als etwas Entftehendes 
durchſchimmern zu jehen glaubt. Scharf zeichnet Emin Bei den Kontraft, den die Ver: 
wüftung der Menjchenleben jelbjt in dem Frieden der Natur aufwirft, indem er auf dem 
Wege von Rubaga nad dem Uferewe jchreibt: „Wie durch einen Garten marſchieren wir 
zwiihen Bananenwäldern und Häufern dahin; hat der Menſch irgendwo eine Lüde gelafien, 
jo it Mutter Natur um fo eifriger bedacht geweſen, fie zu füllen mit grandiojer Grasvege— 
tation und eleganten, jchlanfen Bäumen. Beltändig wechſeln fünftlihe und natürliche 
Gärten, nur fünnen fid) jene, Bananen und füße Bataten, mit diefen nicht mejjen, weder 
an malerifcher Schönheit noch an mannigfaltiger Glieverung. Ein jchönes, gejegnetes 
Land mit feinem roten Boden, feinen grünen Gärten, feinen luftigen Bergen, feinen dunkeln, 





Graufamfeit. Einfluß der Fremden. Thronfolge. 475 


lauſchigen Thälern. Verſchwenderiſch hat die Natur ihre Reize geſpendet, nur ber Menſch 
Hört die Harmonie folder Bilder, Kabaver mitten im Wege zwingen uns, auszuweichen; 
rauſchenden Fluges verlaffen Ugandas fleine Geier bei unfrer Annäherung die graufige 
Mahlzeit. Vier Leichen liegen ba, jung und alt hat fie der Henker zufammengerafft, dem 
einen mit breitem Schnitte die Kehle bis zur Wirbeljäule durchſchneidend, dem andern mit 
wuchtigem Hiebe ben Hinterkopf zerichmetternd. Und täglich und ſtündlich ziehen an ihnen 
die Leute vorüber, vielleicht bald ſelbſt ähnlichem Gefchide verfallen!” 

Die Waganda haben fi den fremden Einflüffen gegenüber entgegenkommend be 
wiejen. Eiferſucht auf Fremde liegt ja überhaupt nicht tief im Charakter des Negers, ber 
dafür viel zu neugierig ift. Fremde dürfen dem Rate beimohnen und werben oft in den 
verfchiedenen fozialen und politifchen Dingen um Rat gefragt, doch ift ihnen bie Teilnahme 
an jeder Angelegenheit, die fih auf die Thronfolge bezieht, ftreng verwehrt. Nach dem 
1882 erſchienenen Berichte des Miffionars Wilfon fangen die Fremden an, bis zu einem 
gewiſſen Grade das Volk zu beeinfluffen. „Bon Jahr zu Jahr“, jagt er, „nimmt dies zu, 
jo daß man in diefer Beziehung einen namhaften Fortſchritt jeit Spekes Zeit wahrnehmen 
fann.” Die Araber, welde am längften im Lande find, haben bis jegt natürlich den 
größten Eindrud auf das Volk gemadt, wenn auch nicht jo jehr, als man es erwarten 
dürfte in Anbetracht der Schnelligkeit, mit welcher die Waganda alles Neue aufnehmen 
und nahahmen. Zu Spefes Zeiten wurde 5. B. allgemein der Rindenjtoff Mbugu ges 
tragen, und niemand, außer den Gliedern der Königsfamilie, durfte andern Stoff befigen; 
jest trägt Mtefa, wie die meiften feiner Häuptlinge, nie mehr den einheimifchen Rindenjtoff. 
Die Zahl der Feuerwaffen nimmt mit jedem Jahre zu und wird ohne Zweifel in der Art 
ber Kriegführung bald eine Anderung hervorbringen. Fremde Früchte und Gemüfe werden 
immer mehr angepflanzt. Viele Häuptlinge bedienen ji der Stühle und Schemel, wäh: 
rend früher jedermann auf dem Boden ſaß. Die wenigen europäifhen Werkzeuge, wie 
Feilen, Schrauben, welche ben Weg nad Uganda gefunden haben, werden von den Hand- 
werfern in Uganda ſehr gefhidt gebraucht, und das von der Miffionsgejelihaft erbaute 
vieredige Haus mit ſenkrechten Wänden und Giebeldach hat ſeitens ber Häuptlinge bereits 
mande Nahahmung, wenn auch in Heinerm Maßſtabe, gefunden. 

In mehrfaher Hinficht ift das wichtigfte Ergebnis des Verfehres der Händler von 
BZanzibar mit den Waganda die Einführung der Suagheliſprache, denn obgleih das Wolf 
im allgemeinen fie nicht verfteht, jo finden fich doch in jedem großen Dorfe zwei ober drei 
Perfonen, die fie ſprechen, während fie bei Hofe jehr viel geiprodhen wird. Miteja beherricht 
fie wie jeine Mutterſprache, und die meiften Großen des Reiches verftehen fie teilweije, jo 
daß der Reifende, der von ber Oftküfte aus nad) Uganda kommt, im jtande ift, unmittel: 
bar mit dem Volke zu verfehren. Man erwäge, daß dies die Frucht eines höchſtens zwei 
Menſchenalter währenden Verkehres ijt! 

Fremde Religionen haben bis jegt nur wenig Eindrud auf die Waganda gemacht. Die 
Mohammedaner haben ihren Glauben nicht verbreitet, denn Mteſas jogenannte Befehrung 
zum Chriftentume (dur) Stanley) und jpäter zum Mohammedanismus geihah nur dem 
Namen nah, jo daß jelbft die Araber auf ihn als Bekehrten feinen Anfpruch erheben. 
Er wollte fich der Beſchneidung nicht unterziehen, und hundert Knaben und Jünglinge, die 
ſich diefem Ritus unterworfen hatten, wurden auf Mtejas Befehl ſämtlich verbrannt. 
Die Bejhneidung feheint der Hauptgrund geweſen zu fein, weshalb dieſer Glaube bei den 
Waganda feinen Eingang fand. 

Die föniglide Familie ift nit vom Stamme der Waganda, jondern gehört dem 
der Wahuma an (über ihre Herkunft vergleihe S. 477). Wiewohl fie fih mit Negern 
gemiſcht hat, blieb doc noch genug von ben darakteriftiichen Merkmalen jenes Stammes 


476 Die Völker in der Region der Nilquellfeen. 


zurüd, um Mteſa als Fremden unter jeinen Unterthanen zu fennzeichnen. In Bezug auf 
die Thronfolge bejtehen feltjame Gefege. Wenn ein König ftirbt, jo wählen die drei 
eriten Wafungu allein den Nachfolger unter den Kindern bes PVerftorbenen. Immer wird 
ein Kind gewählt. Während jeiner Minderjährigkeit regiert die Mutter des Knaben mit 
den drei Großen das Land, indejjen der junge König in der Tradition feiner Ahnen erzogen 
wird, Eind die drei Häuptlinge jedoch nicht einig in der Wahl des Nachfolgers, jo er: 
klären fie einander den Krieg, und der Sieger fegt den Knaben feiner Wahl auf den Thron. 
Die Brüder des gewählten Königs werben während deſſen Minderjährigfeit in Gewahrjam 
gehalten und bei feinem Regierungsantritte fämtlid verbrannt bis auf zwei ober brei, 
welde den Stamm fortpflanzen, fall der junge König finderlos fterben jollte, Die Kinder 
des Königs nehmen feinen bejondern Rang oder Stand ein, und nicht alle Prinzejfinnen 
dürfen heiraten. 

Die Vielweiberei, unterftügt durch einen großen Überſchuß der weiblichen Bevölke— 
rung, it allgemein in Uganda von Mteſa an, der 7000 fogenannte Frauen haben foll 
(beim erften Empfang Spekes war feine Entjhuldigung, daß er ihm feine Hütte im Palafte 
anweiſe, „da alle voll Weiber ſeien“), bis zum Mkopi herunter, der genug zuſammen— 
iharren fann, um fi) ein paar Weiber zu faufen. Natürlich herrſcht infolgebeffen die 
größte Eittenlofigkeit, um fo mehr, als in den untern Klaſſen viele feine Frauen befommen 
können. Die Schließung der Ehe wird rein als Geſchäftsſache behandelt. Der gewöhnliche 
Preis für ein Weib war entweder drei big vier Ochſen, ſechs Nähnadeln oder eine Heine 
Schadtel voll Zündhütchen. Speke jah, wie dem Könige von Uganda zwei feiner Frauen 
ihre jungfräuliden Schweitern anboten. Jener gab feine Annahme dadurch zu erkennen, daß 
er ih in den Schoß zuerit des einen, dann des andern Mädchens jegte, fie an ſich drüdte 
und fein Haupt erjt auf ihre rechte, dann auf ihre linfe Schulter beugte. Damit joll 
angeblich die Heiratszeremonie abgejchloffen fein. Weiber werden aud) als Strafe für gewiſſe 
Vergehen gefordert, was natürlich der Willtür Thür und Thor öffnet, und anderfeits kann 
der Mann jeine Weiber wegen irgend welcher Vergehen in die Sklaverei verkaufen. Zu 
ben Stützen des Einfluffes oder der Popularität des Königs gehört es, dab er feine Wa— 
fungu mit Weibern verforgt. Die Ehe unter nahen Verwandten ift nicht gefeglich verboten 
und fommt oft vor. Beim Tode eine? Mannes erbt fogar der ältefte Sohn die ſämt— 
lichen Weiber feines Vaters, bie eigne Mutter ausgenommen. Die Frauen haben felten 
mehr als zwei oder drei Kinder, und nad) einem Gejege, welches wieder die Polygamie 
vorausjegt, muß nad der Geburt des Kindes bie Mutter zwei Jahre lang getrennt von 
ihrem Gatten leben; ber König und die Häuptlinge haben eigne Anftalten im Lande, in 
welche die Frauen während biejer Zeit geihict werden. Zwillinge werden mit Jubel begrüßt. 
Die Nabelihnur wird aufbewahrt und, wenn der Vater ein Häuptling ift, mit Perlen 
und andern Zieraten gejhmüdt. 

Die Leiche eines Häuptlinges wird in einem hölzernen Sarge beerdigt, die eines 
Sklaven dagegen nur ind Geftrüppe geworfen, und die eines hingerichteten Verbrechers läßt 
man auf offener Straße liegen, wo der Hingerichtete eben fiel. 

Die Waganda haben eine große Auswahl von Namen. Einige find bei ihnen befon- 
ders beliebt, 3. B. Mufafja, der Name des Gottes vom Nyanza; denn fie jehen in der 
Annahme göttliher Namen nicht Ungehöriges; auch Tier: und Inſektennamen werden den 
Menſchen gegeben. Viele Namen haben eine beftimmte Bedeutung, fo bezeichnet Mteſa 
einen, der Streitſachen prüft oder entjheidet, Mlavia oder Mufavia; ein andrer von 
Mteſas Namen, den er bei Gelegenheit feines großen Sieges über die Waſoga annahm, 
bedeutet: der, welcher weinen macht. (Wilfon.) 


Vielweiberei. Namen. Die Wahuma und ihr Urfprung. 477 


Über die für die Ethnographie der Region der Nilquellfeen jo wichtigen Wahuma 
mögen hier ein paar befondere Worte um fo eher gejtattet fein, als das Problem ihrer 
Herkunft fein ifoliertes ift, fondern mit der einfchneidendften Frage ber afrikaniſchen Ethno— 
graphie: Wie verhalten fich die Neger zu den nichtnegerhaften Stämmen des Norbdoftens 
und Nordens? aufs engfte verbunden if. Was im folgenden aus lüdenhaften Berichten 
und verworrenen Überlieferungen erahnt werden fann, möge daher nicht ald Vereinzeltes, 
fondern als ein Glied in einer langen Kette von Völferbewegungen ähnlichen Ausganges 
und Zieles aufgefaßt werden, denn Wieberholung ift der Grundzug afrifanifher Völker: 
geichichte. 

Wir haben gehört, wohin diefe Wahuma deuten, wir ahnen, mas fie find. Aus 
anthropologifhen Gründen ift die Verwandtfchaft der Abeifinier und Galla und beider mit 
den Wahuma und deren Verwandten nicht zu leugnen. Die Ähnlichkeit, welche von allen 
Beobadhtern zugegeben wird, fällt felbit den Eingebornen auf. Ein Begleiter Spefes von 
der Küfte fand 3. B. die Wahuma von Unyoro ganz den Wagunya von Amu, nörblid 
von Zanzibar, ähnlich. Beide follten auch Kreisnarben an Schläfe und Stirn gemein 
haben, was aber wohl nur Spuren ihres beliebten Heilmittel3, der Kauterijation, find. 
Ein andrer Diener, der zum Sklaven gemacht worden war in Walamo, an der Südgrenze 
Abeffiniens, war nicht nur den Wahuma äußerlich ähnlich, ſondern fand auch die lang- 
börnigen Rinder der Wahuma gleich denen jeiner Heimat. Auch it ein Teil der Galla, 
glei den Abejfiniern, früher chriſtlich geweſen, was aber von den Wahuma nit gilt. 
Wie diefe von jenen ſich abgezweigt, und welches der Grad ber Verwandtſchaft diefer Völ— 
fer ift, ift mit Sicherheit nicht zu jagen. Nur nad) Analogie der Verhältniffe im übri- 
gen Afrifa können wir eine innere Wahrjcheinlichfeit der Hypotheſe Spefes beimeifen, 
welde annimmt, daß ein „halb ſemitiſch-hamitiſches“ Volk ſich in Abeffinien feitgefegt, von 
da aus Züge behuf3 Raub und Sflavenfang, wie fie bei friegeriihen Afrifanern fo all 
gemein üblich find (bis tief in unfer Jahrhundert herein waren fie ſogar noch bei den 
Hgyptern in hohem Grade üblich und beliebt), über die Grenzen biefes von der Natur fo 
wohlgefiherten Landes gemacht habe. Yüngere, unternehmungsluftige Glieder der herr: 
chenden Familie zweigten ſich vom Mutterftamme ab und gründeten eigne Reiche, wobei 
fie aus unbelannten Gründen ihre Völfernamen veränderten. So mögen zuerft die Galla 
unmittelbar ſüdlich von den Abeffiniern und weiterhin die Somali entitanden fein, meld 
legtere ebenfowohl unmittelbar aus Abejfiniern wie mittelbar aus Galla entitanden ſein 
können. Diejer füdlichite Zweig breitete fih bis gegen den Dihub Hin aus, wich aber bei 
einem Angriffe auf Mombas ins Innere zurüd, wo er nun den Nil Freuzte und in bie 
reihen Weidegründe des Großen Nyanza binabftieg, wo die aderbauenden Eingebornen 
unterworfen und das große Neid Kittara gegründet wurde, dejjen Grenzen ber Uferewe 
oder Große Nyanza und der Kagera im Süden, der Mwuta Nzige im Norden, der Nil im 
Dften und die Königreiche Nlole und Utumbi im Weſten bildeten, fo daß die heutigen Län- 
der Unyoro und Uddu von demfelben umfchloffen wurden. Wahrſcheinlich war der Kern 
des Landes Unyoro. Kittara als allgemeiner Name ift heute im Verſchwinden begriffen 
und wird gewöhnlih nur auf den weſtlichen Reſt des alten Reiches angewandt. Nach— 
einander zweigten von dieſem erften Staate ſich Nkole im Welten, Karagwe und Ufinfa im 
Süden ab. Karagwe foll (jchrieb Spefe 1863) vor etwa zwanzig Generationen gegründet 
worden fein und zwar in folgender Weife: Der Verſchwörer Rohinda floh aus Kittara 
nad Karagwe mit einem großen Geleite von Wahuma, Damald war Nono König ber 
Wanyambo, der anjälligen Bewohner diejes Landes. Rohinda wußte fich einzufchmeicheln, 
gewann das Vertrauen bes Königs, tötete ihn bei einem Gelage und fegte ſich dann jelbit 
auf den Thron. Seit dieſer Zeit halten Wahuma das Zepter von Karagwe. Aus einem 


478 Die Böller in der Region ber NRilquellfeen. 


Bruderzwiſte in der Herrfcherfamilie von Karagwe aber ging die Abzweigung hervor, welche 
jur Gründung ded Wahumareiches von Ufinja führte. 

Die eignen Überlieferungen der Wahuma über ihren eriten Urfprung find dunfel und 
widerſprechend. Das Wichtigſte iſt die Anerkennung ihrer nörblihen und öftlichen Her: 
funft. So wie jenes Volf, das in jo vielen Teilen Südeuropas ftaatengründend auftrat, 
nad feiner Heritammung Normannen hieß, führen diefe in der Seeregion auftretenden 
Staatengründer aus bemfelben Grunde ben Namen Wahuma, db. h. Männer aus Nor: 
den, Emin Bei hörte folgende Erzählung über die Geſchichte diefer Länder gleichfalls in 
Unyoro: „Unyoro bildete einft mit Uganda, Uſſoga, Uddu und Karagwe ein großes Land, 
welches von den Witſchweſi bewohnt war. Da kamen aus Norbojten in großer Zahl hell- 
farbige Menfchen, welche Menjchenfreffer (Waliabantu) waren, und vor denen, als fie den 
Fluß (den Somerjetnil) überſchritten, die Witſchweſi flohen. An einem Orte Matjum (noch 
heute jüböftlih von Mruli zu finden) jammelten fih nun die Eindringlinge und teilten 
fih in zwei Gruppen, deren eine nad Uganda, die andre nah Unyoro vordrang. Die 
Witſchweſi flohen weitwärts, und viele von ihnen ertranfen im Mwuta Nzige, da fie feine 
Kähne hatten. Der Reit wurde zu Eflaven gemacht. Die Eindringlinge nannten ſich 
Wawitu (Leute von Witu), während fie von den Einheimifchen Leute von Norden (Wahuma) 
oder in Uganda aud Walindi genannt werden. Sie waren Hirten und find es noch heute, 
während die Witſchweſi Aderbauer waren und find. Wo diefe Einwanderer fich rein hielten, 
find fie noch heute weiß, wie in Toru und Gambalagalla (Gambarragara Stanleys); wo 
fie fih mit Witſchweſi mifchten, entitand die hellfarbige Mifchraffe, welche man heute vor- 
wiegend in diefen Ländern findet; reine Witſchweſi aber, die ganz ſchwarz find, durchziehen 
nod) heute das Land als fahrende Sänger und Zauberer. Der Name Witſchweſi aber ift 
heute in Unyoro gleichbedeutend mit Leibeigner, ebenjo wie der Name Muddu in Uddu.“ 

Die Annahme des Urfprunges aus hellfarbigem Menſchen ift in allen Überlieferungen 
ebenjo beftändig wie die nördliche, norböftliche oder öftliche Herkunft. Die Namen Hubſchi, 
Galla und andre an den Oſten erinnernde Worte find vergefjen, nur dieje beiden That- 
jachen, ebenſo wie die in fi wahrjcheinliche, auch Kinguiftifch zu begründende Reihenfolge 
der Gründungen der verjchiedenen Reiche find in der Erinnerung geblieben. Seltſame Ab- 
wandlungen biefer Überlieferungen find natürlich nicht ausgeblieben. In der Königsfamilie 
von Unyoro herrſcht der Glaube, daß ihre Vorfahren halb weiß, halb jhwarz, halb glatt-, 
halb wollhaarig gewejen jeien. Diejelben glauben auch, daß Afrika einft den Weißen gehört 
babe, denen es durch die Neger entriffen worden jei, und fie betrachten ſich als ein Reit 
diefer Weißen. Darum glaubten fie aud, als Spefe und Grant, die erften Europäer, 
fi) Unyoro näherten, daß dies Weiße jeien, die das Land wieder an fi nehmen wollten, 
Bemerkenswert ift noch, daß die Fürften von Unyoro fih Wawitu, d. 5. Leute aus dem 
Lande Witu, nennen, das fie im Norden ſuchen. In Karagwe tragen fie ebenfo den Sonder: 
namen Wahinda. 

Auf die Gejchichte diefer Länder mag die allgemeine Bemerkung ein Licht werfen, mit 
welcher Emin Bei feine Wörterfammlung des Kiganda und Kinyoro (die in Uganda 
und Unyoro geſprochenen Sprachen) eröffnet. Er bezeichnet dort Kinyoro als die ältere, 
reiner erhaltene Sprade, während Kiganda „durch dauernden Kontakt” mit Zanzibar viel: 
fad modifiziert worden und noch immer fi) ändert. In Karagwe jpricht man eine dem 
Kinyoro näher als dem Kiganda ftehende Sprache. „Überhaupt ſcheint“, ſchließt er, „Uganda 
ein Einjchiebjel in das urſprüngliche, Kinyoro ſprechende Gebiet von Unyoro, Uddu, Ka: 
ragwe und Faru zu fein.“ Leider willen wir von der Wahumafpradhe noch gar nichts 
Beſtimmtes, und doch wäre feine Kenntnis erwünfchter als diefe. Emin Bei jagt nur 
einmal: „Die Wahuma, das befannte Hirtenvolf von Galla-Abftammung, ſprechen unter 


Urfprung, Charakter und Gebräude der Wahuma. 479 


jich eine eigne Sprache, im öffentlichen Leben jedoch die jeweilige Landesipradhe”. Was 
die Verbreitung der Wahuma anbelangt, jo ift zwar Ufinfa das füblichfte der von ben 
Wahuma gegründeten Reiche, body bei weiten nicht die Südgrenze dieſes Volkes. Die 
Watufi, von Uhha am Tanganika, weldhe in ganz Unjamweſi ihre Herden meiden, find 
unzweifelhaft Wahuma. Iſt auch ihr Volksname verändert, fo nennen fi do, wie in 
Karagmwe, ihre Fürften Wahinda. Und ebenfo werden bie Wapofa von Fipa am Rukwaſee 
den Wahuma zugezählt. In Unyoro erfuhr Spefe aud von Wahuma im Dften diejes 
Landes, einem einzigen Stamme, ber nur von Fleifh und Milch lebe. 

Was hierüber hinausgeht, ift unklare Überlieferung oder unbeftimmter Anklang. Als 
Speke in Uſui das erſte Wahumaland betrat, fielen ihm ſofort die Steinhaufen (Cairns) auf, 
zu denen jeder Vorübergehende einen Stein warf. In dieſer Art hatte er fie im Somali: 
lande ſchon gefehen. Allein ſolche Steinhaufen, die fhon von Bufchmännern und Hotten- 
totten aufgehäuft werben, gehen durch einen großen Teil von Afrifa. Immerhin ift es auf: 
fallend, wenn ein Beobachter wie Spefe fie nicht zwifchen Zanzibar und Uſinſa gejehen hat. 

Merkwürdiger ſcheint uns, daß Spefes Begleiter, Bombay, in der Sitte der Wahuma, 
die während des Lebens aufbewahrte Nabelſchnur eines Weibes außerhalb, die eines Mannes 
innerhalb der Hütte zu begraben, einen Gebrauch feines Stammes, der Nao oder Wayao 
(am Rovuma und untern Zambeft), wiedererfannte. Eine Menge eigner Sitten jcheinen fie 
zu pflegen und erhalten fi wohl nicht am wenigſten gerade dadurch jelbitändig. Und fie 
beftehen mit Feſtigkeit auf denfelben. Weil Grant eine Maharague genannte Bohne und 
Hühner af, wollten die Wahuma ihm feine Mil mehr verkaufen. Auf ihre Unabhängig: 
feit find fie eiferfüdhtig, Spefe ſah, wie in Ufinja zwei Wahumameiber, bie entflohen 
waren und fi als Sklavinnen hatten verfaufen laffen, von ihren Gatten getötet wurden, 
„weil fie die Gefete ihres Volkes gebrochen hatten, indem fie Sklaven geworden waren“, 
Wohl im Bewußtiein ihrer Eigenartigfeit und im Wunfche, diejelbe zu erhalten, wurzelt 
auch ihre merkwürdige Neigung, fich zu ifolieren. Die Reifenden in Uganda ꝛc. befommen 
die Wahuma jelten zu Geficht, weil fie ſich möglichit weit von allem Anbaue und Verkehre 
nieberlaffen oder auch ganz nomadiſch leben. Vielleicht hängt dieſe Neigung, fih „an ben 
Waldrändern”, d. h. an den Rändern bes unbewohnten Gebietes, anzufiedeln, auch mit der 
Verachtung zufammen, die ihnen die Anjäffigen zollen. Möglich, daß fogar hierauf bafierende 
Gejege, die wir nicht Ffennen, fie jo weit hinausdrängen. Auffallend ift diefe Verachtung 
der herrichenden Raſſe jeitend der Unterworfenen, aber neu ift diefelbe nidht. Sie ent: 
fpricht der Thatfache, daß nicht Überlegenheit der Kultur, fondern der Kraft und Kühn: 
heit jene zur Herrichaft erhoben hat. Die Kultur, wenn aud die Halbfultur eines ader: 
bauenden Negeritammes, ſchlägt doch immer wieder durch. Es ift das Verhältnis wie zwifchen 
Ehinefen und Mandjchu. 

In der Tracht der Wahuma ift nur die Schwarz gegerbte Rindshaut eigentümlich; 
außerdem haben fie zahlreiche Ringe um die Unterfchenfel, fupferne oder meſſingene Arm: 
bänder und ein paar Amulette. Sie tragen Bogen und Speer, indes mehr diefen als 
jenen. In all diefem folgen fie der Landesfitte. In Unyoro ziehen fie die untern Schneide: 
zähne aus, in Uganda und Karagmwe thun fie es nicht. In Unyoro gebrauden fie im 
Kriege nur den Speer, während fie in Karagwe bie ausgezeichnetiten Bogenſchützen find, 
So jchmiegen fie ſich doch vielfah an die Landesfitten an, denen freilihd mit am meilten 
die mit ihrem Stande als Viehhirten verknüpfte Unreinlichkeit ihrer Wohnftätten wider: 
ftreben muß. Vor allem in Uganda ift ja Reinlichkeit und Ordnung zu Haufe. Emin 
Beis Schilderung eines Wahumameilers: „Ein hoher Dornenzaun umschließt eine Menge 
halbkugeliger Hütten für Menſchen und Vieh; ringsumber ift alles ſchmutzig, das Innere der 
Hütten ift aber jehr rein gehalten‘, erinnert entfchieden an die Sennhütten unfrer Alpenhirten. 


480 Die Böller in der Region ber Nilquellfeen. 


Endlich ift aber auch im Charakter diejes Volkes etwas ber Negernatur Fremdes oder 
doch Unähnliches, denn im Charakter des Wahuma ſcheint, um mit Spefe zu reden, mehr 
von dem phlegmatifchen Temperament des jemitifchen Vaters als von dem nervöfen, auf: 
geregten der hamitiſchen Mutter zu liegen. 

* 


Unyoro, das wahrjcheinlich ältefte von den Wahumareidhen, an der Stelle gelegen, 
wo das alte Reich Kittara einft fich ausbreitete, liegt weftlih und nördlich von Uganda, 
berührt nicht den Uferewe, reicht aber an das linke Ufer des Nil und an das rechte des 
Mwuta Nzige. Seine Oberflähe dürfte auf etwa 1500 DMeilen beziffert werden. Ohne 
eine feſte Oberherrihaft auszuüben, hat Unyoro eine ftarfe Hand über die Kitih, Wafoga, 
Gani, Ulega und andre Stämme am obern Weißen Nil. Die Natur des Landes ift 
wejentlich die der landeinwärt3 gelegenen Streden von Uganda und Karagwe: weitere 
Thäler, niebrigere Hügel. An Stelle der Waldbäume der Seeufer tritt allmählich die wilde 
Dattelpalme. Üppiger Graswuchs verdrängt bie Farnkräuter. Nach Norden zu und vor 
allem in der Nähe des Nil verfhwinden die Hügel vollitändig, das Land wird zu einer 
Ebene, weldhe in langen Zwiſchenräumen von ungeheuern Schilfflüffen durchſchnitten und 
von lichtem Walde oder Dihungeln bebedt if. Der Anbau ift minder forgfältig als in 
Uganda, die ganze Verwaltung des Landes, die Drbnung, die Anlage ber Wege minder 
vollfommen. Es wäre daher auch fein Wunder, wenn Unyoro in einem gewiſſen Verhält— 
niffe von Unterordnung zu Uganda ftände. Stanley ftellt Unyoro mit Ujagara und Ukedi 
in diefer Beziehung auf eine Linie, indem er hervorhebt, daß fie Mteſas Oberherrichaft 
anerfennen und, wenn auch etwas unregelmäßig, Tribut zahlen. Zu Spefes Zeit, aljo 
etwa 15 Jahre früher, ſchien dieſes Verhältnis nicht fo deutlich ausgeſprochen zu fein. Diefer 
Reiſende hörte nur immer von Kämpfen zwiſchen Waganda und Wanyoro, von Mißtrauen 
biefer gegen jene und fand im Norden Ugandas zahlreiche Wanyoro angejiedelt, welche 
Mteja auf einem Kriegszuge gefangen und mitgeführt hatte. Wahrjcheinlih hat Stanley 
eine vorübergehende HöflichkeitSbezeigung, zu der Unyoro fi wohl auch aus Furt vor 
Uganda bequemte, als dauernden Zuftand angejehen. In der. Unklarheit innerafrifanischer 
Bölferbeziehungen find ſolche Täufhungen naheliegend. Felkin reifte mit einer Waganda— 
. Eskorte dur Unyoro. Weder er noh Wilſon fpredhen von dem erwähnten Abhängig: 
feitsverhältniffe. 

Uganda umfaßt ben norbweitlihen Küftenftrich des Uferewe, vom Fluſſe Kitangule 
bis zum Ausfluffe des Nil aus dem See. In Halbmondform lagert e8 ſich um denjelben. 
Es gehören ihm ferner die Inſeln an, welche gerade in diefem Teile des Sees zahlreich find. 
Stanley berechnet das ganze Gebiet auf etwa 1500 QMeilen, wobei die angeblich tribut: 
pflihtigen Staaten Unyoro, Ufedi und Ufagara nicht mitgerechnet find. Nimmt man diefe 
hinzu, fo gewinnt man für das ganze Reich eine Fläche von wenig über 3300 DMeilen. 
Das ift alſo fein jo großes Reich wie das der Marutfe oder das von Lunda, aber es ift 
dafür ein um fo feiter zufammengehaltenes, leiftungsfähigeres. Die gefamte Bemohnerzahl 
dürfte nah der Schägung dieſes Reifenden eine Million nicht viel überfteigen. Das Land 
ift in ber Nähe des Sees faft überall eben, von Sümpfen und trägen Gemwäfjern durch— 
zogen. Eine ungewöhnlich üppige Vegetation bedeckt hier alle tiefern Stellen, die infolge: 
deſſen auf weite Streden ganz unbewohnt find. Viele Bäume erreichen eine außerordentliche 
Höhe, und die Fruchtbarkeit ift überall bedeutend. Wo das Land anfteigt, tritt im Innern 
von Uganda der Wald zurüd und läßt wellige, grasbewachſene oder hainartig mit Bäumen 
bededte Streden, Savannen, frei, die natürlihen Weidegebiete der Wahuma. Endlich er: 
heben fich gegen die Weftgrenze hin dieſe welligen Hügel zu den ſchroffen Felsgebirgen, 
aus denen jelbjt Gipfel mit ewigem Schnee fi erheben, welche nad Weiten in den tief 


 — — — — — —— — — u — — — 


Die einzelnen Wahumaftaaten: Unyoro, Uganda, Karagwe, Uhaiya und Ufinia. 481 


unten in feiner Bucht in ruhiger Bläue liegenden Luta Nzige hinabſchauen. Die Bevöl- 
ferung zerfällt, wie in den andern Reichen der Seeregion, in Herrſchende und Beherrichte. 
Jene find Wahuma, diefe Waganda im engern Sinne. Das reihe Land ernährt beide gut, 
Denn wir auch Stanley nidt aufs Wort glauben wollen, daß der Bauer oder Mkopi 
von Uganda „das deal des Glüdes, nad) dem alle Menſchen ftreben, in ſich realifiere“, jo 
icheinen doch reichliche und regelmäßige Ernten jeine Bemühungen zu belohnen. Diefe 
bejondere Stellung von Uganda unter den Wahumareichen findet in der Urjprungsjage des 
Landes ihr Net. Ihr zufolge war Uganda bis vor acht Geſchlechtern ber Garten der 
Wahuma von Unyoro, den die Eingebornen unter dem Namen Wiru oder Waddu, beide 
Sflaven bedeutend, für diefe Herren bebauen mußten. Da fam ein Jäger, Namens Uganda, 
mit einem Weibe, Hunden, Speer und Schild und jagte am linken Ufer des Katonga mit 
joldem Glüde, daß alle Wiru zu ihn famen, um Fleifch zu erhalten, und zu dem Fremd: 
linge ſprachen: „Was ift uns unfer König, der jo weit weg ilt, daß, als wir ihm eine Kuh 
al3 Tribut jandten, diefe unterwegs ein Kalb nach dem andern gebar und doch noch immer 
nicht angelangt ift?” So wurde er ihr König, nahm felber den Namen Kimera an und 
gab dem Lande feinen Namen Uganda. Man zeigt noch heute auf einem Steine die Spur 
jeines Meibes, feines Hundes und feines Speered. Er war ein großer Reformator, lieh 
Straßen durch das Land legen, jtatt Kähne Schiffe bauen, gründete fich den herrlichen 
PBalaft, den glänzenden Hofitaat, den reichen Harem, kurz, er war ber Urheber von all dem, 
wodurd; Uganda über die Nachbarländer hervorragt. 

Karagmwe dehnt fih am gebirgigen Weitufer des Ukerewe, etwa zwifchen dem 1. und 
2° jüdliher Breite, aus und dürfte 250—300 Meilen umfaſſen. Es ift ein gegen den 
See zu hügeliges und in der Richtung gegen Welten oder gegen den Luta Nzige gebirgiges 
Land, Es ift vorwiegend grasbewachſen und trägt Wälder in den tiefern, Mimofenhaine 
in den höhern Teilen. Auf dem Wege von Kafeh nad Uganda überfchreitet man einige 
Höhenzüge von miehr als 1500 m Höhe. Stanley jhägt die Bevölferung auf 150,000 
Seelen. In den meiften Teilen des Landes ijt das Klima fühl, jo daß die Wangwana 
Spefes täglid) vor Kälte ſchauerten, jolange fie in Rumanikas Refidenz wohnten. 

Die Bevölkerung zerfällt in Herrichende und Beherrichte, welche beide jchon äußerlich 
einander jo unähnlic; find, dag man bald aud) hier ihre Zugehörigkeit zu ſehr verſchiedenen 
Raſſen erkennt. „Wir fühlten und ſahen jofort, jagt Spefe, indem er feinen erften Ein: 
tritt in Rumanikas Palajthütte jchildert, „daß wir uns in der Gegenwart von Menjchen 
befanden, welche jo unähnlich wie möglich der gewöhnlichen Klaffe von Eingebornen in den 
Nahbarbezirken waren. Sie hatten jchöne, ovale Gefichter, große Augen, hohe Naſen; das 
bejte Blut Abeffiniens ſchien in ihren Adern zu fließen.“ Die meiften Unterthanen dagegen 
ſcheinen den eigentlichen Negertypus deutlich auszuprägen, find vorwaltend arm und leben 
in fhmugigen Hütten. Die Bewohner von Karagwe beftehen aus Aderbauern und Vieh: 
züchtern; jene find echte Neger, welche hier den Namen Wanyambo tragen, dieſe gehören 
zu den Wahuma, denen auch die herrichende Familie des Königs Rumanifa entſproſſen iſt. 
Sene bauen hauptfächlich eine bittere, von den Vögeln verjchmähte Abart Hirfe. Tabak 
und Kaffee werden aus dem nahen Uhaiya gebradt, Viehzucht wird von den Wahuma 
betrieben, und Rumanika ſelbſt befigt eine berühmte, nad) Taujenden und aber Taujenden 
zählende Rinderherde am Kitangulefluffe, deren Milch die Hauptnahrung liefert. Speke 
zeichnet ein originelles Familienbild aus dem Leben der Großen von Karagwe bei Gelegen- 
heit der Schilderung feines Beſuches bei einem ältern Bruder Rumanifas, der als jorg- 
famer Vater mit der Hute in der Hand darüber wachte, daß feine jechzehnjährige Tochter, 
„mit lieblihen Zügen, aber mit einem Körper rund wie ein Ball“, nicht unterlieh, fi zur 
Förderung ihrer Wohlbeleibtheit mit Milch vollzufaugen. Seltfamerweife verſchmähen 

Böltertunde J. 31 


482 Dad Land bed obern Nil. 


ſowohl die Manyambo als die Wahuma das Fleisch des Nashornes. Der Biergenuß ift 
hier wie in allen dieſen Teilen des Innern jo gewaltig, daß in der Gegend von Kiſaho 
Spefe bie Leute Tag und Nacht betrunfen fand. Der König genieht ein viel ftärferes- 
Bier als feine Unterthanen und regaliert damit bevorzugte Gäfte. Da die Jagd ein Lieb- 
lingsvergnügen des Hofes ift, gibt es an demjelben Schügen, welde Wunderbares im Fern— 
treffen mit ihren fait 2 m hohen Bogen leiten. Von den Stüspfählen der Hütte des 
Königsbruders jah Speke eine ganze Sammlung folder mannshoher Bogen herabhängen 
und unter ihnen Bündel von Speeren mit Eiſen- und Erzipigen ſowie Affagaien auf: 
geftellt. Die Hütten find bienenkorbförmig mit vorjpringendem Eingange. 

Uhaiya, dur ein tiefes Thal von dem weſtlich liegenden Karagmwe getrennt, ift 
berühmt als das Haupterzeugungsgebiet des Tabakes und Kaffees ſowie durch feinen 
Reichtum an Elfenbein. Tabak wird von den Wahaiya in Mafje nad) Karagwe, Uganda 
und bis nad den Kitich ausgeführt; in allen Teilen der Länder um den Ukerewe findet 
man biefe Händler. 

Ufinfa, deſſen weſtliche Hälfte Ufui und deffen öftliche Ukhanga genannt wird, liegt 
nördlich und weftlih von Unjammefi, ſüdlich und öftlid von Karagwe. Es ift ein welliges 
Land, das nah Weiten gegen Spekes „Mondgebirge” anfteigt und gegen Süden und 
Norden fich allmählih abdadt. Die Regen find reihlih und der Boden gut, und fo ift 
das Land faft durchaus wohl angebaut. Die Bevölferung gleicht im Süden durchaus 
den Wanjamwefi, während fie im bergigern Norden fräftiger und thätiger ift. Regiert 
wird fie von zwei Wahumahäuptlingen, und viehzlihtende Nomaden desjelben Stammes 
durhmwandern das Land. Die feinen Häuptlinge aber find großenteils Abkömmlinge 
berjenigen, welche hier vor dem Eindringen der Wahuma herrſchten. Sie erfreuen ſich 
einer großen Selbftändigfeit. Zu den Infignien der Häuptlinge gehören die Mufchelkrone 
auf der Stirn und unfehlbar eine Sammlung mit Zauberpulver gefüllter Zauberhörner. 
Die aderbauende Bevölkerung Fultiviert vorzüglich Hirfe, Bohnen, Erbfen (melde Spete 
in diefem Lande zum erftenmal traf) und Bananen, 





22. Das Land des obern Wil. 


Zwar nur ein ſchwacher Abglanz von der überfchmwenglihen Fülle brafilia- 
niſcher Urmwälder, iſt durch den Kontraft mit der Steppe der Zauber diefer Natur 
doch ein nicht minder gewaltiger. Shweinfurtb. 


Inhalt: Das Stromgebiet des Nil. — Die Nilquellfeen. — Andre Zuflüffe des obern Nil. — Wafler: 
reihtum und Wafferarmut. — Bodengeftalt. — Schilf- und Kräuterbarren. — Die Landſchaft des Bahr el 
Abiad. — Begetation. — Urwälder. — Haine. — Wieſen und Sümpfe. — Nutzbare Pflanzen. — Ader: 
bau, — Tierwelt. — Jagd. — Fiſcherei. 


Unter dem Lande des obern Nil verftehen wir hier hauptſächlich eine doppelte Reihe 
von Plateau: und Stufenländern, über welche bie beiden großen Arme des Nil, der aus 
den nördlichen Seen bes oftafrifaniihen Hochlandes fommende Weiße Nil (Bahr el Abiad) 
und der aus zahllojen Wafjeradern im Lande der Kredſch, Sandeh (Njam-Njam) und Mon: 
buttu zufammenrinnende Gazellenfluß (Bahr el Ghafal), der Vereinigung mit dem dritten 
Hauptarme, dem aus Abeffinien fommenden Blauen Nil (Bahr el Azref), zufließen. Sn 
dieſem Gebiete breitet fi der Nil, der nördlich von Ehartum immer mehr zu einer Rinne 
zwijchen fteppen= oder wüjtenhaften Ufern zuſammenſchrumpft, in unzähligen Waſſerfäden 


Nilzuflüffe. Sumpfland. 483 


aus, zwiſchen welche große Sümpfe und Seen eingejchaltet find. Es ift das flußreichſte 
Gebiet in ganz Afrika, wenn auch feine Flüffe nicht überall dauernd fließen. 

An den Ufern des Großen Nyanza oder Ukerewe ftehen wir in nahezu 1200 m 
Meereshöhe noch auf dem oſtafrikaniſchen Hoclande, dejjen Formen bier jedoch nirgends den 
alpinen oder auch nur gebirgshaften Charakter zeigen wie die Ufer des Mwutan oder des 
Tanganifa, Nur im Eleinften Teile feines Umfanges fieht man Hügelreihen bis dicht an ben 
See herantreten, die mit felfigen Ufern und fteinigen Boden felten einen guten Anferplat 
bilden. An einigen Stellen erjtreden fi lange Schlamm: und Sandbänfe, nur von 1—1!/sm 
Waſſer bededt, deren Spur eine dichte Wafjervegetation, Wafferlilien, Schilf, Papyrus ıc., 
bezeichnet, weit in den See hinaus. Im Weiten gegen den Katongafluß zu fchneiden 
tiefe Baien in das Land ein und bilden gute Häfen. Aber in größter Ausdehnung ift die 
nädhjite Umgebung bes Sees eben, die Ufer jehr flah und ſumpfig, oft vom berrlichiten 
Walde bevedt. Nur die Süd: und Oftküfte weifen fühne Vorgebirge auf, zwiſchen denen fich 
weite, feichte und von Dörfern umjäumte Buchten öffnen. Dem Oftufer des Nyanza entlang 
findet man eigentliches Bergland; hier ragt der mächtige Majitaberg 600 m über den See 
empor. Endlich find die meilten Inſeln des Nyanza felfig oder hügelig. So fann man 
aljo wohl im ganzen diefen See mit unfern Hochebenenjeen vergleihen, weldhe, auf der 
Grenze zwifchen Hochgebirge und Ebene liegend, teilweife von den Ausläufern des erftern, 
teilweife von der legtern umgeben find. Der zweite Nilquelljee, ver Mwutan, ift dagegen 
völlig Gebirgsfee. Ihn umranden Bergfetten von alpiner Höhe, Sturzbädhe eilen in dicht 
bewaldeten Thalſchluchten ihm zu, und Nebelftreifen durchſchneiden in langen Linien die 
fühnen Berge feines Ufers; die Einfahrt in ihn bietet eins der ſchönſten Bilder zentral: 
afrikanischer Landihaft. Seine Ufer find dünn von Menſchen, aber um jo dichter von 
Tieren bewohnt. Der Verkehr auf dem See ift im Vergleiche zu dem des Großen Nyanza 
verihmwindend. 

Die große Mehrzahl der Zuflüſſe, welche der Nil in diefem feinem oberften Laufe 
erhält, find breite, ſeichte Gewäſſer, deren Strömung oft jo langjam ift, daß man fchwer 
ihre Richtung feſtſtellen kann. Dem entjprechend ift auch ihre Waſſermaſſe außerordentlich 
verjchieden. Der wahrjcheinlih dem Kafuru zufließende „Rohrfluß“, wie Speke dieje Ge: 
wäſſer getauft hat, der Chor Ergugu, wird als ein in der Regenzeit faft um das Zehn: 
fache fich vergrößernder Strom bejchrieben. Diefe Flüffe find in weiten Streden durd) 
Papyrus: und Piltiavegetation veritopft. Das Land, welches fie durchfließen, ift ein einziges 
Sumpfland: „der abſcheuliche Dunft über dem Waſſer, der betäubende Geruch der tropiichen 
Sumpfpflanzen, die Mosfitos, die einem zu Taujenden um den Kopf fliegen, die Schwierig: 
feit, bei der unebenen Beſchaffenheit des Bodens feſt auf den Füßen zu bleiben, die zahl: 
reihen Hinderniffe im Wege, Schlingpflanzen, gefallene Stämme, tiefe Eindrüde von 
Elefantenfüßen im Boden’, alles dies vereinigt fih, um diefe Sumpfitreden unwegfam zu 
machen. Diefelben find größtenteil3 unbewohnt und bilden höchſtens den Schauplag von 
Grenzfriegen zwilhen den Wanyoro und den nördlich von ihnen wohnenden Stämmen. Nur 
in ber trodnen Jahreszeit ſoll es möglich fein, die Sumpfitreden zu durchmeſſen, und für 
manche Gegenden ift dies die einzige Zeit des Landverfehres. Vom Bongolande z. B. über 
bie Flüffe und Sümpfe weg nad) den von den ſüdlichſten Bagara bewohnten Gegenden vor: 
zudringen, gelingt nur in der ganz trodnen Zeit. Wo das Land höher wird, bleibt auf 
weiten Streden der Mangel eines entjchiedenen Gefälles beftehen und erzeugt Flußnege, die 
dem Verkehr nicht minder hinderlich find; jo vor allem im Bahr el Ghafal-Gebiete, in 
welhem Felkin auf einem Tagemarſche von 60 km 13 waſſerreichen Flüffen begegnete, 
die alle in nordnorböftlicher Richtung ftrömten. Dabei fann aber der Wafjerreihtum außer: 
halb der Flußbetten in der Trodenzeit eher zu Hein als zu groß fein. 

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484 Das Land des obern Nil, 


In dem von unzähligen Flußadern durdzogenen Lande wejtlih vom Rohl, das auf 
der Karte als eins der waſſerreichſten in ganz Afrifa erfcheint, herrfcht bei faft mangelnden 
Höhenunterfchieden eine wahre Wafjerarmut. Der ftrömende Regen. wird an Ort und 
Stelle eingefogen und jcheint tief zu verfidern, da auch Quellen hier jelten find. Der 
Aderbau ift unter diefen Verhältniffen oft ebenjo erjchwert wie der Verkehr, und man 
begegnet einem wahrhaft blühenden Aderbaue erjt in der gebirgigen Region der Nil:Uelle: 
Waflerfcheide bei den Monbuttu und Sandeh. Von einem jehr großen Teile diefes Ge 
bietes gilt, was Shweinfurth von demjenigen des untern Gazellenfluffes jhreibt: „Das 
Terrain wechjelt entjchieden weniger als in den einförmigften Gegenden Deutſchlands. 
E3 gibt Wald und Steppe, niedergrafige Wiefen und Bufchwaldungen, Ader und Wald: 
lihtungen, Sumpfwiejen und Regenteiche, nadte Felsflähen und etliche Felsgehänge. Am 


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Die Nilflation Mefhra el Rel mit nubiſcher Handelsflotte (nad Heuglin). 


wenigiten trifft man Sanbdjtellen an und dieje faſt nur in den troden gelegten Flußbetten.“ 
Die Landſchaft gewinnt erft jenfeit des Djur einen kräftigern Charafter, wo die wachjende 
Steigung andeutet, daß man fih aus dem Beden des Gazellenfluffes dem zentralen Hoch— 
lande nähert. Ein ähnlicher Anftieg durch reichbewachſene Hügel bejteht in der Gegend 
von Fatifo, wo es der Nil felbit ift, welcher, vom Hochlande herabitrömend, eine ungemein 
liebliche Szenerie um dieſe Hauptſtadt der Aquatorialprovinz zaubert. Den in mander Be: 
ziehung großartigften Eindrud macht aber wohl der obere Nil an dem Punkte, wo der 
Gazellenfluß breit, träge, Ichilf: und grasreich in ihn mündet und ein Gewirr von Kanälen, Seen, 
Eümpfen, feften und ſchwimmenden Inſeln erzeugt, welches mehr als einer Nilflotte Halt 
gebot, auch wohl ganze Reihen von Schiffen in Schilf und Kraut einjhloß und umfommen 
ließ. Es ift der berüchtigte See No, der die alten Römer und, bi vor wenigen Jahrzehnten, 
die neuen Ägypter, Nubier und Europäer am Vordringen hinderte. „Diele würden fi wun— 
dern“, jchreibt Felfin, „wenn fie den Nil bei feinem Eintritte in den See No jehen fönnten. 
Tom Verdecke aus ſcheint er 100 Ellen bis eine englijche Meile breit, doch oben vom Maſte 
aus fieht man ein Grasmeer zu beiden Seiten des Kanales und erfennt, daß die wirklichen 
Ufer 4, 8, jogar 12 Meilen voneinander liegen. Gefährliche Blodierungen durch ſchwim— 
mende Piſtia- und Schilfinjeln fommen übrigens bis hinab zum 8.° nördlicher Breite vor. 


Mälder und Savannen. 485 


In diejer Gegend machen die ftämmigen und dichten Hochwälder den lichten Wäldern 
der Sudanflora Platz, die jedoch von Einförmigkeit noch weit entfernt find. Es find lichte 
Haine, in denen Syfomoren, Tamarinden, Gummibäume, violett blühende Akazien den 
größten Raum einnehmen. Haine von Dum- und Delebpalmen erheben fich in der Ent- 
fernung (f. Abbildung, ©. 486). Dies bleibt im weſentlichen der Charakter der Landichaft, 
bis mit der Südjpige von Auba die Suntwälder Nubiens beginnen und der größere Inſel— 
reichtum bie Hinderniffe vorbereitet, welchen der Nil in feinem fernern Laufe begegnen 
wird. Die flachen Ufer im Lande der Schilluf und Dinfa machen noch einmal von dem 
vereinzelten Dichebel Telfan an und in den Hocländern von Korbofan und Senaar ſich 
fortfegend fteilern, felfigen Rändern Platz, bis auch diefe wieder zurüdtreten und oberhalb 
Chartum der Weiße Nil zu feeartiger Breite auslädt, deren weite Wafferfläche mit ben 
niedern, kaum fichtbaren, nur durch vereinzelte Haras- und Sayalakazien markierten Ufern 
den Reijenden ſich auf dem weiten Ozeane glauben läßt. Die Stille, welche hier im ver: 
ödeten obern Nillande in weiten Streden berricht, betätigt nur ſolche Illuſion. Und hier 
wird nun der Bahr el Abiad erft zum rechten, eigentlihen Nil, indem er den aus den 
abeifinifschen Bergen fommenden Bahr el Azrek, den Blauen Nil, aufnimmt. 

In den reichlich durchfeuchteten tiefern Ländern und in den Thälern des obern Nil: 
gebietes ift, „um das Große und Wahre in der Natur vollftändig zu erläutern”, neben 
dem produftiven Prinzipe, bem neuen, üppigen Wachstume, das jcheinbar zerftörende Prin— 
zip ſichtbar in einer fich ſelbſt überftürzenden und überquellenden Urmwaldvegetation der 
jogenannten Galerienmwälder thätig. Aber e3 find verhältnismäßig beihränfte Gebiete, 
in denen bie afrifanifche Tropennatur fi fo unbeſchränkt auslebt; jelbit im Njam-Njam— 
lande, dem tropiichen Walblande, find nur die Fluß: und Bachniederungen von ihr erfüllt. 
Kaum hebt fich der Boden und wird troden, jo rüden aud) die Bäume auseinander und 
wird das Unterholz dünner. Statt des Moders der Bäume: und Pflanzenleichen dedt 
Gras den Boden, und fo gibt es fehon im Nohlgebiete lichte Hochwälder mit auffallend 
regelmäßigen Grasfläden, wie fie in Europa nur durch Ausfäen und anhaltende Mühe und 
Arbeit erzielt werden. Die Landichaft erinnerte dort Junker vorübergehend an englifche 
PTarfanlagen. In andrer Weife fühlten fih Schweinfurths Begleiter in der Nähe von 
Djur Ghatta an Gärten erinnert, Dur jene hier jo häufige Vegetationsform eines dichten 
und hochſtämmigen Parkes, welcher, „einem Erlenbufhe nicht unähnlich“, von niedern 
Sumpfiteppen umgeben, während der Regenzeit vollftändig unter Waſſer jteht. Aber die 
Bäume find 20—25 m hohe Unfarien und Eugenien, welche ihre fchattigen Kronen auf 
völlig geradem Stamme erheben. Das iſt die großartigere, tropiſchere Ausprägung des: 
jelben lihten Baumwuchſes, der dann gegen Korbofan und Senaar hin in den Afazien- 
wäldern zur Erfcheinung fommt. Aber jchon im Dinfalande findet man ausſchließlich jan: 
dige Flächen ohne Graswuchs, alfo Heiden, in Striden von 2—3 deutſchen Meilen, über 
die nur einzelne Bäume hin zerftreut find. Schweinfurtb, der diefes Land ein Terrain 
von idealer Beichaffenheit für Fußgänger nennt, fühlte ſich durch diefe Region lebhaft an 
die Afazienwälder von Taka und Gebaref in Südnubien erinnert, welche den Übergang zu 
den Waldgebieten am Fuße des abeffinischen Hochlandes darftellen. So weit reiht aljo 
der Vegetationscharafter Kordofans in ein tropifches Land hinein: ein echt afrifaniiches 
Verhältnis! Mag nicht das auch hier allgemein übliche Abbrennen des Raſens zur Bor- 
bereitung des Bodens für den Aderbau mit zu folder Berödung beigetragen haben? eben: 
falls verewigt e3 dieſelbe bei jährlich wiederfehrender Übung. 

Das obere Nilland ift von der Natur nicht für den Aderbau allein bejtimmt, fondern 
in weiten Bezirfen auch zur Viehzucht jehr geeignet. Bor allem find aber jene Diftrikte 
nicht häufig, in denen die Übergewalt der Natur die menschliche Kraft und Unternehmung 


486 Das Land des obern Nil. 

















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Dumpalme (nah Heuglin). Vgl Abbildung, ©. 14, und Tert, ©. 485, 


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Nutzpflanzen. Aderbau. 487 


erdrüdt. Afrika verleugnet auch in diefem vielleicht vor allen andern durch Reichtum der 
Vegetation begünftigten Gebiete nicht feine Neigung zu lihtem Baumwuchfe und Savannen— 
bildung, und der vorwaltende Anbau des Sorghum trägt in den aderbauenden Bezirken 
oft dazu bei, diefe Neigung im Landjchaftsbilde deutlicher zur Ausprägung zu bringen. 
So in dem Lande der Djur, das von einer Menge zerftreuter Gehöfte bedeckt ift und 
einen beftändigen Wechſel von Grasflähen und ausgedehnten Sorghumfeldern mit 4 m 
langen Halmen zeigt. Das bier gebaute Korn ift die größte Form dieſer Kulturpflanze 
und bildet ein ftarfes, verholztes Rohr, das als Baumaterial wichtig ift. Außer den 
üblichen, oft ſchon aufgeführten Getreidearten Sorghum (in vier Spielarten), Eleusine 
und Peniecillaria wird aud Zuderforghum gepflanzt. Die Bongo und Djur prefjen den 
in Holzmörjern zerftampften Vorrat aus und verdiden den Saft durch Einkochen bis zu 
firupartiger Konfiftenz, nähern ſich alfo fogar der Zuderfabrifation. Bon Knollengewächſen 
erfreuen fich die Yams einer allgemeinen Aufmerkjamfeit. Die Njam-Njam und Monbuttu, 
weldhe dem Anbaue ber Knollen mehr Fleiß widmen als dem ber Gerealien, haben vor 
den nörblihen Völfern noch die füßen Bataten, den Maniof und bie Colocasia voraus, 
welche von jenen auffallenderweije nicht gebaut werben, aber bei den Madi jchon zu finden 
find. Bon den früher genannten nugbaren Pflanzen des äquatorialen Ditafrifa (j. S. 396) 
gehört der größte Teil auch diefem Gebiete an. Einige neue fommen hinzu, oder es werben 
welche hier benugt, die dort unbeadhtet bleiben. Um eine von alter Zeit her oft genannte 
Frucht zuerft zu erwähnen: die Lotoskörner werben gegen Ende Mai geſammelt, zuerft der 
Luft ausgejett und dann in Körbe gefüllt, um in das Innere transportiert zu werden, 
wo fie während der Überſchwemmung die Stelle des Maifes vertreten. In benfelben 
Sümpfen mit ihnen wählt durch das ganze Gebiet füdlich vom Gazellenfluffe der wilde 
Reis (Oryza punctata), der zur Regenzeit alle Tümpel und Regenteiche mit einem pradt: 
vollen, rot ſchimmernden Kranze feiner Ähren umfriedigt. Schweinfurth fand ihn ſchmack— 
hafter al3 den Reis von Damiette, Er wird aber von den Eingebornen hier weniger ge: 
nofjen al3 3. 3. in Kordofan. In den Niederungen des Bongolandes wählt ein Bambus, 
deſſen an Roggenkörner erinnernde Samen eßbar find und den Eingebornen in Jahren der 
Not einen Erjag für ihr aufgezehrtes Getreide liefern. In der Gegend von Fatiko fand 
Felkin viele „wilde Weinftöde”, ſchwer mit großen, reifen Trauben beladen. Miſſionar 
Mosgan preßte in Gondoforo 1858 Wein aus mehreren biefer Traubenarten, der wie 
ſehr dunfler italienischer Wein ſchmeckte. Schweinfurth führt in feiner Schilderung des 
Djurlandes noch eine ganze Reihe wild wachſender Bäume und Sträucher mit objtartigen 
Früchten an, die von den Eingebornen gegeifen werden. Als häufigit genofjene Früchte 
ericheinen bei den Schuli Datteln, Feigen und Nüffe. Sefam muß tierijches Fett erfegen. 
Auh an Faferftoffen fehlt es nicht, die Baumwollſtaude wählt überall wild, Tiam heißt 
eine Pflanze, welche den Dinka eine hanf- oder flachsartige Fafer zu eigentümlichem Ge- 
brauche liefert. Sie fteden nämlich diejelbe in den Kürbis, der das Mundftüd ihrer Pfeife 
bildet, laffen den Rauch durchziehen und jaugen und fauen dann dies mit Dejtillations- 
produften des Tabakes gefüllte Werg als große Delikateſſe aus, Als Faferftoff wirb Hibis- 
cus cannabinus überall, aud in dieſem Teile des Nilthales, gebaut. Die Bongo befigen 
aber eine eigne Kulturpflanze, aus der fie vortreffliche Stride drehen; es ift eine Crota- 
laria, die als eine veredelte Form der hier wilden COrotalaria intermedia betrachtet 
werben fann und demnad; eins der jeltenen Beilpiele von Kulturpflanzen bietet, welche der 
Neger ſelbſt zu einer gewiffen Vervolllommnung gezüchtet hat. Der anjheinend von Norden 
ber eingeführte Gemüfebau ift unbedeutend. ALS eigentlihe Gemüfe bauen die Bongo die 
Bamia oder Uehka der Araber (Hibiscus esculentus) und die ſcharf jaure Sabdariffa. 
Hülfenfrühte findet man bei den Südſtämmen. An Gewürzfräutern und überhaupt an 


488 Das Land bed obern Nil. 


Gewürzen ift aber ein großer Mangel. Der ſpaniſche Pfeffer, welcher hier wild wächſt, 
iſt z. B. nie von den Negern als Gewürz benugt worden. Dom Tabake wird noch zu 
reden fein. Melonen und Waffermelonen, die hier famt den Kürbiffen unmittelbar vor der 
Eorghumernte reifen, wo oft genug die Hungeränot vor der Thür fteht, ſpielen feine geringe 
Rolle im Haushalte diejer Völker. In der Gegend der Schillukinſeln fand Schweinfurth 
die MWaffermelone in mwildem Zuftande und fucht nachzuweiſen, daß biejelbe eine ur: 
fprünglich afrikanische Pflanze fei. Bon ölhaltigen Pllanzen werden Erdnüffe (Arachis und 
Voandzeia) und Sejam bier allgemein angebaut, und namentlich mit legterm bebauen die 
Bongo größere Flächen als mit irgend einer andern Rulturpflanze, Eine dritte Olpflanze 
iſt Kindi (Hyptis spieigera), deren feine Körner zu einem fetten Breie verarbeitet werden; 
Mohn ift dagegen unbefannt. Cine wichtige Gabe der Natur ift die Lulubutter, ein jehr 
dies, grünliches Ol, welches duch Stampfen und Kochen der fugelförmigen Früchte des 
Lulubaumes gewonnen wird, der in ber Provinz Bahr el Ghaſal viele Duabratmeilen in 
dichten Mäldern bededt. Die Bari nutzen die ölhaltigen Samen des Kurulengibaumes. 
Unter den Giftpflanzen des obern Nilgebietes ift bie Fletternde Paflionsblume Adenia zu 
nennen, da ihre giftigen Blätter, die übrigens von den Eingebornen zum Blafenziehen ver: 
wendet werden, bis heute die Afflimatifation der Kamele, welche wenig Unterſcheidungs— 
gabe für giftige Pflanzen befigen, in diefer Region unmöglich gemadt haben. Strychnos- 
Arten, deren Saft zu Pfeilgift Verwendung findet, fommen gleichfall® hier vor. Wollten 
wir zum Schluffe alle die Holzarten aufzählen, welche Verwendung finden zu Haus: und 
Schiffbau, Bogen, Speeren, Pfeilen, zu Schnigwerf aller Art, jo würden Dutende von 
Bäumen und Sträuchern zu nennen fein, denn an holzbildenden Gewächſen fteht dieſes Ge— 
biet den üppigften Tropenftrichen des neuen Kontinentes nicht nah. Bäume und Sträucher 
bilden wenigftens den fünften Teil aller Arten. 

Wie die Flora, jo erreicht aud) die Fauna des äquatorialen Afrika im obern Nilgebiete 
einen ihrer Höhepunfte. Ihr Reichtum und ihre Fülle entiprechen der Pracht der tropiichen 
Landihaft. Vor allem ift der Sumpfwald ungemein wildreih. „Wir jahen viele Gazellen 
und Antilopen, Spuren von Rhinozeroffen, Büffeln und Elefanten. Nachts mufizierten die 
Löwen, Leoparden und Hyänen um unfer Zager her“, fchreibt Felkin aus dieſer Gegend; 
und bei der Einfahrt vom Nil ber in den Mmwutan: „Am Ufer weibeten Herden von An— 
tilopen und Elentieren (Oreas Livingstoni), und wir zählten 40 Nilpferde, die in einer 
langen Reihe am Ufer hinwandelten”. Doch it längft die Zeit vorbei, wo auf den Sa: 
vannen am obern Nil die Giraffen alltäglich und in den feuchten Wäldern die Elefanten 
fo häufig waren, daß vor der Zeit des Chartumhandels die Schilluk und Dinka aus Ele: 
fantenzähnen die Pflöde zum Anbinden ihrer Rinder machten, Schon vor zwölf Jahren 
ihrieb Shweinfurth: „Die Elefantenjagd gehört im Bongolande feit nachweisbar bereits 
zwölf Jahren in das Reich der Mythe, und nur die älteften unter den Männern (mirflich 
alte, Greife, fehlen bier überhaupt) willen davon zu berichten. Die riefigen Lanzenfpigen 
(vgl. auch Abbildung, ©. 459), welche gegenwärtig nur noch als Luruswaffen im Beſitze der 
Reihen find, oder wie fie hin und wieder nod) bei der Büffeljagd Verwendung finden, find 
die einzig übriggebliebenen Zeugen jener Jagden.“ Aber noch immer wird eine beträchtliche 
Menge Elfenbein im obern Nilgebiete gewonnen und ausgeführt, Die Heine Jagd bis 
herunter zu den taufendmweile anzutreffenden Perlhühnern nährt noch immer Völker, die 
fich mit Vorliebe der Jagd widmen. Auch gibt e8 mitten in diefem Reichtume genügjame 
Völker, denen außer Hundes und Menichenfleifch alles Tierifche eßbar erjcheint. Die rot: 
braunen Bongo gehören dazu, welche hierin wahre Bufchmänner find, Gierige Fleiſcheſſer 
find alle Nilneger. Die Dinka, die ſich hyänengleich um ein Elefantenaas ftreiten, find öfters 
geſchildert; Kaufmann und Brun-Rollet zeichneten folhe Skizzen, und aud Felkin 





Tierwelt. 489 


wohnte einer derartigen efelhaften Szene unter den Bari bei. Das Fleijch des Nilpferdes 
wird nicht von allen Stämmen genofjen. Ebenfo wird das Fleiſch mancher andrer Tiere ver: 
ſchmäht, an welche ſich abergläubifche Vorftellungen fnüpfen, wie Schlangen und Eidechſen. 
Ungern werden bie Leber und der Kopf des Schafes von den Madi gegejfen. Erde von 
Ameijenhügeln, die jehr thonig ift, effen einige, 3. B. bei den Mabi, werden aber dann für 
verrüdt gehalten. 

Außerordentlih groß it der Reichtum dieſer Region an Bienen. So nütlich diejelben 
aber auch einerfeitS durch ihre gewaltige Honig: und Wachserzeugung find, jo unangenehm 
und jelbit gefährlich find fie anderfeit3 durch ihre Wildheit. Schweinfurth3 Empfindung 
nad) feinem erften Bienenabenteuer auf dem Weißen Nil, daß er es lieber mit Herden 
wilder Büffel oder Löwenrudeln aufnehmen wolle als mit diefen Bienen, zeichnet ungefähr 
die Wildheit diefer Inſekten. Die Bienenzucht ift weitverbreitet. Gewöhnlich benutzt man 
geflochtene Bienenförbe, denen vorwiegend die tieffchattige Krone eines Butterbaumes zum 
Standorte angemwiefen wird. Die Körbe find länglih=cylindriich und haben auf halber 
Länge eine handgroße vieredige Öffnung. 

Von ſchädlichen Inſekten in der Art der Tjetjefliege Scheint, in anbetradht ber aus- 
gebehnten Rinderzucht in diefen Gegenden, das obere Nilgebiet frei zu fein. Nur eine 
Tabanus-Wrt foll auch hier, aber in viel geringerm Grade, den Rindern gefährlid) werden. 


23. Die Urgerfämme des obern Nilgebietes. 


„Die Berfhiedenheit der ganzen Qebensgrundlagen zwifchen Neger und Hamiten muß 
ungeheuer fein, wenn jener Jahrtaufende an der Schwelle der höchſten Rultur wohnen 
tonnte, die biefer erzeugt hat, ohne dadurch zu eignen Fortichritten angeregt zu werden,” 


Inhalt: Beziehungen zu den übrigen Negervölfern. — Die einzelnen Stämme: Schillul:Djur, Dinta, 
Auer, Bari, Schuli-Madi-Lango, Lattula. — Schmud und Tracht. — Eifenfchürzen. — Waffen. — 
Fallen. — Kühne. — Hüttenbau, — Größe der Dörfer. — Dichte Bevöllerungen. — Aderbau und 
Viehzucht. — Berberblide Wirkungen bed Viehraubes. — Gewerbe. — Eifeninduftrie der Djur und 
Bongo. — Thons und Frlechtarbeiten. — Mufil. — Die Signalhörner. — Grabmäler und gemeihte 
Stätten. — Fetiſche. — Der Schillulgott Nielam. — Tieraberglaube. — Tänze. — Familie und 
Gemeinde, — Politiiche Zerfplitterung. 


Eine Kette von ehten Negerftänmen, die jogar zu den dunflern ihrer Gattung zu 
gehören fcheinen, zieht zwiſchen den hellern Völkern Abejfiniens einerſeits und den hellen 
Sandeh anderfeit3 im Nilthale abwärts bis nahe an den Punkt, wo der Blaue Nil feine 
Fluten mit denen des Weißen miſcht. Man kann mit Junfer annehmen, daß im all- 
gemeinen von Norden und Dften gegen Süden und Weften die Hautfarbe zu= 
nehmend dunfler wird. Die Ummohner der großen Seen vermitteln den Zufammenhang 
diefer Nilneger mit den zentralafrifaniichen Negern, während die Nubaneger von Kordofan 
und die Fur der Gebirge von Süd-Darfur fie mit den Sudannegern verbinden. Die Mehr: 
zahl von ihnen gehört zu den ausgeſprochenen Hirtenftämmen und teilt nicht bloß die Raffen 
der gezüchteten Tiere, jondern auch die meiften ‚mit der Viehzucht verbundenen Methoden 
und Gebräuche mit den oft: und füdafrifaniihen Hirtenvölfern. Ebenfo nahe ftehen bie 
aderbauenden Stämme den übrigen afrikanischen Aderbauern. Auch in allen andern Be: 
ziehungen gibt e8 feine andern Merkmale, welde fie ſcharf von den Negern Zentral: und 
Südafrifas trennen, als die Spraden (ſ. S. 232). 


490 Die Negerftämme bes obern Nilgebietes. 


Bon Norden am Nil hinabwandernd, treffen wir zuerft die Schilluf, eine zeritreute 
Völfergruppe, welche, öftlihe Ausläufer in der Sobatregion abgerechnet, das Weſtufer 
des Meifen Nil und einige von deſſen Zuflüffen zwiſchen ungefähr 12 und 6° nördlicher 
Breite bewohnt. Und zwar unterjcheiden wir drei größere Schillufgebiete: Im nördlichiten, 
das bis zum Gazellenfluffe reicht, und welches gleichzeitig das größte ift, wohnen die eigent- 
lichen Schilluk, die auch heute diefen Namen tragen. Im mittlern, welches am Bahr el 
Ghaſal und Tondj gelegen ift, wohnen die Djur und Dembo, eine Enklave im Dinka— 
volfe bildend; und endlich figen noch weiter füdlih, von den Djur durch die ganze Breite 
des Bongolandes getrennt und bereits an die Njam-Njam grenzend, die Belanda. Vieles 
fpricht für die Annahme, daß wir hier nicht ein Volk in lange Zeit ungeftört ihm an- 
gehörenden Siken, jondern ver: 
hältnismäßig neu Eingewanderte 
vor uns haben. Bei den eigent- 
lihen Schilluk ift nah Brun— 
Rollet die Sage zu finden, daß 
fie einft am Sobat in ca. 5° nörd— 
liher Breite jagen, daß die Galla 
fie von dort verdrängten, und daß 
fie am Nil flußabwärts wander: 
ten, wo fie als Leute vom Dicholl, 
d.h. vom Fluffe Sobat, erichienen, 
die Dinka zurüddrängten und von 
beiden Ufern des Fluſſes, vorzüg- 
lih aber von weſtlichen, Befig nah: 
men. Ebenſo bejteht bei den Djur 
eine Überlieferung von Herwande— 
rung aus nördliden Sitzen. 
Aber auch in diefen neuen Sigen 
find die Schilluf nicht in Ruhe ge— 
blieben, fondern wurden von Nu— 
biern und Baggara in den legten 

Jahrzehnten ſüdwärts gedrängt, jo 

Eine Schilluknegerin (nad eigner Photographie von Richard daß fie, die einft bis nahe an Char: 

ER tum bheranreichten, ihre Site be— 

ftändig weiter rüdwärts verlegen. Als Schweinfurth 1869 den Weißen Nil Hinaufreifte, 

fuhren die Schilluf nur noch ausnahmsweife bis 12% 30° in ihren aus Tamarindenftämmen 

ausgehöhlten Kähnen, und die ägyptiiche Herrichaft, der fie ſeitdem unterworfen find, dürfte 
diefe Zurüddrängung nur noch fördern. 

Immerhin find die Schilluf aud noch heute die im Nilthale am mweitejten 
nordwärts reihenden Neger, und ſchon dieſe Thatjadhe verleiht ihnen eine bejondere Be: 
deutung. Sie find außerdem häufig als in körperlicher Beziehung ganz unzweifelhaft „echte 
Neger” bezeichnet worden. Mit „platt gedrücdter Naje, Heinen Augen und fait völlig affen: 
artigem Gefichtsihnitte, in dem fih Dummheit und Wildheit ausſprechen“, jchienen fie den 
ausgeprägteiten Negertypus zu repräjentiexen. Allein nad) der Schilderung Shweinfurths 
bietet die Phyfiognomie der Schilluk gar nicht diefen Negertypus, welchen ihre dunkle Körper: 
farbe vorausfegen läßt, fondern reiht fie viel eher den edlern Raffen Zentralafrifas an (j. oben: 
jtehende Abbildung und die auf ©. 491). Den Schillufpäuptling Kaikum fand auch Felkin 
„körperlich und geiftig ungemein begabt”. Ihre Körpergröße iſt mäßig im Vergleiche zu der 





Die Schilluk. 491 


beträchtlichen Größe ihrer Nahbarn, der ſchlanken, Iangbeinigen Dinka. Zwei Dinge treten 
bei ihnen hervor, welche den von Norden fommenden Europäern an dieſen erften eigent- 
lihen Negern des Nilgebietes in einer Weife auffielen, die nicht felten zu ſolch ungünftigem 
Urteile über ihre Gejamterfcheinung führte: das ift erſtens die Überkleidung des Körpers 
mit einer Aſchenhülle (gegen die Inſektenſtiche), welche, grau bei den Srmern, die nur Holz. 
aſche verwenden kön— 
nen, rötlich bei den Be⸗ 
ſitzenden, die zu dieſer 
Bekleidung die Aſche 
des Kuhdüngers wäh⸗ 
len, den Schilluk oft 
einen wahrhaft diabo⸗ 
liſchen Anſtrich gibt; 
und zweitens bie un: 
endlihe Langſamkeit 


ihrer Körperbewegun: 

gen. „Die Bewegun: $. 2 FÄR 

gen ihrer jmalen, Tan u 6 
fnochigen Glieder find Eee Tue 27 EN 
jo träge, ihre Ruhe oft : — 


eine ſo vollkommene, 
daß man unwillkür— 
lid an Mumien er: 
innert wird; wer Neu: 
ling in diefem Kreije 
grauer und jandröt- 
licher Menjchen ift, ge: 
winnt den Eindrud, 
daß er eher modernde 
Leichname alslebende 
Wejen vor Augen 
habe.” (Schwein: 
furth.) Die über: 
trieben künſtliche Be- 
handlung, welche die 
Männerihren Haaren 
angedeihen laſſen, ift 
nicht geeignet, diejen a BR r 
jeltfamen Eindrud Krieger und Mädchen der — * eigner Photographie von Richard 
wejentlich anders zu . 

geftalten (ſ. die obenjtehende Abbildung und die auf S. 492). Dabei teilen fie, Männer 
und Weiber, mit allen ihren Nachbarn die Sitte des Ausbrechens der untern Schneide: 
zähne und verzichten großenteils, jelbit im Umgange mit Nubiern und Bongo, auf die 
Schambededung. Vielleicht hat indejjen der kriegeriſche Charakter der Schilluf, welchen ihre 
erponierte Stellung gegenüber den Angriffen der Sklavenhändler und der Ägypter noch 
ſchärfer hervortreten ließ, am meiſten dazu beigetragen, ihnen einen jo übeln Auf zu bereiten. 
Noch iſt die Zeit nicht lange vorbei, in der ein Kenner diefer Länder jchrieb: „Die Vogel: 
freiheit der Schilluf gehört zu den jelbitverftändlichen Vorausjegungen des nubijchen Handels 





492 Die Negerftämme des obern Nilgebietes. 


am Obernil. Erftens find fie Heiden, zweitens vergelten fie die ihnen angethane Unbill 
manchmal durch Überfall eines Bootes, und drittens (und hauptſächlich) find ihre zahlreichen 
Ninder ein höchſt wünſchenswerter Erwerb.” 

Das ſüdwärts verjprengte Glied der Schilluk, die Djur, gleichen ihnen in jeder 
Hinfiht. Sie haben fi vor allem die Vielfeitigfeit der Schilluk im Ermwerbe von Sub— 
fiftenzmitteln erhalten; mit Eifer liegen fie der Jagd und dem Fiſchfange ob, und wo ſich 
Gelegenheit dazu bietet, beftellen ihre Weiber den Boden mit vielem Fleiße; auch legen fie 
den größten Wert auf den Belig von Vieh. Ein ſtets gefüllter Hühnerhof und der Hund, 
als Freund des Menſchen, find zur häuslichen Behäbigfeit einer Djurfamilie unentbehrlich. 

Neben diejer Gruppe fteht die der Dinka durch Zahl und Ausbreitung den andern 
Völkern des Bahr el Abiad-Gebietes voran. Sie find von Wuchs höher ald die Schilluf 
(vgl. die Tafel bei S. 451). Ihre MWohnfige haben nahezu die gleiche Erjtredung wie 
die der Schilluf, indem fie auf dem rechten Ufer 
des Meißen Nil bis zur Mündung des Gazellen: 
fluffes reihen und auf das rechte Ufer des legtern 
hinübergreifen. Auch haben die Dinka das gleiche 
Schickſal der Zurüddrängung durch die Nubier er: 
fahren wie die Schilluk, aber fie ftehen, wiewohl 
ausschließlicher Hirtenvolf als jene, ihnen an frie- 
geriihem Charakter nad. Obgleich ihre Zahl groß 
und ihr Ländergebiet jo ausgedehnt ift, daß ihre 
Forteriftenz in dem buntjchedigen Völfergewoge 
von Afrifa noch für lange Zeit gefichert erjcheint, 
und obſchon ihre nationale Einheit im Hinblide auf 
Nafje, Lebensweije und Eitten nicht zu bezweifeln 
ift, jo fehlt es ihnen dennoch an einem politifchen 

u: 5 dr Mu Zufammenhange, da ſich die zahlreichen Stämme 
SL Ai A, a oft untereinander befriegen. Daher find ihre Ge- 





Gin Ropft der Shillut (M . ſchicke jo verſchieden. Die nördlichen Dinka ſind 
—— Bol. E er * außerordentlich reich an Vieh, unter den ſüdlichen 


befinden ſich dagegen ſo ärmlich lebende Sumpf— 
bewohner wie die Nuer. Vollſtändiges Nacktgehen kommt bei den Stämmen dieſes Volkes 
und den Bari am häufigſten vor. Im Hüttenbaue und in der Eiſenbereitung ſtehen ſie 
hinter ihren Nachbarn, weshalb ſie von den eiſenkundigen Djur lange in einer Art von 
Unterthänigkeitsverhältnis gehalten wurden. Ihre Hauptſtämme ſind die eigentlichen Dinka 
am untern Weißen Nil, die Bor und Kitſch oberhalb des Gazellenfluſſes und die Dſchengeh 
in der Mündungsgegend des legtern. Mit den Dichengeh wohnt zufammen ein vielfältig 
ähnlich geartetes Volk: die Nuer, welche am obern Nil zwiſchen Bahr el Ghajal und Sobat 
figen, den legtern aber nicht erreichen, da fie durch die Dinkfa vom Sobat, wo früher ihre Site 
waren, vertrieben worden fein follen. Sie find ein Friegeriiches Hirtenvolf, das in den 
meiften Beziehungen den Schilluk und Dinka gleicht. Die Lippendurhbohrung beginnt bei 
ihnen. Als Waffen tragen fie nur Bogen und Pfeile. Die Haare find in der Regel durch 
Aſche und Kuhmift rot gefärbt, und die Friſur ift nicht felten durch rote Baummwollfäden 
vergrößert. Ihre Hütten gleichen denen der Dinka; die Schlafftätte ift auch bei ihnen ein 
Haufe Kuhmiſtaſche: „wärmer und beffer als ein Moskitonetz“, wie fie Shweinfurth nennt. 
Ihnen ähnlich feinen die Alwadſch (Aluadj Schweinfurths) zu fein, gleichfalls Bogen: und 
Pfeilträger, Waldmenſchen, welche inmitten der viehzüchtenden Dinfa des Bahr el Ghaſal in 
einer dichten Waldoaje des flachen, font waldlojfen Landes eine Enklave bilden. 


— — — — — 


ax, 
an N 
ud 





Dinfe, Nuer. Bari. 493 


Nilaufwärts reihen fih ihnen die Bari an, eins ber einfeitigiten, man möchte jagen 
leidenſchaftlichſten Viehzuchtvölker Afrikas. Sie find von fräftigem Körperbaue und ſchöner 
als ihre Nachbarn, obgleich der bei allen feitlichen Gelegenheiten übliche Anftrich mit roter 
Farbe ihrer Erjheinung nicht eben günftig ift (vgl. die beigeheftete Tafel „Krieger und 
Weib der Bari” und die untenjtehende Abbildung). Ihre Wohnfige liegen etwa zwiſchen 
6 und 31/2° nördlicher Breite, von den Dinka im Norden, den Madi im Süden, den Moru 
im Weſten und unbekannten Stämmen im Dften begrenzt. Sie wollen erſt feit einigen 
Generationen aus ſüdlicher gelegenen Sigen, aus welhen Krieg und Übervölferung fie ver: 
trieben, am Lufiri herabgewandert fein und aus den Gebieten, die fie heute einnehmen, ihre 
Borgänger, die Beri, vertrieben haben. Sie gehen vorwiegend nadt. Ihre Intelligenz, welche 





Ein Barimäddhen in Borders und Seitenanfiht (nad) eigner Photographie von Kihard Buchta) 


diejenige der Nachbarvölker übertreffen foll, wird gelobt; aber die Miffion von Gondoforo 
fand es unmöglich, dem chriftlihen Glauben Eingang bei ihnen zu verfchaffen, und hatte Ge: 
legenheit, die wilde Gemütsart diejes Volkes kennen zu lernen, das 3.8. 1859 feinen Fürften 
und Regenzauberer Nigila ermordete, weil er eine Hungersnot nicht abzuwenden vermochte. 
Ein mweftliher Zweig der Bari find die Yanbari oder Dihangbara, die fih nur dadurd) 
von ihren öftlichen Nachbarn unterjcheiden, daß jie ihr Haar nicht feheren und ihren Körper 
nicht bejchmieren. Sie find gleich ihnen von fehr dunkler, jogenannter tiefjchwarzer Haut: 
farbe. Dieſen fcheinen die gleichfall® weitlih und jüdlid) von den Bari wohnenden Moru 
verwandt zu fein, welche auch den Namen Mabdi! tragen, und ihnen jchließen ſich die nahe 
verwandten Schuli an. Beide friedliche, vorwiegend mit Aderbau beſchäftigte Völker ge— 
hören zu denen, welche fih am rafcheften der ägyptiihen Verwaltung anbequemt haben 


ı Madi ift ein mehrmald in diefem Gebiete vorfommender Vollsname von offenbar generiſcher 
Bebeutung. 


494 Die Negerftämme bed obern Nilgebietes. 


und derjelben weſentliche Dienfte leijten. Der Hauptort der Madi, das gleichnamige Dorf, 
ift ein Mittelpunkt diefer Verwaltung und zugleich ein lebhafter Handelsplag. Echuli und 
Madi find beide groß und ſtark gebaute Leute, heller als die Bari und Dinfa und tragen 
meift reihen Kopfſchmuck. Die Kleidung des Mannes befteht aus einem Leoparden oder 
Biegenfelle, das einen Teil des Körpers bededt; die verheirateten Weiber tragen einen Gür— 
tel aus weichem Leder 
mit einer Art von 
Fradihößen, außer: 
dem einen jehr jchma= 
len Franjengürtel, die 
unverbeirateten nur 
Berlenihmud. Die 
beiden Stämme find 
einander jo ähnlich, 
daß fie ſelbſt ihre Na— 
men taujchen. So find 
3. B. die jogenannten 
Madi oberhalb Dufli 
nicht mit den Mabi 
weitlih von Lado zu 
verwedhjeln, benn fie 
find eigentlich Schuli 
und fommen aus ei- 
nem Gebiete weſtlich 
vom Nil unterhalb 
Dufli. 

Diejen Stämmen 
gehören, wenigitens 
nad ihrem Außern, 
aud) die Zango bei 
Foweira an, ein merk: 
würdiger, interefjan: 
ter Stamm, tapfer 
und kriegeriſch. Wenn 
ſie ebendarum mit den 
Waganda (von de— 
nen fie Watſchopi ge: 
nannt werden) und 


i Wanyoro, i äch— 
Eine Schulinegerin, im Hintergrund Weib am Mahlſtein und Bohnbütte ft * er näch 
(nach eigner Photographie von Ridard Buhta). en Nahbarn, auf 

feinem guten Fuße 


ftanden, fo hielten fie doch bis heute ihr Land frei gegen jeden fremden Eroberer, jo daß 
die Könige Mtefa und Kabrega fich mit geftohlenen Rindern begnügen müffen. Ihre erpo- 
nierte Lage verlieh ihnen einen mißtrauifchen Charakter. Sie ftehen von den Schuli und 
noch mehr den Wanyoro durch ihre dunkle Farbe ab und find von auffallend hohem Wuchſe; 
ihre Frauen gehen ganz nadt. 

