Der bestrafte
Franz Blei, Philip
Provenance
Kaplan
Blau Memorial Collection
V.. /•
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4
Frei n z . B l ö i
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FRANZ BLEI
DER BESTRAFTE WOLLÜSTLING
Alle Rechte vorbehalten.
Copjfijght 1921 bf Avalun-Verlag^ Jnlittt Brüll, Wien • Ldpiig.
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DER BESTRAFTE WOLLÜSTLING
EINE ARABESKE
VON
FRANZ BLCl
I»»
MIT EOm UMSCHLAG -LITHO*
OMnOEVONPABlSOOTCnUM
1 Q2 1
AVALUN-VERLAO
WIEN • LEIPZIG
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Dieses Buch wurde als vfertes in der
Reihe der Avalun-Tausenddrucke
in der Offizin der Gesellsdiaft
für graphische Industrie, Wien,
im Auftrage des Avalun -Verlages
gedruckl. Die ersten 50 Exem-
plare wurden in Oanzpeigaiiient
gebunden.
VBRA NADIQHA
DEM SCHWÜNGE IHRER HÖFTEN,
DEM PLÖ7BNSPIBLB IHRES QANOES,
DER ROTEN MAGNOLIE IHRES MUNDES,
DEN VERSCHIMMERNDEN OPALEN
IHRER AUGEN,
DER ZÄRTUCHEN BESCHWORUNG
IHRER HÄNDE,
DEM BEBEN IHRER KLEINEN NASE,
DER HOHEN FLAMME IHRES HERZENS
WIDMET DIESES CAPRICCIO VOM
BESTRAFTEN WOLLÜSTLING
FRANZ BLEI
IM HERBSTE DES JAHRES 1920
541101
om Estoha! y Poraja überrascht in seinem über-
JL^aus spirituellen Werke »Über die Engel« in
dessen siebzehntem KapHd den Leser dami^ dafi er je-
nem Edelmann» den man nur mit seinem Vornamen
kennt und nennt, so ungewöhnlich ist sein Lieben
und Sterben unter allen seines Taufnamens ausgezeich-
net, — daß Poraja dem Don Juan den Aufenthalt nicht
in der HöUc^ wie man denken sollte^ anweist sondern
im Hnnmel, wdl» wie er sagt; der WollflMling hier
weit entsetzlichere Qualen erleide, als je der Fürst der
unteren Welt für seine Schuld hätte aussinnen können.
Dom Estobals theologische Autorität ist nicht gering
zu schUzen. Dhnnation und logische Scharfe zeichnen
ihn in so ungewöhnlichem Mafie au% dafi ich» bevor
einer anderen Anschauung über des Don Juan Leben
nach dem Tode Ausdruck gegeben sei, mich verpflichtet
erachte» die des spanischen Dominikaners mitzuteilen, um-
somehr» als jenes Werk »De Angdis« von so ffoQa
ScMenheit is^ dafi nicht ebmud das britische Museum
ein Exemplar besitzt
Ich las den lateinisch geschriebenen, im Jahre 1530
gedruckten Kodex mit Erlaubnis der Obern in einem
Exemphtf des Jesuitenkloslers zu Cofdoba unter sehr
ungewöhnlichen Umstflnden, mit deren Eizihlung ich
aber meinen Bericht aus dem Buche nicht aufhalten wüL
9
A]% 90 führt Estobal y Ponja auai ein Engd des
Herrn den Tod des Don Juan meldete, war niemand
im himmlischen Paradies, der den Wüstling nicht gekannt
oder von ihm gewußt hätte. Denn alle seine Sunden,
Lasier und Verbrechen hatten aus jenen, die darunter
gdttten, Erwählte des Himmels gemach^ nicht ihrer
Reinheit wegen, denn diese war in fast keinem Falle
makellos, aber um der großen Leiden dieser Opfer
willen. Alle waren da, wie sie Gott der Herr bei der
Kunde heriieirufen ließ, Frauen wie Männer, bis auf
einen, den Leporeilo^ der im Fegefeuer bangte^ weil er
sein Leben lang weder was Gutes noch was Böses
getan hatte, also nichts weiter als ein Feigling war,
der sich nicht hatte entscheiden können.
Die vor Gottes Thron Versammelten erwarteten des
Herrn Urtdlaspruch, der den Wüstling in die untenle
Hölle verdiimme, und auch der Don erwartete es so^
doch ohne Furcht, die er ja nicht kennt, auch vor Gottes
Angesicht nicht
»Als ob die Hölle sein wahres Vaterland, ja sein
ihm von Rechten zukommendes Reich sei und Luzifer
nicht sein Herr und Herrscher, sondern sein würdiger
Genosse und Spießgeselle, so erwartete er die Hölle
als ein notwendig Unvermeidliches«, wie Estobal
achrettyt Mehr noch, als dafi er an der göttlichen Er-
barmung vcRwdfeitc; was schon, wie man weifl^ eine
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Sünde wider den heiligen Geist is^ die einzige» die
nicht yagjAcn werden kann — mehr noch tat er: er
vertthtete das Mitleid, wollte es nlch^ bei^ sich
nicht davor, so sehr reckte ihn sein verbrecherischer
Stolz auf. Alle ergriff ein Schaudern, nur jene nicht,
welche den Don Juan auf Erden gekannt hatten, denn
diese e rwa rteten nur den hinschieodemden Blitz aus
des Heim Auge Der aber kam nicht Denn es geschah
dieses: Gott der Herr trat aus seinem tiefen Schweigen
heraus, blickte voll Oute auf des Wüsth'ngfs frevelhaft
aufgebäumte Seele und sprach in seiner unerforsch-
lichen Weisheit die Worte:
»Juan, bleibe hier.«
Keiner glaubte recht gehört zu haben. Die sanfte
Klara fliisttTte: >Er bei uns?« und über Priscilla lief
ein Schauder. Der Don selber rührte sich nicht, hielt
das Wort des Albnächtigen fOr eine Art schrecklicher
Falle. Erst ein Licht der Hoffnung; damit dann das Feuer
der Verdammnis um so furchtbarer über ihn zusammen-
stürze. Und er lachte in seinem Innern über den Scherz,
wofür er das Wort hielt, denn er hätte ihn, weiß Got^
ähnlich erfunden, wären die Rollen verteuscht gewesen.
Da schon aber sprach der Herr zum andern Male:
»Juan, du wirst hier bleibeac
Nun lockerte schon Unsicherheit Don Juans Seele,
so daß sie bebte zum ersten Male: er verstand nicht
tl
I
t
Für dne Seele wie seine, war nicht zu verstehen eme |
bis nun nicht gelcannfte Erniedrigung Dafl er immer ^
im Himmd bleiben Mite als ein Verdamniter, dieses |
erlcannte er, denn er wußte; daß sich die göttliche Oe- \
rechtigkeit nicht selber verlassen könne. Es war also
so, daß er als Veniammter im Himmel bleiben solle.
Er ¥volifte Oott Ingien, aber das Sdiweigen Ootles ist
dem Wesen nach undurchdringlich. Was es verbeigen wül,
das bleibt verborgen.
Niemand vermochte die Gründe dieser göttlichen
Entscheidung zu erkennen, die von einer unerkläriicben,
ja ungeheueriichen Nachsicht schien.
Also blieb der Don im himmlischen Paradiese und
war da wie ein Fremder in einem Lande, dessen Sprache
er nicht kennt, dessen Bräuche er nicht versteht, dessen
Landschaft ihm nie deutlich wird. Und es fiel eine
ungdieme Langeweile auf ihn. Er litt unsiglich darunter,
allseitig von Schönheit umgeben und aufiersfamde zu
sein, diese Schönheit zu mißbrauchen, um sie zu zer-
stören. Als Elvira sich ihm nahte, erfüllte ihn Freude,
denn er dachte sich nnn an ihrem wohlgekannten Haß
zu eigfilzea Aber die Stimme Eitras sKgte lieblich
zum Orufle »Juan, mein BriutigamI« Vergessen hatte |
er, dafi er Donna Elviren die Ehe versprochen hatte,
aber das Versprechen gal^ und Elvira wußte es nicht
anders.
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»Ihr haflt midi doch» Ehfimlc rief er.
»Ich?« sagte sie erslaufit und versfamd in der ewigen
Stunde nicht den Sinn dieses Wortes, den sie vielleicht
auch auf Erden nie gekannt hatte. Sie wuüte in ihrer
teltenloaeii, dnlachefi Seele nur diesem daß Juan ihr
geschwoien hatten sie zum Wdbe zu nehmen und dafi
sie nun an einem Orte mit Ihm vereinigt sei, an dem
sich jedes irdische Gelöbnis erfüllte.
»Aber ich habe dich beleidigt, Unglückliche, habe
dff Schimpf angetan, dich miflhandel^ ~ erinnerst du
didi nicht?«
»Ich erinnere mkh nur des euwn, dafi ich dich
liebte. Alles wird vergessen, was Schmerz machte. Du
warst entzückend, Juan«, sagte sie und lächelte in den
Augen.
»Aber ich liebe dich nicht mehrl Keinem die ich
lid^ und die hinter dir in langen Reihen stehen,
keine, die ich je liebte, liebe ich, und liabe keine je
geliebt!«
Da kam von aOen, die mit Ehriren wareiv eine
Stimme: »Wfa- lieben dich, Juan, und können es ohne
Sfinde Hier kann niemand sflndigen.«
Hier kann niemand sündigen, — das traf den Wüstling
wie ein Stein mitten zwischen die Augen. Also in diesem
Reiche konnte er kdn einziges Veriangien hervomifenl
In diesem Reiche konnte er keinen zu liegend eher Sllnde
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verführeni in diesem Reiche konnte er nicht sein wie
er war, und war doch in sein Wesen gezwungen ge-
blieben.
Er hatte seine Verdammung verlangt, um weiter in
seinem Wesen zu leben, Leid und Schmerz hervorzu-
nifen, selbst um den Preis, selber Leid und Schmerz
zu ertrsgen. Und nun war er bis ans Ende der Zeiten
verdammt, in dieser schrecklichen Anschauung reiner
Unschuld und sündloser Güte zu leben,
Zermalmt schrie er au^ daß der Himmel erbebte:
»Der du Richter bisi; von dem das Wort gesprochen
ist, daß er ebenso zu strafen wie zu verzeihen^ wissen
du, der du ohne Schwäche bist, ich sage es dir: ich
habe gelogen, ich habe gestohlen. Ich habe getötet bei
hundert Gelegenheiten und um einer Laune willen. Ich
habe alle Frauen und alle Minner betrogen, die Kinder
nicht verschont Ich habe meinen König verraten, bloft
um ihm nicht zu gehorchen. Ich habe aus Trotz und
Lust wie ein Schändlicher gelebt. Und du hast mich
unter die Auserwähiten gesetzt! War es denn nichts,
was ich getan habe? Wa% was muO man tun, um die
Feuer der HöUe zu verdienen? Wss muß man tun?«
Uber dem göttlichen Mund verschwebte ein Lächeln,
aber er öffnete sich nicht
Und Don Juan riß sich aus dem Beben, das ihn vor
diesem Lichehi erfaßt hatle^ und rief:
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»Und rGhrt es dich nidri; was ich an deinen Ge-
schöpfen verbrach, so hör' dies: Es war, daß ich einmal
spät in der Nacht in einen Ort kam und es lüstete mich
nach emem Wäbe. Das junge Volk sei über Land zu
euwr Hochzeit sagte man in der Schenice. Ich lief
durch die dunlden Oasaen und rief laui Frauennamen
in die leere Nacht, rannte verschlossene Türen an,
schlug an Fenster und rief Namen und schrie laut die
Namen aller Dinge weiblichen Leiber Schrie: Brfistel
Schellkell O btondes Haar I und achlug mit dem Degen
auf die Steine Aber die Stedt war alles Lebenden wie
tot Da war auf einmal ein Licht, ein Lämpchen flackerte
in einem Fenster und hinter dem Lichte lächelte das
Antlitz einer Frai^ wie ich nie eine gesehen, ich stanc^
slaRtei dann sprach ich. Tief zog ich den Hu^ daß dte
Federn im Steube schleiften, und bat: Öffne, Aller-
schönste! Aber sie schwieg hinter ihrem Lichte und es
war, als ob sie lächelte, ich rannte ans Tor. Verschlossen
war es^ gab nicht nach» wie idi auch hämmerte Und
wieder spfach ich» aber häfilichste Worte: Hurenkind;
btondes, lächelnde Dirne lass* mich ein, mach' au(
mach' . . . Aber sie rührte sich nicht und lächelte immer
hinter ihrem Licht Schreckliche Flüche rief ich ihr ins
Fenster» Schimpf wte dem elendesten Weibe Bis mich
die ToOhdt fuckte und ich dte Wand erktetterle; zum
Fenster hhtauf dasOesims» bfait(g^ Hlnde nicht achtend»
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hing am Fenstemnd» sah die lädidnde Frau hintenn
Licht
Es war das Bildnis der Mutter des Heilandes^ vor
dem die Ampel brannte I ich habe deines eingeboraien
Sohnes Mutier euie Hure genanntl Nun? Nun?c
Aber Oott der Herr enÜieB seinem Munde kein Wort,
und er lächelte.
Da konnte der Don dem Beben, das über ihn wieder
kam» keinen Einhalt mehr tun. Und es schien ihm Oofttes
Uchebi dies zu meinen, dafi der Mensch, dafi alle
Menschen und so auch er, so Oeringes wären vor Ihm,
daß nichtig wäre, was immer sie auch tatea Und von
des Don Lippen kam eine leise Frage:
»Dann gibt es also Sfinden, die ich nicht kenne ?€
Aber auch darauf ward ihm keine Antwort Und dies
ist, schh'eßt der Dominikaner, die Strafe, welche die
göttliche Gerechtigkeit dem Don Juan auferlegt hat:
Bis ans Ende der Ewigkeit wird er dieses hfagen, was
an seiner Sigsten Sflnde^ seinem Stoben frifit und nie
Antwort tsekommen: ob der Mensch und auch er ein
so Geringes sei, dafi er nichts vermag, nicht einmal zu
sundigen.