Ein von allen diefen Stämmen abweichendes Wolf find die von den Sduli ein: 
geilofjenen Lattufa, welde ein Gebirgsland öftlich von Lado bewohnen, ein Land, von 


















































Madi. Schuli. Lango. Lattula. 495 


Baker der jhönfte Landftrih genannt, den er geſehen. Emin Bei jildert fie als groß 
(1,70—1,15 m al3 Mittel aus 20 Mefjungen), wohlgebildet, Stirn und Nafe gerade, Augen 
groß, Wuch⸗ ſchlank, faſt elegant. Als Richtung ihrer Herkunft geben ſie den Nordoſten 
an. Baker, der ſie zuerſt beſuchte, fand blühenden Ackerbau und große Viehherden, die 
Dörfer groß und jehr ftark bevölkert; Tarrangolle, das größte derfelben, ſoll 4000 Häuſer 
enthalten. Jedes Dorf 
iſt durch eine ftarfe 
Paliſſadenwand ge 
gen äußere Angriffe 
geſchützt, während auf 
hohen Erdwällen um 
die Dörfer herum 
Schildwachen poftiert 
find. Den Lattula 
ähnlich find ihre Nach— 
barn, die Obbo. 




























































































Der primitivfte 


Shmud, nämlid — A —7 —S T 
die Verunftaltungdes — = — 


eignen Körpers, widd — = — — 
bei den Nilnegern in —— un N N, 2 „= 
großem Maßſtabe be Prag 2 i AN 1 F Pf 
trieben, und zwar find — 5 - \ 4 — J * 7 — 


es die Bari, welche, 
an Perlenſchmuck är⸗ 
mer als die Schuli und 
Madi, ſich in ausge— 
dehnteſtem Maße und 
manchmal mit ſehr 
guten Muſtern tät— 
towieren. Die ſehr 
ſchmerzhafte Opera: 
tion wird vollzogen, 
wenn die betreffende 
Perſon das Alter der 
körperlichen Reife er: 
langt hat. Rabiale 





Schnittnarben aufder . 
Stirn find Stammes: Ein tättomwierter Erin mit u (nad) eigner Photographie don 
zeichen der Dinfa und ichard Budta). 


Nuer. Schilluf und Djur tättowieren ſich gar nicht, nur einige Grenzbewohner ahmen die 
Gefihtsnarben der Dinka nad. Die Moru zeigen eine charakteriftiih punktierte Tätto- 
wierung der Stirn und Schläfen, während die Niambara ein feberfahnenförmiges Mufter 
auf die Schläfen tättowieren. Das Herausbreden einiger Vorderzähne, meiſt ber 
zwei mittlern des Unterkiefer, zu denen aber nicht jelten auch noch die vier obern fommen, 
findet fich bei allen Nilnegern. Noch entjtellender find die Verunftaltungen der Lippen. Ein 
Merkmal, das die weitlihern von den andern Stämmen unterjcheidet, ift die Sitte, in den 


496 Die Negerftämme des obern Nilgebietes. 


Lippen ein 8-10 cm langes Stüd geihliffenen Quarzes zu tragen. Die Schuli tragen 
es in der Unterlippe, wo es beim Sprechen hin und her ſchwankt, jo daß ihre Ausiprache, 
die ſchon durch das Ausbrehen der untern Schneidezähne leidet, vollends undeutlich wird. 
Heuglin entſchuldigt hiermit den Mangel eines Vokabulars der Dorſprache in feinen 
wiſſenſchaftlichen Refultaten. Dieſe Quarzſtäbchen in Form von Paftellitiften, das jtumpfe 
Ende mit einem Heinen eifernen Ringe umgeben (vgl. Fig. 1 u. 2, ©. 500), wie die Djur 
und die Diehanbari fie in beiden Lippen, die Nuer in der Oberlippe tragen, find von einer 
befondern durchfcheinenden Quarzart. Bei den Madi tragen die Weiber in der Oberlippe 
Holziheiben oder einen ehernen Reif mit einigen Perlen, wodurch fie gewiſſen Zambeſi— 
völkern (Manganja und andern) in hohem Grade ähnlich werden, und die Moru befeſtigen 
nicht nur, wie die Schuli, in der Unterlippe, jon- 
dern aud) in der Oberlippe einen Stein, der beim 
Spreden an die Zähne anjhlägt. Die Männer 
der Bari tragen meift Blumen als Schmud, ent: 
weder im Gürtel oder in den Ohrringen oder 
auch als Ketten um den Hals. Die allgemeine 
afrikaniſche Sitte der Einfettung und Färbung 
findet fich bei allen Nilnegern. 

Für den übrigen Schmuck gibt aud) hier der 
Ning um Arme, Beine und Hals die Grundform 
ab. Das unterfcheidende Merkmal von andern 
Negern ift dabei die Bevorzugung des Eijens und 
die mannigfaltige Variation des Grundtypus. 
Während wir von den Bari Halsringe haben, in 
der Regel einfache Eifenreife, mehr oder weniger 
geferbt oder geringelt, treten bei den Madi Kopf: 
reife auf mit einer freisrunden, auf die Stim 
zu jegenden Erweiterung. Bei den Schuli find 
ſchwere Eifenringe an Armen und Beinen im 

Ä Gebrauche, die durd ihr Gewicht oft am Gehen 

’ . hindern und ihre Träger zwingen, zum Schuße 
* erg ee . gegen das Wundreiben die Knöchel mit einer Zage 
von Blättern zu umgeben. Bei den Mabdi ent: 

wideln fich diefe Armringe zu gefährlihen, mit 5—7 cm langen Stacheln verjehenen 
Chlagwaffen. So tragen auch die Djur einen zierlichen Armring, der in zwei ſcharfe, gabel- 
förmige Spigen ausläuft, jo daß er gleichzeitig al Waffe benugt werden kann (j. Fig. 4, 
S. 500), und die Irenga ſcharfe Armringe aus einer Freisförmig gebogenen Eijenplatte, 
deren äußere Schneide im Frieden durch einen aus Leder gemadten Schugitreifen verhüllt 
ift, um im Kriege nad Entfernung diefer Scheide eine gefürdhtete Schlagwaffe zu bilden, 
die bei den Bari angeblich nur tragen durfte, wer einen Mann oder ohne Hilfe einen Ele: 
fanten getötet hatte. Die früher mafjenhaft vorhandenen Elfenbeinringe find jegt meiſt in 
. bie Hände der nubijhen Händler übergegangen. Lederringe um den Oberarm, die in der 
Kegel eine abergläubiihe Bedeutung haben, fommen auch hier vor. In dieje Klaſſe von 
Schmud gehören die Eberzähne, weldhe die Madi um den Hals tragen, wie aud) die Hals: 
bänder aus Hunde-, Schaf: und Menjchenzähnen, denen gleichfalls die Würde von Amu— 
letten beigelegt wird (j. Fig. 7 und 8, ©. 502). Bei den Schuli tragen Männer und Weiber 
an langen Schnüren Kleine, aus Schnedenhäufern gefchnittene Scheiben um den Leib, die 
au, wie bei den Bari, als Münzen gelten, oder auch Schnüre von Eifenperlen, denen in 





Schmud und ſchmückende Berunftaltungen. 497 


größerer Zahl Kleine, mit Punkten und Striden verzierte Doppelicheibhen und Doppel: 
jpiralen eingehängt find (f. Fig. 6, ©. 500). 

Kupfer und Meſſing jpielten vor der Ausbreitung des Handels in diefen Gegenden 
nur in den weſtlichen Ländern eine Rolle, wohin fie aus Darfur famen. Bei den Bongo 
hatten fie Schon vor zehn Jahren eine große Verbreitung gewonnen. Heuglin fand früher 
bis zu den Djur faft zolldide Armringe aus Mefling oder jehr hellgelblihem Kupfer, welche 
bei den Homr-Baggara angefertigt worden. Diejelben wurden damals noch als Koftbar: 
feiten betrachtet. 

Zum Schmude des Hauptes wird jogar Eijen herangezogen, und zwar ift die Um: 
formung des Haupthaares in eine feite, beliebig zu modelnde Maffe eine Methode, die 
Anbringung eines Eijenringes eine andre, um dem Kopfe die gewünſchte Zierde zu verleihen. 





Morumeiber mit Kippenfhmud (nad eigner Photographie von Rihard Budhta). 


Die Entwidelung befonderer, äußerft kunftreich gearbeiteter Kopfbedeckungen geht damit Hand 
in Hand. So tragen die Männer der Lango im oberiten Nilgebiete oft einen ſehr künſtlichen 
Kopfpug aus Muſcheln und Perlen, der manchmal !/s m über den Kopf emporragt, oder eine 
dünne, runde Eifenplatte zu beiden Seiten des Kopfes, ein Brauch, der fich viel weiter nörb:- 
lih am Bahr el Ghafal wiederfindet (j. auch Abbildung, S. 499). Die Langofrauen bejorgen 
den Kopfpuß ihrer Männer und verwenden oft mehrere Jahre auf einen einzigen, der dann 
aber auch ihre Mühe durch jein wunderbares Anfehen lohnt. Er hängt mitunter bis tief 
auf den Rüden hinab (ſ. Abbildung, ©. 501). Die Frifuren der Schilluk, Djur und Nuer 
find in eine plaftiiche Maſſe verwandelt, wie fie in, man möchte jagen, Haffiicher Ausprägung 
bei den Südoftkaffern in Übung ift. Thon, Kuhmift und Gummi müfjen zufammen her: 
halten, um die jeltfamften Gebilde hervorzuzaubern. Nur die Weiber tragen in der Regel 
ihr Haar kurzwollig. Die Bari und teilweife auch die Mabi find vielleicht von allen Nil: 
negern in Kopfpußgangelegenheiten die maßvolliten, indem fie ihr Haar bis auf einen Büfchel 
jcheren. Häuptlinge tragen ein dünnes Eifenband um die Stirn, und die meiften Männer 


haben auf dem Kopfe eine Eleine Eifenplatte mit einem Loche in der Mitte, durch welches 
Bölterfunde. I 82 


498 Die Negerftämme bes obern Nilgebietes. 


ein Haarbüfchel gezogen wird. Auf Oberlippe und Kinn wächſt den Madi etwas Haar, wäh— 
rend die Schilluf und Genoffen den ganzen Körper, mit Ausnahme de3 Hauptes, enthaaren. 
Unter den ungemein formenreihen Kopfbededungen dieſer Völker nennen wir eine 

der Weftlango als die der Natur am nächſten ſich anſchließende, da biejelbe weſentlich 
nichts andres als eine Perüde ift, welche durch dicht nebeneinander geftellte Knöpfchen aus 
Balmbaft den „pfefferfornförmigen” Stand des Negerhaares wiedergibt, damit gleichzeitig 
eine intereffante anthropologiſche Jluftration, beziehentlih Karikatur liefernd (j. Fig. 2, 
©. 502). Yon den Bari fennen wir ein von Emin Bei an das Wiener ethnographiſche 
Mufeum gejandtes rohrgeflochtenes Käppchen mit zwei Zähnen, die ihm wie Hörner 
aufgefegt find (j. Fig. 5, ©. 502). Den Rand des jeltfamen Käppchens bildet eine ge: 
flochtene Lederfchnur, während das Innere mit Menfchenhaaren ausgepolftert iſt. Andre 
Kopfbededungen ber 
Schuli und Lango be- 
ftehen aus ftarfem Ge⸗ 
flechte von Baftjichnü- 
ren, welches entweder 
in der Art mit fonzen- 
trijhen Reihen von 
Kauris dicht bejegt ift, 
daß eine flach fegelför- 
mige Mütze entjteht, 
aus deren Spige ein 
geflochtener jtumpfer 
Fortſatz hervorragt, 
oder ſo, daß eine helm⸗ 
artig den Kopf um— 
ſchließende und in 
den Nacken herabhän- 
gende Form entiteht, 
an der jener Fortſatz 
ebenfalld nicht man: 

Bäder der Bari (aus Robert DW. Yellins Sammlung in Wolverhampton). gelt(f.Fig.7,S.500). 
Bei den Lattufa und Verwandten find als Kopfbededung jchwere Helme aus didem, am 
Rande umgejchlagenem Flechtwerfe in Gebrauch, deren Kämme an griehifhe Formen er: 
innern. In dieſe Kämme find gewöhnlich einige eiferne Ringe eingelaffen, während Kauris 
einen umlaufenden Kranz bilden und am Vorderteile, wohl auch gleichſam als Schild, Strei— 
fen von Kupferblech angebradt find (j. Figur 3, ©. 502). Hier auch fommen jene dicht 
aus Stroh mit Rohrunterlage geflochtenen Strohhüte vor, die ganz wie eine Kopie der 
fleinen Somali= oder Zanzibarichilde aus Rhinozeroshaut ausjehen (j. Fig. 1, ©. 502). 
Die Kleidung beſchränkt fi) auf das Notwendigfte und fehlt Häufig ganz. Die Männer 

der Schilluk, Djur, Nuer und Bari gehen oft vollftändig nadt. Bedeckung der Scham: 
gegend mit Fellen fommt bei den nördlichen Stämmen gelegentlich vor und ift bei einzelnen 
füdlihen allgemein. Aber weder die Fellkleidver der Wahuma noch das Rindenzeug ber 
Waganda oder Sandeh hat fich bis zu diefen Völfern ausgebreitet. Demgemäß entbehren 
fie auch aller Fertigkeiten, welche auf die Herftellung von Kleidern abzielen. Nur die alles 
überragende Eijeninduftrie wird in ausgedehnterm Maße auch in den Dienst diefes Bedürf: 
nifjes gezogen. Die mit Eijen bejegte Lederjchürze ift ein im obern Nilgebiete häufig zu 
treffendes Kleidungs= und Schmuditüd. Es tritt in verhältnismäßig einfachen Formen bei 





m —— —— — * — nun Dune ee 


Kopfbedelung. Kleidung. Waffen. ' 499 


ben Bohr auf, in Geftalt eines ausgezadten und mit Schnüren von Eifenperlen befeßten 
rohen Ziegenfelles. Aber bei den Bari kommt es in vervolllommter Geftalt vor, als Gürtel 
aus glattem oder gepreßtem Leder, dem längliche Eifenplättchen in dichter Reihe angehängt 
find, oder von welchem Stränge von Eifenketten herabhängen, die mit hervorragender Ge- 
ſchicklichkeit gemacht find (ſ. Abbildung, S.509). Bei den Madi am obern Uelle verfchmälert 
fih der Gürtel noch mehr und ift entweder mit Eifenperlen ſowie mit Kauris und einigen 
platten eijernen Glödchen bejegt, 
oder er beiteht als einfache „Gürtel- 
ſchnur“ nur aus Eifenperlen (j. Ab: 
bildung, S. 506). Eine andre Ab: 
wandlung jtellt dann ein ſchmaler 
Lederriemen der Moru vor, in wel: 
chem zahlreiche eiferne, mit Klapper: 
bohnen behängte Ringe in Löchern 
aufgereiht find. Inter dem Ein: 
fluſſe der Nubier und mehr noch der 
Ägypter find indes die Nilneger in 
der Bededung ihres Körpers fort- 
geſchritten. Teils haben fie fi) 
Felle umgehängt oder umgegürtet, 
teils verjchafften fie ſich ſogar Klei: 
der von ägyptiſchem Schnitte, wo— 
bei auch hier die Neihenfolge der 
Kulturentlehnungen: erft Genuß; 
mittel, dann Waffen, dann Kleider, 
zu beobachten ijt. 

Die Waffen der Schilluf und 
Dinka find wejentlich diejelben: ein 
Mittelding von Keule und Knoten: 
ftod, ein 1 m langer Stod, der 
am obern Ende einen diden Kno— 
ten bildet und am untern jpig aus: 
läuft, ift ihr beftändiger Begleiter, 
fo daß man von weiten jeden diejer 
Männer mit einem riefigen Nagel 
in der Hand umhergehen zu jehen TRI> N =" 3; 
vermeint; außerdem haben fie nur Ein Häuptling der Lira (nad Baler). Bol. Test, ©. 497. 
die hohe, mit langem Eijen ver: 
jehene Lanze. Bei beiden Stämmen find Bogen und Pfeile unbekannt, wogegen fie bei den 
benadhbarten Nuer die Hauptwaffe bilden und bei den Djur in einer Entfaltung vorkommen, 
die überhaupt in Afrika nicht häufig ift (f. Abbildung, S. 514). Bei diefen erhalten Köcher 
und Bogen jo viele Verſchönerungen, als eben ihre Natur zuläßt. Nicht nur die Verzierung, 
fondern die ganze Arbeit iſt genau, und was die Hauptjadhe ift, die Pfeilfpigen find vor- 
trefflich gejchmiedet, wie ſich das freilich von jelbit bei Waffen verjteht, deren Träger die 
beften Schmiede der obern Nilgegend find. Im oberjten Nilgebiete find die Waffen nicht jo 
vorzüglich wie bei diefen eifenkundigen Völkern der Schilluf-Djur-Nuer-Gruppe. Die Schuli 
find 3.3. mit Lanzen bewaffnet, die im Lande gefertigt, aber lange nicht jo gut find wie 
die aus dem Süden (f. Abbildung, S. 507). Bogen und Pfeile hingegen werden auch bei 

. 82* 





en — < 


500 


Die Negerftämme des obern Nilgebietes. 


NN Ä 
y 





1, 2 Lippenquarz — 3, 6 Halsfhmud — 5 Armring — 7 Ropfbededung der Schuli — 
4 Armring der Dur (etbnographifhes Mufeum, Bien). 


— — — 


Waffen. 501 


ihnen gut gearbeitet und von den Eingebornen mit entiprechend großem Geſchicke gebraucht. 
Auffallend it es, daß gerade bei diefen Völkern öfters Waffen auftreten, deren Klingen 
an eine eijenloje Zeit erinnern. Man möchte fragen, ob nicht vielleicht ein kurzer Holzipeer 
der Dftihuli mit gefielter Spige, deren Breite faft an ein Ruder erinnert, auf eijenlofe 
Zeit zurüddeutet (j. Fig. 2, ©. 504). Biel roher find die berühmten Lanzen der Schilluf 
mit Spigen aus Antilopenhorn (f. Fig. 1, ©. 504). Sie ftehen durch ihre roh gearbeiteten 
Schäfte 3. B. von den ſchön geglätteten Njam-Njamlanzen weit ab. 

Die Schilde, von 
welchen dieſe Völker Ge: 
braud machen, gehören 
dem Typusder Zulu— 
ſchilde an, d. h. fie find 
aus Haut rund, oval 
oder vieredig gejchnitten 
und durch einen an der 
Hinterjeite befeſtigten 
Stab, deſſen Spige wohl 
auch durch einen Feder: 
buſch geſchmückt ift, ge: 
halten. In derMitte die: 
jes Stabes befindet ſich 
ein Riemen als Hand: 
babe. Es ift das aljo 
eine ganz andre Art von 
Schilden, ald man fie 
z. ®. bei den Sandeh 
findet, und es iſt be- 
merfenswert, wie diejes 
von den Negern mit fo 
großer Vorliebe behan- 
delte Ausrüftungsftüd 
in dem ganzen Gebiete 
den Zulutypusbewahrte, 
ohne von den Nubiern, 
Abejjiniern, den Sandeh 
oder Waganda merklich Ein Langoneger (nad —— von Richard Budta). 
beeinflußt zu werben. 

Auch ſelbſt der Fauſt- oder Parierjchild nimmt nicht etwa die bei den Mondu oder die an 
dem jchmalen auſtraliſchen Holzichilde übliche Form an, fondern erjcheint bei den Turfani 
als eine Verkleinerung des Schuliſchildes (j. Abbildung, ©. 508). Die Mannigfaltigkeit 
der Waffen bei den Njam-Njam, Monbuttu und Kredſch wird von den Obernilvölfern nicht 
erreicht. Diejelben gleichen diefen Unterfchied zum Teile durch den Handel aus, ber aller: 
dings in diefen Dingen nur bei den Bongo und andern mehr weitwärts wohnenden Stämmen 
thätig it. Die Bongo erhandeln fi von ihren Nahbarn, den Fertit und Njam-Njam, 
alle bei jenen üblihen Waffen, die fie nicht felbft befigen, nämlich Dolchmefjer, kurze Säbel 
von Sichelform mit der Schneide auf der innern Seite; dann den Trombadſch und Feine 
Bogen und Pfeile, die alle Kredſchſtämme führen. Lettere haben höchitens eine Länge von 
!/s m, der aus einer joliden Rohrart und bei den Kriegspfeilen aus hartem Holze beftehende 





502 Die Negerftämme des obern Nilgebieteß. 


Schaft nur von 30—35 em. Die eiferne Spige ift jehr fein und zierlich gearbeitet, hat zahl- 
reihe Widerhafen und befteht aus 3—4 der Länge nad durch Dorne ineinander gefügten 





1—5 Ropfbededungen, 6—8 Haldbänder der Lattula, Lango und Shuli ſethnogtaphiſches Mufeum, Wien). 


Stüden, die in der Wunde haften bleiben; auch vergiften fie die Kredſch mit Pflanzenfaft. 
Fiederung pflegt nicht angewandt zu werden. Der ftraff geipannte, jehr kurze Bogen 
ift aus Rotang (Stuhlrohr) gefertigt. Die Pfeile, denen der Schüte womöglich eine ganz 


— — * — — — — 


Jagd. Schiffahrt. 503 


horizontale Flugbahn gibt, werden wegen ihrer außerorbentlihen Wurfgejhwindigfeit und 
geringen Größe vom Feinde jelten gefehen, ehe fie ihr Ziel erreicht haben. Ein Kredſch führt 
oft wohl ein Hundert folder Pfeile in kleinem, fadartigem Lederköcher ſtets bei fich, da fie 
nicht nur als Waffe, jondern zugleid als Tauſchmittel dienen. Auch bei den Madi jpielen 
Pfeile gelegentlich diefe Rolle (f. untenftehende Abbildung). 

Für die Jagd beftehen mancherlei ſinnreiche Vorrihtungen. Felkin ſah in Kodſch beſon— 
dere Boote zur Nilpferdjagd. Sie waren aus gebogenen Baumjtämmen jo fonftruiert, daß 
das Nilpferd, wenn 
e3 das Boot von un— 
ten angreift, mit dem 
Kopfe in die Wölbung 
gerät und bequem ge⸗ 
tötet werden kann. 
Bei den Dor verſam— 
meln fich in der trock⸗ 
nen Jahreszeit die 
waffenfähigen Män⸗ 
ner ganzer Gegenden, 
jeder feine Garne mit- 
führend, mittels deren 
allgemeine Treibjag- 
den veranjtaltet wer: 
den; in jeder Hütte 
jieht man große Jagd⸗ 
nege. Als Fallen für 
größere Tiere, bejon= 
ders für Büffel, die- 
nen ftarfe Riemen: 
Ihlingen, die, auf 
finnreihe Art mit 
einer aufjchnellenden 
Bogenjehne in Ver: 
bindung gebracht und 
veritedt in das Gras 
derSteppenniederun: 
gen gelegt, den dar— 
auf tretenden Fuß 
des Büffels feithalten. 
Für die Jagd werden, 
wie für den Krieg, die 
Gefihter bemalt und Eiſenſchmuck angelegt. Fiſchfang ift in allen Arten befannt; auch mit 
einer Harpune, die leicht und mit ftarfen Widerhafen verjehen ift und mit einem dünnen, 
feften Seile regiert wird, wiſſen z. B. die Schuli jehr gut umzugehen. Aber mande Stämme 
verihmähen Fiſche. 

Die Schilluk fertigen Flöße aus dem leichten, Shwammigen Holze der Ambatjchpflange, 
indem fie deren Stengel in zwei Lagen zu einem vorn in einen Schnabel zulaufenden und 
aufgebogenen Floß zufammenbinden (vgl. Abbildung, S. 192). Ein joldes Floß ift jo 
leicht, daß ein Mann dasjelbe wie einen Schild vor ſich hertragen fan. Ja, man hat gejagt, 





504 Die Negerftämme bed obern Nilgebietes. 


ein Mann Fönne drei Flöße, ein Floß aber drei Männer tragen. Die Schilluk bedienen 
fich ihrer beim Fiſchen, wobei fie fich troß der Schwierigkeit, das Gleichgewicht in den jo 
leihten Fahrzeugen zu bewahren, erftaunlich raſch in denjelben bewegen. Auch im Baue 
größerer Kähne und ihrer Lenkung find die Schilluf geſchickt; fie kamen, als fie noch nicht 
zurüdgedrängt und geſchwächt waren, mit Fahrzeugen für 40—50 Mann bis nad) Chartum 
hinunter und fcheinen vor der Zeit des nubifchen Vordringens nad) den 
Hquatorialgegenden dann und warn die ihnen jpäter von den Baggara 
abgenommene Rolle von Nilpiraten geipielt zu haben. 


Im Hüttenbaue diefer Region herrſcht durchaus der Kegelftil. 
Erit bei den Monbuttu treten Langhütten auf. Die Architektur fteht 
nicht auf derjelben Höhe wie bei den Ummohnern des Großen Nyanza, 
es fehlen vor allem mit den entipredhenden politiihen Formen bie 
großen Refidenzanlagen und Paläſte. Dieſer Unterfchied macht fih nad 
Norden hin ſehr raſch geltend. 
Schon bei den Lango ſind die 
Hütten nicht ſo groß wie bei den 
Wanyoro und nach innen und 
außen abſcheulich ſchmutzig. Oft 
ſtehen, wie dort, um den Zaun 
Vfähle, worauf Tierhörner zur 
Abwehr gegen Unheil geſteckt find. 
An Stelle der bienenforbförmigen 
Grashütten der Wanyoro findet 
man bei den Madi Häufer aus 
1!/a m hohen Wänden von Fledht: 
werf, mit einem glodenförmigen 
Dache. Ähnlich find die Bari: und i 
Schuli- Hütten. Kleine Eigen: Eine — Schuli lethnographiſches 

—— rg ufeum, Wien). 
tümlichfeiten fommen übrigens 
fait jedem Stamme zu, und jo haben 3. B. die unzweifelhaft den Schilluk 
ſehr naheftehenden Djur feineswegs den pilzförmigen Stil der Schilluf: 
hütten beibehalten, ebenfomwenig wie fie den Dinfaftil adoptiert haben, 
der ſich durch Majfivität, durch die VBorbauten und Vordächer am Ein: 
gange in die Hütten auszeichnet (j. Abbildung, ©. 505). Bon den 
benachbarten Bongohütten unterjcheiden fi die Behaufungen der Djur 
en auf den erjten Blid durch das Fehlen der Strohpoliter auf der Spitze 
borm; — 2 Holzfpeer des Kegeldahes. Eine einfache breite Strohpyramide, deren Durch— 
der Oftſchuli mit ſchnittsfläche ein gleichjeitiges Dreied ift, bildet das in eine lange Spitze 
gu ausgezogene Dach; bei den Madi des 5.0 nörblicher Breite frönt ein 
Dal. Tert, 5.501. Straußenei diefe Spige. Die Häufer der Bari haben Wände aus 
Matten und find mit weit vorjpringenden koniſchen Dächern gededt; 
bejonders die Baridörfer in der Umgebung von Lado find mufterhaft reinlih. Die ganze 
Gruppe von Hütten ſowie die Höfe für das Vieh find von Euphorbiaheden umgeben, inner- 
halb deren nachts bei allen viehzüchtenden Nilnegern große Rauchfeuer aus Kuhmift zum 
Schutze gegen die Moskitos brennen. Die Lattufa umzäunen ihre Höfe und Gärten mit 
der jonft in diefer Region nicht hierzu benugten Boswellia papyrifera. Die geflochtenen, 
von oben zu entleerenden Kornbehälter, welche mit Lehm und Kuhdünger ausgekleidet find, 





708 3 br 1 Gipug aropıy pou) warındprogug yim jıg uaago mo Jlo@plauog 


Hüttenbau. 505 


Keil 
IHM INN 
—9000 HE) 


—9900 











506 Die Negerftämme des obern Nilgebietes, 


fteben auf Lehmunterbauten oder Pfählen zum Schuge gegen Ratten, die hier jede Hütte 
unfiher machen. Bei den Madi umfchließt der untere Teil diejes Baues die Kühe. Außer: 
dem errichtet man große, ſchräge Gerüfte, auf welche der Seſam zum Trodnen ausgebreitet 
wird. Auf einem freien Plage, inmitten des Dorfes, fteht bei den Bari eine geräumige 
Hütte, in welcher die jungen Ehepaare zufammenleben, bis für ein Paar die Geburt des 
erſten Kindes heran: 
naht; erſt dann be- 
fommt dieſes Paar 
eine Hütte für fich und 
beginnt den eignen 
Hausftand. Bei den 
Madi hat fait jede Fa⸗ 
milte eine Fremden— 
hütte. Bejondere Hüt- 
ten für Anaben, andre 
für Mädchen find in 
den meilten Dörfern 
zu finden. Auch für 
Das gemeinfame Bier 
(an ihm fennen bie 
Madi feinen Privat: 
befig) gibt es beſon— 
dere Hütten. Außer 
den gegen Zauber 
ihügenden Hörnern 
auf Zaun und Thor 
der Dörfer findet man 
oft noh einen in 
hohen Ehren gehalte: 
nen Pla mitten im 
Dorfe, wo ein Baum 
oder ein Baumftumpf 
fteht, der mit Antilo: 
pen= und Büffelhör: 
nern, Löwen-, Leo: 
parden- und Wild— 
fagenjchädeln verziert 
ift. Vor den Hütten 
x = 3 ; des Häuptlinges find 
Madimeiber; = reg — ur en Photographie inderRegeldie Wahr: 
zeichen feiner Würde 
aufgepflanzt: einige große Nogarah (hölzerne Trommeln) und außerdem wohl noch trom: 
petenartige oder andre Kriegsmuſikinſtrumente. 

Die Größe der Dörfer ift fehr verſchieden. Eigentliche Hauptorte, wo der größte 
Teil eines Stammes fih um feinen Häuptling fammelt, gibt e8 bei der politiihen Ser: 
Iplitterung, die in diefem Gebiete vorherrjcht, jelten. Ein folder Ort war einft das Schilluf: 
dorf Denab, das längjt von den Baggara zerftört ift. Die durch die Sklavenjagden weniger 
zerſprengten Südftämme haben noch heute größere Bevölferungsmittelpuntte, wie Madi 


NEBEN 7 
or | ji il 





N ua u N 7 Sa ne — 


Dörfer. 507 





Ein Gäulitrieger Iı in voller —— ee Dorf (nad) — er * Richard — 
Val. Tert, ©. 49. 
und Tarrangole, aufzuweiſen. Im allgemeinen bewährt ſich die Regel, daß die Hirten— 
völker größere Dörfer haben als die Ackerbauer. Das Schutzbedürfnis für die beſtändig 
dem Raube ausgeſetzten Herden führt jene zuſammen, während dieſe im tiefen Walde oder 


508 Die Negerftämme des obern Nilgebietes, 


fonft in einer geſchützten Lage ihre Hütten errichten, um welde ſich die Ader gruppieren. 
Madi, Schuli, Bongo jowie alle Völkerſchaften, die faft ausichließlic vom Feldbaue leben, 
haben nur kleine Dörfer. Bei den Bongo jah Heuglin keins, welches mehr ala 30 Hütten 
gezählt hätte. Doc) findet man oft ziemlich viel ſolcher Gehöfte auf einem Eleinen Bezirke. 
Ahr Oberhaupt iſt gewöhnlich der Neichite und Angejehenfte eines Dorfes oder einer Gegend. 
Die Häuptlingswürde ſcheint urjprüngli überall erblich geweſen zu fein; wo aber bie 
Nubier, beziehentlich Agypter fich zu Herren des Landes gemacht haben, beftätigt der Offizier, 
Handelsmann oder Agent dieje Mejheih (Plural von Scheich, Ortsvorjtand). 





1 Schild der Schuli; — 2 Fauflfhild der Turkani, mit eifenbefhlagenem Schlagſtode (beide im ethnogtaphiſchen 
Mufeum, Bien). Bol. Tert, ©. 501. 


Die obern Nilländer gehörten vor den Verwültungen der SHlavenhändler wohl zu den 
bevölfertiten Teilen von Afrika und find es teilmeife noch jeßt. Sowohl das zu: 
jammenbhängende Gebiet der Schilluf am Wejtufer des Weißen Nil als aud) die ſüdlich davon 
gelegenen Schilluk-Enklaven der Djur und Dembo bieten Beifpiele ſehr dichter Bevölke— 
rung. Nach der Unterwerfung der Schilluf im Jahre 1871 ließ die ägyptiſche Regierung 
einen Zenſus für das eigentlihe Schillufgebiet machen, welder zur ſchätzungsweiſen An: 
nahme von etwa 3000 Dörfern führte. Bei der Größe der einzelnen Dörfer gibt dies 
erheblich über 1 Million Seelen, und man gelangt zu der Annahme, daß auf der englifchen 
Quadratmeile 600— 625 Seelen wohnen. Dies ift eine Bevölferungsdichtigkeit, welche jelbit 
im ägyptijchen Nilgebiete faum zu finden ift; aber freilich ift auch gewiß jelten eine ſolche 
Vereinigung aller äußern Umftände vorhanden, welde die Vermehrung der Bevölkerung 
zu begünftigen im ftande find. Ackerbau, Viehzucht, Jagd und Fiſchfang, alle find gleich 
ergiebig, und die Uberſchwemmungen des Stromes fördern die Fruchtbarkeit. Das jenfeitige 


* nd —_ — — — 


Dichtigkeit der Bevöllerung. Aderbau. 509 


Ufer, wenn es wegen der Feindſchaft der Dinfa nicht dauernd bewohnbar ift, bietet ein 
um jo unbeſchränkteres Jagdgebiet. An die dem Fluffe zunächit liegenden bebauten Län: 
der ſchließt fich ſogleich das Herdenland an, welches einen erftaunlichen Biehreihtum nährt. 
Welcher Kontraft zwijchen diefem ameijenhaufenartig belebten Lande und dem faum 
20 geogr. Meilen entfernten Bongolande, wo man, hoch gerechnet, zwölf Bewohner auf der 
engliihen Quabratmeile findet! Da ift es denn nicht wunderbar, wenn das ganze Weftufer 
des Weißen Nil, jomweit die Schilluf dasfelbe bewohnen, den Anblid bietet, wie Schwein: 
furth jagt, „eines einzigen Dorfes, deffen Abteilungen durch Zwiichenräume von nur 
300—1000 Schritt voneinander getrennt find”, Und fo nennt auch Antinori das Land 
der Djur „vielleicht das bevölfertite unter den Ländern des Bahr el Ghaſal“. Immerhin 
find von dieſen Bevölferungen alle, welche Vieh haben, fluftuierend, da fie in der Negen- 
zeit landeinwärts und in der Trodenzeit am Fluſſe meiden. 





Schurze von Barimweibern (ethmographifces Mufeum, Wien). Bol. Tert, ©. 49. 


Nahden die mannigfaltigen Gegenjtände des Aderbaues ſchon aufgezählt wurden, 
bleibt nur übrig, hervorzuheben, daß dieſe Negervölfer, wie fie in der Menge der angebauten 
Gewächſe voranftehen, jo aud in dem Betriebe des Aderbaues eine hohe Stufe erreicht 
haben. Zwar ift auch hier das einzige Aderwerkzeug, außer dem primitiv zugefpisten Stabe 
zum Bohren der Löcher für die Einfaat, eine Hade mit einem langen Stiele, der in eine 
Gabel endigt (bei den Schuli) oder verbreitert und künftlich geſchnitzt ift (bei den Bongo). 
Die Hade ift halbmondförmig wie die kordofaniſche Haſchaſcha. Die Körner werden von 
den Frauen und Kindern mit großer Sorgfalt einzeln in die Erde gelegt. Dft arbeitet die 
ganze Familie auf dem Felde, und die Rodung, das Verbrennen des Unterholzes und Un: 
frautes, das Auffchichten des Gebörnes in Zäunen rings um das Feld erfordern nicht wenig 
Zeit: und Kraftaufwand. Die Hauptarbeit thun die Männer, an den leichtern Arbeiten ber 
teiligen fich auch Weiber und Kinder; verheiratete Weiber gehen bei den Madi (Moru) nie 
ohne das beim Kornjchneiden gebrauchte Mefjer im Gürtel. Die Leute brechen die Erde oft 
jogar in fnieender Stellung um, wohl um gleichzeitig Knollen und Früchte zu ſammeln. Außer 
den Adern, deren ſchmale Streifen bei den Madi durch Grenzfteine gefondert find, findet 
man um die Hütten Gärten, vorwiegend mit Melonen, Kürbiffen, Tabak, Giftzwiebeln 
(zum Pfeilvergiften) und Blumen bepflanzt. Da indeſſen der Aderbau wejentlih nur das 
erzeugt, was von den Erzeugern wieder verbraucht wird (nur Tabak ift in erheblihem Maße 
Handelsartifel), jo find die reihiten und mächtigſten Völker unter den Nilnegern nicht die 


510 Die Negerftämme ded obern Nilgebietes, 


Aderbauer, fondern die Viehzüchter. Diejenigen, welche, wie die Schilluf und Moru, 
ſowohl Aderbau als Viehzucht intenfiv betreiben, ftehen aber von allen am beften. Hirten: 
völfer in dem einfeitigen, man fann fagen paflionierten Sinne wie die Süblaffern, Galla, 
Mafai, Wahuma finden wir im Nillande in den Dinka und Bari. Nur diefe gehen in 
ber Herdenzucht fait auf, fo daß die Männer feiner andern Beihäftigung jo viel Sorge 

\ und Arbeit widmen 

x wie diefer. Die mit 
© der Viehzucht ver: 
bundenen Gebräuche 
find ähnlich denjeni- 
gen ber füdafrifani- 
Ihen Stämme. Die 
Männer bejorgen das 
Melken und hüten ab: 
wechſelnd die Herde 
des Dorfes. Kälber 
haufen mit in den 
Wohnräumen der Fa: 
milie. Auf die Weide, 
wo die Kühe meiſt roh 
gearbeitete Gloden 
tragen, wird das Vieh 
erjt getrieben, wenn 
der Tau vom Graje 
verſchwundeniſt, denn 
dieſer gilt für ſchäd— 
lich. Die Kühe werden 
auch hier nur beiFeier⸗ 
lichkeiten, von den 
Madi beim Beginnder 
Ernte, geſchlachtet. 
Manchmal wird den 
Tieren Blut entzogen 
und als Nahrungs: 
mittel gebraucht, aber 
die Milch ift die große 
Nahrungsquelle die 
jer Hirtenvölfer; Käſe 
wird nicht bereitet, 
Butter machen bie 
Weiber der Madi. Die Reijenden ſchildern den Rinderreihtum der obern Nilgegenden, 
joweit der Strom grasreiches ſudaniſches Gebiet durchfließt, als außerordentlih. Felkin 
gibt den Durchſchnittsbeſitz an Rindern bei den Madi, die keineswegs reine Viehzüchter 
find, zu 30—40 Häuptern an. Selbſt Arme befigen 3—4 Rinder. Bon der Uferland- 
ſchaft einige Tagereifen oberhalb Chartum ſchreibt Schweinfurth: „Soweit dad Auge 
reicht, find die Rinder über beide Ufer zerftreut und fommen an den Strom herab, um 
zu trinken. An den zahlreichen Tränkplägen fieht man Herden von 1000 bis 3000 Häup— 
tern, die ein prächtiges Schaufpiel bieten.” Auch Schafe find zahlreih, und es ift merk: 





Viehzucht. Viehraub. Gewerbe, 511 


würdig, zu ſehen, wie Schäfer Herden in ihren Barken von einer Uferſtelle zur andern 
führen, während ihre Hunde geduldig hinterherſchwimmen. Ziegen und Schafe ſtehen als 
Haustiere weit hinter den Rindern zurück. Pferde und Eſel haben weder von Abeſſinien 
noch von Nubien aus ihren Weg zu den Negervölkern gefunden. Vom Geflügel ſind nur 
Hühner, dieſe aber bei einigen Völkern (Bongo, Schilluk) in geradezu wimmelnder Menge, 
um die Höfe vorhanden. Gewöhnlich werden ſie nur von Kindern und Greiſen gegeſſen. 
Menſchenfreſſerei wird laut verabſcheut. 

Die Leidenſchaft, mit welcher die Hirten in Afrika an ihren Herden hängen, hat hier 
im Nillande gerade wie im fernen Zambeſigebiete (Makalaka, Batoka) das Schickſal der 
Unterwerfung und Ausſaugung nur beſchleunigen können. Es iſt vor allem die von den 
nubiſchen Sklavenhändlern früh empfundene Notwendigkeit hier zur Geltung gekommen, den 
Stämmen, mit denen man Handel treiben wollte, das beliebteſte Tauſchmittel, nämlich 
Rinder, anbieten zu können, und ſo beraubte man den einen, um mit dem andern zu 
handeln, und der Viehbeſitz wurde ein Fluch für die ſchwer heimgeſuchten Hirten. Der Vieh— 
raub bot außerdem auch in rein politiſchem 
Sinne die wirkſamſte Handhabe zur Unter— 
werfung, die man um ſo eifriger zu ergreifen 
ſuchte, als gerade die Hirten die Unabhängig— 
keit am meiſten lieben. „Von jeher iſt“, wie 
Schweinfurth bemerkt, „in dieſem Teile von 
Afrika der Viehraub im großen die eigentliche 
Grundlage geweſen, auf welche ſich alle Unter— 
nehmungen ſtützten, die zu ihrer Förderung 
einer bedeutenden Waffenmacht bedurften, und 
ſelbſt die philanthropiſchen Zwecke, welche Män— 
ner wie Baker und Gordon auf das Panier Ein Stuhl der Bari (aus Robert B. Feltins Samm— 
ihrer großartig geplanten Kultureroberungs: — —— 
züge geſchrieben hatten, haben ſie ratlos der Aufgabe gegenüber gelaſſen, etwas andres 
an ſeine Stelle zu ſetzen. Nichts liegt mir ferner, als das Verdienſt dieſer nach verſchie— 
denen Richtungen hervorragenden Männer zu bemäkeln, die Triebfeder ihrer Thaten mit— 
einander vergleichen oder die Schwierigkeit ihrer großen Aufgabe herabſetzen zu wollen; trotz 
alledem aber muß ich die Überzeugung ausſprechen, daß die Geſchichtſchreibung von Afrika, 
fall je eine ftatthat, nicht umhin können wird, die Etappen diejer zeitgenöſſiſchen Zivili— 
fationsbeftrebungen mit unrechtmäßig handhoch vergofjenem Ninderblute zu bezeichnen.‘ 





Sn gewerblider Thätigfeit ftehen diefe Völker zwar feinem Negervolfe irgend 
eines andern Teiles von Afrika nad, aber es ift erftaunlich, wie wenig fie von Ägypten 
und Nubien gelernt haben. Sie übertreffen weder im Flechten, noch in der Töpferei, nod) 
auch ſelbſt in der Eifenarbeit, in welcher fie ihr Größtes leijten, andre Negervölfer in merk: 
lihem Maße. Die einzige auffallende Erhebung über das afrikaniſche Negerniveau ſcheint 
im Fortichritte zum Gerben des Leders zu liegen, und auch diefen jcheinen nicht die echten 
Neger, wie Dinfa oder Bari, jondern die den Sandeh näher ftehenden Bongo gemacht zu 
haben. Ihnen dienen (nad) Heuglin) als Gerbmittel namentlid die Rinden einer Syko— 
more und einer Akazie. Nächſt diefem Fortichritte erfennen wir allerdings in der geſchickten 
und ausgedehnten Verarbeitung des Eijens eine jehr achtungswerte Leiftung der Nilneger 
auf gewerblichem Gebiete. Überall in Afrifa gibt es vortrefflihe Schmiede, doch nirgends 
beſſere al3 unter den Djur und Bongo, und nirgends ift der Eiſenverbrauch jo hoch geitiegen 
wie hier, Eifen vertritt hier alle andern Metalle und vor allen auch die Edelmetalle. In 


512 Die Negerftämme des obern Nilgebietes. 


Form von Hauen oder von freisrunden Scheiben (aus denen dur Teilung zwei Hauen 
gemadht werden) fommt es im dortigen Verkehre unjerm Gelde am nächſten (ſ. untenftehende 
Abbildung). Was Schweinfurth von den Dinfa jagt, daß fie jo recht im eijernen Zeit: 
alter, d. h. in einer Zeit leben, in welcher das Eifen noch großen Wert hat, gilt fait für 
alle Nilneger, namentlid auch für die Schilluf und Bari. „Die rauen der Reichen”, jagt 
Schweinfurth von dem erftgenannten Volke, „find oft in dem Maße mit Eifen überladen, 
daß ich, ohne zu übertreiben, behaupten fann, deren etliche gefehen zu haben, welche nahezu 
einen halben Zentner davon an Ringen und Zieraten mit ſich trugen.” Kupfer und Meſſing 
werden geringer geſchätzt und viel weniger verarbeitet als 3. B. im Tanganifagebiete. Beide 
Metalle werden erft im Weiten des obern Nilgebietes häufiger und beliebter, wo fie be: 
jonders bei den Dor in den Handel fommen und zwar in fleinen Blöden von etwa !/s kg 
Gewicht, in welden fie jogar Taufchmittel werden. Die Bongo jchmieden Armringe und 
andre Feine Verzierungen aus Kupfer und ziehen e8 jo: 
gar zu Draht aus. Es ift bei den Njam-Njam und 
Fertit als Tauſchartikel ſehr beliebt. 

In der kunſtfertigen Bearbeitung des Eiſens ſind 
den Djur und Bongo vielleicht die Madi gleichzuſtellen, 
die Dinka ſind trotz ihres Eiſenreichtumes in geringe— 
rem Maße mit Schmiedearbeit vertraut. Dagegen hat— 
ten ſie früher die eiſenkundigen Djur in eine Art Leib— 
eigenſchaftsverhältnis zu ſich gebracht, in welchem dieſe 
ihnen alle Schmiedearbeiten liefern mußten, ähnlich wie 
ſpäter die Djur auch den Nubiern dienſtbar wurden. 
Dieſe Thatſache wirft gemeinſam mit jo vielen andern, 
die auf ein Zufammenfallen der Grenzen einer Kunft: 
fertigfeit mit Stammes: oder Kaftengliederungen deuten, 
ein merfwürdiges Licht auf die Verbreitungsweije des 

Eijenfchmiedens und andrer Künfte. Die Werkzeuge diejer 
ia ir ana ed EM Schmiede find großenteils dieſelben wie im übrigen 
Afrika (vgl. Abbildung, S. 218). Mit dem Steinhammer, 
gewöhnlih nur aus einem runden Kiefeljteine beftehend, deſſen Stiel die nervige Hand 
des Schmiedes bildet, arbeiten fie auf einem Ambofje von Gneis oder Granit und allein 
unterftügt von einem Heinen Meißel oder Stemmeifen und einer Zange aus einfach geſpal— 
tenem grünen Holze. Damit erzeugen fie Produkte, welche Sachkenner mit der ziemlich 
guten Arbeit eines englifhen Landſchmiedes verglichen haben. Es gibt einige Heine Unter: 
ihiede in der Eifenbearbeitung der verſchiedenen Stämme; jo zeigen die Bongo 5. B. im 
Röften des Eiſens über ihre gleichfalls eiſenkundigen Nachbarn, die Djur, einige Über: 
legenheit, die allem Anſcheine nad eigner Entwidelung ift. Auch der Schmelzofen der 
Bongo zeigt einen gewiſſen Fortichritt. 

Haupterz ift der bejonders im Djur- und Bongolande reichlich vorfommende Braun: 
eifenftein. Andre Metalle al Eifen und Kupfer werden hier zwar gefunden, aber nicht 
bearbeitet. Im Schulilande findet ſich in Flußbetten viel Graphit, womit die Hüttenwände 
innen und außen überzogen werben. Es fehlt alfo nicht ganz an Aufmerkſamkeit für 
diefe Gaben. Auch Eifenfpatgerölle werden gefammelt und verarbeitet. Salz ift in dieſem 
ganzen Gebiete nicht in mineraliihem Zuftande vorhanden. Dan fucht dasjelbe durch 
die Aſche gewiſſer Pflanzen zu erjfegen, welche die Djur, Bongo und andre auslaugen und 
mit Tabak gemijcht Fauen. Gutes Salz joll dur die Araber Südkordofans und Darfurs 
dann und wann in Heinen Mengen in das Bongoland eingeführt werden, aber man 





betradhtet den Genuß 
desjelben immer als 
einen hohen Luxus. 
Im Monbuttulande 
dagegen bildet e3, von 
Weiten fommend, be 
reits einen Tauſch— 
artikel. 

Aus der Betrach⸗ 
tung der Kleidung, 
des Schmuckes und 
der Bewaffnung, die 
zuſammen den größ— 
ten Teil der gewerb— 
lihen Erzeugung die— 
jer Völker bilden, ha— 
ben fich bereits die 
Mannigfaltigkeit und 
die verhältnismäßige 
Vollendung ihrer be= 
züglihen Erzeugniffe 
ergeben. Wir nennen 
noch die Heritellung 
von Thonmwaren 
(meift Geſchäft der 
Weiber) und beſon— 
ders von dickbäuchi— 
gen Tabakspfeifen, 
die nach der Mün— 
dung zu oft durch Ein⸗ 
ſchiebung einer birn- 
förmigen Kalebaſſe er- 
weitert find, in wel— 
che der zur Aufnahme 
der Tabaksbrühe und 
zu nachherigem Kauen 
beſtimmte Flachsbal—⸗ 
len eingeführt wird. 
Sie tragen überhaupt 
im Kopfe wie in dem 
Rohre einen maſſigen 
Charakter, als ob der 
herzerfreuende Qualm 
gar nicht raſch und 
maſſenhaft genug ein⸗ 
geſogen werden könne. 
Das Rohr iſt oft faſt 
armsdick, und der Kopf 

Bollertunde. L. 


Thoninduſtrie. Tabakspfeifen. 





un? || EIN Tg 
IN —J— 
NEIN > N — — I: 


Zabalöpfeifen und Zabalsbüdfe der Nilneger (Britifhes Mufeum, 


London) wirkl. Größe. 


—— 


33 





513 








514 Die Negerftämme bes obern Nilgebiete3. 


faßt leicht ein Viertelpfund Tabak. Die Arbeit ift gewöhnlich roh, die einzelnen Stüde find 
durch Haut mit Naht oder Schnur verbunden. Die Nahahmungen menjhlicher Gefihter 
im Pfeifenkopfe find dagegen oft nicht ohne Talent. Große thönerne Töpfe für Getreide, 
Kleinere für Waffer ftehen faft in jeder Hütte. Bei den Madi gehört eine größere Zahl von 





j — — - en 
Bogen, Köder und Pfeile der Djur (Christy Collection, London). 
Yo wirkl. Größe Bol. Tert, ©. 499. 


oft ganz unbenugten Töpfen 
und Körben zum Schmude ber 
Hütte, und bei den Südjtämmen 
wird in einer bejondern Hütte 
das einzige geiftige Getränf, das 
Durrhabier, in großen Töpfen 
verwahrt. 

Flechtarbeit fpielt ſchon 
im Aufbaue der Hütten eine 
große Rolle, ebenſo in der Her: 
jtelung von Fiſch- und Jagd: 
negen. Einige Stämme find aud) 
geichict in der Anfertigung von 
feinern Stroh- und Zweige 
flechten. Die Bongo flechten waj: 
ferdichte Körbe und verjtehen, 
große Baumblätter in Kugel- 
oder Walzenform fo folid und 
dicht zufammenzubeften,daßman 
Getreide in diefen Ballen trans: 
portieren fann, Unter den Holz: 
ſchnitzereien find fehr niedlich 
die Heinen, aus einem Stüde 
Holz gearbeiteten Stühle und 
Schlafſchemel. Auch Platten und 
Schüſſeln von ſehr jehwerem, 
hartem Holze, namentlih von 
Dalbergia, fieht man da und 
dort, doch ftehen die Fertit und 
Njam-Njam in diefer Kunft 
höher, jo daß von ihnen ber: 
artige Schüffeln zu den Bongo 
eingeführt werden. Die bei den 
Monbuttu heimischen Rohrbet: 
ten auf ſechs Holzfüßen fommen 
ſchon bei den Moru (Mabdi) vor. 
Daß aud eine lebhafte Einfuhr 
von Waffen von dort aus ftatt- 


findet, wurde ſchon oben erwähnt, und zwar iſt diefer Austauſch mit den weſtwärts woh: 
nenden Völkern ein beachtenswerter Umftand, der doppelt merkwürdig erfcheint, wenn man 
die fo viel geringern ägyptiichen, abejjinifchen und nubifchen Elemente im Kulturſchatze 


der Obernilftämme in Betracht zieht. 


Auch auf die muſikaliſchen Inftrumente erftredt fich diefer Verkehr. Diefelben 
find daher mannigfaltiger im Weſten als im Often. Die Bongo und Fertit, welche große 


515 





Mufizierende Schulineger (mac eigner Photographie von Richard Budta). 


516 Die Negerftämme bed obern Nilgebietes. 


Freunde der Mufik find, bedienen fi 3. B. als Begleitung zum Gejange einer den Njam- 
Njam und Kredſch entlehnten Mandolinenart mit fünf übereinander liegenden Saiten. Bon 
ihren Liedern jagt Heuglin: „Sie find äußerft harmoniſch, meift ſchwermütiger Natur, 
wie fo viele echte Volkslieder, und bewegen ſich, wie e8 auch bei diejen ſehr häufig der Fall 
ift, in Molltönen, die in richtigem Takte und Rhythmus, teils ein, teils mehrftimmig 
hervorgebracht werden. Zumeift fingt eine Stimme vor, und die andern fallen im Chore 
ein.” Die gewöhnlihen Mufikinftrumente find einfacher. Am meiften Sorgfalt wird noch 
auf die Heritellung von Signalhörnern verwendet, welde im Kriege und wohl aud zu 
Zaubereien Verwendung finden. Sie treten bei den Madi und den Lattufa dadurch in 
— etwas eigenartigen Formen auf, daß ſie bei 
“AM 






N jenen aus Holz in geraden Formen, mit Leder 
hi oder Eidechjenfell überzogen, gefertigt werden, 
” während fie bei diefen wie bei jo vielen an- 
dern aus Elfenbein in Hornform und mit 
glattem Blasloche hergeitellt und in jorgfältig- 
fter Weife durch Überzug gefhügt find. Aud) 
Signalpfeifen, aus Holz gefertigt und mit Fell 
oder Xeder überzogen, kommen bei den Lattufa 
vor. Heuglin fah bei den Bongo 3—5 Fuß 
lange und 12—18 Zoll dide Pojaunen oder 
bejjer Spradrohre in Geftalt eines Menjchen, 
mit einer Heinen jeitlihen Öffnung am ſchmä— 
lern Ende, in weldes bineinrufend ein mit 
fräftiger Stimme begabter Mann auf große 
Entfernung die Waffenträger eines Dorfes zu— 
jammenrufen fonnte. Eine aus Dembo be 
ftehende Mufitbande, die Felkin bei einem 
ägyptiichen Beamten in der Bahr el Ghajal- 
Provinz hörte, beitand aus fünf Männern, 
die auf Robrpfeifen bliefen, und zwei Knaben, 
welde mit Perlen gefüllte Kürbiſſe im Takte 
zu den Flöten jchüttelten. Die großen und klei— 

i i e . nen hölzernen Trommeln find aud im obern 

nn ——— —— —— Nilgebiete im Gebrauche; eine oder mehrere 

Lärmtrommeln ſind vor der Wohnung des 

Häuptlinges oder im Schatten des mit Amuletten behangenen, geweihten Dorfbaumes 
aufgehängt (ſ. Abbildung, S. 519). 





Von gewiſſen heiligen oder geweihten Stätten in den Dörfern der Obernilneger wurde 
oben geſprochen, ebenſo von Gräbern, deren äußere Kenntlichmachung andeutet, daß auch 
dieſe Völfer mit dem Tode und Begräbniſſe nicht alle Beziehung zu dem Toten abgebrochen 
glauben. Bei den Bongo nimmt die Grabausftattung eine ganz neue Geftalt an, und 
zwar führt fie, wie jo mandes im Leben diejes Volkes, auf ein Herüberwirfen der benach— 
barten Sandeh zurüd. Stirbt bei ihnen ein tapferer Krieger, jo errichten feine Genofjen 
auf dem Grabe einen Steinhaufen, umgeben legtern wohl auch mit einer Heinen Umzäunung 
aus rohem Holzwerfe und ftellen einen rundum mit Querjchnitten (angeblih erjchlagene 
Feinde bedeutend) verjehenen Baumftamm jchräg darauf. Die Bari begraben ihre Toten 
einfah in figender Stellung, ganz wie die Kaffern es thun, und häufen Hügel über die 


Mufikinftrumente. Gräber. 517 


Gräber. Höchſt eigentümlich find hingegen die Madi:Grabdenfmäler, die meift aus zwei 
ſchmalen, aufrecht und gegeneinander geneigt geftellten Steinen und zwei Hleinern Platten 
beitehen, welche die Öffnung zwiſchen diejen fließen: alſo eine reguläre Steinjegung 
(j. untenftehende Abbildung). Auf Brun:Rollets Autorität hin verzeichnen wir hier einen 
Gebraud der Schilluf, der an einen ähnlihen von Thomjon berichteten Begräbnis: 
gebrauch bei einem Tanganikaftamme erinnert. „Wenn einer ihrer Gaukler ftirbt”, erzählt 
diefer Neifende, „verbrennen fie ihn und ſammeln mit großer Sorgfalt das von feinem 
Körper abfliegende Fett, um dasjelbe als ein Univerfalheilmittel zu gebrauchen. Die Über: 
reite legt man dann in eine Grube, über welche ein Dach gebaut wird; bier hinein wirft 
man brei oder vier feiner Diener, denen man die Beine abjchneidet, um fie zu verhin- 
dern, wegzulaufen und ihren Dienft bei dem Verftorbenen zu verlaſſen.“ Die Leiche eines 





Dolmenartige Gräber der Madi (nah Robert W. Fellinh. 


verftorbenen Königs blieb bei den Schilluk jo lange unbeerbigt, bis der neue König das 
Begräbnis vornahm, was feine erſte Aufgabe fein mußte. 
Ein Gottesglaube dunfelfter Art ift bei allen diefen Völkern in Spuren zu erkennen. 
Die Dinka ſprechen von Dendid, die Bari von Mun, die Schilluf von Niefam als höchſtem 
Weſen, das befonders als Schöpfer verehrt wird. Ein auch wegen bes Anklanges an bie 
Schöpfungsjagen andrer Stämme intereffantes Liedchen der Dinka, das Kaufmann uns 
aufbewahrt, jhildert ihn in diejer Thätigfeit: 
Am Tage, ald Gott alle Dinge ſchuf, 
Schuf er die Sonne, wieder; 


Und die Sonne geht auf und unter und fehrt wieder; | Schuf er den Menjcen, 
Schuf er den Mond, | Und der Menſch kommt hervor, geht in bie Erde 


Und die Sterne gehen auf und unter und ehren 





Und der Mond geht auf und unter und fehrt wieder; und fehrt nicht wieder. 
Schuf er die Sterne, 

Deutliher noch offenbart fi die Verwandtſchaft mit außerafrifaniihen Mythen in der 

Überlieferung, daß einft ein jeliger Zuftand geweſen, in welchem bie guten Menjden an 

einem von Gott herabgelaffenen Seile in den Himmel fteigen konnten. Der Strid zerriß, 


518 Die Negerftämme bes obern Nilgebietes, 


ober, wie bie Kitſch jagen, das blaue Vöglein biß ihn ab. Auch bei den Madi fehlt eine 
ähnliche dunkle Erinnerung nicht. 

Der Gefpenfterglaube ift auch hier wuchernd entfaltet. Die Dinfa fennen gute 
Geifter, die bei Gott find: Adjok, und böje, die auf der Erde weilen: Djyok. Träger der 
mit dem Gejpenfterglauben verbundenen Zaubereien find bejondere Perjonen, Tyet bei 
den Dinfa, Punök bei den Bari, in der Regel alte Weiber. Bei den Bongo gibt es Heren, 
welche die Tod oder Unfälle andrer verurfadhenden Menſchen zu fennen vorgeben, ihr Thun 
und Treiben verraten und das entftandene Übel beihwören. Auch gegen gewifje Leiden 
und Krankheiten werden häufig alte Weiber zu Rate gezogen. Heuglin madte die Be- 
kanntſchaft einer folden Frau, welche jehr gute Taſchenſpielerkünſte zum 
beiten gab. Bon diefen Zauberern ftammen bie fetifchartigen Zauberpuppen 
(ſ. nebenftehende Abbildung), fußhohe, aus Holz roh und häßlich geſchnitzte 
Figuren, denen in der Region des Mundes einige Zähne und in der Augen: 
gegend zwei rote Bohnen eingejegt find, und welche ebenſo häßlich find wie 
die funftlofeften Gögen der Weſtküſte. Auch die Gräber und die Thore der 
Dörfer find nicht felten mit menſchlichen Figuren verziert, die Bongo trei- 
ben jogar geradezu Lurus mit den rohen Nahbildungen menſchlicher Figuren. 
Die Negenmacherei ift bei den Bari ebenjo entwidelt wie bei ben Betjchuanen. 

Der Tieraberglaube und zwar in echt negerhaften Formen fehlt diejen 
Völkern nicht. Als Heuglin im Lande der Djur eine große Rieſenſchlange 
(Python) erlegte, waren die Neger eines benachbarten Gehöftes jehr un: 
gehalten und jagten, der gewaltjame Tod ihres Ahnnherrn werde ihnen Un— 
heil bringen. Auch die Bari nennen die Schlange ihre Großmutter, und 
Ähnliches erzählt Kaufmann von den Dinka. Die Dinka effen kein Schlan- 
genfleiich, jondern füttern diefe Tiere, glei den Bari, mit Milch oder Fleiſch, 
während die Bongo aud) diefes Fleifch nicht verachten. Den Schilluk erjcheint 
ihr Gott Niefam auch unter der Geftalt einer Schlange, Eidechſe oder eines 
Vogels, und die Madi ftellen ſich die Odi oder böfen Geifter mit Menjchen: 
gefihtern und Schlangenleibern vor. Es gehört wohl auch in das Kapitel 
Eine Banbers des Tieraberglaubens, wenn man bei den Madi innen und außen an den 
pupve der Wänden ber Hütten die jeltfamften Abbildungen von Leoparden findet. Bei 
Barı (eins Erwähnung ber Schonung, mit welder, gleich allen Hirtenvölfern Afrikas, 
nen, die Dinka ihre Herden behandeln, jagt Shweinfurth einmal, man könnte 

verſucht fein, an eine Rinderverehrung nad) Art der indifchen zu benfen, wenn 
diefer Stamm nit auf der andern Seite mit großem Genuffe fi der Berzehrung des 
Fleiſches der von andern geſchlachteten Rinder widmete. Die Schilluk aber hatten nad) 
Brun:Rollet in der That einen Dienft der Sonne und dem Nil gewidmet, in welchem 
Ninder eine Rolle fpielten. In dem Dorfe Hao hielten fie Kühe, die angeblich der Sonne 
und dem Nil geheiligt und alten Wahrfagerinnen, Duendam genannt, zur Bejorgung an— 
vertraut waren. Diefe allein können fie melfen, denn ein gewöhnliches Weltkind würde 
ſtatt Mil Blut erhalten. Eine Anzahl diefer Kühe war früher im Nil verborgen und 
aus bemjelben mit Neben hervorgezogen worden. Die Flußgötter des Nil hüteten ihre 
Herden feitbem fo ſorgſam, daß man gar fein Geräufh vernimmt; fie ſchlagen in der 
Naht am Ufer Pfähle ein, an welchen fie ihre Kühe feitgebunden weiden laffen, und die 
Herden fteigen aus dem Strome oder fehren ins Waffer zurüd, jo oft Nebel auf dem Ril 
liegt. Auch die Tierfage mit mythologiihem Hintergrunde findet ſich bei dieſen Völkern. 
Die Madi erzählen 3. B., daß einft alle Tiere auf einem Flede beiſammen gemefen feien, 
um fich zu ergögen, als die Menſchen famen und fie in einen Feuerfreis einfchloffen. Das 





Mythologie. 519 


Kaninchen war am eifrigſten im Vorſchlagen von Auskunftsmitteln und riet, das Wieſel 
ſolle eine Höhle graben, in die ſie ſich alle retten wollten. Als die Höhle fertig war, 
wollte das Kaninchen ſich vor allen andern retten; doch verbrannten ſie alle mit einziger 
Ausnahme des Wieſels und eines kleinen Vögelchens, das wachſam geweſen war und die 
Tiere gewarnt hatte. Weiter erzählen die Madi, der Löwe ſei früher jo groß geweſen, 
daß bei feinem Brüllen die ganze Erde gezittert habe und die Menſchen umfielen, die dann 
der Löwe auffraß. Ein Mann aber bat den Geift, der Menſchen und Tiere gejchaffen, daß 











Ein Shädelbaum in einem Dorfe der Dor (nah Bolognefi). Bal, Tert, ©. 516, 


er ben Löwen etwas Feiner madhen möge. Die Bitte wurde erhört und der Löwe auf 
feine heutige Größe reduziert. 

Endlich kehrt auch der Baumglaube wieder, von welchem wir ſchon jo oft zu ſprechen 
hatten. Niefam erfcheint bisweilen unter einem Baume und zwar in verjhiebenen Tier: 
geftalten, ja ſelbſt unter der Geftalt eines Kindes, und von diejer Zeit an wird ber Baum 
heilig gehalten; man opfert unter ihm und behängt ihn mit Glasperlen und Stüden 
Zeug. Schlägt eine Wahrjagerin unter demfelben ihren Sig auf, jo fragt man gerade 
fie mit Vorliebe über feine Angelegenheiten um Rat. Einft hatten die Türken einen ſolchen 
feit langer Zeit geheiligten Baum, ohne es zu wiffen, umgehauen. Die Schilluf betrachteten 


520 Die Negerftämme des obern Nilgebietes, 


es als ein großes Unglüd, zogen in Prozeffion dahin, um einen Ochfen bafelbft zu opfern, 
und erfüllten die Luft mit Wehllagen, um ihre Gottheit zu verföhnen; auch weigerten fie 
fih mehrere Tage lang, Provifionen nad) dem Lager zu bringen. Kaufmann rebuziert 
allen Gottesdienft der Dinfa und Bari auf Opfer; „von einem Gebete zu Gott oder Teufel 
wiſſen die Neger nichts”. Von den Mabi bejchreibt Felkin eine Art Gottesdienft in einem 
Steinkreife, wobei ein Lamm gejhladhtet und fein Blut über die Menge ausgeiprengt 
wird, Der Opferer wird in dieſer Beſchreibung als der einflußreichſte Mann des ganzen 
Bezirkes gejchildert. 

Die Schilluk ſchwören unter fi nur beim Niefam, und von allen ihren Schwur— 
formeln ift diefe die einzige, auf die man ſich einigermaßen verlaffen fann. Der Niefam 
bat beinahe in jedem Dorfe einen 
Tempel oder ein Haus, er befigt jelbft 
ganze Dörfer, die dann von einer 
privilegierten, hochangeſehenen Kaite, 
einer Art geiftlichen Adels, bewohnt 
werben. Letztere erhalten einen Teil 
aller Beute, die an Fremden oder 
Feinden gemadt wird, und niemand 
wird es jemals wagen, fih an ihren 
Kühen zu vergreifen, ſei es auch nur, 
um fie zu melfen. Die Reichtümer 
bes Häuptlinges werden im Stabt- 
viertel des Niefam verborgen gehal: 
ten. In den Suntafazienhainen der 
Nilufer tanzen die Schilluf auf ge 
weihten freien Plägen zu Ehren eines 
höhern Wejens. 


Das Leben der Familien und 
ber Gemeinden bietet bei dieſen 
Völkern wenig Neues. Es haben die 
Sklavenjagden der Nubier fo ver: 
wüſtend in beide eingegriffen, daß 
es hauptſächlich ein Beweis für ihre 
Gejundheit fein mag, wenn nicht 
ein Rückfall in abjolute Gejeglofigkeit ftattgefunden hat. Die Sitten und Gebräude find 
die der Neger, jo daß wir hier nur einige bezeichnendere oder eigentümlichere Thatjachen 
hervorzuheben brauchen. Bei den Madi umſchließt jedes Dorf einige engere Freundeskreife, 
deren Mitglieder fi benahbart wohnen, gemeinfam ihre Mahlzeiten einnehmen, ſich im 
Bebauen des Landes unterftügen und fo fich gegenfeitig zum Erwerb größern Privateigen: 
tumes verhelfen, da die Urbarmahung des Bodens den Befig desjelben zur Folge hat. 
Die Stämme zerfallen in Clans, welche ſich herkömmlich nach der Zahl der Steine unter: 
Icheiden, die fie tragen, wiewohl in Wirklichkeit diefe Steine nicht eriftieren. „Wieviel 
Steine trägft du?” ift die erſte Frage, wenn zwei Madi ſich begegnen. Die gleiche Zahl 
bedeutet Bruderſchaft. Bei den Schuli haben, gegen die allgemeine Sitte, die Frauen 
eine Stimme bei der Wahl ihres Gatten. Dies fpricht für die größere Achtung, welche fie 
für ihre Frauen hegen, und in der That nehmen dieje eine höhere Stelle ein als bei den 
übrigen benachbarten Stämmen, die Madi öftlih vom Nil, die Wagugu in der Nähe des 





Gin Borhäuptling (nad dem Leben gezeihnet von Richard 
Budta). 


Familien. Gemeinden. Stämme. 521 


Victoriafeed und vor allen bie Monbuttu ausgenommen, bei welchen allen die Frauen 
höflich behandelt werden, die beiten Site erhalten und, wenn beleidigt, ernftlich gerächt 
werden. Bei den Moru ift Erogamie Gebot. Yon den füdlihen Dinka erzählt Brun— 
Rollet, daß, wenn eine Witwe einen Mann heiratet, der ihr feine Mitgift geben kann, 
die von biefem mit ihr gezeugten Kinder den Namen des verjtorbenen Ehemannes füh— 


ren. „Die Mitgift 
macht die Frau zur 
Sklavin”, ſetzt er 
hinzu. Kaum jchei: 
nenSchranfennaher 
Verwandtichaft der 
Verehelihung ent= 
gegenzuftehen, wenn 
das hauptſächlich 
Entſcheidende, der 
Beſitz, ſie wünſchens⸗ 
wert erſcheinen läßt. 
Jene alte Dinkafür— 
ſtin, die im Sumpf: 
inſel-Gewirre der 
Meſchera des Bahr 
el Ghaſal herrſchte, 
jene „Schol“, welche 
man aus Schwein— 
furths idylliſcher 
Schilderung kennt, 
illuſtriert ſehr gut 
dieſe Familienver— 
hältniſſe, denn ſie 
hatte ihres erſten 
Gatten Sohn gehei— 
ratet, der befiglos 
war, während fie 
einen für dieje Ge: 
genden fabelhaften 
Reihtum an Vieh, 
Ringen, Ketten ꝛc. 
aufweifen konnte. 
Doch war der Gatte 
nur Mitgenießer, 





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—R un 
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Ein Langohäuptling (nad eigner Photographie von Rihard Budta) 


die Gattin hielt den Reichtum feit. Bei den Scilluf Haben wir Spuren von Neffenerbredt. 

Der Kinderreihtum ift in der Regel beträchtlich und das Verhältnis der Eltern und 
Kinder, jelbjt bei einem verfprengten und bebrängten Stamme wie den Djur, jo ſchön 
erhalten, daß, wäre nicht Schweinfurth über jeden Verdacht der Schönmalerei erhaben, 
fein Gemälde des Dorf: und Familienleben der Djur, von welchem wir (S. 151) eine 
Probe gegeben, als ein Idyll im Stile Saint-Pierres oder Forfters erjcheinen würde. 
Außerdem hat Felkin jüngft von dem Eheftande der Madi ein ähnlich günftiges Bild ent- 
worfen. Bei diefen verjammeln fich zeitweilig alle Familienglieder bis zu dem Urenkel, 


522 Die Negerftämme bes obern Nilgebietes, 


wobei das Haupt, ber Patriarch, der Verftorbenen gedenkt und den Lebenden die Familien— 
pflichten einjchärft. Jede Djurfamilie ift rei an Kinderfegen, und wenn die Nubier nicht 
im Lande wären, bie ihnen über die Hälfte des jährlichen Kornertrages ber Felder weg: 
nehmen, fo wäre es längft nad) Art ihrer Stammesgenofjen am Weißen Nil mit einer 
dichten Djurbevölferung bebedt. Die Moru, bei denen Felkin vier als mittlere Kinder: 
zahl angibt, achten auf die Keufchheit ihrer Mädchen und beftrafen Ehebruch. Leider haben 
die Nubier Proftitution, und was damit zufammenhängt, heute ſchon bis an die Grenzen 
biefes Gebietes gebracht. Über ihre Verwüftungen hatte Kaufmann bei den Bari und 
Dinka ſchon vor 25 Jahren zu Hagen. 

Mehr als das Leben der Familie leidet unter ſolchen Verhältniffen, wie fie die Diur 
zur Zeit der nubifchen Raubzüge bevrüdten, das Gemeinde: und Stammesleben. Damals 
waren bie Bongo unter bie Dinfa geſchoben oder geworfen, ihr Land veröbet, ihr Stamm 
zerfprengt. Die Djur hatten feften Grundbefig überhaupt aufgegeben, fie beitellten den 
Boden heute da, morgen dort, je nachdem ein Platz ihnen zujagte. Auch juchten fie ihre 
Pflanzungen in den vor Plünderungszügen der Kaufleute fihern Gegenden anzulegen, ge 
meiniglih auf ausgerodeten und ausgebrannten Stellen im Walde. In der Nähe der 
Wohnungen hielten fie nur Feine Felder und Gärten. Die Schilluf, einjt (nah Kauf: 
manns Schätzung noch 1861 eine halbe Million) das größte Volk diefer Länder, ver: 
Ioren jedes Jahr Boden, gingen ſüdwärts zurüd und büften ihre Hauptitabt und ihre 
heiligen Haine ein. Die Dinfa vollends nannte Schweinfurth ein Volk ohne Häuptlinge 
und ohne Grenzen. Wenn wir hören, daß ein Madiherrſcher, der von Felkin bejuchte 
Taf Farre, außer feinem eignen Stamme 5000 Köpfe beherrſche, find wir über die Größe 
dieſes Staates erjtaunt, willen aber übrigens, daß diefer Häuptling nur in Kriegszeiten 
herrſcht, während im Frieden jedes Dorf fih unabhängig fühlt. Madi, Schuli und Ver: 
wanbte tragen einen gewiſſen demofratiihen Zug in großer perfönlicher Unabhängigkeit zur 
Schau. Die Priefter, die Anorbner von Gottesurteilen und die Rechtſprecher find bei ihnen 
mindeſtens ebenjo einflußreich wie die Häuptlinge, bie daher womöglich auch hier alle dieje 
Funktionen in fich vereinigen. Einige Häuptlinge aus dem obern Nilgebiete, die Baker 
ſchildert, könnten nad) Auftreten und Gebaren ebenjo gut Angola: oder Wayaohäuptlinge 
fein. Der Häuptling des Obboftammes ift ein alter Mann, ein berühmter Zauberer 
und Regenmacher jowie ald mächtiger Herenmeifter hochgeachtet von allen angrenzenden 
Stämmen. Er führt eine aus dem Horne einer Antilope angefertigte Flöte, welcher man 
die Kraft zutraut, Regen entweder zu ſchaffen, oder zu verhüten. Der alte Häuptling 
Katehiba hat 116 lebende Kinder, und alle feine Dörfer werden durch feine verſchiedenen 
Söhne regiert. Wenn er irgend einen Teil feines Diftriftes befucht, um den Tribut ein: 
zutreiben, reitet er ftet3 auf dem Rüden eines Menſchen in Begleitung einiger Diener. 
Dabei muß eine feiner Frauen eine Krufe Bier tragen, um den Reiter und das Pferd zu 
erfriihen. In Orten, wo ber Tribut etwa nicht bezahlt wird, verwünſcht er die Ziegen 
und das Geflügel feiner Unterthanen, damit es unfruchtbar werde, oder droht, den Regen 
zurüdzubalten. 


Urfprung und Verbreitung ber Njam⸗Njam. 523 


24. Die hellen Bölker des obern Wilgebietes. 


Mjiam⸗Njam. Monbuttu!.) 


„Angeſichts des bunten Vöollergemiſches, welches im Gegenſatze zu feiner 
fonfligen Monotonie das Gebiet des Gazellenſtromes auszeichnet, wird der Reis 
fende vor allem an dem Anblide der NJam⸗Rjam mit ganz befonderm Staunen 
haften, Ihre Stammesmertmale unierfheiden fie von ganzen Reiben afrilas 
niſcher Bölter aufs leichteſte. Sie find in jeder Beziehung ein Boll von ſcharf 
audgeprägier Eigenartigleit.“ Schweinfurth. 

Inhalt: Eine Zone heller, aderbauender, lunſtfertiger Völler zwiſchen Nil und Uelle. — Verteilung ber 
hellen Böller über unterworfene dunflere Stämme. — Bongo:Sandeh (Njam:Njam). Körpermerk; 
male. Verunftaltungen, Haarputz und Kleidung. Hüttendau. Hoher Stand des Aderbaued. Tabak. Jagd. 
Waffen. Kunfttriebe. Familie. Begräbnis. Religion. Menfchenfrefferei. Politifhe Zerfplitterung. — 
Monbuttu, Sand. Leute, Rindenkleider. Bemalung und Tättowierung. Haartracht. Waffen. Hoher 
Stand der Handwerke. Thonmwaren. Mufil. Politifche Verhältnifſe. 


Unter 4—6° nördlicher Breite wohnt in dem Lande der Quellen des Gazellenfluffes 
und der Waffericheide zwifchen diefem und ben weft: und fübwärts, entweder zum Kongo 
oder zum Schari, fließenden Gewäſſern ein hellfarbiges, in feiner Weife negerhaftes Volf, 
die Sandeh, von den Nubiern Njam:Njam genannt, welches eher mit den Danalil, den 
Somali, den Galla Dftafrifas und den Wahuma im Quellenlande des Bahr el Dichebel in 
verwandtjchaftliher Beziehung ftehen dürfte al3 mit feinen dunfelfarbigen Nachbarn. Es 
bat fih noch unmittelbar vor der Zeit, wo die erften Europäer e3 befuchten, nad) Norden 
zu ausgebreitet, die Negerftämme, auf welche es ftieß, unterjochend oder vertreibend. Seine 
Borpoften ftehen bereit duch ganz Fertit bis an die Grenzen von Darfur, wo wohl 
die Kredſch zum Teile ihm zugehören, wenn biefe freilich auch ftärfer mit dunfelfarbigen 
Völkern fih gemiſcht haben als die Njam-Njam felbft. Und im Dften find wohl als ähn— 
liches, dur) fremde Zumiſchung entfrembetes, kulturell aber nahejtehendes Borpoftenvolf 
die Bongo aufzufaffen, welche die eigentlihen Njam-Njam von den öftliher wohnenden 
Negern des Nilthales fondern. Über die Ausdehnung ihrer Wohnfige zur Weftgrenze hin 
find bis heute noch feine beftimmten Angaben zu machen. 

Was wir in diefer Richtung zu betonen haben, iſt die weitgehende Übereinftimmung, bie 
in Sitten und Gebräuchen zwifchen den Bongo-Sandeh auf der einen Seite und den Musgu 
des Zentral und Weftfudan auf der andern zu beobachten ift. Gleich diefen verunftalten 
die erftern ihren Körper weniger, fie teilen mit ihnen dem eigentümlichen Bau der Häufer 
und Kornfpeicher, die Art der Waffen und vor allem die nicht jo leicht bei einem Volke 
veränderlice Begräbnisart. Man würde alfo vielleicht an einen weitlichen Urfprung denken 


ı Der Name Njam:Njam ift der Sprache der Dinka entlehnt und bedeutet, auf den Kannibalismus 
dieſes Volles anfpielend, „Freſſer, Bielfreffer”. Der Name, welchen ſich das Volt felbft erteilt, lautet 
Sandeh. Da die Mohammedaner ded Sudan an den Namen Njam-Njam (Plur. Njamanjam) hauptfäd: 
lich die Borftellung bed Menfhenfreffens zu Inüpfen pflegen, fo findet fid) bei ihnen berjelbe auch zumeilen 
für andre Völker in Gebrauch), welche mit ben eigentlihen Njam-Njam, den Sanbeh, nichts gemein haben 
als den Kannibalismus, Nah Schweinfurt haben für dieſes Bolt die Nachbarn folgende Bezeihnungen: 
von den im Norden wohnenden Bongo werben bie Niam:Njam bald Mundo, bald Manganja genannt, 
während ihnen von den hinter jenen lagernden Djur und Dinka der Name D»Mabjafa beigelegt wirb; 
bie öftlichen Rachbarvölfer der Njam-Njam, die Mittu, geben ihnen die Bezeihnung Makarala ober Kalka⸗— 
rafa; bei den Golo heißen fie Kunda, bei den Monbuttu fehließlih Babungere. — Die Monbuttu (von 
Junker neuerdings Mangbattu geheißen) tragen bei den Arabern den Namen Guruguru, welcher an ihre 
Sitte der Ohrendurchbohrung erinnern foll. 


524 Die hellen Völker bed obern Nilgebietes. 


fönnen. Schweinfurth nimmt aber in feiner Betrachtung der Monbuttu die Barthiche 
Anfiht von dem öftlichen Urfprunge der Fulbe und ihrem Hervorgehen aus einer zwiefachen 
Miihung, nämlich einer berberifch-arabifhen und einer berberifchnegroiden, als eine Hypo— 
theje auf, welche auch auf die Njam-Njam Anwendung finden fünnte. Jedenfalls haben 
wir bier, wenn nicht eine deutliche berberifch=negroide, jo doch eine unzweifelhafte Miſchung 
von dunfeln und hellen Menfchen, denn der Abftand der Njam-Njam von ihren dunklern, 
unterworfenen Nahbarn ift auffallend. 

Auch beweiſt die noch fo bunt vorhandene Durcheinanderſchiebung der beiden, daß ihr 
Bufammenfein noch nicht von fehr altem Datum ift. Im Mafarafagebiete ift der Neger: 
ftamım, nach welchem jenes Gebiet benannt wird (f. Abbildung, S. 526), weit entfernt davon, 

die Mehrheit zu bilden; er ift 
nur ber hervortretendite in dem 
dortigen bunten Konglomerate, 
von welhem W. Junker jagt: 
„Ein jo buntjchediges Gewirr 
von Fragmenten verfjchiedener 
Völkerſchaften, die ſich bis zu 
der Zeit, wo bie eriten Elfen: 
bein= und Stlavenhändler ins 
Sand famen, gegenjeitig aufzu: 
reiben drohten, wodurd es an- 
derjeitö den mohammedanijchen 
Eindringlingen leichter wurde, 
feſten Fuß zu fafjen und die Ein- 
heimiſchen dienftwilligzu machen, 

it wohl kaum auf verhältnis: 
mäßig jo beſchränktem Gebiete 

N wie hier andernorts auf befann: 
> tem Territorium des afrifani- 





N * 
ns TERN ſchen SKontinentes wieberzufin- 
FeersL den”. Es iſt das Gebiet im 


S 


Ein Njam:Njam (nad der Natur gezeichnet von Richard Budta). Segenteile am wenigiten gerade 


von Mafarafaleuten bewohnt, 
aber da fie es find, welche fich mit der Zeit für Negierungszwede, Trägerdienft zc. am zu: 
verläffigiten gezeigt haben, wurde der Verwaltungsbezirf ald Mudirieh Makarafa benannt. 
Einheimiſch oder meijt länger anjäffig im Lande ift eine ganze Reihe von Volksſtämmen, die 
teild in Sprade, Sitten und Gebräucdhen verſchieden find, und von denen mande früher 
mächtige Negerftämme gemwejen fein mögen, während fie heute zufammengejchmolzen find. 
Die Liggi, Fadjellu, Abufaja, Abaka, Mondu (j. Abbildung, ©. 527), Moru und Kakual 
gehören zu diefen enklavenweiſe über das ganze Gebiet hin verteilten Stämmen oder viel: 
mehr Splittern von Stämmen. Beim Vorbringen des Handels wurde durch die Gründung 
von Mittelpunkten für Lagerung und Tauſch von Elfenbein und Sklaven und durch die 
im Laufe der Zeit friedlicher werdende Stimmung der verfchiedenen Völkerſchaften bewirkt, 
daß die früher ſchärfer beftimmten Gebietsgrenzen allmählich fielen, jo daß jegt viele von den 
genannten untereinander gemifcht wohnen. Später haben fich in der Nähe der Regierungs: 
ftationen Kolonien faft aller erwähnten Stämme angebaut. Selbjt Bari und Njambara 
haben fih in Hungerjahren oder bei andern Gelegenheiten den heimfehrenden Träger: 
folonnen in Lado oder Njambara angeſchloſſen oder find eigens zu Koloniſationszwecken 


Urfprung und Verbreitung der Njam⸗Njam. 525 


von Regierungsbeamten nad) Mafarafa mitgenommen worden. Nocd mehr hat baburd) 
dieſes Gebiet den Charakter eines in ethnographiſch-anthropologiſcher Beziehung mofaikartig 
geftalteten angenommen, welches einem ewigen Geſchiebe und beftändiger Dislofation der 
darauf Anſäſſigen unterworfen ift. Die Einwohnerzahl in dem befanntern Teile des Njam- 
Niamlandes muß mindeftens 2 Millionen betragen. 

Wie folhe Berbreitungsverhältniffe zu ftande famen, zeigt am beiten gerade die Ge: 
fhichte der Makaraka und ihrer Verwandten, der Bombe, welche beide ald Stämme ber 
anthropophagen Njam-Njam vor faum 40 Jahren aus dem fernen Weiten, angeblich aus 
dem nördlich vom Welle gelegenen Gebiete von Kana und Kifa, hierher ojtwärts einwan— 
derten und nad) vielen Kriegszügen, welche fie bis in das Njambaragebiet unternahmen, 
nun frieblid inmitten ihrer Nachbarn 
leben. Der verhältnismäßig beſchränkte 
Raum, den fie noch heute troß ihrer 
hervorragenden Stellung in dieſem 
Lande einnehmen, fpricht mit für ihre 
ipäte Einwanderung. Und dieje Um: 
fegungen gehen noch immer weiter. 
Denn in die Bongo haben fich jene Teile 
der Schilluf gedrängt, welche wir als 
Djur kennen gelernt haben, und unter 
den Bongo jelbit hat die Sklavenjagd 
dergeftalt aufgeräumt, dag Schwein— 
furth 1873 ſchrieb: „In allen Yän- 
dern bes Islam wird man zur Zeit noch 
viele Bongo unter den Hausjflaven der 
Vornehmen antreffen Zönnen” Auf 
ber andern Seite nahm, während die 
Araber das Rohlgebiet verwüjteten, die 
Stärke der Njam-Njam dur) Zuwan— 
derung flüchtiger Mutti und andrer 
Stämme zu; ihr Häuptling Mbio ver: 
mochte jich zu einer bedeutenden Macht 





A Ein N «N i tographie 
(Ende der ſiebziger Jahre) emporzu— u re en — 


ſchwingen, indem im Laufe der Jahre 

ihm viele Gewehre in die Hände fielen; und nun haben die Herren des Landes, die Agypter, 
in den Njam-Njam ſo vortreffliche Soldaten erkannt, daß ein großer Teil derſelben in 
den Baracken am Nil liegt und dort neue Kolonien heller Neger entſtehen läßt. 


Männer und Frauen dieſer Völkergruppe find kräftiger als die umwohnenden Stämme, 
aber nicht jo hoch gebaut. Die größte Körperhöhe maß Schweinfurth bei den Njam-Njam 
mit 1,3 m, und Felkin gibt für die Bongo als durchſchnittliches Maß 1,76 man. Die Frauen 
find oft jehr did und bilden häufig einen auffallenden Gegenjag zu den ſchmächtigen Dinka. 
Auch) ihre Köpfe find breiter al3 die der weiter öftlich wohnenden Neger und gehören nad) 
Schweinfurth den „untern Stufen der Brachykephalie“ an. Der Haarwuchs ift ſtark, be— 
fteht aber ftetS aus dem fein gefräufelten Vliefe der jogenannten echten Negerraffe. Haar: 
flehten und Zöpfe, welche weit über die Schultern und bis zum Nabel herabhängen können, 
bededen den runden, breiten Kopf. Eine beifpiellofe Größe und Offenheit der mandelförmig 
geichnittenen, etwas ſchräg geftellten Augen, welde, von diden, ſcharf abgezirfelten Brauen 


526 Die hellen Bölter des obern Nilgebietes, 


beichattet, in ihrem weiten Abſtande voneinander eine ebenfo außerordentliche Schädelbreite 
verraten, erteilt dem Gefichtdausdrude ein unbejchreiblihes Gemiſch von Wildheit, Ent: 
fchlofjenheit und Offenheit. Ein von fehr breiten Lippen berandeter Mund, ein rundes 
Kinn, wohlausgepolfterte Wangen vervollftändigen die rundliche Gejtalt des Geſichtsumriſ— 
ſes; ein unterjegter Körper ohne ſcharf ausgeprägte Muskulatur ift verbunden mit einem 
unverhältnismäßigen 
Überwiegen des Ober⸗ 
körpers. Von gerin: 
ger Bedeutung er— 
ſchien Schweinfurth 
die Hautfarbe, welche 
am beſten mit dem 
matten Glanze der 
Tafelſchokolade ver— 
glichen werden kann. 
Die Grundfarbe iſt 
dieſelbe: ein erdiges 
Not im Gegenſatze 
zur Bronze der äthio⸗ 
piſchen (kujchitiichen) 
Völker Nubiens (vgl. 
die beigeheftete Tafel 
„Krieger der Nam: 
Nam“). Felkin 
nennt die Bongo ein 
fach rotbraun. Als 
Stammes » Merkmal 
haben alle Sandeh 
drei oder vier mit 
Punkten ausgefüllte, 
Schröpfnarben ähn: 
lihe Quadrate auf 
Stirn, Schläfen und 
Wangen tättomwiert, 
ferner eine X:för: 
mige Figur unter der 
Brufthöhle, über dem 
a > Nabel, Außerdemtra: 
Mataralaneger um —— —8 von Richard Budta). er — 
merkmale mancherlei 

Muſter in Geſtalt von Strichen, Punktreihen und Zickzacklinien, die ſich auf Oberarm und 
Bruſt tättowiert finden. Bei feſtlichen Gelegenheiten wird der Körper mit vulverifiertem Not: 
holze bejtreut und mit ſchwarzem Gardeniafafte in unregelmäßig marmorierten Muftern bemalt. 
Wie in körperlicher Beziehung, heben ſich aud) in geiftiger diefe Völker von ihren Nad: 
barn ab. Junker findet die weitlih vom obern Nil wohnenden Stämme, vorzüglich die 
Makaraka, „in jeder Beziehung” den öftlihen Stämmen bes Nilthales überlegen. Träger: 
folonnen aus diefem Gebiete verforgten außer fich felbft in ſchwierigen Zeiten auch Lado 





— me — 
— 





Körperliche und geiftige Anlagen, Berunftaltungen. 527 


mit Getreide, und es waren Mafarafa, welche ben erften Dampfer nad dem Mwutan hin: 
auf beförderten. Die Soldaten der Ägypter in den Aquatorialprovinzen kommen faft alle 
von hier und bilden ein ftattlihes Korps. Sie find tapfer, beinahe tollfühn, höflih und 
wohlgemut. „Mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerkes“, jagt Felkin, „Führen fie jeden Be— 
fehl aus. Sie denken aber auch bei der Erfüllung ihrer Pflichten. Ihre Waffe, die Reming— 
ton=linte, halten fie wert und pußen fie jorgfältigft.” Von den Bongo fagt berjelbe 
Reifende: „Sie find anjtellig und geſchickt zu faft jeder Arbeit und leicht in Ordnung zu 
halten. Sie feinen friedfertiger, als es in diefen Diftriften üblich ift, und beſchäftigen ſich 
bauptjählih mit dem Aderbaue.’ 
In Bezug auf die Berunftal- 
tungen verjchiedener Körperteile 
jtehen fich die beiden Hauptgruppen 
dieſer Völkergruppe ſcharf geſon— 
dert gegenüber. Außer der Tätto— 
wierung kommt bei den Njam— 
Njam nur Spitzfeilen der Zähne 
vor, das nicht von allen ihren 
Nachbarn, wohl aber von den ihnen 
unterworfenen Negern geübt wird. 
Es wird hier wie in der Kongo— 
region und anderwärts mit der 
Menſchenfreſſerei in Zufammen: 
hang gebracht. So haben z. B. die 
den Nord-Njam-Njam leibeignen 
Scheri, welche allgemein für Mens. 
ſchenfreſſer gehalten werden, fpigig 
zugefeilte Schneidezähne. Durd) 
ein merfwürdiges Raffınement ber 
Verftümmelung ragen die Bongo 
hervor. Gemeinjam ift beiden Ges — — u 
Ihlechtern die von der Mehrzahl “A ZEBRHRMFID —— 
der Bewohner des Bahr el Ghajal: ii 
Bedens geübte Sitte, fi die untern Schneidezähne auszubrehen. Nur im ſüdlichen, an 
die Njam:Njam grenzenden Teile des Landes tritt an die Stelle diefer Verftümmelung das 
Spipfeilen. Das jeitlihe Ausfeilen der obern Schneidezähne wird aud von denjenigen 
Bongo vorgenommen, welche fi) die untern ausbrechen. Bei andern Individuen beobachtet 
man einen jeitlihen Einfchnitt an allen vier Schneidezähnen, fo daß ſich zwiſchen diefen 
überall ein ftarfer Zahnftocher durchfteden ließe. Noch viel weiter gehen aber die Weiber der 
Bongo in einer Berftümmelung der Unterlippe, die an die entipredhende Sitte der 
Manganja und Musgu erinnert. Sobald das Weib verheiratet iſt, beginnt man die an— 
fänglich nur eng durchlöcherte Unterlippe durch Einführung immer größerer Holzpflöde jo 
zu erweitern, daß fie Schließlich das Fünf: bis Sechsfache ihres natürlihen Volumens erreicht. 
Ganz ähnlich diejen find jene Holzklöge und Knochenſtücke, welche die Frauen der Musgu 
in die Unterlippe fügen; fie find von kurz cylindrifcher Geftalt und im Durchmeſſer nicht 
unter 2 cm did. Durch die auf foldhe Art erzeugte Spannung wird die Unterlippe breit 
aufgetrieben, in horizontaler Richtung erweitert und ragt weit über bie obere hinaus. 
In die gleichfalls durchlöcherte Oberlippe wird ein kupferner Nagel oder ein Freisrundes, 
Heines Plättchen, hin und wieder auch Ringelchen und Strobhalme von der Stärke eines 





— — EN 


don Rihard Budta) 


528 Die hellen Völker des obern Nilgebietes, 


Schwefelholzes geitedt. Ebenſowenig intakt läßt man die Najenflügel. Gleichfalls durch— 
löchert, erjcheinen fie mit ebenſolchen Strohhälmchen, je eins bis drei in jedem Nafenflügel, 
bejpidt. Kupferringe werden mit bejonderer Norliebe durch den Knorpel der Najenjcheide- 
wand gezogen. Zum Überfluffe fügen die fofetten Bongofrauen noch fupferne Klammern 
in die Mundwinkel ein, als handelte es fih darum, die Breite der Mundipalte zu zügeln 
und buchitäblich ihre Munbdfertigfeit im Zaume zu halten. Alle diefe nebenſächlichen Zieraten 
finden fich indes nicht bei allen Frauen und bloß in jehr feltenen Fällen alle zufammen 
von einer einzigen zur Schau getragen; nur der Pflod in der Unterlippe ift obligatorisch 
und dient als Fünftlihes Stammesmerkfmal. Am meijten Löcher haben die Obhrränder, 
jowohl die vordern als auch die hintern der Ohrmufcel; das Ohrläppchen allein hat Raum 
für ein halbes Dugend fleiner 
Kupferringe. So gibt es wohl 
Frauen imLande,die an mehr als 
100 Stellen ihres Leibes durch— 
löchert erſcheinen. (Schwein: 
furth.) Nicht zufrieden damit, 
raufen ſie ſich mit eigens die— 
ſem Zwecke dienenden Zängel— 
hen noch Wimpern und Augen— 
brauen aus, 

Seltjamerweife find es nun 
gerade die Bongofrauen, welche 
im Gegenfage zu den Njam— 
Njam auf jederlei Bekleidung 
mit Fellen, Häuten und Zeug 
verzichten, vielmehr ſich jeden 
Morgen ihre friſche Garderobe 
aus dem Walde holen. Ein 
Zweig oder ein Bündel Gräfer 
wird Hinten und vorn an der 
Lendenſchnur befeftigt. Sehr 
häufig aber ift auch ein Schweif 
N aus dem Bajte der Sanseviera 

Ein Njam-Njam (nah der Natur gezeichnet von Rihard Budta). im Gebraude, der, einem ſchwar—⸗ 
zen Roßſchweife gleich, hinten 
lang berniederwallt. Alle übrigen Teile des Körpers bleiben bei beiden Geſchlechtern un— 
bededt, befonders auch der Kopf, welcher mit einem Federjhmude nur bei Feten und der- 
gleichen verziert wird (ſ. Abbildung, ©. 526). Offenbar bilden in diefer Beziehung wie in 
jo mander andern bie Bongo den Bereinigungspunft von Sitten und Gebräuden ihrer 
Nahbarn und kommen jo dazu, Gegenfäge zufammenzubringen, die ihrem Weſen nad) 
nit zufammengehören. So haben die nördlichen Bongo von den angrenzenden Djur und 
Dinka die Sitte des Ausbrechens der untern Schneidezähne angenommen, teilen mit den 
weitlich wohnenden Stämmen und in geringem Grabe mit den oberhalb der Bari wohnenden 
Nilnegern die Verunftaltung der Unterlippe und entfernen fi fogar in der mangelhaften 
Bekleidung von den Njam:Njam, mit denen fie anderjeit3 fo vieles gemein haben. Sie 
nähern fi dann aber diefen wieder in der Haartracht, denn wo fie im Süden ihrer Wohn: 
fige an fie grenzen, tragen fie Zöpfe und Flechten, während fie im Norden nad) Dinka— 
fitte ihr Haar einfach kurz geſchoren halten. 


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Tracht und Schmud. Hütten und Aderbau ber Njam-Njam. 529 


Die Njam-Njam fuchen ihre Stärke, was Ausihmüdung des Körpers anbelangt, vor 
allem im Haarpuge. Schweinfurth zeichnet ung eine übrigens auch anderwärts in Afrifa 
vorkommende Haartour, welche den Kopf mit einem ftrahlenartigen Gebilde, gleich dem 
Nimbus eines Heiligenbildes, umgibt. Diefer Strahlenfranz ift aus des Mannes eignem 
Haare hergeitellt, indem feine Flechten von der ganzen Seitenperipherie des Hauptes aus: 
gehen und an einem Reifen, der wiederum mit Kaurimujcheln geziert ift, befeitigt aus: 
gejpannt werden. Beim Schlafengehen werden die Drahtitäbe herausgezogen, worauf fi 
der ganze Strahlenfranz zurüdichlagen läßt. Die merkwürdig gejtaltete, vierfantige Stroh: 
müge der Njam-Njam wird ebenfalls vorwiegend von den Männern getragen. Zahlreiche 
Ringe um Arme und Beine, manchmal auch jehwere Halsringe oder Stetten fommen da— 
gegen den Frauen zu. 


Bei allen diefen Völkern herrfht im Hüttenbaue der Kegelitil, aber fie erzielen in 
demjelben eine große Mannigfaltigkeit durch manderlei Variationen und gehören ficherlich 
zu den beiten Architekten in Afrifa. Dies tritt um jo deutlicher hervor, wenn man ihre 
Bauten mit den viel ärmlihern Behaufungen der von ihnen unterworfenen Neger ver: 
gleiht. Das Mafarafagebiet nah) Süden durchziehend, erjtaunt man, bei den Fadjellu 
Hütten zu finden, deren Kleinheit und Ärmlichkeit weit abftiht von den geräumigen Woh- 
nungen ihrer nörblihen Nachbarn. Der Kontraft erjcheint groß, wenn wir Felkin jagen 
hören, daß die Hütten der Bongo nad) denen von Uganda die beften waren, die er in Afrika 
antraf. Die Hütten find oben abgeplattet, und diefes Merkmal der Abplattung drüdt 
dem allgemeinen Bauftile ein eignes nationales Gepräge auf. 

Es iſt ſchon als eine der großen Gemeinjamfeiten diefer Völker hervorgehoben wor: 
den, daß fie hauptſächlich Aderbauer find. Der Aderbau fteht bei ihnen weitaus in erjter 
Reihe, die Zucht der Ziegen, Schafe, Hühner und weniger Ninder ift Nebenſache. Das 
Land kommt dem Ackerbaue entgegen, denn es gehört zu den fruchtbariten, vegetationg: 
reihiten Gebieten Afrikas. Was im Nilgebiete wählt, fommt aud) hier vor. Der Bo: 
den bringt befonders Telabun (Eleusine), Büſchelmais, Seſam, Erdnüffe, Kufurbitaceen, 
Tabak zc. hervor; wild wachſen unter anderm Bananen, deren Früchte bis zu einem Fuß 
lang werden jollen, Kaffee (in Bendjieh), Bataten, eine Ölpalıne, deren Früchte die Größe 
der gewöhnlihen Bananen erreihen. Der Butterbaum ift überall verbreitet. Es iſt be- 
zeihnend für die feuchtere Atmofphäre, daß (nad) Heuglin) Dorngewächle, diefe Charakter: 
pflanzen Afrifas, namentlich Afazien, gänzlich zu fehlen jcheinen. Um jo auffallender iſt in 
anbetracht ſolcher Fruchtbarkeit eine gewiſſe Armut oder befjer Einförntigkeit des Aderbaues 
bei den Njam-Njam, die beſonders auch ſcharf von dem abiticht, was wir in diefer Beziehung 
bei den Monbuttu finden. Cine geringere, bei den öjtliher wohnenden Völkern, aud) den 
Bongo, nur ſchwach vertretene Getreibeart, die Eleusine coracana, bildet nämlich hier den 
Hauptgegenftand der Kultur, während Sorghum in den meijten Gegenden des Njam- 
Njamgebietes gänzlich zu fehlen jcheint, auch Mais nur in geringem Umfange angebaut 
wird. Es jcheint ſich hier das Verhältnis der herrihenden Raffe im Sudan zu den unter: 
worfenen Negern zu wiederholen, welche insgefamt befjere Aderbauer als ihre Herren find. 
So ſcheint hier die Krone des Landbaues den leibeignen Kalika zu gebühren, deren Land 
(jüdlih vom Mafarafagebiete, unter 39 nördlicher Breite) auf Junfer den Eindrud eines 
der beitangebauten und viehreichiten Länder machte, die er in Afrika gefehen. „Ausge— 
dehnte Aulturfelder mit weit über manneshohen Durrhaftengeln, zwiſchen denen fich tie 
Eingebornen jhügend verborgen hielten, Heine Streden, mit Lubia, verfchiedenen Arten 
Bohnen, Kürbiffen, ſüßen Bataten zc. beitellt, an den fanft geneigten Hügeln abgeweidete 
Miefen, die vielfah in allen Richtungen von fleinen Gewäſſern, Bächen, tief liegenden 

Bölterfunde. I, 3 


530 


Die hellen Bölter des obern Nilgebietes, 





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Krieger der Malarala (nad eigner Photographie von Richard Buchtah. 


Ninnjalen durchzogen find und auch hier von anitehender üppiger Baumvegetation als 
ſchmaler grüner Streifen begleitet werden, ab und zu aus den Kulturfeldern aufragende 
Heine, kaum cinige Dugend Bäume zählende Haine, deren Hochſtämme durch Buſchwerk und 


Aderbau und Biehzucht der Njam-Njam. 531 


Schlinggewächſe verdichtet find, einzelne die Stelle unfrer Dorflinde einnehmende Stämme, 
welche friedliche Schattenpläße bieten und auch hier vielfach bei den über das Land verteilten 
Heinen Weilergruppen anzutreffen find, während die Delebpalme und Banane nur ver: 
einzelt vorkommen, laſſen (alles in allem) die Gegend auf den erften Bli mit einem kul— 
tivierten Landſtriche in Europa vergleichen.” 

Für die Njam:Njam ift es bezeichnend, daß, während die Bongo als Volk von Ader: 
bauern das Wort „monj“ ſowohl für Sorghum vulgare, die Bafis ihres Feldbaues, als 
auch für Speife überhaupt gebrauchen und es noch dazu als Zeitwort für „eſſen“ ver: 
wenden, die Njam:Njam diefen Ausdrud dem Worte Fleifh, „puſchio“, entlehnen, welches 
aud für Wild im allgemeinen gilt; die Speife heißt bei ihnen „puſchje“. Sie verhalten 
fich zu den Bongo hinfichtlich des Landbaues wie große, 
aber träge, nachläſſige Gutsbefiger zu einem emfigen 
Bauernvolfe. Thatjählid arbeiten fie ſelbſt unge: 
mein wenig im Felde. Es iſt ebenjo bezeichnend für 
ihre Verwertung der Erzeugniffe des Nderbaues, daß, 
wenn auf jedes Wohnhaus in der Regel drei Kornſpeicher 
fommen, von diefen nur zwei das zur Mehlkoſt erfor- 
derlihe Korn enthalten, der dritte aber ausſchließlich 
mit ſolchem in gemalztem Zuftande angefüllt it. Die 
Njam-Njam find in außergewöhnlichem Maße dem 
Biergenufje ergeben. Sie find ferner, wie die größten 
Rauder, jo die größten Tabafspflanzer Djtafrifas. 
Keine Hütte ohne Tabaksbeet, das, um dem Naube zu 
wehren, jo nahe wie möglich gehalten wird. Ihre 
Sprade iſt die einzige in jenem Gebiete, welche ein 
eignes Wort für dieſe Kulturpflanze hat; Gundeh nen: 
nen jie die Nicotiana tabacum, während Nicotiana 
rustica hier völlig unbekannt ift. Die Njam:Njam 
rauchen den Tabak aus kurzen Thonpfeifen von eigen: 
tümliher Gejtalt ohne Rohr; das Tabakfauen ijt bei 
ihnen nicht im Gebrauche, wohl aber bei den Bongo. 
Von diejen wird der Tabak (angeblih mit Kuhmiſt 





emifcht) in fteinharte Kuchen geformt, die mit Mü Wurfeifen der Sur, füdlid von den 
9 > ) r bi — Rudy 8 j R b u * — Matarata wohnhaft (Muſeum für Vollerkunde, 
zerichlagen und zwijchen Steinen zerrieben werden, un Berlin). Zul. Tert, ©. 599. 


dieſe „Meſchir“ genannte Sorte ijt fo Eräftig, daß un— 
geübte Raucher fie nur in der Miſchung mit leichtem Blättertabafe genießen fönnen. Nur 
Vermöglichere befigen größere Vorräte, da der Preis ein verhältnismäßig ſehr hoher ift. 

Die Viehzucht nimmt vom Nil nad) Weſten hin plöglid ab; die Djur find die legten 
ſtarken Rinderzüchter. Den Njam:Njam aber find Kühe und Ziegen meijt nur vom Hören: 
jagen befannt. Die Njam-Njam find dagegen ebenſo wie die „alles eſſenden“ Bongo 
große Hundefreunde. Ihre Tiere find außerordentlich zur Fettbildung geneigt, die von ihren 
Herren noch bejonders gefördert wird, da Hundefleifch einen ihrer vorzüglichiten Leder: 
bijjen ausmacht. 

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß das Fehlen der Rinderherden, jenes 
großen Anziehungspunftes der nubifchen Räuber und Händler, von günftigem Einfluffe auf 
die Stellung diejer Völker zu den nubifhen Invafionen war; allerdings nicht für die Dauer. 
Aber fpeziell die Bongo, welche nad den Schilluk und Dinka den Anprall auszuhalten 


hatten, zogen außerdem von der leichtern Beweglichkeit Gewinn, die in dieſen Ländern dem 
341* 


532 Die hellen Völker des obern Nilgebietes. 


Aderbaue eigen ift, der hier leicht ein neues Stüd Land in fhütendem Berglande urbar 
machte, wenn die Sklavenjagden ihn aus der Ebene vertrieben hatten. Der Hälfte des 
Volkes gelang e3, fi durch Mafjenauswanderung der Sklaverei zu entziehen; ein Teil 
ging unter die Dinfa nad) Norden, ein andrer zog fih nah Süden an die Grenzen der 





— —— 


Pingah, Wurfwaffen der Lur (Muſeum für Völferfunde, Berlin). Bgl. Text, S. 539. 


Njam-Njam zurück, wo die durch Berge dargebotenen Terrainvorteile einen längern Wider: 
ftand gegen das Bordringen der Chartumer begünftigten. 

Behufs der Jagd zähmen die Njam:Njam ein kleines Raubtier, vielleicht eine Nyzäna. 
Neben zahlreihen Vogelarten kommt dort gezähmt aud der rotſchwänzige Papagei (Psit- 
tacus erithacus) vor; er wird öfters zum Sprechen abgerichtet. Entjprechend ihrer Herren 
ftellung unter den dun= 
feln Zeibeignen, find 
fie große Jäger. 


Die Bongo, von de- 
ren Eifeninduitrie 
Ihon früher (S. 512) 
die Rede war, jtellen 
: außerorbentlih gute 
Ein eiferner Dolch, bei Rem: Rjam und Zuareg üblid (Christy Collection, London ren ver : = 
‚ a En Y a, Fondon). find die Ninge, die fie 

maſſenhaft, oft 20—30 
an einem Arme, al3 Schmud und zum Parieren tragen, gut gearbeitet und von ſchöner Form. 
Die Speere der Bongo befigen furchtbare Widerhafen, während die mit einfachen Spigen ver: 
jehenen, ganz eifernen Lanzen der Njam:Njam in Einfachheit ber Gefamtarbeit denen der Zulu 
ähnlich find. Die Rupferlanzen der Njam-Njam find ausgezeichnet durch Größe und Dide 
der mit einfeitiger Oſe um den Schaft gelegten Klinge und durch ſchöne Glättung des Schaftes. 

Die harakteriftiihe Waffe dieſer Völker, welche nirgends eine fo hohe Ausbildung erfährt, 
find die Wurfmeſſer oder Trombadſch, auch Kurbadſch, Pingah zc. genannt, die im ganzen 





Jagd, Waffen, Geräte der Njam-Njam. 533 


nördlichen Mittelafrifa bis zum Tſadſee hinüber gebräuchlich find (ſ. Abb., S. 531,532 u. 540). 
Sie haben eine Länge von 15 bis 20 Zoll, einen Handgriff, mit Schnüren ummunden, und be: 
ftehen aus einem Stüde Eifen, das vorn an der kurzen Klinge einen oder mehrere quer ftehende 
Arme oder Meffer hat, die Scharf geichliffen find. Die Waffe, welche mit dem Bumerang einige 
Ähnlichkeit hat, wird horizontal geſchleudert, jo daß fie während ihrer Flugbahn beftändige 
Drehungen um fich felbjt macht. Eigentümlich find ferner auch die 
eijernen Dolce der Njam-Njam, welche bezeichnenderweife ganz ähn- 
lich bei den Tuareg vorfommen (j. Abbildung, ©. 532 unten). 
Bogen und Pfeile diefer Völker fommen denen der Djur nahe. 
Eritere find oft in jehr forgfältiger Weife durch Eiſenband ver: 
ftärkt. Von den forgfältig gearbeiteten geflocdhtenen Schilden der 
Njam-Njam iſt ſchon früher (S. 501) die Rede gewefen. Wir bilden 





Schild 1 der Mondu — 2 der Njam:Njam — 3 der Malaraka ſethnographiſches Mufeum, Wien). 
Yo wirtl. Größe, 


hier die einfachere und die vollfommnere Form ab. Der Kreuzzeichnung auf der legtern legt 
Schweinfurth Wert bei als Zeugnis der Berührung der Njam:Njam mit der Weitküjte. 
Wir follten aber glauben, daß das Kreuz fi aud hier ungezwungen beim Suchen nad) 
geometriſchen Ornamenten ergeben haben müffe. 

Alle diefe Völker find geſchickt im Holzihnigen. Sie verzieren die Stuhlfüße mit 
reihem Schnigwerke, auch Menſchen bilden fie jo ab (doch darf man dieſe Figuren nicht 
fogleich für Gögenbilder anfehen) und ſchnitzen aus Holz gute Löffel. Die ſchönen Harfen, 
deren Hälfe fie in gefchnigte Tier: oder Menſchenköpfe endigen laffen, und welde von den 


534 Die hellen Völker des obern Nilgebietes. 


Njam-Njam aus ihren Weg zu den Bongo und weiter zu den Nadhbarvölfern gemacht haben, 
zeigen, mit welchem Geſchmacke und welcher Feinheit fie arbeiten (f. untenftehende Abbil- 
dung). Bei den Bongo erreicht durch die maſſenhaften menſchlichen Figuren, mit denen fie 
ihre Dörfer, Thore und Gräber ſchmücken, diefer Kunftzweig eine befonders hohe Entwide- 
lung. Dort finden fi in den Dörfern häufig ganze Reihen aus Holz geſchnitzter Figuren, 
melde am Eingange der Pfahlumzäunung, deren verziertes Thor fie darjtellten, oder bei 
den Hütten der Njere (Älteften) aufgeftellt find, um das Andenken an diefe oder jene her- 
vorragende Perjönlichkeit in der Gemeinde zu verewigen. 

In der Heritelung von Thonwaren und Geflecht fommen bieje Völker den Mon- 
buttu gleih. Offenbar gehören fie mit diefen einer größern Zone hoch entwidelter Ge 
werbsthätigkeit und Kunfttriebe an, deren öftlihen Ausläufer fie bilden. 





Harfen der Njam:Njam (Christy Collection, London). 


Im Familien- und häuslichen Leben der Bongo-Njam-Njam zeigt ſich ein höherer 
Grad Kultur als bei allen Negern diefer Gegenden, ſelbſt die Monbuttu nicht ausge 
ſchloſſen. Mit Recht hebt Felkin von den Bongo als bezeichnend hervor, daß hier zuerſt die 
Kinder nicht mit den Eltern zufammen, fondern in eignen Hütten ſchlafen, „was bei feinem 
andern Stamme zwiſchen bier und Lado der Fall ift”. Die Ehen werden hier nicht jo 
früh gefchloffen wie bei andern Stämmen, erft vom 15. bis 17. Jahre an, und find 
wahrjcheinlich aus diefem Grunde auch finderreiher. Bei den Njam:Njam ift Kinder: 
jegen ein erwünfchtes Zeihen von Glüd und Gedeihen. Auch wird bei ihnen das Freien 
durch feine Tributforderung erfchwert, welche der Vater der Braut nad) fonft weit in Afrika 
verbreiteter Sitte an den Freier zu ftellen pflegt. Will jemand heiraten, jo wendet er fid, 
in der Regel an den König oder an einen der Unterhäuptlinge, ber ihm alsbald eine 
Frau nad feinem Geſchmacke verſchafft. E3 büft die Ehe trog der unbeſchränkten Viel: 
weiberei doch nichts von der Strenge und Heiligkeit ihrer Verpflichtungen ein. Die Frauen 
der Njam:Njam zeichnen fi dur ihr zurüdhaltendes Weſen aus, wogegen die „Nſangah“, 


Yamilienleben, Begräbnis der Njam-Njam. 535 


bie Dirmen, welche fi meift aus finderlofen Witwen refrutieren, um fo freier find. Die 
allgemeine Verbreitung biefes Inſtitutes wirft eher ein günftiges Licht auf die Strenge 
der Familienbande. 

Die Bongo begraben ihre Leihen in Hoditellung. Man hüllt den zuſammengeſchnür— 
ten Körper in einen aus Häuten zufammengenähten Sad und fegt ihn in ein jehr tiefes, 
mit einer niſchenför⸗ 
migen Seitenfammer 
verjehenes Grab, jo 
daß der Sad mit der 
Leiche in der Weife, 
wie e3 die Vorjchrift 
des Islam erheifcht,, 
nit den Drud des 
zur Füllung der Grab: 
höhle dienenden Erd: 
reiches zu tragen hat. 
Männer werden mit 
dem Geſichte nad) 
Norden, Frauen nad) 
Süden gewandt be: 
graben. Über dem 
Grabe errichtet man 
einen großen cylin= 
drifhen Steinhügel. 
Mitten auf den 
Steinhaufen wird ein 
Wafferfrug geftellt. 
Stet3 bezeichnet man 
die Grabftätte, wel: 
he dicht neben ben 
Wohnhütten gelegen 
ift, durch hohe, mit 
vielen Kerben und 
Einichnitten verzierte 
Holzpfähle, deren 
Afte mit Benugung 
der natürlihen Ga— 
belung wie Hörner Er — — 
zugeſpitzt erſheinen. zu z zz EEE RL 
Ahnlich iſt im ganz Ein Harfenfpieler der Rjam-Njam (nad) eigner Photographie von Richard Bucht a). 
zen die Zeremonie der 
Beifegung bei den Njam-Njam, welche den Leihnam feitlih ſchmücken und jalben und bei 
der Lage desjelben ebenfalls die Himmelsgegend beobachten, aber infofern vom Braude 
der Bongo abweichen, als fie das Antlit des Mannes nad Oſten, des Weibes nad) Weiten 
fehren. Sie beftatten in der Grabfammer, die durch Pfähle geihügt ift, den Leihnam ent: 
weder figend auf feinem Stuhle oder liegend in einem fargartigen Baumftamme und er: 
richten jchließlich auf dem feitgeftampften Grabe eine Hütte. Zum Zeichen der Trauer 
ſcheren fie fi die Haare. 





536 Die hellen Bölter des obern Nilgebietes. 


Man nimmt e8 angeficht3 diefer Sorgfalt des Begräbniffes nicht ohne Zweifel cuf, wenn 
der bejte Beobachter diejer Völker meint, ein eigentlicher religiöfer Kultus in unferm Sinne 
fehle den Bongo wie allen Negervölfern dieſes Gebietes. Für die Gottheit ſoll ihre Sprache 
feinen jelbftändigen Ausdrud haben, fondern dieſelbe Bezeichnung „Soma ebenſowohl Glüd 
und Unglüd bedeuten. Soma wird aber für das Schidjal jo gut wie für das höchſte Weſen 
gebraucht, das fie in den Gebeten ihrer fremden Bebrüder mit „Allah“ anrufen hören. 
Es fommt wohl auch 
der Ausdrud Soma: 
gobo, d. h. Gott der 
Obere, in Anwen— 
dung, um ben Gott 
der Türken zu bezeich- 
nen. Die Sprade 
fann bier nicht ent— 
iheidend jein, denn 
Tiefe des religiöjen 


4/5114 4 NENNEN Gefüptes fann mit 


RER le an 1 re NT Unvolllommenbeiten 

I m ar BRITEN der Sprade zuſam⸗ 
I . j —— — —— NN — wa⸗ 

IT ZEN 1,9 "4 j gen, nach dem weni- 
u Köln Ki 0 7 NEE M EFT gen, was von Glau⸗ 
en u > — u ben der Bongo und 

x Njam-Njam bekannt 
geworden, zu jagen, 
daß fie auch hierin 
mindeſtens das all: 
gemein afrikaniſche 
Niveau erreichen. So 
teilen fie den Hyänen- 
glauben, denn Felkin 
wurde im Bongo— 
lande gewarnt, Hyä- 
nen zu töten, weil die 
— Eingebornen glau— 
| Gin Binfa — der Njam:Njam (nad ei F —2 von Den ONE Fell, We 
Rihard Babie), ſonders Frauen, hät- 

ten die Macht, fich in 

ihren Körper zu verjegen und jo bei Naht auf Raub auszugehen. Sie haben Zauberer, 
welche in nicht3 von denen andrer Neger ſich unterjcheiden; fie haben diefelben Augurien, 
wie man fie an der Weſtküſte findet. Bei den Njam:Njam wird 3. B. bei allen bejondern 
Gelegenheiten, namentlih aber vor Unternehmung eines Feldzuges, in Gegenwart des 
Häuptlinges einem ſchwarzen Huhne ein Pflanzengift gereicht. Stirbt diefes Tier, jo be: 
deutet dies Unglüd; im entgegengejegten Falle ift man eines guten Erfolges ſicher. Und 
endlich gehört wohl auch die Menſchenfreſſerei in dieſe Reihe, die von einem Teile 
der Njam-Njam nah Monbuttumeije geübt wird, aber nicht allgemein zu fein fcheint. 
Schweinfurth erfuhr von Leuten, welche den Weiten des Landes beſucht hatten, daß fie 
dajelbit auf feine Anzeichen von Kannibalismus geftogen feien. Piaggia, welder gleichfalls 





Religion, Menſchenfreſſerei, ftaatliched Leben der Njam-Njam. 537 


biefe Gegenden kennen lernte, war während jeines dortigen Aufenthaltes nur einmal 
Zeuge, daß auf einem Kriegäzuge das Fleiſch der erjchlagenen Feinde, doch, wie er angibt, 
nur „aus Haß und wilder Blutgier, verfpeift wurde. Schweinfurth macht aus eigner 
Erfahrung Häuptlinge namhaft, welche jelbjt den Genuß von Menjchenfleifh verabicheu: 
ten, „Im großen und ganzen aber”, jagt er, „darf man getroft die Njam-Njam als ein 
Volk von Anthropophagen bezeichnen, und wo fie Anthropophagen find, find fie e8 ganz und 
machen auch Fein Hehl daraus.” Die Anthropophagen rühmen fidh felbit vor aller Welt 
ihrer wilden Gier, tragen voll Oftentation die Zähne der von ihnen Verſpeiſten, auf Schnüre 
gereiht, wie Glasperlen, am Halſe und ſchmücken die urjprünglich nur zum Aufhängen von 
Jagdtrophäen bejtimmten Pfähle bei den Wohnungen mit Schäbeln ihrer Opfer. Am häu— 
figiten wird das Fett von Menſchen verwertet. Verſpeiſt werden im Kriege Leute jeden 
Alters, ja die alten häufiger noch als die jungen, da ihre Hilfslofigfeit fie bei Überfällen 
zur leichtern Beute des Siegers geftaltet. Verſpeiſt ferner werden Leute, die eines plöß- 
lihen Todes ftarben und in dem Diftrikte, wo fie lebten, vereinzelt daftanden. Die fonft fo 
vorzüglihen Makaraka-Soldaten Geſſi Paſchas waren als Auffreffer ihrer Feinde allgemein 
befannt. Felkin zog darüber Erfundigungen ein und meint: „Wenn ich berichte, daß die 
Njam-Njamkrieger die Gefallenen aufzehrten, jo muß man nicht annehmen, bies fei nur 
bier in Zeiten der Hungersnot oder im Kriege gejchehen. Der Genuß von Menjchenfleiich 
ijt bei ihnen allgemein üblih, und manchmal lafjen fie Kinder fterben, damit die Ver: 
wandten und Freunde diejer unmenfchlichen Neigung frönen können.“ Letzteres könnte eine 
nubiſche Übertreibung fein. Es werden auch die Bombo von Junker im Gegenfage zu den 
nördliden Mafarafa als „anthropophage Njam-Njam“ bezeichnet. 

Die Njam:Njanı teilen fich in Freie oder Adlige, die herrichende Klaffe, und in Unter: 
worfene oder Sklaven. Erftere nennen fih „Sandeh“ und gehören der hellern Raffe an. 
Es fällt im ganzen und großen eine ethnographiſche Scheidung, wie im Sudan, mit der 
jozialen zufammen. In politifher Beziehung herrſcht eine große Berfplitterung. Das 
Volk zerfällt in zahlreihe Stämme, und mehr als hundert erbliche Sultane oder Fürften, 
d. h. beſſer Barone, alle aus dem Adel der Njam-Njam, herrichen im Lande; aber nur 
einige derjelben befigen eine anjehnlihe Streitmacht und ein großes Gebiet. Dasfelbe ift 
bei den Bongo ber Fall. Als im Jahre 1856 die erften Chartumer das Bongoland be- 
traten, fanden fie das ganze Gebiet in eine Unzahl kleiner Diftrikte und völlig voneinander 
unabhängiger Gemeinden geteilt. „Es herrichte daſelbſt die normale Anarchie afrifanischer 
Duodezrepubliten.” (Schweinfurth.) Gin Gemeinwejen, wie bei den Dinka, welches 
ganze Dütrikfte zu einem durch Kriegermenge imponierenden Stamme vereinigte, war nicht 
zu finden. In feltenern Fällen unterftügte diefen Einfluß des Dorfälteften der mit jeinem 
Namen verknüpfte Ruhm der Zauberei. Leicht wurde es den rohen Söldnerbanden, ſich 
Gemeinde nach Gemeinde, Bezirk nad) Bezirk zu unterwerfen, und diefelbe Methode glüdte 
ihnen bei den ebenjo Eonftituierten Njam-Njam. Dieſe Zerfplitterung ſcheint aber nicht 
immer bejtanden zu haben, wenigitens entjpricht ihr noch feine ethniſche Sonberung, wie 
wir daraus ſchlleßen, daß nah Schweinfurth die Sprade der Sandeh, trogdem die Volks: 
zahl einige Millionen betragen mag und die Verbreitung derfelben eine beträchtliche ift, 
feine auffallenden dialektiſchen VBerjchiedenheiten aufweiſt. Daß er 3. B. die Tier: und 
Pflanzennamen durch das ganze Gebiet glei fand, fpricht bei nit nomadiichen Völkern 
für einen einft innigern Zujammenhang. 


Das Monbuttuland liegt zwifhen 3 und 4° nördlicher Breite jenfeit der Nil: 
waſſerſcheide im obern Gebiete des noch immer rätjelhaften, nad Weſten fließenden Uelle. 
Schmweinfurth gibt das Areal zu ca. 200 geogr. Meilen, feine Bevölkerung zu einer 


538 Die hellen Bölter des obern Nilgebietes, 


Million an. Es wäre dies eine für innerafrifaniihe Verhältniffe dichte Bevölkerung, bei 
deren Zahl man indeffen im Auge behalten muß, daß fie nur durch Schägung gewonnen 
ift. Von Natur ift das Land in hohem Maße bemohnbar gemacht durd) fruchtbaren Boden, 
der dem Aderbaue und ber Viehzucht durch vortrefflihe Bewällerung und bis vor wenigen 
Jahren aud durch die Lage fern von den Gebieten der Räubervölfer und SHavenjagden 
gleich günftig ift. Schon von den nördlich wohnenden Njam:Njam find die Monbuttu durch 
Waldwüften getrennt, zu deren Durchmeſſung man zwei Tage braudt. Indeſſen find die 
Grenzen nicht ſcharf beftimmt und liefen einft anders als heute. Die Macht der Mon 
buttufönige machte fi einft nad einigen Richtungen weit über den Bezirk hinaus fühl: 
bar, in welchen das eigentliche Monbuttu: 
land eingeſchloſſen it. 

Aber bleiben wir bei dieſem Mon: 
buttulande im engern Sinne, jo finden wir 
in ihm ein welliges, hügeliges Hoch— 
land von 800 bis 900 m mittlerer Meeres: 
höhe; leichte Höhen von einigen Hundert 
Fuß über dem Spiegel der Ströme wed> 
jeln bejtändig mit breit eingejchnittenen 
Thälern ab. E3 fommt eine Bewäſſerung 
hinzu, welche die günjtigen Bedingungen 
vervielfältigt. Der Reichtum an Quellen, 
an vielverfchlungenen Wafjernegen und 
infolgedejfen aud an moorartigen Gebil: 
den, in welchen ſich Rajeneifenftein ab: 
lagert, ift groß. Wiewohl der Wald unter 
der Art der immer weitere Lichtungen 
ſchaffenden Aderbauer zurücgedrängt ilt, 
wachjen doch ſelbſt in den Thälern noch 
Bäume von erftaunliher Dide und Höbe, 
: welche nirgends im ganzen Nilgebiete 

u übertroffen werden. Unter dem jehügen: 

— — ——————— ae u * — den Dache dieſer Rieſen wachſen andre auf, 
die in echt tropiſcher Fülle und Verwirrung 

ſich übereinander erheben. Und dieſe Dickichte bergen zwar nicht die Fülle großer wilder 
Tiere, die man in andern Teilen Afrikas findet, aber doch genug Elefanten, Büffel, Wild— 
ſchweine und größere Antilopen, um der Bevölkerung eine weitere Quelle trefflicher Nah: 
rungsmittel aufzufchließen. Es ift wichtig, hierauf hinzuweiſen, da man vielleicht geneigt jein 
könnte, den Kannibalismus der Monbuttu auf Mangel an Fleifhnahrung zurüdzuführen. 

Das äußerlich hervortretendfte förperlide Merkmal diejes Volkes ift die hellere 
Färbung, die von Schweinfurth im Grundtone der Farbe des gemahlenen Kaffees ver: 
glihen wird, und welche er bezeichnet als „heller als die der meiften andern befannten 
Völker Afrikas“. Die Monbuttu befigen eine weniger entwidelte Muskulatur als z. B. die 
Njam-Njam, haben aber einen ftärkern Bartwuchs als diefe. Ihre phyſiognomiſche Ahr: 
lichfeit mit dem ſemitiſchen Typus haben alle Beobachter hervorgehoben, und es widerjpridt 
dem nicht die im Vergleiche zu den Negern beträchtliche Stärke und Biegung ihrer Naje. Eine 
ganz bejondere, freilich halb pathologiiche Eigentümlichkeit diefes Volkes nennt Schwein: 
furth die große Zahl Hellhaariger Menſchen, von welden er annimmt, daß fie mindeitens 
5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Diejes Haar“, fagt er, „war immer von ber 





Verbreitung, Körpermerkmale der Monbuttu. 539 


didwolligen Beichaffenheit des Negerhaares und kam ftet3 zufammen mit den lichtejten Haut: 
farben vor, die ich gejehen, feit ich Unterägypten verlafjen. Seine Farbe war feinesmwegs 
das, was man Lei uns helles Haar nennen würde, fondern es war eine Mijchfarbe mit 
Grau, die den Vergleih mit Hanf nahelegte. Alle Individuen, welche ſolch helle Haar— 
und Hautfarbe hatten, zeigten einen kränklichen Ausdrud um die Augen und boten mande 
Anzeichen eines ausgeprägten Albinisinus.” Eine pathologijche Eigentümlichfeit, in ſolcher 
Zahl der Individuen auftretend, hört auf, ein Gegenjtand bloß medizinischer Betrachtung 
zu fein; der Befig einer jo großen Anzahl von Hellfarbigen weit vielmehr den Monbuttu 
eine bejondere Stellung an. Soweit die Sprahe der Monbuttu einen Hinweis auf den 





| \ 
\ 1* J p 
—1 47] 


ganet! 





Tättomwierter Rumpf 1 eined Mondumeibes — 2 eined Monbuttumannes (nad der Natur von Richard Budta). 


Ursprung, die Stammverwandtichaft des Volkes zu geben im ſtande ift, fann man jagen, daß 
fie durch die große Zahl nubo-libyfcher Wörter ihre Stellung bei den norbäquatorialen 
Spraden Afrikas, fern von den Bantu- und füdafrifanifhen Spradhen zu nehmen hat. 

Zu den ethnographiichen Eigentümlichfeiten dieſes Volkes übergehend, zeigt ſich uns 
zunächſt die Kleidung als nicht minder abweichend wie die anthropologiihen Merkmale 
und dabei von einer auffallenden Einheitlichkeit. Zunächſt ift das tiefgreifende Merkmal her: 
vorzuheben, daß das Weben den Monbuttu vollftändig unbekannt ift. Sie fertigen 
ihre Stoffe aus der Rinde eines Feigenbaumes (Urostigma Kotschyana), deren natürliche 
graue Farbe man durch Färben mit einer Holzfarbe in ein Notbraun ummwandelt. Die 
Frauen benugen auffallenderweije diefen Stoff nit oder doch nur in möglichſt geringer 
Ausdehnung; fie bededen ihre Scham jehr ungenügend, indem fie an einer um bie Hüften 
geſchlungenen Schnur ein Bananenblatt oder ein Stüd Nindenzeug von Handgröße befeitigen. 
Ihr übriger Körper ift mit verjhiedenen Figuren bemalt, die mit dem jhwarzen Sajte der 
„Blippo“ genannten Pflanze Randia malleifera in den denkbar mannigfaltigiten Muftern 
ausgeführt find. Sterne und Maltejerkreuze, Bienen und Blumen, alles wird zum Mufter 


Die hellen Bölter des obern Nilgebietes, 


540 


Burfwaffen, Langen, Pfeile, Köder, Bogen und Schild der 





Monbuttu (nah Shweinfurtb). 


"ho wirtl, Größe, Val. Tert, ©. 541. 





Tracht und Waffen der Monbuttu, 541 


genommen; einmal ift der ganze Körper zebraartig geftreift und ein andermal wie ein Tiger: 
fell mit unregelmäßigen Fieden bebedt. Die Mufter halten etwa zwei Tage lang, worauf 
fie forgfam abgewifcht und durch neue erfegt werden. Die Männer falben den ganzen Körper 
mit einem Gemiſche von pulverifiertem NRotholze und Fett. Die Haartradt beider Ge- 
ſchlechter iſt dieſelbe, nämlich ein langer, fhhräg hinten hinausragender Chignon in Eylinder: 
form, der innen mit Binfen befeftigt it. Von Schläfe zu Schläfe ift quer über Scheitel und 
Stirn das Haar in dünne Strähnen gelegt, die feit am Kopfe anliegen. Selten haben die 
Monbuttu eignes Haar von genügender Länge für diefe Frifur; fie gebrauchen aber das Haar 
der im Kriege Gefallenen oder faufen ſolches auf 
dem Markte. Auf den Chignons tragen die Män- 
ner der Monbuttu randlofe, cylindriſche Stroh: 
hüte mit vieredigem Kopfe und geſchmückt mit 
roten Papageifedern oder mit Adler: und Falken: 
federn. Die Frauen ſchmücken dagegen ihr Haar 
mit Kämmen aus Stadeljchweinborjten und mit 
Haarnadeln!. Fügt man hinzu, daß Männer wie 
Frauen den innern Ohrmusfel durhbohren, um 
ein Stäbchen von der Größe einer Zigarre durch— 
zufteden, und daß die erjtern der Beſchneidung 
unterworfen werben, jo ift alles gejagt, was über 
Tracht und Zierat des Körpers zu jagen ift. 
Bon Waffen tragen die Monbuttu außer 
Schild und Speer aud) Bogen und Pfeil, außer: 
dem führen fie doldhartige oder fichelfürmig ge— 
bogene Mefjer, deren Formen ſich durch die größte 
Mannigfaltigkeit auszeihnen (j. Abbildung, 
©. 540). Dagegen fehlen ihnen, was beachtens— 
wert ift, die echten Wurfmefjer der Njam-Njam. 
So mannigfaltig wie die Mefjer find auch ihre 
Speer: und Pfeilfpigen geltaltet, an deren erjtern 
die Klinge vorwiegend der gejchweiften und drei: 
edigen Form angehört, während die Pfeiljpigen mit i 
Vorliebe verbreitert oder jpatelförmig hergeftellt 2 
werden, um breitere Wunden zu erzielen. Beider-  (christy aa —— 
lei Waffen beſitzen Blutrinnen und Widerhaken. 
Der Pfeilſchaft wird aus Rohr verfertigt und mit Bananenblatt oder Genettfell beſchwingt. 
An den Bogen ift bemerkenswert, daß ihre Sehne aus gejpaltenem ſpaniſchen Rohre beſteht, 
und daß ein jchmales Stüd Holz den Daumen vor dem Rüdpralle der legtern ſchützt, nad): 
dem der Pfeil abgeſchoſſen iſt. Bejondere Aufmerkſamkeit wird den Schilden zugewenbet; 
fie werden aus den didjten Stämmen mit der Art ausgehauen, jo daß fie ziemlich breite, 
flache, vechtedige Bretter von zwei Dritteln Manneshöhe bilden, über deren Mitte außen 
quer eine Verftärkungsrippe läuft. Sie find außerdem durch parallele, quer umlaufende 
Rotangitreifen an beiden Enden und am Ober: und Unterrande feſtgemacht (j. obenftehende 
Abbildung). Jeder Sprung oder Riß wird fofort dur Eiſen- oder Kupferflammern 





1 68 ift auffallend, daß, wie Schweinfurth hervorgehoben hat, unter allen Bölfern Afrikas die Iſchogo 
Weftafrifad die größte Ähnlichkeit in ihrer Haartradht mit den Monbuttu zeigen, und zwar erinnern bie 
Weiber der Jichogo am meiften an die Männer der Monbuttu, 


542 Die hellen Völker des obern Nilgebietes. 


zufammengezogen. Alle Schilde find ſchwarz gefärbt und zum Schmude vielfach mit den 
Schwänzen des Guineafchweines (Potamochoerus) behängt. 

Die Schilderung der Waffen führt uns naturgemäß in der Betrahtung der Handwerke 
der Monbuttu in erſter Linie zu demjenigen, welches den größten Anteil an der Heritellung 


IN i 1 
a 





Haudgeräte der Monbuttu: 1 Traglorb — 2 Edjemel — 3 Bett — 4 Trommel — 5 Pfeife — 6 und 7 Platte 
(nah Shweinfurtb). *so wirll. Gröhe Bol. Tett, ©. 548. 


diefer jo mannigfaltigen Gebilde hat: der Schmiede. Die Monbuttu fennen zwei Metalle, 
Eijen und Kupfer, welche gleih Silber und Gold gejchägt werden. Als Schweinfurtb 
den König Munja mit Silber bejchenfte, Elajfifizierte diefer das Geſchenk einfach als weißes 
Eijen. Das Eijen ftellen fie felbjt her und zwar durch denjelben primitiven Schmelzprozeb 


Kunftfertigfeit der Monbuttu. 543 


wie bie andern Innerafrikaner, wobei fie als Blajebalg zwei mit erweichten Bananenblättern 
verſchloſſene Thoncylinder gebrauden. Sowohl in der Schnelligkeit ihres Arbeitens als in 
der Schönheit ihrer Produkte find fie den Bongofchmieden, wie überhaupt den meiften andern 
eingebornen Schmieden, überlegen. Kupfer gewinnen fie nicht felbit, ſondern fcheinen es 
aus Süden zu erhalten; aber ihre Nachfrage nach dieſem Metalle ift nicht gering, da fie es 
fait zu allen ihren Schmuckſachen verarbeiten. Sie ziehen einen platten Draht von vielen 
Ellen Länge daraus, womit fie Bo: 
gen, Lanzenſchäfte, Meſſergriffe um: el ih: 
winden. Mit Kupfer find die Schilde «gebt. ENMEIN| 
und die Ohrenſtäbchen bejchlagen, 
Kupfer hält die Ringe aus Büffel: 
baut zufammen und findet ſich an 
den Zungen ihrer Gürtel. 

Neben der Metallbearbeitung 
ift die Holzſchnitzerei bei dieſem 
Volke auf einer hohen Stufe. Dazu 
verwenden fie mit Morliebe ben 
hohen, mächtig breiten, aſtarmen 
Stamm einer Nubiacee (Uncaria), 
die fie mit ihren Heinen Arten höchit 
mübhjelig fällen und mit einem an 
ein Küferbeil erinnernden Werk: 
zeuge zuerit roh bearbeiten. Aus 
folden Stämmen höhlen fie Boote 
bis zu 12 m Länge und 1’/s m 
Breite aus, groß genug, um zum 
Transporte von Pferden und Rin— 
dern Verwendung zu finden. Außer: 
dem find Schilde, Trommeln, Stüh— 
le, Platten Haupterzeugnijfe der 
feinern Holzichnigerei, für welche fie 
ein eignes einjchneidiges Werkzeug 
befigen. Die Mannigfaltigkeit ihrer 
aeihnigten Platten iſt außerordent: 
lich; es gibt jolde mit ringförmigen 
Henfeln und andre, die auf vier . — 
üben ruhen. Mberfaupt it bie An» rt der Mysbalin 2 9m m Bun 3 Br 4 San 
bringung von Füßen bei allen ihren 
Holzgeräten jehr allgemein. Außer den runden Sipitühlen der Weiber fertigen fie für die 
Männer vierfüßige Bänke, an welchen die einzelnen Teile weder geleimt, noch genagelt, jon: 
dern mit dünnen Streifen ſpaniſchen Rohres gleichſam zufammengenäht find; bemerkenswert 
ift auch ihr dem altägyptiichen ähnliches Nuhebett aus Bambusjtäben und Rohr (j. Ab: 
bildung, S. 542). Noch größer zeigt ſich aber die Geſchicklichkeit der Monbuttu auf dem Gebiete 
der Töpferei, wo fie wohl die beiten Sachen herftellen, die man überhaupt aus Zentral: 
afrifa fennt. Sie übertreffen hierin ebenſowohl die Bongo wie die nad) maurifchen Muftern 
arbeitenden wejtafrifanischen Töpfer. Wiewohl unbefannt mit der Drehſcheibe, machen fie 
doc Gefäße von einer bewundernswerten Symmetrie und von einem auffallend guten Ge: 
ihmade in den einfadhen Verzierungen. Es iſt befonders bemerkenswert, daß fie bei ihren 





544 Die hellen Völter des obern Nilgebietes,. 


fompliziertern Gefäßen einen Anlauf zur Anbringung von Henkeln nehmen, während fonft 
die Henkellofigkeit Regel bei den afrifanifchen Thongefäßen ift (vgl. die Abbildung, S. 220). 
Hervorragend durh Schönheit der Form, welche an die beiten ägyptiſchen Muſter erinnert, 
find die Mafferflaichen, während die Ölgefäße ſich durch reiche Verzierung auszeihnen. Es 
verdient hervorgehoben zu werden, daß die Monbuttu feine thönernen Pfeifenköpfe ver: 





Gine Elfenbeintrompete der Monbuttu (Christy Collection, London). 


wenden, wiewohl fie ftarte Raucher find. Vielmehr zeigen fie hier ihren Scharfiinn in 
andrer Richtung, indem fie die Mittelrippe eines Bananenblattes zum Pfeifenrohre machen 
und in dieſes ein zufammengerolltes Stüd Bananenblatt einjegen, das mit Tabak gefüllt 
wird. Einige Höhere fieht man indeſſen aud) aus Metallröhren bis zu 5 Fuß Länge 
rauhen, wie fie denn überhaupt in jehr großen Pfeifen erzellieren (f. Fig. 5, S. 542). 
Auffallendermweije haben fie feine 
Saiteninftrumente, auch die Ma— 
rimba iſt hier unbekannt; die 
Formen der vorhandenen Hör— 
ner, Trompeten und Trommeln 
ſind dagegen die ſo ziemlich 
durch ganz Afrika üblichen. Die 
halbrunden, platten Monbuttu— 
trommeln ſind ein Beiſpiel der 
vergrößerten Reproduktion einer 
kleinern Form in anderm Ma- 
teriale und zu anderm Zwecke, 
denn es ſind im Grunde nur in 
Holz vergrößerte, platte Glocken 
des Kongogebietes. 


Dem hohen Stande der In— 
duſtrie geht gegen alle Regel zur 
Seite eine Vernachläſſigung des 
Ackerbaues, welche Sorghum 
und Durrha hier ganz unbekannt, Eleuſine ſelten ſein läßt und nur dem Maiſe einige 
Aufmerkſamkeit ſchenkt. Die Kultur der Olpalme erinnert an Weſtafrika. Ebenſowenig 
blüht hier die Viehzucht. Hunde und Hühner find die einzigen Haustiere, wenn man von 
dem gelegentlich halbgezähmt vorfommenden Sumpfſchweine (Potamochoerus) abjieht. 
Jagd und Krieg ift der Männer Hauptbefhäftigung. Im Hüttenbaue waltet der weit- 
afrifanijche rechtedige Grundriß vor, mwiewohl auch Kegelhütten gebaut werden. Die 








545 


Dörfer der Monbuttu, 


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Döttertunde. 1. 


Monbuttudorf mit Borratshans, Pflanzungen und Boot (nah Shmweinfurtb). 


546 Die hellen Böller bed obern Nilgebietes. 


Monbuttu find geſchickte Architekten. König Munfas Palaft umſchloß Hallen von 150 Fuß 
Länge, 60 Fuß Breite und 50 Fuß Höhe. Hervorragend ift auch die fulinariiche Fertigkeit 
der Monbuttu, worauf al3 Kulturmerfmal fein geringes Gewicht zu legen ift. Während 
unter ihren Genußmitteln der weiter öftlic häufige einheimijche Tabak fehlt (der ameri 
fanifche wird gebaut), befigen die Monbuttu die Kolanuß, die von den Vornehmen ganz 
jo gefaut wird, wie es am Niger üblich ift. 

Als Menſchenfreſſer nehmen fie es mit den Njam-Njam auf. Nach der Schilderung, 
welche Junker vom Monbuttuftamme der Mambanga entwirft, fommt fein Leichnam zur 
Beitattung, fondern wird, da doch wenigftens bie Scheu vor dem Verfpeifen Blutsverwandter 
herrſcht, an Fernerftehende verſchachert. Außerdem werben alle jene Opfer verfpeift, welche 
durch das bei jedem Tobesfalle befragte Drafel als Todesverurſacher angegeben werden. 
Die Verzehrung des Menjchenfleifches geihieht unter Zukoſt des Jogenannten Lugma— 
gerichtes, einer Mehlipeife, öffentlih in Form eines frohen Gelages. 

Wenig ift und über die Religion der Monbuttu befannt. Entfprechend der oben 
angebeuteten Epradiverwandtihaft, fand Schweinfurth als Namen für Gott „Noro“; fie 
deuteten bei diefem Worte auf den Himmel. Nor ift der Ausdrud für Gott im Nubiichen. 
Das Fehlen anderweitiger Verftümmelungen gibt der allgemein zur Pubertätözeit geübten 
Beihneidung ein um jo größeres Gewicht. 

Die allgemeine Überlegenheit der Monbuttu über andre Negerftämme wirb 
womöglich noch jchärfer betont als bei den Njam-Njam, bejonders hinſichtlich ihrer Kunſt— 
fertigfeit, der höhern Stellung, welde bei ihnen die Frau einnimmt, und bes feftern 
Staatsbewußtſeins. Für bie Fortgefhrittenheit in der Herftellung fünftliher Geräte in 
Holz, Flechtwerk, Thon und Eifen haben wir Belege gegeben. Was das Familienleben 
anbetrifft, jo möge hier an einen Zug erinnert fein, welchen Emin Bei auf jeiner Reife in 
der Mudirieh Rohl (1882) aufzeichnete: Die Frau eines Monbuttuedlen, Namens Gam: 
bari, der in die Sklaverei von den Danagla weggeführt worden, machte damals den weiten 
Weg von Monbuttuland bis Lado, um ihres Mannes Freigebung zu erbitten. Als fie 
unterwegs hörte, daß derfelbe im Gefolge Emin Beis und frei fei, eilte fie durch das 
Njam-Njamland nah Bufi, um dem Generalgouverneur zu danfen. Man war erftaunt 
über ihr jelbjtändiges Benehmen, das aber nur ber höhern Stellung der Frau im Monbuttu— 
lande entſpricht. Und in ftaatliher Beziehung erinnern wir an einen andern Zug, 
den derſelbe Reifende rühmend hervorhebt: „Grundverſchieden von allen unfern Negern, 
halten die Monbuttu fejt unter fi zufammen und fcheinen ihr Vaterland wirklich liebzu- 
haben”. Monbuttuland hat ſich indeffen unter dem zerjegenden Einfluffe der Araber ebenjo 
zerflüftet wie das Nahbarland der Njam-Njam. Es ift nicht nur das mythiſche alte Neich 
diejes Wolfes ſchon zerfallen, ehe Fremde von Norden und Dften ins Land famen, fondern 
es bejtehen auch jene Zuftände nicht mehr, die noh Schweinfurth in anmutenden Bildern 
geichildert hatte. Munſas Pracht und Größe ift ebenfo verjchollen wie die feiner fönig- 
lihen Genofjen, die fi in die Herrichaft des Landes teilten. Als Junker Ende 1880 
die Stelle beſuchte, wo der Königspalaft geftanden, „wogte an dem Gehänge des fanft 
anfteigenden Hügel ein Grasmeer”. Munſa ſelbſt fiel von der Kugel eines Befiegers. 
Von Nabingbali, den Großvater Munfas, an, den Junker nennt, bis heute nehmen wir 
einen fortdauernden Prozeß des Niederganges wahr. In der Zeit jenes Herrichers 
ſcheint das Land noch einheitliches Gebiet gewejen zu fein, vielleicht auch noch unter feinem 
Sohne Tufuba; dann aber folgte die Teilung unter dejfen Söhne Sadi, Munfa, Sjanga, 
Numa und Mbilia, und darauf fam die Umwandlung des glüdlichen, menjchenreihen Landes 
in ein blutiges Erntefeld des Sklavenhandels: traurigseinförmige Negergeſchichte! 











Die Völlker des innerften Zentralafrita. 547 


25. Die Völker des innerften Zentralafrika. 


„Sie flehen ſtill. Fortſchritt ift unbefannt.’ 
Livingftone von den Manyema. 


Inhalt: Beſchaffenheit unfrer Kenntniffe. — Wefentliche Übereinftimmung biefer Völker mit ben übrigen 
Negern. — Böllerbewegungen im Kongobeden. — Die Tichala oder Djagga. — Tättowierung. — Fri 
furen. — Der Bauftil der Manyema. — Dichte Bevölkerung. — Menfchenfrefferei. — Politiſche Zerfplittes 
rung. — Stlavenjagden. — Wirtfhaftlihe Thätigleit. Märkte. Kunftfertigkeit. Eifen. Kähne. Aderbau. 


Den Raum zwiſchen dem Lundareihe im Süden und den Subanländern im Norden, 
zwijchen ber legten arabiihen Station Nyangmwe im Oſten und den äußerften Vorpoften 
der Händler von der atlantifchen Küfte im Weſten nimmt auf unfern Karten großenteils 


N, 





Typen und Haartradten der Manyema (nah Stanley). 


ber vielgenannte weiße Fled des unbekannten Innern von Afrifa ein. Was wir davon 
fennen, find einige Nandgebiete, die oft nur die Berichte eines einzelnen Reijenden uns 
erichloffen haben, und dann das mittlere Kongothal, welches Stanley auf feiner berühm: 
ten Entdedungsfahrt in feiner ganzen Länge dburhmaß, während Bogge und Wißmann 
jpäter die füdliche Hälfte durchquerten. Indem wir diefe freilich jehr lüdenhaften Kennt- 


niffe miteinander vergleihen, gewinnen wir einige Einblide, die nicht ohne Wert für die 
35* 


548 Die Böller des innerften Zentralafrika. 


Gejamtauffaffung der Völkerkunde von Afrika find. Sicher ift einmal das negative Ne 
fultat, daß weſentliche Unterfhiede von den übrigen Negervölfern weder in 
anthropologijher noch ethnographiſcher Beziehung beftehen, ſicher ift ferner das 
Vorhandenfein einer fleinern buſchmannartigen Raſſe mitten unter den eigentlihen Ne: 
gern, fiher das Vormwalten des Aderbaues. Die Spraden find nad) allen Anzeichen Dia- 
lette der Bantufprade. Ob jene zerjtreuten Gemeinden der kleinern Raſſe eine grundver: 
ſchiedene Sprache ſprechen, 
iſt unentſchieden. Unter den 
Sitten dieſer Völker hat die 
Menſchenfreſſerei eine weite 
Verbreitung. In der Eiſen— 
arbeit und im Schiffbaue 
ſcheinen ſie zu den geſchick— 
teſten zu gehören. Im Hüt— 
tenbaue tritt der viereckige 
Grundplan an die Stelle des 
Kegeltypus. Endlich fallen 
in dieſes Gebiet unzweifel— 
haft einige der dichteſt be— 
völkerten Teile Innerafrikas. 

Indem wir hier von den 
früher betrachteten Zwergen 
abſehen, iſt zunächſt dieſelbe 
Miſchung hell: und dun— 
kelfarbiger Völker zu kon— 
ſtatieren, welche wir überall 
in Oſtafrika als Regel bezeich- 
nen fünnen. Daher die weit 
auseinander gehenden Ur: 
teile über die Raſſen diefer 
Gegend. Bon einem Volke 
des mittlern Kongo, welches 
er Amu:Njam nennt, jagt 
Stanley, es feien die ſcheuß— 

er lichſten Unholde, die er je ge- 

‚ni jehen. Ähnlich fpricht er von 

— den Bewohnern Uhombos, 

F während Livingſtone an 

König von Tſchumbiri am mittlern Kongo (nah Stanley). der körperlichen Erſcheinung 

der Manyema mehr zu loben 

findet als an ihrer ſeeliſchen Anlage. Nahe bei den erſtern wohnen die als „hellfarbige 

Kannibalen“ bezeichneten Wakumu, die aus Nordoſt ins Land gekommen ſein ſollen, und 

von denen im Hinblicke auf die Völkerverſchiebungen dieſer Region hervorzuheben iſt, daß 
ſie nach der Eroberung des Landes Uregga auch den Kongo überſchritten. 

Die Thatſache ſolcher Zuſammenmengung von äußerlich verſchiedenartig geſtalteten 
Völkern iſt in dem von Negern bewohnten Afrika, in deſſen Mitte wir uns hier befinden, 
eine jo gewöhnliche Erſcheinung, daß fie nicht mit befonderer Betonung hervorgehoben zu 
werben verdiente, wenn nicht gewifle geſchichtliche Berichte von großen Völferbewegungen 





Innere Unterſchiede der Völler. 549 


gerade auf diefe Gegend als den Schauplag der letern hinwieſen und damit einen Echlüffel 
für diefe Mengung zu bieten verfprädhen, mit der wir uns font als mit einer die weitere 
Nahforihung ausſchließenden Thatſache abzufinden haben, Als 1490 die zweite portu— 
giefiiche Geſandtſchaft zu dem Mani-Kongo, dem in Ambaffe refidierenden Könige des un: 
tern Kongolandes, kam, erſcholl aus dem Innern die Schredenskunde von dem Anzuge 
eines großen, als Mundequete bezeichneten Volkes, das an den Seen lebte, wo der Kongo 
entipringt, und ſich dafelbft gegen die Herrſchaft dieſes Königs empört hatte. Mit vielen 
Tauſenden feiner Unterthanen ließ fih Mani-Kongo auf diefe Nachricht hin fogleich taufen, 
zog als Chrijt gegen die Aufrührer und ſchlug fie. Er ließ darauf Portugiefen in Be 
gleitung von Eingebornen ins Innere ziehen, wo diefe angeblich die Seen in der obern 
Kongoregion entdedten. Außer Munde: 
quete wird aud ber Name Djagga, 
Didagga, Schagga diefen Gegnern von 
den Kongovölfern beigelegt. Dies ift 
aber dasjelbe Wort, welches die Südoft: 
faffern für Soldaten oder junge Mann: 
Ihaften gebrauden. Nach den uns aus 
diejer Zeit überlieferten Befchreibungen 
find fie Menſchenfreſſer, bringen Kinder: 
opfer, baljamieren ihre Toten, begraben 
überlebende Weiber mit ihren Männern, 
feilen ihre Zähne jpig. Gleich den Zulu 
und Matabele unfrer Zeit, nahmen fie 
die jungen Männer der Befiegten in ihre 
Reihen auf und verftärkten fich jo immer 
von neuem. Sie jcheinen jpäter nicht 
mehr am Kongo erfchienen zu fein, dafür 
drängten aber andre Völfer aus dem 
Innern vor, in manden Zügen ihnen 
ähnlich, deren wir an der Wejtfüfte zu 
gedenken haben werden. 





Sohn des Adnigs von Tſchumbiri (nah Stanley). 
In der äußern Erjcheinung ift bei 

einigen diejer Völfer die große Vollendung der Tättomwierung (ſ. Abbildung, ©. 550) 
beachtenswert, welche, ähnlid wie bei den Tuſchilange und dann bei den Bewohnern 
von Rubunga am mittlern Kongo, die „von den Haarmwurzeln bis and Knie’ tättowiert 
find, jonft bei Negern nicht gefunden wird. Vielleicht fommen die Schuli des Nilgebietes 
ihnen am nädjten. Außerdem kommen die üblihen Zahnverftümmelungen vor. Was 
aber größeres Intereſſe erregt als dieje in Afrifa alltägliche Erſcheinung, ift, daß es, wie 
Stanley im Kongogebiete hörte, dort ein bejonderes „Wolf mit jpig gefeilten Zähnen“, 
Waſongoſa Meno mit Namen, gibt. Unter den Völkern, die Nachtigal als wenig be- 
fannte Grenzvölfer von Baghirmi nennen hörte, feilen die Manna ebenfalls ihre Zähne 
ipig. Aber die meiften Völker dieſes Gebietes begnügen fih mit dem Ausbrechen der 
zwei mittlern Vorderzähne im Unterkiefer, manchmal auch noch im Oberkiefer. Die Friſier— 
fünfte bleiben nicht hinter denen der andern Neger zurüd (j. die Abbildungen, ©. 547, 
549, 550 und 551). Kopfbededungen aus Tierfellen, befonders Lemuren= und Affenfellen, 
find bei Manyema, Waregga und andern Stämmen zu finden. Bemalung des Körpers 
gilt als Kriegszeichen. 


550 Die Völker des innerften Zentralafrifa. 


Die Bewaffnung der hier in Frage fommenden Völker ift durch die Mannigfaltig- 
feit der Meſſer, Streitärte und Wurfkeulen harakterijiert. Das Wurfmeſſer (Trombadſch 
der Sandeh) ſcheint nur nörblid vom 
Kongo verbreitet zu fein. Doc erzählt 
uns Mar Buchner von einem Mefjer 
der Zunda, das durch die rechtwinfelige 
Stellung der Klinge zum Stiele einen 
entfernten Anklang an das Wurfmeſſer 
zu bieten fcheint. Nachtigal fand eine 
jeltene Gelegenheit, die Kriegswaffen der 
fübbaghirmijchen Heidenvölfer fennen zu 
lernen, als er in das AKriegslager des 
flüchtigen Baghirmikönigs Abu Sekkim 
fam, wo eine hauptſächlich aus heidni- 
ſchen Hilfsvölfern beftehende Armee von 
wohl 15,000 Mann verjammelt war. 
Er fand dort als faſt unentbehrliche 
Maffe das Wurfeifen, von dem viele 
auch mehrere Eremplare (bis zu fünf) 
in Felliheiden führten. Nicht jo zahl: 
veih waren Lanzen und Speere vertre= 
Tättomierung — Pechuel⸗Loeſche). ten, obgleich alle deren befaßen, und 

noch weniger verbreitet waren die Dolch: 

mefjer, deren Herftellung bei jenen Stämmen nod feinen fo hohen Grab von Vollkommen— 
heit erreicht hat wie im Kongogebiete und ſüdlich desjelben. Solche von offenbar eigner 
Fabrifation befaßen nament: 
lich die Bua und Sara. Eine 
der wunderlichſten Waffen 
wurde von ben Gaberi mit: 
geführt und zwar bejon- 
ders von jenen Abteilungen, 
welche in Kriegszeiten ihre 
Wohnungen auf hohen Bäu— 
men aufſchlagen. Es waren 
Handgeſchoſſe von etwa !/am 
Länge, aus ftarfem Rohre 
gefertigt, an einem Ende 
ſchreibfederartig ſcharf zuge: 
ſchnitten, am andern mit ei— 
nem ſpindelförmigen Thon: 
klumpen befchwert. Auch eine 
bei einzelnen Bua vorhan: 
dene Parierwaffe war eigen: 

u, u ade tümlich; fie beftand auseinem 
Haartracht der Warua (nad Stanley). hohlen Elfenbein-Cylinder, 

welcher über den Vorderarm 

geftülpt wird, um Hanbdeifenhiebe und Dolchſtöße abzuwehren. Die Bua trugen zum Teile 
ärmelloje Felljaden, mehr Panzer als Kleidung, deren Behaarung nad außen gekehrt 








„uff 3 





Tracht und Waffen. 551 


war. Dafür waren ihre Schilde, vieredige, flahe, außen behaarte Büffelhäute, um jo 
unvolllommener. Unter ben andern Stämmen trugen die meiften 2 m hohe, aber jchmale, 
ovale, flach gewölbte Schilde aus Korbgefleht oder Büffelhaut, bei ihrer Schmalheit beſſer 


Bhf 


—⸗— 
Var 





Haartradten aus Ubudſchwe und Uguha (nah Stanley). 





Saartradten der Wahombo (nah Stanlen). 


zum Parieren als zum Deden geeignet. Den Gebrauch des Rindenzeuges fennt man in 
Manyema, aber Felle um die Hüften find die faſt durchgehende Bekleidung beider Gejchlechter. 

Eigenartig find Hüttenbau und Dorfanlage. In Manyema beginnt ein andrer 
Stil des Hausbaues al3 der in Oftafrifa übliche, eine an die rechtedigen Hütten an 
der MWeitfüjte und der Monbuttu erinnernde Baumeife. Mit ihr zugleich treten dichtere 


5523 Die Völker des innerften Zentralafrifa. 


Bevölferungen und damit größere Ortfchaften auf. Diefer Stil beginnt ſchon in den erjten 
Dörfern von Manyema fi zu zeigen. So ſchreibt Stanley von einem öftlihen Grenz- 
dorfe von Manyema, Niba:Riba: „An die Stelle der fegelförmigen Bauart der Hütten 
tritt jet die vieredige Hütte mit nicht jo fteil, fondern nur ſchräg abfallendem Dache mit 
Dadjlatten und Flechtwerk, das bismweilen,-befonders bei den Hütten in Manyema, jauber 
mit Lehm überzogen ift“. Der Abitand diefer mehr an unjre Häufer erinnernden Hütten 





König Ruffuna und fein Weib; vom obern Qualaba (nah Gameron). 


von der jonftigen oſtafrikaniſchen Bauweiſe macht ſich jehr merklich durch die ertreme Aus— 
prägung, welche die Kegelform z. B. no in Uhombo an der Grenze von Manyema zeigt. 
Mit der neuen Baumweije tritt auch eine neue Art der Dorfanlage auf: jtatt der ringförmigen 
Gruppierung um einen Mittelpunft hat man eine oder mehrere regelmäßige Straßen von 
30 bis 45 m Breite, an deren Seiten fi in ziemlich geraden Linien die niedrigen, vier: 
eigen Hütten hinziehen (j. Abbildung, S. 584). An einem Ende diefer Straße oder an 
beiden Seiten jteht das zu Beratungen oder zum gejelligen Plaudern dienende Haus, von 
dem aus man die Dorfitraße überjehen fann. Die Wände der Häuſer beftehen aus Lehm 


Hütten und Dörfer. Dichte Bevölkerung. 553 


und find dauerhaft. Die Rückſeite fteht nach der Regenjeite und iſt dadurch geſchützt, daß 
das Dach bis auf den Boden herabreiht. Im Mittelpunfte de3 Dorfes ift eine Platt: 
form mit feitgeftampftem Lehme ausgefüllt; in demſelben ift ein ſchwerer Baum feftgelegt, 
in welchem verjchiedene Tröge ausgehöhlt find, jo daß mehrere Weiber zu gleicher Zeit 
Korn darin zerftoßen fünnen. Dieje trogartigen Stampfmörjer kehren auch überall am 
mittlern Kongo wieder, wo fie einzeln oder zu zweien vor den „Doppelhütten“ jtehen, 


1 
8 





- Zoe RR 


Geräte der Wenja vom Lualaba: 1, 2 Hölzerne Trommeln — 3, 4 Giferne Doppelgloden — 5 Palmöltrug — 
6 Palmmeinkühleer — 7 XZrommeljhlägel mit Rautfhullnöpfen (nah Stanlen). 


die dort an die Stelle der einfachern vieredigen Hütten von Manyema treten. Auch 
die thönernen runden, auf Unterjägen ſtehenden Getreidebehälter verſchwinden hier und 
machen langen Stangen Bla, an welchen ungefähr ein Dugend horizontaler Schnüre von 
Lianen oder Schlingpflanzen in gleicher Entfernung von oben nach unten befeftigt it. An 
diefen Schnüren ift der Mais 
mit der Spite nad) unten aufge: 
hängt. Sit aber jene mit hafen- 
artig gebogenem Kolben ver: 
jehene Maisart in Kultur, welche 
Livingftone in Manyema fand, 
jo wird dieje einfah an ihren 
Hafen aufgehängt. 





Meifer vom mittlern Kongo (nad Stanlen). 


Eine große Anzahl diejer 
zentraljten Länder Afrifas gehört zu den am dichteſten bevölferten. In Manyema 
„wimmelt es von Dörfern” nah Livingitones Ausdrud, Pogge und Wißmann paf- 
fierten im Sanfurrugebiete die dichtejt bevölferten Streden, welche fie je in Afrika 
gejehen hatten, und Stanley ſpricht in dem von ihm jo vielgerühmten Lande oder Be: 
zirke Vinya Ndoſchara am mittlern Kongo ſogar von einer großen Stadt. Diejelbe be 
ſtand, wie die weiter ftromauf liegenden, aus einer Neihe von Dörfern, bie fid) in einer 
einförmigen Linie an einem hohen Geftade hinzogen. Er zählte ein andermal 14 einzelne 
Dörfer auf Einen Blid. Im Gegenfage hierzu macht das rechte Ufer des mittlern Kongo 
auf weite Streden den Eindrud der Unbewohntheit. Und in Manyema verjhuldet der 





554 Die Böller des innerften Zentralafrika. 


leider unaufhörliche Kriegszuftand eine ftellenweife auch wieder jehr dünne Bevölkerung, 
indem die bewohnten und angebauten Striche durch meilenweite Urwaldgürtel voneinan: 
der getrennt find. 

Die Vermehrung der Bevölterung muß eine bedeutende fein, wenn fie einen jo dich 
ten Stand troß der großen Zahl von Opfern erreicht hat, welde die beitändigen Kriege, 
die graufamen Gewohnheiten der Großen und die Menjchenfrejjerei fordern. Ein ges 
wiffer Zuftand der Roheit, welcher Menfchenleben gering ſchätzen läßt, macht ſich offen— 
bar in vielen Teilen Zentralafrifas bejonders breit. „Man weiß wirklich nicht”, jagt 

Livingftone von den Manyema, 
„ob man für diefe Wilden in Ma— 
Ihe nyema mehr Mitleid oder Haß 
ji fühlen fol. Sie find demütig und 
freigebig gegen die vortrefflich be= 
waffneten Araber, dagegen einer 
fleinen Schar von Reijenden ge: 
genüber wilde und mordgierige 
Kannibalen, und jeder erjchlagene 
Mensch liefert den Waldbewohnern 
von Manyema das Fleiſch zu einem 
ledern Schmauſe.“ Unter den 
mögliden Gründen dieſes miß— 
trauifchen und ftreitjüchtigen Cha: 
rafters einer großen Völkerſchaft ift 
vor allen andern das Fauftrecht, 
weldes ihre gejamten politijchen 
Verhältnifje beherrſcht, gewiß nicht 
| | Nele zu überjehen. Livingſtone ver: 
= | \ ER \\ mochte oft die Leute eines Dorfes 
N } nicht zu bewegen, ihn bis zum 

nf 





BRRE\ |). zu Nachbardorfe zu begleiten, weil 
— — Streit zwiſchen beiden die Furcht 


ER =; — — > — erzeugte, getötet und aufgezehrt zu 
ZZ werden. Die Grauſamkeit Feiner 








Häuptlinge ift eine weitere Ur: 
ſache. Einer der Unterthanen von 
Moknekus in Bambarre mordete den Sohn des Häuptlinges. Als legterer ftarb, ohne den 
Übelthäter herausgefunden zu haben, fam jener jelbjt zur Herrichaft und tötete elf Leute, 
die an dem Tode des Häuptlinges durch Zauberei mitſchuldig fein follten. 

Aber am meiſten thut wohl aud hier die Sklavenjagd, die freilich fait ganz von 
außen hereingebradt ift. Bon den Manyema jagt Livingftone: „Sie ftehen im Rufe, 
eifrige Sklavenkäufer zu fein; doch bezieht fih das nur auf weibliche Wejen, die fie dann 
zu MWeibern nehmen. Im übrigen ziehen fie Ziegen den Sklaven vor. In diefen Ländern 
fann nicht unter allen Umftänden ein Sflave als ein wertvoller Befig gelten. Die Inner: 
afrifaner haben in der Negel nicht foviel Arbeit nötig, um Sklavenfraft dafür aufwenden 
zu müſſen.“ Es find daher hier wie im Sudan weſentlich die von außen hereinkommen— 
den Händler, welche einen Bedarf an Sklaven hervorrufen und Sklavenjagden erzeugen. 
Denham hat jolhe Jagden aus dem Musgolande, Nachtigal in feiner eingehenden Weiſe 
aus den Gebieten jüdlih von Baghirmi gefchildert, wo das gehetzte Menſchenwild in die 


Schilde der Jtula am mittlern Kongo (nah Stanlen). 


Roheit. Sklavenjagd. Menſchenfreſſerei. 555 


Kronen hoher Bäume geflüchtet war. Es gibt wohl kaum ein Gebiet am Rande dieſes 
innerſten Zentralafrika, in dem nicht die Menſchenfängerei betrieben wird, wenn auch nicht 
gerade immer ein Apparat wie in den Ländern ſüdlich von Darfur, beſonders Darfertit, 
dann Manyema und den an die Wahumaſtaaten angrenzenden unbekannten Gebieten, dazu 
in Thätigkeit geſetzt wird. Wo Araber, Sudaner, Portugieſen ꝛc. nicht hindringen, find 
es die Neger ſelbſt, welche ihresgleichen fangen, um Geld zu machen, und ſo ſcheinen beſon— 
ders die Balunda, darin den Wayao der Oſtküſte 
ähnlich, regſame Agenten der Sklavenhändler zu ſein. 
Wie oft mögen ſich die melancholiſchen Bilder wieder— 
holen, wie Stanley ſie vom mittlern Kongo be— 
ſchreibt: „Manche Dörfer lagen in der Nähe der 
Hauptlandungsſtelle wie in dicht beſchatteten Lauben, 
welche von Tamarinden-, Baumwoll-, Tek- und Eiſen— 
holzbäumen und Olpalmen gebildet wurden; aber die 
Einwohner waren entflohen. Jede Dorfſtraße hatte 
ihre zwei Reihen gebleichter Trophäen aufgegeſſener 
Menſchen; auch Verſuche einer gräßlichen Art von 
Verzierung, welche künſtlichen Felsgrotten ähnelte, 
kamen dabei vor. Die Kanoes waren alle an der 
Landungsſtelle zurückgelaſſen, die Bananen- und Pi— 
ſangfrüchte hingen an den Stengeln, und die karme— 
ſinroten Palmnüſſe ſchwangen in ganzen Büſcheln 
über unſern Häuptern hin und her.“ 

Über die Menſchenfreſſerei in dieſem innerſten 
Gebiete von Afrika gehen in der geſamten Peripherie 
desſelben die wildeſten Gerüchte um. Beſonders die 
Lundaleute wähnen alles Land nördlich von ihnen 
von Menſchenfreſſern bewohnt. Wo nun nicht gerade 
Phantaſiegebilde vorliegen, wie es in vielen Fällen 
wohl ſein mag, da wird es ſich oft nur um eine der 
Formen der Verwendung von Teilen menſchlicher 
Körper zu aller Art Zauber handeln. Nach Living— 
ftone iſt bei den Mtamba am Lualaba das Ende 
eines Streites zwiſchen Gatten häufig der Tod des 
Weibes, deſſen Herz dann der Mann ißt. Menſchliche 2 
Finger werden al Zaubermittel benugt. Der Schä- * er 
del des weiſen Häuptlinges Modnefus in Bambarre M 
joll von feinen Leuten in einem Topfe aufbewahrt — ET 
und zur Beiprehung aller öffentlichen Angelegenheis Geräte der Danpema: 1,2, AG 
ten hervorgeholt werden. Vorher war das Fleiſch * er = 
des Kopfes und des übrigen Körpers verfjpeift worden. 