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IL
Der sich darin gefid, diesen ehm gottesl&Michcii
Paragraphen einem harmlosen spanischen Domi-
nikaner ifis längst geschlossene Schuldbuch zu schreiben,
dieser Herr unbestimmten Alters zwischen zwanzig
nnd sechzig» der die Ideine Ecloe eines giofien, mit
lausend Dingen» nur keinen Schfeibiilensilien
deckten Schreibtisches benützte, um auf mit K. D. unter
einer Freiherrnkrone monogrammierten Bogen veilchen-
fvbnen Briefpapieces den Don Juan in den Himmel
zu bringen, dieser Herr Klemens von Disenberg erfüllte
mit seinem Schreiben eine drängende Pflicht seiner
ehemaligen Freundin Antoinette gegenüber, die ihm an
eben demselben Tage brieflich ihren Entschluß mitge-
leiit hatte, einem wenn auch jungen, so doch abwechs-
hingsrdchen Leben hi dieser Welt Valet zu sagen und
h» Kloster anzutreten. Nicht ab ob Disenbefg Antoinette
mit diesem Briefe hätte von ihrem Entschlüsse abbringen
wollen; er dachte ihr vielmehr den Weg zu den Kar«
mditinnen zu erieiditem, mdem er ihr zeigte^ wie wenig
Oott sich aus einem so schweren SQnder wie dem Don
Juan mache; worsus sie sich sagen sollte, dad es fOr sie;
die, wenn auch nicht tugendhaft, doch im Laster es
sicher mit dem Don nicht aufnehmen können nicht nöt^
wäre, ffirderhin nichts als zerknirscht zu sein. Sehl
Liebeshandd mit Antoinette Ug drei Jshre znrikk Ohne
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Nachricht war er seitdem gewesen. Gerüchte, die ihm
zu Ohren kamen, paßten zu Antoinette^ durften also
fnt dfe Wahilieit sein, Wahriiei^ die er ohne besonderea
Interesse vernahm, und die, auch wenn sie interessanter
gewesen wäre, Klemens kaum bewe^ hätte. Nun sah
er sich auf einmal durch die Mitteilung Antoinettens
in einem Leben wichtig genommen, wo es ihm erst
nicht ohne iMifihe gelang; sich fiberiiaupt an Einzebies
zu erinnern, doch deutlich bis ins Einzelne auf einmal
alles wurde, als er einen Zettel gelesen hatte, der
Antoinettens Brief beigelegt war. Antoi nette war neben
ihm auf dem engliach geschorenen Rasen gelegeni der
den kleinen Paikhfigel, geformt wie eine Frauenbrus^
iSberzog, lag neben ihm und Duft ihres Leibes, Parfüm
des Haares, vermengt mit dem Geruch der Erde und
des Grases, wehte über ihn, daß er dachte,... die
Essenzen aller Jahrhunderte.., emgdiocknefte Mumie
emer Katze . . . Nil . . . , und leichthm huadite eine vnge
Frömmigkeit durch seine Seele, den flüchtigen Oedanken
heraustragend, daß sommerlichhafte Wärme zur Simpli-
zität disponiert mache. Et strich mit dem htiken Ring-
lingv Antoinettens Oval vom rechten Ohr zum Kinn
und sie schmdcheite seine Wange an ihre hin. Allea
ist es immer miteinander, dachte er, es wird ihnen
schwer, den Frauen, ihr Verschiedenes zu trennen,
Schwester, Geii^te^ Mutter änd sie in jedem Akt
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»Schlafen Sie nicht ein aus Höflichkeitc, sagte da
Antoinette, und er antwortete sofort, rasch und viel
sprechend, um ihr seine wache Gegenwart zu ihr ein-
dringiich zu zeigen.
»Ich kdimte Sie mit einer sehr giofien Ehrlichkeit
unterhalten, Ihnen zum Beispiel sagen, daß Ihr Haar in
dem Grün noch viel goldiger ist, Ihr Ohr, in das ich
fiöstere, eine kleine rosenfarbige Muschel, und über-
haupt; dafi Sie sehr achAn sind; AntoinetieL Und doch
mdcMe ich über meine Freude^ fiber meine Lust an all
diesem aus Verachtung meiner Freude jetzt sehr gerne
lachen. Ich sehe Ihre jungen Brüste durch den Stof^
ich sehe die gleitenden Hüften und sehe; was die Lust
des Mannes ganz besondere anzieht leh vdhde davon
nicht spr e ch en, sihe ich nicht in dieser banalen Nackt-
heit das Symbol meiner Freiheil Als Gaston de Foix
in den Krieg zog, in dem er fiel, biß er seine Geliebte
ins Kinn, um ihr seine schmerzliche Furia, seine ver-
gehende kitdligentia zu beze^^ Genau das Gleiche
wire es, genau die gleiche Geste wire ei; schSbe meine
Hand Ihnen Rock und Jupons hoch und fieberte über
(lern Knie. Genau die gleiche Geste wie der Bifi ins
IQnn. Die Indesenz drückt das Mitleid der allgemeinen
Ideen mm, den göttlichen Schrecken der Welt«
Antoinette wurde noch glühender von den Worten,
die sie hörte, und ihre Glieder fanden wie aus sich selber
den bcaondefen Pli der Z&llidikdt Der Pirk um den
bcrasten Hugd versank, von ihm blieb nichts als der
Fleck, auf dem sie mrt Klemens lag, und darüber war
der Himmel, eine Kuppel aus blauem AAetall. Ganz ferne
WO in der Wdt bellte Antoinettens Hündchen md, das
seine Herrin vermifitc; Die spürte nun ihren Leib liegend
nicht mehr, aber durch dessen Olteder es wie Schnurren
einer Katze, und die Brüste hart gesparifit, daß sie an
den Spitzen sehr angenehm schmerzten. Zwischen ihren
Zähnen sein Haar. Beider Unbewufitheit sank auf den
tiefmöglidisten Punk^ wo Antoinette ab erale so viel
Bewufitsein erraffte, dafl sie rasch zwei Knöpfe auf-
springen machte. Und es geschaii ihr zum ersten Male,
dafi sie ihr Erröten über verliebtes Wissen nicht wie
sonst und immer damit verschleierte^ dafi sie die Situation
ins Deloonzertierende und damit ins Lasterhafte brachte.
Zum ersten Male vollzog sie schönste Pflicht mit dem
delikatesten Takt
So deutlich wurden Klemens mi einem Male aus dem
fast ganz Versunkenen dieses Abenteuers Landschaft^
Situalioo, Wort; Oest^ Unaussprechbare^ nachdem er
den Zettel gelesen hatte, der Antoinettens Brief beilag;
und den er ihr geschrieben hatte, er wußte nicht mehr,
ob nach jenem panischen Mittag im Park oder nach
einer Nacht Er hatte geschrieben: »Antoinette Du wirst
noch oft aus ScUampigkett sflndigen. Wirst Dich dem
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X. Y. aufe Knie bttzen und er wird Dir insOlir sehr
schmutzige Proposittonen sagen, sehr natürliche, aber
danun sehr tinnatärtiche. Doch Du bnt in der Onide^
denn einmal hast Du das SakrilegiuRi mit der eifer-
vollsten und refzoidsten frötnmigkeit begangen. Dein Kl«
in Antoinettens Brief stand noch folgendes:
»Du sagtest mir einmal, daß eine Liebe, die nicht
traurig ist, nicht glucidich sei Und dafidne Intelligenz,
die nicht wollflstig ist; nicht traurig ad. Und dann sagtest
Du auch noch: ,Küsse und Sophismen, Meditation und
Flirt, Ironie und Zärtlichkeit: — der Glaube läßt es zu,
daß unser Herz unter den köstlich schwersten Gewichten
vernichtet wird.' Und noch ehies Satzes erinnere ich
mich von Dn*. »Wir müssen uns bis auf die letzte Faser
unserer Person ignorieren, das ist unsere Aufgabe.' Nun,
ich bin so weit, der letzte Schritt geschieht morgen und
die Aufgabe ist erfüllt«
Über Disenbeig war dne starke nervte Spannung
gdoonmieni die weder, wie er steh sagten mit den senth
mentslen Souvenirs einer alten Liebesgeschichte, noch mit
dem Entschhiß einer jungen Dame, ins Kloster zu gehen,
in Verursachung gebracht werden Iconnte. Spurlos war
die Qeschichle geblieben» Erinnerung» die drd Jahre her
nie akut Idwndig gewoiden, was konnte daher das Auf-
tauchen dnes Namens jetzt solche Bewegung in ihm
hervorrufen? Jetzt, wo jenes Abenteuer durch den
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Zufall dfws 8]ifbcw!idirteii| nicht voiofcncfi I^Hdi' fOf
einen Moment wohl ganz deutlich geworden war, um
aber doch gleich darauf ins Indifferente irgend eines
efaimal Oeschehenen zu sinken ? Er ocdncie das ver*
gangene Stfick des T4ge% fand nichts darin im Tagte
vorher, das die seltsame Unruhe^ die in ihm fieberte,
begründete. Das noch vor ihm liegende Tagstück ent-
hielt nichts, was ihn erregen könnte, — die von ihm
gesuchte Banalität eines Teebesuches bei Eusapia, den
er nicht mehr m machen dachte^ da es zu splA ge-
worden war, spSter eine Vorstellung chinesisdier TSn-
zerinnen, die er mit Freunden besuchen wollte und von
der er sich nichts versprach, eine durchaus befriedigende
Nadirichtvon seinem Vermögensverwatter.dieTempefstur
hn Hotelzimmer normal, der Winteriiimmd Uar und
ohne Gewitterwolken, wie er sich durch dnen Blidt
aus dem Fenster uberzeugte, die Aussicht aus dem
Fenster in die Baume des Zoologischen Gartens, die
Hotelbediensteten vom Ti^ sdner Ankunft an Idse
und unaufdringlich ihren Dienst besorgend, was nur,
was war es, das ihn mit solcher unerträglichen Hoch-
spannung erfüllte, das ihn wunderte, aus Papier, das er
angriff, knisterten nicht Flammen? Er hatte nach den
mit Don Juans Himmdfahrt beschriebenen Blattern ge-
faxt und er verstand nicht Wie war er nur darauf
gekommen, dies niederzuschreiben als Antwort auf die
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Mitteilung einer fast vergessenen jungen Dame? Als
Antwort auf dne gar nicht von ihr g^steUte Frage:
Wer war es afao^ der ihn um Don Juans Schicksal ge-
fragt hatte? Und wem hatte er diese Antwort gegeben?
Zwei, drei in der Tat ungfewöhnliche Zufälle hatten
Klemens dazu gebracht, vom Glauben das beste Teil,
wie er sagte» den Abeigiauben, bedingungslos zu be-
halten. Und warf ihn immer dann ins Spiel, wo er sich»
wie er sagte, ohne Atoots zu spielen gezwungen sah
und damit meinte: wo alle rationalen Gründe für die
Erklärung versagen, eine Erklärung aber doch, von den
Nerven aozusagen» gefordert wiid Diaenbeig glaubte an
Ahnungen, Vorbedeutui^nen, Veriteitungen, kosmische
Einflüsse, die Sterne, ja an die Spinne am Morgen,
wenn er sich in dem erbitterten Kampfe um gute
Gründe für das Einfachste erliegen sah. Für das Ein-
fachstei denn nur dies ist rätselhaft Das Komplizierte
ist immer duichschaubar. Klemens liutete; Man möge
ihm den Abendanzug herausl^en. Und ob jemand nach
ihm gefragt habe.
»Noch nicht« Die Antwort frappierte ihn. Er
hatten g^nz schon im Unerwarteten lebend, ver*
gessen, dafi er beim Eintritt ins Hotel schon die Frage
•getan hatte, ob jemand nach ihm gefragt habe. Das
»noch nicht« der Person, es ist das nevermore im
Gedicht von Po^ wuflte er. Dieser sonst so kühl
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verständige und skeptische Herr von Disenberg war in
dnem Zustande^ daft er das Firmenschild h]geiid dnes
afS^entinischen Importeurs oder Zahnarztes Estobal
y Poraja am Nachharhatne seines Hotels» wäre jetzt,
wo er daran vorbeiging, sein Blick wie am vorigen
Tage darauf gefallen, daß er den Namen des Schildes»
l^chzdtig ersdiredct und versidiert» für ein »Zddien«
Inhalten hStte;
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ül.
Et war mitten während eines Tanzes der Lu Lung
Ming-Tnipp^ dafl Klemens von Diaenbcig wie
for^elridien den Pavillon Bleu verließ, auf die in
dichten Schneefall gehüllte Straße eilte und ein vor-
betfahrendes Auto mit Hallo stehen machte. Während
er auf den Wagen zueUtc; merkte er» dafi von der
anderen Seite der Stmfie her, und mit reicheren Lauf-
schritten das etwas größere StOdc Weges zu bewSHigen
suchend, eine Gestalt dem an^^eriifenen Wa^^en zustrebte.
Rechts und links wurden die Türen geöffnet, zugeknallt
und von beiden Gasten in dem lomen Moment des
nsKigens oem ranrer zugennen: cQen*noiei» Lier
Wagen fuhr los.
In normaler nwöser Verfassung hätte Disenberg,
ausgehend vom Zufall des gemeinsamen Zieles^ eine
reundUche Unierhaltung mit dem Fremden begonnen,
der, nachdem er um seine und seines Nebenan Knie
eme Pdzdecke geordnet hatte; sich schwelgend in die
Ecke drückte. In normaler nervöser Verfassung hätte
dieses wieselbstverständhche Gehaben des Eindringlingsm
seinen Wagen, selbst in Anerkennung der spaten Stunde
und des gemensamen Zieles^ Disenbeig vielleicht zu
einem herausfordernden Pardon gereizt. Aber sein Zustand
war ungewöhnlich und so nahm er das Ungewöhnliche
wie ein Selbstverständliches hin, ja es äberraschte ihn
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nicht dninal, ab der Fremde das Licht tm Kupee auf-
Icnipste und er wahrnahm, daß er sich nicht, wie ver-
meint, in einem Mietwagen, sondern in einem Privat-
wagen befand. Automatisch hdflich meinte er nur:
»Ein MifivefBündnis mdneiBeitLc
»Es ist alles ganz in Oidnung,« hörte er die Stimme
des Fremden aus der Ecke, auf den er nun den Blick
wandte, um das durch nichts weiter auffallende Gesicht
eines Herrn in mittkren Jahren zu sehen, dessen Blasae
aus einem dunUen Bart auf Lippe und Kinn und
Wangen fast weiB schimmerte Die Augen lagen im
Schatten. Der Seidenhut spiei^elte matte Reflexe.
Disenberg hielt seinen Namen zu nennen jetzt für
g^^eoen.
»Ich weiflk« sagte der Fremde und fuhr, wie
um gegen das Unpassende seiner Bemericung kein
Wort möglich zu macfien, gleich rasch fort: »Ent-
schuldigen Sie, wenn ich den Anschein, irgend ein zu-
fiUiger Hefr zu sein, der mit Ihnen zufällig im selben
Wagen zum gleichen Hotd ffihr^ zu erhalten mich
nicht bemühe. Es ist nämlich von einem Zufall gar
keine Rede. Es ist, leider, leider alles ganz, wie sage
ich, abgekartet und in Ordnung. Ich brauche Ihnen
meinen Namen nicht zu sageiv so wenig wie Sie mar
den Ihren sagen mufitea Wir kennen uns!« Und ein-
dringlich wiederholte der Fremde: »Wir kennen unsdocli.€
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Nicht wie eine Frage, sondern als ob es sich um
eme im Augenblick vom andern seltsamerweise ver-
geBsene Tatsache handelte, wurde der Satz gesprochen
und wiedctMt and Djaenbefi^ war es^ ab ob er m der
Tat genau wüßte, wer dieser Fremde sei, dessen Namen
ihm nur plötzlich entfallen, da er ihn doch vor ganz
kurzer Zeit gewußt nicht nur, sondern des öftem
wiederholt hatte. Er fand sich wie in eine Landschaft
gestellt, die er nicht an da und dort deutlich Werdendem,
an Baum, Haus und Weg erkannt, sondern an den
Nebeln, die über ihr lagea Das Unfaßbare wurde ihm
vertraute Wirklichlceit, die Wirklichkeit völlige Fremdheit
Das Auto hielt vor dem HoleL Man stieg aus und der
Fremde warf dem Chauffeur ein kurzes Wort zu.
Spanisch natürlich, empfand Discnbcrg, der nur einen
Kiang vernahm. Das Auto glitt weg.
»In die Bar noch, nicht?« sagte der Fremde. Nach-
dem der Barkeeper die beiden einzigen Oiste bedient
hatte; nahm er hinter der hohen Schenke den unter-
brochcncn Schlaf wieder auf.
Das irisierende, grau in grünlich schimmernde Licht
in dem hohen aber schmalen Räume erschien Disenbeig
bewegt als ob es atmete^ und seine Atigen suchten
einen festen Punkte trafen aber immer nur auf spiegelnde
Reflexe von Metall, Glas und Marmor. Irgendwo in der
Höhe mußte wohl die Lichtquelle sein und er warf den
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f
I
I
I
Blick etwas sclimerzhaft zur Decke, die eilends flüchtete
als ob er sie mit seinem Blick jagte. Da fiel ihn ein
lebhafter Angriff von unten her an. Der andere hatte
das rotverhängle Licht einer Iddnen Stehlampe ai^ie-
kntpat Der schwankende Raum versank und Dtsenberg
fand sich alsbald völlig gesammelt und komfortabel in
seinem weichen Lederstuhl
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IV.
Die sympathische Phantasie Ihres spanischen
Dominikaners würde ein himmelblaues Licht
eher erwarten lassen als das höliisdie Rot dieses
Lampen8chinne% das übrigens den wahren Sachverhalt
nicht einmal ^rmboliach belenchtei Denn höllisch ist
meine etwas desperate Utisterbhchkeit höchstens in
einem übertragenen und gar nicht im orthodoxen Sinn,
mein Lieber» Daran ändert auch nichts^ dafi sie im Ablauf
der Zeiten manchmal einen sozusagen diabolischen
Akzent bekommt, den aber weniger meine Person spAri;
als vielmehr meine Umgebung, wie Sie in diesem Augen-
blick, oder meine andern Nachfahrer und £nkd ihn
spürten, denen Ich mich, dne sonderbare Laune des
gdttilchen Gerichtes» zu Zeiten immer wieder zu b^
kennen verdammt bin. Ja, veidammt, wie ich mehr
persönlich als in pathetischer WiederhoUing eines hohen
Urteils sage, denn das Vergnügen dieses Bekenntnisses
ist gar nicht auf meiner Seite; ich gMnbc^ es ist auch
nicht auf der andern. Aber vielleicht bei Ootl; der äber
die Situation tadien mag. Er hat einigen Sbm für den
Humor seiner Welt oder hat iiin im Lauf der Zeit be-
kommen. Meinen Sie nicht?«
Disenbeig blickte wie einer, der hört, aber nicht
zuhör^ dem O^genfiber mitten zwischen die Augen,
wo die Brauen einander fast berährten in einer fein
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ausgezogenen schwarzen Linie. Auch wenn er gewollt
hätte, wäre ihm keine Zeit zu einer Antwort, kaum zu
einem Ja geblieben, denn das G^enüber sprach ohne
Aufhält weiter.
»Es macht einen wen^ angenehmen Eindruck» dafi
nur ich spreche, ich weiß. Aber ich kenne Ihre Fragen
alle, bevor Sie die Worte dafür bereit haben. Erstaunen Sie
nicht über Ihre Schweigsamkeit; lieber Herr von Disen-
befg. Was Sie von mir hdien» wird Ihnen wie ein Seihat-
gesprich vorkommen, das Sie föhren.«
Disenbergs Lippen machten ein kleines Lachela Aber
daß er nicht sprach, dessen natürhche Ursache fand
er in seiner körperlichen Müdigkeit und dessen ein-
fachen Onind dariiv dafi es ihm als das Sdbstverslind-
llchsle der Welt vorkam, diesem Herrn begegnet zu
sein und ihm gegenüber in einer Bar zu sitzen. Er
hatte eine solche Gewißheit des Vorwissens alles dessen,
was jener ihm sagen würde, daß ihm, so kam ihm
vor, zu fragen gar nnfats eingefallen wäre. Da er nur
meinen Mondog zu sagen behauptet, ich aber wieder
genau weiß, was er sagen wird, wer und was ist
es nun, das spricht und das gesprochen wird? Disen-
berg schloß die Augen, um es zu sehen.
»Es ist schon recht huig her, dafi ich auf den Appant
verzichtet habc^ den Sie vom Theater her kennen, ich
trete gewissermaßen nicht mehr darin auf. Verführungen,
ao
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Ktae^ nSditfidie Fhicht heimliche Treppen, imidlöee
Zusammenküfifte^ Entfflhningen, Maskenbälle, Banketie,
Champagnerarien, — das war ich natürlich gar nicht
Mein fataler Mythus ist der Wüstling wider Willen.
Denn ich träumte als Knabe von der Liebe wie von
einem Heiligtum^ in das ich ab JMann dntfde: Aber
sie Icam nicht Sie bli^ ein Wort Nie ffihHe idi eine
jener Regungen, die den Mann erblassen lassen. Nie
den Schauder, den, wie man sagt, himmlischen, beim
Anbliclc einer Fraa Mich besafi die Macht des Ver-
langens, aber ich besafi nicht das Vermögen der Liebe.
Ich konnte Frauen besitzen, konnte es erreichen, daß
sie mich liebten, aber es war mir versagt, daß auch
nur für eine Sekunde mein Herz zitterte, meine Seele
sich bewegte; Anfangs, vcisuchte ich es auf alle Weisen.
Qhmbte zu der Liebe zu kommen, indem ich so tat
als empfände ich sie. Ich wurde dadurch nur in allen
Künsten der Sinne geschickter. Ich redete alle Worte,
tat alle Gesten, bildete alle Blicke^ wie ich sie bei den
Uebenden wahrnahm, mi Ohiuben, aus Worten, Oeslen,
Blicken wfiide mir das OefCUil kommen. Tausende Male
wiederholte ich zu tausenden Frauen das zärtlichste
Geständnis, den heißesten Schwur, die tollsten Worte.
Ich küfite, seufzte, stand lange nachtliche Stunden, in
den Mantel gehfiU^ unter Fenstern, das Ucht erwartend,
schrieb sinnloae Briefe^ zwang mich zu Tiinen, veigofi
31
Blut der Nebenbuhler, verlobte mich Iderlidv — aber
€8 Wir alles ganz vefigchUch. Ich bekam nur dnen selir
schlechten Ruf. Aber nicht das OefGhl der Uebe Aus
der leidenschaftlichsten Umarmung hätte mich jeder
Anruf sofort lösen können, denn ich war nur — ver*
stehen Sie^ bei der Sachen aber nie bei der Liebe. Bei
dem ersten Dutzend Frauen Raubte ich, es Uge an
den Frauen. Bei dem hundertsten Dutzend glaubte ich,
es lä(^e an der Frau. Und es gab doch viele darunter,
die meinethalben weinten, Schande ertrugen, sich das
Leben nahmen. Ich sah in ihre Augen, bUue^ Schwaney
grau^ Augien der wilden Leidenschaft Augen der sdigen
Agonie, Augen liebender Anbetung, und ich sah immer
nur den Reflex meiner empfind un^rslosen, klaren, kalten
intdUgenz. Ich habe jede Frau in jedem mir passend
enchdnenden Augenblidc ohne geriugates Bedauern
verlassen können. Ich war der l^gendlr Untreue; Un-
beständige, auf der Suche nach dem Bestftndigen der
Liebe. Ich bin der Vielgeliebteste, und es gelang mir
niemals, zu lieben. Wessen Gott mich strafen wollte,
als er mich vom Teufel holen lieOk dies liegt in der Un-
eigrfindlichkeit seiner RatecMQssc^ wie mir emer meiner
Söhne sagte, der Mönch geworden war. Ich mufite ihn
und alle andern treficn, wie ich Sie treffen mußte im
Ablauf der Zeiten, Sie, Herr von Disenberg, meinen
letztentsproisenen Sohn. Ihfe Mutter Unweit zurück ...
32
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Sie^ wie <fie rndner andern Söhne, die zu treffen mir
auferlejB^ ist, ich weiß nicht, um mich vor ihnen zu
schämen oder sie zu warnen . • . Jener Mönch predigte
nur Bude, ich brachte ihn, der bisher loeusch gelebt
hatten unter Frauen. Er antcriag und tat darauf dn
FurebttMires am eigenen Leibe. Ein anderer zerrte mich
in das Labyrinth seines Denkens und bewies mir, daß
ich gar nicht leibhaft existierte, sondern nichts weiter
ad ab das Symbol für die Liebe zum Wechaeii ao
dne Art ewiger Jude der Uebe. Et tu, fiii?c
Disenbeig war von emer etwas öden Nüchternheit
erfafit worden und er sagte mit einer Korrektheit des
Tonfallea^ die ihn überhöhen sollte seinem Partner
gegenüber:
«JMir erwhd n e n Sie fan AugeiüifidE wie dn aehr
junger und wenig begabter Schriftslel]^, der sicii failer-
essant zu machen sucht mit ganz abgebrauchten Mitteln.«
Don Juan lächelte.
»VieOdcfat ist ea dedialbb dafl ich Sie treffen mufil^
um Sie daran zu erinnern. Oder sollten Sfe nfe dn
aofeher junger Mann gewesen sein ? Idi aagle Ihnen
ja, daß ich Ihren Monolog spreche.«
»Dann ist er, wenn überhaupt, sehr veraltet, mein
jMtar veiehrter Herr « • und er ta^ als suchte er den
vergeaaenen fimien. Und als der andere loeiRe Miene
machte^ ihn zu eigänzen, fuhr er fort:
»Mir ist es jetzt, als hätte ich Sie schon einmal ge-
sdiea Bei dnem Ball in Berlin W. EsadilteeinKostfini-
fest sein. Aber nslfiilich kamen tlle Herren im Frack.
Nur einer erschien kostümiert, — als Don Juan. Es
machte einen etwas komischen Eindruck, denn Sie be-
nahmen sich sehr echt, nicht zum Entzucken der Damen,
denen Sie etwas zu deib b^jegneten. Sie blieben nicht
lange und entfer nte n sich etwas tamuHuAs^ nkfat wahr?«
»Ganz richtig erinnern Sie sich. In einem Neben-
raum intonierte Ihr stadtbeliebtester Bariton ,Reich mir
die Hand, mein Leben', und ich flüchtete in die Mägde-
kammem. Ich weifl^ ich werde als Amant immer ridikOler
in der fort s c h reitenden [Demolarstie. Den alten Add
meiner Fähigkeiten schätzen nur mehr die Mädchen aus
dem Volke und bei den Damen der Gesellschaft falle
ich durch, immer öfter. Da ich selber nicht lieber mtifi
ich geliebt werden» Und das bringe die Damen immer
seltener fertig. Die guten Sitten der Oesellschaft ver-
langen die Liebe als Schutzmantel, um die Dehors zu
wahren.
Ich stehe zu nackt da, mit manen krsssen Appetiten,
kann sie selber kaum decken. Wie erst die ehtesPiaaresl
Die Kammerzofe legt weniger Wert darauf. Noch
weniger die Köchin. Weil sie liebt Nur Frauen, die
lieben, können ihr Glück mit mir machen, indem sie
unfifuddich werden. Verzeihen Sie die Abgeschmackttieit
34
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der Fonntdferung, die Sie wieder an den jungen Schnfl*
steller erinnern kann. Aber was wollen Sie, mein Lieber?
ich bin nicht mehr so großartig wie ich war. Ich erliege,
in den Zeiten weiterlebend, dem Auf und Ab der Zeiten»
bin ungewdhniich wie sie^ ^ewöiinUch wie sie Aber nie
anflerzcHiich. Idi falle nie auf. Idi hdfie lienie Anton
Meier wie ich im spanischen Jahrhundert Don Juan y
Vargas hieß. Wollen wir uns morgen abend hier wieder-
treflen? ich bringe Sie in inteiessante CkaeUschalt«
Er eHiob sidi» reiclile Diaenbeiig die Hand und war,
bevor der ihm hätte folgen können, die auf einmal nn-
gewöhnHch in Spiralen sich drehende Hoteltreppe hinauf
verschwunden.
3»
35
V.
Herr von Disenberg ließ sich noch einen Cock-
tail reichen und gab seiner etwas pedantischen
Neigung nach, das eben Eileble auf eine vernünflige
Formel zu bringen, denn alles müsse man so erle-
digen, daß es brauchbar werde wie eine Leitersprosse,
auf der man sein Leben in Gottes Namen zu Ende
Idettne ohne unangenehme Abstflize bei fehlenden gut
formalierten Erteenntniasen. Er fand, da0 der Don Juan
sich für den ersten Auftritt noch etwas von seiner alten
Verve erhalten habe, alsbald aber rasch enttäusche und
sich als ein altmodischer Herr mit Seele ausweise, der
am besten daran täte^ seine dicke Köchin zu hehsten
und in eine kleine Stadt zu ziehen. Diese weinertiche
Enträtselung seines Sinnes, als geborener Wüstling die
Liebe zu suchen und nie zu finden, war französische
Romantik der Dreißigerjahre und Tagebuchaufzeichnung
des acchzehnjahrigien Konfirmanden, der enchfittert von
dner aHm Prostitm'crten kommt Und diese Flunkerei mit
den Söhnen ! Daß er immer der Zeit konform werde, diese
seine wichtigste Bemerkung erklärt seine Banalität, und
dies durfte wohl auch die himmlische Strafe des Wiist>
lings sein, schlimmer ab Höllenqualen und als die Ver-
mutung des spanischen JMöncheSb Der Don Juan von 1913
heißt Anton Meier: welche Posaunen könnten dn
schrecklicheres Urteil donnern? Welcher Mann sein
36
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Leben mit den Frauen teilt, verliert es in zunehmender
Lächerlichkeit Dtmit mir dieses mehr als blofies ein-
sames Wissen werde, dazu war mir der Don Juan
Meier erschienen. Zur Warnung, wie er selber sagte.
Disenberg wuüte sich erst am Anfang seiner asketischen
Karriere. Darum entfuhr ihm ein kJeiner Seufzer, als er
sich nun erhob, um sdn Bett aufzusuchen.
37
VI
Als Herr IQeinens andern Tiget beim eraten FFfih-
stöck stfi und das P r ogr am m der nftcHsten zwölf
Stunden uberdachte, entfiel ihm das Notizbüchlein,
als er darin den Namen Helene O'Murphy unter
dem heutigen Tage und auf halb ffinf Uhr entdeckte.
Denn er war gar nicht in der Launen heute ao weni^
wie sonst Er hatte kefnerlei Zwangsgefühl, dafi er sich
mit dieser Frau in einem gewissen Sinn beschäftigen
müsse. Sie hatte sich lang um seinen Besuch bemuht
und schlieftlich hatte Disenbeiig nachgegeben und eines
nachmittags seine erste Visite bei Frau CXMuiphy ge-
macht Sie begann damit, ihm von ihm zu erdihfen
oder vielmehr von sich hinsichtlich seiner Funktion.
Sprach von ihren Unkenntnissen und inwiefern er sie
davon befreien könne. Von Aufsitzen in phikiaophischen
Journalen, ob sie de lesen soHe und was er davon
denke iOemens gestand, dafi er wenig lese. Er hätte
diese Dinge zu begreifen gemeint, als er jung war.
Heute könne er Worten wie Freiheit, Ursache, Kontinuität
und andern adchen Ingredienzien dieser Kompositkmen
nicht mdir t>egegneni ohne sich rasch zu fragen, was
diese Worte sagen wollen. Von der Philosophie kam
man auf die Philosophen. Frau Helene sagte ihre be-
züglichen Couplets au^ sprach von der Substanz, von
den Attributen, vom Einen und von der Ekstase An
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der Einfachheit und verblüffenden Zusammenhänglich-
keit, die alle diese Systeme für sie b^aßen, erkannte
er ihre Lektüre aus zweiter Hand Er beeaite sich aber
zu sagen, daß sie alles vortrefflich verstanden htbe und
ging noch nflier auf die Philosophen ehi, be m e rk e n d»
daß, was ihn geniere, der Umstand wäre, daß sie alle
vor der Zeit alt und häßlich gewesen seien, was fragen
lassen ob sie nicht eben deshalb Philosophen geworden
wiren, denn eigentlich sollte der PhikMoph jung und be»
zaubernd sein, sodafl es nur von ihm abhinge, ob er
sich nur von den Ideen oder von schönen Frauen
küssen lasse, Er verstünde ganz wohl die seltsame Bin-
dung zwiSGlien der phUoaophiidiea Spekoktion und
einer gewiiai strengien EinlKfaheit des Lebenau wovon
so vermögende Philoaophen wie Schopenhauer und
J. J. Mill eine Ausnahme zu machen scheinten, aber
der eine lebte im Hotel und der andere mit Mrs, Taylor,
was bekles den Anfang der Askese bedeute.