Auch der Schädel des Vaters von Moenekus ſoll ähnlich aufbewahrt jein. In Bambarre 
fiel Livingftone der Mangel an Gräbern auf, und er fcheint zu dem Glauben zu neigen, 
daß die Bewohner diejes Landes die Leihname verzehren, ftatt fie zu begraben. So hat 
Stanley, wie jhon oben erwähnt, kaum zu bezmweifelnde Spuren der Menjchenfrefjerei 
am mittlern Kongo gefunden. Es darf hier auch an die ſchon von den erſten europätjchen 
Eroberern im Kongobeden allgemein angenommene Zerlegung der Bevölkerung in menjchen: 
freifende und in diefer Sitte nicht zugeneigte erinnert werden. Stanley jagt einmal: 





556 Die Völker des innerften Zentralafrika, 


„Hier hatte ich eine günftige Gelegenheit, zu bemerken, welch niedere und ſchwache Schranfen 
die rohefte Wildheit von einem liebreihen Betragen trennte. Nur ein paar Stunden 
ftromaufmwärts wohnten die Kannibalen der Amu-Njam, welche mit den böjeften Abfichten 
gegen uns angerüdt waren; aber dicht neben ihnen lebte ein Stamm, welcher die un- 
natürliche Gewohnheit, Fleifch jeiner eignen Gattung zu effen, verabjcheute, ein Stamm, 
mit dem wir bereitwillig einen Vertrag des Friedens und guten Vernehmens abgeſchloſſen 
hatten.” Das erinnert ganz an den Gegenjag der Anziquete und eigentlichen Kongoaner 
bei Lopez und andern portugiefishen Schilderern des 16. Jahrhunderts. 
Auffallenderweije zei: 
gen dieje zwijchen lauter 
größern und mittlern Rei- 
hen und wahrſcheinlich 
auf dem Boden vergan: 
gener großer Reiche gele: 
genen innerjten Länder 
Zentralafrifas eine allem 
Anſcheine nah durch— 
gehende politiſche Zer— 
ſplitterung. Die Skla— 
venjagden ſüdlich von 
Darfur, Baghirmi u. ſ. f. 
ſind eingeſtandenermaßen 
nur möglich durch die 
Machtloſigkeit jener Ne— 
gerſtämme. Uganda und 
Unyoro wiſſen weſtlich von 
ihren Grenzen feine eben: 
bürtige Macht, jondern 
nur zur Ausraubung be: 
ftimmte ſchwache Gebiete. 
Das Lundareich jteht als 
Zand von beträchtlicher 
Ausdehnung im Südkon— 
Geräte der Waguba: 1, 2 Bogenfländer — 3 Pfeife — 4 Beil (nah Cameron). gobeden allein, Stanley 
erfuhr auf feiner ganzen 
Kongofahrt nichts von einem jo gefürchteten Herriher, wie etwa Cameron auf jeiner 
ganzen Reife von Nyangwe bis an die Grenze der portugiefiihen Befigungen bejtändig 
vom Muata Jamvo reden und rühmen hörte. Bon den Manyema hebt Livingitone klar 
hervor, daß, was ihnen fehle, hauptjächlid „nationales Leben” fei. Jeder Häuptling ift 
von jedem andern unabhängig. ES fehlt ihnen nicht an Thätigkeit und Geſchick, fie be 
treiben jogar einen ſtarken Handelsverfehr miteinander, aber nur auf ihren neutralen 
Marftplägen. Aber wenn ein Mann das Gebiet eines fremden Stammes betritt, jo ge 
ichieht dies auf jeine Gefahr hin. „Er wird ald Manyema von feinen Landsleuten nicht 
freundlicher betrachtet al8 ein Büffel, der in eine fremde Herde hineinfommt, und es ift 
faft ficher, daß er getötet werben wird.” Jeder Mord heifcht einen Krieg zur vollen Sühne, 
und der Mangel der Autorität macht die endlofe Blutrache zum höchſten Gelege. Nur jene 
in Diftanzen von 3 big 4 Meilen ſowohl am obern Kongo (Zualaba) als am mittlern liegen: 
den Marktpläge find Hauptverfammlungsorte für die Eingebornen von beiden Ufern; fie 





Politiſche Zerfplitterung. Wirtfchaftliches Leben. 557 


werben al3 neutraler Boden angejehen, den Fein Häuptling beanſpruchen und für deren 
Benugung niemand irgend ein Vorrecht oder einen Tribut fi) aneignen darf. Viele der: 
jelben find unter dem Schatten mächtiger Bäume liegende weite Graspläße, auf welchen 
fh an den Morgen der Markttage die Menſchen drängen. So befuchten 3. B. den Markt 
auf der Ebene von Mbuga am rechten Zualabaufer (Manyema) jeden Morgen 50 — 60 
große Kähne von der andern Seite des Fluffes. 

So wie der Handel ift jever Zweig materieller Kultur in diefem 
Gebiete hoch entwidelt. Nirgends beftätigt fich glänzender als hier das 
Gejeg von der Zunahme der Negergefittung nad) dem Innern. Die Waguha 1älz 
und Wabudichwe zeigen eine ganz befondere Vorliebe für Bildſchnitzerei. | 
Sie ſchnitzen Bildfäulen aus Holz, welche fie in ihren Dörfern aufitellen, und 
ihre Hausthüren zeigen oft 
Schnitzereien von auffallen: 
der Menjchenähnlichkeit. So: 
gar die Bäume in dem zwi— 
ſchen den beiden Ländern lie- 
genden Walde bieten häufig 
Proben ihrer Verſuche in 
dieſer Kunſt. Die Töpfe 
rei ijt hoch entwidelt. In 
ben bejjern Teilen von Ma— 
nyema hängen 20—30 ir: 
dene Töpfe in jeder Hütte in 
einem an ber Dede befeitig: 
ten Geſtelle. Vielleicht ges 
bührt aber body der Eiſen— 
arbeit die Krone, wiewohl 
in manchen Teilen des mitt: 
lern Kongogebietes das Ku— 
pfer, beſonders in einer Ver- Amulette aus Ubudſchwe (nad Cameron). 
wendung als Schmudgegen- 
ftand zu Arm- und Beinringen und dbergleihen, das Eijen zu verdrängen 
Icheint. Aber letteres wird hier überall in großer Menge verarbeitet gefun- 
den. Endlich jei auch der Gejchicdlichkeit diefer Völker im Kahnbaue nit 
vergefjen, weldhe ſchon die alten Portugiefen rühmten. Stanley fand noch 
größere Kähne al3 auf dem Ugandafee auf dem Kongo, wo fie ihm fofort 
mit kriegeriſchen Abfichten entgegengeftelt wurden. Ein den Mwana Tapa Ey Ruder ie 
abgenommener Kahn maß 26 m engliih. Bei den Rubunga traf Stanley Kannibalen 
von tadellofer Form mit wunderjhönen Schnigereien zahlreihe Kähne, welche * Bas 
die Ruderer ftehend mit gewaltig großen Rudern forttrieben. Bei dem die Abbilung 
Ajama fand er die Fifherei mit Ne und Korb in Blüte. Der Aderbau rt Weots, 
jcheint, da Boden und Klima ihn allem Anfcheine nach vortrefflich begün— 
ftigen, nicht gerade mit aufßerorbentliher Sorgfalt betrieben zu werden. Wenigſtens 
meint Livingftone, die Arbeit der Manyema mit der Haue fei nichts andres als ein 
leichtes Aufkragen des Bodens und ein Abfchneiden der Wurzeln des Grajes und Un: 
frautes durch eine horizontale Bewegung der Klinge. Mangel wegen Unfruchtbarkeit des 
Bodens ijt in dieſer ganzen weiten Region allem Anjcheine nah faum möglid. Die an: 
gebauten Früchte feinen die in ganz Aquatorialafrita wiederkehrenden zu fein. Zuderrohr, 





558 Das Reich und Bolt des Muata Jamvo und des Kaſembe. 


das vom mittlern Kongo erwähnt wird, dürfte das ein- 
heimifche wilde Zuderrohr fein. Die Viehzucht da— 
gegen ift aus klimatiſchen Gründen (und vielleicht wegen 
der Tſetſefliege) ſchwach entwidelt. Am meijten jcheint 
bei den Manyema die Zucht der Ziegen gepflegt zu wer: 
den. Wenigſtens wird von ihnen gejagt, daß fie ihre 
Zidlein mehr lieben als ihre Kinder. Ziegen bilden den 
Kaufpreis für Weiber (10 Ziegen = 1 hübfches Mädchen) 
wie anderwärtd® Rinder. Aber aud die merkwürdige 
Hundezucht wird hier getrieben, die wir früher vom un— 
tern Zambefi erwähnten. „Es gibt”, jagt Stanley, 
„einen Stamm, Namens Baama, deſſen Häuptling Subiri 
mit Hunden und Muſcheln Handel treibt”, und zwar 
wird das Hundefleifh von den Baama für wohlichmeden- 
der al3 Schaf» und Ziegenfleifch gehalten. 

Es ift befonderer Hervorhebung wert, daß alle die 
Völker diejes Gebietes, ſoweit fie irgend befannt geworden, 
den Tabak fennen. Sie rauchen denjelben aus Thon- 
>. pfeifen meift von Tſchibukform (vgl. Fig. 3, ©. 556). Die 
>, Tabalöpfeifen mit aufgeblähtem Halje, wie man fie im 

„ obern Nilgebiete hat, kommen hier ebenjowenig vor wie 
— die aus Antilopenhorn gefertigten Pfeifen der Südafrika— 
x II ner. Palmwein wird allgemein gewonnen. Das Sudan— 
* — * J ſalz ſcheint nicht bis hierher zu dringen, da wir von der 

Ener, GHerſtellung eines Erſatzes aus der jehr häufig vorfommen: 
wege eu —— — den Pflanze Pistia stratiotes hören, welche in Ukuſu 

London). wirll. Größe. (mittlerer Kongo) eigens zu dieſem Zwecke gebaut wird. 





26. Das Reich und Volk des Muata Iamvo! und des Bafembe, 


„Gin bettelhafter Negerpotentat ohne Adel und Majeftät.” 
Mar Buchner. 
Inhalt: Lage und Grenzen bed Reiches. — Die Kalunda. — Tradt. Schmud, Der Lulano. Waffen. Ge 
räte. Aderbau,. Nahrung. Hütten und Dörfer. — Das Reid. Zufammenhalt. Innere Bolitif. Tribut und 
Verwaltung. — Muata Jamvo und Lufolefha. — Wahrſcheinliche Entftehung diefer Mifhung von Gynäfo: 
fratie und Androfratie. Hofftaat, Staatsämter, Vollsverſammlung. — Handelspolitif. — Vorgeſchichte des 
heutigen Muata Jamvo, — Tod und Begräbnis bed Herrſchers. — Beichreibung der Muffumba oder Haupt: 
ftadt des Lundareiches. — Dad Reich des Kafembe und deffen Tributverhältnid zum Lundareiche. 


Ein Reid, jo groß etwa wie Deutichland, mit einer Bewohnerſchaft, die freilich nad 
Mar Buchners Schägung faum über 2 Millionen betragen dürfte, nimmt den größten 
Teil Innerafrifas am Südrande des bis heute noch unbekannten mittlern Kongogebietes ein. 
Es iſt das Reich des Muata Jamvo, von deſſen Dajein die portugiefiihen Händler in Angola 


! Der Titel „Muata Jamvo“ läßt fih am beten mit „Meifter Jamvo“ überjegen. Jamvo ift ein 
häufiger männlider Lundaname, dad Wort Muata fommt auch in ber Verbindung Muat' a Nioff, Palaft: 
auffeher, vor. Europäer werden zumweilen Muata genannt. Bei Fürften ſcheint das Wort einen höhern Rang 
zu bedeuten, So jagt man 3. B. Muata Mufemvu, Muata Kumpana, 


Grenzen. Böller. Tracht. 559 


Ihon am Ende des 16. Jahrhunderts erfuhren, wenn Sklaven an die Küſte gebracht 
wurden, die von einem gewaltigen Herricher, einer Hauptitadt und einem großen Reiche, 
etwa 100 Tagemärjhe im Innern, jpraden. Im Jahre 1846 machte zum erjtenmal ein 
portugiefifher Händler, Rodriguez Graga, ben von eigennügigen Händlern als äußerft 
gefahrvoll geichilderten Weg nah Muffumba, des berühmten Königs Haupt: und Reſidenz— 
ftabt. Ihm folgte 1870 Lopez bo Carvalho, gleichfalls ein portugieftischer Handelsmann. 
Aber 1875 drang Dr. Pogge nad Mufjumba vor, und diefem verdanken wir die erite 
ausführlihe Schilderung des merkwürdigen Negerhofes. Mar Buchner, der ihm 1880 
folgte, hat als vorzüglicher Beobachter deſſen Nachrichten und Schilderungen noch wejentlic) 
vervollftändigen können. 

Die Grenzen diejes Reiches find wejentlich folgende. Im Weſten reichen fie mit einigen 
Vafallenftaaten faft bis an den Kuango. Im Süden dürfte im allgemeinen der 12.9 ſüd— 
licher Breite als Grenze gelten. Im Often it das Verhältnis der beiden Reiche des Muata 
Kajembe und des Kajongo unflar, die beide ald Stammverwandte der Muatafamilie gelten. 
Noch größer ijt die Umklarheit im Norden, wo die Grenze zu Buchners Zeit (aljo 1880; 
e3 ift notwendig, die Zeit näher zu beftimmen, da biefe Grenzen „flüſſig“ find) in der öft- 
lihen Hälfte bis etwa 8°, in der weitlichen bis 5° ſüdlicher Breite reichte, und wo, wie wir 
jegt aus Wißmanns Angaben fiher wiſſen, dichter bevölferte Regionen den Expanſions— 
gelüften des Lundafürften eine ftärfere Schranke ziehen. Weil man diefen Nahbarn nichts 
anbaben fann, jagt man in Mufjumba, es wohnen Menfchenfreffer jenfeit der Nordgrenze. 

Unter den zahlreihen Völkern des Lundareiches ſcheint kein andres als das ſo— 
genannte Bantuelement ff. ©. 28 ff. und 232) vertreten zu fein. Die „Zwerge“ Stan: 
ley3 und Wißmanns wohnen weiter nördlich. Keiner der Befucher von Muffumba jah an 
biejem Orte, wo doch Menjchen aus allen Teilen des Reiches zufammenfommen, Völker von 
wejentlic) andrer Raſſe oder Kultur, als fie von den durchſchnittlichen Negern befannt find. 
Buchner befam, ald er nad) Zwergen frug, einen budligen Krüppel vorgeitellt. Bon all 
diefen Völkern ift nun das eigentliche Lundavolf, das Volf der Kalunda oder Balunda, das 
verbreitetite und durch feine Beherrihung der übrigen einflußreichfte. Es grenzt im Weſten 
an die Kiofo, im Oſten wohl an die Babija, im Norden an die menfchenfreffenden Kauanda 
und im Eüden an die Marutje. Man wird auf allgemeine Schilderungen eines jo verbrei- 
teten und durch jeine herrichende Stellung zur Aufnahme fremder Elemente in hohem Grade 
geneigten Volkes feinen fehr großen Wert legen, zumal die europäifchen Neifenden, die der: 
gleihen entwarfen, die Bevölferung immer nur gewiflermaßen durdjftreiften. Livingſtone 
hebt hellere Elemente hervor, und den Muata Jamvo fand Pogge hellbraun, die Lufofejcha 
noch heller, „wie eine Mulattin”, Die Lundaleute im ganzen erfchienen diefem Reiſenden, 
als er, von der Küfte fommend, unter fie trat, ſchön, groß gewachſen, mit feinen Stumpf: 
nafen und wenig aufgeworfenen Lippen. 

Die Tracht befteht aus einem um die Hüften gebundenen Stüde Fell oder einheimifchen 
Geflechtes bei den Armern, während die Wohlhabendern nur Fazenda (Baumwollenftoff) von 
der Küfte tragen, welche bei den Männern eine Umhüllung von den Hüften bis zu den 
Knieen oder Waden bildet, aber bei den Weibern viel fürzer zu fein pflegt, ja jo kurz, daß 
dieje in den Gegenden, welche Livingftone durchzog, oft nicht viel befjer als nadt erſcheinen. 
Reihe Damen laffen einen Fazendaftreifen hinten als Schleppe herunterhängen, der dann 
mitunter von einer Sklavin getragen wird. Diejelben tragen auch mehr des Schmudes als 
der Bededung wegen ein Stüdchen Leopardenfell oder Fazenda auf der Bruft. Gürtel aus 
ſchwarzem Leder find jehr geſchätzt. Eigentümlich find die Ausſchmückungen des Körpers, 
welche fich die Kalunda angebeihen lafjen. Bei den Weibern werben die beiden obern mittlern 
Schneidezähne rund gefeilt und bie entſprechenden untern ausgebrochen; die Tättowierung, 


560 Dad Reich und Volk des Muata Jamvo und bes Kaſembe. 


die fie mehr üben als z. B. die Kiofo oder Songo, erjtredt fi auf Bruft, Arm und Bauch; 
Bemalung des ganzen Körpers mit meijt vieredigen Figuren, weißem Thone oder An: 
bringung von weißen Punkten und Kreuzen ift im ganzen Lundagebiete üblich. Bei feier: 
lichen Gelegenheiten wird der Körper auch mit DI eingefhmiert. Bei den Männern 
ſcheinen dieſe Verfhönerungen zu fehlen oder jelten vorzufommen, wofür von ihnen aber 
in Phantaftit der Haartracht das Möglichfte geleiftet wird. Die Hohen tragen zopf: 
und hornartig nah hinten und vorn hinausftehende Perüden aus Perlen, denen ein be 
ſonderer Wert beigelegt wird, wie unter anderm daraus hervorgeht, daß Muata joldhe 
jeinen Häuptlingen zum Geſchenke madt. Er ſelbſt hat eine rote Papageienfeder in der 
Perücke fteden. Wie die Kalunda am Lu: 
lua zur Verſchönerung ihrer Frifur einen 
fußlangen Stab mit Federbujh am Hinter: 
fopfe durchgeftedt tragen, jo wird auch der 
Kinnbart auf Halme geflodhten, bis er fuß— 
lang ilt. Die Weiber halten ihr Haar kurz, 
icheren aber dazu noch in der Mitte von 
der Stirn an ein Dreied heraus, deſſen 
Spige am Scheitel liegt; nur bei feier: 
lihen Gelegenheiten flechten fie fich gegen: 
jeitig Perlen in die Haare (ſ. nebenjtehende 
Abbildung). Wie die Weiber, tragen aud 
die Sklaven ihre Haare kurz verjchnitten. 
Nicht allgemein ift die am Kafai herrichende 
Sitte, Stüde Nohr durch die Najenjcheide- 
wand oder das Ohrläppchen zu jteden, und 
ebenfo werden die in der Gegend des Ka: 
jai gebräuchlichen Kupfer: und Gijenringe 
um Arm und Unterjchenfel in Lunda jel: 
tener. Eine große Rolle, teilweije jogar 
politiiher Natur, jpielt hier dagegen der 
Zufano, der mit Elefantenjehnen überjpon: 
. nene Armring (j. S. 564 und 566). Perlen: 
— en een ven Schnüre um den Hals, auch Hörner und andre 
Talismane fieht man häufig; befonders Män— 

ner tragen oft ein halbmondförmiges Holz wie ein Diadem auf dem Kopfe. 

Abgejehen von den wenigen Flinten im Belige der Großen, find die Waffen der 
Kalunda größere, ganz eijerne Wurfjpeere, ferner Heine Lanzen mit hölzernem Schafte und 
Widerhafenjpige und Pfeile mit eiferner, mannigfach geitalteter oder mit vierfantiger und 
eingeferbter Holzipige, die nicht jelten auch vergiftet wird. Die Kalunda behaupten, ihr 
Gift jei minder Fräftig als dasjenige ihrer nördlichen, menſchenfreſſenden Nachbarn, der 
Kauanda, und in den Kämpfen mit den lehtern würden ihnen dadurch die meilten Verlufte 
beigebracht, daß fie fi die Füße an vergifteten Dornen rigten, welche jene in den Weg 
legten. Zur Kriegsausrüftung der Kalunda gehört aud) das befannte Mittelding von Schwert 
und Mejjer, 2 Fuß lang und 2—3 Zoll breit, das in Leder- oder Holzicheide und an 
einer über die Schulter gefchlungenen Schnur getragen wird. Luruswaffe ift vorzüglich im 
weitlihen Lunda und bei den Kiofo ein auf der Schulter getragenes Fleines Beil. Zum 
Handgebrauche dienen doldartige, einjchneidige Meſſer, die zwifhen Gürtel und Haut mit 
aufwärts gerichteter Spitze fteden. 





Aberglaube. Waffen und Geräte. Muſik. 561 


Die Lundaleute haben keinen Überfluß an Geräten. In ihren Hütten findet man 
Matten, Kopfſchemel, Töpfe aus Thon, deren größter die Kufe iſt, in welcher der Palmwein 
gärt, Kalebaſſen und Ackerwerkzeuge, bei Reichern wohl auch einige geflochtene Körbchen. 
In Flechtarbeiten ſind ſie ſo wenig geſchickt, daß ſie ſich einfache Matten als Tribut von 
nördlichen Unterthanen zahlen laſſen. Als Schmiede ſtehen ſie hinter den Kioko, aus welchen 
der Muata Jamvo ſeine Leibſchmiede wählt. Außer Eiſen wird zu Schmuck auch Kupfer und 
Meſſing, das edelſte Metall der Kalunda, welches ſie von der Weſtküſte erhalten, verarbeitet, 
und zwar verſtehen die Schmiede feinen Meſſingdraht zur Umwickelung von Spangen und 
dergleichen anzufertigen. Außerdem werden Keulen aus Holz (ſ. Abbildung, ©. 565) und 
viele Kleinigkeiten: Spangen, Amulette und andres, aus Elfenbein nicht ungeſchickt geſchnitzt. 





Sheinteufel von Kibotwe, Qunda (nah Gameron). 


Die Mufikinftrumente find die Marimba oder das Negerklavier, die Negerzither, die 
Trommel und die Ginguva, alles Inftrumente, die wir bereits fennen gelernt haben. Die 
Ginguva ift das offizielle Verkündigungsinftrument, welches z. B. geſchlagen wird, wenn 
ein Sklave entlaufen ift oder der Muata Jamvo feinem Volke bejondere Wünfche mit- 
zuteilen hat. Aus den verjchiedenen Inſtrumenten find vollftändige Kapellen zufammen: 
gejeßt, in der Regel von 2 Marimba- und 1 Ginguvaipieler, die dem Herrſcher und andern 
Großen mit Mufif voranziehen oder auch Standesperjonen Ständen bringen. Pogge, dem 
legteres öfters paffierte, fand dieje aus bejtimmten, fi immer wiederholenden Melodien 
zufammengefegte Muſik „gar nicht übel”, Die Zither wird als ein beſſerer Bearbeitung 
fähiges Inftrument von jedermann gejpielt. Der Tanz hat in Lunda nicht bloß den Zwed 
der Unterhaltung, jondern eine höhere politiihe Bedeutung, wie denn der Muata Jamvo 
ebenfo wie die Lukokeſcha zeitweilig vor ihrem Volfe tanzend, d. h. ſich im Kreife drehend, vor: 
und zurüdhüpfend zc., auftreten. Die Begrüßungsform ift Händellatichen, vor Hohen außer: 
dem Niederwerfen und Staubjtreuen. Auch Pfeifen und Heulen gehört zu den Ehren: und 

Bölterkunde I. 36 


562 Das Reich und Boll bed Muata Jamvo und bed Kafembe. 


Freudenbezeigungen des Volkes gegenüber feinen Hohen. Dem Muata Jamvo gegenüber 
geht die Devotion ſehr weit; feine Höflinge reiben mit der Hand die Stellen troden, bie er 
beipudt. Das Niefen des Herrichers wird von feiner ganzen Umgebung mit Schreien, Pfeifen 
auf den Fingern ac. begrüßt. Häuptlinge bededen fich beim Effen und Trinken das Geficht, da— 
mit fie niemand fieht, oder fließen in Ermangelung eines Kopftuches wenigftens ihre Augen. 

Die Bewohner von Lunda find fait reine Aderbauer, und das Klima jomwie der 
Boden des Landes lohnen ihre Bemühungen reihlih. Zwar find es in ber Kegel fait nur 
die Weiber, welche den Boden mit der kurzftieligen eifernen Hade bearbeiten; doch begeben 
fih aud die Männer dann und wann auf die der, um etwas zu helfen, oder um zu 
beauffichtigen. Die wichtigſten Erzeugniffe find: Maniok, Bataten, Erdnüffe, Yams, Bohnen, 
Mais, Hirfe, Bananen (nicht häufig), Zuderrohr, Ananas, Tabak, Baummolle, Hanf. Die 
Dlpalme und Weinpalme werden benugt, aber nicht angebaut. Die Aufjpeiherung von 
Feldfrüchten fennt man merfwürdigerweife bier nicht oder nur in geringem Maße, während 
fie weiter weftlih in Songo, Kiofo und andern Gebieten mit Sorgfalt geübt wird. Höch— 
ftend werben einige Maisfolben oder Erbnüffe unter dem Dache der Hütte aufgelpeichert. 
Maniok ift diejenige Frucht, welche hauptſächlich über die trodne Zeit weghilft, denn die 
übrigen Ernten ber feuchten Zeit werden jonft auch in dieſer Zeit faft ganz aufgezehrt. Die 
Viehzucht ift gering, denn die Rinder fehlen. Pogge erzählt (1876), daß der verjtorbene 
Muata Jamvo eine Herde von mehreren Hundert Stüd gehabt habe, weldhe aber in der 
anarchiſchen Zeit zwijchen feinem Tode und der Neuwahl feines Nachfolgers vom Volle 
getötet wurde; der jegige Muata Jamvo wünjchte jehr, diejen Verluft zu erfegen, hatte es 
aber noch nicht dazu bringen können. Zunda würde für Viehzucht wegen jeiner bejonders 
öftlih vom Lulua treffliden Weiden jehr gut geeignet fein. Da die Rinder und damit die 
Reitochſen fehlen, reiten die Großen auf den Schultern von Sklaven, und auch Weiber ver: 
ſchmähen nicht diejes Vehikel. Man findet von Haustieren Ziegen, Hühner, Hunde, jel- 
tener ſchwarze Schafe und Schweine. Ähnlich wie weiter im Süden find auch hier die klein— 
ften Säugetiere, vor allen Ratten und Mäufe, beliebte Nahrung, denn die große Jagd ift 
bei der Tierarmut des Landes unergiebig. Außer Filhen genießen die Balunda ſchwarz— 
gelbe Raupen und Heuichreden. Sehr allgemein werden Hirjebier (Garapa) und Palm: 
wein, bie übrigens beide zu den regelmäßigen Gaſtgeſchenken gehören, genofjen. Mais wird 
nicht zum Bierbrauen benugt, Tabak gewöhnlich nur für den eignen Bedarf angebaut und 
aus einer Waflerpfeife (Mutopa) geraudt, die aus einem mit Waſſer gefüllten Kleinen 
Flaſchenkürbiſſe und einem thönernen Pfeifenkopfe befteht. 

Die Hütten ber Kalunda find badofenförmig, indem ihr flachrundes Dad) fo nahe auf 
den Boden herabreicht, daß es aufzuruhen fcheint; fie beftehen aus Kampinengras, das 
über ein Holzgerüft oder ein Gerüft von Palmenftengeln gededt ift, und find meift nicht 
über 2 m od. Die Hütten des Muata Janıvo und feiner Großen find durch Scheide: 
wände in Eleinere Räume zerteilt. Arme Leute begnügen fi mit Einer Hütte, während 
die Reihen ganze Komplere befigen: ihre eignen und die ihrer Weiber, dazu Vorratshütten, 
Sklavenhütten zc., die dann in der Regel alle von einem gemeinjamen vieredigen, meift 
aus lebenden Pflanzen beftehenden Zaune umgeben find. Der Palaft des Muata Jamvo 
bildet auf dieſe Art eine Heine Stadt für fi. Die Dörfer zeichnen fi in Lunda häufig 
durch eine verhältnismäßig große Orbnung aus, indem fie mehr oder weniger zufammen: 
hängend und regelmäßig gebaut find; ein breiter, gerader Weg burchichneidet fie als Haupt: 
jtraße, vor deren Eingange oft ein vierediges, primitives Holzgerüft als Thor angebracht ift. 
An diefem Gerüjte pflegen oben Reifigbündel oder irgend welche andre Fetiſche, oft aud 
Menichenichädel, aufgehängt zu fein. Fetiſchhütten verſchiedener Art finden ſich vielfad 
(j. nebenjtehende Abbildung und die Abbildungen S. 181 und 188). 





Aderbau. Viehzucht. Dörfer. Der Staat. 563 


Das Lundareih kann als ein abjoluter Lehnsftaat bezeichnet werden, welcher eine 
Anzahl von Gebieten umfchließt, deren Häuptlinge (Muata, Mona, Muene) in allen innern 
Angelegenheiten jelbftändig handeln können, jolange e3 dem Muata Jamvo, der fie ab: 
und einjegen kann, nicht gefällt, in ihre Machtiphäre einzugreifen. Allgemein jollen die 
abhängigen Fürften des Landes durch Tributzahlung ihre Unterthänigfeit befunden, und 
gewöhnlich Schicken die großen und ferner wohnenden Häuptlinge einmal im Jahre ihre Tri- 
. butfarawanen nad) Mufjumba; aber weitab wohnende unterlaffen wohl für längere Zeit jede 

Tributzahlung, während die fleinern Häuptlinge in der Nähe der Reſidenz jogar mehrmals 
im Jahre Tribut jenden. Fe nad) den Erzeugniffen des betreffenden Landes ift der Tribut 
verſchieden. Einige jenden Elfenbein, Kaſembe jhidte Salz und Kupfer, nördliche Gebiete 
bringen Flechtwaren, andre Häuptlinge Sklaven und Tierfelle, und die der Küfte näher 


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Eine Fetifhhütte in Qunda (nah Cameron). Pal. Tert, ©. 562. 





wohnenden wohl auch Zeug (Fazenda) und Pulver. Außer dem Tribute wird Heeresfolge 
verlangt. Solange dieje Bedingungen erfüllt werden, läßt der Muata Jamvo die Tributär: 
häuptlinge gewähren und kümmert ſich in der Regel jelbit nit um die Wiederbejegung 
ihrer etwa erledigten Throne, welche in verſchiedenen Teilen des Lundareiches nad) ganz ver: 
ſchiedenen Grundfägen gejchieht. Um das Verhältnis indeſſen nicht allzu Toder werben zu 
lafjen, hält er Söhne oder Verwandte feiner Tributfürften am Hofe und befigt außerdem 
in feiner gefürchteten Polizei ein Mittel zur Beſtrafung etwanigen Ungehorjames. 
Neben dem Muata Jamvo fteht als oberjte Würdenträgerin die Lukokeſcha, ein 
unverheiratetes Weib. Sie hat bei der Neuwahl eines Muata Jamvo zu entjcheiden, gilt 
al3 Mutter aller Muata Jamvo und ihrer Angehörigen, hat ihren bejondern Hof und 
befigt gemwilfe Bezirfe, die nur an fie Tribut zahlen. Sowohl Muata Jamvo ald Luko— 
keſcha müſſen von einem ber beiden Hauptweiber des vorigen Muata Jamvo, der Amari oder 
ber Temena, geboren jein; beide werden von den vier oberjten Räten des Staates ge: 
wählt, und während die Wahl des Muata Jamvo von der Lukokeſcha zu betätigen ift, muß 
ebenjo deren Wahl Beftätigung von jenem finden. Treffend hat Buchner dieſes merfwürdige 


Verhältnis als die förmlihe Verflehtung zweier Staaten und Staatsgewalten 
36* 


564 Das Neid und Bol des Muata Jamvo und bed Kaſembe. 


in Einem Lande bezeichnet. Allem Anjcheine nach hängt diejelbe eng zufammen mit der 
Entitehung des Lundbareiches überhaupt, von welcher der am Hofe von Muſſumba einflup- 
reihe portugiefiihe Händler Dejerra dem Reiſenden Pogge folgende offenbar mythiſch 
gefärbte Darftellung gab, die ihm ber frühere Muata Jamvo erzählt hatte: In Lunda 
wohnte am Fluffe Kalangi ein Häuptling mit Namen Jamvo, welder zwei Söhne und eine 
Tochter hatte. Sein Volk war ungefhidt und ſchwach, er aber verftand, Palmwein zu machen 
und Matten zu flechten. Die erite diefer Künfte trieb er zum Ärger feiner Söhne für jid. 
Als er nun eines Tages eine Matte flocht und einen Topf mit Waffer vor fich ftehen hatte, 
welches dazu nötig war, famen jeine beiden Söhne, glaubten, es ſei Wein in dem Gefähe, 
und verlangten diefen; als er ihnen das Waſſer gab, erzürnten fie, und es entitand ein 
Streit, in welchem jie flohen. Darauf verftieß Jamvo diefe Söhne und übergab jeiner 
Tochter, welche von Buchner Lueſch-a-Nkunt genannt wird, den Lufano (ſ. S. 566), 
zum Zeichen, daß fie nach ihm berrichen folle. Unverheiratet, übernahm fie nach feinem 
Tode die Regierung. Gleichzeitig lebte im Oſten ein großer Häuptling, er hieß Tombo— 
Mokulo und hatte vier Söhne, von welden der erite und vierte, der „Sohn des Staates” 
und der „Sohn der Waffen”, nad Norden wanderten, um bort die Reiche Kanjifa und 
(wahriheinlih) Maju zu gründen; Kanjifa und Maju waren ihre Rufnamen. Der dritte 
Sohn, Kibinda (Fäger) = Illunga, hatte weder Titel nod Würde, er lebte ungebunden 
al3 Jäger und fam auf einem Yagdzuge nah Lunda, wo er die Hand jener regierenden 
Prinzejlin erhielt und als Herriher nun ihres Vaters Namen annahm, dem nad) vielen 
glüdlihen Kriegen Muata, d. h. großer Vater, vorgejegt ward. 

So viel geht hieraus hervor, daß das Lundareich, damals wohl viel Kleiner, eine Gynälo: 
fratie war, ehe diefer Fremdling aus Oſten fam, an welden nun die eigentliche hiſtoriſche 
Zeit injofern anfnüpft, als nad) der weitern Erzählung der Bruder der Lueſch-a-Nkunt 
ich über den Fremdling ärgerte und weitwärts über den Kuango auswanderte, um jih 
dort den Staat von Kaffandiche zu gründen. Dieje Bewegung bewirkte nad} den Berichten 
aus der Gejchichte von Angola einen Zufammenftoß mit der berühmten Königin Schinga, 
welche 1622 getauft worden war. Sowohl die Leute von Lunda als die von Kaſſandſche 
haben nah Buchner übereinftimmende Traditionen über diefe Entftehung ihrer Staaten 
und ihre Verwandtichaft, die eigentümliche Würde der Lukokeſcha aber jcheint fich zur 
Wahrung ihrer und ihrer Freunde ꝛc. Intereſſen entwidelt zu haben. Seitdem ift bald der 
Charafter der Gynäfofratie, bald der der Androfratie vorwaltend gewejen, je nad ber 
Überlegenheit der einen oder andern Hälfte des herrſchenden Paares. Eine Tendenz auf 
Milderung naheliegender Ausichreitungen des Hauptherrſchers ſcheint diejer Einrichtung des 
weiblichen Nebenherrjhers innezumohnen. Buchner erzählt uns einen beftimmten Fall, in 
weldem die jegige Lufofefha gegen weitgehende Hinrichtungsgelüfte des Muata Jamvo 
mit Erfolg wirkte. 

Der Muata Jamvo bejigt ungefähr 60 Weiber. Die Lufofeiha aber hat einen Haupt: 
gatten, an den fie allen möglihen Pu hängt, während fie ſelbſt jehr einfach geht. In 
diefem „Schamoana“, wie er genannt wird, ijt offenbar die Fiktion der Herricherftellung 
der Lukokeſcha in interefjanter, origineller Weiſe fortgebildet, indem er als Weib bezeichnet 
wird. Bei Buchner führte ſich diefer „Mann von gewaltigen Formen’ mit den charakte— 
riſtiſchen Worten ein: „Siehe, ih bin zwar nur ein Weib, aber ich bin das Weib einer 
großen Perſon“. Das Herriherpaar ift von einem Hofitaat von Würbdenträgern, Kanna: 
pumba, jowie von einer Art Aritofratie freier, wohlhabender Einwohner, Kilolo, ums: 
geben. Vier Kannapumba find die Hauptwürdenträger, welde dadurch, daß ihnen die 
Wahl des Muata Jamvo und der Lukokeſcha übertragen ift, einen beträchtlichen Einfluß 
üben und in allen wichtigern Fragen mit dem Herricherpaare zufammen zu beraten haben. 


Hof und Berfaffung des Lundareiches. 565 


Diefe Würden find infofern erblich, als der Fürft fie nur Eöhnen früherer Kannapumba 
mit ihren freien Frauen übertragen fann. Aus der Ariftofratie oder den Kilolo werden 
ferner Abgejandte und ausführende Beamte, die oben genannten Poliziiten (Zufuata), 
Führer von Elefanten Fagdpartien (Kibinda) und Häuptlinge von Bezirken ernannt. Zu 
diefen Kilolo gehören alle Söhne des Muata Jamvo mit freien Frauen; eine Anzahl von 
ihnen begleitet beftändig den Herriher, um zu feinen Dienften zu fein, vor allem aber 
auch, um zu verhüten, daß er ſich beraufche 
oder rauche, angeblich aus Furcht, daß er im 
dadurch verurſachten unzurechnungsfähigen 
Zuſtande Grauſamkeiten verüben könnte. 
Einzelne Kilolo haben Hütten in der Palaſt— 
umfriedigung und verjehen Kammerherren: 
dient; aber bei Todesitrafe dürfen weder fie 
noch jonft irgend jemand den Herricher effen 
oder trinken jehen. Zum niedrigern Hof: 
ftaate gehören bie Fetiſchdoktoren, Schmiede, 
Haarkünftler, Köchinnen, Mufifer und ber: 
gleihen; aud der Scharfrichter hat bier 
jeinen Pla, nimmt alſo nicht die hervor: 
ragende Stellung ein wie in andern Neger: 
reihen. Rogge fiel er durch den fonft in 
Muſſumba nicht vertretenen Schnurrbart auf. 
Zum Hofitaate gehören endlich auch ftarfe 
Sklaven, auf deren Naden der Herricher 
ausreitet, jowie die Träger feiner Sänfte 
(Tipoya). 

ALS legtes und größtes, wenn auch nicht 
wirfjamftes Stüd der Staatsmaſchine von 
Lunda jei die Bolfsverfammlung ge 
nannt, in welcher jeder Kilolo frei feine 
Anficht äußern kann; diefe Verfammlungen 
werben von den meilten Herrjchern reſpek— 
tiert, da die Popularität ein Faktor it, der 
jelbft ihnen nicht ganz wertlos fcheint. Der 
Muata Jamvo erjcheint in diefer Verſamm— 
lung und fündigt ihr 3.B. an, wenn er einen — 
Kriegszug zu unternehmen gedenkt. Überſieht — 
man die Geſamtheit der Staatsgeſchäfte dieſer Seſchnitzte Keulen aus Lunda, Dr. Maz Buchners 
Regierung, jo betreffen dieſelben in erſter Li⸗ a ne 
nie das Wohl und Wehe von Mufjumba, Ver: j 
hüten von böjem und Bereitung von gutem Zauber, Auffiht über die Sitten der Ehemweiber, 
Beltrafungen von Vergehen gegen den König und die Hohen, die Sitte, das Eigentum, den 
Betrieb des Großhandels nad Weiten, Krieg, Raubzüge und Sflavenjagden. Dieje legten 
drei gehen Hand in Hand und madhen den größten Teil von dem aus, was hier etwa 
auswärtige Politik zu nennen wäre, Aber fie gehören leider zu einem andern Teile nicht 
minder auch der innern Politik an, denn die beftändig im Gange befindlichen Erpebitionen, 
in der Regel aus 200—400 jüngern Männern von Muſſumba beftehend, Freien und 
Sklaven, treffen nicht immer Dörfer fremder Stämme, jondern werben oft genug in den 





2 
566 Das Reich und Boll des Muata Jamvo und des Kafembe. 


Grenzen des eignen Reiches unternommen, wie denn die jährliche Erpedition, zu welcher 
der Muata Jamvo dur alte Sitte verpflichtet zu fein fcheint, und deren Ertrag einen 
regelmäßig wiederkehrenden Poften des Einnahmebudget3 bildet, jih immer nur eine furze 
Strede von der Hauptitabt entfernt. Die Lukokeſcha macht, ebenfo wie der Herricher in 
einer Tipoya getragen, diefen mit großem Pompe in Szene gejegten Zug mit, welcher ſich 
wie eine gefliffentlihe Permanenzerflärung des Kriegs: und Raubzuftandes ausnimmt. 
Was die Sklaven auf diefen Zügen erbeuten, gehört dem Herrſcher, ebenfo die Hälfte der 
von den Freien gemachten Gefangenen. 

Zur Pflege der auswärtigen Beziehungen gehört der Verkehr mit den Handelskara— 
mwanen, bie nad Muffumba fonımen, wo der Hof fie verpflegt und ihnen Lagerplätze anweift, 
fie auch unter feinen Schutz nimmt, ohne die ganze Schwere der einheimifchen Geſetze auf 
fie anzuwenden. Ihr ganzes Thun ſteht unter der unmittelbaren Auflicht des Muata Jamvo. 

Wenn ein Muata Jamvo frank ift, wird das Volk aufgefordert, durch Zauberei die 
böfen Geilter vom Lager des Herrn zu bannen. Naht er fi dem Tode, fo begibt fi 
der Nachfolger, über deſſen Perfon man fi in der Regel ſchon früher geeinigt hat, in 
Geſellſchaft der vier oberften MWürdenträger zur Lukokeſcha, um deren Zuftimmung einzu: 
holen, und während der frühere begraben wird, empfängt ber neue in feierlicher Weife die 
Zeichen feiner Würde: den Lukano (einen mit Elefantenjehnen ummundenen Ring aus Elfen: 
bein, der übrigens als Orden verliehen werden kann und auch von der Lukokeſcha getragen 
wird); einen Bruftihmud aus Perlen und Metall, Krinda Tſchinga genannt; einen großen 
Buſch aus roten Bapageienfedern, den Sala:Kalongo; ein fichelförmiges Zepter aus Eiſen, 
Lubembo, und einen Teppih, Lukonſo. Der neue Herrſcher wohnt dem Begräbniffe des 
frühern bei, welcher fejtlih geihmücdt auf der von einem Kannapumba gehaltenen Tipoya 
an den Fluß Kalangi getragen wird. Das große Gefolge verrichtet am Fluſſe allerlei 
Zeremonien und Zaubereien. Dann wird die Leiche nad) dem heiligen Orte Enzai gebracht, 
wo alle zwölf Muata Jamvo im Kreife begraben find, und in figender Stellung in einer 
vieredigen Grube beigejegt, die mit einem Dedel aus Palmblatt bededt und mit Erde über: 
jcehüttet wird. Während der Zeremonie werden am Eingange ein Knabe und ein Mädchen 
hingerichtet, während der neue Herricher die Nacht im Freien zubringt und in eigens dazu 
errichteten Hütten acht Tage feinen Vorgänger in der Abgefchiedenheit betrauert. Unter 
manden andern Gebräuchen, die er hier beobachtet, ift auch der, daß er durch Reiben von 
Holz neues Feuer entzündet, da das alte nicht mehr gebraucht werden darf. Am neunten 
Tage holen ihn die Lukokeſcha und die Würdenträger nad) der Kipanga (Umzäunung) ab, 
die an Stelle der alten, jett niedergebrannten neu errichtet worden ift. 

Jeder neue Muata Yamvo baut jich alsbald eine neue, jeine Hütten und Höfe umſchlie— 
Bende Kipanga, um welche ihrerjeits dann die Lukokeſcha und der ganze Hof fich neu anfiedeln, 
jo daß mit jedem NRegierungswechjel auch ein Wechſel der Hauptitadt Hand in Hand geht. 
Aber die Hauptitädte oder Muffumba (großes Lager) der Muata Jamvos find alle nicht ſehr 
weit voneinander auf der fruchtbaren Ebene zwifchen den Flüffen Kalangi und Luiſa gelegen. 

* 

Das in vorftehenden mehrfach genannte Reich des Kaſembe, ein Tributftaat des 
Lundareiches und diefem ähnlich in feiner politifchen Organijation, hat zum Mittelpunfte 
den auf ältern Karten einfach Kajembe genannten Fleden, der in dem flachen Lande zwi: 
jhen Moero- und Bangweolojee liegt und zwar in einer Niederung von etwa 15 km 
Durchmeſſer, in welcher jet bereits die fiebente Hauptftadt Pla gefunden hat. Da jeder 
neue Kajembe die Refidenz in einige Entfernung von dem Orte verlegt, wo fie unter feinen 
Vorgänger ftand, und da Verlegungen fogar nad) dem Tode andrer merkwürdiger Menſchen, 
wie 3. B. Lacerdas, der bier jtarb, ftattgefunden haben, jo ift diejelbe faft alle zehn Jahre 


Das Tributärreich bed Kaſembe. 567 


an einen andern Pla gerüct. Sie läßt dies wandernde Dafein Far genug in ihrem Äußern 
erkennen, denn fie bededt einige Quadratkilometer, über welche die mit vieredigen Zäunen 
ungebenen Hütten der wohl faum 1000 Einwohner ohne jede Ordnung zerftreut find. Der 
„Palaſt“ des Kajembe ift von einem 1!/a m hohen, 500 m breiten und gegen 200 m langen 
Rohrzaune umfriedet, auf den Thorpfoften find viele Menſchenſchädel aufgepflanzt. 

Der Kafembe jelbjt ift eine Art von kleinern Muata Jamvo. Als Livingftone vom Ha: 
fembe empfangen wurde, jaß derjelbe vor feiner Hütte auf vieredigem Site, bem Leoparden— 
und Löwenfelle untergelegt waren. Er war in weiß und blaues Baummwollzeug mit rotem 
Beſatze jo faltig gekleidet, daß es ausfah, als trage er eine Krinoline. An den Händen 
trug er Stauder, an den Füßen Gamajchen und auf dem Kopfe eine Müte, alles mit 
farbigen Perlen in gefälligen Muftern gejtidt; eine Krone von gelben Federn überragte 
fein Haupt. Alle die Häuptlinge famen im Schatten riefiger Sonnenfhirme und eb: 
ten fi zu feiner Rechten und Linfen, ebenjo einige Mufifbanden. Ein Scharfridter mit 
breitem Lundaſchwerte und einem fcherenartigen Obrenabzwicder auf dem Rüden war eben: 
falld gegenwärtig und nicht minder ein 1,ıa m hoher Zwerg und Hofnarr von unbejtimm- 
ter nörbliher Abftammung. Ein ohrenlofer Rat trug des Reifenden Thaten und Wünſche 
vor, nad deren Anhörung der Kajembe fih mit Würde entfernte, um bie Gejchenfe an: 
zujehen, wobei zwei Pagen jeine Schleppe trugen. Zahlreiche Höflinge gingen ohne Ohren 
und Hände, Zeugniffe der Launen dieſes Herrichers, der doch zu diefer Zeit jo ohnmächtig 
war, daß die Nraber fi vor und mit ihm über feine eigne Schwäche luſtig machten. Die 
Graujamfeiten diejes Kajembe, welcher Anfang ber jechziger Jahre an die Regierung gekom— 
men war, hatten es dahin gebracht, daß fein einft dicht bevölfertes Land in wenigen Jahren 
jehr menjchenleer geworden war. Es ift alfo fein Wunder, baß, während Pereira (wohl 
etwas hoch greifend) von 20,000 Kriegern |pricht, welche der Kaſembe ins Feld ftellen konnte, 
Livingftone 1867 zweifelte, ob er au nur 1000 Männer auf die Beine zu bringen ver: 
mödte. Er war überhaupt arm geworben, da auch die Elefantenjäger ihn verlaffen hatten, 
mit welchen er unter feiner Bedingung den Gewinn teilen wollte. Er war auch ſeeliſch 
arm, denn bie Furcht peinigte ihn, und wenn er von einem Manne zweis oder breimal 
träumte, ließ er ihn, fall3 er nur feiner habhaft wurde, aus dem Wege räumen. 

Die Abhängigkeit des Kajembe vom Reiche des Muata Jamvo ift neuerdings in Zwei- 
fel gejtellt worden. Diejem Zweifel liegt wohl eine ber Unregelmäßigfeiten in ber Tri: 
butzahlung zu Grunde, die wir durch die neuern Beſucher auch bei andern Tributitaaten 
bes Lundareiches fennen gelernt haben. Nachdem der Kajembe drei Jahre lang feinen 
Tribut bezahlt hatte, jandte er im Dezember 1875 zum erftenmal wieder eine Karawane 
mit Sklaven, Kupfer und Salz nah Muffumba. Die Urjahe follen Einfälle von Raub: 
tieren in Kajembes Stadt gemwejen fein, welche Menfchen zerriffen, worauf die Zauberer 
behaupteten, es fei das die Strafe für den Ungehorfam des Kaſembe gegen den Muata Jamvo. 
In Muſſumba aber hörte Pogge folgende bezeichnende Erzählung über die Entftehung dieſer 
Abhängigkeit: Ein Muata Jamvo jandte eine große Expedition nad Djten, um Salz zu 
ſuchen; viele Große begleiteten diejelbe, und fie fand eine große Menge Salz. Zurüd: 
gekehrt, belogen fie aber ihren Herrn, weil fie fürdhteten, er würde, wenn fie ihm das Salz: 
land verrieten, fie zwingen, mit ihm dorthin zu ziehen; und fie wünſchten nicht, ihr Land 
zu verlaffen. Ein Sklave aber, der in ihrer Begleitung gemejen, erzählte dem Muata 
Jamvo von dem Salzlande, und diefer erhob jenen zum Führer einer Streitmadt, mit 
welcher er das Land eroberte und als ein dem Muata Jamvo tributärer Häuptling regierte. 


II. Weſtafrikaner. 


27. Die Küſtenländer des tropiſchen Wefafrika. 


Inhalt: Allgemeine Naturverhältnifie Weſtafrilas. — Die Küfte des untern Kongo. — Das Nigerbelta. — 
Klima, — Pflanzen: und Tierwelt. 


Der Weiten von Mittelafrifa zeigt zwiſchen Südafrika und dem Meerbujen von 
Guinea eine gleihmäßige und ſymmetriſche Gliederung, welde durch mäßige Gebirge 
erhebungen im Süden und Norden des die Mitte einnehmenden Kongobedens bezeichnet 
iſt. Das Mofjambagebirge im Innern von Benguela erhebt fih von dem Küjtenftrice 
zwifchen Loanda und Moffamedes in brei fteilen Stufen zur Höhe von circa 1800 m. 
Die unterfte Stufe iſt das 6—20 Meilen breite Küftenflachland, das mit einer Steilfüfte 
am Meere endigt und einige vereinzelte unbeträchtliche Erhebungen aufzuweiſen hat. Dar: 
auf folgt eine etwas ſchmälere Übergangsitufe in Geitalt einer bis zu 1000 m hohen Berg: 
landidaft, an deren Ausgang die unterften Stromfchnellen der Küftenflüjfe ſich befinden; 
zahlreiche ſeltſame Felsgebilde erheben ſich aus berfelben. An diefen Bergzug ſchließen ſich 
die Randhöhen des Hochplateaus, weldhe ſich nad Often langſam zu der innerafrikaniſchen 
Quelle und Seenplatte abdachen. Nördli vom Kongo iſt diefe Stufenlandjchaft bis zum 
Ogowe hin milder ausgeprägt; auch die Nanditufe des Hochplateaus ift in der Serra Com: 
plida durchfchnittlich nicht mehr als 800 m hoch, während fie gegen Norden höher anfteigt und 
in der Serra do Criſtal über 1400 m erreicht. Am meijten vermittelt aber find diefe Stufen 
im Songobeden, wo von Nyangwe bis Stanley Pool auf ca. 200 Meilen Länge wohl 
nicht 150 m Gefälle find, in welche man noch die obern Katarakte am Äquator einzurednen 
hat, während dann erft wieder unterhalb der Kuangomündung die 42 Stromfchnellen 
(Livingftone- Fälle) auftreten, die aus dem Plateau des mittlern Kongolaufes in den ver: 
hältnismäßig geringen Tieflandabichnitt hinabführen. Die vereinzelten Daten, welche wir 
über den mittlern Kongolauf befigen, laffen vermuten, daß man in ihm eine vorwiegend 
ebene, wenig wellige Fläche habe, die mit Wäldern, Sümpfen und Seen bededt ift. Die 
an einzelnen Stellen jeeartige Breite, der Injelreichtum, das langfame Fließen befunden 
eine mächtige, aber träge Wafferbewegung in der Zentralrinne und zu derjelben hin. Ein 
nur Heiner Teil des in diefen dDurdjchnittlich regenreichen Regionen fallenden Waſſers flieht 
in Küftenflüffen dem Meere zu, den weitaus größten ziehen die in großen Bogen die Hoch— 
plateaus umfalfenden und durchſetzenden Syiteme des Zambeji, Kongo und Niger:Benue an 
ih. Beträchtlich ſind von jenen nur Kuango im Süden und Ogowe im Norden des Kongo, 


Küftenterraffen. Kongo und Niger, 569 


doch werben beide von dem Kongozuflüffen Kaſai und andern weit übertroffen. Der Kaſai 
ift 3. B. da, wo der Weg von Malange nad) Muffumba ihn überjchreitet, bereit3 350 Schritt 
breit und nah Pogges Mefungen 4 m tief. „Er madt einen großen Eindrud und 
fendet jchon hier gewaltige Waffermaffen nad) Norden.” Diefe nach Norden gehenden Flüffe 
find durchaus flahuferig und nur felten von niedern Stromfchnellen unterbrochen. Ihre 
Waffericheiden find ebenfowenig ſcharf voneinander als von denjenigen der ſüdwärts zum 
Zambeſi gehenden Zuflüffe getrennt. Ähnliches bewirkt der vorwaltende Plateaucharakter 
deö Innern im Norden, wo lange vor Brazzas famojer Entdedung des Alima, der einen 
großenteils ſchiffbaren Weg vom Ogomwe zum Kongo bilden follte, ſogar eine kaſſiquiare— 
ähnliche Nebverbindung zwiſchen Gabun, Ogowe und Kongo vermutet ward. 

Der große hydrographiſche Zug des weſtafrikaniſchen Landes, zweifellos zugleich der 
für die Erſchließung des ſüdlichen Innerafrifa bedeutendite ift der Kongo, die große Quer: 
aber des Erbteiles. Mit jo mächtigen Waſſermaſſen tritt derfelbe unter 6° füdlicher Breite 
(hier im unterften Teile feines Laufes Zaire genannt) ins Meer, daß die erfte Entdedungs: 
erpedition unter Tudey, welche 1816 diejen bisher weniger beadhteten Strom überhaupt 
erit in jeiner wahren Größe würdigen lehrte, nur unter großen Schwierigkeiten in den 
eine deutſche Meile in einer Stunde zurüdlegenden Strom einzufahren vermochte, Troß 
der Zerfajerung in unzählige Delta-Arme, zwiſchen denen ein 1!/s Meilen breiter Man: 
grovegürtel ſich ausbreitet, fließt das Kongowaſſer mit foldher Kraft ins Meer, daß feine 
rötliche Farbe noch bis 12 Leguas von der Küfte merklich bleibt. Zange war der Kongo 
nur bi8 3 Grad oberhalb feiner Mündung befannt, wo die fogenannten Yellalafälle 
dem weitern Wordringen zu Schiffe einen unüberwindlihen Damm entgegenfegen. Diele 
Fälle wie alle andern am Kongo find indeſſen nur Stromjchnellen. Die von Slangila, 
welche bei 600700 m Breite 5 m hoch find, find die beträchtlichiten. Oberhalb feiner 
Delta: Ausbreitung ift das Kongobett ein enges Thal mit fteilen Wänden, in der Sohle 
jo wenig zugänglid, daß Stanley feinen berühmten Erſchließungsweg oft meilenweit von 
Strome wegführen mußte. Auf jehr weiten Streden ift nicht Naum für einen Maultier: 
pfad. Auch zahlreiche Nebenflüffe find derart Fanalartig eingejhnitten, und dieſe Ein- 
ſchnitte erfchweren nicht nur den Verkehr, ſondern bieten mit ihrer dichten Vegetation auch 
den Eingebornen Stügpunfte für Angriffe auf die Handelsfarawanen. So ift alfo, vom 
unterjten Laufe abgejehen, im Küftenlande Weitafrifas die Bedeutung des Kongo für 
den Verkehr und die Befiedelung gering, und es mag dies wohl erwogen werden, wenn 
man die Gründe betrachtet, welche ihn verhinderten, der Nil Wejtafrilas zu fein. 

Von unmittelbarerer Bedeutung ift für das weitafrifaniiche Land der Niger, der von 
feiner Mündung bis 11° nördlicher Breite von europäiichen Dampfern befahren wird, und 
fein in noch größerer Ausdehnung jchiffbarer Nebenfluß Benue. Er fügt dem Küften: 
gebiete ein mächtiges Anſchwemmungsland zu, das durd häufige Überſchwemmungen in 
ftetem Wachſen erhalten it, und bildet zugleich das Thor zum Sudan und zum nörd: 
lichen Zentralafrifa. Er iſt der Mittelpunft der fruchtbaren, volf» und verfehrsreichen 
Guineafüfte. Als vollfommen flaches Küftenland, gleich den füblichern Streden der Welt: 
füfte von fprihwörtlider Ode, das auf den erſten Blid feinen Gedanken an Hodland- 
abfall oder Nandgebirge auffommen läßt, zieht ſich Afrikas Weſtküſte vom Winkel ber 
Gabun: und Gamerunregion, wo üppige Vegetation ausnahmsweife an die Küfte tritt, 
weitwärts, wird auf 20 Yängengrade Erjtredung, in denen fie ausgeprägt oftweftlich zieht, 
zur Nord: ftatt zur Weftküfte und bildet dergejtalt die weit vorjpringende Einfaflung des 
Meerbufens von Guinea bis zur Sierra Leone. Den einzigen beträchtlihern Vorjprung 
bildet hier das Nigerdelta mit feinem ausgedehnten Sumpf: und Schlammlande und 
feinem Geflehte halb jtagnierender Mündungsfanäle, 


570 Die Küftenländer des tropifhen Weftafrifa. 


Meitlich von der Nigermündung zieht eine Reihe von Lagunen und Strandfeen bis 
zum Boltafluffe die ganze Sklavenfüfte entlang. Dieſe Lagunen, welde in ber trodnen 
Zeit durch völliges oder teilweifes Nustrodnen zu Herden fieberfhwangerer Dünfte werden, 
entfalten einen reichen Segen in der feuchten Zeit des Jahres, wo ihr jalziges Waſſer 
den Verkehr und Handel zwijchen den an ber Küſte wohnenden Stämmen in hohem Grade 
erleichtert und die Küftenorte mit reihliher Fiſchnahrung verfieht. Außerdem liefern fie 
Salz, das einen ber beträdtlihiten Hanbelsgegenftände für den Austaufch mit den weiter 
im Binnenlande wohnenden Stämmen ausmadt. Jenſeit der Lagune zieht ſich das flache 
Land der Küfte noch drei volle Tagereifen ins Innere hinein, Der öde Charafter des ſan— 
digen, nur mit niedrigem Grafe und vereinzelten ftahligen Büſchen bewachſenen Küſten— 
faumes macht nad 1—2 Meilen dem 2—3 m hohen Graswuchſe Plaß, der, an tiefer 
liegenden, feuchtern Stellen von dichtem Walde unterbrochen, für Afrifa jo ungemein be 
zeichnend ift. Hier zeigen fich auch bereit3 Pflanzungen und menschliche Wohnungen. Erit 
10 Meilen von der Küfte entfernt wird das Land hügelig und jteigt dann allmählich zu 
dem die Mafferfcheide des Niger und der Küftenflüffe bildenden Gebirge auf. 

Meiter nördlich jpringt eine Vorterraffe des Randgebirges im Lande der Akuapim 
bis auf 8 geogr. Meilen gegen die Küfte vor und läßt die dunklern, thätigern, gajtfreiern, 
unverborbenern Bergneger bis nahe an die Küfte herantreten. Dann folgt die Goldküſte, 
welche jo viel höher ift, daß fie, vom Meere her gejehen, einen einzigen großen Waldſtreifen 
bildet, hinter welchem fi) das waldige Bergland erhebt. Kaum 1 geogr. Meile reicht die 
fandige, kieſige Flachküſte landeinwärts. Dann ſchließen ſich die den Aſchanti tributären 
Landſchaften von Akim und Fanti an, die man als die fruchtbarſten der Guineaküſte be— 
zeichnet. Die Küſte iſt hier hafen- und waſſerreich, Schiffbauholz iſt im Überfluſſe vor— 
handen, und die Bevölkerung gehört zu ben fleißigſten dieſer Gegenden. Der Mangel einer 
indigenen Entwidelung der Seeſchiffahrt beweift, daß nicht überall die Natur allein es war, 
welche der afrikanischen Menfchheit ſolche Entfaltung verjagte. Nicht zufällig find gerade 
hier auf diefer Strede von der eriten Beliedelung an die europäifchen Faktoreien und Forts 
dicht geſäet geweſen. Weiter nah Weften zu ijt die Küftenbeihaffenheit weniger günitig, 
dafür blühte dort in Akkra zu einer Zeit, wo das Land hinter den andern Küftenplägen 
verjhloffen war, ber freie Handel mit dem Innern und find in Sierra Leone, Liberia 
und Monrovia die Kolonien befreiter Sklaven gegründet worden, welche, wenn auch nicht 
viel Kultur, doch Leben und Ausfihten an dieſe Küfte gebracht haben. 

Das Klima der äquatorialen Weftküjte it großenteild ein heißes und feuchtes. An 
ber Küfte folgen die Niederfchläge dem Gange der Sonne reihlih, in Yoanda vom No: 
vernber bi3 April, am Gabun vom September bis Mai, in Sierra Leone vom Mai bis 
November dauernd; im Innern find fie durch Bodengeftalt und Konfiguration etwas ab: 
gelenkt, jo daß z. B. in Mufjumba die Regenzeit Ende Auguft beginnt und Ende April 
aufhört. Hier liegen die regenreichſten Gebiete Afrifas, allen voran Sierra Leone 
mit 3331 und Gabun mit 2688 mm im Jahre. Nach Norden und Süden zu nimmt aber 
die Negenmenge raſch ab, jo daß Loanda nur noch 318, Praia Santiago (149 54’ nörb- 
liher Breite) 323 mm zählt. An den Küften des Golfes von Guinea entjtehen durch 
Zwiſchenſchiebung einer Trodenzeit (Cacimbo der Portugiefen) eine kleine und eine große 
Regenzeit. Ähnliches findet im Gebiete des Kuango ftatt. Die Hige iſt an der Küſte ge: 
mildert und wird nach dem Innern zu überall da jtärfer, wo feine Bodenerhebung eine 
Erniedrigung ſchafft. Die unerträglichite Hige herrſcht vielleicht im Innern Senegambiens 
gegen bie Wüfte hin. Loanda mit 23% hat die niederjte Jahrestemperatur, fait genau jo: 
viel bat St. Louis, wogegen Medine (jenegambifches Binnenland) die höchſte Jahres: 
temperatur mit 30° C. aufweift. Der heißeſte Monat in Medine, der Mai, fteht mit 


Lagunen. Küftenbildung. Klima. 571 


IiEer, 


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Ölpalme, lints Papaya, rechts Maniok. 


572 Die Küftenländer des tropifhen Weftafrifa. 


36° E. dem heifeiten in St. Louis, September, mit 28° gegenüber. Der Unterſchied 
zwifchen dem fälteften und wärmſten Monate erreicht faft nirgends 10%. Die bis über den 
Aquator hinausreichende falte Strömung macht diefen Gegenfag an den Küſten von Ober: 
und Niederguinea ſehr gering und läßt hier die Temperatur des wärmſten Monates nir: 
gends 25° erreichen; in Tſchintſchotſcho (Zoango) fteht fie bereits bei 21 — 22°. Wir haben 
alfo hier feineswegs einen der heißeften Erdſtriche vor uns. 

Die herrihende Windrichtung iſt Südweſt, diefelbe ift befonders Fräftig zur Zeit, 
wo die Sonne nördli vom Aquator fteht. Als heftiger Monjun vom Meere zum Lande 
wehend, ift diefe Strömung nicht geeignet, die Neger der Küſte zu ermutigen, in ihren 
Nußſchalen von Kähnen die hohe See aufzuſuchen. Auch die Wirbelftürme entjtehen in 
der Regel am Lande und mwehen auf 
das Meer hinaus. Landwinde machen 
ſich vornehmlich zwiſchen Januar und 
Mai fühlbar. Morgennebel ſind ſehr 
häufig und ſo dicht, daß man ſie mit 
dem Londoner Nebel verglichen hat. 
Die Taufälle find fo ſtark, daß fie 
Pfügen und meßbare Niederjchläge er: 
zeugen. Der Gejundheitszuftand der 
Europäer it ein höchſt ungünjtiger 
an vielen Stellen diefer Küfte. Einige 
Handelsitationen, wie Grand Baſſam, 
Aifinie und Dabon, find deshalb ver: 
lajjen worden, andre, wie Lagos, wer: 
den alljährlich durch raſch verlaufende 
Fieber dezimiert. Bon diefen Fiebern 
bleiben die Neger nicht frei; da fie fih 
aber an.der Küſte beſſer ernähren, ſind 
fie trogdem ihren Brüdern im Innern 
nicht jelten an Körperfraft und Schön: 
heit überlegen. 

Die Vegetation ijt bei reichlicher 
Befeuchtung üppig an der Küfte und in den tiefer gelegenen Teilen des Binnenlandes. Doch 
nimmt fie ſchon auf den erften Höhen des Hochlandes um Kongo und Ogowe den Savannen- 
oder Kampinencharafter an, den das übliche Abbrennen feithält und zugleich ausbreitet. Ihr 
Reihtum an Nußpflanzen ift groß. Die beiden für den Handel widhtigjten einheimifchen 
Nugpflanzen Afrikas, die Olpalme und der Kaffeebaum, kommen wild in diefen Landſchaften 
vor, eritere („des Negers Freund“, jeit Aufhebung der Leibeigenjchaft der einzige bedeu: 
tender Entwidelung fähige Ausfuhrgegenftand Weftafrifas) vorzüglich im untern Nigerlande 
ganze Wälder bildend, in denen die ölreichen Nüſſe oft mehrere Fuß hoch den Boden bededen 
jollen. Wir haben gejehen, daß diejer nüglide Baum nicht allein diefem Gebiete zukommt, 
jondern fich im ganzen Kongolande bis zum Welle findet und den Niger und Benue aufwärts 
fteigt. Aber unzweifelhaft hat die Olpalme hier an der Küjfte, wo fie von Senegambien 
bis Angola allgemein verbreitet ift, ihre Hauptentwidelung und findet hier auch ihre Haupt: 
verwertung. Der Kaffeebaum ift in der jpeziell wejtafrifanifchen Art, Coffea liberica, eine 
der arabijchen oder oſtafrikaniſchen Art, wie es jcheint, vielfah überlegene Art. In den 
höhern Teilen wächſt der für den Sudanhandel nicht-minder wichtige Gurunußbaum (Ster- 
eulia), ferner eine Kautjchufliane, die aber ſchon Pogge in den Küjtengebirgen Angolas 





Blüte und Frucht des Affenbrotbaumes 
(Adansonia digitata). Bol. Zert, S. 573, 


Vegetation, Tierwelt. 573 


faft ausgerottet fand. Zu den vielfeitig nüglichiten Pflanzen des Erbteiles gehört dann ber 
Imbunderobaum, eine Büttneriacee. Seine zwei Spannen lange Frucht umfchließt einen 
ſüßſäuerlichen Kern, ber eine ebenjo wohljchmedende wie gejunde Nahrung gibt; die Frucht: 
ſchale liefert Hausgeräte, der Baft Kleidunggitoffe, die Wurzeln Stride und der Stamm, 
der oft mehr als 10 Klaftern Umfang hat, Kähne. An Baumriefen it Weftafrifa über: 
haupt reich. Der Hauptlieferant des Holzes für Einbäume von 100 Fuß Länge ift der 
guineifche Wollbaum (Eriodendron), vom Affenbrotbaume (f. Abbildung, S. 572) mit oft 
8 m Stammdurchmefler zu jchweigen. Für die Ernährung der Bevölkerung find von den 
angebauten Pflanzen Maniof und Erdnuß am wichtigſten. Legtere wird auch in fteigendem 
Maße ausgeführt. Die gewürzhaften Paradieskörner (Amomum) haben der Körnerfüfte 
ben Namen gegeben. An wild wachſenden nüglichen Pflanzen nennen wir noch Zuderrohr, 
Sumpfreis, Indigo. Auch Tabak wird wild wachſend in Menge gefunden, fo z. B. in Afem, 
wo aber dennoch bezeichnenderweife die Neger ihren Tabak an der Küfte faufen. 

Die Tierwelt Weitafrifas ift, wie wir ſchon früher befpraden (ſ. S. 365), arm im 
Vergleiche zu der ſüd- und oftafrifanifhen, und diefes gilt ganz befonders von dem ſüd— 
äquatorialen Teile. Pechuel nennt das Nilpferd das einzige große Säugetier, das nod) 
häufig im Kongogebiete vorkomme. Daß auf den dortigen Märkten getrodnete Ratten einen 
Handelsgegenftand bilden, daß Antilopenfelle ein Foftbarer, den Vornehmen vefervierter 
Beſitz find, fpricht auch nicht für einen Tierreichtum des Innern. Das Guinea= und Sene: 
galgebiet ift hierin beifer daran, doc ift das wichtigſte der dortigen Tiere, der Elefant, 
durch Schonungslofe Jagd jo weit zurüdgedrängt, daß die Weſtküſte viel von ihrer einjtigen 
Bedeutung für den Elfenbeinhandel verloren hat. 


28. Die Völker der wefafrikanifchen Küſte. 


„‚Bölter drängten ſich gegen Völter, und ein befländiger Wedhfel 
der äußern Lebensbedingungen ſowohl ald Vermiſchungen und Unter 
johungen erzeugten das buntjcpedige Refultat eines Böltergemenges, 
welches wir unter unfern Augen, gleich einer Zellteilung ins Umend» 
lie, unaufhörlich in ftet3 neue Phafen treten ſehen.“ 

Georg Schweinfurth. 

Inhalt: Stellung der Weftafrifaner unter den Negern. — Tradt. Schmud. Waffen, — Dörfer und 
Hütten, Ackerbau. Viehzucht. — Gewerbe. Kunftinduftrien. — Der Handel. Handelsvölfer: Bangala, 
Dualla, Kru. Stlaven. — Die Familie. Die Stellung der rau. — Politiihe Verhältnifje. Attribute 
der Könige, Gründungsfage von Bihe. Vergleich des Königtumes von Dahomey und der Eweer. Kongo: 
fönige. Berfegung des Königtumes. — Palaver. — Negerfreiheit. — Fetiſche. Fetifchpriefter und Tempel. 
Begräbnigfeier. Gottedurteile, Kannibalismus. Gelübde. NReligiöfe Feſte. Yamsfeſt. Alumbihütte, 
Geheimbünde, Mufil, Sagen. Spridwörter. — Die europäifchen Einflüffe. — Die wichtigften Völter Weft: 
ofrifas: Biheño, Hillengue, Mundombe, Songo, Kiofo, Bangala, Kongo: und Zoangoneger, jan, Dualla, 
Balwiri, Kru, Eweer, Dahomey, Aſchanti, Alkra, Liberia. 


Man hat dem Neger der Weſtküſte länger als dem des Oſtens, dem „Kaffer” im 
weitern Sinne, die echten Negermerfmale zugeiprohen. Dan wünfchte irgend einen Teil 
Afrilas für den „echten“ Neger vorzubehalten, der doch nicht ganz aus dem Kreife der 
Menſchenraſſen fhwinden follte Nun ift es wahrſcheinlich, daß die Djtafrifaner mehr 
afiatifche Beitandteile, d. h., rafjenhaft geſprochen, edleres Blut, in ihre Adern aufgenont- 
men haben als die joviel weiter von dieſen Einflüffen entfernten Weftafrifaner. Aber doch 
ind aud die Weltafrifaner weit entfernt, Karilaturen zu fein, wie man fie ſich in ber 
Zeit ſchlechter ethnographifcher Bilder vorftellte und noch Burton fie zeichnete. Baſtian 





574 Die Völker der weftafrilaniihen Küfte, 


ſprach e8 als eins der allgemeinen Ergebniffe feiner weitafrifaniichen Neife aus (und dies 
iſt einem Afrifareifenden der fünfziger Jahre befonders hody anzurechnen), daß, wo immer 
eins der Merkmale des fogenannten Negertypus fich ftarf ausgeprägt finde, man eine 
Ausnahme, nicht aber die Regel vor fih habe. Er jagt fogar: „Überhaupt wird mir 
gewiß jeder praftifche Kenner Afrikas beiftimmen, daß man den eigentlihen Negertypus, 
wie er in ethnologiihen Werfen als charakteriftiich beſchrieben wird, äußerft jelten antrifft. 
Frappant ausgebildet habe ich ihn nur bei einigen Individuen der Pöpo oder vielmehr 
Kriegsgefangenen von den öjtlihen Grenzen Dahomeys, die id in Sierra Leone zu jehen 
Gelegenheit hatte, beobadhten können.” Vor ihm ſchon hatte Livingjtone, einer der 
wenigen, bie zu feiner Zeit Often und Weiten Afrifas mit voller Autorität vergleichen 





Jugendliche Loangoneger (nad Photographie von Dr. fyaltenftein). 


fonnten, darauf aufmerfiam gemacht, daß, während ihre allgemeinen Merkmale die Weit: 
afrifaner in die wahre Negerfamilie ftellen, man doch eine faljche Vorftellung in fich auf: 
nehmen würde, wenn man glaubte, daß alle echten Negerzüge fich oft in einem Indivi— 
duum vereinigt finden. Man findet auch hier gerade Najen und nicht zu dide Lippen. Die 
Färbung ift vom tiefen Schwarz bis zum lichten Gelb abgetönt. 

Und wenn man vielleicht jener Klage Glauben jchenfen möchte, daß Livingftone 
auch hier feiner miffionariftiichen Liebe zu den dunfeln Kindern Afrikas zu großen Spiel: 
raum gelaffen, jo vergleiche man das Urteil eines wie wenige befonnenen und unparteiifchen 
Beobachters, der den allgemeinen Eindrud, den jene Eingebornen maden, als einen gün- 
ftigen rühmt. „Ahr Körperbau zeichnet fie meift vorteilhaft aus; ihre Gefichtszüge zeigen 
häufig Sintelligenz, der Prognathismus ift wenig entwidelt, auffallend ausgebildete Lang— 
föpfe find felten, und es ift wahrſcheinlich, daß die meijten Schädel ſich auf der Grenze 
halten, welche Mittel: und Langföpfe voneinander fcheidet. Die Hautfarbe ift dunkelbron— 
zen, und Abweichungen zu lichtern Schattierungen find häufiger als die dunflern.” (Paul 
Güßfeldt.) Partieller Albinismus, welcher jchedige Haut erzeugt (ſ. Abbildung, ©. 138), 


Körperliches der Weftafrifaner. Tracht. 575 


iſt vielleicht an der tropiihen Weſtküſte häufiger al anderwärts. Buchholz hebt die kräfti- 
gen Waden der Dualla, Falfenftein die der Loango hervor. 

Was den oft beiprochenen Unterſchied zwifchen Küften- und Binnenbewohnern anbelangt, 
fo widerſprechen fih darin die Nachrichten. So follen die an der Küfte wohnenden Eweer 
ftärfer und größer als die des Innern fein, was Zündel von ber reichliern Fleiſch— 
nahrung und der Bejhäftigung auf der See herleitet. Anderfeits find die Dualla dunkler 
als ihre Hinterleute, die Bakwiri, ebenfo die Küftenftämme in Akem. Im allgemeinen 
leben die Küftenleute befjer, al$ e8 hier von den Eweern angenommen ift, find aber aud) 
mehr von eingejchleppten und einheimijchen Krankheiten heimgefucht. Der Unterſchied ſcheint 
nicht durchgängig zu fein, und in den alten portugiefiihen Kolonien, d. h. überall füdlich 
vom Kongo, greift 
die Miſchung ſtö— 
rend ein. 


In Bezug auf 
die Tracht zeigen 
die Weſtafrikaner 
einen großen Unter: 
ſchied zwijchen der R 
Küfte und dem Ins IN 
nern. Man muß I 
fich Heute fchon ziem: wer 
lich tief ins Innere —— 
begeben, um die WS * 
Tracht zu finden, die 
auch an der Küſte 
vor 400 Jahren hei: 
miſch war, feitdem 
aber infolge der 
ftarfen Zufuhr von 
Zeug, Kleidern und Schmud und der allgewaltigen Nachahmungsſucht der Eingebornen 
beftändig zurüdgeht. Im Innern ift die einzige allgemeine Grundlage der Tracht die aus 
Zeug oder Fell oder aud) nur aus einem Blatte oder Zweige beftehende Schamhülle, und 
im allgemeinen find dabei die Männer immer mehr befleidet als die Weiber. Man darf 
vielleicht jagen, daß kriegeriſche Stämme, wie die Fan, länger an notdürftiger Kleidung 
fefthielten als die handeltreibenden an der Küfte. Auch von den legtern legen 3. B. die 
Kabinda noch heute die Kleider ab, ehe fie in den Kampf gehen. Lopez zählt unter den 
Snduftrien der Völker im Neihe Kongo ſchon die Bereitung von Rindenftoff aus dem 
Baume Enzada auf, der ohne Zweifel eine Ficus-Art ift, ferner das Zubereiten der Häute 
mit Hilfe der Wurzeln der Mangle oder Mangroven. Beide Bekleidungsinduftrien find 
bei den Weſtafrikanern heute zurüdgegangen. Der Baummollenftoff hat die einheimifchen 
Erzeugniffe verdrängt, und wo immer man tiefer ins Innere dringt, trifft man im Niger: 
(ande wie in Benguela die afrikaniſche Halbnadtheit, ſelten durch ärmliche Grasfleider 
gedämpft. Cameron fand fie zu jeinem Erftaunen in Kifandihi, wie Gomber fie am 
Gamerungebirge gefunden hat. Aber in Angola fand Buchner Mädchen mit unbekleidetem 
Oberkörper faum diesfeit der Songo. Die Tracht befteht heute bei dem typiſchen Loango— 
neger aus einem ziemlich langen, faltenreihen Schurze um die Hüften, für welchen jo viel 
Zeug verwandt zu werden pflegt, daß derſelbe bei Nacht zur Einwidelung des ganzen 





B 


* 
J 






Xp, | — 
Frauentypen von Loango (nad Photographie von Dr. Yaltenftein). 


8 


576 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küſte. 


Körpers dienen kann. Dieſes Bekleidungsſtück iſt ſehr allgemein. Unbekleidet zu gehen, würde 
hier kaum minder anſtößig erſcheinen als bei uns. Nur Kinder machen hierin eine Aus— 
nahme; bei ihnen ſucht man die Form zu wahren, indem man eine Schnur um die Hüfte 
legt. Der Handel hat nad) und nad) Yaden, Röde, Uniformftüde und Livreeröde eingeführt. 
Die Camerunneger tragen fogar hohe, weiße Weiberftrümpfe mit Vorliebe. Alle diefe Dinge 
werben bei bejonderer Gelegenheit, namentlich Begegnungen mit den Weißen, oft eins über 
dem andern getragen, mögen fie jo unbequem fein, wie fie wollen. Zur weiblihen Toi- 
lette gehört bei den eben genannten und andern zivilifiertern Damen der Küfte auch ein über 
das Gefäß gelegtes Poljter, welches zugleich als Sigtiffen für den jelten fehlenden Säug— 
ling und al3 Verfhönerungsmittel dient. Jener faft unvermeibliche Begleiter feiner Mutter 
wird dabei in ein Tuch gejchlagen, das 
vorn gehalten wird und ihn fo auf feinem 
Sige feithält. 

Kopfbededungen jpielen eine große 
Rolle. An der Loangofüfte dominieren die 
falottenförmigen Mützen aus Pflanzenfa- 
fern. Ebendort webt man jpik zulaufende 
Mützen aus Pflanzenfafern mit oft hüb- 
chen erhabenen Zeichnungen. Das Tragen 
derjelben ift jedoch VBorrecht der Vornehmen. 
Meiter im Norden kommen die mit einer 
befondern Würde oder Heiligkeit umgebenen 
jpigen Antilopenfellmügen hinzu. Ehren: 
mügen der Häuptlinge find oft did mit 
Perlen überftidt, deren mafjenhafter, ge 
Ihmadlojer Gebraud oder Mißbrauch über: 
haupt eins der Merkmale der meitafrifa- 

nn De niſchen Kunftinduftrie genannt werden fann. 
Gin Afhiraweib mit Ropfpus (nad Du Ghailtu). Die Weiber der Bangala zeichnen fi durch 
einen dünnen Mejfingitreifen um die Stirn 
aus. Die Haartradten find wie immer jehr mannigfaltig. Sie find einfach bei den 
MWeibern der Kru- und Camerunneger, welche ſich die Haare kurz fcheren, komplizierter bei 
den Bangala, welche ſich Teile des Schäbels rafieren. Bei den Bafunti, „der liebens- 
würdigſten diefer Völferfchaften nördlid vom Kongo” (Pehuel), haben namentlich die 
jungen Mädchen eine eigentümliche Mode angenommen. Sie fneten aus Kohle, Ruß und 
Erdnußöl eine ölige, klebrige Maſſe zufammen, mit der fie ihr Haar zu einzelnen Eleinen 
Knäueln zufammenballen. Dadurch gewinnt der Kopf ein Ausfehen, als fei er mit Beeren 
der Weintraube dicht bebedt. Die große Haarnadel der Ajchira (f. obenftehende Abbildung) 
erinnert an den Kopfpug der Njam-Njam. Die Batele flechten ihr Haar in einen Zopf, 
der fteif gemacht und nad vorn gebogen wird und fo wie ein Horn vorausragt. Diejes 
Horn findet fich auch bei Frauen von Akkra. Der Zopf gehört zur Uniform der Fankrieger 
(vgl. Abbildung, S. 48, Einleitung). Die Loango-Negerinnen umwinden ben Kopf turban: 
artig mit einem Tuche, und ebenjo ift bei den Akkrafrauen das wollige Horn gewöhnlich 
noch mit irgend einem Lappen oder Zumpen bebedt. 