Mit dncr etwas plumpen Sdunekhelei fragte Fnu
Helene ihren Oail; warum er nicht schreibe? Oott; weil
er nichts zu sagen habe. Aber da die Dame durchaus
wollte, daß er was zu sagen habe, gab er so etwas wie
dn philoaophiadies Qefühi zu^ doch das hatte mit einem
von ihm neu zu erOffhenden Aspekt In metsphyiiadie
und mordisehe Fragen nidite zu tun und er sd anficr*
dem glücklich, ohne zu schreiben. Da aber wurde das
30
Wesen in dem exzentrischen Tea-üown lebhaft und be-
wies ihm, daß er sich tausche, daß er gar nicht glück-
lieh» sondern ehrgozig und, kurz, wie die andern sei und
so weHov Er vostand» dafi «e ihn ihrer Hilfe hhwiciit-
licfa seines OlOckes bedürftig finden mufiteund es fiel
ihm der schließlichc Zweck seines Besuches, wie sie ihn
fixiert hatte, wieder ein; um so mehr als im Augenblick
Frau Helene O'Murphy dn Bein über das andeie schlug
und eine stobee Wade sehen liefiu Klemens aber glaubte
für diesen ersten Besuch hinlänglich lange geblieben zu
sein und empfahl sich mit einer übertriebenen Ent-
schuldigung, so ungebührlich lange geblieben zu sein.
Helene hielt ihn, als er gegangen war, fitr schüchtern.
Beim zweiten Besuch bieß sie ihn etwas niher sitzen
und sprach von ihiem Bad, von ihrer Doucbe^ von ihrer
so schlecht gekannten Seele. Vergeblich. Disenberg blieb
in Distanz. Sie entschloß sich, ihn für einen zu halten,
der f&r Frauen ohne Empfmduqgen ist Femer sich um
seine Aufmeilaamkeit nicht mehr zu bemühea Aber es
glückte ihr nicht Im Gründe fühlte sie, dafi Klemens
an sogenannte preziöse Günste gewohnt war und für
ihn die Entschleierung einer Frau wie sie keine ver-
bififfende Neuheit besitzen kdnnc; Aber sie fand solche
Antezedentien bei einem Philosophen üloyaL Auch fühlte
sie^ dafi langer und ruhiger Besitz von Frauen bi ihm
allen Glauben an das »Mysterium« der Frau ruiniert
40
I
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habe. Und schließlich, daß Disenberg ein Mann sei,
der sich lieben lasse und sich nicht in die Unkosten
einer Eroberung stline: Sie liigerte «ich fiber ihn, mehr
aber noch fiber die Frauen, die ihn so gemacht hallen.
Und sie verachtete ihn wegen seiner passiven Rolle in
der Liebe und weil er auf sogenannte schwierige Frauen
von vornherein verzichtete. Bei alledem aber hatte Helene
doch eme Art Verlnuen ai Dnenbeig; wie zu einem
Mann^ dem man Shndl
Es blieb verstimmend. Er wollte nicht Feuer fangen.
Und behielt das Wesen eines Mannes» der nur mit sich
zählt Er schien giur nicht weiter geschmeichelt, von ihr
empfangen zu weiden» Kam immer noch dann nur,
wenn er besonders enqpeladen war, wo man Ihm doch
gesagt hatte, daß man für ihn jederzeit ohne besondere
Meldung zu Hause sei. Aber Helene konnte ihn schon
nicht mehr entbehren; er wuide ihr nötige einmal weil
sie von ihm eme Menge lernen Iconnte und, da sie ihn
wegen seines mriven Egoismus für unföhig hielt, sich
an den Sorgen der andern zu unterhalten, erzcählte sie
ihm die ihrigen. Er hörte aufmerksam zu. Er interessierte
skh ffir ihm Fall Sie gbubte^ er inteiessierte sich für
ihre Person. Auf diese Weise war er schon zu sehr viden
Oelldrten geloommen; zu den meisten ; vielleicht zu allen.
Das war Frau Helene O'Murphy, die sich für heute
nachmittag bei Klemens von Disenberg angesagt hatte.
41
Als es die Stunde war, erwartete Klemens die Dame.
Daß er nicht daran gedacht hatte^ seine Kleider in
solche zu wechsein, die man anzieht, wenn man eine
Fnni erwarte^ bewies ihm endgOttig; daft er sich nicMs
ms Helene CyMurphy mache. Er wartete und verior
sich in Gedanken. Seltsam ist der vage Schmerz, den
es uns verui^cht, einer Frau zu sagen, daß wir sie
nicht lieben, und mit welcher soiglosen, unbekümmerten
Leichtigiceit die Firaiien es uns sagen. VieUeiciit sind wir
nensdilicher. Bdcflnmerter, den andern nicht zu ernie-
drigen. Wahrscheinlich ist es das. Aber was weiß man
schließlich von einem üeschöpf, das die Schlüssel-
löcher verstopft, wenn es sich entkleide^ und das »sich
hiiigibt?€ Dafi sie es uns so mühelos sagen» uns nicht zu
lieben, vielleicht ist es auch deshalb, weil sie uns snir seHen
so vollkommen mißfallen, wie wir ihnen mißfallen können.
Schärfer als bisher immer ätzte Klemens heute das stets
dann besonders lebhafte Gefühl des Fremdsdns zur
Frm», wenn er eine neue Beziehung einging» Sein Wdt-
mafi pafite nkht auf die Frau. Don Juan Meier fiel
ihm ein, dieses, wie er laut sagte, schmähliche Produkt
weiblicher Ambition, Maß der Welt zu sein. Ja, der
Don Juan ist nur em Produkt weiblicher Wünsche; Ihn
hat kdn Mann gezeqg^ kein Wdb empfangen* Er ist
aus der weiblichen Hjfbris geboren, von ihr genährt und
durch sie groß geworden.
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Wie wifd er Frau O'Murphy verlassen ? Wird er ihr
dnes Tages sagen, daß er sie nicht liebe? Aber die
Daraen der OcBdlschaft ahid dem Stcto nicht ver-
pllichfet wie die Meinen MMchen, die^ wehrlos vei^
nichtet von solcher Absage, sich aus dem Fenster werfen
oder Gift trinken, nicht aus unglücklicher Liebe^ sondern
aus beleidigtem Stolz»
Sie wild oft Icommcn. Sie hat viel Fireiheü Kdne
Kinder. Alles das war nicht froh stimmend.
Schlfefiltch dachte Disenberg, er würde sich schon
herausziehen, und es sei nicht nötig, das Malheur zu
übertreiben»
Wenigstem die Toikitle des Salons besann er. Einer
Frau die Honneurs zu maeben, amüsierte ihn noch. Er
warf auf den Diwan ein Kissen. Es war das Geschenk
einer platonischen Liebe. Die einen, dachte er, machen
ans Kissei^ die andern kgen sich danui Teilung der
Funktioa Die Photographie emer Fran baig er im
Schreiblisch.
Er sah sich im Spiegel an. Er arrangierte sein Haar.
Mein Gott, der kleinste Kuß bringt es durcheinander.
Die Coiffuren der Frauen hahen aich viel besser in
der Uebe. Das ist eine Ungocchtigkeü Er konstatierte
das Uchterwerden seiner Haare und auch das Ver-
gnügen, daß man es nicht merke. Außer im Derangement
£s ist eine Ungerechtigkeit Er fand keine Gründe dafür,
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1
daB die Frauen nicht das gleiche Vergnügen wie er
empfinden über das Nicht-Merken, und das verstimmte
ihn. Es ist kurios: wir bringen unser Leben hin, die
Frauen nach ihren Unzulänglichkeiten zu werten, und
finden es ungerecht wenn sie das Gleiche mit uns tna
Allerdings tun wir mit gr5flerer Sorgfalt so^ als ob
wir das erste graue Haar der Frau nicht merkten,
während die Frau mit größter Ruhe uns auf unser ein-
zelnes erstes graues Haar aufmerksam macht Ist das
Orausamkeit ihimeits? Unart achlechtetzogener tOndcr?
Unkenntnis unserer Empfindlidikeit? Von all dem wohl
etwas. Und dann auch ein undeutliches Gefühl, daß
man sich mit einem Manne nicht zu benehmen brauche.
Man lernt einen Mann nur bei ihm zu Hause richtig
kennen, hatte Frau O'Mofphy entKhieden und ihm
ihren Besuch angekthidigt Sie woHte zum Ziel kommen,
wie gut er das wußte! Gab sie sich Mühe, es zu ver-
bergen? Gerade nur soviel, als der gute Geschmack
erkuibte. Dann war sie auch noch zu jun^^ um sich
ab pate n tierte Bacchantin aufziitua Vielleicht hielt sie
ihn auch f8r schOchtem und dachte die Gelegenheit
mit in seine Wohnung zu bringen, nachdem er um keine
Linie des korrekten Verhaltens bei den drei Tee abge-
wichen war, die er bisher immer gebeten in dieser Sache
erledigt hatte; Er wufite^ heute wMe es ihiendte zun
dekollellerten Wunsche kommen.
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Eine Phra besHzeti — wii ist dm c^ntlich? Wonos
setzt sich diese Freude des Besitzes zusammen? Man
installiert sich in einem andern Wesen, gewiß ein extra«
oniiiura Faktum. Sich ird in dnem andern Wesen
bewegen, das nidit idi H und nidit nur in dnem
Körper — was wSre das sdiKefilich — sondern in dem
Gefühle sich bewegen, das ein anderer Körper von sich
selber hat, also in etwas, das als wesentlich unverletzbar
gilt: in dner Bewufitfaeü Man installiert sich in dner
Bewußtheitl Und das Verlangen, mehr, aUrker noch
zu besitzen, muß dazu fuhren, dafi man das duT^i*
dringen will, was im begehrten Leibe am intimsten
an die Bewußtheit verknüpft ist Und Disenberg dachte^
dafi^ was die Mcdizhier Abirrung der Liebe nennen,
nur deren hdchsie logische Entfaltung ist
Hängt die Lust des Besitzes mit der Idee zusammen,
daß man sich in der Bewußtheit eines anderen Wesens
installiert, so muß die Lust umso stärker sein, je mehr
»andef8€ dieses Weaen schdni Und die Frau ist absolut
»anders« ab der Maua Eine Herzogin Ist mit Ihrer
Zofe verwandter als mit ihrem Bruder. Klemens glaubte
nun zu verstehen, warum er den geschmeidig sicliern
Gang der frau, ihre elastische Schönheit besonders
lieble: wdl diese Eigenschaften dn erhöhtes Seibat-
be wu P tsdn ameigea Auch die Schamfaaft^lEdt der Frau
gehört dazu. Die Lust wächst wenn das Selbstgefühl
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der Frau groß ist, in das man eindringt und das die
Frau voll Eifersucht verteidigt Klemens dachte dankbar an
den Überschuß von Lust, den derA^n der Frau dadurch
flchnlde^ daß sie ein Wesen ist, welches die Bewufitheil
ihrer intimen Funlclionen verbirgt, und welche Beraubung
an Lust es für die Frau bedeuten muß, daü der Mann
sich so wenig der Gesetze seines Körpers schämt
Es war Disenbeig nicht unangenehm, dafi Frau
CXMuiphy auf sich warten liefi»
Er träumte seine Gedanken mit einem Vergnügen
weiter, das nur die Angst im i lintergrundc störte, jetzt
könne es klingeln.
Und die Lust des Besitzes muß sich noch erhöhen,
wenn man das Wesen in seinem Milieu besitz^ das
wie eine Verttngerung der Bewufitlieit ist; In der man
seinen Platz ergreift Und Disenberg sagte sich, daß
man eine Frau ganz nur in ihrem eigenen Raum be>
sUk^ In ihrem e^jenen Betten was nur dem Ehc^gstlen
zuldl wild Hier Hegt vicUdcht der tiefste Grund der
Ehe, dachte er, und Don Juans Verzwejflui^.
Und nicht nur, dafi man in dieser fremden andern
Bewufitiieit Platz ergreift, sondern sich darin bewegl,
von da aus den andern Leib dirigiert^ ihn, den scham-
haften, schamlos macht und die Bewußtheit des andern
Wesens» in der man herrscht, dazu, zu dleamNiedijgBten
benfitzt: zur Lust am eigenen Leibe.
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Diaenbeis dachte an Fnuen, die sich tdiier bedient
hatten. Tiefer zu sinken, war dem Manne nicht möglich.
Denn nur dem Manne kommt es zu, sich zu bedienen,
nur er befriedigt eine, objektiv gesehen, unedle Lust,
und befriedigt aie in einem Leib^ den man icdatüch
nennt Jene Frauen, ältere waren es meisl^ die sich seiner
bedient hatten, blieben ifmi in der Erinnerung durch die
niedrigsten, und das will sagen tiefsten Bande verbunden.
Nachdem Disenberg den Begriff vom Besitz der
Frau aiao aerlegt zu haben glaubte^ schien ihm synthe-
tisch dieser Besitz die vollendete Form der Beherrschung
und die einzige, denn neben ihr sind alle andern Formen
lächerlich. Was ist das schon, einen Sklaven unter der
Peitsche, einen Soldaten unter dem Befehl halten, was
ist das neben einem auf das Lager genagelten Wesen,
das meinen Atem atmet memen Bewegungen folgt;
und das ich, objektiv gesehen, beschmutze durch die
lachende Ausdehnung meiner niedersten Lust? Eine
Fnui, die solches ohne ihren freien Willen erlebt und
gezwoqgen ertragen mufl^ erleidet sidier die furcht*
barale HöOe. Ja, schon es aus blofier Pflicht zu er-
dulden, heißt ein furchtbares Los ertragen. Ist es
aber nicht das Los der meisten Frauen ? Disenberg
d^te an den veriorenen Ausdruck auf Frauengesichtem,
wie man ihn oft bemeikl; wenn nichts ihre Aufmeri^
samlnt icastH in Koozcrteni ni der Tramway, und
47
MHIeid und MÜMfauen» die QniiidhaUiiiigien adiMS Oe-
fiUiles air Fmt, wurdoi stSiIcer in ilm
Zurückgelegt in einem weiten Lederstuhl balanziert
Disenberg sein langes schmales Messer aus Elfenbein im
Akkord zu dem balanzieienden Spiel seiner Oedanken,
denen er nachgab^ da er immerhin Fiau O^Mtuphy erwar-
tele, wenn auch ohne Enthusiasmus^ denen er nachgab^ da
doch alsogleich eine Bewegung zu der zu öffnenden Türe
nötig sein würde und Ausdruck des Gesichtes, Geste der
Hand sag^ mufite^ dafi man das Warten in Ungeduld
und nicht in mathematischen Studien veihracfal habe.