Einfalben de3 ganzen Körpers mit DI, zugleich Beftreuen des Körpers mit Farbftoffen 
wird allgemein geübt. So fieht man zumeilen Bafunti, deren rechte Körperhälfte ſchwarz 
ift, während bie linfe im ſchönſten Hochrot prangt. Sie lieben es ferner, den ganzen Kör— 
per mit roten und blauen Perlen zu jhmüden. Die Batele, die fi weiter nah Oſten 





Kleidung und Zierat. 577 


anſchließen, jchneiden fid) eine Menge Narben in die Wangen. Eine leichte Tättowierung 
an Schläfen, Stirn, Schultern oder Bruft ift bei allen nicht hyperzivilifierten Weſtafri— 
fanern üblich; einige tättowieren fi) nur wenig, andre, wie die Dualla-Neger, tättowieren 
fi zugleid im Gefihte und auf der Bruft in mannigfaltiger Weife. Diefelben reifen fich 
außerdem die Augenwimpern aus, da diefe ihrer Meinung nah das ſcharfe Sehen ver: 
hindern und leicht 
Entzündungen im 
Auge verurſachen. 
Anihren wimpern: 
lofen Augen unter: 
ſcheidet man die 
Dualla leicht von 
den Kru, mit wel- 
chen fie ſonſt die 
meifte Ähnlichkeit 
haben. Bei Tänzen 
entfalten fie eine 
große Vorliebe für 
klappernde und für 
ElingelndeBehäng- 
jel in Form von 
Arm: und Bein- 
ringen, Berlichnü- 
ren, Glödchen und 
dergleichen. Ihren 
verhältnismäßigen 
Mohlitand tra— 
gen fie überhaupt 
mit einer gewiſ— 
jen Progenhaftig: 
feit zur Schau. 
Junge Mädchen im 
Brautſtande ſieht 
man mit ſolchen Un⸗ 
maſſen von Per— 
len behangen, daß 
ſie kaum im ſtande 
ſind, ſich zu bewe— 
gen. Selbſt in die 
Naſe hängen ſie Ein Mpongwe-Mädchen vom Gabun (nad Photographie). 

fich, wenn aud) nur 

zeitweilig, derartigen Schmud; auch entfalten fie eine nicht geringe Erfindungsgabe, in: 
dem fie 3. B. lange Stüde Zeug dicht mit Glöckchen bejegen und um Beine oder Arme 
wideln oder Stüde Glas zufchleifen, um Ohr: oder Najengehänge daraus zu fertigen. In 
Mungo tragen die Frauen Federihmud in den Haaren und bemalen ſich mit weißer Farbe 
Geficht, Arme und Beine. Kupferipangen und Mejfingdraht fpielen hier nicht diefelbe große 
Rolle wie in Oftafrifa; Perlen, Glöckchen und andrer Flitter- und Klappertand fcheinen jett 
hier mehr Mode zu fein; aber man findet jene ältern und jolidern Metallſchmuckſachen noch 

Vditertunde. L 87 





578 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küſte. 


immer häufig. Mehr fcheinen fie im Innern getragen zu werden. Zu den Übertreibungen 
der Neifebejchreiber früherer Jahrhunderte gehört au die Angabe vom hohen Werte der 
Schwanzhaare des Elefanten, von denen nah Lopez ein einziges für zwei oder drei 
Sklaven verfauft werden fol. Bon den Schmudjahen 
find an der Loangofüfte echte Korallen am geichägte- 
jten, Gold iſt unbefannt und ungejhägt, Silber (als 
Arm- und Fußring) jelten, Meffing: und Eijenringe 
haben oft Fetiihbedeutung. Der Jahrhunderte dauernde 

Handel hat die lächerliche Überſchätzung des Schmud- 
He tandes hier zurüdtreten lajjen, der Küjtenneger ziebt 
a a praftifch verwertbare Gegenftände den Glasperlen ac. 

vor. Wo er lettere dennoch fucht, hegt er meijt die 
Abficht, fie als Geſchenke an naive Schöne zu vergeben. 

Die Kriegstracht der Häuptlinge von Angola ſchildert Lopez als aus kreuzweiſe über 
Bruft und Schulter gehängten eijernen Ketten, aus Straußfedern als Kopfihmud und einem 
langen, vom Gürtel zu den Füßen reihenden 
Gewande bejtehend. Sie war aljo ähnlich der- 
jenigen, welche noch heute die Obernilneger, 
3. B. Schilluk und Djur, tragen. Speer, Bogen 
und Pfeile waren die Hauptwaffen, auch das 
eiferne Mefjer wurde jchon getragen, und der 
heute nur nod) bei den Yan zu findende Schild 
(j. Abbildung, S. 580) war allgemein. Zope; 
jagt von den Kongoanern: „Ihre Rüftung und 
Harniſch find lange Schilde, die fat die ganze 
Perjon bededen; fie werden gemadt von den 
großen und harten Häuten der Tiere, welche 
fie Empachas nennen”. Als ihre Waffen gibt 
er Pfeile zum Werfen (Aſſagaien?) an. Ihnen 
fegt er die Bewaffnung der menjhenfrefjenden 
Anzique gegenüber: „Ihr Wehr und Waffen 
feind auff eine andere Art, denn derer, die 
vmb fie herwohnen“. Er gibt ihnen kurze, mit 
Schlangenhaut ummundene Bogen, deren Seb: 
nen Grashalme find, ferner Kleine Pfeile, die 
fie in der Hand tragen, kurze Dolce in Schei: 
den aus Schlangenhaut und Streitärte, deren 
eiferne Klinge kürzer als der Stiel, vorn Beil 
und hinten Hammer ijt. Um den Leib hatten 
— — = — je fie breite Lederriemen. Der Einfluß des Han- 
5 De B dels auf die Stämme der Weſtküſte iſt nun 

We 7 ein folder geweſen, daß viele von ihnen gar 
feine Waffen mehr verfertigen und infofern auf 
einer tiefern Stufe jtehen als die Stämme 
nad dem Innern zu. Als Waffe dient nun 
fait ausſchließlich das Feuerfteingewehr. Lanzen und Speere, Pfeil und Bogen find als 
Gebrauchswaffen an der Küſte beinahe unbekannt, jo daß man auch Schilde jegt nur bei 
wenigen Stämmen fennt. Die europäifchen Händler haben ein ftillihweigendes Abkommen 





Ein Loangosfrieger (nah Photographie von 
Dr. Faltenftein). 


U — — — — — — — — — ⸗ 
— — — 


Kriegätraht und Waffen. 579 


miteinander getroffen, andre Feuerwaffen als Flintenjteingewehre nicht einzuführen, weil 
fie einer überlegenen Waffe zu ihrer Sicherheit bedürfen. Zu diefen Gemwehren wird ein 
Pulver der allergewöhnlichiten Art gegeben, das in Tafchen oder Hörnern mitgeführt wird 
(j. Abbildung, ©. 583). Das Projektil wird an Ort und Stelle hergeitellt, die Eingebornen 
ihmieden ſich ſelbſt Eifenkugeln, verwenden aber neben diefen Meſſing, Eifenfteine und 





Gin YansRrieger mit rau und Kind (nah Du Ghaillu). 


fleine Steinftüdchen, die in der Nähe ſchlimme Wunden madhen. In der Regel werden 

dieſe Gewehre überladen, denn die laute Detonation it das MWichtigfte. „Wer einen laut 

tönenden Schuß abgefeuert hat, glaubt eine ausgezeichnete That gethan zu haben, und 

das Bemwußtjein davon bereitet ihm unmittelbar nah dem Schuffe ein unendliches Ver: 

gnügen.” (Güßfeldt.) Aber auch ohne Schuß, felbit ohne Schuffähigkeit hat ein Gewehr 

jeinen entſchiedenen Wert. „Dieſe noch nie durch Pulverdampf verunreinigten Röhren 
37° 


580 Die Völker der weftafrifanifhen Küſte. 


erfparen viel Blutvergießen in ihren Kriegen”, jagt Baftian. Unter den Waffen erlangt 
bei den Weſtafrikanern der Dolch eine darakteriftifche Bedeutung. Vom Gabun an wird 
diefe 3. B. bei den Südkaffern fait unbefannte Waffe, die erft am Zambefi regelmäßig auf: 






rl z ia 1 b Lil "hs | 
ll ALT RN [8 hl hi) 9 


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—*98 ke} 


Baffen der Fan: 1 Mefier — 2 Wurfmefjer — 3 Schild und Speere (nah Du Ghaillu). Bol. Tert, ©. 578 und 582. 


zutreten beginnt, immer häufiger, je weiter man fi) dem Norden und damit dem wahr: 
iheinlihen „Ausitrahlungszentrum‘ der arabiſchen und arabifch gemifchten Bevölkerung 
nähert. Indem der fünftleriihe Sinn der Weftafrifaner fich feiner bemächtigt, verzieren fie 


58] 


Hm 


2 
J * 


Waffen. 








4,5 Schwerter — 6, 7 Scheiden 


Dal. Zert, 5 582 


Baffen aus Liberia: 1,2 Eiſerne Langen (fädtifhes Mufeum, Frankfurt aM.) — : 
und Gehänge ſethnographiſche Sammlung, Stodholm). 


582 Die Völker der weitafrifanifhen Küſte. 


Klinge, Griff und Scheide in der mannigfaltigiten Weife. Am gewöhnlichſten ift die Klinge 
breit, 20—30 em lang, oft flammenförmig, jehr ſpitz zulaufend, zweiſchneidig, mit einer 
Blutrinne oder einer Kante in der Mitte oder mit einem Bündel von Kanten oder Rinnen, 
die zur Epige ziehen. Oft ift die Klinge ſchmal, feltener gebogen; in diefem Falle ift fie 
einfchneidig und der Rüden durchbrochen, gezadt oder fonft verziert. Der Griff pflegt von 
Holz zu fein, ift gewöhnlich in Kreuzform gefchnigt und mehr oder weniger durch Schniterei 
und Eifen= oder Mejlingbraht verziert. Die Sceiden find am Gabun ganz allgemein aus 
Schlangenhaut, anderwärts aus Leber oder aus Holz, gewöhnlich unten gleidhbreit oder 
breiter als oben; es fommt aber auch die einfachite Art vor, nämlich ein flaches Holz, mit 
zwei oder drei Drähten überjpannt, welche die 
Waffe halten. Nirgends in Afrifa als nur da, wo 
der arabijche Einfluß ſtark war, hat diefes Mittel: 
ding von Dold und Echwert fid) jo weit verbrei— 
tet. In Oftafrifa erſtreckt fich feine Häufigkeit bis 
an die Zanzibarfüfte, wo es allmählich die ärm- 
liche Form des Meſſers annimmt, das die Kaffern 
am Oberarme zu tragen pflegen. Jener Schwert: 
dolch wird dagegen häufiger am Gürtel oder 
Sattel getragen (vgl. die Abbildungen, S. 580, 
581, 582). 

Während die Ausfehtung der jehr häufigen 
Fehden unter den kleinern weitafrifanifchen Völ— 
fern in der Negel nur eine lächerlihe Komödie 
mit viel Gejchrei und Schießen darftellt, finden 
wir in Ajchanti und Dahomey, den beiden ein: 
zigen auf fich jelbjt feit gegründeten Negerftaaten 
Weſtafrikas, organijierte Heere, welche wahre 
Gefechte, ja offene Schlachten jchlagen. Die oft 
genannte Armee von Dahomey bejteht aus gleich 
uniformierten und bewaffneten Männern und 
Meibern und ift einige taufend Krieger ſtark. Die 
Amazonen dürfen ſich nicht verheiraten, fie haben, 

; wie man es nennt, ihr Gejchlecht vertauſcht und 

(Christ Coloetion, Gonon) Yalnng moin. &.ırı. werben im föniglichen Palafte, wo fie ihre Ra- 

ferne haben, von Eunuchen bewacht. Die Aichanti 

befigen eine ähnliche Militärorganifation. Sie haben fich in den nicht jeltenen Fehden mit 

den engliichen Kolonien an der Küſte den Ruhm einer mut: und charaftervollen, thätigen 

und auch förperlich tüchtigen Bevölkerung erworben. In den neuern Erpeditionen der Inter— 

nationalen Kongogefellihaft haben auch die Kabinda vom Kongo fich ruhiger, disziplinierter, 
fampftüchtiger gezeigt als jelbit die vielgerühmten Zanzibari. . 





Die Dörfer find in der Regel nicht groß, auch die „Städte am Kongo, die „Reſi— 
denzen” am Gamerum 2c. find nichts als Dörfer mit, wenn es hoch fommt, 2000 Ein: 
wohnern. Im Aufbaue find fie leicht und flüchtig, jo daß friegführende Europäer bald 
einfahen, daß die Zeritörung eines Dorfes hier gar feine Strafe jei. Im Innern des 
Landes find die Anfiedelungen ziemlich reinlich, halten aber den Vergleich mit den Dörfern an 
der Küſte darum nicht aus, weil das Waſſer fehlt. Die Paläfte zeichnen fich nicht durch große 
Bauwerke aus, wie Oftafrifa fie kennt. Robert Norris ſchildert den Gejamteindrud des 


Kriegführung. Wohnftätten, 383 


ausgedehnten Palajtes des Königs von Tahomey als den einer Anfammlung von Höfen 
voll Scheunen, Schuppen für Vieh und Gefährte, getrennt durch niedere Lehmmauern. 
Die Schon früher vom mittlern Kongo erwähnte Thatjache des auffallenden Mangels 
an Wohnftätten in der unmittelbaren Umgebung des Stromes gilt auch von andern Flüffen, 
doch nicht vom Niger und Benue und deren größern Nebenflüffen, an welden einige der 
größten Städte des Fulbereiches und der gewerbthätigen Hauſſa liegen. Daß Anfiedelungen 
eher in einiger Entfernung von den Flüffen als unmittelbar am Ufer liegen, jelbft da, 
wo diejes zu hoch it, um Überſchwemmungen ausgejegt zu fein, rührt wahrſcheinlich von 
der Furcht vor den wilden 
Tieren, die ihre Tränfe- 
pläge befuchen, und vor den 
nachts ans Land fteigenden 
Krofodilen her. Wollten 
doch Richard Landers 
Bootsleute bei der Fahrt 
den Nabbaniger abwärts 
nicht einmal auf den Fluß: 
injeln im Freien nächtigen, 
um nicht den Krofodilen 
zur Beute zu fallen. Übri— 
gend macht in diefen Un— 
terſchieden der Lage fid 
aud etwas Rafjenhaftes 
geltend. So ift die freie 
Lage ein Charafter, der ſich 
bei jeder echten Lunda— 
Ortſchaft wiederholt, wäh— 
rend die Kioko und die 
Minungo es lieben, ihre 
niedlichen, ſaubern Dörfer 
im Walde zu verſtecken. 
Der rechteckige und 
der runde Bauſtil (Kegel— 
ſtil) kommen an der Weſt— 4* 
küſte beide vor. Der erſtere DEU wi RAN NTE irHl. chin. 
herrſcht längs des Kongo, Pulverhörner aus — ——— Sammlung, Stocholm). 
dann im Ogowe-, Gabun— 
und Camerungebiete und iſt einer erheblichen Ausbildung in Größe und Komfort fähig. Er 
bedingt eine einfache Straßenanlage, d. h. die Häuſer ſtehen einander gegenüber längs einer 
breiten Straße (ſ. Abbildung, S. 584), während der Kegelſtil zur Anlage im Kreiſe oder 
zur zerſtreuten Bauweiſe führt. Der Kegelſtil der Wohnungen findet ſich bei den ſüdlichen 
Stämmen, denen von Benguela, Angola, dann aber auffallenderweiſe auch wieder bei den 
nördlichern Stämmen, welche die Küſte von Oberguinea bewohnen. Es iſt wenig andres über 
denſelben zu jagen, als daß er mit geringen Variationen bie bekannten Formen vom Bienen: 
forbe der Kiofo bis zur runden Lehmhütte der Ajchanti wiederholt (vgl. Abbildung, ©. 585). 
Die Dörfer an der Mündung des Camerunfluffes lafjen den Einfluß der Wohlhaben: 
heit deutlich erfennen, welche bejonders die Handelövermittelung ihnen zubringt. R. Bud: 
holz entwirft von King Bell’s Tomn folgende Edjilderung: „Nicht weit vom Ufer, höchſt 





584 Die Bölfer der mweftafrifanifhen Küfte. 


anmutig verſteckt in einem berrlihen Schatten bietenden Walde von Bananen, Kokos— 
palmen, Mango: und andern Fruchtbäumen, liegen die außerordentlich zierlihen und an- 
jehnlihen Hütten von King Bell’! Town, breite Straßen und Pläge bildend, indem fie 
weitläufig verteilt find. Gie find fehr lang und von rechtediger Form; nur das Funda— 
ment, ein 3—4 Fuß hoher Unterbau, ift aus Lehm gefertigt, während die Wände der 
Hütten jelbit aus Matten beitehen, die aus 

Sn a Palmblattjtielen äußerſt zierlich geflodhten 
— A find. Die fehr faubern und eleganten Dächer 
= ; bejtehen aus Blättern einer Fiederpalme, 

welche dachziegelartig ineinander geichoben 
werden, und gewähren, wenn fie gut gemacht 
find, ſelbſt bei den heftigiten tropiſchen Re— 
gengüfjen völligen Schug. Überhaupt hat 
hier alles den Anftrid eines gewiffen Kom: 
fortes.” Auch weiter landeinwärts findet man 
überall, wo eine gewiſſe Regſamkeit, jei es 
im Handel oder in fonftiger Arbeit, berricht, 
den größern Ordnungsſinn und Wohlftand 
vor allem im Baue und in der Einrichtung 
der Hütten ausgeprägt. Der Plan ift immer 
derjelbe: ein Nechted, das durch Zwiſchen— 
wände in jo viele Näume (Küche, Weiber: 
zunmer, Männerzimmer, Ställe) abgeteilt 
it, al8 der Haushalt erfordert. Diefe Räume 
öffnen ſich alle durd) befondere Thüren nad) 
einem gemeinjfamen Hofraume, wo die Tröge 
zur Balmölbereitung, in größern Haushalten 
auch offene Schuppen und Ställe fich befin- 
den, Manche Wohnräume find mit Schön ge: 
flochtenen Matten ausgefleidet, welche jelbit 
gute europäifche Zimmer Ihmüden könnten. 
Ein minder erfreulicher Fortichritt in der 
Einrichtung diefer Hütten find die jehr feiten 
Vorlegeſchlöſſer, mit denen fait jede Thür 
verjehen ift, und welche Zeugnis dafür ab: 
legen, daß der Diebjtahl bei diefen Negern 
unter fich nicht weniger im Schwange ilt 





— als gegenüber den Europäern. 
Re —— Comber fand am Camerungebirge Häu: 
BEBET NE TR BR DEE jer für 100 Perjonen, aber nicht überall 


De. Tert, 6. BOB mn DER, tragen die Hütten diefes Typus den wohl: 


behäbigen Charafter wie die des erwerbsthätigen Handelsvolfes. Eine andre Variation wird 
im Innern der Kongoregion durch den Mangel von Palmblättern bedingt, wo man mit 
Gras dedt. Das gefrümmte Dad iſt ein gewöhnlicher Aufenthaltsort der Hühner, Katzen 
und Biegen. Wo Fehden der einzelnen Dörfer vorkommen, fehlt e8 nicht an Zaun und 
Graben; auch liegen dann die Dörfer immer auf Berggipfeln oder an fonft ſchwer zugäng: 
lichen Stellen. Allgemeiner Brauch ift dies im Rüftengebirge von Benguela, wo Cameron 
einmal eine dreizehnfache Verfchanzung eines Dorfes fand, 


Dörfer, Landbau, 585 


Der Aderbau ijt bei allen nicht mit Fiſcherei, Schiffahrt und Handel befchäftigten Völ— 
fern diefer Negion heimiſch und erzeugt hauptſächlich Maniok, Mais, Yams, Erdnüffe, Koko 
(Caladium esculentum) und Ngonda (eine Kürbisart, deren Samen geftampft und gekocht 
werden). Der Ölgewinnung, nicht aber der Kultur der Ölpalme wird große Aufmerkjam- 
feit zugewandt, Die Hauptarbeiterinnen im Felde find die Frauen, und ihr Werkzeug ijt 
entweder eine von Europa eingeführte oder die auch im obern Nillande zu findende zwei: 
ftielige Hade. Zahlreiche Gegenftände des Aderbaues find aus der fremde eingeführt, vor 
allen das wertvollſte Nahrungsmittel diefer Gegend, der Maniok. Baftian erzählt von 
San Salvador, daß es im ganzen Kongoreiche wegen der Güte und Menge feines Kohles be— 





AR, 


Bihenos beim Hättenbau (nah Serpa Pinto). Pal. Tert, ©. 583. 


rühmt fei. Bei den Eingebornen bildet er eine Hauptnahrung; er wird wahrjcheinlich, wie 
die Erbjen und Bohnen, aus den Gemüfegärten ftammen, welde die alten Miffionare neben 
ihren Klöftern anlegten. Einen jo ausgedehnten und fleißigen Aderbau wie bei vielen Völ— 
fern des Innern dieſes Erbteiles findet man jedoch in diefen zerfeßbaren Verhältniffen und 
auf dem vielfach weniger fruchtbaren Boden nicht. Weite Streden liegen ungelichtet oder 
mit wilden Buſche bededt. So erzählt Kapitän Glover, daß er auf feinem Marſche vom 
Volta nad Kumaſſi, der ihn mitten durch Akem führte, mit Ausnahme der Lichtungen in ber 
Umgegend der AichantirHauptitadt feinen Ort fand, von dem aus er 100 Yards in irgend 
einer Richtung hätte jehen können. Wie wenig leiftungsfähig der Aderbau an der Weſt— 
füfte ift, lernte Stanley am untern Kongo kennen, wo er jahrelang faft jedes Nahrungs: 
mittel aus Europa beziehen mußte. Ein wenig Scharren in der Erde, um Maniof zu pflanzen, 
jei hier die einzige Aderarbeit. Mehr zu leiften, verbiete fhon die Furt vor Beraubung. 


586 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küfte. 


An Haustieren gibt es Schafe ohne Wolle mit mädtigem Gehörne, Ziegen, Schweine 
und Hühner. Die beiden legtern liefern für die Küftenbewohner den größten Teil der 
Fleifhnahrung. Ninder find nur jtellenweife verbreitet; bei den Kru gelten fie ſogar als 
Geld. Gewiſſen nördlichen Dijtrikten, wie 3. B. der Loangofüfte, fehlen fie volljtändig. Ohne 
Frage ift das Innere der Rinderzucht günftiger als die Küfte, aber doch hört 3. B. in 
Angola die Rinderzudt jo ziemlich mit der portugiefiihen Grenze auf. NRinderzüchter find 
hier die Bangala und Bondo. Daf feins der in andern Ländern benugten Lajttiere im 
weſtafrikaniſchen Küftenlande gut fortfommt, ift eine folgenreiche Thatſache. Maultiere, die 
man einführte, jtarben bald. Einige Pferdegeftüte beftehen in den Hochebenen Angolas, aber 
die dort produzierte Rafje it Hein und ſchwach. Ochſen, die auf den fetten Weiden Am- 


METZ x 
ee 

a STORE 

Haustiere und Haudgöge vom Gabun (nah Du Chaillu). 





bakas trefflich gedeihen, werden erjt, wenn zum Schlachten tüchtig, nad) der Küfte getrieben, 
da fie nur mit großer Mühe dort für einige Zeit am Leben erhalten werden können. Sn 
den höhern Teilen der Küjte find fie dagegen zum Reiten jehr brauchbar. Nach der Anficht 
des Botaniker Welwitſch liegt die Urfache diefer Umftände in der Verfchiedenheit und 
häufig ſchädlichen Beichaffenheit der mit den Gräfern vermifchten Kräuter. Diefelben ändern 
ih ſchon auf Heine Entfernungen, jo daß Verjegung der Tiere aus einem Diftrikte in einen 
andern wegen der ungewohnten Nahrung ſtets Krankheiten hervorruft. Kamele, die man 
von den Kanaren einzuführen verjuchte, konnten fich nur kurze Zeit halten. Selbjt der 
Hund verliert den Gerudh. Unter folhen Umftänden fam man leicht dazu, die Menjchen 
als Tiere zu verwenden, befonders da in Afrifa nie ein jo großer Unterſchied zwijchen beiden 
gemacht wurde. Dasjenige Haustier, das auch hier die meiſten Ausfichten hat, fortzufommen 
und von wejentlihem Nugen für den Menjchen zu werden, ift das Schwein, welches jchon 
heute bei halb Europäifierten, z. B. im obern Benguela, Kimbundu zc., einen erheblichen Teil 
der Fleiſchnahrung bietet. Die Angolaner wurden früher als Hundemäjter und «Frefier 


> 0— 


Viehzucht. Jagd. Nahrung. 587 


geichildert, und Eduardus gibt an, daß er einen großen Fanghund gegen 22 Sklaven 
babe vertaufchen jehen. 

Es ijt eine bemerkenswerte Thatjahe, daß die Bienenzucht hier gerade jo wie im 
obern Nilgebiete betrieben wird. In diefen Wäldern, fchreibt Livingftone aus Lunda, 
traten uns zuerft die fünftlichen Bienenftöde entgegen, welche man den ganzen Weg bis 
Angola allgemein antrifft; fie beftehen aus ungefähr 5 Fuß hohen Nindencylindern. Durch 





Thongefähe der Yan (nah Du Ghaillu). Pol. Tert, ©. 591. 


die Elaftizität behält die Rinde ihre frühere Gejtalt, der Schnitt wird mit Holznadeln zu: 
genäht. Die Bienenjtöde werben in horizontaler Lage auf hohen Bäumen in verjchiedenen 
Teilen des Waldes angebradt und ein Stüd „Medizin“ um den Baumftamm gebunden, 
welches hinlänglich Schuß gegen Diebe gewährt. Auf dieje Art wird all das von Benguela 
und Loanda erportierte Wachs gewonnen, deffen Betrag noch heute jehr beträchtlich ift. 

Die Nahrung ijt bei den Kongo= und Ans 
gola-Negern einfach, da fie fich gewöhnlich auf einige 
geröftete Schnitten des Maniof und gebrannte 
Erdnüſſe nebjt trodnem Farinha oder einem daraus 
angerührten Breie beſchränkt. Zur Bereitung 
diejes Mehles fieht man vor allen Häuſern höl— 
zerne Mörjer jtehen, an denen gewöhnlich Kinder 
mit dem Zerftoßen der Kaffawamurzel befchäftigt 
find. Die umftändlicher herzuftellende Tapioka 
wird fajt nur von Europäern benußt. Im Niger: 
delta bereitet man die jogenannte Palaverjauce 
aus dem friſchen Balmöle, in Kongo dagegen wer: 
den die Palmnüfje ſchon in Subjtanz gegeffen. 
Im Kongodelta bereichert fich die Nahrung durch die ausgedehnte Fiſcherei, deren Produfte 
aud) getrodnet und verjandt werben. 

Die Jagd iſt in der Regel wenig ertragreih. Einzelne Stämme, wie 3. B. diejenigen 
des Camerungebirges, find leidenſchaftliche Jäger; aber e8 gilt jchon für einen Triumph, wenn 
eine große Jagdgejellihaft ein Stadhelichwein, eine Antilope oder gar ein Wildſchwein heim: 
bringt. In gewiffen Gegenden der Küſte jpielt die Nufter die Hauptrolle in der Ernährung, 
ergiebige Aufternbänfe finden fid) in den Aftuarien der Flüffe. Aud andre Muſcheln und 
Krabben werden gegeffen Gewiſſe launenhafte Bejonderheiten in der Wahl der Speiſen 





Eine Tabalsrolle der Aſchita (nah Du Ghaillu), 
Dal. Tert, ©. 589. 


588 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küſte. 


führen oft auf Gelübde zurüd, die vielleicht ihre Wurzeln bis in das vergefjene Chriftentum 
hinabtreiben, das an diefen Küften im 16. Jahrhundert zahlreihe Miffionen gründete. Die 
Verzehrung der Speifen findet nicht orbnungslos ftatt, ſondern hat ihre beftimmten Ge: 
bräuche und Regeln, die feit wie andre find. Güßfeldt hebt einige derartige Feinheiten 
aus der Küche und dem Ejjen der Loango-Neger hervor. Eine Frau, die Maniof kocht, faßt 
3. B. die einzelnen Stüde nie mit der Hand an, jondern nimmt dazu ein grünes Blatt. 
Händewaſchen und Mundreinigen nad) dem Eſſen find allgemein üblid. Wo irgend möglich, 
ißt man auf einer Matte. Mit großer Bereitwilligfeit teilen die Neger untereinander das 
Eſſen. „Wenn nicht Hungersnot herricht, jo hat der Schwarze weniger Chance, am Hunger— 


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Ein dreifad zufanmengefehter Korb (ein geſchloſſenes und ein geöfjnetes Eremplar) und ein mit Muſcheln befekter 
Korb aus dem Innern Weftafritas (Mufeum der Church Missionary Society, London). %4 wirfl. Größe. Bol. Text, S. 591. 


tode zu fterben, als der gleihwenig Begüterte in Europa.” Die Zuthaten würziger Kräuter, 
deffen, was wir Suppentraut nennen würden, zu Suppen und Brühen und die Hohihägung 
ber Schoten einer einheimifchen Solanee, ähnlich dem fpanijchen Pfeffer, zeigen dieſe Neger 
gewürzkundiger al3 viele andre. Auch leiden fie nit an Salzjmangel, der die Neger des 
Innern zur Anwendung fo mander feltfamer Surrogate zwingt. Ihre Salzbereitung ijt 
fogar eine ziemlich ergiebige. Nahe bei der frühern deutjchen Station Tſchintſchotſcho wurde 
die Salzbereitung in umfangreihem Maße dur Filtrieren und Verdampfen des Waſſers 
einer Salzwafferlagune betrieben. Einfacher geht man im Norden zu Werke, wo eine Reibe 
von Salzhütten ſich bis zum Nhangafluß (3° ſüdlicher Breite) hinzieht, in denen das Meer: 
wafjer in flahen, vom Handel gelieferten Meſſingſchalen direft eingekocht wird. Tiefer im 
Innern, 3. B. im Quellgebiete des Ogowe, wird aud Salz aus Binnenfeen gewonnen und 
bildet einen wichtigen Handelsartifel der Batele und Apfuru. 

Yın Guineagebiete herrſchen wejentlich diefelben Epeifegebräuche, trogdem hier vielfach 


Speifegebräude. Palmöl. 389 


ſchon mehr europäifche Sitten Eingang gefunden haben. Steinguttaffen gehören z. B. zum 
Hausrate, und Tiſchmeſſer, Gabeln und Löffel find Lurusgegenftände, denen man bei einigen 
Europäifierten begegnet. Die gewöhnlichen Nahrungsmittel find hier Mais, Yamsmurzel, 
Reis, Kaſſawa, Pfeilmurzelmehl und Bananen. Die Eweer effen das Fleiſch von Schweinen, 
Ziegen, Schafen und Hühnern ſowie von Katen, Waldratten, Feldmäuſen, Fifhen und 
jelbjt das einiger Schlangen; ausgeſchloſſen ift das 
der Hunde, Hyänen und Leoparden. Das einzige 
beraujchende Getränk, welches dieje Völker jelber 
brauen, it der Palmwein; aber Branntwein wird 
in verberbliher Menge und Qualität von den Euro: 
päern zugeführt. Kaum dürfte er in einem andern 
Teile Afrifas jo verbreitet jein wie hier. Die unter 
dem Einfluffe chriſtlicher Völker ftehende Weitküfte 
zeichnet fich in diefer Beziehung unvorteilhaft aus 
vor der islamitischen Oſtküſte. 

Der Hanf wie auch der Tabak (f. Abbildung, 
S. 587) werden aus didbäucdigen Kalebaffen, die 
durch ein hineingeftedtes Rohr zu Pfeifen umge: 
wandelt find, geraucht, wie dieje Fruchtſchalen über: 
haupt zu aller Art Gerätjchaften verwendet werden. 
Die Loango-Neger haben furze Pfeifen; lange Pfei: 
fen mit Rohr aus ausgehöhltem Bananenjtengel 
trifft man erjt weiter nördlid. Bei den erjtern 
jcheint es faſt, als ob die Weiber mehr rauchten 
als die Männer. Kleine Kalebafjen als Schnupf: 
tabaksdoſen jind hier wie in Südafrika üblid). 

Der wichtigfte Gegenitand der Ausfuhr Weit: 
afrifas ijt heute ohne Frage das Palmöl, welches 
aus dem zerjtampften Fleiſche der Palmnüſſe, in 
dem es zu 71 Prozent vorhanden ift, ohne jonder? 
lihe Mühe von den Eingebornen, aber aud jo 
ſorglos gewonnen wird, daß oft nur ein Drittel des 
vorhandenen Oles ausgepreßt wird. Es gibt ver: 
jchiedene Gewinnungsmethoden, die jorgfältigite 
vielleiht an der Loangoküſte, die nachläſſigſte bei 
den Baffa am untern Niger. Das fertige Ol wird 
in Kürbisjchalen an die Küfte getragen und gegen 
Geld und Güter in den Faktoreien abgejegt. Es 
ift übrigens auch als Nahrungsmittel jehr braud): 
bar und wird ſogar wegen feines füßen Geſchmackes J 
von Lenz gepriefen. Der Verfaufsplag entfaltet _(Christy Collection, gowon), Yet Tat, 6.01 
das regfamfte Leben und zeigt die eigenartigite Phy- 
fiognomie, „Jozufagen eine Börfe im afrikanischen Stile” (Steiner). Scharen von Neger: 
weibern fegen unter Gejchrei und Gekreiſch die ſchweren Dltöpfe nieder, verhandeln unter 
Geften, Lachen und Schimpfen mit dem Olkäufer und ſuchen, wenn fie handelgeinig find, 
dürren Kaktus und fonftiges Brennmaterial zufammen, um das DL flüffig zu machen. Beim 
Einfüllen in die Fäffer jet e8 neuen Lärm ab, denn immer glauben fich die Lieferanten 
übervorteilt. Übrigens jcheint eigentlicher Anbau diefes nüglihen Baumes, der aud) 





590 Die Völker der weftafrifaniihen Küſte. 


Flechtfaſern, Dedmaterial, Zunder, Palmwein und endlich jogar eine eßbare Larve liefert, 
faft nirgends vorzulommen. Was den Anſchein eines planmäßigen Anbaues erwedt, ift die 
fpontane Entwidelung von Palmhainen um die Hütten durd die weggeworfenen Kerne. 


Die Induftrie der Weitafrifaner ragt an einigen Stellen durch eine bejondere Aus- 
bildung der künftlerifhen Austattung hervor, während fie an andern tief fteht. Dort fann 
man von einerwahren Kunftinduftrie 
iprechen, indem eine große Anzahlvon 
Gebrauchsgegenftänden nicht anders 
als dur Holzſchnitzerei, Perlfticerei, 
Guß- oder Schmiebearbeit wenn nicht 
veredelt, jo doch verziert vorfommt. 
(S. die beigeh. Tafel „Südweſtafri— 
faniiche Waffen und Geräte.) 

Die dürftigen Anfänge einer 
Kunft nehmen oft einen gar jonder: 
baren Charakter an. An jolden 
Stellen, wo der Boden ganz kahl iſt, 
macht man beiden Babwenda (Kongo) 
Nike in den Boden, welche einfach die 
Geſtalt von Kreifen haben oder be- 
ftimmte Dinge, 3. B. Räder, Wagen, 
Schiffe, diefie bei Stanleys Durchzug 
fennen gelernt haben, darftellen. In 
dieje Nite legt man Steine, die man 
oft weit herbeiholen muß, weil da die 
Felfen meiftens mit dermürben Maſſe 
des Laterites überbedt find. Die 
Künftler der Kongo- und Loangoküſte 
werfen fi mit Vorliebe auf robe 
Wandzeihnungen, gewöhnlich mit 
grellen Farben ausgeführt. In der 
Nähe der Küfte find es meiftens Dar: 
ftellungen von Schiffen, Seevögeln, 
Dampfern und dergleichen, im In— 
nern gewöhnlich tanzendeoder ausge: 
jtredte Figuren, von ihren Sklaven 

umgebene Herren, Palmen und dergl. 
Bierbeder aus — Muſeum, London). In der Darſtellung des Häf- 
lien übertrifft fein Wolf dieſe 

Weftafrifaner, welche zum Überflufje die Skulptur fo fehr lieben, daß fie fich gar nicht genug- 
thun fönnen mit den Fragen, die fie in jedem zugänglichen Materiale ausprägen. Um von 
der Indezenz derjelben nicht zu reden, find fie in der Mehrzahl hauptjähli jo häßlich, 
weil fie abjolut nichts Stilifiertes an fich haben, jondern brutal naturwahr fein oder höch— 
ftens ins Häßliche übertreiben wollen. Zum legtern trägt die Ungefchidlichfeit noch bei, 
mit der befonders die Gößenbilder gearbeitet find, welche menſchliche Geftalten darftellen. 
Das Einjegen der Augen mit glänzend weißen Kauris, die Verſchönerung des Bauches mit 
einem vieredigen Stüdchen Spiegelglas find fo findifche Veranftaltungen, daß man darüber 





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| Zur Tafel: » Südwestafrikanische Waffen und Geräte «.] 





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5 Fligerwedel (Bangala.) ' 12. Halsband von Löwenzihren (Gabun). 19. do (Congo). de da 
6. Dolch der Fan (Gabun). 1% Geschnützter Fetisch (Inube / 2. do. (Bomma.) 7. Geflochtenes Körbchen 
T. Art mıs Westaftike. 1 Perthalsband. (Balun ), 21. do. (Loange) 38. Deckelkörbehen. 


Ku 1-6 9-28 Musum für Völkerkunde, Berlin; Nr.7 Britisches Mumem, London; Nr.8 Sammlung ven Dr.Pogge 
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Kunft und Gewerbe, 591 


laden könnte, wenn es fich dabei nicht um die Götter diefer Menfchen handelte, und 
wenn die Effefte nicht jo gar barbariſch häßlich herausfämen. 

Am genießbarften ift diefe Kunft noch, wo fie naturalijtiich wird oder ftilifiert, wie in 
manchen Tierdarftellungen. Übrigens find auch felbit die legtern in der Regel ſchwach. Oft 
entſchädigt auch eine unwillkürliche Posfierlichkeit für die Noheit der Darftellung. Aber es 
gibt doch Arbeiten, in denen die Kunft fich jehr entichieden geltend macht. Nur ift man 
wohl berechtigt, 3. B. gegenüber den großen, auf Elfenbein dargeftellten figurenreichen 
Gruppen (j. Abbildung, ©. 592), welche befonders die Bewohner der Loango- und Camerun— 
füfte mit feinem andern Werkzeuge als einem fpigen Nagel anfertigen, europäiſchen Ein: 
fluß zu vermuten. Das Fragenhafte tritt hier hinter dem Beftreben, natürlich zu fein, 
zurüd, und man merkt, daß die Künftler vom Kongo und Gabun in ihrer rohern Alltags: 
arbeit Handfertigfeit genug erworben haben, um den Bejtellungen der Europäer, bei welchen 
die auf Elefantenzähne geſchnitzten Figuren 
à 1 Schilling akkordiert zu werden pflegen, 
mit bemerfenswertem Erfolge nachkommen zu 
fönnen. Auch die in Elfenbein gejchnitten 
Einzelfiguren, dann die mehr geometrijchen 
Ornamente an den Flötentrompeten, an Bes 
ern, Löffeln und anderm zeigen oft nicht 
geringe Kunjtfertigkeit und noch mehr Phan— 
tafie. Die ſeltſamſten Motive kommen dabei 
zum Vorjcheine. Auch an den Waffen, vor: 
züglich den Stielen der Schladhtbeile, fommen 
mancherlei Verzierungen vor, welche zeigen, 
daf hier in der That mehr als ein Zweig des 
Gewerbes von einem wenn aud rohen Kunft- 
triebe befruchtet worden ift. Oft geht die Ver- 
zierung weit über das hinaus, was eigentlich 
der Zwed geftatten würde, fo in den mit Per: \ 4 
len und Muſchelſchnüren verzierten Schlacht: Ein Webeaerül Dam Wiaet KIpenanbiihen Aalen, 
beilen. In dem auf ©. 589 abgebildeten, 
in Meſſing gegoſſenen Stabe der Mitglieder einer geheimen Gejellihaft der Ogboni-Neger 
(1.S.616) zeigt fich auch die Metallinduftrie von der künftlerischen Seite. E3 gehören dahin 
auch die einfachen eingegrabenen, beziehentlich eingejchlagenen Arabesten in den Klingen der 
Streitärte und breiten Mefjer, welch legtere übrigens ebenfo die Schmiedefunft diefer Weit: 
afrifaner in einem guten Lichte erbliden laffen. Das Gleiche gilt von ihren Dolchen. Ihre 
Töpferwaren zeigen gleichfalls Anläufe in dieſer Richtung (ſ. Abbildung, ©. 587), find 
aber offenbar die ſchwächſten Erzeugnifje ihres Kunftgewerbes, wogegen ihre Flechtwerke 
(j. Abbildungen, ©. 588 u. 595) und Gewebe (j. Abbildungen, ©. 591 u. 594) oft ebenjo 
nett wie feſt find. In Töpfereien wie in Flechtarbeiten weijen befonders die Aſchanti hübſche 
Leiftungen auf, doch ſcheint gegen früher auch hierin ein Rüdjchritt ftattgefunden zu haben. 
Die Pflanzen, welche das Material zum Weben und Flechten liefern, find in reicher Zahl und 
Mannigfaltigkeit an der Hüfte vertreten. Hauptjächlic verwandt werden die Fafern der Öl- 
und der Bambuspalme, der Pandane und der Ananas, Die Eingebornen betrachten die 
gedrucdten und weißen Zeuge, die ihnen der Handel zuführt, obgleich fie diefelben faft aus: 
nahmslos tragen, immerhin als etwas Fremdartiges; denn fie halten noch jegt darauf, bei 
Verjammlungen (PBalavern) von bejonderer Bedeutung nur in afrifanischen Pflanzenzeugen 
zu erſcheinen, deren Heritellung einſt in größerer Blüte ſtand als heute. Lopez entwirft 





592 Die Böller ber weftafrilanifhen Küfte. 


wunderbare Schilderungen von der Weberei der Anzique, wie fie aus 
Palmfäden die verſchiedenſten Gewebe herftellen, die er jelbft dem Samte 
und Damafte vergleiht. Dieſe Jnduftrie ift heute auf die Erzeugung 
von Mügen für feitliche Gelegenheiten und von Matten beichränft. 
Wie wir an mehreren Beifpielen gejehen, daß das Eindringen 
fremder Manufakturen die heimifchen Jnduftrien zum Abjterben ge 
bracht hat, jo bemerken wir ein Zunehmen der Kunitfertigfeit 
von der Küfte nach dem Innern zu. Abgejehen von den Fällen, 
wo das Material nicht mehr vorhanden, 
wie in der Elfenbeinfchnigerei, die einft 
bei den Dualla befonders geblüht Haben 
joll, jehen wir überhaupt ein Erlahmen 
der eignen Schöpferthätigfeit, wie fie 
der Kunſt zu Grunde liegt. Gerade 
hier wird jener oben berührte Um: 
ftand, daß die Spuren der eignen Fi: 
vilifation der Eingebornen dejto häu— 
figer werden, je weiter man von der 
Peripherie des Erbdteiles nad) dem In— 
nern vordringt, befonders deutlich wahr- 
genommen. Bogge hat es in jeiner 
treffenden Weije ausgeſprochen, daß es 
ihm beim Eindringen in das innere 
Afrikas vorgefommen jei, als ob er in 
die Zivilifation hinein gelange. Und 
Baſtian Eontraftiert „Die fragenhaften, 
ftillojen Idole aus der Küftenregion, 
wo die Eingebornen durch jahrhunderte: 
langen Verfehr mit den Europäern zu 
einem liederlihen Zumpengejindel ber: 
untergefommen find“, mit einem Idole 
aus dem Lundareiche, mit einem Kopf: 
Ihmude, der an den als Ateph be- 
zeichneten erinnert, und andern Schnige- 
reien „in einem gewiſſermaßen ägyp— 
tiihen Stile‘. Nennenswert ijt aud) 
noch die Goldwäjcherei im Gebiete von 
Akem und anderwärts, die aber find: 
lid einfach mit ſchlechten Spaten und 
Holznäpfen betrieben wird. 

Von allen Induſtrien ift der 
Schiffbau und die Führung der Schiffe 
an den Küjten und Flüffen Weitafrifas 
vielleicht die einzige, welde durch den 
Einfluß der Weißen wejentlid) gefördert 
Gelhnikte Elefantenzähne: 1 Dom Gabun (Brit. Mufeum, worben It, Bwar Ipridht rgon zopez 


London) — 2 Aus einem Tempel Weſtafrilas (Christy Collection, * Kähnen auf dem Kongo, bie 200 
London). Byl. Text, S. 591. Männer faſſen, hebt aber die primitive 











Schiffahrt. Handel. 593 


Art des Ruderns ohne Zapfen und Klappe und ohne Steuerruder hervor. Richard Lander 
erzählt uns von großen Booten der Sklavenhändler auf dem Niger, welche Hunderte fafjen 
fonnten und fogar Kajütten befaßen. Es gab dort (unterhalb Rabba) ganze Völkerfchaften, 
welche in überdachten Booten famt ihren Familien beftändig auf dem Waſſer lebten. Die 
einzigen in hohem Grabe tüchtigen Seeleute echt afrifanifcher Abftammung, die Kru, welche 
diefer Küfte angehören, find durch die Europäer erzogen. Sie machen in einfachen Kähnen 
weite Fahrten an den Küften, aber die eigent: 
lihe Küftenfchiffahrt wird hier überall heute 
wie vor 300 Jahren von Europäern mit 
Ihwarzen Mannjchaften ausgeführt. Mit dem 
Sflavenhandel hängt aud die Entwidelung 
. bes Schiffbaues im Kongodelta zujammen, 
von welcher Ladislaus Magyar jpricht, der 
die Deltabewohner des Kongo als vorzügliche 
Schiffbauer trog ihrer einfachen Werkzeuge 
bezeichnet: „Schon mande von ihnen gebaute 
Schiffe find, mit 400—500 Sklaven beladen, 
nad) Brafilien und den Antillen abgegangen“. 
Das Gebiet der Kongomündung machten bis 
vor wenigen Jahren die Mufforonghi, ein 
Voll von Flußpiraten, unfiher, die fein 
unbewaffnetes Schiff ungehindert pajlieren 
ließen. Eine dem Anjcheine nad) ganz dieſen 
Küftenftämmen gehörige Erfindung iſt bie 
eines an der Angolafüjte üblichen Doppel: 
fanoes, das, wenn fi ein günftiger Mo- 
ment in dem nachlaſſenden Wogenſchwall 
zeigt, rajch in die See geſchoben und dann 
durch Schnelles Paddeln vor Ankunft der näd): 
ften Welle aus dem Bereiche der Brandung 
herausgebracht wird. Ein jolches Doppelboot 
ift jeitlich aus zweien zufammengebunden und 
wird mit der Höhlung auf das Waſſer gelegt, 
jo daß es aufwärts treibt wie eine Boje und 
nicht umjchlagen kann. Dan jegt fich mit 
untergefchlagenen Beinen in die zwijchen den | 
Wölbungen der beiden Kiele bleibende Rinne  guper von Benin (Nadtifhe® Mufeum, Berfin). 
vor ben Neger, ber jeine breite Schaufel zum ' 

Rudern und Steuern verwendet. Ärmlich find die Kähne der Bewohner der innern wafler- 
armen oder nur von reißenden Flüſſen durchſchnittenen Hocländer. 

Der Handel macht einen großen Teil der ſchaffenden Thätigfeit des Weſtafrikaners 
aus. Das jchon oft betonte Handelstalent des Negers zeigt ſich auch hier in glänzender 
Weiſe und findet an der weitgeftredten Küfte ausgedehnte Bethätigung. Der erfte Kultur: 
erfolg Stanley3 und feiner Leute am untern Kongo war bie Gewinnung ber heulenden 
Barbaren dieſer Geftade für Taufh und Trägerdienfte. Nicht alle eignen fich allerdings 
gleihmäßig gut hierzu; jo fand z. B. die deutjche Loango-Erpedition gerade in der Un— 
möglichfeit, Träger zu gewinnen, ein Haupthindernis raſchern Vordringend. Ein Kenner 
wie Monteiro behauptet jpeziell von den portugiefifchen Küftenftreden, daß der Handel troß 

Bölterfunde. L 88 = 





594 Die Böller ber weſtafrikaniſchen Küſte. 


aller Miffionare und fonftigen Menjchenfreunde fich als das einzige Kulturmoment erwiefen 
habe. Von Benguela bi8 Senegambien find überall beftimmte Völfergruppen die Träger 
diefer Thätigkeit. Die Biherios von Benguela rüften ganze Karawanen aus, und einzelne 
unter ihnen follen bei einem einzigen Handelszuge 20,000 Mark umfjegen. Die Beſchrän— 
kungen des Sflavenhandels haben zwar diefem großen Handelsbetriebe, der fait ausnahmslos 





Ein Weber in Iſchogo (nah Du Chaillu). Vgl. Text, ©. 591. 


ſehr gewinnreid war, ein Ende gemacht. Die Abnahme der Elefanten, die Ausrottung 
des Kautſchuks, die Erſchöpfung der Goldlager haben ferner das Ihrige gethan, aber dafür 
ift der Einzelhandel um jo mehr aufgeblüht. Die portugiefiihen Händler in Kaſſanſch und 
Malanſch, die Ambaliften, Linguiften, und wie ſonſt die Zwifchenhändler heißen, empfin- 
den ſchwer die immer weiter um ſich greifende Sitte der dortigen Neger, ihre Tauſchwaren 
jelbjt Hunderte von Meilen weit nach der Küfte zu tragen, auf eigne Fauft Handel zu treiben. 
Die hier thätigen Bangala gehören zu den jchärfiten Handelsleuten unter den Negern. 
Der Verkehr mit ihnen wird meiftens durd Handel eingeleitet, wobei fie jedoch eine gewiſſe 


Handel, Monopole, 595 


Gewaltthätigfeit nicht verbergen. Gibt man ihnen nicht ſchnell, was fie verlangen, fo gehen 
fie fort und fehren nicht mehr zurüd. Sie tradhten dann wohl durch Diebftahl in den 
Belig der für fie begehrenswerten Gegenftände zu gelangen. Auch find e8 die Bangala, 
die mehr al3 einmal aus Handelsneid Europäern den Weg von Loanda einwärts verlegten. 
Dagegen lafjen die Songo leichter mit fich handeln, ebenjo die Kiofo, 

Ein guter Typus der Küſten— 
händler ſind die zuſammen mit 
den Kru eine Gruppe bildenden 
Dualla, die zwar in den meiſten 
Beziehungen andern echten Weſt— 
afrifanern gleichen, aber doch vor 
vielen Bewohnern diefer Küften 
einen großen Vorzug befigen: fie 
arbeiten und erwerben und zwar 
mit Ausdauer. Aber freilich liegt 
das Arbeitsfeld der Dualla auf 
einer ganz andern Seite als das 
ihrer nördlihen Nachbarn, denn fie 
find leidenfchaftliche Handelsleute. 
Sie haben den Handel von und nad) 
dem Innern, fomweit er über ihre 
Küſte geht, nicht bloß zum eignen 
Nuten mit Abgaben zu belegen, 
fondern vielmehr denfelben in ihre u 
eignen Hände zu bringen gewußt A Te in ——— 
und beherrſchen ihn nun mit einer 
Eiferſucht, welche ängſtlich und durch jedes mögliche Mittel jede Spur von Wettbewerbung 
ausſchließt. So iſt eine Nation von Händlern aus ihnen geworden, die auf engem Gebiete 
die gleiche Rückſichtsloſigkeit und Monopolſucht erkennen läßt wie weltbeherrſchende Handels: 
nationen auf dem unvergleichlich größern Schauplatze ihrer im Weſen ſo ganz ähnlichen 
Thätigkeit. So ſtechen ſie auch durch Wohlſtand vor ihren Nachbarn hervor, und, was ſehr 
bemerkenswert iſt, ſie zeigen im kleinen dieſelbe Ver— 
nachläſſigung des Landbaues und das gleiche ſtarke Be— ee 
dürfnis nad) ausgedehntem Sklavenbefige wie einft die im. 
Phöniker und Karthager. Die Begierde, ohne müh— 
fame Arbeit reich zu werden, läßt alle Dualla, vom 
Häuptlinge bis zum Halbfreien, den Handelsbetrieb 
jeder andern Thätigfeit vorziehen. Durch ihre Weiber 
und Sklaven erzeugen fie faum genug Bananen und 
Yams für ihren eignen Bedarf, und ihre Küſte ijt — Han u. RN 
berüchtigt dur) die Teurung der Lebensmittel. Von 
etwas anfpruchsvollern Kulturen, wie Mais, Kaffee, Baummolle, ift bei ihnen nicht die 
Rede. Faſt alle Waren, die fie austaufhen, beziehen fie aus dem Innern, und jelbjt die 
bier einft jo hochblühende Elfenbeinfchnigerei, die nad einigen Nachrichten den Grund zu 
diefem Handelsbetriebe gelegt haben foll, wird wenig mehr gepflegt. 

Die erwähnte Neigung zum Monopolifieren ift fehr bezeichnend. Eigentlich hat 
jedes Volk in Afrika, zu dem überhaupt Handel fommt, denjelben innerhalb der Grenzen 
feines Landes monopolifiert. Es empfängt die an feine Grenzen gebradten Waren und 

38 * 








596 Die Böller der weftafrifanifhen Küfte. 


transportiert fie zu den nächſten Nachbarn gegen einen von dem Eigentümer zu zahlenden 
Durchgangszoll. Dem Reifenden wird auf gewiſſen Punkten des Weges einfach angedeutet, 
daß er nad den Geſetzen des Landes jeine Leute zurüdzufdiden und Landeskinder als 
Träger zu engagieren hätte. Nur das durch den europäiſchen Handel bervorgerufene 
Bebürfnis einer regelmäßigen Verforgung an ber Küfte hat in neuerer Zeit einige 
Modifikationen eintreten laffen. Einige Stämme haben fidh eine gewiſſe Unverleglichkeit zu 
vindizieren gewußt, fei e8 durch Tributzahlungen, fei es durch die Schreden ihrer Zauber: 
fetijche, und können jo bei 
wertvollen Artikeln, wie 
3. B. Elfenbein, eine Kara= 
wane bilden, welder der 
Durchzug durch die ver: 
fchiebenen Gebiete nicht 
verwehrt wird. „Bon ih: 

Gumng nen“, fagt Baftian, „ann 
——— man natürlich nie darauf 
hoffen, irgend welche Aus— 
kunft zu erhalten, denn 
ihre ganze Politik geht 
darauf hin, den Verkehr 
möglichſt in Dunkel zu 
hüllen.“ Alſo gleichen ſie 
auch darin den alten Phö- 
nifern, die zwar jelbft die 
Wege fannten, fie aber 
andern durch Fabelberichte 
zu ſchließen ſuchten. 

Der Hauptverkehr bei 
den Stämmen des Innern 
findet ſtatt bei Gelegen— 
heit der Wochenmärkte. 
Am untern Kongo, wo 
die Woche vier Tage hat, 
iſt an jedem Tage in einem 
| beftimmten Bezirke, an 
Ein NihirasZräger (nah Du Ehaillu). einem beftimmten Punkte 

Markt, der nad) dem Tage 
der Woche benannt wird. Die Bejucher taufchen ihre Waren einfach aus oder benußen blaue 
Bruchperlen als Zahlmittel. Ein eigner Marktmeiſter fieht nach dem Rechten. An der Küfte 
find natürlich dieje findlichen Taufchartifel der Berlen, Handſpiegelchen ꝛc. längft entwertet 
und ftatt ihrer Branntwein, Gewehre, Baummollzeuge am begehrteften. Wo ftarfer Ver: 
fehr der Europäer herricht, Furfiert auch geprägtes Geld. Die einft am Kongo gültigen 
Kauris gehen dort nicht mehr, während fie im Nigergebiete noch die allgemeine Münze 
bilden. Lopez nennt in feinem „Regnum Congo“ die „Inſel“ Loanda das Bergwerk, auf 
deffen Strande die Weiber jene Muſcheln auflefen, welche bei ihnen Gold und Silber er: 
jegen. Auch fonft jeien dieſe Schneden am Strande bes Reiches Kongo zu finden, nirgends 
aber jo vorzüglich wie hier. Der König von Kongo feltft Iafje fie bier fammeln. Den 
Kru-Negern dienen als Geld, wie den Kaffern, die Ochien, alfo eine eigentliche pecunia. 





8 


Taufchmittel, Die Familie, 597 


Am Bonny gebraucht man als Zahlungsmittel bronzene Hufeifen, die aus England ein- 
geführt werden. Zumeilen findet man Gejege über die Zahl der Ziegen oder Rinder, bie 
ein Privatmann befigen darf, wie fich anderswo die Regierung die Prärogative der Münze 
rejerviert. LZeider ift in zunehmendem Maße der Branntwein bei den mit den Europäern 
häufiger in Berührung fommenden Stämmen zu einem Taufchmittel geworben, das fo 
ziemlich alles aufzumwiegen im ftande ift, was die Neger liefern. Die Norm für mande 
Arten bes weitafrifanifchen Handels, befonders aber für den in Elfenbein, bildet die Barre, 
ein nominell angenommener Wert, der vielleicht urfprünglic die beftimmte Länge einer 
Eifenftange ausdrüdte, jegt aber aus den verfchiedenften Artikeln nach dem Übereinkommen 
beider Parteien zufammengefegt wird. Im portugiefifchen Gebiete ſetzt fich ähnlich die „pega“, 
urfprünglih ein Stüd Baummollenzeug, aus dieſem, dann aus Branntwein, Pulver und 
anderm in beftimmtem erhältniffe zufammen. 


Selbſt in dem Familienverhältniffe prägt fi) der Handelsgeift aus, denn das 
Kaufen der Weiber ift hier noch viel mehr Handelsgeſchäft als bei andern Afrifanern. Ihr 
durchichnittlicher Preis ift 3. B. bei den Dualla 900— 1200 Mark, oft aber, wenn ihre 
Väter angejehen find, noch mehr. Sie gelten als völlig freies Eigentum der Männer, von 
welchen fie weiter verſchenkt, verliehen oder verkauft werden fünnen. Da fie aber der 
teuerjte Hanbelsartifel find, jo geichieht dies nur in wichtigen Fällen, wie 3. B. bei Friedens: 
ſchlüſſen zwiſchen feindlichen Stämmen oder als Buße für einen ermordeten freien Neger. 
Begreiflicherweife wird bei diefem Vorwalten der merfantilen Lebensauffaſſung auch der 
Kinderreihtum bei den Dualla entſprechend geihägt. Er ijt indeffen aus Gründen, die wir 
nirgends angegeben finden, oft gar nicht bedeutend. Nah Buchholz kommt es bei den 
Camerun:Negern jelten vor, daß eine Frau mehr als zwei Kinder hat. Bleibt eine Frau 
finderlos, fo gibt ihr Mann fie zurüd und erhält feine Kaufſumme wieder; begeht fie 
Untreue, fo fann fie getötet werden. Das lettere gefchieht aber jelten, weil fie ein zu 
wertvolles „Objekt“ ift, und in der Negel wird die Sühne darin geſucht, daß der Ver— 
führer zahlt ober, fall$ er dazu nicht im ftande ift, daß er zum Sklaven bes verlegten Ehe: 
mannes wird. Lebendige Verbrennung ehebrecheriiher Prinzenweiber ſamt ihren Ver: 
führern foll in Loango üblich geweſen fein. 

Das wirtihaftliche Element zieht fich wie der zufammenhaltende Faden durch alle Pha— 
jen des Familienlebens diefer Neger, und man muß genau zufehen, um nicht zu glauben, 
daß die Familiengründung feinen andern Zwed als Mehrung und Sicherung des Befiges 
babe. Ein junger Mann, der in das arbeitsfähige Alter tritt, vermietet ſich und ſucht auf 
verſchiedene Weife (wie die Kru und Kabinda durch Seefahren, die Dualla und Bangala 
durch Handel, die Wei durch Handarbeit) feinen Lebensunterhalt zu verdienen, von den 
er joviel wie möglich erſparen wird. Sobald er das hinlänglihe Vermögen befigt, kauft 
er fi eine Frau, die an einigen Orten erſt auf einige Monate zur Probe genommen wird 
mit Borbehalt eines Reugeldes, und fügt, je reicher er wird, um jo mehr Glieder feinen 
Harem zu. Er lebt in einem Zuftande um fo üppigerer Opulenz, je mehr Frauen für 
ihn arbeiten, die auf dem Felde ebenfo tüchtig wie männliche Sklaven, im Haushalte aber 
noch nüßlicher find. Jede diefer Frauen wird in dem Walde eine bejtimmte Stelle aus: 
roden und dort Maniok oder Erbnüffe pflanzen, die fie nicht nur felbit zu fultivieren, 
jondern auch auf den Markt zu tragen und zu verkaufen hat. Daß nicht jeder Ehemann 
ungeftraft unter den Palmen eines jo großen ehelichen Glüdes wandelt, zumal wenn die: 
jelben einen dichten Hain bilden, ift far. „In Okolloma“, erzählt Baftian, „führte mich 
mein Wirt, der in der Bereitung eines trefflihen Palmölſteaks erzellierte, trüben Sinnes 
durch die verfchlungenen und gefreuzten Gänge feiner Wohnung, in deren innerftem Gemache 


598 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küfte. 


er jchlief. Er hatte Grund, fi ſorgſam zu verſchanzen, denn 20 erbitterte Feindinnen 
bewohnten feinen Hof, und mit Recht mochte er die Stunde verwünfchen, wo jein Reihtum 
ihn verführt hatte, fih damit zu umgeben.’ 

Den fürftlihen Perfonen ftehen aud in dieſer Hinficht fehr bedeutende Vorrechte 
zu. Ein Prinz von Loango Fonnte jedes Weib durch Verleihung eines Elfenbeinringes 
ehelichen und unreife Mädchen ſich durch dasjelbe Mittel für die Zukunft fihern. Ebenfo 
durfte eine Prinzejfin fich irgend einen Mann wählen, jofern derjelbe fein Prinz und fein 
Weißer war und fein Menjchenblut vergoffen hatte. Auch wenn er Sklave war, wurden 
dann die Kinder der Prinzejfin Prinzen. Ganz diefelben Rechte haben die Prinzeſſinnen 
in Afem. Sie fönnen durch ihre Wahl Bauern zu Häuptlingen machen und ihren Gatten 
zwingen, früher geehelichte Weiber fortzufhiden. Gemaltige Dimenfionen nimmt bier die 
Vielweiberei an. Norris zählt folgendermaßen das Perjonal eines Feitzuges des Königs 
von Dahomey auf: 150 Krieger, 15 Töchter des Königs, von 50 Sklavinnen begleitet, 
730 Weiber des Königs, 90 Kriegerinnen, 6 Kompanien, jede zu 70 Kriegerinnen andrer 
Gattung, an ber Spige einer jeden Kompanie ein Favoritweib, 150 fönigliche Kinder von 
7 bis 15 Jahren, 350 tanzende Weiber; 50—60 feiner Weiber bildeten während des Vor: 
beimarſches gleihlam die Garde des Königs. Von den Taujenden von Weibern an einem 
ſolchen Hofe kommen allerdings verhältnismäßig wenige dem Könige näher, während eine 
große Zahl davon an die noch unbeweibten Männer verſchenkt oder verkauft wird. 

Die Weftküfte ift mit ſolchen Injtitutionen das Yand der Frauenredhte. In Dahomey 
bilden die Weiber die ftärkiten und waffenkundigften Regimenter. Bei den Aſchanti wohnt 
der Schweiter des Königs eine bejondere Autorität über die weibliche Hälfte der Bevölkerung 
bei. Eine Fanti: Königin wanderte im Streite um das Necht des Thronjefjel3 aus, um ein 
eignes Volk zu gründen. Auch die Dſchagga wurden von Königinnen beherridht. Die eigen: 
tümliche Stellung der Lufofefcha neben dem Muata Jamvo haben wir kennen gelernt; fie 
ſcheint weſtwärts auszuftrahlen. Bezeichnenderweife kehrt die in Lunda beftehende Sage von 
der Gründung bes Reiches durch einen von außen gefommenen Jäger, der die Liebe der 
bier herrichenden Königin gewinnt, in mehreren Gegenden, jo bei den Bihefios, wieder. Man 
hat die Meinung ausgeſprochen, daß aus dem Beftreben, den ala Sklaven doppelt gefähr- 
lihen Weibern eine ftarfe Beſchränkung aufzulegen, fich jene geheimen Affociationen, die 
befonders als Purro, Semo und andre Egboarten an ber ganzen Weftfüfte befannt find, 
hervorgegangen feien. Baſtian z. ®. fieht ihren Zwed, „abgejehen von der religiöjen Be: 
deutung ihrer kadmeiſchen Wiedergeburten‘, befonders darin, daß fie die ausgeſchloſſenen 
Frauen um jo gewiſſer in Unterwürfigkeit halten. Sind fo die Frauen aus den wichtigſten 
Bünden der Männer ausgejhloffen, jo haben fie dafür ihre eignen geheimen Gefellihaften. 
Schon hat ſich der weiblihe Freimaurerorden Njemba dem Nda gegenüber erhoben. 

Das Weib ift hier weder auf dem Throne noch in ber Hütte ein jo ganz willen: 
lojes Werkzeug, wofür ung Serpa Pinto einen hübjchen Beleg zu geben weiß. Die 
Hocambo waren bis vor kurzem viel mächtiger als heute, bis durch folgendes Ereignis 
ihre Gefhichte eine üble Wendung nahm. Der Häuptling Bilombo hatte die Tochter des 
Häuptlinges von Bihe zum Weibe genommen, die ihm untreu ward, indem fie ihre Liebe 
einem Unterhäuptlinge zuwandte. Als nun Bilombo gegen einen feindlihen Nachbarſtamm 
zu Felde zog, übergab er bie Herrichaft für die Zeit feiner Abwejenheit dem Liebhaber feiner 
Frau, der nicht jobald Bilombo fern wußte, al3 er fich zum Häuptlinge aufwarf und dem 
armen Getäufchten bie Rückkehr unterfagte. Bilombo blieb unter diefen Umftänden nichts 
übrig, als fi in einem treu gebliebenen Winkel feines Landes niederzulafien, wo er 
zur Zeit, ald Serpa Pinto durchreiſte, gerade über einer jchredlihen Rache brütete, mit 
welder er die Untreuen heimjuchen wollte. 


Stellung bed Weibes. Sklaverei. Der Staat. 599 


Die Stellung der Frauen wird übrigens erhöht durch das vielfach geltende Erbredt 
der weiblihen Linie. In einigen Gebieten Kongos und in Akem bejteht das Erbrecht 
nicht zwifchen Vater und Sohn, jondern geht vom Onkel auf den Neffen über, wie auch 
der Thron des Königreiches Kongo jelbit, in das die Miffionare nur für Furze Zeit eine 
regelmäßige Succeffion einzuführen vermodten, ſich auf den Sohn der Schweiter vererbte. 

Sklaven bilden bei allen Weitafrifanern einen wejentlichen Beftanbteil des Haushaltes. 
Sie werden entweder durch Kauf erworben, oder durh Raub auf Kriegszügen erbeutet; 
fie find vollfommen rechtlos und verrichten bejonders jenen Teil ber Arbeit, der nicht ins 
Handelsfah ſchlägt. Sie wohnen oft in befondern Dörfern und erfahren im gewöhn— 
lichen Leben feine auffallend harte Behandlung. Aber ihre Eigenihaft, „Sache“ zu fein, 
wird von ihren Herren mit folder Konſequenz aufgefaßt, daß fie, wenn die Notwendigkeit 
eines Menjchenopfers eintritt, Faltblütig hingefhlachtet werden. Die Reiſenden erzählen 
auch, daß Häuptlinge, welchen es nicht gelingt, Opfer dur Raub bei fremden Stämmen 
zu finden, heimlich einigen ihrer eignen Sklaven die Köpfe abſchlagen lafjen, um diefelben 
als Trophäen heimzubringen; denn „du nit Mann töten, du Kind fein“ ift der ſchwerſte 











Eine Sklavenpeitſche (neh Du Chaillu). 


Vorwurf, der fie treffen kann. Bei diefer Sucht, harmloſe Fremde zu töten, wird felbft 
der Krüppel nicht gejhont. So erzählt Buchholz, daß Lod Priſſo, einer der Häuptlinge 
von Gamerun, einen Fremdling mordete, der taubjtumm war. Sein Volt war aber gegen 
dieje Art, ſich Eöniglihen Ruhm zu erwerben, doch nicht jo ganz unempfindlich, wie die 
Spottrede beweift, die Damals umging: „Du nidt Mann töten, bu Filch töten“. 


Die Staatenbildung hat in diefem Gebiete feltener als im Oſten des Erbteiles 
einen großen und dauernden Charakter angenommen. Die politiichen Gebilde zerfallen, fo: 
bald fie über ein geringes Maß hinauswachſen. An einzelnen günftigen Stellen haben ſich 
Eroberer zu Herrſchern über weitere Gebiete aufgeſchwungen, ihre Macht war aber immer 
vergänglih. Dies war offenbar etwas anders in der voreuropäiſchen Zeit, aus welcher die 
Trümmer viel mächtigerer politifher und fozialer Organijationen erhalten find, als die 
Gegenwart aufzumweilen hat. Pechuel-Loeſches Unterfuhungen über die joziale Gliede— 
rung ber Loango-Neger führen ung in Verhältniffe ein, welche einem Staate eine viel feitere 
Grundlage jchufen, als wir heute dort für möglich halten, Der jtreng gejonderte Erbadel 
der Mfumu, dem hauptſächlich die Dijtriftsverwaltung oblag, und daneben der aus Kin- 
dern und Enfeln der Prinzen, verdienten oder begünftigten Hofbeamten, treuen Bafallen 
gebildete, vergänglichere Standesadel, denen beiden feſt umgrenzte Privilegien zur Seite 
jtanden, bildeten jtarfe Säulen eines Herrſchertumes. Selbft die dynaftiiche Tradition zeigt 
in ihrer Unbejtimmtheit die heutige Loderung des Staatsgedankens. Buchner erhielt in 
Zunda ſechs Neihenfolgen von Muata Jamvo, deren jede anders lautete. Zur Sicherung 
der Überlieferung trägt es wenig bei, wenn bei den Namen großer Vorgänger geſchworen 
wird, wie die Dahomey:Neger es 3. B. bei dem ihres Königs Trudo thaten, oder wenn die 
Könige von Waidah immer nur in ihrem alten Stammfige Xavier gekrönt wurden, auch) 
nachdem derjelbe längit verloren war. 


600 Die Völker ber weftafrilanifden Küfte. 


Wie die Eroberungen der Dichagga an ber ſüdweſtlichen Küfte ziemlich ſpurlos vorüber: 
gehen mußten, da fie auf feine fraftvolle Nationalität bafiert waren, jo find die andern Völker: 
wellen nad kurzem Wallen wieder in fich zufammengefunfen, und nad ihnen find auch jene 
chriſtlichen Kongofönige verfhollen, von denen die alten Portugiefen ganze Dynajtien auffüb- 
ren. Zuerſt lafjen die portugiefiichen Berichte einen Fürften von Sogno in Braza am Ausflufe 
des Zaire ſich befehren, auf deſſen Rat dann der erfte König des Reiches Kongo als Johannes L. 


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Dorfhäuptling von der Loangotäſte mit Frau und Würdenträger (nad Photographle von Dr. Faltenſtein). 


und jeine Gattin als Eleonora I. übertreten, beide ihre Namen vom Könige und der Kö— 
nigin von Portugal nehmend. Unter dem Bürgerfriege, den der gleichfalls chriſtliche Prinz 
Alfons gegen feinen heidniſchen Bruder führte, folgte dem Könige Johannes der König 
Alfons. Ihm folgte fein Sohn Pedro, diefem fein Bruder Francisco, dem ein Diego, 
der zuerft fich ganz nad Art der Portugiefen Eleidete, endlich ein Henrico, unter dem die 
Polygamie wieder zur Einführung fam, bis, wie Lopez genau erzählt, der Teufel einen 
ber Sünder holte, ac. 

Hauptattribut des Königs ift der Thronjefjel; außerdem ift nur ihm und den 
Prinzen erlaubt, fich der Sonnenſchirme zu bedienen, wie aud) fie allein das Recht haben, in 


Häuptlinge und Könige, 601 


Hängematten getragen zu werden und in Schuhen zu gehen. Daneben gibt es manche 
Tracht- und Schmuckmonopole. Dem Adel Loangos waren Elfenbeinſchmuck, Schulter— 
kleider, die feinſten Matten und Mützen vorbehalten. Eine Spielart des ſpaniſchen Pfeffers 
durfte nur er genießen. In Dahomey waren Stühle und hölzerne Thüren dem Volke 
verboten. Der König von Akkra trägt bei Feſten noch heute einen ſpitzen Hut aus Anti— 
lopenfell und eine Feder darauf; auch die Prieſter tragen einen ähnlichen Hut aus Rindsfell, 
worauf ein Stüdchen Fell von derjelben Antilope befeftigt ift, aber dies Antilopenfell fteht 
nur dem Könige und den Prieftern zu. Die fleinen Kongokönige hatten zur Zeit der erjten 
Ankunft der Europäer noch andre Symbole. ihrer Macht. Beim erften Empfange der Por: 
tugiefen (1491) in jeiner Hauptſtadt hatte der König von Kongo feinen Elfenbeinthron, 
der mit gejchnigtem Holzwerfe an den Lehnen verziert war, auf einem hohen Gerüfte er: 
richten laffen, jo daß er überall von der unermeßlihen Verfammlung gefehen werden konnte. 
Von feinen Schul: BR 

tern hing ein Roß— 
jchweif, das Zei: 
chen der königlichen 
Würde, und jein 
Haupt bedeckte eine 
aus feinem Pal— 
menbaſte geflochtene 
mitraartige Mütze. 
In Loango ſprechen 
noch heute die zu 
der höhern Klaſſe 
ſich rechnenden Ein⸗ 
wohner die Sprache 
des Landes unter 
Zumiſchung beſon— 
derer Worte und 


mit einem eignen — 2 
io. Ein —*— Sefjel aus Xoſſaholz, von Aſchanti (Britifches Mufum, am 
—* —* sa * 4 wirkl. Größe. Bol. auch Abbildung, ©. 602. 


lihen Sprade, dem Fiote, als Fumu gegenüberftellen läßt. Vergeſſen wir nicht das wirk— 
ſamſte Attribut eines weftafrifaniihen Fürften, den Stab, mit dem bewaffnet 3. B. der Fürſt 
von Akem nachts auf die Straße geht, um fpät ausgehende Unterthanen heimzutreiben. 
Wie unerjchütterlih die Loyalität der Unterthanen ift, beweiſt folgendes: Boſſa Ahadi 
von Dahomey ließ bei jeinem Negierungsantritte jeden föpfen, der den Namen Boſſa führte, 
aber gerade unter Bofja Ahadis Regierung ſchrieb Norris von dem Volke von Dahomey: 
„40 Jahre nad) der tyrannifchiten und graufamften aller Regierungen waren fie ebenfo treu 
wie früher und jagten im Sprichworte: ‚Mein Kopf gehört dem Könige, nicht mir“, 
Welch andres Bild gewährt das Erjcheinen eines diejer Könige unter den heutigen jo 
weit veränderten Umftänden! Die Könige ſchmücken fi mit Vorliebe mit dem Abfalle der 
europäifchen Trödelträmer, und ihre Infignien ftehen in ſchreiendem Widerfpruche zur Arm- 
lichkeit ihrer übrigen Umftände. Verhältnismäßig würdig ift noch das Auftreten eines der 
Sprofje der Kongofönige in San Salvador, der außer dem verſchiedene Male umgewidel- 
ten und tief herabhängenden Lendentuche ein weißes Hemd zur Bededung des Oberförpers 
trug, um den Hals ein filbernes Kruzifir hing und in der Hand ein ihm von dem Gou— 
verneur von Pembe geſchenktes Schwert engliſcher Manufaktur hielt. Baſtians Begleiter 





602 Die Völker der weitafrilanifhen Küfte. 


begrüßte diefen Mann nad) dem Hofzeremonielle als einen Prinzen Föniglihen Blutes, 
indem er, auf den Knieen liegend, dreimal mit der Stirn den Boden berührte und fi Kopf 
und Gefiht mit Staub einrieb, ehe er die Bewilllommnung verbolmetichte. Die früher 
damit in Zaire verbundene Beleckung der Fußiohlen ift abgeſchafft. 

Im Süden Klingt in Sage und Sitte der Dynaftien die Lunda=Tradition herüber. 
Die Gründung des Reiches von Bihe wird 3. B. folgendermaßen erzählt. In die jchöne 
Tochter des Häuptlinges von Bamba verliebte fih der auf einem Jagdzuge dahin gekom— 
mene Bihe, Sohn des Häuptlinges von Hemba, ehelichte fie, unterwarf das Volf ringsum 
und gründete den noch heute nad) ihm genannten Ort. Ein Teil des Volles von Bamba 
wanderte herzu, Bihé hatte großes Gefolge mitgebracht, und jo entſtand diejes neue Volt. 
Auf Bihe folgte Tambi und auf diefen Giraul, der feinen Bruder Cangombi nad) Loanda als 
Sklaven verkaufte, wo derjelbe Lieblingsiklave des Gobernadors wurde. Darauf verihwor 
fich ein Teil des Volkes von Bihe und fandte nad) Zoanda, um Cangombi loszufaufen; jein 
Herr nahm aber fein Löjegeld, fondern jandte ihn mit Gejchenfen und unter portugiefischer 





Kiffen des auf ©. 601 abgebildeten Seſſels. 


Begleitung nach feiner Heimat. So kamen die Portugiefen nad) Bihe. Cangombi ftürzte 
jeinen Bruder, und als legterer jpäter noch einmal in das Land eindringen wollte, übergab 
ihn jener den Ganguella zum Aufzehren. Seit Bihe ſcheint heute die fünfte Generation 
an ber Regierung zu fein, jo daß Bihe eine vergleihsweife junge Gründung darftellt. 
Die Thronfolge iſt jo geordnet, daß immer erjt alle Söhne eines Soma zur Regie: 
rung fommen, ehe die Enkel zum Throne gelangen können. Der Soma ift von einem 
Rate umgeben, deſſen Glieder, Makota genannt, aus den Adligen oder Dorfhäuptlingen, 
den Sekulo, genommen werden. Außer den Makota umgeben den Sowa ſtets drei Hobe, 
die jeinen Speichel auffammeln und binaustragen, ein Stublträger und ein Narr, der die 
Umgebung der Palafthütte rein zu halten hat. Wenn ein Soma ftirbt, erfährt das Volt 
nichts andres, als er ſei frank; fein Leichnam aber wird in der Hütte liegen gelaffen, bis 
er verweit iſt, worauf die Knochen in eine Ochjenhaut gehüllt und in der innern, die Hütten 
des Sowa umgebenden Umzäunung begraben werden. Eine eigne Hütte ift hier zum Mau: 
joleum der Sowa beftimmt. Die Hütte aber, in welcher die Verweſung ftattgefunden hat, 
wird zeritört und das Material in alle Winde zerjtreut. Erjt kurz vor der Beerdigung 
wird der Tod des Sowa bekannt gemacht, und es erfolgt nun eine Art von Interregnum, 
in welchem das Volk wild aller Gejeglofigfeit fich bingibt. Auch machen die Zauberer jegt 
irgend jemand ausfindig, der den Sowa zu Tode gezaubert hat und deshalb natürlich 


Staatengründung und Staatenzerfall. 603 


ermordet wird. Die Mafota aber haben unterdefjen den rechtmäßigen Thronerben gefunden 
und nad dem Hauptorte (Libata) gebracht. Sobald er die Libata betritt, geht eine Schar 
nad einer Seite und erjagt eine Antilope, welcher der Kopf abgeſchnitten wird; eine andre 
Schar zieht nad) der andern Seite und fchneidet dem erjten Menjchen, den fie trifft, eben— 
fall den Kopf ab. Mit beiden Köpfen zaubert dann der Medizinmann, um dem Negie: 
rungsantritte feine Weihe nicht fehlen zu lafjen. Der Soma aber wählt fi feine erfte 
Gattin, Inakulo, die einzig das Recht hat, in der Palafthütte zu wohnen. Diejer Königin 
fommt bei manden Stämmen das Recht der Erbfolge zu, bei andern nimmt fie eine der 
Lufofeiha von Lunda ähnliche Stellung ein. 





Der Alhira: König Obindſchi in feinem Lehnftuble (nah Du Ehaillu). 


Die Autorität der Herriher und damit der politiihe Zujammenhang diefer Länder 
ſchwächt fich naturgemäß mit Ausdehnung des legitimen Handels, wodurch e8 jedem Privat: 
manne möglid wird, Reichtum und Einfluß zu erwerben, während fich früher der Skla— 
venhandel in den Händen einzelner (der Könige und Prinzen) Fonzentrierte. et macht 
fich jeder unabhängig, der Pulver und Gewehre erwerben fann, und die königliche Würde 
iſt um jo bedeutungslofer, als fie niemand annehmen will, um fich nicht den läftigen Zere— 
monien zu unterwerfen, mit denen fie verbunden ift. Die legten der gefrönten Kongo-Könige 
jtehen noch überall unbegraben über der Erde, und man fährt fort, in ihrem Namen zu 
regieren. Die politiichen Verhältniffe der füjtenbewohnenden, handeltreibenden Emweer unter: 
fcheiden fich wohl mit aus diefem Grunde ftarf von denjenigen ihrer binnenländifchen, krie— 
gerifchen Bruderftämme. Auch fie werden insgefamt von einem Könige regiert, aber diejer 
berrjcht nicht mit unumſchränkter Machtbefugnis, jondern hat in den Alteſten feiner Haupt: 
ſtadt eine Art von Staatsrat zur Seite. Handelt es fih um ein neues Gejeg, jo genügt 
diefes Kollegium nicht, jondern es müſſen dann auch die Älteften andrer Städte gehört 
werden, und ehe ein Gejeg wirklich rechtskräftig wird, muß es jogar dem Volke mitgeteilt 
werden, damit auch diejes feine Meinung darüber äußere. Übrigens ftehen aud) ſelbſt neben 
dem Könige von Dahomey zwei von ihm ernannte Minifter, Tamega und Mayhan betitelt, 
welche nad) feinem Tode aus feinen Söhnen den Nachfolger wählen. Sie find beftändig 


604 Die Völker der weftafrilanifhen Küfte. 


um den König, beraten ihn in allen Angelegenheiten und find die oberjten Richter, Bei 
den Tſchi der Goldfüfte wird jchon beim Negierungsantritte dem Könige von den Räten 
genau gejagt, wie er zu regieren habe, und welche Rechte und Pflichten ihm dem Volke 
gegenüber zuftehen, worauf er ſchwören muß, daß er alles, was ihm das Volt und die 
Häuptlinge vorjhrieben, genau beobachten wolle. Dann erft leiften ihm die Unterhäupt- 
linge der Diftrikte ihren Huldigungseid. Diefer Beſchränkung ber königlichen Madt 
entſpricht es vollfommen, wenn dem Könige eine möglichft fleine und nicht einmal ganz 
fihere Einnahme zugewiefen ift. Er erhält nämlich Gebühren für die Schlihtung ſchwie— 
riger Rechtsfälle und teilt außerdem mit feinen Älteften den allerdings nicht fehr erheb: 
lihen Betrag der den europäifhen Kaufleuten auferlegten Ausfuhrzölle. Ehe das Volk durch 
die Miffionare einigermaßen aufgeklärt wurde, war jeine Stellung aud) von einer gewiſſen 
Myſtik umgeben und dadurd ganz von jelbjt einflußreicher als heute. Noch immer ift er ber 
DOberpriefter, aber diefe Würde hat aufgehört, ihn unnahbar zu machen. Auf dem Häupt- 
linge vor allem laftet die Kette des „Tſchina“, der an den polynefiihen Tabu erinnernden 
Hoheit, die bei den Loango 3. B. auch dem Adligen verbietet, an einem rings von Waſſer 
umgebenen Orte, jei es Inſel oder Schiff, zu ſchlafen oder gewiſſe Flüffe zu überjchreiten. 
Früher durfte der König der Eweer nur bei Nacht feine Wohnung verlaffen, durfte nicht das 
Meer, fein Pferd, feinen Weißen fehen. Er war ein armer Gefangener, mit dem nur fein 
jihtbarer Stellvertreter und drei der Älteften, den Rüden ihm zuwendend, verfehren durften. 

Diejelbe weile Einfchränfung der Obrigkeit, wie fie in der Stellung des Königs ji 
ausdrückt, Fehrt auch auf andern Gebieten des Staatslebens wieder. Vor allem ift bie 
Rechtspflege, diefe wejentlidite Funktion des Staates in hieligen Verhältniffen, durchaus 
öffentlich. Ihrer waltet der Häuptling oder Ältefte entweder im Hofe feines Haufes oder 
unter einem ehrwürdigen Schattenbaume auf dem öffentlihen Plate der Stadt oder des 
Dorfes. Die Vorladung der Parteien gefchieht dadurch, daß der Häuptling zwei feiner Alte 
ften mit feinen Infignien, fei e8 Zepter, Silberfnopfitod oder Schwert, ſendet, welde 
ihre Vollmacht bedeuten. Im Gerichte figen der Häuptling und die Älteften im HalbEreife, 
zur Rechten die Kläger, zur Linken die Angeflagten; das Volk fteht im Kreife umher. Zu 
Füßen des Häuptlinges liegt ein Stab. Nachdem ber Epredher fein Ohr zum Munde des 
Häuptlinges gehalten und von diefem über das belehrt worden, was er den Parteien Jagen 
foll, ergreift er diefen Stab und wirft ihn, unter Anflehung der Götter, erſt in die Luft 
und dann auf die Erde, erfaßt ihn hierauf von neuem und zeigt ihn den Parteien, indem 
er babei fpricht: Ich zeige euch den Stab. Mit diefer Zeremonie ift die Gerichtsfigung 
eröffnet. Der Sprecher jet nun, den Stab in feiner Rechten haltend, den Rechtsfall aus: 
einander. Dann zieht fich das Gericht zurüd, um, wie der technifche Ausdrud lautet, „das 
Wort zu bejehen”, und wenn es wieberfehrt, trägt einer aus feiner Mitte ein Schälchen 
mit weißer Erde, womit er dem Unjchuldigen die Hand beftreicht, während der Sprecher 
wiederholt zu feinem Stabe greift, um dem Schuldigen das Urteil zu jprechen. Der legtere 
hat fofort die Gerichtsfoften in Rum, Palmwein, einem Schafe oder einer Ziege zu bezahlen, 
und die Älteften verzehren diefelben auf der Stelle. Die Strafe des Schuldigen aber ift 
entweder Geldftrafe oder Todesjtrafe. Die Todesitrafe wird über jeden verhängt, der, jei 
es mit Vorbedacht oder unabfichtlich, getötet hat, auch über diejenigen, welche durch Zau— 
berei oder Hererei ihr Ziel erreichten. Dabei wird ganz nad) dem Jus talionis verfahren: 
Erftehen für Erftehen, Erſchlagen für Erſchlagen u. |. f. Neben der Strafe geht die Blut: 
rache einher. Seltſam ift die Sitte bei den Emweern, daß auch ein Übermaß von Schul: 
den bie Tobesjtrafe nach fich ziehen muß. Hat nämlich ein Mann deren jo viel, daß er 
fie nicht mehr bezahlen kann, auch nicht, wenn er ſamt feiner Familie fi) in die Sklaverei 
verfaufte, jo wird er in die Hauptitadt geliefert, wo der König ihm das Todesurteil ſpricht. 