Wenn die Frauen sagen, dafi ihr Vergnügen der
Genuß unseres Vergnügens sei, die Lust des Geliebten
ihre Lust, so drücken sie sich nicht sehr präzis aus»
denn die Lust des OeUeliten^ die eine andere Fiau
hervorrufl; macht ihnen duidiaus keine Freude^ Man
verursacht eine Empfindung im besessenen Objekt, um
sich zu beweisen, daß man es besitzt, — den Mann
ladt man leiden, die Frau vergehen. Einem etwas Böses
zufflgen ist, sich seine eigene Existenz beweisen wollen
durch den Effekt auf einen andera 'Dies ist eines der
Widerspiele des Egoismus, der fa im Gründe darhi
besteht, sich durch sich selbst zu definieren, außer-
halb der Idee eines andern, wie der Gott der
Stoiker. Dieses Wkleiapfel ist eine der Formen des
AUniismuib Gerade in diesem kritischen Momente^ da
48
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j
Dnenbergs Oedutloeii mit VoOdaiiipf dne altem Er-
warten konträre, nämlich die mathematische^ Bahn ein-
zuschlagen drohten, ertönte die Klingel
Herr iOemens hatte das Gefühl, dafi er lieber adne
Bctrachtuiigeii fuflgcaelzt bitte» Er ffxtg fiffhciL Er rift
sich zusammen. Er freiile sich, dafi sie habe hommcn
können, ö" nahm ihr den Pelz ab.
Er sagte »Sie«. Frau O'Muiphy war enttäuscht Sie
hatte damit gerech n et dafi er aofcrt farailifir sein würden
um ihn zurechtweisen zu iGönncn»
Sie wollte sehen, wie er wohnte. Sie ging durch die
drei mäßig großen Räume wie eine Königin durch
Säle. Sichtbarlich zeichnete sie durch ihre Anwesenheit
die i^laine ans. Sie machte voniache und herablasBcnde
AnspMuqgeii auf jene FraocHi die man hier empfangen
habe P i gc nb eyg fand Piraa Hdoie O'Murphy vom aller*
schlechtesten Geschmack.
Man kam in den Salon zurück. Weniger als sich
neben sie zu aeten, glaubte er nicht machen zu kdnnen,
weniger mcM; ab ihre Hand zu eigndf e it und bald
darauf auch den Arm um ihre Taiüe zu legen. Langsam
machte sie sich los davon und drohte, nie mehr wieder
zu kommen. Aber der Liebhaber veistand, dafi er mit
ao wenig nicht loskomme.
Man nahm den Tee. Man sprach von dem, was in
der Zeitung stdi^ man blätterte in einem Buch, das dalag.
Es war etwas nach 5 Uhr, dafi Frau O'Murphy er-
kürte^ niclit dtför gekommen zu seiiu Sie l^gte ihfen
Hut ab. Dann zog sie eine Broedie vom
schnitt Disenberg kam naher. Als er SIC citic Wdle
geküßt hatte, fühlte er, daß die Küsse, die sie ihm ^b,
ihm nicht den Effekt bewirkten, den er sonst bei jeder
jungen und parfümierten Fnui fand. Er wurde unruhig,
Vrahrend er sie entUeklete^ fiel ihm ein Wort^von
Nietzsche ein und verlieB ihn nicht mehr: eine kleine
Frau ist niemals schön. Hierauf berief er sich die Oe-
danken, wie begehrt diese Frau sei, wie viele Männer
gerne an seinem Platse wären. Und schliefilich gelang
es Ihm unter dem Schutz des Dunkeis und besonders
der Obstination, die er darein setzte, nicht das Oesicht
seiner Partnerin anzusehen und sich berauschend an
den allgemeinsten Charakteren der weiblichen Anatooue
— gelang CS nun» sich in den Armen jener Fnu zu
glauben, derea Btkl er in die Sc hr eibtischlade gesteckt
hatte. Frau Helene O'Murphy fühlte sich geliebt
Als eine Stunde später Frau O'Murphy, von Disenberg
begleite^ durch die Halle zum Ausgang schritt, grüßte
der Don, und alle Vorsicht vogessend, so wenig fühlte
er sich Liebhaber, sidite ihn KIcniens Frsu O'Murphy
vor, die sich nach einigen Worten mit der Versicherung
verabschiedete, daß sie sich freuen würden Herrn de
Vargas bei sich zu sehen.
50
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VII.
et Ihrer Anlcuiift im Palais Kormons bemerlcte
Lider Don zu Disenberg, daß sie sich verspätet
hätten. Die Gäste seien bereits im Theatersaal» in
denen Dunkelheit sie von dnem Lakaien in die eiste
Rdhe zu ihren Sitzen b^gldiet winden. ABsofort hob
sich der Vorhang und Dtsenberg sah die Buhne als
einen Salon. Er hatte den der Einladung beigelegten
Personenzettei des Stückes »Die Zahl flüchtig gelesen.
Die Damen und Herren auf der Bähne nahmen den
sdiwarzen ICiffee» standen, safien» nnteriildten sieh in
Gruppen und aus dem Schwirrenden KSste sich manch-
mal ein Wort: Nijinsky . . . Hindenburg . . . 380 HP...
Werfel • Boche. . . Oulu Mameh . . . Das Stück spielte
un Hause eines Barons von Uissignan, wie sich Diaeih
berg des ungewdhnlkhen Namens wegen gemerict hatten
und der war es wohl, der, am Kamin stehend, in die
schwirrende Unterhaltung hinein plötzlich laut das
Folgende sagte: Die Liebe ist ein Akt ohne jede Be-
deutung; da man Ihn beheb^ oft wiederholen kann.
Pdniiches Schwdgea Darauf die Fnu v. Pal ad Ina:
Ich glaube, es zieht hier.
Frau V. Omega Alp ha: Es scheint mir eher schwüL
Lussignanilch spreche ganz ernsthaft, meine Hennen.
Die Liebe ist ein Akt ohne jede Bedeuhmg» da man ihn
beKebig oft wiederholen kann.
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Frau V. Paladtna: Ich dachte^ me ad ein OefQtil...
Der Bankdirektor: Wenn man, was ich sonst und
besonders geschäftlich nie tue, den Dichtern trauen kann,
tat aie aUerdings cm QefühL
Luaaignan: VieUdcH verehrte Baronin. Es kommt
nur darauf an, aidi darüber m dnigen, waa ein Oe-
fühl ist
Der Domherr: Ein sedischer Eindruck. Motua in
bonun ccmvenfena^ oder m bonam, voehrte Fraa
Der Arzt: Man mu6 den engiischen AaaoKiatk»»>
Philosophen etwas entgegenkommen und sagen, das
Gefühl sei dne sich abschwächende oder abgeschwächte
Sensatioa
Luaaignan: Ein verminderter Akt slao uberhaiqit
kdn Akt mehr*
Der General: Also, mdn lid>er Lusdgnan, danach
würde also der sozusagen realisierte Akt die iJebe aus-
schliefien.
Der Domherr beugt aidi zu der Tänicrin: Oihnen
Sie ungeniert; TeuerstCL
Lussignan: Ndn. Der Akt schliefit die Liebe durch-
aus nicht aus.
Der Bankdirektor: Ein vielleicht?
Der Donherr zur Baronin PafaKlina: Vefstecken
Sie aidi hinler Ihrem Picher, daß Sie nicht eirSten,
Teuerste.
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Frau V. Alpha: Ich glatib^ es pafil sidi nidit gam,
Oder?
Lussignan: Die Liebe schtfefit sich dann nicht aus,
warn dem vollendeten, voUbrachten Akt da anderer
Mgjt, der gienNle so viel SeiitinicHtriitit bcwahri; da6
er sich nicht sofort vciUziditi
Der General: Es kommt also, wie immer, auf die
Distanz an.
Der Bankdirektor: Und also in den Zwisdien-
linmen der Dntanz die sogenannte Liebe«
Der Arzt: Ich möchte bemerken, daß die Wieder*
holung des Aktes zu einer Vergiftung der Gewebe fuhrt»
was man im Effekt Ermüdung nennt
Lusaiifnan: Die Wtederhohing macht gewöhnt und
geflU; lite Dokto
Der General: Es ist wie mit hundertmal grofie
Kniebeuge. •
Die Tänzerin: An die Gewehre! Einsl Zweil
Luaaignan: Zählen Sie weüer, mein FrSideii^ weiter
Zahlenreihe.
Frau V. Paladina: Menschliche Kraft —
Lussignan: Hat keine Grenzen, genau wie die ZahL
Der Bankdirektor: Die Umsünde sind einem
Bewda nicht gerade gfinstig. Auf den Bcwdt kirne es
aber doch schliefilich an.
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Der Arzt. Wollen Sie» lieber Lussigitaii, damit sagen,
daß es Organe gibt, die fast gleichzeitig arbeiten und
nihen und derart die lilusion geben, nie still zu stehen?
Der Domherr: Sagen wir, das Her^ tnn in an*
stfndigen Oefiililen ai bleiben.
Der Arzt: Nie still zu stehen, aufier beim Tode?
Lussignan: Es genügt, eine endlose Arbeit sich
vorzustellen. Die Zahl der Systolen und Diastolen eines
Menschenlebens fibeisteigl jede vontelibare ZahL
Der Arzt: Aber das Heiz ist ein sehr einMies
Mnsfcdsystem.
Frau V. Alpha: Nur das?
Der Bankdirektor: Der Motor meines Autos steht
süU^ werni er kein Benzin- mehr hat
Der Arzt: Man kAnnte inuneibin auf der Basis von
Sbychnin und Alkohol ein Nihrmitld herstellen^ das
den Menschen in Stand setzte ...
Der General: Wie?
. Der Arzt: J% efaien Nährstoff den man in Pillen*
fonn^sdihickt und der die menschliche Mascfahie
Frau V. Paladine: Wirspradien vom Herzen und
der Liebe, Herr Doktor! *
'.Lussignan: Wir sprechen davon, Baronin,
r .Der Arzt: Sicher sind die menschlichen, liebes-
kräfle unendlidi, man mufl nur wissen^ bei welchem
Pludrie das minnfiche Geschlecht, ja, bei wdchen
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Punkte der iitiendliclieif Zahknfdhe der Mann das
Unendliche ansetzt
Der Domherr: Ich erinnere mich, dafi der ältere
Cato aidi biß znr Zahl 2wd erhobt aber das war dn*
mal im Winler und enunal im Somnwr«
Die Tinzerin; Liebe Eminenz; das war eben der
ältere Cato, vergessen Sie das nicht
Der Domherr: Er war sechzig.
Der General sehr träumeriacii: Das ist viel
Die TIncerin: Ich hdUe, Sie vefwechadten die
^mern» mem neuer vicnenu» - •
DerQeneral:Also,ichmu6 sagen, ich finde es kolossal
Die Tänzerin: In den Traveaux d'Hercule von
Teraaae bietet der König Lsisius dm AUdden ffir eine
Nacht seine dKifl% Töchter an. Er siqgl das sehr hfibsdi:
Dieiflig für einer Nacht so lange Frist
Verzeih, daß es so wenig ist
Der Bankdirektor: Singen singt sich das leicht»
wfifde man in Gzemowitz sagen.
' Der Domherr: Lohnt 'nicht die Mfihe.
Lussignan: Getan zu werden, Eminenzl Wareii «
wirklich nur dreißig?
Der Domherr: Wenn mich meine klassischen
Erinnentqgett nicht tinachcn^ ao hdflt ea bei Diodohis
Sicnfais: Herades uha node quhiquaginta 'vBgines
mulieres reddidisse.
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Frau V. Alpha: D» hdfit?
Der Bankdirektor: Fflnfzig, metne liebe Baronin.
Der General: Fünfzig Jungfrauen, Donnerwetter.
Lussignan: Derselbe Diodorus erwähnt noch einen
gewissen Proculu^ Eminenz» der sich hnndeft sar-
nu&che Juqgfiiiien gdien lieft und vienehn Tage vcr*
langte ad consttqnandum.
Der Domherr: Caput Tertium Tractati De Vanitate
adsentiae.
Der Arzt: In 1001 Nacht besitzt ein Prinz viecag-
mal in vieizdin Nichten vicrsfg Uehie Midcben»
Die Tinzerin: Das dnd so orientafisdie Phantasien.
Der Domherr: Ganz recht, Teuerste. Im Koran
rühmt sich der Heide Mohamme«^ die Stirlce von
sechzig Männern zu besitzen.
Die Tinzerin: Aufierdem lagt das noch gir nicht
dafi er sechzigmal lieben konnte.
Der Ba nkdirelctor: Es ist wie Poker. Nur nicht
so ernsthaft
Der Oeneral: Ah wasi Wie wv anno fünfzehn in
acnnen emmarscniGn aino ^
Der Bankdirektor: Au&
Der General: Wie?
Der Bankdirektor: Ausmarschiert wollen Sie sagen.
Der Oeneral: Abo war's emjahr damif« Wie wir
da ehunarschieren mit Uh^gendem SpH iMicn die
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wifaiiGhcii Wcflwr fciliciiwidK in den Ddffcrn iiiid
warten nur. Was nämlich die serbischen Männer sind,
also nicht so viel wert, sa^' ich Ihnen.
Frau V. Alpha: Ich habe meine Tochter hier, QeneraL
Der General: Die Unterlialiiii^ mit ilifcn Zalilen^
Onidige...
Helene, Frau Alphas siebzehnjährige Tochter: Die
Herren reden yon Geschäften?
Frau V. Alpha: Geh ein iMSchen in den nadiileo
Siloiii mein IGnd*
Helene geht langsam in eine Fenleniiache
Frau V. P al ad i na: Diese Zahlen. .. Ich weiß nicht,
aber sie kommen mir, wie soll ich sagen —
Der General: — eo piatonisch —
Fra« V. Paladina: — neii^ ao tediniedi vor. Was
meinen Sic^ Herr Doktor?
Der Arzt: Wir hatten im Spital einen Idioten, der
sein ganzes Leben lang — und er lebt heute noch —
i&eriiaupt nichts anderes tat ohne Unterbfechuq^ nur
tat er es mit sich attem.
Die Damen: Wie achrcd^l Pfnil Absdienlieli.
Der Arzt: Das erklärt viel Ich meine, die zerebrale
Exzitation erklärt alles.
Frau V. Paladina: Sie meinen» die Frauen ver-
hindern die leittrale ExzHidion oder kAnen sie 2ii*
mindest ab?
57
Der Arzt: ich sagte Ihnen schon, Baronin, es wir
ein Idiot
Die Tänzerin: Wenn Sie von seinen zerebralen
Kapazitäten sprechen, war er doch nicht so sehr Idioi
wen^istm nicht hi der Hinsicht
Der Arzt: In diesem Fall, V e wh rt e s te , ist das Hint
mehr das Rückenmark.
Lussignan: Das Rückenmark dieses Menschen besad
Qenic;
Der Bankdtrektor: Aber aafen Sie, lidber Doktor,
wie ist es denn aufierhafo der IfraMuaer und Idksten-
anstalten ?
D e r A r z t : Soweit man hier erf ahrungsgemäfi Kenntnis
besitz^ hat man hierneiin oder zwdHmallnvienmdzwanzig
Stunden beim männlichen Individmuh konstatiert
Der Bankdirektor: Was sagen dazu Ihre lie>
haupteten unbegrenzten Fähigkeiten, Herr von Lussignan.
Der Oeneral: Da bin ich atier schon sehr ge-
spannt
Lttssignan: Ich kann die winenschafitehe An*
schauung nicht teilen. Die Wissenschaft stOtzf sieb auf
Aussagen der Wilden, die nur bis zehn zählen können,
nämlich an ihren Fingern, aber damit vid mehr meinen.
Es ist meme Obcneugm^ da6 man den höchsten
bekannten^ Rdtkord schfaigai kana
Frau V. Alpha: Der ist?
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Lussignan: Siebenzigmal und öfter tn etnem Tage.
Theophrast Plinius und Athenaios berichten von ihm.
£s war ein Indier.
Der Domherr, r- Scfituaginta ooitu dtmMe libi-
dincm oootadu herbae amdim. So sielif 8 bei Theo-
phrast, der hier den Pliniuis zitiert
Lussignan: Im zwanzigsten Kapitel des neunten
Buchcider Historia Plantarum. »Mit Hilfe eines Krautes'.
Der Bankdirekior: Das Kraut sottte man kennen.
Die Orflndmig danuif zahHe tausend vom Hundert
Tanti^en.
Der Domherr: Cuius nomen genusque nun posuit,
hctfit es weiter. £$ tut mir leid för Sie, Herr Direktor,
aber man kennt nimUch dieK «ntiigHche Pffame
nicht
Lussignan: Das mit der Pflanze ist natürlich Inter-
polation eines schüchternen Kopisten, der den Geist
der Leser vor einem zu lebhaften Stupor bewahren
woDte.
Die Tänzerin: Mein Gott ob mit oder ohne
Kraut —
Der General: Dazu braucht es nur eine flinke
Zunge.
Die Tänzerin: Wie hi Sertnen, Oencfai?
Lussignan: Dieser Baron MOnchhansen hat alles
das getan, was er erzählte. Daran glaube ich durchaus.
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Der Arzt: Aach daft er aidi btt dem zu kunen
Sprung mrt dem Pfeid m der Mftte des Spranges vm-
dreht und sich an den Absprung zurückbringt, das Rod
beim Schweif?
Der General: Früher hielten die lEmHeristiKhen
Ordonnanzen bei »Habt Aditl« das Pfeni inmer betn
Schweif.
Der Arzt: Darum handelt es sich nicht, General.
Aber das Stuck des Barons Münchhausen atellt alle
pliyaikaliflcben Gesetze auf den Kiopi
Frau V. Paladine: Aber was hat das Pfenl Sdiwcü
und der Baron mit der Liebe zu tun?
Der Bankdirektor: Das kann man nie wissen.
Lussignan: Oer Baron Münchhausen hatte nur in
dem einen unrecht: daft er nachher seine Abenteuer
erzihtt hat Wenn ich auch zugebe, sie waren er-
staunlich.
Der Bankdirektor: Sehr erstaunhch.
D e r Ar zt: Aogenommeni daß sie ihm wirklich patstert
Moa, ome*
Lussignan; Wenn es erstaunlich ist; daft sie ihm
passiert sind, so ist es doch viel weniger erstaunlich,
daß man ihm nicht geglaubt hat Und das war übrigens
ein Glück für den Baion. Er hätte inmitten der neidischen
Wdt kein a i ig aidmws Ldben gdiab^ Mttte man ihm
gegtanfaC Man hitte Ihn Mr des UiiciUiibaie
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j
vmfitworflich gemacht, für alle unerwarteten Ereignisse^
für alle un entdeckten Verbrechen.
[ Oer Arzt: Man hätte ihn wie einen Gott verehrt
Lussignmn: Da man ihm aber nicht glatibte^ genoft
er die aBergroAte Freiheit, aUei zu tun, wat ihm be-
liebte, auch Verbrechen, denn der aUgemeine Unglauben
verschaffte ihm jedes Alibi.
Frau V. Paladina. Und Sie^ lieber Lussignan,
waren Sie schon nah' daran, es diesem entzfidoenden
Baron nad ttiinia c h cn?
Lussignan: Ich habe nachher nichts zu erzählen,
verehrteste Frau, da ich unglucWicher Weise zu jenen
gehöre, die nur Abenteuer erleben, die zu erzählen sich
nicfat lohnl
Frau V. Alpha: Wann cfzttden Sie dann?
^ Der Bankdirektor: Vorher, liebe Baronin.
Lussignan: Erzählen? Was bitte? Und vor was?
Die Tänzerin: Ich halte mich an das Glaubhafte.
Frau V« Paladina: Aber es ist ganz hflbsch^ das
andere wnm er hin in der Phantasie zu behalten. Wenn man
es auch nicht glaubt, so ist die Vorstellung doch angenehm.
Der Domherr: Meinen Sie? Das Vergnügen ist
mlflig. WoOen wir eine kleine Promenade in den Park
machen?
Der Bankdirektor: Auch wenn es dianflen hcifi
ist, wird es immer kühler sein.
6t
f
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Und die letzigefiafiiilen drei gehen In den PaiIe.
Die Tänzerin: In dem Reden über diese Sache
Kegt ein Selbstvcrrat
Der Arzt: Das anzunehmen, liebe Teresita, liegt zu
nah', als daft es hier sthnmie. Allgemeine Psychologien
sind nämlich immer falsch, wenn man sie braucht Hier
ist sie auch aus andern sicheren Orönden falsch.
Die Frau v. Alpha: Glauben Sie?
Und auch diese drei begeben sich nach rückwärts»
um in den Park zu gehea Es erhebt sich, um ihnen zu
folgen, der Oeneral und sagt; Also^ der alte Caio^ es
ist doch kolossal« wenn man so denkt . . .
Lu^ignan und Helene sind allein. Und Helene geht
auf ihn langsam zu und sagt mit ihrer kindlichsten
Stimme: Ich glaube an den Inder.
Hierauf geht sie den andern nach in den Park»
während sich Lussignan lächelnd eine Zigarette an-
zündet
Da fiel der Vorhang.
Da fid ein Vorhang, doch nicht vor Herrn von Diaei^
berg, der sich, ab es plötzlich hcO wuide^ ganz nah
vor einem großen Spiegel sitzend fand, in dem er wahr-
genommen hatte, was hinter ihm gespielt wurde.
Er wandte sich um und erkannte, was er als Bild
auf der vermeinten Bühne gesehen hatte. Nur war jetzt
der Sakm leer, bis auf den Don — war er es? Oder war
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€s nicht Herr Lussignan?.«— der, an den Kamin gdchnti
eine Zigarrt rauchte.
»Sie waren nicht zu erwecken. Jetzt fsi es zu spät
geworden, als dafi ich Sie noch zu Komions bringen
könnte^ Hör von Diienbciig^ Es geht auf zwölt«
Diaenbeig erkannte nun den Salon des Hotetai Aber
geschlafen und geträumt zu haben, dessen war er nicht
ganz sicher.
»Auf morgen, nicht wahr?« hörte er noch des Don
Stinune^ der im Labyrinth der Korridore verschwand
Oeachiafen und getrSunit zu haben, war er nicht ganz
sicher. Doch um das Gesehene und Gehörte für einen
hölh'schen Spuk zu haften, dazu hatte Herr von Disen-
berg zu großartige Voralellungen von der Hölle, zu
der die HarmlosiglGttt dieses Altles nicht pafltei Er griff
in die Tasche fand die Einladung zu Komions und
den Theaterzettel *Die Zahl«. War man doch dort
gewesen? Aber wie zurückgekommen?
63
VUL
reu CyMurphy hatte ihren Freunden von Diwn-
1 berg erzählt und so fand er die Karte, die ihn
und seinen spanischen Freund zum Souper in grö-
fierer Gesellschaft einfaid. Sie hielt Kiemena ala Oeist
für eine Tnmvaflle und woIHe ihn zeigen; w§rt aber
gleidiieitig nicht bte gewcaen, hitte er bei dieser Oe>
legenheit seinen Meister gefunden. Sie hatte das Gefühl,
in der Situation ihres Falles ihre Höhe nicht nur nicht
behauptet, sondern an Diaenberg verloren zu haben. Sie
wflnachtedneiddne Rache Inder DemiUigangdesMittiieak
dessen LiebesdIenat ihr nicht unbedingt genug eiachien.
Herr von Disenberg entschloß sich, die Einladung
anzunehmen. Da er den Spanier nicht mehr anders
verstindigen konnte^ sandte er ihm Frau (XMiirpliya
Einkidung durch den Portier des Hoteh^ der sie sofort
zu erledigen versprach. Aber Disenbeig erwartete bei
Frau Helene den I>on Juan vergeblich.
Es gab einwandfrei berühmte Leute unter den Ge-
ladenen der schöngeistigen Dame; unter denen auf-
fallen konnte; dafi sie; wenn sie fiberhanpt redeten, hn
MemoirenslÜ sprachen. war der wienerisdie Ent^
decker der Frauenseele, im Arrangement seines stark
eigrauten Haares noch immer als solcher kenntlich, im
Ausdruck des Gesichtes eine kleine Melancholie^ die
sich selbst genofi. Da war der Dichter der deutschen
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NaticN^ dem eine opponierende Jugend illes wcg-
geMdien halle Im auf die deufMhe Landschaft dem
Dichter zu sein sie ihm konzedierte. Dt war femer
der Dichter, der den leisen krankcnschwesterh'chen Ton
pennanenter Rekonvaleszenz gefunden und perenniert
hatten Ferner der i^omancier der groflen Liebe«paaiionen
und eioliaclien Exolianien dea Sclwcibliadiesi ein
etwas didcer, gelblicher Herr verquoOenen Oesichtea
Da war das rustikale Ingenium der erschütternden
Monumentalität im Ausdruck der banalen Leiden*
schallen. Ferner — > doch es soll nicht die Net^gienie
auf Portrita nach dem Leben erweckt und befried^
werden, weshalb genüge, dafi neben diesen und andern
älteren Herren des deutschen Parnasses auch ein linker,
jüngerer PI ü gel da war, der zumeist das Wort führte.
Neben den Berühmten unter dieaen gab ca auch weniger
Berühmte. Und achliefilich die fiblichen NolwandIgWien :
höhere Militärs und Dekolletes. Die Herren waren
etwas erstaunt über den Eindringling; waren sich mit
einer ganz klein wenig gespielten Liebenswuixligkeit aber
doch auch der Ehre bewufit» die sie iOemens damit
erwiesen, dafi er bei ihnen Zutritt gefunden hatte.
Selbstverständlich erfüllte sie gegen ihn Jene Verachtung,
die bekannte Leute gegen unbekannte empfinden. Was
Disenberg ganz in Ordnung fand. Doch veistaiicte es
m mm em kleinea Übdbdinden.
es
Die Unterhaltung ging über das Neueste und Letzte
in einem gewissen stenographischen Jargon, über den
Diaenbei]gr gjcht weiter erstaunte^ da ja auch, wie er
sich sagten die Sdiioaser iin- Vokabular haben» auf das
sie stolz sind Was ihm bei den Reden der jüngeren
auffiel, waren die wissenschaftlich-philosophischen Prä-
tensionen dieser Belletristen, die von Integration der
Phänomene^ von spezifischen Mentalitäten, von Bam vital
und von Minimis und Maximis spradien, aDeidings mit
einer verdächtigen Leichtigkeit des Wortes. Seftsam, dachte
Herr Klemens, daß iieute die Dichter Denker sein wollen;
das muß ein Effekt des obligatorischen Schulunterrichtes
sein» Übrigens konstatierte Disenbeig; was er in ihfcn
Schriften gefunden hatte auch in ihrem Spicdien:
die stifinten Worte worden in ihrem Munde ganz
schwächlich und matt Die ganz und gar berühmten
altern Nationaldichter begnügten sich damit, bei der
lel)hafteren Unterhaltung der jöngem nur als schönes
Beispiei ffir das von denen Gesagte zu wiiken, indem
sie manchmal ein Wort in das Oesprfich Irinefnnicktcn,
welches Wort geschickt so gewählt wurde, daß es immer
passen| konnte. [Der Gebrauch aller der vielen philo-
sophischen Worte liefi Disenbeig erkennen» dafi sie dazu
dienten, die wenigen Ideen der Hcfien zu vertwigen. Die
Worte schlotterten wie zu weite Kleider. Darum haben
diese Autoren auch einen so frühzeitigen Stillstand ihres
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Oeistea. Sie kAnnen aufteronlenlltch leicht die Worte
ihfer emen Idee Indem, aber «e haften diese Wort*
änderunc^en der einen fdee für neue Ideen. So dachte er.
Noch ein Seltsames fiel Herrn Klemens auf. Diese
ginz deutlich zu dem Buchen dem diskuniven Denken
und der Wahrnehmung durch Berichte verdammten
Menacheni deren Afbeit ganz beamtenhaft geordnet deren
Lebensführung ganz bürgerlich mit Weib und Kindern
gefielt war, bekannten bei jeder Gelegenheit wie sie
nkhls ao sehr verachteten als den inteUektuattimu^
und wie aie nichto ao aehr verehrten ala »Die Leklen-
adiaft«, »Das Unmittelbare«, »Die Bewegung«, Aber-
haupt alles was sich die Intelligenz noch nicht integriert
habe. Bekannten in ausgesprochenen Worten und
zwischen den Zeilen ihres Redens nichts mehr zu
lidien als »Das Leben«, wie die Frauen dieser
Minner das Wort aussprechen und dnem dabei
fn die Augen schauen mit den Augen angewandter
Bacchantinnen. Diese Verehrung des Lebens ging soweit
dafi man völlig gedankenlose Sachen zu sagen riskiert^
Sachen, wie sie alle Wdt sqgt; und Disenbeigs vienis^
jBhrige Tischdame eiltlfrte mit tiedeutungsvoller Kühn-
heit im Blick, eine gute Zirkusnummer sei mehr wert
als alles, was man denken könne. Die Gesellschaft
tanzte trunken m und auf dem Lebea Daraus kam
auch ihre HäHung Ihrem Melier g^ienfiber. Man lobte
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sich nicht» man tadelte sich nicht Und wohl weniger
ans gutem Oeschmad^ ab weil man bereHs zur Wdt
gehdrte, in der man sdiafft und nicht bewundert^
wofür es eine andere Welt gibt. Übrigens erlaubten sie
sich von Zeit zu Zeit das Wesen einer bewundernden
Kraft und schufen einen großen Mann, wobei siesoig*
fUtig genug waieiii ihn nicht allzu oniediigend ansm-
wiblen. Doch zog man es dann doch Ueber vor, solche
bewundernde Kraft und solche Größe einem Denker
zu schenken, Einstein zum Beispiel oder Husseri.
Das Oespräch wandte sich der Politik zu, und
jemand sprscb patriotisch vom Patriotismua Disenbe^g
fühlte in der Oesellschaft eine OppositkM ^^egen den
Sprecher und seine Partei und riskierte darum die Be-
merkung, daß ein sieghafter Monarch weniger daran
denken den Sieg seines Volkes zu pfoUamierai als die
Würde seiner Klasse zu retten» denn er wird zu dem
geschlagenen Monarchen ssgen; »Mein lieber Cousin,
Sie sind mein Gast« Die Opposition griff das lebhaft
auf und eine junge Dame erklärte^ daß sie sich einer
Französin, die ein Badezimmer hab^ weit verwandter
ftthte ab chMf Bu|g!urhi^ dte kdnes besitze; Und Disen-
foergs Nachbarin ssgte ihm, dafl das ValeriandsgefQM
als ein wenig natürliches Gefühl unausgesetzt der
Stimulierung k)edärfe, die man doch in der Uebe zum Bei-
spiel durchananicfat bfiuch^ — wenigrtens nicht bei den
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Frauen. Ein älterer Romancier perorierte nun, daß, wenn
auch das Klassengefühl unmittelbarer sei als das des
VaMmki^ so bcstfinde eben die moralische Erhebuqg
oder Steigerung darin, dieses anntittdlisre Gefühl atm
Schweigen zu bringen zugunsten eines andern, kom-
plexeren Gefühls. Worauf man ilim wieder sagte, daß
das Fehlen dieser Steigerung die Starke der Arbeiter*
klasse se^ und daB fibrjgem die Oionfizienmg der
konqiiexen Oeffihle, das heiftt also der tntaUek-
tualisierten, ein Verrat am .starken Leben* sei Die
andern ripostierten durch den Mund eines hohem
Militärs, der, wie man sagte, Simmel gelesen haben
sdHe, dafi die Klasse das Bewutte sei. das Vaterland
aber das Unbemiflte. Und der Romancier: Das kompie«
Oefühl bedeute Gefühl eines dem Sein verwurzeiteren
Ichs, eines fundamentaleren Ichs. Was Herrn Klemens
zu der Bemerkung veranlafite^ dafi ein fundamentaler
gefühltes Ich nichts mit der moralischen Elevation zu
tun habc^ sondern diese nur mit einer b es s ern Kenntnis
seiner selbst verbunden sei. Man versuchte nun Disen-
berg in Verwirrung dadurch zu bringen, dafi man das
BewuAte mit dem freien Willen vermengte und ihn
wMtifit, er behauptender Mensch tue dss» was er wolle;
aber Disenbetg lieft sich nicht verwirren, indem er er^
klärte, daß in normalen und flachen Zeiten das Be-
wußte unsere Handlungen determiniere, während das
69
Unbewußte in Zeiten der Krise aktiv werde, so bei
Individuen wie bd Völkern. Und da es im Leben des
Menschen hGchstens zwei oder drei Krisen ffibt und
im Jahrtiunderle eines Volkes auch nicht mehr, so könne
man schließlich, auch wenn es die Romantiker nicht
zugeben, sagen, daß das Bewußtsein die Menschen üi
ihrem Tun leite.