Nechtöleben. Strafen. Staatöverwaltung. 605 


Früher wurde er lebendig begraben, neuerdings hat ſich die Strafe auf Enthauptung herab: 
gemindert. Mit feinem Tode erlöjhen alle Schuldanſprüche an die hinterbliebene Familie. 

Bei ftraffer fozialer Organifation, wie fie früher im Kongolande beitand, wurde unlös- 
barer Streit zwiſchen zwei Adligen durch Kampf entſchieden, nachdem eine zwiſchen ihnen auf: 
geftellte Fadel verbrannt und damit die Zeit der Sühne abgelaufen war. Hier ftanden über dem 
richtenden Diftriftshäuptlinge die Inftanzen des vom Könige entjandten Richters und ber König 
jelbft als höchfte Stelle. Königliches Blut durfte in Dahomey nicht vergoffen werden, jondern 
der Tod wurde verbrecherifchen Angehörigen der föniglichen Familie durch Ertränfen zugefügt. 

Die endlos wiederkehrenden Beiprehungen und Beratungen des Häuptlinges und 
feiner Großen haben an ber Küfte den bei allen Reifenden berüchtigten Namen Palaver 
(in ältern Schriften auch „Kabale“ genannt). Palaver heißt hier jede Beiprehung, jeder 
Rat, den einige abhalten, und davon abgeleitet auch der Streit, der in bemjelben bei- 
gelegt wird. Am gefährlichiten ift das Zauber-Palaver, in welchem die unendlich häufigen 
Herenprozefje verhandelt werden, am beliebteften, wie anderwärts, das Rum-Palaver, bei 
dem das möglichit große Rumglas mehrmals eilig die Runde macht. 

Bei der Häufigfeit der Gelditrafen, welche neben den Tobesitrafen bie einzige Sühnung 
von Verbrechen daritellen, und bei der Habgier diejer Völker ift die Unfitte jehr allgemein 
verbreitet, mit einer gewiſſen herkömmlichen Zaunenhaftigfeit eine Menge von Kleinen Ver: 
gehen oder Verſehen zu ftrafbaren Verbrechen zu ftempeln. Bei einigen Völkern, wie den 
Biherios und den Kioko, ift diefe Unfttte, die dort Mulano und Milonga genannt wird, zu 
einer außerordentlichen Beläftigung aller Fremden geworden, ja bei der Macht, die dem 
angeblich Beichädigten über das ganze Hab und Gut des Bellagten eingeräumt wird, ge 
radezu zu einer Prämie auf gewaltjame Beraubung. Die Phantafie der Neger ift uner: 
ihöpfli in der Erzeugung von Gründen für Mukano. Auch iſt die Strafe auf das will: 
fürlichite übertragbar, jo daß 3. B. ein Karawanenführer für ungejühnte Mufanos jeiner Bor: 
gänger auffommen muß. Wenn jemand jtirbt, welcher Mukano ſchuldete, jo wirb derjenige, 
welcder arglos die Wohnung besjelben betritt, mit dem Mukano des Verftorbenen belaitet. 
Um die Willkür diefer Belaftung zu kennzeichnen, erzählt Serpa Pinto einen Fall, wo 
der Gärtner des befannten portugiefiihen Raufmannes Silva Borto in Bihe einigen Negern, 
die mit Hühnern für gewiſſe Zeremonien famen, jagte, dieſe legtern jähen gerade jo aus 
wie die jeinigen. Sofort entſpann fich über diefe wenigen Worte ein Streit, und der Arg- 
loſe hatte 8 Ellen Baummollenzeug Mufano zu bezahlen. Die häufigite Gelegenheit zu Mu— 
fano geben wirkliche oder vermeintliche Ehebrüche, zu denen die demoralifierten Neger auf 
den Handelsjtraßen von Bihe, Kimbundu und andern Orten ihre Weiber ſogar anhalten, 
um Grund zu jolden Erpreffungen zu gewinnen. 

Die Staatseinnahmen reduzieren fich jeit Aufhören des Sklavenhandels auf ein Ge- 
ringes. Zölle und Platzmieten (die „Hulks“ der europäiſchen Händler im Camerunfluffe zah— 
len an die Negerhäuptlinge bes Gebietes, vor dem fie liegen, eine jährliche Abgabe, „Kumi’ 
genannt, von 100 Pfund Sterling), wo Handelshäufer vorhanden find, und Strafgelder 
oder Erjaß derfelben bilden den Grundftod. Monopolijierung des Handels ift bei diejen 
regjamen Handelsvölfern nicht möglich; höchſtens, daß das Elfenbein dem Könige zugewandt 
iſt. In Abeofuta, wo eine Acciſe von Kauris und Korn erhoben wird und außerdem eine 
Steuer von ca. 1 Prozent (in ungenannter Form) bejteht, fällt deren Ertrag nicht dem 
Könige, jondern den Älteſten zu. Bei den Jagd: und Aderbauvölfern des Innern erhält 
in der Regel der Häuptling Bier und Palmwein, Elefantenzähne, Löwen: und Leoparden: 
felle fowie das rechte Hinterteil jedes Stüdes Wild von feinen Unterthanen. 

Die Gejhichte und die Gegenwart lehren in Weſtafrika befondere internationale Ver: 
hältniffe, in welche man allerdings nicht immer tief blidt. Die Erogamie tritt nur noch 


606 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küfte. 


vereinzelt oder in Spuren auf, fie Ihafft aber immer Beziehungen engerer Art zwijchen 
zwei Stämmen oder Völkern, bejonders wenn fie Höhere betrifft, wie in Zoango, wo die 
Prinzen als Gejchwilter galten und daher nur außer Landes ebenbürtig heiraten fonnten. 
Sie fommt ausgeiproden bei den Mpongwe des Gabun vor, bie ihre Töchter nur den 
Drungu am Kap Lopez geben. Die Abgrenzung beftimmter Handelsgebiete durch primitive 
Handeläverträge ift von den Dualla zu fonftatieren (ſ. S. 595). Konföderationen zu aggrei- 
fiven Sweden find noch Stanley im Kongogebiete begegnet. Es ift etwas obenhin gejagt, 
wie wir es 3.3. von Brazza gehört: „Alle Völker des Ogowegebietes ftehen auf Kriege: 
fuß untereinander”, Kriege werben nicht immer vom Zaune gebrochen. Oft gehen Ber: 
bandlungen vorher, bei welchen die Parteien, um nicht in der Hitze aufeinander loszufahren, 
eine Linie von Baumzweigen zwiſchen ſich bilden, die nicht überjchritten werben darf. 
Bei den Loango bedeutete eine brennende Fadel, die gejandt wurde, Krieg. 

Mir ftehen diefen Staats- und Redhtsgebilden, wie überall in Afrifa, mit der Empfin- 
dung der Verwirrung gegenüber. Denn wir haben da ein ſchwaches, aber in ftarfe For: 
men gehülltes Königtum, eine mächtige Oligarchie und dabei ebenfo große Freiheit wie Ab: 
hängigfeit des Einzelnen vor ung. Welche launenhafte Miſchung! Ehe die fomplizierten Ver: 
hältniffe eines dur Eroberung gebildeten Staates eintreten, jehen wir den in feiner Heimat 
anſäſſigen Neger fait zügellos frei. Auf das durch feine Arbeit der Natur abgewonnene 
Feld hat niemand fonjt ein Anrecht, es ift jein unbeftrittenes Grundeigentum. Niemand 
bat fih um jein Thun und Laffen zu fümmern, niemand ihm zu befehlen. Durch feine 
Magiftratsverbote kann er in irgend einer jeiner Lieblingsneigungen beſchränkt werden, 
außer wenn er fich jelbit in die Feſſeln des Fetifches Fettet. Er kann fi anbauen, wo es 
ihm gefällt, und handeln, wie e3 ihm beliebt, vorausgefegt, daß er innerhalb der Grenzen 
der von jeinen Boreltern ſelbſt überlieferten Gebräuche bleibt. Aber diefe Gebräuche, die 
nirgends und überall find, bilden ein für feinen Verftand unentwirrbares Syſtem ver: 
widelter Fangneße, und bei der leihteften Übertretung derfelben, der er fi nad; dem Aus 
ipruche des Palavers ſchuldig gemacht hat, verfällt nicht nur feine eigne Perſon, fondern 
jeine ganze Familie, all fein Eigentum unwiderruflich der unumjchränften Gewalt des Wahl 
fönigs, welcher ſelten anjtehen wird, ihn ſogleich als Sklaven zu verhandeln, falls ſich ein 
Käufer findet. „Dies ift das Weſen weſtafrikaniſchen Staatsredtes: Gehenlafjen der Maſſe in 
ſich und Herrſchaft Weniger, in der Form des Häuptlingstumes, über die Maſſe.“ (Baitian.) 


Im Glauben der Weftafrifaner ift der Seelenglaube Grundzug Man glaubt an ein 
Verweilen der Seele beim Leichname während eines bejtimmten Zeitraumes und an eine 
Rückkehr derjelben zum Grabe. Was Walker aus Altcalabar bejtimmt mitteilt, daß an ein 
Weiterleben der Seele als Gegenbilder der Menjchen, denen fie gehörten, geglaubt wird, 
tritt mehr oder weniger klar aus vielen Außerungen aud) andrer Stämme hervor. Man 
fürchtet fie insbejondere wegen ber Schädlichkeiten, die fie zufügen fünnten. Daher die 
Menfchenopfer an den Gräbern, die heute zum Teile in Gefangenjchaft der Opfer ſich ab: 
gemildert haben, die Opfer an Sachen von Wert, an Speife und Trank, die Fetiſchhütten 
über den Gräbern und Ähnliches. Beim Vorhandenfein diefes Grundzuges ift e8 irreführend, 
daß das dem Bortugiefiichen entftammende Wort Fetiſch mit Vorliebe auf die Symbole des 
Glaubens oder Aberglaubens der Weftafrifaner Anwendung fand und dadurd die Anficht 
erzeugte, als ob die Völker in diefen Teilen eine ganz andre Art der Götter: oder Gößen: 
verehrung hätten al3 anderwärt in Afrifa. Im Grunde find jedoch die weitafrifanijchen 
religiöfen Vorftellungen und die für viel wichtiger gehaltenen Mittel, mit den Geiftern in 
Verkehr zu treten, diejelben wie bei andern Afrifanern, und der Unterjchied liegt nur in 
der da oder dort abweichenden Form jener Vorftellungen und diejer Mittel. 


— — —— 


Neligiöfe Borftellungen. 607 


Die religiöjen Vorjtellungen diejer Völker find zwar aud heute nur wie hinter 

einem Schleier zu jehen, aber fie zeigen, wie übrigens von ernften Beobadhtern ſchon öfters 
hervorgehoben ift, die Züge eines größern Bildes, als man nad) jo beſchränkter Wiedergabe 
von Bruchftüden und gebrochenen Linien, wie fie üblich ift, vermuten würde. Freilich hat 
die Vielgötterei, die, einmal ins Treiben gelommen, feine Grenze ihrer Zeugungsfähigfeit 
fennt, auch hier gewaltige Dimenfionen erlangt, und bie großen Schöpfungsgötter find zu 
den Fetiſchen herabgeftiegen. Allein felbit in Aſchanti, im eigentlichften Lande des gröbjten 
Zauberunmejens, hat ſich die VBorftellung eines 
höchſten Wefens, vielleicht urfprünglich mit dem 
Himmel jelbft zufammenfallend, erhalten, ber wir 
in Zoango unter dem Namen Zambiampungu be: 
gegnen, während er hier Aniankopong oder Nyan- 
fupon (nah Frühern Jankkupong, von Barth 
gedeutet al3 hohe Stadt des Njame, d. h. Him— 
mel) genannt wird. Wenn die Emweer im Sprich— 
worte jagen, e8 jei das Schickſal eine unabänder- 
lihe Beitimmung, jo denken fie an die Feſtſetzung 
besjelben durch diefen Gott, deſſen Name aud) 
Witterung, Himmel bebeutet, übrigens nie anders 
als in der Einzahl verwendet wird. Neben ihm 
ftehen als zweite Gottheit die Erde als allge: 
meine Mutter, als dritte erſt der oberite Fetiich. 
Die Ajchanti erzählen von einem Schöpfer Odo— 
manfana, ber, al3 er den Menſchen geſchaffen 
und in allem unterwiejen hatte, in den Himmel 
ging, welchen legtere vergeblich durch aufeinander 
geitellte Mörfer zu erflettern juchten. Nach dem 
vergeblihen Verſuche trat, wie in Babylon, die 
Spradjverwirrung ein. Die Dualla nennen Rubi 
den großen Geift und zugleich die Sonne; in 
Dahomey wird die Sonne verehrt, und jicher 
hängt hiermit auch die oben gejchilderte Feuer: 
verehrung zufammen. Bei andern Stämmen hat 
die Gottesidee fi nur in der Schöpfungsjage er: - 
halten, wie 3. B. die Emeer als Schöpfungsgott Ein Priefter des Erdgeiftes Ntiffi in Loango 
Mamwu, die Neger der Goldküſte Njongmo fennen. (nad Photographie von Dr. fyaltenftein). 
Die Diener des legtern find die Luftgeiſter Wong. 
Die Akem-Leute haben auch die weltweite Vorftellung, daß einft der Himmel der Erde näher 
geweſen jei als jetzt. Bon diefen Abweichungen der einzelnen Vorſtellungskreiſe unter 
fich führt ein Teil auf das Vorwalten des Aderbaues im Gegenfage zur alles dominierenden 
Viehzucht der Dftafrifaner, ein andrer auf den häufigern Verkehr mit den Chrijten und 
Mufelmanen, ein dritter auf die hoch entwidelten Kunfttriebe zurüd. 

Zahlloje Dinge können Fetiſche fein. Die gewöhnliche Form des z. B. von Wan: 
dernden oder Neifenden getragenen Fetiſches ift ein roter, Fugeliger Tuchballen, in den von 
dem Fetifchpriefter eine ftarfe Medizin, meiftens ein Pflanzenteil, eingenäht ift. Man fieht 
die Leute, wenn fie ermübdet find, daran riechen. Außerdem find e8 aber die befannten, 
mit Bauberpulvern gefüllten Antilopenhörner, die allgemeine Medizin der Leute von 
Benguela und Angola, dann Schnüre, in der vielfachften Weife zufammengefnotet, Wurzeln, 





608 Die Völker der weftafrilfanifhen Hüfte. 


Kugeln, und was ihnen fonft aufftoßen mag, mit denen fie ji behängen. Den viel: 
fältigen Zweden mögen verſchiedene Qualitäten diefer Zauberbinge entiprechen. Je ſchwerere 
Laften man einem Neger aufladet, defto mehr Fetiſche wird er noch feinerfeit3 hinzufügen, 
um jene zu fompenfieren. Wo einft das Chrijtentum waltete, find feine mißverftandenen 
Überrefte zu Fetiichen geworben, und Beſchwörungen oder Beherungen nehmen dort neue, 
kräftige Mittel zur Beherrihung der Seelen aus dem Zeremonienſchatze der heiligen Meife. 
Baftian fah in einer Hütte von San Salvador drei hölzerne Heiligenfiguren in Lebens: 
größe, welche unter heidnijchem Geplapper gelegentlich umhergetragen werden. Menjchliche 
Figuren finden als Fetiiche ausgedehnte 
Verwertung, nicht minder Teufelsfragen, 
auf deren Herftellung manchmal eine ganz 
befondere Kunft verwandt ijt (vgl. die 
Abbildungen, ©. 590 u. 609). Chriſtliche 
Traditionen mögen aud bei dem kunſt— 
reihern Aufbaue ihrer Fetiichhütten, be— 
ziehentlih Tempel mitgewirkt haben; we 
nigſtens jcheint es nicht rein afrikanischer 
Bauftil, in dem die von Baftian bei 
Schemba-Schemba gejehene Hütte errid- 
tet war: Ein aus Strohmatten gebildetes 
Rechte, deifen lange Fronte durch ein 
drei Thürbogen enthaltenes Holzgeſtell ge: 
bildet wurde, Auf jede der beiden ſeit— 
lichen Thüren war eine Pyramide, auf die 
mittlere eine mit zwei Querbalfen über: 
legte Kuppel aufgejegt und bie Pfoften 
mit halb ſchwarzen, halb grünen Figuren 
bemalt. Das Innere enthielt einen ein: 
fachen Erbhügel, aus dem drei mit roten 
und weißen Streifen bemalte Holzgabeln 
hervorgudten. Der Inhalt diefer Hütte 
erinnert daran, daß auch die Errichtung 
von Fetiichhütten über Gräbern üblich ift. 

Ein Zauberwedel mit Griff (mad Du Chaillu). (Dgl- auch die Beſchreibung einer Fetijc- 

hütte an der Goldfüfte, S. 180.) 

Die Hantierungen der Fetiſchprieſter find weſentlich diejelben wie die der Regenzau— 
berer des Dftend. In einem großen Zufammenlaufe von Menſchen fieht man einen bunt 
bemalten Mann, den Fetifchpriefter, mit lautem Schreien auf und ab laufen, wobei er eine 
mit bunten Zumpen behangene Holzpuppe hin- und herſchüttelt und mit Nuten im Gefichte 
und auf den Schultern peitiht. Fragt man nad) dem Grunde, jo hört man, daß einem 
Neger ein Mefjer geltohlen worden, und da er fich für deſſen Wiedererlangung an dieſen 
Priefter gewandt, der einen für die Einſchüchterung der Diebe weit befannten Fetiſch be 
jaß. „Der arme Gott“, jchreibt ein Beobachter folder Szenen, „ſchien mir feine Berühmt: 
heit etwas teuer erfauft zu haben, denn er erhielt ſchon im voraus unbarmherzige Schläge, 
damit er die Sache nicht auf die leichte Schulter nehme,” Geiftestranfe oder jonft abnorme 
Menſchen find zu diefer Thätigkeit durch die Leichtigfeit prädeftiniert, mit welcher fie ſich 
in einen Zujtand halber oder ganzer Halluzination verjegen können. Wegen ihrer Selt: 
ſamkeit werden aud) Albinos oder Dondos vielfach von den Fürften, befonders an der Hüfte, 








Fetifhdienft und Zauberei. 609 


als ein ihnen Einfluß über die Europäer gewährender Fetiſch gehalten. Überall haben fie 
das Recht, fich zuzueignen, was ihnen beliebt, und der Eigentümer, weit entfernt, Ein: 
ipruch zu erheben, „fühlt fi dadurch ebenjo geehrt wie der fromme Hindu, wenn ihm 
Siwas Ochs auf dem Markte von Benares feine Körbe ausfrißt” (Baftian). In Loango 
wird diefe Menſchenklaſſe jelbit mehr ald die Ganga geachtet und die Haare berjelben 
teurer als Reliquien verfauft. Zaubermädchen find als Gehilfinnen bes Priejterd an der 
Goldküſte unentbehrlich. Hier nehmen fie mit diefem felbit einen priefterlihern Charakter an, 
wie aus folgender Schilderung eines Bafeler Miſſionars hervorgeht: Sein Haupt ijt mit 
einem hohen Amtsbarette von Strohgeflecht bebedt; wie e8 die Würde erheifcht, ſchmückt ihn 
ein forgfältig gepflegter Bart, der ihm vom Sinne bis auf die Bruft reiht. Aus dem 
dunfeln Negergefichte jpricht die dem Fetiichpriefter eigne Verfchmigtheit. Um den Hals 





Eine farbige Holzmasle von Dahomey (Mufeum für Völterlunde, Berlin). Y« mwirll. Größe, Vgl. Tert, ©. 608, 


hängen ihm weiße Korallenjchnüre als priefterliher Schmud; an ihnen fteigt bei der Be— 
ihwörung der Fetiich herab. Ein feidenes, phantaftiich gefnotetes, buntfarbenes Tuch, an 
dem allerhand Zaubermittel ihren Pla finden, wallt über das Priefterfleid herab. Die 
Hand hält einen Binſenwiſch als Fetiſchwedel, der, je und je mit einem Kuh: oder Büffel- 
ſchwanze vertaufcht, ftet3 bei den Fetiihmännern als Abzeichen priefterlichen Amtes gejehen 
wird. Notlederne Eandalen zieren die bloßen Füße. Die Fußgelenfe find von Korallen: 
fetten umjchloffen. Dem Priefter ftehen zur Seite zwei Priefterinnen, gleich ihm mit Ko: 
rallenſchnüren und allerlei Amuletten gefhmüdt. Stirn, Arme, Bruft und Füße find mit 
weißer Erde kunſtlos (überall mit zwei gleichlaufenden Linien) bemalt. Diejes Bemalen 
wird an den Fetifchweibern aus Anlaß von religiöfen Zeremonien vorgenommen, und wer 
bei einer jolden Gelegenheit die fonvulfiviihen Tänze und Sprünge diefer Weiber je ge: 
jehen hat, der glaubt fich Beſeſſenen gegenüber, die, von Dämonen injpiriert, im Solde 
des Satans ftehen. 

Durd die Mannigfaltigkeit der in Weſtafrika üblichen Fetiichlehre und ihre Wichtigkeit 
wird die Arbeitsteilung mit Bezug auf dieſe Funktion mehr durchgeführt, als es fonft vielfach 
der Fall iſt (ſ. S. 180). Allein es find aud hier die Häuptlinge die größten Fetiichöre, 
wie wir das beim Muata Jamvo jchon zu erwähnen hatten, und nur bei den ganz Kleinen 

Bölfertunde, L 39 


610 Die Völker der weftafrilanifhen Küfte 


fann man im Zweifel fein, ob fie mehr Herrſcher oder Priefter find. Außer aus Antilopenfell 
gefertigten Spigmüten haben bie Fetifchpriefter befondere Trachten, in denen fie doppelt heilig 
und unverleglich erfcheinen. An einigen Lofalitäten in Klein-Loango gibt es gewiſſe Ganga 
MKiſſis (Fetiſchdoktoren), die bei Todesfällen berechtigt find, ein ganz eigentümliches Gewand 
anzulegen. Es befteht aus einer Federkrone, einer kolofjalen Maske aus leichtem Holze und einem 
über den ganzen Körper fallenden Gewande aus grauen Adlerfedern. Man kann ſich feinen 
eigentümlichern Eindrud denken als den, welchen das unerwartete Erfcheinen eines fo vermumm: 
ten, des Weges dahertanzenden, mit bauchrednerifher Stimme fingenden und jprechenden 
Ganga macht. (S. die Fetifchinfignien auf beigehefteter Tafel „Nordweſtafrikaniſche Geräte”.) 

Die Traditionen des Fetiihprieftertumes pflanzen fich durd Erziehung fort, welche 
dafür pafjend erkannten Jünglingen erteilt wird. In der fabelhaften Vorftellung der Gläu— 





Ein Begräbnisplaß in Loango (aus „Die Loango: Erbedition”). Pol. Tert, S. 612. 


bigen nimmt die Verwandlung aus einem Normalmenſchen in einen Fetiſchör natürlich den 
Charakter des Wunderbaren, fogar einer Art von Seelenwanderung an. Den, wen ber 
Fetiſch liebt, den führt er fort in den Busch und begräbt ihn in dem Fetifchhaufe, oftmals 
für eine lange Reihe von Jahren. Wenn der Entführte wieder zum Leben erwacht, beginnt 
er zu effen und zu trinken wie zuvor; aber fein Verftand ift fort, und der Fetiſchmann muß 
ihn erziehen und felbit in jeder Bewegung unterweifen wie das kleinſte Kind. Anfänglich 
kann das nur durch den Stod geſchehen, aber allmählich kehren die Sinne zurüd, fo daf 
ſich mit ihm ſprechen läßt, und nachdem feine Ausbildung vollendet ift, bringt ihn der Priefter 
feinen Eltern zurüd. Diefelben würden ihn felten mwiedererfennen ohne die ausdrückliche 
Verſicherung des Fetifhöres, der ihnen zugleich frühere Ereignifje ins Gedächtnis zurüdführt. 

Außer im Fetiſchweſen pulfieren die religiöfen Adern des Lebens diefer Völker in den 
Totenfeiern, den Gotteögerichten und den regelmäßig wiederkehrenden Feten. Der Tod 
eines Stammesgliedes gibt Anlaß zu den wildeften Feiten. Zunächſt muß man je nad) dem 
Anjehen des Verftorbenen möglihft viel Pulver verfnallen. Nach einiger Zeit, bei ben 
Dualla 3. B. am neunten Tage (denn fo lange braucht die Seele, um an den Ort ber 
Ruhe, Bela, zu gelangen), beginnt dann das große Totenfeft, an welchem ſich auch die 





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NF IV nur, Oröde, Nr. ν Große. Nr.1-18 Musewn für Völkerkunde, 


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Fetifchprieftertum. Totenfeiern. 611 


Nahbardörfer beteiligen. Dann werden Palmmein, Rum, Branntwein in enormen Mengen 
zufammengebradt und verzeht und dabei unglaublich viel Fleifh verzehrt. Während 
in gewöhnlichen Zeitläuften bei den Bakhwiri trog ihres nicht unbeträchtlichen Viehftandes 
Fleiſch nur felten zu haben ift, weil nur die wohlhabendften Leute außerhalb diejer Feft- 
zeiten jchlachten, wurden 3. B. beim Tode des MWeibes eines Dorfoberhauptes nicht we— 
niger als 30 Ziegen und dazu noch viele Schafe geſchlachtet. Auffallend ift, daß fie ihre 
Toten nicht auf befondern 

Plägen, ſondern in ihren 

Hütten beerdigen, welche ei 
darauf eine Zeit leer bleir == a 
ben. Die Dualla haben = — 
denſelben Gebrauch Bi =. BF; N Ryan 
den Biheños, Kiofo und 7 ZR FT Mr 

























andern wird das Begräb: ZU u PR (Ra 
nis wenigftens innerhalb | 77, 9 Ve — 9 — 
der Umzäunung vorge— N MIN RANLILVBRRNEN EN 4» hinab nat — 956 

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nommen. Die Völker des Mer IM KR; | il N VAN UN —99400 
untern Kongo haben Grä⸗ — | | Sn hl IN 
ben in ihren Dörfern, in | 1 \ Ar N 





welchen die Leichname bei- 
gejegt werden. In den 
größern Neichen, wie Los 
ango, gibt e8 auch bejon- 
dere Grabftätten für die 
Adligen und Könige, und 
Cameron fand in Bihe 
die Begräbnisftätten der 
Häuptlingevon Kagnombe 
in unmittelbarer Nähe 
einer großen Trophäe von 
Menſchen- und Tierſchä— 
deln (ſ. auch nebenſtehende 
Abbildung), befäet mit zer— 
brochenem Geſchirre und 
in der Mitte eine Fetiſch— 
hütte mit Speis- und 
Trankopfern für die Ab- 
gejchiedenen. Zu ben 
Trauerzeihen gehören wie Eine Schädeltrophäe in Bihe (nah Serpa Pinto). 

überall dag Rafieren des 

Kopfes, die Bemalung mit gelber Erde, Gewänder fchlechterer Gattung, Enthaltung von 
beftimmten Speifen. Zeitweiliges Verlaffen einer Hütte, in welder ein Sterbefall vorfam, 
Zertrümmerung von Gejhirr aus dem Haushalte find bei den Stämmen des Innern üblich. 
Auch aus Dahomey wird berichtet, daß beim Tode des Königs defjen Weiber alle Gerät- 
ſchaften im Palafte vernichten, und früher follen fie jelbft dann zu Hunderten fich wechjel- 
feitig getötet haben. (Norris.) Auf die Gräber, die früher zuweilen mit Elefantenzähnen 
eingezäunt waren, wirft man alle Arten zerbrochenen Töpfergefhirres. Auf das Grab eines 


Fetifchpriefters fteden feine Genoffen, nachdem fie jeder eine Handvoll Sand Hineingeworfen 
89* 


—88 





612 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küfte. 


haben, drei Stäbe, dem Kopfe, dem Feigenblatte und den Füßen entſprechend. Auch, errichtet 
man, wie ſchon erwähnt, Fetifchhütten über den Gräbern. Die Beerdigung in Hodjtelung 
fcheint am allgemeinjten üblich zu fein. An der Loangofüfte wird aber die Leiche zwijchen 
zwei Pfählen aufgehängt (ſ. Abbildung, ©. 610). 

Die merfwürdigften Gebräuche finden beim Tode und Begräbniffe der Fürften 
ftatt. Schon die Krankheit, wenn fie gefährlich zu werden beginnt, wird verheimlidt. Ein 
Häuptling tritt an feine Stelle und gibt etwa vor, der König ſei auf feine Plantage ge- 
gangen; alle Leute in der Nähe werden zurüdgehalten. Doch entlommen immer etliche, die 
dann bie Trauerbotichaft ihren nächſten Verwandten und Freunden unter größter Vorficht 
beibringen, indem fie etwa jagen: „Es fteht gefährlid”; „Der große Baum ift im allen 
begriffen“; „Erichütterung des Bodens ift im Anzuge”, Denn nie und nimmer darf ber 
Tod eines Königs mit Haren Worten ausgeſprochen werden. Aber auch jelbit die Todes: 
anzeige wird in verblümter Form gemacht, Bei den Tichi der Goldfüjte werden dem Leid): 
name Kopf und Bart raliert, dann wird ein Dann gefchladhtet, damit „beim Baden der Füße 
ein Schemel dafei”. Dem Toten werden täglich eine Lieblingsipeifen vorgefeßt, von denen 
nur die fogenannten Seelenperfonen (Afrafo an der Goldfüjte genannt) Eoften, die jchon 
bei Lebzeiten durch bejtimmten Goldſchmuck ausgezeichnet find und endlich mit gebrochenem 
Genide an das Kopf: und Fußende des Grabes gelegt werden. Den andern Totenbegleitern 
werden erjt nad) dem Begräbnijje die Hälje abgejchnitten, was durch eine Scharfrichterbande 
von Königsjöhnen und Königsenkeln bewerkitelligt wird. Kein Glied ber Königsfamilie von 
möütterlicher Seite darf, ohne fein Erbrecht zu verlieren, dem Begräbniffe anwohnen. Die 
Totenbegleiter werden durch ftille Übereinftimmung aus den Sklaven und andern gewählt, 
die fich irgend etwas zu jchulden haben fommen laffen oder fi unpopulär gemadt haben. 
Auch einige feiner Weiber werden dem Könige nachgeſandt. Die übrige Umgebung hat 
ſich aller befjern Speifen zu enthalten, wejentlih nur Branntwein und Palmmein zu ge 
nießen, den Kopf zu rafieren und Trauergewänder zu tragen. Nach einiger Zeit findet 
die Emennung des Thronfolgers ftatt, welcher ftet3 aus den mütterlichen Neffen gewählt 
wird. Unter Feiten geht die Einjfegung des neuen Königs vor ſich. Viel fpäter aber erit 
wird ber verjtorbene Vorgänger beigefegt, deffen Sarg bis dahin ausgeftellt war. In 
diefer Zeit haben die Scharfridhter, die Totengräber des Königs und die von außen ge 
fommenen Teilnehmer des Feites, in Loango auch die Sklaven des Verftorbenen bie Er: 
laubnis, Lebensmittel zu nehmen, wo fie welde finden. Dabei wird bejtändig um eine 
mit fojtbaren Gewändern befleidete Puppe, die den König barftellt und in einer Palmhütte 
aufgeitellt ift, getanzt, geſchrieen und gejchoffen. Die Loango:Neger bauen einen höchſt ſchwer— 
fälligen Totenwagen, welden die Unterthanen nad Lubu (an der Loangobai, durch ein 
in der Sage verherrlichte8 übernatürliches Ereignis dem Volfe angezeigt) ziehen, dem ein: 
jigen Orte, wo ein Adliger der Loango beerdigt werden darf. Zu diefem Zmwede wer: 
den mit vielem Fleiße breite Wege gemacht; aber der Fleiß erlahmt wohl auch, und es 
fommt vor, daß der Wagen jtehen bleibt, bis ein abergläubifches Dorfhaupt ihn über feine 
Gemarkung hinaus in der Richtung auf Lubu weiterſchaffen läßt. Pechuel-Loeſche, der 
uns die Thatfahen und Sagen erzählt, welche mit biefem Fürftenbegräbniffe zufammen- 
hängen, hebt beſonders aud die Scheinfämpfe hervor, die mit dbemjelben verbunden find 
und bier den Zwed haben, den Einwohnern des privilegierten Dorfes Lubu die Leiche zur 
endgültigen Überführung an die Begräbnisftätte zu überlaffen. Vielleicht find diefe Kämpfe 
als Erjaß der hier völlig gefchwundenen Menjchenopfer zu deuten, die in ben bluttriefen: 
den Reichen von Dahomey und Aichanti beim Tode eines Königs zu Hunderten fallen. 

Die Gottesgerichte der Weltafrifaner haben durch ihre weite Verbreitung und das 
mit ihnen verknüpfte Palaverſyſtem, welches fie Doppelt häufig und gefürchtet macht, endlich 


Totenfeiern. Menſchenfreſſerei. 613 


nicht zulegt durch den bei ihnen zur Anwendung fommenden heftigen Giftitoff eine traurige 
Berühmtheit erlangt. Die Prozedur ift die gewöhnliche: Um einen Schwur abzunehmen, 
läßt der Priefter, welcher gewöhnlih nur mit diefer Funktion betraut ift, die Parteien 
das bittere Waſſer trinken, das, mit dem Fluche des Fetiſches beladen, den Meineidigen 
töten wird, oder leitet eine andre myſtiſche Verfnüpfung ein. Dieſes bittere Wafjer ent: 
hält das Ertraft giftiger oder fonft ſtark wirkender Pflanzenftoffe. So enthält die Nfafja- 
rinde, welde am untern Kongo zu Gottesurteilen benugt wird, nad Liebreich ein jehr 
beftiges Herzgift. Die Mutterpflange dürfte eine Asklepiadee fein. Die ſehr ungleihmäßigen 
Wirkungen erklären fih nur dadurch, daß die brechenerregende Wirkung jo rajch eintritt, 
daß der Stoff oft fofort wieder aus dem Magen entleert wird. Oft ftürzte die Gegenpartei 
ſchon bei den erſten Zudungen auf das Opfer, um es mit Meffern zu zerfleifchen. Angola: 
Stämme, die Schütt beſuchte, durhbohren den Leichnam mit einem jpigen Pfahle. Zur 
Verftärfung des Gottesurteiles dient ein Schwur, welcher nur bei diefer Gelegenheit ge 
ihworen wird und entweder auf die Familie des Schmwörenden oder das Volk im ganzen 
ih bezieht. Der furchtbarfte Schwur der Aſchanti ift der beim Meminda Cormantie, da 
der Überfall der Akim bei Cormantie, in welchem der gefeierte König Sai Totu an einem 
Sonnabend (Meminda) fein Leben verlor, als die größte Kalamität betrachtet wird, die je 
diefen Eroberungsitaat befiel. Wer diefen Schwur bricht, würde dadurch ein zweites glei- 
ches Unglück auf das Reich bringen. 

Bei diefen Schwüren und andern großen Gelegenheiten, welche die Mitwirfung ber 
Priefter erfordern, wurde (oder wird?) auch Zauber mit menſchlichen Körperteilen 
getrieben. So miſchte man in Groß-Baffam, nachdem die Fetiſchöre aus den Eingeweiben ge 
weisſagt hatten, das Herz und bie Leber des bei Gründung eines neuen Dorfes Geopferten mit 
dem Fleiſche einer Henne, einer Ziege und eines Fiſches in einer Bratpfanne, und jedes Mit: 
glied der Gemeinde mußte von diefem Gerichte effen, um nicht binnen Jahresfrift zu fterben. 
Ähnliche Feitmahle kommen in Benguela vor, wo Serpa Pinto von den Bihefios erzählt, 
daß fie Hunde zu ihren Feitmahlen mäfteten, daneben aber auch Menfchenfleifch äßen, wenn 
fie auch „nicht gerade ausgeſprochene Kannibalen” feien. „Anſcheinend“, fagt S. Pinto, 
„ziehen fie bejahrte Leute vor, und ein weißhaariger, alter Dann jcheint ein pafjendes 
Geſchenk für einen reihen Sowa zu fein, der ein Feitmahl geben will.” Derjelbe erzählt 
von einem Felte, Kiffunge genannt, welches der Häuptling von Bihe dann und wann ver: 
anjtaltet, und wobei fünf Menfchen verzehrt werben. Nur die Körper, ohne Köpfe, werben 
gegeffen und zwar mit Ochjenfleifch zufammen teil3 gebraten, teils in Capata gekocht. Daß 
die Leute am untern Kongo Kannibalen find, ift vielfach behauptet, aber nie bewiejen wor- 
den; daß e3 weiter im Innern Weftafrifas noch Menſchenfreſſer gibt, ift nah Stanleys, 
Brazzas und andrer Mitteilungen allerdings fiher und läßt den Schluß zu, daß auch für die 
Küftenbewohner die betreffenden Gerüchte nicht aller Begründung entbehren. Auch wo man 
aus neuerer Zeit feine ftreng beglaubigten Fälle von Kannibalismus unter diefen Völkern 
mehr zu verzeichnen hat, jcheint Doch manche Sitte, ber fie Huldigen, die Anficht zu rechtferti- 
gen, daß er im geheimen fich forterhält. Wir erinnern daran, daß bei den Camerun-Stäm— 
men ein neuer Häuptling, der die Erbichaft feines Vorgängers, meijt jeines Vaters, antritt, 
nicht eher für voll in feiner Würde gilt, als bis er einen oder mehrere Männer, fei es offen 
oder meuchlings, umgebradt und deren einzelne Körperteile, jelbft die Eingemweide, unter 
die Berwandten und die benachbarten Häuptlinge verteilt hat. Der König von Dahomey 
hat noch im einem einzigen Monate des Jahres 1877 an 500 Menjchenopfer gebradit. Man 
weiß nicht, was mit ihnen geſchieht; aber es iſt mehr als wahrjcheinlich, daß fie wenigſtens 
teilweije zu Fetiſchzwecken gegeſſen werden. Nur die Schädel der unglüdlichen Opfer wer: 
den aufbewahrt, um bei Erinnerungsfeften zu paradieren, ihre Gräber zu ſchmücken, nad) 


614 Die Böller der weſtafrikaniſchen Küfte. 


altbarbariicher Sitte als Trinfbecher zu dienen oder das Material zu den langen Zahn: 
fetten zu liefern, die in Dahomey Fönigliche Auszeichnung verleihen (j. Abbildung, S. 172). 
Menschliche Schädel und Kinnladen gehören dort zu den beliebten Ornamenten. Norris jah 
Boa Ahadis Zimmer an Boden und Wänden ebenjo wie den Weg zum Palajte mit den: 
jelben dicht gepflaitert, er fand faft jeden Morgen neue Köpfe von friſch Getöteten auf der 
Schwelle liegen, einmal zwei Dugend zugleih; das Aufeſſen des Herzens eines Feindes wird 
aus Dahomey und Waidah mehr als einmal berichtet, und bei öffentlichen Feitlichkeiten 
in Dahomey foll das Zerreifen und Aufeflen eines vom Könige zum beiten gegebenen Men: 
ihen einen Hauptzug gebildet haben. Dennoch waren dieje Züge von Anthropophagie 
immer mehr Ausjdreitungen, in der Regel fielen die meiften Zeichname den Tieren zu. Die 
Anthropophagie wird aud den Kifjama, einem ſchön gewachſenen, braunen, nicht ausgeprägt 
negerhaften Stamme ſüdlich vom Koanza, nachgeſagt. Sie jollen nah Ch. Hamilton 
ihre zum Tode beftraften Verbrecher aufeſſen. Aber da das Fabelhafte Hinzugejegt wird, 
daß fie deshalb nicht ebenfo geſund feien wie ihre Nachbarvölfer, ift diefe Nachricht mit Vor: 
ficht aufzunehmen. Übrigens werden von den Neifenden de3 16. Jahrhunderts die am 
Kongo und landeinwärts herrfchenden Anziquer einfach als Menſchenfreſſer, ſonſt aber ehr: 
liche, aufrichtige Leute befchrieben, denen nur das Chriftentum fehle, um fie den Portugiejen 
noch angenehmer zu machen. 

Wo der Tierdienft ausgebildet ift, treten die Krokodile (Goldfüjte), Haifiihe (Bonny), 
Hyänen und andre Anthropophagen an die Stelle der Menichen und erhalten unter Feier: 
lichkeiten regelmäßig ihr Opfer. „Auch in Senegambien“, jagt Baſtian, „it mander Berg 
Heremus mit dem Blute eines vaterlofen Knaben getränft, um die Mauern zu befeftigen, 
und fordert aus jedem Walde die Stimme der Wila ihre jühnenden Opfer.” 

Sit es vielleicht ein Nachhall des ChHriftentumes, wenn überhaupt Speijegelübde eine 
große Rolle im religiöjen Leben der Neger jpielen? Oper ift ed nur allgemein menjchliche 
Furcht, welche den Neger zur Verſöhnung des feindlih Böjen treibt? Hierauf beziehen 
fih Enthaltſamkeitsgelübde, die dem Kinde oft fchon bei der Geburt von jeinen Eltern 
auferlegt werden. Um fie wirfjamer zu machen, läßt man zuweilen einen mit Früchten 
beladenen Bananenjtraud als vifariierendes Opfer abiterben. Zahlreihe Beihränkungen 
im Sleifchejfen, denen die Neger der Loangoküfte und andre ausgejegt find, werden teil: 
weije auf Gelübde zurüdgeführt, welche die Eltern oft ſchon in früher Jugend für ihr Kind 
ablegen, indem fie bei demjenigen Fetiiche geloben, der die Rolle des Schußheiligen für 
das Kind übernehmen ſoll. Selbſt Ziege und Huhn, die beiden häufigiten Fleifchtiere der 
Weſtküſte, find in diefe Verbote mit eingefchloffen. Weiter jüdlich überwiegen, man möchte 
jagen, Hottentottenfitten. Die Benguela-Neger effen 5. B. alles, auch Ekelhaftes. Ähnlich 
verihmähen auch die Michanti nicht leicht eine Fleiſchſpeiſe. 

Der dburd alle Neger gehende Tieraberglaube zeigt fih aud hier in einzelnen Ge: 
bräuden wirkſam, von denen wir einige im voritehenden erwähnt haben. In Angola 
ftehen ſchwere Strafen darauf, wenn ber Erleger eines Krofodiles nicht die Gallenblaje 
an ben nächſten Häuptling abliefert, und dieſer trägt Sorge, fie mit zeriegenden Kalt: 
zuthaten an einem abgelegenen Orte vergraben zu laſſen. In Zoango hält man aud) die 
Xeopardengalle für giftig, und der Leopard gilt in Dahomey als eine Art heiliges Tier 
Dahomey: und Aihanti- Stämme nennen fid) nad) Tieren wie die Stämme der Betjchuanen. 
Wie im übrigen Afrika, jpielten auch bier die Hyänen und Schlangen unter diefen mit be: 
ftimmten Aberglaubensformen in Beziehung gejegten Tieren eine Hauptrolle. Aber dieje 
Anknüpfung an die lebendige Natur fteigt bis zu den kleinſten Tieren herab. Buchholz 
fand öfter an der Goldküfte, am Fuße der Termitenhügel, Lehmpuppen, Mann und Frau 
vorjtellend, welhe mit befondern Wurzeln, Kohlen und andern Dingen umlegt waren. 


Tieraberglaube. Religiöfe Feſte. 615 


Bei den Feten der Weftafrifaner, denen allen ein mehr oder weniger religiöfer Cha- 
rafter beiwohnt, treten zwei Geifter oder Gottheiten hervor, von denen man, wie wenig 
tief man auch in die Mythologie diefer Völker eingedrungen ift, doch wohl vermuten barf, 
daß ein gewijfer Gegenſatz zwiſchen ihnen beftehe, indem die erfte Gottheit in Verbindung 
gebracht wird mit der Fruchtbarkeit de3 Bodens, dem Säen und Pflanzen, die andre aber 
unnahbar in Wildniffen wohnt und die Toten zu fih nimmt. Jene trägt Namen wie Niengo, 
ung, die andre heißt Mungi oder Mungu. Berunglüdt jemand auf unerklärliche Weife, 
fo heißt es: „Mungi hat ihn zu fi) genommen”. Diejer geheimnisvollen Gottheit dürften 
wohl die oben erwähnten Totenfelte gelten, welche z. B. die Leute von Bonjono fo eifrig 
feiern. Aber die großen Juju oder Zauberfefte werden nur dem Niengo zu Ehren gefeiert, 
und ihr dem Leben und ber Fruchtbarkeit zugewandter Sinn ergibt ſich ganz Elar aus ber 
Art, wie man fie begeht. Alle Weiber und Kinder werden mit großem Gefchreie in bie 
Häufer gejagt und die Thüren Hinter ihnen verſchloſſen; fie dürfen ebenſowenig wie die 
jüngern Leute den Niengo fehen, ohne tödlich zu erfranfen. Nachdem darauf ein Mann 
mit langem Stabe umbhergelaufen ift, mit welchem er über jeder Thür auf das Dad) ſchlug, 
nimmt der Häuptling mit fünf andern Negern Platz auf der eingezäunten Stelle, die zum 
Juju beftimmt ift; fie figen zwifchen großen Trommeln, neben denen ein junger Bananen: 
Ihoß zum Einpflanzen, mehrere grüne Zauberfräuter und Zweige, Bananen und andre 
Früchte ſowie ein Topf mit Palmwein und ein gebundenes Huhn ſich befinden. Unter Her: 
fagen von allerlei Zauberformeln gräbt einer ein Zoch, in welchem die Kräuter und Früchte 
begraben werden. Dann trinken alle vom Palmmweine, gießen davon auf eine Stelle, in 
welche der Bananenjchoß eingepflanzt wird, und jpeien mehrmals auf diefe Stelle aus. 
Hierauf wird das Huhn vom Häuptlinge ergriffen, um die Köpfe der Anwejenden geſchwenkt 
und einem der Beiliger übergeben, der ihm den Unterfchnabel halb abreißt und das aus: 
fließende Blut auf die neugegrabene Erbe träufeln läßt, in welche ſodann rote Früchte unter 
nochmaligem Ausſpeien gejtedt werden. Der Zauber fließt unter wiederholtem Kreijen 
des Palmmeines. Einige Tage ſpäter beginnt am Abend das allgemeine Jujufeft, welches 
mit Tanz, Gejang, Geheul und Gepfeife mehrere Nächte hindurch vor drei auf hohen Stöden 
bei flammendem Feuer aufgeftellten Gögenbildern gefeiert wird. 

Ein andres, jehr farbenreiches Felt, welches den Dualla eigen zu fein fcheint, das 
Parra:Parra, befteht nur aus einer Reihe von Ringkämpfen, zu welchen eine Gemeinde 
die andre herausfordert. Geſang und Tanz fehlen bei demjelben, aber ganz ohne religiöfe 
Bedeutung fcheint es dennoch nicht zu fein, da die Kämpfer in einem bejondern, als 
„Niengo“-Koſtüm bezeichneten Aufzuge ericheinen, der fie vor jeder feindfeligen Behand: 
lung ſchützt. Derjelbe jet fi aus einem weit abjtehenden, von trodnen Palmblättern 
gemachten Gürtel und einer Frijur zufammen, welde das Haar in einen einzigen, auf: 
recht ftehenden Zopf zufammenfaßt. Die Ringtämpfe finden nad ganz beftimmten Regeln 
ftatt und werden von Kampfrichtern überwacht, die bei der leifeften Verlegung der Kampf: 
regeln hinzufpringen, um die Ringer zu trennen. Nach jedem Ringen läuft eine Schar 
junger, mit bunten Tüchern und anderm Schmude ausftaffierter Leute in die Mitte der 
Kingbahn, um den Thatbeitand feitzuftellen, und entfernt fich wieder, jobald das neue 
Ningerpaar auftritt. 

Da da3 wichtigſte Nahrungsmittel aller Völker an der nördlichen Guineafüjte die 
Namswurzel ift, jo wird ihre Ernte, welche in den Auguft fällt, mit endlofen Tänzen, Lärm 
und Gelagen gefeiert. Die Tänze find formlofe, man möchte oft jagen tierische Freuden- 
bezeigungen: jeder hüpft und fchreit für fih, und je abjcheulicher er dabei jeinen Körper 
verrenkt, defto mehr Beifall findet er; dabei liegt die Neigung zum Unzüchtigen auch hier 
wie bei allen Negertänzen immer jehr nahe. Die weiter landeinwärts wohnenden Afuapim 


616 Die Völker der weftafrilanifhen Küfte, 


feiern auch regelmäßiger al3 jene von ber Kultur angefreifenen Küftenftämme ihre alten 
Neumondfefte (Adaito), wobei nicht bloß der landesübliche Höllenlärm verführt wird, jon- 
dern aud alle Teilnehmer ſich weiße Striche ins Gefiht malen, während der Feſtführer, 
um den fich alles ſchart, eine Art Fliegenwedel ſchwingt und ein völlig weiß angejtrichenes 
Gefiht zur Schau trägt. Auch die bei diefen Völkern allgemein verbreiteten Fetifchfeite 
werden hier mit befonderm Glanze gefeiert. Das Erntefeit der Ga-Neger (Affra) trägt 
nad) andern Beobachtern einen entjchieden phalliihen Charakter. E3 treten dabei Verfleidete 
(Fischer mit Negen, Jäger und andre) auf, und die Hauptaftion ift ein bacchantiſcher Tanz 
um riefige Nahbildungen der Gejchlechtsteile, wobei Homowo als Lofung und Zauberwort 
gerufen wird. 

Bei diefen Felten treten die Geheimbünde hervor, welden eine jo große Rolle im 
Leben der Weltafrifaner zufällt. Sie hängen zufammen mit der Weihe durd weißen Kalf- 
anftrich, die wir jchon im Lundareihe gefunden haben. Nur Bundesglieder können den— 
jelben erhalten. Er iſt unentbehrlich zu religiöfen Feten, und ihm dient die Erridtung 
eigner jogenannter Alumbihütten, wie fie bei den Mpongwe gebräuchlich find. In dieſen 
Miniaturhäufern, die zwifchen oder hinter den Wohnhäufern ftehen, werden ein Paar Kiiten 
mit Kalk oder Oder aufbewahrt, mit denen fi der Befiger zum Schuge gegen Gefahren 
die Haut einreibt, jo oft er fi auf die Jagd, den Fiſchfang oder auf eine Reife begibt. 
Gewöhnlich enthalten aber die Kalkkiſten auch noch die Schädel der Vorfahren oder An: 
verwandten des Eigentümers. Se mehr fich ihre Knochenftoffe allmählich mit dem Kalfe 
vermijchen, um fo heiliger und wirfjamer wird diefer gehalten. Kommt ein Gaſt ins Haus, 
deffen Wohlwollen man gewinnen will, jo fragt der Eigentümer ein wenig Knochenerde 
von dem Schädel ab und miſcht fie unter die Nahrung, die er ihm vorjegt, in der Meinung, 
daß er ihm gemwogener werde, wenn ein Teil der Subitanz jeiner Vorfahren in ihn über: 
gehe. Als Du Ehaillu von diefem Herkommen Kenntnis erhielt, wies er die Gerichte allzu 
zärtliher Häuptlinge zurüd, von denen er befürchten mußte, daß fie ihn durch folche Liebes: 
pulver zu gewinnen tradhteten. Indeſſen iſt diefer Zauberkalk nicht Zwed, jondern Symbol. 
Die Geheimbünde werben praftijch bedeutjamer, wo fie eine Art heiliger Feme darſtellen, 
die fich die Verfolgung und Beitrafung der Verbrecher zum Ziele jegt, wie der Bund der 
Purro bei den Bei und der Ogboni bei den Egba und Aichanti. Richard Burton meint 
in einer feiner realiſtiſchen Schilderungen des Lebens in Abeofuta, daß man die „Ogboni- 
Logen” mit Unrecht als eine Art Freimaurerorden bezeichnet habe. Jeder freigeborne 
Egbabube von zehn Jahren, „der noch nadend die Straßen verziert”, könne Mitglied der 
Ogboni-Loge werden und zu höhern Graben auffteigen. In jeder Ortjchaft findet ſich ein 
Logenhaus, ein niebriges Gebäude mit einer tiefen, fchattigen Veranda und einem einzigen, 
jorgfältig verſchloſſenen Thore, welches jich jonft von den übrigen Bauten nur durch die 
Abweſenheit umherlagernder Tagediebe unterſcheidet. Durch Beiträge der Logenmitglieber, 
die man jeden fiebenten Tag erhebt, werden dieje Häufer aufgeführt und erhalten. Die von 
den Mitgliedern jelbit gewählten Logenhäupter bilden mit den Kriegshäuptlingen einen 
Reihstag, deſſen Macht ziemlich unbeſchränkt iſt. Sklaven können fich aber in ben unterjten 
Grad „einkaufen“. Während der langen „kaiſerloſen Zeiten‘ regiert diejer Reichstag un: 
umjchränft, immer. aber befaßt er fih mit der Erhebung und Berwendung der Steuern. 
Oft auch überfallen die bei den Niengo: Feiten mastiert umberftreifenden Glieder des Ordens 
die Hütten irgend eines Mißliebigen, um ihn mit heiligen Peitichen zu bearbeiten. Alle 
Mitglieder der Ogboni-Logen find zur tiefften Verfchwiegenheit verpflichtet. 

Wie ein großer Teil de3 geiftigen Lebens der Neger in dem Dickichte ihres Glaubens und 
Aberglaubens fich verläuft, und wie die bildende Kunft als Fetijchbildnerin am allermeiften 
in ihren Dienft geitellt ift, fällt auch der Muſik ein hervorragender Anteil an ihren bunten 


Geheimbünde, Mufit. 617 


Feſten zu. Beſonders bei den Mondfeften, den Erntefeften und Leichenfeſten brauchen bie Weit: 
afrifaner eine Mannigfaltigkeit von Knarren, Klappern, Trommeln „und andern Lärminſtru⸗ 
menten, für die unjre Sprache feine Namen hat“. Doch iſt die Trommel (ſ. untenftehende 
Abbildung) das Grundinftrument von allen, daher auch Signal des Häuptlinges, und die 
Weſtafrikaner ſcheinen in ihrer Bearbeitung minbeftens die Manganja zu erreichen, indem fie 
diefen einfahen Inſtrumen— 
ten eine unglaubliche Fülle 
von vielbedeutenden Tönen 
entloden. Die Camerun:Ne: 
ger können aufihrer Signal» 
trommel „Elimbe“, einem 
2 Fuß langen elliptijchen, 
ausgehöhlten Holzftüde, wel- 
ches an der jchmälern Seite 
eine rinnenförmige Offnung 
hat, jo verfchiedene Signale 
geben, daß vermittelft dieſer 
Trommel eine förmliche Art 
von Telegraphenjyitem her- 
geitellt ift. Reiſende behaup- 
ten, daß jeder einzelne Dann 
eines Dorfes durch diefelbe 
herbeigerufen werben könne, 
Außer den Holztrommeln 
find auch ſolche vorhanden, 
welche mit Fell nad der 
Analogie unfrer Trommeln 
überzogen find. Bon Saiten: 
inftrumenten find hier ſowohl 
barfenartige (ſ. Abbildun- 
gen, ©. 618) als leierartige 
vorhanden. Die Mannigfal- 
tigfeit der Töne eines jolchen 
Inſtrumentes ift natürlich 
immer beſchränkt. Allein es 
fommt darauf überhaupt we⸗ i — — — 
niger als auf die Fülle, d. h. — nn — 

den Lärm, an. Güßfeldt Trommeln: 1 von Doruba — 2 vom Gabun — 3 der Dijur (Church 

jagt richtig von der Muſik der Missionary Society, RER: Mufeum und Christy Collection, London). 

Loango:Neger: „Der Begriff — 

muſikaliſcher Inſtrumente iſt nicht ſcharf zu faſſen, weil jeder Gegenſtand, der ſich zur Erzeu— 
gung eines rhythmiſchen Geräuſches eignet, beiſpielsweiſe eine Kiſte, vom Neger unter Um— 
ſtänden zu einem muſikaliſchen Inſtrumente erhoben wird“. Indeſſen gibt es alſo doch eine 
Anzahl muſikaliſcher Inſtrumente im engern Sinne, die entweder zum ftillvergnügten Amüſe— 
ment des Einzelnen beitragen, oder zum Ausdrude der Freude, des Übermutes dienen, oder 
zu Tanzbeluftigungen, oder endlich auch zum Ausdrude einer erniten, feierlihen Stimmung. 
Das vollkommenſte der Saiteninftrumente, die Negerguitarre, heißt Sambi. Es hat fünf aus 
den Fafern von Palmblattrippen hergeftellte Saiten, die über einen Refonanzboden gefpannt 





618 Die Völker der weftafrilanifhen Küſte. 


find. Die aus Etäben beftehenden Inftrumente find die befannten Marimba und Jengo, 
welche hier mancherlei Abwandlungen erfahren. Die Stäbchen laſſen ſich über einer Leiſte, die 
auf einem Nefonanzkaften befeftigt find, hin und her ſchieben, wodurch die Tonhöhe jedes ein= 
zelnen Stäbchens veränderlich wird. 
Die Zahl der Stäbchen ift nicht 
genau firiert, fie fann von 5 bis 
über 30 fteigen. In der Regel find 
die Stäbhen aus Banza, wie man 
die Spaltitüde aus der Schale der 
Bordao: (Bambus:) Palme nennt, 
zumeilen aus Eiſen. Die Marimba 
ift das verbreitetite Inſtrument, 
klimpern fann ein jeder darauf, aber 
nur wenige fpielen e3 mit Kunit, 
und aud) infofern fönnte man es als 
ein Analogon zu unjerm einheimi- 
ſchen Klavier betrachten. Unter den 





Gine Harfe der Batalai mad Du Chaillu). Bol. Xert, &.cı. Blasinſtrumenten gibt es Pfeifen, 

aus Holz gejchnigt, ſolche, die aus 
einer runden Frucht gearbeitet find, Hörner von Büffeln, die den Ton jehr weit tragen, 
und vor allen jene befannten hohlen Elefantenzähne mit feitliher Blasöffnung an der Spige. 
Am interefjanteften aber find die fogenannten Bungis, d. h. wörtlich die Elfenbeinzähne: vier 


zu Hörnern verarbeitete Zähne verjchiedener 
Größe, welche ſtets zufammen gejpielt werden. 

Nennenswert ift dann weiter, mehr we: 
gen des Zwedes als des Effeftes, ein geringel: 
ter Stod, auf welchem eine Eleine, hohle, durch— 
löcherte Kugel (Kürbisſchale) ſchnell hin und her 
gejtrihen wird; er wird als „Fetiſchtrommel“ 
bei Prozejfionen benugt. Die als Häuptlings: 
zeichen auch bier verbreiteten Doppelgloden 
erlangen nad) dem Innern zu (Mar Buchner 
nennt fie „das charakteriſtiſche Inſtrument der 
Lunda”) künſtleriſchen Schmud von oft be 
trächtlihem Neichtume. Als Kriegsmufik der 
Angolaner bejchreibt Zopez hölzerne, mit Le: 
der überzogene Schalmeien, dann dreiedige 
eiſerne Platten, die mit Nuten gejchlagen wer: 
4 den, und endlich Pfeifen aus Elefantenzähnen 
* — mit ſeitlicher Blasöffnung. 





le == 


— — 
= — 3 


Eine Harfe der ArusNeger (Christy Collection, . z — u 
London). *ıo wirkt. Gröke. Vgl. Tert, ©. 617. Fragen wir nun nad) den geiftigen Er- 


zeugnijjen biejer Völker, jo Dürfen wir viel- 
leicht jagen, daß fie dem mit andern Negern gemeinſamen Schage an religiöfen Vorjtellungen 
eine größere Entfaltung gegeben haben als andre. Manche ihrer Mythen find von poeti- 
ſchem Snterejje, jo, wenn die Kongo:Neger die Sümpfe am untern Strome aus den Thränen 
des Gottes Ungka über die Verwüftungen der Dſchagga entitehen laffen, oder wenn andre 
erzählen, daß bei Annäherung der Dſchagga die von Caſſuto und Inquiſi erzeugten Götter 


Mufit. Geiftige Äußerungen. 619 


des Landes erjchredt in die Waffer flohen, gleich den ägyptifchen vor Typhon. Eine neuere 
Schöpfung des mythenbildenden Geiftes, die einen Blid in bie geiftige Auffaſſung des 
Negers thun läßt, teilt uns der Mijjionar Zündel von der Sklavenfüfte mit, wonach die 
Emweer den allerding3 gerade für fie als Küſtenvolk höchſt verhängnisvollen Gegenfag zwifchen 
Schwarzen und Weißen bis auf die Schöpfung des Menfchen zurüdführen. Sie erzählen 
nämlich folgendes über den Urfprung ihres eignen Volkes und die Anfänge des Menjchen- 
gefchlechtes: „ALS Gott im Anfange Himmel und Erde geihaffen hatte, da war Nodfie, 
eine jetzt noch ftehende Stadt im Oſten (diefe Stadt ſpielt eine Rolle in allen Sagen der 
Eweer, Aihanti, Dahomey: Neger und Verwandten), die Stätte, wofelbit er den Menjchen 
bildete. Er jchuf zwei Paar Menden, ein weißes und ein ſchwarzes. Nachdem Gott zuerft 
das jchwarze Paar und dann bag weiße gejchaffen hatte, ließ er einen großen und einen 
Heinen zugededten Korb vom Himmel auf die Erde hernieder. Die Menſchen erhielten 
dann die Weilung, fih in Frieden in dieſe beiden Körbe zu teilen. Das Schwarze Paar 
griff gleih nah dem großen Korbe und überließ den Heinen dem weißen Paare. Das 
jchwarze Paar fand in feinem Korbe eine Hade zum Plantagenbau, Baummolle zu Fifcher: 
negen, einen Bogen und Pfeil zur Jagd und Goldftaub zum Handel. Das weiße Paar fand 
in dem feinen nur ein Buch, aber es las fleißig darin und erlangte dadurch jo viel Weisheit, 
daß der Weiße den Schwarzen gar bald in allem übertroffen hat und viel reicher wurde ala 
er. Darüber wurde der Weiße vom Schwarzen beneidet und verfolgt. Gott aber fam dem 
Meißen zu Hilfe, ließ ein langes Seil vom Himmel herunter und leitete ihn über das große 
Waſſer hinüber.” Spricht ſich nicht hier ein gutes Stüd Selbiterfenntnis aus? 

Das einfache tägliche Leben läßt unter den Weitafrifanern viele Beweiſe von Auf: 
gewedtheit, ſelbſt Witz, rihtigem Urteile hervortreten, und feiner, der fie vorurteils- 
108 betrachtet, würbe fie unbegabt nennen. Sie haben vor allem einen rajdhen Blid für 
jeden fremdartigen Charalter, den fie in feiner ganzen Art und Wefen genau beobachten und 
richtig beurteilen, Ihr Urteil fajfen fie in einem Namen zufammen, den fie dem Fremdlinge 
geben, unter fih aber jo geheim halten, daß der Fremdling jelten feinen Charafternamen 
erfährt. Dft befommt der Fremde einen zweiten Namen, der mehr von feiner äußern Hal: 
tung, feiner Körpergeftalt, feinem Gange und feinen Gewohnheiten hergeleitet wird. Daß 
derjelbe mit Vorliebe fih an Eigenjchaften heftet, die dem Neger lächerlich erfcheinen, verfteht 
fih von jelbit bei der allen Naturvölfern und vor allem den Negern in fo hohem Grade eig: 
nen Spottſucht. Viele unter den Küjftenvölfern jprechen zwei oder drei Spracden, welche 
fie jich leicht und rajch angeeignet haben. Bemerkenswert ift auch ihre Luft an Gejang und 
Dichtung. „Durch Geſang“, jagt Zündel von den Eweern, „erfrifcht fich der müde Wan: 
derer auf feinem einfamen Pfade, Gejang belebt die gejelligen Zufammenfünfte und beflügelt 
den Tanz. Auch bei der Arbeit wird viel gefungen, und ſelbſt die Klage des Trauernden, 
das Weinen um einen geliebten Toten, bewegt fich in melodijchen Weifen. Der Gefang iſt 
mehr nur ein Necitieren und der Tert in vielen Fällen nur improvifiert. Begegnet ein Euro: 
päer einem Singluftigen, jo wird ſogleich jein Lob oder auch das Gegenteil davon befungen.” 

Dieje Aufgewedtheit, die den Trieb empfindet, ſich auf den verfchiedenften Wegen und 
durd die mannigfaltigiten Mittel mitzuteilen, prägt fih aud in der großen Menge von 
Spridwörtern, Fabeln und Rätjeln aus, über welche der Weftafrifaner verfügt. 
Der Neger zeigt fih bier tiefer und feiner, al8 jo mander von feinen Beurteilern weiß 
oder nur zugeben möchte. Er trägt fie als einen Schatz von wertvollen Lebenserfahrungen, 
von ſcharf gemünzter Weisheit im Gedächtniffe, erzählt und wiedererzählt fie den Seinigen 
an den Abenden, wo fie im traulichen Kreiſe um das Feuer boden. Hier einige Beijpiele 
von eweilchen Sprihwörtern: Eine ſchöne Stadt ift nicht ſtark. Waſſer und Feuer find 
nicht beijammen. Die Krabbe wandelt ſich nicht zum Vogel. Die eigne Hand täufcht 


620 Die Völler ber weſtafrikaniſchen Hüfte. 


niemand. Leere Hand geht nicht zu Markte. Die Baumpfrucht Fällt unter den Baum. Eine 
(ichlechte) Palmnuß verdirbt alle Palmnüffe. Der Hahn Fräht nicht in der Einöde. Kroko— 
dilkind ftirbt nicht den Waffertod. Zwei Könige figen nicht in Einer Stadt. Ein Menſch 
dient nicht zwei Menſchen. Kleid it (macht) Menſch. Geld ift Menſch. Der Wanderer ein 
Strom. Hier aud) einige Spridwörter von den Tſchi (Goldfüfte): Bäume, welche nahe bei 
einander jtehen, reiben einander. Wenn zwei Hafen in einem Gefäße liegen, fchlagen fie 
aneinander an. Das Wort ift etwas für fich; die Weisheit ijt etwas für fih. Wer einen 
Menſchen nur einmal gejehen hat, jagt nicht zu ihm: „Du bift mager”. Niemand fteigt 
vom Bette herab und jhläft auf dem Boden. Wenn jemand jagt, du jeieft fein Sklave, 
jo hat er dich bereits im Beige. Man hat zwei Ohren, aber man hört nicht zwei Worte 
auf einmal, Wenn Mund und Mund miteinander fpielen, fommt Uneinigfeit; wenn aber 
Fuß und Fuß fpielen, kommt fie nit. Man jagt Eins, ehe man Zwei jagt. Sobald ein 
Trunfenbold Ohrfeigen austeilt, fällt er. Wenn du nicht jchläfft, jo träumft du nicht. 
Auch dann, wenn das Meſſer in der Scheide ftedt, erregt fein Anblid Entjegen. Nicht 
alle Menſchen wilfen, daß, wenn der Regen fällt, fie ins Haus gehen follen. Gold ift 
ſchärfer als ein Bufchmeffer. Ein Doktor kann nicht die Medizin für einen Kranken trinken. 
Die Schlange gleicht einem Stride, und doch nimmt man fie nicht, um Sachen damit zus 
fammenzubinden. Da, wo Zank ift, bricht der Tag nicht jogleih an. 

Dem Weftafrifaner, mit dem gefunden Verftande ausgeftattet, der hier ſich kundgibt, 
würde man ein befjeres Schidfal aus feiner Berührung mit dem Europäer propbezeit 
haben. Aber bier zeigt ſich die Schwäche des Charakters. Die Neger, die an der Küſte mit 
Europäern in Berührung fommen, werben verberbt durch die vielfachen und neuen ſich dort 
bietenden Verführungen, durch die ungerechte und vor allem bie urteilsloje Behandlung, 
die fie meiftend erfahren. Aber e3 fehlte offenbar auch ihnen felbit die Fähigkeit, das 
feitzuhalten und dauernd zu maden, was fie an Bejjerm empfangen. Die einzige Kunit, 
fi einer höhern Kultur anzufchließen, ohne ihr ohnmächtig zum Opfer zu fallen, liegt in 
der eignen Arbeit. Nur diefe ift im ftande, jene zum unveräußerlihen Befigtume zu maden. 
Wo fie fehlt, wird fi immer wieder das traurige Wort Baftians von den Nachkommen 
der hriftlihen Kongo=-Könige bewähren: „Ich mußte zu meiner Enttäufhung finden, dab 
der Hauch von Zivilifation, der die Kongefen einjt angeweht haben mag, jpurlos vorüber: 
gegangen ijt und dieſelben ſchon längſt in diejelbe energieloje Gleihgültigfeit zurüdgefallen 
find, in der die dunkle Raffe allgemein ihr Leben hinbrütet“. Als die Portugiejen auf 
ihren Entdedungsfahrten im legten Drittel des 15. Jahrhunderts Schritt für Schritt die 
afrikaniſche Weſtküſte entjchleierten und dann vor dem Ende dieſes Jahrhunderts zahlreiche 
Niederlaffungen gründeten, fanden fie in den Eingebornen einfache Völfer, vom Fiſchfange, 
Jagd und Aderbaue lebend, roh und barbariſch von Sitten, deſpotiſch in ihren Regierungs— 
formen, tiefitehend nad ihren religiöfen Anfihten und Gebräuchen. Aber was auf diejer 
Stufe jo leiht jchien: einen fittlichenden Einfluß haben die Europäer als Vertreter von 
Kultur und Zivilifation erſt jpät ausgeübt. Diejen Entdedern folgten Ausbeuter in der 
Abſicht, auf eine unwürdige Weije Kapital aus dem Schwarzen Erbteile und feinen Bewoh— 
nern zu Schlagen. Die Sucht nad dem dort vorfommenden Golde und jpäter die noch loh— 
nendere Ausfuhr der ſchwarzen Ware, der Kinder bes Landes, nad den neuen Kolonien 
in Amerifa ſchufen hauptſächlich den lebhaften Verkehr mit der weitafrifanifchen Küfte. Die 
Gier nad) europäiſchem Tande, Bebürfniffen und Bequemlichkeiten wurde in den Eingebor: 
nen erwect und genährt. Europa verpflanzte eigentlich bloß die wilden Schößlinge feiner 
Kultur ins weitafrifanifche Völferleben. Das etwa vorfommende Edle mußte in diejem 
wuchernden Unfraute eriterben. Die Eingebornen erfahen zwiſchen den Sitten der Fremd— 
linge und den ihrigen feinen Unterſchied; ja, galten vielleicht nod) vorher dem Eingebornen 


Kultureinflüffe. — Die Einzelvölter. 621 


Gaftreht, Treue und Glaube als heilig, jo rotteten diejes die hriftlichen Händler durch 
ihr gegenteiliges Gebaren und Thun aus. Demnach blieb die Roheit als die dominierende 
Macht jtehen. Nur Europas blendende Schätze, wie fie Kinder erfreuen, europäiſche Ma: 
nieren, wie fie die Jungen ben Alten nachäffen, fanden willige Nahahmer, So blieb es 
auch in den darauf folgenden Jahrhunderten. In Freetown und Liberia fowie in zahl: 
reihen Miffionsftationen find Keime eines beffern Lebens angepflanzt worden, aber mu, 
da der Sflavenhandel aufgehoben ift, fommt die mafjenhafte Zufuhr des Branntweines, 
um in andrer Weife, aber mit ähnlichem Ergebniffe entfittlichend zu wirken. 


* * 
* 


Werfen wir nun einen rafhen Bid auf die Einzelvölfer, deren Art, Sitten und 
Gebräuche das Material für vorftehende Geſamtſchilderung geboten haben, fo iſt allerdings 
das, was fie zufammenbindet, zunächft das allgemein Negerhafte in körperlichem und gei- 
ftigem Wefen, in Eitte und Herlommen. Daneben ift aber vielen von ihnen als von den 
Binnenftämmen jonderndes Element die Berührung mit europäifcher, chriſtlicher Kultur 
längs der langgeftredten Küften und eine ganze Summe von daraus hervorgegangenen Ber: 
änderungen eigen. In ſich felbit find fie am meiften Durch die Sprache unterfchieden, denn 
an biejer Küfte findet die große Spradfamilie der Bantu ihre Grenze und reihen fi, vom 
Gabun nordwärts, die vielfältig verfchiedenen Negeriprahen im engern Sinne aneinander. 
Das Spradhgewirr wird im großen Gegenfage zur Spradeinheit der Bantu faft undurch— 
dringlih. In Sierra Leone, wo allerdings die Anfiebelung von freigelaffenen Sklaven 
die größtmögliche Verſchiedenheit von Völkern zufammenführt, jollen fih Angehörige von 
200 verfchiedenen Negerftämmen zufammenfinden, welche 151 verſchiedene Sprachen ſpre— 
hen. Dazu fommen nod die von den Negern in eigentümlicher Weife umgeftalteten euro= 
päiihen Spraden, die Fulbeſprache und das Arabiſche. Und dennoch gleichen fich Die 
weftafrifanifchen Neger wie Ein Volk! Sehr überzeugend zieht daher Schütt die Summe 
feiner Erfahrungen mit weftafrifaniichen Negern in dem Sate, daß, wenn aud) jeder Stamm 
jeine Eigentümlichfeiten habe, man doch, nehme man alle zufammen, Feine ausgeſprochenen 
ober jehr großen Verfchiedenheiten unter ihnen finde. Nur it e8 etwas bejchränft, den 
Grund dafür ausihließfih in der Sklaverei und Polygamie ſuchen zu wollen. Die In— 
vafionen im großen und Kleinen, die unaufhörlich von dem Innern nad) der Küfte Drängten, 
find hierin wahrjcheinlich wirfjamer. Was von ethnographiiher Mannigfaltigfeit an diejer 
Küfte vorhanden, führt immer wieder auf die zwei entgegengejegten Typen bes an bie 
Küfte gelangten, Handel treibenden, zivilifierte Unfitten und Gewohnheiten annehmenden, 
unter Umſtänden auch weißes Blut aufnehmenden (allerdings zählt das an Europäern reichite 
Gebiet der ganzen tropiſchen Weftfüfte, Angola, höchſtens ein Zehntel derjelben in feiner 
Gefamtbevölterung) Negers und desjenigen zurüd, der, kriegeriſch, räuberiſch, politifch noch 
etwas fefter organifiert, vordringt, um feinen Plaß an der verlodenden Tafel des Küftenhan: 
dels einzunehmen. Dieſes legtere Motiv ift zwar nicht das einzige, wie die ſchon vor der euro: 
päiſchen Zeit weſtwärts brängenden Invaſionen der Dſchagga im Kongolande bemeifen; es 
hat jich aber mit der Zeit zum mächtigſten entwidelt, und die jüngft mit Glüd vorgedrungenen 
Fan geitanden es unummunden zu. Es ift indefjen im Südweſten, wo die Portugiefen als 
Kolonijten feitgefiedelt find, ebenjo wie im Norden, an ber Pfefferfüfte, wo im ſchwächern 
Maße die Freigelaffenenkoldnien Liberia und Freetown ihr Gebiet nach innen zu ausbreiteten, 
diejer Bewegung ſchon früh ein Ziel geſetzt worden, jo daß ſich diefelbe in den legten Jahr: 
hunderten hauptjählid in den Ländern zwiſchen Kongo und Niger geltend gemacht hat. 

Ein altberühmtes Negerland ift das Gebiet von Bihe, das von dem der Balunda 
im Norden, der Moma im Weiten, der Gonzello im Süden und der Ganguella im Oſten 


622 Die Völker der weftafrifanifhen Küfte. 


eingeſchloſſen wird. Es ift ein gut angebautes und fruchtbares Land. Oſtlich von Cu: 
queima find ihm verjchiedene Heine Häuptlingfchaften, wie Kipembe und ähnliche, tributär, 
aber mehr dem Namen als der Sache nad. Die Bevölkerung diejes Gebietes ſcheint eine 
der gemijchteften des Innern von Afrika. Nicht nur finden wir hier Mohumbe, die im 
allgemeinen den befjern Klafjen angehören, da fie ben Herrichenden entftammen, und Mun— 
dombe, welche vor ihnen das Land bewohnten und jet die „misera plebs“ bilden, jondern 
es ift mit der Zeit das Volk von Bihe dadurch, daf hier einer der größten Mittelpunfte 
des Sflavenhandel3 war, mit Elementen aller innerafrifanifchen Völker zwijchen Kongo 
und Ngami und den beiden Ozeanen verjegt; „es find die untern Klaffen aus einer nicht 
mehr nachzuweiſenden Rafjenvermifhung hervorgegangen, während die Vornehmen ſich 
durch ihre zahllofen Liebesaffairen mit den 
Abfömmlingen der verjchiedenften Gegen- 
den Afrikas vermengt haben”. Der rege 
Handelsgeijt, die Beweglichkeit der Bevöl- 
ferung mögen aber teilweife auch dieſer 
Kreuzung zuzufchreiben fein, die jelbit in 
der Stammesjage (j. ©. 602) ihren Aus: 
drud findet. 

In dem weftlihen Teile des Küftenge- 
birges wohnen in fruchtbaren, wiejenreichen 
Thälern die Killengue, deren kleinere 
Häuptlinge die portugiefiiche Herrichaft bes 
reitwilligft anerkennen, obwohl jie, entſpre— 
hend ihren ftarf ausgeprägten räuberifchen 
Neigungen, untereinander und mit andern 
Stämmen faft beftändig im Streite liegen 
und dadurch feineswegs leicht zu regierende 
Unterthanen find. Man jchildert fie als 
Leute von hoher, fräftiger Statur und küh— 

Ein Biheo (nad Gerpa Pinto). nem, Friegerifchem Charakter, mehr Hirten 
als Aderbauer, wiewohl fie dem großenteil3 
fehr fruchtbaren Boden leicht mehr ald genügende Ernten von Mais und Maniof abge: 
winnen. Ihre Hütten find rund, aus Baumſtämmchen gebaut und mit Lehm verjchmiert. 
Die Thüren, welche hoch genug find, um einen erwadjenen Mann ungebüdt eintreten zu 
lafjen, dürften europäifhem Einfluffe zu banken fein. Ihre Dörfer find, wie alle menſch— 
lihen Wohnftätten weſtlich von den friedlihern Stämmen von Bihe, ſtark verpaliffadiert, 
weniger gegen wilde Tiere, deren diefes Land nicht viele mehr zählt, als gegen menjchliche 
Feinde. Die Killengue tragen Bogen, Pfeile, Speere und Beile, aber ihre Hauptwaffe 
ift bereit3 das Feuergewehr. Dem Branntweine, den fie teils von ber Küſte beziehen, 
teil3 jelbft bereiten, find fie jo ergeben, daß man in der drei Monate dauernden Reife: 
zeit des Gongo, aus deffen Früchten ein Branntwein gemacht wird, die ganze Bevölkerung 
faft tagtäglich betrunten findet. Ihre Häuptlinge jcheinen ziemlich uneingefchränft über 
fie zu herrſchen und wiffen fi, wie Serpa Pinto jagt, „das Leben unter ihren Unter: 
thanen fo angenehm wie möglid zu machen”. Weſtwärts jchliegen ſich kriegeriſche Völker 
mit Aderbau und wenıg Viehzucht, wie die Nono, Huambo, Moma, an. 

In dem dürren Striche zwiſchen Küfte und Küftengebirge, in welddem nur das Thal von 
Dombe Grande wie eine grüne Daſe gelegen ift, wohnt das ſtark gemiſchte und europäifierte 
Volk der Mundombe, ein unfriegeriicher Stamm, der von den Killengue der nahen Gebirge 





Biheiod. Killengue. Mundombe. Angolaner. 623 


beftändig bebrängt und beraubt wird. Es ift dies der erfte ber europäifierten Stämme, 
die längs der Küfte vom füdlichen bis faft zum nördlichen Wenbefreife wohnen. Dieſem 
ähnlich find die viel mit portugieſiſchem Blute gemifchten Angola: Neger, Ablömmlinge des 
einft unter eignen Königen unabhängigen gleichnamigen Negervolfes, welches im 16. Jahr: 





Typen don der Loangoküfle (nah Photographie von Dr. Fallkenſteinj. 


hundert ftarf genug war, um die erjten Invafionen der von Loanda aus einen regen Stlaven- 
handel treibenden Portugiefen zurüdzumeilen. So wie heute eine große ethnographiſche 
Übereinftimmung zwifden Kongo- und Angola:Negern herrſcht, jcheint damals ſchon ein 
reger Verkehr beide verbunden zu haben. Die Portugiejen geben an, daß fie vom Kongo 
nad) Angola gekommen jeien, indem fie den Kongo-Leuten folgten, welche mit Angola, dem 
ihnen früher unterworfenen Lande, Handel pflogen. Sie trieben bejonderd Sflaven- 
handel im Hafen von Loanda, und zwar war diejer Handel mit dem von St. Thomas 


624 Die Völker der weſtafrikaniſchen Käſte. 


verbunden. Da biejer Handel zunahm, fandte König Johannes von Portugal Paolo Diaz 
von Novaid nad) Loanda mit der Ermächtigung, 165 Meilen flußaufwärt® am Koanza 
auf Koften des Königs Land zu erobern, welches Diaz und feinen Nachkommen zu eigen fein 
follte. Der König von Angola hielt damals Hof in Gabazo, welches 150 Meilen vom Meere 
entfernt lag. Diaz aber ließ fi mit feinen Portugiefen in Anzelles nieder, wo der König 
von Angola alle feine Gefährten erfchlagen ließ. Dies geihah in demfelben Jahre, in 
welchem König Sebaftian in Barbaria erfchlagen ward, jagt Lopez. Diaz fammelte nun 
Kriegsmadht, fuhr mit zwei Galeonen den Koanza hinauf und machte dem Könige viele feiner 
Häuptlinge abwendig, bewog aud den König von Kongo, ihm zu Hilfe zu ziehen. Der 
König von Angola joll mit 60,000 Kämpfern ausgerüdt fein, doch blieben die Portugiefen 
Sieger. Aber au, als fie ſich durch joldhe Anftrengungen zu Herren ber Hüfte gemacht 
hatten, blieb ihre Herrichaft doch immer nur auf einige Küftenpläge und einen nicht jehr 
breiten Strih nad) innen zu beihränft. Noch in unſerm Jahrhundert war der zwiſchen 
Angola und Benguela gelegene Küftenftrih von Kiffama nicht ganz den Portugiefen unter: 
worfen, und noch in ben leßten zehn Jahren find fie an ber Binnengrenze zurüdgemwichen, 
indem fie dem Drängen der Songo, Bangala und Kiofo nachgaben. 

Als die Handelsrafje diefes Gebietes haben wir bereits die Bangala fennen gelemt 
(1. ©. 594), Leute von dreiftem, ſelbſtbewußtem Auftreten, aber nicht unhöflich. Schütt ſagt 
von ihnen: „Sch jah mand) interejlantes, troß der eingedrüdten Nafe feffelndes Geſicht unter 
ihnen, bem die leuchtenden Augen bejonders etwas Wildes gaben. Den Körper beſchmieren 
fie fih mit einem gleihmäßigen Tone von dem roten Abjube einer Farbmwurzel, der ein 
bäßliches Karmin auf den dunfeln Häuten hervorbringt.” Hußeres, Charakter und Bauftil 
diefes Volkes deuten unverkennbar auf ihre Ähnlichkeit mit Völkern von Manyema und dem 
mittlern Kongo, die dann unter dem Äquator an der Weftküfte wieberkehren. Die Hütten 
der Bangala find nicht jo unfauber gearbeitet wie bei vielen benachbarten Negerfiämmen, 
3. B. den Bondo; fie find in rechtediger Form mit Sattelda gebaut und haben 2 und 
mehr Meter Höhe. Das Baumaterial bilden Bapyrushalme. Vor die Thürlöcher werben 
Matten gelehnt, über den Thüren aber befindet fich ſtets ein ſehr niedliches Kunftwert, 
meift ein jauber mit dunkeln Zadenmuftern ausgefülltes Rohrgeflecht, das den Thürbogen 
repräjentiert, oft auch ein Brett, in welches grell rot und weiß bemalte Figuren eingefchnigt 
find. Die Thätigfeit der Bangala bejchränft fich fpeziell auf den Handel mit Salz, welches 
fie in den nahen Salinen der Hotto ac. eintaufchen und nad) dem Innern verkaufen, ferner 
auf das Berauben der Karamanen, die durch ihr Land ziehen. 