Beim Aulbruch in den Sthm sprachen nur mehr die
Mtlitirs vom Patriolismufl^ und 2war vom milftirisclien
Standpunkt aus; die Herren in Zivil wurden, weil
jemand auf dem Klavier einen Schönbergschen Akkord
angeschlagen hatt^ In ein Gespräch über die Musik
gieworfan. Und da dmgt gldcfazeitie; vor dem Bilde
eines deutschen Picasso stehend, von Maleret sprachen,
entstand eine Debatte über die Hierarchie der Künste;
die einen fanden die Malerei ausdrucksstärker, die andern
die Musik. Am Thema wie an dessen Behandluiig
machte sich die Wirkung der g^oasenen Ukdre leise
bemefkllch. Eine Dame sagte, daß sie nach dem ersten
Hören des Tristan drei Tage im Bett zubringen mußte;
eine andere sagte, bei Matisse hätte sie das gleiche tun
müssen. Jemand meinte^ daß dies vielleicht auf enien
Unfall im Atelier des Makis zurikkzuführen sei; man
verstauche sich so leicht den Fuft. Alle sprachen gleich*
zeitig. Da sagte Disenberg, nnan würde durch Präzision
leicht zu einer gemeinsamen Meinung konunea Diese
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Anmaßung schuf Schweigen. Worauf Disenberg, einer
dogmatfsierenden Neigung folgend, ausführte: Wir ver<
wechseln und vermengen zwei durchtus venchiedene
Sachen: das Kunstwerk und die Materien der Künste^
Fait)e und Ton, das heifit dnefseHsOegenslinde; weiche
unsere sublimierteste Empf i ndung, nämh'ch die ästhetische,
berühren wollen, und andererseits Gegenstände, die
Pichls als unser ncrvflses System errquen wollen. Über
den Unftersdiied unsens' Istiielisclicn Emotionen vor
einer Symphonie oder vor emem Bilde kann man dis«
kutit^ren; aber über die Verschiedenheit unserer nerv(3sen
Erregungen vor einem Ton oder vor einer Farbe sind
wir, glaube ich, alle darin einige dafi ein Ton weit er-
rq^iender ist als eine Farben Darauf hMe man Zu-
stnnmungen wie diese, dafi den Neuiastlienikem wohl
die Musik aber nicht die Museen verboten seien. Daß
man eine Prau wohl durch die Musik, aber nicht durch
Partie zu Fall bringen könne. Daft es Menschen gftbc^
die einen physischen Wklerwlllen giegen den Ton hStlien,
aber nichts ähnliches hinsichtlich der Farbe bekannt sei.
Ich kann über einen Oeigenstrich weinen, bitte, machen
Sie mich mit dem Indischgelb Ihrer Palette weinen. Ein
Verteidiger der absoluten musikalischen Superiorititt
rief: jetzt braudien Sie mir nur noch den ilund zu
zitieren, der bei Musik heult, was er bei Bildern nie
tut Man akzq)tierte sofort auf der Gegenseite den Hund
7t
als BeweiSw Also, fuhr einer auf Klemens ios, Sie er-
klaren die Musik für die materieUste^ sinnlichste^ madngß^
Kanal? M^ch,8igleDi8enbeigziirgroAenEnttiii9cli^
seiner Anhinger. JedenfaUs ist es die Muaft, wddie
die Dinge enthält, welche am besten unsere niedrigsten
Instinkte befriedigen. Ihre heutige Verbreitung und Be-
liebtheit hängen damit zusammen. Sie ist anzunähern
der Theaterwut; der Skandahvut, dcrSchneUigkeHswot
der Uebes- und Pranenwni Damit hängt ihre Bellebl-
heit weit stärker zusammen, als mit irgendeinem Be-
dürfnis nach icünstlerischer tmotioa
Hier hatte Disenbeig alle gegen sich. Was er da für
einen Unterschied zwischen der Sensation nnd der
kflnsHerischen Emotion mache? Ob denn die Sensation
nicht die Basis der künstlerischen Emotion wäre? Einer
entwickelte ganz rasch den Ursprung des Wortes
ästhetisch. Und ein anderer erklarte, wer seine Sen-
sationen zu raffinieren verstünde; sei ebenso ein Kilnsller
wie der groie Maler oder Musiker. Worauf Herr iGemens
sagte, der Betreffende sei nur ein geschickt empfindender
Mensch und nichts weiter, denn die Kunst der Sensation
sei nie eine Sensation der Kunst Die Basis der kfinstieri-
sehen Emotion sd dne Idec^ eine Idee des deid^
wfdits, der Konvenienz, der Vollendut^ der Wahrheit
und welche sonst in ihnen das Kunstwerk hervorruft,
und die bei besonderen Menschen, die sehr selten sinc^
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etile besondere Emotion erzeiig^ welche man die
künstlerische Emotion nennt
Diese arMoknliMiie Doktrin rief einiges Unbch^jen
nervoi, oss iDcr fsscn von oer aHcnernen vcnneoen
wurde, zu diesen besonderen und seltenen Menschen zu
gehören. Und da nun, fuhr Disenberg fort, die Musik
durch ihre Allmacht über die Nerven sehr leicht die
Bikhmg jeder Idee vcriiindem ksnn» so kann man von
diesem Stuidpimkl aus sehr gut In üv dne mlle^
geordnete Kunst sehen. Ein Aufschrei: Also dann wäre
Wagner, der uns mit seiner Musik jedes Urteil nimmt,
der niedrigste Känatier? Der größte vielleicht, sagte
Disenbeij^wdl er« die vefwirrendate Materie handhabenct
nie die Ideen des Oteichgewiclib und der Onlnung
aus dem Gesicht verliert Was jene betrifft, die seine
Musik liehen, so ist das allerdings eine andere Affäre.
Ein kurzes Schweigen, das dem Satz folgte^ unter-
brach einer: Die Muaik ruft in rnis Ideen henror« wdche
die anderen Kfinale nicht hervomifen, nicht? Ganz
sicher, sagte iOemens, es fragt sich nur, ob diese Ideen
höhere sind. Die der Musik eigentümliche Idee scheint
mir die der metaphysischen Existenzen zu sein. Ein
rninkaUscher Satz scheint ein metaphysisches Wesen
ZB seht, ich meinem frei zu sein von den Hauptbedb^iuf^fen
der materiellen Existenz; er scheint nicht im Raum zu
sein und scheint diese ungewöhnliche Bedingung zu
73
erfüllen, ein Wesen zu sein, ohne ein Gegenstand zu
sdn, genau wie die Gegenstande der Mathematik. Des-
halb wohl lieben die sogenannten poattiveii»dte »aeridaen«
Leute die Musik nfdit; Goethe und die groien Lieb-
haber der sichtbaren äußeren Welt haben wenig oder
nichts für die Musik übrig. Auch die Stolzen nicht
was immer sie auch a^gei^ so Napoleon nicht und die
gmfien Tenoie nicht; dne solcher inealen Sache allzu-
lang hingegebene Neigung scheint ihnen eine Negation
der konkreten Existenz zu sein, im Grunde nämlich
ihrer eigenen; sie fürchten durch die Musik ihr Ver-
gesaenwerden, den Verlust ihrer Bedeutung. Auch die
berfihmten Uebenden» ich meine dieUebespaan; machen
sich nichts aus der Mnsik, jene wenigslens, welche in
der Liebe einen Gegenstand ergreifen wollen und nicht
einen Zustand suchen, welch letzten mehr die Wollüstigen
als die Liebenden leben. Es gibt nämlich plaatiache
Liebhaber, welche den Akt lieben, und musHEslische
Liebhaber, welche den Zustand lieben. Die Frauen
finden sehr viel Geschmack an den musikalischen Lieb-
habern. Aber sie wären untröstlich, wenn es keine
andern gäbei Tristan hat sicher die Musik geliebt um
es an einem Beispiel klar zu machen. Und Vahnont
und Julien Sord liebten sidier die Musik mchi Da nun
die Musik selber ein metaphysisches Wesen scheint,
kann sie metaphysische Wesenheiten auch besser und
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eher ausdrücken, ich meine Arten, welche die anderen
Künste nur ausdrücken können durch Fixienu^ in
dnem Objekt Musik ngjL Tmurigfcett Ruh^ Bewcgum^
wüwend die Malerei nur aagt Tmiriglcdt einer Figur,
Ruhe eines Waldes, Bewegung eines Bachesi
»Die Musik sa^ das Unbedingte«, rief ein junger
Kenner ästhetischer liandbiichef. »Sie kann das Bedingte
überhaupt nidit auadrfickenc» aagle ein andeKr. Ein
Dritter: »Das ist ihre O b eriqsoiheiU Ein Vierter: »Das
ist ihre Inferiorität c Die meisten aber: »Das ist ihre
Super iorität« Klemens sagte: »Es ist weder das eine
noch das andere, es ist ihre Besonderheit.« Eine junge
D$mt si^: »fieigson hat festgestellt, dafi, sowie man
einmal die Bewegung ergriffen habe^ man durch ein*
fache Diminutton die fixen Punkte Andere Darauf Disen-
berg: *Ja, er sagte es, aber er macht es nicht Sowie
er einmal die Bewegung ergriffen hat, die Bewegung
des »Lebemf zum Beispiel^ den ^Um vitaf, so geschieht
CS durchaus nicht durch eme »DiminutkNi' oder sonst
irgend eine Änderung, daß er die lebendigen Formen
findet, sondern dadurch, daß er entschlossen aus dieser
Wahrnehmung der Bewegung heraustritt und in jene
der Form emtritt Das Oesetz der Formation der Zahlen
kennen, bringt nie dazi^ die Form einer Zahl zu kennen,
zum Beispiel 3 oder 4 mit ihren Besonderheiten,
übrigens s^ Ihnen Bergson auch, dafi zwischen
75
Aufhält und Bewegung kein gemeinsames Maß besteht
Wie soll also dm zwiKfaen Be w egung und Aufhält
bolel»? Der Pfdl ist nicht in Bewegung; wdl er
sicn Ri jeoeni &eiiien ant enwni onennmisncn runn
befindet«
Man stimmte Klemens zu. Der aber schloß: »Und
aehen Sic^ das Gegenteil ist der Fall (er sagte nicht das
JtaiprolE^, um Ihre Jugend zu schonen^ wonm man
nicht denkt, was aber doch wahr ist: der Pfeif
ist auf keinem Punkte determiniert, weil er in Bewe-
gung ist«
Ein^ begaben sich in den zweiten Salon. In diesen
Augenblick waren die Mehntngen über Disenbefg fert^
Die ganz Berfihmten oder in fester Situation waren
gegen ihn; er hatte zu sehr das Gespräch gefuhrt
Die weniger Berühmten überlegten, ob sie mit ihm zu
rechnen haben würden. Die noch unberühmten jungen
Leute und die Frauen waren für ihn. Er seibat vermied
sorgfältig für den Rest des Abends Jede Ideation.
Nachdem er gegangen war, richtete man ihn. Alle
Parteien hatten das gleiche Urteil unter verschiedenen
formen; die einen fanden ihn pedantiachi die anderen
lehrreich; die ersteren streitsflchtig; die letzteren ana-
lytisch. Einem der Herren fiel gar nichts über ihn zu
sagen ein, weshalb er entsetzt erklärte^ dafi a ihn nicht
mehr zu sehen wünsche.
76
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IX.
Es w» spftt nachts dendben Tagjes nnd in der
Bar, als Don Juan zu Herrn von Disenberg sagte:
»Mit Ihrer Aufstdlang betreffend mein Verhältnis
zur Musik hatten Sie sehr recht, mein h'eber Freund.
Ich habe Ihnen ja auch gldch zustimmend zugenickt,
als Sie die Bemefkung nachten, aber Sie haben weder
das nodi midi bemerkt während des gansen Abends,
denn ich habe diesmal wirklich ausgehalten, so schwer
es mir auch wurde, und mich nicht gleich zu der Zofe
geichlichen, wie dieser verkommene Zeitabschnitt meiner
Natur m tun heifit Ich habe um Ihretwillen aufge-
halten und mich damit besdUtftigt^ ihrem etwas tbeore-
tischen Verhalten das nötige Rehef zu geben, damit
Sie bei den anwesenden Damen nicht verlieren, die
Sie so nicht mehr für einen Privatdozenten der Lieber
aondem fOr, nun ]a, fftr ehwn Don Juan halten werden^ der
es nicht sein möchte^ aber sein mufl. Und das Ist ^as
beste Fliegenpapier für die Frauen dieser Zeit. Meine
Ganzgewöhnlichkeit macht das Übern atürhche meiner
Existenz unwahrscheinlich, ich weifi. Mephistos Künste
In Auerisachs Keller kann ich Ihnen nlcbt vorführen,
wenn Sie darauf Wert als Deweis meiner aufiermensch-
liehen Natur legen. Aber ich kann dort sein, wo Sie
sind und Sie merken mich nich^ ich kann denken, was
Sie denken und Sie winen es nicht Das Wundcrt»aie
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ist wie alles andere in den Encheinungsformen varfaM.