An die unmittelbaren portugiefiihen Befigungen in Angola grenzt zunächſt das Neger: 
land Songo, eine Konföderation unabhängiger Kleiner Häuptlinge. Im Norden grenzt es 
an Kaſſanſch, im Often liegt feine Grenze gegen das Land Minungo etwa drei Tagereijen 
weſtlich vom Kuango. Auch diefes Land ift berüchtigt wegen der Auffäffigfeit feiner Be- 
wohner gegen die Handelsfarawanen, welche hier zwiſchen der Küfte und Kimbundu ver: 
fehren. Die Haftbarfeit des Patrones für jeden einzelnen Neger feiner Karawane ijt bier 
ins Ertrem getrieben, und jeder Weiße, jogar jeder Portugieſe, einerlei ob weiß oder ſchwarz, 
haftet für den andern. Ließ ein weißer Reifender irgend ein Verbredhen ungefühnt, jo wird 
der ihm nachfolgende zur Nechenjchaft gezogen, auch wenn er nicht die geringfte Kenntnis 
von jenem hat. Die Maſongo kleiden ſich in Zeug, welches jedoch jpärlich bei ihnen ge 
worden iſt, da ihr Handel in Kautjchuf und Elfenbein wegen der raſch zunehmenden Aus- 
rottung der Gummibäume und Elefanten immer mehr abnimmt. Tierfelle find bei ihnen 
jelten, und von Flechtſtoffen ftellen fie nur Strohmatten her. Viele feilen die obern Vorder: 
zähne ſpitz. Ausgezeichnet ift ihr Familienzufammenhalt. Sie ſcheinen manche fonft verwijchte 
Züge beibehalten zu haben. So iſt e8 bemerkenswert, daß man die bei den Angola-Negern 


Völler am Weftrande von Lunda. 625 


angeblich fehlende Beichneidung hier wiederfindet. Das norbwärts figende tüchtige und 
unverfrorne Handelsvolt der Bangala, von welhem früher die Nede war, ift neuerdings 
auf feine Koften über ben Lui weſtwärts vorgedrungen. 

Von ihnen jüdlih wohnen die Minungo, deren Wohnfige hauptfächlich im Kuango— 
thale liegen. Sie fprechen eine von der der Songo erheblich verſchiedene Mundart (nad) 
Pogge geradezu „eine verfchiedene Sprache”), find von milderm Auftreten gegenüber den 
Reijenden, weniger räuberisch, in Sitten und Gebräuchen dem großen Stamme der Kiofo 
ähnlich, mit welchem gemijcht ein Teil diefes Stammes auch öftlih vom Kuangothale hin 
wohnt. Pogge fand noch Minungodörfer am Luhella. Der Unterjchied zwifchen beiden 
liegt mehr in der Sprade als in den Sitten. Beide find regjame, handelsthätige Völker, 
tüchtige Jäger und Bienenzüchter. Im Gegenfage zu den Songo ift die Haartracht eine 
forgfältige; fie befteht aus zahlreichen bleiftiftdiden Strähnen, die oft lodenartig bis zur 
Schulter herabhängen. Die Weiber haben hier merfwürdigerweije ganz andre Tragmethoden, 
als man bei den meilten andern Negerjftämmen findet: fie tragen Lajten in cylindrijchen 
geflochtenen Körben am Rüden, die von breitem, um die Stirn gelegtem Lebergurte gehalten 
werden; dagegen tragen fie ihre Kinder wie ein Tambour die Trommel vorn anı Leibe in 
einem Gürtel, wobei fich die Kleinen natürlich feit um den Leib der Trägerin halten müffen. 

Die Kioko befleiden fich bereit3 mehr mit Tierfellen al3 mit Zeug. Als Schmiede 
tüchtig, verftehen fie wenig vom Flechten oder Weben. Ihre Dörfer legen fie im Walde oder 
hart an demjelben an. Sie find als Ackerbauer nicht jo tüchtig wie die Songo, wie denn ihr 
Land auch viel weniger dicht bevölkert ift; dagegen find ihre entweder runden oder vier: 
edigen Hütten forgfältiger gebaut, indem den 1—2 m hohen Wänden das vorjpringende 
Dad) bejonders aufgefegt ift. Das Kiofoland ift der weſtlichſte Tributärftaat des Muata 
YJamvo; er fteht unter mehreren größern Häuptlingen (Dlona), von welchen zu Pogges 
Beit der von Kimbundu einer der mächtigſten war. Dieje erhalten Steuern von den Dorf: 
häuptern und fenden jährlich oder in größern Zwiſchenräumen ihren Tribut nah Muffumba. 
Diefes von Süden nad) Norden vordringende Volk bietet das intereffante Beiſpiel einer 
unter unfern Augen vor fich gehenden Wanderung, welche in vielleicht nicht ferner Zeit 
eine wefentliche Veränderung der Stammes: und Staatenverhältnijje in Zentralafrifa her: 
vorrufen dürfte. Mar Buchner, der mit ihnen 1880 zufammentraf, hebt hervor, daß es 
20 Jahre vorher noch Feine Kiofo nördlich) vom 10. gab. Heute jedoch reichen ihre Dörfer 
bis zum 7.° hinauf, denn biefes Volk ift in einer langfamen, aber ftetigen Wanderung 
begriffen nach „jenen jungfräulichen Gebieten jenfeit des 5.°, in denen die Eingebornen nod) 
feine Feuerwaffen bejigen und fomit Sklaven und Elefanten leichter zu erbeuten find”. 
Ein fauberes, geſchickt gebautes, aber ftets im dicht verfilzten Gehölze wohlgefhügtes Dorf 
nad dem andern entjtand, und da fie fleißig ihr Land bebauten, den faulen, gleichgültigen 
Zunda ihre Produkte verfauften, dabei aber immer höflich und unterthänig blieben, waren 
fie fogar gern gefehen und mehrten fi bald jo, daß fie eigentlich ſchon jegt die Haupt: 
bevölferung bilden. Zwei kompakte Linien, die eine, der Stamm des Mona Kiniama, dem 
Laufe des Kuillu und des Loango, die andre, der Stamm des Mona Kiffenge, dem Laufe 
des Suatſchinn folgend, durchqueren fie das Land des Muata Jamvo und drohen diejes 
von feiner Verbindung mit dem Küftenhandel abzufchneiden. Die Lunda thun weiter nichts 
dagegen, als daß fie über die Kiofo jchimpfen und von einem demnächitigen Kriege zu ihrer 
gänzlichen Ausrottung reden, die niemals ftattfinden wird. Noch ift der Name des Muata 
Jamvo gefürdtet; noch wagen fie es nicht, mit offenem Troge aufzutreten. Doc) iſt bei der 
herrihenden Spannung das Eintreten einer Katajtrophe jeden Tag möglich, und die Ethno— 
graphen werden dann eine Bölkerverfhiebung um eine Anzahl von Graden vor Augen haben, 
wie fie taufendmal in Afrifa geſchehen ift, ohne beachtet worden zu fein. 

Völfertunde. L. 40 


626 Die Völker der weſtafrikaniſchen Küfte. 


Die Kiſſama find felbft wenige Meilen jüblih von Loanda noch heute von den Por: 
tugiefen unabhängig. Buchner ebenfo wie fpäter Johnfton machten die Beobadhtung, daf 
zwiſchen Loanda und Ambriz wegen Unbotmäßigfeit der Eingebornen jchwer zu reijen fei. 

Über die Verwandtihaft der Kongo-Neger und derer von Angola waren jdhon die 
ältern Beobachter nicht im Zweifel. Es ſcheint fogar, wenigftens zeitweilig, ein Tributär- 
verhältnis des Königs von Angola gegenüber dem von Kongo ftattgefunden zu haben. 
Bon dem Verkehre beider Völker ift oben geſprochen. Den Sprachunterſchied zwiſchen Kongo: 
und Angola=Leuten vergleicht Lopez dem zwiſchen Portugiefen und Kaftiliern oder Be 
nezianern und Kalabrejen. Die Grenze des Kongoreihes nad Süden wird nicht näher 
angegeben. Die zwei Völker, die hier angenommen werden, die eigentliden Kongoaner 
und die, wie es fcheint, hauptjächlich weiter im Innern figenden Anzique oder Anzikaner, 
find heute wohl nicht mehr fo ftreng auseinander 
zu halten. Ihr Unterjchied ift jegt etwa dem Gegen: 
fage zwiſchen Bangala und Kiofo zu vergleichen. 
Die Bayanfi, die den Kongo vom Äquator bis zur 
Kuangomündung bewohnen, ein Fräftiges, intelli- 
gentes, weltläufige® Träger: und Wandervolf mit 
hoch entwidelter Thon-, Eifen- und Kupferinduitrie, 
ſcheinen unter den heutigen Kongovölfern die Träger 
des Namens der Anzique und teilmeije auch ihrer 
geſchichtlichen Stellung zu fein. Mehr noch erinnern 
aber gewiſſe Stämme, die als kriegeriſche und ge 
waltthätige den jedentären Aderbauern gegenüber: 
ftehen, an die Dſchagga. Es find wohl zu biejen 
räuberijchen und hanbelsthätigen Stämmen des un: 
tern Kongo auch die Anghie zu rechnen, nach deren 
Gebiete Brazza feiner feiner Führer vom Alima zu 
dringen wagte, da fie wegen ihres friegerifchen Sin: 

3 nes und als Veranftalter graufamer Sklavenrazzias 

en — — er von ihren Nachbarn gefürchtet find. Diefelben be: 
figen übrigens heute Feuergewehre und europäiice 
Zeuge. Derjelbe Reifende ftieß am Alima auf den Friegeriichen Stamm der Apfuru, der aus 
feinen weiter abwärts liegenden Wohnſitzen Züge flußaufwärts macht, um Maniof und 
Elfenbein gegen Pulver, Waffen und Kleidungsftüde einzutaufchen. Dieſe Apfuru traten 
der Brazzafchen Alima-Erpedition ganz ebenjo gegenüber, wie ihre Nahbarn am Kongo furz 
vorher Stanley bedrängt hatten. Sie zeigten ſich gleich diefen lüftern nah Menſchen— 
fleifh und beſaßen Feuergewehre, welche fie ganz wohl zu benugen verftanden. Bemer: 
fenswert ift, daß bei den Lunda aud die Friegerifchen Kiofo den Namen Anſchenſch (nad 
Mar Buchner) führen. 

Die Nordgrenze des Reiches Kongo zieht Lopez vom Kap Katharina oftwärts bis zum 
Zufammenfluffe des Zaire und Vumba. Senfeit diefer Linie wohnten unter dem Aqua: 
tor bis zum Kap Lupi Gonzalez die früher Brama genannten Unterthanen des Königs 
von Loango, der als Freund desjenigen von Kongo gejchildert wird und früher jogar 
ebenjo wie der von Angola dejjen Lehnsmann gemwejen fein ſoll. Dieſes Neid Loango 
aber jollte ojtwärts bis Anzicana ſich erftreden, wo der große Quellfee des Kongo gelegen, 
weitwärts ans Meer und an die Völker von Ambus grenzen. Heute liegt das Gebiet der 
Loango:Neger zwiichen 4 und 6° nördlicher Breite. Im Süden grenzen fie ſcharf gegen die 
Mufferongo des Kongo ab, aber im Norden find die Grenzen gegen die Balumbo dur 





Kongo:Neger. Batele, Fan. 627 


— 


Einwanderung und Vermiſchung der Loango verwiſcht. Eine politiſche Einheit bilden ſie 
jo wenig wie die Kongo-Neger. 

Als vordrängende, Fräftige, zugleich dur den Ruf der größten Hinterliit und Bos— 
heit bei ihren Nachbarn ausgezeichnete Völker vom Typus der alten Dſchagga erjcheinen 
weiter nördlid am Ogowe jelbit die Batefe, die an Mut tief unter den Apfuru ftehen, 
vor allen aber das merkwürdige, an oftafrifaniihen Beziehungen reiche, kriegeriſche, zu: 
jammenhaltende Volk der Fan, Pahuin oder Mpongmwe, weldes in feinem ftarfen 
Drange nad) Weiten jeit 50 Jahren bis an die Küfte gelangt ift und dort ſich mit folcher 
Schnelligkeit ausbreitet, daß es jchon heute eine Neihe von Anfiedelungen zwiſchen dem 
Gabun und Kap Lopez befigt. Lenz prophezeit ihm die Herrihaft in der Gabunregion, 





Ein Mpongwe vom Gabun und ein Kru—-Neger (nah Photographien). Bal. Tert, ©. 631. 


„Begenüber jo aktiven Charakteren‘, jagt Lenz, „Ipielen die verfchiedenen kleinen Natio: 
nen am linfen, füdlichen Ufer des Ogowe gar feine Rolle, und ſelbſt die zahlreihen und 
mächtigen Afelle oder Bakaloi, ein kriegeriſches Buſchvolk, verfchwinden den Fan gegen: 
über. Die früher diejes Ufer bewohnenden Okota, Apingi und Ofande find erjt im Laufe 
der legten Jahre auf die Inſeln des Ogowe oder das linke Ufer vertrieben worden, ver: 
ſuchen im Gefühle ihrer Ohnmacht nie, irgend welchen Widerftand zu leiften, laſſen fich 
gebuldig jelbft von ihren eignen Häuptlingen als Sklaven verfaufen und wagen es 
faum, ihre frühern Wohnfige zu betreten.” Fleuriot du Langle erhielt bei feinen 
Nahforihungen über die Herkunft der Fan die Antwort, daß fie aus dem Lande Ndua 
und vom See Tem kämen, wo bejtändige Kriege zur Wanderfchaft zwängen. Sie braud)- 
ten 5—11 Monate von dort bis zum Gabun, indem fie drei Tage marjchierten und zwei 
ruhten. Man hat fie mit den jandeh-ähnlihen Stämmen füdlich vom Tſadſee in Verbin: 
dung gebracht. Beide Völker feilen ſich die Schneidezähne jpig, beide tragen Rindenzeuge, 
färben fich den Körper mit Rotholz und verwenden große Mühe auf ihren mit vielen Zöpfen 
verjehenen Haarpug. Bei beiden Völkern bedienen ſich die Häuptlinge des Leopardenfelles 
40* 


628 Die Böller der weſtafrikaniſchen Küfte. 


als Zeichen ihres Ranges, und bei beiden ift die Grundfarbe des Körperd das nämliche 
Kaffeebraun. Bon den Gebräuden der Fan erinnern die beim Erſcheinen des erjten 
Mondvierteld üblihen Tanzfefte und nächtlihen Orgien am meiften an die Sitten der 
Njam-Njam. Ebenjo erinnert es an den von Schweinfurth fo fehr betonten weit 
offenen, entichloffenen Blid der Njam-Njam, wenn Lenz von den Fan fagt: „Ihr Blid 
hat etwas ungemein Wildes und Starres; den Ausdrud ‚jehen‘ kann man bei ihnen 
faum anwenden, fie ftarren auf den Gegenftand ihres Intereſſes. Charakteriftiih für fie 
ift auch der Ernft ihres Gefihtsausdrudes; felten lachen fie und dann meiftend nur die 
jüngern Burfhen und Mädchen.” Wer weiß, ob nicht hier zwiſchen Kongo und Ogowe 
ebenjo viele Verſchiebungen ftattgefunden haben wie im Lundalande oder am Gabun, 
und ob nicht mit den alten Reihen die Völker felbjt vergangen find? 

Von hier an zeigt fich deutlich ein Drang 
nah Weiten, db. h. vom Jnnern ans 
Meer. Alle Stämme zwiſchen dem Gabun 
und dem Katharinen:Kap, die Mpongwe, 
Drungu und Kommi, welde jämtlid die 
nämlihe Sprade reden, wohnten früber 
weiter binnenwärts. König Kengueza zeigte 
Du Ehaillu den ehemaligen Sig feines 
Volkes etwa 9 deutjche Meilen den Fer: 
nando Vaz aufwärts. Ebenſo find die 
Sichogo im Vorwärtsſchreiten gegen Weiten 
begriffen wie die andern. Auffallenderweife 
beobachtete man bei allen diefen Völkern, 
gerade wie bei Dualla und Verwandten, 
ſchon vor Ausbruch der ſchwarzen Blattern 
eine Abnahme der Bevölkerung und jelbft 
bei joldhen, die noch nie mit weißen Men: 
jhen in Berührung gefommen waren und 

den Branntwein nicht einmal dem Namen 

Ein Mpongwe-Weib (nah Du Ghaillu). nad) fannten. Die Urſachen ihrer Vermin— 

derung ſucht Du Ehaillu in dem Sklaven: 
handel, der Vielweiberei, der Unfruchtbarkeit der Frauen, der großen Sterblichkeit der Kin— 
der, den Seuchen und den vielen Hexenprozeſſen (ſ. Abbildung, S. 629). Du Chaillu 
zweifelt ſogar nicht, daß der Neger mit der Zeit völlig aus ſeinem Weltteile verſchwinden 
werde, was allerdings über die Wahrſcheinlichkeit hinausſchießt. Man bedenke die wim— 
melnde Vermehrung bei den Nilnegern! Aber Thatſache it die ſchwache Vermehrung ge 
rade dieſer Stämme, die ihre leichte Verfchiebbarfeit mit erklärt. Übrigens ſcheinen auch 
die Angola= und Lunda-Neger feine fehr ftarke Vermehrung zu kennen. 

Nördlid vom Mündungsgebiete des Camerun und dem Wohngebiete der Dualla woh— 
nen vom rechten Ufer dieſes Fluffes bis zum Fuße des Camerungebirges Leute, welde 
einem eignen Volksftamme, den Bafhwiri, angehören, der zwar mit den Dualla, den han: 
delsthätigen Camerun=Zeuten, nahe verwandt, aber doch auch in mehreren Beziehungen von 
ihnen verjchieden ift. Er ift in manden Beziehungen das Mufter eines Binnenftammes. 
An den tiefer gelegenen Streden und befonders in dem von weißen Händlern und Schiffern 
nicht jelten bejuchten Victoria lebt zwar eine jehr gemifchte Bevölkerung, weil dorthin jehr 
viele Leute aus Camerun fliehen, welche ſchweren Strafen oder gar der Gefahr entgehen 
wollen, wegen Hererei angellagt und einem der an dieſer Küfte gebräuchlichen, immer jehr 





Balhwiri. 


Gin Herenpr 


ojch in Weſtafrika (nah Du Ghaillu), 





630 Die Völker der weftafritanifgen Küſte. 


bedenflihen Gottesurteile unterworfen zu werden. Auch die Berührung mit Weißen hat 
erhebliche Änderungen erzeugt, vorzüglich in moralifcher Beziehung. Die Neger von Victoria 
werden als durch Habgier, Falfhheit und Unzuverläffigkeit fehr ſchwierige Leute gejchildert. 
R. Buchholz fand ihre weiter landeinwärts in Bonjono, am Abhange des Camerungebirges, 
wohnenden Stammesgenofjen viel bejfer. Der wie ein Erperiment lehrreiche, ſchlagende 
Gegenſatz zwifchen der Sittenverberbnis der in häufiger Berührung mit der Kultur jtehenden 
Naturvölfer und dem Charakter von legterer verhältnismäßig unberührt gebliebenen Natur: 
völfer it wohl felten auf fo engem Raume zu gewahren. Der Reifende lernte die Bakhwiri 
des Gebirges als „harmloſe, gutmütige, wohlgebildete”’ Menſchen fennen. Vor allem it 
ihnen der Diebftahl fremd, den ſelbſt die jonft durch ihre Arbeitſamkeit und Sparjamleit 
jo viel höher ftehenden Kru nur dann als ein Vergehen erachten, wenn er entdedt wird. 
Im Berhältniffe zu diefer bei Afrifanern faft unglaublihen Tugendhaftigfeit fteht ihre Be: 
dürfnislofigfeit. Ihre ganze Kleidung befteht in der Regel nur aus einem ſchmalen Streifen 
Zeug, der hinten und vorn an einer Schnur um den Leib befeitigt und zwifchen den Schenfeln 
durchgezogen ift. Ebenfo find ihre Hütten viel ſchlechter als die der Dualla oder Kru, und 
ihr Beſuch wird nicht erleichtert durch die ebenjo praftiiche wie unangenehme Einrichtung, 
daß diefelben mit geichloffenen Zäunen umgeben find, die der Befucher zu überflettern hat. 
Nicht minder ift ihre Regierung eine einfache und billige, denn Könige mit Heerbann und 
dergleichen fennen fie nicht, jondern leben patriarhalifch unter ihrem Ortsoberhaupte, dus 
für gewöhnlich feine größere Macht zu beanfpruchen jheint als irgend ein andrer Einwohner. 
Endlih find fie auch nicht jo reich an Feiten wie die üppigern Küftenbewohner. Außer den 
Berfammlungen bei Gefang, rhythmifchen Händeklatſchen und Tanz, weldhe fie ın mond: 
hellen Nächten abhalten, find für fie auffallenderweije nur jene Begräbnijje, die wir oben 
(i. ©. 174) beſchrieben, ſehr fejtlihe Gelegenheiten. 

Hier ſchließen fich die Kru-Neger an, fait der einzige Stamm der Weſtküſte Afrikas, 
welcher ſich fähig zeigt, den Anforderungen einigermaßen zu entfprechen, welche der Europäer 
an Handarbeiter, jei es in den Faktoreien, jei es auf den Schiffen, zu ftellen gewohnt ift. 
Dieje „Kru-Jungen“ verdingen ſich gewöhnlich auf 2—3 Jahre für einen Monatsjold von 
4—6 Dollars, der ihnen aber gewöhnlich in europäiſchen Waren bezahlt wird. In den 
Faftoreien pflegt man fie in Trupps von 8 bis 10 Mann einzuteilen, deren jeder einen 
dem Faktoriſten verantwortlichen Chef hat. Sie haben wenig Gefhmad an Plantagenarbeit, 
find dagegen auf den Küftenfahrern jehr wohl zu verwenden, jedenfalls beffer als irgend 
ein andrer Negerjtamm der Weſtküſte. Selten gehen fie auf weiter fahrende Schiffe, doch 
hat man fie ſowohl in Hamburg als in Liverpool gejehen. Am wertvolliten find fie indeffen 
immer dem Faktoriften, für den fie jchon darum geradezu unentbehrlid find, weil fie in 
den häufigen Streitigkeiten zwifchen ihm und den einheimifchen Negerjtämmen fait immer 
auf feiner Seite ftehen und durch perjönlicen Mut und ſeſtes Zufammenhalten unterein: 
ander jenen imponieren. Dabei find fie im allgemeinen fräftig gebaut und willig zur Arbeit. 
Den Hang zum Stehlen teilen fie allerdings mit andern Afrifanern. Aus Reinhold 
Buchholz’ Skizzen möchten wir hier einige Bemerkungen über diefe intereffante Tagelöhner- 
und Scifferbevölferung der Kru anfügen, die diefelbe unter einen allgemeinern Gefidhts: 
punft bringen. „Wenn man’, jagt er, „dieſe Zeute bei oft ſchwerer Arbeit und der denkbar 
elendeiten Koft ftetS heitern Sinnes unter Singen und Lachen ihr Werk verrichten fieht, 
jo kann man fi mit manden übeln Eigenfchaften des Negercharakters ausjühnen. Es ift 
wahr, daß fie auch träge find und zur Arbeit angehalten werden müſſen, daß fie diebiſch 
und im höchften Grade unzuverläffig und ſorglos find; das find aber fozufagen Raſſen— 
eigentümlichkeiten, für welde man ben Einzelnen nicht verantwortlid; maden fann. Da— 
gegen fann man kaum verträglichere und genügjamere Menjchen finden; Zank und Neid, 


KrusNeger. Eweer. Aſchanti. Dahomey: Neger. 631 


ohne welche die Camerun-Neger nicht ſcheinen beftehen zu können, findet man jelten unter 
ihnen. Gibt man auf einer langen Bootfahrt einem etwas Tabak oder Brot, jo wird er 
es fiher mit allen Kameraden teilen. Dieje Kameradſchaftlichkeit geht jo weit, Daß niemals 
einer den andern verrät.” Nicht die wenigft wertvolle Eigenſchaft dieſes Völkchens ift aber 
die Genügjamfeit im Eſſen, welche fie mit Reis, dann und wann einigen Filchen oder dem 
Kopfe und den Eingemweiden eines gefchladhteten Tieres vorlieb nehmen läßt. Eine nicht 
geringe Anzahl andrer Neger, die nicht genau zu der Stammesgruppe Dualla-Kru gehören, 
werden unter den wirtfchaftlichen Begriff Kru jubjumiert, weshalb man aud ihre Heimat 
furzweg als „von Monrovia bis Kap Palmas’ angegeben findet (j. Abbildung, ©. 627). 

Den weſtlichen Teil der Sklavenküſte nehmen die Eweer ein, welde in eine Anzahl 
von Unterftämmen oder Gemeinjchaften zerfallen. Sie gehören körperlich zu den beſſer aus: 
geitatteten unter den Weftafrifanern. Oftere Wafchungen halten ihren Leib rein, foweit dies 
die Sitte des täglichen Salbens mit nicht immer gerade wohlriehendem Palmöle geftattet. 
Die Kleidung ift einfach: um die Lenden wird ein Gurt gefchlungen, während über ben 
Oberkörper ein Stüd Zeug, etwa 1'/s m breit und 4m lang, jo geworfen wird, daß der 
rechte Arm und die rechte Schulter frei bleiben. Kopfbedeckung ift nicht allgemein. Einige 
tragen ſehr breitrandige, aus Schilf oder Palmſtroh felbitgeflochtene Hüte, andre binden 
fih Tafchentücher turbanartig um den Kopf. Die Wohnungen find armjelige bienentorb: 
ähnliche und mit Gras gededte Hütten, deren Grundbmauer aus Schwarzer Erde aufgebaut 
it. Nur in den Küftenorten findet man Käufer mit Fenfteröffnungen. Ebendort ftellen 
fi) wohlhabendere Eingeborne auch diefes oder jenes europäische Möbel in ihre Wohnung, 
aber in der Regel ift die Ausftattung derſelben die einfachite. Der ganze Stil des Wohnens 
und Bauens ift unzweifelhaft ein Rüdjhritt gegen das, was man weiter ſüdlich von den 
Bangala bis zu den Mpongwe fieht. 

Stammverwandt den Emweern jind die Negerreiche, welche in hiſtoriſcher Zeit in dieſen 
Küftenländern hervorgetreten find, Aihanti und Dahomey. Auch fie find Bildungen 
von typijcher Bedeutung. Beide hat man fteigen und finfen ſehen, das eine hat die Erb: 
ihajt des andern angetreten, und beide gewinnen noch ein bejonderes Intereſſe durch die 
Thatſache, daß fie in ihrer geihichtlihen Entwidelung miteinander parallel gehen. Beide 
Völfergruppen haben die Sage gemein von ihrer Heritammung aus einer im Often ober 
Nordoften gelegenen Stadt, welche bei den Ajchanti Inta oder NAifienta genannt wird, 
Wir halten die Bemühungen für vergeblid), aus unbejtimmten Angaben über die Yage 
diefer Stadt, wie fie von manchen Beobachtern diefer Völker nad deren Angaben gemadt 
worden find (öftlih von Mandingo, wejtlic von Arim, nörblid von Afani und dergleichen), 
beftimmte Schlüffe auf ihre Lage oder auch nur auf ihre Eriftenz zu ziehen. Denn in 
der Stammfage mag zwar ein gejchichtlicher Kern fein, derjelbe ift aber bis zur Unfennt: 
lichkeit verhüllt dur die Vorftellungen, denen er zum Kriftallifationspunfte gedient hat. 
Bei der Dahomeygruppe, welche dieje Stadt Nodfie nennt, fpielt diejelbe in einer großen 
Anzahl von nicht näher verwandten Sagen eine gewiſſe Rolle. Sie jagen, es ſei dort 
ein dunkler, dichter Bufchwald, der als ein großes Heiligtum gilt, „Mamwume”, d. h. Gottes: 
ftatte, zum Unterjchieve von „Drowe“, d. h. Götterftätte. Von Nodſie aus mollen die 
Emeer, genötigt durch die Tyrannei eines Königs, mit ihren zwei Nahbarftämmen, den 
Achanti und Alwanbu, ausgewandert fein. Ya, der Emweer glaubt fogar nod) weiter, daß 
Nodfie der Ort fei, von woher bei des Menſchen Geburt die Seele komme, und wohin fie 
bei deſſen Ableben wieder zurüdkehre. Nehmen wir indeffen an, wir hätten bier die Er: 
innerung an einen Urfig diefer Völker, fo ift die Überlieferung der Aſchanti bemerkenswert, 
daß fie dort mit Stämmen zufammengelebt hätten, welche nad) Tieren genannt wurden, die 
vornehmiten nad) Büffel, Wildfage, Panther und Hund. Dieſe Einteilung ift noch heute 


632 Die Neger des Niger: Benue:-Bebietes. 


üblih, wenn fie auch jede tiefere Bedeutung verloren hat. Diejelbe jcheint zwanglos auf 
ein Zufammenfließen des Aichantivolfes aus Stämmen, welche nahe bei einander ſchon an 
einem andern Orte gelebt hatten, gedeutet werden zu fünnen, Für uns hat fie das weitere 
Intereſſe einer auffallenden Annäherung an die weltweite Sitte, Stämme nad) Tieren zu 
benennen. Der gemeinfame Urfprung aber fann nur im Innern gelegen haben. Aus dem 
Innern find nämlich, jenem großen Gejege weitafrifanifcher Völferbewegungen folgend, di:je 
Stämme küſtenwäris vorgedrungen. Als Eriegeriihes und herrſchendes Volk werden Die 
Aichanti zuerft um 1700 an der Küfte genannt; vorher nit. Früher ſchon jollen die 
Akwambu aus dem Innern in ähnliher Weife erobernd vorgebrungen fein. Ebenjo werden 
auch die Fan auf binnenwärts liegende Urfige zurüdgeführt. 

Die aus befreiten Sklaven gebildeten Kolonien und Staaten Sierra Leone und 
Liberia find bei der ungewöhnlichen Buntheit ihrer aus allen Enden zufammengeführten, 
großenteils bereit3 chriftianifierten und europäilierten Bevölkerung ethnographiſch ohne ber: 
vorragendes Intereſſe. Die Bevölferung der ganzen Kolonie Eierra Leone beträgt nad) 
dem lebten Zenſus 60,000, unter diefen nur 163 jeßhafte Europäer, und jegt fih aus den 
Nachkommen der eingewanderten (befreiten) Neger und aus 14 Stämmen einheimijcher 
Schwarzen zufammen. Inter dieſen find bejonders zu nennen: die händelſüchtigen, demo: 
ralifierten Timmani, die mohammedanijchen ehrlichen und wohlhabenden Mandingo und 
die als vorzügliche Arbeiter und Matrojen berühmten Kru. Charakteriſtiſch für alle dieſe 
Neger ift ihre Abneigung gegen den Aderbau als eine nur für Sklaven geeignete Beichäf: 
tigung, eine Anihauung, die befonders von den aus nordamerifaniiher Sklaverei befreiten 
Importierten mitgebracht und bis zum heutigen Tage feitgehalten wurde troß aller An: 
jtrengungen der engliichen Regierung, zu dem für das Aufblühen der Kolonie jo wichtigen 
Landbane durch Prämien und Inſtruktion aufzumuntern. Dagegen erfreut fich der Handels: 
betrieb des Beifalles aller diefer Neger. Da aber die Produktion bei weiten nicht hinreicht, 
um fo viel Händler zu beſchäftigen, als ſich da aufthun, find die wirtſchaftlichen Verhältnifje 
diejer Kolonie ebenfo wie die Liberias unbefriedigend, und troß aller Kirhen und Schulen 
find es mit ihnen die geiftigen und fittlichen, jo daß einftweilen die „afrifanijchen Kolonien 
in Afrifa” nicht als ein voll gelungenes Erperiment bezeichnet werden fönnen. Indeſſen 
erfordert die Gerechtigfeit, hervorzuheben, daß langſame Fortichritte gemacht werden, welche 
die Möglichkeit eines ſpätern Gelingens nicht ausschließen. Speziell die Hauptitabt von 
Eierra Leone, Freetown, jcheint ſich günftig zu entwideln. 


29, Die Neger des Yiger-Benue-Gebietes. 


„Es find Neger, die wir hier vor und haben, aber Neger, welche bald 
durch ihre vorwaltend edlern Züge, bald durch ihre geſchichtliche und bultur> 
lie Bethätigung die Wirkungen fremder Einflüffe bezeugen” * „ 


Inhalt: Schwierigkeit, den verwiſchten Typus dieſer Völler einheitlich zu definieren. — Beifpiel der Muſgu. — 
Ihre Überlegenheit über die Sudaner und Fulbe. — Anklänge an die Sandbeh:Bongogruppe. — Politiſche 
Beriplitterung. — Einfluß des Islam. — Die Gefellihaft. — Die Mandingo. — Die Serrafolet und 
Bambarra, — Die Soninke. — Die Tukulör. — Die Joloffen. — Die Hauffa. 


Im Küftenlande Weftafritas haben wir zwei völferbewegende Kräfte kennen gelernt: 
die von der Küſte ins Innere dringende Kultur mit ihrer auf Förderung der Produktion und 
des Handels und damit endgültig auf Befeftigung der Küftenvölfer in ihren Sigen und auf 
Hebung ihrer Kultur gerichteten Tendenz und die von innen nad) der Küfte hindrängende 


Typus der Niger: Benue: Bevölkerung. 633 


Macht der nad Handelsbeute begierigen, rauhen, Eriegeriihen Stämme, in deren Sitten 
und vielleicht jelbjt in deren Körperbau manches an jene hellern, wahrfjcheinlich als veredelt 
zu bezeihhnenden Stämme am Weitrande des Nilbedens erinnert, welchen allerdings bie 
Berührung mit den nordifhen hamitifchen Nachbarn ebenfo verftattet ift wie manchen jener 
im zweiten Gliede jtehenden Weftafrifaner. Wenn aber dort e3 weſentlich Völker Einer 
Rafje waren, welche ung entgegentraten, fogar meift nur Eines Sprachſtammes, jo erjcheint 
der gleiche Gegenſatz hier im Norbweften bes tropiichen Afrita getragen von körperlich, 
ſprachlich und Fulturlicd weit verjchiedenen Völkern. Man erhält daher den Eindrud eines 
viel buntern ethnographiichen Bildes, ohne daß aber eine tiefe Kluft zwifchen ihm und dem 
Bilde fich zeigte, das die 
Völfer um Ogowe und 
Kongo entrollen. Denn 
ein Element, nämlich die 
jeßhaften Neger, ift beiden 
gemein. Und jene Völker, 
welche den Übergang von 
diejer zu der hellern und 
edlern Raſſe des Nordens 
und Norbmweitens machen, 
find nur wenig aus 
dem Rahmen ber Ne- 
gernatur herausge— 
treten. Weſentlich neu 
iſt aljo nur das dritte Ele: 
ment, deſſen tiefe Ber: 
jchiedenheit Flarliegt. 
Am frühften ftößt man 
im Sinterlande der Kü— 
ftenvölfer Guineas auf 
Negervölter, welche gleich: 
jam die ethnifche Unter: 
[age der jeit verhältnig: Ein Sudan:Neger (nad Photographie aus der Sammlung von Dr. Pruner:Bei). 
mäßig erft kurzer Zeit dort 
errichteten Herrſchaft hellfarbiger, auf nördlichen, vielleicht berberifchen Urjprung deutender 
Völker, der Fulbe oder Fellata und ihrer Vorgänger, bilden. Haujja, Mandingo, %o: 
loffen find hier Träger großer, wenn auch raſch vergangener geſchichtlicher Entwidelungen 
gewejen. Auch fonft fehlt dem Sudan nicht die Grundlage von Negervölfern, wie fie, aller: 
dings in reihliherm Maße, die Wahumaländer im Nilquellengebiete aufweijen. Wir ſtoßen 
auf ein mehr oder weniger negerhaftes Volk als herrihende Raſſe in Bornu und begegnen 
überall Negern, deren heidnifher Brauch und Glaube fie doppelt ſcharf von ihren 
Herren unterfheidet an oder jenfeit der Südgrenze der ſudaniſchen Mohammedanerftaaten. 
Hinfichtli ihres Außern finden wir es unmöglich, dieſe Völker unter einen einzigen 
Begriff zu bringen, indem eine große Anzahl von innern Unterjchieden in ihrem eignen 
Schoße nicht verfannt werden kann. Wir würden es aber auch für müßig halten, nad) 
einem einheitlichen Begriffe gerade hier zu juchen, wo man, wie in wenigen Teilen Afrikas, 
Völferwoge auf Völferwoge mächtig jeit Jahrhunderten ſich wälzen fieht. Hier ift nur der 
Schluß beredhtigt: je bunter das ethnographiiche Bild, defto jünger ift die Gejchichte diefer 
Bewegungen; je einheitlicher der Charakter der Bevölkerung, deſto länger ift fie fich jelbit 





634 Die Neger des Niger: Benue-Gebieted. 


überlaffen gewejen. Auch wird in der Nähe der Ausgangspunfte diefer Bewegungen die 
Miſchung am bunteften fein, jo etwa, wie wir fie im Sudan und vorzüglid; gerade hier im 
Weſtſudan fehen. Wir können in der That nur fagen: es find Neger, die wir hier 
vor uns haben, aber Neger, welche bald durch ihre vorwaltend edlern Züge, bald durch 
ihre gefchichtlihe und fulturliche Bethätigung die Wirkungen fremder Einflüfe bezeugen, 
Einflüffe, welche wir, wie nirgends in Afrika, auch hier nicht ohne körperliche Miſchung uns 
thätig denen fönnen. Ungeachtet der vielfach betonten edlern Züge der Joloffen, Mandingo 
und Genoffen werden fie doch aud von Beobachtern, welde, wie 3. B. Faidherbe, die 
Völkermifhung in diefen Gebieten nicht leugnen, als „Schwarze“ den weißen Mauren und 
roten Fellata, Pöl oder Fulbe entgegengeftellt. In diefer bunten Menge eine Klaſſifilation, 
etwa nad) dem Grade 
der Mifchung, aufzu: 
ftellen, kann heute nur 
eine hypothetiſche Be 
deutung haben. Zwei: 
fellos gibt es aud 
bier Völker von nie 
drigerm Typus. Dod) 
ift zu beachten, dab 
langer Aufenthalt im 
Eudan das Urteil 
überdie reinereNeger: 
phyfiognomie wohl zu 
verſchärfen geeignet 
ift. Wir meinen eine 
derartige Veeinfluf: 
fung 3. B. in Barths 
EN etwas dunkler Schil⸗ 
derung der Mufgu zu 
h finden. Denn nad: 
Ein Sudan:Neger (nah Photographie aus der Sammlung von Dr. Pruner:Bei). dem wir den Züden, 
Dften und Reften,d.b. 
die Nacht: oder Schattenfeiten des Erdteiles, durdhwandert, find wir mehr geneigt, das 
Hervorragen diefer Völker über den Durchſchnitt der Neger als ihr Zurücbleiben hinter 
den Sudanern zu bemerken. Nah Barth hält ſich diefes Volk viel barbariſcher als andre 
Sudanvölfer, ebenfo wie es körperlich häßlicher, jchlehter gebaut ift. Ihr hoher Vorder: 
fopf, ihre bujchigen Augenbrauen, ftruppigen Haare, ihre weit offenen Nafenlöcher, hoben 
Badenknohen und aufgeworfenen Lippen, endlich ihre ſchmutzig ſchwarze Hautfarbe, die 
unangenehm abftiht von dem glänzenden Schwarz andrer Sudan-Neger, lafjen die Muſgu 
nicht vorteilhaft erfcheinen. Von allen übrigen Bewohnern dieſes Gebietes iſt dann viel: 
leicht der Zoloffe am meijten negerhaft, etwa noch der Serer und der ungemifchte Mandingo; 
aber beide jind, wenn auch oft wild und kriegeriſch im Ausdrude, reich an jchönen Geftalten 
und edlern Phyfiognomien. Im Nordweiten darf man wohl jagen, daß die Negerzüge fid) 
nad) dem Innern zu mildern. 

Die Tracht ift im Innern noch primitiv. Ein aus Dumfafern grob gedrehter Hals 
ring, einige Heine Kupferringe im Ohre find der Hauptihmud. Die Eifen- oder Stahlringe 
der Marghi find jchon bei den Mujgu unbekannt. Im Lande der Kado, ja ſelbſt in der 
nächſten Umgebung von Bautſchi findet man bei den Armern feine andre Kleidung als eine 





Körperbau, Tradt. Hütten. 635 


Schamhülle von Baumblättern. Je mehr Handel, defto mehr Baummollitoffe, defto reich: 
lihere Kleidung. An der Küjte find Silber und Gold tief eingedrungen. Hauptwaffen find 
im Innern zweifpigige Wurfeifen, deren jeder Mann zwei in der Hand hält, und eine Lanze, 
Die Mufgu reiten ohne Sattel und follen abfihtlih eine Wunde am Nüden des Tieres 
offen halten, um einen feitern Sig zu haben, ja jelbjt, was freilich faum glaubhaft Klingt, 
ſich gelegentlid die Schenkel innen aufrigen, um ohne Sattel ſicherer zu figen. 

Das wäre aljo eine Art von Hunnen des Sudan, gleich diefen in fabelhafte 

Barbarei von der Sage getaudt. 


In mehreren Beziehungen übertreffen die Neger des Niger-Benue-Gebietes 

viele ihrer islamitiſchen Nachbarn, welche jo ſtolz auf die Heiden herabjehen: 

einmal im guten Baue ihrer Hütten und Dörfer und dann im Aderbaue, 

endlich in der jorgfältigen Bejtattung ihrer Toten. Die Wohnſtätten der Fulbe Aaunſauue 
und teilweiſe auch der Mandingo und Bambarra tragen den Stempel des No— der Margbi 
madiſchen ebenjo, wie ganz allgemein im Zentralfudan die Wohnftätten der a 
Araber hinter denen der Kanuri, Kanembu ꝛc. weit zurückſtehen. Die bejjern 
Negerdörfer bieten dagegen ein erfreuliches Bild von Behagen und ſelbſt von einem gewilfen 
Grade von Induſtrie. Feder Hof umfchließt bei den Muſgu 3—6 Hütten, je nad) der 
Zahl der Weiber des Eigentümers. Die Wände der Hütten, bei den Wohlhabendern auch 
die Umfaffung des Hofes, find aus Thon mehrere Zoll did gebaut. Die Dächer find mit 
großer Sorgfalt gededt. In der Form der Giebelung zeigen fie ſelbſt Andeutung ver: 
ſchiedener Stile, die indejfen Barth „auf eine gewiſſe Stufenfolge im Leben“ zurüdführen 
möchte. Größere Hütten und Mauern find in dem Eroberungsgebiete der Mandingo nur 
diefen, den Herren, geitattet, während die Bagumu in offenen Dörfern wohnen müſſen. 
Merkwürdig find die fegel- 

förmigen Kornbehälter, in m 

welden bie SHirjevorräte : Ri 
(vorwiegend zur Bereitung 
von Hirjebier, Dolo, ver: 
wandt) ruhen: aus Thon 
erbaut, 12—15 Fuß hoch, 
gleichen fie einem riefigen 
Kruge,dejien Mündung von 
einem kleinen Strohdade 
geihügt wird. Der Grund: SE __ 

typus der Negerhütte, cy- — ee 

lindrifhe Stroh: und Thon ⸗ — 2: 

wand mit fegelförmigem Meffingene Biernäpfe * nen Niger (Christy Collection, Londen). 
Strohdache, geht durch alle — 

Dörfer der Küſten- und Tieflandneger. Nach dem Innern zu nimmt die Dicke der Mauern, 
wie Berenger-Férand glaubt, wegen bes heftigern Oſtwindes zu. Wohl hauptſächlich 
als eine Konjequenz der herrjchenden politiihen Mißftände ift es aufzufaflen, wen auch in 
diefen Gebieten die Pfahlbehaufung wiederkehrt, die Rohlfs von der Inſel Loko im untern 
Benue beſchreibt. Dort finden ſich Pfahlbauten, welche von dem vor den Fulbe geflüchteten 
Negeritamme der Baſſa bewohnt werden. In der trodnen Zeit wohnen diefe Neger in 
Strohhütten, um beim Steigen des Stromes, welder ihre Inſel oft ganz unter Wafjer jegt, 
fih in Pfahlhütten zurüdzuziehen, in welchen fie jo lange verweilen, bis der Boden wieder 
troden geworden. 


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HLHL Tree 





636 Die Neger des Niger: BenuesGebiete2. 


Noch mehr zeichnen fich viele Neger dur) ihre Begräbnismweije aus. Während näm— 
ich die zum Islam übergetretenen Bewohner des Sudan in Bezug auf die Beitattung 
ihrer Toten überaus nachläſſig find und die Gräber nicht hinreichend gegen die wilden Tiere 


{ 


Köder und Pjeil eined Bambarra-Häuptlinges 
(Britiſches Mufeum, London). ’* wirt. Größe, 





ſchützen, jo daß die meiften Leichen in 
wenig Tagen die Beute der Hyänen 
werben, fieht man hier regelmäßige 
Grabmäler mit großen, jchön gerunde- 
ten Gewölben, auf deren Gipfel wohl 
auch eine Urne fteht, während andre 
durch ein paar quer gelegte Baum: 
ftämme oder Stangen ausgezeichnet find, 

Diefe Sitten der Muſgu und ihrer 
Verwandten erinnern in auffallender 
Weiſe an jene der hoch jtehenden hellen 
Völker der Sandeh=Bongogruppe im 
obern Nilgebiete. Indeſſen bleibt ihre 
Überlegenheit über die Nachbarn hierbei 
nicht ftehen. 9. Barth fand Düngung, 
nachdem er einen großen Teil des Su: 
dan durchmeſſen, bei Mohammedanern 
und Heiden zum erjtenmal in Logon. 
Der Pflug geht nicht über Agades hin: 
aus, aber die Haufja zerfleinern die 
Erdſchollen der Felder und häufeln fie 
in Furchen mit Haden und Spaten auf, 
als ob das Feld gepflügt wäre. Die 
Kunftfertigfeit der Afo und Baſſa, 
dunkler Neger im untern Nilgebiete, hebt 
Rohlfs gebührend hervor. Er fand bei 
ihnen die ſchönſten Matten, Trink: und 
Ehgeidirre. Die Anwohner des Logon— 
fluffes verfertigen aus dem Papyrus 
(Koroforo) ein Zeug, Gabagaba ge: 
nannt, welches wahrjcheinlich dasjelbe 
wie das von den arabiſchen Schrift: 
ftellern mit dem Namen Uorfi belegte 
it. Eine Eijeninduftrie, wie 3. B. die 


Malinke von Beleadugu fie aufweifen, 


mit 3 m hohen Schmelzöfen, die gleich: 
zeitig von einer Anzahl von Schmieden 
zu bejtimmten Zeiten in Thätigfeit ge 
jegt werden, iſt nicht oft bei Sudanern 
zu finden. Aber im allgemeinen bat 


man die wirtjchaftlihen Talente und Entwicelungen der dunfeln Völker diefes Gebietes 
hoch über diejenigen der hellen Eindringlinge, ſeien e8 Araber oder Fulbe, geftellt. Dölter 
hat diefen Gegenjaß treffend in die Formel gefaßt: Mandingo und Verwandte find die 


Karthager, Fulbe die Nömer des Weſtſudan. 


Daß einige auf niederer Stufe ftehen, die 


vielleicht nach Weiten zu finkt, it gewiß. Aber fiherlich find auch von diefen Völkern zu viele 


Begräbnis. Aderbau. Gewerbe. Schiffahrt. 637 


von den Mohammedanern als Barbaren und bejonders als Kannibalen verleumdet. Njam- 
Niam gibt e8 auch im Benue-Gebiete, und ihren übeln Ruf fand Bary ſelbſt bis zu den 
Tuareg von Air gebrungen. Am Benue fand aud Robert Flegel die Gebirgsbewohner 
(Hube genannt) der Muriberge ald Wilde und Kannibalen verfhrieen. Aber gleichzeitig 
begegnete er hier einer Bevölferungsdichtigkeit, die auf höhere Kultur deutete, als die 
Fulbe, ihre Unterwerfer, fie bringen konnten. Die Ufer des Benue oberhalb Den fand 
Flegel ungemein ftarf bevölkert. Dberhalb Umpani fand er Ortichaften von 500 Hütten 
und vielleicht Darüber. Das Südufer bot 20 km lang eine faft ununterbrochene Hüttenreihe. 

Manches Eigentümliche bietet die Gejchidlichfeit diefer Völker im Kahnbaue und der 
Schiffahrt. Die Kähne der Benue-Anwohner in der Nähe des Baffamagebietes jhildert 


ef 





_—— 


= — — > 
Thongefähe vom Niger (Briliſches Muſeum, London). 





Ed. R. Flegel als durch Brand eigentümlich verziert und am Schnabel einen Krokodils— 
rachen vorjtellend. Die Ruder find injofern eigentümlich, als fie aus einem jchaufelför: 
migen, verbreiterten, gebogenen Teile beftehen, der durch Schnigwerk oder Brand verziert 
und an der durch einen elaftiihen Steden gebildeten Ruderſtange mit Rindenbaft befeftigt 
ift. Auch der Fifchfang ift Hier hoch entwidelt und ſcheint gleichfalls eigentümliche Werk: 
zeuge zur Anwendung zu bringen. Eine von den gewöhnlichen Formen abweichende dreis 
jpigige Harpune, einem Dreizade ähnlich bis auf die mittlere, viel längere Spige, mit 8 Fuß 
langem Stiele, die wahrjcheinlich zum Fischitechen beftimmt ift, fand H. Barth in einem 
verlafjenen Mufgudorfe. Auf Schari und Logon ſchwimmen ſchon viel vollfommnere Fahr: 
zeuge. Die Boote auf dem Fluffe von Logon fand H. Barth meilt etwa 4 Fuß am Boden 
und 6 Fuß am obern Rande breit, und er jelbft befuhr den Fluß in einem Boote, das, ob- 
wohl e3 25 Fuß lang war, zu den Eleinern gehörte. Sie find in der Regel größer, aus ftarfen 
Planken vermittelft Seile zufammengefügt und durch einen mächtigen Schnabel ausgezeichnet. 
Bei der Hauptitadt von Logon jah H. Barth 40—50 derartige Schiffe den Fluß beleben. 





638 Die Neger des Niger: Benue-Gebietes. 


Politiſch iſt das Merkmal der Negervölfer diefer Negion die Zerfplitterung und 
Schwäche, während die hellern oder die, welche unter deren Einfluffe fich berangebildet 
haben, um fich greifend erobern und herrichen. Auch die Auswürflinge der legtern ſuchen ſich 
Material für ehrgeizige Pläne aus den leicht zu unterwerfenden Schwarzen zu ſchaffen. Der 
erite Zwed eines ehrgeizigen Mauren oder Fulbe ift, eine Sklavenherde von Unterworfenen 
in feine und feiner Parteigänger Dienfte zu ftellen, und dazu find Joloffen, Serrafolet, 
Muſgu und dergleichen gerade gut genug. Dies ift der Anfang großer Staaten geweſen. 
So, wie fie das Land aufteilten, nahmen dieje fühnen Unterwerfer auch defjen Bevölkerung 
mit unter ihr Zepter. Man hat gefagt, im Weſtſudan fei jeder einzeln einwandernde Fulbe 
der Keim künftiger Herrichaft über feine dunklere Umgebung. Anfangs demütig, ja verachtet, 
hebt er das Haupt, jobald er fich einiger Genofjen fiher weiß, und ihre Vermehrung it an 
jedem Orte ebenfo ficher wie ihr Zuſammenhalt. Nur die Heinen Bruchteile, die in die un: 
zugänglichen Naturfeften fich zurüdziehen, bleiben von diefem 
Prozeffe der Auflöjung verfhont, und nur in Reiten laſſen 
die kleinen Negerftaaten des Weſtens fräftigere politiiche Glie— 
derungen erfennen. Bei den Joloffen ift die Regierung, an 
deren Spige in Cayor und Ualo ein König, dort Damel, 
bier Braf genannt, fteht, ſchwach. Die Macht iſt bei den 
Häuptlingen, die oft mehrere, öfter8 nur ein Dorf beberr: 
fchen, und der König übt feine Oberherrichaft nur in Aus: 
nabmefällen aus. Die Könige werden durch die Häuptlinge 
aus einer bejtimmten Familie gewählt. Bei der Krönung 
überreicht einer der erften Häuptlinge dem Damel einen Topf, 
der angeblich die Samen aller im Lande wachſenden Pflanzen 
enthält, und jegt ihm einen von Damel zu Damel vererbten 
Turban auf, der mit allen möglihen Amuletten geſchmückt 
iſt. Ehe der König darauf feine Regierung antritt, zieht er 
fih acht Tage in die Einſamkeit eines heiligen Haines zurüd. 
Der Braf wurde ähnlich gekrönt, vorher aber mußte er in 

Thongefäh vom Niger einem bejtimmten Fluſſe einen Fiih fangen, worauf er mit 

(Britifhes Mufeum, London). einem Weibe, das er aus feinem ganzen Volke wählen durfte, 
in die achttägige Einſamkeit gejandt wurde. 

Die Völker, welche bier herrſchen und ihre Herrihaft auszudehnen ſuchen, find Isla— 
miten. Von Nord nah Süd nimmt der Islam zu. Ausgejprodhene Mohammedaner find 
aber in der Regel nur die Bewohner der Städte und die aus Norden herwandernden Fulbe 
und Mandingo; bei ihnen ift auch Kenntnis des Arabiichen häufig zu finden. Rohlfs 
Ihägt in dem Lande zwiſchen Benue und Niger die Mohammedaner nur zu einem Drittel der 
Bevölkerung. In eriter Linie ift der Islam für fie Motiv und Mittel der Invaſionen und 
Kriege gegen die Heiden, wobei Bekehrung und Unterwerfung gleichlautend find. Much den 
Untermworfenen ericheint er bald als Mittel, Macht zu gewinnen. Die asketifchiten und in- 
toleranteiten Neger find immer auch die herrichjüchtigiten. Aber daß der Islam fittigend 
wirkt, wobei allerdings der ernite Charakter jeiner Hauptträger, der Fulbe, mit in Anjchlag 
zu bringen, ift unzweifelhaft. Der Islam zerftört ficherlid mandes Unfraut auf diejem 
Völferfelde. Da und dort geht dafür etwas Beſſeres auf. Es gilt dies vor allem von der 
Ausrottung des oft jo unfinnigen Fetiihglaubens. Am bezeichnendften ift, daß der Fetiſchör 
der Goldküfte in Senegambien zum Griot, d. h. Spaßmacher, Bänkelſänger, Tajchenipieler 
und Kurpfuſcher, wird. Freilich wächlt dafür der Einfluß der mohammedanijchen Heiligen um 
jo höher, und zahlreiche Betrüger benugen den Glauben und Aberglauben des Volkes, um 





—— — — 


Bolitifche Zerfplitterung. Religion. 639 


fich zu bereichern oder wenigſtens Genüſſe zu verfchaffen. Schwer ift e8 daher auch, in den 
Sitten und Gebräuchen diefer Völfer das ficherlich ftark vertretene mohammedaniſche Ele: 
ment auszufceiden, welches in ihren Sagen und Sprichwörtern beſonders deutlich ſich aus: 
prägt; leichter, die negerhaften Züge hervorzuheben, welche geblieben find. Das Opfer eines 
Rindes auf dem Grabe der Joloffen, die Erlaubnis, die bei diefem Wolfe jeder hat, vor der 
Leiche jede Wahrheit über den Berftorbenen auszufprecdhen, der troß der gefunfenen Stellung 
der Griot3 fortdauernde, tief wurzelnde Zauberglaube gehören zu den legtern. 

In Bezug auf äußere Kultur vermag der Islam weniger zu beſſern, denn dieſe Völker 
haben großenteils eine hohe Stufe gerade hierin erreicht. Er verändert das Leben der Neger 
in Äußerlichkeiten, die oft am wenigften angebradt find. Baftian fagt einmal, er habe den 





GSeſchnitztes Holzgefäh mit Dedel aus Guinea (Britifhes Mufeum, London). ’ wirll. Größe. 


wiberlichften Schmuß bei den Negern Senegambiens gefunden, die Durch den Einfluß moham— 
medanijcher Sitte ſich mit ſchweren Kaftanen beladen und oft ihr ganzes Eigentum in diefen 
auf dem Leibe tragen. Solche Außerlichkeiten find ſchon weit ſüdwärts gewandert. Selbit 
den Gejandten des Häuptlinges von Baffama am Benue jchildert Flegel als halb moham: 
medaniſch fich tragend. Ihm fiel vorzüglich das kurze, rund endende Schwert auf, das, 
durch Lederwerk oder Duaften verziert, am Ledergürtel um die Hüfte getragen ward. Das 
eijerne Zängelchen im Lederfutteral, Tihadde genannt (zum Dornausziehen), fehlte nie daran. 

Eins vermag indeffen der Islam nicht zu bringen: die Milde, die Humanität. Dies 
bleibt dem Chrijtentume vorbehalten. Die mohammedaniſche Haufjaftadt Wurno machte 
auf Mateucci den gleichen Eindrud, den etwa das heidniſche Abeofuta maden konnte: 
„Bir begaben uns dorthin”, jchreibt er, „und nachdem wir uns an dem überrafchenden 
Scaujpiele des immer gut bebauten, immer fruchtbaren, überall ſchönen Landes erfreut 
hatten, waren wir beim Betreten der Stadt durch den Anblid einer Menge vor den Thoren 
zerjtreut liegender Menſchenknochen höchſt unangenehm berührt; 400 Gefangene, vor jedem 
der Thore 100, waren an einem Tage getötet und ihre Leichname den Geiern, den Naben 
und Hyänen zum Fraße hingeworfen worden.” 

Merkwürdiger: und bezeichnenderweife ift e3 das dem Aberglauben entgegenfom: 
mende Element des mohammedaniſchen Glaubens, das fi) am rafcheften verbreitet hat. Die 


640 Die Neger bed Niger-Benue»Gebietes, 


Eingebornen am obern Benue, in der Gegend von Djen und Dulti, welche allerdings noch 
unter der Verwaltung eines Fulbe-Gouverneurs in Muri ftehen, find faft unberührte Wilde. 
Robert Flegel führt an, daß fie um bie Lenden ein Stüd Fell oder Zeug tragen, da fie 
bewaffnet find mit Speer und Dolchmeſſer, welch letteres fie in Scheide und an Lederriemen 
um den Unterarm tragen, daß man in ihren Händen auch zweis bis dreigeißelige Peitichen 
aus der Haut des Aju (Manati) jieht, deren Stiel mit Krofobilshaut überzogen ift (j. Ab: 
bildung, ©. 141). Frauen und Kinder gehen oft völlig nadt. Da Perlen jelten find, 
tragen fie wohl ein fingerbreites Strohgeflecht, gelb und rot, bald um die Lenden, bald am 
Dberarme. Von andern Schmudjakhen bemerft man Haarnabeln und Armringe aus Eijen 
oder Elfenbein, Lederſchnüre mit Pantherflauen, als Amulette Antilopenhörnden, Eleine 








— — — — — use 
— — — — — - — — = TR 
— — ——— — —— — — — 


Geſchnitzte Holzftühle (Muſeum für Völlerlunde, Berlin), 16 wirll. Größe 











Beutelchen mit Moſchus. Und bei dieſen Leuten findet man doch ſchon Ledertäſchchen mit 
Koranſprüchen, die ſie einträchtig mit den Zauberhörnchen um den Hals tragen. Übrigens 
ſind auch bei den chriſtlichen Joloffen die Fetiſche, Grigri genannt, ſehr häufig, ſei es als 
Halsgehänge, Armbänder oder Fußringe, Koranverſe, Haifiſch- oder Schakalzähne, Knochen 
oder Holz. In der Regel werden fie in einer Metallkapſel getragen. 

An den mit Europäern und Arabern in Berührung gekommenen Soloffen, die von 
beiden manches Fremde angenommen, kann man jehen, wie verjdhieden dieſe und jene auf 
fie wirken. Die hriftlihen wohnen hauptſächlich in Gorde und St. Louis, find Handwerker 
und Kaufleute, als jolche nicht jelten jehr geſchickt und dadurch von Wert für den Europäer. 
Sie Heiden ſich in der befannten entweder kindiſch-koketten oder nachläſſigen Weiſe euro: 
päilh. Die Mohammedaner widmen fi ähnlichen Arbeiten wie die Chrijten, es zeigt ſich 
aber bei ihnen, wieviel mehr die arabiſche Kultur fi dem Geſchmacke und den Bedürfnijfen 
des Negers anpaßt. Derjelbe amalgamiert fich viel inniger mit arabiſcher Tracht und Sitte 
al3 mit europäijcher und, wenigitens äußerlich, mit bejjerm Erfolge. Die arabijche Kleidung 
wird von den Frauen jowohl der riftlihen al8 mohammedaniſchen Zoloffen getragen. 

Die Geſellſchaft teilt ſich bei allen diefen Völkern in Familien, aus denen Fürften ge: 
wählt werben, Häuptlinge, Gemeine und Sklaven. Was die Sklaverei betrifft, jo ift dieſe 
jo tief eingewurzelt, daß noch heute, da doch die Sklaverei bald 40 Jahre aufgehoben ift, 
Neger in St. Louis, Gorde ıc. fih für Sklaven halten. Eine große Rolle jpielen bei den 
Joloffen die Sklaven des Königs, welche Soldaten und zugleich Steuererheber, in Wirklichkeit 


Einfluß des Islam. Die Gejellichaft. 641 


oft nichts mehr al3 Naubritter, ins Joloffiſche überjegt, find. Es ift der Unterfchied zwi- 
jhen Feld: und Hausſklave, legterer Freund und Vertrauter, jener Laſt- und Arbeitstier, 
der auch hier fich wiederholt. Die Behandlung der Sklaven ift im allgemeinen am ſchlech— 
teften bei den höher ftehenden (Fulbe, Mauren), am beften bei den niedrigern Völfern dieſer 
Länder. Die Thätigkeit des Vaters vererbt ſich in der Negel auf die Söhne, wodurch eine 


Ri F 


Ein Joloffe (nad einer Geſichtsmaste im Jardin des plantes, Paris). 





Kaſteneinteilung entjteht, ohne daß diejelbe gerade ſcharf durch ein Geſetz beftimmt wäre. 
Streng erblid find die einflußreihen, wiewohl verachteten Griots, d. h. Bänfelfänger, pro: 
fejfionelle Schmeichler 2c. Ähnlich ſcharf abgejondert find auch die Schmiede, welche gleich: 
falls eine Kafte für ſich bilden, wiewohl die verjchiedenften Elemente der Bevölkerung in 
ihr vertreten find. Ob ein Schmied Maure oder Fulbe, Mandingo oder Soloffe jei, dem 


außer der Kaſte Stehenden wird es nie einfallen, die Tochter eines ſolchen zu heiraten, 
Völkerkunde. I, 41 


A il 


(} 4 


0 


Die Neger des Niger-Benue-Gebietes. 





Umbutudi, von Negern und Fulbe bewohntes Dorf in Adamaug (nach Heinrich Barth). 


Kulturunterſchiede. Mandingo. 645 


Mancherorts ift der Schmied, wichtig als Inftandhalter der Gewehre und fonftigen Waffen, 
Vertrauter des Häuptlinges, aber doch nur in derjelben Art wie der Griot. Eine ebenjo 
eigentümliche Stellung nehmen die Zaobe ein, eine Art von Zigeunern, den Fulbe ähnelnd, 
die nomadiſch, anjcheinend ſogar ohne alle politifche Drganijation, umherwandern und haupt: 
Jächlich Arbeiten aus hartem Holze verfertigen. Eine Kafte bilden aud) die Djula, reijende 
Kaufleute, fäljchlich für ein befonderes Volk gehalten, die überall freien Pa haben, was 
al3 ein Zeichen der Wichtigkeit, die man dem Handel beilegt, bejonders hervorzuheben 
ift. Leider bereiten anderjeits die einheimiſchen Handelsleute in Eurzfichtiger Eiferfucht viel: 
fach den Europäern Schwierigkeiten und nicht am menigiten in wichtigen Gebieten, wie im 
Niger: Delta, wo die jogenannten Braßhändler diefe Rolle „mit Beihmwörungen, Lügen, 
Geſchenken an Rum, Waffen und 
Pulver” übernehmen. 


Die verjchiedenen Stufen der 
Kulturentwidelung in diefen Län- 
dern zeichnet Rohlfs mit folgen: 
den Worten in feiner Gejamt: 
ſchilderung des Landes zwijchen 
Benue und Niger: „In intellek: 
tueller Beziehung find die Haufja= 
völfer jedenfall3 allen andern 
voraus, und ihre Sprache ift denn 
auch in dem Lande zwijchen Be: 
nue und Niger die herrichende 
geworden. Die Nyfeleute find 
zwar funftfertiger in der Herſtel— 
lung von Zeugen, Kleidungs— 
ftüden, Stidereien, ja ſelbſt Glas- 
arbeiten; man muß aber in 
Betracht ziehen, daß ihnen dieſe 
Fertigkeiten mittels der Yarriba- 
völfer von ber Küfte her zuge: Ein Neger aus Beni-Meslem (nah Photographie aus der 
bradt wurden, während das Sammlung von Dr. Pruners Bei), 

Hauſſavolk fih mehr aus fi 

jelbft herausbildete. Bon allen das ungebildetfte Volf waren die Fulbe; jedoch mit guten 
Anlagen und eifernem Willen begabt, nahmen fie jchnell alles von den ihnen unterwor: 
fenen Völkern an, und mandmal vervolllommten fie die ihnen befannt gewordenen Künite. 
Da aber, wo fie bei ihrer Urbejhäftigung, der Viehzucht, blieben, find die Fulbe noch heute, 
was fie vor Jahren waren, und jelbjt in diefer primitiven Beſchäftigung ftehen fie andern 
Völkern weit nah. Wenn die Fulbe 5. B. auch Butter zu bereiten verftehen, jo willen fie 
doch nichts von der Käfebereitung.” 

Den Fulbe am nächſten als Eroberer und Neichegründer ftehen die heute längjt ge= 
ftürzten und zertrümmerten Mandingo, die man al3 die eigentlihe Kulturnation diefer 
Gebiete bezeichnet. Vor dem ftarfen Hervortreten der Fulbe waren die Mandingo das große 
geſchichtliche Volk Nordweftafritas. Sie find ein Negerftamm, dem eigne Sage und begrün= 
dete Vermutung Urfige im Innern zuweiſen. Spätere Sige ſcheinen fie an der Weſt- und 
Nordweitjeite von Futa Djallon eingenommen und von hier ſich weit: und nordwärts aus: 


gebreitet zu haben. Die vorwaltende Farbe ift dunkelbraun, die Gefichtsbildung bald mehr, 
4l* 





644 Die Neger des Niger: Benue:Gebietes. 


bald weniger negerartig, aber niemals jo jehr der kaukaſiſchen genähert wie diejenige der 
Fulbe. Oft iſt die Häufigkeit edlerer Züge, wenn aud mit vorwiegend rauhem, oft ge: 
radezu wilden Ausbrude, befonders der Adlernajen, und überhaupt die Milderung der 
Negereigentümlichfeiten hervorgehoben worden. Man verjteht diefe Veredelung, wenn man 
aus der Gejchichte dieſes Stammes die frühe Belehrung großer Teile desjelben zum Islam 
und feine häufigen friedlichen und Friegerifchen Beziehungen zu Arabern und Berbern ins 
Auge faßt. Arabiſche Nachrichten laſſen uns glauben, daß ſchon im 12. Jahrhundert ein 
Teil diejes Volkes fih dem Islam zugewandt hatte und als erobernde Macht im Dften 
von Ghanata auftrat, wo er das große Reich von Melle im Anfange des 13. Jahrhunderts 
gründete, welches 100 Jahre jpäter die Höhe jeiner Macht erreicht hatte, als es Ghanata, 
Timbuktu und Sonrhay umfaßte. Man kennt nicht Genaues über jeine Grenzen, darf 
aber annehmen, 
daß der Kern ſei— 
ner Macht ſüdlich 
von der Nigerbie- 
gung gelegen ha— 
be, und vielleicht 
reichte eg am Gam⸗ 
bia bis zum Meere. 
Mandingo bilden 
wahrſcheinlich den 
Grundftod der 
fapverdiichen Bes 
völferung. Am 
Beginne des 15. 
Jahrhunderts ging 
Timbuktu an die 
Tuareg verloren, 
aber noch in der 
Mitte desſelben 
Jahrhunderts war 
* dieſes Reich Melle 
Ein Neger aus Beni ech aus der Sammlung don dus größte und 
mächtigſte in Weft- 
afrifa, um freilich bald darauf durch das rajche Auffteigen Sonrhays in den Hintergrund 
gedrängt zu werden. Auch in diefem fpielten die Mandingo eine bedeutende, wenn auch 
keineswegs herrſchende Rolle, nicht am wenigſten durch ihre fortfchreitende Islamiſierung, 
die heute ſo gut wie vollendet iſt. 

Dan hat Grund, anzunehmen, daß in dieſem Reiche eine kräftigere, erfolgreichere, viel— 
leiht auch edlere Raſſe (Melle bedeutet nah Barth „frei, edel’) über eine unterworfene 
geherrſcht habe, unter welcher wahrſcheinlich die Serrafolet oder Soninke zu verftehen find, 
die wohl zu einer Zeit, ähnlich wie jpäter ihre Beherrſcher, deren Name, in ähnlicher Form 
abgeändert, Malinke geſprochen wird, eine hervorragendere Stellung in diefen Gegenden 
einnahmen. Die Traditionen der Bambarra erzählen, wie fie, von einem Punkte öftlich von 
Segu beftändig nad) Weften vordringend, überall Serrafolet im Befige der Herrichaft fanden, 
und Faidherbe glaubt in ihnen ein jeit Jahrtaufenden vor den von Norden vordringenden 
DBerbern gegen Süden zurücweichendes Volk zu fehen. Ja, es ift jogar die Hypotheſe auf: 
geitellt worden, daß fie in derjelben Weije die Urbewohner der Hodländer des Weftfudan 





Soninke. Tufulör, 645 


daritellten, wie in den Joloffen und Genofjen diejenigen der Tiefländer gejehen werden. 
Körperliche Unterſchiede zwiſchen beiden find nicht beftimmt nachzuweiſen, ebenſowenig wie 
zwijchen jenen eigentlihen Mandingo und den vielfah im Gegenjage zu ihnen ftehenden 
Bambarra (die fich jelbit Bamana nennen), deren Unterfchied nur in einer frühern oder 
Ipätern Belehrung zum Islam und in geringen dialeftiichen Sprahabweihungen liegt. Nach 
Caillie wären die Bambarra höchſtens nody gemifchter al3 die Mandingo. Heute trägt 
die Erpanfion der Mandingo einen friedlihern Charakter, denn zufammen mit den Serra: 
folet jind fie die Hauptvermittler des Handels im Nordweitjudan. Bon Timbuktu bis 
Sierra Leone, Groß-Baſſam und an den Golf von Benin gehen ihre Karawanen, während 
die Serrafolet mehr dem 
Heinen Handel obliegen. 
Auch find fie nach Able: 
gung ihres Friegerijchen 
und damit zufammenhäns 
gend räuberiichen Charaf: 
ters mit die beiten Ader: 
bauer ihrer Gebiete ges 
worden. 

Die Soninfe, welde 
wir eben erwähnten, find 
ſchon durd) ihre eigentüms 
liche Verbreitung in wenig 
zahlreichen, aber ſelbſtän— 
digen, ja nicht jelten über 
ihren Nachbarn jich hal: 
tenden Gruppen von 100 
bis 300 Berjonen merk: 
würdig, die in verjchiede: 
nen Ländern des Weit: 
judan leben. Von Bafel 
und Medina fann man fie 
nordöjtlic) bis Bakuna, öſt⸗ 
lich bis Fadugu und Segu, 
ſüdlich bis zum Stajamanfa Ein Neger aus Romialis (nad Photographie aus der Sammlung von 
und Gambia verfolgen. Dr. PrunersBei). 

Berenger jildert fie 
als heller, Heiner und jchlanfer wie die Mandingo, Joloffen oder Bambarra. Diejes Volt 
widmet ſich mit Vorliebe dem Aderbaue, ift von weichem, nachgiebigem Charakter, jo daf 
es fi den Sitten des Volkes anbequemt, in deſſen Mitte es in der Minderheit lebt. So 
find denn auch ihre politiichen Formen verjchieden, je nachdem ihre Nachbarn fie bejtimmen. 
In Segu, Mafjena, Kaarta find fie den Fulbe, Mandingo, Bambarra ꝛc. unterthan, amt 
Gambia ijt jedes ihrer Dörfer unabhängig unter einem Häuptlinge, in Kaſſo bilden fie 
eine Art republifaniihen Staatenbundes, in Guadiaga regiert fie ein erblicher Fürft. 
Aus Miihung von Holoffen, Mandingo und Fulbe hervorgegangen, verdienen die 
Tufulör nit nur wegen ihrer politiih einflußreihen Stellung, ſondern aud als 
Beilpiel der Wirkungen einer Raffenvermiihung, wie jie wohl den Herrihervölfern diejes 
Gebietes einst allgemein zu Grunde gelegen hat, unjre volle Beahtung. Im Lande Futa— 
Toro am Senegal ging aus der Mifhung der nomadiichen Fulbe, die nad) Faidherbes 





646 Die Neger des Niger: Benue:Gebietes, 


Ausdrude unvermijcht die zur Gründung großer politiicher Genoſſenſchaften nötigen Gaben 
nicht zu befigen ſchienen, mit den anfäjligen Negern, die von jenen bejiegt worden, das 
neue Volk hervor, eine Bajtardrafje von praftiiherm Sinne, Disziplin, größerer Musfel- 
kraft und Liebe zum Ackerbaue. Es fehlte nur noch der Anſtoß zu großer ausmärtiger 
Bethätigung, den zwei Jahrhunderte jpäter der Energie und Fanatismus einflößende Islam 
erteilte, um fie zu den Gründern großer Reiche zu machen, die fie feitdem geworden. Es 
erwuchs die Theofratie der Torodo aus ihnen, welde im 18. Jahrhundert ihre Herridaft 
über das Senegalbeden ausdehnte und aus ihrer Mitte den Gründer des großen Fulbe— 
reiches zwiſchen Niger und Tjadjee, den berühmten Othman Dar:Fodie, hervorgehen ließ, 
ebenjo wie die friegeriihen Sendboten, welche die Reihe von Haufja, Maſſina und Futa 
Diallon gründeten. 
Noch in den fünfzi- 
ger Jahren ging von 
bier im Gefolge eines 
von dem Torodo⸗Ma⸗ 
rabu ElHadjhiOmar 
gepredigten heiligen 
Krieged die Grün: 
dung bes bie ältern 
Bambarrareihe von 
Segu und Kaarta in 
ſich fallenden weſtli— 
chen Fulbereiches aus. 
Wie blutig es dabei 
herging, lehren uns 
die Berichte von Mage 
und Quintin, die 1861 
bei einem Aufſtande 
| in Sequ 3500 Bam: 
9 | barra töten und 3000 
— Bambarraweiber in 
— die Sklaverei gehen 
ſahen. Man hat in 
Ein Neger aus Romialis (nad Photographie aus der Sammlung von Dr. Pruner-Bei). den Soninke oder 
Serrafolet „ſchwarze 
Tukulör“ jehen wollen, jo wie man die eben geſchilderten Torodo als „rote Tukulör“ be: 
zeichnet hat; aber wohl mit Necht hat man eingewandt, daß eine Mifchraffe nicht den ein- 
heitlihen Typus aufweijen würde, der den Soninfe eigen ijt. 

Am Weftrande Afrifas, nah Süden gehend, begegnet man den erjten Schwarzen in 
den Joloffen (Dſcholoffen, Woloffen) jüblih vom Senegal. Bor etwa 100 Jahren 
jagen fie noch auf dem rechten Ufer diejes Fluffes, und ihren Überlieferungen nad) dehnten 
fie fi einft noch weiter aus. Ihre einftige Nordgrenze glaubt Faidherbe in einem Neben: 
fluſſe des Draa in jener „roten Ebene“ zu finden, von welcher Ptolemäos als die Berber 
und Äthiopier trennend jpriht. Danach würden die Schwarzen einft über Kap Bojador 
hinausgereiht haben. Sie find vor allem die ftändigen Bewohner in den ſchon früh von 
Europäern bejegten Yändern Walo und Kayor, wo heute auch die Zentren der franzöfijchen 
Koloniſation diefes Gebietes, Gorde und St. Louis, fi finden. Sie find, wenn aud) 
von außen hereingefommen, jedenfalls ſeit der kurzen Zeit, daß fie in hiftorifches Licht 





Joloffen. Politiſcher Mythus. Hauffa, 647 


getreten find, die ältejten Bewohner diefer Gegenden. Schon 1446 trafen die Portugiefen 
mit ihnen bier zufammen. Auch ihre verhältnismäßig feiten Grenzen deuten darauf bin: 
der Atlantifche Ozean im Weiten, die Saharavölter im Norden, die Völker des Gambia: 
gebietes (Mandingo, Sererer und andre) im Süden, die Torodo im Often. Daß die Sprade 
von Bambuk Foloffenwörter enthält, weiſt auf einitige weiter nach Weften reichende Aus: 
breitung. Ebenſo foll ehedem das Land Futa den Joloffen unterworfen geweſen fein. Auch 
die Sagen, die fie jelbjt über ihre Vergangenheit erzählen, machen es glaublic, daß fie 
mindejtens länger hier figen, als ihr eignes Gedenken reiht. Sie jagen, daß ihr heutiges 
Gebiet vorzeiten mit Nachbargebieten zuſammen ein Land unabhängiger Stämme gebildet 
habe, d. h. daf jedes Dorf für ſich 
gejtanden und fein Häuptling im 

Lande geherriht habe. Da jei 

einft bei einem Streite zwiſchen 
verichiedenen Dörfern über einen 

Haufen Holz, den alle zu haben 
wünſchten, oder, wie andre jagen, 

über die Fiſche eines Fiſchzuges 

ein Greis aus dem Fluffe geitiegen 

und habe das Streitobjeft jo ge: 

recht verteilt, daß jeder Zwiſt be- 

endigt geweſen jei. Der Greis ver: 

jhwand aber jogleich wieder zum 
Leidweſen der Neger, die gern nod) 

weiter von jeiner Weisheit Gewinn 

gezogen haben würden, und e3 ge: 

lang jenen nur durch Täuſchung, 

indem fie einen Streit fingierten, 5 
feiner habhaft zu werden, Gie 
mußten ihn, indem ber Neger bald 
über das Gejpenit den Sieg da: 
vontrug, durd Weiber, Tabak und 
warmen Kusfus zu fejleln, er blieb 
Re Ein Koto:-Neger * die i 2 — — im Beſitze des 
indem er zunächft die Weiber lehrte, 

die Töpfe mit Kuskus, ftatt wie bisher auf zwei, auf drei Thonkugeln übers Feuer zu 
ftellen, heiratete einige Töchter des Volfes und wurde jo al$ Bei Sam: Sam (Vater Sam: 
fan) deſſen erjter Häuptling. Ihm folgte ein Sohn, Mam Pate, der das Neid ausdehnte 
und durch Einfegung Heinerer Häuptlinge über die einzelnen Teile Walo, Kayor, Sina ꝛc. 
befeftigte. Diefem folgte aber ein dritter, ein Burbadjoloff (Zoloffenkaifer), der das Reich 
zu Falle brachte, indem er durch Hochmut und Tyrannei ſich die Häuptlinge entfremdete. 
Berenger:Feraud, der uns diefe Legende überliefert, nennt fie treffend eine Fabel ber 
wirklichen Politik: der alte Sam-Sam, den die Überlieferung in wunderbarer Weife dem 
Waſſer entjteigen läßt, iſt ein Ehrgeiziger, der ſich durch Heiligkeit, Gerechtigkeit und Weis: 
heit Einfluß verſchafft und eine Anzahl von Dörfern dazu bringt, ihn freiwillig als Häupt: 
ling aufzunehmen. Sein Sohn breitet die Herrichaft aus und befeftigt fie. In den fol: 
genden Generationen beginnen aber der Hochmut, die Tyrannei und die Ummäßigfeit des 
Negers ihre Zerjegungsarbeit an diefem politifchen Baue, die gedrüdten Häuptlinge benugen 





RS 


648 Die Neger des Niger: Benue:Gebiete3, 


die Zeit, in welcher ein Schwächerer über ſie herricht und ein gleicher Gedanke fie einig 
macht, und machen ſich frei, d. h. das alte Chaos, der politiihe Sumpf, aus welchem 
Sam-Sam hervorgeitiegen, verſchlingt die junge ftaatlihe Ordnung. 

Die Haufla, die in ihrem Äußern nad Barth nur durch Haare und Haut neger- 
ähnlich find, im übrigen aber jelbjt vor den Kanuri durch regelmäßige Züge und angenehme 
Formen ſich auszeichnen, find fein fo geichichtliches Wolf wie die reichegründenden Mandingo 
oder Fulbe; aber ihre Vergangenheit ift wahricheinlich eine nicht minder reiche und große, 
wenn auc die hinter der Mitte des 16. Jahrhunderts zurüdliegende Zeit dunkel ift und 
nur die Ausbreitung der Hauſſaſprache vermuten läßt, wie weit diefe Stämme einft ihre 
Macht erftredten. In der Dajenlandihaft Air oder Asben iſt noch heute das Haufja die 
herrichende Sprache, wiewohl diejes Gebiet von Tuareg beherrſcht ift, ſoweit die Geichichte 
reiht; von hier nad Süden ſich erjtredend, herricht die Hauflaipradje als Sprache des 
Volkes in den fieben jogenannten echten Haufjaftaaten zwilchen Niger und Tjadfee (Kano, 
Katjena, Daura und andern) und als Sprache der Herrihenden in den fieben unechten 
Hauffaftaaten (Noruba, Korörofa, Yauri und andern), aber als Handelsſprache wird fie 
auch auf der Weitjeite des Niger, jogar am untern Niger bis Badagry hin und anderjeits 
am Südrande des Tjadjees gebraudt. Auch tragen die Hauffa den Stempel der ältern 
Kultur in ihrem Fleiße, ihrer Anftelligfeit und Zuverläfligfeit. Sie find die tüchtigiten Vieb- 
züchter im ganzen Nigerlande. Für die Engländer an der Weſtküſte find fie das, was die 
Makaraka für die Ngypter im obern Nillande find. England befoldet feit den vortrefflichen 
Erfahrungen, die es mit den Hauffa im Aichantifriege gemacht hat, eine Hauſſa-Polizei— 
truppe in jeinen weſtafrikaniſchen Kolonien. Offiziere derjelben find mehrfach mit Erfolg 
in Europa ausgebildet worden, und die Internationale Gejellihaft am Kongo refrutierte 
die zuverläfligiten Elemente ihrer Streitmacht aus ihnen. 


Negiiter. 


Die in Parenthejen ſtehenden Ziffern verweifen auf die Einleitung — Die Perfonennamen der Reifenden und 
Forſcher find am Schlufſe des Verzeichnifſes alphabetiſch aufgeführt. 


Abata 524, 
Abatoa DL 
Abbilder Verftorbener (36). — 


Aberglaube, im allgemeinen (33). 


— der Betſchuanen 300, 
der Neger 176, 187, 
- derNeger vom Niger-Benue 639. 
der Nilmeger 5 
der Njam- Njam 536, 
der Waganda 469, 
— der Weftafrilaner 614, 
— der Zambeftftämme 376, 
— der Zulu 26 
ee rag 221, 437, 
Abukaja 524, 
Acacia Giraffae on 
Aderbau (17). (55 
— auf den niederiten Stufen (56). 
— Bedeutung (86). 
— der Neger 200, 
* — en 
erbauftaaten k 
Adal HL 
Adamaua 198, 642, 
Adansonia digitata 572, 
Adel 163, 
— der Balunda 4 
— der Waganda 472 
— ber Weftafritaner 602, 
Affenbrotbaum 318. 573, 
Arrifa, Autochthonen 26, 
— Bemäfferung 6. 38, 236, 315, 
361, 392, 483. 569. 


— Bodengeftaltung 631.236. 360, 
3%. 422, 568, 

— Eifenreihtum 199, 

— Halbinfelnatur 4, 

— Klima 8. 39, 237, 316, 36 
395. 423, 570. 

— Kulturcharalter 31 

- Kulturen 8, 
— Kulturgewächſe 
— Land 3, 36L 


ı Afrifa, Negenzeiten & 
— Spraden 24. 232, 
— — und Wuſte Südafri— 


— Terrafjenlandichaft 39L 
— —4 15. 41. 317. 364, 396, 


Afrikaner, Eheim 211, 

Afrikaner, Jan 322, 343, 

| — frilaner, Jonker, 110. 112, 331, 
Afrikaner, edel gebildete 21 

Agades 208, 


Agypten, ulturoaſe (86). 





Agypter 28. 25. 45, 
Agyptiſche Kultur BL 
der Neger 176, 


A 

Alani 63L 

Alelle 627, 

"Atem 1523. 173, 570, 598, 599, 613, 
Akem-⸗Leute 

—— ſ. Atem, 

Alta 123, 


Aftoa 119, 

Affra 570. 570, 576, 

Nkuapim 570, 

Alwambu 632, 

Albert Nyanza 391, 34, 

Albinos 138, 574, 608, 

— der Öftlichen Jnjeln (96). 
Alima * 

Allianz der „ſechs Nationen’ (93 

| Alpenwirtidaft (58). 2 

Altmerifo (95). 

Alwadſch 

Amalofi 174 

Amapondo 192, 

Amari => 

Amaſi 252, 

| Ambatiften D04 

Ambatſchfloß 192. 

Ambriz 626, 

Ambuella 389, 





— 026, der Zambejiftämme 385, 
An 
Fiss 194. 198, 589, 621 624, 
‚ Angola:NReger587.618.623, 626,628, 
nianfopong 
Anfammlung der Vorräte (60). 
— —— Befiges (43). 
Anjdenich 626, 
Anta 277, 
Antilopenhörner ald Medizin 607, 
Anzique 578. 
Anziquer 614, 626, 
—— (Be 
paches (93 
Apfuru D&B, 626, 
Apingi 627, 
Apomogeton zn 4L 
Araber (52). (82). CH 25. 27. 436, 
Nrabiihe Bauten (76), 
— Kleidung 640, 
— Kultur SL 
Arabiicher Einfluß auf die Waffen: 
form 582, 
Arachis hypogaea 199. 
Arbeitöteilung zwiſchen Mann und 
Frau bei den Neyern 154 
Arciteltur der Neger 176, 225, 
Arctopus echinatus 4L, 
Armbruft der Fan (49). 


Armringe (67). 

Arthratherum brevifolium (57). 

Asben 648, 

Ajhanti (81). 172, 177, 570. 582, 
607, 612, 613. 614. 619, 631. 632, 

Pie ira 576, 596, 603, 

Alchunga 119, 

Afiatifcher Urfprung ze 
Kulturpflanzen 28, 


— Urſprung der Afrilaner 28, 
Aſiatiſche Bölferzuflüffe 26, 
Aifagaie 247. 

Aiftenta 63L, 
Ajfiniboin (44 — 


— Pflanzenwelt 10, 40, 316, 363, Ameritaniſche en (28). | Afjinie 572, 


396, 423, 485. 572, 
— NRaffenarmut 20. 


— flulturen 
Amulette 73, 


| At9iopijcher Charakter der Afrika: 
ner 


650 Regifter. 
Aufgeflärte Herricher 163. | Yafuto (BO) Bo ee —— Richteramt 206, 
Auffchmung des Bergbaues in Süd: | Staat 305, 

afrita 142, — — aller a — Stämme 173, 

Aunin 89, a 284, — Tieraberglaube 304, 
Ausfuhrhandel Afrifas 198, — Hütten 290. — Tradt 234. 
Ausſchneidung der linfen Hode 104, — Xand 198. — Trabition 49, 
Ausjühung =. Bolfes 28, Baswa 416, — a en 29, 
Auftralier as . (39).(51). (57). | Bataten 202, — DVielmeiberei 24. 

(74). (78). (8  Batavia (78), — Waffen 286, 
Suömanbering (66). | Batele 576, 627, 588, Bevölkerung, dichte an 
Autochthonen in Alrifa 26, Batlapi 142, 160. 177. 292, 313, | Beweglichkeit afrifaniicher Völker 21. 
— GL Besen En —— F der Fa (75). 

atofa (69). (77). enen 
385, en. im. Bienenzudt 489. 587 

Baama 558, Batua 118, Bierbrauen 
Babija 407, Baukunſt (75). Bihe 182, 389, 598, 6IL 613, M2L 
VBabongo 121. —— ko — Gründung des Reiches 602, 
Babmwenda 590, Baummolle 223, Biheños 594, 
Badagıry 648, — Berarbeitung der 200, 216, | Siberigein (28). 
Badema 404, Bautſchi 634. Bildhauerfunft (76). 
—— Bavelo 359, Bildung großer — 

aggara 206, Bamantetfihäuptling 176. | Binnen chiffa 
— 550. 5 Bayanſi | Blattern: Epi .- in Weſtafrila 
Bagumu 635. Bayeye 370. 372, 319, | 628, 
Sabre 160. 306, 313, BVedjavölter 48, ' Blutrache iR Ki 
Balalabari 313, Begabung, ii ige ber (13),  Blutöfreundichaft 199. 
Balaloi 627. Begräbnisformen der Neger 174, Boeren 272 
Balatla 177, Begräbnismeife (36). | Bogen der Neger 169. 
Balhwiri (34). 6LL 628, Begrüßungsweiſe der Neger 214, Bogenmänner SL 
Baluba 359, 37L Behaarung 130 ‚Bohnen 13, 202, 
Batuena IB. 160. 177. 292, 312, | Behandlung der Greife 151 Bombe 525, 
Balala — ber $linder 15L, Bombo 537, 
Balumbs 1 ‚| Beiltrieg der Kaffern 276, Bomboko 199, 
Balunda 181. 365. 366, 368, 555; Belanda 490, Bondo 586, 

f. auch Lunda. Zemaelung des Korpers (69). Bene. vgl. auch en (69). 
Bamana 645, | Bender: Maraya 429, i . 176, 20L 62, 
Bamangwato 160. 177, 311. 314, | | Benguela 583. 584. 586. b20. 531. 536, DB, 
Bamamalana 413, Benguela:Nrger 614, Bongoland (49). 
Yamba 602, Benin, Golr von , Bonny 597. 
Bambarra 635, 645, Benue 569, 637, Bornuaner (54). 
VBambarrareich 646. Berauſchende Getränte 213, Bornuberricher 
Bambarre Verber 26. Boroa 118. 
Bambuk 647, Berbera (7 Boffa ar &0L. 6l4, 
Bananen 202, 459, Berberijche Afrika (76). ‚ Botenwejen 165. 
Bandjeru 322, Ber —— 29, 65, 136, 319, 347, | Votoluden (75). 
Bangala 194, 576, 586. DM. 597, 249, ı Botichafter 

624, 625, 626. Bergenaers 116. ‚ Braf 638, 
Bangweolo u BuL. 892, — 172, 188, 258, 258, Brama 626, 
Baniu (9). Deig BO). Branntmwein 589. 597, 

— gem ie es), vfprung en. Brafhändler 643, 

— Epraden 24, Ps ee Brautfauf 153, 
— 404, Betichuanen (12). (24 : en 148, | Brautraub (80). 
Banyeti 215. 174, 178, 187, 199, 207. | Britifch- Kaffraria 183, 
Baobab (56). 208, 217, 222. 269, 281, Brotbaden 213, 
Bapedi a a Aberglaube 30L, Brotfruhtbaum 
Bari (49). 181, 218, 498, 497, 516, Broussonetia papyrifera (45). 

518, 520. 522, 524, — ee 289, Brücken 
Barimo 300. — anthropophage 17L Bua 550, 

Barvefwa 413, — Begräbnisweiſe Buchftabenfchrift (29). 

Barola 413, — Beſchneidung Budu 103, 

Barolona 160. 292, — Dörfer 291, Buchuſalbe 

Barre 597, — Linwanderung vonNorben 206. | Buga 362. 

Bartwuchs der Neger 131 Familie 294, Yurbadjoloff 647, 
Barutfe 307. 373; }. auch Bahurutfe | — Geburt 296, Bufhmänner (9). (39). (75). (W). 

und Marutle. — Seien te 206, 27.29, bl. 216. 
Baſchapatani 370, — Grab — Beziehungen zu den Hotten- 
Baſis der Familie (79). — Hausgeräte 288, totten 46, 

Balla 635, — Hütten 289, — Charalter Ei 

Ballama 637, 639, — Jugendſpiele M. — Dialekte (24 s 
Baſſeſſe — Kinderliebe M. — —. apbi € Verbreitung 79. 
Baftaards 113. 114. - Negenmader 300, — ber 

Bajunti 576, ! — Religion 299, — edge 4. 


Bufhmänner, Name 5l, 

— Sprade 49, 

— DEN bö. 

— Mohnung BD. 
Sulcmannotentotieh Urvolf 


si 59, 
Butter 208, 
Butterbaum 529. 


Gajanusäder 202, 

Camerun 582, 605, 

— Gebirge 587 

— Küfte 175, 59L 

— Neger, ſ. auch Dualla 576, 597, 
— Region 569, 583. 599, 

Canna 101, 

Cape records 98. 


Car Nilobar Do) 
196, 


Garregabores 
Cayor 

Charakter des Negerö 145. 374, 
inch 59). (79). 


Ehinefifche Mauern (95). 
— 7 in den Schan⸗-Ländern 
9 


€ iriqut 
Ehriftentum in Afrika 35. 
Chriſtliche Kongofönige 600. 
Colocasia antiquorum 460, 
Cormantie 
Cunene 352, 358, 
Eugco (18). 


Dahom ——4 
— 613, 614, 619, 631, 
— — 


— Dreier 598, 
errijcher 172, 176. 
— Minifter 603 


— ven Ka EN. (69). 
bergia 


— 12). 113, 142, 177. 

— f. aud Spaherero, 
Damaraland 314. 

Damel 638, 

Danalil 212, 221. 44L 

Darftellung des Häßlichen 590, 
Dattelpalme 15. 

Dr tugreit der Wohnftätten 


Daura 648. 
= 4%, .. Kara 
entmäler von Blitz en 
Deipotismus (89). 157, 162, 12. = 
Dinte (26. (89. (78). 1BL 182.108 
infa (26). 75). 
174. 199, 205. 206, 211.216. 402, 
518, 520. 521, 522, 531, 532, 
Dinfa, Lied der 517. 
Dintafüritin Schol K2L 
Dien 640, 
Djula 643. 
Tijur (81). 131. 151. 152, 490. 492, 
497, 518. 521 522, 525. 531. 


533, 578, 617, 

— Überlegenheit im Eifenfchmie: 
den (ö4). 

Dolo 122, 

Doppelgloden 367. 880. 618, 


wa 
* 
— -) 


Regiſter. 


Doppelfanoes 593, 
Dor 508, 


or 

Dörfer 97, 226, 

Dörfer auf Berggipfeln 584, 
—— e 529, 


a 646, 

se der Innerafrifaner nad) We: 
ten 
Didange 549, 600, 618, 626, 627, 
Dihangbara 493, 
Dſchengeh 

Dſcholoffen, ſ. une 

Dualla (63). . 174. 193, 595, 

Re AT ke 
u ul: Syitem 

Dulti 640. 

Dünnheit der urfprünglidhen Ber 
völferung (85). 


@aba 616, 

a. 598, 

ex (79). 153, 188, 

Ehelofigfeit der Zulufrieger 263, 
Eidesform der eo), 200, 


Cigentumdbegeifi (ED). 
I er Zufuherrrjcher 


Einfluß des Handels auf die Be- 


waffnung der Weftafrifaner 
678, 





— bed Islam 638. 

A le rembder Kulturen 31, 
Ein a afrifanifcher Technik 
Einführung des Pferdes (45). 
Sinfühen des Körpers a: 
Gijen (47). 28, 216, 
Eijengel» 198. 512. 
Eijeninduftrie der Neger 219, 511. 
Eiſenkugeln der Weftafrifaner 579, 
Eitelfeit der Neger 158, 
Elanda 249, 264. 
Elefanten 15, 41, 
Eleufine (60). 


Eleusine coracana 529, 
Elfenbein, Ausfuhr 199, 
Elfenbeintchnigereien der Weftafris 
s michelungätehre (7). 

ntwidelun re (7). 

Erbjen 13, . 


Erbbeben 178, 

Erdnuß 12. 202, 364. 365. 
5*2* und Entdecken (42). 
Erfindung des Feuermachens (42). 


Eroberun — 
Eroberungsſtaaten der Neger 162. 
—— Zulu 258, 


Eslimo Da (84). 

e nograp —— Bölter (51). 
thno iſch arme er 

Ethnologie (6). 

— eu Bh. 

Eusopäermifhlin e 115, 

Europäiſcher Einfluß in er BL 

— (83). 575, 589, 603, 607. 619, 


Erogamie (81). 156. 161 521, 
djellu 524, 529, 


‚samilie (79). 
‚samilienleben der Neger 149, 





651 


an (76). 223, 575, 627, 628, 
— en ic (9). 
‚sarbenbezeichnungen 

Fechtochſen der Hottentotten 100. 
‚sechtipiele der Zulu 24, 

Fer tit 5l4, 

Feſſaner 2. 

Fetiſchdienſt der Neger 1 
Fetiſchglaube (5. (90). GOR. 607, 

Fetiſchprieſter 166, 603, 610, 638, 

Fettſchwanzſchafe ‚sol 

Fettſteiß 84. 132, 

‚veuerbienft der Neger 178, 
Feuerlände 


52 
—— — — 


En 


n Hianer (23 ee (54). (N). 
in Wefta| 
Fingu 142, 277, 27. 230. 


Fiote 
‚sifcherei 26. 192, 385, 
Hehttunft der Neger 222, 
Flechtwerle der MWeftafrifaner 5OL 
ı Sr (59). 100. 212, 293, 429, 
öße 
lobftädte (77). 
ortleben nach dem Tode 174, 
reetown 621. 632, 
— der Bufchmänner 57, 
RER der Neger 


—— 200. 
Friſuren 
dun (09). 524, 635, 638, 411. 643, 


ulbe: Gouverneur in Muri 640, 
Fulbeſprache 621, 
— 250. 


u 60L 
t und U t (98). 
an —— re Höfe 


Edelen 6413. 646, 
Nuta- Toro 645, 


Gaberi 550, 
Yabun 569, 570. 580. 583. 592, 617, 


627 
Gaila 132, 
Gailahäuptling Tyali 183. 
Galela 274. 
Galerienwälder 485. 


Sala (9), 02) 1). 21.43. IA 
_ den AR 


— Charalter 427, 
— Sehe an Begriff 425. 


- zen 433, 
— 40. 
ehtöpflege 433. 

—A orjtellungen 439, 

Schmu 

Stellung des Weibes 444 

Tracht 

Urjprung 438. 

Viehzucht 428, 


652 


Gallaländer (49). 

Gallenblaje als Schmudftüd 246. 

et 390. 391. 478, 

Gambia 

Ga:Neger (Altra) 616, 

Ganguella 389, 621 

Gardeniajaft 526, 

= aftfreundichaft der Neger 199. 
Geburtögebräuche der Neger 15L. 

—— 63). 

* aß mi hen Hirten und Ader: 

9). 





bauern 

Geheimbünde der Meftafrifaner 616. 
Geifterglaube 186. 376, 

Seiftige Begabung 146, 

Geld (pecunia) (58). 

Genußmittel 


Gerbprogeß, unbefannt 222, 
Gerfte 13. 


erfi 
Geſchichte der Negervölter 162, 
Geſchichtsloſe Völker (6). (12). 
Geſchlechtliche Sittlichkeit (82). 
eg m: 
Gejellihaft (82). (B4 
Getränfe orne 200, 
Gewäſſer, — ende, in Sübafrifa 38, 
Gewebe der Weftafrifaner 59L 
Gewerbe der Neger 215, 
Gewürze 213, 
Ghanata 644, 
Gift der Bufchmannpfeile 62, 65, 
Gifttranf als Gottesurteil 187, 
Gilbert: oder Kingsmillinfeln (53 : 
—— gegen Blutvergie 


Gold 221, 
Goldfüfte 182, 570. 612, 614, 
— Stämme der 154. 604 631. 
Golo 204. 
Gom:Gom 103, 
Gonaqua 87, 
Gora 70, 108, 
Goree 640, 646, 
Gottesidee der Neger 173, 
Gottesgericht der Weftafrifaner 612, 
Gotteöurteile 187, 
Gößenbilder (36). 179, 590. 
Gounia 106, 
Gräber der Bongo 535, | 
— ber Nilneger 516, | 
Grabhütten (36). 
Srabmäler 175, 
Grand Ballam 572, 
Graufamfeit (92). 58, 
— und Religion 17L 
ET Unbejtimmtheit der (102). 


Griot 638, 
(93). 87, 88. 113, 114, 116, 


— 115. 


Grenzvölfer von Baghirmi 550, 
641, 


Grob: Baffaın 645, 

Größere ne 160, 
Grof: Namaqua = 2). 
er der Sprade (22). 
Guadiaga 645, 
Guanalomäntel (66). 
Guinea 7. 9, 568, 569. 
— Hinterlande 633, 
Guinenvölter 621, 
Guitarre 148, | 


570. 


1% ihägung des Alters 152, 


Regifter. 


Gurunuß 13, 215. 


BZ Hottentotten: Namen 105. 
Gynälofratie in Zunda 564, 


= Reiten 1 Organifation 109, 
el > n 106. 


Haartrachten (69). 224,497, 560.576, 
Häckels Alali (22), 

Haemanthus toxicarius 65. 
Hahabe 274, 

Halbkultur (16). 


_ Fr 48, 
— Stämme,geographijche Berbrei: 
tung 87. 


— — chung mit Bantuftäm- 
en 42, 


Handel (90). 102, 198. 593. — Vichherden 9, 
Handeläbefrieb der Weiber 193, Suambo 62, 
Hanf 258. 589, Hube 637. 


Harfen der Njam-Njam 534, 535, | Hühner, Betihuanen: 293, 





Harpune 385. 637, Humboldtbaibewohner (63). 
Haſſar, Emir von 433, Hunde (57). 120. 211, 293, 334. 
Häuptling, der — des Han: Hundeeſſer bB6, 
dels Hunnen Afrikas 449, 
eirat — des Sudan 635, 
tellun En. Hüttenbau (74). Mb. 225, 249, 289, 
Häuptlinge —— (90, 355, 402. 454, 504, 529. 
a 633, 636, 643, 646, 648, 544, 551. 562, 583, 635, 


Sauffaftadt Aurno 6 639, Hykſos 


awai, — ahnſchnitzereien 500). —B———— ). 66, 
Damat adesjaqe 
———— ottentotten 


Heiterfeit et Neger id, Iie (Sanseviera) 371, 
eitfi Eibib 107, in 133, 
elle Südafrifaner 42, lofi 268, 
Helle Völter des obern Nilgebietes 2. des u. 159. 
528. mbunderobaum 573. 


u. bulbifera 460. Me ie ö). 
em 
erero, ſ. Ovaherero. ndi Er 
Beer gie an 
ibiscus 
N nbufrie 2b, 42. 85. 500 
ei u — eilantie Fluß: und Sumpf: 
Hirfebier, Dolo 635, hochebene 360, 
Hirtenvölfer 89). 507. lora 363, 
* m en bftammung 422, Intel 263, 
ee ion —— der rabaniglen (57). 
Hocambo 598, 


— a 407, 


» und Stufenland des äquato; | Jrenga 
en Ditafrita 394, A Kr otejen 
Hofrah en Nahas 221, 8 sr 
| Holzhäufer 73). 8lam 35. 438, 638. 
—— 288, 514, 533, 557, |S#raeliten u . 
Honig tonga 178, 
ettntaten en (63), 80, 118,183, | Srias 41, 
Bohante 111. 
Ed Jagd (55). 56. 66. 4. 
— Begräbnis 105. c —X er (85). 118. 125, 
Charalter DER Sapaner (50 : 
— Dichtung 49, Joloffen (40). 132, 633, 634. 638. 
—— DS 638, 640. 645. 646, 
amilienieben 105. ubenähnlichleit der Kaffern 187. 
eige kann | uju 615, 
ule) 40, 
- Geburt 104. Juncus serratus 37L 
— Geſchichte 


— Gefihtsbildung 4, 
— Gottesideen 106, 


ſtaarta 645, 646, 
Kabale, ſ. v. w. Palaver 605, 
Kabib 107, 


— Haare 82. 
— Heiltunft 108, Kabinda 575. 582, 597, 626, 
— Hütten 96, Kado 634, 
— Körperbemalung MR, Kaffee 15. 214 
- Kunftübungen 103, Kaffern UM. 118, 128, 163, 166, 183, 
I mythologifche Sagenfreije 106, 


— Nahrungsgewohnheiten 50. 


Regiſter. 653 




















Kafjern : Erzählungen 58, | Kirri 94. 248, Kultur, afrikaniſche 
— fRaftanie 4L Kiſchitanz — der Bewohner gemäßigter Zone 
— Wanderung 50. Kiffama 614, 626, (86). 
Kafirkorn 250. Kitich 482, 518, — der Neger 190. 
Kaggan 75, Klaffifitation der Fetiſche 180, — Entmwidelung (15). 
Kabitjchene 331, 334, 338, — der Religionen (41). — Geſchichte 
Kahnbau, ſ. Schiffbau. — der Völtker nad) ihrer Bauweiſe — Hypotheſe ſpontaner Ent: 
Kähne auf dem Kongo 592. (75). ftehung (50). 
Kala 199, ' Kleidung (65). 225, — Völker 6). (15). (88). 
Kalahari 176, 314, Klima (19). — Wejen (12). 
Kalangi, Fluß 566, — Airifas 2. 32 — Wiege (18). 
Kalika — der innerafrikaniſchen Sumpf: | — mirtiha tliche 189, 
Kalunda, ſ. Lunda. hochebene 363, — Zonen (19). 
Kamaherero 322, 343, — der meftafritanifchen Küſten- Kulturlofe Bölfer (6). 
Kambali 176, länder 570. Kumaduaſee 318, 
Kana 595, — des äquatorialen Dftafrifa 395, | Kumaſſi 
Kanembu 635, — des Gallalandes 423, Kunft (46). 147. 5%. 
Kano HR, — des Haffernlandes 237. Kunftfertigleit, Zunehmen der, von 
Kanuri 635. — des füdafrifanishen Steppen: | der Küſte nad) dem Innern 592, 
Kaofo 315, landes Zlß. | Kupferinduftrie 221, 626, 
Kapital, die Schwefter der Freiheit Kobongſyſtem der Auftralier 177. | Kürbiffe 13, 

34). Kodoqua B8. Huruman 292, 
Kapitalanfammlung (45). (61). Koi:Koin 80, ——— Weſtafrilas 595, 
Kap Katharina 626, Koko 585. Küftenländer des tropiſchen Weſt⸗ 
Kapftachelbeere 40, Kolobena 312, afrifa 568, 

Kap Vork:Indianer (55). Kommi 628, Küften : und Binnenbewohner Wet: 
Karaqwe 481, | Kondi 406, afrifas 575, 

Karaiben (82). | Kongo (94). 5. 569, 583. 613, 

Karawanen 195, 197, | —— Delta 587, 

Karo 90. | — Dörfer 582, Lado 395, 

Kartoffel 13, — ze 596, Yager der Negerlaramanen 197, 
Kafai B6L — gKähne 191 Lagos 572, 

Kaſamanka 615, — König 601 620, Zaqunen 570, 

Käfe 208, — Region 584, Landin 414, 

Kaſeh (60). 196. 446, — Bölfer 556. 578. 618, 626, 627, | Yango 494, 497. 602, 

Kaiembe 162, 165, 195, 559, 567. Königsgräber bei den Lunda und Laobe 643, 

Kajembes Heich (27). bh. Waganda 174, Yappländer (9). 

Safer 149. 151. Königtum der Weftafrifaner 606. | Safttiere 2IL 

Kajongo 154. 162, 165. 181. — der Zulu 259. 260, Lafttragen 140, 258, 

Katfanid 624. Kopfbededungen der Weftafrifaner | Lattula 494. 502. 516, 

KRaffave 13, b76, Lebenäfraft der Neger 146, 
Katio 645, | Koradichi (35). Lecythis (65). 

KRajteneinteilung 64L ‚ Norangaze 359, Leder 

Katanga 221, Koranna 89, Lefelo 18 

Katonda 468, Kornfpeicher 208, | Leichtgläubigfeit der Araber 171 
Katjena 648, Kordrofa 648, Lelebe 166, 

Kauanda 560, Körpergröße der Neger 131. Zetfchulatebe (34). 303, 311, 
Kaubib:Koin 80, ı Körperliche Unterjchiede (8). viba 361, 

Kauf der Frau I). — Verftümmelungen und Berun: | Yiberia 570, 621, 632, 

Kauris ftaltungen BI Liagi 524, 

Kayor 646, Kofa 271 272, ‚ Linquiften 594, 

Kegelftil 504, Kotla 292, Zinyanti 308, 

Keim der Baufunft (73). ı Roto:Neger 647, Lira 499, 

Keime von Aderbauftaaten (89). Nredich 204, 516, Loanda 570. 587, 596, 624, 626, 
Kengueza 628, Kreuzmotiv (71). | Soango 597. 598, 601, 604, 606.607. 
Kenia 39L Krieg (BI). 609, 612. 614. 625, 

Kentob 121, Krieger der Malarala 530. Soangotüfte 576, 59L 
Ketihwayo 242, 255. 261. 262, Kriegeriſche Anlage der Neger 166.| Loango:Neger 574, 589, 625, 
Khutu 195, Kriegführung der Neger 166, 168, | Zobengula (40), 

Kifa 525, 263, Zogon 178, 

Kitamba 176, Kriegätracht der Weftafrilaner 578, | Lomme 406, 

Kilimandiharo Z 39L Kriegswaften (90). Lotos 487. 

Killengue 622, Kriegszuftand, latenter (9). ovale 204, BL 

Kilolo 564, Krotodile in heiligen Teichen (40). | Loyalität der Unterthanen in Daho— 
Kimbande 389, Krönung des Joloffenlönigs mey 601, 

Kimbundu 586, Kru:Neger 593. 596, 597, 627. 628. Lualaba 362, 391. 

Kinderliebe der Neger 150. 632, | Zuapula 363, 

Kindesliebe (81). Kuando 361 Lubu 612, 

King Bell’ Tomn 583. Kuango 365, 568. 679. Luchaze 389. 

Kiofo 194. 583, 595, 624. 625. 626, | tugur 181. | Zugendo 196, 

Kipofomo 176, Kurllu 625, Lukano 560. 


Kirgifenfteppe (95). Kultur (14). 146. | Zulofefha 559. 568. 564. 





654 Regifter. 
Zunda 195, 599, 625, Mantati 142, 

— Geräte 56L, Mantetje 121, 

— Handelöfarawanen 566, Manyema nn 9. 171, 194. 205, böL 
— Raubzüge 565, b54. 556, 

— Tradition 602. ee! — 

— Volksverſammlung 565. —— 
Lunda: Neger 559, 628, Maravi 
Lundareidh 556, 558, 31316 m — Neger 109, 
— Nderbauer 562, Marimba 368, 381 

— Hofitaat 565,  Marintu 89, 

— Nahrung 562 ‚ Marfejas: njulaner (62). 
— Staat 563, Märkte 193, j 

— Tributzahlung 563, Marktmeifter in Weftafrila 596, 
— Viehzucht 562, Marfiliaceen (78). 

Qungo B6L Marutie 373, 

— — egte 375. 
erricher 373, 

Mabunda 373, \ — Holzgefähe 379, 
Madagastar 5, | — Kleidung 377, 
Madi 150. 154. 168. 176, 181. 187, — Wufilinjtrumente 380. 

493, 497, 503, 506, 516, 520. 522,| — Tänze 382, 

Madihunga 168, — Baffen 379, 

Maga 193, Marutie: Mabundareidh 372, 
Nadindice 419. . — 383, 

Mais (47). (52). 13, 202, —— 2,0 — 425, 448. | 
Matalala 369, 0a ai: Mafmwaft 

Malaopa 224, Maſaſi 

Makaraka 525, 537, Maichona 321. 414, 
Malaralagebiet 524, Mafitu 397. 415, 

Matololo 164. 168, 189, 215, 307, | Matfena 645, 646. 

369, Mapftäbe des Neichtumsd 285, 
Matonde 177, 217, 443, Matabele (96). 172, 178, 321, 409, 
Matota 602, 410. 

Malua 198, 405, Matebe L 

Malagarafi 195, Matinıba 119, 

Malayen (69). 148, Matlapatlapa 413, 
— Madagasfars (76). Matſchewa 400. 


Malayifher Archipel, Staatenbil: | Matidinga 418, 

dung (96). - \Matumbola 397, 401, 

Malayıfcies echt (M) | Mauren 638, 641. 
Malayo : polynefische torftellungen en gr 364. 366, 

173, Mavia 406, 

Malemba 217, Maviti 415, 416, 
Malepa 254, — des Rovuma 419. 
Malinte 220. 644, Mbogwa 408, 

— von Beleadugu 636, Mbugu 223, 457, 
Mambanga b46, Medine 570, 
Mambari, Handeldvolf 359, Medizinmann (35). 
Mambwe — 200, 
Mamotebe 174, Me —* (76). 
Manati 640, Melanefier ah 
Mandanda 211, Melten der Kühe 49, 99, 208. 252, 
Mandango 121, Melle 644, 

Mandingo 631. 632, 633, 634. 685, | Melonen 13, 

636, 638, 641, 643, 645, 47, Menſchen, Tierähnlichkeit des (9 D. 
Mandolinenart 516, Den chenfrefferei 171, 412, 536, 546, 
Manganja (69). 148, 175. 179. 200.| 549, 555, 613, 

212, 216, 217, 397. 496, 527, lomane: 145. 172. 

— Aderbau 400, Men m. Urgefhidte der (5). 

— Dörfer 402, 

— Gewerbe — nn “der (18). 

— Handel 403, Metallinduftrie 219, 

— Nahrung 4OL Meritaner (19). 17L 

- polfde mn 403, Mgeta 195, 

— Viehzucht Militäriſche Eigenſchaften der Neger 

Mangati — 168, 
Mangel der Tradition (12). Milonga 605. 


Manibot, ſ. Maniof, 
Mani:Kongo 549, 
Maniot PN 
Manjema, 


Manyema. 
Manna 549. 


Milus und Waleas Neich (39 
Minungo 583, 624, a u 


13. 202, 562, 571, 685. | Mirambo (88). 162, 415. 447, 


Nirambos Charakterbild 417, 
Nifhiprade (82). 





Miihung hell» und dunfelfarbiger 
a im innerften Zentralafrifa 


Wiſchvolk der Galla 426, 
ıModimo 173, 188, 
Moenetus (91). 163, 554, 555. 
‚ Mohumbe 
| Moito (Unglüdäfinder) 150. 
Molemo 176, 376, 
Moma 622, 
ann 198, 
ombas (78). 
Mona — 
— Kiniama 625. 
Mo Mu {6 (0 ). 148. 171. 216, 
onbuttu (57). Ser 


— ——— 544, 

| amilienleben 546, 

—E — un 
— de 544, 

| — üttenbau 
ultur der Ulpalme 544, 

Land 


— Renſchenfreſſer 546, 


läſt 
— — — 


Schmiede 542, 
\ — Töpferei 543, 
\ — Überlegenheit über andre Neger 


— Vieh; — * 544, 
— Waffe 


Kondfinerifle (39). 

Mondu 524, 

Mondverehrung 49, 106, 178, 

Mongolen (59). 

Monomotapa, Raifer von 405, 

Monotheismus (41). 

Monrovia 570, 

Moralijge Elemente (41). 

Morimo : 

Moru 493, 521. 592, 524. 

Dolce 165, 305, 307, 

Mofelitatfe 410. 

—— 
ofſambagebirge 

Mpafu 198. 

Mpande 241. 265, 

Mpapwa 445, 

Mpongwe 152, 606, 627, 628, 

Mtamba 555. 

Mtejfa 147. 161, 163. 457. 

Muanza 193, 

Muata Jamvo 162, 165, 308, 562. 


A —55 bed Körpers 
— Ausfhmüdung ö 
559, 


— Tod 566, 
— tributäre Häuptlinge 567, 

— Wedel der Hauptitabt 566, 
— und Kaſembe 558, 559, 
Muave 404 
Mucaffequere 118, 
Mulano 605, 
Mukuru 346, 
Mundequete 549, 
Mundombe 622, 
Mungu 615, 
Munja 546. 
Munza 162, 
Münzen 198, 


Be er ac u 
ſgu 8 
Muse ulanb bt. 
Mufit 8 

— ber Balunda 561 

— der Bujchmänner 69. 
— der Damara 33l, 

— der Hottentotten 103, 
— der Monbuttu 544, 

— der Neger (54). 147. 
— ber Nilneger 514, 

— der Dvambo Bit, 

— der Waganda 463, 

— der Weſtafrikaner 616, 

— der Zambeſiſtämme 380, 

Rufforongo 598, 626, 
Mufjjumba 361, 566, 625, 
Muttererbreht (81). 
Mutterliebe 149, 

Mwana Goy 158, 


405, 
Mwutan 391, 305, 488, 
Mythen 618, 
Motbifche BVorftellungen 74. 


Naaribwüfte 315. 
Nahahmungsgabe 68, 146, 
Nahrung der Neger 211, 
Namagqua (30). (92).47,88,113, 115, 
Nangoro 357, 

Nara 317. 

Narben 224. 


Najenlöffel 213, 
Naturdienft 178. 
Naturgewalten, Kampf gegen (96). 
Naturnahahmung (42). (56). 
Natur: und Kulturgrenze zwiſchen 
Steppe und Anbauland (58). 
Naturvolf, ein Kulturbegri 0). 
Naturvölter * 
— ——— 
Nautiſche erminologie der Ma: 
lagen und Bolynefier (26). 
Nolambe 162, 274, 
Neger, Allgemeines 127, 
— Arbeit 142, 
- Branntwein 140, 
— Charalter 143. 
— — be Niger: Benuegebietes 632, 
eiftiger Ausdru 
ottesibee 173, 
— — Habgier 144, 
— Hautfarbe 129, 
— Hütte, Grundtypus 635. 
— Induftrie 54). 215, 
— Königinnen 
— Lörperlihe Leiſtungsfähigkeit 
139, 


— frantheiten 137. 
— Litteratur 48. 
— Eigentumsbegriff 


Mordthaten 144, 
Nahrung ZIL 

— Bhyfiognomie 134, 
— Nechtöbegriff 144, 
— Sagen 177, 

— Schädel 133. 
— Spiele 147, 

- Spraden 232, 


Regiiter. 


Neger: Trägbeit al 
— Typus 133, 451 
— Urteile über dad Außere 137,|D 
Neigung zum Diplomatifieren 165. 
zum Monopolifieren 595, 
Rephritgeräte 216. 
Neubildung von Völlern 164, 
Neubritannier Sn \ 
Neukaledonier 
— bei Naturvölfern 


Nesferländer 12). (44). (61). 
Ngamijee 191, 31 

Ngonda 585, 

Niaka 306, 

Nieotiana rustica 531, 

— tabacum 53L 
Nielfam 519, 520, 

Niengo 615, 

Niger 5, 569, 
NigersBenue 568, 569, 
Niger» Benne-@ebiet 632, 
Nitobar (52). 

Nil 8 

— oberer (33). 482, 
Nilländer 392, 482, 
Nilneger (57). 178, 489, 
Nilpferdjäger 215, 410, 
Nilquelljeen 392, 

— Böller in der Region der 4öL, 
Niambara 524. 
Niambaragebiet b2D, 
Niambe 376, 

Ch 65). 


Ram Diem 179 
* 529, 53L ern Bas. 576, 


628, 637, 
Aderbau 529, 

aarput 529, 

unbe BL 

Janzen 501, 

— Menicenfrefierei 536, 

— Viehzucht 531. 

— weftliher Urfprung 523. 
Nkaffarinde 613, 
N'Kiſſi 610, 
No, See 484, 
Nodjie, Stadt GL, 
Nogaier (95). 
Nomadenmädte 410. 
Nomadens und Hirtenleben (58). 
Nomabdifierende Jäger 192, 
Nomadismus 7, 
Rono 622, 
Nordamerilanifhe Indianer (93). 
Nordmweitamerifaner (S1). 
Nubier 27, 499, 

Nubiiche Invafionen 522, 531 
Nuer 492, 497, 499, 
Nyangwe (52). 193, 195, 
Nyanza 
Nyafia 361, 392. 397. 
Auaflaftämme 175. 397, 
Nyfeleute 643, 
Nyifa 406. 


Oaſen (79). 


Oberhaupt 109. 
Dbernilgebiet 482 
Dbernilftämme 221, 489, 528, 


Dbongo 119, 
ee (50). 


—ã—— (29). 
—* 589, 591. 616, 
owe 568, 583. 588, 627, 
8 ande 627, 
Ofolloma 597, 
Dfota 627, 
— a in Meftafrifa 606. 
[palme 15, 
Dmbaranbu FE 
Ombundja 859, 
Ondangere 
—— 359, 
Dranje 
Ordosland Ba 
Drganifierte Heere 262, 582, 
Ort der ewigen Ruhe, Bela 175. 
Drungu 606. 6 
Diterinfel (76). 
Dfter »Infulaner (45). 
Othman Dar: Fodje 646. 
Diyimbingue 322, 
Durondamiti 359, 
Dvaherero nn 92). 65, 111. 15L 
TB: 206. 2U7, 


209. 221. 319, 
re Gebräude 346, 


Baumkultus 349, 

Begräbnis 341, 

Be chneidung 340, 

— Befigverteilung 335, 

— Charakter und geiftige Anlagen 


— 


322, 
— Einwanderung 320. 
— Erbredt 336. 
Erzählungen 345, 
— Familienleben 341, 
aftfreundichaft 345, 

efellichaftliche Verbände 343. 
—** 333, 

ütten 331, 

ämpfe der Namaqua 321, 
— Kleidung 324. 
— Kommuniömus 337, 343. 
— = Samen 337, 
— Mangel des Nderbaues 239, 
— Mufit 331, 
— Nahrung 331, 
— Dpfern 48, 
— politifche Berhältniffe 342, 
— Religion 346, 
— Schmud 327, 
— Tanz 331, 
— Todesfall 341, 
— Untenntnis des Tabales 339, 
— Viehzucht 333, 
— Vielweiberei 340, 
— Waffen 327. 328. 
— MWehrverfaffung 329. 
— — 8 nnde 835, 


Dvafnuema 359, 
Dvambo 29, 204, 214. 351, 
— Aderbau 353. 355. 
— Elfenbein 356. 
ütten 355, 
fit und Tanz 356. 
— — Nahrung 
— polktifche Berhältniffe 857. 


656 


Dvambo, Nechtöbegriffe 357. 

— Religion = 

— Gprade 353, 

— Tracht 356, 

— Vielweiberei 357. 

— Wohnplaß des Königs 
Dpangandiera 359, 
Dvanquambi 359, 

Dpanguruze 359, 
Dzituta 174, 


Pagafı 196, 
Sahıin 627, 
Balaft des Hafembe 567, 
— des Muata Jamvo 562, 
Palaver (94). 605. 
——— 587, 
almöl 589, 
Balmmein 589. 
RBamalombe, See 402, 
Papaya XL 
—5* 66). 

pyrus 636, 
Baradiestörner 573, 
Parias der Matabele 413, 
Parra⸗ Parra 615. 
—* gonier (66). 

°atria potestas al 152, 

Patriarchaliſcher Grundzug im Zu: 
luleben 254, 
Peca 3* 
Penicillaria (60). 
— spicata 
Perlen 198, 246, 286, 
Piahlbauer (76). 

— Bauten } nnerafrifas 363. 

— Borftädte Bangtols (77). 

— Dörfer 402, 

— Roftftädte au 

— Wohnung im Trodnen (77). 
Pfeifenfteinlager — 

Pfeile der Neger 

Pferde M 
A lanscntof 59), 

Be 203, u 
nizier i 

hysalis — 40. 
Bingab b32, 

istia stratiotes 558, 
Plattfuß 139, 

Volarvölfer (76). 
Politiſche VBerhältnifie 157 
— Zerfplitterung 161 
Boly al f. Vielweiberei, 
Kolpnefier Ann 73). (93). 

— Atuaſyſte 


_ Soderbeit der Yamilienbande 


(82). 
— Epeere 169 
Rolytheismus (41). 
Rondo 276, 28L 
Pondomiſi L 
len 179, 195, 602, 621, 647. 
Vortugiefiiche Miffionare 222, 
ojaunen 
otamochoerus 542, 544. 
Preislifte der Aderfrüchte am Zam⸗ 
beji 384, 


Priefter der Neger 182, 
zn N 
rotea 


Burro 616, 


| 





Negifter. 


Duegeafieh 387, 

Quango, ſ. Kuango. 
Quellwieien 361, 
QDuimbande:-Ganguella, [.Kimbande, 


Rabba 593, 

Rabbaniger 583. 

Radum 4. 

Rami 435, 

Randia malleifera 539, 

Raſſen, unentfaltete 191, 

Naubtiere 41, 

Raub und Eroberung (87). 

Nechenbrett 147, 

Rechtediger Bauftil 683, 

Rechtöleben der Betjchuanen 306, 
— der Galla 433, 

der Hottentotten ILL. 

der Dvambo 357, 

der Waganda 473, 

der Weitafritaner 604, 
— ber Zambefiftämme 374 

—— Zulu * 
ehtsjapungen 5 

Regenmader u 

Hegenzeiten 363, 423, 

—— der Negerſtaaten 


Reid) des Kafembe 558, 566, 
— Kongo 


— und Ma des Muata Jamvo 


Reintigteit 12 

Reis 497, em. 

Heifefitten der Neger 199. 

Reitervöller (Galla) 210, 

Religion (30). (40); ſ. auch Aber: 
glaube, 

neo ei der Menſch⸗ 


heit (40). 
Rheinifche Miffionare 322, 
Niefenbäume 177, 
Rind, Batola= 203, 
— Damara: 334, 
F ve eh b86, 
indenfleider 
Rindenftoff 223, — 
Rinder als Geldesmwert 198. 
Rinderblut zur Ernährung 208, 
Ninderraub 449, 
Hinderverehrung der Toda 206. 
Rizinusbäume 202, 
Robrbetten 4 
Rowube 195, 
—— 208, 46, 
Rubunga (52). 
Rugumu fo 
Runder Bauftil 583, 


Sab 5L 
Safarr 196, 
Sage von Motlume 205, 
Sagen (4 
— ——— 305, 
— ber Bujchmänner 75, 
— der Herero 45, 
der bottentotten 107, 
— der Weger 177. 
der Nilneger 518, 
der Waganda 466, 
der Wejtafrifaner 618. 


Saqua SL 

Saharavölter 617, 
— 9— 640, 646, 
Salomon: Sniulaner (47 
Salz 213, er 
Saljarmut 208. 
Salzbereitung 211, 588. 
Samojeden (26). 


— 516, 523, 
Sandebähnlicher Stamm 627, 
Sandili, König der Gaifa 23, 153, 


277. 
Sand River: (93). 160. 
ee 
San ebiet 558, 
— * 362, 
San Salvador (49). 585, 608, 
Sara .550, 
Sarili 279 
Schädelbäume 181 519, 
Scädeldienft 179, 
Schãdliche Tiere in Afrila 


Schaf 206, 

Schafe, Betichuanen: 293, 
eros 334, 
Schamane (35 

Schamgefü (62). 

| Schamoana Dh 

Sceidelinie zwiſchen fübafrifanis 
ſchen und innerafrifanifchen Völ- 
fern 366, 

Sceinteufel 182. 561, 

Sceinvölter 164, 

Scemba:Schemba 608, 

Scıidima 44, 

Schiffahrt 191. 

Schiffbau (54). 463, 59, 

Scildformen im Obernilgebiete 461. 


501, 
Scilfmantel der Japaner (65 
Schilluf 174. 178, 192, 1er. 
508, 517, 519. 520. 522. 531. 578, 
Schinoju 395, 
Schinte 368, 
Scire 391 392, 397, 404, 
Schireſümpfe 
Scirmwafee 392. 397, 
Schlangenaberglaube 191. 
en ag 174, 
Schmie 
Schmiede 217. 512, 
Schmiedeftämme, wandernde 217. 
Schmud (61). 
— bei den Naturvölfern (67). 
— der Neger 224. 575. 
| _ der Sibafrifaner 61 9. 
— und Geld (68). 
Schmudtrieb (69). 
Schnalzlaute 
Schnupftabal 213. 
Ghunpfiabefäbofen 214. 589, 
Schoa 435, 
—— der Waganda 469. 
hoho di 








Harte 292, 812. 

Schreinerei 221, 

Schule der Sklaverei 14L 

— des Hauberers 2609. 

Schuli 493, 496, 502, 520, 522, 
Schutzbedürfnis (76). 

Schugmotiv (76), 


Schwein 209, 586, 
Sebituane 159, 162, 304, 308, 


Seelenglaube der — 


Seelenverehrung 181, 
Seelenwanderung 


Seeliihe Anlagen —— 149, 


Segu 645, 646, 


Sefomi 312, 
Sekukuni 158. 
Sepopo 213, 369, 
Sererer 634. 647, 
Serra Complida 568, 

— do Eriftal 568, 
Serrafolet 644. 645. 646. 647, 
Seticeli 157, 178, 312, 
Sierra Leone 570. 632, 645. 


Regifter. 


Südafrifa, Eingeborne (91). 42.) Ei ina 604, 
238, 319, 


— Klima 39, 337, 

— landichaftliher Charakter 37, 
— Pflanzenwelt 40, 316, 
— Tierreihtum 41. 317, 


Eben) oticho 572, 
ei 19. 42, 209, 215. 384. 
Zfui:Goab 107, 


— MWüften: und Steppenland 314. Tuareg 45, 199, 644, 6418, 


Südafrikaner, hellfarbige 42. 


rachliche Unterfchiede 46. 
drängen 43, 
| Subanflora 485. 
— Neger 633, 
— Se 89). 638, 
Sübdauftralier 
Südoftlaffern 271, 
Südſlawen (82). 














Tufulör 645, 646, 


ges — Begiehungen zu den Kaffern 45.  Tumalod 434. 


Zufdilange 182, 549, 
| Tyrus (77), 


Ualo 638, 
| Ubergang zu tropifchen Pflanzen: 
formen 318, 


| Ububfhwa (38). 557. 








Silber 198, 221 Sumpfbabifa 408, Udiqua 88, 
Silva Porto 605. — 193, 195, 
Singapur (78) Zabat (62). 1. 101.2. 202. a. ie anda 480, f. auch Waganda, 

ingapur (7 Taba anda au agan 
Sifuto 176, 372, ee o 197. 391. 444, 
m F Neger 145, Tabuierte Stätten ber Malayen (36). il : 219, 557, 
Stlaven ). 141, 187. 599, 640, | Tabhitier Au Uhaiya 482, 
Stiavenfant el 35. 420, Tangani 392, 393, 394, 395. 2 ombo 552, 
Stiavenjagb b4, 396, lamıba 196, 
Stlaventüjte 619, Tapa oder Mafi (45). Uleremwe 193, 195,391,394, 395, 488, 
Sklaverei, Urfache der (83). Tarrangole 507, Ufulunfulu 173, 176, 269, 
Sofala 198, Tasmanier (65 FSU an 81). | Umapalati 260, 
Soano, ig von 600, ——— Uncaria 543, 
Sofoto (95). 163, Ungta 618, 
Solanee 588, Xete I Pr Unglüdstage (33). 
Somagobo 536, Telgauna (49). Unjammefi, j. Wanyamweſi. 
Somali (83). ). 221 425, 429, 436, | Tem, See 627, Untulunfula, f. Ululuntulu. 

448, Tembalui 176, | Untungin love 250, 
Songo (37). 194. 575. 595. 624. Tembe in Uganda 445, Unterſchied des Befites (84 
Soninfe 644, 645, 646, Tembu 277, Unterſchiede zwiſchen Sübd- un Ins 
Sonne und Mond 76, Temena 563, —— 366, 
Sonnendienft (40). Temperatur, ſ. Klima, Unyoro 480, |. aud) Wanyoro, 

onqua ——. Tenne 202, Urostigma Kotschyana 539. 
Sonrhay 644, Tenodtitlan (18). Urfprung des Mondes 75. 
Sorghum (60). Tete 193, — des Todes 76, 

— vulgare 531, ——— (90). Ufagara 391, 444, 
Sorghum-Üder 202, Züongefäe der Neger 21, Ufambara 
Soma 602, Thuifwe 107, ulm 179, 195, 443, 
Speifegelübde 614, Tıbbu (4). (83). Ufinfa 482, 
Epieltrieb (63). ‚ Tibetaner (59). Ufoga 452. 454 
1) ro | euch — 518, 614 ul 479, — 

prache eln utuma 193. 

— der > — 57). Ut (80). 

— ber Süd dafrifaner 46, — und Pflanzenjagen (40.) Utafama 445, 
Spragmifdungen (27) — Verehrung 177, %7, Utjcyungu 406, 

Siern 204, Tijo:Soga 275, 
Staat, der Titi 121. 124, 
Städte (77). Timbultu 644, 645, Bei 597, 616, 

— am Kongo 582, Timmani 632, | Verdrängung der Südafrifaner 43, 

— ber a 292, Zoneana 311, — — alter Kulturreite 217, 

Städtevölter w Tonga en. Verlehr (78). 
Stammovater futo 305. Tonganer ( Verfhanzung 584. 
Steinwaffen 216, ‚ Töpferei ' Verwandtichaftäbegriffe 156, 
Steinzeit 29, 216, | Tojodo 646, Veftalinnen der Ovaherero 347, 


Stellung der Kinder 156. 

— ber Priefter 186, 

— des Meibes 71, 154. 
Steppen (56). 314, 
Steppenflora 316, 
Sterculia 332. 364, 
Sterne (39) 76, 147, 
Straßenan age 583. 
Straußenjagd 68, 
Streitart 169, 
Suatdhinn 625, 

BVöllertunde. J. 


646, 647, 
Totenfeiern in Weſtafrika 610, 
Touguo 106, 
Trefboeren on 323, 
Trombabid 532, 550, 
Trommel 148, 465, 516, 617, 
— (47). 
Tiadfee 627, 648, 
ws 159. 162, 163. 257, 258, 


Tjchapo 166, 
| Tihi 604. #12 620, 


—— 55). (57.) 410, 
er Balunda 

— der Betichuanen 292, 
— der Galla 428, 

— ber Hottentotten 98, 
— ber Neger 205. 

— ber Nülneger 510, 

der Njam: Njam 531, 


der Dvaberero 333, 
— der Dvambo 354. 


42 


| — der Nyaffaftänıme 401, 


658 


Viehzucht der Waganda 458, 

— der Weftafritaner 597, 

— ber Zulu 251, 

Viebzüchtende Nationen Dftafritas 


Vielweiberei 
— der Sala HUER 
der Betichuanen 294, 
ber Yufchmänner ZL, 1 
der Galla 24 
der Hottentotten 105, 
— der Neger 13. 
— der Nilneger 520, 
— der Njam:Njam 534, 
— ber Ovaherero 340, 
— der Waganda 476, 
— der Weftafrilaner 597, 
— der Zulu u 
Vinya Nojihara 553, 
Völker in der Region der Nilquell: 


feen 451, 

Völfer der Sandeh:Bongogruppe 
636, 

Böller des innerften Zentralafrika 
D47, 


Völkerbeurteilung (4). 
— — in Zentralafrifa 


Wölterbegiehungen 46). 


Völfer egegenfäße in Tftafrifa 450. 

Völle — und Aufgabe (3). 
ollslitteratur der Hottentotten 

Wabudſchwa 557, 

Wachöbeere 4L, 

Wadirigo 444, 


MWadoe 435, 
Waffen 61. 93, J 
). 146. 147, 178, 


Waganda tie 2 
2 — —— 
2; |. au anda 
— 458 
Bogen und Seife 461, 
Site am 4b, 


fotte 463, 

— Ö$eräte 33, 

— Gejelligteit 463, 

— Gewerbe 457. 

— Haustiere 458, 

— Heer 463, 

— Hiüttenbau 454. 

— —— und iqhang 459, 
— Hoden 4 

— —533 463, 

— Land 480, 

— Metallarbeiten 458, 

— Mufitbanden 463, 

— Nahrung 459, 41 

— Nindvich 453. 

— —— 454. 457, 
— Waffen 46L 

— Werkzeuge 458. 


Wagogo 198, 445, 

Wagugu 520, 

Waguha 557, 

* 416, 418, 

Wahuma (Yö). 215. 425, 4L 452, 


an Iat un. 171. 178, | 
alamba 
198. 200.20. 








= — 


Regiſter. 


Wakamba, Stellung zu den Galla | 
— Wohngebiet 447, 

Wakuafi 

Walo 646, 

Walungu 419, 

ping 172, 

Wami 195, 


Bamrima 197, 


Wanderleben der Buichmänner 56, W 


Waniammeft, ſ. Wanyammeft. 
Wanifa 164, 179, 447, 

— Stellung zu den Galla 449, 
Wanyambo — 
Wanyannen 2: 


— IR ar) 213, 
Wanyaffa 397, 400. 
Wanyoro (63). 147, 221, 452, 454, 
455. 470. 480, 


Wapalomo 177, 
Wa 


Fir gara 44, 
Wajaramo 197, 443, 
Waftraha 444, 
Wajitu 397, 
Waloga 452, 
 Wafferpfeife 214, 
Wafjerpflanzen 364, 


Waſſerreis (6 
| Wafferjheu TER, 


| — ‚u. 200, 


Watufi 452, 
Watuta = . (92). (94). 167, 216, 
409, 


Watwa 119, 
Wavumba 416, 


Wayao — SL 403, 406, 
421, 555, 


— falihe 164. 
Webftuhl der Neger 223, 
Wegemangel 1:M, 


Weiberraub 
eiertämme di) 
Weibervolt d anyoro 


Weibliche Truppen (81). 
Weinftöde, wilde 

Meijen 13. 

Wenja vom Lualaba 553, 

a ra —— der 


Weſtafrika, dynaſtiſche Tradition 
599, 


— Haustiere 536, 

— internationale Berhältniffe 605, 
agb 587, 
lima 570, 

— Schiffbau 592, 


453, 


| — —— 599, 


Def ailane (7) er (ST) 508 
eitafrilaner 


— —— 605, 
— Seeger, mit Europäern 620. 
Dolch 580, 


emnilienperhäftniffe 597, 
uerfteingemehr 578, 
iedensichlüffe 597, 
anbel 593, 
öchftes Wefen 607, 
leidung und Bierat 577, 

Menjchenopfer 


IE 


a Ic. 


Weſtafrilaner, Rechtspflege 
— religiöſe Vorftellungen 607 
— Sklaven 599, 

— Staatöeinnahmen 605, 

— Stellung der Frauen 599, 
— Tradt 

— wmirtjchaftliche Elemente 597, 
rg Staatsrecht 


tſibirien —* 
Widerwille der Neger gegen Fiſche 


176, 
Milde (6). 
Wilder Reid 408. 
Wiffenfchaft der Neger — *— 
Witterungserſcheinun 
MWocenmärlte in —3834 


Wohnſtätten (73 
Wollbaum nn 
Wurfeifen 169, 
Wurfhölzer 169, 
Wurfleule 169, 
Wurfmefler 532, 541 





amömurzel 615, 
4%, 


ao, ſ. Wayao. 
arribavölter 613, 
auri 648, 

embe 202, 

)iber 435, 

oruba 617, 648, 
oung 402, 404. 





Ben und Rechnen (25). 234, 
u zn der W tafritaner 


— 5, 192, 360, 568, 
—— 866. 
mia dl. 
anzibar (84). 198, 
' Sanzibari 582, 
nzibarfüfte 582, 
auberei und —— 183, 
auberer (35). 182, 
| Zauberfrauen — 
Zaubermittel der Zambeſiſtämme 


375, 

Seichenichrift (28). 

Zeichen: und Mieneniprade 7). 
Beiten des Jahres 147, 
| Sentralafrifa, Völter des innerndA7. 
— — Bildjchnigerei 557, 

— — Eijenarbeit 557 

Fiſcherei 
Hüttenbau DöL 

Kahnbau 557, 
Menichenfrefierei 555. 
politiihe Zerſplitterung 

556, 


Stlavenjagd 554 
Töpferei 

Waffen 550. 
— 165, 


| 


erftörungäfraft der Natur (7). 
iegen 200, 
— Betichuanen 203, 

2. 335, 


— Manganja OL 
Sifern LU. 
Bimbabye 414, 


Zizania, Wafferreis (57). 
Sun (68 der * 576, 
u 


— Biographie 259, 

— Gefänge 270, 

— — Gedichte 26L, 
ütten 289, 
üfte 192, 

— Gcdladiten 263, 

— Sprade 176. 

— Tradt 45 

— Waffen 246, 50L 

— Bauberer 267, 

Zulu: Affen 443. 


werge 139, 
mwerguölter Afritad 117, 





v’Abbadie 122, 

Adam, X. (82). 
Alerander, Colonel 86, 
Anderffon (85). 79, 





39). (EP). 161, 1ER. 174. 20. © | Gaitie 645. 


(58). 
er 


 Comber 196, 575, 584. 


‚Coot (6). (Ai. (80. (3). 0). OD. 
— 168, 896, 404, 


Griftofero da Gama 437, 
| Eromther, Biihof (93). 


Dannert 150. 


85.177.817.318, | 
219. 320. 322, 323, 329, 341, 342, Darwin (8). (66). (74), 


350. 351. 352. 355, 856, 371, 
Antinori 122, 509, 
Arboufjet 


— — 


— 69). 


Ballay 
Basen 2 64. 66, 74. 81 82. 8% 


4 
Barth 31. 191, 203, 524, 634, 635, 
636, 637, 644, 


Saftlan ( Mn 6 un 573, eu 


Si 614. 620. 639, 
Battel 119, 








ıD 


458. 50.402, | 


E 
‚€ 


Deden, von der 426, 427, 
Denham 210. 554. 


Dejerra 564. 


 Desmoulins 58, 
Ein 241, 260. 261, 262, 263, 


* u 
wir u . 119, 120. 121 141 
584, 586, 587, 594, 595, 


Ge En oe 008. 608, 616. 618. 628, 
| Dumont d'Urville 


— 587, 
n 396, 406, 
Emin Bei 124. 125. 458. 462. 497, 


498. 546, 
Ersline 166, 211 


— Feraud 132, 635, 645,646, | ‚Wabri 136, 820. 338, — = 358, 


— mia 


Böhm — 

Bolognefi 519, 

Bougainville 119. 

Böving 49, 91, 97, 105, 

Brazza 613, 606, 626, 

Brenner, Ridyard 423, 428.429 435, | 








438, 
Bromnlee 272, 
Broyon 154. 
Brun:Rollet 488, 490. 516. 518.521. 
Buchholz (34). a6, 161, 575, 597, 


Bude 18). 
Burdell BE 70, 74, 


Burton, R. 


559, Fritſch, G 
FR te 





— 107, 149, 152, 155, 
üttner (85 
132. 308. a2, Bib, at 


Faidherbe F 644, 645, 
Setenftein (Bi). (64). 130, —535 133, 135, | 
155. 574, 575, 578, 600, 


. 124. 137, 138, 140, 141. 


Belkin (33 
150, Fr 449, 456, 


144, 


537, 
ginid 25, 


Fiſcher 420, 426, 427, 428, 430. 440. 
Flegel, Robert 637, 639, 640, 


‚sleuriot du Yangle 627, 

Florus Fiſcher 

Bi omwer 53, 

er, Le, (7). 

. 23, 40. 51 58, 65, 
84. 129, 131, 132, 

141. 162, 209, 280, 282, 286. | 

324, 

Früter 22, 


Furneaux (61). (72). 


Gallieni 220, 

Galton 177, 197, 323, 324. 328.331. | 
340, 3412. 350, 352, 355, 356, 

Garbiner 130, 183.252. 200,262.207. 

Geſſi AZ 





Regiſter. 659 
'Gabazo 624, Gill, W. 3. (59). 
Cage 78, Gioner iz, 167, 
— Kap 

Gallaway (31). 58, Gordon 
Cameron (38 ER , U, EM. — 195, | Graga, d a 659. 

198, 209, 219, 221, 366, | Örant 396, 

380. 397, 444. 446, 552, 555. bb. | Green 322° 305, 258, 359, 

657, 561, an 675. 584. 6lL a. Sir — 278, 
| Campbell 64. 74. Orijebadh 8, 


Safe 30. 1. Io. 6. 16. 187. 206, 289, ed 183, 211 258, 


— * ER IT. 


ner 187, 
— 425, 426, 433, 
Güßfeldt 574. 579. 588. 617, 


Hamann dl). 
Yamilton (50). 
Ch. 614, 


Hamy 44, 
Harris (92). 
Hartmann, Robert 21. 46. 
' Herder (11). (20). (79). 
Herodot 
. 496, 497, 508. L 


Heuglin 
Hildebrandt, J. M. (67). 130. = 
. 1äB, 212. 426, 450 


Holub 17, 44, , 131. 137. 17: 

373, 374, 383, 334, 
Hore 393. 
Horneman 


n 171, 
Sübbe: Steben 143. 152, 
Hüber (55). 


Yienberg 430. 436, 438, 


Yohnfton 626, 
|Funter (24). 
er 75).485,489, 524, 526, 529, 


Kaifer 417. 


| Risen 59. 
Kinzelbad 427, 
Kuhn, Alfred 
‚Kirk 317, 

‚Kot, Adam 114. 


E 





30. 434, 

Rrönlein 86, ri 

Racerda (49). 197. 566. 

Zander, Richard 583, 503, 
'Laprade, de (73). 

Yatham — 

| Lenz, D. 2L 559, 627, 628, 
tn N. eh (27). 20. 48, 45, 


42* 





660 Regifter. 
Levaillant (6), 53, I Dates, yrant 177 178, 414, 
Lichtenstein (6 2. a . (92). 59. Olmfted 140, 
66. 79, 86. 87, "24T. 285. DOMeill — 
De Orpen 78, 
Liebreih 613, Dswell 318, 
Zinn (79). Dverbed & 
J—— tone ON. an, (EN. 
on. (7), En un 93). CN. 0 EE Yale, * G. 216, 
— * ER BALL 
135. 143, 145, 148, 149, 150. 151. | DL GIRL, 
163, 166, 168, 171, 175, 178, 179, Benrofe J 
189, 198, 194, 197. 198, 211, 213, | Bereira 567. 
215. 217, 293, 294, 295, 303, 304, Perowsti 
307, 308. 309. 312, 313. 317. 318, | Beichel, D. 11. 80, 
360, 361, 364, 366. 367, 368, 370, | Petheric 197, 
371, 878. 387, 391. 396, 397, 402, Piaggia 
400. 401.07. sus. SA 410. 20. | Hogıe 49). 118. 126, 142, 143, 361, 
557, 559, Pe 572, 592, 625, 
Long 124 Rogge und Wiiimann 547, 553, 
(57). 


Sopeı pc CO) ON. 81 101.56, 575, 578, döppig 


618, 624, 626, | Vretorius 241, 263, 


Lopez do Carvalho 559. 
Lorne, Marquis of (87). 


PVrihemwalätij (58). 
Pruner Bei 82. 424, ASt 643, 644, 


| Sparrmann 55, 62, 66, 72, 80, 
| Spefe 6, 149, 201 394, 296. 421, 








Shepftone 265, 
Siebold, v. (66). 
Sommerville 292 


F 


443, 445. 446, 458, 454, 455, 463, 
481, 482, 488, 
Spencer Baird 


Stanley (52). HE 196, 158, 175, 
190, 19T, 198. 


Stannard SL 263, 


Strauß, Viktor von (18). (31 
Sutherland 80, 110, rn: 
Zadart, O. 102. 

—* 273, 280, 

Thompfon 272, 


Thomjon 74 172. 392, 394, 407 
418, 419, 448, 517, 


Lubbod (9). — 219, 
Thullie 44. 
Quatrefages 24. 44, 137, Tindall (30). 
Macartney, Earl of 274. Quetelet 132, Topinard 
Dane ti6, 401 Quintin 646, Tudey 569, 
Roter, Ladislaus 593, Rante, Leopold v. (95). Vasco de Gama 198, 
Mallery (28). | Netief 24L Bas, — — 
Malkan (83). Nevoil 426, 436, Virhom (9 
Maples 419. Richardfon 8, Vogel, 3. W. 102, 106, 
Marno 146. 18L Ritter (6). (53). 
Marſh, ©. PB. (23). Rohlfs 635. 636. 638, 648. 647, | Wahlberg 359. 
aflari 139, Rouffeau (7). Rait (6). 128, 
Maud, Karl 413, 414, Nugendas 133, Walefield 428, 485, 
ehomw 156, Walded, ©. F. 4. 
Merendty (30). 118, 172, 286. 303. Sagard, ©. (24). Walter 606, 
Miles a Scelling, van der 108. Waller, Horace 212, 
Moffat (24 ‚ne 112. 300. Sclatter (95). Wangemann 134, 158. 159, 242 
hr, Ed. Schmelg (5 3, 217, 273, 275, 277, 278. 279, 
— N 
orris, R. A weinfurt ) ). 1 7 
Mofeley (63). (69). — 13, 32 Te Welder 34, 138, 
Möjer, — 8). (84). 135. 139, 147. 151, 152, 159. | Welmwitich 586, 
er, Mar (23). (so). (8 ) 174, 205, 206. 211 214, 482, 484, | Weftendarp 198, 
Mungo 176, 485, 487. 488. 489, 490. 491, 509. | Williams, Th. (45). (91). 
Munzinger 442, 510, 511. 512, 521, 522, 523, 524, | Wilfon 139. 144 163. 195.455, 
54L 542, 543, 545, 546, 573, 628, | Wißmann 118, 126, 559, 
Nachtigal (4). 549, 550, Selous 144 
Nauhaus 253, 265. 266, Serpa Pinto 118. 148, 373. 374.| Young 402, 404, 
Norris 6. 11, 582. 598. 60L, Kld. . 387, 389, 585, 508, 605, GIL 
Nott und Gliddon 189, Bündel 575. 619, 
—on 


Drud vom Bibliographifcdhen Inftitut in Leipzig. 


(Heljfreies Barler.) 






VERLAGS-VERZEICHNIS 


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LEIPZIG. 


















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— "8 Bände (vollständigete Ausgabe). '30| _ | Manzent, Die Verlobten, von Z. Schröder, 2 Bäe. | 8j% 
Lessing, 5 Bäude re oo» — 
Herder (mit allen abweichenden — ABde. id _ Spanisch und Portugiesisch. | 
Wieland, 3 Bände — Amobns, Die Lusiaden, von K. Eitner . . . 1125 
IL v. Kleist, 2 Bände 4| __ | Cervantes, Don Quichotte, von Edm. Zoller, 2 Bde. il-— 
Chamisso, ® Bände - . 2 2 222020. 4 [ 44, Romanzen, von E. Einer . . . . .‘ 118 
ET. A. Hoffmann, 9 Bände. . 2 222.2. 4— Spanisches Theater, von Rapp und Kurs, 3 Bi. | ” 
Lenau, 9 Bäude , 14 — 
Skandinavisch und Russisch. 
il j ver de L 7 | a 
Heine (mit allen abweichenden rw, Bde. 16 Riürusen, Banern-Norelien, von BR: Zobeiem „| 1185 
Einglisch. | — Dramatische Werke, von Demselben J 2 
Altenglisches Theater, von Robert Prota, 2 Bände | 4|£u | Holberg, Komödien, von R. Prutz, 9 Bände... 4|- 
Burns, Lieder und Balladen, von K, Bartsch . 11% Puschkin, Dichtungen, von F. Läie . . x. .| 1!- 
Byron, Ausgewählte Werke, Strodimannsche Aus- | Tegner, Frithjofs-Sage, von H, Viehof . . | 1ı- 
gabe, 4 Bände . . . ; s|— | 
Uhsucer, Canterbury-Geschichten, von ıW. Hertaberg 2/50 Orientalisch. | 
Defoe, Robinson Urusoe, vou K. Altmüller . „ 1/50 Kalldass, Bakuntala, von Z. Meier . ER J 4J 
Goläsmith, Der Landprediger, von X. Zitner, .| 1/95 Rorgenlandlaehe Anthologie, von Demseiben . 14* 
Milton, Das verlorne Paradies, von Demselben .|| 160 | 
Scott, Das Fräulein vom See, von H. VFiuf .| 11 — Äschylor, D: — | ıl 
Shakespeare, Dingelstedische Ausg. mit Blogr, von || an m |" 
R. Gende, 9 Bde. u Anthologie griechischer und römischer Lyriker, h | 
_ FRE TER R. Gende 2 r u von Jakob Mähly, 2 Teile in 1 Band geb. | % > 
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Shelley, Ausgew. Dichtungen, v. Ad, Strodimann | 1% Homer, Oma, von. Brad J. Mähly | ’ or 
Sterne, Die empfindsame Reise, von K. Eitner .| 1% — en Dam selb Di — 9 a 
—  Tristram Sbaudy, von F. A, Gelbche al N — n Dem gi = BJ ” 
Tennyson, Gedichte, von Ad. Btrodtmann . , .I 1|% Pr iur F I: i 44 
Amerikanische Anthologie, von Ad, Strodimann. || 23| — | 
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Beanmarchais, Figaros Hochzeit, von Ay. Dingelstedt | 1 | —— teratur, von Prof. Dr. Ad. Stern. 
Chateanbriand, Erzählungen, von M, v. Andechs | 1| Zweiter Abdruck. | 
La Brayöre, Die Charaktere, von K. Eitner ı!73 Bieben Bände . . . . R i | »|— 
Lesage, Der hinkende Teufel, von L. Schücking .| 125 ih 
Mirimde, Ausgewählte Novellen, von Ad, Zaun ı\ | Geschichte der — — 
Mollöre, Charaktor- Komödien, von Demselben .| 1175 r) ako 1 
Rabelais, Gargantus, von F\ A. Gelbeke, 2 Bände! 5 | _ ” atur, von J b Mähly, 2 vciis | I, 
Barine, Tragödien, von Ad, Laun . . . . | lau m Band gebunden. , vv...» | 919 
Bousseau, Bekenntnisse, von Z, Schücking, 2 Bas, I glsu | 
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Beer, Struensee, 343. 344. 
Biernatzkl, D. braune Koabe. 513-517. 
— Die Hallig. 412-414, 

Björnson, Arne, 53. 51. 

— Bauern -Novellen. 134. 135. 
— Zwischen den Schlachten. 408, 
Biom, Ich bleibe ledig. 7, 
Blumauer, Virgila Aneis. 369-970. 


Börne, Aus meinem Tagebuche, 24. | 


— Vermischte Aufsätze. 4#7, 

Brentano, Geschichte vom braven 
Kasperl, 40, 

_ Gockel, ı Hinkel und Gackelela. 

— Märchen L 501 565. 

Marehben II. 39-572, 

Bälow, L.Bbakespeare-Novellen. 381- 


IL Spanische Novellen. 34-586, 


111141 


IV. Italienische Novellen. 19-2, 
V. Englische Novellen. #73. 474. 
— VI. Deutsche Novellen. 475. 476 


Bürger, Gedichte, 272 873. 

Onchhausens Reisen und Aben- 
teuer. 3 

Byron, Childe Harolds Pligerfahrt. 
3p8, 509, 

— Die Insel. - Beppo. — Braut von 
Abydos. 188. 159, 


— Don Juan. 1-YL 192-19%. 

Der Korsar. - Lara. 87, 5, 

Manfred. - Kain. 132. 138, 

Mazeppa. - Der Gjaur. 15% 

— Sanlansapal 451. 452, 

Calderon, Das Festmahl des Bolsazer, 
EH. 


— Gomez Arlau 512. 
ck Neun Zwischeuspiele. 5786, 


Chamissn, Gedichte. 263. 268, 
— Peter Schlemihbl. 92. 
Chateaubriand, Arala. - Rene. 169.164. 
— Der Letzte der Abeueerragen. 418, 
Chinesische Gedichte. 618, 
Collin, Regulus 573, 5i4, 
Dante, Das Fegefeuer. 197. 198. 
— Die Hölle. 195. 198. 
— Das Paradies. 199, 200. 
Defoe, Robinson Crusoe 110-112 
Diderot, Krzällungen. 04% 644 
Droste-U 
— Lyrische Gedichte. 479-481, 
— Die Schlacht im LoenerBruch. 41% 
Eichendorff, Ahnung und Gegenwart. 
3165 

— Am dem Leben oines Taugenichts, 
510. 5 

— Gedichte. M4-bi8, 

— Julian, — Robert und Gulscard. - 
Lucius M2 543, 

— Kleinere Norelien. IR- 

— Das Marmorbild. - Das Schloß 
Dürande. 548. 550, 

Euripides, Bier 575, 

— Iphigenia bei den Tauriern. 

- Jenicenio in Aulia. 549. 

— Mudea 


2 


Feuchtersleben, Zur Diätetik der 
Serle. 616. 617. 

Fichte, Reden andio deutsche Nation. 
453-4. 

Fonqne, Undine, 2%, 


— Der Zauberring. 51-505, | 
Gandy,Venezlanisrhe Novell 401-4. | 


II. FrauzösischeNovellen, 337-184. | 


ülshoff, DieJudenbuche, 328. | 





Gellert, — und Erzählungen. 
toethe, Clarigo. 24. 
— Egmont. 
Faust 1. 28 

Faust II. 106-108. 
Ausgewählte Gedichte, 216. 217. 
Götz von Berlichingen. #9. 4%. 
Hermann und Dorothea 16. 
Ipkigeuie, BU. 
Italienische Reise. 238: 262, 
Die Laune des Verliebten. 

Geschwister, 434. 
. Leiden des jungen Wertker. 


24, 
— um Meisters Lehrjahre. 201- 
— Die Mitschuldigen. 491, 


111111411 


- Die 





— Die natürliche Tochter. 432, 49. 


— Reineke Fuchs. 186. 187 
— Stella. 39. 
— Torquato Tasso. 89. ©. 


— D.Wahlverwandtschaften. 1093-108. 
Goethe- Schiller, Xenien. 208. 
Goldsmith, Der Landprediger von 

Wakefield. 0B-H0. 
Grabbe, Napoleon. 39. 339, 
| Griechläche Lyriker. #41. 042. 
Grimmelshausen, Simplieissimus.278 - 


edorn, Fabeln und Erzählungen 
—i 27. ’ 


| Hauff, Die Rettlerin vom Pont des 


Arts. 80. 61. 
— Das Bild des Kalsers, 801. 02, 
— Jud Bis. — Otbello. 95. ML 
-- Die Karawane. 137. 138. 
— Lichtenstein. 34-38. 
- Der Mann im Mond. 415-417, 
— Memoiren des Satan. Gi4-847, 


— Phantasien im Bremer Ratskeller, 
BO0 


Die Sängerin. - Letzte Rittervon 
Marlenburg. 190. 131. 

Der Scheik von Alessandria, 15, 
140 

DasWirtshaus im Spessart, 141.142 

Hebel, Schatzkästlein des rheinischen 

Hansfreundes, 286 - 238, 

Heine, Atıa Troll. 410, 

— Buch der Lieder. 43-245. 

— Deutschland. 411. 

— Florentinische Nächte, 65. 
— Nene Gedichte. 248. Hi, 

— Die Harzreise, 250, 


— Aus den Memoiren les llerren von 


Schnabelewopski. 651. 

— Die Nordsee, 
Grand. 465. 486, 

— Roınanzero. 248, 249, 

Marder, Der Oid. 100, 101. 
"ber den Ursprung der Sprache, | 
sat, 322, 

— Volkslieder, 461-164, 

Hippel, Eber die Ebe. 441-444. 

Hoffmann, Doge und Dogaresse etc. 
510. 611, 

— Da+ Fräulein von Scadert. 15, 

— Der goldene Topf. 161. 182. 

— Das Majorat. 15%. 

Meister Martin. 40. 

Rat Krespel etc. 008 6% 

Der unbeimliche Gast. - DonJuan. 


128. 
Holberg, Hexerei oder Blinder Lärm. 
u Jeppe vom Berge. 208, 
— Die Markeride. 580, 
— Der politische Kanngieber. 
Hölderlin, Gedichte, 1. 191. 
— Hyperion. 471, 472, 
Holmes, Der Profv«sorarm Frühstlicks- 


620, 





tisch Mi-LCH, 
Homer, Ilias. 21-256, 
— Ödyssen, W11-215, 


Hufeland, Die Kunst, das menschliche 
Le ben zu veorläugern. 48. 


Kun 


Das Buch Le: 





| Humboldt, W. v., Briefe 
Freundin. 392 -%7, 
lffiand, Die Jäger. 5310. 341, 

— Pie Mündel. 625, 62%, 

— Der Spieler, 3. 346, 

— Verbrechen ans Ehrsucht. 621, 624. 
| Immermann, Der Oberhof, BI-Bt. 

— Der neue Pygmelion. 8. 

— Tristan und Isolde. 423-490, 

— Tulifänteben. 477. 478, 

Irving, Die Legende von der Schlaf- 
höhle, — Dolplı Heyliger 851.652. 

— Sagen von der Albambru. 1. 

Jean Paul, D.FeldpredigersSchmelzle 
Reise nach Flätr 6. 

— Flegeljahre 235-8 

— Der Komet. 14-148. 

— Siebenkäs. 115- 1%, 
Jung-Stillings Leben. 310-514, 
Kant, Von der Macht des Gemüts, 325, 
' Kleist, Erzäblungen. 74 74. 

- Die Familie Schroffeustein. 465. 
| 4öß,. 
| — Die Herrmannsschlacht, 178. 179 

— Das Kätbchen von Heilbronn. 6. 7. 
— Michael Kublbaas 19. W. 

— Penthenllea. 31, 54, 

— Der Prinz von Homburg. 19 

— Der zerbrocheue Krug. 

Kiluxer, Die Schuld. 599. 
Knigge, Uber den Umgang mit Men- 
schen. 24-27. 

Kopiach, Ausgew. Gedichte. 636, 691. 

' — Das Karmeralsfest auf Ischia. 


an cine 


„ Die blaue Grotte, 583. 4. 
' Körner, Erzählungen, 148. 
— Leier und Schwert. 176 


— Der Vetter aus Bromen. 65%. 
— Zriny. 42.8, 

: Kartum, Jobsiade. 274 - 277, 
— Die deutschen Kleinstädter. 


— Die beiden Klingsberg. 257 
— Menschenhaß und Reue 3.327, 
— Pagenstreiche 534. 525. 
| Lenau, Die Albigenser. 156. 157. 
— Ausgewäblte Gerichte. 12-14 
| — Faust. — Don Juan. 814. 615 


— Savonarola 154. 155. 

Lesage, Der binkende Teufel. 68-71 
Lessing, Emilie Galotti. 88. 

— Gedichte, 41, 212, 

— Laokoon 3-25, 

— Minns von Barnhelm. 1. 

— Mib Sara Sampsom. Zu, 219, 

— Nathan der Weise, 2 @8, 
Vademekomn für Pastor Lange. 34%, 
Luther, Tischreden. 4%, 
Natthisson, Gedichte. 44. 
Neinhold, Die hernstelnliexe. 502 301 
Mendelssohn, Phädon 528 529 
Merimer, Colomba. ©). #4, 

— Kleine Novellen. 14. 

, Milton. Dasverlorne Paradies. 121-124 


Molidre, Die gelehrten Frauen. 14%, 
— Der Mlsauthrop. 185. 

— Der Tarıliil, 

Möser, Patriot. Phantssiru, 2-42, 


Müllner, Die Schuld 693 50%. 


— Volksmärchen L 225. 2u6, 


— Volksmärchen II. 227. 223 
— Volksmärchen IIL 229, 2W, 
— Volksmärehen IV. 821 622. 


Neugrlechische Gedichte. 6le. 
Novalis, Heivrich von Ofterdinzen 
407. 498. 


Pestalozzi, Lieubard und Gerirud. 
315-320 

Petöfl, Gedichte, 645-647 

Pisten, Die Abbassiden. 

— Gedichte. 9. 270. 

Puschkin, Boris Gedunof 


«vb, 1. 





ar 


Racine, Athalia. 172. 
Britannieus. 40%, 
Plädra. 440, 


Musius, Legenden von Rübezahl, 72, 


ÜVehlenschlärer, Corroggio. 469, 470, 





Baimund, Der Bauer als Millionär. 430. 


Schwab, Hirlanda, — 





Smith, Nachgelassene Denkwürdig- 


Genovefa. -| 


— Der Verschwender 437. 438 Das Schlo&ß in der Höhle Xa Xa, keiten. 

Baupach, Der Müller u. sein Kind. 435, 440. dw, Sophokles, Antigone. 11. 

Böm. a, Ausgew. Gedichte. — Die schöne Melusina. 284. — Der rasende Ajas. 550. 
578. 5 — Kaiser Octavianus. 406. 407. — Elekt 

Kussische Een. 653. — Kleine Sagen des Altertums. 309.| — König us. 114 

Ssaint-Pierre, Paul u. Virginie. 51. 52. — Der gehörnte Siegfried. — Die | — Ödipus auf KoJonos. 22. 

Sallet, Laien-Evangelium. 487-4%. schöne Magelone. — Der arme | — Pbiloktetes. 


— Schön Irla. 511. Heinrich. 
Sand, Franz der Champi. 97 9. 

_ Der Teufelssumpf. 47. 
Scheukendorf. Gedichte. 336. 97. 
Schiller, DieBraut v. Messina. 184.185. | 
— Don Karlos. 4. 4. 

— Erzählungen. 91. 

— Fiesko. 5. 56. 

— Ausgewählte Gedichte. 169, 170. 
— Der Gelsterseber. 21. 2, 


Shakespeare, Ant 
239. 223 


I 


445. 446. 
Scott, es Fräulein vom See. 330. 


Seume, Mein Leben. 
— Mein Sommer 1605. 499. 500. 


-- Coriolan. 374. 375. 
— Cymbelin. 556. 557, 
— Ende gut, Alles gut. 


— Die Trachinieriunen. 444, 
Sterne, Empfindsame Reise. 167. 168, 
Stieglilz, Bilder des Orient 585-591. 
Tegner, Frithjofs-Sage. 174 175. 
——— Rail te Dichtungen. 


Tieck, Der Alte vom Berge. 2%. 291. 
— Die Gemälde, 389, 

— Shakespeare-Norvellen. 332, 333. 
Torre, Rosa und Gertrud. 235-340, 


359, 360, 


onlus u. Kleopatra. 


562, 563, 


— Die Jungfrau von Orleans. 151.152, _ — Hamlet. 9. 10, —* cues Bernauer. 385, 

— Kabale und Liebe. 64. 65. — Julius Cäsar. 79. pe de, Kolumbus. 335. 

— Maria Stuart, 127. 128, — Der Kaufmann von Venedig. 5. —E Biltenstrauß franz. und engl 

— Der Neffe als Onkel, 456, — König Heinrich IV. 1. Teil. 326,397, oesie. 597. [64R. 649, 

— Die Räuber. 17. 18, 2, Teil, 32°, 339, Voltaire, de Aufsätze. 

— Turundot 612, 613, — König Heinrich VIII. 419. 420. —4— Luise, 271. 

— Über Anmut und Würde. 9. — König Lear. 149. 150. aldan, Aus der Junkerwelt, 376-380, 

— Über naive und sentimentallsche — König Richard II. 125. 126. Wieland Clelia u.Sinibald, 457.158. 
Dichtung. * - Macbeth. 158. — Gandalin. 182. 188. 

— Wallenstein 1. 75. 76. — Othello. 58. 59. — Musarion.- Geron derAdelige. 166, 

— Wallenstein IL 77. 78. — Romeo und Julie. 40, 41. — Oberon. 66-68. 


— Wilhelm Tell. 4 5. 

Schlegel, Englisches und spanlsches 
Theater. 356-358, 

— Griechisshen und römisches Thea- 


353 
Schlelermacher, Monologe. 468, 
ee U Leben und Gesinnungen. | 


I} 


1 
1 


Ein Sommernachtstraum. 3218, 
Der Sturm. 421. 

— Verlorne Liebesmiüh'. 
— Viel Lärm um Nichts. 
— Was ihr wollt. 
— De. oeuisen Weiber von Windsor. 


— Wie es euch gefällt. 560, 561. 


— Pervonte oder die Wünsche 459. 
— Schach Lolo ete. 598. 


sı8, 519, — Das Wintermärchen. -— Das Som- 
345. mermärchen. 532, 
558, 559, Zacharlä, Der Renommist. 178. 


Zschokke, Abenteuer einer Neujalırs- 
nacht. - Das blaue Wunder. 181. 
— Der Feldweibel. - Die Zn 





























Schwab, Doktor Faustus. 405. — Wintermärchen. 220. 221, nacht. - Das Bein. #6. 
— Fortunatus u. seine Söhne, 401.402.) — Die Zähmung der Keiferin. 219, — Kleine Ursachen ete. 363. 364. 
— Griseldis, - Robert der Teufel. - | Shelley, Die Cenci. 523, — Kriegerische Abenteuer eines 
Die Schildbürger. 447. 448, — Königin Mab. 532. Friedfertigen. 365. 
— Die vier Heymonskinder, 48.404. | — aa Gedichte. - Alastor. 581.| — Der tote Gast, 361, 369, 
Meyers Reisebücher. 
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Süd-Frankreich, 3. Auflage, geb. 00. 0, 8,50] Deutsche Alpen. II. Teil: Mittel- Tirol. 2. Auf- | 
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Heilige Familie, nach Overbeck gestochen von | | Freskobilder aus der Mlncsener Glyptothek (Or- 
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Heilige Familie, nach Rafael gest. von Spieß . | 6\- rung Trojas), nach Cornelius gest.vonSchäffer | | 
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Kreustragung, nach Rafael gest. von Schuler ||12) — | Venedig, nach Le Keur gest. von G. A. Müller) — 








Druck vom Bibliograpbischen Institut in Leipzig 


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