Sie haben Eindruck bei den Damen gemacht. Ich kon-
statierte eS| als Sie fort waren und ich Ihre Stelle
vertrat Sie Icönnen mir glaulien,- dafi i€h Ihren Ton
traf. Er ist mir geUiiifiger als Sie denioen. Man spnidi
naAfirlich von der Liebe, natörlich von der heittigen,
die sich zum sexuellen Bedürfnis verhält, wie etwa die
Gourmandise zur Ernährung. Naturlich glauben die
Damen, es hätte raimer das gegeben, was man heute
Liebhaber nennt, wie andere ja meineii, daft es immer
Banlders gab. Dann sprach man von besti m mten Linien,
welche zur Liebe einladen. Man eini^^le sich auf die
Kurven insofern sie die Negation des Winkels is^ der
Trennung der Richtungen ausdruckt^ also Abneiguqgea
Oiilg Ich im Oespiiche nicht Ihre Spur ? Aber fürchtn
Sie nicht, dafi ich auf dem Gegenstände des Gespräches
bestand oder auf dessen ernster Behandlung. Objektiv
vor Frauen von der Liebe sprechen, ist unpassend. Be-
aonders die Frauen in den Vierz^nem geniert das. Und
die mdslen Ihrer Oesellschaft osziUleften um diese
Quarantine. Auch Frau O'Murphy, wenn auch nicht
dem Kalender nach.c
»Haben Sie mit ihr gesprochen? Ich meine, da sie
Sie für mich gehalten haben mufi^ gab es MfiglichkeÜeiib
dafi Phui Helene CyjVlurphy Bestimmtes mit Ihnen ge*
sprechen hat, wie?«
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»Sie besitzt w&üg Geacfaiddidikeit oder sie wü
bcifihint weidcit VieiielditkpiiipciiBicrt sie dss enlcfieniit
dem andern. Unsefe kurze und von ihr etwas unvoraicfitig
geführte Unterhaltung fand ihr Ende damit, daß Sie
übermorgen mit Herrn O'Murphy ein Duell haben
werdeiii ndn guter Oiaenbeig, Aber ich werde ihre Stelle
vertreten» bdrsoen Sie abo nidil mich mit deni
ehrenvollen Amt eines Zeugen. Wie wOnsdien Sie Ihn
erledigt? Ein Stich durch den Arm wird der Dame
Ihres Herzens sicher geniigen.«
Herrn von Discnbefg fiel eine andere Eiledlsiiiig dn^
aber schon sfyrach Don Juan es au&
*Sfe Wolfen für tot anf dem Kampfplatz bleiben,
unbekümmert um die Unannehmlichkeiten, die Herrn
O'Murphy daraus erwachsen ? Und blieben aber dennoch
am Leben, denn der Süch wäre nur durch ein Gespenst
gegangen.« Er verzog das Gesicht
»Auf irgend eine Weise müssen Sie doch wieder zur
Hölle fahren«, sagte Disenberg lächelnd, -^und ich denke,
dies ist ein nobler Weg, der Ihnen passen müßte,
nicht?«
»Sie vermuten noch zu viel Spanien fai mir» lidier
^eund, al)er wenn ich darauf eingehe, mich als Klemens
von Disenberg von diesem armseligen Gatten totstechen
zu lassen, so wird, was tot da liegt, als totgestochener
Disenbeq; begraben und ans den Böchem des Lebens^
79
Polmmeldangen, Steuerregistern, Impftmleni, P!t6-
ämtern, Wählerlisten gestrichen, und Sie sind dann
so tot als ob Sie tot wärea Sie kommen in eine fatale
SümtKNi, namUch gar kdiNL«
»Vidldclit wOnadie ich dass Mgte Diaenbos, imd
wie zu sich selbst redend: »Wer von uns beiden der
Spuk ist, kaum könnte es in diesem Augenblick ein Dritter
entscheidea Wissen wir es selber? Man li^ im langen
Tode wie dn Maulwurf unter der Erdc^ der manchmal
einen Hflgd aufwtrfi; der dann daa Ulm heiDi Niclit
das ewige Leiben, sondern den ewigen Tod haben wir«
Das Leben ist ein Aufschrei in diesem Schlaf. Sfc
werden moigen mit den Vorbereitungen ihres Duells zu
ton haben und übermorgen früh — «
»Werde ieb in Ihrem Namen und mit ihm ateriien.«
Und der Don veiging, verrann in ein Nebelgespinst
80
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Googl:
X.
Diaenliieig schrak aus tiefem Schlai Im blassen
Morgen stand des Don Juan schwarze Oeslaft
zwischen ßett und Wand.
»Ich komme, mich von ihnen zu verabschieden, in
einer halben Stunde werden mich meine Zeugen ab*
holen. Leben Sie woU.« Disenberg richicAe sich auf«
»Es ist sebon sa Wir haben es ftt gestern abgemacht
Sie erinnern sich doch. Das Duell wird für Sie weiter
keine Folgen haben, mein lieber Disenberg, wenn man
mich auch für den toten Herrn von Klemens vom
Platz sdufft Es scheint schon eiiunal so beschlossen,
dafl der gut lifirgeriiche Tod im Bette mir nicht zu-
kommt und ich immer einen fatalen Abgang haben
mufi, wenn ich von einem Schauplatz abtrete^ nur davon,
nur vom Orte^ nicht von der Zeit Denn die ewige
Zeitlichkeit dies ist wmi Sie wollen, meine Halten«
strafe^«
»Wollen Sie nicht noch frühstücken«, fragte Disen-
berg und langte nach dem elektrischen Dxikka,
Der Don fiel ihm in den Amt
»Lassen Sie nur. Es ist nicht mehr Zeit dafOr. Ich
muS Ihnen {a noch den Faden Ihres Lebens wieder-
geben, den ich mir für diese Tage angeeignet habe.
Sie werden ihn |kaum erkennen. Er hat eine andere
Farbe bekommea Aber der menschüche WHz hat.
81
viele Philosophien zur Verfügung^ sich das Mysterium
des Lebens plausibel zu machen» dafi es Ihnen nicht
schwer sem win^ weiter zu leben, auch wenn Sie einmal
tot sind Oder nehmen Sie es mir in dem ganz banalen
Sinn des Abtuns eines Lebens, um ein anderes zu be-
ginnen. Oder in jenem andern» dafi^ was Sie bisher
gidebt haben, gar nicht Sie waren, sondern eben ich
zum Bdapid, und dafi Sie jetzt emt sozusagen zu sich
kommen in dem Augenblicke; da ich Ihnen die Masloe
abnehme, die Sie bisher trugen und welche eben nicht
die Ihre, sondern die meine war. Oder begeben Sie
äch in dne andere Vorstellung, etwa die reli^te; und
kombinleren Sie die Sfind^ die Strafe und die Los-
sprechung. Es fiffit Ihnen wie Schuppen von den Augca
Sie erkennen das Licht, das in der Finsternis leuchtet
Sie erwachen in einen neuen Tag. Und es ist Ihr
Geburtstag, Es konnte doch seti^ dafi Sie an dem Tag^
da Sie steiben, ins Leben dngehea Emchdne ich Ihnen
ddit wie der Erlter? Nehme ich nicht Ihre Schuki
auf mich? Erleide ich nicht um ihretwillen das» was
Sie den Tod nennen?«
An die Tfir schlug ein leises Kkipfen,
»Es sind die beiden Zeugen«, sagte der Don, Und
ds ob den Wkkrditbenden und in sidi Zusammen*
krampfenden eine erbarmungslose Faust zwänge und
ihm die Hand führte, streckte er diese ut>er Disenbecgs
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Stirne und machte darüber das Zeichen des Kreuzes.
Und fuhr allsolMkl wie von Feuer gebnuint zurfick und
hin zur Tfir, die er weit öffneleL Und da war es dem
MifjgerisBenen Auges hinschauenden Klemens» als ob im
Raum vor der Türe zwei hohe Gestalten stünden im
Schatten ihrer mächtigen schwarzen Flügel. Und es war
wie der hohe silberne Ton einer Trompete im auf-
ffiegendeiiiznm miemiefllicheDPimiamentaich dehnenden
Raum, der sich mit bcHubend duftenden Wolken kngr
sam füllte.
Klemens sank besinnungslos in die Kissen.
83
XL
ie Glaubhaftigkeit dieaer ErzShIutig wfirde kh
überschätzen, wollte ich einen danach unge-
duldig fragenden Leser annehmen, was nun weiter
mit und aus diesem Herrn v. D. geschehen und ge>
worden sei, nachdem ich ihm das Bisnun seines
Daseins in so drastischer Weise von ihm weggehoben
habe. Hielte ich an seiner wirklichen oder erfundenen
Personsexistenz fest, jetzt immer noch fest, wo man,
scharfer hinsehend, läng^ gemerkt haben mufi^ dafi
Herr v. D. nichts sonst als ein Begriff isl; der sich ad
absurdum, nimlich zum Olauben zurQckfOhrt; woher er
kam — ist ja doch alles streng Begriffliche dogmatisch —
hielte ich, wie gesagt, an dem Herrn noch fest, so
könnte ich, fabulierend, ihn in dn Kloster eintreten
lassen. Aber eine solche Weiterführung des Lebens
hieOe es zu Tode hetzen. Ich wiN lieber im Schlüsse
den Schlüssel geben und darauf verzichten, so zu tun, als
hätte ich die Geschichte eines Herrn begonnen und nun zu
Ende zu erzählen, das naturlich das claustrum mundi ist
Wir können anders nicht denken als christlich. Wir
vermögen es nicht, diese Orundeinfirbung unseres
Denkverhaltens zu ändern, so bemüht auch der und
jener sein mag, seine Gedanken auf die Bleiche zu
trsgen, unter die Sonne der sogenanntea reinen Ver-
nunfi Denn diese Sonne selber ist schon gefiibt
4
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Unsere Ideen haben alle die Taufe empfangen; springen
sie auch noch so faunisch, ihre Musik geht auf den
gregorianischen Noten. Wohin anders kann eine Unter-
siicbuiig über den Begriff der Sfinde fähren als zu
seinen Sfammorl; den Glauben? Das beste PhUoso>
phteren, nämh'ch das scholastische, ist diesen naturlichen
Zirkc! gci^'an^'eiL Das Neu- Scholastische der Phänumeno-
logie macht nur größere Urnwege, was einerseits von der
Erweiterung des Beobaditungpfetdea^ andererseite von
crhdhtem Reizbedfirfnis des philosophierenden Subjektes
bedingt ist Darum: ein Philosophieren, das nicht zum
Glauben fuhrt ist keines. Und darum: in der Ge-
schichte wäre Herr v. D. ins Kloster gegangea Be-
grifflich ist er nie wo anders gewesen. Denn der
Begriff der Sfinde ist chrisilich per se; Darsn ändert
auch die Kantische Gendarmerie des kategorischen
Imperativs zur Pflicht als Antidoturn gegen die Sünde
nichts, — denn Pflicht gegen was? In der Aufstellung:
die Pflicht isl; ist es ja gerade die Pflicfa^ welche
zu besiminien wire. Und die mi Sitttidien rational
fiberhaupt nicht zu bestimmen ist, sondern nur im
Religiös- Mythologischen.
Der Mensch hat das Verlangen, daß die andern so
denken und ffihlen wie er, oder dafi zwischen ihrem
und sdnem Denken und Fühlen und Zielen eine Ober-
einstimmung sei. Tiefer als dieses Verlangen geistiger
85
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Oberanstiimnung mit den andern ist aber noch dieaes
andere Begehren, mit dem »Richtigen«, einem idealen
typischen Verstande,Oefühleund W ilien übereinzustimmen
oder uns sich ihm anzunähern, einem Allgemeinen auf
Kosten unseres Besonderen, das wir mehr für Irrtnin
und ExzentrizHSt wihnen als fOr Originalitft und tiefere
Einsichthaltung. Von da aus geht ein lächerlich leichter
und verdächtig gerader Weg zu Kants Idee von der
Autonomie und zu deren Rechtfertigung: das Gesetz,
das ich verietxe^ ist ein seM auferlegtes Oeaetc Das
gebielende und fibenchreitende Ich ist daaselbe^ aber
das eine ist verschieden vom andern. Im Sündigen sind
das verbietende und übertretende Ich koexistent und
zeitlidi simultan. Ein enger begrenztes Stuck des ich
verletzt das weiter begrenzte Ich.
Die irdische Strafe folgt der böaen Tat nicht immer
auf dem Fuße; oft folgt sie ihr garnicht, oft steht sie
in keinem Verhältnis zur Schuld. Darum muß sich das
individuelie L^en in ein supranaturales überweltlicheB
Leben verfängeni, in dem die manifeslen Ung ered rt jg »
keiten in Ordnung gebracht werden, Sdndd ihr voOea
Maß von Strafe bekommt, Sünde ganz gesühnt wird.
So die Lehre.
Vermöchte man es aber, Oott ganz in diese irdische
Weit 2tt ziehen, daft er darin an^ngie wie Luf^ die
wir atmen, vermöchten die Menachen das Leben dea
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wahrhaft frommen Mönches, — es gäbe den strafenden
Gott nicht mehr und mit ihm verschwände alle unsere
rdjgite Sprache fiber die Sünden die wir aus dem
dien Testament haben, wo ein Volk und nicht der
Einzelne das in hetracht Gezogene war, die relative
Unsterblichkeit eines Volkes, wo die Sunden der Väter
sich an den Kindern und Enkeln strafen und der Aus-
gleich 2ur Oereditlgkeit mt Groben statt hat
Sie tdlen, lieber Freund, nnsem chrisliiehen Hoch-
mut nicht, der die buddhistische Lehre der Seelen-
wanderung für keine seriöse HyiK)these erklärt und
imaerm Himmd- und HöUeschema einen höheren
lalkNiaien Wert zuschreibt Und ich bui ganz Ihrer
Mehiung, daß das buddhistische Schema weit besser,
trotz all seiner Pliantastik, dem unwiderstehhchen
moralischen Postulat antwortet, dafi aus ihrer wahren
Natur heraus eine gute Tat gute fruchte tragoi mfisse^
wie ehie scfalecMe Tat schlechte^ und daft es nicht
ndt% sei, einen Kataklysmus anzurufen, ein jüngstes
Gericht, dem ein Neuer Himmel und eine Neue Erde
folge, damit alles Übel dieser Erde wieder zurechtge-
richtet wcntc^ £a ist in der buddhisttschai Lehre ein
tieintr, weil blinderer Glaube in die Vemihiftigkeit
und Gfite des gegenwirt^<en Univcnuma und eine
Überzeugung, daß alles so eingerichtet sei, daß die
sündige Seele Nia& für Mafi leide und flucht ins
87
Nirwana es nicht gebe, so lange die Lektion von des
Lebens Eitelkeit nicht gelernt und praktiziert wurde»
zu dem endlosen Ende des Friedens der Indifferaiz;
den sich ein übermenschlicher Willensakt erringt Immer
wieder die Seele ans Kreuz, bis sie ihre Bestimmung
erfüllt! Dagegen ist die jüdische Himmel- Hölle mit
ihrem katholischen Zwischenstock des Fegefeuers in
der Tat nur eine recht plumpe Devise
Man bemfiht sich um die Versöhnung der christ-
lichen etiropSischen Konfessbnen, — ich glaube; mehr
aus Gründen irgendeiner Politik. Man sollte, meine ich,
sich um die Versöhnung der arischen Konfessionen
bemühen. DieWaUfahrtzumOangesistvielleichtwicfat^
ab die zum Jordan. Die chrisliidie Botschaft g^an den
Einzelnen, nicht an Völker. Und nur der Mönch ver-
nimmt sie in Wahrheit und er allein lebt in Gott
Warum der ünweg des Scherzes und Übermutes
zu solchem Ende? Man wäre ja einen andern; dasZid
vmtenden Weg mit mir nicht gqi;angen zu diesem
Ende; das dich ernst ansieht; aus der Schwere des Lebens
und in dem Glauben an dessen Leichte, wie ihn
unsere Kirche gibt und die Erlösung vmn besitzgterigen
Griff dieser Zeit
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I
Avalun - Tausend-Drucke
Einmal^ Aullage jedes Druckes 1000 EuajiUi«
Bisher erschienen:
Arno Holz:
Die befreite deutsche Wortkunst
Pappband M 20. —
Nr. 1—50 «iif Japao-Dokumentenpapier gedruckt in Oanzpeigameiit
bmäm uad von Anlor wlguSmt M laOLr— .
Prallt Blei: j
Das Evangelium des Apollonios
wf BUnpaiiteff g«Mc|, in Pa|ifta«l M 12^
In HalUedcr M 40..
Frans DIrisiny: i
Zwischen Welten
Pappband M a~
Arth ur Roessler:
Ein Abend mit Gottfried Keller und
B5cklitt
Pappband M \2 —
Nr. 1—100 auf Japan-Dokumeiitenpapier gedruckt, in Haibieder gtboiukn *
und vom Autor signiert M 40,— ]
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